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Literatur und Religion 2

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MythosEikonPoiesis

Herausgegeben von
Anton Bierl

Band 1/2

Walter de Gruyter · Berlin · New York


Literatur und Religion 2

Wege zu einer mythisch-rituellen Poetik


bei den Griechen

Herausgegeben von
Anton Bierl, Rebecca Lämmle,
Katharina Wesselmann

Walter de Gruyter · Berlin · New York


Entstanden im Rahmen des SNF-Pro*Doc Intermediate Ästhetik.
Spiel — Ritual — Performan^
Gefördert von der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft Basel (FAG),
der Frey-Clavel-Stiftung,
dem Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen
Forschung (SNF)
und der Römerstiftung Dr. Rene Clavel

© Gedruckt auf säurefreiem Papier,


das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN 978-3-11-019485-2

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
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Einbandentwurf: Christopher Schneider, Berlin
Druck und buchbindcrischc Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen
εις έμοί μύριοι, εάν άριστος ή.

Bruno Gentiii et Franca Perusino


nonagenario et septuagenariae,
magistris amicisque optimis
Inhalt

Vorwort
ANTON BIERL ix

Xerxes und die Frau des Masistes (Hdt. 9.108-113).


Mythische Erzählstruktur in Herodots Historien
KATHARINA WESSELMANN 1

ου μοι οσιόν έστι λέγενν.


Zur Poetik der Leerstelle in Herodots Ägypten-Logos
SUSANNE GÖDDE 41

'Schön nämlich ist das Wagnis'.


Rituelle Handlung und mythische Erzählung in Piatons Phaidon
EVELINE K R U M M E N 91

Springs, Nymphs, and Rivers.


Models of Origination in Third-Century Alexandrian Poetry
MARYDEPEW 141

On Not Forgetting the "Literatur" in "Literatur und Religion":


Representing the Mythic and the Divine in Roman Historiography
D E N I S FEENEY 173

Griechische und römische Aitiologie in Ovids Metamorphosen


KATHARINA W A L D N E R 203

Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher.


Literatur und Religion im griechischen Roman
A N T O N BIERL 239

Ekphrastic Semantics and Ritual Poetics.


From the Ancient Greek Novel to the Late Medieval Greek Romance
PANAGIOTIS ROILOS 335
viii Inhalt

Mythos und Ritual, Leiden und Opfer.


Ein strukturgeschichtlicher Versuch zur Tragödie
WOLFGANG BRAUNGART 359

Index locorum Graecorum et Latinorum 425


Vorwort

Wenige Monate nach dem Erscheinen des ersten Teils legen wir nun
Literatur und Religion II vor, in dem Beiträge von der griechischen Ge-
schichtsschreibung bis zur Moderne versammelt sind. Für Grundsätzliches
sei auf das Vorwort zu Literatur und Religion I verwiesen.

Der Inhalt des vorliegenden Bandes umfaßt folgende Artikel:

Katharina WESSELMANN analysiert die Verwendung mythischer Erzähl-


strukturen im historischen Diskursfeld der Herodoteischen Historien.
Nach einem kurzen Forschungsüberblick zum Thema untersucht sie am
Beispiel der Novelle von Xerxes und der Frau des Masistes (9.108-113)
die Anleihen bei traditionellen Erzählmustern - Parallele ist hier der
Mythos von Zeus und Semele. Abschließend erfolgt eine theoretische Re-
flexion der Funktionsweise und des Rezeptionseffektes der mythischen
Folien, die zum einen als strukturierende Elemente, zum anderen als tie-
ferliegende Sinnebene der Historien fungieren.
Susanne GÖDDE fragt in ihrem Beitrag nach den poetologischen Impli-
kationen von Herodots Aposiopesen in Buch 2 der Historien. Sie zeigt auf,
daß diese weder ausschließlich mit einer religiösen Haltung des Autors
noch allein durch die historisch bezeugte (ägyptische oder griechische)
Kultpraxis, auch nicht lediglich als interpretatio Graeca zu erklären sind.
Vielmehr erweisen sie sich als Momente einer literarisch vermittelten The-
orie der Religion, welche die Grenze zwischen Göttern und Menschen, das
Skandalon sterblicher und anthropomorpher Götter, im Modus der poeti-
schen Leerstelle reflektiert.
Eveline KRUMMEN geht davon aus, daß Piatons Dialoge zwar in die
Kategorie der philosophischen Texte gehören, in der Rahmenhandlung
und in den großen mythischen Erzählungen jedoch wiederholt Bezüge auf
kultische, rituelle und religiöse Inhalte aufweisen. Diese Inhalte prüft sie
am Beispiel des Phaidon, in dem Anspielungen auf den eleusinischen und
orphisch-dionysischen Bereich sowie ein Opfer für Asklepios prominent
vorkommen, auf ihre reale Einbindung in den zeitgenössischen Kontext.
Ferner untersucht sie den Gedankengang des Dialogs, vor allem im
Hinblick auf die Frage, welche Bedeutung solche religiösen Referenzen
χ Vorwort

für die Philosophie Piatons haben. Insbesondere weist sie nach, daß der
vieldiskutierte zweite Jenseitsmythos des Phaidon, der immer wieder als
lose Coda bezeichnet worden ist, fest in die philosophische Argumentation
gerade der Unsterblichkeitsbeweise eingebunden ist und sie erst zu ihrem
Ende führt.
Mary D E P E W behandelt Literatur und Religion in der hellenistischen
Dichtung des dritten vorchristlichen Jahrhunderts unter den Gesichtspunk-
ten von Kontinuität und Innovation. Sie illustriert die Adaption traditionel-
ler Mythen und Metaphern durch Dichter wie Kallimachos und Apollonios
Rhodios, die in einem geographischen, politischen, epistemischen und
kulturellen Kontext arbeiteten, der völlig verschieden von demjenigen der
Autoren war, deren Werke sie sammelten, katalogisierten und nach-
ahmten. Als emblematisch für solche Transformationen im Werk der
hellenistischen Dichter betrachtet Depew die Verwendungsweisen von
Flüssen, Quellen und Nymphen, die man herkömmlicherweise mit Inspi-
ration, Reinheit und Ursprung assoziierte. Nun aber bestimmte plötzlich
Alexandria die Sicht auf sie, eine Stadt, deren Identität als Erbin griechi-
scher Kultur von Monarchen und Dichtern gerade neu erfunden wurde.
Denis FEENEY wendet sich gegen die in der jüngeren Forschung ver-
breitete Tendenz, generische Differenzen zwischen der Geschichtsschrei-
bung und anderen literarischen Formen für irrelevant zu erklären, insofern
es um die Analyse der Darstellung des Göttlichen geht. Er postuliert
grundsätzliche Unterschiede zwischen den Gattungen seit Herodot und
weist die ureigenen diskursiven Vorgehensweisen der Geschichtsschrei-
bung nach, die sie von anderen Gattungen abhebt - selbst wenn die Histo-
riker sich in verschiedenster Weise an den Grenzen zu anderen Genera wie
etwa der Tragödie oder des Epos bewegen. Anhand der Geschichtsschrei-
bung läßt sich gut zeigen, von welch entscheidender Bedeutung gattungs-
bedingte und formale Merkmale für jede Diskussion über die Interaktion
von Literatur und Religion sind.
Katharina W A L D N E R widmet sich der Art und Weise, wie Ovid in sei-
nen Metamorphosen das seit archaischer Zeit gepflegte aitiologische
Erzählen, spezifisch den Fall der 'religiösen Aitiologie' aufgreift und ad-
aptiert. Knüpft er zunächst an die seit dem Hellenismus nachweisbaren
hexametrischen Verwandlungssagen an, in denen sich paradoxographi-
sches Interesse mit der Darstellung von 'Natur-Aitien' verband, so stellt
bereits die sich als programmatisch erweisende Geschichte von der Ent-
stehung des Lorbeers in Met. 1 eine originelle Verbindung von Natur- mit
Vorwort xi

Kult-Begründungsmythen dar, und ebenso von griechischer und römischer


Tra dition. Dabei entsteht, was Waldner als 'imperiale Aitiologie' bezeich-
net, d. h. eine Erzählweise, deren Fluchtpunkt das Augusteische Imperium
mit seinem weltweiten Geltungsanspruch darstellt. Die Tatsache freilich,
daß Ovid den narrativen Konstruktcharakter bloßlegt, verweist auf den
Anspruch von Souveränität und Autonomie dichterischen Schaffens und
damit auch auf die Konstruiertheit des Fluchtpunkts dieses Erzählens.
Anton B I E R L zeigt in seinem Beitrag, wie der griechische Roman
sämtliche Formen der Religion, des Mythos und Rituals integriert und
verarbeitet. Diese Elemente stellen das generative Energiereservoir und
den kreativen Katalysator der auch im mündlichen Volksgut verankerten
Erzählabläufe dar. Entscheidend ist das Modell des rite de passage, der
Initiation Jugendlicher, die den alptraumartigen Zustand der Marginalität
durchlaufen. Im Imaginären werden nach der hier neu vorgelegten Deu-
tung die Ängste und Emotionen bezüglich der bevorstehenden Hochzeit
und einer erwachenden Sexualität in einer phantastisch-traumartigen Welt
ausgelebt, bearbeitet und gebannt. Zudem werden die weiteren religiösen
Ausdrucksmittel, die sich um dieses Grundschema gruppieren, behandelt
und in ihrer Funktion für die Struktur der Geschichten verdeutlicht. Dabei
werden auch immer wieder ausführliche Lektüren der fünf 'großen' grie-
chischen Liebesromane entworfen.
Panagiotis R O I L O S untersucht auf der Grundlage des methodologi-
schen und theoretischen Konzepts, das er zusammen mit Dimitrios Yatro-
manolakis zuerst in Towards α Ritual Poetics (2003) entwickelt hat, das
Zusammenwirken ritueller und rhetorischer Diskurse anhand der Form der
ekphrasis. Vom antiken griechischen Roman ausgehend, wo die Bildbe-
schreibung oft den Ausgangspunkt, die Rahmenhandlung der Erzählung
markiert oder die romantypische Reise in Gang setzt, bespricht Roilos die
Funktion der ekphrasis in der antiken und mittelalterlichen Literaturtheo-
rie. Dabei zeigt er, wie hier die rhetorische Form ganz selbstverständlich
mit religiösen Inhalten in Zusammenhang gesetzt wird, etwa als didak-
tisch-initiatorischer Reisebericht oder in der Darstellung sakraler Bau-
werke. Das Fortwirken dieser antiken Tradition veranschaulicht Roilos an-
hand der Reiseschilderungen des byzantinischen Romans.
Wolfgang B R A U N G A R T schließlich behandelt den hermeneutischen
Nutzen des Opfermodells für die Deutung moderner Dramen. Er widmet
sich dabei der strukturellen Spannung, die sich in der Gattung der Tragö-
die und ihrer Poetik von ihren Anfängen bis in die Gegenwart dartut: jener
xii Vorwort

Spannung zwischen dem Leiden, welches das Subjekt auf dem Weg seiner
Individuation zu erdulden hat, und dem Opfer für einen höheren Wert,
seien es die Götter, die Gemeinschaft, die Polis oder der Staat. Selbst
wenn die neue Literatur das Opfer nicht mehr als verläßliches und institu-
tionalisiertes Ritual beiziehen kann, erweist sich ein entsprechend adap-
tiertes Opfermodell als äußerst produktiv. Mit der Verbindung von Leiden
und Opfer als tragischem 'Subtext' kann nämlich die Tragödie in einem
Spektrum zwischen Anthropologie und Geschichtlichkeit beschrieben
werden, so daß der Sinn eines anthropologischen Grundproblems in der
jeweils historisch konkreten Ausprägung des theatralen Spiels erkennbar
wird.

Rebecca Lämmle und Katharina Wesselmann haben wiederum die


Herstellung der camera-ready-copy übernommen und zusammen mit mir
die Beiträge ediert und betreut. Wir verwenden die alte deutsche Recht-
schreibung. In den Bibliographien, die jeweils den Beiträgen nachgestellt
sind, kürzen wir nach L 'Armee Philologique ab. Die griechischen Quellen
sind nach Liddell-Scott-Jones angeführt, lateinische nach Oxford Latin
Dictionary. Für zusätzliches Korrekturlesen danken wir den wissen-
schaftlichen Hilfskräften Judith Ehrensperger, Alexandra Scharfenberger
und Patrick Kuntschnik, der auch den Index locorum antiquorum besorgte.
Für wichtigen technischen Rat sind wir erneut Claude Brügger zu großem
Dank verpflichtet.
Für die finanzielle Unterstützung sei nochmals der Freiwilligen Aka-
demischen Gesellschaft Basel (FAG), der Frey-Clavel-Stiftung, der
Römerstiftung Dr. Rene Clavel und dem Schweizerischen Nationalfonds
zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) gedankt. Das
Projekt war mittlerweile auch in das vom SNF finanzierte Pro*Doc-Gra-
duiertenprogramm Intermediale Ästhetik. Spiel - Ritual - Performanz ein-
gebunden.

Basel, September 2007

Anton Bierl zusammen mit Rebecca Lämmle & Katharina Wesselmann


Xerxes und die Frau des Masistes (Hdt. 9.108-113).
Mythische Erzählstruktur in Herodots Historien*

1. Vorbemerkung

Was ist Mythos? - Obwohl der Begriff sowohl in der Antike als auch in
der Neuzeit ubiquitär verwendet wird, scheint beinahe jeder Autor etwas
anderes darunter zu verstehen. 1 Weitgehende Einigkeit besteht immerhin
hinsichtlich zweier grundlegender Merkmale des Mythos: es handelt sich
um eine Erzählung, und zwar um eine traditionelle Erzählung.2
Die erste Definition führt Walter Burkert aus, wenn er festhält, daß
eine Erzählung ein "phenomenon of language" sei, "and not some special
creation analogous to and outside of normal language". Was die Traditio-
nalität dieser Erzählung angeht, so weist Burkert besonders auf die Be-
deutungslosigkeit von Ursprung und Autor hin - nicht die Erfindung, son-
dern die Wiederaufnahme einer Geschichte als "means of communication
in subsequent generations, usually with some distortions and reelabora-
tions" mache ihre Traditionalität aus.

The f u n d a m e n t a l questions thus would be: H o w , and to what extent, can


traditional tales retain their identity through many stages of telling and retelling
..., and what, if any, is the role and function of such tales in the evolution of
human civilization? (Burkert 1979, 2).

Burkerts Frage erschöpfend zu beantworten ist an dieser Stelle nicht


möglich. Stattdessen soll exemplarisch eine bestimmte Verwendungsweise
des Mythos in der Gattung der Geschichtsschreibung beleuchtet werden,
deren Inhalte per definitionem nicht traditionell sein können; so scheint es
zumindest aus moderner Perspektive. Es handelt sich um die Verwendung

* Für wertvolle Hinweise zu dieser Arbeit danke ich Deborah Boedeker und Manuel
Baumbach sowie insbesondere auch meinem Doktorvater Anton Bierl.
1
Auch die expliziten Definitionen weichen bisweilen stark voneinander ab. Zur Pro-
blematik des antiken und modernen Mythosbegriffs vgl. ζ. B. Calame 2003; Meier 2004,
31-32 und Anm. 31 mit weiterführender Literatur.
2
Vgl. Burkert 1972, 41; Graf 1985, 7-14, bes. 7.
2 Katharina Wesselmann

des Mythos als Folie für die historischen Erzählungen 3 im Werk des He-
rodot, und damit letztlich um die 'Mythisierung' historischer Elemente in
den Historien.
Eine systematische und vollständige Analyse der Stellen, die das Phä-
nomen der 'Mythisierung' betreffen, steht bisher noch aus, 4 auch wenn
bereits interessante Teilergebnisse erbracht worden sind. Diesen soll im
folgenden ein kurzer Forschungsüberblick gewidmet werden. Des weite-
ren möchte ich ein bisher noch zu wenig beachtetes 5 Beispiel von 'Ge-
schichtsmythisierung' untersuchen: die Erzählung von Xerxes und der
Frau des Masistes. Schließlich soll hier einmal der Versuch gewagt sein,
die Vorgehensweise des Autors zu analysieren und die rezeptionsästhe-
tischen Implikationen der 'Mythisierung' zu beleuchten, da auch eine
gründliche theoretische Reflexion des Phänomens bisher Desideratum ge-
blieben ist.6

2. Die 'Mythisierung' der Geschichte in Herodots Historien

Über Herodots Behandlung des Mythos ist viel geforscht worden. Unter
anderem wurde immer wieder großes Gewicht auf seine kritische Distanz
und Abgrenzung von einer epischen Behandlung der Götter gelegt, die er
in der expliziten Fokussierung auf τά γενόμενα έξ ανθρώπων betont. 7
Auch grundsätzlich nimmt Herodot gegenüber traditionellen Erzählungen
eine kritische Haltung ein, die sich unter anderem an dem in den Historien
oft diagnostizierten Phänomen der Mythenrationalisierung zeigt, des

3
Das Problem der Terminologie betreffend Herodots 'logoi', 'short-stories', ' N o -
vellen', 'Mikrogeschichten' oder eben 'Erzählungen' kann hier nicht näher erörtert wer-
den. Vgl. dazu beispielsweise Gray 2002, bes. 291-292.
4
In Wolf Alys verdienstvoller Sammlung der Märchenmotive bei Herodot (1921)
wird weniger die Vorgehensweise des Autors beleuchtet, als daß die Motive selbst ins
Zentrum gestellt sind: Aly sucht jeweils nach einer Art ' U r - M o t i v ' und zieht neben grie-
chischen Mythen auch traditionelle Erzählungen aus f ü r ihn greifbaren anderen Kultur-
kreisen heran. Durch die konsequente Isolierung von Einzelmotiven werden die motivi-
schen Kontexte in den Historien nicht deutlich.
5
Vgl. unten Anm. 34 und 35.
6
Im Rahmen meiner Dissertation plane ich eine umfassendere Untersuchung.
7
Vgl. den Überblick bei Meier 2004, 27 mit Anm. 2 und 37 mit A n m . 66 und 67;
vgl. ferner Feeney in diesem Band, 179-180, der d a r a u f h i n w e i s t , daß in den Historien
Götter zwar auftreten, aber nur dann, wenn Herodot Berichte anderer referiert; vgl. auch
Gödde in diesem Band, Anm. 51.
Mythische Erzählstrukturen in Herodots Historien 3

"rationalistic demythologizing". 8 Eines der bekanntesten Beispiele dafür


ist die Helena-Erzählung im zweiten Buch der Historien (2.120): Helena,
so Herodot, könne gar nicht in Troia gewesen sein, sonst hätten die Troia-
ner sie ja ausgeliefert.
Daß jedoch dieses Bild des großen Rationalisten, der sich aufgrund
seiner überragenden Intelligenz mit Leichtigkeit aus jeder poetischen und
religiösen Tradition herauslöst, nicht in jeder Hinsicht zutrifft, ist natürlich
bereits bemerkt worden. 9 Herodot bleibt mythischen Erzähltraditionen
verhaftet: Mythische Elemente prägen und durchdringen die ganze Struk-
tur der Historien. Einige Episoden in Herodots Ιστορίης άπόδεξις, die
von historischen, konkret benannten Persönlichkeiten handeln, weisen
eine augenfällige motivisch-strukturelle Nähe zu bekannten mythischen
Erzählungen auf, so daß man von einer 'Mythisierung' historischer Ereig-
nisse sprechen kann.10
Dieses Phänomen ist in Einzeluntersuchungen bereits behandelt wor-
den. So stellt Fritz Graf in der Herodoteischen Erzählung von der unter-
brochenen Hinrichtung des Kroisos (1.86-87) zwar keine strukturelle
Ähnlichkeit zu einer 'echten' mythischen Erzählung fest, verweist sie je-
doch vor allem aufgrund der Unmöglichkeit eines Zusammentreffens zwi-
schen Solon und Kroisos ins Reich der Erfindung und bemerkt, "daß bei
diesem Fehlen einer scharfen Grenze zwischen Mythos und Geschichte ...
das historische Ereignis in den narrativen Formen der Mythenerzählung
sich niederschlägt." Die Erzählung diene ausschließlich der Untermaue-
rung Herodoteischer Geschichtsphilosophie; "... die genauen historischen
Details bleiben uns ungreifbar. Die Geschichten werden traditionell ..."
(Graf 1985, 130).
Grafs These wird etwa durch Deborah Boedekers Untersuchung der
Artayktes-Erzählung am Ende der Historien gestützt (7.33; 9.116-120). 11
Anhand der Bestrafung des persischen Statthalters durch den Heros Prote-
silaos, dessen Heiligtum jener geschändet hatte, zeigt Boedeker die Ein-
ordnung der simultan berichteten athenischen Einnahme von Sestos in

8
Boedeker 2000, 98.
9
Zur Problematik der modernen Unterscheidung zwischen historischen 'Fakten' und
'fiktivem' Mythos in der antiken Geschichtsschreibung vgl. ζ. B. Brillante 1990; Most
1999. Zu Herodot vgl. ζ. B. Nagy 1987; Hartog 1999; Meier 2004.
10
Beachtung, aber keine ausfuhrliche Diskussion findet dieses Phänomen bei Boe-
deker 2002, bes. 110-114.
11
Boedeker 1988.
4 Katharina Wesselmann

eine mythische Tradition auf: Gleichsam vermittelt durch die Figur des
Protesilaos finden sich in Herodots Bericht über die Belagerung von Se-
stos erstaunliche Parallelen zu mythischen Erzählungen vom Kampf um
Troia.12 Die Geschichte scheint überdies noch weiter auf den troianischen
Heros hin 'modelliert': Boedeker weist nach, daß die Schändungen des
Heiligtums in direktem Zusammenhang mit der mythischen Biographie
des Helden stehen. 13 Artayktes, so Boedeker weiter, wird von den Grie-
chen genau dort gekreuzigt, wo Protesilaos starb, an der so überaus sym-
bolträchtigen Übergangsstelle zwischen Asien und Europa: Nicht zufallig
rahmen die beiden Artayktes-Stellen Xerxes' Griechenlandfeldzug. 14
Schließlich wird auch das Thema göttlicher Vergeltung berührt, wobei der
Statthalter auch im Text stellvertretend für Xerxes selbst steht.15 Das my-
thische Modell dient hier als Erklärung für Mikro- und Makrostruktur: wie
die Griechen an den Troianern, so handelt Protesilaos an Artayktes, und
ebenso wirkt schließlich auch das δαιμόνιον auf die persischen Aggresso-
ren ein.16
Auch Christiane Sourvinou-Inwood thematisiert in ihrer Untersuchung
der Herodoteischen Erzählung von dem korinthischen Tyrannen Periander
und seinem Sohn Lykophron (3.48, 50-53) Herodots Verwendung mythi-
scher Folien:17 Der Herrscher, der durch Kastration von Kindern ein ande-
res Volk für den Mord an seinem Sohn bestraft, evoziere Minos, der von
den Athenern für den Tod des Androgeos Menschenopfer an Minotaurus
fordert; wie die Lykophron-Erzählung ist auch diese Geschichte Aition für
ein Fest.
Die Konfliktsituation zwischen Vater und Sohn sieht Sourvinou-
Inwood im Mythos von Theseus und Hippolytos und in der Phoinix-Vita

12
Boedeker 1988, 34.
13
Vgl. Boedeker 1988, 37-40: Artayktes plündert den Tempel des Protesilaos, der
selbst nie zum Plündern gekommen ist; er betreibt Landwirtschaft da, wo der Heros wohl
in seiner Eigenschaft als Patron einer "nonagricultural vegetation" verehrt wird; er hat
Geschlechtsverkehr im Heiligtum ausgerechnet desjenigen Helden, dessen tragisch
endende junge Ehe zum bekanntesten Teil seiner Biographie gehört.
14
Boedeker 1988,41-45.
15
Vgl. Boedeker 1988, 47: "The logos of Artayktes and Protesilaos exemplifies a
delicate and I believe typically Herodotean metonymy, in which lesser characters act out
more clearly the moral or cosmological paradigms which Herodotus is far more hesitant
to draw for greater figures or historical movements."
16
Boedeker 1988, 48.
17
Sourvinou-Inwood 1991, 244-284.
Mythische Erzählstrukturen in Herodots Historien 5

gespiegelt (wie in Herodots Erzählung hat der Konflikt mit der Frau des
Vaters zu tun, Phoinix geht wie Lykophron ins Exil, Periander bereut
ebenso wie Theseus). 18 Auch Sourvinou-Inwood zieht bezüglich der von
ihr untersuchten Episode die Schlußfolgerung, sie sei "a 'mythological'
text, the product of mythopoetic creation" (1991, 261). 19
Weitere Beispiele traditioneller Schemata entdeckt Charles C. Chias-
son in Herodots Kleobis und Biton-Episode (1.31).20 Er zieht die Parallel-
erzählung von Trophonius und Agamedes heran, die von Apollon als
Dank für den Bau seines Heiligtums in Delphi dieselbe Belohnung erhal-
ten wie Kleobis und Biton (Plu. mor. 109a). Weiter erkennt er das in der
hexametrischen Dichtung verbreitete Motiv der Mutter, die für Tod oder
Sterblichkeit ihres Sohnes verantwortlich ist.21 "In important ways of
which he is well aware", so sein Fazit, "the 'Father of History' remains a
descendant and disciple of myth" (Chiasson 2005, 60).22

18
Allerdings sieht Sourvinou-Inwood die strukturierenden Elemente weniger in
parallelen mythischen Erzählungen als in traditionellen (Initiations)/?;7e«, wo das Phäno-
men der Nachfolge natürlich ebenfalls zentral ist. Sie beschreibt verschiedene Elemente
initiatorischer Riten, die der Struktur der Erzählung entsprechen, etwa das Einschließen
der Kinder im Tempel ("social exclusion", "state of abnormality"), oder ihr Erhäschen
der Opfergaben. Eine ähnliche Methodik zeigt sich bereits bei Harrison 1912.
19
Herodots Intention bestehe darin, das Ende der Regierungsform 'Tyrannis' aufzu-
zeigen, indem er ein Beispiel für eine gescheiterte dynastische Nachfolge gibt: " . . . the
Herodotean narrative ... expresses the concept 'failed succession' in the Greek mytho-
logical idiom" (Sourvinou-Inwood 1991, 266).
20
Chiasson 2005 bringt ebenfalls Parallelen zum Ritus; er erkennt einen Zusam-
menhang der Episode mit den männlichen Initiationsriten beim Fest der argivischen Hera,
den Heraia oder Hekatombaia.
21
Chiasson 2005, 42 zitiert II. 24.58-61 (vgl. 22.79-89) - Hektor muß sterben, weil
er im Gegensatz zu Achilleus von einer sterblichen Mutter gesäugt wurde, aber auch
Thetis "is consistently and pointedly associated in the Iliad with her s o n ' s imminent
death" - und h.Cer. 231-274: Metaneira verhindert, daß Demeter ihren Sohn Demophon
durch Feuer unsterblich macht; bei Apollodor 1.5.1 führt sie gar seinen sofortigen Tod
herbei. - Chiasson verweist auf die englische Übersetzung (1983) von Burkert 1972, 162-
164 und Seaford 1988, 108 und 123.
22
Allerdings vermutet Chiasson eine deutlich ahistorische Kategorisierung der
Erzählung durch Herodot, wobei er sich einerseits auf die distanzierende Phrase λ έ γ ε τ α ι
οδε ό λόγος beruft, die der Geschichte vorausgeht (unter Verweis auf verschiedene Auto-
ren, die sich mit Herodots "shift in the narrative mode from the historical to the mythical"
befassen, ζ. Β. Griffiths 1999; Fowler 1996, 116; Stahl 1975; Lateiner 1977), zum
anderen auf die Tatsache, daß nicht der Autor selbst spricht: "While the words are spoken
by Solon, it is through Herodotus' eyes that he discerns a fundamental historiographical
distinction ..., declining to vouch for the historical veracity of the story that follows. In
the broader context of Solon's speech to Croesus, this subtly eloquent introduction sepa-
6 Katharina Wesselmann

In jüngster Zeit hat Philip Stadter den Herodoteischen Kroisos-Logos


im Hinblick auf den Mythos untersucht. 23 Einzelelemente der Vita des
Adrastos, der wegen eines unabsichtlich begangenen Mordes aus seiner
Heimat fliehen muß und dann ungewollt zum Mörder am Sohn seines
Schutzherrn und Reinigers Kroisos wird, erkennt Stadter auch in traditio-
nellen Erzählungen wieder: Patroklos flieht seine Heimat aus demselben
Grund und wird ebenfalls "guardian to a Prince" - im übertragenen Sinne
ist auch er Ursache für den Tod seines Schützlings. Noch frappanter ist die
Ähnlichkeit zum Schicksal des Peleus: nach der Tötung seines Halbbru-
ders flieht er nach Phthia und tötet dort aus Versehen seinen Schwieger-
vater und Reiniger Eurytion.
Viel Beachtung hat weiter Herodots Annäherung an die zeitgenössi-
sche Tragödie gefunden; auch hier ist der lydische Logos zentraler Ge-
genstand der Forschung. 24 Zahlreiche Helden der Historien geraten 'un-
schuldig schuldig' in tragische Konflikte - wie eben Adrastos, oder auch
Xerxes, dessen Griechenlandfeldzug unter anderem auch auf Befehl eines
Traumes erfolgt (7.12-18). Herodots Diktion nähert sich bisweilen tragi-
scher Dichtung an, etwa wenn er vom δούλιον ζυγόν spricht, das Xerxes
über den Hellespont wirft (7.8.3), und dabei Aischylos' Perser (50) zitiert;
ganze Passagen sind samt Botenbericht und 'Chorpartien' tragödienartig
aufgebaut - beispielsweise, wenn 1.43-44 von Atys' Tod berichtet wird
und der lydische 'Chor' 1.45 seine Leiche bringt. 25 Charles Chiasson wen-
det sich entschieden gegen eine passive Übernahme solcher Elemente
durch Herodot und postuliert "the use of tragic patterns or motifs as
something familiar, engaging, and evocative to his audience" (Chiasson
2003, 19).26 Wie Graf geht auch Chiasson von einem bewußten Rückgriff
auf das vertraute literarische Modell aus - als Mittel zur Untermauerung
einer philosophischen Kernaussage ohne Rücksicht auf Faktentreue. 27

rates the 'mythological' story of Cleobis and Biton from the more historically plausible
biography of the Athenian citizen Tellos that precedes it" (Chiasson 2005, 44).
23
Städter 2004, 38-42.
24
Einen Überblick über die Forschungssituation sowie einige interessante N e u -
ansätze bietet Chiasson 2003, unter Verweis auf Fohl 1913; Stella 1936; Meunier 1968;
Stahl 1968; Snell 1973; Rieks 1975; Lesky 1977; Szabo 1978; Chiasson 1982; Long
1987, bes. 74-105; Herington 1990; Laurot 1995. Zu ergänzen sind beispielsweise Myres
1914; Egermann 1957; Levin 1960; Said 2002.
25
Lesky 1977.
26
Zu Herodots Publikum vgl. unten Anm. 48 und S. 23-25 und 29.
27
Chiasson 2003, bes. 18-19.
Mythische Erzählstrukturen in Herodots Historien 7

Es bleibt zu prüfen, ob Herodots Anlehnung an die Gattung Tragödie


gleichsam eine Unterkategorie seiner Nähe zu mythischen Stoffen dar-
stellt. Die Frage ist hierbei, ob jede Aufnahme einer Struktur oder eines
Motivs, das in der Tragödie ebenfalls vorkommt, als 'tragisches' Element
gelten darf. Auch wenn die Tragödiendichter unzweifelhaft diejenigen
mythischen Stoffe auswählen, die sich in struktureller oder inhaltlicher
Hinsicht für die Gattung eignen, 28 deutet die Auswahl desselben Motivs
durch Herodot nicht zwingend auf seine inhaltliche oder strukturelle Nähe
zum tragischen Genre hin; seiner Verwendung des Mythos kann theore-
tisch jede mögliche andere Motivation zugrunde liegen.

3. Xerxes und Semele

Gerade bei mythischen Erzählungen sei der Vergleich von Erzählstruktu-


ren ein adäquater Interpretationsansatz, so Carlo Brillante, denn in der
Regel müssen verschiedene Versionen berücksichtigt werden. Es geht
also, um die von Saussure geprägten Begriffe zu verwenden, um die
mythische parole, also den aktuellen Gebrauch des als langue in seiner
'basic structure' festgelegten Mythos, der in der jeweiligen Version durch
neue oder neu gewählte 'superstructures' erweitert werden kann. Eine rein
chronologisch-historische Untersuchung der Mythenversionen und ihrer
Veränderung durch die Literaturgeschichte ist angesichts der meist unbe-
friedigenden Quellenlage nicht ganz einfach, da die Überlieferung über-
wiegend mündlich erfolgte und es sich bei den schriftlich erhaltenen
Texten um eine zufällige Auswahl handelt; ferner sagt eine solche Analyse
per se noch wenig über den Sinn der Modifikationen aus. Untersucht man
jedoch die Veränderungen der narrativen Strukturen in ihrer Beziehung
zum jeweiligen Kontext und in ihrer aktuellen Funktion, können sich Be-
züge erschließen, die vorher nicht erkennbar waren. 29
Wenn sich ein solcher Interpretationsansatz bei Brillantes Analyse
verschiedener Mythen oder Mythenversionen als sinnvoll erweist, muß
dies bei der Untersuchung von Übertragungen mythischer 'basic struc-
tures' in eine nicht ausschließlich fiktionale Gattung umso mehr der Fall
sein. Unter diesem Aspekt stellt die Erzählung von Xerxes und der Frau

28
Vgl. Burian 1997, bes. 190-191.
29
Brillante 1990, 120.
8 Katharina Wesselmann

des Masistes ein besonders markantes Beispiel für die 'Mythisierung'


historischer Figuren und Handlungen dar (9.108-113):
Während eines Aufenthalts in Sardes begehrt Xerxes die Frau seines
Bruders Masistes, die sich ihm verweigert. Um sie näher bei sich zu ha-
ben, verheiratet er seinen Sohn mit ihrer und Masistes' Tochter Artaynte.
Die Tochter nun reizt Xerxes noch mehr als die Mutter, und anders als
diese verweigert sie sich nicht. In großzügiger Stimmung bietet Xerxes
seiner neuen Geliebten einmal an, sie solle sich irgendetwas von ihm aus-
bitten; er werde es auf jeden Fall gewähren. Darauf fordert sie ein Prunk-
gewand, das ihm seine Ehefrau Amestris gefertigt hat. Xerxes versucht,
sie davon abzubringen, indem er ihr alle möglichen anderen Schätze ver-
spricht, doch ohne Erfolg: da ihn sein Versprechen bindet, gibt er ihr
schließlich das Gewand. Seine Gattin Amestris erfährt davon und hält die
Mutter der Artaynte für die Schuldige. An Xerxes' Geburtstag - wo er
nach persischem Recht niemandem einen Wunsch abschlagen darf - for-
dert sie Gewalt über die vermeintliche Nebenbuhlerin; Xerxes muß auch
dies gegen seinen Willen gewähren, worauf Amestris ihr Opfer grausam
verstümmeln läßt.
Es ist dies der letzte Auftritt des Xerxes in den Historien; Herodot be-
richtet nur noch vom Streit der Brüder und der darauffolgenden Ermor-
dung des Masistes und seiner Familie. Aller Wahrscheinlichkeit nach wis-
sen Autor und Rezipienten, daß Xerxes später einer Verschwörung zum
Opfer fiel, an der Mitglieder seiner Familie maßgeblich beteiligt waren.30

Für eine strukturelle Analyse der Episode bietet sich die Methode des
Formalisten Vladimir Propp an, der die Wiederholung traditioneller Mo-
tive in unterschiedlichen Kontexten untersucht. 31 In seiner 1928 erstmals
erschienenen Morphologie des Volksmärchens stellt er fest, daß sich in
zahlreichen russischen Volksmärchen dieselben Handlungseinheiten oder
Funktionen wiederholen - etwa wenn ein Gönner dem Helden ein magi-
sches Instrument gibt, mit dem man sich an einen anderen Ort versetzen
kann nur die Ausführenden sind unterschiedlich. 32 Propps Methodik
läßt sich durchaus auf Herodots Übernahme mythischer Motive anwenden.

30
Vgl. Parker/Dubberstein 1956, 17; Wiesehöfer 1994, 78.
31
Im vorliegenden Aufsatz soll weder das Phänomen des Strukturalismus erklärt
noch eine neue Form davon erfunden werden. Es geht lediglich darum, die im folgenden
auf Herodot angewandte Methode anhand einiger ähnlicher Ansätze näher zu erläutern.
32
Propp 1928.
Mythische Erzählstrukturen in Herodots Historien 9

Natürlich werden sich im griechischen Mythos nicht dieselben Elemente


finden wie im russischen Volksmärchen; dennoch ist es wahrscheinlich,
daß Einzelelemente - oder Funktionen - traditioneller griechischer Erzäh-
lungen auch in den Historien figurieren.
So weist auch die Herodoteische Xerxes-Episode augenfällige Ähn-
lichkeiten mit dem griechischen 33 Mythos auf.34 Die nächstliegende 35 As-
soziation ist wohl die traditionelle Erzählung von Zeus und Semele, die
vollständig erstmals bei Ovid belegt ist {Met. 3.256-315). Vor Beginn der
Analyse muß geklärt werden, inwieweit diese späte Version des Mythos
für die Xerxes-Geschichte vorausgesetzt werden darf.
Herodot ist mit dem Semele-Mythos vertraut, wie sich 2.146 zeigt, wo
er über die ägyptischen Angaben betreffend das Alter einiger griechischer
Götter spricht:

νυν δε Διόνυσόν τε λέγουσν oi "Ελληνες, ώς αύτίκα γενόμενον


ές τον μηρόν ένερράψατο Ζευς και ήνεικε ές Νύσαν ...

Von Dionysos erzählen die Griechen nun, daß ihn Zeus sofort nach seiner Ent-
stehung in seinen Schenkel eingenäht und nach Nysa gebracht habe .. ,36

Daß Herodot vom Einnähen des kleinen Dionysos in Zeus' Schenkel


spricht, belegt wohl seine Kenntnis von der Vernichtung Semeies durch

33
Wiesehöfer 1994, 86 hält die Geschichte für persisch; zu ihrer Verortung in einer
orientalischen novellistischen oder biblischen Tradition vgl. auch Müller 2006, 298 mit
Anm. 78 (vgl. auch unten Anm. 56). Im Lichte der folgenden Ausführungen kann wohl
von einem gemeinschaftlich nahöstlich-griechischen Erbe ausgegangen werden.
34
Auch hier können wieder tragische Motive benannt werden; so wird Artaynte, als
sie das verhängnisvolle Gewand empfangen hat, als π ε ρ ι χ α ρ ή ς bezeichnet. Vgl. hierzu
Chiasson 2005, 49-52: Herodot bezeichnet die Mutter von Kleobis und Biton als
π ε ρ ι χ α ρ ή ς , als sie, überglücklich über die Tüchtigkeit ihrer beiden Söhne, ahnungslos
um die für sie selbst schmerzliche göttliche Belohnung bittet. Chiasson interpretiert dies
als tragische Ironie und stellt fest, daß das Adjektiv "always foreshadows suffering for
the person so described [er zitiert 1.119.2; 3.35.3, 157.3; 4.84.2; 5.32; 7.37.3, 215; 9.49.1,
109.3], thus exemplifying the characteristic Herodotean perception of human pleasure
and prosperity as short-lived" (49). Bei zweien der genannten Beispiele bezieht sich περι-
χ α ρ ή ς auf Eltern, die indirekt für den unmittelbar folgenden Tod ihrer Kinder verant-
wortlich sein werden; im oben diskutierten Beispiel wird die π ε ρ ι χ α ρ ή ς Artaynte den
Tod ihrer Mutter herbeifuhren.
35
Stadter 2004, 38 sieht eine allgemeinere Parallele zum Frauenraub des Paris, der
ebenfalls in einer Katastrophe endet. Dasselbe Motiv erkennt er bei Gyges und Demara-
tos (vgl. unten Anm. 59).
36
Sofern nicht anders angegeben, sind alle Übersetzungen meine eigenen.
10 Katharina Wesselmann

Feuer. Was das Motiv der eifersüchtigen Ehefrau betrifft, so findet sich
bei Herodot kein Hinweis darauf; allerdings dürfte ihm auch diese Vari-
ante nicht unbekannt sein: in den ältesten Versionen des Mythos sind be-
reits die Informationen enthalten, daß Zeus mit Semele ein Verhältnis hat,
daß Hera eifersüchtig ist und irgendetwas unternimmt. Daraufhin ver-
brennt Zeus Semele mit einem Blitz, worauf er den Dionysosknaben in
seinen Schenkel einnähen muß. 37
Die Lösung eines Blankoversprechens ist erstmals bei Ovid belegt
{Met. 3.253-315). 38 Dennoch kann sie Herodot bekannt gewesen sein,
zumal es in den älteren Versionen offensichtlich einen 'missing link' gibt
- wie gelingt es Hera, daß Semele vernichtet wird, noch dazu von Zeus
persönlich?
Die einzige alternative Möglichkeit findet sich in einer zuerst bei Dio-
dor erzählten Version, nach der Zeus Semele ihren unsinnigen Wunsch
auch ohne explizit genanntes vorheriges Blankoversprechen erfüllt, ohne
daß berichtet wird, was ihn dazu veranlaßt (3.64; 4.2.2). Daß diese Vari-
ante logisch unbefriedigend ist, deutet darauf hin, daß Diodor das Blanko-
versprechen einfach übergeht bzw. dessen Kenntnis beim Leser voraus-
setzt. Auch in den älteren Versionen des Semele-Mythos mag dies der Fall
sein, zumal neben den zahlreichen verlorenen schriftlichen Quellen immer
auch die mündliche Tradition des Mythos eine Rolle spielt. Im übrigen ist
letztlich niemals entscheidbar, wie alt eine bestimmte Variante einer Er-
zähltradition ist, da Produktion und Erhaltung literarischer Verarbeitungen

37
h.Bacch. 1.4-7 wird Dionysos als είραφιώτα angesprochen, und auf die Tradition
verwiesen, daß κυσαμένην Σεμέλην τεκέειν ΔιΙ τερπικεραύνφ. Weiter heißt es: σέ δ'
ετικτε πατήρ ανδρών τε θεών τε πολλόν άπ' ανθρώπων κρυπτών λευκώλενον "Ηρην.
Hier besteht also bereits Kenntnis über Semeies Vernichtung, Heras Eifersucht wird min-
destens angedeutet, und auf den Blitz wird durch Zeus' Epitheton verwiesen (vgl. auch
Pi. O. 2.25-26; S. Ant. 1116-1117, 1139). Auch Spintharos' Tragödientitel ΣΕΜΕΛΗ KE-
PAYNOYMENH belegt die Bekanntheit der Geschichte in klassischer Zeit (TrGF 1, 40,
T1 = Suda s. ν. Σπίνθαρος), und Aischylos' Darstellung der schwangeren Semele in sei-
ner Tragödie ΣΕΜΕΛΗ Η ΥΔΡΟΦΟΡΟΙ (fr. 221-224 Radt; vgl. schol. L arfA.R. 1.636a)
deutet ebenfalls auf eine Erzählung der Geburtsgeschichte hin. Sophokles' ΥΔΡΟΦΟΡΟΙ
mögen denselben Inhalt gehabt haben (fr. 672-674 Radt). Bildliche Darstellungen des To-
des der Semele durch den Blitz finden sich ab 390 v. Chr. (LIMC 7, 720-721, 6-7). Expli-
zit wird die Hera-Intrige erst spät erzählt: bei Ovid (Met. 3.253-315), Apollodor (3.26-
27), Hygin (fab. 167 und 179) und Nonnos (D. 8).
38
Das Blankoversprechen figuriert nicht in allen späten Versionen: abgesehen von
Ovid wird es nur bei Apollodor (3.26-27) explizit referiert, nicht aber bei Hygin {fab. 167
und 179) und Nonnos (D. 8).
Mythische Erzählstrukturen in Herodots Historien 11

von Mythen unzähligen Zufällen unterworfen sind.39 Es scheint also legi-


tim, die späte Mythenversion zum Vergleich heranzuziehen. Ovid referiert
sie folgendermaßen:
Semele wird von Jupiter schwanger, was bei Hera zu einem Anfall von
Eifersucht führt. In Gestalt der Amme Beroe redet sie Semele ein, sie kön-
ne sich der wahren Identität des Gottes nur dann sicher sein, wenn er ihr in
seiner ureigensten göttlichen Gestalt erscheine:

det pignus amoris,


si modo verus is est, quantusque et qualis ab alta
Iunone excipitur, tantus talisque rogato,
det tibi complexus suaque ante insignia sumat!
(Ov. Met. 3.283-286)

er gebe für seine Liebe ein Zeichen, wenn er es in Wahrheit ist, und so gewaltig,
so herrlich, wie ihn die hohe Juno empfängt, so gewaltig, so herrlich soll er
dich, darum bitte, u m a r m e n und vorher noch die Zeichen seiner Göttlichkeit
anlegen!

Die naive Semele bittet den göttlichen Liebhaber um eine Gabe, sine no-
mine munus, und der Verliebte gesteht ihr zu, was immer sie sich wünscht;
ja, er schwört sogar beim Styx, die Bitte zu erfüllen. Hierauf erbittet sich
Semele, der Gattin gleichgestellt zu werden:

'qualem Saturnia' dixit


'te solet amplecti, Veneris cum foedus initis,
da mihi te talem.' (3.293-295)

Wie Juno dich zu umarmen pflegt, wenn du mit ihr z u s a m m e n den Bund der
Liebe schließt, so erscheine du mir! 40

Jupiter ist alles andere als glücklich über den törichten Wunsch und ver-
sucht ihn zunächst abzuwenden (voluit deus ora loquentis opprimere). Als
dies nicht gelingt, will er seine Kräfte immerhin mindern, und verwendet

39
Für eine generelle Legitimation der frühen Datierung auch spät belegter Mythen-
versionen vgl. Brillante 1990, 114-116: "... whenever the authenticity of a narrative is
argued from the absence of a literary elaboration, it becomes necessary to establish how
many of these 'ancient' traditions have come down to us solely through 'late' sources"
(114).
40
Übersetzung von Gerhard Fink (2004).
12 Katharina Wesselmann

als gefordertes insignium einen levius fulmen, von den Göttern secunda
tela genannt - aber auch das ist für Semele zuviel: sie stirbt im Feuer.

Unser Beispiel entspricht dem von Propp beobachteten Phänomen natür-


lich insofern nicht, als es sich nicht um zwei Texte handelt, die derselben
Gattung angehören, sondern einerseits um einen konkret vorliegenden,
historiographischen Text, und andererseits um eine traditionelle Erzäh-
lung, die unter anderem in Ovids Bearbeitung greifbar wird. Dennoch
kann man dieselbe Vergleichsmethode heranziehen:

Funktionen Handlungen bei Handlungen im


Herodot 9.108-113 Semele-Mythos
1. Blankoversprechen des Xerxes sichert Artaynte zu, Zeus sichert Semele zu,
Liebhabers was immer sie sich wün- was immer sie sich wün-
schen möge. schen möge.
2. Forderung der Geliebten, Artaynte fordert das von der Semele fordert, Zeus
der Gattin gleichgestellt zu Ehefrau hergestellte Ge- möge ihr mit seinen göttli-
werden wand. chen insignia erscheinen.
3. Erfolgloser Versuch des Xerxes versucht erfolglos, voluit deus ora loquentis
Geliebten, das Unheil ab- Artaynte von ihrem Wunsch opprimere - erfolglos.
zuwenden abzubringen.
4. Eifersucht der Ehefrau Eifersucht der Amestris Eifersucht der Juno
5. Intrige der Ehefrau gegen Intrige der Amestris ver- Intrige der Juno vermittels
die Geliebte mittels eines neuerlichen des Wunsches der Semele
Blankoversprechens (Funk- (Funktion 2)
tion 1)
6. Erzwungene Beteiligung Xerxes gesteht Amestris Zeus erscheint Semele als
des Liebhabers an der In- Macht über die (vermeint- Blitz.
trige der Ehefrau liche) Geliebte zu.
7. Tötung der Geliebten Tötung der (vermeintlichen) Tötung der Semele
Geliebten

Hier wird bereits deutlich, daß ein entscheidender Punkt von Propps For-
schung nicht auf Herodot übertragen werden kann: das Postulat, daß die
Funktionen immer in derselben Reihenfolge aufeinanderfolgen. Diese Be-
hauptung wurde freilich schon in bezug auf Propps eigenes Material be-
stritten.41

41
Csapo 2005, 197-198 weist erstens die gelegentliche Wiederholung von Funk-
tionen nach, und zweitens die Veränderung ihrer Position in dem Falle, daß plot und
narration nicht übereinstimmen, was etwa bei Rückblenden der Fall sein kann. Er de-
monstriert dies am Beispiel des Perseus-Mythos, auf den Propp sein Modell selbst eben-
Mythische Erzählstrukturen in Herodots Historien 13

Bei Herodot ist die Übernahme der mythischen 'basic structure' zwar
evident - bei sieben Übereinstimmungen kann von einer Zufallsauswahl
mythischer Einzelfunktionen nicht mehr die Rede sein jedoch sind die
Funktionen in ihrer Position eindeutig verändert: die mythische Abfolge
beginnt ja mit Junos Eifersucht und ihrer Intrige (4 und 5), während
Amestris erst nach dem Blanko versprechen und dem törichten Wunsch
der Geliebten auftritt.
Ferner erstaunt die Doppelung der Figur der Geliebten, die im folgen-
den eingehender untersucht werden soll. Durch Propps Modell der Tren-
nung von Funktion und Handlung werden auch die Beziehungen zwischen
den einzelnen Funktionen sichtbar: die Verzweifachung der Geliebten
resultiert ihrerseits in der Doppelung der Funktion 1 ('Blankoverspre-
chen'), die wiederum Teil der Funktion 5 ('Intrige der Ehefrau') wird.
Zwischen Xerxes' Verhältnis mit Artaynte und der Verstümmelung ihrer
Mutter wird durch das traditionelle Erzählschema eine Beziehung herge-
stellt, aber durch die Verwechslung von Mutter und Tochter kann eine ge-
zielte Intrige der Ehefrau wie die der Juno nicht stattfinden.
Von einer strengen Abfolge der mythischen Funktionen kann hier also
nicht die Rede sein - was einer gewissen Logik nicht entbehrt, bedenkt
man, daß Propp einander ähnliche Märchen bzw. Mythen, also Gleicharti-
ges miteinander vergleicht, während der Konfrontation von Herodots
Historien mit traditionellen Erzählungen heterogene Vergleichspartner
zugrunde liegen. Im vorliegenden Falle scheint es also nicht geraten, nach
einer unveränderlichen 'Urform' zu suchen - vermutlich verwendet Hero-
dot seinen eigenen Zwecken entsprechend nur Teile aus vorgegebenen
Erzählstrukturen, andere läßt er weg: Die weibliche Hauptfigur erscheint

falls angewandt hatte. Auch sonst bleibe Propps Modell in vielerlei Hinsicht fragwürdig,
da viele Funktionen j a nicht zufällig, sondern notwendigerweise aufeinander folgen; ζ. B.
seien Funktionen wie "the hero's reaction" nicht sonderlich überraschend: "It is a little
like someone claiming that they have established the three universal 'functions' of all
narrative which, defined from their place in the process of narration, can be labeled (1)
the 'beginning,' (2) the 'middle,' and (3) the 'end,' and, what is even more remarkable,
this sequence is invariable in every tale!" (206). Csapos Vorwurf der Vereinfachung er-
streckt sich auch auf Burkert 1979, 6-7, der bei den mythischen Erzählungen von Müttern
berühmter Helden eine festgelegte Abfolge von Funktionen der "girl's tragedy" entdeckt
("leaving home", "the idyll of seclusion", "rape", "tribulation", "rescue"). Hierbei wür-
den gewisse, fur den Mythos bedeutsame Elemente nicht berücksichtigt, ζ. B. die Aus-
setzung des Kindes und seine Aufzucht durch ein Tier (201). - Trotz dieser Einschrän-
kungen läßt sich Propps Ansatz nach wie vor nutzbar machen, sofern er mit der gebote-
nen Flexibilität angewandt wird (etwa durch die Modifikationen von Claude Levi-
Strauss; vgl. unten S. 20).
14 Katharina Wesselmann

gleichsam verdoppelt; sie ist im Gegensatz zu Semele nicht schwanger;


Artayntes Mutter wird nicht auf der Stelle vernichtet, sondern 'nur' ver-
stümmelt (was allerdings letztlich wohl zum gleichen Ergebnis führt).
Propps Ansatz läßt sich jedoch auch ohne sklavische Befolgung nutz-
bar machen, etwa in Vivienne Grays Analyse von Herodots "short stories"
(Gray 2002). Sie untersucht gewisse 'patterns' der Historien, die sich wie-
derholen - signifikant ist etwa "the pattern ..., in which a ruler expresses
excessive and inconsistent kindness and cruelty towards a subject" (295),
das der Erzählung von Xerxes und dem Lyder Pythios (7.27-29, 38-39)
ebenso zugrunde liegt wie dem Bericht über Xerxes' Behandlung des
Schiffskapitäns auf seiner Heimreise von Salamis (8.118) und der Ge-
schichte von Dareios und Oiobazos (4.84). Gray analysiert die Ausfor-
mung solcher Parallelerzählungen (etwa Herodots Vorliebe für dreiglied-
rige Schemata) und die strukturelle und inhaltliche Gliederung, die das
Gesamtwerk durch diese 'patterns' erfährt. Grays Akzent liegt auf den
Bezügen der 'short stories' untereinander, nicht auf ihrer Verwandtschaft
zum Mythos. Sie erkennt jedoch auch innerhalb der Historien keine feste
Funktionsabfolge. Um so weniger kann natürlich von einer strengen Par-
allelität der Abfolge Herodoteischer und mythischer Erzählungen die Rede
sein.

Da die Historien nicht ausschließlich fiktiven Charakter haben, 42 sollte


weiter abgeklärt werden, ob von Herodot unabhängige Quellen vorliegen,
welche die 'basic structure' mit denselben neuen 'superstructures' verse-
hen und damit die Historizität einer Episode belegen - Ähnlichkeiten zu
einer mythischen Vorlage wären dann Produkte des Zufalls.
Wie so oft zeigt sich, daß neben Herodot praktisch keine weiteren Be-
lege für die Episode existieren. Außerhalb der Historien liegen lediglich
einige dürftige Informationen betreffend Xerxes' Aufenthaltsort zum rele-
vanten Zeitpunkt vor, also nach der Schlacht von Salamis und vor der
Schlacht von Mykale, d. h. vom Winter 480-479 bis mindestens in den
folgenden Sommer hinein. Während Herodots Episode in Sardes spielt,

42
Ohne die Forschungsdiskussion um Herodots freieres literarisches Gestalten hier
im einzelnen nachvollziehen zu wollen (vgl. etwa Dewald/Marincola 1987, bes. 12-35 zu
den literarischen Einflüssen sowie zur Glaubwürdigkeitsdebatte im Zusammenhang mit
Fehling 1989), lege ich diesem Aufsatz die gegenwärtige communis opinio zugrunde,
derzufolge sich an den antiken σ υ γ γ ρ α φ ε ύ ς nicht dieselben Maßstäbe anlegen lassen wie
an einen Historiker des 20. oder 21. Jahrhunderts.
Mythische Erzählstrukturen in Herodots Historien 15

kehrt der König in Aischylos' Persern von Salamis direkt nach Susa zu-
rück. Als dritte Möglichkeit ist vermutet worden, daß Xerxes zu dieser
Zeit mit der Niederschlagung des Babylonischen Aufstandes beschäftigt
war.43 Diese Ungewißheit, bzw. die Möglichkeit von Xerxes' Abwesen-
heit, spricht tendenziell gegen die Historizität der Episode in ihrer vorlie-
genden Form: zwar wäre die Tat der Amestris, deren Grausamkeit aus
anderem Kontext bekannt ist,44 'historisch' auch ohne Involvierung des
Königs möglich; in diesem Fall aber hätte das Vorgefallene nurmehr we-
nig Ähnlichkeit mit der Herodoteischen Erzählung und damit der Semele-
Zeus-Geschichte.
Da Xerxes' Aufenthalt in Sardes jedoch nicht abschließend ausge-
schlossen werden kann, ist die Frage nach der Historizität oder nach Hero-
dots Treue zu seinen Quellen nach wie vor nicht beantwortet. Somit kann
sie nur noch ex negativo gestellt werden: wenn keinerlei erzählerische
Motivation für die Anwendung des unbestreitbar traditionellen Schemas
auf die Figur des Xerxes erkannt werden könnte, wäre eine Genese der
Geschichte außerhalb des Herodoteischen CEuvres plausibel.
Es ist jedoch auffällig, daß Xerxes hier nicht zum ersten Mal mit Zeus
in Verbindung gebracht wird; der Gott fungiert häufig als Folie für die
Darstellung des Perserkönigs. Xerxes' Hybris ist ein Grundzug seiner
Charakterisierung in den Historien, und oft steht sie im Zusammenhang
mit dem Göttervater. So wird im ersten Buch erzählt, wie Xerxes das
Zeusbild von Babylon stiehlt und den Priester töten läßt (1.183.3). Es
bleibt jedoch nicht bei mangelhaftem Respekt vor Zeus; Xerxes betreibt
auch eine Art imitatio - oder gar aemulatio - Iovis. Seiner ehrgeizigen
Außenpolitik setzt er das Ziel, 'den Himmel des Zeus zur Grenze des Per-
serlandes' zu machen (7.8γ.1). Über die Hellespontbrücke fährt Xerxes
seinen Wagen direkt hinter dem Ehrenwagen des Zeus; neben beiden
Fahrzeugen geht der zugehörige Wagenlenker zu Fuß her (7.40.4).45
Im Kontext dieser größten Freveltat des Xerxes, der Schändung des
göttlichen Hellesponts und der gewaltsamen Verbindung zweier Konti-

43
Vgl. Macan 1908 zu 9.108.1.
44
Vgl. 7.114. Zur Grausamkeit von Nicht-Griechen als Topos der griechischen Lite-
ratur vgl. beispielsweise Laurot 1981; Hall 1989; Schmal 1995; Pelling 1997; Harrison
2002.
45
In 8.115 wird neben der Schilderung des durch Hunger und Krankheit aufgeriebe-
nen persischen Heeres auch der Verlust ebendieses Wagens erwähnt.
16 Katharina Wesselmann

nente, geschieht es dann, daß ein ungenannter Hellespontier mit den fol-
genden Worten an ihn herantritt:
9
Ω Ζεΰ, τί δή άνδρν είδόμενος Πέρση και οΰνομα άντί Διός
Ξέρξη ν θέμενος άνάστατον την Ε λ λ ά δ α θέλεις ποιήσαι άγων
πάντας άνθρώπους· και γαρ ανευ τούτων έξήν τοι ποιέειν
ταΰτα. (7.56.2)

Ο Zeus, warum erscheinst du als Perser und hast statt 'Zeus' den Namen
'Xerxes' angenommen, wenn du Griechenland verwüsten willst und dabei die
ganze Menschheit mit dir führst? Denn auch ohne diese Maßnahmen wäre es dir
doch möglich, dies zu tun.

Schließlich finden sich auch in der oben behandelten Geschichte weitere


suggestive Bestandteile von Herodots tendenziösem Xerxes-Portrait: die
Bitte seiner Frau gewährt der Perserkönig durch Nicken (κατανεύει) - ein
Homerisches Verb, das ausschließlich für Götter reserviert ist - wenn etwa
Zeus der Thetis eine neue Rüstung für Achilleus verspricht. 46 Auch der
inzestuöse Beigeschmack von Xerxes' Beziehung zu Artaynte, die ja
durch Masistes seine Nichte ist, deutet auf den Gedanken des Quod licet
Iovi... hin. In den letzten Beispielen wird deutlich, daß Herodot Xerxes'
imitatio seinerseits aufnimmt und in seine Charakterisierung einfließen
läßt.
Die Geschichte von Xerxes und der Frau des Masistes fügt sich so
nahtlos in die allgemeine Typisierung des Perserkönigs in den Historien
ein, daß eine in hohem Maße autonome Durchgestaltung durch Herodot
selbst wahrscheinlich ist - es sei denn, man setze eine derart konsequente
Stilisierung für seine Quellen voraus, was zwar nicht abschließend ausge-
schlossen werden kann, aber doch weniger plausibel scheint.
Die strukturelle Analyse der Xerxes-Episode hat auf ihre Nähe zum
Mythos geführt, diese wiederum auf die auf Xerxes angewandte Zeus-Fo-
lie - und damit letztendlich zur Motivation des Autors, die Geschichte an
den Semele-Mythos anzugleichen. Denn daß Xerxes' Verhalten nichts
Gutes für sein weiteres Schicksal verheißt, versteht sich aus dem Gesamt-
kontext des Werkes von selbst. Zahlreiche Herodoteische Figuren über-
schätzen sich oder messen sich mit den Göttern, wobei die Strafe stets auf

46
Vgl. Flower/Marincola 2002 zu 9.111.1.
Mythische Erzählstrukturen in Herodots Historien 17

dem Fuße zu folgen pflegt. 47 Daß Herodot und seinen Zuhörern 48 das un-
rühmliche Ende des Xerxes als Opfer einer 'privaten' Palastintrige be-
kannt ist, erscheint umso plausibler, als die von Herodot zuletzt erzählte
Tat des Königs in Kombination mit dieser biographischen Zusatzinfor-
mation noch pointierter wirkt: der gescheiterte Weltherrscher verlegt seine
Zeus-Ambitionen in die eigenen vier Wände - und scheitert auch dort.49
In diesem Lichte betrachtet bedeutet es wohl keine Überinterpretation,
die Geschichte auch mit einem weiteren mythischen Motiv in Verbindung
zu bringen: dem des tödlichen Gewandes. Herakles stirbt durch ein Ge-
wand, das ihm von einer Frau geschickt wurde; 50 auch Medea bedient sich
dieser offenbar typisch 'weiblichen' Waffe. 51 Bei Herodot geht zwar der

47
Auch der Initiator des ionischen Aufstands, Aristagoras, wird glücklos bleiben,
wenn er Leute wirbt, indem er ihnen Reichtümer gleich denjenigen des Zeus verspricht
(έλόντες δε τ α ύ τ η ν την π ό λ ι ν θ α ρ σ έ ο ν τ ε ς ή δ η τω Δ ύ π λ ο ύ τ ο υ πέρι ερίζετε, 5.49.7).
Daß die Anmaßung eines Sterblichen, sich mit einem Gott zu messen, in Herodots Augen
gerade im Falle eines Persers von besonderer Hybris zeugen muß, belegt Hist. 1.131, wo
es von den Persern heißt, οτι ούκ ά ν θ ρ ω π ο φ υ έ α ς έ ν ό μ ι σ α ν τους θεούς κ α τ ά περ οί
" Ε λ λ η ν ε ς ε ί ν α ι . Vgl. am selben Ort Herodots Aussage über die enorme Bedeutung des
Zeus in der persischen Religion. Auch wenn es sich hierbei um interpretatio Graeca
handelt, steigert diese Information die Empörung über Xerxes' Gebaren seitens Herodots
Publikum, das schließlich vorwiegend aus Griechen besteht.
48
Wiewohl Herodots Publikum nicht eindeutig charakterisierbar ist, kann eine
grundsätzliche Vertrautheit mit dem griechischen Mythos vorausgesetzt werden, vgl.
unten S. 23-25; 29. Es ist häufig bemerkt worden, daß Herodot die interpretative 'Mit-
arbeit' seiner Rezipienten in hohem Maße voraussetzt; vgl. u. a. bereits Bischoff 1932,
681, der in Herodots Erzählungen fast immer einen "versteckten Sinn" vermutet. Vgl.
weiter Fornara 1971, 61-62: "Precisely as the audiences of Aeschylus and Sophocles
were intended to form their conclusions without the explicit aid of the playwright, so
does Herodotus demand or expect an involved audience participating in and judging what
is evoked before them ... But it is a contemporary audience, whose expectations he could
predict, not some future generations with different expectations, for which he was wri-
ting." Vgl. ferner Lateiner 1985, 92-93: "Herodotus offers apodexis, memoranda and
comparanda, not abstract explanation or instruction ... Events that reflect on each other
by verbal and structural 'coincidences' help explain each other to the reader, not by offer-
ing an explanation of why they happened, but by suggesting appropriate historical com-
parisons."
49
Allerdings erstaunt es, daß Herodot das Ende des Xerxes nicht explizit referiert.
Es scheint, als interessiere die Figur nur im Hinblick auf ihre Beziehung zu Griechenland
- sobald diese nicht mehr relevant ist, verschwindet Xerxes aus dem Fokus des Erzählers.
Aber auch fur den unwahrscheinlichen Fall, daß das Ende des Xerxes Herodot nicht
bekannt geworden sein sollte, hat die Hybris der imitatio Iovis genügend Signalwirkung,
um erstens das böse Ende des Königs zu beschwören und zweitens sein Scheitern in
Griechenland zu erklären.
50
Bereits bei Hes. fr. 25.14-19 Merkelbach-West; B. 16.23-35 Snell-Maehler; S. Tr.
51
Wohl erst bei Euripides, vgl. Lesky 1931, 45.
18 Katharina Wesselmann

Mann Xerxes nicht selbst zugrunde; es ist jedoch vorstellbar, daß das Ge-
wand sein eigenes Ende antizipiert: als Symbol des Verderbens, das Xer-
xes durch seine Hybris auch im Privaten heraufbeschwört. Wenn man also
Xerxes als O p f e r ' des Gewandes interpretiert, erklärt sich auch, warum
Amestris dasselbe nicht der Feindin schickt, sondern für ihren Gatten
webt. Wieder liegt eine Verschiebung des Motivs vor: während Nessos
das Gewand von vornherein in böser Absicht übergibt, worauf es von
Deianeira an Herakles weitergereicht wird, löst das von Amestris an Xer-
xes übergebene und von diesem an Artaynte weitergereichte Gewand bei
der ursprünglichen Geberin erst die böse Absicht aus. Deianeira handelt
anders als Xerxes völlig ahnungslos - aber ebenfalls in dem Bestreben,
sich die Liebe des Herakles zu sichern, wie auch der Perserkönig seine
Beziehung zu Artaynte nicht aufs Spiel setzen will. In beiden Fällen wer-
den sowohl das zweite als auch das dritte Glied der Kette zu Opfern des
todbringenden Gewandes. 52
Herodots Erzählung von Xerxes und der Frau des Masistes ist ein wei-
teres Beispiel dafür, daß er neben der Rationalisierung der von ihm zitier-
ten Mythen auch das Gegenteil betreibt: eben die 'Mythisierung', die Posi-
tionierung historischer Figuren in ein bereits bekanntes narratives Schema.
Während die tragischen Dichter traditionelle Mythen aufnehmen und -
oftmals mit erkennbarem Bezug auf das zeitgenössische Tagesgeschehen -
neu erzählen, verwendet Herodot dieselben Mythen gleichsam ohne deren
Identifikation, d. h. er fügt neue Namen in ein Geschehen ein, das seinem
Publikum von jeher vertraut ist.
Es bleibt die Frage, warum der Autor Veränderungen der Gescheh-
nisse im Vergleich zum Zeus-Semele-Mythos vornimmt. In erster Linie
fallt die Zweizahl der mindestens potentiellen Geliebten und folglich der
Blankoversprechen auf. Die Antwort ergibt sich zum Teil aus der Logik
der Erzählung selbst: das zweite Versprechen ist 'dramaturgisch' nötig, da
Amestris nicht von sich aus über die Macht einer Hera verfügt. Wie aber
verhält es sich mit dem ersten Versprechen? Wieso läßt Herodot Artaynte
nicht ganz aus dem Spiel und konzentriert die Rolle der Geliebten auf ihre
Mutter?

52
Eine weitere mythische Parallele wird in der Forderung der Ehefrau an den Gatten
manifest, Gewalt über die Rivalin zu erhalten, wie dies auch für den Io-Mythos belegt ist
(Ov. Met. 1.615-623): Durch diese Annäherung wird Amestris' Identifikation mit Hera
zusätzlich verstärkt. Ich danke Magdalene Stoevesandt für diese Anregung.
Mythische Erzählstrukturen in Herodots Historien 19

Diese Frage ist schwieriger zu beantworten. Die Komplikation der Ge-


schichte im Vergleich zum Mythos könnte aber für eine Orientierung He-
rodots an gewissen Eckdaten sprechen, die ihm durch seine Quellen be-
kannt sind, und die er in ein mythisches Schema einfügt. Ohne hierbei aus
den Augen zu verlieren, daß uns die historischen Grundlagen der Erzäh-
lung nicht bekannt sind,53 darf eine solche Genese zumindest theoretisch
nachvollzogen werden: beispielsweise könnten Herodot die voneinander
unabhängigen Informationen vorliegen, daß Xerxes mit seiner Nichte Ar-
taynte ein Verhältnis hatte, und daß Xerxes' namenlose Schwägerin, die
Frau des Masistes, grausam verstümmelt wurde. Dieses Rohmaterial nun
fügt er in ein geläufiges narratives Schema ein, ohne sich sklavisch an
dieses zu halten. 54 Eine solche 'partielle' Treue zum historischen Gesche-
hen oder zu seinen Quellen könnte Herodot auch veranlassen, das Motiv
der Schwangerschaft der Geliebten aus der traditionellen Erzählstruktur
herauszunehmen - es würde zu den restlichen Daten schlicht nicht passen.
Eine andere Interpretation der Doppelung schlägt Vivienne Gray vor,
die in der Erzählung eine für Herodot typische "incremental triple series of
crises" sieht, "where each is linked to the next through the unexpected out-
comes of gift-giving" (Gray 2002, 297). Das letzte Glied der Dreierkette
wäre der Vorschlag des Xerxes an Masistes, er solle doch seine Frau ver-
lassen und stattdessen seine, Xerxes', Tochter heiraten (8.111). 55 Xerxes
weiß zu diesem Zeitpunkt schon, welches Schicksal Masistes' Frau droht
und sucht sie folglich aus der Familie auszuschließen bzw. Masistes zu
neuem und ehrenvollerem Glück zu verhelfen. Wie die beiden Frauen auf
das Blankoversprechen, so reagiert auch Masistes überraschend auf Xer-
xes' Angebot - er lehnt rundweg ab und läßt es zum Bruch kommen.

53
Einen Versuch der Rekonstruktion als machtpolitische Auseinandersetzung zwi-
schen Xerxes und seinem Bruder Ariamenes unternimmt Wiesehöfer 1994, 86 und
schließt: "Herodot mag also - ohne es zu wissen - Berichte von einem innerfamiliären
Usurpationsversuch im Achaimenidenclan literarisch verarbeitet haben."
54
Bei Sourvinou-Inwoods überzeugender Analyse der Periander-Erzählung verwun-
dert, daß sie aus der mythisch-rituellen Struktur den Schluß zieht, die Geschichte könne
keinerlei historischen Kern haben. Es liegt aber kein Grund vor, warum traditionelle Er-
zählelemente eine Orientierung des Autors an historischen 'Eckdaten' ausschließen sol-
len; wahrscheinlicher ist eine Mischung von 'Dichtung und Wahrheit', wie sie bereits für
Homer selbstverständlich ist. Für die Möglichkeit eines 'historischen Kerns' plädiert
auch Boedeker 2002, 112-113.
55
Vgl. Gray 2002, bes. 291-292, hier 311.
20 Katharina Wesselmann

Bildet diese letzte Szene nun die Klimax der notwendigerweise drei-
gliedrigen 'short story', so ergäbe sich daraus auch ein zwingender Grund
für die Doppelung des Vorhergehenden. Eine solche erzählerische Taktik
erscheint für Herodot ebenso plausibel wie die Veränderung des traditio-
nellen Schemas zugunsten historischer Daten.56
Die strukturelle Analyse der Episode erbringt jedoch auch in dieser
Beziehung weitere Aufschlüsse. Propps Nachfolger Claude Levi-Strauss
eliminiert die Frage der festen Funktionsabfolge, indem er sich - als
Schüler Roman Jakobsons - vor allem auf die Regeln der Kombinierbar-
keit der "Mytheme" 57 konzentriert, nicht auf die Mytheme an sich: es han-
dele sich hierbei um "Beziehungsbündel", die ihre Bedeutungsfunktion
nur in Kombination mit anderen "Bündeln" erlangten. Wie eine Partitur
sowohl von links nach rechts - als logische, diachrone Abfolge - gelesen
werden kann, als auch von oben nach unten - in bezug auf das synchrone
Zusammenwirken der Instrumente miteinander so können auch mythi-
sche Daten, die in keiner unmittelbaren diachronen bzw. syntagmatischen
Verbindung stehen, miteinander korrespondieren, so etwa im thebanischen
Mythos die Drachentötung durch Kadmos mit der Überwindung der
Sphinx durch Ödipus. 58 Folgt man Levi-Strauss' Methode, ergeben sich -
auch für unser Beispiel - neue Perspektiven in der Deutung der Einzel-
funktionen. Wenn wir die synchrone Achse der Funktionen betrachten,
fällt die Doppelung des Blankoversprechens erneut ins Auge. Neben der
historischen Deutung der Erzählung - Herodot hält sich bis zu einem ge-
wissen Grad an reale Daten - und Vivienne Grays diachroner Interpreta-
tion als Triptychon ergibt sich in der paradigmatischen Analyse der Dop-
pelung vor allem die Steigerung eines bestimmten Rezeptionseffekts: das
Motiv des Blankoversprechens wird im Zusammenhang mit der Figur des

56
In Parenthese muß zusätzlich angemerkt werden, daß auch das Motiv der dop-
pelten Liebe eines Königs zu einer Mutter und einer Tochter in der erzählerischen Tradi-
tion verankert ist - und zwar ebenfalls im Zusammenhang mit einem Blankoversprechen,
Es handelt sich um die neutestamentliche Geschichte der Salome (Mt 14.1-12; Mk 6.14-
28; vgl. dazu auch Müller 2006, 298 A n m . 78). Auch hier ist die Mutter zunächst mit
dem Bruder des Königs verheiratet. Allerdings ist das Opfer der Intrige in dieser Erzäh-
lung eine vierte Figur, Johannes der Täufer. Bei Herodot wird die - potentielle - Geliebte
vernichtet, womit er der Semele-Geschichte wieder nähersteht.
57
Der Terminus ist analog der linguistischen Terminologie kreiert: Wie nach de
Saussure mehrere Phoneme ein M o r p h e m ergeben, mehrere M o r p h e m e ein Semantem
und mehrere Semanteme einen Satz, so ergeben mehrere Sätze zusammen das Mythem.
58
Levi-Strauss 1958, 231-235.
Mythische Erzählstrukturen in Herodots Historien 21

Xerxes viel stärker hervorgehoben, wodurch die Zeus-Folie ihrerseits neu


betont wird - der größenwahnsinnige Perserkönig gefällt sich nicht nur in
Verhaltensweisen, die traditionell mit dem Göttervater assoziiert werden,
sondern er praktiziert diese auch in inflationärer Weise, und zwar mit des-
aströsen Folgen, die insofern noch extremer erscheinen, als sie eine völlig
Unschuldige treffen.

Herodot bedient sich beim Einfügen 'historischer' Eckdaten nicht im-


mer nur bei einem einzigen Mythos. Folgt die oben analysierte Erzählung
auch in erster Linie der Semele-Tradition, so entstammt das Motiv des
'tödlichen Gewandes' anderen Mythen. Offenbar mischt Herodot ver-
schiedene Erzähltraditionen, je nachdem, was sein 'Rohmaterial' erfordert.
Darauf deuten auch weitere Beispiele hin. So weist die Geschichte des
spartanischen Königs Demaratos im sechsten Buch (63-69) Parallelen zum
Ödipus- und Heraklesmythos 59 auf:
Demaratos kommt gerüchteweise zu Ohren, er sei nicht seines Vaters
Sohn, worauf er seine Mutter in einer ergreifenden Szene anfleht, ihm den
wahren Vater zu verraten - mit einem Wissensdurst, der vor allem an den
Sophokleischen Ödipus erinnert. Demaratos' Mutter gesteht ihm, ihn habe
wohl der Heros Astrabakos gezeugt, sie täuschend, indem er die Gestalt
seines irdischen Vaters Ariston angenommen habe - ähnlich wie Zeus, der
in der Gestalt des Amphitryon zu Alkmene geht.
Anstatt die γενόμενα in einen fixen Mythos einzufügen, kombiniert
Herodot also bisweilen verschiedene narrative Muster - je nachdem, wie
sie zu den vorhandenen 'Eckdaten' am besten passen.
Herodots Veränderungen der Erzählstruktur erscheinen bei der Über-
tragung des Mythos in eine neue literarische Gattung durchaus sinnvoll,
existieren sie doch bereits im Mythos selbst, d. h. innerhalb verschiedener
Versionen ähnlicher Mythen. So entdeckt Walter Burkert "more than one
level of structures" im hethitischen Kumarbi-Mythos und Hesiods Version
der Kronos-Geschichte (1979, 21). Im Gegensatz zur hethitischen Variante
ist in der griechischen Erzählung eine Symmetrie komplementärer Motive
erkennbar (etwa im Motivpaar 'sexuelle Überaktivität' - 'Kastration');

59
Die Herakles-Parallele hat bereits Beachtung gefunden bei Boedeker 1987, 189
und Burkert 1990. Stadter 2004, 37 sieht wieder Parallelen zur Figur des Paris (vgl. oben
A n m . 35), und zwar sowohl in der Elterngeneration, w o D e m a r a t o s ' 'irdischer' Vater
Ariston dem Agetos die Frau nimmt, als auch bei Demaratos selbst, der dem Leotychidas
die Perkalos abspenstig macht. Wie im Troia-Mythos fuhrt der Frauenraub zum Krieg.
22 Katharina Wesselmann

dennoch läßt sich eine parallele Handlungsstruktur der beiden Varianten


nicht leugnen:

The result then would be that there are superstructures ..., which are broken
apart in the process of cross-cultural transmission, but that the basic structure of
the action pattern may transcend language barriers and provide communication
and understanding over a wide range of adjacent civilizations and periods.
(Burkert 1979, 22)

Natürlich ließen sich Herodots Mythisierungen ohnehin auch in Einzel-


motive zergliedern, wie sie bereits Wolf Aly gesammelt hat.60 So ist das
Motiv des Blankoversprechens in der griechischen Mythologie auch sonst
präsent, etwa in der Phaethon-Geschichte. Bleiben wir aber zunächst bei
der Parallelität zusammenhängender Erzählstrukturen. Daß der Beispiele
noch viele weitere sind, soll in einer kurzen, notwendigerweise
unvollständigen Aufzählung illustriert werden - unter Ausschluß von
Träumen und Orakeln, die zwar ebenfalls in dieses Register gehören,
jedoch einen besonderen und in der Forschung gut abgedeckten Bereich
darstellen. 6 '
Man denke nur an die verschiedenen Gelegenheiten, bei denen Hero-
dots Figuren ihren Feinden deren eigene Kinder zum Essen vorsetzen. Im
ersten Buch der Historien servieren die Skythen dem Kyaxares seinen
Sohn (1.73-74), und Astyages richtet dasselbe grause Mahl für Harpagos
aus (1.119). Die Parallele zur Tradition des Atreusmahls drängt sich auf.62
Ferner ist das Motiv der Aussetzung bei Herodot zu finden - zum Teil
verlaufen diese Erzählungen sehr ähnlich wie etwa bei Ödipus und Paris:
Kyros ist wohl Herodots berühmtestes Findelkind - 6 3 wie bei Paris sind
auch hier die Pflegeeltern Hirten daneben wäre auch Kypselos zu
nennen (5.92α-ε).
Stark verschobene, aber dennoch erkennbare mythische Strukturen
finden sich in der Herodoteischen Erzählung von dem als Freund Perian-
ders ganz und gar historisch aufgefaßten Sänger Arion (1.24).64 Von den

60
Aly 1921; vgl. oben Anm. 4.
61
Vgl. bes. Hartog 1999.
62
Vgl. Burkert 1972, 119-125; Boedeker 2002, 111.
63
Vgl. Boedeker 2002, 110-111.
64
Hier spricht Herodot nicht selbst, sondern rekurriert auf seine Quellen ( λ ε γ ο υ σ ι ) .
Da aber letztlich nicht entschieden werden kann, ob Herodot die ihm zugetragenen Be-
richte unverändert übernimmt, oder ob auch diese in hohem M a ß e durch seinen eigenen
Mythische Erzählstrukturen in Herodots Historien 23

Matrosen, mit denen er reist, soll er ausgeraubt und umgebracht werden.


Arion bittet darum, noch ein letztes Lied zum besten geben zu dürfen und
lockt mit seiner Weise einen Delphin an, der ihn anschließend ans rettende
Ufer trägt. Die Motive der räuberischen Matrosen und des Delphins, wie-
wohl neu kombiniert, ähneln in erstaunlichem Maße der Begegnung des
Dionysos mit den tyrrhenischen Seeleuten, 65 während das Anlocken des
Tieres durch Musik an den Orpheusmythos erinnert.
Eine ähnliche Verschiebung der Strukturen findet sich in der Erzäh-
lung von Kyros und dem Fluß Gyndes. Der Fluß 'schluckt' eines der heili-
gen Rosse des Königs, worauf Kyros so zornig ist, daß er seinen Feldzug
gegen die Assyrer unterbricht, um den mächtigen Gyndes in 360 Kanäle
zu teilen und seine Kraft damit zu brechen (1.189-190). Im troianischen
Mythos läßt sich eine ähnliche Episode erkennen: Der Fluß Skamandros
greift Achilleus an, der sich allerdings nicht selber rächt, sondern die
Götter anfleht, ihm zu helfen - worauf Hephaistos den Fluß in Heras Auf-
trag schwächt, indem er ihn austrocknet {II. 21.211-384). 66
Die Liste ließe sich weiter fortfuhren; deutlich wird jedenfalls, daß es
mit den bisher vorliegenden Einzeluntersuchungen zu Herodots 'Mythisie-
rungen' nicht getan sein wird.

4. Herodot in der Tradition mythischen Erzählens

4.1. Der Mythos als strukturierendes Element


Die Frage, warum Herodot seine 'historische' Erzählung in mythischem
Gewand darbietet, darf für die oben analysierte Episode als beantwortet

Erzählstil geprägt werden, spielt die 'Qui parle'-Frage (vgl. Feeney in diesem Band, 178)
hier keine zentrale Rolle.
65
Zuerst belegt h.Bacch. 7. - Die Parallele wurde bereits gesehen bei Usener 1899,
160. Vgl. außerdem Lukian VH 2.39 und 41, w o die Delphinreiter (wie Arion einer ist)
im Text in verdächtiger Nähe zu den Wunderzeichen auf dem Schiff genannt werden (u.
a. bringt der Mastbaum plötzlich Reben und Trauben hervor wie im Dionysosmythos).
Offenbar ist die Verwandtschaft der beiden Geschichten schon in der Antike bemerkt und
fortgeführt worden. Bowra 1963, 131-133 nennt andere mythische Folien zu Herodots
Arion-Geschichte, ebenso Aly 1921, 36.
66
Aly 1921, 57 stellt an dieser Stelle auch sprachliche Parallelen zu Homer fest. Das
Motiv der gewaltsamen Bändigung von Gewässern ist in den Historien auch sonst ver-
breitet (vgl. 4.87-89, 118; 7.22-24, 34-37), die mythische Parallele wird 1.189 jedoch am
deutlichsten.
24 Katharina Wesselmann

gelten. Dennoch bedarf das Phänomen der 'Mythisierung' einer grund-


sätzlicheren Untersuchung, zumal es insofern Probleme aufwirft, als der
antike Rezipient die moderne Unterscheidung von Mythos und Geschichte
nicht vornimmt. 67 Herodot steht in einer Erzähltradition, die er zwar selbst
stark beeinflußt und verändert, von der er sich aber nicht völlig lösen kann
oder will. Ebensowenig kann und will das sein Publikum, das erwartet,
Geschichten zu hören, die es schon kennt: die überwältigende Mehrzahl
literarischer Produkte vor Herodot verarbeitet traditionelle Stoffe. Im üb-
rigen erzeugt die Einfügung historischer Daten in bereits bekannte narra-
tive Strukturen auch über das oben Konstatierte hinaus wertvolle Rezep-
tionseffekte.
Zunächst wurden die Historien mehrheitlich mündlich vorgetragen
und nicht gelesen.68 Nun birgt die Fülle der von Herodot gelieferten Daten
vor allem beim mündlichen Vortrag die Gefahr der Überforderung des Re-
zipienten, weil sein Werk, anders als etwa die Homerischen Epen, keine
durchgängige Haupthandlung bietet. Xerxes' Verhältnis mit seiner Nichte,
die Intrige, der seine Schwägerin zum Opfer fällt, sind zwei Momente
inmitten einer Masse von Einzelinformationen, die isoliert wohl kaum im
Gedächtnis der Hörer haften bleiben würden. Da es gerade bei dem durch
häufige Exkurse unterbrochenen Stil der Historien notwendig ist, der Er-
zählung konsequent zu folgen und über die aufgenommenen Daten auch
an späterer Stelle verfügen zu können, erweist es sich als extrem hilfreich,
wenn die Informationen in Strukturen eingebettet sind, die das Publikum
schon kennt. Erst durch den von Herodot hergestellten Zusammenhang,
durch den Wiedererkennungseffekt im Spiegel des Mythos, erhalten die
Daten Farbe: die Orientierung an bekannten Denkmustern hilft dem Rezi-
pienten bei der Strukturierung und geistigen Verarbeitung; dem Vergessen
von Einzelelementen, die für die Gesamterzählung von Bedeutung sind,
wird vorgebeugt.
Natürlich kann hierbei nicht von einer rein aktiven Rolle des Autors
und einer völligen Passivität der Rezipienten ausgegangen werden. Es ist
ganz selbstverständlich, daß Herodot mit den Erzählmustern arbeitet, die
ihm zur Verfügung stehen und aus der Tradition vertraut sind, wie dies in

67
Vgl. oben S. 3 mit Anm. 9.
68
Es ist nicht anzunehmen, daß ein breiteres Publikum Zugriff auf den Text hatte, so
zumindest die communis opinio der heutigen Forschung; vgl. bes. T h o m a s 1993. - Dage-
gen isoliert Johnson 1994.
Mythische Erzählstrukturen in Herodots Historien 25

der antiken Literatur allgemein üblich ist: "Nicht nur mythische, sondern
noch viel spätere Ereignisse sind hier [in der antiken griechischen Litera-
tur] so lange in der Erzählung umgestaltet worden, bis sie typisch, spre-
chend, characteristisch lauteten", formuliert dies bereits Jacob Burckhardt
(1898, 22). Deborah Boedeker bezieht sich konkret auf die mythischen
Muster bei Herodot:

It is indisputable that mythical and historical materials converge in the examples


discussed. This is to be expected, especially since the stories were orally trans-
mitted; they were orally formed as narratives, for that matter, and were most
likely influenced by the shape of myths or folktales from the very beginning, as
well as by Homeric and other poetic models ...
(Boedeker 2002, 114)

Inwieweit sich Herodot bewußt oder unbewußt in die Tradition einordnet,


ist schwer zu beurteilen; die mythischen Strukturen haben in der neuen
Gattung jedenfalls 'überlebt'.
Terminologisch nicht unpassend erscheint daher der Tylorsche Begriff
des 'survival'. Ursprünglich auf obsolete indogermanische Relikte in den
moderneren Sprachen bezogen, bezeichnet der Terminus sprachliche, kul-
tische oder sonstwie geartete Elemente, die durch Gewohnheit aus einem
vergangenen kulturellen Zustand in eine spätere gesellschaftliche Periode
transportiert werden. 69
Auch Erzählelemente können solche Relikte sein. Daß Tylor und nach
ihm Frazer das Vorhandensein von 'survivals' als Beleg für Irrationalität
und Primitivität der betreffenden Gesellschaften ansehen - ein kolonia-
listisch anmutender Positivismus -, 7 0 beeinträchtigt die These an sich
nicht. Es ist vielmehr plausibel, daß bestimmte narrative Elemente auch
und gerade in Hochkulturen erhalten bleiben, bedenkt man die zahlreichen
verschiedenen Möglichkeiten der Übermittlung. Robert Mondi argumen-
tiert mit einer über mythologisches Denken konstituierten "basic world
view", einem "underlying stratum of mythic thought", das allen Mitglie-
dern einer Gesellschaft eigen ist und auf viele verschiedene Arten von ei-
nem kulturellen Bereich auf einen anderen übergreifen kann.71
Mondis Analyse der Beziehungen zwischen griechischen und orienta-
lischen mythologischen Texten lassen sich problemlos auf innergriechi-

69
Definition bei Tylor 1871, 16.
70
Vgl. Eric Csapos Kritik in Csapo 2005, 32 und 44-51.
71
Mondi 1990, bes. 150-151.
26 Katharina Wesselmann

sehe Textsorten übertragen, wenn man die "cultural areas", die diese
Weltsicht aneinander weitergeben, nicht geographisch, sondern als ver-
schiedene interkulturelle Bereiche definiert: etwa als Dichtung und Prosa,
oder als mündlich und schriftlich tradierte Texte. Mondis "basic world
view" entspricht hier Emile Dürkheims "kollektivem Bewußtsein", das bei
Mitgliedern derselben Gesellschaft in der Verwendung gleicher Begriff-
lichkeiten und Gedankenverbindungen resultiert. Auch Dürkheim postu-
liert ein Eigenleben "von Gefühlen, Ideen und Bildern", die sich quasi von
selbst, nach eigenen Gesetzlichkeiten und oftmals ohne Zweck, miteinan-
der kombinieren, "ohne daß alle diese Verbindungen durch den Zustand
der darunterliegenden Wirklichkeit direkt befohlen oder genötigt würden"
(1912, 567). Er sieht dies insbesondere bei rituellen Handlungen und im
mythologischen Denken gegeben.72
Möglicherweise liegt nicht einmal die Entscheidung über die Verwen-
dung eines Begriffs, der ja ebenfalls ein soziales, kollektives Konstrukt ist,
beim Einzelnen: "Begrifflich denken heißt nicht einfach, gemeinsame
Merkmale einer bestimmten Anzahl von Objekten zu isolieren und zusam-
menzufassen; es heißt, das Veränderliche dem Beständigen unterzuordnen,
das Individuelle dem Sozialen" (1912, 587).73
Dies trifft natürlich vor allem für das Vokabular einer Sprache zu, läßt
sich aber unschwer auf größere Wortgruppen, also auch auf mythische
Erzählmotive, übertragen, ist doch der Mythos per deflnitionem eine tra-
ditionelle, also kollektive Erzählung.
Folgt man diesen Überlegungen, erscheint es notwendig, daß Herodot
sich auch in der neuen literarischen Gattung des herkömmlichen narrati-
ven Systems seiner Gesellschaft bedient - die noch sehr wenige vom My-
thos komplett abgetrennte Erzählformen kennt. Wenn in Griechenland
jede Art von Dichtung mit gesellschaftlichen, meist religiösen Ritualen
verbunden ist, die Religion also die griechische Literatur überall durch-
dringt - wieso sollte dann die frühe Geschichtsschreibung eine Ausnahme
bilden, die ja Homer und Hesiod mindestens ebenso verpflichtet ist wie
den wenigen vorausgehenden Prosaschriftstellern?

72
Dürkheims These resultiert u. a. aus der Erläuterung des Kultes der Schlange
Wollunqua bei den australischen Warramunga: Der Ritus läuft genauso ab wie Bittriten
an andere Gottheiten - nur mit dem Unterschied, daß von Wollunqua keine Gegen-
leistung erwartet wird. Dennoch bleibt die rituelle Form dieselbe (507-521).
73
Vgl. Dürkheim 1912, 577-587.
Mythische Erzählstrukturen in Herodots Historien 27

Emile Dürkheim stellt in den Raum, daß der Mythos ohnehin eine spe-
zifische Art von Wissenschaft darstellt: "Hier wie dort handelt es sich
darum, die Dinge miteinander zu verknüpfen, unter ihnen innere Verbin-
dungen nachzuweisen, sie zu klassifizieren und zu systematisieren" (1912,
574).
"Mythical thinking ... provides, most of all, a synthesis for isolated
facts", postuliert auch Walter Burkert (1979, 25) und führt neben anderen
Beispielen die Verbindung verschiedener, sich gegen die griechische Ko-
lonisierung widersetzender Völker mit den Troianern an, die in der antiken
Literatur immer wieder hergestellt wird. Daß die Frage nach "historical
truth" hier keine Rolle spielt, ist offensichtlich.

The tale ... needs distinct and plausible characters, motivation, and continuity to
be effective. On the other side there are simply facts, stubborn and often annoy-
ing. The tale is flexible, it may accomodate itself; there are many possibilities of
reinterpretation and reelaboration to make the tale fit the circumstances.
(Burkert 1979, 27)

Besonders wichtig ist hierbei, so Burkert, die permanente Möglichkeit der


Anwendung des Mythos auf neue Umstände. Wie die Metapher aufgrund
einer partiellen Ähnlichkeit das Unbekannte mit bekannten Worten aus-
drückt und damit das Zeichensystem durch Generalisierung in einem über-
schaubaren Rahmen hält, schafft auch der Mythos durch Analogie einen
Kontext: "myth can be defined as a metaphor at tale level" (Burkert 1979,
27-28).
Burkerts Sichtweise auf die "mythischen 'Gegenstände'", die im Ritus
als "übertragene, in ihrer Anwendung verschobene Verhaltensschemata"
erscheinen (1972, 44), d. h. die Vorstellung einer Serie von imitierten oder
referierten Handlungen, rückt auch ihn in die Nähe des Strukturalismus -
wie auch schon Dürkheim in anderer Hinsicht als Vorläufer dieser Rich-
tung gelten darf, bedenkt man seine Wertung des Mythos als eines Instru-
ments zur Strukturierung und Klassifizierung der Realität.
Konkret auf die Historien bezogen, scheint auch Philip Stadter in He-
rodots 'Mythisierung' eine Strukturierungstechnik zu vermuten, wenn er
schreibt: "Pre-existing narrative patterns help to make sense of isolated
events" (Städter 2004, 38). Daß die semantische Ebene damit einhergeht,
versteht sich von selbst: Herodots Absicht ist "to reveal the universal in
the particular, to suggest how the actions of historical individuals fit a
28 Katharina Wesselmann

pattern of universal human behavior and thus describe the human situation
in the world ..." (42).74

4.2. Der Mythos als Sinnebene


Die Erleichterung der Strukturierung der gegebenen Informationsmassen
für Autor und Rezipienten ist nicht der einzige Grund für Herodots Einbet-
tung seiner 'Eckdaten' in mythische Muster. Das Erzählte erhält gleichzei-
tig eine zusätzliche Sinnebene. Die Nähe zum Mythos erlaubt es, Bezüge
herzustellen, die der Autor in seinem kulturellen Umfeld voraussetzen
kann: im vorliegenden Fall ist die Assoziation, die Herodot dem Rezipien-
ten vermitteln will, eben die Hybris des Xerxes, eines Sterblichen, der sich
wie Zeus gebärdet. Die Geschichte von der Frau des Masistes wird also
durch die 'Mythisierung' in die Sinnstruktur des Gesamtwerks eingepaßt.
"Myth is a function of social ideology", definiert Eric Csapo das Phä-
nomen (2005, 9). Während der Ritus die Lebensordnung 'dramatisiert',
wie Walter Burkert sich ausdrückt, verhält sich der Mythos ähnlich: "...
auch der Mythos verdeutlicht in seiner Weise die Lebensordnung." Bur-
kert hält weiter fest, daß "Mythen anerkanntermaßen oft die sozialen Ord-
nungen und Einrichtungen begründen und rechtfertigen" (Burkert 1972,
43). Es erscheint plausibel, daß der Mythos seine Funktion als sinngeben-
des Element nicht nur im kultgebundenen Text - wie etwa in der Tragödie
- einnimmt, sondern daß diese Funktion bereits beim Abfassen auch eines
nicht unmittelbar im Ritus verorteten Texts in ähnlicher Weise wirksam
wird.
Nach Burkert verhält sich der Mythos zum Ritual wie die Handlung
zum Wort: indem die rituellen Gesten im Mythos zu einer Erzählung ver-
dichtet werden, "wird das Als-Ob des Ritus zur mythischen Wirklichkeit,
wie umgekehrt der Ritus dem tradierten Mythos seinen Wirklichkeitsge-
halt bestätigt" (Burkert 1972, 44). Die mythische Erzählung liefert dem
Ritual einen Kontext, einen 'Sinn', während das Ritual dem Mythos durch
seine gesellschaftliche Verankerung Stabilität und Seriosität verleiht.75

74
Stadter 2004, 31-33 stellt diese literarische Strategie in eine lange Tradition: auch
bei Homer lasse sich bereits "some explicit sense of applying tradition to the present of
the main narrative" erkennen (32). So führt Phoinix gegenüber Achilleus das Negativ-
beispiel des Heros Meleager an (11. 9.527-605), um eine Analogie zwischen Heroen-
mythos und Gegenwart herzustellen.
75
Burkert 1979, 57.
Mythische Erzählstrukturen in Herodots Historien 29

Das Verhältnis des Mythos zum Text funktioniert ähnlich. Auch der
Text stellt eine 'Als-Ob'-Aktivität dar, indem er die historische Realität
abbildet (ein Effekt, der zu Herodots Zeit durch den Akt des Vorlesens,
also einer Quasi-Aufführung, gesteigert wird). Das mythische Element
verleiht der Erzählung Sinn - während die referierten Realien ihrerseits
wieder den Mythos untermauern. Konkret auf Herodots Historien bezo-
gen, bedeutet das, daß es für das antike Publikum uninteressant wäre,
wenn Herodot bloße Fakten referierte. Stattdessen muß das Berichtete in
einen Kontext eingeordnet werden, aus dem auch hervorgeht, warum es
berichtet wird. Ein modernes Publikum mag von einem Historiker eine
möglichst nüchterne Aufzählung von Fakten erwarten oder sogar fordern;
bei Herodots Rezipienten ist dies sicherlich nicht der Fall. Um dem Be-
richteten einen Sinn zu geben, wird es vor der mythischen Folie erzählt -
und die Imitation des Zeus wird vom Publikum richtig verstanden. Hero-
dot referiert nicht irgendeine Palastintrige am persischen Hof, sondern
erzählt von der Hybris des Xerxes und erklärt damit implizit sein Schei-
tern.
Natürlich steigert diese zusätzliche semantische Ebene auch das ästhe-
tische Vergnügen beim Hören oder Lesen der Historien, das bereits Thu-
kydides konstatiert, wenn er über seine Vorgänger (λογογράφοι) schreibt,
sie 'fügten ... die Dinge eher danach zusammen, ob sie reizvoll zu hören
seien [έπΐ τό προσαγωγότερον τη άκροάσει], als danach, ob sie wahr
seien, da sie ja nicht beweisbar seien und im Verlauf der Zeit zum Großteil
auf unglaubwürdige Art den Bereich des Fabelhaften erreicht hätten [έπι
τό μυθώδες έκνενικηκότα]' (1.21). 76 Man stelle sich etwa den Kroisos-
Logos seiner anekdotenhaften Elemente beraubt vor: "... the merest ske-
leton of a narrative - no longer the full-fleshed and organic account of the
human condition that the short stories make it" (Gray 2002, 304).
Herodots Figuren erfahren durch die 'Mythisierung' durchaus eine
Form der Erhöhung über die historischen Personen hinaus. Carlo Brillante
hält fest, daß "events and persons of particular significance" in der grie-
chischen Geschichtsschreibung des öfteren in die mythische Sphäre auf-
steigen, "almost as if what was really notable could not happen at the

76
Mit unserem heutigen Verständnis des Begriffes ' M y t h o s ' hat τδ μ υ θ ώ δ ε ς nichts
zu tun - auch Thukydides nimmt König Minos, den Troianischen Krieg und ähnlich
Sagenhaftes in sein Geschichtswerk auf; vgl. Graf 1985, 119. Offensichtlich gesteht er
seinen Vorgängern größere dichterische Freiheit zu als sich selbst (ob έκνικαν έπι τό
μ υ θ ώ δ ε ς pejorativ gemeint ist, ist fraglich).
30 Katharina Wesselmann

simple historical level" (Brillante 1990, 103). Wie der Mythos historische
Inhalte ausdrücken konnte, war es also umgekehrt auch möglich, daß
historische Inhalte sich zu mythischen Dimensionen aufschwangen. Am
deutlichsten wird dies natürlich bei der tatsächlichen Heroisierung histori-
scher Persönlichkeiten, einer Integration also der historischen Realität in
die bedeutungsvollere Realität des Mythos. 77
Für Herodot hat dies kürzlich Mischa Meier festgestellt, der anhand
der Deiokes-Episode (1.96-101.1) eine neue Synthese aus Mythos und Ge-
schichte erkennt, wobei auch "die darzustellende Menschengeschichte my-
thische Qualität aufweisen [mußte]. Nur wenn der Mythos in den Bereich
des Normalen gerückt und gleichzeitig das Normale dem Mythos ange-
nähert wurde, war eine Verbindung beider Bereiche möglich" (Meier
2004, 40).78
Claude Levi-Strauss gelangt durch seine oben besprochene Analyse
der synchron-paradigmatischen Achse zu einer Erkenntnis, die gerade im
Falle Herodots von großer Bedeutung ist: der Mythos handelt zwar von
irreversibel Vergangenem und stellt als Akt der parole eine unumkehrbare
lineare Handlungssequenz dar, ist aber zum anderen als abstraktes sprach-
liches System, als langue, von zeitloser Gültigkeit:

... der dem Mythos beigelegte innere Wert stammt daher, daß diese Ereignisse,
die sich j a zu einem bestimmten Zeitpunkt abgespielt haben, gleichzeitig eine
Dauerstruktur bilden. Diese bezieht sich gleichzeitig auf Vergangenheit, Gegen-
wart und Zukunft. (Levi-Strauss 1958, 229-230) 79

77
Daß Herodot Figuren weniger heroisiert als mit mythischen Handlungsmustern
versieht, verleiht seinem Bericht in derselben 'heroischen' Weise zusätzliche Bedeutung,
wie dies bei der Mythisierung historischer Persönlichkeiten der Fall sein kann. Dies muß
allerdings unterschieden werden von einer Glorifizierung der jeweiligen Figur, die bei
Herodot - wenn überhaupt - nur partiell auftritt (vgl. etwa die heroisierte Geburtsge-
schichte des Kyros, 1.107-122, deren Wirkung spätestens durch sein Scheitern beim Mas-
sagetenfeldzug gebrochen wird, 1.204-214).
78
Im folgenden (bes. 40-46) ordnet Meier Herodot plausibel einer allgemeinen Ten-
denz der zeitgenössischen Literatur und Kunst zu, die in einer konsequenten Mythisie-
rung der mit den Perserkriegen zusammenhängenden Ereignisse besteht (als Beispiele
werden u. a. Simonides, Phrynichos und Aischylos genannt). Herodots Mythisierung
historischer Ereignisse erstreckt sich jedoch nicht nur auf die Perserkriege, vgl. etwa die
Aussetzung des Kyros. Im übrigen steht der Begriff der Mythisierung bei Meier zwar für
dichterische Ausschmückung, nicht aber für eine Orientierung an traditionellen Erzähl-
strukturen.
79
Vgl. Levi-Strauss 1958, 230: "Diese doppelte, zugleich historische und ahisto-
rische Struktur erklärt, daß der Mythos sowohl in das Gebiet des gesprochenen Wortes
gehört (und als solcher analysiert werden kann) wie in das der Sprache (in der er formu-
Mythische Erzählstrukturen in Herodots Historien 31

Levi-Strauss führt als Beispiel die Geschichtsschreibung an, wo die refe-


rierten Daten immer auch eine aktuelle politische Bedeutung erhalten:
zeitgenössische Vorstellungen werden rückprojiziert und das Vergangene
als permanent wirksam aufgewertet. Dadurch erklärt sich überhaupt erst
die Existenz der Gattung, die im Mythos eine Art Kulminationspunkt er-
reicht:

Das Interesse, das wir an der Vergangenheit zu nehmen glauben, ist also in
Wahrheit nur ein Interesse an der Gegenwart; indem wir sie fest mit der Ver-
gangenheit verknüpfen, meinen wir, die Gegenwart dauerhafter zu machen, sie
festzuschnüren, sie daran zu hindern, zu entfliehen und selbst Vergangenheit zu
werden. Als ob die Vergangenheit, in Berührung mit der Gegenwart, durch eine
geheimnisvolle Osmose selbst zur Gegenwart würde und die Gegenwart damit
vor ihrem Schicksal bewahrt bliebe, nämlich Vergangenheit zu werden. Und
zweifellos beabsichtigen die Mythen eben dies für das, wovon sie sprechen;
doch das Erstaunliche ist, daß sie es wirklich für das tun, was sie sind.
(Levi-Strauss 1971, 710)

Diese Vorstellung der Aufhebung der Vergänglichkeit durch die Verge-


genwärtigung der Vergangenheit entspricht im Grunde genau dem Ziel,
das Herodot zu Beginn der Historien programmatisch formuliert: 80

... ώς μήτε τά γενόμενα έξ ανθρώπων τω χρόνω έξίτηλα γένηται


μήτε εργα μεγάλα τε και θωμαστά τά μεν "Ελλησι, τά δε
βαρβάροισι άποδεχθέντα, άκλεα γένηται...

... daß weder die Taten der Menschen durch die Zeit ausgelöscht werden, noch
die großen, wunderbaren Werke der Griechen und Barbaren ruhmlos werden ...

In seinem Werk Le Mythe de l 'eternel retour: archetypes et repetition in-


terpretiert Mircea Eliade alle Ursprünge geschichtlichen Bewußtseins in
diesem Sinne: "... ein Gegenstand oder eine Handlung werden wirklich
nur in dem Maße, als sie einen Archetyp nachahmen oder wiederholen"
(Eliade 1949a, 55). Wenn etwa Dareios seine Taten mit denen des irani-
schen Heros Thraetona identifiziere, oder ein Pharao sein Handeln mit
dem des Gottes Re, so seien dies "zeitgenössische Ereignisse, die darge-
stellt und interpretiert werden nach dem außerzeitlichen Beispiel des Hel-
denmythus" (61-62). Im Zusammenhang mit den zahlreichen Beispielen

liert wird) und dabei auf der dritten Ebene denselben Charakter eines absoluten Objekts
hat." Sehr ähnlich bereits Eliade 1949b, bes. 447-470.
80
Vgl. Brillante 1990, 98-99.
32 Katharina Wesselmann

für solche Adaptionen der Gegenwart an den Mythos spricht Eliade eben-
falls von einer "'Mythisierung' historischer Persönlichkeiten" (64).
Hierbei werden "Kategorien anstelle von Ereignissen, Archetypen anstelle
von historischen Gestalten" gesetzt, das Exemplarische für das Indivi-
duelle: "Die geschichtliche Figur wird ihrem mythischen Modell ... ange-
glichen, während das Ereignis in die Kategorie der mythischen Handlun-
gen eingeordnet wird ..." (69). Den Grund sieht Eliade ebenfalls in einer
Sinnebene, die dem Vergangenen unterlegt wird: "Besaß denn der Mythus
nicht viel mehr Wahrheitscharakter, da er doch der Geschichte einen tiefe-
ren und reicheren Ton verlieh?" 81

5. Schluß

Herodot verwendet die mythische Tradition auf vielfältige Weise. Neben


der Rationalisierung einiger traditioneller Erzählungen werden andere
unverändert übernommen. Doch damit nicht genug: die erzählerische Tra-
dition hat in den Historien so weit Priorität, daß auch historische Berichte
unter Zurückdrängung der faktischen Ebene an mythische Erzählstruktu-
ren angeglichen werden. Dies ist am Beispiel der Erzählung von Xerxes
und der Frau des Masistes und ihrer Parallelen zum Semele-Mythos deut-
lich geworden. Hier sind historische Daten in ein traditionelles Erzähl-
muster eingefügt worden, das zu diesem Zwecke auch modifiziert worden
ist - man denke an die Doppelung der Figur der Geliebten. Umgekehrt
finden sich auch Konzessionen der Tradition gegenüber der historischen
Begebenheit: verschiedene Erzähltraditionen können gemischt werden,
besonders deutlich in Herodots Demaratos-Vita, die Elemente aus dem
Herakles- und dem Ödipusmythos übernimmt.
Grundsätzlich muß bei der Interpretation von Herodots Vorgehens-
weise im Hinblick auf einen möglichen Rezeptionseffekt zunächst die
'langue', also das fixe Regelsystem des Mythos erfaßt werden. Hierbei
läßt sich durchaus das Proppsche Funktionssystem anwenden, allerdings
ohne das Postulat einer fixen Funktionsabfolge. Fruchtbarer erscheint ein
synchron-paradigmatischer Ansatz wie der von Levi-Strauss, der vor al-
lem die Kombinierbarkeit von Funktionen oder 'Mythemen' berücksich-
tigt.

81
Eliade 1949a, 73; vgl. insgesamt bes. 55-76.
Mythische Erzählstrukturen in Herodots Historien 33

Es hat sich gezeigt, daß Herodots Adaption der traditionellen 'My-


theme' Rezipientenlenkung in doppelter Ausprägung ist: zum einen wer-
den die Informationen in einer Form vermittelt, die den Hörern im Ge-
dächtnis bleibt und die Strukturierung der mündlich vermittelten Informa-
tionsmassen erleichtert. Zum anderen wird Herodots Erzählung mit einer
Bedeutungsebene versehen, die dem bloß historischen Faktum abgeht.
Diese Orientierung mit Hilfe der Tradition, das Erklären des Neuen durch
das Bekannte, hat selbst Tradition: die Elemente mit denen ein Erzähler
arbeitet, sind unter Umständen älter als er selbst, sind 'survivals' eines be-
stehenden kollektiven Repertoires. Ähnlich funktioniert ja die Vermittlung
von Inhalten in der Tragödie, die dem Publikum über einen bereits be-
kannten Stoff nahegebracht werden.
Es ist anzunehmen, daß weitere Fälle von Mythisierung ähnlich inter-
pretiert werden können. Die Optimierung der kognitiven Aufnahmemög-
lichkeiten beim mündlichen Vortrag ist logischerweise bei jedem ähnli-
chen Beispiel ebenso wirksam. Hingegen muß die Einbettung in das über-
geordnete gedankliche Konzept der Historien nicht immer der Fall sein.
Es ist durchaus möglich, daß andere Beispiele die verschiedensten indivi-
duellen Funktionen erfüllen. So könnte Herodot etwa die Nähe der Dema-
ratos-Geschichte zum Ödipusmythos einfach im Kontext einer Charakteri-
sierung angestrebt haben: Demaratos geht wegen der Schande, die das
Gerücht über seine Illegitimität über ihn gebracht hat, ins Exil. Wie Ödi-
pus, der König von Theben wird, weil er das Rätsel der Sphinx löst, wird
auch er in der Fremde wegen seiner Intelligenz in Ehren aufgenommen. 82
Der Spartaner wird dem bekannten Typus des Ödipus durch eine biogra-
phische Parallelität zusätzlich angenähert.83

82
Demaratos gibt Xerxes einen wertvollen Rat, der ihm hilft, den Thron zu bestei-
gen (7.3); als nächstes begegnen wir ihm als hochgeehrtem Ratgeber des Großkönigs; er
ist eine wichtige Figur im weiteren Verlauf des Werkes.
83
Burkert 1990 bringt den 'göttlichen' Vater des Demaratos, Astrabakos, mit dem
spartanischen Kult der Artemis Orthia in Verbindung, der initiatorische Funktion hatte
und sich laut Burkert durch ungewöhnliche Brutalität auszeichnete (Menschenopfer,
Geißelung der Initianden). Hier sieht Burkert eine Parallele zum Schicksal des Dema-
ratos, der durch die göttliche Abstammung "zu Ungewöhnlichem bestimmt ist", vor sei-
nem Triumph aber "Absetzung, Entehrung, Exil" erdulden muß. Er sieht in der Episode
"in mythischer Form die Propaganda, die im Jahr 480 dem Demaratos vorausging und
das Programm der Exilregierung andeutete" (90-91).
34 Katharina Wesselmann

So mag die Sinngebung bei jeder 'Mythisierung' eine andere sein; die
bessere Strukturierung der Erzählung durch die Annäherung an den My-
thos ist jedoch in jedem Fall gegeben.
Herodots Verarbeitung des Mythos in seinen Historien hat nicht nur
strukturelle, sondern auch inhaltliche Tradition, wenn man Burkerts ab-
schließende Definition des Mythos heranzieht:

... myth is a traditional tale with secondary, partial reference to something of


collective importance. Myth is traditional tale applied; and its relevance and
seriousness stem largely from this application. The reference is secondary, as
the meaning of the tale is not to be derived from it - in contrast to fable, which
is invented for the sake of its application; and it is partial, since tale and reality
will never be quite isomorphic in these applications. And still the tale often is
the first and fundamental verbalization of complex reality, the primary way to
speak about many-sided problems, just as telling a tale was seen to be quite an
elementary way of communication. Language is linear, and linear narrative is
thus a way prescribed by language to map reality. (Burkert 1979, 23)

Burkert betont gerade die soziale Relevanz des Mythos im Privaten und
Politischen, in Wissenschaft und Philosophie, sowie die Bedeutung der
Namen, die den Mythos mit "families, tribes, cities, places, rituals,
festivals, gods, and heroes" in Verbindung bringen (23-24).
Mit der traditionellen Anwendung in einem neuen literarischen Genre,
durch das Wiedererkennen vorgegebener Strukturen in neuen Ereignissen
und durch die Kontextualisierung alter Figuren unter neuen Namen hält
Herodot den Mythos am Leben. Gerade in der Veränderung seiner Eck-
daten, in der Adaption der Tradition auf aktuelles, für das zeitgenössische
Publikum relevantes Geschehen, behält der Mythos seine ureigene Funk-
tion und Identität. "Tradition is history, and the traditional tale cannot be
exempt from it" (27).
Lassen wir zum Schluß Herodot selbst erklären, was er tut. Im neunten
Buch der Historien findet sich ein aussagekräftiger Kommentar zu einer
Handlung des Teisamenos, der für sich und seinen Bruder das Bürgerrecht
in Sparta fordert, weil ihn die Lakedaimonier aufgrund eines Orakels als
'Glücksbringer' benötigen (9.33-35). Herodot vergleicht dies mit dem
Verhalten des mythischen Heros Melampus, der für die Heilung der argi-
vischen Frauen von der Raserei die Königswürde fordert, und zwar für
sich und seinen Bruder. Von Teisamenos heißt es bei Herodot folglich:
ούτος έμιμέετο Μελάμποδα. Wie Teisamenos ein Verhaltensmuster an-
nimmt, das im Mythos bereits vorgeprägt ist, so agieren auch die übrigen
Mythische Erzählstrukturen in Herodots Historien 35

Charaktere der Historien entsprechend traditionellen Vorbildern - es ent-


spricht durchaus Herodots zyklischem Geschichtsbild, daß sich Ereignisse,
Taten und sogar Charaktere wiederholen. Sein Wissen und seine Denk-
strukturen speisen sich aus traditionellen Quellen, wie auch seine Metho-
dik keine grundsätzlich neue ist.

Katharina Wesselmann
Seminar für Klassische Philologie, Universität Basel
36 Katharina Wesselmann

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Philosophy, Religion, Language, Art and Custom, 2 Bde., London 1920 6 (1871').
Wiesehöfer 1994, J.: Das antike Persien, Zürich/München 1994; hier zitiert nach der
vierten, mit einem bibliographischen Nachwort versehenen Auflage, Düsseldorf
2005.
οΰ μοι δσιόν έστι λέγειν.
Zur Poetik der Leerstelle in Herodots Ägypten-Logos

1. Ethnographie als Literatur

Herodots Historiai - seine Nachforschungen über den Gang der Ge-


schichte von den ersten Expansionsbemühungen des Lyderkönigs Kroisos
bis hin zur Niederlage des Perserheeres im Griechenland des 5. Jahr-
hunderts - stellen sich dem Leser bekanntlich als ein Amalgam unter-
schiedlicher Diskurse dar.1 Die Makrogeschichte - der Aufmarsch der
Truppen, strategische Manöver, politische Debatten und der Ausgang von
Schlachten - wird konterkariert, verdichtet und reflektiert in Mikroge-
schichten, von denen nicht wenige eine 'unerhörte Begebenheit' oder
einen 'tragischen' Konflikt aufweisen und sich somit als 'literarisch' prä-
sentieren. Darüber hinaus wird die der Chronologie der Ereignisse fol-
gende Narration durchbrochen von ethnographischen Exkursen, in denen
Herodot den einmaligen historischen Handlungen der Protagonisten die
religiösen und kulturellen Traditionen der in das Geschehen involvierten
Völker gegenüberstellt. Diese unterschiedlichen Gegenstände werden
nicht aus der Perspektive eines allwissenden und auf Faktizität des Dar-
gestellten pochenden auktorialen Erzählers präsentiert, sondern als das
Ergebnis selbst gemachter Beobachtungen und Erkundungen, die suk-
zessive entlang der Reiseroute des Autors gewonnen wurden. 2 Das Be-
richtete wird im Akt seiner Generierung vorgeführt - 'Und weil ich hier-
über gern etwas Genaues wissen wollte, ... so bin ich auch nach Tyros
gesegelt ...' (2.44.1) - , und sein Status bleibt dynamisch, indem es immer

1
Chamberlain 2001, 6 Anm. 3 bezeichnet Herodot gar als den "founder of discursi-
vity"; aus anderer Perspektive läßt sich das Phänomen als "digressional structure" be-
schreiben, die unter dem Stichwort π ο ι κ ι λ ί α bereits von antiken Kritikern beobachtet
wurde; dazu Rosier 2002, 83. Daß die Historiai als einheitliche Komposition gelten kön-
nen, wird heute nicht mehr bestritten: vgl. grundsätzlich dazu Cobet 1971; Erbse 1992,
186, der von "geordneter Vielfalt" spricht, sowie Rosier 2002, 85-88.
2
Vgl. Boedeker 2000, 114, die Herodots Art der Berichterstattung mit dem Prinzip
der ισηγορία vergleicht; zugleich betont sie jedoch, daß "the mix of voices that comprise
Herodotean historia is strongly marked by the judgment and authority of the author"
(111); zur auktorialen Person in Herodots Werk vgl. auch Chamberlain 2001 und Dewald
2002.
42 Susanne Gödde

auch durch die Berichte der jeweiligen Gesprächspartner flankiert und


distanziert wird. Die Bewegungen der Reise - in Zeit und Raum - sowie
die des Dialogs sind operative Marker in Herodots Diskurs und Teil seines
epistemologischen Konzepts, das sich insofern als in hohem Maße per-
formativ erweist.
Der Fokus der folgenden Überlegungen richtet sich jedoch nicht auf
diese häufig untersuchten Fragen der narrativen Technik Herodots im all-
gemeinen. Herodots Literarizität soll hier nicht mit Blick auf die im enge-
ren Sinne literarischen Passagen innerhalb seines Werkes, also etwa No-
vellen oder tragische Erzählungen, Gegenstand der Untersuchung sein.
Vielmehr sollen Aspekte seines literarischen Verfahrens vor allem am
spezifischen Umgang mit religiösen Phänomenen - mit Ritualen, Mythen,
religiösen Vorstellungen und Bräuchen - untersucht werden. Sind Hero-
dots Berichte über religiöse Praktiken einem bestimmten Darstellungs-
gestus unterworfen, der ihre konkrete Akzentuierung erklären kann? Oder
dient umgekehrt das mimetische, dramatische oder rhetorische Potential
von Ritualen und Mythen Herodot als Modell für den Duktus seiner ethno-
graphischen Berichte und für die Strukturierung seines Materials, so daß
man etwa von einer 'Poetik des Rituals' sprechen könnte? 3 In welchem
Verhältnis steht die Performativität der beschriebenen religiös-rituellen
Praxis zur Performativität des literarischen Textes? Und zu guter Letzt:
Lassen sich aus Herodots spezifisch literarischer Darstellungsweise reli-
giöser Bräuche Einsichten gewinnen über die ganz eigene Konstruktion
der Religion seiner Zeit, die er - bewußt oder unbewußt - vornimmt?
Bevor Herodots Ausführungen zur Religion mit Blick auf diese Fragen
exemplarisch analysiert werden, seien einige grundsätzliche Überlegungen
zum Verhältnis von Historiographie bzw. Ethnographie und Literatur an-
gestellt. Daß der Historiker Herodot auch als Verfasser von Literatur auf
uns gekommen ist, stand, wie gesagt, nie außer Frage. Die Anekdoten und

3
Der Terminus 'Poetik' wird hier nicht in seiner engeren Bedeutung, also im Sinne
einer Dichtungslehre oder einer Autorpoetik, verwendet, sondern er dient zur Bezeich-
nung eines bestimmten Verfahrens, bei dem der Gegenstand des Textes durch die spezi-
fisch literarische Darstellungsweise eine Reflexion erfährt. Eine solche Reflexion im
Medium einer im weitesten Sinne figurativen Sprache läßt sich zugleich als Distink-
tionsmerkmal für die Literarizität eines Textes bestimmen. - Für die Rekonstruktion einer
'Poetik des Rituals' in der Tragödie vgl. meine Untersuchungen zu Aischylos' Hiketiden
und Persern in Gödde 2000a und 2000b. Nach einer 'Poetik des Rituals' im Herodotei-
schen Werk fragt etwa Bowie 2004, der allerdings den Ägypten-Logos von seiner Unter-
suchung ausnimmt.
Zur Poetik der Leerstelle in Herodots Ägypten-Logos 43

Geschichten, mit denen er den Bericht der historischen Großereignisse


illustriert, sind immer wieder unter literaturwissenschaftlichen Gesichts-
punkten - etwa als Kurzgeschichten, Novellen, Parabeln oder mit Blick
auf das Drama - behandelt worden. 4 Und auch der spezifisch rhetorische
Gestus seiner Darstellung - etwa die auffällige Verwendung des (mög-
licherweise erst durch ihn zum terminus technicus gewordenen) Begriffs
άπόδεξις im Proömium seines Werkes, 5 aber auch Fragen der Erzählper-
spektive, der Erzählerinstanz oder der fingierten Oralität - sind Gegen-
stand zahlreicher Untersuchungen geworden, sei es daß Herodot dabei in
die Tradition epischen Erzählens gestellt wurde, 6 sei es daß seine Nähe zur
Wissenskultur der Sophisten unterstrichen wurde. 7 Doch erst jüngere De-
batten innerhalb der Geschichts- und Kulturwissenschaft haben den Boden
dafür bereitet, auch die nicht auf den ersten Blick literarischen, weil nicht-
fiktionalen Passagen des Werkes, also die historiographischen und ethno-
graphischen Abschnitte, mit Blick auf ihre Literarizität, ihre Poetik zu
erschließen. Vor allem die Arbeiten des amerikanischen Geschichtstheo-
retikers Hayden White sind hier zu nennen. 8 Inzwischen zählt es zum
Standard kulturwissenschaftlicher Methodik, bei jedem, und nicht nur dem
im engeren Sinne literarischen, Artefakt nach den "Fiktionen des Fak-
tischen", 9 der Logik seines Produziertseins oder seiner Rhetorik zu fragen.
In dieselbe Richtung weist Clifford Geertz' bahnbrechendes Modell vom
"Anthropologen als Autor" (1988), 10 mit dem sich auch Herodots ethno-
graphische Exkurse als 'Literatur' und damit als Konstruktion und Refle-

4
Vgl. ζ. B. die zahlreichen älteren Arbeiten zu den Herodoteischen Novellen (bes.
zur Gyges-Geschichte), von denen ich stellvertretend Aly 1921 nenne; aus jüngerer Zeit
vgl. etwa de Jong 2002; Gray 2002; Said 2002; Chiasson 2003.
5
Zu den Implikationen von ά π ό δ ε ξ ι ς : Nagy 1987; T h o m a s 2002, 249-269; Bakker
2002.
6
Bereits in der Antike wurde Herodot mit Homer verglichen, so zum Beispiel in ei-
ner Inschrift in Halikarnaß aus dem 2. Jh. v. Chr. oder von Pseudo-Longin, de Subl. 13.3;
dazu und grundsätzlich zum epischen Erbe Boedeker 2002 (zu den antiken Zeugnissen:
97-98); vgl. auch N a g y 1987, der das P r o g r a m m des Herodoteischen P r o ö m i u m s mit
Blick auf den Homerischen α ο ι δ ό ς und dessen κ λ έ ο ς - K o n z e p t untersucht; zu Homeri-
schen Einflüssen vgl. ebenfalls Lang 1984; Lloyd 1988b, 23 und Said 2002, 147.
7
Die Nähe zu den Sophisten betonen: Dihle 1962; Burkert 1985, 127 und 131; 1990,
28; Thomas 2002.
8
White 1973 und 1978.
9
Vgl. den deutschen Titel von White 1978.
10
Zur sich daran anschließenden Writing-Culture-Debatte vgl. Berg/Fuchs 1993,
Bachmann-Medick 1996 sowie Schlesier 1999; grundsätzlich zur Verbindung von Kul-
turanthropologie und Altertumswissenschaft: Schlesier 2000.
44 Susanne Gödde

xion eines im je spezifischen Gestus der Darstellung sich manifestierenden


Imaginären verstehen lassen. Aristoteles' Unterscheidung zwischen den
γενόμενα und dem οία αν γένοιτο und damit zwischen Geschichtsschrei-
bung und Dichtung scheint aus dieser Forschungsperspektive obsolet ge-
worden zu sein (Arist. Po. 1451a-b). u Der intensive Dialog zwischen
Ethnologie und Literaturwissenschaft, der seit den 70er Jahren in den USA
und etwa seit den 90er Jahren auch in Deutschland geführt wird, hat
sowohl das Paradigma von der 'Kultur als Text' hervorgebracht als auch
das komplementäre Modell einer in Texten auszumachenden 'Poetik der
Kultur', wie es vor allem der New Historicism zur Anwendung bringt.
Carol Dougherty und Leslie Kurke, die Herausgeber des im Jahre 1993
erschienenen Sammelbandes Cultural Poetics in Archaic Greece, in dem
Herodot eine zentrale Rolle spielt, formulieren etwa: "Geertz teaches us to
read ritual as art; the New Historicists would have us see art as ritual."12
An die Ergebnisse dieser Forschungsrichtungen anknüpfend soll nun
gefragt werden, ob in den Historiai des Herodot eine Methode der Dar-
stellung oder eine 'Poetik' auszumachen ist, für die die Strukturen von
Mythos und/oder Ritual konstitutiv sind. Um diese Frage mit 'ja' beant-
worten zu können, müßte gezeigt werden, daß Mythen und Rituale nicht
allein Gegenstand der Erzählungen Herodots sind, sondern daß sich der
Darstellungsmodus seines Textes, seine spezifische Literarizität, aus dem
reflexiven, ästhetischen und performativen Potential von Mythos und/oder
Ritual speist. Für die Untersuchung dieses Problemzusammenhangs ver-
stehe ich das Geschichtswerk Herodots im folgenden als einen zunächst
wissenschaftlichen Text, der aber entsprechend der skizzierten Diffusion
der Diskursgrenzen 13 durchaus literarisch verfährt: Dort, wo Herodot 'Er-
zählungen' im traditionellen Sinne präsentiert, agiert er zugleich wissen-
schaftlich, und da, wo er religiöse Bräuche beschreibt, Berechnungen über
Chronologien anstellt oder ein Naturphänomen zu erklären sucht, greift er
auch auf literarische Darstellungsmodi zurück. Wenn also nach der Inter-

11
Für Aristoteles steht außer Frage, daß Herodots Werk auch dann keine Dichtung
wäre, wenn man es in Verse kleiden würde. Anders als vielen modernen Forschern war es
für ihn also unbestreitbar, daß Herodot von γ ε ν ό μ ε ν α , also von historischen Tatsachen,
berichtet. Zur Aristotelischen Unterscheidung von (epischer) Dichtung und (Herodotei-
scher) Geschichtsschreibung vgl. Cobet 1971, 185-186 mit A n m . 734 und Boedeker
2002, 98.
12
Dougherty/Kurke 1993, 6.
13
Vgl. Geertz 1980.
Zur Poetik der Leerstelle in Herodots Ägypten-Logos 45

dependenz von Religion und Literatur gefragt werden soll, so muß diese
Frage für das Herodoteische Werk erweitert werden um die Kategorie der
'Wissenschaft'. Dabei ist es naheliegend, sich für die Untersuchung einer
'Poetik des Rituals' auf Herodot als Religionswissenschaftler 14 zu kon-
zentrieren und nach der durch einen seiner zentralen Gegenstände - die
religiöse Praxis der von ihm beschriebenen Völker - bedingten spezifi-
schen Logik seiner wissenschaftlichen Erzählung zu fragen. Denkbar
wäre, daß Religion und religionswissenschaftliche Darstellung, Praxis und
Theorie einander in Herodots Werk gegenseitig bedingen, so daß das lite-
rarische Verfahren Aspekte des Gegenstands, der griechischen Religion,
erhellt, umgekehrt aber ein genaueres Verständnis von Kategorien wie der
des Rituals oder des Mythos das Verfahren der Narration beleuchten kann.

2. Alles voller Götter?- Religion in den Historiai

Anders als für die Homerischen Epen, die archaische Chorlyrik oder das
attische Drama läßt sich die Hypothese einer Poetik des Rituals für Hero-
dot aller Wahrscheinlichkeit nach nicht durch den Aufführungskontext
und damit die Verankerung in einer konkreten, rituellen 'performance'
stützen. Zwar gilt als wahrscheinlich, daß Herodot aus seinem Ge-
schichtswerk in Athen öffentlich vorgelesen hat - Thukydides' program-
matische Zurückweisung eines άγώνισμα ές τό παραχρήμα άκούειν
(1.22.4) ist immer wieder als Hinweis auf Herodots mündlichen Vortrag
gedeutet worden -, 1 5 doch findet sich in unseren Quellen keinerlei Hin-

14
Vgl. Burkert 1990, 4: "Herodot [hat] unter den Begründern der vergleichenden
Religionswissenschaft Anspruch auf einen Ehrenplatz." - Die folgenden Arbeiten bieten
eine umfassende Bestandsaufnahme von Herodots Darstellung religiöser Praxis: Pötscher
1958; Lachenaud 1978; Mora 1985; Burkert 1990; Gould 1994; Harrison 2000; Mikalson
2003. D e w a l d / M a r i n c o l a 2 0 0 6 - darin zur Religion: Scullion - waren zur Zeit der
Abfassung des Manuskriptes noch nicht erschienen.
15
Von Herodots Vortragstätigkeit ist in der späteren Antike immer wieder die Rede;
vgl. T h o m a s 2002, 249-269, bes. 257; den mündlichen Erzählstil Herodots untersucht
etwa Lang 1984. Doch wird in der jüngeren Forschung auch die schriftliche Komposition
des Werkes immer deutlicher herausgearbeitet: Gegen die Polemik des Thukydides und
die daran sich anschließende communis opinio argumentieren Johnson 1994 und Rosier
2002, 81-82 und 94; grundsätzlich zu Herodots Position zwischen Mündlichkeit und
Schriftlichkeit vgl. Lloyd 1988b, 29-30 sowie Rosier 1991 und 2002.
46 Susanne Gödde

weis auf ein Götterfest als Rahmen für eine solche Rezitation. 16 Ein Bezug
des Werkes auf einen religiös-rituellen Aufführungskontext wird also für
die folgende Argumentation keine Rolle spielen.
Jedoch präsentiert Herodots Text selbst natürlich permanent rituelle
Handlungen, die sich möglicherweise als Bausteine einer performativen
Poetik erweisen können: 17 Er schildert, wie Götterbilder geschmückt,
Feste gefeiert und Opfer vollzogen werden, 18 wie göttliche Zeichen gele-
sen und Orakel befolgt werden, 19 Tote beklagt und mit aufwendigen Be-
stattungsfeiern bedacht, wie Reinigungen vollzogen und Mysterien gefei-
ert werden; 20 im Rahmen der Hikesie werden heilige Räume als Zonen des
göttlichen Schutzes beansprucht und politisch funktionalisiert; 21 Eide wer-
den geschworen und Gräber von Heroen verlegt, um von ihrer Macht zu
profitieren. 22 Dabei geht es Herodot nur äußerst selten um eine Bewertung
dieser Praktiken gemäß einer absoluten Norm; im Vordergrund steht die
Relativität der jeweiligen νόμοι, die es ihm erlaubt, Konfigurationen des

16
Vgl. Johnson 1994. Lucianus, Herod. 1 allerdings läßt Herodot seine historiogra-
phischen Berichte, ähnlich wie die Sophisten der Zeit, bei den Olympischen Spielen öf-
fentlich vortragen.
17
Unter diesem Aspekt ließen sich etwa die Riten, die Xerxes beim Übergang über
den Hellespont vollzieht, untersuchen: 7.54; dazu Burkert 1990, 14 mit Anm. 40. Zu
strukturellen bzw. poetologischen Beziehungen zwischen den ethnographischen Berich-
ten und der Geschichte der militärischen Großereignisse vgl. Bowie 2004, ζ. Β. 276:
"The ethnography is again not purely descriptive therefore, but has a signifying function
in the narrative."
18
In jedem seiner ethnographischen Exkurse über fremde Völker widmet Herodot
mindestens ein Kapitel den jeweiligen Opferpraktiken, ζ. B.: Perser (1.131); Babylonier
(1.183); Massageten (1.216); Ägypter (2.39-40); Skythen (4.60); Taurer (4.103); Libyer
(4.188); Karer (5.119); für eine ausführliche Bewertung von Herodots Opferbeschreibun-
gen vgl. Burkert 1990, 14-20 und Gould 1994, 98-101.
19
Daß Herodot - entgegen seiner häufig formulierten Skepsis gegenüber der my-
thologischen Tradition - vehement für die Glaubwürdigkeit von Orakeln eintritt, ist im-
mer wieder betont worden: Burkert 1990, 28; Mikalson 2003, 140. - Vgl. ζ. B. 1.91;
8.20; 8.77; 8.96; 9.43.
20
Detaillierte Angaben über den Ablauf der in der gesamten Antike weitgehend ge-
heim gehaltenen Mysterienfeiern finden sich naturgemäß auch bei Herodot nicht; vgl.
etwa die Andeutungen in 8.65; Genaueres zu Herodots Umgang mit Mysterien unten.
21
Burkert 1990, 13 verweist auf "die präzisen und nachprüfbaren Angaben über das
ägyptische Asylwesen ausgerechnet im Zusammenhang mit der so kühn konstruierten
Erzählung von Helena und Proteus (2.113)"; vgl. Lloyd 1988b, 47. Weitere Beispiele für
ί κ ε τ ε ί α oder α σ υ λ ί α : ζ. Β. 1.26; 1.157-160; 3.48; 5.71; 6.79; 6.91; 7.141. Eine systema-
tische Untersuchung von Asylritualen in Herodots Historiai stellt meines Wissens bisher
ein Desideratum dar.
22
Zur politischen Bedeutung des Heroenkultes vgl. Boedeker 1993.
Zur Poetik der Leerstelle in Herodots Ägypten-Logos 47

Fremden im Spiegel des Eigenen zu reflektieren. 23 Immer wieder wird aus


seinen Berichten deutlich, daß die einzelnen Völker ihre jeweils eigenen
νόμοι am höchsten achteten, und diese Feststellung wird - zusammen mit
der Vielfalt der beschriebenen Bräuche - zur kulturtheoretischen Aus-
sage.24 Die Prominenz der Darstellung ritueller Praxis gegenüber Ausfüh-
rungen über einen hinter dieser Praxis möglicherweise auszumachenden
religiösen Glauben der jeweiligen Völker hat John Gould zu der Feststel-
lung veranlaßt, daß Religion für Herodot vollständig durch rituelle Hand-
lung und Namen definiert sei.25 Und Walter Burkert deutet bereits in die
Richtung einer 'Poetik des Rituals', wenn er in seiner Untersuchung über
Herodot als Historiker fremder Religionen die Verwandtschaft zwischen
dem Ritual und der Kunst des Erzählens unterstreicht.26
Während die ethnographischen Passagen der Historiai Religion vor
allem als menschliche Praxis vorführen und so ihren funktionalen und
konstruktiven Charakter akzentuieren, finden sich auf einer anderen Ebene
des Werkes jedoch auch solche Darstellungsmuster, die auf die Annahme
eines göttlichen Wirkens hinter den beschriebenen historischen Ereignis-
sen deuten. Wann immer die Protagonisten der Geschichte(n) religiöse
Gesetze verletzen, werden sie - meist von einem nicht näher bestimmten
Gott - dafür bestraft. 27 Der Neid der Götter und seine spürbaren Konse-
quenzen,28 der vorherbestimmte Wechsel des menschlichen Schicksals,

23
Vgl. hierzu vor allem Hartog 1980 und Burkert 1985, 132 und 1990, bes. 4-5, so-
wie zu Herodots νόμος-Konzept 22-25.
24
Locus classicus für die Relativität der νόμοι ist das Kapitel 3.38, in dem Herodot,
nachdem er Kambyses für wahnsinnig erklärt, weil er die religiösen Bräuche fremder
Völker mißachtet, Pindars berühmtes Diktum vom νόμος β α σ ι λ ε ύ ς zitiert. Vorbehalte
einzelner Völker gegen fremde Bräuche werden ebenfalls in 1.131 (Perser verachten den
Anthropomorphismus anderer Völker) oder in 4.78-80 (Mißachtung des Dionysos-Kultes
durch die Skythen) referiert. Zum letzten Beispiel vgl. Bowie 2004, 273, der die Ableh-
nung fremder Bräuche bei den Skythen in Analogie zu ihrem militärischen Widerstand
sieht und hier ein gezieltes Darstellungsverfahren Herodots annimmt.
25
Gould 1994, 105. Kritisch zu dieser Position Harrison 2000, 19 und 220-221 so-
wie Mikalson 2003, 136 mit Anm. 1 und 156 mit Anm. 69, die die zugrundeliegenden
Glaubensvorstellungen - und zwar auch Herodots eigene - stärker gewichten möchten.
Doch auch Gould 1994, 92 (vgl. auch 94) reklamiert für Herodot durchaus "a recogni-
zably religious feeling of inhibition in the face of at least some manifestations of divi-
nity".
26
Burkert 1990,31.
27
Ζ. B. 1.19.1-2; 1.34.1; 1.105.4; 2.120.5; 6.73-75; 6.134; 7.134-137; 9.65; einige
dieser Stellen bespricht Burkert 1990, 29-30.
28
Ζ. Β. 1.32; 3.40; 7.10.
48 Susanne Gödde

die Zuverlässigkeit göttlicher Zeichen und Orakel - all dies sind Deu-
tungsmuster, die Herodot zur Motivierung und Erklärung der historischen
Ereignisse anfuhrt, ohne sich von ihnen zu distanzieren. 29 Der gegenüber
der epischen und tragischen Literatur tendenziell abstrakte Gottesbegriff -
also die häufige Verwendung von Formeln wie 6 θεός oder τό θείον - 3 0
entspricht dem Befund einer Zurückhaltung gegenüber den traditionellen
Mythen, die Herodot gelegentlich explizit äußert. Wie diese Skepsis, die
wiederum mit einer latenten Kritik an dem Unternehmen der Dichter -
zumal an Homer und Hesiod - verbunden ist, genau zu verstehen ist, soll
weiter unten ausfuhrlich erörtert werden.
Schließlich begegnen wir im Herodoteischen CEuvre über den Bericht
des auf den Reisen Beobachteten hinaus auch Ansätzen zu einer 'Theorie
der Religion'. Vor allem in seinem ausführlichen zweiten Buch, das der
Kultur Ägyptens gewidmet ist, reflektiert Herodot immer wieder die Her-
kunft der griechischen Religion, die er - zumal was die Namen der Götter
betrifft - weitgehend aus der ägyptischen ableitet. Dem für die Schilde-
rung der νόμοι zu konstatierenden relativistischen Kulturkonzept läßt sich
im Bereich der Götter ein synkretistisches bzw. diffusionistisches Modell
an die Seite stellen, nach dem alle Völker nahezu dieselben Götter vereh-
ren, nur unter verschiedenen Namen und eben mit unterschiedlichen Ri-
ten.31 Dieses Modell gilt vor allem für den Kulturkontakt zwischen Ägyp-
ten und Griechenland: Die ägyptischen Götter Isis, Osiris, Bubastis, Neith,

29
Vgl. Gould 1994, 93; gegenüber den Darstellungen ritueller Praktiken, die den
zeitgenössischen Kulten entsprächen, führt Mikalson 2003, 148-156 die hier genannten
religiösen Erklärungsmuster eher auf die, vor allem durch Solon, aber auch durch Epos
und Tragödie geprägte poetische Tradition zurück.
30
Vgl. dazu Linforth 1924, 287; Pötscher 1958; Harrison 2000, 158-181; Mikalson
2003, 139.
31
Zu diesem für Herodots Religionsverständnis zentralen Phänomen vgl. Linforth
1924, 275 mit Anm. 7 und 285; Linforth 1926; Gould 1994, 103; Lloyd 2002, 431-432.
Mikalson 2003, 173 folgert aus diesem Befund: "The deities of Herodotus' world are
culturally determined, but the ' d i v i n e ' , in essence, is not." Die konkrete Frage " W h a t
does it mean when Herodotus names Isis Demeter?" (Mikalson 2003, 179) bleibt jedoch
weitgehend unbeantwortet; ausführlich zum Namenskonzept bei Herodot: Burkert 1985,
der Herodots Thesen vor dem Hintergrund sprachtheoretischer Überlegungen der Antike
diskutiert und sein Vorgehen beschreibt als das "Prinzip, die Frage nach der 'Richtigkeit'
zurückzustellen zugunsten der Frage nach kulturellen Z u s a m m e n h ä n g e n " (132). - Zu
Herodots Gleichsetzung fremder Götter mit denen der Griechen vgl. ζ. B. 1.131 (von den
Persern); 2.42; 50.1; 59; 156 (von den Ägyptern); 3.8 (von den Arabern); 3.97 (von den
Aithiopen); 4.59.1-2; 61 (von den Skythen); 4.108 (Gelonen); 5.7 (Thraker). - Zu Zeug-
nissen für solche Gleichsetzungen bereits vor Herodot, u. a. bei Hekataios, vgl. Burkert
1999, 80-81.
Zur Poetik der Leerstelle in Herodots Ägypten-Logos 49

Ammon, Horos und Mendes sind für Herodot analog zu bzw. identisch mit
Demeter, Dionysos, Artemis, Athene, Zeus, Apollon und Pan. Ebenso wie
er die religiösen Vorstellungen der Ägypter in dieser Gleichsetzung einer
interpretatio Graeca unterwirft, so scheint sich ihm die griechische Reli-
gion bisweilen als jüngeres Abbild der ägyptischen darzustellen. 32 Neben
der Behauptung einer Analogie zwischen den Götter-Systemen der einzel-
nen Völker fällt in Herodots Überlegungen zur Religion besonders das
Bemühen um die Rekonstruktion einer historisch verbürgten Chronologie
der Göttergenerationen auf. Doch während das gut griechische Interesse
an der Genealogie der Götter - die Frage nach ihrem Alter und ihrer Ent-
stehung (also ihrem konkreten 'Geboren-Werden') - zunächst traditionel-
len Mustern folgt, 33 vertritt Herodot in anderen Zusammenhängen die An-
sicht, daß der griechische Götterapparat - und zwar sowohl die Entstehung
der Götter (θεογονίη) als auch ihre Gestalten, Beinamen und Zuständig-
keitsbereiche - auf niemand anders als die Dichter, allen voran Homer und
Hesiod, zurückgehe, also im wesentlichen eine poetische Erfindung sei
(2.53).
Angesichts dieser und ähnlicher Beschreibungsmuster, die Herodot auf
die Religion der von ihm bereisten Völker anwendet und auf die ich weiter
unten zurückkommen werde, sieht die moderne Forschung sich immer
wieder mit der Frage konfrontiert, wie das Nebeneinander von traditio-
nellem Götterglauben einerseits und aufgeklärter wissenschaftlicher Skep-
sis andererseits in Herodots Werk zu erklären sei. Im folgenden soll ein
Versuch unternommen werden, diese Vermischung zweier scheinbar kon-
trärer Positionen besser zu verstehen. Dabei wird nach spezifischen Wei-
sen der Inszenierung des Wissens über die fremde und die eigene Religion
gefragt und der literarische Darstellungsgestus als Indikator bestimmter
theoretischer Stellungnahmen und Deutungen des Materials gewertet. Den
Ausgangspunkt meiner Überlegungen stellen die berühmten Aposiopesen
des zweiten Buches der Historiai dar, also jene Stellen, an denen Herodot
uns mitteilt, daß er bestimmte Elemente des Mythos bzw. des Kultes nicht

32
Grundsätzlich zur Interdependenz von griechischer und ägyptischer Religion in
Herodots Modell: Zographou 1995; Lloyd 2002, 430-432; Linforth 1940 sowie die unten
in Anm. 34 genannte Literatur; allgemein zum Kulturkontakt zwischen Griechenland und
Ägypten vgl. die Angaben in Anm. 54.
33
Zu denken ist hier vor allem an Hesiods Theogonie.
50 Susanne Gödde

in seine Erzählung aufnehmen wird.34 Um die spezifische Verbindung, die


Religion und Literatur im Werk Herodots eingehen, zu beleuchten, bieten
sich diese Textpassagen aus der Fülle der Beschreibungen antiker Kult-
praxis besonders an, denn mit dem Gestus der Aposiopese oder auch der
Praeteritio befinden wir uns im Bereich des Rhetorischen bzw. des (im
engeren Sinne) Literarischen.35 Hier ist zu untersuchen, inwieweit die ge-
zielte Verwendung dieser Darstellungsmodi durch Herodot Aufschluß
über seine spezifisch literarische (Re)konstruktion antiker Religion zuläßt.
Dort etwa, wo die mediale und kommunikative Struktur des bezeichneten
Rituals zum methodischen Instrument dieser Rekonstruktion, aber auch
der Reflexion von Religion wird, dort ließe sich mit gutem Grund von
einer 'Poetik des Rituals' sprechen, in der Gegenstand und Darstellungs-
modus - oder in den Termini der strukturalistischen Literaturtheorie: 'hi-
stoire' und 'discours' - eng miteinander verwoben sind.

3. Negatives Programm - Θεια πρήγματα

Unmittelbar nachdem Herodot zu Beginn des zweiten Buches von dem


Experiment des ägyptischen Königs Psammetichos berichtet hat, in dem
dieser herausfinden wollte, welche Sprache den Menschen von Natur aus
eingeboren ist, um davon ableiten zu können, welches Volk der Erde das
älteste sei, teilt er seinem Leser das Selektionsprinzip seiner eigenen reli-
gionswissenschaftlichen Darstellung mit (2.3.2):

τά μεν νυν θεία των άπηγημάτων οία ήκουον, οΰκ ειμί πρόθυμος
έξηγέεσθαι, εξω ή τά ούνόματα αυτών μοΰνον, νομίζων πάντας

34
Zu differenzieren sind dabei zwei unterschiedliche Modi der Zurückhaltung von
Information; vgl. unten. - Diese Textstellen sind zentral für Herodots Theorie der Reli-
gion und sind dementsprechend häufig behandelt worden: Sourdille 1910 und 1925; Lin-
forth 1924; Lachenaud 1978, 137-157; Mora 1983; 1985, 130-139; Darbo-Peschansky
1987, 35-38 und 41-43; Lateiner 1989, 64-67 und 73-74; Harrison 2000, 182-207.
35
Durch derartige Redemuster unterläuft Herodot den (dem Historiker traditionell
zugeschriebenen) Modus des konzisen Berichtes und stimuliert die Rezeption und Refle-
xion seines Publikums. Dabei ist zu berücksichtigen, daß solche rhetorischen Verfahren
ebenfalls in der Ritualsprache V e r w e n d u n g finden. Der Rekurs auf die Ritualsprache
wird erst dann zum Teil einer 'Poetik des Rituals', wenn das rituelle Segment im Dienste
einer bestimmten Reflexion transformiert wird. Zur ästhetischen und rhetorischen Funk-
tion des Schweigens in der Literatur vgl. Groddeck 1995, 73 und 193-194 (zur Praeteritio
und Aposiopese) sowie, fur die Tragödie, Gödde 2005.
Zur Poetik der Leerstelle in Herodots Ägypten-Logos 51

ανθρώπους ίσον περί αύτών έπίστασθαι· τά δ ' αν έπιμνησθέω


αυτών, υπό του λόγου έξαναγκαζόμενος έπιμνησθήσομαι.

Was nun auf Göttliches geht von den Erzählungen [ic. der Priester in Memphis,
Theben und Heliopolis], wie ich sie hörte, das bin ich nicht willens weiterzuer-
zählen, außer etwa ihre N a m e n allein; denn ich denke, alle Menschen haben
davon die gleiche [geringe] Kenntnis. Und wenn ich etwas erwähne, werde ich's
nur erwähnen, weil der Zusammenhang mich nötigt. 36

Herodots Begründung für seine Zurückhaltung - wörtlich: 'denn ich


denke, alle Menschen haben davon (sc. von den Erzählungen der Priester
über Göttliches) 37 die gleiche Kenntnis' - bleibt rätselhaft, solange er
nicht offenlegt, worin denn genau dieses Wissen besteht. Diese Irritation
hat die meisten Übersetzer und Kommentatoren dazu veranlaßt, das Wort
ί'σον mit 'gleich wenig' (oder 'die gleiche geringe Kenntnis') wiederzuge-
ben - eine Übersetzung, die auf der communis opinio beruht, Herodot ver-
zichte deshalb auf die Wiedergabe der Göttergeschichten, weil er als
Mensch und Wissenschaftler darüber, anders als über die ά ν θ ρ ω π ή ι α
πρήγματα, denen er sich im folgenden zuwendet (2.4.1), nichts Genaues
in Erfahrung bringen könne. 38 Herodots Zurückhaltung gegenüber be-
stimmten Details der mythischen und kultischen Tradition der eigenen
oder fremden Kultur gilt in der Forschung bis heute als Brennpunkt, an
dem sich die Geister scheiden: Ist diese Zurückhaltung Ausdruck einer
'tiefen Religiosität' und des Respekts gegenüber bestimmten als geheim
zu behandelnden Details der Göttergeschichten 39 oder basiert sie auf wis-

36
Ich gebe hier (leicht modifiziert) die Übersetzung von Walter Marg 1973 wieder,
die allerdings grundsätzlich mit Vorsicht zu gebrauchen ist (vgl. z. B. die ungenaue Über-
setzung in 2.50.1); das Wort 'geringe' setze ich in eckige Klammern, da es im griechi-
schen Text nicht vorkommt. Der griechische Text wird zitiert nach der O C T - A u s g a b e
von Hude 1908.
37
Die Syntax allein läßt eine Entscheidung darüber, ob sich α ύ τ ώ ν hier auf τ ά ...
θ ε ί α των ά π η γ η μ ά τ ω ν oder auf τ ά ο ύ ν ό μ α τ α bezieht, nicht zu. Linforth 1924, 276-277
fuhrt kontextuelle Argumente f u r die erste Alternative an; vgl. auch Lloyd 1976, 17;
Harrison 2000, 189: "This knowledge clearly cannot be of the names of the gods."
38
Diese These hat zuerst Linforth 1924 vertreten, der gegen Sourdille 1910 (vgl. die
folgende Anm.) formuliert: " . . . his [JC. Herodotus'] reason was, not that they [ic. the
stories about gods] were too sacred to repeat, but that they were not, and could not be, the
stuff of history" (287). Vgl. bereits Stein 1901 ad 2.3; How/Wells 1912 ad 23. Linforth
gefolgt sind vor allem Lachenaud 1978, 137-157; Lateiner 1989, 65; Lloyd in der Dis-
kussion zu Burkert 1990, 35 sowie Lloyd 2002, 431; vgl. Mikalson 2003, 144-145, der
ίσον auf die durch die poetische Tradition verbürgte Homogenität der θ ε ί α bezieht.
39
So vor allem Sourdille 1910 und 1925 (in Reaktion auf Linforths Kritik 1924).
Sourdille 1910, 12-13 (die ich nach Linforth 1924 und Harrison 2000 zitiere, da mir das
52 Susanne Gödde

senschaftlicher Rationalität und einem Atheismus, der erst gar nicht ge-
willt ist, Geschichten über Götter als Gegenstand von Geschichtsschrei-
bung ernst zu nehmen? 40 Ohne diese Frage bereits hier beantworten zu
wollen, läßt sich immerhin konstatieren, daß Herodot an der zitierten Stel-
le möglicherweise mit dem Charakter von Geheimwissen spielt, der be-
kanntlich darin besteht, daß etwas, das alle wissen, dennoch einem
Schweigegebot unterliegt. 41 Die von Walter Marg und anderen gegebene
Übersetzung des Wortes ϊσον, die von einer rationalistischen und skepti-
schen Position ausgeht, droht jedenfalls den Blick auf diese Möglichkeit
und damit auf den literarischen Gestus dieser Passage zu verstellen. Hero-
dots Formulierung stellt gleich zu Beginn des zweiten Buchs die Frage
'Was können wir über die Götter wissen?' in den Raum und insinuiert,
daß deren Beantwortung Grenzen verletzen könnte. Das Wissen um die
Götter wird so ex negativo zum Gegenstand der Reflexion von Autor wie
Reipienten gemacht.
Das Ägypten-Buch enthält einen zweiten Hinweis auf Herodots Vor-
behalt gegenüber der Rede von 'den göttlichen Dingen'. Im Anschluß an
die Behandlung der Reinheitsvorstellungen der Ägypter kommt er auf ihre
heiligen Tiere zu sprechen. Den Grund für deren heiligen Status aber will
er nicht angeben, was er wie folgt erläutert (2.65.2):

των δε εί'νεκεν άνεΐταν [τά] Ιρά εί λέγοιμι, καταβαίην αν τω


λόγω ές τά θεία πρήγματα, τά έγώ φεύγω μάλιστα άπηγέεσθαι.
τά δέ και εϊρηκα αΰτών έπιψαύσας, άναγκανη καταλαμβανό-
μενος είπον.

W e s w e g e n sie aber fur heilig gelten - w ü r d e ich das erzählen, dann w ü r d e


meine Darstellung zu den göttlichen Dingen herabsteigen, und das zu erzählen

Buch nicht zugänglich war) nimmt an, daß ϊ σ ο ν sich auf das Mysterienwissen beziehe,
das in allen Mysterien der mediterranen Welt dasselbe gewesen sei. Ähnlich Mora 1981;
1983 und 1985. Linforth 1924, Lateiner 1989 und Harrison 2000, 189 mit Anm. 25 üben
vehemente Kritik an Sourdilles Thesen, räumen jedoch für Einzelfälle ein, daß Herodots
Zurückhaltung auf Frömmigkeit bzw. auf die Verpflichtung gegenüber einem bestimmten
(Mysterien-)Kult zurückzuführen sei: Linforth 1924, 281-282; Lateiner 1986, 65; Harri-
son 2000, 188.
40
So die Grundthese der in Anm. 38 genannten Forscher, die jedoch im Einzelfall
relativiert wird (vgl. Anm. 39).
41
Anders als Sourdille 1910 (vgl. Anm. 39) glaube ich weder, daß Herodot hier an
einen konkreten Mysterienkult denkt, dessen Geheimwissen er nicht verraten möchte,
noch, daß er die Ansicht vertritt, die Mysterien enthielten, im Gegensatz zur traditionel-
len Mythologie, exaktes Wissen von den Göttern. Genaueres dazu unten.
Zur Poetik der Leerstelle in Herodots Ägypten-Logos 53

sträube ich mich durchaus. Und wenn ich dergleichen schon angerührt habe mit
meinen Worten, so sagte ich es, weil ich es nicht umgehen konnte. 42

Die beiden etwa 60 Kapitel auseinanderliegenden Äußerungen weisen -


und das ist für eine literarische Analyse nicht unerheblich - durchaus Ge-
meinsamkeiten auf: 43 Während in der zuerst zitierten Passage der An-
schein einer Begründung für die Weigerung, Göttliches zu behandeln, er-
zeugt wird, diese aber dann unbefriedigend formal ausfällt, wird in der
zweiten Passage andersherum die grundsätzliche Weigerung, Göttliches zu
erörtern, als Erklärung für die ausbleibende Erläuterung einer spezifischen
religiösen Praxis angeführt. Im Vordergrund steht in beiden Fällen ein-
deutig der Gestus der Unterdrückung selbst und nicht dessen Aufklärung.
Der Leser erfährt weder, warum die Ägypter die Tiere für heilig halten,
noch, warum Herodot über Göttliches nicht sprechen will; er erfährt hin-
gegen, daß die Begründung für die Heilighaltung in für Herodot 'tabui-
sierten' göttlichen πρήγματα zu finden wäre. Tabuisiert sind diese πρήγ-
ματα jedoch nicht aufgrund eines überindividuellen religiösen Gebotes,
sondern es handelt sich, so legen es Herodots Worte nahe, um eine persön-
lich motivierte Weigerung, die in seinen wissenschaftlichen Prinzipien
ihre Begründung zu finden scheint.
Herodot siedelt die θεία πρήγματα topologisch in einem 'unteren' Be-
reich an. Der mit der antiken Mythologie und Kultpraxis vertraute Leser
wird hier an verschiedene Formen der κσ.τάβασις denken, etwa an Hades-
fahrten mythischer Heroen oder an Rituale, die das Herabsteigen in die
Unterwelt symbolisch nachstellten. 44 Zu diesem Assoziationsspielraum
paßt die Verwendung des Verbums φεύγω, durch das der Gestus der Ver-
meidung hier deutlich stärker markiert wird als durch die Worte ουκ είμν
πρόθυμος im ersten Zitat. Herodots Weigerung, die Göttergeschichten zu
erzählen, wird somit im Spannungsfeld zwischen einer frei gewählten Ent-
scheidung (1. Zitat) und einem starken Affekt (2. Zitat), dem der Autor
sich scheinbar nicht entziehen kann, positioniert. 45 Daß Herodot in beiden
Passagen mögliche Abweichungen von seinem Prinzip mit einer gewissen

42
Übers. M a r g 1973 modifiziert; gegenüber Margs ' e i n d r i n g e n ' f ü r κ α τ α β α ί ν ε ι ν
habe ich das wörtlichere 'herabsteigen' gewählt; statt 'enthüllen' hier wörtl. 'erzählen'.
43
Vgl. Harrison 2000, 182.
44
Prominentestes Beispiel ist die erste Nekyia der Odyssee in Buch 11; vgl. auch
Hdt. 2.122.1 sowie Graf 1999.
45
Linforth 1924, 273 Anm. 6 vermutet, daß Herodot sich mit der Verwendung des
Personalpronomens έγώ im ersten Zitat von den λογογράφοι seiner Zeit absetzt.
54 Susanne Gödde

Notwendigkeit seines λόγος, seiner Argumentation entschuldigt, macht


jedoch deutlich, daß das von Herodot selbst aufgestellte Gesetz des Textes
Vorrang vor der Person des Autors hat und daß dessen Abscheu vor Göt-
tergeschichten ein keineswegs 'authentisches', sondern ein inszeniertes
Gefühl ist, das zugunsten der narrativen Erfordernisse leicht überwunden
werden kann.46
Die beiden programmatischen Äußerungen über die Vermeidung von
Göttererzählungen, denen sich aus dem Gesamtwerk noch einige weitere
an die Seite stellen ließen, die eine ähnliche Skepsis explizit zum Aus-
druck bringen, 47 stehen jedoch, wie häufig gesehen wurde, nur scheinbar
im Widerspruch zu der Fülle an Informationen über religiöse Praktiken,
die Herodot in den Historiai mitteilt.48 Denn die Verehrung der Götter, die
sich in der Errichtung von Heiligtümern und Altären, in der Herstellung
oder Schmückung von Götterbildern und in der Praxis des Opferns nieder-
schlägt, gehört für Herodot eindeutig zum Bereich des Menschlichen - zu
den άνθρωπήια πρήγματα, die er von den θεία abgrenzt und die daher
nicht seiner 'Zensur' unterliegen, wie er unmittelbar im Anschluß an die
zuerst zitierte Textstelle ausführt: οσα δέ άνθρωπήια πρήγματα, ώδε
ελεγον όμολογέοντες σφίσι ... (2.4.1).49 Entscheidend für die Trennung
von Erzählbarem und zu Verschweigendem ist also offenbar das Subjekt
der πρήγματα. Alles, was die Menschen tun, läßt sich, auch dann wenn es
die Götter betrifft, darstellen; was aber die Götter selbst tun (πράττειν),
will Herodot nicht preisgeben. Was aber ist genau mit den θεία πρήγματα
gemeint? Mit dieser Wendung, so meine Hypothese, auf die ich weiter
unten zurückkommen werde, bezeichnet Herodot nicht lediglich 'göttliche
Dinge' im Allgemeinen, 'alles, was die Götter betrifft' (wie es die Über-
setzung von Marg nahelegt). Denn dann dürfte er weder von Tempeln und
Opfern berichten noch von den Zeichen und Orakeln, mittels derer die
Götter mit den Menschen kommunizieren. 50 Stattdessen verwendet Hero-

46
Ähnlich bereits Linforth 1924, 280: "... since the subject was within his own
choice, his scruples could hardly have been strong enough to be called pious or religi-
ous."
47
Ζ. B. 2.146.1; 2.123.1; 4.96.2; 9.65.2; vgl. dazu auch Harrison 2000, 190.
48
Vgl. Linforth 1924, 269 und 271-272; Lloyd 1976, 17; Lateiner 1989, 65; Harri-
son 2000, 183.
49
Diese Gegenüberstellung erlaubt uns also, die elliptische Formulierung in 2.3.2 zu
verstehen als τ ά μεν ν υ ν θ ε ί α [πρήγματα] των ά π η γ η μ ά τ ω ν .
50
Während etwa Lloyd 1976, 17 die Unterscheidung Herodots als eine zwischen der
physischen und der metaphysischen Welt versteht, versuche ich die θ ε ί α π ρ ή γ μ α τ α im
Zur Poetik der Leerstelle in Herodots Ägypten-Logos 55

dot den Begriff θεία πρήγματα, und das werden die weiteren Analysen
seiner Aussparungen bestätigen, ganz konkret für die 'Taten' bzw. 'Hand-
lungen' der Götter im Gegensatz zu ihren 'bloßen' Namen. Denn die
Götter als Handelnde darzustellen hieße, sie in der Gestalt von Menschen
zu zeigen, was ihm anders als den meisten seiner Zeitgenossen zu wider-
streben scheint, wie wir noch genauer sehen werden. Diese Grenzziehung
stimmt mit dem Befund überein, daß Herodot in den neun Büchern der
Historiai, von wenigen Ausnahmen abgesehen, kaum regelrechte Götter-
geschichten erzählt - also Geschichten, in denen Götter als Akteure auf-
treten und die wir heute gemeinhin als 'Mythen' bezeichnen würden. 51 Die
Substitution der Geschichten ( π ρ ή γ μ α τ α ) durch Namen, deren Ver-
wendung in Herodot offenbar keinerlei Skrupel hervorruft, bedeutet zwar
eine deutliche Abstraktion und Distanzierung von der mythologischen
Tradition, doch bleibt festzuhalten, daß weder die Existenz noch die
Pluralität der Götter seiner wissenschaftlichen Skepsis unterliegt.52

folgenden noch spezifischer zu fassen. 'Metaphysisch' wären etwa auch die Orakel und
Götterzeichen zu nennen, denen Herodots Zurückhaltung jedoch nicht gilt.
51
Zur Deutung der θ ε ί α in diesem Sinn vgl. Linforth 1924, 273 und 288; Lateiner
1989, 65; Mikalson 2002, 198; daß Herodot sich mit dem Erzählen von Mythen zurück-
halte, bezweifelt Harrison 2000, 206-207 mit A n m . 99. - Die folgenden Erwähnungen
von Götter- und Heroen-Handlungen mögen als Ausnahmen von Herodots Regel gelten,
doch ist festzuhalten, daß Herodot sich dabei entweder durch den Hinweis auf ihren Sta-
tus als ' E r z ä h l u n g e n ' der Einheimischen oder durch eine explizite Ä u ß e r u n g von Un-
glauben von dem Berichteten distanziert: 1.181-182 (ιερός γ ά μ ο ς im Heiligtum von Ba-
bylon); 2.63 (Ares k o m m t zum Tempel seiner Mutter, um mit ihr zu schlafen); 2.91.3
(Epiphanie des Perseus); 2.122-123 (der ägyptische König würfelt im Hades mit Deme-
ter); 2.156 (Leto verbirgt ihren Sohn Apoll auf der Insel Chemmis, um ihn vor Typhon zu
retten); 6.105.3 (Pan erscheint einem Herold im Gebirge); 6.127.3 (ein Grieche habe die
Dioskuren in seinem Haus empfangen). - Berichte von Götterzeichen (ζ. B. der Blitz des
Zeus in 4.79) oder vom Eingreifen der Götter in die Angelegenheiten der Menschen
(ζ. B. 6.98: Apollon; 7.129.4 und 8.13: Poseidon; 9.65.2: Demeter - vgl. zu diesen
Stellen Mikalson 2003, 137-138) fallen nicht unter die A u s n a h m e n , da hier die Götter
nicht in anthropomorpher Gestalt gezeigt werden, sondern unsichtbar bleiben. - Als die
massivste Überschreitung werden in der Forschung häufig - m. E. jedoch zu Unrecht -
die E x k u r s e zu H e r a k l e s (2.43-45) und zur C h r o n o l o g i e der Götter ( 2 . 1 4 2 - 1 4 6 )
angesehen: vgl. Linforth 1924, 289-292; Lloyd 1976, 18; Lateiner 1989, 247 Anm. 17;
Harrison 2000, 187-188 und meine Ausführungen unten in Abschnitt 6.
52
Darin unterscheidet sich Herodot von der philosophischen Kritik gegenüber dem
traditionellen Bild der Götter, wie sie etwa Xenophanes (21 Β 11-15, 23-26, 34-35 D K )
oder Protagoras (80 Β 4 DK) äußern; vgl. Linforth 1924, 286 mit Anm. 16; Lloyd 1976,
18-19 sowie unten Anm. 122; zu einer möglichen wörtlichen Anleihe Herodots bei Pro-
tagoras in 1.53.1 (όκοΐοί τέ τ ί ν ε ς τ ά ε ϊ δ ε α ) vgl. Burkert 1985, 131; grundsätzlich zu
sophistischen Zügen in Herodots Denken vgl. die oben in A n m . 7 genannte Literatur.
56 Susanne Gödde

4. Inszenierte Mysterien - Ritual und Rhetorik

Weiterer Aufschluß über die poetologische Funktion dieses negativen Pro-


gramms läßt sich aus einer zweiten, weitaus größeren Gruppe von Belegen
gewinnen, in denen Herodot seine Aussparungen bald auf persönliche
Skrupel, bald auf religiöse Tabus zurückführt. Lesen wir die Historiai als
einen literarischen Text, dann ist davon auszugehen, daß beide Gruppen
von Äußerungen - trotz ihres unterschiedlichen Duktus - in einem Bezug
zueinander stehen und sich gegenseitig kommentieren. 53 Daß sich die nun
zu besprechenden zwölf Passagen ausschließlich ebenfalls im zweiten
Buch befinden, trägt sicherlich nicht zuletzt der Tatsache Rechnung, daß
Ägypten seit Beginn der literarischen Überlieferung Autoren aller Kul-
turen eine Projektionsfläche für den Entwurf einer fremden und geheim-
nisvollen Gegenwelt bot.54 Doch verbirgt sich hinter den von Herodot
inszenierten Leerstellen mehr als nur das Bedürfnis, eine geheimnisvolle
Märchenwelt zu kreieren. Aus der Amalgamierung griechischer und ägyp-
tischer Geheimhaltungspraktiken, aber auch aus der Mixtur von wis-
senschaftlicher Skepsis und persönlichem Bekenntnis lassen sich grund-
sätzliche Überlegungen zu Herodots Kritik der Religion extrapolieren.

53
Die Ansicht, daß den Aussparungen der θ ε ί α π ρ ή γ μ α τ α , die Herodot in 2.3 und
2.65 zu seinem Programm erhebt, und den im folgenden zu besprechenden Aposiopesen
im Kontext bestimmter Kultgeschichten dieselbe Logik unterliegt, haben vor allem Sour-
dille 1910 und 1925 und M o r a 1981; 1983 und 1985 vertreten; für differenzierende Be-
gründungen treten Linforth 1925, 282 und - noch radikaler - Mikalson ein; vgl. Mikalson
2003, 144; " W h y Herodotus did not tell ιεροί λόγοι is a different matter from his twice
expressed reluctance to describe 'divine activities' ( θ ε ί α π ρ ή γ μ α τ α ) in his account of
Egypt." Unklar bleibt Harrisons Position, der einerseits eine Verbindung annimmt (2000,
186), andererseits formuliert: "It is difficult to imagine that this knowledge [gemeint ist
das von Hdt. in 2.3.2 als allen Menschen gemeinsam und 'gleich' bezeichnete Wissen]
can be knowledge of the sacred stories ommitted by Herodotus in the course of Book 2
..." (189). Ich werde im folgenden fur eine enge Verbindung zwischen beiden Gruppen
von Textstellen plädieren, allerdings mit einer gegenüber Sourdille und Mora deutlich
modifizierten Argumentation.
54
Grundsätzlich zum Ägyptenbild der Griechen, dessen prominenteste Vertreter ne-
ben Herodot Hekataios, Plutarch und Diodorus Siculus sind: Froidefond 1971; Burstein
1996; Assmann 2000a; Hartog 1986; im engeren Sinne zu Herodots U m g a n g mit der
ägyptischen Kultur: Lloyd 2002 und Moyer 2002, der die von den meisten Forschern
vertretene These von Herodots Hellenozentrismus relativiert, indem er betont, wie dieser
ein genuin ägyptisches Verständnis von Zeit nutzt, um das kollektive Gedächtnis der
Griechen zu historisieren (87); zur Bedeutung der ägyptischen Zeitrechnung für Herodots
Überlegungen zur Chronologie vgl. auch Lloyd 1988b und Vannicelli 2001 sowie unten
Abschnitt 6.
Zur Poetik der Leerstelle in Herodots Ägypten-Logos 57

Im folgenden sind die Kontexte, in denen Herodot seine Darstellung


der ägyptischen Bräuche jeweils mit einem Hinweis auf den Wunsch oder
die Pflicht zu schweigen unterbricht, in der Reihenfolge ihres Erscheinens
genannt:55
1. Im Zusammenhang mit der Feststellung, daß die Ägypter keine Ziegen
und Böcke opfern, berichtet Herodot, daß sie das Kultbild des Gottes
Pan ähnlich wie die Griechen darstellten, nämlich mit Ziegenkopf und
Bocksfüßen - freilich ohne zu glauben, daß er wirklich so aussehe.
Warum das aber so sei, das 'möchte er lieber nicht sagen' (δτευ δέ ε'ι-
νεκα τοιούτον γράφουσι αυτόν, οΰ μοι ήδιόν έστι λέγειν, 2.46.2).56
2. Nachdem Herodot im nächsten Kapitel berichtet hat, daß Schweine in
Ägypten als unrein (μιαρός, 47.1) gelten und der Kontakt mit ihnen
eine Reinigung erfordere, weigert er sich unter Berufung auf das
πρέπον, den ihm durchaus bekannten λόγος der Ägypter wiederzuge-
ben, aus dem hervorgeht, warum Schweineopfer und deren Verzehr
bei fast allen Festen 'verhaßt' sind (άπεστυγήκασι), außer bei einem
bestimmten, zur Zeit des Vollmonds vollzogenen Opfer für Dionysos
und Selene (έμοι μέντοι έπισταμένω ουκ ευπρεπέστερος έστι
λέγεσθαι, 2.47.2).57

55
Eine Übersicht über die zwölf Passagen findet sich auch in Harrison 2000, 184-
186. Im folgenden können nicht alle realienkundlichen Details zu den von Herodot bis-
weilen nur vage geschilderten Kulten zusammengetragen werden. Ich beschränke mich
auf die wichtigsten Aspekte und verweise auf die entsprechende Fachliteratur. Im Vor-
dergrund steht die Analyse des Darstellungsgestus.
56
Vgl. Borgeaud 1979 zu Pan; zur Bocksgestalt und den Bezügen dieser Figur zu
Hermes vgl. 103-104, zur Bestialität vgl. 123.
57
Herodots Bericht ist für ein griechisches Publikum bemerkenswert, da das
Schwein in Griechenland zu den gewöhnlichsten Opfertieren gehörte. - Der logos, auf
den Herodot hier anspielt, wird in der Forschung gewöhnlich mit einem logos identifi-
ziert, den Plu. Is. Kap. 8 (mor. 354A) ebenfalls im Zusammenhang mit der Opferung des
unreinen Schweins bei Vollmond erwähnt und der von der Zerreißung des Osiris durch
Seth-Typhon handelt (vgl. Lloyd 1976, 218 und 1989 ad loc.\ Mora 1985, 135). Vgl.
auch Kap. 55 {mor. 373E), wo Plutarch die allegorische Deutung dieses Mythos liefert.
Lloyd 1976, 218 erklärt das Schweineopfer für Osiris und Isis (bzw. Dionysos und
Selene) als "Vernichtungsopfer" des Seth. Zur Identifizierung des Schweins mit dem
Seth-Tier vgl. Newberry 1928 sowie Bonnet 1952, s. v. ' S c h w e i n ' . Zur Feindschaft
zwischen Horus bzw. Osiris und Seth und den griechischen Überschreibungen dieses
Mythos vgl. Griffiths 1960, bes. 31-33, und zu Herodot 85-98, wo die vorliegende Stelle
(2.48) allerdings nicht analysiert wird. - Die Kollationierung der Plutarchischen und der
Herodoteischen Version sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß Herodot an
dieser Stelle weder Osiris noch Seth erwähnt und auch die Gleichsetzung von Selene und
Isis (die sonst bei ihm das Pendant der Demeter ist) nicht expliziert wird, so daß ein
Verständnis der Zusammenhänge für einen griechischen Rezipienten nahezu unmöglich
58 Susanne Gödde

3. Des weiteren enthält er seinem Leser mit dem Hinweis auf eine heilige
Geschichte vor, warum beim Dionysos-Fest der Ägypter marionetten-
ähnliche Puppen (άγάλματα νευρόσπαστα) verwendet werden, deren
beweglicher Phallos (νεΰον το αίδοΐον) nahezu so groß ist wie der
Körper dieser Puppen selbst: δι' δ τι δέ μέζον τε εχει το αίδοΐον και
κινέει μοΰνον του σώματος, εστι λόγος περί αύτοΰ ίρός λεγόμενος
(2.48).58
4. Schließlich berichtet Herodot von dem griechischen und wohlgemerkt
nicht in Ägypten bezeugten Brauch der ithyphallischen Hermes-Bil-
der, über die die Pelasger eine heilige Geschichte (ίρόν τινα λόγον)
erzählten, die während der Mysterien der Kabiren auf Samothrake
offenbart werde (τά έν τοΐσι Σαμοθρηίκη μυστηρίοισι δεδήλωται
51.4).59 An die Stelle weiterer Ausführungen über den Inhalt dieser

wird. Zu erwägen ist daher durchaus auch, daß Herodot bei seinem Publikum einen grie-
chischen Bezugsrahmen a u f r u f t - möglicherweise die Prominenz von Ferkelopfern in
griechischen Demeterkulten, die ein Detail aus dem Mythos vom Raub der Persephone
aufgreifen; vgl. dazu Burkert 1972, 303; 1977, 242-243; Detienne 1979, 134.
58
Während Osiris in Ägypten durchaus ithyphallisch dargestellt wurde, trifft dies für
griechische Bilder des Dionysos nicht zu (vgl. Lloyd 1976, 221-222; 1989 ad loc.\ zu
einer A u s n a h m e vgl. Detienne 1979, 140). Plu. Is. Kap. 12 (mor. 3 5 5 E ) erwähnt eine
Phallos-Prozession zu Ehren des Osiris im Rahmen eines Festes namens Pamylia. Lloyd
1989 ad loc. geht davon aus, daß der verschwiegene logos derjenige von Isis' Suche nach
den Gliedern des Osiris ist, die, bis auf den Phallos, w i e d e r g e f u n d e n und z u s a m -
mengesetzt werden. Der verlorene Phallos, so berichtet Plutarch (358B), wurde von Isis
nachgebildet und diente als Kultgegenstand.
59
Herodots allusive Bemerkungen scheinen unterschiedliche Kulttraditionen mitein-
ander zu verbinden. Die Rolle des Hermes innerhalb der samothrakischen Mysterien ist
keineswegs unumstritten: Die ithyphallischen Statuen, die am Eingang des Anaktorons in
Samothrake (oder auch in seinem Innern) aufgestellt gewesen sein sollen, werden von
Burkert 1977, 283 mit A n m . 44 und Rückert 1998, 140-144 als Hermesbilder identifi-
ziert, während Cole 1984, 29 keine namentliche Zuschreibung vornimmt. Die Verehrung
eines ithyphallischen Hermes ist hingegen für das elische Kyllene überliefert (vgl. Paus.
6.26.4-5; dazu Rückert 1998, 45 mit Anm. 148). - Der Kult der Kabiren ist vor allem für
Lemnos und Theben bezeugt, während als Gottheiten der Mysterien von Samothrake in
den Quellen meist die sogenannten 'Großen Götter' (Μεγάλοι Θεοί) oder die 'samothra-
kischen Götter' angeführt werden; allein Herodot und Stesimbrotos von Thasos haben
vor der hellenistischen Zeit von samothrakischen Kabeiroi gesprochen (vgl. Cole 1984,
1-2; Graf 2000, 617; Lloyd 1976, 241-242). Bei den samothrakischen Gottheiten handelte
es sich nach der Mehrzahl der Quellen um zwei männliche Götter, mit deren älterem
bisweilen Hermes identifiziert wurde (so Lloyd 1976, 241-242; Burkert 1977, 283-284;
Graf 2000, 617; vgl. auch Versnel 1974); auch eine triadische Struktur, in der die zwei
männlichen Götter einer weiblichen, etwa Kybele, unterstellt sind, wird a n g e n o m m e n
(Cole 1984, 3). Nach Cole 1984, 1 war jedoch die Identität der Götter Bestandteil des
Mysterien-Geheimnisses. - Lloyd 1976, 243 nimmt an, daß der von Herodot erwähnte
ι ε ρ ό ς λ ό γ ο ς von einem ιερός γ ά μ ο ς handelte, führt dafür allerdings keine Belege an; so
Zur Poetik der Leerstelle in Herodots Ägypten-Logos 59

Geschichte tritt die konspirative Wendung: 'Wer in den Dienst der


Kabiren eingeweiht ist, der weiß schon, warum ich das sage.' (όστις
δε τά Καβείρων οργιά μεμύηται, ... ούτος ώνήρ οίδε τό λέγω,
2.51.2).60
5. Im Kontext seiner Beschreibung ägyptischer Festbräuche (2.58-63)
berichtet Herodot vom Isisfest in Busiris: In dessen Mittelpunkt stehe
ein exzessives Klageritual, doch wen sie beklagen, sagt er nicht, da
dies gegen ein rituelles Gebot verstoße (οϋ μοι δσιόν έστι λέγειν,
2.61.1).61
6. Der Grund für das Fest der brennenden Lampen, das die Ägypter in
Sais feiern, ist wiederum durch einen ίρός λόγος dem Wissen der
Öffentlichkeit und möglicherweise auch dem des Herodot selbst ent-
zogen (2.62.2).62
7. Schließlich berichtet Herodot, daß es bei den Ägyptern als nicht οσιον
gelte, innerhalb von Tempeln wollene Kleider zu tragen oder solche
den Toten anzulegen, ein Gebot, das auch in orphischen und bakchi-

auch Hemberg 1950, 93; dagegen Burkert 1977, 284 mit Anm. 45 sowie 1985, 123 Anm.
7, der für eine lediglich mythologische Erklärung der Hermes-Bilder auf Cie. N.D. 3.56
verweist, w o H e r m e s ' sexuelle Erregung mit dem Anblick der Persephone erklärt wird,
allerdings ohne Hinweis auf eine Kultlegende aus Samothrake, wie dies Rückert 1998,
140 nahelegt. Rückert 1998 deutet den ithyphallischen Hermes global als "Initiations-
gott", und zwar allein auf der Basis seiner postulierten Zuständigkeit für j u n g e Männer
bzw. Epheben. Einen Z u s a m m e n h a n g zwischen dem ithyphallischen Hermes und einem
(etruskischen) μ υ σ τ ι κ ό ς λόγος stellt allerdings die Dihegese zu Call. Fr. 199 Pfeiffer (=
159 Asper) her. Für eine Einbeziehung des thebanischen Mythos der Hochzeit von Kad-
mos und Harmonia in die Kultlegende von Samothrake vgl. Cole 1984, 3-4.
60
Diese Andeutung Herodots wird vielfach als Indiz dafür gedeutet, daß er selbst in
die samothrakischen Mysterien eingeweiht gewesen sei: How/Wells 1912 ad loc.; Gould
1994, 92; vgl. auch Lloyd 1976, 279; Cole 1984, 11 und 38; Harrison 2000, 189.
61
Für eine genaue Rekonstruktion des mehrtägigen Festes vgl. Lloyd 1976, 277-
279, bes. 279: "There is no implication here of μ υ σ τ ή ρ ι α in the Greek sense." Zum an-
geblichen Verbot, den N a m e n des - hier gemeinten - Osiris auszusprechen, vgl. unten bei
Anm. 84.
62
Es handelt sich hier um ein Fest zu Ehren der Göttin Neith, die nach Herodot der
griechischen Athena entspricht und in der ägyptischen Mythologie als Rächerin des Osi-
ris galt, j a bisweilen sogar für identisch mit ihrem Schützling gehalten wurde. In ihrem
Hauptheiligtum in Sais befand sich ein unterirdisches Grab des Osiris; neben ihrer grund-
sätzlichen Rolle als Beschützerin dieses Gottes kam ihr eine wichtige Funktion in dem
Balsamierungsritual für den toten Osiris zu; vgl. Bonnet 1952, 516; El-Sayed 1982, I, 36-
38 und 117-120; II, 666 (Doc. 1097); Mora 1985, 104; Jansen-Winkeln 2000; Assmann
2000b, 47 und Haider 2002, 60-63. Zu einem möglicherweise vergleichbaren ιερός
λόγος, der in Esna erzählt wurde, vgl. Lloyd 1976, 282-283. Daß er geheim gewesen sei,
geht aus den dort zusammengetragenen Informationen jedoch nicht hervor.
60 Susanne Gödde

sehen Geheimkulten (δργια), die wiederum ägyptischen und pythago-


reischen Bräuchen entsprächen, beachtet werde und über das ebenfalls
eine heilige Geschichte erzählt werde (2.81.1-2).63
8. Im Zusammenhang mit der Totenklage der Ägypter kommt Herodot
auf die Praxis der Mumifizierung der Leichen zu sprechen. Doch darf
er nicht sagen, nach wem das aufwendigste Verfahren, die Toten zu
balsamieren, seinen Namen hat, da dies nicht δσιον wäre (του ούκ
δσιον ποιεΰμαι τό οϋνομα έπν τοιούτω πρήγματι όνομάζειν, 2.86.2).
9. Eine kostbar geschmückte hölzerne Kuh, in der der ägyptische König
Mykerinos seine Tochter bestattet hatte, wird jedes Jahr einmal aus
ihrer Kammer herausgetragen und zwar an dem Tag, an dem die
Ägypter um den Gott klagen, der von Herodot nicht genannt werden
darf (τον ούκ όνομαζόμενον θεόν ΰ π ' έμεΰ έπι τοιούτω πρήγματι
έξαγορεύειν τοΰνομα, 2.132.2).64
10. In einem weiteren Passus berichtet Herodot von dem sich im Heilig-
tum der Athena (also der ägyptischen Göttin Neith) in Sais befindli-
chen Grab, in dem eben jener bestattet liegt, dessen Namen zu nennen
er wiederum nicht für δσιον erachtet (του ούκ δσιον ποιεΰμαι έπι τοι-
ούτω πρήγματι έξαγορεύειν τοΰνομα, 2.170.1).
11. Schließlich will er nicht über die auf dem See in Sais stattfindenden
nächtlichen Aufführungen der Leiden desselben Gottes (τα δείκηλα
των παθέων αύτοΰ) reden, die die Ägypter 'Mysterien' nennen, ob-
wohl er auch hier mitteilt, daß er davon mehr weiß (περί μεν νυν τού-
των είδότι μοι έπι πλέον ώς έκαστα αύτών εχει, εϋστομα κείσθω,
2.171.1-2). 65

63
Die Worte Β α κ χ ι κ ο ΐ σ ι , έοΰσι δέ Αίγυπτίοισι κ α ι fehlen in den Handschriften der
Gruppe a. Graf 2000, 618 wertet diese Stelle (in der längeren Version) als Beleg für die
Verbindung der dionysischen Mysterien mit Texten des Orpheus, die ihrerseits pythago-
reische Vorstellungen a u f g e n o m m e n haben; zur Stelle vgl. Linforth 1941, 38-51; Dodds
1951, 83 und 227 Anm. 80; Burkert 1987, 27; Z h m u d ' 1992, 163-164 (der - mit Linforth
- f ü r die Kurzfassung plädiert); Riedweg 2002, 77; Burkert 1999, 105-106 mit Anm. 118.
Auf die komplexe Problematik der sogenannten orphisch-bakchischen Mysterien kann
hier nicht weiter eingegangen werden: vgl. dazu u. a. Linforth 1941; West 1983, 140-175;
Burkert 1977, 290-301; 1987, 62; Graf 1993; Schlesier 2001 sowie unten Anm. 99; für
weitere Literatur vgl. die Bibliographie in Calame 2000.
64
Es handelt sich auch hier, wie bei der vorangehenden Textstelle, um den Gott Osi-
ris (zum N a m e n s t a b u unten bei A n m . 84). Herodots A n g a b e n beziehen sich auf das
Khoiak-Fest (vgl. Lloyd 1988, 81).
65
Der mit der V o r f ü h r u n g verbundene öffentliche Charakter scheint dieses Ritual
von anderen geheimen Riten, die nur den Priestern zugänglich waren, unterschieden zu
haben; zugleich bot sich eine Analogie mit griechischen Mysterien an, für die auch
Zur Poetik der Leerstelle in Herodots Ägypten-Logos 61

12. Und zu guter Letzt möchte er auch über die 'Weihe der Demeter'
(τελετή), die die Griechen 'Thesmophoria' nennen, nichts mitteilen,
was gegen ein rituelles Gebot verstoßen könnte (καΐ ταύτης μον πέρι
εΰστομα κείσθω, πλην δσον αυτής όσίη έστν λέγειν, 2.171.2).66

Jedes dieser kultgeschichtlichen Phänomene wirft weitreichende Fragen


auf, die den Kulturkontakt zwischen Ägypten und Griechenland zur Zeit
Herodots sowie die möglicherweise auch durch diesen Kulturkontakt
beeinflußte Ausformung und Vergleichbarkeit einzelner Rituale betreffen.
Statt diesen Fragen aber im einzelnen nachzugehen, möchte ich die zitier-
ten Äußerungen Herodots zunächst als Elemente eines literarischen Dis-
kurses untersuchen und analysieren, wie dieser Diskurs sich konstituiert.
Abgesehen von zwei Fällen begründet Herodot alle Unterlassungen, in-
dem er sakralsprachliche Termini verwendet. Viermal beruft er sich auf
einen ίρός λόγος, also eine Kultlegende. 67 Dabei geht es zweimal um die
Erklärung einer ithyphallischen Götterdarstellung, nämlich des Dionysos
(3) bzw. des Hermes (4), einmal um das Fest zu Ehren der Göttin Neith,
die nach Herodot der griechischen Athena korrespondiert (6), und ein

rituelle A u f f ü h r u n g e n anzunehmen sind. Lloyd 1988, 206 und 209 (vgl. auch 1976, 279
ad 2.61) weist Herodots Gleichsetzung des Khoiak-Festes mit ' M y s t e r i e n ' als falsch
zurück. Zum Problem ägyptischer (Osiris-)Mysterien vgl. vor allem die unentschlossene
Beurteilung bei Bonnet 1952, 494-496 sowie grundsätzlich Assmann 2000a und 2002;
Burkert 2002; vgl. auch unten bei Anm. 73.
66
Herodot identifiziert die Thesmophorien hier mit den Feiern für Isis im Heiligtum
von Sais. Der hier evozierte geheime Charakter der griechischen Thesmophoria, die nicht
mit Einweihungskulten im engeren Sinne zu verwechseln sind, m a g sich durch den
Ausschluß der Männer von diesem Fest erklären. Zum Mysteriencharakter der Thesmo-
phorien vgl. Burkert 1977, 242 mit Anm. 9; vgl. auch unten bei A n m . 99. Nach Herodots
Vorstellung haben die Danaos-Töchter die Thesmophorien von Ägypten nach Griechen-
land gebracht (2.171.3).
67
Was unter einem solchen ίρός λόγος zur Zeit Herodots genau verstanden wurde,
ist keineswegs eindeutig: Burkert 1987, 117 Anm. 14 weist d a r a u f h i n , daß dieser in spä-
teren Epochen (wenn auch selten) fur Mysterienkontexte überlieferte terminus technicus
bei Herodot erstmals verwendet wird. In den hier vorgeführten Beispielen gebraucht
Herodot ihn jedoch auch jenseits von Mysterienkulten, so daß vielleicht an eine Kultle-
gende, also etwa einen aitiologischen Mythos, zu denken wäre. Andererseits sind Aitia in
der sonstigen antiken Tradition keineswegs grundsätzlich durch einen besonderen Ge-
heimnischarakter ausgezeichnet. Zum Charakter von ιεροί λόγοι vgl. Baumgarten 1998,
zu Hdt. 2.51, 62 und 81: 125-126, der allerdings auch dort, w o der Begriff in den antiken
Quellen nicht verwendet wird, von ίεροι λόγοι spricht. Das Verhältnis von δ ρ ώ μ ε ν α und
λ ε γ ό μ ε ν α untersucht Henrichs 1998, der auf den Mangel an überlieferten λ ε γ ό μ ε ν α hin-
weist (33 mit Anm. 2); zu Herodot: Henrichs 1998, 36 mit A n m . 9; grundsätzlich zu
aitiologischen Mythen: Graf 1991, 98-116.
62 Susanne Gödde

weiteres Mal um das im Kontext orphisch-bakchischer Mysterien ge-


bräuchliche Verbot, Verstorbene in wollenen Kleidern zu bestatten (7).
Der Hinweis auf einen ίρος λόγος, das zeigt der Vergleich mit den ande-
ren Enthaltungen, macht offenbar jede weitere Explikation oder Begrün-
dung des Schweigegebotes überflüssig, wurde also von Herodots Publi-
kum vermutlich als Synonym eines solchen Tabus verstanden. Ebenfalls
viermal verwendet Herodot eine Formel wie οΰ μοι οσιόν έστι λέγειν,
davon dreimal für das Aussprechen des Namens Osiris, und zwar immer
im Zusammenhang mit der Klage um ihn (5, 8, 10), und einmal mit Bezug
auf Demeter (12).68 Zweimal benutzt er die Wendung εΰστομα κείσθω,
die derselben Logik folgt wie der griechische Kultterminus ευφημία: Al-
les, was in einer rituellen Situation in einem kultischen Sinne nicht 'gut'
ist, weil es Unheil heraufbeschwört, muß verschwiegen werden. 69 Diese
Formel gilt zum einen der Darstellung der Leiden eines erneut nicht na-
mentlich bezeichneten Gottes (11) - es handelt sich auch hier um Osiris
zum anderen dem Isisfest, das Herodot mit den griechischen Thesmopho-
ria zu Ehren der Demeter identifiziert (12). Die Instanz, die Herodot ver-
bietet, mehr als das Angedeutete zu sagen, wird dort, wo er sich auf die
'heilige Geschichte' eines Kultes bezieht, als überindividuell ausgewiesen;
in fast allen anderen Fällen begründet er sein Schweigen jedoch persönlich
(indem er etwa der Formel ούκ οσιον das Personalpronomen μοι hinzu-
fügt, oder durch die erste Person Singular wie in ούκ οσιον ποιεΰμαι ...
λέγειν), und zweimal gibt er sogar explizit an, daß er Kenntnisse von dem,
was er verschweigt, besitzt.70 Die beiden einzigen Fälle, in denen die ver-
wendete Terminologie nicht eindeutig religiös konnotiert ist, beziehen sich
einerseits auf die bildliche Darstellung des Pan als Bock, deren Gründe zu
nennen Herodot 'nicht angenehm' (ού ... ήδιον) ist (1), andererseits auf
die Erklärung der Vermeidung von Schweineopfern in allen Götterkulten
der Ägypter außer denen des Dionysos und der Selene, die Herodot für
ούκ εύπρεπές erachtet (2).

68
Zur Bedeutungskonnotation von οσιος vgl. van der Valk 1942 und Parker 1983,
329-330.
69
Zum Bedeutungsspektrum dieses Terminus, das über die bloße A u f f o r d e r u n g zu
rituellem Schweigen deutlich hinausgeht und auch eine affirmative rituelle Rhetorik
bezeichnet, vgl. Gödde 2003, 27-30. Eine Monographie zu den kultstrategischen sowie
literarischen Implikationen von ε υ φ η μ ί α ist in Vorbereitung.
70
Vgl. Nr. 2 (2.47.2): έμο'ι μέντοι έ π ι σ τ α μ έ ν ω und 11 (2.171.1): ε ί δ ό τ ι μοι επί
πλέον ώς έ κ α σ τ α α ύ τ ώ ν ε χ ε ι . . .
Zur Poetik der Leerstelle in Herodots Ägypten-Logos 63

Die zwölf Passagen, in denen Herodot den Leser auf eine Leerstelle in
seinem ethnographischen Bericht über religiöse Bräuche aufmerksam
macht, stehen auf den ersten Blick in einer gewissen Spannung zu den
zwei zuerst zitierten programmatischen Äußerungen über das, was in den
Historiai nicht zur Sprache kommen soll. Denn es mutet merkwürdig an,
daß ein Historiker, der einerseits erklärt, die Geschichten der Götter in
seinem Werk nicht berücksichtigen zu wollen, und der hierin - so die
communis opinio der Forschung 71 - einem primär wissenschaftlichen, also
aufklärerischen Impetus folgt, sich andererseits rituellen Tabus unterwirft
und angibt, aus religiöser Scheu bestimmte Dinge nicht aussprechen zu
können, obwohl sie dem Verständnis der Zusammenhänge durchaus dien-
lich wären. Auf diesen Widerspruch ist immer wieder hingewiesen wor-
den: So konstatiert etwa Walter Burkert, daß "bei Herodot der Horizont
von Relativismus und Agnostizismus seinerseits von einer Sphäre des
Göttlichen umfangen scheint, das Hintergrund allen Geschehens ist"
(1990, 28). Herodot wäre somit, zugespitzt formuliert, selbst Teil der reli-
giösen Ordnung, die er von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus in
Frage stellt. Doch können die folgenden Beobachtungen diese Diskrepanz
relativieren und erklären.
Um den spezifisch literarischen Status von Herodots Tabuisierungen
bestimmen zu können, ist es unerläßlich, danach zu fragen, inwieweit sein
Verhalten der kulturellen und religiösen Norm seiner Zeit entspricht.
Sucht man nach historischen Kontexten, die Herodots Schweigen in den
genannten Passagen erklären können, so drängt sich leicht der Gedanke an
die aus der griechischen Welt bekannten Mysterienkulte auf, deren ultima
ratio darin bestand, daß das, was die Initianden während der Zeremonie
erfuhren, nicht in die Öffentlichkeit getragen werden durfte. Dieses Erklä-
rungsmuster, das zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts vehement ver-
treten wurde, 72 konnte sich freilich aus zwei Gründen nicht durchsetzen:
Erstens ist zu konstatieren, daß es in Ägypten zur Zeit Herodots über-
haupt keine den griechischen Mysterien entsprechende Institution der
Einweihung gab. 73 Was aus griechischer Sicht als 'ägyptische Mysterien'

71
Vgl. oben Anm. 38.
72
Sourdille 1910; vgl. oben Anm. 39.
73
Vgl. Assmann 2002, 59: "Die 'ägyptischen Mysterien', das ist wohl in der Ägyp-
tologie allgemeiner Konsens, sind eine Erfindung der Griechen ...". Vgl. auch Lloyd
1976, 279; Harrison 2000, 189 A n m . 23; A s s m a n n 2000a, 37; Burkert 2002, 12. -
Gleichwohl besteht in der Ägyptologie durchaus Uneinigkeit über den jeweiligen Status
64 Susanne Gödde

bezeichnet werden konnte, das waren bestimmte Rituale, die allein den
Priestern zugänglich waren und vor der Öffentlichkeit nicht zuletzt wegen
ihrer besonderen Reinheit geheim gehalten wurden. 74 Dabei spielte etwa
die 'Einweihung' in bestimmte Schriftsysteme, allen voran das der Hiero-
glyphen, eine besondere Rolle, deren Kenntnis für die Priester Macht und
Prestige mit sich brachte und möglicherweise auch einen Sonderstatus im
Jenseits in der Nähe der Götter verhieß. Diese Götternähe konnte statt
durch das Erlernen 'geheimer' und schwer zu entschlüsselnder Schriften
auch über die Teilnahme an bestimmten Festen und Ritualen erlangt wer-
den. Die entscheidende Differenz zu griechischen Mysterienkulten besteht
in der eingeschränkten Adressatengruppe. Erst in hellenistischer Zeit brei-
tete sich die ägyptische Isis-Religion in Form von Einweihungskulten, die
dem Modell griechischer Mysterien folgten, über den gesamten Mittel-
meerraum aus, doch besaßen diese Mysterien mit dem altägyptischen Kult
von Isis und Osiris nahezu keine Gemeinsamkeiten.
Während also die ίερον λόγοι oder andere tabuisierte Geschichten, auf
die Herodot in den vorgestellten Passagen anspielt, in keiner der bekann-
ten Formen ägyptischer Geheimkulte auszumachen sind, können zweitens
auch die real existierenden Schweigegebote griechischer Mysterienkulte
nicht als unmittelbare Referenz für Herodots Aposiopesen angesehen wer-
den: zunächst weil deren Geheimhaltungscodes kaum ägyptische Kultle-
genden betreffen würden; dann aber auch, weil keineswegs alle Zusam-
menhänge, in denen Herodot sich veranlaßt sieht, etwas zu verschweigen,
auf einen griechischen Mysterienkult verweisen. Herodot stellt die von
ihm unterdrückten Erklärungen lediglich an zwei Stellen explizit in den
Zusammenhang von Mysterien: Während mit der Erwähnung der Myste-

ägyptischer Parallelphänomene und deren mögliche Bezeichnung als ' M y s t e r i e n ' : vgl.
die Einleitung in A s s m a n n / B o m m a s 2002. Von Lieven 2000 spricht etwa im Zusammen-
hang mit der A u f f ü h r u n g des Schicksals des Osiris von "Mysterien" - möglicherweise in
Anlehnung an Hdt. 2.171.1 - und auch Burkert 1999, 82 sieht in Dionysos' Funktion als
"Mysteriengott" eine Gemeinsamkeit mit Osiris und formuliert die These, daß ein "seit
alters bestehender Dionysos-Kult seine Jenseits-Orientierung durch ägyptischen Impuls
erhalten hat" (95). - Sourdille 1925, 302 nimmt für die Zeit Herodots eine Amalgamie-
rung von Griechischem und Ägyptischem an: " . . . une sorte de religion egypto-grecque -
crue egyptienne, mais de fabrication grecque - avec des mysteres de genre grec".
74
Vgl. Burkert 2002, 13: "Der Zugang zum ' G e h e i m e n ' in der ägyptischen und in
der griechischen Religion ist grundsätzlich verschieden. Das Geheimnis griechischer
Mysterien ist nicht professionell, standesbestimmt, sondern wird durch eine persönliche
Einweihung durchbrochen, die prinzipiell j e d e m Griechen offensteht." Für unterschiedli-
che Konzepte des Geheimen in der ägyptischen Religion vgl. Assmann 1998; die folgen-
de Zusammenfassung nach Assmann 2002.
Zur Poetik der Leerstelle in Herodots Ägypten-Logos 65

rien von Samothrake (4) ein griechischer und nicht ein ägyptischer Kult
angeführt wird,75 berichtet Herodot bei der zweiten Verwendung des Ter-
minus innerhalb der zwölf Passagen, daß die Ägypter zur Bezeichnung der
auf dem See von Sais aufgeführten Leiden des Osiris den griechischen
Begriff μυστήρια (oder aber das diesem entsprechende ägyptische Wort?)
verwenden (11). Herodot führt nicht aus, ob diese ägyptische Praxis mit
den griechischen Mysterien, also den geheimen Einweihungskulten, über
den entlehnten Namen hinaus weitere Entsprechungen aufweist. 76 Ein Be-
zug zu Mysterienkontexten läßt sich möglicherweise auch für das siebte
Beispiel aufzeigen: Für das Verbot wollener Kleider in Tempeln und beim
Totenkult scheint Herodot die orphischen bzw. bakchischen Mysterien
zum Vergleich heranzuziehen. Der Umstand, daß er im zwölften Beispiel
die Feier der Thesmophorien als τελετή bezeichnet, kann, muß aber nicht
auf Mysterien hinweisen. 77 So stehen drei Mysterienkontexte neben neun
Passagen, in denen Herodot zwar auf ein Geheimnis verweist, dieses aber
nicht durch die Auflagen eines (uns bekannten) Einweihungs- oder Ge-
heimkultes motiviert. Doch scheint er mit dem wiederholten Hinweis auf
einen ίερος λόγος, zu dessen Bestimmung es offenbar gehörte, daß man
ihn nicht kannte, oder daß man ihn, wenn man ihn kannte, nicht weiterer-
zählen durfte, die Struktur der Mysterien durchaus zu zitieren. Der Um-
stand, daß der später in Mysterienkontexten verwendete terminus techni-
cus 'hieros logos' bei Herodot erstmals begegnet, 78 könnte gar zu der Spe-
kulation verleiten, daß Herodot ein solches Phänomen - heilige und ge-
heime Kultlegenden - allererst erfunden habe, um sein Bedürfnis, be-
stimmte Zusammenhänge in seinen Berichten auszublenden, zu legitimie-
ren.
Angesichts dieses Befundes scheint es mir voreilig, einen Bezug auf
die Praxis der Mysterienkulte gänzlich zu negieren. Zwar können wir aus-
schließen, daß Herodots Schweigeformeln durch eine historisch verbürgte
ägyptische und der griechischen adäquate Mysterienpraxis oder gar durch
den Umstand, daß Herodot selbst in solche ägyptischen Kulte eingeweiht
gewesen sei, zu erklären sind. Ebensowenig läßt sich nachweisen, daß

75
Vgl. allerdings Burkert 1977, 284, der ein "non-Greek element in the Samothra-
cian mysteries" ausmacht.
76
Vgl. dazu oben Anm. 65.
77
Die Wortfamilie τ ε λ ε τ ή überschneidet sich weithin mit dem Terminus μ υ σ τ ή ρ ι α ,
ist aber von allgemeinerer Bedeutung: Burkert 1987, 16.
78
Vgl. oben Anm. 67.
66 Susanne Gödde

jedes der erwähnten 'Geheimnisse' einem konkreten griechischen Myste-


rienkult verpflichtet ist. Stattdessen hat Herodot die ägyptischen Kulte
ganz offensichtlich gemäß dem ihm vertrauten griechischen Modell über-
formt, sie also einer interpretatio Graeca unterzogen. 79 Doch möchte ich
es bei dieser häufig gemachten Beobachtung nicht belassen. Denn Hero-
dots kulturvergleichender Blick war allzu geübt, als daß man ihm un-
terstellen möchte, er habe den Unterschied der jeweiligen Kulte nicht er-
messen, sondern sei blindlings dem Fehler der Überblendung des Fremden
durch das Eigene verfallen. Vielmehr erhält angesichts der Tatsache, daß
Herodot sich offensichtlich nicht (zumindest nicht ausschließlich) auf
historische Geheimkulte bezieht und auch sonst keine befriedigende Erklä-
rung für die von ihm verschwiegenen Kultaitia beigebracht werden kann, 80
die Frage nach seinem literarischen Gestus eine umso größere Berechti-
gung. Denn das wiederholte Redemuster im Ägypten-Logos muß auf die-
ser Basis nicht durch äußeren Zwang und eine vermeintlich religiös be-
gründete Haltung des Historikers gegenüber ägyptischen Geheimkulten
erklärt werden, sondern entpuppt sich als gezielt angewandtes Verfahren
im Dienste einer Konstruktion. Herodot überträgt die Idee der Geheim-
haltung aus dem ihm bekannten Kontext griechischer Mysterien auf den
ägyptischen Kulturraum und nutzt ihr rhetorisches Potential für seine
Zwecke. Die Erwähnung des Geheimkultes der Kabiren auf Samothrake
(4) macht diese Operation deutlich. Der Verweis auf den nicht explizierten
ιερός λόγος der Mysterien ersetzt für die Eingeweihten die Erklärung der
ithyphallischen Darstellung des Hermes außerhalb dieser Mysterien: 'Wer
in den Dienst der Kabiren eingeweiht ist, der weiß schon, warum ich das
sage' (2.51.2). Aber auch für Nicht-Eingeweihte, die die Leerstelle nicht
füllen konnten, bleibt der Gestus nicht ohne den Effekt einer Zuschreibung
von Exklusivität.
In anderen Passagen, die keinen expliziten Hinweis auf Mysterien ent-
halten, mag die Berufung auf einen ιερός λόγος oder auf das allgemeinere
Prinzip des δσνον als Zitat des Mysterienkontextes fungieren. Herodot

79
Vgl. Burkert 2002, 16: " W e n n die Griechen, voran Herodot, ' M y s t e r i e n ' in
Ägypten fanden, haben sie etwas gesehen, was ihnen nicht nur imponierte, sondern in
gewissem M a ß e bekannt vorkam, eine Jenseits-Religion, bestimmt durch Isis-Demeter
und Osiris-Dionysos mit auffälligen nächtlichen Zeige-Ritualen; sie haben dies aber aus
ihrer eigenen Optik gesehen und, was sie übernahmen, haben sie ganz den eigenen For-
men angepaßt, eben als mysteria." - Vgl. auch Harrison 2000, 188-189.
80
Das in den Anm. 56-66 diskutierte Material enthält keine historisch bezeugten Er-
klärungen für die Geheimhaltung der Aitia.
Zur Poetik der Leerstelle in Herodots Ägypten-Logos 67

setzt die ihm aus seiner Kultur vertraute Figur der Geheimhaltung ein, um
das Angedeutete im Sinne des Geheimnisses zu exponieren. 81 Ein solches
Verfahren kann man mit gutem Recht als Teil einer Poetik des Rituals be-
zeichnen, bei der rituelle Formeln in den Dienst einer neuen, literarischen
Absicht gestellt werden. Eine Auswertung für eine in biographistischer
Hinsicht zu rekonstruierende religiöse Haltung des Autors dürfte daher in
die Irre führen. Die weitgehende Konzentration der bisherigen Forschung
auf die Verifizierung von Herodots Angaben hat den Blick auf derartige
inszenatorische Figuren häufig verstellt.82 Der literarische Text eignet sich
hier sprachliche Muster ritueller Praxis an und spielt mit dem religiösen
Wissen seines Publikums. In narrratologischer bzw. rezeptionsästhetischer
Hinsicht erzielt Herodot mit diesem Verfahren zunächst drei Effekte: Zum
einen konfrontiert er sein griechisches Publikum mit der diesem aus den
zeitgenössischen, vor allem den eleusinischen, Mysterien vertrauten Struk-
tur des 'offenen Geheimnisses', das gewöhnlich den Zusammenhalt einer
Adressatengruppe gegenüber den Ausgeschlossenen verstärkt. 83 Zweitens
suggeriert Herodot seinen Zuhörern oder Lesern, daß er in Ägypten kein
Fremder war, sondern daß ihm die Struktur der dortigen Geheimhaltungs-
strategien - die er aber möglicherweise erfindet - vertraut war. 84 Er
inszeniert sein eigenes Schreiben als das eines 'Eingeweihten' und verleiht
seinem Bericht so - aus Sicht eines griechischen Publikums - einen
höheren Grad an Glaubwürdigkeit. Und schließlich schreibt er drittens den
Mythos von Ägypten als dem Land der Wunder und Rätsel fort, den
bereits die Literatur vor ihm kennt. Doch all diese narrativen Effekte sind
nur der sekundäre Ausdruck und die Folge eines viel grundlegenderen

81
Vgl. Darbo-Peschanski 1987, 42, die Herodots Schweigen als "ostentatoire" be-
zeichnet und schreibt: " . . . il s'agit de le souligner, de le dramatiser."
82
Paradigmatisch fiir das Bemühen, Herodot Irrtümer nachzuweisen, steht der Name
Fehling: vgl. 1971 und die Erwiderungen von Erbse 1991 und 1992 sowie Pritchett 1993;
aber auch Lloyds Kommentar zu Buch II fragt immer wieder nach der Korrektheit von
Herodots Angaben über Ägypten; vgl. auch Lloyd 1988b, 52: " . . . it [sc. Buch 2 der Hi-
storian presents a view of Egypt's past which shows no genuine understanding of Egyp-
tian history. Everything has been uncompromisingly customized for Greek consumption
and cast unequivocally into a Greek mould." Bei Lloyd 2002, 434-435 fällt das Resümee
weniger kritisch aus.
83
Zur Struktur des offenen Geheimnisses vgl. Burkert 1995. Ob Herodot sein Publi-
kum durch dieses Verfahren eher von dem von ihm inszenierten Wissen ausschließt oder
ob die Wirkung eher integrativ ist, hängt davon ab, wie sehr seine Andeutungen auf be-
kannte, einheimische Kulte anspielen.
84
Vgl. Sourdille 1910, 1; Harrison 2000, 188.
68 Susanne Gödde

theoretischen Interesses sowie einer kritischen Reflexion, die Herodots


Darstellung der ägyptischen Religion zugrunde liegt und der ich mich nun
zuwenden möchte.

5. Erfundene Tabus - Anthropomorphismuskritik

Die Hypothese, daß Herodot, wenn er sich auf Schweigegebote beruft,


literarisch verfährt und die ägyptische Religion einer Stilisierung unter-
zieht, läßt sich an einem weiteren Befund erhärten, dessen Analyse zu
meinem Ausgangspunkt, Herodots programmatischem Schweigen von den
θεία πρήγματα, zurückführt. Das auffällige Namenstabu, mit dem er in
den vorgeführten Passagen den Gott Osiris belegt, entspricht - ähnlich wie
die Vorstellung von Mysterienkulten - nicht der Realität des ägyptischen
Osiris-Kultes.85 Zwar war das Grab des Osiris, das in der Spätzeit zu je-
dem ägyptischen Tempel gehörte, durchaus von einem Geheimnis umge-
ben, denn es befand sich im Abaton, dem unbetretbaren Bereich des Hei-
ligtums; doch hatte diese Form der Geheimhaltung keinerlei Auswirkun-
gen auf die Nennung seines Namens. Ebensowenig hat es ein vergleichba-
res Namenstabu, obwohl dies gelegentlich behauptet wird, im griechischen
Kulturraum gegeben, sei es für das Pendant des Osiris, Dionysos, sei es
für eine andere Gottheit.86 Zwar gehört zum kultischen (bzw. literarischen)
Umgang mit der Mysterien-Gottheit Persephone durchaus die Umschrei-
bung ihres Namens durch die Bezeichnung Kore, und hinzu tritt bisweilen
auch das Adjektiv απόρρητος, 'unsagbar'. 87 Doch lassen sich derartige
Periphrasen eher mit Euphemismen vergleichen, wie sie für den Umgang
mit bestimmten Göttern charakteristisch waren, so etwa die Bezeichnung

85
Assman 2000a, 35; vgl. auch Assmann 2000b, 45; Burkert 2002, 13: " . . . wenn
etwas in Ägypten nicht geheim war, dann war dies der N a m e des Gottes Osiris und sein
Mythos, sein 'Leiden', sein Tod durch Typhon, Suche und Wiederbelebung durch Isis."
86
Parker 1983 behauptet im Rahmen seiner Analyse des Z u s a m m e n h a n g s von Tod
und Befleckung, es sei für die Griechen ein Sakrileg gewesen, Dionysos in Verbindung
mit dem Tod zu erwähnen, doch keine der drei Stellen, die er zum Beleg dieser Aussage
anfuhrt - eine davon ist unser Text Nr. 8, wo es um Osiris geht - , bestätigt dies in befrie-
digender Weise; vgl. Parker 1983, 64 und die Verweise in A n m . 107: Hdt. 2.86.2; D.
60.30; PI. Mx. 238b. Von einem Namenstabu im Griechischen geht auch Harrison 2000,
189 Anm. 24 aus, der außerdem E. Hei. 1307 anführt (vgl. dazu die folgende Anm.).
87
Kore: Hdt. 8.65; α π ό ρ ρ η τ ο ς : Ε. Hei. 1307; noch häufiger finden sich die Termini
απόρρητος und ά ρ ρ η τ ο ς als Bezeichnung des Mysterien-Geheimnisses selbst.
Zur Poetik der Leerstelle in Herodots Ägypten-Logos 69

des Hades als Pluton, der Erinyen als Eumeniden oder die Verwendung
des Attributes ανώνυμοι für Gottheiten, die man auf Distanz zu halten
suchte.88 Derartige Distanzierungen durch beschwichtigende oder ent-
mächtigende Namen dienen jedoch durchaus dem Umgang mit den ent-
sprechenden Göttern und sind daher von einem grundsätzlichen Namens-
tabu, das jede Adressierung ausschließt, zu unterscheiden. So ist anzu-
nehmen, daß Herodot auch in diesem Fall konstruierend in sein Material
eingreift und die durchaus ägyptische Vorstellung vom Leichnam des Osi-
ris als einem "schlechthinnigen Geheimnis" (Assmann 2000b, 45)89 in ein
Namenstabu transformiert.
Allerdings ist hervorzuheben, daß dieses Tabu für Herodot keineswegs
grundsätzlich gilt: An vielen Stellen seiner Untersuchung verwendet er
den Namen Osiris durchaus, etwa immer dort, wo es um die Gleichsetzung
dieses ägyptischen Gottes mit dem griechischen Dionysos geht. Das Na-
menstabu gilt also nur unter bestimmten Umständen, und das macht Hero-
dot selbst kenntlich, indem er an drei von den fünf Stellen, die den Namen
des Osiris betreffen, hinzufügt: έπι τοιούτω πρήγματι (8, 9, 10). Es ist der
sterbende oder der tote und daher zu beklagende Osiris, über den Herodot
detaillierte Erläuterungen verweigert. 90 Da sich Herodots Schweigefor-
meln als Indices einer literarischen Darstellung erwiesen haben, die keine
vorrangig lebensweltliche Verankerung in der ägyptischen Religion haben,
muß nach den Gründen für dieses Verfahren weiter gesucht werden.
Die - im Gestus des Rituals vorgebrachten, tatsächlich aber als rheto-
risch zu lesenden - Schweigeformeln sind nicht bloß ein Spiel mit Ver-
satzstücken, eine Persiflage auf religiösen Glauben oder kulturelle Diffe-
renzen, sondern sie dienen Herodot zu einem ganz bestimmten Zweck.
Nachdem der (scheinbare) Widerspruch zwischen Herodots Unterdrü-
ckung der Göttergeschichten aus epistemologischen Gründen einerseits
und dem Gestus des (angeblich) religiös begründeten Schweigens anderer-
seits durch den Hinweis auf die literarische Strategie relativiert werden
konnte, soll nun gezeigt werden, daß beide Positionen einander nicht nur
nicht ausschließen, sondern sogar ein und demselben Denkmuster folgen.
Der von Herodot bezeichnete Gegensatz von 'Geschichten' und 'Namen'

88
Vgl. Henrichs 1991 und 1994.
89
Zu Aspekten der Geheimhaltung im Osiris-Kult vgl. auch Assmann 1998, 20-21;
zum Sonnengott, dessen N a m e verborgen ist, Assmann 1998, 22.
90
Das übersieht Harrison 2000, 187 Anm. 15.
70 Susanne Gödde

der Götter (2.3.2) hatte nahegelegt, daß es vor allem der Mythos, genauer,
die anthropomorphe Vorstellung von den Göttern und ihren Handlungen,
ist, deren Darstellung er zurückweist. 91 Diese Zurückweisung korrespon-
diert mit einem Evolutionsmodell, das eine allmähliche Ausdifferenzie-
rung der Götter annimmt, die, so Herodot, zunächst schlicht 'Götter' ge-
nannt wurden, dann - durch die Übernahme von den Ägyptern - Namen
erhielten und erst sehr spät, nämlich durch Homer und Hesiod, mit dem
ausgestattet wurden, was sie zu Protagonisten von Geschichten machen
konnte: Beinamen (έπωνυμίαι), Zuständigkeitsbereiche (τιμαί), Fertig-
keiten (τεχναί) und - last but not least - ihre Gestalten (εϊδεα). 92 Und da
das Frühere und Ursprünglichere für Herodot in der Regel Vorrang vor
dem Späteren hat, steht er den von den beiden großen griechischen Dich-
tern vollzogenen Neuerungen durchaus skeptisch gegenüber, auch wenn er
an der zitierten Stelle keine offene Kritik an ihnen übt.93
Wenden wir uns nun erneut den zwölf Tabuisierungen des Ägypten-
buches zu, so läßt sich zunächst insofern eine Kongruenz mit Herodots
Programmatik feststellen, als es sich auch bei diesen Auslassungen offen-
bar um Auslassungen von Göttergeschickten handelt - und zwar nicht nur
deshalb, weil Herodot gelegentlich auf ιεροί λόγοι verweist. Bei genaue-
rem Hinsehen zeigt sich, daß in allen der vorgeführten zwölf Beispiele
eben diejenigen Aspekte der Kulte verschwiegen werden, die eine ganz
wesentliche Voraussetzung dafür darstellen, daß die entsprechenden Göt-
ter zu handelnden Protagonisten von konkreten 'Geschichten' werden
können. Zunächst ist hervorzuheben, daß alle verschwiegenen λόγοι Göt-
ter betreffen: Es sind dies je einmal Pan (1), Hermes (4), die ägyptische

91
Vgl. oben bei Anm. 49-51.
92
Vgl. 2.53.2 (das genaue Verständnis der Begriffe τ ι μ α ί sowie τ ε χ ν α ί in diesem
Kontext bedarf durchaus einer Erörterung, die jedoch im Rahmen dieses Aufsatzes nicht
zu leisten ist); zum Evolutionsmodell: Linforth 1924, 284 und Burkert 1985, 124.
93
Daß Herodot Darstellungen anthropomorpher Götter mit Skepsis beurteilt, zeigt
sich ζ. B. in 1.60.3-5, wo er die Athener als 'einfältig' bezeichnet, weil sie bei der Rück-
führung des Peisistratos ein junges Mädchen im Gewand der Athena auftreten ließen, um
ihren Landsleuten zu suggerieren, die Göttin selbst führe Peisistratos zurück. Für 'einfäl-
tig' hält Herodot die Athener, weil sie die verkleidete Frau wirklich für Athena ansahen
und sie anbeteten; vgl. zu dieser Episode Sinos 1993. Zu Herodots impliziter Anthropo-
morphismuskritik, die durch Philosophen wie Xenophanes und Empedokles vorgeprägt
ist (vgl. dazu oben Anm. 52 und unten Anm. 122), vgl. auch Burkert 1990, 22 sowie die
oben in Anm. 47 und 51 angeführten Stellen. Zu seiner Einstellung gegenüber den Dich-
tern, vor allem Homer, vgl. auch 2.23 (Homer hat den N a m e n Okeanos erfunden; ähnlich
3.115.2); 2.116 (Homer über die Irrfahrt der Helena nach dem Raub durch Alexandros).
Zur Poetik der Leerstelle in Herodots Ägypten-Logos 71

Göttin Neith (6) und Demeter (12), dreimal Dionysos (2, 3, 7) und fünfmal
der jeweils nicht benannte, jedoch durch die Erwähnung der Klage um ihn
bezeichnete Osiris (5, 8, 9, 10, 11). Damit nimmt der griechische Gott
Dionysos (den Herodot ja mit Osiris gleichsetzt) in diesem negativen Pro-
gramm eine äußerst prominente Stelle ein: Ihm gelten acht von insgesamt
12 Tabus. Signifikant ist zudem, daß in drei Fällen die Leerstelle der Iko-
nographie eines Gottes gilt (man denke an die ε'ιδεα der Götter, die Hero-
dot mit den Dichtungen des Homer und Hesiod beginnen läßt): Warum
Pan von Griechen wie Ägyptern als Bock, warum Hermes von den Grie-
chen und Dionysos von den Ägyptern in je spezifischer Weise ithyphal-
lisch dargestellt wurden, will Herodot nicht preisgeben (1, 3, 4). Obwohl
die Geschichten über Götter nach der eingangs zitierten Äußerung (2.3)
ganz grundsätzlich vermieden werden sollen - gemäß der communis opi-
nio der modernen Forschung, weil man über die Götter schlichtweg nichts
wissen kann - , scheinen die hier ausgesparten Kultaitiologien, die vor al-
lem Pan, Hermes, Demeter und Osiris-Dionysos betreffen, 94 offenbar eine
eigene Klasse zu bilden, die eine besondere Distanzierung durch Schwei-
gen erfordert.
Was also unterscheidet die zwölf Passagen von anderen Götterge-
schichten, in denen Herodots Skrupel weniger augenfällig sind? Was ist
das gemeinsame Merkmal dieser zwölf Tabus, dessen Analyse mögli-
cherweise weiteren Aufschluß über Herodots Konzeptionalisierung der
griechischen Götter liefern kann? 95 In allen zwölf Fällen, so meine Ant-
wort auf diese Fragen, handelt es sich vor allem um solche Geschichten,
die direkt oder indirekt die Sexualität oder den Tod von Göttern - und
damit ihre Menschlichkeit und ihre Sterblichkeit - betreffen. 96 Auf den
Tod eines Gottes wird ohne Zweifel angespielt in den fünf Passagen, in

94
Auch das Tabu, das im Zusammenhang mit dem Fest der Neith Erwähnung findet,
scheint mir auf den toten Osiris hinzuweisen; vgl. oben Anm. 62 und unten bei Anm. 98.
95
In der bisherigen Forschung wurde diese Frage nach dem spezifischen gemeinsa-
men Nenner der zwölf Stellen meines Erachtens nicht mit genügender Insistenz gestellt.
Die Kontexte wurden entweder global als Mysterienkontexte ausgemacht, oder es wurde,
ebenso allgemein, auf Herodots grundsätzliche Ablehnung der Göttermythen hingewie-
sen. Entscheidend ist jedoch, was genau die zwölf verschwiegenen Kultaitia für Herodot
zu Geheimnissen macht, die er - ähnlich wie die der Mysterien, aber zugleich in einer
durchaus wissenschaftlichen Absicht - verschweigen möchte.
96
Vgl. Burkert 1990, 28, der von Herodots Verpflichtung spricht, über Götter, be-
sonders über sterbende Götter, nicht u n f r o m m zu reden, und zugleich betont, daß eine
solche Haltung "mit Skepsis gegen religiöse Spekulation durchaus Hand in Hand gehen"
kann.
72 Susanne Gödde

denen der Name des Osiris verschwiegen wird (5, 8, 9, 10, 11), denn des-
sen Tod und die Klage um ihn stehen im Zentrum aller Rituale, die das
Paar Isis und Osiris betreffen. Auch die Schweineopfer beim Vollmond-
Ritual für Dionysos (also Osiris) und Selene (Isis) verweisen, wie der Zu-
sammenhang mit Seth deutlich macht, auf den toten Osiris.97 Im Falle des
Lampenfestes in Sais (6), dessen ίερος λόγος möglicherweise einen kos-
mogonischen Mythos enthielt, in dem die Göttin Neith als Demiourgos
auftrat, mag von Interesse sein, daß dieselbe Göttin auch für die Mumien-
verhüllung verantwortlich zeichnete sowie als Schützerin des Osiris galt,
damit also ebenfalls auf den sterbenden Gott hindeutete. 98 Und wenn sich
der Verweis auf Orphisches und Bakchisches in dem Passus über das Ver-
bot wollener Kleider bei der Bestattung, wie von den meisten Forschern
angenommen, tatsächlich auf die Jenseitsvorstellungen bakchisch-orphi-
scher Mysterien bezieht, dann ist möglicherweise auch an dieser Stelle (7)
der Tod eines Gottes, nämlich des Dionysos, impliziert. 99 Die zwei Ka-
pitel, in denen Herodot Erklärungen für erigierte bzw. überdimensional
große Phalloi schuldig bleibt (3, 4), verweisen hingegen deutlich auf die
Sexualität von Göttern, und auch für die Bocksgestalt des Pan (1) wird
sich diese Verbindung nicht leugnen lassen. Schließlich bleibt das Ver-
schweigen genauerer Angaben zum Thesmophorienfest (12) zu erklären:
Die Frage nach der Bedeutung dieses zu Ehren der Demeter und der Per-
sephone allein von Frauen begangenen Festes stellt die moderne For-
schung bis heute vor Rätsel. Während ältere Deutungen in ihm einen
fruchtbarkeitsfördernden Kult sehen, stellen jüngere Erklärungsversuche

97
Vgl. oben Anm. 57.
98
Vgl. oben Anm. 62.
99
Zu den Deutungsproblemen hinsichtlich der Differenzierung orphischer und bak-
chischer Elemente vgl. die Literatur oben Anm. 63. - Herodots Gleichsetzung von Osiris
und Dionysos könnte von weitreichender Bedeutung für das Verständnis und die Rekon-
struktion der mythologischen Tradition des Gottes Dionysos sein. Da der ägyptische
Mythos von Osiris in dessen Zerreißung gipfelt und in allen Ritualen des Isis-Osiris-
Kultes an diesen Gewaltakt erinnert wird, liegt es nahe anzunehmen, daß Herodot auch
den griechischen Dionysos vorwiegend als einen 'leidenden' und 'sterbenden' Gott auf-
gefaßt hat. Hier jedoch die Überlieferung von der Zerreißung des Dionysos-Zagreus
durch die Titanen und den damit verbundenen orphischen Hintergrund zu implementie-
ren, beruht auf einem Anachronismus, denn dieses Detail des Dionysos-Mythos taucht in
unseren Quellen nicht vor dem 6. Jh. n. Chr. auf. Vgl. dazu Edmonds 1999; zur Gleich-
setzung von Osiris und Dionysos bei Herodot vgl. Burkert 1999, 80; zum Einfluß ägypti-
scher Elemente auf die bakchischen Mysterien sowie zur Kategorie des Leidens in deren
Kontext vgl. Schlesier 2001, 169-171 mit A n m . 48 (u. a. zu Herodot) sowie Schlesier
2003, zu Herodot 5-6.
Zur Poetik der Leerstelle in Herodots Ägypten-Logos 73

vorsichtiger die Definition der Geschlechterrollen ins Zentrum der Ana-


lyse dieses Festes. 100 Daß das Thema der Sexualität im Thesmophorienri-
tual eine Rolle spielte, dürften die Funde von ferkel- und phallosförmigen
Votivgaben belegen; und mit der Figur der Persephone gehörte auch der
'Tod' einer Göttin und die Trauer um diese zum mythischen Hintergrund
dieses Festes.
Nach dieser Auswertung der zwölf Passagen, in denen Herodot das
von ihm inszenierte Wissen oder Nichtwissen um ägyptische Kulte zum
Geheimnis erhebt und als literarische Strategie einsetzt, läßt sich konsta-
tieren, daß der skeptische Gestus, mit dem der Wissenschaftler Herodot zu
Beginn des zweiten Buches seine Vorbehalte gegenüber der Vorstellung
menschengestaltiger Götter äußert, auf denselben Sachverhalt zielt wie der
scheinbar religiös-rituell begründete Schweigegestus. Die aufklärerische
Haltung und die 'Mysterienformer haben dasselbe Ziel: Weit davon ent-
fernt, die Götter an sich zu leugnen, scheinen beide Strategien vor allem
die radikale Trennung zwischen Göttern und Menschen akzentuieren und
ihre Vermischung vermeiden zu wollen. Götter, die sich wie Menschen
verhalten, die Nachwuchs zeugen und sterben, werden mit einem Tabu
belegt, das Herodot möglicherweise erfindet, zumindest aber aus einem
religiösen Kontext in einen anderen überträgt und sich für seine Zwecke
aneignet. Die scheinbar aufklärerische Weigerung, von den Göttern zu
erzählen, die oftmals mit der Position der Sophisten verglichen wurde,
wird durch die Struktur seines Textes, durch die Wiederholung der religiö-
sen Schweigeformeln, in die Nähe eines rituellen Verbotes gerückt. Wis-
senschaftliche wie rituelle Strategien werden unterlaufen durch die Ver-
wendung des jeweiligen Gegenmodells. So demonstriert Herodots Text,
jenseits einer in biographischer Hinsicht zu verifizierenden Autorposition,
anhand der Inszenierung des Wissens um Götter und Kulte, daß Religion
und (Religions)Wissenschaft gleichermaßen mit der Konstruktion und
Überschreitung von Grenzen befaßt sind. Denn in der Tat verweist der
Gestus des Verschweigens auf eine Grenze, der nun eine letzte Überle-
gung gelten soll.

100
Vgl. Burkert 1977, 242-246; Detienne 1979 und oben Anm. 66.
74 Susanne Gödde

6. του θεοϋ άπεόντος - Heroen als GreriTfiguren

Die Leerstelle, die an der Grenze zwischen Götter- und Menschenwelt


durch das Abbrechen der Rede erzeugt wird, um beides voneinander zu
trennen, beschwört die Geister, die sie vertreiben will, zugleich auch her-
bei. Denn Schweigen ist bekanntlich beredt, und das vom Geheimnis Um-
hüllte ist häufig alles andere als gebannt. Wie sehr Herodot mittels der
Aposiopesen das Verschwiegene zugleich zitiert und exponiert,101 hängt
davon ab, wie gut sein Publikum den Inhalt der ausgesparten Aitia und
Kultgeschichten gekannt hat (und ob es sie tatsächlich gegeben hat). Setzt
man die herausgearbeitete Grenzziehung ins Verhältnis mit seinem ge-
samten Werk, so ist festzustellen, daß er sein Prinzip, die Geschichten
anthropomorph agierender Götter auszuschließen, im wesentlichen be-
folgt.102 Auch verzichtet er in den neun Büchern nahezu vollständig auf
die detaillierte Beschreibung von anthropomorphen Götterbildern, obwohl
die doch von Menschen hergestellt sind und demnach seinem Bericht zu-
gänglich sein müßten. Wenn α γ ά λ μ α τ α erwähnt werden, wird deren
menschliche Gestalt in der Regel nicht beschrieben.103 Doch ein Befund
scheint die von Herodot konstruierte markante Grenze zwischen Göttern
und Menschen massiv zu irritieren: Während Heroen, die vor ihrem Tod
unmißverständlich als Menschen lebten, weil sie zwei menschliche Eltern
hatten, und die nach ihrem Tod heroisiert wurden und kultische Verehrung
erhielten, für Herodots Religionskonzept kein oder zumindest kein größe-
res Problem darstellen,104 wird sein Interesse auf beunruhigende und am-
bivalente Weise immer wieder gerade von solchen Figuren angezogen, die
nach seiner Auffassung möglicherweise weder eindeutig als Götter noch
eindeutig als Menschen zu bestimmen sind. Es handelt sich hier vor allem
um Dionysos, Pan, Herakles und Perseus.

101
Vgl. oben Anm. 81.
102
Zu den Ausnahmen vgl. oben Anm. 51.
103
Ausnahmen von dieser Beobachtung finden sich etwa in 3.37.2-3 (Beschreibung
des Bildes des Hephaistos, das Kambyses verspottet, als π υ γ μ α ί ο υ α ν δ ρ ό ς μίμησις);
6.82.2 (Erwähnung eines Hera-Bildes, aus dessen Brust ein Feuerstrahl hervorleuchtet);
vgl. auch die Erwähnung theriomorpher Götterbilder in 2.41.2 (Isis mit Rinderhörnern);
2.42.4-6 und 4.181.2 (Zeus mit Widderkopf); 2.46 (Pan mit Ziegenkopf und Bocksfü-
ßen).
104
Allerdings betont Herodot, daß die Ägypter keine Heroen verehrten, was er of-
fenbar als Indiz der Überlegenheit der ägyptischen Religion über die griechische ansieht
(2.50.3).
Zur Poetik der Leerstelle in Herodots Ägypten-Logos 75

Dem Status des Herakles widmet Herodot sich besonders ausführ-


lich,105 und diese Kapitel werden in der Forschung immer wieder als der
schwerwiegendste Verstoß gegen sein Prinzip, keine Göttergeschichten zu
erzählen, gewertet.106 Die Rekonstruktion der Entstehung dieser Figur und
ihres Transfers von Ägypten nach Griechenland führt für Herodot zu dem
Ergebnis, daß der ägyptische Gott vom griechischen Heros - den er als
den 'anderen' Herakles einführt (του έτερου δέ πέρι Ήρακλέος, 43.1) -
säuberlich zu trennen sei.107 Während Herakles in Ägypten einer der soge-
nannten 'zwölf Götter' sei, die auf die früheren 'acht' folgten, wird er für
Griechenland eindeutig als Heros konzeptionalisiert, als dessen Eltern
allein Amphitryon und Alkmene, also zwei Sterbliche, in Frage kommen.
Ein Mensch bzw. Heros, der darüber hinaus zu einem Gott erhoben wird,
wie es Herakles in Griechenland bisweilen widerfährt, findet in Herodots
religiösen Kategorien keinen Platz, und um jegliche Göttlichkeit von dem
einstigen Menschen Herakles fernzuhalten, muß die Verbindung zwischen
Zeus und Alkmene konsequent verschwiegen werden 108 - eine weitere als
poetologisch zu fassende Leerstelle in Herodots Reflexion der polytheisti-
schen Religion. Die sich anschließende Anekdote von der versuchten Op-
ferung des Herakles durch die Ägypter (2.45) dient Herodot vordergründig
als Beispiel für die Einfaltigkeit der Griechen, die solche fehlerhaften Ge-
schichten erzählen. Zugleich aber mit dem Nachweis der Uninformiertheit
seiner Landsleute hinsichtlich religiöser Kulte und Mythen gelingt es He-
rodot, erneut die Menschlichkeit des Herakles zu statuieren, denn wäre er
ein Gott oder ein Halbgott, dann könnte man wohl erst recht keine - wenn
auch falsche - Geschichte über seine Opferung erzählen. Herodot kann
den Verlauf dieser Geschichte nur unter der Prämisse, daß es Herakles
gegeben hat und daß er zum Zeitpunkt der Handlung ein Mensch war, als

105
2.43-45 (vgl. auch 145-146); dazu Zographou 1995, 194-198.
106
Vgl. Linforth 1924, 280-281 und 289-292; Lloyd 1976, 18; Lateiner 1989, 2 4 7
Anm. 17; Harrison 2000, 187. Zum Versuch einer Korrektur dieser Ansicht vgl. unten
nach Anm. 121.
107
Zographou 1995, 198 mit Anm. 49 geht davon aus, daß Herodot fur die griechi-
sche Religion lediglich einen Menschen und einen Gott Herakles reklamiert, nicht aber
einen Heros dieses N a m e n s und daß er darin den Ägyptern folgt, bei denen es keine He-
roenverehrung gab (vgl. allerdings seine zu dieser Behauptung im Widerspruch stehende
Aussage 199: "Herodote tire profit du double culte d'Heracles en tant que dieu et heros");
meines Erachtens folgt jedoch aus 2.44.5 eindeutig, daß Herodot die griechische Tradi-
tion des nach seinem Tod heroisierten Menschen Herakles durchaus akzeptiert.
108 Yg] 2.44.4: τον Ά μ φ ι τ ρ ύ ω ν ο ς Ή ρ α κ λ έ α . - Goulds Referat dieser Passage
(1989, 11) ist irreführend, da er unterstellt, Herodot spreche von "Herakles, son of Zeus".
76 Susanne Gödde

unmöglich, weil unwahrscheinlich, entlarven. 109 Die diese Passage ab-


schließende Wendung - 'Uns aber die wir darüber schon zu viel gespro-
chen haben, möge von den Göttern und von den Heroen Wohlwollen zu-
teil werden' - , die von vielen Forschern als deutliches Indiz für Herodots
Frömmigkeit verstanden wird,110 zeigt erneut, wie sehr wissenschaftlicher
und religiöser Duktus ineinandergreifen. Die Gebetsformel dient dazu,
eine Diskussion abzubrechen, die Herodots wissenschaftlichem Programm
zu widersprechen droht, indem sie weitere Nachforschungen über die po-
tentielle Göttlichkeit eines Menschen provoziert.
Auch die göttlichen Anteile an der Figur des Perseus werden im Ge-
stus der Praeteritio ausgeblendet: Im sechsten Buch berichtet Herodot, daß
die Dorer durch ihre Kataloge nachweisen können, daß ihre Könige 'bis
hinauf zu Perseus, Danaes Sohn - um den Gott zu übergehen' 111 Hellenen
gewesen seien. Wie im Falle des Herakles bleibt der göttliche Vater Zeus
unerwähnt. 112 Und Herodot erläutert dieses Vorgehen gleich im Anschluß
mit den Worten:

ελεξα δέ μέχρι Περσέος τοΰδε εινεκα, ά λ λ ' ουκ ανέκαθεν ετι


ελαβον, δτι ούκ επεστι έπωνυμίη Περσέϊ ουδεμία πατρός θνη-
τού, ώσπερ Έ ρ α κ λ έ ϊ Άμφιτρύων. (6.53.2)

Ich sagte aber 'bis hinauf zu Perseus' und griff nicht noch weiter hinauf, aus
dem Grunde, weil Perseus keinen Z u n a m e n von einem sterblichen Vater hat,
wie Herakles den des Amphytrion.

109 v g l . 2.45.3, w o Herodot an die Frage κώς α ν ούτοι [sc. die Ägypter] α ν θ ρ ώ π ο υ ς
θ ΰ ο ι ε ν ; ( ' w i e könnten die wohl M e n s c h e n o p f e r n ' ) die Erklärung anfügt: ετι δ έ ε ν α
έόντα τον Ή ρ α κ λ έ α κ α ι ετι ά ν θ ρ ω π ο ν , ώς δή φ α σ ι ... ( ' U n d dann, Herakles war doch
allein und noch ein Mensch, wie sie sagen'). Das zweite ετι greift die Perspektive der
Griechen auf, die diese Geschichte von Herakles erzählen, bevor sie einen Gott aus ihm
gemacht haben.
110
2.45.3: κ α ι περί μεν τ ο ύ τ ω ν τ ο σ α ΰ τ α ή μ ΐ ν ε ί π ο ΰ σ ι κ α ι π α ρ ά των θ ε ώ ν κ α ι
π α ρ ά τών η ρ ώ ω ν ε ύ μ έ ν ε ι α εΐη. - Vgl. Linforth 1925, 282: "Here indeed Herodotus'
piety is a little troubled. And no wonder! He has been calling in question the real nature
of a divine being w h o was widely worshiped in Greece." Vgl. auch 290; Harrison 2000,
188 spricht von "his most emphatic expression of pious caution".
111
6.53.1: του θεοΰ άπέοντος.
112
Auch in 2.91.2 und 7.150.2 wird Perseus lediglich als Sohn der Danae ausgewie-
sen.
Zur Poetik der Leerstelle in Herodots Ägypten-Logos 77

Nur solange es sich um Menschen handelt, läßt sich deren Genealogie 113
verläßlich rekonstruieren; in den Bereich göttlicher Chronologie will
Herodot hier, anders als im zweiten Buch, zu dem ich nun zurückkomme,
nicht eindringen.
Die strikte Differenzierung zwischen dem nach seinem Tod heroisier-
ten Menschen Herakles und dem (ägyptischen und von den Griechen spä-
ter übernommenen) Gott Herakles (2.43-45) wird ergänzt und unterstützt
durch das, was Herodot, wie er später im zweiten Buch berichtet, von den
ägyptischen Priestern erfahren hat, nämlich daß während der letzten 11340
Jahre 'kein Gott in Menschengestalt aufgetreten' sei (θεόν άνθρωποειδέα
ούδένα γενέσθαι, 2.142.3). Diese lange Phase der 'Abwesenheit der Göt-
ter' illustrieren die Priester in Gestalt einer Reihe von Holzstatuen, die in
einer Halle aufgestellt sind und die in der Vergangenheit jeweils im Tem-
pel tätigen Oberpriester darstellen, so daß die Zahl der Bilder, insgesamt
335, der Zahl der vergangenen Generationen entspricht (2.143). Die Mate-
rialisierung von Zeit, die diese Bilderreihe darstellt,114 diente den Priestern
nach Herodot dazu, seinen ethnographischen Vorgänger Hekataios zu wi-
derlegen, der behauptet hatte, im sechzehnten Glied seiner Ahnen von
einem Gott abzustammen. Die Kette der 335 Generationen von 'Piromis'
- das ist der ägyptische Begriff für 'Edle' - soll den zwingenden Beweis
erbringen, daß es in dieser Zeit keinen Kontakt zwischen Menschen und
Göttern gegeben habe - dies legt Herodot seinen Informanten gleich drei-
mal in unmittelbarer Folge in den Mund. 115
Die Aussage der Priester nun, daß es vor dieser Zeit durchaus Götter
als Regenten in Ägypten gegeben habe, die mit den Menschen zusammen-

113
Vgl. 6.54.1: τ α ύ τ α μεν ν υ ν κ α τ ά τ ά " Ε λ λ η ν ε ς λ έ γ ο υ σ ι γ ε γ ε ν ε η λ ό γ η χ α ι ( ' S o
steht es mit der Genealogie nach dem, was die Hellenen sagen'). Zur V e r w e n d u n g des
Verbums γ ε ν ε η λ ο γ ε ΐ ν vgl. unten Anm. 121.
114
Vgl. zu dieser Episode Assmann 1997, 73 und 191, der annimmt, daß die Anek-
dote auf einem Mißverständnis beruht, das bereits ägyptisch sei. Die Statuen hätten nicht
ursprünglich diesem Zweck der Dokumentation von Zeit gedient, seien aber in der Spät-
zeit von den geschichtsbewußten Ägyptern in dieser Weise gedeutet und Besuchern des
Tempels vorgeführt worden.
115
2.143.4: ού δ ε κ ό μ ε ν ο ι [sc. οί ίρέες] π α ρ ' α ύ τ ο ΰ ά π ο θ ε ο ΰ γ ε ν έ σ θ α ι ά ν θ ρ ω π ο ν
('wollten ihre Meinung nicht gelten lassen, daß ein Mensch von einem Gott abstamme');
weiterhin: και ο ΰ τ ε ές θεόν οΰτε ές η ρ ω α ά ν έ δ η σ α ν α υ τ ο ύ ς ( ' u n d verknüpften sie weder
mit einem Gott noch mit einem H e r o s ' ) ; 2.144.1: τ ο ι ο ύ τ ο υ ς [sc. τ ο υ ς π ι ρ ώ μ ε ι ς ]
ά π ε δ ε ί κ ν υ σ ά ν σ φ ε α ς π ά ν τ α ς έόντας, θεών δέ π ο λ λ ό ν α π α λ λ α γ μ έ ν ο υ ς ( ' S i e erklärten
nun also, alle, deren Bilder da standen, seien Leute der Art, von Göttern völlig verschie-
den').
78 Susanne Gödde

gewohnt hätten (2.144.2), bildet in Herodots Darstellung den Übergang


von der menschlichen zur dieser vorausgehenden göttlichen Chronologie
und damit zu einer Reflexion der Schnittstelle zwischen Götter- und Men-
schenzeit. Dabei gilt sein ganz besonderes Interesse den jüngsten Göttern.
Diese - es handelt sich für die griechische Religion nach Herodot um Pan,
Herakles und Dionysos - stammen alle drei von menschlichen Müttern ab
(von Penelope, Alkmene und Semele) und sind jeweils 800, 900 und 1000
Jahre vor Herodots Zeit 'geboren' worden. Zunächst fällt auf, daß Herodot
hier Götter zu akzeptieren scheint, die einer Vermischung zwischen
Mensch und Gott entstammen, was er in den zuvor zitierten Ausführungen
zu Herakles (und auch zu Perseus) ausgeblendet hatte. Entsprechend wird
die Unterscheidung zwischen dem göttlichen und aus Ägypten stammen-
den Herakles und dem griechischen Heros an dieser Stelle nicht mehr in
derselben Schärfe aufrecht erhalten. Obwohl das Thema dieser Passage die
'jüngsten der griechischen Götter' sind (145.1), spricht Herodot im Zu-
sammenhang mit Herakles zunächst vom Sohn der Alkmene (145.4) und
später von Έ ρ α κ λ έ η ς ό έξ Άμφιτρύωνος γενόμενος (146.1) und be-
zeichnet ihn, anders als Dionysos und Pan, als einen Menschen (146.1),
für den eine mögliche Vaterschaft des Zeus nicht in Frage kommt.
Eine weitere Auffälligkeit, nämlich die deutliche Differenz zwischen
Alter und Herkunft der ägyptischen und der griechischen Götter, kann den
im zweiten Buch immer wieder betonten Prozeß des interkulturellen Göt-
ter-Transfers genauer beleuchten: Wenn nach Herodot der ägyptische Osi-
ris dem griechischen Dionysos entspricht (144.2), so wird in dieser Pas-
sage deutlich, daß der Name 'Dionysos' zwar auf Griechisch 'Osiris' be-
deutet, dieser griechische Gott aber zu einem späteren Zeitpunkt und von
anderen Eltern 'geboren' wurde, also keinesfalls dieselbe Genealogie be-
sitzt wie der ägyptische Osiris. 116 Die Identität beschränkt sich auf den
Namen und, wie wir gesehen haben, auf einige Berührungspunkte im Ri-

116
Vgl. Zographou 1995, 200 Anm. 58. Es scheint mir wichtig zu betonen, daß He-
rodots These des ägyptischen Ursprungs der griechischen Religion als Konstruktion zu
betrachten ist, die weder dazu verleiten sollte, sie zu verifizieren (so etwa Zographou
1995, 201 Anm. 62 mit Material zur Herkunft des Gottes Dionysos), noch Herodot Un-
genauigkeit und Uninformiertheit vorzuwerfen. Statt dessen gilt es, ihr Reflexionspoten-
tial zu erkennen und dieses eher in systematischer als in historischer Hinsicht für Hero-
dots Theorie der Religion auszuwerten. Vgl. dazu Bowie 2004, 261: "At times we shall
have to consider the 'accuracy' of some of these passages, but this will not [be] for the
purpose of judging Herodotus' veracity, but of seeing what it is he does with the tradi-
tions he came into contact with."
Zur Poetik der Leerstelle in Herodots Ägypten-Logos 79

tualprogramm. 117 Die 'Entstehung' des Dionysos, die Herodot hier auf
1000 Jahre vor seiner eigenen Lebenszeit datiert, entspricht jedoch nicht
der Kreation und Erfindung der Götter sowie ihrer Ausstattung mit Funk-
tionen und Gestalten durch Homer und Hesiod, denn deren Dichtungen
hatte Herodot ja 400 Jahre vor seiner eigenen Zeit angesetzt (2.53). Nach
seiner Ansicht war es Melampus, der den Namen und die Riten des Dio-
nysos bei den Griechen eingeführt hatte (2.49).118 Zugleich aber wird die
Geburt des Dionysos und der anderen Götter in diesem Passus als ein
scheinbar historisches Faktum behandelt. Herodot beschließt die Passage
über die Chronologie der Götter mit einer Wendung, die im weitesten
Sinne unter die besprochenen Leerstellen gezählt werden kann:

τούτων ών αμφοτέρων πάρεστι χρασθαι τοΐσί τις πείσεται


λεγομένοισι μάλλον· έμοί δ' ών ή περί αυτών γνώμη άποδέδεκ-
ταν. (2.146.1)

Von diesen beiden [Betrachtungsweisen] die zu verwenden, die ihm mehr ein-
leuchtet, steht j e d e m frei. Ich meinerseits habe meine Meinung darüber ausge-
sprochen.

Lediglich allusiv löst Herodot die schwierigen Probleme, die er mit dem
Versuch der Historisierung der Göttergenealogie aufgeworfen hat: Was
genau 'seine Meinung über diese Dinge' ist, sagt er nicht.119 Der Fortgang
des Kapitels macht deutlich, daß sein Unternehmen für ihn weniger wider-

117
2.48-49. - Das genauere Verhältnis von kulturellem D i f f u s i o n i s m u s einerseits
und der von den Dichtern vorgenommenen ' N e u - E r f i n d u n g ' der Götter andererseits be-
d a r f w e i t e r e r Analysen, die über den Rahmen dieses Aufsatzes hinausgehen würden.
118
Vgl. dazu Zographou 1995, 200.
119
Aus dem griechischen Text geht nicht eindeutig hervor, was das Bezugswort von
α μ φ ο τ έ ρ ω ν ist. Die Übersetzer bedienen sich hier erläuternder Paraphrasen, um den Be-
zug herzustellen: Marg 1973 wie oben (eckige Klammer von mir hinzugefügt); Horneffer
1955: " W a s nun Dionysos und Pan betrifft, so mag man derjenigen Sage folgen, die man
für glaubwürdig hält. Meine eigene Meinung über die Herkunft der hellenischen Götter
habe ich bereits dargelegt."; anders Brodersen 2005: "Von diesen beiden (Griechen und
Ägyptern) benutzt nun j e d e Seite an den Geschichten, was ihr einleuchtet." - Will man
Marg und Horneffer (vgl. auch Lloyd 1989 ad loc., der annimmt, daß Herodot sich hier
auf seine A u s f ü h r u n g e n in den Kapiteln 43-49 bezieht) folgen, dann dürften mit den
"beiden Betrachtungsweisen" die ägyptische (vom hohen Alter der Götter Pan, Herakles
und Dionysos) und die griechische (nach der diese Götter zu den jüngsten zählen) ge-
meint sein (2.145); Herodot erzeugt hier den Eindruck, nur eine der beiden könne die
richtige sein; doch scheint seine eigene Position darin zu bestehen, daß beide Betrach-
tungsweisen einander gerade nicht ausschließen.
80 Susanne Gödde

ständig wäre, wenn auch Dionysos und Pan wie Herakles 'vor aller Augen
gelebt hätten und in Griechenland alt geworden wären' (εί μεν γαρ
φανεροί τε έγένοντο και κατεγήρασαν καί ούτοι έν τη Ε λ λ ά δ ι ,
146.1).120 Doch Dionysos wurde gleich nach seiner Geburt, wie die Grie-
chen erzählen, von Zeus in dessen Schenkel eingenäht und dann nach
Nysa gebracht, während sie von Pans weiterem Schicksal überhaupt nichts
wissen (146.2). So ist der Historiker mit der Aufgabe konfrontiert, 'un-
sichtbare' Götter (solche, die vor niemandes Augen gelebt haben) in die
Chronologie aller Wesen einzureihen, und es stellt sich die Frage, inwie-
weit diese Untersuchung noch dem Programm entsprechen kann, über die
θεία πρήγματα nicht spekulieren zu wollen. Herodot entkommt diesem
Dilemma, indem er in seinem Resümee die Entstehung der Götter erneut
als einen vorwiegend menschlichen Akt ausweist und somit den Akzent
von der Historizität ihrer γένεσις auf das γενεηλογεΐν der Menschen ver-
schiebt (146.2):

δήλα ών μοι γέγονε δτι ύστερον έπύθοντο οί "Ελληνες τούτων


τά ούνόματα ή τά των άλλων θεών. άπ' ού δέ έπύθοντο χρόνου,
άπδ τούτου γενεηλογέουσι αύτών την γένεσιν.

Mir ist also deutlich geworden, daß die Hellenen deren Namen später erfahren
haben als die der andern Götter. Von der Zeit an, zu der sie sie [jc. die Namen]
erfahren haben, von da an haben sie ihre [.sc. der Götter] Entstehung in Form
einer Genealogie erzählt.121

Festzuhalten bleibt, daß sowohl die jungen Götter als auch die Heroen für
Herodots wissenschaftliches Unternehmen die allergrößte Herausforde-
rung darstellen. In diesen Wesen berühren sich, ebenso wie in den oben

120
Daß Herodot den Sohn der Semele als "Dionysos-mortel" versteht, wie Zogra-
phou 1995, 202 Anm. 68 meint, geht allerdings aus dem Text nicht hervor.
121
Übersetzung und Hervorhebung S. G. Die Übersetzungen von Horneffer 1955
("Die Zeit in der sie sie kennengelernt haben, nehmen sie als Zeit ihrer Geburt an.") und
von Marg 1973 ("Und in die Zeit, in der sie ihre Namen erfahren haben, setzen sie ihre
Entstehung und ordnen so deren Geschlechter ein.") verschleiern, daß γένεσιν hier das
Objekt des γενεηλογεΐν und damit die Geburt der Götter Gegenstand von Erzählungen
ist. Daß Herodot das Verbum γενεηλογεΐν mit besonderem Nachdruck verwendet, zeigt
dessen fünfmalige Wiederholung in 2.143: Hekataios wird zweimal als Ε κ α τ α ί ο ς γενεη-
λογήσας bezeichnet, von dem sich Herodot selbst als ού γενεηλογήσας absetzt, während
die Erwiderung der Ägypter zweimal mit dem Verbum ά ν τ ι γ ε ν ε η λ ο γ ε ΐ ν benannt wird.
Herodot gebraucht das Verb γενεηλογεΐν ebenfalls im Zusammenhang mit der Herkunft
des Perseus, also in einem Kontext, in dem es erneut um die Grenze zwischen Göttern
und Menschen geht (vgl. oben Anm. 112 und 113).
Zur Poetik der Leerstelle in Herodots Ägypten-Logos 81

behandelten und durch Herodots strategisches Interesse überformten


ägyptischen Kulten, potentiell Götter- und Menschenwelt, und die Szena-
rien, die die Ägypter auf eine Zeit vor 11340 Jahren datieren, vollziehen
sich nach Herodots Berechnungen in einer deutlich jüngeren Vergangen-
heit. So droht der mühsam unternommene Versuch einer Trennung von
Menschen und Göttern, dem die den Mysterien entlehnten Aposiopesen
bei der Darstellung der Kulte galten, durch die Rekonstruktion einer kon-
sistenten Chronologie erneut unterlaufen zu werden. Daher haben viele
Interpreten gemeint, daß Herodot hier und ganz besonders in seinen Aus-
führungen über Herakles, gegen sein Prinzip verstoße, von den θεία nicht
zu sprechen. Doch indem er einerseits, was die Heroen betrifft, immer
wieder die göttlichen Elternteile ausblendet und andererseits, hinsichtlich
der Götter, immer wieder auf die von Menschen erdachten Darstellungs-
modi - zumal das γενεηλογεΐν - hinweist, lassen sich auch diese Ausfüh-
rungen durchaus im Sinne des ursprünglichen Programms verstehen. Da-
bei ist freilich zu beobachten, daß Herodot dort, wo die Grenze zwischen
Göttern und Menschen diffus zu werden scheint, anstatt prägnante Aussa-
gen über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit solcher Verbindungen zu
machen, immer wieder in den Modus der Aposiopese oder Praeteritio ver-
fällt.

7. Resümee: Religion und Religionswissenschaft

Um der Frage nach einer 'Poetik des Rituals' im Werk Herodots nachzu-
gehen, habe ich mich nicht dem im engeren Sinne 'literarischen' Herodot
zugewandt, dem Erzähler von Geschichten, sondern statt dessen dem Re-
ligionswissenschaftler Herodot. Ich habe versucht zu zeigen, wie religiöse
Geheimhaltungsrituale in Herodots Diskurs zu Modi der Reflexion und
zugleich zu Elementen einer 'rituellen Poetik' werden. Dabei ist nicht
immer eindeutig auszumachen, wie gezielt Herodot sein Programm ver-
folgt: Wissenschaftliche und religiöse Darstellungsmuster greifen ineinan-
der, und bisweilen entsteht gar der Eindruck, Herodot bewältige sein Ma-
terial nicht mit der zu erwartenden Konsistenz, sondern gerate in den Stru-
del der kaum zu beherrschenden Eigendynamik des polytheistischen Sy-
stems. Gleichwohl lassen sich Berührungspunkte zwischen religiösen
Skrupeln, dem Umgang mit Ritualen und seinem theoretischem Anspruch
ausmachen: Die Vorstellung, daß die Götter, die von Herodots Zeitgenos-
82 Susanne Gödde

sen verehrt werden und die das weltpolitische Geschehen steuern und ver-
antworten, in Aussehen und Verhalten den Menschen selbst ähneln, er-
zeugt bei Herodot sowohl persönliches als auch theoretisches Unbehagen.
Es ist dieser in seiner Kultur ubiquitäre Anthropomorphismus, gegen den
er (bewußt oder unbewußt) anschreibt und den er als eine Erfindung der
Menschen, zumal der Dichter, entlarvt, ohne deshalb die Existenz der
Götter, ja ihre Historizität bezweifeln zu wollen. Er bewegt sich dabei auf
einer fragilen Grenze zwischen einem essentialistischen und einem kon-
struktivistischen Religionsverständnis. 122
Herodots implizite Anthropomorphismuskritik trifft auf besonders bri-
santes Material im Bereich der griechischen Mysterienkulte. Die Frage
nach dem verbindenden Element aller zwölf Aposiopesen und zudem der
beiden programmatischen Äußerungen hat uns zu Göttern geführt, deren
tradierte Geschichten durch die auffällige Akzentuierung der Sexualität
oder des Sterbens ihrer Protagonisten gekennzeichnet sind. Daß diese
Götter zugleich fast alle im weitesten Sinne auf griechische Mysterien-
kulte verweisen, 123 provoziert die Frage, was für ein Verständnis dieser
Kultformen Herodots allusivem Umgang mit ihnen zugrunde liegt. Wie
genau ist der strukturelle Zusammenhang zwischen der Sterblichkeit eines
Dionysos-Osiris oder der Verehrung von dessen Phallos und den Unsterb-
lichkeitsverheißungen etwa der bakchischen Mysterien zu verstehen? Das-
selbe ließe sich fragen hinsichtlich der von Herodot suggerierten Promi-
nenz der Sexualität in den samothrakischen Mysterien oder der Tabuisie-
rung von Kulthandlungen im Bereich der eleusinischen Gottheiten Deme-
ter und Persephone. Wie verhalten sich die Seligkeitsversprechen dieser
Kulte, die Herodot übrigens mit keinem Wort thematisiert, zu der von ihm

122
Die Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen der impliziten Religionskritik
Herodots und der expliziten einiger der vorsokratischen Philosophen wären in einer eige-
nen Studie genauer herauszuarbeiten. Vgl. zu den relevanten Fragmenten bereits oben
Anm. 52. Auf den ersten Blick fällt auf, daß Herodot die Götter, etwa die des Epos, an
keiner Stelle aus moralischen Gründen, nämlich weil sie Kriege führen und ehebrechen,
kritisiert, wie dies ζ. B. bei Xenophanes der Fall ist (21 Β 11 DK). Auch steht 'das Gött-
liche' bei Herodot, anders als bei einigen der vorsokratischen Philosophen, nicht im Ge-
gensatz oder im Widerspruch zu einer polytheistischen Kultpraxis (dazu etwa Heraklit 22
Β 5 DK). Schließlich ist hervorzuheben, daß Herodot das Göttliche nicht, wie etwa Xe-
nophanes oder Empedokles, mit einem Geist ( ν ο υ ς bzw. φ ρ ή ν ) ausstattet, der die ge-
samte Welt lenkt (21 Β 25 und 31 Β 134 DK). Der Gedanke, daß Gott unaussprechlich
sei, findet sich, verbunden mit der Negation der anthropomorphen Gestalt, bei Empedo-
kles (31 Β 134 DK).
123
Dies trifft wohl am wenigsten deutlich auf Pan zu.
Zur Poetik der Leerstelle in Herodots Ägypten-Logos 83

diagnostizierten und zugleich tabuisierten 'Menschlichkeit' der ihnen vor-


stehenden Götter?
Diese Fragen ergeben sich aus den hier gemachten Beobachtungen zu
Herodots Poetik des Rituals, können jedoch an dieser Stelle nicht weiter
vertieft werden. Herodots Historiai, so konnte gezeigt werden, umspielen
in allusiver Weise die Grenze - und damit die Gemeinsamkeiten - zwi-
schen Göttern und Menschen, wie sie im Anthropomorphismus der grie-
chischen Mythologie ihren Ausdruck finden. Der rituelle Gestus des Ver-
schweigens figuriert als Versuch einer Grenzziehung zwischem Erlaubtem
und Verbotenem. Doch im Kult wie in der Literatur ist er zugleich dazu
geeignet, diese Grenze besonders zu exponieren. Was Herodots Ge-
schichtsschreibung mit den antiken Mysterien verbindet - und diese Ver-
bindung wird allein durch die Struktur des literarischen Textes erzeugt
ist die 'rituelle' Inszenierung der gefährlichen Grenzüberschreitung zwi-
schen dem Bereich der Menschen und dem der Götter. Die Vermittlerfigu-
ren, die diesen Übergang bezeichnen, heißen Osiris und Dionysos, Deme-
ter, Hermes und Pan, aber auch Herakles und Perseus. Indem Herodot be-
stimmte Elemente der Mythen und Kulte dieser Figuren gezielt und osten-
tativ verschweigt, erzählt und reflektiert er sie auf poetische Weise.

Susanne Gödde
Institut für Religionswissenschaft, FU Berlin
84 Susanne Gödde

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' S c h ö n nämlich ist das W a g n i s ' .
Rituelle Handlung und mythische Erzählung in Piatons Phaidon

Einleitung

Das Thema unseres Kolloquiums zu 'Literatur und Religion' umfaßt die


großen Bereiche der Literaturwissenschaft, Theologie und Religionswis-
senschaft. Fragt man nach dem literarischen Aspekt der Religion, wird
man ihn in erster Linie in Erzählungen finden, die abstrakte Glaubenssätze
und ethische Prinzipien illustrieren, tradieren und bis zu einem gewissen
Grad auch inszenieren. So ist vom Inszenierungscharakter der religiösen
Ausdrucksformen im Kultdrama und Lehrgespräch, von den typischen
narrativen Strukturen, wie sie sich im Mythos finden, vom fiktionalen
Aspekt dieser Darstellungen, in denen sich eine hohe literarische Qualität
zeige, die Rede.1 Umgekehrt sind in der Literatur oft religiöse Motive und
Themen enthalten, deren Analyse und Verständnis Voraussetzung für die
Interpretation der Texte sind, wenn man sie in ihrer Mehrschichtigkeit er-
fassen will. Es handelt sich häufig um poetische und bilderreiche Texte
wie diejenigen Friedrich Hölderlins oder Paul Celans, in der antiken Lite-
ratur besonders um die Lieder der Lyrik und Chorlyrik, zum Beispiel Sap-
phos, Alkmans oder des Aischylos.
Was Piatons Dialoge betrifft, so gehören diese in die Kategorie der
philosophischen Texte, scheinen also auf den ersten Blick nicht ganz in
unseren Rahmen zu passen. Man wird die Dialoge weder dem Bereich der
Religion zuordnen, auch wenn es entsprechende Versuche gegeben hat,
noch demjenigen der Literaturwissenschaft, obwohl die Texte eine sehr
hohe literarische und poetische Qualität besitzen. Doch sind einige Ele-
mente, wie man sie für Literatur in religiösen Kontexten festgestellt hat,
auch hier zu beobachten. Da ist zum einen der Inszenierungscharakter
anzuführen, wie er sich in den Dialogen allein schon im Lehrgespräch
äußert, das zwischen Lehrer und Schülern oder im Kreis von Freunden
stattfindet und von letzten Dingen handelt, die nur schwer faßbar sind.

1
Braungart 1996, bes. 3 3 - 3 9 , 1 3 9 - 1 4 7 , w o die zentrale Fragestellung v o n 'Ritual
und Literatur' im w e i t e r e n K o n t e x t v o n ' R e l i g i o n und Literatur' positioniert wird;
Dücker 2 0 0 4 ; Hammer 2 0 0 4 . Zur Antike vgl. Bierl 2 0 0 2 .
92 Eveline Krummen

Zum anderen läßt sich manchmal eine festliche oder sogar kultische
Einbindung der Dialoge beobachten, wenn zum Beispiel im Phaidros
Sokrates und sein junger Begleiter zum Musenheiligtum am Iiissos gehen
oder im Symposion der Tragödiensieg Agathons gefeiert wird. Doch auch
literarische, narrative und fiktionale Elemente lassen sich in den Texten
finden, die besonders in den Mythen zum Ausdruck kommen, in denen
wiederum religiöse Motive und Vorstellungen zahlreich sind, zum
Beispiel in den Jenseitsmythen, die auf den eleusinischen und orphisch-
dionysischen Bereich verweisen. Wie diese Inhalte zu beurteilen sind,
welche Stellung insbesondere die Mythen im Verhältnis zur Dialektik und
zum logos haben, sind immer noch offene Fragen der Piatonforschung. 2
Sind die Mythen ironische Gedankenspielerei (K. Reinhardt) oder eine
Gestalt der Wahrheit (J. Pieper)?3
Ausgehend vom Thema unserer Tagung werden zuerst die oben be-
schriebenen kultisch-rituellen Phänomene im Rahmenthema eines Dialogs
besprochen und im Hinblick auf ihren zeitgenössischen Kontext und ihre
Bedeutung im Dialog untersucht. Zweitens soll an ausgewählten mythi-
schen Passagen diskutiert werden, inwiefern sie auf religiöse Vorstel-
lungen und Traditionen verweisen, wie sie in die Argumentation des Dia-
logs eingebunden sind und was sie in Relation zum logos leisten. Drittens
wird gefragt, welche Bedeutung die religiös-kultischen Anspielungen für
die Philosophie Piatons haben. Diese Fragen werden exemplarisch am
Phaidon geprüft, der zu den sogenannten 'mittleren' oder 'Ideendialogen'
Piatons gehört und einen großen Jenseitsmythos enthält, was ihn thema-
tisch mit weiteren Dialogen, dem Gorgias (523a-527a), der Politeia
(614b-621b) und dem Phaidros (246a-256e) verbindet, die ebenfalls Jen-

2
Vgl. Janka/Schäfer 2002; Cürsgen 2002, bes. 13-32 (zur Forschungsgeschichte),
allerdings steht im gesamten Buch der & - M y t h o s der Politeia im Vordergrund, andere
Mythen kommen höchstens am Rande zur Sprache. Eine gute Einleitung und Übersicht
zum Mythos bei Piaton gibt Görgemanns 1994, 68-73. Vgl. auch Szlezäk 1993, 132-136,
wo festgehalten ist, daß Bilder und Geschichten "einen Sachverhalt ganzheitlich und
intuitiv" darstellen können; der Mythos bildet somit "eine unentbehrliche Ergänzung der
begrifflichen Analyse" und erweist sich "als ein zweiter Zugang zur Wirklichkeit", wobei
er "inhaltlich nicht unabhängig sein kann vom Logos" (136). Vgl. ferner Murray 1999;
Morgan 2000, 155-289, zum Phaidon: 192-201. Einen kurzen Jenseitsmythos enthalten
auch die Nomoi (10.903b-905d); vgl. dazu Pietsch 2002.
3
Reinhardt 1927; Pieper 1965; vgl. auch Reale 1996, 64-80, bes. 70-71.
'Schön nämlich ist das Wagnis' 93

seitsmythen aufweisen. 4 Im Phaidon stellt sich außerdem die Frage, wie


sich der Jenseitsmythos am Ende des Dialogs zum philosophischen logos,
den Unsterblichkeitsbeweisen der Seele, verhält, gilt doch der Schluß-
mythos als eine recht lose angebundene Coda, die zum Argument nichts
mehr beitrage. 5 Die Ergebnisse, die bei der Interpretation des Phaidon
gewonnen werden, können grundsätzlich für die übrigen Dialoge mit Jen-
seitserzählungen verallgemeinert werden.

Von Apollon zu Asklepios

Der Phaidon gilt als eines der bedeutendsten Werke Piatons. Auf der phi-
losophischen Ebene beschäftigt er sich mit der Unsterblichkeit, Metaphy-
sik und Transzendenz, auf der inhaltlichen mit dem Tod des Sokrates, da
von seinem letzten Tag im Gefängnis in Athen die Rede ist. Einen ganzen
Tag lang tröstet Sokrates die Freunde über seinen Tod. 6 Es gibt, wie bei
Piaton häufig, einen Rahmen, der das zentrale philosophische Gespräch
umgibt und einen äußeren und inneren Teil enthält. Im äußeren Teil ist das
Gespräch von Phaidon und Echekrates wiedergegeben, in dem Phaidon
den letzten Tag des Sokrates schildert. Diesem Gespräch hören wir zu. Im
inneren Teil sind die Ereignisse am Morgen und Abend des letzten Tages
im Gefängnis dargestellt, diese wiederum rahmen das eigentliche philoso-
phische Gespräch.
In diesem zweifachen Rahmen ist mehrmals von kultischen und
mythischen Inhalten die Rede. So erklärt Phaidon ganz zu Beginn des Dia-
logs, daß der letzte Tag des Sokrates mit der Rückkehr des Schiffes von
Delos zusammenfiel, das die Athener Apollon jedes Jahr zum Dank für die

4
Vgl. zum Gorgias Szlezäk 1985, 202-205; Rechenauer 2002; Dalfen 2004, 480-
503. Zum £/"-Mythos der Politeia vgl. Cürsgen 2002, bes. 58-121. Zum Phaidros vgl.
Riedweg 1987, 30-69.
5
Vgl. Ebert 2004, bes. 422: "Für die Frage, der die dialektischen Argumentationen
des Dialoges galten, für die Frage der Unsterblichkeit der Seele, gibt der Schlußmythos
nichts her."
6
Der Phaidon Piatons ist vielfach kommentiert. An neueren Werken sind besonders
zu nennen: Ebert 2004, in unserem Zusammenhang besonders wichtig das Kapitel "Die
Jenseitserzählung des Sokrates", 421-454; zu früheren Kommentaren vgl. 8 und 467-468,
darunter besonders Rowe 1993 und Frede 1999; vgl. Karfik 2004, 19-84. Die mythischen
und religionsgeschichtlichen Themen des Dialogs finden jedoch höchstens am Rande
Erwähnung und sind nicht systematisch untersucht worden.
94 Eveline Krummen

Rettung der athenischen Jugend schickten, die Theseus mit Hilfe des Got-
tes vor dem Minotauros bewahrt hatte. Während jedoch das Schiff unter-
wegs nach Delos war, durften die Athener niemanden töten, da die Stadt
rein gehalten werden mußte (καθαρεύειν την πάλιν και δημοσία μηδένα
άποκτεινύναι, 58b5-6). 7 Diese Informationen wirken zunächst rein do-
kumentarisch, führen jedoch bei genauerer Betrachtung wichtige Themen
des Dialogs ein, besonders das Thema der Reinheit und der engen Bezie-
hung zwischen Sokrates und Apollon. So sagt Sokrates, daß er einen
Hymnus auf Apollon gedichtet habe (61bl-3), später wird er sich mit den
Schwänen Apollons vergleichen, die dem Gott vor dem Sterben ihr schön-
stes Lied singen (84e3-85b9). Wie diese ist er in der Obhut des Gottes.
Schon in der Apologie hatte sich Sokrates auf Apollon bezogen (20e7-
21e). Apollon ist auch der Gott der Reinigung und Heilung. Im Kratylos
wird der Name sogar mit 'Apolouon' (6 άπολούων), 'der Reinigende',
etymologisiert (405a6-406a6). Was dagegen Theseus, den mythischen
Helden des Festes betrifft, so hat dieser sowohl die athenische Jugend vor
dem Tode bewahrt als auch die Institutionen der Stadt Athen begründet.
Somit werden durch diese Einbindung in das Festgeschehen Leben und
Sterben des Sokrates auf den Gott und den Heros bezogen. Sokrates findet
in Apollon gewissermaßen sein göttliches und in Theseus sein heroisches
Gegenüber. Damit aber ist indirekt ausgedrückt, daß Sokrates die atheni-
sche Jugend nicht etwa - wie die Anklage behauptet - verführt, sondern
durch die Philosophie und Hoffnung auf ein besseres Dasein wie ein The-
seus 'gerettet' hat.8
Auch im Rahmenthema am Ende des Phaidon kommen kultische In-
halte zur Sprache, besonders ein Opfer für Asklepios, dessen Bedeutung
seit der Antike diskutiert wird. Als letzte Worte des Sokrates überliefert
uns Phaidon (Piaton): 'Wir schulden Asklepios einen Hahn; entrichtet ihn
bestimmt und vergeßt es nicht!' (τω Άσκληπιω όφείλομεν άλεκτρυόνα·
άλλα άπόδοτε καν μή άμελήσητε, 118a7-8). Über den Kult selbst erfah-
ren wir nichts, Realia dazu sind uns jedoch aus anderen Quellen überlie-

7
Bei X. Mem. 4.8.2 handelt es sich um eine Frist von dreißig Tagen. Die theoria
findet im Anthesterion statt; vgl. Deubner 1932, 203-204.
8
Man sollte allerdings den Theseusmythos nicht allegorisch auslegen, wie Dorter
1982, 5 und Burger 1984, 19 es tun (der Minotauros sei die Furcht vor dem Tod, vor der
Sokrates befreie; den im Gefängnis des Sokrates Anwesenden, insgesamt vierzehn Perso-
nen, entsprächen die zweimal sieben jungen Athener und Athenerinnen, die Theseus
befreit habe).
'Schön nämlich ist das Wagnis' 95

fert. Asklepios war Sohn Apollons und Heilgott, Vater und Sohn besaßen
in vielen Heiligtümern einen gemeinsamen Kult. Ein wichtiges Zentrum
des Kultes befand sich außer in Epidauros auch in Athen. 9 Die bekannteste
Heilmethode war der Schlaf im Heiligtum, der durch eine Reinigung mit
Wasser vorbereitet wurde, wie sie in Epidauros bereits in der Mitte des 6.
Jh. bezeugt ist. Eine Statue des Asklepios, die einige Zeit nach Piatons
Phaidon, um 370 v. Chr., zu datieren ist, macht dies besonders sichtbar, da
aus der Hand des Gottes heiliges Wasser in ein Bassin strömt, in dem die
Heilungssuchenden gebadet haben. Man brachte Asklepios, der als Heros
und Gott verehrt wurde, auch Opfer dar, neben aufwendigen Opfern wie
einem Rind auch einfache wie ein Ferkel oder einen Hahn, der mehrfach
bezeugt ist.10 Es sind Beziehungen zu den eleusinischen Mysterien be-
kannt, wo am zweiten Tag die 'Epidauria' gefeiert wurden. 11 Das Ende
des Phaidon und das Sterben des Sokrates sind also wie der Beginn in
einen kultischen Kontext eingebunden, der 'Heilung' und 'Reinigung' the-
matisiert. Beide Themen sind im Dialog wichtig, wie sich zeigen wird. Es
wird zu prüfen sein, inwiefern die Äußerung zum Asklepiosopfer tat-

9
Graf 1997, 94-99; Lambrinoudakis 2002; Lembidaki 2002. Zum Asklepiosheilig-
tum in Athen vgl. Paus. 1.21.4 und 2.26.8; Aleshire 1989, bes. 7-36, und 1991. Als Testi-
moniensammlung immer noch wichtig: Edelstein/Edelstein 1945.
10
Zum Hahn für Asklepios vgl. Sokolowski 1969, Nr. 60, 113-114, 18-23 (Epidau-
ros, Ende 5. Jh. v. Chr.); IG IV 2 , 1 no 41 Ζ 6 (= Τ 562 Edelstein/Edelstein; ca. 400 ν.
Chr.); Herod. Mim. 4.11-18 (= Edelstein/Edelstein Τ 536); S.E. P. 3.220-221; Artem. On.
5.9 (= Edelstein /Edelstein Τ 523); Suda ί. ν. Ά λ ε κ τ ρ υ ό ν α ά θ λ η τ ή ν Τ α ν α γ ρ α ΐ ο ν : ...
ά φ ί η σ ι τω Ά σ κ λ η π ι φ ά ν ά θ η μ ά τε κ α ι ά θ υ ρ μ α ε ί ν α ι ... 6 Ά σ π έ ν δ ι ο ς εκείνος ... Zum
' W e t t k a m p f - und ' C h a m p i o n ' - H a h n von T a n a g r a ' vgl. Ael. fr. 101a; 101f D o m i n g o -
Foraste [= Τ 466 Edelstein/Edelstein]: ' E r sendet ihn (sc. den Hahn) Asklepios als ein
Weihgeschenk und Spielzeug ..., dieser Mann von A s p e n d o s ' . Die Testimonien zu PI.
Phd. 118c sind gesammelt bei Edelstein/Edelstein 1945, Τ 524-531.
11
Bei Philostr. VA 4.18 p.138 Kays. (= Τ 565 Edelstein/Edelstein) ist von Epidauria
die Rede, die mit großer Wahrscheinlichkeit am zweiten Tag der eleusinischen Mysterien
(am 18. Boedromion) nach der Prorrhesis und dem Bad der Mysten im Meer stattgefun-
den haben. Erklärt wird diese Position des Asklepiosfestes mit der verspäteten A n k u n f t
des Asklepios in Eleusis, w o er sich weihen ließ (τουτι δε έ ν ό μ ι σ α ν ' Α σ κ λ η π ι ο ύ ενεκα,
οτι δ ή έ μ ύ η σ α ν α υ τ ό ν η κ ο ν τ α Έ π ι δ α υ ρ ό θ ε ν όψέ μ υ σ τ η ρ ί ω ν ) , vgl. Paus. 2.26.8 (= Τ
564 Edelstein/Edelstein), dazu Deubner 1932, 72-73, w o auch ein Festzug ( π ο μ π ή ) des
Basileus sowie inschriftlich bezeugte Opfer im Asklepieion, eine Nachtfeier, Arrephoria
und Bewirtungen erwähnt sind. Asklepios selbst hatte durch den Blitz des Zeus den Tod
erfahren und war anschließend zum Heros oder Gott geworden. Er ist in Eleusis ebenso
eingeweiht wie Herakles, der nach seinem Tod auf dem Olymp als Gemahl der Hebe ein
ewiges Leben genießt. Die Verbreitung der Heilkunst des Asklepios durch Hippokrates
und des Korns durch Triptolemos werden in Analogie gesetzt. Vgl. Hp. Ep. 2 (IX p. 314,
16 L. = Τ 467 Edelstein/Edelstein).
96 Eveline Krummen

sächlich als Dokumentation der letzten Worte des Sokrates zu verstehen


ist, und ob die rituelle Handlung, zu der Sokrates anweist, mit dem Dialog
in einem inneren Zusammenhang steht.12
Man kann jedenfalls bereits festhalten, daß durch die Rahmenthematik
eine kultische Einbindung des Dialogs vorgegeben ist, die Anfang und
Ende markiert und auf bedeutsame Themen der philosophischen Argu-
mentation verweist. Diese führt sozusagen von Apollon zu Asklepios und
dem Opfer des Hahns. Offen ist vorläufig, inwiefern uns die kultische
Einbindung eine tiefere Wahrheit über das Leben und Sterben des Sokra-
tes enthüllt.

'Glückseligkeit' und 'Lösung'

Der innere Teil des Rahmens zu Beginn des Dialogs schildert die Ereig-
nisse am frühen Morgen des letzten Tages. In diesem Kontext gibt es zwei
Begriffe, die sich auf Sokrates beziehen und dokumentarisch erscheinen,
wie vorangehend die Bemerkung zum Festgeschehen in Athen, jedoch
wiederum eine weitergehende religiöse und philosophische Bedeutung
haben, die für den Dialog wichtig ist.
Der erste Begriff ist 'glückselig'. Er beschreibt die Verfassung des
Sokrates am letzten Tag und eröffnet die Erzählung Phaidons: 'Glückselig
[ευδαίμων] schien mir jener [sc. Sokrates] zu sein, so furchtlos und voll
Würde schickte er sich an, zu sterben [ώς άδεώς και γενναίως έτελεύτα]'
(58e3-4). Dieser Zustand wird mit den Göttern in Verbindung gebracht:
'Er [sc. Sokrates] schien nicht ohne ein göttliches Geschick [ανευ θείας
μοίρας] zu gehen' (58e5-6). Es folgt ein kurzes Intermezzo, in dem Phai-
don die Frage des Echekrates beantwortet, wer am letzten Tag zugegen
gewesen sei, womit wir also in die äußere Rahmenhandlung zurückkehren,
erst danach geht die Schilderung weiter. Auf diese Weise aber erhält die
kurze Schilderung der eudaimonia des Sokrates zu Beginn zusätzlich Ge-
wicht, rückt sie doch an eine hervorgehobene Stelle, die um so mehr be-
tont ist, als der Dialog auch mit der eudaimonia des Sokrates enden wird,
wo Sokrates ausdrücklich wiederholt, daß er zur 'Glückseligkeit der Seli-
gen' gehen werde (εις μακάρων δή τινας ευδαιμονίας, 115d4, vgl. dazu
114b6-c8). Es entsteht ein großer Spannungsbogen, der vom Anfang bis

12
Vgl. unten S. 121-127.
'Schön nämlich ist das Wagnis' 97

zum Schluß des Dialogs führt. Für die Interpretation bedeutet dies, daß der
Dialog sozusagen unter dem Begriff der eudaimonia (des Sokrates) zu
verstehen ist, diese bildet Anfang und Ende.
Bevor jedoch dieser Begriff genauer analysiert wird, soll der zweite
Begriff, derjenige des 'Lösens', betrachtet werden, der die eigentliche
Schilderung des letzten Tages eröffnet. 'Lösen' wird in enge Beziehung
zur 'Abreise' des Sokrates gesetzt. Phaidon erzählt zunächst auf der fakti-
schen Ebene, wie am letzten Morgen der Wächter zu den vor dem Ge-
fängnis versammelten Freunden trat und sagte, 'es lösen die Elfmänner
Sokrates [sc. aus den Fesseln] und verkünden ihm, daß er an diesem Tag
sterben müsse' (λύουσι γάρ, εφη, οί ενδεκα Σωκράτη και παραγγέλλου-
σνν, δπως αν τήδε τη ήμερα τελευτα, 59e6-7). Die Freunde stellen denn
auch gleich fest, wie sie endlich Sokrates sehen dürfen, daß dieser 'gelöst'
ist (sc. aus den Fesseln). Sokrates legt darauf das Thema fest, über das
man am letzten Tag sprechen will, nämlich über die 'Abreise' ('dorthin
abreisen', έκεΐσε άποδημεΐν) und den 'Aufenthalt drüben' (περί της απο-
δημίας της εκεί), wie wir glauben, daß er sei. Das sei 'im einzelnen zu
betrachten' (διασκοπεΐν) und 'anschaulich zu erzählen' (μυθολογεΐν,
61dl0-e3). Das Gespräch wird mit der Frage eröffnet, ob man freiwillig
aus dem Leben scheiden darf. In diesem Zusammenhang kommen wieder
die Themen 'Gefängnis' und 'Lösen' vor, die nun in Relation zu den
Göttern und zum Ziel der 'Reise' gesetzt werden. Die Menschen befinden
sich 'in einer Art Gefängnis' (εν τινι φρουρά, 62b3-4), aus dem sie sich
nicht selbst befreien ('lösen') und nicht davonlaufen dürfen (καν ού δει δη
εαυτόν έκ ταύτης λύειν ούδ' άποδιδράσκειν, 62b4-5). Die Götter näm-
lich, in deren Obhut wir sind, sorgten für uns (τό θεούς είναι ημών τούς
έπιμελουμένους, 62b7). Ziel der 'Reise' sei jedoch, 'zu den Göttern zu
kommen' (παρά θεούς ... ήξειν, 63c2-3), so endet die Passage, und
Sokrates sagt, daß er guter Hoffnung sei, daß es für die Verstorbenen
etwas gebe und das Los der Guten nach dem Tod weitaus besser als das
der Schlechten sei. Es folgt eine kurze Unterbrechung durch den Gerichts-
diener und die Reflexion auf das richtige Gespräch vor dem Trinken des
Giftbechers. Auf diese Weise wird das Folgende, nämlich die eigentliche
Themenstellung des Dialogs, wiederum akzentuiert, da das, was folgt, von
den vorangehenden Themen abgehoben und auf das reale Ende, den Tod,
hin ausgerichtet wird.
Sokrates knüpft dann an die eben behandelten Themen die Frage nach
dem philosophischen Leben an, er will 'Rechenschaft darüber ablegen'
98 Eveline Krummen

(λόγον άποδοΰναι), daß derjenige Mann, der ein philosophisches Leben


geführt habe (έν φιλοσοφία διατρίψας τον βίον), gute Hoffnung haben
könne, er werde die größten Güter erlangen (eigentlich 'als Siegespreis
davontragen'), wenn er stirbt (και εΰελπις είναι έκεΐ μέγιστα οϊσεσθαι
αγαθά έπειδάν τελευτήση, 63e8-64a2). Auch diese Themen kehren am
Ende des Gesprächs wieder, wo ebenfalls das 'philosophische Leben' mit
dem 'Siegespreis' (καλόν γαρ τό άθλον) und der 'Hoffnung' (και ή έλπίς
μεγάλη, 114c8-9) verbunden ist, womit sich also auch der Kreis des inne-
ren (philosophischen) Gesprächs schließt. Die Unterbrechung des Ge-
sprächs und die Formulierung des Sokrates, daß er 'Rechenschaft ablegen
werde', sind strukturierende Elemente des Platonischen Dialogs und ver-
weisen darauf, daß argumentativ Höheres folgt. 13 In der Tat schließen die
Unsterblichkeitsbeweise der Seele an, für die also hiermit auch strukturell
die Grundlage gelegt ist.
Die gesamte Passage, die hier referiert wurde, ist aber wiederum nicht
nur dokumentarisch zu verstehen, sondern ihrerseits im religiösen Bereich
eingebunden. Sokrates selbst legt dies offen. Er berufe sich nämlich, so
sagt er, auf einen logos 'im Geheimen' (έν άπορρήτοις, 62b) und eine
'alte Tradition' (και πάλαι λέγεται, 63c6-7). 14 Welche 'alte Tradition'
gemeint ist, ist nicht genauer ausgedrückt, doch die Begriffe und Andeu-
tungen des Sokrates lassen am ehesten an orphisch-dionysische Initiations-
und Jenseitsthematik denken, die in Einklang mit den großen Themen des
Dialogs, nämlich des Sterbens und Jenseits, steht; dazu kommen Vorstel-
lungen, wie man sie im Kontext von Eleusis findet. 15 Besonders erhellend

13
Szlezäk 1993, 78-79 und 122-123. Weitere Unterbrechungen erfolgen dadurch,
daß Sokrates seinem logos ausdrücklich 'zu Hilfe k o m m e n ' muß, 84c-88b und 96a-102a;
jedesmal führt das Argument auf Höheres.
14
Έ ν ά π ο ρ ρ ή τ ο ι ς [sc. λόγοις]: ob es sich um schriftlich Festgehaltenes oder um
mündlich Vermitteltes handelt, ist unklar, es ist auch nicht deutlich, aus welchem Umfeld
diese 'geheimen Lehren' kommen; der Kontext verweist jedoch auf 'orphische Lehren'.
Doch soll diese Angabe, wie die Berufung auf eine 'alte Tradition' oder auf einen unbe-
stimmten Gewährsmann (τις) zeigt, alles offenlassen.
15
Die Literatur zur ' O r p h i k ' ist sehr umfangreich. Mit Vorteil benutzt man zur
ersten Orientierung Calame 2000 und 2002; E d m o n d s 2004, 29-110. Zu Eleusis vgl.
Clinton 2003, bes. 55-57. Es kommt in diesem Umfeld auch zu Überschneidungen des
orphischen Bereichs mit Vorstellungen aus dem eleusinischen und Pythagoreischen Be-
reich; vgl. Cole 2003; Burkert 2004, bes. 91-101, wo auch die wichtigsten Zeugnisse
angeführt sind. Zu 'Orphikern' bei Piaton vgl. Masaracchia 1993, bes. 185-187. Zur My-
sterienthematik vgl. K r u m m e n 2003. Vgl. Riedweg 1987; Lavecchia 1999, wo einzelne
Themen im Phaidon vor allem im Hinblick auf die 'Angleichung an Gott' besprochen
sind.
'Schön nämlich ist das Wagnis' 99

für unsere Passage sind die sogenannten orphischen Goldblättchen, die


vom Schicksal des Menschen nach dem Tod handeln und auch für die
Themen der großen Jenseitsmythen relevant sein werden. 16 Wie im Phai-
don finden sich auf den Goldblättchen Texte, die erstens mit einer Glück-
seligpreisung beginnen und sie mit dem Augenblick des Todes, der den
Anfang des ewigen Lebens bildet, verbinden, wobei der Verstorbene als
göttliches Wesen betrachtet wird: 'Seliger und Allerglückseligster [όλβιε
και μακαριστέ], ein Gott wirst Du sein anstelle eines Sterblichen [θεός δ'
εσηι άντι βροτοΐο]' (fr. 488.9 Bernabe). Diese Thematik kann zweitens
mit dem auch im Phaidon relevanten Begriff des 'Lösens' verknüpft wer-
den: 'Jetzt bist Du gestorben und geboren worden, dreimal Glückseliger,
Bakchios selbst hat Dich gelöst' (νυν εθανε(ς) και νυν έγένου, τρισ-
όλβιε, ..., Βά(κ)χιος αύτος ελυσε, fr. 485.1-2; 486.1-2 Bernabe). 17 Der
Tote aber ist in der Obhut des 'Bakch(e)ios Lysios', den man mit Diony-
sos identifiziert. Es sind auf den Goldblättchen somit - wie auch im Phai-
don an herausgehobener Stelle - die Themen 'Glückseligkeit', 'letzter
Tag' und 'Lösen' eng miteinander verbunden. 18 Was auf der faktischen
Ebene geschildert wird, nämlich die Stimmung des Sokrates, der Zeit-
punkt (sc. vor dem Sterben), das Abnehmen der Fesseln im Gefängnis, hat
seine feste Bedeutung im religiösen Bereich, es ist in der vorliegenden
Kombination im Phaidon fast wie das 'Losungswort' oder 'Symbolon' auf
den orphischen Goldblättchen formuliert. Dazu kommt die Vergöttlichung
des Verstorbenen im Tode, die man mit der Formulierung des Sokrates
vergleichen wird, daß zu hoffen sei, man komme nach dem Tod 'zu den
Göttern', wobei Sokrates allerdings im philosophischen Sinn den Bereich
der Ideen meint. Doch nicht nur die 'Glückseligkeit', 'Lösung' und das

16
Zu den 'orphischen' Goldblättchen, die man heute im Umfeld der Dionysosmyste-
rien ansiedelt, in denen Dionysos und Persephone zentral waren, vgl. die Ausgabe von
Bernabe 2005, zur Zuteilung zur Orphik bes. 11-12; vgl. die Ausgabe mit K o m m e n t a r
von Pugliese Carratelli 2003; Graf 1991 und 1993; Riedweg 1998; Calame 2000.
17
Vgl. besonders die Goldblättchen aus Thurii und Pelinna (4. Jh. v. Chr.); außer der
Ausgabe von Bernabe 2005 vgl. auch Pugliese-Carratelli 2003, 105-124, bes. 110-112;
Calame 2000, 67-68 (zum Makarismos in der zweiten Person als Kategorie 3). Die Kom-
bination von μ ά κ α ρ und ε υ δ α ί μ ω ν ist seit Hes. Op. 826 bezeugt; zu ε υ δ α ί μ ω ν in einem
bakchischen Kontext vgl. außerdem Pi. fr. 7 0 a l l Maehler; Ar. Ra. 72; E. Ba. 73. Eine
Glückseligpreisung gibt es auch in eleusinischem Kontext, vgl. ζ. B. Pi. fr. 137 Maehler:
'Glückselig ist derjenige, der unter die Erde geht, nachdem er dieses gesehen hat: er
kennt das Ende des Lebens, er kennt den Anfang, der durch Gott gegeben ist'; vgl. S. fr.
837 Radt (= Orph. fr. 444 V Bernabe).
18
' L ö s e n ' : Phd. 6 7 d l - 2 , 81d3-4; 92al sowie 59e6 und 6 0 a l .
100 Eveline Krummen

'Göttlichwerden', sondern auch das 'Gefängnis' hat einen doppelten Sinn,


der auf die Orphik verweist. Das 'Gefängnis' ist die konkrete Wirklichkeit
des Sokrates und seiner Freunde und gleichzeitig Bild für den Körper, in
dem die Seele eingeschlossen ist (εν τινι φρουρά, 62b3-6), wie 'alte Leh-
ren' besagen. Diese weist Piaton im Kratylos ausdrücklich 'den Leuten um
Orpheus' zu (οί άμφΐ 'Ορφέα, Cra. 400c4), womit für die gesamte Pas-
sage die Anspielung auf den eingangs vorgeschlagenen Bereich deutlich
wird. 19 Im religiösen Bereich bedeutet die 'Lösung' aus dem 'Gefängnis'
die 'Lösung' aus dem Kreis der Wiedereinkörperung. 20 Im philosophi-
schen Bereich dagegen wird es um die Befreiung des unsterblichen See-
lenteils von den sterblichen gehen, die jenen an die Körperdinge binden.
Wie diese Befreiung erreicht wird, ist Thema des folgenden Abschnitts.
Von hier aus wird erst ganz deutlich, wie die Argumentation des Dialogs
ineinandergreift.
Doch nicht nur im religiösen, sondern auch im philosophischen Be-
reich haben einzelne Begriffe ihre Verankerung, besonders das entschei-
dende 'glückselig' (ευδαίμων, 58e3). Es kennzeichnet den letzten Tag des
Sokrates im Diesseits und sein Dasein nach dem Tode. Von diesem Be-
griff geht der Dialog aus und wird hier enden, wenn vom Siegespreis, der
großen Hoffnung und dem leichten Sterben des Sokrates die Rede ist
(114c8). Bei Piaton ist 'glückselig' mehrfach belegt, es dient zur Bezeich-
nung des 'wahren' Philosophen, der über das 'größte Geschenk der Göt-
ter', nämlich über die Dialektik und über die 'Gattung Philosophie' ver-
fügt. 21 In einer 'glückseligen Betrachtung' (μακαρία δψις, Phdr. 250b6)
erfaßt der Philosoph die höchsten Ideen als 'glückselige Erscheinungen'
(έυδαίμονα φάσματα, Phdr. 250c3), wobei die Idee des Guten selbst 'das
Glückseligste von allem Seienden' (.R. 526e3) ist. Das 'ganz und gar Sei-
ende' verfügt über 'Leben' (ζωή, Sph. 249a). Hier ist die Vorstellung der

19
Φρουρά kann 'Gefängnis' (Grg. 525a7) oder 'Wachtposten' (Lg. 762c5) heißen,
der Kontext und die Thematik des 'Lösens' aus den Fesseln machen hier eher 'Gefäng-
nis' wahrscheinlich. Vgl. Cra. 400c; Phdr. 250c5-6.
20
Vgl. Thurii fr. 488.5 Bernabe: 'aus dem Kreis [ic. der Wiedereinkörperung] ent-
flog ich' (κύκλο(υ) δ' έξέπταν), mit Kommentar bei Bernabe 2005, 58.
21
Szlezäk 2003, 81-82; 1996. Vgl. z. Β. PMb. 16c5 und Phdr. 276e-277e zur Kunst
der Dialektik als Voraussetzung der Eudaimonie; Phdr. 249c5-65, wo gesagt wird, der
Philosoph sei 'nach Möglichkeit immer mit seiner Erinnerung bei jenen Dingen, bei de-
nen verweilend der Gott göttlich ist'; Phdr. 253al-5 zur Angleichung des Philosophen an
den Gott; Ti. 47bl, wo gesagt ist, daß auf die Kosmologie die 'Gattung Philosophie' folgt
(φιλοσοφίας γένος). Vgl. auch Riedweg 1987, 53-54, 157 mit Anm. 55.
'Schön nämlich ist das Wagnis' 101

'Göttlichkeit' zu finden, denn der Erkennende selbst wird in Angleichung


an das, womit er sich dauernd beschäftigt und was er 'sieht', selbst gött-
lich 'soweit dies einem Menschen möglich ist' (R. 500dl). Insofern aber
zu den 'göttlichen Erscheinungen' auch die Eudaimonie gehört, soweit
erlangt sie auch ein Mensch, nicht nur im Diesseits, sondern auch im Jen-
seits (R. 498b8-c4). Die Klarheit des geistigen Erkennens (νόησις) ver-
schafft dem Erkennenden Eudaimonie. Im Symposion sagt Alkibiades, daß
Sokrates Götterbilder in sich trage (215a6-b3), womit er sich auf die zuvor
in der Diotimarede beschriebene epopteia der Götterbilder während der
Mysterien in Eleusis, mit der Diotima die Ideenschau verglichen hat, be-
zieht.22
Für die Interpretation des Phaidon bedeutet dies, daß Sokrates durch
die Bezeichnung 'glückselig', mit der Phaidon seine Erzählung eröffnet,
von Anfang an als der 'ideale Philosoph' gekennzeichnet wird, der das
Ideenwissen in sich trägt, den Göttern ähnlich und deshalb unsterblich ist.
In diesem Wissen wird Sokrates sprechen, von diesem Wissen gilt es die
Freunde zu überzeugen. Hier ist der Dialog verankert. Die Bezeichnung
'glückselig' sollte also in ihrer vollen Wortbedeutung auch in der Überset-
zung beibehalten werden. Vor diesem Hintergrund wird die Metapher der
'Übersiedelung' (αποδημία, 61e2) erst richtig verständlich. Sokrates sagt
ausdrücklich, daß er 'zu den Göttern' kommen werde. Ziel des philosophi-
schen Lebens ist der Weg 'von hier nach dort', wie Sokrates unmittelbar
vor dem Trinken des Giftbechers wiederholt (117c2).
Es zeichnet sich deutlich ab, daß die kultischen und religiösen Themen
des Rahmens für die Interpretation des Dialogs und seines philosophi-
schen Arguments wichtig sind. Insbesondere zeigt sich, daß - ebenso wie
die faktischen Beschreibungen auf religiöse Inhalte anspielen, die im Zu-
sammenhang mit Tod und Unsterblichkeit relevant sind - die religiösen
Inhalte ihrerseits auf philosophische verweisen, die grundlegend für die
Argumentation des Dialogs sind. Auch die Bedeutung der religiösen In-
halte ist leicht zu erkennen. Sie dienen dazu, einen Hintergrund zu erstel-
len, vor dem erfaßt werden kann, was Sokrates als dem idealen Philoso-
phen nach dem Tod widerfahren wird, sie sind also in die Thematik des
Dialogs eingebunden. Von hier aus ist außerdem deutlich, daß sie nicht
den Zweck haben, uns orphisch-dionysische oder eleusinische Mysterien-
inhalte zu vermitteln, und es für das Argument unwichtig ist, aus welchem

22
Krummen 2 0 0 3 , 2 3 - 3 1 .
102 Eveline Krummen

Bereich eine Anspielung kommt. Es geht nicht um Religionsgeschichte.


Es handelt sich vielmehr um eine Art 'Losungsworte', die Grunderfah-
rungen vermitteln können, die ihrerseits auf die Erfahrungen des idealen
Philosophen verweisen, und sie - sofern es um Tod und Jenseits geht -
andeutend erhellen können. Diese Themen sind jedoch keineswegs allein
in der Rahmenthematik zu finden, sondern werden im folgenden auf der
religiösen und philosophischen Ebene weiter ausgeführt, was ebenfalls
ihre große Bedeutung für den Dialog zeigt. Auch die Jenseitsmythen mit
ihren spezifischen Themen, die im folgenden noch gesondert besprochen
werden, basieren zum großen Teil auf denselben Vorstellungen.

Reinigung und philosophisches Leben

Vom Rahmen mit der Schilderung der äußeren Situation im Gefängnis


gehen wir nun zum eigentlichen philosophischen Gespräch über. Dieses
beginnt in konventioneller Weise mit einer These, zu deren argumentativer
Begründung der gesamte Dialog dienen wird. Sokrates sagt, daß derjenige,
der sein Leben in der Philosophie zugebracht habe, keine Angst vor dem
Tod haben müsse, sondern guter Hoffnung sein könne, auch nach dem
Tod die höchsten Güter zu gewinnen (63c8-64a3). Zum Beweis muß zu-
erst geklärt werden, was der Tod sei. Wir stellen sogleich fest, daß hier die
vorangehend besprochenen Begriffe wiederum auftreten, der Tod nämlich
sei die 'Lösung' der Seele aus den 'Fesseln des Körpers' (έκλυομένην
ώσπερ [έκ] δεσμών έκ του σώματος, 67dl-2). Neu kommt das Thema der
'Reinheit' hinzu, nämlich von den Körperdingen, das im folgenden so
wichtig wird ('vielmehr wollen wir uns rein halten, bis uns der Gott selbst
befreit' - ά λ λ α καθαρεύωμεν άπ' αυτοί», εως αν 6 θεός αυτός απόλυση
ημάς, 67a5-6). Die schon zuvor beobachtete Anlage des Gesprächs, in
dem zentrale Begriffe unmittelbar auf religiöse und philosophische Vor-
stellungen verweisen, wird offenbar nahtlos fortgesetzt.
So hat denn, ebenso wie 'glückselig' und 'lösen', auch 'Reinheit' ei-
nen ausgeprägt religiösen Hintergrund. Gerade auf den schon angeführten
Goldblättchen wird 'Reinheit' besonders betont. Der Tote tritt 'rein' vor
'Schön nämlich ist das Wagnis' 103

Persephone. 23 Die vorangehend eingeleitete religiöse Bildthematik wird


somit im eigentlichen philosophischen Gespräch weitergeführt und erweist
sich wiederum als bedeutsam, wird nun aber ausdrücklich mit der philoso-
phischen Lebensführung verknüpft. In einer langen Passage legt Sokrates
nämlich dar, daß es bei diesem Begriff der 'Reinheit' um Reinheit von den
Körperdingen geht, ein 'reines Leben' meint also ein philosophisches Le-
ben, dieses Leben aber führt letztlich zu den 'Göttern' und an den 'reinen'
Ort (64c-69e). Denn gerade dieses (philosophische) Leben bereitet die
Seele darauf vor, mit Gleichartigen (sc. den Reinen) zusammenzusein und
das Reine selbst zu erkennen, das gleichzeitig das Wahre ist ( κ α ι
γνωσόμεθα δι' ημών αυτών παν το ειλικρινές, τοΰτο δ' έστιν ϊσως τό
αληθές, 67a8-67bl), während es für den Unreinen nicht richtig ist, das
Reine zu berühren (μη καθαρώ γαρ καθαρού έφάπτεσθαι μή οΰ θεμιτόν
ή, 67b 1-2), wie Piaton in hieratischem Sprachduktus formuliert. In dieser
Formulierung zeigt sich deutlich die doppelte Anlage der gesamten Pas-
sage, zielt sie doch sowohl auf den Mysten, für den es um die Schau der
heiligsten Dinge und um die Begegnung mit Persephone geht, als auch auf
den Philosophen, für den die Ideenschau und das gedankliche Erfassen der
höchsten Güter im Mittelpunkt steht, deren Göttlichkeit und Reinheit Pia-
ton mehrfach betont. Berücksichtigt man die Anlage der Passage und die
enge Verbindung von religiöser und philosophischer Thematik, so wird
zudem klar, warum Piaton am Ende dieser Passage zur 'reinen Lebensfüh-
rung' auf die Ungeweihten, die im Schlamm liegen, zu sprechen kommt
(αμύητος και άτέλεστος, 69c5), wobei diese den Gereinigten und Einge-
weihten gegenübergestellt werden (6 δέ κεκαθαρμένος τε και τετελεσ-
μένος, 69c6-7), die mit den Göttern zusammenleben. 24 Man hat längst
erkannt, daß dieses Bild auf Vorstellungen im eleusinischen und
orphischen Bereich verweist, doch wird erst jetzt ganz deutlich, daß das
Bild bei Piaton nicht etwa unvermittelt oder als isolierte Metapher er-
scheint, sondern längst durch die religiöse Thematik im Hintergrund vor-
bereitet ist und die gesamte Passage zu ihrem pointierten Abschluß führt.

23
Auf mehreren Goldblättchen, besonders der Gruppe A 1-3, ist die 'Reinheit' des
Mysten betont: 'ich komme von den Reinen' (έρχομαι έκ καθαρών ..., fr. 488-491 Ber-
nabe); vgl. Calame 2000, 64-66.
24
Auf Dionysosmysterien deutet jedenfalls auch das Zitat, das Piaton Leuten im
Umfeld der 'Mysterien' in den Mund legt: 'Narthexträger sind viele, wenige jedoch sind
bakchoi' (ναρθηκοφόροι μεν πολλοί, βάκχοι δέ τε παΰροι, Phd. 69c8; vgl. Orph. fr. 576
Bernabe, unter Orphica Athenis)·, der Narthex und die Bezeichnung bakchoi gehören in
den Dionysoskult.
104 Eveline Krummen

In unserem Zusammenhang aber ist wichtig, daß die Analogie zwischen


Mysterienkult und Philosophie nunmehr ausdrücklich hergestellt ist. Die
Eingeweihten entsprechen den Wissenden, die Uneingeweihten den Un-
wissenden. 25 Das Ende wird ähnlich sein, denn der Wissende wird ebenso
wie der Reine und Eingeweihte mit den Göttern zusammen wohnen (μετά
θεών οικήσει, 69c7). Worin die Reinigung (katharsis) besteht, wird für
den Mysten nicht weiter ausgeführt, doch für den Philosophen mehrfach
genannt. Es sind Besonnenheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und vollkom-
mene Einsicht, die geradezu als 'Reinigungsritus' (katharmos) bezeichnet
werden (και ή σωφροσύνη και ή δικαιοσύνη και ανδρεία, και αύτη ή
φρόνησις μη καθαρμός τις ή, 69c 1-3). 26 Diese Begriffe aber bezeichnen
die philosophischen Kardinaltugenden, die aus der Erkenntnis der Ideen
resultieren. So ergibt sich am Ende der Passage aus Bildthematik und
Analogie, daß für den Philosophen die Einsicht in die letzten Dinge, die er
sich im Laufe seines Lebens erwirbt, ebenso Hoffnung für sein Dasein
nach dem Tod sind wie für den Eingeweihten die Schau der heiligsten
Dinge. Doch wahres Wissen gibt es erst nach dem Tod. Dorthin strebt der
Weisheitsliebende, der philosophos. Dieser braucht somit keine Angst vor
dem Tod zu haben, erfüllt sich doch im Tod das Streben seines gesamten
Lebens, womit wir im Grunde auch wieder am Ausgangspunkt angekom-
men sind, nämlich bei der eudaimonia, die der philosophos (wie Sokrates)
erreichen wird.
Spätestens an diesem Punkt ist deutlich, daß die religiöse Thematik,
die sich von Anfang an im Phaidon findet, sowohl einem einheitlichen
Bereich entstammt, nämlich dem orphisch-dionysischen und eleusini-
schen, für den eine Einweihung, eine bestimmte Lebensführung und die
Hoffnung auf ein besonderes Dasein im Jenseits charakteristisch sind, als
auch auf das Dasein des philosophos verweist, das ebenfalls auf einer Ein-

25
Zum Dasein im Jenseits vgl. PI. R 2.363c-365a; Ar. Ra. 145-168; PI. Phd. 81b-
83e. Graf 1974, 103-107.
26
Der katharmos, die 'Reinigung' und das 'Reinigungsritual', bildet die erste Stufe
der Initiation. Bei Piaton ist der Begriff mehrfach gerade in dem hier bezeugten Kontext
verwendet, und zwar im Z u s a m m e n h a n g mit Mysteriensprache und Ideenschau, ζ. B.
Phdr. 244e: κ α θ α ρ μ ώ ν τε και τ ε λ ε τ ώ ν τ υ χ ο ΰ σ α , 'Reinigung und Weihen erlangend';
Sph. 227c im Kontext der Dialektik als Voraussetzung des ideengerichteten Denkens: τον
... περί τ η ν δ ι ά ν ο ι α ν κ α θ α ρ μ ό ν ; vgl. R. 8.567c; Lg. 5.735b; ebenso bezeichnet κ α θ α ρ ό ς
das 'Reinsein' von den Körperdingen und den hier zugehörigen Seelenteilen, ζ. B. Cra.
403e7-404a2: έ π ε ι δ ά ν ή ψ υ χ ή κ α θ α ρ ά ή π ά ν τ ω ν τ ω ν π ε ρ ί τό σ ώ μ α κ α κ ώ ν κ α ΐ
έ π ι θ υ μ ι ώ ν , ' w e n n die Seele rein ist von allen Übeln und Begierden, die den Körper
betreffen'.
'Schön nämlich ist das Wagnis' 105

sieht in die letzten oder höchsten Dinge, auf einer bestimmten (philosophi-
schen) Lebensführung und der Aussicht auf 'Glückseligkeit', bzw. Un-
sterblichkeit basiert. Von hier aus ist auch verständlich, warum das
Schwergewicht dieser Passage so sehr auf der 'Reinigung' liegt. Es geht,
wie Sokrates deutlich sagt, um die 'Reinigung' von den Körperdingen.
Der gesamten Passage liegt also ein spezifisch Platonisches Theorem
zugrunde, nämlich dasjenige von der dichotomischen Struktur der Seele.
Diese besteht aus sterblichen Teilen, die den Körperdingen zugeordnet
sind, wie Begierde und Ehrgeiz, und aus einem unsterblichen Teil, der
Denkseele, die allein auf die Ideen und das Göttliche gerichtet ist. Von den
sterblichen Teilen gilt es sich zu trennen, was nur durch die Philosophie
erfolgen kann, so daß zuletzt nur der unsterbliche Seelenteil bleibt. Es ist
also spätestens hier deutlich, daß die religiöse Thematik für die Argu-
mentation wichtig und keineswegs ornamental oder punktuell ist. Sie hat
eine ganz bestimmte Funktion, denn sie dient dazu, uns anstelle einer lan-
gen theoretischen Ausführung in einem bildhaften Vergleich, der sich aus
orphischen, dionysischen und eleusinischen Vorstellungen speist, die Na-
tur der Seele zu erläutern und gleichzeitig die Bedeutung der Philosophie
für die Frage nach Tod, Jenseits und Unsterblichkeit aufzuzeigen. Sokrates
müßte hier darüber sprechen, ob die Seele einfach oder mehrteilig ist und
welches Vermögen (dynamis) sie hat. Er würde vom unsterblichen See-
lenteil handeln, um den es im folgenden alleine geht. Wie andernorts auch,
tritt anstelle dieser theoretischen Abhandlung eine bildhafte Erläuterung. 27
Von Bedeutung ist auch die Position dieser Passage zur Reinigung im
Hinblick auf den gesamten Dialog. Sie findet sich unmittelbar vor den
Unsterblichkeitsbeweisen der Seele. Die Lehre vom 'richtigen Leben', die
eine Einsicht in die eigene Seele und ihre Konstitution voraussetzt, kommt
also noch vor der eigentlichen 'Belehrung' und 'Einweihung' in das We-

27
Gerade die Seelenlehre ist in mehreren Texten nur angedeutet, jedoch nicht aus-
drücklich formuliert. Unserer Stelle am nächsten kommt der Gorgias, wo ebenfalls von
Unvernünftigen und Uneingeweihten die Rede ist (493a7). Damit verbunden ist das
Thema, das auch im Phaidon anklingt, daß das Leben im Körper wie das Leben im Grab
sei (σώμα-σήμα-Thematik); darauf folgt ebenfalls eine Darstellung des Lebens der Un-
eingeweihten im Hades, und zwar anhand des Danaidenmythos; die Danaiden versuchen,
Wasser mit einem Sieb in ein leckes Faß zu füllen (493a3-b2). Auch die Mysterienmeta-
phorik in Anwendung auf Kallikles, der sich selbst nicht kennt, kommt vor, nämlich daß
Kallikles 'glückselig' sei, wenn er in die 'Großen Mysterien' eingeweiht sei, noch vor der
Einweihung in die 'Kleinen Mysterien' (497c), was unmöglich ist. Dazu Szlezäk 1993,
92-105.
106 Eveline Krummen

sen der Seele. Im folgenden kann es nur um die Vernunftseele gehen, denn
sie allein ist unsterblich. Schließlich aber bewirkt diese Passage auch auf
der argumentativen Ebene eine Art 'Reinigung', insofern sie dazu dient,
Kebes und Simmias von der Meinung, daß der Tod ein Übel sei, zu be-
freien. Diese Meinung resultiert letztlich aus falschen Vorstellungen über
die Seele. Die Passage ist somit eine Art philosophischer elenchos, der
seinerseits als 'Reinigung' verstanden werden kann und sich oft vor dem
Rückgriff auf 'Höheres' findet. So beginnt gleich danach der erste Un-
sterblichkeitsbeweis der Seele.28 Diese Passage hat sozusagen das Terrain
dafür bereitet und dient gleichzeitig der Strukturierung des Dialogs.

Erster und zweiter Unsterblichkeitsbeweis und erster Jenseitsmythos

Es folgen zwei Unsterblichkeitsbeweise der Seele, an die sich der erste


Jenseitsmythos anschließt (69e6-84b8). Die philosophischen Fragen, die
sich im Zusammenhang mit den Unsterblichkeitsbeweisen stellen, sind
andernorts ausführlich diskutiert worden. In unserem Zusammenhang ist
von Interesse, daß Sokrates den rationalen Beweis im ersten Unsterblich-
keitsbeweis, nämlich daß die Seele sowohl den Körper überlebt als auch
ihre Kraft und Intelligenz behält (69e6-77e9), in den Rahmen einer 'alten
Rede' einfügt (παλαιός μεν οΰν εστι τις λόγος, 70c5-6). Diese spricht
von Seelenwanderung und ist mit der Orphik und Pythagoras verbunden. 29
Sokrates erläutert, daß die Seelen in den Hades gehen und von dort zu den
Lebenden zurückkehren, die aus den Toten geboren werden. Also haben
die Seelen ein Dasein im Hades. Piaton spricht dabei von einem logos und
nicht etwa von einem 'Mythos', wie wir es tun würden. Wir stellen also
fest, daß auch in der Einkleidung des ersten Unsterblichkeitsbeweises die
vorangehende religiöse Thematik weitergeführt wird und wiederum auf

28
Vgl. Sph. 230d: ώς ... μεγίστη καΐ κυριωτάτη των καθάρσεών εστίν (sc. ό ελεγ-
χος, 'da ... er [jc. der elenchos] die größte und trefflichste unter den Reinigungen ist').
Vergleichbar ist der elenchos im Symposion, der eine Reinigung und Vorbereitung auf
die Rede der Diotima darstellt, dazu Riedweg 1987, 17-20.
29
Zur Seelenwanderung vgl. Riedweg 2001, 328-330; spätestens seit der 2. Hälfte
des 6. Jh. v. Chr. bekannt, wird sie auf Orpheus zurückgeführt; sie findet sich erstmals
wohl bei Pherekydes von Syros, sicher bezeugt ist sie bei Pythagoras. Von Anfang an
wird sie mit ethischen Grundsätzen verbunden; ein gutes Leben verbessert das Dasein im
Jenseits. Die Zeugnisse sind besprochen bei Brisson 1991, bes. 161-163 (zum Phaidon).
Vgl. Casadio 1991, bes. 130-132 (zu Piaton).
'Schön nämlich ist das Wagnis' 107

philosophische Inhalte ausgerichtet ist. In diesem Fall wird der 'alte logos'
durch den Unsterblichkeitsbeweis sozusagen rational begründet und die
Richtigkeit des alten logos dadurch erwiesen. Er wird mit dem Gesetz ver-
bunden, das die verschiedenen Kreisprozesse des Werdens und Vergehens
beherrscht. Diese bewegen sich stets zwischen Gegensätzen, von denen es
jeweils zwei gibt, einmal vom ersten zum zweiten, dann wieder vom
zweiten zum ersten. Also gibt es einen Prozeß vom Lebendigen zum Toten
(d. h. Sterben) und vom Toten zum Lebendigen (d. h. Wiedergeborenwer-
den). Denn wenn es diesen Prozeß nicht gäbe, würde schließlich alles tot
sein, d. h. aufhören zu sein. Piaton erweist also den 'alten logos' rational
als "Spezialfall des generellen Naturgesetzes der zyklischen Ableitung der
Gegensätze aus ihren Gegensätzen" (Reale 1996, 66). Dazu kommt noch
die Erweiterung um die ethische Komponente, wie sie zuvor dargelegt
worden war, insofern Sokrates betont, daß es nicht nur ein Dasein für die
Seelen der Verstorbenen gibt, sondern auch ein besseres für die guten, ein
schlechteres für die schlechten (72d7-e2). Im zweiten Teil des ersten Un-
sterblichkeitsbeweises zeigt Sokrates auf, daß die Seele das Wissen behält,
das sie bereits vor der Geburt hatte. Nimmt man das bereits dargelegte
Gesetz des Kreislaufs von Geburt und Tod noch dazu, ergibt sich, daß die
Seele sowohl im Tod Bestand hat als auch ihre Erkenntnisfähigkeit be-
wahrt.
In einem Intermezzo wird darauf mit der Fiktion gespielt, daß für ein
weiteres Argument der Unsterblichkeit der Seele ein 'Zauberer' oder 'Be-
schwörer' (επωδός) nötig sei. Wieder hat dieser Begriff einerseits eine
religiöse Bedeutung, insofern er in den orphischen Bereich eingebunden
ist, und andererseits auch eine bestimmte Aussagekraft auf der rhetorisch-
philosophischen Ebene, insofern 'der Beschwörer' bei Piaton denjenigen
meint, der eine 'schöne Rede' vorbringen kann, und zwar mit Wissen, also
den Philosophen. Im Dialog markiert das Wortfeld der 'Beschwörung',
daß nochmals 'Höheres' oder 'Prinzipielleres' folgt. Genau an diesem
Punkt setzt denn auch der zweite Unsterblichkeitsbeweis ein.30 Dieser zielt

30
Zur Bedeutung des 'Besprechers' und der 'Besprechung' ( έ π φ δ ή ) bei Piaton vgl.
Chrm. 155e; 156d; R. 4.426b: ο ΰ τ ε φ ά ρ μ α κ α ο ΰ τ ε κ α ύ σ ε ι ς ο ΰ τ ε τ ο μ α ΐ ο ύ δ ' α ύ έ π φ δ α ί ,
' w e d e r Heilmittel noch Brennen und Schneiden noch auch B e s p r e c h u n g e n ' ; vgl. R.
10.608a; Szlezäk 1993, 89-90; unten S. 123-127. Orpheus selbst 'bezaubert' mit seiner
Musik alles, Götter, Menschen, die Natur, die Unterwelt. Zu Beschwörungen und Reini-
gungen im Z u s a m m e n h a n g mit Initiationsthematik vgl. Calame 2000, 59. Wie die Be-
schwörungen und Reinigungen der darauf spezialisierten Priester von den Strafen im
108 Eveline Krummen

in der Tat auf 'Prinzipielleres', da er nachweist, daß die Seele als das nicht
Zusammengesetzte und Reine zur Welt des Seins gehört, wozu kommt,
daß sie dem spezifischen Gegenstand der Erkenntnis verwandt sein muß.
Da dieser Gegenstand (sc. die Ideen) immer seiend ist, ist auch die Seele
unsterblich und besitzt dieselbe Eigenschaft der Unveränderlichkeit.
Hiermit ist nunmehr das Ziel der Vernunftseele auch durch die rationale
Argumentation gesetzt. Ihr Ziel ist das Dasein bei den 'Göttern', bzw. bei
den Ideen.
Die Analogie zwischen religiösen und philosophischen Inhalten wird
also im Hintergrund auch in der Passage zu den Unsterblichkeitsbeweisen
weitergeführt und noch deutlicher gemacht, insofern nun auch erwiesen
ist, daß der palaios logos eine rational begründbare Wahrheit enthält. In
welch hohem Maße religiöse auf philosophische Inhalte bezogen sind,
zeigt sich auch im ersten Jenseitsmythos, zu dem Sokrates übergeht, als er
vom Ziel der vernünftigen Seele spricht (80c-84b). Inhalt des ersten Jen-
seitsmythos sind die verschiedenen Daseinsformen, welche die Seele nach
dem Tod einnimmt, insbesondere die Wiedereinkörperungen in der dies-
seitigen Welt, die mit der Art, wie ein Mensch gelebt hat, in Beziehung
gebracht werden. Der Text ist so organisiert, daß zuerst das Dasein der
Seele, die rein gelebt und ein philosophisches Leben geführt hat, geschil-
dert und mit demjenigen verglichen wird, das die in die Mysterien Einge-
weihten führen, von denen es heiße, daß sie wahrhaftig immerdar mit den
Göttern zusammenlebten. Es folgen diejenigen, die ein schlechtes, näm-
lich ein dem Körperlichen verhaftetes Leben geführt haben und deshalb
'Buße zahlen müssen für ihre frühere Lebensweise' (δίκην τίνουσαι της
προτέρας τροφής, 81d8-9). Sie werden in Tierformen wiedergeboren, je
nach Lebensweise in schlimmere (Esel, Wölfe, Habichte, Geier) und bes-
sere (Bienen, Wespen und Ameisen). Die besseren erlangen diejenigen,
die sich um die philosophischen Tugenden bemühten, jedoch nicht zur
Erkenntnis der Ideen gelangten; diese können auch wieder zu Menschen
werden. Am Ende dieses Kreislaufes, der vom Schlechten, den Körper-
dingen Verhafteten, zum Besseren, den nach philosophischen Tugenden
Lebenden, führt, gelangen wir wieder zum Ausgangspunkt, zu denjenigen,
die nach einem philosophischen und 'reinen' Leben, womit ein von Kör-
perdingen freies Leben gemeint ist, 'bei den Göttern' wohnen. Es folgt

Jenseits erlösen, so führen die ' R e i n i g u n g ' und ' B e s c h w ö r u n g ' (sc. die in Kenntnis der
Wahrheit gesprochenen Reden) zum Dasein 'bei den Göttern'.
'Schön nämlich ist das Wagnis' 109

eine längere Passage, die darstellt, wie die Erkenntnis der Ideen gewonnen
werden kann, die ihrerseits Voraussetzung für das philosophische Leben
ist. Die Seele weiß, daß sie auf diese ewigen Gegenstände gerichtet ist, bei
denen sie schon während des Lebens im Denken verharrt, und folglich
auch keine Angst haben muß, daß sie sich nach dem Tode auflöse und
nicht mehr sei (82e-84b).
Fragt man, was der erste Jenseitsmythos leistet, so zeigt er erstens die
großen Zusammenhänge zwischen Diesseits und Jenseits auf, indem er auf
die Seelenwanderung zurückgreift und diese im gesamten Kreislauf an-
schaulich ausmalt. Dabei stehen Existenzform und Lebensweise in enger
Beziehung. Ausgangspunkt der gesamten Darlegung aber war zweitens die
'alte Rede oder Lehre', die von ebendiesem Kreislauf erzählt, daß nämlich
aus den Toten die Lebenden wieder geboren werden (παλαιός μεν οΰν
εστι τις λόγος ... πάλιν γίγνεσθαι έκ των αποθανόντων τους ζώντας,
70c5-9). Die Seelenwanderung war ein großes Thema im Bereich der
Orphik. Von einem logos, der im Zusammenhang mit den Mysterien wie-
dergegeben wird und ebenfalls von der Seelenwanderung handelt, ist in
anderen Dialogen Piatons die Rede (z. B. Lg. 870d5). Die gesamte Pas-
sage über die Seelenwanderung dient, wie Sokrates ausdrücklich sagt,
drittens der Begründung, warum man ein Leben als philosophos führen
und sich von den Körperdingen fernhalten soll, nämlich um des Zieles
willen, des Aufenthalts 'bei den Göttern' nach dem Tode. Was uns hier im
ersten Jenseitsmythos vermittelt wird, ist somit eine Belehrung. Mehrfach
ist zudem vom Bild der Seele die Rede, die im Körper gefesselt ist oder
sich darin wie in einem Gefängnis befindet. Dabei geht es um einen logos,
der 'im Geheimen' (έν άπορρήτοις, 62b3) gelehrt werde, womit auf My-
sterieninhalte verwiesen ist.31 Daraus darf man folgern, daß der erste
Jenseitsmythos die Funktion der Belehrung oder paradosis hat, wie sie in
den sogenannten 'Kleinen Mysterien' enthalten war und zur Vorbereitung
auf die 'Großen Mysterien', auf die 'Schau' der heiligen Gegenstände
diente. Voraus ging eine 'Reinigung', eine katharsis, wie die antiken
Quellen belegen und wie sie im Phaidon zuvor ebenfalls ausführlich ent-
halten ist, wie oben dargelegt worden ist. Der erste Jenseitsmythos hat

31
Vgl. Riedweg 1987, 5-14; PI. Cra. 400c; £/?.7.335a2. Der Grund für die Seelen-
wanderung liegt in der 'Zwischennatur' des Menschen zwischen Sterblichkeit und Un-
sterblichkeit, die ihrerseits durch den Mythos von der Zerreißung des Dionysos begründet
ist. Diesen Mythos hat Piaton mit großer Wahrscheinlichkeit gekannt. Die Stellen und die
Überlieferungslage sind genannt bei Riedweg 1987, 13-14.
110 Eveline Krummen

somit auch eine strukturierende Funktion im Dialog, insofern er die


nächste Stufe nach der 'Reinigung', die 'Belehrung', ausgestaltet. Was da-
gegen die Seelenwanderung betrifft, so ist deutlich, daß diese Ausführun-
gen nicht etwa unvermittelt auftreten, sondern inhaltlich längst vorbereitet
sind. Sie führen die religiöse Ebene in genau der Form weiter, wie sie im
Gespräch von Anfang an eingeführt worden ist, und ebenso die Analogie
zwischen dem religiösen logos und dem philosophischen Bereich. Sie
legen die Ausrichtung des Lebens auf das 'Dasein mit den Göttern' fest,
was gleichzeitig bedeutet, daß der Myste und Philosoph dem Kreislauf der
Wiedereinkörperungen entflohen sind. Was im religiösen Bereich die
Initiation leistet, vermittelt im philosophischen Bereich die Erkenntnis der
Ideen, die uns am Ende des ersten Jenseitsmythos im Bild des Aufstiegs
beschrieben ist. Die Ideenerkenntnis wird somit zur Verheißung für das
Leben nach dem Tod (84a-b).
Im Hinblick auf die 'alte Lehre', wie sie in den (orphischen oder dio-
nysischen) Mysterienlogoi wiedergegeben wird, kann man dagegen fest-
stellen, daß sie in ihrer Struktur sozusagen eine philosophische Wahrheit
enthält, die man allerdings zuerst 'freilegen' muß. Die 'alte Lehre' ver-
weist auf philosophische Grundsätze und hat eine autoritative Gültigkeit.
Wenn man von der 'alten Lehre' spricht, spricht man für den Wissenden
über die philosophische Wahrheit. Übergeordnetes Ziel der Passage je-
doch ist die Antwort auf die Frage, ob die Menschen vor dem Tod Angst
haben müssen (84b 1-8). Gerade im Jenseitsmythos stellt Sokrates dar,
wovor die Menschen Angst haben könnten, ordnet es ein und weist argu-
mentativ nach, daß diejenigen, die 'richtig' gelebt, nämlich ein philosophi-
sches Leben geführt haben, dem Kreislauf entfliehen und bei den Göttern
leben werden. Der Jenseitsmythos zeigt somit in einem Bild gegenüber
den rationalen Unsterblichkeitsbeweisen, daß und warum die Erkenntnis
der Ideen für die unsterbliche Seele notwendig ist, die ihrerseits nur durch
eine 'richtige', philosophische Lebensweise erworben werden kann. Wis-
sensanspruch, Erkenntnis der Ideen und die Lebensform greifen ineinan-
der. Die Philosophie verändert das Leben und die Einstellung zum Tod.
Von hier aus versteht man, warum bei Piaton Hinweise auf Mysterien so
prominent vorkommen. Die Mysterien und das Mysterienerlebnis sind
bildgebend für das, was der Philosoph erfährt.
'Schön nämlich ist das Wagnis' 111

Der schönste Gesang der Schwäne

Es folgt ein längeres Zwischenspiel (84c-91d), aus dem sich ergibt, daß
Sokrates nochmals seinem logos zu Hilfe kommen muß. 32 Die Passage
wird eingeleitet mit dem Hinweis auf den 'schönsten Gesang der
Schwäne', den sie sich vor ihrem Tod singen (84e-85c), da sie nun zu ih-
rem Gott hingehen dürfen, dem sie gedient haben. Sokrates ist - wie die
Schwäne - Apollon geweiht und in seiner Obhut (85b4-6), auch was die
prophetischen Gaben, die bei ihm auf die Ideen und das Jenseits gewendet
sind, betrifft. Apollon ist der Gott der Klarheit und Bewußtheit. Die Pas-
sage soll also den letzten Worten des Sokrates Bedeutung und Sicherheit
vermitteln, zumal es hier im philosophischen und mythischen Sinne um
'die letzten Dinge' gehen wird. Das Zwischenspiel mündet denn auch in
die Aufforderung des Sokrates, der Vernunft und den Menschen zu trauen,
wozu man allerdings ein Urteil über die Menschen, bzw. eine Einsicht in
die menschliche Natur haben müsse (89d).

Dritter Unsterblichkeitsbeweis und zweiter Jenseitsmythos

Der dritte Unsterblichkeitsbeweis der Seele und die nachfolgende zweite


Jenseitserzählung bilden die letzte Rede des Sokrates vor seinem Tod
(95e-107b; 114d). Die vorangehende Passage zu Sokrates' Rede als
'Schwanengesang', der Apollon geweiht ist, macht diese zur Prophezeiung
und zum Vermächtnis. Da die Passage über den dritten Unsterblicheitsbe-
weis der Seele wichtig ist für die Frage, wie der zweite Jenseitsmythos mit
dem Vorangehenden zusammenhängt, muß sie hier referiert werden. Zu-
erst legt Sokrates sein methodisches Vorgehen dar, was bereits darauf hin-
deutet, daß nochmals Prinzipielleres folgt. Er wird nämlich in der Art
einer 'zweitbesten Fahrt' (99c9-d2) vorgehen, womit das Weiterkommen
mit Hilfe von logoi, von Argumentationen gemeint ist, im Gegensatz zu
den Naturphilosophen, deren Lehren Sokrates ungenügend erschienen, da
sie, wie man ergänzen kann, von den Dingen und nicht von der Begriffs-
philosophie ausgingen (99d). 33 Denn nur auf diese Weise kommt man

32
Zur boetheia-Situation vgl. Szlezäk 1985, 234-250 und 1993, 78.
33
Eine ausfuhrliche Analyse des Bildes von der 'zweitbesten Fahrt' gibt Reale 1996,
72-77, w o auch Zweck und Ziel der 'zweitbesten Fahrt' genannt sind: Sie führe zur "Ent-
112 Eveline Krummen

schließlich bei der Reflexion über die Ursache für das Werden und
Vergehen zur Annahme, 'daß es ein Schönes an sich und ein Gutes und
Großes und alles Übrige gibt' (100b5-7), die Ideen also die realen Ursa-
chen der Dinge sind. Hier unterbricht Piaton mit einem Rückgriff auf die
Rahmenhandlung den Dialog und läßt Echekrates zustimmen. Dieser
Rückgriff ist ein strukturierendes Element und ein Hinweis darauf, daß
nochmals 'Höheres' folgt. In der Tat ist erst jetzt die Voraussetzung für
den dritten Unsterblichkeitsbeweis geschaffen. Sein eigenes Vorgehen faßt
Sokrates am Ende der Passage in einer berühmten Aussage zusammen.
Wenn man über die hypotheseis Rechenschaft ablegen müsse, dann greife
man auf eine der höheren hypotheseis zurück, bis man zu etwas 'Hinläng-
lichem' gelange (καν έάν αΰτάς νκανώς διέλητε [sc. τάς γε υποθέσεις
τάς πρώτας]), dann 'werdet ihr nicht mehr weiter suchen müssen' (ουδέν
ζητήσετε περαιτέρω, 107b3-9), dort kommt das Denken zur Ruhe. 34 Es
ist hier vom Aufstieg zum letztbegründenden Prinzip die Rede, in dem
man einen Hinweis auf das Eine, dem das Gute entspricht, gesehen hat,
wohin alles mündet. Dies ist das Ziel der Erkenntnis, wie zum Beispiel
auch in der Politeia dargelegt ist.35 Dem Beweisgang selbst liegt deutlich
eine bipolare Struktur zugrunde, es geht um Groß und Klein, um Warm
und Kalt, um Gerade und Ungerade (101a-e; 102b-106e). Diese Anlage
jedoch deutet darauf hin, daß wir hier im philosophischen Bereich auch
mit der Vorstellung der unbestimmten Zweiheit des Großen und Kleinen,
der im ethischen Bereich das Schlechte entspricht, zu rechnen haben.
Diese ist dem Einen zu- und untergeordnet. 36 Auf dieser ontologischen

deckung eines neuen Ursachentyps, der ausschließlich in der intelligiblen Realität be-
steht, nämlich im Eidos, in der Idee" (74), wozu die "Entdeckung der ersten und höchsten
Prinzipien, von denen die Ideen abhängen" (75) komme. Diese Terminologie wird später
auch im Zusammenhang mit dem dritten Unsterblichkeitsbeweis (103e3, 104c7) verwen-
det.
34
Vgl. PI. R. 7.532, wo vom dialektischen Aufstieg zum ersten Prinzip die Rede ist,
dort finde man 'Ruhe vom Marsch und ein Ende der Reise'.
35
Grundsätzlich gilt, daß die Voraussetzungen der Ideenlehre nur geklärt werden
können, indem man eine noch höhere Voraussetzung aufsucht und diese als einen weite-
ren Grundsatz annimmt, bis man auf etwas 'Hinreichendes' trifft, έπί τι ίκανόν, 101 d-e.
Vgl. Szlezäk 1993, 71-76, bes. 85-92: "Der Aufstieg zu einem letzten, transzendenten
Prinzip [ist] das Ziel des Erkennenden", dieses Aufsteigen geht in "Richtung der Er-
kenntnis der Prinzipien" (86), vgl. R. 6.509d-51 le; Smp. 210a. Vgl. auch oben Anm. 33.
36
Zum Platonischen Prinzip des Einen und der 'unbestimmten Zweiheit', die Grund
der Vielheit ist, vgl. Halfwassen 2004, 263-278, bes. 273-275: Allein aus dem Zusam-
menwirken der beiden Prinzipien kann sich "die Struktur des Ideenreiches und damit die
ganze Welt des Seienden" (274) konstituieren.
'Schön nämlich ist das Wagnis' 113

Strukturierung basiert der dritte Unsterblichkeitsbeweis. Es wird nach-


gewiesen, daß 'die Seele, wenn es Ideen gibt, unsterblich ist'. Es gibt da-
für zwei Postulate, daß erstens Ideen sind und sich zweitens entgegen-
gesetzte Ideen nicht verbinden. Wenn also die Seele als Wesenseigen-
schaft das Leben hat, der Tod aber der Gegensatz des Lebens ist, dann
kann die Seele den Tod nicht in sich aufnehmen, folglich ist sie unsterb-
lich (102b-107b). Qualitäten können nur entweichen, nicht vernichtet wer-
den, d. h. es stirbt nur dasjenige im Menschen, was sterblich ist, das Un-
sterbliche geht heil von dannen, die Seele also ist unsterblich und unver-
gänglich (ψυχή άθάνατον καν άνώλεθρον, 106e9-107al), womit der Be-
weis erbracht ist.37

Hier schließt der zweite große Jenseitsmythos über das Schicksal der
Seele an (107d5-l 15a9), dessen Funktion unklar ist. Die Frage jedenfalls,
ob die Seele unsterblich sei, ist hinlänglich beantwortet. 38 Allerdings ist
die Frage nach dem Schicksal der unsterblichen Seele im Jenseits offenge-
blieben.
Die Jenseitserzählung selbst ist zweiteilig. Sie gliedert sich in das Re-
ferat eines traditionellen logos (λέγεται und indirekte Rede, 107d5-6), der
vom Totengericht handelt, und in einen 'schönen Mythos' (μΰθος καλός),
der die Wohnstätten und das Schicksal der Seelen nach dem Tode be-
schreibt (1 lObl; 114d-e). Im ersten Teil ist davon die Rede, wie die See-
len, geleitet von ihrem jeweiligen Daimon, in den Hades gelangen und
dort den ihnen gemäßen Ort einnehmen. Sowohl der Weg in den Hades als
auch der Ort, den die Seele dort einnimmt, sind von der vorangehenden
Lebensweise abhängig. Sokrates beschreibt danach den Ort, wohin die
gute und reine Seele gelangt, die zudem Götter zu ihren Geieitern hat, als
eine ideale Erde mit vielen Regionen, welche die guten Seelen bewohnen

37
Diese Argumentation zielt wohl nicht nur auf den Körper, sondern auch auf die
sterblichen Seelenteile, wie in der Lehre von der Dichotomie der Seele dargelegt wird,
die ζ. B. im Timaios formuliert ist. N u r die Denkseele ist vom Demiurgen hervorge-
bracht, die beiden anderen Seelenteile sind später ' a n g e b a u t ' (69c-d) und auf Begierde
und Ehrgeiz gerichtet (90b), also auf Dinge, die dem sterblichen Bereich angehören, das
logistikon aber soll sich der Ordnung und Harmonie des H i m m e l s angleichen, ' g e m ä ß
seiner alten N a t u r ' ( κ α τ ά τ η ν ά ρ χ α ί α ν φΰσνν, 90c-d); vgl. Szlezäk 1993, 92-105, zum
Timaios bes. 103.
38
Außer der oben in A n m . 6 genannten Literatur vgl. noch Ebert 2002; zu den Jen-
seitserzählungen im Phaidon, Gorgias und in der Politeia bes. D a l f e n 2002; Alt
1982/1983; 2002.
114 Eveline Krummen

können. Ein Unbekannter (τις) habe ihm, Sokrates, davon erzählt und ihn
vollständig überzeugt (108c8). 39 Damit rekurriert Piaton auf eine Form,
die er häufig wählt, wenn es darum geht, von einer bestimmten Position
oder wichtigen philosophischen Einsicht zu berichten, die nicht mit den
vorhandenen Gesprächspartnern dialogisch erarbeitet werden kann. Diese
neue Person (τις) hat keine Individualität, es handelt sich um ein imagi-
niertes dialektisches Gespräch, von dessen Inhalt sich Sokrates 'überzeu-
gen' ließ. Was folgt, unterscheidet sich also nunmehr vom Referat des
traditionellen logos über das Schicksal der Seele im Jenseits, wie diese
Einleitung besagt. In der Tat ist die nachfolgend beschriebene Welt mit
ihrer spezifischen Ordnung etwas Neues, nämlich ein Bild für das philo-
sophische System Piatons, insofern die Relation zwischen der Welt hier
und der Ideenwelt beschrieben ist, wobei diese nur diejenige Seelen er-
blicken können, die besondere Voraussetzungen erfüllen. Beschrieben ist,
wie wir in einer Senkung der Erde wohnen, in die sich Wasser, Nebel und
Luft ergossen haben, was die Wahrnehmung trübt, während die eigent-
liche Erde - wie in nunmehr schon vertrauter hieratischer Begrifflichkeit
formuliert ist - rein im reinen Raum des Himmels liege (καθαράν έν
καθαρω, 109b7), wo auch die Sterne sind.40 Diesen wahren Himmel, das
wahre Licht und die wahre Erde vermöge jedoch nur zu sehen, wer bis
zum höchsten Punkt gelange, beflügelt hinauffliege (ή πτηνος γενόμενος
άνάπτοιτο) und alles erblicken könne, indem er seinen Kopf hoch erhebe
(κατιδεΐν (αν) άνακύψαντα, 109e2-3). Diese Beschreibung erinnert auf-
fallig an das Höhlengleichnis der Politeia und ganz besonders an den Auf-
stieg des Seelenwagens im Phaidros, wie man stets bemerkt hat. Es wird
also das traditionelle Jenseitsbild um das philosophisch begründete Jen-
seitsbild Piatons erweitert, wie es grundsätzlich auch aus anderen Dialo-
gen bekannt ist. In den Formulierungen sowohl des Aufstiegs in der Ge-

39
Dazu Karfik 2004, 29-33. Die Erzählung gliedert sich in drei Teile: Der erste be-
handelt die Position und Gestalt der Erde (108e4-109a8), der zweite verbindet die obere
Gestalt der Erde mit ihrer inneren Struktur (109a9-l 1 lc5), und der dritte stellt die Unter-
welt, also das Innere der Erde, dar ( 1 1 1 c 5 - 1 1 3 c 9 ) . Die D a r s t e l l u n g erinnert an
kosmologische Modelle der Vorsokratiker. Zur kugelförmigen Gestalt der Erde vgl. Ebert
2004, 445-454. Die Kugelgestalt der Erde ist hier (Phd. 108e5) erstmals belegt; eine
Erde, die im Gleichgewicht schwebt und sich in der Mitte des Weltalls befindet, wird von
Aristoteles A n a x i m a n d e r zugeschrieben, der allerdings von einer z y l i n d e r f ö r m i g e n
Gestalt spricht (Cael. 2.13, 295bl 1-17). Weitere Literatur bei Karfik 2004, 30 Anm. 23
und 24.
40
Vgl. Karfik 2004, 33-36 zu den Aufenthaltsorten der Seelen.
'Schön nämlich ist das Wagnis' 115

folgschaft eines Gottes als auch in der Beschreibung des Zieles, nämlich
der Schau der reinen und wahren Erde, klingt wiederum religiöse Sprache
an, wie sie aus dem Mysterienkontext vertraut ist, diesmal dient sie als
Bild für die Beschreibung des Ideenbereichs. 41
Im zweiten Teil des Jenseitsmythos, den Sokrates nicht mehr als logos
sondern als 'schönen Mythos' bezeichnet (μΰθος καλός, 11 Ob 1; 114d-e),
wird die Beschreibung des Jenseits in seiner positiven und negativen Aus-
prägung fortgesetzt. Es handelt sich um eine Art 'Jenseitsschau'. Die Be-
schreibung geht aus von der Erde, die als Dodekaeder erscheint, was wohl
Pythagoreischen Konzepten am nächsten kommt. Die Erde ist in drei Teile
geteilt.42 Zuerst wird die 'wahre Erde' in ihrer unveränderlichen Schönheit
und Vollkommenheit dargestellt, deren Anblick 'ein Schauspiel für glück-
selige Betrachter' ist (θέαμα εΰδανμόνων θεατών, 11 la3). Die Menschen
leben in der Reinheit ihrer Luft ohne Krankheit, mit einem hervorragenden
Seh- und Hörvermögen, einem großen Verstand, die Götter zeigen sich
den Menschen; auch Sonne, Mond und Sterne werden von den Menschen,
die in eudaimonia leben, rein erblickt (110b5-l 1 lc3). Beschrieben ist hier
eine 'Insel der Seligen', die genau diejenigen Qualitäten aufweist, die für
einen philosophos entscheidend sind, wie gute Bedingungen für die Wahr-
nehmung, da der aither es ermöglicht, die Dinge klar und unmittelbar als
das zu erkennen, was sie sind, ein Dasein mit den Göttern und Glückselig-
keit. Diese Beschreibung bildet den Ausgangspunkt. Im Text folgen zwei-
tens die Landregionen und die Tiefen mit ihren Strömen sowie die Auf-
zählung der vier Unterweltsströme, wobei alles als großer Kreislauf des
Wassers dargestellt wird, der vielleicht auf die Hydrogeographie Siziliens
hinweist. Ähnliche Beschreibungen finden sich bei antiken Geographen.
Doch weist auch diese 'Realität' wiederum über sich hinaus, nämlich auf
das große System der Reinigung der Seelen im Jenseits, wo sie ihren
spezifischen Sinn findet (11 lc4-l 13c9).43 Die Schilderung endet mit einer

41
Vgl. dazu bes. Phdr. 248c3; 249c2; 250b5-c6 und Riedweg 1987, 56-60, w o auf
die Bedeutung des M y s t a g o g e n verwiesen wird, der den Initianden bei den Großen
Mysterien in Eleusis zur Schau geleitet. Bei Piaton übernehmen die Götter diese Funk-
tion. Hier auch zum astralen Einfluß auf Piatons Vorstellungen.
42
Vgl. PI. 77. 55c, w o das Dodekaeder dem Universum zugewiesen wird. Karfik
2004, 36-51; vgl. auch oben Anm. 39 und 40.
43
Vgl. dazu Kingsley 1995, 82-87. Jedenfalls würde diese Darstellung gut zur unter-
italisch-sizilischen Prägung der Jenseitsmythen stimmen. Ebert 2004, 444-445 will in der
Schilderung der Position der Erde im Weltall, der Geographie der Oberwelt oder auch der
h y d r o g e o g r a p h i s c h e n P h ä n o m e n e ein ' D o k u m e n t ' der Pythagoreischen Wissenschaft
116 Eveline Krummen

langen ethischen Reflexion über das Schicksal der Seelen nach dem To-
tengericht. Sie beginnt mit demjenigen der schlechten und ganz schlechten
Seelen, die mehrfach durch das unterirdische Flußsystem gewaschen wer-
den (112a-l 14b), und geht weiter mit dem Schicksal derjenigen Seelen,
'die sich durch eine besonders reine Lebensführung auszeichnen' (ov δέ δή
αν δόξωσι διαφερόντως προς τό όσίως βιώναι, 114b6-7); diese steigen
auf und gelangen zu 'reinen Wohnstätten' (άνω δέ είς την καθαράν
οί'κησιν άφικνούμενοι, 114cl-2). Hier befinden wir uns also wieder am
Ausgangspunkt des 'schönen Mythos', nämlich bei der 'Insel der Seligen'.
Doch gibt es noch eine weitere Gruppe, und zwar jene 'der durch die Phi-
losophie hinreichend Gereinigten' (oi φιλοσοφία ίκανώς καθηράμενοι),
die für immer ohne Körper leben (άνευ τε σωμάτων ζώσι) und zu ganz
besonderen 'Wohnstätten kommen, die noch schöner als diese und nicht
leicht klar darzustellen sind' (και είς οικήσεις έ'τι τούτων καλλίους άφ-
ικνοΰνται, ας οΰτε ράδιον δηλώσαι). Sokrates endet mit der Auffor-
derung, daß man alles tun soll, um in diesem Leben an Tugend und Ver-
nunft Anteil zu haben (παν ποιεΐν ωστε αρετής και φρονήσεως έν τω βίω
μετασχεΐν, 114c7-8), denn der Siegespreis sei schön und die Hoffnung
groß (καλόν γαρ τό αθλον και ή έλπις μεγάλη, 114c8). Mit dieser
Formulierung schließt sich ein weiterer Kreis, wir sind am Ausgangspunkt
des gesamten Gesprächs angelangt, der durch dieselbe Formulierung
markiert war. Wer sich im Leben um seine Seele kümmert, wird den
'Siegespreis davontragen' (114c; 64a2). Zwar gebe es keine Gewißheit
über die 'wahre Welt', doch 'das Wagnis ist schön' (καλός γαρ ό κίνδυ-
νος, 114d6), sagt Sokrates, nämlich diesen Glauben zu haben und zu
leben. Der Tod also ist nicht das Ende, die Seele ist unsterblich und Sokra-
tes wird zu den Göttern 'übersiedeln'. 44
Fragt man nach der Verbindung des zweiten Jenseitsmythos mit dem
vorangehenden Unsterblichkeitsbeweis und nach der Funktion, so ist zu-
erst wieder die enge Beziehung zwischen religiöser Thematik und philo-
sophischer Systematik deutlich. Auf der religiösen Ebene begegnet man
denselben Bereichen wie zuvor, wobei Jenseitsgericht, Buße der unreinen
Seele, Wiedereinkörperung, die Forderung 'rechtmäßig und nach religiö-
sen Bräuchen zu leben' (όσίως βιώναι), das Bild des Todes als 'Befreiung

sehen, in der Schilderung der Eschatologie dagegen ein ' D o k u m e n t ' der Pythagoreischen
Religiosität. Zu den Pythagoreischen Gesprächspartnern vgl. Ebert 2004, 97-100.
44
Vgl. oben S. 96-97.
'Schön nämlich ist das Wagnis' 117

wie aus einem Gefängnis' (έλευθερούμενοί τε καΐ άπαλλαττόμενοι


ωσπερ δεσμωτηρίων, 114b8-cl) eher dem orphisch-dionysischen Bereich,
die Beschreibung der idealen Erde und Wohnstätte sowie der 'Insel der
Glückseligen' eher dem eleusinischen Bereich zuzuordnen sind. In diesem
Zusammenhang fällt auf, daß dieselben Bilder und Ausdrücke verwendet
werden, wie sie die epopteia, die 'Schau', an den Großen Mysterien in
Eleusis kennzeichnen. Nicht nur der große Glanz, das Licht, die Klarheit,
die Farbigkeit, die Schönheit, sondern auch die emotionale Reaktion des-
sen, der die Erde betrachtet, ist dieselbe, es ist ein 'Anblick für glückselige
Betrachter' (θέαμα εύδαιμόνων θεατών, 111a3), wer das schaut, ist
glückselig. Die Schau der 'wahren Erde' und die 'Ideenschau' entsprechen
sich. Von hier aus eröffnet sich strukturell eine Verbindung zum ersten
Jenseitsmythos, insofern dessen 'Belehrung', die auf die 'Kleinen Myste-
rien' verwiesen hat, nunmehr mit der 'Jenseitsschau' als einer Art epop-
teia wie in den Großen Mysterien weitergeführt und zum Ziele gebracht
wird. Wir steigen auf von der 'Reinigung' (katharsis) zur 'Belehrung'
(paradosis) und danach zur 'Betrachtung' {epopteia). Dieselbe Strukturie-
rung und Terminologie im Zusammenhang mit dem Ideenbereich findet
sich bei Piaton in weiteren Dialogen, die somit die Analyse des Phaidon
bestätigen können. Am nächsten kommen die Diotimarede im Symposion,
wo Diotima sogar ausdrücklich die Beziehung zu den Kleinen und Großen
Mysterien herstellt, und Passagen in der zweiten Erosrede des Sokrates im
Phaidros,45 Was den Phaidon betrifft, so kann man geradezu von einer
Kombination traditioneller Jenseitsvorstellungen mit der Systematik des
philosophischen Weltbildes Piatons sprechen. Die traditionellen Vorstel-
lungen erhalten ihren besonderen Zusammenhang und Sinn im philosophi-
schen System und können auch theoretisch begründet werden. So verweist
der Aufstieg der reinen Seele zu immer schöneren Wohnstätten auf die
dialektische Stufung, Ziel ist die Betrachtung der 'wahren Welt', bzw. der
Ideen, und übergeordnetes Ziel ist der Verbleib in der 'wahren Welt', bzw.
bei den Ideen nach dem Tod.
Die strukturelle und thematische Einbindung des zweiten Jenseitsmy-
thos in den Gesamtdialog ist also deutlich. Doch bleibt noch die Frage, ob
auch ein Zusammenhang mit dem dritten Unsterblichkeitsbeweis der Seele
besteht. Im Unsterblichkeitsbeweis ist vom Aufstieg zum letzten trans-
zendenten Prinzip die Rede, zu dem man von Hypothesis zu Hypothesis

45
Vgl. Riedweg 1987, 2-69; Krummen 2003.
118 Eveline Krummen

aufsteigt, bis man zu etwas 'Hinlänglichem' gelangt (99d-107b). Von die-


sem letzten oder höchsten Prinzip kann nur andeutend die Rede sein, nicht
weil es ein nicht Definiertes wäre, sondern weil es das alles Übertreffende
ist. Vergleichbar ist eine Stelle im Jenseitsmythos, die ebenfalls vom Auf-
stieg spricht, und zwar der Seelen, die ein besonders reines Leben geführt
haben, diese steigen zu Regionen auf, die nur als 'noch schöner' (sc. als
die schönen) beschrieben werden können, sie genau darzustellen (δηλώ-
σαι), ist nicht leicht (114c5). Wir stellen hier also eine Analogie in der
Begrenzung der Mitteilung über die letzten Prinzipien in der theoretischen
Auslegung und derjenigen über die höchsten Wohnstätten im Jenseits-
mythos fest. Daraus ist zu schließen, daß die letzten Prinzipien und die
'noch schöneren' Wohnstätten dieselbe Position einnehmen. So wie der
Philosoph im Verlaufe eines philosophischen Lebens schließlich zur Er-
kenntnis des letzten transzendenten Prinzips gelangen kann, das das Ziel
des Erkennenden ist, so wird er nach dem Tod zu den letzten transzenden-
ten 'Wohnstätten' gelangen. Der dritte Unsterblichkeitsbeweis der Seele
und der zweite Jenseitsmythos sind also unmittelbar aufeinander bezogen,
gerade in ihrer Ausrichtung auf das höchste Ziel hin. Der im gesamten
Phaidon angelegte Grundzug, daß religiöse und mythische Thematik un-
mittelbar auf philosophische Inhalte verweist, kann diese enge Verbindung
noch zusätzlich bestätigen. Vollends deutlich wird sie, wenn man überlegt,
was mit den höchsten transzendenten Wohnstätten gemeint sein kann. Hier
geben der Timaios und Phaidros bis zu einem gewissen Grade Aufschluß.
Im Timaios ist über die unsterbliche Vernunftseele gesagt, daß sie durch
denkendes Erfassen der Umläufe des Alls sich der Ordnung und Harmonie
des Himmels anzugleichen wisse 'gemäß ihrer alten Natur' (κατά την άρ-
χαίαν φύσιν, 90d5). 46 Im Phaidros dagegen ist im Zusammenhang mit
der wahren Erkenntnis der Ideen die Rede davon, daß diese nicht als das
Sehen der Sache selbst, sondern als das Wiedererinnern an das wirkliche
Sehen der Seele in der Präexistenz verstanden werden soll, denn der wahre
Philosoph verweilt in der Erinnerung immer bei dem, 'bei dem der Gott
verweilend göttlich ist' (249b6-c6). Die 'noch schöneren Wohnstätten'
verweisen also nicht nur auf den Bereich der Ideen, sondern auch auf das
letzte transzendente Prinzip oder auf den Anfang, wo die Seele göttlich
und glückselig dem Kreislauf des Werdens und Vergehens, der in den Jen-
seitsmythen eine so große Rolle spielt, entkommen ist. Der positive Teil

46
Vgl. R. 10.61 ld2; Szlezäk 1993, 102-103.
'Schön nämlich ist das Wagnis' 119

der Jenseitsmythen, der Aufstieg zum Bereich der Ideen und der 'idealen
Wohnstätten', bezieht sich also unmittelbar auf grundlegende Theoreme
der Platonischen Philosophie. So sind der dritte Unsterblichkeitsbeweis
und der zweite Jenseitsmythos in ihrer Ausrichtung verbunden, letzterer
führt im Bilde aus, was jener dialektisch begründet hat, und führt es zum
höchsten Ziel.
Doch lassen sich vor diesem Hintergrund auch die Funktion und Ein-
bindung der ausgedehnten Passagen zu einem negativen Jenseits der Un-
reinen, wo die Frevler ihre Strafe verbüßen, deutlicher fassen. Es gibt ein
dem Höchsten und Guten entgegengesetztes Prinzip der unbestimmten
Zweiheit. Eine Stelle im Theaitetos verknüpft dieses dem Guten entgegen-
gesetzte Prinzip auch mit dem Schicksal des Menschen. 47 Es gebe zwei
Vorbilder (παραδείγματα) im Seienden, ein gänzlich glückseliges, göttli-
ches und ein unseliges, widergöttliches. Manche Menschen folgten dem
widergöttlichen, womit sie auch ihr Schicksal im Diesseits und Jenseits
besiegeln (176a5-177a8). Das Übel (τά κακά) aber müsse in der Welt
sein, da es notwendig etwas geben müsse, das dem Guten entgegengesetzt
sei, doch erreiche das Übel nicht den Bereich der Götter. Im Theaitetos
erscheint also eine metaphysische Letztbegründung aus zwei gegensätzli-
chen 'Vorbildern' oder παραδείγματα. Diese sind auch - so kann man
folgern - in der mythischen Strukturierung des Jenseits wirksam, wie es
im Phaidon dargestellt ist. Die ideale Erde verweist auf die Dominanz des
einen Guten, die Unterwelt dagegen, die als Aufenthaltsort der Schlechten
definiert ist, auf diejenige des dem Guten Entgegengesetzten, des Übels
und seiner vielfältigen Erscheinungen. So ist denn das Bild des Jenseits
nur vollständig, wenn beide Bereiche beschrieben sind. Von hier aus wür-
den sich die ausführlichen Schilderungen der Unterwelt erklären, denn es
soll offenbar der gesamte Kreislauf, der Ort einer jeden Seele je nach
ihrem Leben und Verdienst, dargestellt werden. Die negativen Teile des
Jenseitsmythos sind somit ebenso auf die philosophische Systematik aus-
gerichtet wie die positiven. Von hier aus wird die Stellung des ersten Prin-

47
Zum Theaitetos vgl. Szlezäk 2004, bes. 124-125. Vgl. auch R. 4.443el, wo Gut-
sein und Einssein dasselbe sind: nur ein Leben, das gemäß den Tugenden geführt wird,
kann die 'Vielheit', die mit der Schlechtigkeit zusammengeht, vermeiden. 'Gutsein' be-
deute, 'ganz und gar eins werden aus Vielem' (παντάπασιν ενα γενέσθαι έκ πολλών).
Ziel des Lebens für den Philosophen ist die Idee des Guten, somit das Einssein, Die arete
hat denn auch nur eine Form, das 'Übel jedoch unendlich viele' (έν μεν είναι είδος της
αρετής, άπειρα δέ της κακίας, 445c5-6).
120 Eveline Krummen

zips oder der 'noch schöneren Wohnstätten' noch deutlicher. Diese dienen
dazu, den obersten, letztbegründenden und einen Punkt, der alles zusam-
menhält, zu markieren. Es ist gewissermaßen der Fluchtpunkt des Lebens
des idealen Philosophen, dessen Ziel es ist, 'von hier nach dort' zu gelan-
gen {Phd. 107e2; 117c2). Auch für die zu Beginn des Jenseitsmythos ent-
faltete Beschreibung der Erde als Dodekaeder erschließt sich nun die Be-
deutung und ihre philosophische Ausrichtung. Die Kenntnis der Natur der
Erde und des Alls hängt mit der Kenntnis der letzten Begründungen zu-
sammen, aber auch mit der Natur der Seele, wie sie im Timaios dargelegt
ist.
Die Funktion des zweiten Jenseitsmythos jedoch zeigt sich vollends,
wenn man auf die grundlegende Frage des Phaidon zurückgeht, warum
man vor dem Tod keine Angst zu haben brauche, die sich als eine Frage
nach der Unsterblichkeit der Seele erweist. Diese ist mit der Theorie zur
Platonischen Seelenlehre und Ethik, mit der Ontologie, Kosmologie und
Erkenntnistheorie verbunden, wie sich gezeigt hat. Diese Theorien können
jedoch nicht genauer und im einzelnen dargelegt werden. Sokrates sagt an
entscheidender Stelle, als Simmias nach der 'Erde' fragt, die eine Meta-
pher für den Ideenbereich ist, daß er nur ihre Gestalt beschreiben könne,
jedoch nicht, was sie in Wahrheit sei, dafür bleibe nicht genug Zeit
(108d4-e2). Im Phaidros, wo Sokrates über die Natur der Seele sprechen
sollte, wählt er eine Darlegung, die einer 'kürzeren und menschlichen
Ausführung entspricht', anstelle einer gänzlich göttlichen und langen Aus-
führung (246a4-6). Es folgt die zweite Erosrede mit dem Bild des
Seelenwagens. Im Phaidon führt somit der Jenseitsmythos im Bilde aus,
was hinter den Unsterblichkeitsbeweisen der Seele an philosophischen
Theoremen und Gehalt liegt, was jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nicht in
seiner Systematik dargelegt werden kann. Diese Aufgabe kann er umso
besser erfüllen, als der gesamte Dialog, wie nachgewiesen wurde, auf
einer kohärenten religiösen und mythischen Thematik aufliegt, die den
Dialog weiträumig strukturiert, auch die Jenseitsmythen einbindet und
sich klar auf die Systematik der Platonischen Philosophie bezieht. So kann
man schließen, daß der zweite Jenseitsmythos die Konsequenz der Un-
sterblichkeitsbeweise der Seele darlegt, und zwar in einer Weise, die in
gedrängtester Form die Grundsätze der Philosophie Piatons auf den Punkt
bringt und sie in einem einprägsamen Bild wie Losungsworte im religiö-
sen Bereich, dem Wissenden zur Erinnerung, dem Nichtwissenden oder
demjenigen, der sich auf dem Weg befindet, zur Aufgabe und Hoffnung,
'Schön nämlich ist das Wagnis' 121

festhält. Der zweite Jenseitsmythos macht also Inhalte begreifbar, die im


einzelnen nicht dargelegt werden können. Die Bedeutung aber zeigt sich
noch klarer, wenn man bedenkt, daß es nicht nur um die Menschen allge-
mein geht, die zu einem Leben in der Philosophie aufgerufen sind, son-
dern ganz besonders um Sokrates, den man sich dort denken soll, wo das
Höchste, Reinste, Schöne, Gute und Eine ist. Diesen Mythos, der auf das
Wahre verweist, sollen die Freunde, die um Sokrates versammelt sind, mit
auf den Weg nehmen, sich daran halten und erinnern. Und hier sind
nochmals die orphischen Goldblättchen anzuführen, wo die Erinnerung
ebenfalls eine entscheidende Rolle spielt, nur daß sie bei Piaton noch über
die Insel der Seligen hinausführt, zur alten Natur der Seele und des Alls,
zum Anfang, zur Idee des Guten. Erst der zweite Jenseitsmythos führt also
das Argument des Phaidon in sein Ziel. Diese Anlage und Aussage des
Phaidon aber erschließt sich genau dann, wenn man die Bedeutung der re-
ligiösen und mythischen Thematik sowie ihre Anlage, die auf grundlegen-
de philosophische Inhalte verweist, erkennt.

Das Trinken des Giftbechers und der Hahn für Asklepios

Wir wechseln nun wieder zum inneren Rahmen des Dialogs, wo die Er-
eignisse unmittelbar vor dem Tod des Sokrates dargestellt sind (115a5-
118al7). Die Erzählung erscheint dokumentarisch, zeigt jedoch gleichzei-
tig eine religiöse und philosophische Einbindung. Es ist geschildert, wie
Sokrates sich wäscht, Abschied nimmt, die Freunde tröstet, den Giftbecher
heiter entgegennimmt, betet, sich hinlegt, verhüllt und unmittelbar vor
dem Sterben wieder enthüllt, schließlich Kriton aufträgt, Asklepios einen
Hahn zu opfern, so seine letzten Worte. Man kann diese Begebenheiten als
Bestandteil einer rituellen Handlung betrachten, das Waschen, das Wie-
derholen der essentiellen Inhalte der Lehre, daß nur der Leib, nicht aber er,
Sokrates selbst, begraben werde, womit auf die Unsterblichkeit der Ver-
nunftseele hingewiesen ist, das Hinlegen zum Schlafen, das Verhülltsein
und Enthüllen, die Anweisung, das Opfer für Asklepios darzubringen.
Vergleichbar ist der Ritus des Schlafens im Heiligtum des Asklepios, dem
das Bad des Kranken vorangeht, im Schlaf erscheint dem Heilungsuchen-
den der Gott. Das Enthüllen unmittelbar vor dem Tod könnte darauf deu-
ten, daß Sokrates etwas Heiliges wahrnimmt, so wie der Myste in Eleusis
die Götterbilder oder der Schlafende im Asklepiosheiligtum im Traum den
122 Eveline Krummen

Gott selbst sieht. Auf jeden Fall werden die religiösen Themen des Dia-
logs zu Ende geführt, zu dem Punkt, den die Mysterienkulte verheißen, zu
Glückseligkeit und Gottesbegegnung.
Die Bedeutung im philosophischen Bereich dagegen zeigt sich, wenn
man berücksichtigt, wo der Jenseitsmythos, der unmittelbar vorangeht,
endet. Er endet mit der Andeutung, daß der wahre Philosoph zu den 'noch
schöneren Wohnstätten' gelangen wird, wenn seine Seele mit den ent-
scheidenden philosophischen Tugenden der Besonnenheit, Gerechtigkeit,
Tapferkeit, Freiheit und Wahrheit geschmückt ist, was bei Sokrates der
Fall ist (114e3-l 15a3). Unmittelbar darauf folgt die Schlußszene. Diese
Anlage aber hat eine besondere Bedeutung, insofern sie bewirkt, daß der
Tod des Sokrates vor einen Hintergrund tritt, nämlich Sokrates' eigene
große Rede über die Unsterblichkeit und das Dasein des Philosophen nach
dem Tod. Sokrates wird, so die Aussage, zum Anfang von allem gehen,
'von hier nach dort', zu jenen 'Glückseligkeiten der Glückseligen'
(115d4), wie Sokrates wahr und mit urbaner Ironie sagt, um Kriton zu
trösten. Der zweite Jenseitsmythos hat folglich auch die Funktion, den
Hintergrund für den Tod des Sokrates zu bilden und das Ziel der 'Reise'
aufzuzeigen. Daraus aber ergibt sich, daß der Schluß des Dialogs, die Ster-
beszene, als Fortsetzung des Jenseitsmythos zu lesen ist. Erst der Tod des
Sokrates führt den Jenseitsmythos in seiner Anwendung auf die Seele des
idealen Philosophen zu Ende. Sokrates also ist am Ziel der Reise ange-
langt, er hat gesehen und ist geworden, was er einmal war, seine Augen
sehen hier nicht mehr - wie der Wächter ihn enthüllt, sind sie starr - , denn
sie sehen dort, wo sie das Wahre und Göttliche sehen. Sokrates schläft hier
und wacht dort, während er sonst derjenige war, der noch wachte, während
alle anderen schliefen. 48

48
Daß es für die Interpretation eines Dialogs nicht unwichtig ist, in welcher Reihen-
folge die einzelnen Teile erscheinen, bestätigt das Symposion. Dort tritt ebenfalls der letz-
te Teil, der die Ankunft des Alkibiades schildert und gleichzeitig die innere Rahmen-
handlung des Symposions wieder aufnimmt, vor einen Hintergrund. Dabei handelt es sich
um die Rede der Diotima zur Erkenntnis der Ideen, die sie in einem Bild, nämlich der
Einweihung in die Großen Mysterien in Eleusis, zu erklären versucht. Allerdings zweifelt
Diotima, ob Sokrates, damals ein junger Mann, je in die Großen Mysterien eingeweiht
werden könne. Alkibiades dagegen behauptet, daß Sokrates 'Götterbilder' in sich trage
(215b). Diese prägen Sokrates' Verhalten und sein Leben, wie die Beispiele zeigen, die
Alkibiades aus dem Leben des Sokrates anführt. Die Rede des Alkibiades dient also dazu,
die Zweifel der Diotima zu beseitigen. Sokrates konnte - im Bilde gesprochen - in die
Großen Mysterien eingeweiht werden, er hat 'die Ideen gesehen'. Der Alkibiadesteil oder
die Rahmenhandlung im Symposion tritt also vor einen Hintergrund, nämlich der Rede
'Schön nämlich ist das Wagnis' 123

Die Frage nach der Bedeutung des Opfers für Asklepios ist vor diesem
Hintergrund neu zu stellen (118a7-8). Seit der Antike wird das Opfer als
Dank für die Heilung von der Krankheit des Werdens oder Lebens (Da-
maskios) oder des Mißtrauens in die Argumente (Crooks) oder des kran-
ken Piaton (Most) oder als Zeichen von Sokrates' Frömmigkeit (Ebert)
verstanden.49 Richtig ist, von Asklepios als Heilgott und bestem Arzt aus-
zugehen, doch darf sich die Analyse nicht auf den Phaidon beschränken.
Die Themen 'Heilkunst' und 'Ärzte' kommen bei Piaton mehrfach vor,
wobei der 'Arzt', dessen 'Kunst' auf den Körper bezogen ist, in Analogie
gesetzt wird zum wahren Rhetoriker und Philosophen, dessen Kunst sich
auf die Seele richtet. 'Heilen' können Arzt und Philosoph jedoch nur,
wenn sie über eine 'Kunst' oder techne verfügen, die auf wahrem Wissen
gründet.50 So wie also der Arzt den Körper mit Hilfe seiner techne heilt, so
der Philosoph die Seele mit Hilfe der Redekunst und Dialektik. Ein gutes
Beispiel für diese Analogie findet sich im Charmides. Der schöne Charmi-
des leidet an Kopfschmerzen. Sokrates erklärt, daß er zwar ein 'Heilmittel'
(φάρμακον) gegen Kopfschmerzen besitze, es sei jedoch nur in Verbin-
dung mit einer 'Besprechung' (έπωδή) der Seele wirksam (155e5-9).51 Es
wird danach ausdrücklich gesagt, was die 'Besprechungen' sind, nämlich
'schöne Reden', durch die in der Seele Besonnenheit entstehe. Das Phar-
makon dagegen ist eine Metapher für zentrale Inhalte der dialektischen
Wissenschaft, die zur wahren Erkenntnis, zur Glückseligkeit und zur Un-

der Diotima, die ihrerseits durch den Alkibiadesteil im Grunde erst zum Abschluß ge-
bracht wird; vgl. dazu Krummen 2003, 27-31. - Genau betrachtet ist dies eine Anlage,
wie man sie in der griechischen Dichtung, besonders im Hymnos und Enkomion, häufig
findet. Auf eine mythische Partie folgt zum Schluß eine Hinwendung zur Gegenwart, die
auf diese Weise vor einen Hintergrund tritt, der der Gegenwart eine spezifische Bedeu-
tung gibt, oft ist auch eine kultische Handlung erwähnt.
49
Damascius In Phaedonem 561; Crooks 1998, 117-125; Brickhouse/Smith 2004,
265-271; Ebert 2004, 460. Most 1993, 96-111 stellt auch die gesamte Literatur zu dieser
Frage zusammen; vgl. oben S. 94-96.
50
Mehrfach ist denn auch im Zusammenhang mit falschen Meinungen und Affekten
der Seele metaphorisch von 'Schneiden und Brennen' und 'Reinigung' die Rede; die
'Seelentherapie' wird analog zu Therapieformen der Ärzte gesehen.
51
Dazu Szlezäk 1985, 141-150 und 1993, 27-28 und 89-92. Auf Charmides verweist
auch Frede 1999, 170-172, wo allerdings die Stelle nicht genauer analysiert wird. Frede
interpretiert das Opfer an Asklepios als Dankesopfer für die Heilung von der Todes-
furcht. Die Besprechungen können übrigens nicht 'abgeschrieben' ( ά π ο γ ρ ά ψ ο μ α ι ) wer-
den, wie Charmides zuerst meint, was in Einklang mit der These des Sokrates steht, daß
zentrale Inhalte nur mündlich vermittelt werden können, wie Sokrates auch gegenüber
Phaidros im gleichnamigen Dialog darlegt. Vgl. Thivel 2004, bes. 100-101, 106-107.
124 Eveline Krummen

Sterblichkeit führt. Sokrates seinerseits ist der Arzt der Seele, der sowohl
das 'Heilmittel' als auch die 'Besprechungen' kennt.52 In den Nomoi wird
die Behandlungsmethode des guten Arztes unmittelbar mit derjenigen des
Philosophen verglichen. Der gute Arzt betrachtet die Krankheit nach
ihrem Ursprung und ihrer Natur, er kann wie der Philosoph Rechenschaft
ablegen über sein Tun. 53
Blickt man von hier aus auf den Phaidon, so fallt auf, daß die Begriffe
'Heilkunst' und 'Besprechungen' gleich zweimal an bedeutender Stelle
vorkommen. Einmal tritt Sokrates selbst als 'Arzt' auf, nämlich im Zu-
sammenhang mit den Argumenten des Simmias und Kebes gegen die Un-
sterblichkeitsbeweise der Seele. Der Freundeskreis sei jedoch, so sagt
Echekrates zu Phaidon, von den Zweifeln 'geheilt' worden, sogar Simmias
und Kebes seien schließlich überzeugt gewesen (ίάσατο, 89a5). In ähnli-
chem Kontext kommt die 'Besprechung' vor. Sokrates bezeichnet sein
Reden über die Unsterblichkeit der Seele und ihre Wohnstätten als ein
'sich selbst Besprechen' (έπάδειν έαυτω, 114d7), die Freunde weist er
zuvor an, sich gegen die Angst vor dem Tod jeden Tag 'Besprechungen
vorzusingen' (έπάδειν) und nach seinem Tode unter sich selbst einen gu-
ten 'Beschwörer' zu suchen (έπωδόν, 77e8-78a9). Der Sinn dieser Stelle
erhellt sich auf dem Hintergrund des Charmides. Die Freunde werden von

52
Vgl. auch Grg. 459b, wo der Gegensatz zwischen Arzt und Nichtarzt, zwischen
Wissendem und Unwissendem thematisiert ist. Grg. 475d; 4 7 8 a l - b l wird die schmerz-
hafte Behandlung durch den Arzt mit der Bestrafung der Ungerechten durch den Richter
gleichgesetzt, sie bewirkt Gesundung und befreit von Schlechtigkeit (Unreinheit). Hier
ordnet Piaton auch die Gespräche mit Sokrates ein; diese können schmerzhaft sein, wir-
ken aber therapeutisch (Grg. 480a-c). Vgl. 77. 90c-e, w o festgehalten ist, daß man sich
nicht nur um den unsterblichen Seelenteil kümmern, sondern auch den affektiven thera-
pieren müsse: Rhetorik ist Seelenführung, doch kann über diese techne nur derjenige
wirklich verfugen, der ausreichend philosophiert, d. h. die Wahrheit und auch die Natur
der Seele kennt. Vgl. schließlich die Bezeichnungen 'Arzt fiir die Seele' (περί τ η ν ψ υ χ ή ν
α ύ ι α τ ρ ι κ ό ς , Prt. 313e2) oder 'ein Kunstfertiger [im Sinne von 'ein kunstgerecht Urtei-
lender'] in Bezug auf die Seelentherapie' ( τ ε χ ν ι κ ό ς περί ψ υ χ ή ς θ ε ρ α π ε ί α ν , La. 185e4).
Zur Dialektik (bildlich: pharmakon) als "Theorie der G r u n d l e g u n g der Ethik in einer
Anthropologie und Metaphysik" im Gorgias vgl. Szlezäk 1985, bes. 205-207. Die Dia-
lektik aber ist an 'schöne Reden' (d. h. auf wahrem Wissen gründenden Reden) gebun-
den; die schönen Reden sind also die Darreichungsform der Dialektik, d. h. des pharma-
kon. Nur gemeinsam führen sie zur wahren Erkenntnis, d. h. zur ' G e n e s u n g ' , nur der
wahre 'Techniker' und 'Seelenarzt', der Philosoph, kann diese herbeiführen. Das ' W o r t '
(λόγος) gilt als 'Arzt' ( ι α τ ρ ό ς ) oder 'Heilmittel' ( φ ά ρ μ α κ ο ν ) bereits bei den Vorsokrati-
kern.
53
Lg. 4.720a-e; Lg. 9.857c-d. Zum guten Arzt gehört auch eine entsprechende Hal-
tung, die aus Einsicht, Besonnenheit usw. resultiert, also den Platonischen Kardinaltu-
genden entspricht. Vgl. Mielke 2005, bes. 38-51, 56-61 mit weiteren Stellen.
'Schön nämlich ist das Wagnis' 125

ihren Zweifeln an der Unsterblichkeit der Seele und von der Todesfurcht,
um die es im Phaidon geht, mit Hilfe von 'schönen Reden', die mit Kennt-
nis der Wahrheit und der Natur der Seele gehalten werden, 'geheilt'. Phi-
losophisches Reden ist 'Seelentherapie' und die Arztmetaphorik - wie
auch die Nomoi zeigen - eine zentrale Metapher für die Platonische Philo-
sophie.54 Einen 'Beschwörer' aber werden die Freunde des Sokrates am
ehesten unter sich finden, da das 'Heilmittel' (die Dialektik) und die 'Be-
schwörungen' (die in Kenntnis der Wahrheit gehaltenen Reden) in diesem
Kreis am besten gewußt werden. Sokrates ist - bildlich gesprochen - wie
Asklepios, seine Freunde wie die Asklepiaden, die sich ihrerseits auf
Asklepios berufen.
Es zeigt sich ganz deutlich, daß das Opfer für Asklepios thematisch im
Phaidon keineswegs isoliert steht, wie man angenommen hat. Auf der
Ebene des Dialogs ist es wohl geschuldet für die erfolgreiche 'Bespre-
chung', die 'schönen Reden', in denen es um die 'Sorge für die Seele'
sowie um ihre Natur und Unsterblichkeit ging. Das Opfer kann folglich als
Dank für die 'Heilung' betrachtet werden und dient vielleicht der Verge-
wisserung, daß man für immer von der Todesangst geheilt ist, wenn man
nur das Wissen, das Sokrates gelehrt hat, fest bewahrt. Es gibt Zeugnisse,
daß Ärzte für erfolgreiche Heilungen und künftiges Wohlergehen Askle-
pios geopfert haben. Man wird das Opfer aber auch so verstehen, daß die
enge Beziehung zwischen Sokrates und Asklepios dargestellt werden soll,
war Sokrates Asklepios doch ganz besonders verpflichtet, da Sokrates als
'Seelenarzt' gleichsam in dessen Dienst wirkte. Spätere Zeugnisse bele-
gen, daß Asklepios Reinheit im ethischen Sinn verlangte; über seinem
Tempel in Epidauros soll sich die Inschrift befunden haben: 'Rein muß
derjenige sein, der den duftenden Tempel betritt. Reinheit aber meint rei-
nes Denken.' 55 Gesundheit besteht in der Balance zwischen körperlichen

54
Die 'Krankheit' ist im Phaidon die Todesfurcht, die Sokrates hier ebenfalls nach
ihrem Ursprung betrachtet, nämlich der Unkenntnis der Seele. 'Therapie' ist die Aufklä-
rung über die Seele und die richtige, nämlich 'philosophische' Lebensweise; diese besei-
tigt die Todesfurcht und führt letztlich zur Unsterblichkeit.
55
Porph. Abst. 2.19, der mit großer Wahrscheinlichkeit auf Theophrasts de Pietate
zurückgeht (= Τ 318 Edelstein/Edelstein = Theophrast Τ 584 A 19.5 Fortenbaugh: άγνον
χρή ναοϊο θυώδεος έντος ιόντα / εμμεναι- άγνεία δ' έστϊ φρονεΐν οσια). Die Passage
handelt vom Opfer allgemein: ein einfaches Opfer ist dem kostspieligen vorzuziehen,
Feldfrüchte waren die ersten Opfer, wichtig ist die innere Haltung des Opfernden.
126 Eveline Krummen

und seelischen Faktoren. 56 Asklepios gilt, wie Apollon, als Lehrer, Hei-
lender und Retter (σωτήρ). 57 Wieviel von diesen Konzepten bereits in die
Zeit Piatons zurückgeht, ist nicht sicher festzustellen. Doch dienen wohl
Apollon und sein Fest zu Beginn des Phaidon und das Opfer an Asklepios
am Ende dazu, pointiert auszudrücken, daß sich das Leben und Sterben
des Sokrates zwischen diesen beiden Polen bewegt, zwischen Apollon,
dem Gott der Erkenntnis einerseits, und Asklepios, dem Arzt, der Körper
und Seele 'reinigt' und 'Heilung' gibt andererseits, so daß die Seele an
ihren Anfang zurückkehren wird. Asklepios ist der Heros und Gott, der
auch im Tode dem Menschen beisteht und Vollendung gibt.58 Das Opfer,
das in seiner Einfachheit gut zum sokratischen Leben paßt, ist also keines-
falls einzig ein biographisches Detail, sondern faßt wichtige Themen des
Dialogs zusammen und führt sie gleichsam auf ihren Höhepunkt. 'Askle-
pios' wird zum Stichwort der 'Heilung', der 'großen Hoffnung', zum phi-

56
Vgl. Chrm. 156d8-el, wo das Konzept Zalmoxis zugeschrieben wird. Zalmoxis
(den die Thraker für einen Gott hielten) nimmt im Charmides eine Funktion ein wie der
mythische oder imaginäre Gesprächpartner in anderen Dialogen (ζ. B. Theuth, Diotima).
Der Bericht eines Gesprächs erlaubt Sokrates, fundamentale Einsichten in den Dialog zu
integrieren. Es geht im Charmides um das Verhältnis von Körper und Seele, das auch im
Phaidon Gegenstand des Gesprächs ist. Vgl. Szlezäk 1985, 228-230.
57
Asklepios ist auch der Vollender intellektueller Leistungen, er wird als Beistand
für das Verfassen von Reden, Dichtungen und Prosaschriften herbeigerufen, ζ. B. Jul.
Gal. 235 Β (= Τ 324 Edelstein/Edelstein): 'Es heilt Asklepios unsere Körper, es bilden
die Musen zusammen mit Asklepios und Apollon und Hermes, dem Gott der Reden,
unsere Seelen' (ίαται 'Ασκληπιός ημών τά σώματα, παιδεΰουσιν ημών αί Μοΰσαι συν
Ά σ κ λ η π ι ω καϊ Άπόλλωνι καΐ Έ ρ μ η λογίφ τάς ψυχάς ...). Daß Asklepios' Verbindung
zur Dichtung eng war, belegt vielleicht das Zeugnis, das besagt, Sophokles habe einen
Hymnus auf Asklepios gedichtet, den Gott in sein Haus aufgenommen und seinen Kult in
Athen überhaupt eingeführt (T 591 Edelstein/Edelstein). Für eine frühe und enge Verbin-
dung spricht auch, daß das wichtigste Fest des Asklepios einen Tag vor den großen Dio-
nysien stattfindet (Aeschin. Or. 3.66-67 = Τ 566 Edelstein/Edelstein). Der Komödien-
dichter Telestes schrieb einen Asklepios (ca. 400 v. Chr.). Asklepios war später der be-
sondere Schutzgott der Dichter, Rhetoren und Philosophen, die ihm ihre Werke weihten
(Ael. fr. 102 Domingo-Foraste = Τ 456a Edelstein/Edelstein über den Komödiendichter
Theopompos, Zeitgenosse des Aristophanes). Bei Libanios gibt Asklepios Vollendung,
und zwar sowohl den Werken in Versen als auch in Prosa (Lib. Ep. 695.1-2 = Τ 610 und
Τ 608-617 Edelstein/Edelstein), dazu Edelstein/Edelstein 1945, 199-208 und 133-136
(Asklepios als 'Retter').
58
Asklepios selbst hat den Tod erlitten, er war heros und theos. Zu Asklepios als
demjenigen, der ein gutes Lebensende verleiht, vgl. ζ. B. Orph. H. 67 Quandt (= Τ 601
Edelstein/Edelstein): 'Komm, Glückseliger, Retter, und gib ein gutes Ende des Lebens'
(έλθέ, μάκαρ, σωτήρ, βιοτής τέλος έσθλόν όπάζων). Berücksichtigt man den agonalen
Charakter der Rede des Sokrates, kann man das Opfer auch als Siegesopfer verstehen.
Sokrates hat den Sieg davongetragen, die Wahrheit und Gerechtigkeit hat sich durch-
gesetzt, seine Seele wird ihre 'alte Natur' zurückgewinnen.
'Schön nämlich ist das Wagnis' 127

losophischen Vermächtnis des Sokrates, der wie Asklepios 'Retter' ist.


Dem Heros und Gott Asklepios ist der Freundeskreis des Sokrates fortan
verpflichtet. Man kann Sokrates' Reden auch in der einfachen Begrifflich-
keit der Knochenblättchen von Olbia ausdrücken, die wohl in den dionysi-
schen Bereich gehören: 'Leben - Tod - Leben', 'Wahrheit' (βίος - θάνα-
τος - βίος, αλήθεια). 59
Piaton dagegen, sagt Phaidon, sei krank gewesen. Der Autor tritt zwar
namentlich auf, was in keinem anderen Dialog der Fall ist, doch nur als
Abwesender. Wie Piaton von den Ereignissen erfahren hat, wann Phaidon
Echekrates davon erzählt hat, ist nicht erklärt. Es scheint jedoch, daß nur
wenig Zeit seit dem Tod des Sokrates verstrichen ist. Dennoch wird auf
diese Weise das Gespräch in eine gewisse Ferne gerückt, wie wir es ähn-
lich beim Symposion beobachten, das uns in dreifacher Brechung erzählt
wird. Es entsteht der Eindruck einer Überzeitlichkeit, wie sie der Dialog
auch inhaltlich ausdrückt. Was dagegen Piatons 'Kranksein' betrifft, so
fügt es sich insofern in die Thematik des Dialogs ein, als es im Dialog um
'Heilung' im Sinne der Vergewisserung wesentlicher Inhalte der philoso-
phischen Lehre geht. Liegt also Piaton danieder, da er dem Körper, dem
Schmerz, der Trauer, den Zweifeln verhaftet ist und ihn erst die Reflexion
über das, was Sokrates gelehrt hat, wieder 'geheilt' hat? Piaton gilt später
ebenso wie Sokrates als 'Seelenarzt' und wird in dieser Funktion zusam-
men mit Asklepios genannt, der die Körper der Menschen geheilt habe;
die Heilkunst aber wird auf Apollon zurückgeführt. 60 Die ausdrücklich er-
wähnte Abwesenheit des Autors gibt jedoch auch die Lizenz zu einer
gewissen Freiheit der Schilderung, die dann nicht als eine rein dokumenta-
rische, sondern in erster Linie als eine philosophische gelesen werden
sollte.

59
Orph. fr. 463 Τ Bernabe: die Inschrift befindet sich am oberen Rand des Kno-
chenblättchens (5. Jh. v. Chr.), unmittelbar darunter ist αλήθεια und am unteren Rand
Διό(νυσος) 'Ορφικοί geschrieben. Vgl. Graf/Johnston 2007, 185-186 mit flg. 6. Eventu-
ell ist ein A, das sich auf einem anderen Knochenblättchen desselben Typus findet, als
Abkürzung für ΑΙΩΝ ('Ewigkeit') zu verstehen, vgl. Graf/Johnston 2007, 186-187 mit
fig. 6. Zur Vorstellung einer engen Verbindung von Leben und Tod und Leben vgl. auch
Heraklit. fr. 41 Marc. (22 Β 88 DK = Orph. fr. 454 V Bernabe), Goldblättchen von Pe-
linna Orph. fr. 485 Bernabe (spätes 4. Jh. v. Chr.), Graf/Johnston 2007, 36-37. Abbildun-
gen bei Casadio 1991, Tf. 16 neben 143. Vgl. Betegh 2004, 341-345.
60
D.L. 3.45 (= Τ 322 Edelstein/Edelstein), vgl. Olymp. Vit.Pl. P. 6 (195, 11-12), der
die Inschrift auf dem Grabstein Piatons zitiert, welche die Athener dort angebracht haben
sollen.
128 Eveline Krummen

Mythos und Dialektik im Phaidon

Im Hinblick auf das Thema unserer Tagung ('Literatur und Religion -


mythisch-rituelle Strukturen im Text') ist abschließend nochmals aus-
drücklich die Frage nach der Bedeutung und Funktion von Mythos und
Ritual bei Piaton aufzugreifen. In der Piatondiskussion haben mythische
Passagen jüngst ein neues Interesse gefunden, wobei die Frage nach dem
Verhältnis von Mythos und logos - ob der Mythos dem logos unter- oder
übergeordnet oder gleichwertig sei - im Vordergrund steht.61 Neuere Ar-
beiten zur Politeia und den Nomoi weisen nach, daß der Mythos ein "inte-
gratives Moment philosophischer Darstellung" (Pietsch 2002, 101)
bildet.62 Für den Phaidon kommt man, wie die vorliegende Darstellung
gezeigt hat, zu demselben Ergebnis. Dieselbe Aussage gilt auch für rituelle
und kultische Beschreibungen. Folgende Punkte sind jedoch genauer oder
neu zu formulieren.
1. Es ist deutlich, daß die Mythen bei Piaton keine abgeschlossenen
Erzählungen bilden.63 Sie treten nicht punktuell auf, sind nicht ornamental
und auch nicht als Exkurse zu betrachten. Es hat sich im Gegenteil am
Beispiel des Phaidon klar gezeigt, daß sich die Themen der Mythen, die
zum Teil bereits zu Beginn des Dialogs eingeführt werden, zu Leitmotiven
und in den mythischen Passagen sogar zum umfassenden Bild entwickeln
können. Die Mythen führen also im Dialog kein Eigenleben. Was ihre
Themen betrifft, so sind diese im Phaidon vorwiegend dem orphischen,
dionysischen oder eleusinischen Bereich entnommen, wobei Piaton durch
Begriffe, Bilder und Beschreibungen immer wieder klar auf einzelne Be-
reiche verweist. Deren Themen erscheinen - längst bevor sie ausdrücklich
erwähnt werden - in Anspielungen und Motivik im Text. Ferner hat sich
gezeigt, daß uns Piaton keinesfalls religionsgeschichtliche Informationen
über diese Bereiche geben will, die Bereiche sind weder beschrieben noch
klar voneinander abgegrenzt. Es geht denn auch nicht um eine spezifische
Lehre, sondern um die jeweiligen Themen, die Piaton als bekannt voraus-
setzen kann und deshalb nicht weiter auszuführen braucht. Es handelt sich

61
Übersicht bei Pietsch 2002, bes. 99-102; Dönt 1995; Schefer 1996; Cürsgen 2002,
1-32; oben Anm. 2.
62
Vgl. Pietsch 2002, 113-114; Cürsgen 2002,3-5, 11-25; Morgan 2000, 155-291.
63
Görgemanns 1994, 68 spricht sogar von einer 'literarischen Kleingattung'. Später
betont er jedoch den Zusammenhang zwischen Unsterblichkeitsbeweisen und Jenseits-
mythen im Phaidon, die als Illustration theoretischer Thesen gelesen werden können.
'Schön nämlich ist das Wagnis' 129

im Phaidon hauptsächlich um folgende Themen: 'Glückseligkeit' (eudai-


monia), 'Lösen' oder 'Entfliehen aus dem Gefängnis', 'Dasein bei den
Göttern' oder Unsterblichkeit, 'Reinheit' (katharsis), Totengericht und
Seelenwanderung (als 'Belehrung' oder paradosis in Anspielung auf die
'Kleinen Mysterien' gegeben), 'Schau' der 'wahren Erde' und 'Wohn-
stätten' (als epopteia in Anspielung auf die 'Großen Mysterien' in Eleusis
beschrieben) sowie der Unterwelt mit ihren Büßern. Alle Themen haben
Parallelen in weiteren Dialogen Piatons.
2. Als besonderes Merkmal Platonischer Mythen kann man festhal-
ten, daß sie in ihrer Grundstruktur unmittelbar auf philosophische Theore-
me verweisen. Dies zeigt sich sowohl in den Bildern, die Piaton verwen-
det, als auch in der theoretischen Fundierung der mythischen Passagen.
Gerade die Bildhaftigkeit des Mythos, in der mythische, religiöse und
rituelle Thematik formuliert wird, ist auffallig, jedoch kein Selbstzweck.
Sie dient dazu, einerseits einen emotionalen Gehalt auszudrücken und an-
dererseits eine doppelte Bedeutungsebene zu etablieren, die sowohl auf
den religiösen und mythischen Bereich als auch auf zentrale philosophi-
sche Inhalte zielt. Auf diese Weise können religiöse Themen und Begriffe
geradezu paradigmatisch oder symbolhaft für bestimmte philosophische
Aussagen verwendet werden, wobei eine Systematisierung der bildlichen
Inhalte erreicht werden kann, die ihrerseits auf den philosophischen Zu-
sammenhang verweist. Unter den Beispielen, die besonders prominent
sind, ist erstens das Thema der religiösen 'Reinheit' anzuführen, der eine
'philosophische Reinheit' im Sinne der Freiheit von Körperdingen ent-
spricht, wozu auch eine 'reine Lebensweise' gehört, wie die Orphiker und
Pythagoreer sie kennen; diese ist ihrerseits Paradigma für das philosophi-
sche Leben. Zweitens gibt es das Beispiel der 'Vergöttlichung' des
Mysten und Orphikers im Augenblick des Todes, die auf den Aufenthalt
der Vernunftseele 'bei den Göttern' verweist, womit die Ideen gemeint
sind. Als drittes Beispiel ist die Eudaimonie zu nennen, die das Ziel so-
wohl des Mysten als auch des Philosophen ist; wie der Myste und Orphi-
ker richtet der Philosoph sein Leben 'von hier nach dort' aus. Dazu gehört
viertens das in der Orphik zentrale Bild der Seelenwanderung, bzw. des
Entfliehens aus dem Kreis der Wiedereinkörperungen, das auf das Dasein
des Philosophen nach dem Tod beim Guten und Einen und Anfang ver-
weist. Und fünftens ist die hohe Bedeutung der mneme und mnemosyne,
'Gedächtnis' und 'Erinnerung' anzuführen, die sowohl auf den orphischen
Goldblättchen als auch als Konzept der anamnesis in der Philosophie Pia-
130 Eveline Krummen

tons eine wichtige Rolle spielen. Man kann also zusammenfassen, daß es
die tragenden Vorstellungen aus dem orphischen, dionysischen, eleusini-
schen und Pythagoreischen Bereich sind, die Piaton aufnimmt. Dasselbe
gilt für die Nennung von Göttern (Apollon, Asklepios), Heroen (Theseus)
und kultischen sowie rituellen Handlungen. Auch diese weisen konsistent
über sich selbst hinaus auf entscheidende Inhalte und Theorien der Plato-
nischen Philosophie. Somit unterscheiden sich die Jenseitsmythen im
Phaidon (und weitere Passagen zu Kult, Ritus, Mythos) in Anlage und
Funktion nicht von anderen Erzählungen Piatons mit mythischem Charak-
ter, wie der Geschichte von der Erfindung der Schrift {Phdr. 274c-275b)
oder der Auffahrt der Seelenwagen {Phdr. 246a6-256el), auch wenn die
Jenseitsmythen einen traditionellen Hintergrund haben. Doch dieser wird
sozusagen der Platonischen Form der Mythenerzählung 'anverwandelt'.
Die traditionelle Erzählung erhält auf diese Weise auch eine neue Deutung
und einen neuen Ort.
Was dagegen die theoretische Fundierung des Mythos betrifft, hat die
Analyse im Detail gezeigt, daß den Bildern und mythischen Erzählungen
im Phaidon zentrale Theorien zur Seelenstruktur, zur Ethik, zur Erkennt-
nis der Ideen und Prinzipien, zur Kosmologie zugrunde gelegt sind.64 Die-
selbe Beobachtung trifft auf weitere Mythen bei Piaton zu, die ebenfalls so
angelegt sind, daß sie des philosophischen Beweises fähig wären. Der
'Wissende' erkennt den logos im auf Wahres verweisenden Mythos. Ge-
rade darin aber, daß der Mythos über sich hinausweist, liegt denn auch die
Erklärung, warum Mythen unmittelbar an streng philosophische Beweise
anschließen und sie gewissermaßen weiterführen können, wie sie es im
Phaidon, aber zum Beispiel auch im Phaidros tun (245c5-246a2). Die
Mythen sind somit in gewissem Sinne den sogenannten 'Aussparungs-
stellen' vergleichbar. Sie sind nicht beliebige Erzählungen, sondern ver-
weisen für den Wissenden auf fest umrissene Inhalte, die auch der mo-
derne Leser verstehen kann, da sie ihm in den wesentlichen Zügen in den
überlieferten Dialogen vorliegen. 65 Die Erkenntnis jedoch, daß es zur

64
Dieser theoretische Anspruch kann in einem Mythos mehr oder weniger deutlich
hervortreten; dabei gibt es auch Mythen, die diesem Anspruch nicht genügen, wie ihre
Prüfung zeigt, und die deshalb im Verlauf eines Dialogs aufgegeben werden.
65
Zum 'logos' im 'Mythos' vgl. Szlezäk 1993, 132-136; zu den 'Aussparungsstel-
len' 92-105. Zur Erklärung von 'Aussparungsstellen' kann es manchmal hilfreich sein,
auch die außerplatonische Überlieferung heranzuziehen. Doch zum Verständnis der hier
diskutierten Stellen genügt es, die Theorien zur Seelen- und Weltstruktur zu berücksich-
tigen, wie sie aus den übrigen Dialogen Piatons kenntlich sind. Denkbar ist, daß gerade
'Schön nämlich ist das Wagnis' 131

Grundstruktur mythischer Passagen gehört, daß sie über sich selbst


hinausweisen und prinzipiell begründbar sind, bildet die Voraussetzung,
die Bedeutung und Integration dieser mythischen Passagen in den über-
greifenden Kontext und damit die Argumentation des Dialogs insgesamt
zu verstehen. Das Verhältnis von Mythos und logos ist also so aufzu-
fassen, daß beide ineinandergreifen, indem der Mythos für den Wissenden
unmittelbar auf den zugrundeliegenden logos verweist und gleichzeitig ein
Bild schafft, das dem Zuhörer in die Seele gelegt wird und ein Mehr an
Bedeutung und Begründung enthält, als die mythische Erzählung unmit-
telbar preisgibt. 66
Berücksichtigt man diese Relationen zwischen Mythos und logos,
wird auch die scheinbare doppelte Wertung der Jenseitsmythen durch
Sokrates verständlich, auf die noch kurz einzugehen ist. Sokrates spricht
hier (und anderswo in denselben Zusammenhängen) von einer diskursiven
Auseinandersetzung (διασκοπεΐν) einerseits und von einem 'mythischen
Reden' andererseits (μυθολογεΐν, 61el-2). 67 Dabei ordnet er den ersten
Jenseitsmythos von der Seelenwanderung in den Kontext eines (alten)
logos (einer 'alten Rede' oder 'Lehre') ein, auch der erste Teil des zweiten
Jenseitsmythos gehört noch in den Bereich der logoi (108el-5; 109a7),
von denen sich Sokrates überzeugen ließ. Erst im zweiten Teil, wenn es
um die Wohnstätten der Seelen geht, nennt Sokrates die Erzählung einen
'Mythos' (110bl-5; 114d7).68 Bei der Verwendung dieser Begrifflichkeit

diese (mythischen) Stellen im mündlichen Gespräch noch vertieft worden sind, so daß
der ' W i s s e n d e ' besser und mehr verstanden hat, als sich dem Leser erschließt, doch gibt
uns Piaton genügend Informationen, die Stellen und ihre Bedeutung für die Argumenta-
tion zu verstehen.
66
Man hat argumentiert, daß Piaton die mythische und religiöse Tradition daraufhin
prüfe, "in welchem Verhältnis das Dargestellte zur Idee steht", er erschließe "den eigent-
lich konkreten Gehalt der Bilder, die für sich genommen, d. h. ohne erschließende Deu-
tung, gerade keine welterschließende und Orientierung gebende Bestimmtheit haben."
Allerdings sollte man den Begriff "Welterschließung" nun konkret als Erschließung der
letzten Begründungen der Platonischen Philosophie verstehen; vgl. Schmitt 2002, 290-
309, die Zitate 292, 300; außerdem Szlezäk 1993, 132-136; Kobusch 2002, 44-57 sowie
die Einleitung in Kobusch/Erler 2002, i-vii, w o die Bedeutung der ' R e l i g i o n ' f ü r die
Philosophie Piatons besonders auch in der Wirkungsgeschichte betont wird.
67
Vgl. Morgan 2000, 192-201.
68
Es wird also auch terminologisch klar zwischen dem ersten und zweiten Teil un-
terschieden: im ersten Teil liegt eine anonyme Quelle zugrunde, auf die sich Sokrates mit
'es wird gesagt' ( λ έ γ ε τ α ι ) beruft, von deren Richtigkeit er j e d o c h überzeugt ist (vgl.
Manuwald 2002, 74-80, bes. 74 mit A n m . 76), während er im zweiten Teil ein 'schönes
Wagnis' eingeht. Der erste kosmologische Teil, der mit der Erkenntnistheorie verknüpft
132 Eveline Krummen

geht es um die Relation der 'Reden' oder 'Erzählungen' zur philosophi-


schen Systematik und Wahrheit, wie wir gesehen haben. Diese erschließt
sich dem Wissenden, der die Seelenstruktur und das Wirken der Gerech-
tigkeit in der Welt kennt und überzeugt ist, daß unser Schicksal im Jen-
seits von unserer Lebensform im Diesseits abhängt. 69 Dabei verweisen die
logoi, die in einer religiösen oder philosophischen Tradition der 'Lehre'
stehen können, unmittelbarer auf das dialektische Weltbild Piatons, das sie
in ihrer Struktur abbilden, während sich der 'mythische' Charakter des
zweiten Jenseitsmythos vor allem darin zeigt, daß die mythische Erzäh-
lung zwar prinzipiell begründbar wäre, faktisch aber in der konkreten Si-
tuation nicht begründet werden kann. Die Aussage im Phaidon, daß es nur
einen 'angemessenen Glauben' {sc. an die 'noch schöneren Wohnstätten')
- und nicht etwa ein 'Wissen' - gebe, daß dieser Glaube es aber wert sei,
daß man sich ihm hingebe, ist also vergleichbar der Bezeichnung der na-
turphilosophischen Darlegungen im Timaios als eines 'wahrscheinlichen
Mythos' (29d; 68d; 69b). Die Relation logos und 'Mythos', bzw. die Ge-
genüberstellung von 'diskursiver Darlegung' (διασκοπεΐν) und 'mythi-
scher Erzählung' (μυθολογεΐν) entspricht somit derjenigen in anderen
Dialogen Piatons und zeigt ferner verschiedene Stufungen des 'Verweis-
charakters' der Passagen mit Erzählungen, die wir wohl alle als 'mythisch'
bezeichnen würden.
3. Es erschließen sich Aufbau und Dramaturgie des Dialogs, wenn
man berücksichtigt, daß sich die mythischen Erzählungen unmittelbar auf
philosophische Inhalte beziehen. Die Mythen integrieren, wie deutlich
geworden ist, die Ergebnisse des philosophischen Gesprächs auf der je-
weiligen Stufe und führen es gleichzeitig in einer konzentrierten, bildhaf-
ten Erzählung, indem sie konstant auf die dahinterliegenden philosophi-
schen Theoreme verweisen, auf die jeweils höhere Stufe. So gelangen wir
in einem Aufstiegsszenario, wie es in der dreigliedrigen Konzeption der
Mysterien vorgegeben ist, auch im philosophischen Bereich von der 'Rei-
nigung' über die 'Belehrung' zur 'Schau' der Erde und der 'schönen
Wohnstätten' (und deren Gegenteil) zum höchsten Punkt, der von dem
alles an Schönheit Übertreffenden gebildet wird, dem Aufenthaltsort des

ist, wird also mit einem höheren Wahrheitsanspruch vorgetragen als der zweite eschato-
logische Teil über die Wohnstätten der Seelen.
69
Ein zusätzlicher 'Wahrheitsanspruch' mag auch daraus resultieren, daß die 'Alten'
näher bei den Göttern und uns dadurch überlegen sind, wie Sokrates, allerdings etwas
ironisch, im Philebos (16c) und Timaios (40d) sagt.
'Schön nämlich ist das Wagnis' 133

idealen Philosophen, der unsterblichen Seele nach dem Tod, wo Ende und
Anfang eins sind. Man kann im Phaidon nunmehr auch von einer 'durch-
gehenden Handlung' sprechen, insofern das Gespräch, das vom Morgen
des letzten Tages des Sokrates bis zum Abend dauert, Sokrates wahrhaftig
von 'hier nach dort' führt. Sokrates' Seele wird aus dem 'Gefängnis' 'ge-
löst' und zu den 'noch schöneren Wohnstätten', zum Anfang, geleitet. Wir
beobachten hier zudem das Grundprinzip Platonischer Philosophie des
'Aufsteigens' und 'Übersteigens' als gleichsam abgebildet, da der zweite
Jenseitsmythos am höchsten Punkt endet. Darauf aber baut die Sterbe-
szene auf, wie wir gesehen haben, insofern der zweite Jenseitsmythos den
Hintergrund für die Sterbeszene des Sokrates bildet, die im Asklepios-
opfer, den letzten Worten des Sokrates, kulminiert, das für Sokrates' Ver-
mächtnis, sich der 'Seele', nämlich der Philosophie zu widmen, steht. Nur
wenn man die Bedeutung der mythischen Passagen genau erfaßt, er-
schließt sich der volle philosophische Gehalt und die Argumentation des
Phaidon. In der Anlage aber ist der Phaidon gestaltet wie Dichtung, wie
ein Hymnos, in dem der einzelne Satz, das einzelne Bild ein Mehr an Be-
deutung erlangt, die jedoch nicht vage, sondern genau definiert ist. Erst die
Analyse der Vielschichtigkeit ergibt das Ganze. Piaton macht die Dich-
tung gewissermaßen der Philosophie dienstbar.
Abschließend ist ausdrücklich die Frage zu stellen, ob diese religiösen
und mythischen Inhalte von einem weiteren Publikum überhaupt verstan-
den werden konnten. Die Themen jedenfalls sind fester Bestandteil einer
gemeinsamen kulturellen Erfahrung der griechischen Welt des 5. und 4.
Jh. v. Chr. Piaton konnte die Bilder und Erzählungen also verwenden, um
zu vermitteln, wie alles zusammenhängt. Für den Außenstehenden, den
Leser der Dialoge, geben sie einen allgemeinen Eindruck, für den Wissen-
den jedoch verweisen sie auf erfahrene und gelebte Inhalte. Sie dienen -
wie die orphischen Goldblättchen - zur Erinnerung. Sokrates legt uns in
den Mythen eine Art Bild in die Seele, das sich dann vielleicht in einem
langen Leben erst in seiner vollen Bedeutung - wenn überhaupt - er-
schließt.

Mythos und religiöse Tradition

Was aber bedeutet es, daß Piaton im Zusammenhang mit den wichtigsten
Fragen seines philosophischen Denkens, der Erkenntnis der Ideen, dem
134 Eveline Krummen

philosophischen bios, der Seelenlehre, der Ethik, der Kosmologie, immer


wieder Themen verwendet, die der religiösen Tradition entnommen sind?
Es fallt auf, daß es ganz bestimmte Themen sind, die in dieser Weise dar-
gestellt werden. Es geht um die Wahrheit, um das Sein, um Überlegungen
zu Raum und Zeit, zur Lebensform. Diese Themen jedoch sind zutiefst
religiöse Themen, es sind besonders Spekulationen, die sich an die Prä-
existenz der Seele und ihr Dasein nach dem Tode heften. Im Bereich der
Ethik gehören dazu auch Gedanken zur Existenz des Guten, des Reinen,
des Einen, und des Schlechten, des Unreinen, der Vielheit. So kann man
festhalten, daß Piaton uns in den Mythen des Phaidon eine umfassende
Darstellung der Seele und ihrer Daseinsformen vermittelt, die er in einem
Weltganzen verankert. Seelenlehre und Kosmologie verweisen aufeinan-
der. Der Mythos aber gibt uns gerade in seiner grundlegenden Ausrichtung
auf philosophische Inhalte ein Abbild dieses Einen und der Vielheit, der
individuellen Seele und des Weltgeschehens im überzeitlichen Sinn. Der
Mythos ist also Weltdeutung und verweist auf letzte Begründungen. In
diesen Zusammenhang der umfassenden Weltdeutung gehört denn auch
der Rückgriff auf die mythischen und philosophischen Traditionen, die
Piaton auf ihren Wahrheitsgehalt oder ihre 'Logizität' hin prüft, er bringt
sie in einen neuen Zusammenhang und eine neue Ordnung. Er weist den
früheren kosmologischen und eschatologischen Spekulationen den richti-
gen und wahren Ort zu und macht sie für sein eigenes philosophisches
Denken aussagekräftig und sinnvoll. Diese Art der Mythendeutung und
'Mythenfindung' ist im 5. Jh. v. Chr. gut etabliert. Piaton erweist sich als
Erbe der poetischen und philosophischen Tradition. Niemals zuvor wurde
der Mythos jedoch in dieser Systematik und Konsequenz für das eigene
Denken fruchtbar gemacht.
Man kann aber noch einen weiteren Punkt anfügen. Die religiöse Ver-
ankerung der Bildthematik und die Verwendung der Mythen zeigt nicht
nur Piatons Bestreben, wichtigen Theoremen seiner Philosophie einen um-
fassenden Sinn zu geben, weil rationale Erfassung und gefühlsmäßige Ein-
sicht zusammengehören, sondern ist eher so zu interpretieren, daß die reli-
giöse Bildthematik selbst als Hintergrund dient, der noch 'überstiegen'
werden kann, so wie die Wohnstätten der idealen Erde auf noch schönere
verweisen. Die religiöse Bildthematik also zeigt die Richtung an. Bild und
Mythos sind im Hinblick auf die Erkenntnis angelegt. Von daher ist anzu-
nehmen, daß auch Götter wie Apollon, der den Anfang des Phaidon setzt,
ebenso wie Asklepios, sein Sohn, der am Ende steht, auf philosophisch
'Schön nämlich ist das Wagnis' 135

Bedeutendes und Grundlegendes verweisen. Apollon weist als Gott der


Reinheit und Heilkunst, der Harmonie des Kosmos und der Musik, der
Treffsicherheit, die auch diejenige des Wortes meint, und des 'Einfachen'
sozusagen auf die Koordinaten der Platonischen Philosophie, in die der
Phaidon eingebunden ist, und gibt Sokrates gleichsam das Ziel vor. Der
Phaidon, das Leben und Sterben des Sokrates, werden zum 'Hymnos auf
Apollon', wie er am Anfang erwähnt ist, und letztlich - so könnte man
versucht sein zu formulieren - zum poetisch-philosophischen Verweis auf
das Eine. Hier findet sich auch ein Beispiel für das Postulat, daß sich bei
Piaton erstmals der Zusammenhang von Metaphysik und Transzendenz
zeige, "metaphysisches Denken [ist] durch seinen Ursprung und durch
seinen sich durchhaltenden Grundzug auf Transzendenz hin angelegt"
(Halfwassen 2002, 13).70 Die Erfahrung von Transzendenz aber findet sich
auch in der Religion. Gerade die Analyse des Phaidon kann vielleicht
zeigen, daß die Erfahrung der Transzendenz des Denkens auch eine emi-
nent religiöse ist. Doch handelt es sich bei Piaton um philosophisches
Denken und nicht um eine Religion.
Kehrt man zum Phaidon zurück, so kann man als eindrückliche Erfah-
rung festhalten, wie sehr hier das Sterben eines großen Philosophen vor
dem Hintergrund eines ganzen Lebens gesehen wird, von seiner Haltung
rückt Sokrates auch im Tod nicht ab. Während er seinem gewaltsamen
Ende bewußt entgegensieht, läßt er sozusagen alle Mächte und Kräfte, die
sein Leben getragen haben, vor seinem inneren Auge und als Trost für
seine Freunde entstehen. Seine Seele wird an ihren Ursprung zurückkeh-
ren, dorthin, wo sie sich der Ordnung und Harmonie des Himmels' nun-
mehr wohl nicht nur angleichen, sondern einfügen wird. 'Die Hoffnung ist
groß' (ή δέ έλπίς μεγάλη).

Eveline Krummen
Institut für Klassische Philologie, Karl-Franzens-Universität Graz

70
Vgl. Halfwassen 2002, 13-27. Zur Frage der Transzendenz bei Piaton vgl. auch
Lavecchia 2005, w o eine umfassende Darstellung der Ausrichtung der Philosophie Pia-
tons auf die ό μ ο ί α χ π ς θ ε φ ('Angleichung an Gott') gegeben wird. Die Arbeiten Lavec-
chias sind mir jedoch erst nach Abschluß der vorliegenden Untersuchung bekannt gewor-
den, so daß sie nicht mehr berücksichtigt werden konnten. Vgl. jetzt auch Szlezäk 2005.
Thomas Szlezäk sei auch ganz herzlich für die kritische Lektüre des Aufsatzes gedankt.
136 Eveline Krummen

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Springs, Nymphs, and Rivers.
Models of Origination in Third-Century Alexandrian Poetry

I. The Role of Myth and Ritual in Hellenistic Poetry: A Disputed


Question

In archaic and most classical poetry, mythological narratives typically


combine with various performative strategies to connect, both temporally
and spatially, a community's religious existing institutions to moments of
divine contact and origin. This is particularly true of aitiological myths,
since they provide validating accounts of contemporary cultic practices
and institutions.
Most scholarship asserts or assumes that these functions are funda-
mentally altered in Hellenistic poetry, not only as a result of the geo-
graphical distance of Alexandria from the mythological 'homeland', and
the relative recency of its foundation, but perhaps more deeply, because of
the city's cultural distance from Greece. 1 The city's diverse population,
combined with the Ptolemies' tolerance for (or even conscious fostering
of) its various religious traditions (which would have included, princi-
pally, Greek and Egyptian elements), as well as the monarchs' own Mace-
donian background, precluded, it is usually assumed, the more straightfor-
ward relation a colony, for example, would have had with the myths and
rituals of its mother polis.
The claim that aitiological and foundation myths do not function in
Alexandrian poetry in the same way they do in the earlier Greek tradition
has led some scholars, many of whom were influenced by the modernist
poetics of the mid-twentieth century, to see the poetry composed by third-
century scholar-poets as simply erasing the cultural pluralism of Alexan-
dria through cultivation of an elitist aesthetics divorced from any direct

1
For example, Bing 1988, 70-71, with citations: " . . . Callimachus no longer has an
unmediated encounter with the Muses on Mt. Helikon as Hesiod had had. For this, Calli-
machus' central work [the Aitia], is itself a most telling monument to the sense of
rupture: a compendium of tales attempting to explain the peculiarities of the present by
reference to their 'causes' in the distant past, the very need for which bespeaks at once an
awareness of the enormous gulf separating past and present, and the desire to bridge it."
Cf. also Seiden 1998, 325.
142 Mary Depew

religious or political relevance. 2 Combined with the highly literary, textual


aspect o f this poetry, the deictic, representative strategies earlier employed
in performative contexts paradoxically seem to such critics to have be-
come part o f a deliberate attempt to decontextualize both myth and ritual
from any performative function at all. Access to the 'life-world' seems to
have been severed, and poetry to have become a space for displays o f
learning and sophisticated game-playing. In a such a culture, representa-
tions o f myth and ritual would be cut off from any performance context,
and, like the metrical units of the remarkable hymn composed by Casto-
rion o f Soloi, have become elements free to be (re-)combined at will in
endless arrangements that showcase these poets' skill and scholarship. 3
A variant o f this 'retreat-into-aestheticism' theme, viewed as a re-
sponse to Alexandria's geographical, temporal, and cultural distance from
the myths and rituals that had traditionally generated poetic compositions
in Greece itself, may be found in efforts to see in these poets' vivid, 'real-
istic' representations of distant ritual contexts attempts to 'bridge the gap'
between Egypt and Greece, present and past, by cultivating a heightened
sense o f nostalgia or a sense of longing. 4 Recently, however, several
scholars have moved away from the assumption o f distance itself by
examining ways in which Hellenistic poetry reflects or is actually aimed at
legitimating the pluralistic Egyptian religious and political context in
which it found itself. Susan Stephens, for example, examines in detail the
ways in which Hellenistic poets, by means o f references to Egyptian
myths and practices, many already within the Greek tradition, "create a
discursive field that can serve to accommodate two different cultural
logics" (Stephens 2003, 9). 5 It is through such strategies, Stephens argues,
that "these poets were the image makers for the Ptolemaic court" (2003,

2 Richard Hunter 1993, 3 describes this approach in the following way: " . . . the

question o f why the Head o f the [Ptolemaic] Library should write [an epic] on this
subject rather than any other ... [u]ntil recently ... would have been thought hardly worth
asking."
3 Castorion's text (SH 3 1 0 ) consists o f five trimeter lines, whose iambic metra are all

metrically equivalent and interchangeable. The juxtaposition o f a hymn purportedly ad-


dressed to the rustic god Pan (the 'serving-beast o f the Muses', 5) that at the same time
engages its readers in a learned, textual game (it identifies itself as a 'learned text', a
σ ο φ ή γραφή, 3) is in many ways emblematic o f the innovations I will be discussing in
this paper. For a füll and nuanced discussion o f this poem, see Bing 1988, 2 3 - 2 5 .
4
Ε. g„ Bing 1988, 75 and Bulloch 1985, 543.
5 She cites Seiden 1998, 353 for a similar formulation.
Springs, Nymphs, and Rivers 143

12).6 In what follows, I will agree with the view that third-century Alex-
andrian poets looked to traditions from the altered viewpoint of Egypt, but
will argue that their interpretive lens was fundamentally that of the Greek
poetic and religious tradition.
There is much to be said for the notion that Hellenistic court poetry is,
in its own way, serving the traditional functions ascribed to myths. But
however this insight is articulated, it must accommodate the fact that this
body of poetry does very often express a sense of distance and otherness
from the 'life-world' of at least the highly educated, well-connected, fas-
tidious male scholars who composed it. The aitiological myths in their
poetry typically explain the origins of cultic practices that take place in
distant 'Greek' places. And when their poetry does represent geographi-
cally and temporally proximate rituals, it typically involves or seems most
relevant to figures far removed from the sophisticated milieu of the palace
in which the scholar-poets worked, figures such as women of non-privi-
leged status, for example, or rustics. Middle class women, for example,
attend the state-sponsored Adonis festival in Theocritus' fifteenth idyll,
and marvel at the spectacle; shepherds honor nymphs and other rustic
divinities in his 'pastoral' Idylls·, the large number of epigrams honoring
the Ptolemaic queens in their relation to Aphrodite would have had a
particular appeal to women. 7 It is also women, who, in the vividly repre-
sented tableau in Callimachus' sixth hymn, are instructed in proper
behavior at a Thesmophoria (whether Attic, Alexandrian, or neither is un-
clear).8 Men receive ritual instructions at a festival of Athena in Calli-
machus' fifth hymn, but the site is Argos rather than Egypt, so that once
again, the poet seems to be emphasizing distance and problematizing rele-
vance. The same could be said, too, of many passages in the Argonautica\
aitiological myths are numerous in this epic, but explain rituals and insti-
tutions far-removed from the experience of an Alexandrian audience.
Apollonius' most extensive description of ritual action, for example, in-
volves a young woman; the poet's realistic and extended description of
Medea's psychological state is well known. How, then, can the represen-
tational 'realism' so common in third-century Alexandrian poetry perform

6
Important for this view are also Koenen 1983 and 1993; Cameron 1995, 1-70.
7
On this point, see especially Gutzwiller 1993.
8
Bing 1995 notes this tendency in third-century poetic representations of ritual, and
suggests that its intended effect on its predominately male audience would have been to
create sufficient distance to reevaluate and reconstruct traditional notions of aesthetics.
144 Mary Depew

the functions that aitiology and reference to performance context tradi-


tionally performed: the sanctioning of cults and their role in political and
social life? For that matter, how can such strategies legitimate a regime
whose intellectuals are so clearly objectivizing, and hence denaturalizing,
the work that myth-making, by its nature, is supposed to render invisible?9
In this paper I will draw on similarities between how Callimachus and
Apollonius Rhodius use myth and ritual to argue, first, that mythological
themes involving distance, motion, and origination do have a marked
structural importance in both poets' work; that these mythological themes
are systematically articulated in terms of a tropology involving springs,
nymphs, and rivers; and that decoding this tropological system can reveal
how this poetry provided the Ptolemaic regime with precisely the deep
roots in Greek tradition that, on the face of it, their situation would seem to
have precluded. 10 Even as its mimetic realism thematizes distance, this
poetry, in its own subtle, oblique way, legitimates mythologies that would
otherwise descend into elitism and nostalgia.

II. Springs, Nymphs, and Rivers

In the Greek poetic tradition, springs are traditionally associated with both
nymphs and poetic inspiration. The basic connection is that springs are
emblematic of narratives of origination,11 and so have an affinity with the
aitiological myths that structured many poems from the archaic and
classical periods, and which in turn connected the performance of a song
to the ritual actually being celebrated in the here and now. The close alli-
ance between Muses, Charites, and nymphs is no less deeply rooted in tra-
dition.12 Nymphs, in turn, have a close association with rivers, which are
imagined as either their progenitors or their consorts.13
Callimachus composed prose treatises on a number of topics, includ-
ing rivers, nymphs, athletic victors, the foundation of islands and cities,
and birds, and all of the themes that these works treat feature prominently

9
I take this understanding of myth from Barthes 1957.
10
By 'tropology' I mean the systematic use of metaphors and other figures to 'turn'
an argument. See for example Fernandez 1986.
11
Green 1997, 226, citing Goldhill 1991, 325.
12
Larson 2001, 7-8 and citations.
13
Larson 2 0 0 1 , 9 8 - 9 9 .
Springs, Nymphs, and Rivers 145

in his poetry. 14 That mythological narratives featuring springs and rivers


also perform important structural functions in the poetry of Apollonius is
evident in the first book of the Argonautica, when Orpheus, helping to
break up a quarrel between Idas and Idmon over the viability of the voy-
age, sings a cosmogony (1.496-511). At the beginning, he says, the earth,
sky, and sea were commingled. As a result of 'deadly disruption', they
then separated. The stars' courses then became fixed in the heavens, along
with the sun and moon; mountains rose up; rivers came into being along
with their nymphs, as did all animals. The rule of Ophion and Eurynome
then gave over to that of Kronos and Rhea. Orpheus stops his song at the
point when Zeus is still a child 'hidden deep in the Dictaean Cave', and
before he takes over his father's rule. Commentators have puzzled over
why Apollonius placed this song at this point in the narrative. As Green
points out, it is not surprising that it is "only the magic (both literal and
metaphorical) of Orpheus' singing that can defuse the quarrel between
Idas and Idmon" (1997, 208). That song should have such power is indeed
a traditional notion. However, "it is not at all obvious why the song should
be a cosmogony, unless we are simply to assume that this is what Orphism
was expected to produce." Apollonius is of course exhibiting "his eclectic
bookishness" in the song, with elements borrowed from Empedocles,
Orphism, Homer, Pherecydes, Hesiod, and Euripides.15
However this may be, what is important for our purposes is that the
voyage of the Argo begins with a song that posits the primeval, founda-
tional status of rivers and nymphs. 16
This might not be remarkable were it not for the fact that the first two
aitiologies in Apollonius' epic that involve a narrative also concern the
origin of springs and nymphs. Book 1.1063-1069 describes the grief of

14
That the subject matter of these works was not randomly chosen, but had a con-
nection to the concerns and pretensions of the court I hope to suggest in this paper. Even
the topic of birds may have a connection to the court: in the 'Palaces' area of the city
there was kept in Callimachus' lifetime a zoo of exotic birds. Cf. Fraser 1984,1, 515.
15
For the song's indebtedness to Demodocus' songs in Od. 8, see Nelis 1992 and
Hunter 1993, 149-150. For the song's modeling of the world's history as it moves
towards the establishment of Zeus' justice onto the fourth book of Apollonius' epic, see
Hunter 1993, 163-165; Green 1997, 208. Hunter (163) also discusses the way in which
the song's emphasis on "separation" (of earth, heaven, and the sea) corresponds to
Egyptian ideas.
16
This is in contradistinction to Hesiod, who suggests that the nymphs are created
along with the hills they inhabit (Th. 126-130).
146 Mary Depew

Kleite, the widow of Kyzikos, the slain king of the Dolionians. Kleite, the
young bride (νύμφη) hangs herself in her grief.

την δέ και αύται


νύμφαι άποφθιμένην άλσηίδες ώδύραντο·
καί οί άπό βλεφάρων δσα δάκρυα χεύατ' εραζε,
πάντα τάγε κρήνην τεΰξαν θεαί, ήν καλέουσιν
Κλείτην, δυστήνοιο περικλεές οΰνομα νύμφης. (1065-1069)

Her death the very nymphs of the woods and groves lamented; all the tears that
from their eyes dropped earthbound on her account were gathered by the god-
desses into a spring, which men still call Kleite, illustrious name of that unhappy
bride [νύμφη]. 1 7

This touching tale, with the connection it makes between a wife's devotion
to her husband and the origin of a pure spring, would be of little note were
it not for the fact that the next aitiology involving a narrative also concerns
a spring. Just after the narrative of Kleite's spring, fierce storms arise and
keep the crew from their voyage. Jason learns from bird omens interpreted
by Mopsos that he will be able to stop the storms that have been impeding
the Argonauts' journey if he climbs up Mt. Dindymon and there propiti-
ates the Mother of the gods, who controls the winds and the sea and
earth's foundations (1.1084-1102). 18 Here the Argonauts find a naturally
formed, massive vine stump, out of which they carve a sacred image of the
goddess. They erect the statue, and then heap up an altar, garland it, and
offer up a sacrifice (1.1117-1124). Invoking the goddess, they pray:

Μητέρα Δινδυμίην πολυπότνιαν άγκαλέοντες,


ένναέτιν Φρυγίης, Τιτίην θ' άμα Κύλληνόν τε,
ο'ί μοΰνοι πλεόνων μοιρηγέται ήδέ πάρεδροι
Μητέρος Ίδαίης κεκλήαται, δσσοι εασιν
Δάκτυλοι Ίδαΐοι Κρηταιέες, ους ποτε νύμφη
'Αγχιάλη Δικταΐον άνά σπέος, άμφοτέρησιν
δραξαμένη γαίης Οίαξίδος, έβλάστησε. (1127-1133)

17
Tr. Green 1997.
18
Clauss 1993, 169-170 also sees in this rite of propitiating Rhea an attempt to
expiate the blood guilt caused by the killing of Kyzikos.
Springs, Nymphs, and Rivers 147

Dindymene the mother, Lady of many names, dweller in Phrygia, and Titias and
Kyllenos - who alone are called fate-dispensers, and coadjutors of the Idaian
mother, out of that whole crowd of Daktyls on Kretan Ida, long ago brought to
birth in Dikte's cave by the nymph Anchiale, clutching fistfuls of earth from
Oiaxos in either hand. 19

The description commingles references to the Anatolian cult of Kybele, or


Rhea, and the Phrygian Mt. Ida, and the mountain of the same name in
Crete. Jason and his shipmates pour libations, and at Orpheus' command
the young men dance, wearing their armor and beating their swords on
their shields to cover the cry of those who are still lamenting Kyzikos'
death (1134-1138). This is the origin, we are told, of the Phrygians' prac-
tice of propitiating Rhea with bull-roarer and kettle-drum (1138-1139).
But the dance itself would be more at home on the Cretan Mt. Ida, since it
resembles the dance of the Kouretes there. 20 The goddess herself then ap-
pears in a series of natural epiphanies: the earth brings forth 'tender herb-
age to blossom; the wild beasts come forward peaceably'; and, although
no water had flowed before this time on Mt. Dindymon, 'now for them, on
the spot, a constant spring burst from the parched rock, and local people
have called it, ever since then, the Spring of Jason' (1141-1149).
The spring's appearance recalls the poem's first aitiological narrative,
which featured springs originating from the tears of nymphs, and the
resolution of the Argonauts' unintentional slaughter of the Dolionians is
brought about by these ritual actions and Rhea's response. The thematic
focus at the beginning of the epic, and of the Argonaut's voyage itself,
thus involves springs, nymphs, a goddess whose Greek equivalent is Rhea,
and the origin of the first water source in a geographical area (Mt. Dindy-
mon).21 The two narratives are connected by means of the thematic link of
springs. Taken together, they foreshadow the character of Medea, who
combines qualities of a νύμφη, or young maiden or bride, and the myste-
rious, magical, 'eastern' powers associated with the earth.
Quite apart from these connections to Medea's portrayal in Book 3,
the aitiologies that begin Apollonius' narrative also map onto those that

19
Tr. Green 1997.
20
This dance is referred to by Callimachus at Jov. 52.
21
For the possibility that Apollonius is here referencing the Ptolemies' interest in the
cult of Kybele/Rhea, as well as that of the Kabeiroi, see Green 1997, 226-227.
148 Mary Depew

structure the beginning of Callimachus' book of hymns. 22 In his first


hymn, to Zeus, Callimachus self-consciously refigures the typically
hymnic theme of a birth narrative to emphasize instead its aftermath: Rhea
has given birth to Zeus in Arcadia before the area's rivers had risen from
beneath the earth. At a loss as to how she will bathe the newborn, Rhea
asks Gaia to give birth, too, and the result is the rivers of Arcadia (lines
29-41). Callimachus represents Zeus' birth as the equivalent of the 'births'
of these rivers, both by means of a series of lexical connections between
Zeus and the landscape, 23 and through the traditional datum that his
mother Rhea and the rivers' mother, Gaia, are one and the same. 24 The
similarity between Callimachus' and Apollonius' narratives is striking. It
is perhaps reinforced by the fact that the dance Apollonius describes,
which, as various scholars have noted, is out of place in a narrative about
Rhea on Mt. Dindymon, would, on the other hand, be very much at home
in an account of Zeus' birth. Apollonius is in effect melding his aitiology
with the birth account that begins Callimachus' book of hymns. 25
Callimachus makes the traditional connection between springs (and
other sources of pure water) and nymphs explicit in the way he refers to
one of his own sources in Aitia Book 3: the Cean mythographer Xeno-
medes. Xenomedes began the history of his island, the speaker says, 'with
the tale of how [Keos] was inhabited by the Korycian nymphs, whom a
great lion drove away from Parnassus; for that reason also they called it
Hydroussa ['Having water']' (Aet. fr. 75 Pf. 54-58). The nymphs were the
'colonizers' of the island in this account, and their arrival on an island so
prone to drought "is a mythic way of expressing its suitability for human
habitation" (Larson 2001, 184).26 That Callimachus should specifically
cite his source (Xenomedes) in the context of the island's foundation by

22
Hunter 1993, 82 n. 35, citing Hopkinson 1984b, 176-177, notes the shared motifs,
and points to the "plausible signs" that the goddess sends to the Argonauts in lieu of her
epiphany as "meaningful 'signs' indeed." He does not, however, take up the issue beyond
these remarks.
23
Examined in detail by Hopkinson 1984a, 140-142.
24
McLennan 1977, 60, citing Cahen 1930 adloc.
25
I will leave aside the question of precedence in this passage, and the other points
of narrative convergence between Callimachus and Apollonius. The question is largely
unanswerable (cf., e. g., Hunter 1993, 116), but more important in any case is the fact of
these convergences and the obvious importance these particular themes held for these
poets. For an analysis of the Argonautica as an extended hymn, see Murray 2005.
26
He states that the account implies a connection with Delphi or Phocis.
Springs, Nymphs, and Rivers 149

nymphs who are the source of its water (springs) is connected to the narra-
tive that precedes it in several ways. The myth itself concerns a νύμφη, a
young girl of marriageable age, Kydippe. She was in the Delian temple of
Artemis (whose connections with νύμφαι are numerous) when she swore
by Artemis to marry Akontios (26-27). Apollo himself relates Akontios'
ancestry: the young man is sprung from the priests of 'Zeus Aristaios, the
Lord of Moisture' (32-34), a reference to Aristaios, the son of Apollo and
Kyrene, who was nurtured on Keos by its inhabitant nymphs. Callimachus
goes on to say that Xenomedes also relates how the island received its pre-
sent name from Keos, the son of Apollo and Melia, a tree nymph (62-63).
The same aitiological nexus occurs in Argonautica Book 2. In the land
of the Thynians, Phineus has ended his prophetic account of the Argo-
nauts' journey, and the crew is eager to set out. They are hindered, how-
ever, by the Etesian Winds, whose origin Apollonius spends thirty lines
recounting. He takes his account back to its very beginning, when Apollo
came upon the virgin Kyrene tending her sheep 'beside the Peneios
marshland'. Apollo carried her off, and 'put her among the nymphs who
dwelt in Libya, by the Mount of Myrtles' (2.404-405). There she bore
Aristaios to Apollo, and the god made her 'a nymph there, long-lived and
a huntress' (508-509). Apollo took Aristaios off to be reared by Cheiron,
and Apollonius describes his early adulthood in terms that connect him to
poets in their role as shepherds and servants of the Muses. The goddess-
Muses 'arranged a marriage for him, and made him the keeper of all their
sheep ... in Phthia' (511-514). Eventually Aristaios is called upon by
Minos to rescue islanders from the heat of the Dog Star, and, at Apollo's
bidding, he 'settled on Keos, taking with him those Arcadian folk whose
lineage is from Lykaon' (519-524). There Aristaios built an altar to Zeus
the Rain God, and offered due sacrifice to the Dog Star and to Zeus, son of
Kronos. As a result Zeus 'sends the Etesian winds to cool the earth for
forty days, and on Keos the priests still offer sacrifices before the rising of
the Dog Star' (522-527). The focus in Apollonius' narrative is on Arist-
aios, his associations with Apollo, the Muses/nymphs, a foundation, and,
again, a source of water.
150 Mary Depew

III. Narratives of Kyrene

In the preceding section we have seen the very marked prominence of a


tropology of rivers, nymphs, and springs in the mythologies both Apollo-
nius and Callimachus use to structure books of poetry. We have also seen
how closely connected these poets are to each other in their treatments and
uses of this system. In the present section, I will examine connections be-
tween these systems and foundation myths that these poets favored, in par-
ticular those involving the nymph Kyrene and the city that bears her name.
In the very last narrative section of Apollonius' epic (4.1732-1764),
the themes of nymphs and foundation surface once again, signaling the
importance of these themes for the epic's structural articulation. The scene
is a reworking of Pindar's narrative in Pythian 4, a foundation myth of the
city whose victor (Arkesilas of Kyrene) the ode is honoring. In both poets'
narratives a local divinity gives one of the Argo's crew, Euphemos, a clod
of earth as a token of friendship (4.1552-1555). 27 While Pindar places the
narrative concerning Kyrene's foundation in a prophecy uttered by Medea,
Apollonius narrates most of it through the device of a dream. The Argo-
nauts, with Triton's guidance, have reached the open sea; Euphemos
dreams that the clod has been changed into a young maiden, with whom
he mates. She tells him that she is the offspring of Triton and Libya (/. e.,
she is another νύμφη), and requests that he cast her into the sea. This, at
Jason's urging, he later does, and the clod rises up as an island, Kalliste,
'sacred nurse to the children of Euphemos ... who, driven out of Lemnos
by Tyrrhenian warriors, reached Sparta as suppliant colonists.' From there
they came to Kalliste (1732-1764). While Kyrene is not mentioned in the
account, the rest of the narrative is too well known to be absent from the
reader's mind. Euphemos' descendents, the Battiad line, will travel from
Thera to Libya to found the city of Kyrene. Thus the entire Argonautica is
framed by references to nymphs, springs, and foundation narratives, and
the epic ends with an aitiology involving a nymph who becomes an is-

27
In Pindar, the δ α ί μ ω ν w h o gives the clod to E u p h e m o s is not named; he is in
mortal form, and calls himself Eurypylos, son of Poseidon (33-36). Euphemos loses the
clod when it washes from the Argo at Thera. Apollonius calls the divinity Triton. For dis-
cussion of this ode, see Krummen 1990.
Springs, Nymphs, and Rivers 151

land,28 which in turn becomes the source of the foundation of the city of
Kyrene.
Peter Green refers to this narrative as "the accidental presence" in the
epic of the legend of Kyrene (1997, 352).29 To be sure, Apollonius' inten-
tions in framing his epic with this foundation account are far from clear.
But as Richard Hunter has pointed out, it is difficult not to see in the fact
that "the last great sequence of Apollonius' poem closes with the founda-
tion myth of Kyrene, with which Pindar had begun his poem" some form
of panegyric. As royal Librarian, as Hunter notes, Apollonius "occupied
what was probably the principal position of academic patronage available
to a Greek intellectual at Alexandria, and it is in this social and academic
context in which his epic must always be read." 30 Apollonius also com-
posed a series of poetic Ktiseis ('Foundations'), all of which dealt with
areas within Ptolemaic control.31 The Argonautica itself deals with an area
of the world (Colchis and the Black Sea) which was thought to have tradi-
tional racial and cultural links with Egypt. 32 Moreover, the fact that the
epic is presented as a rewriting of Pindar's fourth Pythian, which honored
the victory of Arkesilas IV of Kyrene, suggests that "Apollonius was con-
structing some kind of analogy between himself and 'the ruler of Cyrene'
on one side and Pindar and Arkesilas on the other" (Hunter 1993, 153).33
For his part, Callimachus was apparently very proud of his descent
from the founders of Kyrene, 34 so it is no surprise to find that this city's
origin takes on special importance in his poetry. His second hymn, which
honors Apollo, also rewrites Pindar's accounts of the foundation of
Kyrene. 35 But, as we shall see, in a move resembling Apollonius' choice

28
This is also the theme of Callimachus' fourth hymn, which narrates the 'birth' of
Delos in the transformation of the pure nymph Asteria.
29
He notes its historical relevance in legitimating Ptolemy's rule as empowered by
the Euphemids themselves.
30
Hunter 1993, 152, with qualifications about our comparative ignorance of the in-
stitution of Ptolemaic patronage.
31
Fraser 1984,1,513-514.
32
Hunter 1993, 152, with citations.
33
A s Hunter points out, even before the marriage between Ptolemy III Euergetes
and Berenike, daughter of Magas, king of Kyrene, in 247/246, the Ptolemies' interest in
and claim on this city was strong, so the reference to any particular Alexandrian monarch
need not be made.
34
Cf„ e. g„ Epigr. 21 and 35 Pf.
35
The fourth, fifth, and ninth Pythians are important intertexts for this hymn.
152 Mary Depew

of themes with links to Egypt, Callimachus alters somewhat the Pindaric


sequence of events in order to emphasize the nymph's indigenous relation
to Libya. In Pindar's narrative, when Apollo first sets eyes on Kyrene, the
daughter of Hypseos, it is in Thessaly, and her status as a νύμφη is empha-
sized. She 'did not care for pacing back and forth at the loom nor for the
delights of meals with companions at home, but with bronze javelins and a
sword she would fight and slay the wild beasts, and truly she provided
much peaceful security for her father's cattle, while only briefly expend-
ing upon her eyelids that sweet bed-mate, the sleep that descends upon
them toward dawn' (P. 9.18-25, tr. Race).
Apollo first comes upon Kyrene, alone and unarmed, engaged in her
favorite pastime, wrestling with a lion (26-28). In the epinician context of
the ode, Kyrene is figured as a Panhellenic athlete, and the narrative con-
forms to the traditional foundation-narrative model. 36 Apollo carries the
nymph away, and they join in love in Libya. The god civilizes and tames
the nymph, who is the embodiment of wild nature, a traditional narrative
pattern. This leads to the foundation of a city, the fertility of the Libyan
land, and the birth of their son, the same Aristaios whom we have already
seen features in the poetry of Callimachus and Apollonius.
In Callimachus' hymn, the location of the lion-slaying has changed to
Libya. 37 Aristoteles (Battos), we are told (75-78), brought his Therans to
'the Asbystian land', an area near the future city of Kyrene, and there built
Apollo a shrine and established his yearly festival. But Kyrene is yet to be
founded. Its foundation is projected into the future, and presented in the
narrative from the point of view of Apollo and Kyrene themselves. 38 They
are viewing the festival and dancing at Azilis from the Hill of Myrtoussa.
It was on this very hill, the narrator says, that

ήχι λέοντα
Ύψηνς κατέπεφνε βοών σίνιν Εϋρυπύλοιο.

36
Dougherty 1993, 145.
37
This version, in which Kyrene, along with her fellow Thessalians, has already
settled Libya by the time Apollo comes upon her, is extant elsewhere only in Acesander.
In this version of the legend, Eurypylos, the Libyan king (cf. Pi. P. 4.33), offered his
kingdom as a prize to anyone who could kill a lion that was ravaging the area. Williams
1978,79.
38
Callimachus agrees with Pindar here in making Kyrene the daughter of Hypseos;
in other accounts her father is the river god Peneios (cf. Scholia to A.R. 2.498, Wendel,
168).
Springs, Nymphs, and Rivers 153

ού κείνου χορον είδε θεώτερον άλλον 'Απόλλων,


ουδέ πόλει τόσ' ενειμεν όφέλσιμα, τόσσα Κυρήνη,
μνωόμενος πρότερης άρπακτύος. (Αρ. 91-95)

The daughter of H y p s e o s [Kyrene] slew the lion that harried the kine of
Eurypylos. N o other dance more divine has Apollo beheld, nor to any city has
he given so many blessings as he has given to Kyrene, remembering the first
seizure [πρότερης άρπακτύος]. 3 9

This account of the foundation conforms to Herodotus' version, in which


Kyrene was founded seven years after the foundation of Azilis. 40 Calli-
machus emphasizes the fact that Kyrene is already in Libya, as is the
fountain of Kyre. 41 Williams takes Callimachus to be "playfully juxta-
posing the two etymologies of 'Kyrene"': its naming after the nymph and/
or after the fountain that was at the heart of the city.42 But I would suggest
that the name of the pure fountain involves a very familiar relation to a
nymph, its inseparable presence in the Libyan land anticipating Kyrene's
own arrival there, and suggesting that she is somehow, as Callimachus'
own account implies, already there, indigenous to the place itself. The
change alters the reader's point of view of both myth and ritual, which are
traditionally Greek, but also somehow native to another continent.
Callimachus develops this new point of view by paying particular
attention to one aspect of Pindar's representation of Kyrene, her gene-
alogy. In the ninth Pythian, Apollo is irresistibly attracted to the athletic
nymph. He brings Cheiron out of his cave to marvel at her 'courage and
great power, and at the fight she is waging with unflinching head; [she is]
a girl whose heart is superior to toil and whose mind remains unshaken by
storms of fear' (30-32). The god asks who this woman is and how he can
win her - or even if he should. As Cheiron wryly observes, Apollo is so
overcome by the nymph that his famous insight has deserted him. Cheiron
tells him that Kyrene is the daughter of Hypseos, whose mother Kreousa is

39
All translations of Callimachus are my own.
40
Hdt. 4.157.
41
'But not yet could the Dorians approach the fountains of Kyre', 88-89. The stream
from this fountain or spring runs underground and reappears at the temple of Apollo as
the fountain of Apollo, according to Hdt. 4.158 and Pi. P. 4.294.
42
Williams 1978, 77, who cites Stephanus Byzantinus, who gives two etymologies
of ' K y r e n e ' : from the n y m p h ' s name and from the name of the indigenous spring. Calli-
machus conflates both origins, implying the n y m p h ' s indigenous nature as well.
154 Mary Depew

a Naiad daughter of Gaia,43 and whose father is the river Peneios (whose
father was Okeanos, 14-18). In other words, Okeanos bore Peneios; Gaia
bore Kreousa; these two unite and produce Hypseos, who is the father of
Kyrene. Cheiron then predicts the future: Apollo will be Kyrene's husband
(πόσις, 51), and the god will take her over the sea to Libya where he will
make her άρχέπολις, 'ruler, founder of a city'. There she will be granted a
portion of land as her own, and will bear a son to Apollo: Agreos/Nomios/
Aristaios (65).
Callimachus' identification of Kyrene as 'the daughter of Hypseos'
(92) calls up this intertext, whose narrative and genealogy fill out his own
portrayal of the nymph, άρχέπολις, for example, is an odd term for Pindar
to use in relation to Kyrene, since it is usually applied only to males, who
are of course the traditional founders and rulers of cities. Kyrene is in fact
unusual among nymphs who lend their names to cities, whose role is typi-
cally merely to bear a primordial king. Not only did Kyrene's name pos-
sibly suggest the root κΰρος, 'master', but the Battiad dynasty itself en-
joyed a remarkably long life, lasting until the mid-fifth century. 44 Pindar
had called Kyrene δέσποινα χθονός, 'mistress of the land' (P. 9.7), and
Callimachus develops the implication that the nymph is somehow literally
'of the land', her association with the spring whose name she shares plac-
ing her within the realm of myths of origination. In this she bears a resem-
blance to the nymph Libya herself, who in Apollodorus' account is the
daughter of Epaphos, son of Io, and Memphis, the daughter of the Nile. 45
There is an important parallel: the Nile, in turn, like Kyrene's grandfather
the River Peneios, is the offspring of Okeanos and Tethys. 46 The theme of
nymphs, then, is markedly at work in foundation myths preferred by these
poets, with an eye to specifically Egyptian (in the wider sense) sites.

43
So too Pherecydes, who makes Hypseos the son of Peneios and a Naiad (3 F 57).
44
Larson 2001, 189 and n. 238, where she cites Pi. P. 9, 7, and 54; Acesand. 469 F
4; Phylarch. 81 F 16; Isid. Etym. 15.1.77: Kyrene regina fuit Libyae, quae e suo nomine
civitatem Kyrenem condidit.
45
Bibliotheca 2.1.4.
46
Hes. Th. 338.
Springs, Nymphs, and Rivers 155

IV. The Poetics of Place: Sources in Callimachus' Hymns

Let us now notice one more subtle resonance between rivers, nymphs, and
springs in this poetry. Callimachus' reference to his Pindaric intertext em-
phasizes Kyrene's genealogy. As the daughter of Hypseos, she is the
granddaughter of Gaia and the River Peneios. When this datum is read in
light of the hymn that immediately precedes the Hymn to Apollo in the
collection (the Hymn to Zeus), however, the connection between Zeus and
rivers figures Kyrene as the granddaughter, in effect, of Zeus himself. Her
pairing with Apollo thus takes on a new significance: Apollo and Kyrene,
in effect, have the same 'father'. 47
I will eventually be suggesting that there are political allusions at work
here. Before doing so, however, some important points about Callima-
chus' poetics, and by extension, Hellenistic court poetics more generally,
need to be made. It is only natural that in the highly literate poetry of
Callimachus and his contemporaries, new strategies for connecting myths
to context would be devised. One of the most important was the con-
struction and production of the poetic book itself. The ways in which
poetic 'performance' in Hellenistic poetry was transferred from ritual
action to the act of reading, and the constitution of readers as consumers of
a text qua text, has been the subject of some recent discussion. 48 I have
argued elsewhere, and will summarize only briefly here, that Callimachus'
collection of hymns, taken as a whole, functions to legitimate the Ptole-
maic regime in connection to the prerogatives and attributes of traditional
Olympian divinities. 49 The figures of Apollo and Kyrene are linchpins in
this development. Both are represented as children of Zeus, whose hymn
begins the collection; Kyrene's portrayal in Hymn 2, as we have seen, is
based on that of Pindar in Pythian 4, 5, and 9, a portrayal which in turn
depends upon the tradition's portrayal of the goddess Artemis. In Calli-
machus' third hymn, Artemis herself is in turn fashioned after the
portrayal of Kyrene in the second hymn, and so her sibling relationship
with Apollo takes on, however subtly, the erotic associations that nymph
bears in the earlier hymn. Athena's portrayal in the myth of Hymn 5 is

47
The genealogy will be recalled in Callimachus' fourth hymn, w h e r e the river
Peneios surfaces again to play an important role in the narrative of L e t o ' s search for a
place to bear Apollo.
48
E. g., Bing 1988; Fantuzzi/Hunter 2004, 20-29.
49
Depew 2004 and forthcoming; Hunter/Fuhrer 2002.
156 Mary Depew

modeled on a tradition associated previously with Artemis, and so the


portrayal of female divinity is expanded at this point in the collection to
embrace Athena's traditional attributes as well as her particular and close
relation to Zeus. Demeter's portrayal in Hymn 6 (like Athena's in 5) takes
up the narrative structure of an account involving a nymph, 50 even as the
presence here of a hymn honoring Demeter brings the collection full
circle: Demeter is Zeus' sister, and her traditional association with Isis
subtly recalls the first hymn's allusions to Dionysus, 51 who was associated
in the royal couple's self-representation with Sarapis. Taken together, and
elaborated in various ways, these related portrayals construct a sustained
portrait of female divinity that is characterized by athleticism, virginity
combined with desirability, and, in the case of Kyrene in Hymn 2, Artemis
in Hymn 3, and Asteria/Delos in 4, associations with city-foundations. For
Callimachus, it is the book of hymns, and not individual poems, with their
pretence of being grounded in particular places or times, that produces the
traditional functions of foundation, justification, legitimation, and explan-
ation. Just as in Apollonius' epic the themes of nymphs, springs, and the
foundation of Kyrene are articulated not by means of a linear narrative,
but by strategic placement in the poem's overall structure, so too the textu-
ality of this generation of poets' practice allows us to see subtle, but none-
theless important, themes set out in Callimachus' Hymns when they are
read as a collection.
It is no accident that the themes of rivers, nymphs, and springs pre-
dominate in these treatments, since they are particularly apt symbols for
autochthony, emergence, and continuity. Springs in particular, of course,
have a traditional association with poetry and its sources. Apollo's de-
scription of himself in Callimachus' fourth hymn brings these themes
together: 'Pure am I and may I be the care of them that are pure' (98). The
σφραγίς of this hymn is a well-known site at which Callimachus repre-
sents his own poetry in the way he had earlier in the same hymn repre-
sented the foundation of his own city: by a focalization through Apollo,
who is here represented as giving his approval to the hymn that has just
honored him by contrasting the polluted water of a great river to the clear
droplets of dew that the bees bring to Demeter from a pure and undefiled

50
The cutting down of a tree, which is the traditional abode of hamadryads.
51
McLennan 1977, 30. 1 discuss the implications of beginning the collection with
this reference more fully in Depew, forthcoming.
Springs, Nymphs, and Rivers 157

fountain's top (110-112). As Pfeiffer has noted, while most critics read
this passage as contrasting the lengthy traditional poem and the brevity
and finely polished novelty of Callimachus' composition, there is another
point being made here that has received less recognition. "Poets should
draw from the original pure source, not from its polluted derivatives"
(Pfeiffer 1968, 126). Pfeiffer points out that Callimachus was the first to
use this image in a literary sense, and with it brought together scholarship,
poetic composition, and the unique combination of the two that character-
ized third-century Alexandrian poetry.
The concepts of purity and good poetry are also connected elsewhere
in Callimachus' poetry with pure water and an untouched lover. 52 As
Larson has pointed out, bees are associated with purity in connection with
nymphs, whose status as untouched maidens is traditionally combined
with their attractiveness.53 Bee nymphs, Brisai, appear in conjunction with
Aristaios in Keos, 54 and Callimachus suggests their link to Demeter, pure
sources, and fine poetry at Ap. 110-112. Callimachus makes explicit these
same connections between purity, nymphs, and poetic inspiration in his
third hymn, to Artemis. 55 Approximately midway through the hymn, the
narrative transitions into a second hymnic beginning (183-186). 56 How-
ever, instead of addressing the Muses or his own θυμός, which would be
typical hymnic practice at such a juncture, the speaker questions Artemis
as though she were a Muse: 'Which now of islands,' he asks, 'which of
harbors, which city, did you visit, goddess? You tell me, and I will tell
others.' Bornmann notes how odd it is for the speaker to ask the goddess
whose praise he is singing, rather than the Muses, for inspiration, 57 and
cites the poet's address to Zeus in the first hymn as a precedent. This is a

52
E. g., Epigr. 28 Pf.
53
Larson 2001, 184.
54
Larson 2001, 184.
55
The dominant theme of the hymn is Artemis' character, and how the young god-
dess acquires for herself her traditional qualities of virginity and prowess in the hunt.
Callimachus makes the original move of portraying the goddess as complicit with his
own hymnic task insofar as she becomes the origin of her own qualities. I argue this point
in detail in Depew, forthcoming.
56
The recollection here of the bipartite Homeric Hymn to Apollo has been noted by
several scholars.
57
" . . . non sono le Muse alle quali chiede l'ispirazione, ma la dea stessa soggetto del
canto. ... le domande dei vv. 183-184 acquistano ora un significato inatteso." Bornmann
1968, 89.
158 Mary Depew

perceptive comment, in more ways than Bornmann notes. In the first


hymn Zeus had been represented as colluding with the poet: the voices of
both allude to multiple intertexts, so that Zeus himself is assimilated to the
learned poet's task. Artemis is portrayed in the third hymn from the outset
as her father's daughter, and, by a series of descriptions of her ritual
υποστάσεις or doublets (lines 189-258, the lines that the 'Muse' Artemis
'answers' to the poet's query), as a nymph who flees contact with various
suitors. Her virginity is stressed throughout. She is, in other words, a "pure
source" in several senses. Who, then, better to tell of her own exploits, and
who could be a more suitable - in the sense of pure - source of infor-
mation for this fastidious poet? The tropology now points in the direction
of the poet, as well as to the genealogy of divine beings and cities that he
is privileged to relate.

V. Out of Egypt: the Politics of Pure Sources

In the preceding section we have seen that the same tropological system is
a privileged means of expressing both structure and poetics in the work of
Callimachus and Apollonius. We are now prepared to see the political
functions of this poetics by once more following its allusions to rivers,
nymphs, and springs.
An obvious precedent for third-century interest in aitiology and foun-
dation myths is the largely fourth-century tradition of local histories. The
"essentially nationalistic point of view [of the Atthidographers, who were
writing] ... in the period between the Macedonian conquests of 338 and
261" is usually contrasted to Hellenistic poetic treatments of foundation
legends, whether in verse or prose, which are typically understood to be
cut off from any political relevance (Fraser 1984, I, 511). There would
seem to be no context for these mythological poems and treatises beyond
the antiquarian impulse of those working in the Library. But the history of
these genres in Alexandria does not, in fact, bear out such a conclusion.
Among the earliest writers associated with Alexandria was Hecataeus of
Abdera, whose Aegyptica was a product of Soter's reign. 58 This ethno-
graphical treatise on Egyptian antiquities is based on the assumption that
Greek civilization originated in Egypt and moved to Greece from there.

58
Fraser 1984,1, 496-498.
Springs, Nymphs, and Rivers 159

The identification of Greek gods with Egyptian counterparts is as old as


Herodotus; what differentiates the work of Hecataeus and others working
in Alexandria in this period is an interest in finding Egyptian origins or
prototypes for Greek institutions, cults, or cities. 59 This 're-sourcing' of
traditional Greek μΰθοι is well illustrated in the third-century interest in
Danaos. His name figures importantly, for example, in what was arguably
the most telling sign of a myth's political relevance: the assigning of
names to demes, the hallmark of a citizen's political identity.60 Hecataeus'
refiguring of traditional Greek colonization narratives is relevant to the
model we have seen Callimachus takes up in the second hymn, for exam-
ple, in which Kyrene is represented as indigenous to the Libyan soil itself.
Hecataeus 'presses into service' the Danaid line to explain the foundation
of 'what is nearly the oldest of the Greek cities, Argos.' 61 This is not an
unimportant point, since Argos was the city to which the Ptolemies, via
earlier Macedonian claims, traced their divine ancestry. Since Hecataeus
seems also to have been concerned in this treatise with idealized kingship,
this link cannot have been fortuitous.
There is a marked interest in Danaos and his daughters in Callima-
chus' poetry as well. A fragmentary section belonging to Aitia Book 4 (fr.
100 Pf.) mentions an ancient statue [ξόανον] of Hera, and, as if to explain
its formless nature, the speaker begins to talk about the equally simple
(λιτόν, 4) statue of Athena in Lindos, which Danaos built.62 The Diegesis
makes the connection with the Hera statue: the wood out of which it was
shaped was brought from Argos. An epinician poem in elegiacs (Callima-
chus, fr. 383 Pf.) may honor one of the queens, since its second line refers
to a νύμφα, and the victor's return 'to Helen's island', an island near the
mouth of the Nile, may be reconstructed in the next line.63 The site of the

59
Such as Istrus, Callimachus' pupil, who composed not only local histories of areas
on the Greek mainland, but an Egyptian Colonies and a history of Ptolemais Hermiou.
Fraser 1984,1, 511-513.
60
On the distribution of the deme-eponym in Soter's reign, see Fraser 1984, I, 43
and 45.
61
D.S. 1.28.2-4. Hecataeus also says that Colchis was founded by Egyptian colo-
nists. See also Stephens 2003, 33.
62
Cf. Aet. fr. 55 and Schol. adloc.
63
Pfeiffer ad loc., who suggests Berenike II; also his note to fr. 388. The island is
more recently known as Nelson's Island (Pfeiffer ad loc.). The mention in line 16 'be-
wailing the white-foreheaded bull' is suggestive, since it may refer to the ν ύ μ φ α ι of the
Nile lamenting Apis. Tibullus took up the image, no doubt from this passage: [sc. Nilus]
160 Mary Depew

queen's victory, Nemea, is referred to as 'the land of Danaos', and a refer-


ence is made to the fact that Nemea belonged to Argos. In Callimachus'
fifth hymn Argive women are warned not to draw water from the Inachos,
where Athena's statue will be bathed, but to go instead to springs, either
Physadeia or Amymone. The latter is further qualified as 'the daughter of
Danaos', a reference to the origin of Argive springs such as this one when
Danaos sent his daughters out to look for water. Poseidon, for example,
gave the spring at Lerna to Amymone in return for her sexual favors. The
reference to Danaos at 47-48 seems offhand, but takes on more weight in
the closing words of the hymn:

χαίρε, θεά, κάδευ δ' "Αργεος Ίναχίω.


χαίρε και έξελάοισα, και ές πάλιν αύτις έλάσσαις
ϊππως, και Δαναών κλαρον άπαντα σάω. (Lav.Pall. 140-142)

Chaire, goddess, and hold Inachian Argos in your keeping. Chaire also when
you drive forth your horses, and may you drive them back again with joy, and
may you preserve all the estate of the Danaans.

The speaker utters these words as an Argive, but with the reference to the
'estate', or 'allotment' of Danaos, links his homeland, and thus his own
point of view throughout the hymn, to Egypt. Here again we see the con-
nection between springs, nymphs, and myths of origination put to work,
this time in a way distinctly relevant to the Ptolemies, reclaiming as it does
for them, via a represented ritual, the originating myths of a Greek city.

VI. How Poetics is Political

The movement out of Egypt, as fr. 383 Pf. suggests, is not the only model
of distance, observation, and objectification that, as I noted at the begin-
ning of this paper, is thematized in third-century poetry. An unplaced pas-
sage from Callimachus' Aitia (fr. 178-185 Pf.), perhaps better than any
other text, presents a picture of the new ways in which ritual and myth
were used to structure and generate poetry in third century Alexandria.
There is also a marked theme of reflective representation in this episode.

canit atque suum pubes miratur Osirim / barbara, Memphiten plangere docta bovem
(Tib. 1.7.28).
Springs, Nymphs, and Rivers 161

As he so often does in his poetry, Callimachus has the speaker carefully


describe and direct a scene that is unfolding before him. The setting is
Alexandria (6). The Anthesteria festival is being celebrated, or more spe-
cifically, its third day, which commemorated the suicide of Erigone, the
maiden daughter of Ikarios. 64 The festival and the component rituals that
are being described have been brought to Alexandria from the mainland of
Greece. This we learn from the speaker who describes what is going on,
and who is reclining at the symposium hosted by the Athenian who is
keeping his city's religious traditions alive in his new city. The scene
brings vividly to life the cosmopolitan atmosphere of Alexandria. 65 The
speaker is sitting next to a ξεΐνος (6), a man from Icos, an island off the
coast of Thessaly, who has traveled to Alexandria on some private busi-
ness. 'Like calls to like', the speaker says (10): he and the Ician guest both
find drinking χαλεπός, 'difficult' or 'tiresome' (11-12, 20), and turn in-
stead to a highly reflective discussion of ritual practices and myths.
Within the ritual context that has been described, the behavior of these
two men is surprising. The primary activity of worshippers at the Anthes-
teria was, of course, consuming wine. But the speaker here goes out of his
way to express his - and his new friend's - lack of interest in drinking.
The speaker turns away from drinking to what is more to his liking. He
questions the Ician, asking, 'Why is it the tradition of your country to wor-
ship Peleus, king of the Myrmidons? What has Thessaly to do with Icos?'
His address to the Ician recalls a traditional invocation of the Muses, the
ultimate authority on all origins: 'What my heart yearns to hear from you,
do tell me in answer to my question' (21-22). This fragment is unplaced,
but since the unity of the Aitia's first two books is achieved by the
speaker's sustained questioning of the Muses for information about the
origins of various rituals, it is tempting to agree with Pfeiffer and to en-
vision it as belonging near the beginning of Book 3.66 Wherever it
belongs, Callimachus' representation of the Ician guest offers a strikingly
new model of inspiration. He is a reliable source of myths of origination
just because he is a native of the 'distant' area in question. Because of the

64
Pfeiffer ad 3, citing Deubner, Attische Feste, 1932, 118-123.
65
For details on the "self-confident immigrant class" that came to settle in Alexan-
dria from all parts of the Greek world, and the customs they brought with them, see
Thompson 2001, 303-304.
66
Cameron 1995, 133-140 has recently revived Z e t z e l ' s thesis that the fragments
belong to Aitia Book 2.
162 Mary Depew

speaker's portrayal of the Ician as not only his source of knowledge, but
his own counterpart in taste - two notions often linked by Callimachus -
we may be justified in reading this scene as emblematic of the scholar-
poet's reception of knowledge. The poet (or the speaker here) and his
interlocutor enjoy an elite status; they are uninterested in Dionysus; the
myth comes from a "pure source" (a native of the area in question); the
speaker hears the myth for himself, and so preserves the unmediated
access to the truth that the Muses' inspiration had always provided the best
poets. 67
Viewed in this way, this episode is in a sense emblematic of the way
the A ilia as a whole transforms traditional treatments of ritual, since in
both what is at issue is not the practice or performance of rituals, but their
origins. Moreover, just as the speaker questions the Ician about the origin
of rituals far from his own experience, the Aitia itself recounts the origins
of rituals that take place for the most part at a distance from Egypt. The
dynamics of this exchange should therefore be instructive for reading the
Aitia as a whole. The exchange is, first of all, verbal, and between equals.
The speaker and the Ician both reject drinking (and thus the ritual action at
hand) for the more attractive discussion of ritual origins. This portrayal of
the poet's relation to his source is comparable to the poet's relation to the
Muses in the Aitia's first two books. At the beginning of Book 1, the
speaker had invoked Hesiod's poetic initiation in the Theogony, an en-
counter which represents the poet in a distinctly inferior light in compari-
son to the Muses. It is all the more striking, then, that Callimachus' (or the
speaker's) attitude throughout the first two books of the Aitia resembles
only slightly Hesiod's passive submission to the Muses' superior know-
ledge. In fact, he does not depend so much on the Muses for inspiration as
he questions them as equals, or even possibly as inferiors. He asks them
various questions, and then answers them himself. For example, in a frag-
ment from Aitia Book 2, the origins of Sicilian cities is related by means
of another conversation, here between the speaker and a Muse, that is (like
the Ician episode) depicted as an exchange between equals: 'So I said.
And Clio went on to speak again ...' (56); 'So she stopped talking, and I

67
The speaker's questions end with a fragmentary (and textually problematic) line
that preserves something like the phrase 'holding ears ready for those who want to tell a
story' (30).
Springs, Nymphs, and Rivers 163

wanted to know this too ...' (84-85). This is a new kind of poet, these
encounters suggest, and a new kind of Muse.
We must ask why this is the case. To answer this question it may help
to look at other passages in which Callimachus describes the source of
mythological and ritual knowledge as something heard, and as a face-to-
face exchange. In the third book of the Aitia the speaker relates the origin
of the Cean Acontiadae clan. It began, he says, with the love the two
youths Akontios and Kydippe had for one another (fr. 75.50-52). This
aitiological 'point' winds up the passage's mythological narrative of their
love, their families' objections, and their eventual marriage. The speaker
closes his account with a description of the source of his inspiration:

τεόν δ' ημείς ϊμερον έκλύομεν


τόνδε παρ' αρχαίου Ξενομήδεος, δς ποτε πασαν
νήσον ένΐ μνήμη κάτθετο μυθολόγω,
αρχμενος ώς νύμφησι[ν έ]ναίετο Κωρυκίησνν,
τάς άπό Παρνησσοΰ λνς έδίωξε μέγας,
Ύδροΰσσαν τω καί μιν έφήμισαν ... (54-59)

And this love of yours w e heard from old Xenomedes, w h o once set down all
the island in a mythological history, beginning with the tale of how it was inha-
bited by the Korycian nymphs, whom a great lion drove away from Parnassos;
for that reason also they called it Hydrussa.

More of the island's history is then related, and the passage ends,

είπε δέ Κειε,
ξυγκραθέντ' αϋταΐς όξύν έρωτα σέθεν
πρέσβυς έτητυμίη μεμελημένος, ενθεν ό παιδός
μΰθος ές ήμετέρην εδραμε Καλλιόπην. (74-77)

And blended with these cities, oh Kean, that old man, mindful of the truth, told
of your passionate love; from there the maiden's story came to my Muse.

Like the Ician, Xenomedes is characterized in terms traditionally appro-


priate to and reserved for the Muses. Moreover, he is 'mindful of truth'
and the source of Callimachus' own true knowledge ('my Muse') about
Keos. He is a "pure source", because, like the Ician, he is a native of the
place he describes.
164 Mary Depew

There is one difference, however, between this description of inspira-


tion and the Ician episode. What Callimachus 'hears' from Xenomedes is
here further described as what he read in that author's mythography, a text
that was catalogued, no doubt, along with many other similar texts, in the
Library. In this connection, Peter Bing has seen in Callimachus' reference
to Xenomedes' mythographical treatise evidence for the fundamentally
literary character of third-century Alexandrian poetry. The fact of the pre-
servation of these texts on scrolls, as Bing goes on to point out, necessarily
severed them, and their representation of situatedness in a performance,
from the original context of that performance. Callimachus and his con-
temporaries take up this disjunct that is the product of textuality, and tease
out from it various mimetic strategies. Callimachus' Muse has received
her information from a book roll; the Muses "have learned to read" (Bing
1988, 26-28). But Callimachus blurs the lines here: he is the one, of
course, who reads the scroll, and this act in a sense demotes the status of
the Muses, or at least turns them into one of several conversation partners
represented throughout the Aitia. The representation of speaker or singer
had been a defining element of earlier poetic texts, with different represen-
tative modes marking different contexts of performance, and thus genre.
Therefore it is not surprising to find Callimachus using these markers to
redefine his own relation to tradition, as well as his own poetic voice.
This same representation of the pure source in terms of something
heard is also to be found in the Victory of Sosibios (fr. 384 Pf.), an enco-
miastic elegy composed by Callimachus either for the powerful minister of
Ptolemy IV, or for someone living under Soter. The text is fragmentary,
but it does preserve a glancing reference to the sort of aitiology we would
expect in a victory ode. Cataloguing Sosibios' victories, lines 21-26 read:
'... swiftly he took more celery ... so that the people of Alexandria and
those living on the banks of the river Kinyps [/. e., the western boundary
of the Ptolemaic kingdom] may learn that Sosibios received two crowns
nearby the two sons - the brother of Learchos and the child that the
woman of Myrina suckled ...'. The references, typically oblique, are to the
sepulchral origins of the Isthmian and Nemean games, which were
founded to honor Melicertes and Opheltes-Archemoros respectively. At
least in this fragment, an actual narrative of these origins, which would be
so at home in the generic setting, is missing. Later, at lines 44-45, what
may be a different voice intrudes, and refers to Sosibios as '... the stranger
(ξεΐνος) [who] has been victorious in both [the Nemean and Isthmian
Springs, Nymphs, and Rivers 165

Games]', and then to dedications made in the Argive Heraion. It is unclear


who is speaking here, but, since it is to a mainland Greek that this Egyp-
tian-born Greek would be a 'stranger', perhaps we may imagine that it is
an Argive or some other native of the mainland, from whom the an-
nouncement of Sosibios' victory would have to travel far.
A few lines later, the poem invites us to contrast this voice with that of
the poet (or the text's authorial voice), who describes himself as a ξεΐνος
with respect to the mainland: Ί heard from others about that offering [the
one made in Argos in Sosibios' honor], but I myself saw the one Sosibios
dedicated on the outermost branch of the mouth of the Nile, on a visit to
the Casian Sea' (47-49). He then quotes the dedicatory inscription, and
quite strikingly, the assumption of most Hellenistic epigrams, in which a
text has migrated from an inscribed object to what Bing has called "the
spare referential terrain of the scroll", breaks down here. The speaker has,
he says, actually viewed the dedicatory inscription, in Egypt. This act is
important because it marks the poet as Sosibios' counterpart: both are
ξεΐνοι on the mainland, but both are inside a circle of Greco-Egyptian
privilege, within which achievement and praise may freely circulate.
From an Egyptian point of view, both Sosibios and the poet have
mastered the Greek past - Sosibios by his victories, and the poet by his
control of the 'originating force' of Pindaric and other poetic models. This
bond between Sosibios and the poet is alluded to when another voice
speaks, this time the Nile itself. The river says of Sosibios' accomplish-
ment (28-34): Ά beautiful reward has my nursling paid back to me ... for
till now no one had brought a trophy to the city from these sepulchral fes-
tivals ... and, great though I am, I, whose sources no mortal man knows, in
this one thing alone was more insignificant [than those streams which] the
white ankles of women cross without difficulty, and children pass over on
foot without wetting their knees.' 68 Θρεπτός, 'nursling', implies that Sosi-
bios was born in Egypt. The great river lacks only thing: a Greek past,
which Sosibios, with his victories at Olympia and Athens, can bring home
to Egypt. And that is precisely what scholar-poets also do, in the process
pressing the claims of the Ptolemies not only to legitimacy in the land
from which many Greek institutions came, but then reflectively reappro-
priating these institutions by a form of literary control.

68
The Nile says that no one knows his source, but in fact the Casian Sea was one
candidate for the river's source.
166 Mary Depew

VII. Mass and Elite in Alexandrian Poetics

One more point remains to be made - how to account for the cultural dis-
tance the scholar poets put between themselves and mass culture, while
still doing cultural work that is political, and not, at heart, merely aesthe-
tic.
The most obvious figure of mastery and control over the Greek world
is the grammarian, the philologist. The exordium of the hymn composed
to Demeter by Callimachus' contemporary, Philicus of Corcyra, states ex-
plicitly what Callimachus leaves implicit: καινογράφου συνθέσεως της
Φιλίσκου, γραμματικοί, δώρα φέρω προς ΰμας ('This gift of Philicus'
newfangled composition I present to you, scholars/critics'). 69 This same
Philicus was a priest of Dionysus, and presided over this god's 'artisans'
(τεχνΐται): poets, singers, musicians, and managers who were united
under the banner of their patron god.70 In the early third century there were
four major associations of τ ε χ ν ΐ τ α ι in Greece, but the largest was the
Egyptian, no doubt because of the Ptolemies' patronage and close asso-
ciation with their patron god.71 It was with Philicus' aid that Philadelphus
staged the magnificent procession in 275/4 that figured the theme of Alex-
ander's return from India as a reenactment of Dionysus' own 'return' to
Greece from the east. Culminating in the 'arrival' of Ptolemy I alongside
Alexander, it staged a founding moment for the city's populace in terms
that equated Dionysus' epiphany with the represented images of the
Ptolemies and their largesse.72 This extraordinary scene would have repre-

69
SH 677, in stichic choriambic hexameters.
70
Le Guen 2001. The Ptolemies claimed descent from Dionysus in order to legiti-
mate their association with the Argead royal house.
71
Plutarch describes the appeal Dionysus would have had to most of the monarchs'
subjects in the following way: the god is 'most terrible in his pursuit of war, but again
most skillful in turning from war to make peace into joy and pleasure.' In a parallel de-
velopment, Aphrodite became the deity most prominently connected with the Ptolemaic
queens in the popular imagination, perhaps, as Kathryn Gutzwiller 1993, 367 has argued,
because "the image that could be projected, especially to the Greek populace, of shared
affection between king and queen ... [could] palliate the incest of the Philadelphoi." In the
same vein, Herodas represents a woman of the streets calling Alexandria 'the house of
Aphrodite' (Mim. 1.26).
72
The streets literally ran with wine, as Kallixeinos describes the stages of the pro-
cession: a winepress 36 feet long, full of ripe grapes being trampled by sixty satyrs; a cart
37 feet long, pulled by 600 men, carrying an ά σ κ ό ς holding 3,000 measures of wine
which was released little by little, flowing into the street; 120,000 crowned satyrs and
silenoi carrying gold οίνόχοαι; a silver κρατήρ holding 600 measures of wine on another
Springs, Nymphs, and Rivers 167

sented Philadelphias' identity as a giver of public spectacles, "a most


potent Hellenistic form for the assertion of [authority]" (Kuttner 1999,
106). The procession would also, of course, have involved poetry - hymns
composed and performed, appropriately, by the τεχνΐται Διονύσου.
What is striking about the introduction to Philicus' hymn is that it
represents this prominent public figure in a way that contrasts him with the
group he is honoring with his 'newfangled composition.' Philicus styles
himself an outsider in relation to the γραμματικοί, but nonetheless some-
one who can play the game with the best of them. His composition as-
sumes the existence, side by side, of two groups of poets in Alexandria,
one whose poetry delighted the populace with their spectacular celebration
of the Dionysian largesse of their rulers, and another that repeatedly char-
acterized their poetry and its relation to myths, rituals, and rulers in terms
of pure sources in contrast to vulgar effects. 73
It cannot be irrelevant to this bifurcation in poets funded by the Ptole-
mies that it was the monarch himself who instigated the building of the
Library, and then directed an action that on its own became symbolic of a
new kind of imperialism. Scrolls containing the literary heritage of Greece
were 'borrowed' from ships that docked in Alexandria's harbor, and
copied by scribes in the Library. It was those copies, and not the originals,
that were returned to the ships. The original scrolls, the 'pure sources',
which were designated έκ πλοίων, 'from the ships', remained in the Li-
brary to be edited and catalogued by the same scholars who would pro-
duce their own poetry out of these practices. According to Galen, our
source for this account, 'Ptolemy' instigated this 'exchange' out of jeal-
ousy for the reputation of his library, which, like later similar institutions
in Rome and elsewhere, ranked among the grandest of civic monuments. 74
This exchange of scrolls involves, however, more than a blatant act of
cultural imperialism. It institutionalizes, from the top down, a fact that
would have been well recognized by this time, and which became embed-
ded in the editorial practices of this generation of scholars: the more times
a given text is copied, the more errors it contains, the more 'contaminated'

cart; thousands of boys carrying jars full of wine, ready to be mixed and given out to
everyone present at the stadium where the procession ended. It is intriguing that the
nymphs of Nysa were also represented in the πομπή (Ath. 5.200c).
73
For Aristotle's description of a similar bifurcation in audience, see Wallace 1995,
213.
74
Gal. Comm. in Hp. Epid. 3; Fraser 1984, 325; Parsons 1996.
168 Mary Depew

it becomes. The Muses were traditionally invoked by poets to put their


mind in contact with the insubstantial source of myths, which could only
depend upon (notoriously unpredictable) divine intervention and guidance.
The Library's collected texts, however, and the meaning they generated,
provide an entirely new paradigm. The "pure source" is now that text, or
that interlocutor, which has the purest access to the origins of myths and
rituals. Such knowledge, like that of the Ician guest, or Sosibios' victories,
is imagined by these poets as coming across the sea from the mainland to
Alexandria, and yet somehow, like the Nile itself, already having its origin
in Egypt. Thus in Callimachus' Hymn to Delos, Apollo, who was earlier in
the collection of hymns equated with Ptolemy, is born by the banks of the
River Inopus, whose flowing the poet connects to the inundation of the
Nile (206-208). 75 Given the preponderance of these images, perhaps we
should think less of third-century scholar-poets lamenting the loss of links
with the tradition, and instead imagine with them how the poetic image of
the "pure source" can take on a whole new range of meanings. Funda-
mental to this image is the distinction between pure sources - hence the
interest in springs - and impure, and the authenticity that this poetry af-
fords the rulers in drawing a firm line between the serious wish for legiti-
mation and mass spectacle. These new uses of myth in turn mark a distinc-
tion not between the purely artistic and the political, but between two
aspects of the political itself.

In this paper I have suggested a model that interprets third-century


Hellenistic poetry's treatment of literature and religion both in terms of
continuity and innovation. In a geographical, political, epistemic, and
cultural context that was radically different from those of the poets whose
work they collected, catalogued, and emulated, poets such as Callimachus
and Apollonius Rhodius adapted traditional myths and metaphors to new
uses. Emblematic of such transformations are these poets' treatment of
rivers, springs, and nymphs, whose traditional associations with inspi-
ration, pure sources, and origination could be redirected from a new

75
The notion that the rivers were connected by an underground channel goes back to
Herodotus. On "the collusion of science and imperialism" that characterized Alexander's
subsidizing of research into the source of the Nile, see Vasunia 2001, 281-282.
Springs, Nymphs, and Rivers 169

vantage point: Alexandria, whose identity as the inheritor of Greek culture


both the monarchs and their poets were in the process of inventing.

Mary Depew
Department of Classics, University of Iowa
170 Mary Depew

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On Not Forgetting the "Literatur" in "Literatur und
Religion": Representing the Mythic and the Divine in
Roman Historiography

"a little formalism turns one away from History,


but ... a lot brings one back to it."
Roland Barthes1

As one of only two Latinists speaking at a conference on the interaction


between literature and religion, I found myself reflecting on the historical
differences in practice between the subdisciplines of Hellenists and Latin-
ists. Generalisations on such large topics are difficult and suspect, yet my
own attempts as a Latinist in a Hellenists' conference to negotiate between
the claims of literature and religion made me very self-conscious about the
disciplinary issues. I was left feeling isolated in some kind of middle
ground, subject to a pincer movement from both flanks. On one side was
Latin studies, where a historicising reaction against long-dominant formal-
ism has been gathering momentum for some time, with cultural studies
and anthropologically informed approaches making headway against sup-
posedly solipsistic textual readings; on the other side was Greek studies,
where the gravitational pull of sociological and anthropological models of
great power has been in effect for so long that formalism is scarcely on the
horizon at all, and is no longer perceived as a past threat, let alone as a
present or future one. My feeling of being stranded in the middle comes
from my belief that formalism and cultural studies need each other, and
are inextricably involved with each other. My natural allies, then, are those
Latinists who agree with Don Fowler in thinking that we need "to decon-

1
Barthes 1972, 112. M y thanks to Toni Bierl for inviting me to Basel and for organ-
ising the conference, and to all the participants for generating such an enjoyable and
thought-provoking debate. I also thank the participants in the University of Virginia
colloquium on R o m a n religion in April 2005, w h o heard a version of this paper, and
especially Julia Dyson for her valuable response. Particular thanks for c o m m e n t s and
stimulation are due to Cliff Ando, W o l f g a n g Braungart, Susanne Gödde, Glenn Most,
Renate Schlesier, Katharina Waldner, and Tony Woodman. Only after sending the final
draft to Toni Bierl did I see the important paper on Greek "sacred history" by Dillery
2005. I have not been able to respond to it here, but it is clear that proper treatment of the
themes of my paper would require a book, taking Dillery 2005 and Marincola 1999 as the
points of orientation. - All translations are my own.
174 Denis Feeney

struct oppositions like 'formalism' vs. 'historicism'" (Fowler 2000, 131).


As Fowler puts it in his wide-ranging discussion of intertextuality: '"Inter-
textuality' is often associated with a formalist approach to literature, and
contrasted with forms of cultural criticism that go outside the text. This
seems to me to embody a narrow view of text and a naivety about the way
the things supposedly 'outside' the text are always already textualized"
(2000, 111).2
The difficulty we all faced at our conference was how to read texts
within the penumbra of "literature and religion" without leaning so far to
the formalist end of the scale that we shut out the texts' social and reli-
gious ramifications, and without leaning so far to the historicist end of the
scale that we allow those other cultural discourses to suffocate the distinc-
tive nature of the texts. The danger with the formalism against which so
many Latinists are reacting is that it has in practice made it very difficult
to take the religious (or social or cultural) dimensions of literature at all
seriously. The danger with an overweening historicism is that it can
smudge over important distinguishing features of literary discourses, oper-
ating as if literary texts do nothing more than mimic or exemplify or re-
inforce what we already know anyway from other contexts. Historicism is
particularly prone to such tendencies when - as is overwhelmingly the
case with studies of ancient religion - it is associated with models in-
debted to structuralism and symbolic anthropology. 3 Such models (in-
cluding New Historicism) share the tendency to regard societies as inter-
related meaning systems - in effect, as massive texts. 4 An important con-
sequence is that the governing trope of these approaches is synecdoche. 5
The part stands for the whole, which is always somehow already there,
and primary. Texts are accorded their own discursive status, but they are
nonetheless still regarded as fragments of a larger context "in which the
terms are always set in advance by conditions which are more primary or

2
Cf. Fowler 2000, 120: " . . . the opposition of textuality and history is a meaningless
one since history is only accessible in discourse."
3
Here I summarise points from Feeney 2004, 3-4 and 18-20.
4
Gallagher/Greenblatt 2000, 14-15: "If every trace of a culture is part of a massive
text ..."; "if an entire culture is regarded as a text". Cf. Gallagher/Greenblatt 2000, 26 for
the debt of their New Historicism to the symbolic anthropology of Clifford Geertz.
5
White 1978, 94-95 on synecdoche; Bruster 2003, 27, 33, and 43-44 against synec-
doche in historicist models; cf. Bannet 1993, 41-44.
On Not Forgetting the "Literatur" in "Literatur und Religion" 175

authentic or real" (Feeney 2004, 18).6 When the referent of a literary work
is some religious, mythic, or ritual feature of the culture, with all the con-
notations of primacy and foundation traditionally attached to such features
both in anthropology and in Classics, then the dominance of the synec-
doche model will make it very difficult not to cast the text as at best re-
flective and at worst parasitic.
One way of avoiding such a predicament is through a return to genre -
not to a formalistic pigeon-holing conception of genre, but to a more dyna-
mic Contean model of genre, in which genres mutate and interact, and in
which they serve a mediating function, enabling culturally coded percep-
tions to become part of literary perceptions, and vice versa: "Genre func-
tions as a mediator, permitting such models of selected reality to enter into
the language of literature; it gives them the possibility of being 'represen-
ted'" (Conte 1994, 125).7 It is hard to get this mediating function of genre
mobilised from within the subdiscipline of Greek studies, however, given
that the dominant tendency there is to see genres as arising from specific
social practices and remaining rooted in them: if epinician, for example, is
supposedly a reflex of social practice, to be explained by its performative
function in an occasional setting, then how can religious genres not like-
wise be bound in to a preexisting and predetermined cultural context
which will dictate the terms of interpretation?8
Yet the attempt to give power to literary texts by grounding them in a
supposedly real base depends upon an implausible correspondence theory
of literature, and it will regularly end up failing to do justice to the texts'
actual capacities.9 For literary texts have a certain autonomy - in the parti-
cular sense of 'autonomy' so productively introduced into our discussion

6
Cf. White 1978, 94: "Nor is it unusual for literary theorists, when they are speaking
about the 'context' of a literary work, to suppose that this context ... has a concreteness
and an accessibility that the work itself can never have, as if it were easier to perceive the
reality of a past world put together from a thousand historical documents than it is to
probe the depths of a single literary work that is present to the critic studying it."
7
Cf. Bruster 2003, who likewise highlights "the mediating roles of convention and
praxis", particularly genre (61; cf. xvi). See Marincola 1999 for a powerful argument in
favour of a more Contean conception of genre in the analysis of historiography.
8
Here I reprise arguments from Feeney 2003, a review of Depew/Obbink 2000.
9
For severe reservations about correspondence or reference theories of literature, see
Lamarque/Olsen 1994, Chapter 5, 107-137.
176 Denis Feeney

at the conference by Renate Schlesien 10 'Autonomous' in this sense does


not mean 'entirely in a realm of its own', for it is impossible to know what
such an autonomous discourse would look like - a radically autonomous
discourse would be incomprehensible. If literature did not have a certain
kind of autonomy, however, it would be simply tautologous, for its func-
tions would be served by some other discourse. And literature does have
functions which are not symmetrical with or reducible to the functions of
other discourses, as has been well argued by Lamarque and Olsen: "Litera-
ture is not merely a response to already defined existential problems, nor
an expression of already felt and accepted moral and social values. It is
one of the ways in which these existential problems, as well as social and
moral values, are defined and developed for us" (1994, 451). From this
perspective the polarisations between formalism and historicism look
more and more suspect, since it is precisely the historically based formal
features of texts which make it possible for them to perform within a
society the kind of work identified by Lamarque and Olsen. As Glenn
Most puts it: "Linguistics, anthropology, and social theory can cast helpful
light on genre conceived not as a recipe from handbooks of poetics but
rather as a social phenomenon. Genre is the langue that makes possible
any literary parole" (2000, 17)."
Paying serious attention to genre in this larger sense, then, is indis-
pensable if we are to do justice to the texts and to the religious, ideo-
logical, and cultural work they are doing. In this paper, my test case will
be the representation of mythic material and of divine action in Roman
historiography, and I shall argue that we must pay attention to the
distinctions which ancient historians drew between their procedures for
representing myth or divinity and those of other writers, particularly poets.
Here I shall be debating with a recent paper by Peter Wiseman, in which
he argues that in first century BC Rome "for many readers the distinction
between the proper pursuits of poets and historians was far from clear-cut,
and certainly not a simple matter of literary genre" (2002, 362). As my

10
Cf. Csapo 2000, 128: "Artistic genres have a processual history of their own and a
relative autonomy from other forms of cultural production" (with further references to
discussions of the "'semi-autonomy' of art" in n. 38).
11
Cf. Feeney 2003, 339 on the papers in Depew/Obbink 2000 by Stephen Hinds and
Don Fowler, which "show that the most apparently esoteric issues of genre-bending loop
back into culturally-grounded readings, of Roman constructions of gender (Hinds) and of
parental-filial relationships (Fowler)."
On Not Forgetting the "Literatur" in "Literatur und Religion" 177

argument so far has shown, I do not regard "literary genre" as a "simple


matter", and it is worth revisiting the question of what was at stake for
historians in their engagements with other religious discourses.
Before coming to the texts of the first century BC which are my prime
focus, we must begin with Herodotus, the father of the genre, who
initiated procedures for the new discourse which had fundamental con-
sequences. 12 One of Herodotus' first moves was to introduce a distinction
between - to put it bluntly - history and myth, in terms of subject matter,
and between history and epic, in terms of narrative mode. These two
categories - of form and content, very roughly - are of course inter-
mingled with each other, and we shall revisit the question of their inextri-
cability. But from the opening pages of Herodotus' history the crucial de-
marcations are there, between history and epic and between what is going
to count as myth or history. The demarcations are grounded in a claim to a
new kind of knowledge, and in a foreswearing of the kind of knowledge
which epic poetry claimed. 13 The opening of Herodotus' history is playing
off a Homeric conception of the deep past as one inaccessible to normal
human knowledge, a conception most crisply formulated by Homer when
he invokes the Muses in Iliad 2.484-486. Here Homer says that the Muses
do have knowledge (ϊστε) about this heroic past, whereas we hear only
report (κλέος οίον άκούομεν), and do not know anything (ουδέ τι ί'δμεν).
Much of the force of this Homeric passage comes from the fact that the
Greek word to 'know' is cognate with the word to 'see', while the word
κλέος, 'report', is cognate with the word to 'hear'. This is an antithesis of
wide importance in Homer, one referred to by characters as well: seeing
something and knowing it for yourself is incomparably superior to merely
hearing about it from another source. 14 When Herodotus rejects the
Persian version of Io and turns to Croesus, he is playing on precisely this
Homeric antithesis, for he uses Homer's verb of knowledge, but positively
(1.5.3). ' W e do not know anything', Homer had said; Ί know myself
(οίδα αυτός), says Herodotus, without a negative, of his own sure know-

12
It w a s a pleasure to see how much Susanne Gödde and I agreed in our inde-
pendent approaches to Herodotus' representations of the divine; I learnt much from her
presentation.
13
Huber 1965 remains fundamental. I discuss Herodotus' new epistemology in more
detail in Feeney 2007, Chapter 3.
14
Clay 1983, 12-20; Ford 1992, 60-61. On the crucial importance of this distinction
in the historiographical tradition from Herodotus on, see Marincola 1997a, 63-86.
178 Denis Feeney

ledge, not of his ignorance. Homer cannot know for himself about the
distant past, and has to rely on the Muses to tell him; Herodotus cannot
know for himself about the distant past either, and so he will tell about the
things that he can know, and know for himself - αυτός.
Throughout his history Herodotus is extremely scrupulous in marking
what he will vouch for and what he will not, on the basis of his claims to
knowledge, maintaining systematically the distinction of his second pre-
face "between the myths that are 'said' and what 'we can know'." 15 This
point is regularly misunderstood by scholars, especially those who wish to
deny Herodotus a developed interest in making novel demarcations be-
tween his new 'history' and the old stories. Harrison, for example, claims
that Herodotus treats "Minos straightforwardly as a historical figure" in
his account of Cretan participation in the Trojan War, without any refer-
ence to the fact that the entire section is in reported speech, explaining the
reference of a Delphic Oracle. 16 1 do not mean to associate myself with the
view that reported speech is an automatic sign of personal scepticism, a
view well countered by Harrison himself; 17 the issue here is the way in
which Herodotus is setting out the terms for the technology of his new
form of rhetoric. In general, Harrison's discussion of this topic is vitiated
by his failure to pay attention to such fundamental narratological questions
as 'Qui parle?', questions which have profound generic and discursive im-
plications.
In the case of Herodotus we can see that his strategies in this sphere
are part of a larger strategy for creating a new kind of authorial persona.
This persona has many strong affinities with the new personae being
moulded by his contemporaries in medicine and science, and much of
what Geoffrey Lloyd has taught us about the new rhetorical strategies
designed in those new discourses could be copied over directly for Hero-
dotus' history. 18 Lloyd highlights the importance to the new scientific dis-
courses of "the habit of scrutiny, and ... the expectation of justification -
of giving an account - and the premium set on rational methods of doing

15
As Moles 1993a, 97 paraphrases 7.20.2-7.21.1; cf. Gould 1989, 125.
16
Harrison 2000, 203 and 205 on 7.170-171.
17
Harrison 2000, 24-30 and 82-83; cf. Mikalson 2003, 145.
18
Lloyd 1979 and 1987; Thomas 2000 makes many important connections between
the intellectual and performance environments of Herodotus and his peers in medicine
and science.
On Not Forgetting the "Literatur" in "Literatur und Religion" 179

so" (1979, 250); 19 he likewise picks out "the prominence of the authorial
ego, the prizing of innovation both theoretical and practical, the possibility
of engaging in explicit criticism of earlier authorities, even in the whole-
sale rejection (at times) of custom and tradition ..." (1987, 70). The impli-
cations for Herodotus and Thucydides are obvious. What Herodotus
begins is a project of carving out a new kind of discourse about the past
which has powerful affinities in rhetorical method and authorial self-pre-
sentation with the new discourses about medicine and nature. His new
discourse will enable him to compete not only with the body of inherited
mythic story, but also, even more importantly, with the other discourses
that had already evolved to compete with myth, above all the rationalising
and cataloguing of Hecataeus and the other mythographers. A crucial part
of this new project is the ability to stake out credible and authoritative
knowledge claims; and a crucial part of that ability is the claim - however
arbitrarily grounded - to be able to demarcate what can be known in this
τέχνη and what cannot be known.
The question of what can be known and what cannot be known readily
spills over into the question of what can be narrated and what cannot be
narrated. Despite all his enormous debts to Homer in terms of his under-
standing of how to narrate action, Herodotus marks an irreducible line be-
tween his kind of narrative and Homer's in terms of representation of the
divine. Fundamentally, once he has created his new authoritative voice by
demarcating how far his knowledge claims extend, Herodotus does not lay
claim to the privileged insight of a Homer, and he does not introduce gods
into his narrative as characters. 20 This is a crucial distinction between his
own practice and Homer's, one with many powerful ramifications, but one
that many readers overlook. Herodotus does not say that the god Pan ap-
peared to Philippides as he was running over the mountains to Sparta; he
says that Philippides said that the god appeared to him (6.105.1-2).21 This
may look like a trivial point, but it is not, for it takes us to the heart of the

19
Cf. Lloyd 1987, 99.
20
Feeney 1991, 261-262; cf. Mikalson 2003, 144-155 and Susanne G ö d d e ' s paper in
this volume.
21
For interesting discussion of the way this report of P a n ' s epiphany is part of the
larger narrative of Marathon, see Hornblower 2001, 143-145. Similarly (to give the ex-
ample used by Hornblower 2001, 136), Thucydides does not say that Athena destroyed
the Athenian defensive tower at Lecythus, but that Brasidas thought she did, or at least
acted as if he did (4.116).
180 Denis Feeney

kind of authority Herodotus is claiming, the kind of human-based know-


ledge claims he feels entitled to assert, and so it takes us to the heart of the
kind of discourse this new form is. If we overlook or downplay the discur-
sive boundaries Herodotus is establishing, we are not just doing him an in-
justice in formal or 'literary' terms, we are missing the impact of his bold-
ness in creating a new kind of representation of human knowledge and
action. At this level, the formal and historicising readings fold into each
other, for only a scrupulous formalism will allow us to appreciate fully
how Herodotus' new discourse situates itself in the cultural dialogues of
its time.
Herodotus is in fact still using a Homeric demarcation when he rules
out of court his own merely human ability to narrate the gods' participa-
tion in the action. Herodotus adapts an internal mode of epic and puts him-
self into exactly the position occupied by Odysseus, when Odysseus tells
his own story in the Odyssey, The inspired poet Homer can say 'Aphrodite
did this, or Apollo did that', but the human character Odysseus cannot; he
consistently says just θεός or δαίμων when he suspects some divine
agency, since he is unable to vouch for it in personal terms.22 Herodotus'
practice is very close indeed to this Homeric - or rather, Odyssean - norm;
in this respect, at least, Herodotus is really not a Homer, but an Odys-
seus.23 The kind of distinction we see at work in Herodotus is widely ob-
served in both the Greek and Roman worlds. 24 It is very similar to what
Parker, discussing fifth and fourth century Athens, calls the contrast be-
tween "the theological opacity of oratory and the transparency of tragedy."
As he puts it: "Oratory never invites the listeners to believe that they can
gaze at Olympus and penetrate the counsels of the gods. The claims it
makes about divine motivation are almost invariably vague and general;
they concern 'the gods', not named individuals, and it would have been in-
conceivable for an orator to pretend, for instance, to describe a clash of
will between Poseidon and Athena. But insight of just that kind into the

22
This was clearly laid out by Jörgensen 1904; cf. Clay 1983, 21-25; Mikalson
1983, 112; Feeney 1991,85-86.
23
See Moles 1993a, 92-98 and Marincola 1997b for the importance of the persona
of Odysseus to Herodotus, as a man who travels widely and observes the customs of
different people.
24
On the general language of 'the gods' or 'god' used by orators and historians, as
opposed to poets, see Mikalson 1983, 63-68; cf. Feeney 1998, 81: "... it holds broadly
true that the ordinary human in the ordinary course of events, without privileged access to
knowledge of divinity's action, must necessarily speak in this general manner."
On Not Forgetting the "Literatur" in "Literatur und Religion" 181

workings of Olympus was claimed by tragedy" (1997, 158). Needless to


say, observing such generic distinctions does not entail claiming that any
one of these genres correlates, to the exclusion of the others, with what the
Greeks or the Romans 'really believed'. 25
Herodotus, then, will not vouch for the material of myth on his own
account and he will not give a homerically mimetic narrative of the gods.
This is not to say, however, that he is not interested in divine action or in
what we call religion; let it suffice here to cite the two recent studies of
Herodotus and religion by Harrison (2000) and Mikalson (2003). Still, in
any discussion of these issues we must be very scrupulous about the terms
we use and about observing the generic distinctions at work. Pelling, for
example, claims that the opening sections of Herodotus' history are deli-
berately misleading in focusing on human actions, giving the impression
that the narrative will "leave the gods out", and that "this is not, it seems,
to be the world of Homer, where gods exercise ... influence over events";
soon enough, according to his argument, references to the gods, patterns of
fate and oracular responses make it clear that the "gods and the super-
natural cannot be left out, try though author or reader will; and the inevita-
bility of a divine dimension is the clearer for the original attempt to avoid
it" (1999, 334-335). 26 Yet it is crucial that Herodotus' techniques for the
representation of the "divine dimension" are not Homeric. Herodotus can
perfectly well think that he can use evidence to find patterns of divine
action in recent or contemporary history; this is very different from his
thinking that he can get information of the kind he wants from the material
of myth, and it is also very different from his using the kind of knowledge
claims about specific deities in action that can be advanced by authors in
other genres, especially epic. Herodotus keeps his realm of knowledge in
the human realm, even though, like any other Greek, he is able to use his
own observation and intelligence to make inferences about possible divine
agencies. 27 He will report what people say about mythic stories, because

25
On the issues, Feeney 1998, 22-25; cf. Parker 1997, 159: "Tragedy expresses
some part of what it was like to believe in the Greek gods no less than prose texts do."
26
Original emphasis.
27
For a compelling and lucid account of Herodotus' perception of divine forces at
work in his historical account, see Munson 2001, 183-206; cf. Cartledge/Greenwood
2002, 357-358: "Thus Herodotus claims to be able to infer divine involvement in human
events, but he achieves these inferences through a process of independent inquiry based
on the realm of human knowledge." Mikalson 2003 is very much in accord with such
positions: note esp. 146.
182 Denis Feeney

he knows that what people say is as important as what they do, but he will
not narrate such stories on his own account, nor will he rationalise them,
as his predecessor and main rival, Hecataeus, had done. Again, he will
express his own surmises about the role of the divine in human history, but
he will not give narratives on his own authorial account about character-
ised deities operating in the homeric manner. The formal definitions of
epic given by the ancient scholarly tradition are a useful reminder of what
is at stake. According to Servius 'epic consists of divine and human char-
acters' (constat ex diuinis humanisque personis), and according to Posido-
nius poetry contains 'a mimesis [i. e., a characterful representation] of
things divine and human' (μίμησιν ... θείων και άνθρωπείων). 28 History,
for all the interest which it can display in the inherited body of myth and
in religious concerns, does not have both 'divine and human characters',
nor does it have 'characterful representation of things divine as well as
human', with gods part of the mimesis like humans.
These general issues have to be borne in mind when we are consider-
ing historical texts from the Roman period as well. The later historical
tradition, including the Roman one, is remarkably faithful to Herodotus'
pioneering prescriptions in the field of representing the divine: "... from
Herodotus on, the historians ... refrained from following Homer into the
narration of divine action on its own plane. Even epiphanies in historians
are, after all, accounts of human experience. An ancient historian will de-
scribe a report of a deity appearing in battle, for example, but he will not
narrate the decision of the deity to appear, or transcribe the god's con-
versation before he sets off for the battle-site" (Feeney 1991, 261).29 Simi-
larly, the later historians' approach to the inclusion or exclusion of mythic
or miraculous material retains recognisably Herodotean features, although
there was certainly more variety of treatment here, as we shall see.30 Be-
cause the origin of this historiographical trope of demarcation from myth
was not a technological or methodological advance but a new kind of rhe-
toric, the distinctions claimed between history and myth could vary con-
siderably. Historians could use chronology, for example, to delimit their
subject matter from 'the times of myth', as Dionysius of Halicarnassus

28
Serv. 1.4.4-6 Thilo/Hagen; Posidon. fr. 44 Edelstein/Kidd, 1972-1988.
29
Cf. Hornblower 2001.
30
Important discussion in Calame 2003, 1-34; n. b. 26: "Difference in content forms
the division less between myth and history than between historiography and poetry."
On Not Forgetting the "Literatur" in "Literatur und Religion" 183

calls them, when he says that the Assyrian Empire reaches back εις τους
μυθικούς χρόνους (Antiquitates Romanae 1.2.2). The Trojan war was re-
gularly the chosen cut-off point;31 but for Ephorus, writing a panhellenic
history in the middle of the fourth century, the demarcation line was the
return of the Heracleidae, 80 years after the Trojan war. Ephorus deliber-
ately proclaims that he will not begin with the events of myth; 32 in a very
Thucydidean passage he says that you cannot give an accurate account of
ancient events, as opposed to contemporary ones, since deeds and
speeches of the distant past cannot be remembered through such a long
time.33 One of the fullest discussions of this topic comes in Plutarch's
Preface to the paired Lives of Theseus and Romulus, which has recently
been the subject of a fine analysis by Pelling: in working on Theseus, Plu-
tarch says, he has gone through that time 'which can be reached by reason-
able inference or where factual history can find a firm foothold', and has
now reached a point where he might 'say of those remoter ages, 'All that
lies beyond are fables and tragic stories ...',' 3 4
Inevitably, these are broad generalisations about a very long, varied
and contentious tradition, one including historians who narrated the ex-
ploits of Dionysus in India or Heracles in the West as prototypes of later
Hellenic arrivals, or who invented charter myths for Greek colonies.35 The
case of Roman history is particularly challenging because it shares the
characteristics both of a universal history and also of a local history, which
had to account for origin stories of all kinds, including the fabulous: a
narrative of the history of Rome from the origins will start off as a local
history but end up as a universal history. 36 Still, Marincola is fundamen-
tally correct to say that the historians ended up with three options when
dealing with myth: leave it out, rationalise it, or report it noncommittally,
leaving judgement up to the reader. 37 Of the first option, Ephorus may

31
Porter 2004, 320.
32
FGrHIO Τ 8 = D.S. 4.1.3.
33
FGrH 70 F 9 = Harp. s. v. άρχαίως.
34
Thes. 1, following the translation of Pelling 2002, 171.
35
On such histories, see, conveniently, Pearson 1975. We return shortly to the
question of how such historians may have reported matters of this kind.
36
I thank Glenn Most for drawing my attention to this issue. Elliott 2005, 75-76
makes the point, appositely citing Frier 1979, 218: my thanks to her for allowing me to
cite her as yet unpublished PhD dissertation.
37
Marincola 1997a, 118, part of a very valuable discussion; cf. Wardman 1960, 410-
412; Veyne 1988, 71-78 on the options of rationalising and relata referre, recounting the
184 Denis Feeney

stand as a paradigm; of the second, Dionysius of Halicarnassus; of the


third, Diodorus Siculus, with his careful sequestration of six books of pre-
Trojan War mythic material in a self-contained achronological bracket of
their own (1.5.1).
The moments when historians confront the problem of myth can pro-
vide some of their most interesting moments of self-definition, as they
manoeuvre on the boundaries of poetry, drama or philosophy in order to
define their projects in the same way that epic or elegiac poets manoeuvre
on their inter-generic boundaries in order to define their projects. 38 We
observe an analogous technique already in Herodotus, as Susanne Gödde
shows in her paper in this volume, referring to the passage in Book 2
where Herodotus pulls himself up short before he transgresses his self-
imposed ban on talking about 'divine things' ('which I particularly shun
narrating', τά έγώ φεύγω μάλιστα άπηγέεσθαι, 2.65.2). Livy's Preface is
a famous case in point, for it engages throughout with the opposing modes
of poetry, most spectacularly at the end, with his wish that he could begin
his work, as poets do, with prayers and supplications to the gods and god-
desses {praef. 13). As Woodman points out, this is "a device which he
explicitly borrows from poetry but which serves only to underline the dif-
ference between two genres" (2003, 213). 39 Earlier in the Preface Livy
brushes against history's limits, exploiting the trope of chronological de-
marcation between history and myth in the process, when he acknow-
ledges that much of the tradition concerning the foundation of the city is
'more appropriate to the myths of poetry than to uncorrupted monuments
of achievements' (poeticis magis decora fabulis quam incorruptis rerum

tradition, what people say, without necessarily vouching for it. On the important fragment
of Theopompus about his strategy concerning myth ( F G r H 115 F 381), see the decisive
arguments of Flower 1994, 34-35, proving that Theopompus claims to be signalling ex-
plicitly when he incorporates myth, unlike his predecessors. Some might say that this
shows the distinction did not matter, but of course it shows the reverse.
38
On the generic interface between history and myth/epic, see Woodman 1988,
index s. v. 'historiography, ancient, and poetry'; Moles 1993a and 1993b. As Hornblower
2001, 146 remarks, in advancing a strong claim for Pan's role in Herodotus 6.105.1-2:
"Generic crossover can be a very arresting device." For the analogy with epic and elegiac
poets, see, conveniently, Hinds 1987, esp. 115-117. Woodman 2003, 213 intriguingly
suggests, on the basis of Horace's allusions at the end of Carm. 2.1, that Pollio's Preface
to his Histories ended with a transitional generic distinction between his former genre of
tragedy and his new genre of history.
39
Cf. Feldherr 1998, 78; see Moles 1993b, 156-158 for a full exploration of the en-
gagement with poetry at this point in the Preface.
On Not Forgetting the "Literatur" in "Literatur und Religion" 185

gestarum monumentis, praef. 6). Here he is following Herodotus and Thu-


cydides in setting up a strategy of skirmishing with opposing genres which
will carry on strongly into the first book. 40
Livy comes close to transgressing into the norms of epic when he
carries on from the passage just referred to {praef. 7):

datur haec uenia antiquitati ut miscendo humana diuinis primordia


urbium augustiora faciat; et si cui populo licere oportet consecrare
origines suas et ad deos referre auctores, ea belli gloria est populo
Romano ut cum suum conditorisque sui parentem Martern potis-
simum ferat, tarn et hoc gentes humanae patiantur aequo animo
quam imperium patiuntur.

This indulgence is granted to antiquity that it makes the first stages of cities
more august by mixing the human and divine. 41 And if it ought to be allowed to
any people to hallow their origins and make the gods responsible for them, then
the glory in war of the Roman people is such that when they say that Mars him-
self was their father and the father of their founder, the peoples of the earth
should put up with this with as much equanimity as they put up with the empire.

Here he is not saying, as Moles claims, that "it remains a plus if a


historical work can include the mingling of human and divine" (1993b,
149).42 Livy will report the myth of Romulus' divine parentage because it
is in the tradition and has immense consequences, but he is not obliged to
vouch for it: this is part of his general policy, carried on from Herodotus'

40
A classic example of a process referred to by White 1987, 95: "The implication is
that historians constitute their subjects as possible objects of narrative representation by
the very language they use to describe them" (original emphasis). Feldherr 1998, 75-78
well brings out the power of the generic confrontations here. Moles 1993b, 149 demon-
strates the Herodotean and Thucydidean force of Livy's approach to the distinction
between myth and history, especially in his Herodotean declarations that he sets no store
by how stories of this kind will be judged {ea nec adfirmare nec refellere in animo est,
§6; haud in magno equidem ponam discrimine, §8).
41
As Tony Woodman points out to me, the first quoted sentence has a focus on the
present that is regularly overlooked: as he puts it, datur haec uenia antiquitati etc. means
(a) "we concede it to the ancients that they mingle human and divine and thereby make
the origins of cities more august" and (b) "we concede to <the notion of> antiquity that,
by mingling human and divine, we make the origins ..."
42
Moles' footnote 40 ad loc. refers to Cie. Inv. 1.23, where Cicero is making a quite
different point, advising the orator to show that his case involves the whole res publica,
including the immortal gods. I should say that this is practically the only sentence in
Moles' important article with which I differ. See, rather, Feldherr 1998, 64-65.
186 Denis Feeney

example, of narrating miraculous or supernatural material with distancing


formulae of report such as dicitur.n He acknowledges the power of these
myths in bolstering Roman power, just as he understands that the way the
peoples of the empire have to acquiesce in the ideology is independent of
the truth of the stories.44 He knows that these myths are indispensable to
the auctoritas of the Roman empire, but he also knows that vouching for
them in his own right would undermine his own auctoritas·. the acceptance
of the myths is incumbent upon an indulgent Roman posterity and a
compliant group of subjects, and Livy does not wish to identify himself
with either category. It matters crucially to him, then, to maintain the
differences between his genre and those in which such myths are at home.
Otherwise he will not be able to sustain the persona necessary to enforce
the practical utility that he hopes will come from his history's didactic and
moral power, which he expounds in the following sections (9-10), directly
addressing the reader as his fellow-citizen (te ... tibi tuaeque rei publi-
cae).45 If his history fails to demonstrate in a plausible way what the 'life,
customs, and men' were like in the past (quae uita, qui mores ..., per quos
uiros, 9), then it will have failed in this objective. His demarcation be-
tween the old stories and his own educative project is part of his whole
strategy at the beginning of the work.
In his actual narration of the fables surrounding the foundation of the
city Livy manages to have his cake and eat it too. He is extremely careful
to refrain from endorsing the tradition, but he does not wish to uncouple
the beginning of Rome from the myths altogether. He contrives to let the
glamour and power of the myths leak into his narrative to some extent,
even if he does not vouch for the details and is regularly rather sardonic in
his reportage. A feeling that fate must somehow have been behind the
emergence of Rome - the kind of view one can readily imagine a first-
century BCE Herodotus expressing - is allowed expression in his narrative
of the conception of Romulus and Remus, even as he holds back from en-
dorsing the divine parentage itself (1.4.1-2):

43
Levene 1993, 16-30; Feldherr 1998, 64-78; Forsythe 1999, 87-98.
44
For the role of the Romulus and Remus story in relations with the Greek East, see
the remarkable inscription from Chios (from the late third or early second century BCE)
which speaks in language close to Livy's of how the story of the twins' parentage might
be rightly considered true because of the courage of the Romans (following the interpre-
tation of Derow/Forrest 1982, 86).
45
Kraus in Kraus/Woodman 1997, 55-56; cf. Kraus 1994, 13-15.
On Not Forgetting the "Literatur" in "Literatur und Religion" 187

sed debebatur, ut opinor, fatis tantae origo urbis maximique secun-


dum deorum opes imperii principium. ui compressa Vestalis cum
geminum partum edidisset, seu ita rata seu quia deus auctor culpae
honestior erat, Martern incertae stirpis patrem nuncupat.

But, so I think, fate made inevitable the origin of such a great city and the be-
ginning of an empire that is the greatest after the power of the gods. When the
raped Vestal had given birth to twins, either because she thought so, or else be-
cause a god was a more honourable source to put the blame on, she named Mars
as the father of the doubtful progeny.

After the birth of the twins, an artful word arrangement makes it look for a
moment as if we are going to be offered alternative rationalising and
supernatural explanations. 46 Seu ita rata seu quia deus ... 'Either because
she thought so, or else because a god' - here a supplement such as 'really
was responsible' is taken away from us, as we go on to read 'was a more
honourable source to put the blame on' (auctor culpae honestior erat).
Either way, it is only what the priestess said.
The story of the foundation of the Ara Maxima is a related example of
this kind of technique. In the Preface Livy said that he would not vouch
for mythical events before the foundation of the city, yet early on in Book
1 he does give us a famous aetiological tale from fable, involving the
demi-god Hercules, from the time before the foundation, even before the
fall of Troy. He artfully inserts it as a flashback in the Romulus narrative,
so that it is made into a subset of history. When he comes to discuss
Romulus' religious practices, he tells us that Romulus performed sacri-
fices to the other gods according to the Alban rite, but to Hercules accor-
ding to the Greek rite, following the way the sacrifices had been estab-
lished by Evander (1.7.3). At this point Livy introduces the myth with me-
morant, and proceeds to narrate the whole colourful tale over the space of
two OCT pages (1.7.4-15), including a quotation of Evander's speech, in
which the Arcadian king refers to his mother's prophecy of Hercules' apo-
theosis and the cult of the Ara Maxima, to be tended by the nation that will
in the future be the most powerful on earth (1.7.10).47 Two considerations
in particular, both aetiological in nature, make it important for Livy to

46
As indeed it is taken by Ogilvie 1965, 48, w h o sees here a "juxtaposition of a
natural and a supernatural explanation"; 1 agree rather with Forsythe 1999, 92. My thanks
to Julia Dyson for discussion of this point.
47
See Forsythe 1999, 95 for a judicious analysis.
188 Denis Feeney

bend his generic capacities in order to include this story. Livy is very
interested in aetiology and its contemporary uses, particularly in these
early sections of his work, and here he contrives to deliver two telling
aetiological messages through the medium of the myth without in the end
compromising the overall status of his narrative or his persona. First, he
wishes to stress that Greek and Roman culture were intermingled from the
start, and he uses the case study of the Graecus ritus in cult: even before
the city was founded, according to this tale, the cult of the site of Rome in-
volved Greek cult.48 Second, Livy tangentially suggests at the end of the
digression that Romulus' fostering of the cult of Hercules already anti-
cipates the way that Augustus himself would be behaving centuries later,
in Livy's own day. The cult of Hercules, says Livy, was the only foreign
cult adopted by Romulus, who was 'even then a supporter of the immor-
tality achieved by virtue to which his own destiny was leading him' (iam
tum immortalitatis uirtute partae ad quam, eum sua fata ducebant fautor,
1.7.15). In all kinds of ways Romulus is a prototype of Augustus, and one
of the resemblances between the two is precisely this care over the cult of
deified heroes as a template for their own eventual apotheosis. 49 The kind
of pressure that Augustus is putting on the boundaries of contemporary
Roman religious practice finds an echo in the pressure Livy puts here on
the norms of his narrative.
Passages such as that in Livy's Preface have recently been reinter-
preted by Peter Wiseman in a very different way, as a "partisan statement
of philosophical scepticism": Wiseman sees Livy as being in a minority,
and he argues for recovering a historiographical tradition that accepted
"miracle stories and divine epiphanies as a proper part of their subject
matter", arguing that the "issue was not one of literary convention but of
theological belief' (2002, 353). "Even in the sophisticated Rome of the
first century B. C.," he concludes, "for many readers the distinction be-
tween the proper pursuits of poets and historians was far from clear-cut,
and certainly not a simple matter of literary genre" (2002, 362). Wiseman
certainly presents a rich world of inherited stories about divine interven-
tions and miraculous events, and this world is one with which any student

48
The fact that this is the single such cult maintained by Romulus is part of a larger
project of minimising, even while acknowledging, the degree of Greek penetration of
Roman culture (haec turn sacra Romulus una ex omnibus peregrina suscepit, 1.7.15).
49
On Livy's parallelisms between Romulus and Augustus, see Miles 1995, 164-166.
On Not Forgetting the "Literatur" in "Literatur und Religion" 189

of the period must become familiar; further, he makes an important case


for the anomalous position of one historian (although it is not, I think,
Livy). Yet the question of genre remains crucial, for the intellectual envi-
ronment of the first century B. C. was one where different discourses were
self-consciously competing with each other in pursuing different objec-
tives and addressing different, though overlapping, audiences. The debates
recovered by Wiseman over credulity and scepticism, rather than making
generic analysis redundant, were precisely made possible by creative work
with generic expectations: no expression of "theological belief' was pos-
sible outside the context of a "literary convention", so that these appar-
ently polarised terms are mutually defining, not mutually exclusive.
In regarding "literary genre" as a "simple matter", Wiseman can cloud
the issues by not taking the discursive differences seriously enough. He
adduces evidence from a range of different kinds of texts as if they all
worked in the same way, and he can overlook fundamental narratological
questions such as 'Qui parle?' in rather the same way as scholars regularly
do when they discuss Herodotus. Varro's de Gente Populi Romani, cited
by Wiseman as the source of miraculous stories such as the Vestal carry-
ing water in a sieve to vindicate her chastity, was not a work of history.
Wiseman quotes Münzer's speculation that Varro lay behind the version
of the Vestal story to be found in Pliny's Nat. 28.12, yet Münzer sees here
a difference between antiquarianism and formal history: "Es liegt ohne
Zweifel hier überall eine mehr antiquarische als annalistische Überlie-
ferung zugrunde." 50 Similarly, whatever Valerius Maximus' Facta ac Dic-
ta Memorabilia was, and however indebted it may have been to historical
and especially Livian sources, it was not a work of formal history in the
tradition of Herodotus. 51 "Valerius was writing moral protreptic," com-
ments Wiseman, "not philosophical argument" (2002, 352). And not his-
tory either.52 Just as for the Atthidographers, who "did not accept a firm
boundary between mythical and historical material, and passed within
their works from one to the other" (Pelling 2002, 188), so too for Varro,

50
Münzer 1937, 205, quoted by Wiseman 2002, 337 n. 31.
51
Wiseman 2002, 350-352 well brings out the intertextuality of Valerius' introduc-
tion with Livy's Preface, but while he says that "Valerius uses the idiom of historiogra-
phy", referring to omnis aeui gesta and historiae series, these phrases actually refer to
what Valerius says he is not going to write.
52
Any more than was the biographer Plutarch, likewise adduced by Wiseman 2002,
347.
190 Denis Feeney

the material for the antiquarian was the inherited mass of tradition about
the city, which it was the job of the scholar to organise and transmit.
Valerius similarly sees it as his function to 'repeat what is in the tradition'
(tradita repetuntur, 1.8.7). These projects have their own merits and their
own roles to play within the debate over the past and the divine in the
period, but they are not the same merits and roles as those of formal
history, with its political and utilitarian programmes. 53 It is somewhat mis-
leading to group such disparate authors together as "other historians" to
point a contrast with Livy, as Wiseman does in his concluding paragraph:
"For Livy, divine intervention was not appropriate to 'uncorrupted' history
- but we know that other historians thought it was" (2002, 362).
Someone who does qualify as "another historian", and who ap-
proaches these questions in a manner significantly different from Livy, is
Dionysius of Halicarnassus. Wiseman's discussion is highly instructive,
showing how Dionysius repeatedly narrates myths at length and fore-
grounds issues of how to interpret them. 54 Dionysius is to some extent
drawn into this realm by the whole theme of his work: to vindicate the
Greek nature of the Romans and to justify their hegemony to the Greek
world, he needs to go far back into mythical time in order to reach the
point of divergence between Roman and Greek, thus involving himself
constantly in adjudicating the merits of the stories in the early mythical
tradition.55 In this way he bears out the point we remarked on above, that a
history of Roman origins will be more involved in the fabulous material of
origin narratives than histories of the later periods. Yet Dionysius'
accounts of apparently divine or miraculous manifestations and his dis-
cussions of how to interpret them extend down into the time of the Re-
public, and certainly reflect a different set of priorities from Livy's. His
closer involvement with the antiquarian tradition is partly responsible for
this difference in emphasis, for he can resemble a Varro at times. 56 It is
also helpful to see Dionysius as a self-consciously Herodotean historian:

53
Marincola 1999, 307-308 well cautions against blunt demarcations between 'anti-
quarianism' and 'history', yet the differences between Varro's procedures and Livy's are
tangible.
54
Wiseman 2002, 343-347.
55
Marincola 1997a, 121-122; cf. Gabba 1991, 117-118 on Dionysius' "demonstra-
tion of the political theory proclaiming R o m e ' s Greekness. This is the basic reason why
he could not follow Livy in eliminating the fables of a poetically coloured tradition that
predated the foundation of Rome and described that very foundation."
56
Gabba 1991,97-98.
On Not Forgetting the "Literatur" in "Literatur und Religion" 191

"Just as Dionysius' model, Herodotus, had been forced to rely on native


accounts - some of which would contain the fanciful or marvellous - so
too Dionysius needed to collect and preserve epichoric traditions" (Marin-
cola 1997a, 123).57 His stance as an outsider is important when we com-
pare him to Livy. Livy too must sift through his inherited historiographical
tradition, but Dionysius is engaged in a different enterprise, reporting and
assessing 'what the natives say', from the oblique perspective of the non-
native.
Dionysius' techniques, nonetheless, are recognisably responsive to the
traditions of formal history, however boldly he pushes the envelope at
times. His usual procedures are regularly not accommodating to accepting
mythic or miraculous narratives on their own terms. Dionysius' procedure
is normally as described by Marincola, consisting of "the contrast of a
'mythic' and 'historic' account, the two being separate and distinct, with
no commerce between them" (1997a, 122). Marincola gives the example
of the narrative of Heracles in Book 1 (39-42). Here Dionysius first pre-
sents a 'mythic' account, with Geryon's cattle and Cacus, and then follows
it with a 'truer' account, 'the one used by many of those who have narra-
ted his deeds in the form of history' (1.41.1); this account rationalises the
myth by accommodating it to the norms of likelihood and contemporary
plausibility, turning Heracles into a conquering general and Cacus into a
thuggish local chief.58 In addition to this technique of pairing 'mythic' and
'truer/historic' versions, Dionysius repeatedly introduces stories of mira-
cles or divine intervention with distancing devices of one kind or another,
just like Livy and Herodotus, maintaining in the process a stance of report,
of not vouching directly for the material. 59 Dionysius' use of these tech-
niques differs at times, however, in that it can be coupled with reflections
on the material which directly qualify the distancing in interesting ways.
One of the most remarkable stories narrated by Dionysius exhibits this
complex technique, and may stand as an example of how subtle Diony-
sius' procedures can be, and how fine can be the distinctions between his
techniques and those of his Roman counterpart, Livy.

57
Cf. Gabba 1991, 96: " . . . he was still subject to the principle elaborated by Hero-
dotus: how could he not report what he found in the Roman sources?" For explicit refer-
ences to epichoric versions, see 1.55.1, 8.56.4.
58
Marincola 1997a, 122-123.
59
Especially when introducing the ' m o r e mythical' of his paired versions of past
events (e. g., 1.77.2,2.56.2).
192 Denis Feeney

The story is a famous one, related in many other sources,60 and it con-
cerns the founding of Alba Longa by Aeneas' son, Ascanius. Dionysius
introduces the story by saying that during the foundation 'a very big
marvel is said to have occurred' (θαΰμα μέγιστον λέγεται γενέσθαι,
1.67.1), and the narrative proceeds in oratio obliqua (1.67.1-4). The Pe-
nates brought by Aeneas from Troy and settled in his city of Lavinium
now need to be moved to the new city, yet the night after they are trans-
ported to Alba Longa they miraculously move back to Lavinium. Once
more the images are brought back to Alba Longa, and once more they
migrate back to Lavinium. At this point the people leave the Penates
where they are, in Lavinium, and send six hundred of the men from the
new city back to Lavinium to take care of them there. Embedded in this
myth we may detect some of the main concerns of the Roman myth of
Trojan origins, even though Dionysius' eventual elaboration will move the
focus somewhat. The Romans want a link back to Troy, but they do not
want it to be too direct: in the developed version of the foundation myth,
Aeneas does not simply found Rome, but founds Lavinium, and then from
Lavinium is founded Alba Longa, and from Alba Longa is founded Rome.
Even this chain of connection feels too strong, it seems, with the result
that Alba is obliterated, so that the link in the chain is removed. The
Penates cannot be destroyed along with Alba, so they have to stay in Lavi-
nium, after being temporarily housed in Alba.61 The story of the mira-
culously migrating Penates is partly meant to 'explain' how the Penates
come to be still in Lavinium, but it is really there to help focus on the
opposing poles of transience and stability that are so important to the
foundation myths: the Penates have to stop moving eventually, and they
have to stop before they come to be rooted in Rome itself. The Trojan con-
nection, then, is one that is mediated through the Latins to Rome, not
directly from Troy to Rome. 62 This perspective on the myth is further cor-

60
Wiseman 2002, 352-353.
61
The tradition capitalises on the idea of Alba as a temporary staging post for the
Penates in the narrative of the Gallic sack of Rome, by choosing the significant name
'Albinius' for the man w h o makes his family get out of the cart to transport the Vestals
and their cult objects to Caere out of the path of the marauding Gauls (Liv. 5.40.9-10,
with Ogilvie 1965 ad loc. for the antiquity of the name).
62
This interest in the degree to which the Trojan connection is mediated via the
Latins provides the context for the ambiguity in Virgil and Livy over whether or not the
son of Aeneas, the founder of Alba Longa, had a Trojan or a Latin w o m a n for a mother:
On Not Forgetting the "Literatur" in "Literatur und Religion" 193

roboration of the idea that it was the settlement with the Latins in 338 BC
- the year described by De Sanctis as "the turning point of Roman
history" 63 - which generated so much of the work on the Trojan myth in
Roman and Latium. 64 At this point in Roman history the Trojan myth is
mainly about the relations with the Latins: the Romans and Latins are
having to renegotiate their relationship, and the shared cults of the old
Latin league are now being redescribed in a new teleological story about
Roman primacy.
The work which this myth is enabled to do in Dionysius is part of his
larger interest in the way the Romans share parts of their inheritance with
other Italians and also evolve towards a unique status as the only true
fellow-Hellenes. His own attitude to the Roman links with the Trojan
sacra is subtly different from Livy's, for example. Livy has his Camillus
stress that it would have been a religious flaw for the rites of Alba and La-
vinium to be transferred to the city of Rome (5.52.8), yet Dionysius
follows up his narrative with a lengthy discussion of the images of the
Penates which he says can actually be seen in the city of Rome, so that it
appears that some representations of the Penates found their way to the
city in the end (1.68.1-69.4): characteristically, he wishes these images to
be 'really' Greek, images of the Great Gods worshipped on Samothrace
(1.69.4). Further, when he is discussing what the images in Lavinium and
Rome look like, he blends discourses in a way that Roman historians do
not. After reporting what Timaeus said about the images in Lavinium
(1.67.4), he uses language of scrupulous piety to declare that 'in the case
of those things which it is not lawful for all to see I ought neither to hear
about them from those who do see them nor to describe them'; he then
goes on to introduce his account of the images in Rome by describing
them as 'the things which I myself know by having seen and concerning
which no scruple forbids me to write'. 65 This is the self-policing pious
language one sees in Pindar, for example, or especially in Herodotus,
where language of piety is mingled into language of generic appropriate-

see Miles 1995, 39-40 on Liv. 1.3.2 and Edgeworth 2001 on Verg. A. 1.267-271 and
6.763-766.
63
So Cornell 1995, 348, referring to De Sanctis 1907, 267.
64
Gruen 1992, 28-29; Hillen 2003, 52.
65
I give the Loeb translation of 1.67.4-68.1.
194 Denis Feeney

ness.66 The authority of the author is multiply overdetermined, as someone


who knows how to speak right about such things on many grounds. It is
not a register one encounters in historians within the Latin tradition.
Similarly, Dionysius is far more engaged than the Latin historians in
explicit discussion of the philosophical issues involved in adjudicating
whether and how the gods intervene in human affairs. 67 His readiness to
engage in such discussions once again marks him off from his counter-
parts in Latin historiography, as does his directly related interest in using
the traditional myths to endorse religious piety. His self-consciousness
about his 'Kreuzung der Gattungen' in this sphere is very clear, for he reg-
ularly breaks off his quasi-philosophical discussions with remarks such as
'this is not an opportune moment to consider the question' (οΰτε καιρός
έν τω παρόντι διασκοπεΐν, 1.77.3).68 His willingness to conduct such
debates by no means necessarily entails endorsing the myths. As we saw
in the case of Herodotus, there is no necessary contradiction between reli-
gious perspectives or expressions of piety and a reluctance to endorse the
matter of myth; indeed, as is shown by Dionysius' famous discussion of
the absence in Rome of Greek-style myths about divine misdeeds (2.19.1-
2), certain kinds of myth positively demanded disbelief from the pious.69
Still, on occasion Dionysius certainly does cross lines which we do not
observe other historians crossing. He never gives a narrative in his own
voice of a characterised divinity in action, and this represents a crucial
continuity with the Herodotean tradition, but twice he does endorse mira-
culous tales, even if in both cases there is a nod in the direction of his
generic allegiances. 70 Both stories involve the piety of Roman women
being championed. In perhaps his most dramatic example of endorsing a
miraculous tale (that of the statues which spoke to commend the piety of
the women of Rome), he opens his narrative by saying that it would be
'fitting to the form of history' (εί'η δ' αν άρμόττων ιστορίας σχήματι)
and a corrective to the impious to give the account 'as the writings of the

66
On this blending in Pindar's Ο. 1, see Köhnken 1974, 203-204; Gerber 1982, 69-
70; in Herodotus, see Mikalson 2003, 143-145 and Susanne G ö d d e ' s paper in this
volume. Dionysius' language here is markedly Herodotean (cf. e. g. Hdt. 2.61.1, 86.2,
170-171.1,).
67
Note especially 1.77.3; 2.20.1-2, 61.3, 68.1-2.
68
Cf. 2.21.1,61.3.
69
Feeney 1998, 48.
70
Wiseman 2002, 345-346 on 2.68.1-2 and 8.56.
On Not Forgetting the "Literatur" in "Literatur und Religion" 195

pontiffs have it'; he continues by expressing the hope that the pious will
be confirmed by the story and the impious confounded (8.56.1). At the end
of his narrative of the occurrence, he recalls himself with language reflect-
ing on the appropriateness of his kind of history: 'but concerning this it
was not right either to omit the local story (παρελθεΐν την έπιχώριον
ίστορίαν) nor to spend too much time on it' (8.56.4). Here the Herodotean
duty to report the epichoric accounts is certainly acknowledged, along
with a sense of restored appropriateness as he moves out of the miraculous
tale, but the powerful impetus of his protreptic purpose has taken historio-
graphy into a different area. Similarly, he introduces two miraculous
stories about Vestals having their virginity vindicated: again, the fact that
the Romans believe the stories and that their historians have made much of
them is adduced, but subordinated to the strong moral point that the gods
are concerned with human goodness and wickedness (2.68.1-2). These
stories are the most powerful weapons he deploys in his stated program-
matic aim of convincing his Greek audience that the Romans have been
from the start a people marked by piety and justice (1.5.3).
Rather than Livy, then, as argued by Wiseman, Dionysius looks more
like the odd man out in terms of representing the divine in historiography.
The two historians' practices share many distinctive features, as inherited
ultimately from Herodotus, but the main explanation for the differences
between them is to be sought in their different relationships to the Roman
state. As a citizen addressing fellow citizens and narrating to them the past
operations of the Senate and people of Rome, Livy is operating from with-
in the web of Roman religious practices. Dionysius is a resident outsider
who is addressing fellow Greeks. Livy's representation of things divine is
focalised through the Roman state, whereas Dionysius' is focalised
through the eyes of an individual from outside the system. Livy has a well
developed interest in divine manifestations and the possible patterns of
fate, but Livy's "perspective is that of the human unfolding of events: the
intervention of the gods is no less documented here than it is in other
genres and works, such as Virgil's epic. But it is represented from the
point of view of the City's interests rather than any individual's, and by
deduction rather than explicit identification" (Davies 2004, 141).71 Dio-

71
Original emphasis. As Davies goes on to say: "These are matters of literary genre,
not personal belief, or philosophical speculation." Levene 1993 likewise argues for the
crucial artistic power of Livy's subtle representation of divine forces at work in human
196 Denis Feeney

nysius' perspective is not the same; he is a latter-day Herodotus rather


than a native, giving reports to his peers of foreign traditions and endeav-
ouring to make sense of those traditions with the resources available to
him from within his own culture.
In fragmentary authors, such as the Latin annalists, we are almost
always reliant on testimonia and indirect citation, and without a full text it
is naturally very dangerous to judge how they told such stories as the
migration of the Penates from Alba Longa to Lavinium. 72 After all, even
in the fully preserved text of Herodotus, his very careful and intelligent
procedures continue to be misunderstood by many scholars. Or else, ima-
gine if Livy's first book had not survived in the manuscript tradition, and
that all we had was a report of the fact that he had narrated Hercules' visit
to the site of Rome and the foundation of the Ara Maxima. We would
have no way of reconstructing the carefully ironic techniques he has used
in order to incorporate this story into his narrative without compromising
the status of his history as a document of political value. Further, in con-
sidering the actual or possible use of distancing techniques in reporting a
marvellous event, we must remind ourselves that such distancing tech-
niques are themselves by no means transparent to interpretation. In parti-
cular, reported speech does not automatically betoken either personal
scepticism or the undermining of the credit or power of the reported
story.73
The histories of the period, then, engage in serious reflection on the
possibilities of divine intersection with human affairs, just as Herodotus
did, even if Livy's reflection is more densely embedded in his narrative
while Dionysius' is regularly more extrinsic, attached to the first person
voice of the narrator. It is no part of my argument that historical texts had
no role to play in the great debates about religion at the transition between
Republic and Principate which Wiseman evokes so vividly. Yet we must
pay attention to the specific practices of the texts if we are to do justice to
the role they play, and we cannot do this without taking their self-
conscious generic allegiances seriously: Dionysius' infringements, for ex-

history: " H e binds together great portions of the history with a religious sub-text working
consistently beneath the surface of what is ostensibly a largely secular narrative" (241).
72
Wiseman 2002, 352-353 collects the sources for the Penates' migration. Note the
caution of Marincola 1999, 314 on the question of lumping together in "unitary tradition"
the authors usually referred to as "the Latin annalists".
73
Harrison 2000, 24-30; Mikalson 2003, 145; Davies 2004, 51-61.
On Not Forgetting the "Literatur" in "Literatur und Religion" 197

ample, lose some of their power if we do not register them against some
kind of expectation of what historiography can tolerate. The differences
between these forms of writing and other forms always potentially matter,
and moments when writers talk about points of correspondence with other
genres are proof that the issue was alive, not that it was dead. Wiseman
adduces Diodorus Siculus' preface as evidence for "a world in which pro-
phecy, poetry, history and moral exhortation were not always thought of
as separate conceptual categories" (2002, 359), yet Diodorus is playing up
the separateness of the categories as much as softening them when he
claims that his form of history is even better equipped to contribute to
piety and justice than the poets' fictitious storytelling about things in
Hades (1.2.2). As in this particular example, it is regularly the dialogue
with alternative possibilities that sharpens the points at issue, just as the
dialogue between epic and elegy or history defines what epic is, by con-
frontation and transgression. Historiography keeps reasserting its tradition
and redefining itself as it flirts with the possibility of contamination. 74 In
the case of Livy it is possible to imagine why he might be interested in the
boundaries of representing the divine in history under the pressure of what
Augustus was doing to rewrite the boundaries of representing the divine in
Roman religion as he wrote. In the case of Dionysius, his occasional self-
conscious daring in bringing philosophical discussion to bear on striking
miracula gives dramatic power to his rhetoric as he tries to convince his
fellow Greeks that the empire they inhabit is run by a pious people who
have the sanction of the gods on their side.
In a sense my conclusion is a minimalist one: the strongest line of
demarcation between formal history and other literary forms is that history
does not introduce gods as characters into the narrative, while a strong but
less watertight demarcation is to be found in historiography's regular dis-
tancing of other 'fabulous' or 'mythical' material. But I have been taking
the norms of historiography as one example of a larger claim, that when
we are considering any example of the interaction between what we call
'literature' and what we call 'religion', we must always be alert to the for-
mal issues if we are to do justice to the social, political or religious work
the texts may be doing. Only by paying careful attention to the creative

74
Cf. the dynamic, 'Contean' view of genre espoused for the study of historiography
by Marincola 1999, 282: " . . . genre is not a static concept, functioning as a 'recipe' with a
fixed set of ingredients that the work must contain, but rather is dynamic and should be
seen as a 'strategy of literary composition'."
198 Denis Feeney

work of a Dionysius or a Livy with the forms of their genre can we see the
distinctions between their kinds of authority and their relationships with
their audiences. Generic analysis does not extrapolate these texts into an
ethereal formalism, but enables us to recover the distinctive power of their
interventions into the debates of the day. As in the case of the founder of
the form of historiography, Herodotus, the formal and historicising read-
ings fold into, and reinforce, each other.

Denis Feeney
Department of Classics, Princeton University
On Not Forgetting the "Literatur" in "Literatur und Religion" 199

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202 Denis Feeney

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Griechische und römische Aitiologie in Ovids
Metamorphosen*

Einleitung

In seiner Griechischen Mythologie widmet Fritz Graf unter der Überschrift


"Mythos, Heiligtum und Fest" ein Kapitel den sogenannten aitiologischen
Mythen. Es endet mit der lapidaren Feststellung: "... aitiologische My-
thenerzählung gehörte schon immer zu griechischen Kulten" (1985, 116).
Was aber ist damit gemeint?
Es gab, so Graf, neben der epischen Tradition unzählige Mythen, die
direkt an Heiligtümer, Tempel, Götterbilder und Rituale gebunden waren.
Zur Veranschaulichung dieser Behauptung dienen die Kulte auf der Insel
Delos: über sie finden sich aitiologische Erzählungen im Homerischen
Apollon-Hymnos, bei Herodot (4.33-35), in Kallimachos' Delischem Hym-
nos und schließlich gar in Ovids Metamorphosen (6.333-337). 1 Grafs Pa-
radebeispiel ist der Homerische Hymnos, in dem die Geburt Apollos er-
zählt wird. Dies ist gleichzeitig der Gründungsmythos für das Heiligtum
des Gottes auf Delos: Als die schwangere Leto auf ihrer Flucht vor der
eifersüchtigen Hera dorthin kommt, verspricht sie der kleinen Insel, daß
Apollo hier seinen ersten und prächtigsten Tempel gründen werde. Interes-
santerweise jedoch erzählt der Hymnos Gründung und Bau des Tempels
nicht explizit. Am Ende der mythologischen Erzählung findet sich statt-
dessen die Beschreibung des großen delischen Festes, zu dem sich alle
Ionier auf der Insel versammelt haben. "Die prachtvoll-bunte Realität des
Götterfestes", so Graf, "zeigt besser als ein Gründungsbericht, wie Leto
ihr Wort hielt" (1985, 99).
Ausgehend von der plausiblen Vermutung, daß der Hymnos in seiner
Endfassung im späten sechsten Jahrhundert für die Aufführung an einer
Feier auf Delos geschrieben wurde, 2 finden wir hier eine ganz konkrete,
historisch belegte Verbindung von Religion und Literatur. Die Bezeich-
nung dieser Verbindung als 'aitiologisch' ist jedoch zumindest für die Zeit

* Für zahlreiche Hinweise danke ich den Tagungsteilnehmern sowie Jörg Rüpke (Er-
furt) und Darja Sterbenc Erker (Erfurt/Berlin).
1
Vgl. Graf 1985,98-116.
2
Zur Datierung der Homerischen Hymnen vgl. Richardson 1974, 3-11.
204 Katharina Waldner

vor Kallimachos Ergebnis einer modernen religionsgeschichtlichen Per-


spektive: Aus dieser Perspektive läßt sich - sowohl in der römischen als
auch griechischen Antike - eine Gruppe von Texten ausmachen, die ver-
schiedenen literarischen Genera angehören können. Ihnen allen gemein-
sam ist, daß sie begründen, weshalb ein bestimmter Tempel oder ein Kult-
bild verehrt wird, weshalb ein bestimmtes Ritual überhaupt oder auf eine
bestimmte Weise ausgeführt wird (Graf 1985, 105).
Es bleibt das Verdienst der 'Cambridge Ritualists', zu Beginn des 20.
Jahrhunderts unter dem Stichwort 'myth and ritual' als erste eine kultur-
wissenschaftliche Betrachtungsweise der griechischen Religion begründet
zu haben, die dem eben geschilderten historischen Befund gerecht wird. 3
Allerdings hierarchisierten sie - mit Ausnahme von Jane Harrison, die das
Konzept weiterentwickelte - den Zusammenhang zwischen Ritual und
Text auf eine nach heutiger Auffassung unzulässige Weise. Ihre Rekon-
struktion der Beziehung zwischen Mythos und Ritual war - 'aitiologisch':
Mythen wurden nach Ansicht der 'Cambridge Ritualists' dann erzählt,
wenn ein Ritual, das historisch immer als älter als der zugehörige Mythos
zu betrachten sei, nicht mehr verstanden werden konnte. 4 Jeder Mythos
begründe also ein Ritual. Die konkrete Anwendung dieser Idee führte zu
recht absurden Ergebnissen, insbesondere, wenn mythische Erzählungen
mit Hilfe angeblich nicht mehr vorhandener und deshalb aus ethnologi-
schen Parallelbeispielen erschlossener Rituale ihrerseits wiederum wissen-
schaftlich 'erklärt' wurden.
Doch auch wenn eine derartige Hierarchisierung ebenso wie die damit
einhergehende Verallgemeinerung der aitiologischen Dimension mythi-
schen Erzählens im weiteren Verlauf der Wissenschaftsgeschichte ver-
mieden wurde, tendierten die sich entwickelnden Erklärungsverfahren da-
zu, die Differenz, die insbesondere das Phänomen des Aitions erzeugt, die

3
William Robertson Smith (1846-1894), James George Frazer (1854-1941) und Jane
Ellen Harrison (1850-1928). Das Folgende ist sehr knapp und vereinfachend formuliert;
für eine ausführlichere Darstellung vgl. Waldner 2000, 4-50; Versnel 1993, 16-88; die
Beiträge in Calder 1991.
4
So Robertson Smith 1889, 19. Vermutlich unabhängig von Frazer formulierte
Harrison diese Behauptung für den griechischen Befund; vgl. Harrison 1890, iii: "My
belief is that in many, even in the large majority of cases ritual practice misunderstood
explains the elaboration of myth ..." Harrison 1912, 328-329 revidiert diese Auffassung
jedoch zugunsten der Erkenntnis, daß Mythos und Ritual parallele Phänomene seien: "It
[JC. myth] is the spoken correlative of acted rite, the thing done; it is to legomenon as
contrasted with or rather as related to to dromenon."
Griechische und römische Aitiologie in Ovids Metamorphosen 205

Differenz zwischen religiöser Handlung und Erzählung, einzuebnen. 5


Setzen wir bei der Interpretation aitiologischer Erzählungen 'erklären' mit
'legitimieren' gleich, so sind wir schnell bei einer funktionalistischen De-
finition des Mythos, beispielsweise den 'charter myths' von Malinowski:
Die Erzählung wird auf ihre soziale Funktion reduziert. 6 Behaupten wir
hingegen mit den Strukturalisten, auch das Ritual sei nur eine Art Sprache,
deren Struktur exakt parallel zu der Erzählstruktur des Mythos verlaufe, so
verschwindet die performative Qualität der rituellen Handlung. 7
Als Alternative bleibt, sowohl die Erzählungen über Götter (die 'My-
then') als auch die sich auf sie beziehenden kollektiven und individuellen
Handlungen (die 'Rituale') als kulturelle Praktiken zu untersuchen, deren
gegenseitige Beziehung sich von Fall zu Fall rekonstruieren läßt. Dies
setzt voraus, daß man die 'Literatur' nicht als ein gegenüber seiner Um-
welt hermetisch abgeschlossenes System betrachtet, umgekehrt aber auch
die Eigengesetzlichkeit und Selbstreflexivität jedes untersuchten Textes,
sei es nun einer Inschrift oder eines sogenannten 'literarischen' Textes,
respektiert.8 Für den römischen Bereich wurden diese Prämissen in den
letzten Jahren von Denis Feeney besonders eindrücklich formuliert und
mit weitreichender Konsequenz zur Anwendung gebracht. Seine Textlek-
türen zeigen, daß es möglich ist, innerhalb der römischen Kultur einen
vielstimmigen, in verschiedenen Medien geführten 'religiösen Diskurs' zu
rekonstruieren. 9 Dies läßt sich natürlich auch auf den griechischen Bereich
übertragen, wo allerdings, so jedenfalls mein Eindruck, entsprechende
theoretische Überlegungen in jüngster Zeit weitaus seltener zu finden sind

5
Vgl. zur theoretischen ebenso wie zur wissenschaftsgeschichtlichen Dimension
dieses Problems allgemein Bell 1992, 19-54.
6
Z . B. Malinowski 1948; vgl. dazu Graf 1985, 46; Jamme 1991, 92.
7
Vgl. dazu Waldner 2000, 22.
8
So wendet sich beispielsweise Graf 1985, 98 dezidiert gegen die Konstruktion ei-
ner Opposition von Literatur und ' G l a u b e n ' : " . . . einen Gegensatz zwischen Literatur und
Glauben zu konstruieren, geht für die frühen Kulturen nicht an, denn anders als in Spra-
che drückt sich der Mythos nicht aus, und damit ist er bereits den Gesetzen des Erzählens
unterworfen, ist er Literatur ..."
9
Feeney 1991 und 1998. Inzwischen wird sein Ansatz in vielen Arbeiten zur römi-
schen Religion und/oder Literatur aufgenommen: vgl. ζ. B. Myers 1994; die Beiträge in
Barchiesi/Rüpke/Stephens 2004. Wichtig sind außerdem die Arbeiten Mary Beards, ζ. Β.
Beard 1987 und Barchiesi 1997. Erwähnenswert ist weiter Schmitzer 1990.
206 Katharina Waldner

als im Kontext der von der Forschung so lange vernachlässigten römi-


schen Religion. 10
Im folgenden Beitrag werde ich die zuerst von Fritz Graf (1988) auf-
geworfene religionsgeschichtliche Frage nach einer "etiologie religieuse"
in Ovids Metamorphosen vor dem eben geschilderten forschungsge-
schichtlichen und theoretischen Hintergrund noch einmal diskutieren. In
einem ersten Teil wird eine Kulturgeschichte aitiologischen Erzählens re-
konstruiert, eine literarische Tradition, auf die Ovids Werk in vielfältiger
Weise rekurriert und antwortet. Die Lektüre der kult-aitiologischen Erzäh-
lungen der Metamorphosen im zweiten Teil meines Beitrages zeigt, wie
der Autor in Auseinandersetzung mit dieser Tradition eine neue Weise
kult-aitiologischen Erzählens entwickelt, die gleichzeitig Teil des zeitge-
nössischen, von der Augusteischen Politik geprägten religiösen Diskurses
ist.

1. Alles hat seinen Grund: Griechische Aitien zwischen Religion,


Dichtung und Paradoxographie

In der Poliskultur des archaischen und klassischen Griechenlands existier-


te der Begriff 'Aition' oder gar 'Kult-Aition' in unserem modernen Sinne
nicht. Aitiologia und aitia gehören, möglicherweise bereits seit Demokrit,
zur philosophischen Sprache, erst in der Dichtung des Hellenismus finden
wir bei Kallimachos die Bezeichnung aitia (n. pl.) in einer Bedeutung, die
der modernen Verwendung des Begriffes nahekommt. 11 In den modernen
wissenschaftlichen Diskurs wurde der Begriff 'ätiologisch' zu Beginn des
20. Jahrhunderts bei der Erforschung des Alten Testaments - insbesondere
der Erzählungen der Genesis - von Hermann Gunkel eingeführt, der ihn in
einem sehr allgemeinen, seitdem gängig gebliebenen Sinn verwendete,
nach dem ein Motiv oder eine Erzählung 'ätiologisch' ist, wenn damit et-

10
Zur Forschungsgeschichte der römischen Religion vgl. die Beiträge in Graf 1993
und in dem Wissowa gewidmeten Bd. 5 (2003) des ARG.
11
Demokrit soll gesagt haben, 'er wolle lieber eine [einzige] ursächliche Erklärung
[aitiologia] finden als die Königsherrschaft über die Perser' (fr. 118 Diels/Kranz). Aller-
dings ist nicht klar, ob Demokrit selbst wirklich dieses Wort verwendet hat. Vgl. dazu
und für einen guten Überblick über die Verwendung des Begriffs in Antike und Moderne
Cancik-Lindemaier 1988 und grundlegend Loehr 1996, 3-38.
Griechische und römische Aitiologie in Ovids Metamorphosen 207

was erklärt wird. 12 In der gesamten Antike wurden nicht nur religiöse
Institutionen in unserem Sinn des Wortes, sondern auch alle möglichen
Bräuche, sozialen Regeln und Gebäude mit Gründungsgeschichten ver-
bunden, in denen allerdings wiederum Götter und Heroen eine Rolle spie-
len konnten. Jede Polis war eine Ansammlung solcher Geschichten, die in
der Lokalgeschichtsschreibung gesammelt sind, die im sechsten Jahrhun-
dert mit Akusilaos von Argos beginnt und über die Atthidographen in den
Hellenismus hinein weitergeführt wird. 13 Eine Aussonderung 'religiöser'
Aitiologie oder sogenannter 'Kult-Aitien' scheint vor diesem Hintergrund
vorerst nicht sinnvoll.
Im Hellenismus führten die Veränderung der politischen Verhältnisse
und die damit verbundene enorme Erweiterung des geographischen Hori-
zonts bekanntlich zu einer Neuorganisation des Kulturbetriebs und damit
der Präsentationsformen des Wissens. Nicht mehr alle Geschichten eines
Ortes wurden gesammelt, sondern die Geschichten der ganzen Welt nach
Themen geordnet: Diese antiquarischen Werke trugen Titel wie 'Grün-
dungen von Städten', 'Namensänderungen', 'Über die Winde', 'Über die
Vögel', 'Über die Flüsse der bewohnten Welt'. 14 Zu ihnen gehören auch
die im 3. und 2. vorchristlichen Jahrhundert entstehenden und bis in die
Kaiserzeit hinein beliebten 'Wunderbücher', wie etwa die Hist or ion para-
doxon Synagoge des Antigonos von Karystos, oder Phlegon von Tralleis'
Peri thaumasion,15 Beschreibungen seltsamer Begebenheiten aus der Ge-
schichte, besonders aber aus der Natur, wie etwa von Kühen, die ihre Hör-
ner wie Ohren bewegen können (Antig. Mirabilia 75), 16 werden ge-
sammelt und geographisch, alphabetisch und nach Quellen angeordnet;
das Wissen stammt aus den Büchern der neuen Bibliotheken. Was läge
näher, als daß auch Werke über Kulte, Kultbilder oder Tempel und die mit
ihnen verbundenen Mythen verfaßt würden? Interessanterweise jedoch
blieben diese Themen auf atthidographische Schriftsteller beschränkt oder

12
Vgl. dazu und zur folgenden Forschungsgeschichte Loehr 1996, 5-33.
13
Akusilaos von Argos versuchte, epische Stoffe mit lokalen Genealogien zu ver-
binden; vgl. dazu Frankel 1951, 395-396; Lendle 1992, 18-22. Zur weiteren Entwicklung
der Lokalgeschichtsschreibung vgl. Meister 1990, 128-137; besonders aufschlußreich fur
diesen Bereich ist auch die inschriftlich überlieferte Geschichtsschreibung; vgl. dazu
Chaniotis 1988.
14
Vgl. Schepens/Delcroix 1996, 403-404; Fräser 1972, 454-455.
15
Dazu allgemein (und umfassend): Schepens/Delcroix 1996; Wenskus 2000.
16
Vgl. Arist. HA 3.9.517a28-29; Schepens/Delcroix 1996, 392-393.
208 Katharina Waldner

bildeten weiterhin einen natürlichen Bestandteil lokalgeschichtlicher Ab-


handlungen. 17 Natürlich gibt es eine hellenistische Mythographie, doch sie
interessiert sich nicht für Rituale.18 Und so ist es ein Philologe und Dich-
ter, der das Prinzip der religiösen aitiologischen Erzählung zum Merkmal
einer eigenen, neuen Literaturgattung macht: Der Alexandriner Kalli-
machos verfaßt ein Werk in elegischen Distichen, dessen einzelne kurze
Erzählungen dadurch zusammengehalten werden, daß in ihnen allen die
Frage nach den aitia, den Ursachen verschiedener Erscheinungen, zum
Thema gemacht wird. Obwohl es nur fragmentarisch erhalten ist, läßt sich
feststellen, daß Erklärungen von Kulten, Kultbildern und Ritualen den
größten Teil seines Werkes ausmachten. 19 Formal steht der Vorgang -
man ist versucht zu sagen: die 'performance' - des Erklärens im Vorder-
grund. Die ersten beiden Bücher waren mit großer Wahrscheinlichkeit
durchgängig als Dialog zwischen fragendem Dichter und antwortender
Muse gestaltet. Anlaß für die Frage ist in den meisten Fällen ein merk-
würdiges oder auffalliges Detail. Dies wiederum verbindet die Aitia mit
der Paradoxographie, zu deren ersten Vertretern im übrigen Kallimachos
selbst gehört haben könnte. 20
Während jedoch Kallimachos nur das Motiv der 'Merkwürdigkeit' aus
der Paradoxographie übernimmt, werden in einem anderen Typ literari-
scher Werke - es ist fraglich, ob man von einer 'Gattung' sprechen soll -
Aitiologie und Paradoxographie enger verbunden. Es handelt sich um in
Hexametern verfaßte Sammlungen von Verwandlungserzählungen. 21 Be-
kannt sind uns die Heteroioumena des Nikander und die Ornithogonia des
Boios. In Nikanders Werk dienten vermutlich nach geographischen Prin-
zipien angeordnete Verwandlungssagen dazu, nicht nur religiöse und an-

17
Am zahlreichsten sind in der Atthidographie Schriften mit den Titeln Peri heor-
ton, Peri thysion und Peri mysterion; vgl. Tresp 1914, 27-29; zu religiösen Themen in der
inschriftlichen Lokalgeschichtsschreibung vgl. Chaniotis 1988, 145-146.
18
Vgl. Henrichs 1987. Eine Ausnahme scheinen die Diegeseis des Konon zu bilden;
in ihnen finden sich über 15 A/w/s-Mythen; er bezieht sich vor allem auf Kallimachos
und Apollonios Rhodios.
19
Es ist hier nicht der Ort, einen Überblick über die Forschung zu Kallimachos zu
geben; einschlägig für die Frage der Aitiologie bei Kallimachos ist Loehr 1996, 39-49;
vgl. auch Myers 1994, 18-19. Ein sehr aufschlußreicher Beitrag zum Verhältnis von Re-
ligion und Literatur bei Kallimachos ist Hunter 1992.
20
Von ihm stammt die vermutlich erste paradoxographische Sammlung; Antig. Mi-
rabilia 129 zitiert aus ihr; vgl. Schepens/Delcroix 1996, 383-384.
21
Vgl. Loehr 1996, 50-67; vgl. auch Forbes Irving 1990.
Griechische und römische Aitiologie in Ovids Metamorphosen 209

dere Bräuche, sondern ebensosehr auffällige oder auch ganz natürliche


Phänomene der Tier- und Pflanzenwelt zu erklären. 22 Boios muß in seiner
Ornithogonia die Entstehung der Vogelarten und deren Verhalten aus Ver-
wandlungssagen erklärt haben, womit sich wiederum Überlegungen zur
mantischen Bedeutung der Vögel verbanden. 23 Ausgerechnet dieses Werk
wurde von Aemilius Macer, einem älteren Zeitgenossen und Freund
Ovids, in einer lateinischen Bearbeitung veröffentlicht. 24 Ovid schätzte
nach der Aussage einer Passage der Tristia das Werk des Aemilius Macer,
und Quintilian verglich ihn mit Lukrez. 25 Damit kommen wir endlich von
der griechischen zur lateinischen, besser gesagt: zur römischen Aitiologie.
Halten wir aber vorher kurz inne, um einige vorläufige Überlegungen
zur erzähltheoretischen Dimension des Aitions ebenso wie zu der Frage
nach einer besonderen Qualität sogenannter 'Kult-Aitien' zu skizzieren:
Indem die aitiologische Erzählung fast formelhaft auf eine Statue, ein Ge-
bäude, einen Namen, eine Tierart, kurz: auf irgendetwas verweist, das
'auch jetzt noch' (nunc etiam) existiert, wird ein Bezugsrahmen geschaf-
fen, der außerhalb des Erzählten liegt. Es wird eine Realität konstituiert,
die von Erzähler und Rezipienten geteilt wird. Umgekehrt verleiht der
Referent außerhalb der Erzählung dem Autor eine spezifische Autorität, er
spricht über etwas, das 'wirklich' und 'im Hier und Jetzt' existiert. 26
Macht es nun aber einen Unterschied, ob dieser Referent im Hier und Jetzt
ein seltsamer Baum, eine bestimmte Vogelart oder aber eine Kultstatue,
ein Tempel oder ein Ritual ist? Die Antwort ist ja, wenn wir Kultstatue,
Tempel oder Ritual nicht nur als Teil des literarischen, sondern auch des
religiösen Diskurses bestimmen. Dann sind Kultstatue, Tempel und Ritual
Medium der Kommunikation mit den Göttern. 27 Während die Götter und
Göttinnen, die innerhalb der aitiologischen Erzählung auftreten, vom
Dichter 'erfunden' sein mögen, 28 können wir uns über den ontologischen

22
V g l . Loehr 1996, 51-59.
23
Vgl. Loehr 1996, 59-65; vgl. auch Myers 1994, 34-37.
24
Vgl. Loehr 1996, 60-61.
25
Ov. Tr. 4.10.43; Quint. Inst. 12.11.27.
26
Feeney 1991, 91 weist im Zusammenhang der Aitien in Apollonius' Argonautica
darauf hin, daß diese zum "referential code" (mit Verweis auf Roland Barthes' S/Z) zu
rechnen seien; vgl. auch Myers 1994, 19.
27
Zu diesem Aspekt antiker Religion vgl. Rüpke 2006.
28
Vgl. Ov. Pont. 4.8.55-56: Di quoque carminibus, si fas est dicere, fluni, / Tanta-
que maiestas ore canentis eget - 'Auch die Götter, wenn es zu sagen erlaubt ist, entste-
hen durch Gedichte, sogar ihre Hoheit bedarf eines besingenden Mundes.'
210 Katharina Waldner

Status jener Götter, denen die erklärten Rituale gelten, nicht sicher sein.
Uber die unsichere Kommunikation mit ihnen, über die Erfahrung der
Auswirkungen ihrer Macht gilt es immer neu nachzudenken. In einer Ge-
meinschaft, die in ihrem sozialen Wohlergehen und in ihren machtpoliti-
schen Erfolgen nichts anderes als den Ausdruck göttlicher Gunst sah - und
nirgendwo ist diese Einstellung deutlicher faßbar als in Rom - , ist dieses
Nachdenken nicht nur ein literarisches oder philosophisches, sondern
gleichzeitig auch ein politisches Unternehmen. 29

2. (An) Verwandlungen: Aitiologie in Rom

2.1. Rom und seine Geschichten


Auch in Rom wurden, wie in jeder anderen Polis des Mittelmeerraumes,
eine Vielzahl von Gründungsgeschichten erzählt, im engeren Sinn 'reli-
giöse' ebenso wie 'historische'. 30 So überrascht es nicht, daß der Grieche
Butas,31 sehr wahrscheinlich ein Freigelassener des jüngeren Cato, 32 im
ersten Jahrhundert vor Christus auf den Gedanken kam, nach dem Vorbild
des Kallimachos 'mythische Aitien über Römisches in elegischen Disti-
chen', wie es bei Plutarch heißt (Cat.Mi. 70.3), zu verfassen. Plutarch ist
es auch, der daraus das Aition der Lupercalia paraphrasiert und bei dieser
Gelegenheit den einzig erhaltenen Vers des Butas zitiert.33 Die römische
Oberschicht der republikanischen Zeit empfand unter dem Eindruck der
griechischen Kultur und der eigenen politischen Expansion das Bedürfnis,
das Wissen über Römisches - und dazu gehörten auch die Kulte der Götter
und die mit ihnen verbundenen Geschichten - zu sammeln und zu syste-
matisieren.34 Trotz der Pioniertat des Butas fand dies vorerst im Medium

29
Vgl. zur politischen und gesellschaftlichen Bedeutung der Religion in Augustei-
scher Zeit ζ. B. Zanker 1987; Scheid 1993; Galinsky 1996.
30
Z u m M y t h o s in R o m und den damit v e r b u n d e n e n forschungsgeschichtlichen
Problemen vgl. Graf 1993.
31
Vgl. Loehr 1996, 68-70; Myers 1994, 96.
32
Plu. Cat.Mi. 70.3.
33
Plu. Rom. 21.6. Eine weitere Erwähnung des Butas findet sich bei Arnob. Adv.
nat. 5.18 p. 271.16-272.2.
34
Vgl. Rüpke 2005.
Griechische und römische Aitiologie in Ovids Metamorphosen 211

der Prosa statt: An erster Stelle sind hier Varros Antiquitates rerum huma-
narum et divinarum zu nennen.35
Erst in Augusteischer Zeit wird dies auch ein Anliegen der Dichtung.
Properz, 'der römische Kallimachos' aus Umbrien, wie er sich selbst be-
zeichnet (4.1.64), verbindet das poetische Vorbild der griechischen Aitien
mit der Topographie der Stadt Rom:36 Sacra diesque canam et cognomina
prisca locorum: / Has meus ad metas sudet oportet equus - 'sacra und die
Tage will ich besingen und die alten Beinamen der Orte: Zu diesen Zielen
muß mein Pferd schweißbedeckt streben' (4.1.69-70). Thema dieser
neuen, römischen Variante Kallimacheischer Aitien sind sacra (alles, was
mit Göttern zu tun hat, was den Göttern gehört), 37 dies (Festdaten) und
cognomina prisca locorum (alte Beinamen der Orte). Properz will dar-
stellen, wie die Verehrung und das Wirken der Götter in Rom sich mit der
räumlichen und zeitlichen Ordnung der Stadt verbinden. Als Medium
wählt er die aitiologische Elegie griechischer Provenienz. Während bei
Properz das Schwergewicht eindeutig auf dem Raum liegt, verwendet sein
Nachfolger Ovid die Ordnung der Zeit. Dies wird in den Proömien des
ersten und zweiten Buches der Libri fastorum38 ebenso deutlich wie die
Anknüpfung an Kallimachos und Properz: Tempora cum causis Latium
digesta per annum / Lapsaque sub terras ortaque signa canam - 'Die
Zeiten mit ihren Aitien, geordnet durch das Jahr in Latium, und die Sterne,
wie sie unter die Erde gleiten und aufgehen, will ich besingen' {Fast. 1.1-
2).39 Und etwas weiter unten, an Germanicus gerichtet, heißt es: Sacra re-
cognosces annalibus eruta priscis / Et quo sit merito quaeque notata dies
- 'sacra wirst du (wieder) kennenlernen, erforscht aus alten Annalen, und

35
Vgl. dazu Lieberg 1973; Rüpke 2005. Myers 1994, 96 weist daraufhin, daß Cie.
Ac. 1.3 die aitiologische Dimension von Varros Werk hervorhebe.
36
Zu Properz' viertem Buch vgl. Weeber 1977; Loehr 1996, 70-87; Fantham 1997.
37
Vgl. dazu Loehr 1996, 97 Anm. 90: "Im Gegensatz zu den bisherigen Interpreten,
die 'sacra' eng als 'Festgebräuche' oder 'sacred rite'... fassen, möchte ich unter 'sacra'
allgemein 'Heiliges' verstehen." Allerdings gibt es in Rom keine derartige Kategorie des
'Heiligen'; aufschlußreicher ist hier die wörtliche Übersetzung von sacer als 'allem, was
den Göttern gehört', vgl. dazu Scheid 1998, 24; Rüpke 2001, 14.
38
Zum Titel vgl. Rüpke 1994. Die Fasti sind in den letzten Jahren zu einem belieb-
ten Gegenstand der Ovidforschung geworden; es finden sich zahlreiche interessante Ar-
beiten, die in ihren Textlektüren sowohl der literarischen als auch der (religions)-
politischen Qualität des Werkes gerecht werden, ζ. B. Miller 1991; 1992a; 1992b; New-
lands 1995; Barchiesi 1997; Feeney 1998, 123-131; Merli 2000; Prescendi 2000; Miller
2002; Fantham 2002.
39
Diese und die folgenden Übersetzungen nach Loehr 1996, 88-90.
212 Katharina Waldner

aus welchem Grund jeder Tag sein Zeichen hat' (1.7-8). Im zweiten
Proömium schließlich findet sich die explizite Anknüpfung an Properz:
Idem sacra cano signataque tempora fastis - 'Ebenso besinge ich die sac-
ra und die Zeiten, die in den Fasten gekennzeichnet sind' (2.7).
Ovid schreibt - wie Jörg Rüpke (1994) herausstellt - nicht selbst einen
römischen Kalender, sondern er schreibt über den römischen Kalender
und die mit jedem Tag verbundenen inschriftlichen und antiquarischen
Kommentare; ebenso schreibt Properz über die Topographie Roms und
deren Repräsentation. Aitia, causae, sind das Werkzeug, mit dem sich das
in narrativer Form dargebotene Wissen über die sacra in den Kalender
und den Stadtplan Roms einfügen läßt. Die griechische Praxis der aitiolo-
gischen Dichtung verbindet sich bei Properz und in Ovids Libri fastorum
fest mit der zeitlichen und räumlichen Ordnung der sacra der Stadt Rom.
Kalender und Stadtplan waren in Rom zu sehen: Inschriftlich festgehalten
auf Holz, Bronze und Marmor machten sie Augustus' Projekt der Wieder-
herstellung der sacra und weiterer Gebäude der Stadt sichtbar. 40 Die
monstra der Metamorphosen Ovids hingegen bevölkern einen Raum, der
nach Ansicht Herders "weder Griechenland noch Italien" ist.41 Um so
überraschender mag es auf den ersten Blick erscheinen, daß sich auch in
diesem Werk römischer Dichtung Aitien finden, die sich auf konkrete
sacra beziehen.

2.2. Monstra und sacra: Aitiologie in Ovids Metamorphosen


Ovid grenzt seine beiden fast gleichzeitig entstehenden Werke, die Libri
fastorum und die Metamorphosen, deutlich voneinander ab.42 Im dritten
Buch der Fasti - es geht um die Liberalia - verbietet sich der Erzähler,
von der Verwandlung der tyrrhenischen Schiffer in Delphine zu berichten
(3.723-726). Derartige monstra (3.723) seien nicht Thema dieses Werkes,
sondern es gehe darum, die Gründe für ein bestimmtes Ritual zu erklären

40
Zum Kalender vgl. Rüpke 1995; zu Vorstellung und Repräsentation des geogra-
phischen Raums in Augusteischer Zeit vgl. Nicolet 1988, zum Stadtplan 158-160; zur
literarischen Repräsentation Roms vgl. auch Edwards 1996; zu Augustus' Baupolitik vgl.
ζ. B. Zanker 1987.
41
So die bei J. W. Goethe, Dichtung und Wahrheit, 2. Teil, Buch 10, Weimarer Aus-
gabe I, 27, 320 zitierte Ansicht Herders, die von Albrecht 1981 zum Ausgangspunkt sei-
ner Überlegungen unter dem Titel "Mythos und römische Realität in Ovids Metamorpho-
sen" macht (2329).
42
Vgl. dazuLoehr 1996, 127.
Griechische und römische Aitiologie in Ovids Metamorphosen 213

(causas exponere, 3.725). Im Proömium der Metamorphosen bezeichnet


der Dichter sein Opus als perpetuum carmen - gerade dies hatte Kallima-
chos in seinem Aitienprolog unter dem Stichwort hen aeisma dienenkes
verworfen. Bei näherem Hinsehen allerdings erweist sich das perpetuum
carmen als "un-epic epic, an uncategorizable multi-form prodigy". Sowohl
Denis Feeney, von dem diese Beschreibung stammt (1991, 189), als auch
andere Interpreten haben sich in den letzten Jahren unter diesen Vorzei-
chen intensiv um eine adäquate Lektüre bemüht, mit dem Ergebnis, daß
eine wichtige Qualität des Werkes gerade darin liege, daß der Autor sich
mit den ihm vorgegebenen Traditionen sowohl des epischen als auch des
neoterischen Kanons in origineller und spielerischer Weise selbstreflexiv
auseinandersetze. 43
Vor diesem Hintergrund steht auch die Frage nach dem aitiologischen
Erzählen in den Metamorphosen. Bekanntlich überwiegen die sogenannten
Natur-Aitien. Naturphänomene wie Quellen, Tau, bestimmte Pflanzen-
und Tierarten ebenso wie typische Eigenschaften von Tieren, Pflanzen und
Landschaften sind Ergebnisse von Verwandlungen und werden somit
durch die Verwandlungsgeschichten aitiologisch erklärt. Sucht man dafür
ein Vorbild, stößt man auf die bereits erwähnten hexametrischen Heteroi-
oumena des Nikander. Mit dem sich formelhaft wiederholenden nunc quo-
que, adhuc, etiam nunc, inde und unde verbindet sich die epische Vergan-
genheit immer wieder punktuell mit der Gegenwart des Erzählers. So
erzeugt der Text ein seltsames, zeitloses Niemandsland, das wir heute
wohl als 'Natur' bezeichnen würden. Ernst A. Schmidt und in seiner Folge
Johanna Loehr interpretieren dieses Niemandsland als poetischen "Spiegel
des Menschlichen". 44 Die Bedeutung der Welt als Zeichen und Metapher
für den Menschen werde durch die Aitiologie gleichermaßen konstituiert
und legitimiert. 45 K. Sara Myers (1994) verbindet hingegen die Natur-
Aitiologie Ovids mit der seit Ennius nachweisbaren kosmogonischen und
naturphilosophischen Dimension römischer Epik.
In beiden Fällen jedoch stellt sich die Frage, wie es dann zu interpre-
tieren sei, daß Ovid - trotz aller Abgrenzungen gegen Kallimachos - an

43
Feeney 1991, 188-205, zur älteren Literatur 189 Anm. 3; besonders einflußreich
waren Knox 1986 und Hinds 1987; vgl. auch Myers 1994, 1-26 und die Beiträge in Har-
die 2002 und Weiden Boyd 2002.
44
Schmidt 1990, 202; vgl. auch Loehr 1996, 157.
45
Schmidt 1991; vgl. Loehr 1996, 127-147, 366; Auflistung der Natur-Aitien ("Ai-
tien in der Tradition des Nikander") 148-151.
214 Katharina Waldner

einigen Stellen Aitien erzählt, die sich auf sacra, Altäre, Tempel oder Kul-
te beziehen. Sowohl für Myers (1994) als auch für Loehr (1996) steht der
Bezug zu Kallimachos im Vordergrund. So ordnet Loehr die Aitien, die
sich auf sacra ("Kulte/Kultbilder/Riten/Spiele") beziehen, gemeinsam mit
Verstirnungen und topographischen Namens-Aitien in die Kategorie "The-
men in der Tradition des Kallimachos" ein (1996, 144); Myers (1994, 15)
stellt fest, daß Aitien für "geographical, mythical, religious, and cultural
phenomena" fast immer einen Bezug auf das Werk des Kallimachos impli-
zieren. Die Häufung derartiger Aitien in den beiden letzten italisch-römi-
schen Büchern der Metamorphosen sei darüber hinaus auch in Bezug auf
Ovids eigene Fasti zu sehen.46 Einen anderen, deutlich religionsgeschicht-
lich orientierten Zugang wählt hingegen Graf: Er fragt nach der "etiologie
religieuse" in den Metamorphosen und kommt zum Ergebnis, daß diese
sich auf Gottheiten beschränke, die tatsächlich oder aufgrund literarischer
Tradition weitverbreitet und allgemein bekannt waren oder dem römisch-
italischen Pantheon angehörten. 47 Aus dieser Perspektive erscheinen bei
Graf Apotheosen, in denen zwar von der Vergöttlichung, nicht aber von
der sich daran anschließenden kultischen Verehrung der neuen Gottheit
die Rede ist, ebenfalls als "etiologie religieuse" - während sie sowohl bei
Myers als auch bei Loehr fehlen. Andererseits vermißt man bei Graf
beispielsweise die Verwandlung von Philemon und Baucis, obwohl am
Ende der Erzählung betont wird, daß sie in ihrer Baumgestalt kultisch
verehrt wurden {Met. 8.722-724). Ein interessanter Streitfall ist auch die
bekannte Erzählung über die Verwandlung der lykischen Bauern in Frö-
sche (6.313-381). Sie beginnt mit der harmlosen Frage, wem der Altar am
Ufer eines Sees in Lykien gehöre (6.329-330), und dürfte demnach
durchaus als Kult-Aition bezeichnet werden. Sie wird von Graf nicht be-
handelt; Loehr ordnet sie (allerdings eingeklammert) unter die Natur-
Aitien ("Themen in der Tradition des Nikander") ein; Myers hingegen be-
handelt sie unter dem Aspekt des Bezugs auf Kallimachos. 48
Ich möchte im folgenden in einem kurzen Durchgang der Kult-Aitien
in den Metamorphosen versuchen, beide Perspektiven zu berücksichtigen,
sowohl die religionsgeschichtliche als auch die literarische.

46
Myers 1994, 16 mit Verweis auf Lafaye 1904, 234-235 und Knox 1986, 65-83.
47
Graf 1988, 62; vgl. auch 2002.
48
Loehr 1996, 148; vgl. auch die Bemerkungen 142 Anm. 226; Myers 1994, 83-90.
Griechische und römische Aitiologie in Ovids Metamorphosen 215

2.2.1. Apollo und Daphne (Met. 1.416-567): EinAition für Griechenland


und Rom
Das erste Kult-Aition der Metamorphosen steht an prominenter Stelle:
Nach der großen Flut und der Neuerschaffung der Menschen durch Deu-
kalion und Pyrrha tötet Apollo die Pythonschlange und stiftet zum Geden-
ken an diese Tat die Pythischen Spiele in Delphi (1.438-447).
Aus Sicht der griechischen Geographie befinden wir uns im Mittel-
punkt der Welt. Das nächste Aition verbindet diesen Mittelpunkt über die
Gestalt Apollos mit der Stadt Rom. Zunächst folgt jedoch die erste Lie-
besgeschichte {primus amor) der Metamorphosen (1.452-567): Apollo
verliebt sich in Daphne, und die unglückliche Geschichte endet damit, daß
die Nymphe in Lorbeer verwandelt wird. Gleichzeitig erfahrt der Leser,
wozu die neue Pflanze dienen wird, die dem Apollo von nun an heilig ist:
Sie schmückt Haar, Leier und Köcher des griechischen Gottes. Ebenso
wird sie die Helden von Latium beim Triumphzug zum Kapitol zieren;
schließlich findet sie auch ihren Platz an der "Tür des Augustus", dessen
Haus auf dem Palatin bekanntlich unmittelbar mit dem Apollotempel ver-
bunden war (1.557-563). 49 Auf die Funktion des Lorbeers als Siegeszei-
chen bei den Pythischen Spielen hingegen wird nicht mehr eingegangen,
obwohl dies angekündigt worden war (1.450-451).
Loehr zeigt, daß Ovid mit seiner Erzählung über die Einsetzung der
Pythischen Spiele auf die Darstellung der Gründung der Nemeischen
Spiele bei Kallimachos anspielt. Ovid signalisiere damit an prominenter
Stelle deutlich, daß sein gesamtes Gedicht eben nicht nur episch, sondern
auch aitiologisch zu lesen sei, im Sinne der Aitia des Kallimachos. 50 Diese
Beobachtung entspricht dem beschriebenen, von verschiedenen Interpre-
ten festgestellten Spiel Ovids mit der literarischen Tradition. Doch erst
wenn man die Gründungsgeschichte der Pythien mit der darauffolgenden
Daphne-Erzählung verbindet, wie Ovid selber durch die Anspielung auf
die Verwendung des Lorbeers als Siegeszeichen in Delphi nahelegt
(1.450-451), zeigt sich die spezifische Qualität dieser ersten kult-aitiolo-
gischen Passage der Metamorphosen. Es geht hier nicht darum, daß ein
italischer bzw. römischer Dichter die griechische Technik der aitiologi-

49
Zanker 1987,58-61.
50
Loehr 1996, 139-141; Kallimachos, Victoria Berenices, SH 254-265; zur Diskus-
sion des Kallimachos-Textes vgl. die Literatur bei Loehr 1996, 139 Anm. 217. Syed 2004
zeigt, daß Ovid sich auch bei der Fortsetzung der Geschichte auf Kallimachos bezieht,
und zwar auf dessen Hymnen·, vgl. auch Feeney 1998, 72.
216 Katharina Waldner

sehen Dichtung auf römische sacra anwendet, wie dies etwa bei Properz
der Fall ist. Dies ist bereits selbstverständlich; neu ist vielmehr, daß eine
Erzählung, die sich aitiologisch auf den Mittelpunkt der griechischen Welt
bezieht, so weitergesponnen wird, daß sie sich auf einmal in ein Aition
verwandelt, das auf Rom und den Palast des Augustus auf dem Palatin
angewendet werden kann. Die kult-aitiologische Funktion des griechi-
schen Mythos wird dabei zwar auf den ersten Blick zugunsten der anthro-
pologisch-natur-aitiologischen Dimension (Liebesgeschichte, Lorbeer-
baum) zurückgestellt, wie Feeney betont,51 - doch gleichzeitig wird sie in
den neuartigen Kosmos der Metamorphosen integriert und erhält damit
einen ganz neuen Status: Der Lorbeerbaum, die mit seinen Zweigen ge-
schmückten Apollostatuen - mögen sie in Delphi, auf dem Palatin oder
irgendwo sonst in der bekannten Welt stehen der Schmuck der Jüng-
linge beim Triumphzug und der Schmuck des Palastes des Augustus in
Rom: Sie alle lassen sich durch eine einzige Geschichte erklären. Auch die
zeitliche Dimension der einfachen aitiologischen Erzählung - ein Phäno-
men der Gegenwart wird mit einer Geschichte aus der Vergangenheit
erklärt - erfährt eine bemerkenswerte Erweiterung: Die aitiologische Ver-
knüpfung des griechischen Mythos mit den römischen Bräuchen ist zu-
gleich die erste Prophezeiung des vates der Metamorphosen (Feeney 1998,
74). Der religiöse Bereich, die Statuen und Feste der Götter, erweisen sich
als ideales Feld, um diesen zeitlich und räumlich weit ausgreifenden im-
perialen Gestus zu inszenieren - nicht nur im Text des Ovid, sondern, wie
wir wissen, auch in der römischen Politik.52 Ovid allerdings ist kein Reli-
gionspolitiker, sondern Dichter. Es überrascht deshalb nicht, daß er in
einer ganzen Gruppe von kult-aitiologischen Erzählungen, der wir uns nun
zuwenden werden, das aitiologische Erzählen und die damit verbundenen
literarischen Traditionen selbst zum Thema macht.

2.2.2. Facta mirabilia und ficta: Thematisierung aitiologischen Erzählens


Neben den Erzählungen über die Entstehung der Gottheiten Isis und Osiris
(Met. 1.738-749) und Leucothea und Palaemon (4.539-542), auf die weiter
unten im Zusammenhang der Apotheosen eingegangen werden soll, findet
sich in der ersten Hälfte der Metamorphosen nur noch eine sehr bekannte

51
Feeney 1998, 70-74; vgl. Graf 1988, 62.
52
Zu dieser Dimension von Ovids Werk vgl. Habinek 2002; für die lateinische Lite-
ratur allgemein: Habinek 1998. Zur Augusteischen Religionspolitik vgl. oben Anm. 29.
Griechische und römische Aitiologie in Ovids Metamorphosen 217

Episode: die bereits erwähnte Verwandlung der lykischen Bauern in Frö-


sche, die sich als Kult-Aition bezeichnen läßt.
Die Einführung eines internen Erzählers gibt dem Autor hier die Mög-
lichkeit, das eigene Spiel mit literarischen Traditionen durchsichtig zu
machen; dabei ist, wie unter anderen Myers betont, der Bezug auf Kalli-
machos besonders zentral.53 Doch gerade in dieser Erzählung geht es um
weit mehr als um eine Anspielung auf die alexandrinische Tradition. Ovid
vermittelt dem aufmerksamen Leser die kulturelle Konstruiertheit aitiolo-
gischen Erzählens und stellt so implizit auch die Frage nach dem Kon-
struktionscharakter des religiösen Diskurses außerhalb der literarischen
Repräsentation.
Der Erzähler beginnt mit der Beteuerung, den durch den Götterzorn
(prodigium) bekannt gewordenen Teich selbst gesehen zu haben (6.319-
320); die Geschichte, die dahintersteckt, wird ihm von einem einheimi-
schen Informanten erzählt. Als dieser ihn an dem Teich vorbeiführt und
bei einem Altar "foveas mihi" murmelt, wiederholt er die fromme Formel,
fragt dann aber, wem der Altar denn gehöre (6.326-330). Die Antwort auf
diese Frage ist die Erzählung über die Verwandlung der lykischen Bauern
in Frösche, weil sie Leto, die mit ihren neugeborenen Zwillingen umher-
irrte, verweigert hatten, ihren Durst am Teich zu stillen. Wie im Falle von
Apollo und Daphne entsteht auch hier eine Art gleitender Übergang zwi-
schen Kult- und Natur-Aition. Zum einen erklärt die Geschichte die Exi-
stenz oder zumindest eine Eigenart (das schimpfende Quaken) der Frö-
sche; zum anderen jedoch ist sie die Antwort auf die Frage nach einem
'von der Asche der Opfer schwarzen, alten Altar' (6.325-326).
Während das Aition über die Entstehung des Lorbeers das Verhältnis
zwischen der griechischen Welt und Rom auf der Ebene der erzählten Er-
eignisse reflektiert, geht es im Fall dieser auf den ersten Blick so 'volks-
tümlich' wirkenden Erzählung um literarisch-antiquarische Traditionen.
Wenn Latona den staunenden Bauern erklärt, daß sie das Wasser nicht
zum Baden, sondern zum Trinken brauche, steht dahinter eine Anspielung
auf eine griechische Version der Erzählung bei Nikander, der sie seiner-
seits einem lykischen Lokalhistoriker verdankt. 54 In dieser Fassung bittet

53
Zum internen Erzähler: Myers 1994, 73 mit Hinweis auf Barchiesi 1989; vgl. auch
Barchiesi 2002; zu Kallimachos: Myers 1994, 83-90.
54
Nikander bei Ant. Lib. 35 (vgl. Menekrates von Xanthos, Lykiaka: FGrH 769, 2);
vgl. Börner 1976, 93.
218 Katharina Waldner

die Göttin um Wasser, um ihre neugeborenen Kinder baden zu können. 55


Ovids Latona hat aber nicht nur Nikander gelesen, ihr Verhalten erinnert
auch an Hercules, der in Properz' vierter Elegie die Bona Dea-Priesterin in
Rom flehentlich um Wasser bittet. 56 Ovid spielt also nicht nur auf den
griechischen, sondern auch auf den 'römischen' Kallimachos an. Die von
einem einheimischen Informanten erzählte aitiologische Geschichte er-
weist sich an ihrem Ende als rein antiquarisch-literarisches Produkt. Von
hier ist der Schritt zu der Frage nicht mehr weit, ob denn nicht auch der
Gegenstand selbst, der durch das Aition erklärt wird, nur in der antiqua-
risch-literarischen Welt existieren könne, und wie es sich dann mit dem
'Wirklichkeitsgehalt' aitiologischen Erzählens verhalte.
Am Ende des 8. und zu Beginn des 9. Buches, also zu Beginn der
zweiten Hälfte der Metamorphosen, stehen zwei weitere aitiologische Er-
zählungen, die sich explizit auf sacra beziehen: die Geschichte über Phi-
lemon und Baucis, an deren Ende die kultische Verehrung der beiden in
Gestalt von Bäumen steht {Met, 8.616-724) und der Bericht des Flußgottes
Achelous darüber, wie es dazu kam, daß er sein Horn verlor (9.6-86), das
nun als Füllhorn, eines der wichtigen Elemente in der Augusteischen Iko-
nographie der aetas aurea,51 der Göttin Bona Copia geweiht ist (8.87-88).
Beide Episoden werden bei einem Gastmahl, das Achelous zu Ehren des
Theseus veranstaltet, von einem Gast, Lelex, und dem Gastgeber selbst
erzählt. Diese Konstellation in Kombination mit der bereits bekannten
Konstruktion eines internen Erzählers führt dazu, daß an dieser Stelle die
Frage nach der Fiktionalität allen Erzählens besonders deutlich aufgewor-
fen wird.58
Anlaß zur Erzählung der Geschichte von Philemon und Baucis ist eine
in diesem Zusammenhang oft zitierte Reaktion des Pirithous auf die von
Achelous selbst zum besten gegebene Entstehungsgeschichte zweier In-
seln.59 Während alle anderen Anwesenden von dem factum mirabile, der
'wunderbaren Tatsache' berührt sind, äußert Pirithous, der deorum spre-
tor, 'Verächter der Götter' (Met. 8.612-613), seine Zweifel: Achelous be-

55
Myers 1994, 85-86; Börner 1976, 105.
56
Prop. 4.9; vgl. Börner 1976, 105.
57
Zanker 1987, 177-184.
58
Zu Ovids Thematisierung der Fiktionalität vgl. Feeney 1991, 225-232 mit Ver-
weisen auf die ältere Literatur; vgl. auch die nächste Anm.
59
Vgl. zu dieser Episode Graf 1988, 65-67; Feeney 1991, 229-232; Myers 1994, 91-
93.
Griechische und römische Aitiologie in Ovids Metamorphosen 219

richte nur flcta, 'Erfundenes', da er die Götter für allzu mächtig halte
(8.614-615). Die Empörung ist groß (obstipuere omnes), und um zu be-
weisen, daß die Macht der Götter unbegrenzt sei, erzählt der greise Lelex
nun das Schicksal von Philemon und Baucis (8.617-618). Daß sein Bericht
nicht zu den ficta gehöre, sondern den Tatsachen entspreche, stellt Lelex
heraus, indem er auf die für das Kult-Aition typische Verankerung in der
Realität außerhalb des Erzählten 60 ebenso wie auf seine Traditionalität
hinweist: Er selbst, so beteuert er gleich zu Beginn, habe in Phrygien die
von einer Mauer umfriedeten Bäume, eine Eiche und eine Linde, gesehen:
Ipse locum vidi (8.622). Am Ende der Geschichte wiederholt er die Beteu-
erungsformeln: Die Geschichte habe er von Greisen gehört, die bestimmt
nicht lügen würden, und er selbst hätte Kränze in den Bäumen gesehen
und sich spontan an der kultischen Verehrung beteiligt, indem auch er
einen Kranz hinzufügte mit den Worten: Cura deum di sint et qui coluere
colantur - 'Götter seien die, um die sich die Götter sorgten, sie sollen ver-
ehrt werden, die selbst verehrten' (8.724).
Da Lelex nicht mit dem Erzähler des gesamten Epos, geschweige denn
mit dem Autor identisch ist, können diese Beteuerungen zwar das interne
Publikum, nicht aber den Leser beruhigen. Sie machen ihn im Gegenteil
erst darauf aufmerksam, daß in diesem Text - anders etwa als in den sich
explizit auf den römischen Festkalender beziehenden Fasti - auch der
Kult, der durch die aitiologische Erzählung erklärt wird, zumindest erfun-
den sein könnte. Zudem findet sich im Bericht des Lelex selbst ein Hin-
weis auf den zweifelhaften Status dieses Kultes: Daß Philemon und Baucis
als Götter verehrt werden, ist lediglich eine plausible und gleichzeitig vor-
sichtig fromme Vermutung des Lelex, nachdem er die in den beiden Bäu-
men aufgehängten Kränze gesehen und die zugehörige Erzählung gehört
hat. Erkennt der Leser außerdem noch den Bezug auf Kallimachos' He-
ede,so entsteht der vom Autor wohl intendierte Eindruck, daß hier ein
vates am Werk ist, der die rhetorischen Strategien aitiologischer Erzählun-
gen ebenso kennt wie die mit ihnen verbundenen literarischen Traditionen,
und der dieses Wissen souverän anwendet, um selbst ein neues Kunstwerk
zu schaffen. 62 Diskutiert wird, so Feeney (1991, 231), nicht nur über die
Macht der Götter, sondern auch über die Macht der Dichtkunst. Wie aber

60
Vgl. dazu oben S. 209-210.
61
Börner 1977, 195; Myers 1994, 91.
62
Feeney 1991, 229 mit Verweis auf Conte 1986, 63.
220 Katharina Waldner

steht es mit der (religions)politischen Macht, mit deren ganz realen Aus-
wirkungen sich Ovid spätestens seit seiner Verbannung direkt konfrontiert
sah? Ist der von Barchiesi beschriebene "Augustan discourse", in dem das
Erzählen von Aitien, die Verbindung einer neuen politischen Konstellation
mit der ererbten Tradition, eine so wichtige Rolle spielte, nicht auch in
erster Linie ein sprachliches Phänomen - so daß wir Ovids poetologische
Darstellung des aitiologischen Verfahrens als Kommentar zu dieser Di-
mension Augusteischer Politik lesen könnten? 63 Besonders virulent er-
weist sich diese Frage für die in auffällig großer Zahl auftretenden Kult-
Aitien der beiden letzten Bücher der Metamorphosen. Hier geht es um
wichtige Kulte in Italien und Rom: die Verehrung der Götter Indiges (Ae-
neas), Quirinus (Romulus) und seiner Gattin Hersilia (Hora), das bekannte
und von Livia geförderte Heiligtum der Diana Aricia, die Einführung des
Aesculapius-Kultes auf der Tiberinsel, schließlich die kultische Verehrung
von Caesar und Augustus. Sofort fällt auf, daß sich hier die traditionell
aitiologische Thematik der Neugründung von Kulten mit dem politisch
aktuellen Diskurs der Apotheose verbindet, deren Beschreibung wiederum
in der Tradition des Epos steht.64

2.2.3. Neue Götter und ihre Verehrung: italisch-römische Aitiologie und


Apotheosen in den Metamorphosen 14 und 15
Moderne Interpreten neigen dazu, den Kult-Aitien der letzten beiden Bü-
cher einen Sonderstatus zuzuweisen: Hier handle es sich nun um "aetia of
a religious nature". Die nach Varros Schema der theologia tripertita auf
den Mythos beschränkte 'Theologie' der Dichter, die theologia mythice,
vermische sich auf prekäre Weise mit den Regeln der theologia politice,
nach denen die Bürger der Städte ihre Götter in rechter Weise verehren.65

63
Barchiesi 1997,214-237.
64
Vgl. zum 14. und 15. Buch Myers 1994, 95-132; zu den Apotheosen Feeney 1991,
205-224; ferner Barchiesi 1997, 114-119.
65
Vgl. Myers 1994, 113 und 132; Graf 1988, 68. Varro Ant. rer. div. fr. 6-11 Car-
dauns. Zur theologia tripertita bei Varro vgl. Lieberg 1973; Lieberg 1982; Rüpke 2005.
Der Begriff theologia tripertita ist nicht antik, sondern wurde von modernen Interpreten
an Stelle des überlieferten tria genera theologiae (fr. 7 Cardauns) verwendet. Nach Lie-
berg 1982 stammt das Schema, das vermutlich auch Cicero und Ovid kannten, aus der
hellenistischen Philosophie; Rüpke 2005 allerdings vermutet, daß die Systematisierung
verschiedener, bereits aus der griechischen Doxologie bekannter theologiae auf ausge-
rechnet drei genera eine Leistung Varros sein könnte.
Griechische und römische Aitiologie in Ovids Metamorphosen 221

Allerdings ist die Erklärung eines Kultes in Italien oder Rom nicht per
se 'religiöser' als beispielsweise die im ersten Buch geschilderte Einset-
zung der Pythischen Spiele durch Apollo oder die Begründung eines Dia-
na-Altars in Lykien. Und auch im 14. und 15. Buch finden wir, eingestreut
in die illustre Reihe altehrwürdiger Kulte des Aeneas, des Romulus und
seiner Gattin Hersilia, zwei aitiologische Erzählungen, in denen Ovid
einmal mehr in der bereits im letzten Abschnitt beschriebenen Weise seine
eigene Souveränität im Umgang mit der aitiologischen Tradition auch auf
italisch-römischem Terrain vorführt: 66 Im 14. Buch berichtet einer der Ge-
fährten des Odysseus, Macareus, daß ihm während seines Aufenthaltes bei
Circe, in einem 'geweihten Raum' (aedes sacra) die Marmorstatue eines
Jünglings mit einem Specht auf dem Kopf gezeigt worden sei (Met. 14.
310-315). Macareus stellt einer Dienerin der Circe die für die Kult-Aitio-
logie typischen Fragen: Wer die Statue sei, warum in diesem Raum sacra
durchgeführt würden und warum die Statue einen Vogel auf dem Kopf
trage (14.316-317). Die Antwort der Magd allerdings macht den aufmerk-
samen Leser bereits mißtrauisch: Sie will von der Macht (potentia) ihrer
Herrin Circe erzählen (14.318). Sollte ihre Geschichte nicht eigentlich das
Aussehen der Statue und ihren Kult begründen? Tatsächlich führt die nun
folgende Erzählung über Picus, den Großvater des Latinus, und seine
Frau, die für ihren Gesang berühmte Nymphe Canens, sowohl geogra-
phisch als auch in anderer Hinsicht weit weg von der Ausgangsfrage
(14.319-434). 67 Circe verwandelt den König der Latiner aus Zorn über ihre
unerwiderte Liebe in einen bunten Vogel, der mit seinem Schnabel wütend
ins Holz der Bäume schlägt. Was als Kult-Aition begonnen hat, endet in
einem typischen Natur-Aition: Picus ist der erste Specht in den latinischen
Wäldern. Ihm bleibt nichts als sein Name (14.388-396). Das Kultbild
scheint vergessen, und damit nicht genug: Die Erzählung geht noch weiter
und endet schließlich mit dem Aition für einen Ort namens Canens, der
die Stelle bezeichnet, wo sich die gleichnamige Nymphe aus Trauer über
den Verlust ihres Gatten in Luft auflöst (14.432-434).
Auffällig ist hier die Bewegung von der griechischen Tradition, der
Homerischen Figur der Circe und dem kult-aitiologischen Beginn ä la
Kallimachos, hin zum kosmogonischen Natur-Aition (novam ... avem:
14.390-391) und von da zu einem Aition, das eine Ortsbezeichnung in Ita-

66
Myers 1994, 104-132.
67
Ausführliche Interpretation bei Myers 1994, 104-113; vgl. Loehr 1996, 142-143.
222 Katharina Waldner

lien begründet. Dies alles ist jedoch - darüber läßt Ovid keinen Zweifel -
ein Werk der Musen: Die altitalischen Camenae haben den Ort, der an
keiner anderen Stelle bezeugt ist, nach der Frau des Picus benannt
(14.434). Myers (1994, 109) vermutet, daß Ovid diesen Ort ganz einfach
erfunden haben könnte und somit die auf die Tradition verweisenden
Wörter fama und veteres hier selbstironisch verwendet wären; dies würde
in etwas abgemilderter Form auch gelten, wenn er sich auf eine sehr abge-
legene, in literarischen Vorbildern unbekannte Version beziehen würde,
was meines Erachtens nicht auszuschließen ist. Hinzu kommt, daß die
Camenae ihrerseits, wie Myers selbst herausstellt, mit dem berühmten von
Numa geweihten Hain mit Quelle bei der Porta Capena assoziiert wur-
den.68 Auch Macareus ist vermutlich eine Erfindung Ovids, die über die
Figur des Achaemenides wiederum mit Vergils Aeneis verknüpft wird. 69
Dort ist auch die Verwandlung des Picus in einen bunten Vogel erwähnt
(A. 7.189-191); allerdings ist Circe nach der Version der Aeneis die Gattin
des Picus und somit die Großmutter des Latinus (7.189). 70 Von einer
Statue des Picus ist auch bei Vergil die Rede: Sie steht unter anderen alten
Standbildern aus Zedernholz im Hof des ehemaligen Palastes des Lau-
rentiner-Königs (7.177-189). 71 Nur bei Ovid aber ist belegt, daß diese
Statue einen Specht auf dem Kopf trägt und in einem Heiligtum im Haus
der Circe steht. Vielleicht sollte man insgesamt nicht von 'Erfindung'
sprechen, sondern eher von einem raffinierten neuen Arrangement bereits
vorhandener Elemente. 72 Der Bezug zu Italien garantiert also keineswegs
eine deutlich 'religiösere' Ausrichtung der Aitiologie. Vielmehr scheint es
Ovid darum zu gehen, zu zeigen, daß es längst eine - natürlich von der
alexandrinischen inspirierte - italisch-römische Tradition aitiologischen
Erzählens gibt, die mit Hilfe der Camenae beliebig weitergesponnen wer-
den kann. Und so verwundert es nicht, daß in den letzten beiden Büchern
der Metamorphosen das zweite Aition, das sich in Kallimacheischer Ma-

68
M y e r s 1994, 110 vermutet, daß Ovid sich eigentlich darauf beziehe; vgl. auch
Börner 1986, 143. Zum Musenheiligtum des Numa: Liv. 1.21.3; vgl. auch Plu. Num. 13.
69
Achaemenides ist ein Gefährte des Odysseus, der sowohl bei Ovid (Met. 14.159),
w o er ein Gespräch mit Macareus fuhrt, als auch bei Vergil (Α. 3.614; 691) erwähnt wird.
Vergil bezeichnet ihn als comes infelicis Ulixis (A. 3.691), Ovid hingegen nennt Maca-
reus comes experientis Ulixis; vgl. Myers 1994, 104.
70
Zur Überlieferung vgl. Morton 1988.
71
Vgl. die Diskussion dieser B e z ü g e auf Vergil bei M y e r s 1994, 107-108. Die
Gestalt des Picus erscheint auch in Ov. Fast. 3.291-322; vgl. Börner 1986, 108-109.
72
Vgl. Börner 1986, 108-109.
Griechische und römische Aitiologie in Ovids Metamorphosen 223

nier auf eine Statue bezieht, schließlich eine griechische, auf Zypern spie-
lende Geschichte ist, die ein altrömischer Gott erzählt, um damit eine itali-
sche Nymphe zu verfuhren.
Diese spielerisch-erotische Geschichte (Met. 14.623-771)73 - übrigens
die letzte und gleichzeitig eine der wenigen glücklich endenden Liebesge-
schichten der Metamorphosen - folgt unmittelbar auf die episch-pompös
erzählte Apotheose des Aeneas: Die Nymphe Pomona, deren Beschrei-
bung als hamadryas ... Latina (14.623-624) "amusingly contradictory"
(Myers 1994, 115) einmal mehr auf die Verschränkung von Griechischem
und Latinischem anspielt, ist eine leidenschaftliche Gärtnerin - für die
Freuden der Venus hingegen interessiert sie sich nicht. So verschmäht sie
den in sie verliebten Gott Vertumnus, der, wie schon sein Name sagt, über
Verwandlungskraft verfügt. Er nähert sich der Angebeteten, in der die
puella dura der Liebeselegie zu erkennen ist,74 in verschiedenen Gestalten,
und als auch dies nichts hilft, erscheint er ihr schließlich als alte Frau, die
der Nymphe den Vertumnus wärmstens als Ehemann empfiehlt. Durch
eine kult-aitiologische Erzählung, angekündigt als facta, die in ganz Zy-
pern bekannt seien, will die Greisin das Mädchen vor dem Zorn der Göt-
ter, insbesondere der Venus, warnen und sie so von ihrer abweisenden
Haltung abbringen (14.694-697).
Der Inhalt der nun folgenden Geschichte, die mit großem dramaturgi-
schem Aufwand erzählt wird, läßt sich sehr kurz zusammenfassen
(14.699-761): Iphis, ein Junge humili de Stirpe creatus, 'von niederer Her-
kunft', verliebt sich in die vornehme Anaxarete. Diese verschmäht ihn,
und schließlich erhängt er sich. Als die hartherzige Anaxarete den Lei-
chenzug vom Fenster aus erblickt, wird sie in Stein verwandelt. Noch
heute sei ihre Statue in Salamis zu sehen; auch gebe es dort einen Tempel
der 'schauenden Venus' (Venus Prospiciens), was die Wahrheit der Ge-
schichte, die Pomona bitte nicht für flcta halten möge, beweise (14.759-
762).75
Einmal mehr geht es um die 'Macht' der Dichtkunst, die durch die
humorvolle Ironisierung des Wahrheitsanspruchs aitiologischen Erzählens
zur Geltung gebracht wird: Zu Beginn beruft sich die Erzählerin auf ihr

73
Myers 1994, 113-126.
74
Myers 1994, 123.
75
Auf Zypern ist tatsächlich der Kult einer Aphrodite Parakyptusa bezeugt; vgl.
dazu Fauth 1967; Börner 1986, 214.
224 Katharina Waldner

eigenes Alter und die große Bekanntheit der Geschichte; am Ende soll die
Existenz der Statue auf Zypern beweisen, daß es sich nicht um ficta
handle. Während auf der Ebene der Erzählung klar ist, daß der Gott Ver-
tumnus ad hoc eine Geschichte erfindet, um an seine erotischen Ziele zu
kommen, vermutet der Leser zu Recht, daß es sich in Wahrheit um eine
abgelegene antiquarische Version handeln könnte. 76 Der Witz dieser Stelle
liegt nicht nur darin, daß diese zyprische Geschichte einem in eine alte
italische Bäuerin verwandelten Gott in den Mund gelegt wird, und in dem
sich daraus ergebenden humorvollen Kontrast, 77 sondern es geht auch
darum, zu demonstrieren, daß Ovids Dichtkunst räumliche und kulturelle
Grenzen zu überschreiten vermag, auch und gerade auf dem per se immer
lokal gebundenen Gebiet des Kult-Aitions.
Ausgerechnet in dieser humoristischen Geschichte spricht Ovid impli-
zit von konkreten sacra der Stadt Rom. Die Statue des Gottes Vertumnus
stand mitten in der Stadt, im Vicus Tuscus, der das Forum Boarium mit
dem Forum Romanum verband; außerdem hatte Vertumnus einen Tempel
auf dem Aventin. 78 Das zweite Gedicht von Properz' viertem Elegienbuch
ist dem Gott Vertumnus gewidmet, dessen Statue Auskunft gibt über die
Etymologie seines Namens, der sich - entgegen anderer Versionen - aus
seiner Verwandlungsfähigkeit ableite. In Ovids Fasti hingegen behauptet
eine alte Frau, der Name des Vertumnus gehe auf die Tatsache zurück, daß
er die Fluten des Tibers abwende (Fast. 6.395-416). Allerdings sind diese
sacra für Ovid Dichtung, und er selbst verfährt mit ihnen als Dichter: Ver-
tumnus wird, der Gattung des Epos entsprechend, zu einer mythologischen
Figur. Tatsächlich: Di quoque carminibus, sifas est dicere, fiunt... (Pont.
4.8.55-56) - 'Auch die Götter, wenn es zu sagen erlaubt ist, entstehen
durch Gedichte ...\ 7 9
Aber die Götter und ihre sacra werden nicht von Dichtern allein ge-
macht. In den das letzte Buch der Metamorphosen abschließenden kult-
aitiologischen Passagen häufen sich nicht nur die Apotheosen, sondern

76
Bei Ant. Lib. 39 ist eine Erzählung überliefert, die ihrerseits auf eine Episode aus
dem 2. Buch von Hermesianax' Leontion (fr. 4 Powell) zurückgeht: Es geht hier um die
Liebe des Arkeophon zu Arsinoe, der Tochter des Nikokreon, der 332-331 v. Chr. König
von Salamis wurde (vgl. D.S. 19.79.5). Interessanterweise ist die Geschichte zumindest
in der Form, wie sie uns bei Antoninus Liberalis erhalten ist, mit keinem Aition verbun-
den.
77
Myers 1994, 122.
78
CIL I 2 , 325; Liv. 44.16.10; Cie. Ver. 2.1.54; Hör. Ep. 1.20.1; Fest. p. 228 Lindsay.
79
Vgl. oben Anm. 28.
Griechische und römische Aitiologie in Ovids Metamorphosen 225

Ovid thematisiert gleichzeitig die Neueinführung von sacra in Rom: Es


geht um die Kulte des Aesculapius, des Iulius Caesar und implizit schließ-
lich auch um den noch nicht eingeführten, aber wohl bereits von allen er-
warteten Kult des divi fllius Augustus. Durch die Erwähnung des Iulius
Caesar am Ende des Berichts über den Aesculapius-Kult verbindet Ovid
im 15. Buch das Motiv der Apotheose unmittelbar mit dem religionspoliti-
schen Thema der Neueinführung eines Kultes. So wird es offensichtlich,
daß der Leser die beiden Götter Aesculapius und Divus Iulius und die
Einführung ihrer Kulte in Rom miteinander vergleichen soll: Hic tarnen
accessit delubris advena nostris; / Caesar in urbe sua deus est ... - 'Die-
ser [sc. Aesculapius] kam als Fremder in unsere Tempel; / Caesar ist Gott
in seiner eigenen Stadt ...' {Met. 15.745-746).

Ovids Interesse an einem derartigen Vergleich verbindet sich mit der


Frage, was bei einer Kulteinführung und einer Apotheose eigentlich genau
vor sich gehe oder vielleicht besser: wie sich davon erzählen lasse. Bereits
die unmittelbar vorausgehende Erzählung über den deus minor Virbius
greift diese Frage auf, indem sie die Verwandlung des Hippolytos zu Vir-
bius zum Aition für dessen Existenz und damit auch für dessen Kult im
Heiligtum der Diana Aricia macht (15.492-546). 80 Es ist also kein Zufall,
daß alle Apotheosen in den Metamorphosen, mit Ausnahme der Fälle von
Hercules und Glaucus, Kult-Aitien sind, wie Graf feststellt.81
So wird im ersten Buch die leidgeprüfte Io von ihrer Kuhgestalt be-
freit, in die Göttin Isis verwandelt und als solche perque urbes, 'in allen
Städten', gemeinsam mit ihrem Sohn Epaphus in Tempeln verehrt (1.747-
759). Ovid berichtet den eigentlichen Vorgang der Apotheose nicht, son-
dern beschreibt stattdessen den Kult, wobei er die Kenntnis der alten und
verbreiteten Gleichsetzung von Io/Epaphus mit Isis/Apis voraussetzt. 82
Nimmt man Ovid beim Wort, so ist es die Verehrung durch die Menschen,
die die beiden zu Göttern macht. Die nächste Apotheose betrifft ebenfalls
eine von Juno verfolgte Mutter und ihren Sohn: Ino und Melicertes (4.531 -
542). Ihre Verwandlung in die Götter Leucothea und Palaemon wird aus-

80
Vgl. Ov. Fast. 7.735-769; Verg. A. 7.761-782; vermutlich war die Geschichte
auch bei Kallimachos erzählt (fr. 190 Pf.). Vgl. dazu Myers 1994, 127-129.
81
Graf 1988, 61.
82
Hdt. 2.41.2 (Isis); 2.153; 3.27.1; 3.28.2 (Apis-Stier). Seit hellenistischer Zeit ist
die Gleichsetzung von Io und Isis allgemein verbreitet; in der römischen Literatur ζ. B.
bei Prop. 2.33.7-15.
226 Katharina Waldner

führlicher erzählt. Auf Bitte der Venus nimmt Neptun 'alles Sterbliche'
von ihnen, verleiht ihnen 'verehrungswürdige Majestät' (maiestas veren-
det), eine 'neue Gestalt' und einen 'neuen Namen' (4.539-542). Mit maies-
tas verenda steht auch hier der kultische Bereich an erster Stelle.83 Wie im
Falle von Isis und Apis wird jede konkrete Lokalisierung vermieden, so
daß der Eindruck eines überall verbreiteten Kultes entsteht. Dies ist um so
auffälliger, als Ovid in den Fasti diese Apotheose im Zusammenhang mit
dem Aition für die römischen Matralia erwähnt (6.473-568), wo Leuco-
thea und Palaemon mit den römischen Göttern Matuta und Portunus
gleichgesetzt werden. 84
Bevor Ovid im 14. und 15. Buch mit den Berichten über Aeneas, Ro-
mulus und Caesar die Verbindung von Kulteinrichtung und Apotheose
weiterdenkt, erzählt er im 9. und 10. Buch die Vergöttlichung des Hercu-
les und des Glaucus. In beiden Fällen steht dabei "the epic procedure of
apotheosis" (Feeney 1991, 206) im Vordergrund, die Erzählung fokussiert
auf die Vorgänge in der Welt der Götter, in der sich die menschlichen
Verhältnisse spiegeln. Im Falle des Hercules schlägt ein autoritärer Juppi-
ter die Vergöttlichung seines Sohnes in einer Götterversammlung vor, die
- wie schon ihr Pendant im ersten Buch - an eine vom Kaiser geleitete
Senatssitzung erinnert (9.241-261). 85 Die traditionelle euhemeristische
Deutung der Apotheose des Hercules, nach der er aufgrund seiner Leistun-
gen zum Gott wird, tritt dagegen in den Hintergrund. Nachdem alles
Sterbliche aus Hercules entfernt ist, entfuhrt ihn Juppiter in einer Quadriga
zu den Sternen (9.265-272). Es geht allein um die Macht (und Willkür) der
Götter; die Verehrung des Hercules durch Menschen, etwa an der ara
maxima in Rom, wird nicht erwähnt. 86 In den Fasti hingegen (1.581)
richtet Hercules selbst seinen eigenen Kult ein, eben die ara maxima}1 Im
Falle des Glaucus, eines Fischers, der auf wundersame Weise in einen
Meergott verwandelt wird, greift Ovid eine sowohl in griechischer als
auch lateinischer Dichtung weitverbreitete, mit dem Aition eines Orts-

83
Nach Börner 1967, 167 steht bei Ovid verendus außer in Pont. 2.7.35 immer in
religiösem Kontext.
84
Vgl. dazu Salzmann 1998, 323-324.
85
Nach Feeney 1991, 207 spricht Juppiter im "jargon of imperial apotheosis"; zur
Götterversammlung in Met. 1.199-205 vgl. Feeney 1991, 199-200.
86
Feeney 1991, 211 betont, daß die Apotheose des Hercules das Ergebnis 'olympi-
scher Machtpolitik' sei.
87
Vgl. dazu Barchiesi 1997, 98.
Griechische und römische Aitiologie in Ovids Metamorphosen 227

namens verbundene Erzählung auf und verwandelt sie in eine episch ge-
staltete Apotheose. 88 Bemerkenswert ist hier, daß sowohl Eigeninitiative
als auch die individuelle Erfahrung des Divinisierten eine große Rolle
spielen, denn Glaucus erzählt seine eigene Apotheose in Ich-Form, um
damit Scylla, in die er sich verliebt hat, zu beeindrucken: Er ißt aus Neu-
gier von einem Kraut, bei dessen Berührung die von ihm gefangenen Fi-
sche wieder lebendig werden, und springt von unwiderstehlichem Zwang
getrieben ins Meer, wo ihn Thetys und Oceanus auf Bitten der Meeres-
götter zu einem der ihren machen {Met. 13.919-965). Auch hier besteht die
eigentliche Apotheose darin, daß alles 'Sterbliche' entfernt wird, ein Vor-
gang, den Glaucus mit dem Verb lustrare als 'Reinigungsritual' be-
schreibt, das ihn von allem nefas, 'Frevel', befreit habe (13.950-955).
Bei den auf einer breiten literarischen Tradition beruhenden Apotheo-
sen des Hercules und des Glaucus verzichtet Ovid darauf, eine kult-aitio-
logische Dimension miteinzubeziehen; die von ihm wohl als erstes aus-
führlich erzählten Apotheosen von Io/Epaphus und Ino/Melicertes hinge-
gen verbindet er in origineller Weise mit einer Begründung der kultischen
Verehrung der neuen Götter. Um so auffälliger ist vor diesem Hintergrund
sein Vorgehen im 14. Buch: Ausgerechnet in den von der lateinischen epi-
schen Tradition vorgegebenen Erzählungen der Divinisation des Aeneas
und des Romulus werden nun die beiden Bereiche - die zum epischen Stil
gehörende Schilderung des Wirkens der Götter auf der einen, die Be-
schreibung kultischer Verehrung durch Menschen auf der anderen Seite -
so direkt miteinander verbunden, daß dies geradezu als stilistischer Bruch
empfunden werden kann. 89
Was bei Vergil in einer kurzen Prophezeiung Juppiters versprochen
wird, nach der Venus ihren Sohn Aeneas dereinst 'zu den Sternen erhe-
ben' werde (A. 1.259), erzählt Ovid ausführlich (Met. 14.581-608). Wie
bei Hercules spielt 'olympische Politik' die entscheidende Rolle, und so
muß Venus, trotz der allgemein anerkannten virtus des Aeneas (14.581-
582), ihren Vater flehentlich um die Erlaubnis zur Apotheose bitten, was

88
Myers 1994, 98-104. Im böotischen Anthedon wurde die Stelle gezeigt, an der
Glaukos ins Meer gesprungen war; vgl. Paus. 9.22.6-7; bezeugt sind Darstellungen bei
Euanthes, Hedyle und Nikandros (Ath. 7.295b-297c), Kallimachos (Suda s. v.), Q. Corni-
ficius (Macr. 6.5.13), Cicero (Plu. Cie. 2.3.861). Glaukos ist ζ. T. fischgestaltig (PI. R.
61 ld; Philostr. Jun. Im. 2.15); nach Paus. 9.22.7 hat er Wahrsagekräfte. Arist. fr. 490
Rose bezeugt ein Orakel des Glaukos (gemeinsam mit den Nereiden) auf Delos.
89
So Feeney 1991, 208 über die Apotheose des Romulus: "Ovid has an odd few
lines which return us to the contemporary world of cult."
228 Katharina Waldner

durch das politisch konnotierte ambire ausgedrückt wird (14.585). 90 Sie


begibt sich daraufhin zum Fluß Numicius bei Lavinium, der nach nun
schon bekanntem Muster Aeneas von allem Sterblichen reinigt - wieder
wird lustrare verwendet (14.605) und macht ihren Sohn zu einem Gott
(14.596-605), der unmittelbar danach von der 'Schar des Quirinus' unter
dem Namen Indiges verehrt wird: ... fecitque deum; quem turba Quirini /
Nuncupat Indigetem temploque arisque recepit - '... und machte ihn zum
Gott; die Schar des Quirinus nennt ihn Indiges und nimmt ihn auf in einem
Tempel und an Altären' (14.607-608).
Börner bemerkt hierzu in seinem Kommentar trocken: "Tempel und
Altäre für Aeneas sind in Rom nicht erhalten; es gibt keine Anzeichen
dafür, daß es welche gegeben hat" (1986, 194). Tatsächlich erweckt Ovid
mit seiner Formulierung den Eindruck, es gehe darum, daß Aeneas Indiges
in Rom oder aber im ganzen römischen Reich verehrt werde. Die Erwäh-
nung des Numicus allerdings zeigt, daß er durchaus weiß, daß es eine alte,
möglicherweise auf die Annalistik zurückgehende Tradition gibt, nach der
Aeneas während der Schlacht zwischen Latinern und Rutulern in den Fluß
Numicus entrückt wurde. Dies wiederum verbindet sich bei Livius und
Dionysios von Halikarnassos mit der Erzählung von der Gründung eines
Heroons in Lavinium und der Umbenennung des Aeneas zu pater Indiges
(Dionysios) beziehungsweise Iuppiter Indiges (Livius).91
Die Apotheose des Romulus erzählt Ovid beinahe nach dem gleichen
Muster. Romulus wird nach dem vertrauten olympischen Prozedere (ein
Gott, Mars, bittet bei Juppiter erfolgreich um die Vergöttlichung seines
Schützlings) in einem Streitwagen direkt vom Palatin entführt, als er ge-
rade dabei ist, auf 'untyrannische' Weise (non regia iura) Recht zu spre-
chen (14.808-821). Sein Körper entschwindet in der Luft 'wie sich eine
Bleikugel verflüchtigt', und unmittelbar darauf sehen wir Romulus' kulti-
sche Verehrung: Die 'schöne Gestalt' des Quirinus verdient ein 'Götter-
polster' (pulvinaribus altis), und trägt die trabea, einen Königsmantel
(14.824-828). Auch hier verschweigt Ovid, wie im Falle des Aeneas, tra-

90
Feeney 1991,207.
91
Zur älteren Tradition über die Entrückung des Aeneas vgl. Börner 1986, 153-155.
Zum Heroon des Aeneas vgl. Liv. 1.2.6; D.H. Antiquitates Romanae 1.64.4-5. Somella
1981 glaubt in dem 100 Meter südöstlich der 13 Altäre ausgegrabenen Grab mit tumulus
das Heroon des Aeneas identifizieren zu können; weitere Quellen und Literatur zum He-
roon des Aeneas finden sich bei Somella 1981, 291.
Griechische und römische Aitiologie in Ovids Metamorphosen 229

ditionelle Erzählungen über das Ende des Romulus. 92 Diese kreisen alle
um das Motiv, daß Romulus am Ende seines Lebens plötzlich auf rätsel-
hafte Weise verschwunden sei, wofür zwei sehr verschiedene Erklärungen
überliefert sind. Nach der einen hatte sich Romulus zum Tyrannen entwik-
kelt und wurde von den versammelten Senatoren in Stücke gerissen und
heimlich begraben 93 - ausgerechnet auf diese düstere Geschichte spielt
Ovid mit der Bemerkung non regia iura an. Spätestens seit Ennius' Er-
zählung von der Apotheose des Romulus entwickelte sich jedoch eine als
Korrektur der angeblich 'falschen' Berichte über die Ermordung des Kö-
nigs angeführte Version, die unter anderen Ovid in seinen Fasti erzählt
und unmittelbar mit der Errichtung des Tempels für Quirinus auf dem
Quirinal verbindet: Nach seinem Verschwinden seien die Senatoren zu
Unrecht verdächtigt worden, bis Romulus dem Iulius Proculus auf dem
Weg von Alba Longa nach Rom erschienen sei und seine Verehrung als
Gott Quirinus verlangt habe, worauf der Tempel auf dem Quirinal errich-
tet wurde (Fast. 2.475-512). Auffällig ist, daß alle uns erhaltenen Quellen
immer beide Erklärungsvarianten in Kombination überliefern, so daß es
unmöglich ist zu bestimmen, welche von beiden die ältere ist.94 Für die
Gleichsetzung von Romulus und Quirinus ist jedoch Cicero unser ältester
Zeuge (N.D. 2.62). Und auch wenn dieser terminus post quem sehr un-
sicher ist, bleibt es doch unbestritten, daß die Verehrung des Romulus und
seine Verbindung zu Quirinus ein prominentes Motiv der Religionspolitik
sowohl Caesars als auch des Augustus war: 95 Der Name des Iulius Pro-
culus verweist auf die gens Iulia; Caesar ließ seine Statue im Quirinus-
Tempel aufstellen; 96 im Giebel des von Augustus 16 ν. Chr. neu errichte-
ten Quirinus-Tempels war das Augurium des Romulus dargestellt; 97 eine
in Pompeii gefundene Inschrift entspricht mit großer Wahrscheinlichkeit
der Aufschrift, die die Romulus-Statue im Forum des Augustus trug: Ro-

92
Zur Romulus-Mythologie vgl. Burkert 1962; Ungern-Sternberg 1993.
93
Liv. 1.16.4; D.H. Antiquitates Romanae 2.56; Plu. Rom. 27.
94
Burkert 1962 hält die Erzählung von der Zerreißung des Romulus für älter, dage-
gen argumentieren Bremmer/Horsfall 1987, 46-47 und Ungern-Sternberg 1993, 102.
95
Gegen Cicero als terminus post quem·. Ungern-Sternberg 1993. Burkert 1962 plä-
diert dagegen mit meines Erachtens plausiblen Argumenten für die Möglichkeit, daß die
Gleichsetzung von Romulus und Quirinus erst im Zuge von Caesars Politik zustande-
kam.
96
Cie. Att. 12.45.3; 13.28.3; D.C. 43.45.3; weitere Belege für Caesar und Romulus-
Quirinus bei Burkert 1962.
97
Zu Augustus und Romulus vgl. Beard/North/Price 1998, 182-184.
230 Katharina Waldner

mulus ... receptusque in deorum numerum Quirinu[s] appellatu[s est] -


'Romulus ... wurde unter die Götter aufgenommen und Quirinus ge-
nannt.' 98
Eine vergleichbare, wohl ebenfalls auf die römische Statue verwei-
sende Inschrift über Aeneas stammt ebenfalls aus Pompeii: Aeneas ... ap-
pel[latus]q(ue) est Indigens \pa]ter et in deo[rum n]umero relatus -
'Aeneas ... wurde Indiges genannt und zu den Göttern gezählt.' 99
Die Statuen des Romulus und des Aeneas zierten die beiden großen
Exedren des Augustusforums, dessen Haupttempel des Mars Ultor Ovid in
den Fasti (5.545-598) beschreibt.' 00 Ovids 'kult-aitiologische Apotheosen'
entsprechen also überraschend genau den Vorgängen zeitgenössischer Re-
ligionspolitik. Die Divinisation des Romulus wird in den Metamorphosen
nicht - wie in den Fasti - mit dem Bau des Tempels auf dem Quirinal ver-
bunden; dieser existiert bereits, aber Romulus wird nun neu als Quirinus
dort verehrt - genau dies entsprach mit großer Wahrscheinlichkeit den
Tatsachen. Allerdings vermeidet es der Dichter, die Akteure und Orte des
Geschehens zu benennen; ähnlich wie die Inschriften an den Statuen des
Augustusforums suggerieren seine Berichte, daß Aeneas und Romulus seit
ihrer Apotheose von allen Römern in allgemeinster Form, mit Tempel,
Altar und pulvinar, als Indiges und Quirinus verehrt wurden.
Dies ändert sich im Falle des Iulius Caesar. Bereits die seiner Apo-
theose vorangestellte Erzählung über die Einführung des Aesculapius-
Kultes signalisiert, daß sich der Fokus nun in neuer Weise auf die
menschlichen Akteure richtet. Die Einführung des Aesculapius-Kultes
wird von Volk und Senat beschlossen und kollektiv durchgeführt - Cae-
sars Sohn allein hingegen veranlaßt, daß sein Vater als Gott verehrt
wird.101 Die Formulierung dieser historischen Tatsache, die bereits zu Be-
ginn der Apotheosen-Erzählung kurz Erwähnung findet (15.749-750), 102
wird keinem Geringeren als Juppiter selbst in den Mund gelegt, als Ver-
sprechen an Venus, die sich um die Unsterblichkeit ihres Nachkommen
bemüht: Ut deus accedat caelo templisque colatur, / Tu facies natusque

98
CIL I 2 , 189 IV.
99
CIL I 2 , 1891 = CIL X, 8348.
100
Zanker 1987, 204-205; vgl. auch 197 und Beard/North/Price 1998, 199-201.
101
Feeney 1991, 210-212 hebt diesen Gegensatz hervor.
102
Vgl. dazu den Kommentar von Börner 1986, 454: "Diese artige Adresse an den
Kaiser ist um so höher einzuschätzen, als sie nicht plumpe Schmeichelei ist, sie entspricht
den Tatsachen ..."
Griechische und römische Aitiologie in Ovids Metamorphosen 231

suus - 'Daß er als Gott in den Himmel steigt und in Tempeln verehrt wird,
das wirst du bewirken und sein Sohn'(15.818-819).
Konkret geschildert wird dann allerdings nur der Anteil der Venus,
und zwar zuerst in der Rede des Juppiter (15.840-842), dann in direkter
Erzählung (15.845-850). Wie schon im Falle des Romulus verzichtet Ovid
auf die klassische Formulierung, nach der 'alles Sterbliche' aus dem Divi-
nisierten entfernt wird.103 Stattdessen heißt es, Venus werde seine 'Seele'
(anima) aus dem Körper in den Himmel entführen, wobei sie sich in einen
Stern verwandle (15.840-841). Ist Caesar, ähnlich wie Romulus, schon zu
Lebzeiten den Göttern so wesensverwandt, daß es keinerlei Reinigung von
sterblichen Anteilen mehr bedarf? Suggeriert diese eigenartige Parallele,
daß es die politische Macht ist, die beide, sowohl Romulus als auch Caesar
- und damit auch Augustus schon zu Lebzeiten zu Göttern macht? Der
sich dem Leser aufdrängende Vergleich mit den Apotheosen der Götter-
söhne Hercules, Aeneas und Romulus macht aber auch noch etwas ganz
anderes deutlich: Caesar war nach seinem Tod nicht einfach verschwun-
den; wenn sich Ovids Zeitgenossen noch an etwas erinnerten, dann mit
Sicherheit an die Ermordung und die pompöse Bestattung des Diktators,
an seinen toten Körper, der mitten auf dem Forum verbrannt wurde. 104
Ebenso verweist die Bitte um Aufschub des Tages, an dem Augustus 'zum
Himmel steigt', um von dort - und deshalb absens, 'abwesend' - die Ge-
bete der Menschen zu hören (15.868-870), auf die Realität des physischen
Todes als Voraussetzung für die 'Apotheose', die im Falle des Augustus
allein in der kultischen Verehrung durch Menschen besteht, die weiterhin
ihre Bitten, nun eben Gebete, an ihn richten werden.

3. Schluß

Seit archaischer Zeit läßt sich die kulturelle Praxis aitiologischen Erzäh-
lens in literarischen Texten der griechischen Kultur nachweisen. Der Son-
derfall einer 'religiösen Aitiologie', d. h. die Aussonderung jener Erzäh-
lungen, die sich auf Tempel, Kultbilder, Feste und bestimmte Rituale be-
ziehen, ist zum einen das Konstrukt einer religionsgeschichtlichen Lektüre

103
Zu den verschiedenen Möglichkeiten der Formulierung des konkreten Vorgangs
der Verwandlung bei Apotheosen vgl. die Diskussion bei Börner 1977, 352-354.
104
Zur Bestattung Caesars vgl. Price 1987, 72; vgl. auch North 1975.
232 Katharina Waldner

der griechischen Literatur. Andererseits jedoch fand in dem Moment, als


sich mit Kallimachos aitiologisches Erzählen mit einer bestimmten litera-
rischen Gattung, der Elegie, verband, eine Konzentration auf den in die-
sem Sinne 'religiösen' Bereich statt. Aitiologisches Dichten läßt sich von
nun an als Teil des religiösen Diskurses auffassen. In Rom wird dies in
Properz' viertem Elegienbuch und in Ovids Fasti aufgegriffen; neu und
signifikant ist die Konzentration auf die sacra im Kontext der räumlichen
und zeitlichen Ordnung der Stadt Rom. Die sacra Roms wiederum waren
prominentes Objekt der Augusteischen Religionspolitik. Ovids Metamor-
phosen knüpfen zuerst an die seit dem Hellenismus nachweisbaren hexa-
metrischen Sammlungen von Verwandlungssagen an, in denen sich para-
doxographisches Interesse mit der Erzählung sogenannter Natur-Aitien
verband. Doch wie bereits die Erzählung über die Entstehung des Lorbeers
im ersten Buch programmatisch zeigt, findet Ovid auch einen neuen, ori-
ginellen Weg, Kult- und Natur-Aition ebenso zu verbinden wie die Erklä-
rung griechischer und römischer Traditionen. So entsteht etwas, das man
'imperiale' Aitiologie nennen könnte: Eine einzige Geschichte erklärt so-
wohl die Entstehung eines Baumes als auch dessen rituelle Verwendung;
die gleiche Geschichte bezieht sich sowohl auf Delphi als auch auf Rom.
Fluchtpunkt dieses Erzählens bildet das Augusteische Imperium mit sei-
nem weltweiten Geltungsanspruch, dessen zeitliche Dimension bereits
Vergil in poetische Form gefaßt hatte. Gleichzeitig jedoch macht Ovid den
Konstruktcharakter eben dieses Fluchtpunktes sichtbar, wenn er auf viel-
fache Weise zeigt, wie aitiologisches Erzählen funktioniert und damit auf
die jeder poetischen Tätigkeit eigene Souveränität und Autonomie ver-
weist. In den beiden letzten Büchern erprobt sich diese Souveränität in der
Auseinandersetzung mit der Geschichte römisch-latinischer Kulte und
einem religionspolitischen Ereignis: der Einrichtung des Kultes des Iulius
Caesar. Der Versuch des Dichters, diesem zeitgenössischen Geschehen
einen gewissermaßen epischen Sinn zu verleihen, macht das Funktionieren
des religiösen und machtpolitischen Diskurses durchsichtig: Die mit epi-
schen Erzählungen verbundenen genealogischen Konstrukte der iuliani-
schen Aristokratie versuchen zu verbergen, was doch alle wissen: Men-
schen werden zu Göttern, weil andere Menschen sie zu solchen erklären
oder als solche verehren. Auch der Kult des divus Iulius wurde eingeführt,
auch für ihn gibt es eine Erklärung, ein Aition. Umgekehrt werden aus
dieser Perspektive die für die epische Gattung typischen Apotheosen-Er-
zählungen zu Kult-Aitien. Zu Kult-Aitien allerdings, denen wiederum je-
Griechische und römische Aitiologie in Ovids Metamorphosen 233

der für das elegische Aition so typische räumliche und zeitliche Bezug
fehlt. Es ist wichtig zu wissen, daß Aeneas und Romulus, deren Statuen
das Forum Augusti zieren, Götter sind und verehrt werden; der Bezug auf
Lavinium und auf Rom ist so selbstverständlich wie unwichtig, ebenso
wie man nicht fragt, wo genau nun Isis oder Hercules verehrt werden.
Ovids Gedicht soll schließlich überall gelesen und verstanden werden,
quaque potet domitis Romana potentia terris - 'wo Römer bezwungene
Länder beherrschen' (15.877).

Katharina Waldner
Seminar für Religionswissenschaft, Universität Erfurt
234 Katharina Waldner

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Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher.
Literatur und Religion im griechischen Roman

Der kaiserzeitliche griechische Liebesroman, der uns in der idealen Aus-


prägung in fünf zwischen dem ersten und dritten Jahrhundert entstandenen
vollständigen Prosaschriften und zahlreichen Fragmenten erhalten ist, galt
lange Zeit als Machwerk abgeschmackter sophistischer Rhetorik oder ein-
fach als billige Unterhaltungsliteratur. Viele sahen darin nur ' Schund- und
Groschenromane' oder banale Massenware, vergleichbar mit den Fernseh-
serien Denver Clan, Dallas oder Dynasty, die sich Anfang der achtziger
Jahre des letzten Jahrhunderts großer Beliebtheit erfreuten. 1
Erinnern wir uns zunächst an die gemeinsame Struktur der Geschich-
ten: Boy meets girl, also: Zwei blutjunge 'Teenies' wunderbaren Ausse-
hens und von hohem sozialen Stande verlieben sich unsterblich inein-
ander, leiden an der Liebe, werden daraufhin entweder sofort verheiratet,
oder die Hochzeit findet erst als happy end der folgenden Verstrikkungen
statt. Schnell werden nämlich beide Opfer der Umstände - oder der Göt-
ter, Dämonen und Tyche - und gehen auf Reisen. Sie schwören sich ewige
Treue in Keuschheit. Plötzlich stürzen sie in einen Strudel von phantas-
tischen Abenteuern. Wohin sie auch kommen, immer wieder werden Drit-
te auf ihre herausragende Schönheit aufmerksam. 2 In endlosen Episoden
wird die Bedrohung der sexuellen Unversehrtheit in Form gewalttätiger
Übergriffe durch Räuber und Piraten auf Irrfahrten über den gesamten
Erdkreis durchgespielt. Das vorab rasch vereinigte Paar wird dadurch ge-
trennt. Typische Elemente sind Schiffbruch, Scheintod, Wiederaufer-
stehung sowie erotische Erlebnisse und Bedrängnisse. Die Klage über die
aussichtslose Situation im Streben nach dem verlorengeglaubten Partner
und eine weitgehende pathetische Passivität zeichnen die Helden aus. Die
nie enden wollende Reihe von Erlebnissen findet ihren abrupten Ausgang
in der Wiederfindung und -erkennung der beiden Protagonisten. Sie keh-
ren in ihre Heimat zurück, können nun endlich die Ehe schließen bzw.

1
Zu den TV-Assoziationen vgl. Holzberg 1986, 11; zum negativen Bild des Romans
im 19. Jahrhundert, das die Forschung lange prägte, vgl. Rohde 1876 als Ausgangspunkt.
2
Vgl. Bierl 2006, 72-77.
240 Anton Bierl

eine bürgerliche Ehe führen und leben wie im Märchen glücklich vereint,
bis daß der Tod sie scheidet.3
Innerhalb der letzten vier Jahrzehnte hat sich das oben beschriebene
negative Urteil grundlegend geändert. Der Roman wird seitdem als span-
nendes kultur- und literaturwissenschaftliches Phänomen erkannt. Plötz-
lich forscht man nicht nur über den möglichen Ursprung der Gattung.
Gender-Fragen, moderne Theorie und Erzählforschung finden in den Pro-
satexten auf exemplarische Weise Anwendung, so daß gerade auf diesem
Feld die Klassische Philologie ihre Anschlußfähigkeit an die aktuelle Gei-
steswissenschaft unter Beweis stellen kann. Zunehmend verschafft sich
die Erkenntnis Raum, daß der Roman eben nicht triviale Massenliteratur,
sondern ein ausgefeiltes Kunstprodukt darstellt, das sich in der Tendenz
der Zweiten Sophistik intertextuell auf die Blüte der griechischen Literatur
der Archaik, Klassik und des Hellenismus bezieht.4
Für die hier vorliegende Fragestellung ist dieses literarische Genre von
besonderer Relevanz. Denn Religion ist im Roman omnipräsent. Überall
treffen wir bei der Lektüre auf Mythen, Rituale und Glaubensvorstellun-
gen, vor allem auf Reflexe eines lebendigen Mysterienwesens. Theologi-
scher Synkretismus und Verweise auf das Arsenal und die Epiphanien
alter olympischer sowie internationaler neuer Gottheiten, Aberglaube,
Zauber, Magie, Orakel und Traumvisionen finden sich in den Romanen in
besonders auffälliger Weise.5
Mythen und Rituale fungieren, so Stephen Greenblatt, als Zentren der
'Zirkulation sozialer Energie'. 6 Nach Gerhard Neumann verarbeitet und
diskutiert Literatur als "'hybrides', Metastasen bildendes Teilsystem" und
"Wucherung gewissermaßen im Gewebe der Kultur" gerade diese poten-
tialträchtigen Diskurse (2000, 52). Riten und Mythen werden demnach vor
allem zu "Generatoren von Handlungs- und Erzählmustern in dichteri-
schen Texten" (19). Und weiter (52):

3
Vgl. Holzberg 1986, 20-21; Bierl 2006, 72.
4
Vgl. ζ. B. Fusillo 1989; Bierl 2002.
5
Vgl. den guten Überblick bei Stark 1989; Doody 1996, 160-172; Edsall 2000/2001.
Vgl. auch Altheim 1948. Für den byzantinischen Roman der Komnenenzeit vgl. Harder
2000, zum antiken Roman ebd. 57-62. Vgl. demnächst auch Zeitlin 2008; eine vorläufige
Druckfassung dieser nützlichen Synthese erhielt ich leider erst nach Beendigung des Ma-
nuskripts.
6
Greenblatt 1988, 7-24 zitiert bei Neumann 2000, 19 Anm. 1.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 241

Literatur - und im weiteren Sinne andere ästhetische Akte - erweisen sich ihrer-
seits als j e n e Rituale, die, als Elemente im Gewebe der Kultur, die Dysfunktio-
nalität von Ritualen in Szene setzen, debattieren, unterlaufen, affirmieren oder
experimentell durcharbeiten.

Exakt diese Rolle scheinen die Mythen und Riten zu übernehmen, nämlich
eine Geschichte in Gang zu setzen und eine narrative Ermöglichungs-
struktur zu liefern. Wenn man das Corpus der Romane daraufhin unter-
sucht,7 fällt ins Auge, daß ein großer prozentualer Anteil aus Szenen
besteht, die mythische Gehalte oder rituelle Handlungen fokussieren, was
die These ihrer textgenerierenden und -strukturierenden Funktion bestä-
tigt. In der literarischen Form werden zudem die den mythisch-rituellen
Formen unterlegten Inhalte verhandelt und imaginär durchgespielt.

'Literatur und Religion'

In diesem Kapitel können wir wirklich von 'Literatur und Religion'


sprechen.8 Literatur ist der griechische Liebesroman vor allem dadurch,
daß er in der Kaiserzeit in rein künstlerischer Absicht als fiktionale Prosa
schriftlich abgefaßt ist und intertextuell auf zahlreiche kanonische literari-
sche Texte zurückgreift. Auch wenn der griechische Roman, wie wir
sehen werden, selbst auf mündliche und volkstümliche Formen rekurriert,
so ist er ein ganz und gar artifizielles Produkt im Stile der Zweiten
Sophistik. Im Gegensatz zur archaischen und klassischen Zeit, wo Auffüh-
rungen in einem bestimmten ' Sitz im Leben' oft erst nachträglich zu Lite-
ratur gemacht werden (infolge der kulturellen Wende zu einer dominanten
Schriftlichkeit im Hellenismus), ist es hier zudem sehr viel legitimer, von
Religion zu sprechen. 9 Zwar gibt es auch hier noch nicht eine Aufteilung
von sakraler und säkularer Sphäre, doch ist jedenfalls die lokale Begren-
zung aufgehoben; religiöse Vorstellungen werden nun global im ganzen
Imperium ausgelebt, zumindest im gesamten östlichen Mittelmeergebiet.
Es entstehen zudem erste Formen der individuellen 'Rückbindung'
(religio) an eine Gottheit. Das Individuum sucht Halt und Rettung in per-

7
Die benutzten Ausgaben und Übersetzungen finden sich am Ende des Beitrags in
der Bibliographie.
8
Vgl. Bierl in Band I.
9
Vgl. die Einschränkungen bei Bierl in Band I, 2-7, bes. 6; Calame in Band I, 179-
181. Vgl. auch mein Vorwort in Band I, ix-x.
242 Anton Bierl

sönlicheren Kulten und Ausdrucksformen. Reinheit, Heilserwartung und


Keuschheit als 'Sorge um sich' (Foucault 1989) werden in den Dienst
einer Gottheit gestellt. Vor allem spielen überall gültige Synkretismen und
Mysterienkulte eine große Rolle.
Im folgenden soll der Roman freilich nicht, wie bisher üblicherweise
geschehen, als Quelle kaiserzeitlicher Religionsgeschichte gelesen wer-
den. Vielmehr geht es um die Interdependenz der beiden Diskurse, eroti-
scher Prosafiktionen als Literatur auf der einen, religiöser Äußerungsfor-
men auf der anderen Seite. Ziel meiner Bemühung ist nicht das Heraus-
destillieren eines Wissensdiskurses oder einer allgemeinen episteme im
Foucaultschen Sinne. Im Zuge des hier verfolgten Interesses, die gegen-
seitige Durchdringung der beiden Ausdrucksweisen zu untersuchen, soll
hier zunächst auf das Problem eingegangen werden, wie extraliterarische
Realität in Literatur einfließt und wie beide Ebenen miteinander ver-
schmelzen. 10 Es genügt freilich nicht ein Verweis auf die von Hegel,
Schelling, Schiller und Kant geprägte Vorstellung einer 'Autonomie der
Kunst'. 11 Denn Literatur liest trotz ihres Sonderstatus externes Material
ein; Ritual und Mythos können solche literarische Texte sogar geradezu
hervorbringen. Rainer Warning spricht hinsichtlich der Literarizität von
einer "Konterdiskursivität" der Literatur. Neben der blutleeren Fiktion
geht es ihm darum, "[a]ls eigentliches Movens poetischer Konterdiskursi-
vität ... das Imaginäre zu erkennen und anzuerkennen" (1999, 318). Unter
Berufung auf Theorien des radikal Imaginären von Cornelius Castoriadis
formuliert er Gedanken, die an Jacques Lacan erinnern, und die hier von
mir in bezug auf den Liebesdiskurs des Romans ins Zentrum gerückt wer-
den sollen: Mangel und Begehren erzeugen symbolische Bilderketten,
Formen des supplementären Kreativen. 12
Warning (1999, 322-323) bedient sich bestimmter Ideen Jurij M.
Lotmans (1972), der den literarischen Text als sekundäres modellbilden-
des System in räumlichen Relationen betrachtet, und verbindet die topo-
graphische Theorie mit dem von Foucault (I 1994, 101) entwickelten
Begriff des "espace onirique", den der französische Philosoph in seiner
eher noch existentialistisch gefärbten Einleitung zu Ludwig Binswanger

10
Grethlein hat hierzu in Band I, 153-157 schon Entscheidendes gesagt.
11
Vgl. mein Vorwort in Band I, xiii gegen Schlesier in Band I.
12
Warning 1999, 320-321; vgl. Castoriadis 1975. Zum Liebesdiskurs im Roman vgl.
Bierl 2002, 8-9; 2006, bes. 74-75, 82-87.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 243

gebraucht. Literarische Gattungen definieren sich demnach räumlich, was


zu der Hypothese führt, "daß der poetische Text mit seiner topographi-
schen Konkretisierung der topologischen Achsen die räumliche Arbeit des
Traums und des Imaginären gleichsam fortsetzt" (Warning 1999, 323).
Ferner setzt er das Poetische als Imaginäres - nach Castoriadis (1975, 493)
definiert als dynamischer "flux representatif/affectif/intentionel" - mit
dem Mythos in Beziehung, der im Bild und in symbolischer Sprache auf-
geht und dessen Helden ihre räumlichen Grenzen zu sprengen versuchen
und somit Ikonoklasmus betreiben.13 Selbst wenn der Roman Religion als
neuen Wissensdiskurs betreiben wollte, so initiiert er im Imaginären einen
Regreß zu den archaisch-grausamen Ritualen und Mythen. Mit dem
Mythos teilt der Roman den Stoff von am Körper ausgeübter Gewalt, von
Exzeß, Brutalität, Sexualität und Erfahrung mit dem 'Anderen'. Die Ant-
wort auf individuelle Heilsversprechen wird gewissermaßen in bildgesät-
tigten, onirischen Gegenwelten von performativen Bildern, Riten und
Mythen gesucht, deren Kern zudem oft in der Reaktualisierung des 'wil-
den Ursprungs' liegt.14 Denn Mythen und Riten inszenieren oft nur das,
was man in ihrer Durchführung eigentlich zivilisatorisch überwinden will.
Im Roman wird in ausufernden Erzählketten Liebe und die Entfesselung
von Gewalt und Leidenschaften vorgeführt. Hinter der Repräsentation der
patriarchalen, geordneten griechischen Welt des Ostens mitsamt ihren reli-
giösen Erwartungen taucht ein diese Ansprüche unterminierender 'Gegen-
diskurs' der Literatur auf.15 Für eine solche onirische Kettentechnik ist das
Spielerische des Rituals selbst verantwortlich, das Metaphern und Meto-
nymien in Bewegung versetzt und ihnen Raum verschafft. Rituale sind
selbst nicht Teil der Alltagsrealität, sondern eröffnen als "frames of meta-
communication" wie Erzählungen Sichten auf andere Welten. 16 Als Spiel
und im Spiel mit der Alltagsrealität ermöglichen sie Reflexe auf die Welt
und generieren selbst wiederum den Roman. Die 'Singularität' des Litera-
rischen darf dabei nicht aus den Augen verloren werden. Solche Texte die-
nen dazu, sich mental in das 'Andere', in das Unbestimmte zu versetzen.

13
Vgl. Warning 1999, 324-325. Zum Bild und in Bewegung versetzter Bildlichkeit
im Roman vgl. Bartsch 1989 und nun Morales 2004; vgl. auch Roilos in diesem Band.
14
Burkert 1990a und Most 1990.
15
Zum Foucaultschen Begriff des Gegendiskurses vgl. Warning 1999, 316-322.
16
Vgl. Grethlein in Band I, 153-155, bes. 154.
244 Anton Bierl

Mit ihrer Hilfe kann man zwischen dem 'Selbst' und dem 'Anderen' ver-
handeln und vermitteln.17

Eros als bestimmender Faktor der literarischen Gattung: Begehren und


Gleiten der Signifikantenkette im onirischen Raum

Nach dem eben Dargelegten ist es notwendig, den Liebesroman aus dem
Wesen des Eros zu definieren und topologisch mit dem Imaginären zu
verbinden. Der Raum wird im Liebesroman als Projektionsfläche des Ver-
langens benötigt. Liebe als Diskurs der Abwesenheit entäußert sich in dem
konstitutiven Mangel als Raum, welcher wiederum Raum freigibt für die
Fiktion.18 Das assoziative Gleiten in Sprache und Ort macht den Roman zu
einer Reise voller Abenteuer. Diese ist aber keine Reise, auf der man sich
in der Begegnung mit dem Fremden selbst erfahren kann, sondern, wie im
folgenden gezeigt werden wird, eine innere, metaphorische Irrfahrt, wel-
che die für heranwachsende junge Menschen krisenhafte Schwellensitua-
tion der Hochzeit als rite de passage thematisiert, debattiert, bestätigt und
unterminiert.19
Die Romanautoren bedienen sich der Grundkonstellation der Liebe,
der Unvollständigkeit und der gleitenden Übertragung auf einen Dritten,
und dehnen sie in der Phantasie mittels einer Kettentechnik, die von Wie-
derholung und mit Metaphern wie auch Metonymien arbeitender Variation
bestimmt wird, zu einem längeren syntagma aus.20 Das für den Eros cha-
rakteristische Gefühl der Lücke entäußert sich im Raum und in der
Sprache. Der Liebende empfindet die Sehnsucht nach dem Partner, wobei
die Bedrohung und Gewalt durch Dritte sich in räumlicher Trennung und
Abenteuern manifestieren. Der Raum steht in Beziehung zur Liebe und
zur Narration. Ohne räumliche Trennung kann es keine Geschichte des
Verlangens und der Prüfungen durch Außenstehende geben. Die notori-
schen Räuber und Piraten verkörpern das Privative, durch das der Mangel
sich perpetuiert.

17
Vgl. Attridge 2004.
18
Zum folgenden vgl. Bierl 2006.
19
Vgl. dazu D o w d e n 1999, 231-238 und nun Lalanne 2006. Vgl. auch Whitmarsh
1999.
20
Vgl. Bierl 2002, 8-9 mit Verweis auf Carson 1986, 77-95. Zur 'Triangulation' vgl.
auch Fusillo 1989,219-228.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 245

Aufgrund ihrer imaginären Qualität setze ich die Romanhandlung mit


einer Traumsequenz in Beziehung. 21 Die schreckliche Begegnung mit dem
Fremden und 'Anderen' wird zu einer inneren Reise im Zeitlosen. Wie im
Traum reiht sich assoziativ Geschehen an Geschehen. Während der Traum
in der antiken Literatur vorrangig mit Lesersteuerung und Vorbereitung
auf kommende Ereignisse zu tun hat, 22 wird das Onirische im Roman
gleichzeitig sinnstiftend und gattungskonstitutiv. Lacan, der das Subjekt-
Sein im Es ansiedelt, geht von einer Spaltung und grundsätzlichen defizi-
tären Struktur des Subjekts aus und verbindet seinen exzentrischen Zu-
stand im Sinne des linguistic turn mit Ferdinand de Saussure und Roman
Jakobson. Das Ich konstituiert sich auf der Basis von Signifikantenreihen
über die Supplementarität von Zeichen im tropologischen Spiel von Meta-
pher und Metonymie. Es befindet sich in einem Zustand des kontinuier-
lichen Gleitens, eines "glissement incessant du signifie sous le signifiant"
(Lacan 1966, 260). 23 Ebenso wie sich nach Lacan das Subjekt aufgrund
eines eingeschriebenen Mangels entzieht und der Semiose Raum gibt, ver-
liert der Liebende wegen des übermäßigen Begehrens die Kontrolle über
sich selbst. Gerade das im onirischen Schwebezustand sich befindende
Subjekt des Liebenden unterliegt demnach der Sprache, und erst im Ver-
weisspiel von Zeichen entsteht Bedeutung. Jakobson assoziiert die für den
Traum typische Arbeit der Verdichtung und Verschiebung mit den para-
digmatischen und syntagmatischen Achsen der Sprache, die in den For-
men von Metaphorik und Metonymik die sprachliche Fiktion bestim-
men. 24 Die Romanautoren übertragen folglich die in die Liebe eingeschrie-
bene Unvollkommenheit im tropologischen Spiel einer flottierenden Sig-
nifikantenkette auf ihre Erzählungen.

21
Bierl 2006, bes. 82-93 (speziell zu Xenophon von Ephesos). Zum T r a u m im
R o m a n vgl. Bowersock 1994, 77-98; Doody 1996, 405-420; vgl. auch MacAlister 1996,
bes. 33-43, 70-83, 84-114, die besonders die A u f d e c k u n g des Verborgenen, der Phanta-
stik und das Ausleben der Phantasie im Eskapistischen betont. Zum Traum bei Chariton
vgl. Auger 1983.
22
Vgl. Bartsch 1989, 80-108, die das narratologische Potential der Irreführung und
der Vorschau hervorhebt; vgl. auch MacAlister 1996, 70-83.
23
Vgl. Bierl 2006, 85-86.
24
Jakobson 1974, 137-138. Brooks 1984, bes. 37, 55-56, 58-59, 105, 234, 278-279
verbindet Erzählung und narrativen Plot mit Lacans Konzept des Begehrens und dessen
sprachlicher Umsetzung.
246 Anton Bierl

Metapher, Mythos und Ritual

Metapher und Metonymie sind zugleich in besonderer Weise mit Ritual


und Mythos verbunden. Traditionelle Gesellschaften definieren sich weit-
gehend über Mythos und Ritual, die wiederum beide von einer spezifi-
schen Bildlichkeit geprägt sind. Gerade Metaphern stellen oft das Gefäß
für Mythen und Riten dar.25 Aus rituell-mythischen Szenen und Tableaus
entstehen Erzählungen sowie narrative und performative Abläufe. Szena-
rien einer volkstümlichen Mündlichkeit werden zum Teil in literarische
Formen integriert. Bild, Performanz, Lebenswelt, mentale Konzepte und
Vorstellungen treten in griechischen Texten in einen Dialog.26 Die Ro-
mane sind demnach als synästhetische Kunstwerke nicht ausschließlich in
ihrer linguistischen Struktur zu erfassen. In der Literatur besteht zudem
ein Zusammenhang zwischen literarischer Metapher, Ritual und Mythos.
Eine Metapher kann ein Ritual generieren, indem es weitere Metaphern in
Bewegung setzt, die durch Ähnlichkeit und/oder Kontiguität aktiviert
werden.27 Ritual kann man als performatives, spektakuläres, multimedial
inszeniertes Verhalten verstehen, mit dem Ziel, die Außenwelt unter Kon-
trolle zu bringen und die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt zu über-
denken.28 Man verwendet es in (1) fundamentalen Alltagshandlungen, wie
ζ. B. Essen, Trinken, Bekleiden und Waschen, (2) in Situationen der Ge-
fahr, der Krankheit und lebensbedrohlicher Umstände, und (3) in den Be-
grenzungen zentraler Lebensabschnitte wie Geburt, Ehe und Tod.29 Meta-
phern und Rituale sind handlungsbezogen. Rituale bedeuten nach James
Fernandez "the acting out of metaphoric predications upon inchoate pro-
nouns which are in need of movement" (1986, 23). Wörtlich genommene
Metaphern können in ihrer ikonischen Qualität in Aktion und Erzählung
umgesetzt werden. Metaphern sind movers und shifters, sie setzen durch
Übertragung etwas in Bewegung. In Margaret Alexious Worten heißt es:
"Metaphor shapes ritual (conventional action), just as ritual gives body to
metaphor."30

25
Vgl. Alexiou 2002, bes. 317-319.
26
Vgl. Ferrari 2002, bes. 61-86.
27
Vgl. Fernandez 1977; 1986; 1991.
28
Vgl. Alexiou 2002, 317-348.
29
Alexiou 2002,319-324.
30
Alexiou 2002, 318, insgesamt 317-410.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 247

Mythen besitzen zudem eine strukturelle Nähe zu Phantasien und


Träumen. Mythos kommt vom griechischen μυθέω, das ein Verschweigen
eines Worts durch das Auflegen eines Fingers auf den Mund bei gleich-
zeitigem Aussprechen eines Lautes wie 'Pst' (μΰ) wie auch den Beginn
einer autoritativen, für die Gesellschaft relevanten Rede bedeutet.31 Gegen
allzu starre Versuche universalistischer oder reduktionistischer Bestim-
mungen hebe ich mit Alexiou erneut das performative Element hervor.
Mythos setzt Ritual oft in Aufführung um, begleitet diese mit Geschichten.
Bevorzugt wird hier eine offene Definition, welche die binären Oppositio-
nen von mündlich/schriftlich, primitiv/zivilisiert, abergläubisch/rational,
wahr/falsch, ländlich/städtisch, volkstümlich/literarisch zu vermeiden
sucht. Beide Seiten der Polaritäten spielen im Begriff eine Rolle. In mythi-
schen Gattungen gibt es eine Bandbreite zwischen diesen Extremen.
Einmal wird mehr das Historisch-Legendäre, ein anderes Mal eher das
Phantastische betont. 32 In offener Weise bestimmt Alexiou (2002, 153)
Mythos wie folgt:

Myth is a story, often involving supernatural or nonnatural elements, which may


be told, sung, or implicit, whether by word of mouth or in writing (or a combi-
nation of both). It draws on a shared yet not undisputed f u n d of beliefs,
experiences, and memories, rather than on an officially or scientifically deter-
mined consensus imposed from outside. It serves to link the past with the
present, the known with the unknown worlds.

Entscheidend ist der dialogische Prozeß zwischen Aufführenden und


Rezipienten in der Performanz, zwischen Autor und Leser in der geschrie-
benen Variante. Die Bedeutung der Mythen und Geschichten liegt nach
Alexiou (2002, 165) in der Lücke zwischen Wahr und Nichtwahr, zwi-
schen Vergangenheitserfahrung und potentieller Zukunft, und ist daher
ständig aufgeschoben. Nicht das Was, sondern das Wie der Bedeutung ist
entscheidend. Mythos ist demnach multidimensional, dynamisch, immer
in Bewegung, in Verschiebung oder Übertragung (166).
Mythisches wird häufig mit dem Onirischen in einen Bezug gesetzt.
Mythos und Ritual greifen auf das Phantastische, das Unheimliche, das
Wunderbare zurück, das zudem für den Traum typisch ist. Mythos und
Ritual bilden unter anderem das Material des griechischen Liebes- und
Abenteuerromans, den man ebenfalls mit dem Imaginären und Phantasti-

31
Vgl. Alexiou 2002, 153.
32
Alexiou 2002, 152-155.
248 Anton Bierl

sehen verbinden muß. 33 Beide religiösen Äußerungssysteme generieren


den Roman, der wiederum auf mündlichen Formen beruht. Mit der Litera-
rizität sterben Mythos und Ritual nicht ab, wie man landläufig meint, son-
dern leben in Umformung weiter und erfüllen im Roman die nämlichen
Aufgaben der Verhandlung, des Umspielens, der Affirmation, Unterminie-
rung, des Verschiebens und Transfers von wild-bedrohlichem Material zur
Lebensbewältigung. Mythos und Ritual haben mit dem Roman daher auch
die Inhalte gemein, die sonst in der Literatur weniger deutlich thematisiert
werden: Gewalt, Grauen, Schrecken, Wunder, Götter, Kontakt mit Göt-
tern, Heroen und Tieren, Exzeß, Exkremente, Nahrung, Sexualität, das
Fremde, das 'Andere' im Gegensatz zum 'Selbst'. Durch das Eintauchen
in diese Welt des 'Anderen' und das Auftauchen daraus teilt der Roman
die rituelle Struktur des rite de passage. Und um es gleich vorwegzuneh-
men: da der griechische Liebesroman vorrangig Jugendliche in der Puber-
tät bei der Entdeckung der Sexualität zeigt, dient er, so meine These, der
Debatte, der Verarbeitung und der Bewältigung dieses zentralen Lebens-
einschnitts sowie der dramatischen Erfahrung der Hochzeit in einer patri-
archalen Gesellschaft.
Zusammenfassend läßt sich nochmals sagen: Die griechischen Liebes-
romane basieren auf Mythen und Ritualen, die ihrerseits die krisenhafte
Lebenszäsur der Hochzeit und der Initiation verarbeiten und verhandeln.
Mit dem Traum haben sie gemeinsam: das Gleiten in Signifikantenketten,
die Akzentuierung von gesellschaftlichen Figuren in wiederkehrenden
Szenen, die über Selektion und Kombination, Metapher und Metonymie
hergestellt sind, das Phantastische, Nichtlogische, das Schweben im Auf-
schub der Bedeutungen in einer Uneindeutigkeit, die Verschiebungen der
Differenzen in einer differance, die Verhandlung in der Lücke zwischen
Lüge und Wahrheit, zwischen Vergangenheit und Zukunft. In beiden wird
das Körperliche betont, das Ausleben der Ängste am Leib. Anstelle eines
Lesevergnügens, das im Sinne einer bürgerlichen Ästhetik der 'Autonomie
der Kunst' eindeutig pädagogisch-ethische Impulse ins Zentrum rückt,
herrschen in den griechischen Romanen das Kinästhetische und Synästhe-
tische als Ausdrucksmodi vor. Wie im Traum werden im Roman zudem
weniger psychologisch plausible Charaktere oder ausgefeilte Plots darge-
stellt, als vielmehr archetypische Figuren in wiederkehrenden Situationen

33
Vgl. Alexiou 2002, 211-314; 2004. Zum Phantastischen vgl. Ackermann 1994
und Renger 2006b.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 249

schwebender Phantastik fokussiert und in ihrem Übermaß an Leid expo-


niert.

Roman und Religion: Bisherige Ansätze

Die intensive Verschränkung der beiden Bereiche Literatur und Religion


ist in dieser Gattung so überdeutlich, daß Reinhold Merkelbach von einem
völligen Aufgehen der Literatur in der Religion ausging. Er spricht von
den Romanen als "Mysterientexten", 34 die lediglich dem "Oberflächen-
sinn" nach Unterhaltung bieten, nach dem "Hintersinn" (oder "Tiefsinn")
jedoch nur für Eingeweihte verständlich sind.35 Etwas vorsichtiger war vor
ihm Karl Kerenyi, der zwar immer wieder in einem Atemzug mit Merkel-
bach genannt wird, aber eigentlich fast die gegenteilige These vertrat, daß
nämlich ein urtümlich zugrundeliegender Mythos, nämlich die Isis-Sage,
im Roman nur noch in der "verbürgerlichte [n]" Form "literarische [r] Ver-
mittlung" auffindbar sei und damit die Geschichten in einem Säkularisie-
rungsprozeß ihrer eigentlichen Authentizität verlustig gegangen seien. 36
Wie Kerenyi geht auch Merkelbach von der sogenannten Aretalogie
aus: der Roman sei also gewissermaßen die erzählerische Verarbeitung
und Ausgestaltung von epigraphisch oder anderweitig aufgezeichneten
Wundertaten der Göttin Isis. 37 Glenn Bowersock postuliert jüngst christ-
lich beeinflußte Mirakelgeschichten als möglichen Ursprung der Gattung,
die freilich nur säkulare Inhalte verfolge. 38 Tomas Hägg (1983) geht von
einem allgemeinen religiösen Anliegen im Roman aus. Roger Beck (1982;
1996) versucht Merkelbachs Extremthese abzuschwächen, indem er das
Mysterienartige mit der Suche des sich verloren fühlenden Individuums
nach Heil und Rettung identifiziert. Bryan P. Reardon (1991, 169-180)

34 Merkelbach 1962, bes. Vorwort; 1988; 1995.


35 Merkelbach 1962, 90, 125 Anm. 2, 2 9 5 , 2 9 8 ; 1995, 3 3 5 - 3 3 9 , bes. 3 3 7 - 3 3 8 ; vgl.
auch 1 9 8 8 , 4 , 138-139.
3 6 Kerenyi 1927, bes. 291 Anm. 2, in den "Nachbetrachtungen" der 2. Auflage

("Nachwort über die Methode"). Zu Kerenyi vgl. Henrichs 2 0 0 6 a , auch mit guter
Verarbeitung der Einflüsse ( 6 3 - 6 6 ) , insbes. von Reitzenstein 1906. Vgl. auch Barchiesi
1988, 3 5 2 - 3 5 4 .
3 7 Kerenyi 1927, Index s. v. 'Aretalogie , -isch'; Merkelbach 1994; 1995, 3 4 0 - 3 4 8 ;

zu einer Zusammenfassung von religiösen Erzählungen als Ursprung des Romans vgl.
Edsall 2 0 0 0 / 2 0 0 1 , 115-116.
38 Bowersock 1994, zum 'Säkularen' 121-143 mit Bezug auf Frye 1976.
250 Anton Bierl

und andere sehen eine Analogie zwischen soziopolitischen, individualpsy-


chologischen und religiösen Motiven. Der vereinzelte Mensch, der in dem
seit dem Hellenismus eröffneten Horizont von der klassischen Polis zur
Ökumene nach Sinngehalten suche, drücke dieses Defizit in unterschiedli-
chen Bereichen des Lebens und der Kultur aus. Die Mysterien dienen nach
Ken Dowden (1999; 2005) wie die Literatur, insbesondere das Epos und
der Roman, oder auch zeitgenössische philosophische Strömungen in ty-
pologischer oder 'allegorischer' Weise dazu, der archetypischen Geschich-
te, dem 'Mythos' der Sinnsuche, Ausdruck zu verleihen. Auch in der mo-
dernen, bewußt Nothrop Frye (1976) aufgreifenden Lebens-'Mythologie'
von Dowden (2005) wird schnell die Schwierigkeit deutlich, mentalitäts-
geschichtliche Aussagen über den Kontext der Texte zu treffen, die eine
Erklärung des religiösen Gehalts liefern sollen. Andere, ζ. B. Isolde Stark
(1989, 139), deuten die Rastlosigkeit der Abenteuerepisoden wiederum als
Kompensation für die überaus große politische und soziale Sicherheit und
Stabilität der Zeit. Literarische Texte, so zeigt uns die moderne Forschung,
liefern nie eine Repräsentation, also ein getreues Abbild, der Realität,
sondern stehen in einer eigenartigen Spannung und Brechung zu dieser.
In der Diskussion um das Religiöse im Roman kann man im großen
und ganzen zwei Extrempositionen ausmachen: (1) Für die einen ist die
Religion gewissermaßen der Kern der Aussage eines Romans. Die Litera-
tur habe demnach nur die Funktion der Einkleidung des außerliterarischen
Diskurses inne,39 und das Religiöse sei daher ein ernsthaftes Anliegen. 40
(2) Von anderen wird hingegen die These vertreten, das Religiöse diene
ausschließlich als Material zur Konstruktion aufregender Plots. Es gehe
demnach den Romanciers gar nicht wirklich um religiöse Inhalte. Die
Literatur bediene sich gewissermaßen nur des Extraliterarischen, dem die
Aufgabe des Stofflieferanten in der Konstruktion von phantastischen
Geschichten zukomme. Zum Teil seien solche Dinge selbst nur imagi-
niert.41
Die Debatte entzündete sich an den Romanfragmenten des Lollianos.
Der Deutung des Erstherausgebers Albert Henrichs (1972) im Fahrwasser
seines Lehrers Merkelbach steht die Antwort von Jack Winkler gegen-

39
So Merkelbach 1962; 1988; 1995.
40
Bei Heliodor ζ. B. Dowden 1996.
41
Winkler 1980; 1982; 1985a. Vgl. auch Jones 1980 und Sandy 1982.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 251

über,42 deren Titel "Lollianos and the Desperadoes" (1980) die Verfechter
Merkelbachscher Thesen implizit selbst zu 'Verzweiflungstätern' stilisiert.
Es geht also darum, ob eine Seite der beiden Begriffe Literatur und Reli-
gion die andere dominiere. Zudem wird immer wieder über die Ernsthaf-
tigkeit des religiösen Anliegens gestritten, ohne dabei der Freiheit der
Imagination nach generisch vorgegebenen Mustern den nötigen Platz ein-
zuräumen. Daniel Seiden (1994, bes. 48-51) hat diesbezüglich eine mitt-
lere Position vorgetragen, die durchaus Gültigkeit beanspruchen kann. Im
Sinne der Figur der syllepsis, die für den Roman insgesamt typisch sei,
könne man solche rituellen Szenen gewissermaßen doppelt lesen und
deuten. Die mehrfache Determinierung zeigt also dem Eingeweihten und
in den fremdländischen Riten Erfahrenen Bekanntes an, mit dem er sich
identifizieren kann, andererseits dürfte dies aber kaum für den allgemeinen
Leser gelten. Dieser sieht Grusel-Szenerien wie bei Lollianos nur als skur-
riles Konglomerat, als Anhäufung ihm völlig fremder Riten, die das Ge-
fühl des 'Anderen' hervorrufen. Die Syllepse macht also beide Positionen
mitunter möglich; meist dürfte aber doch die Analyse von Winkler zutref-
fen, daß solche Beschreibungen auf einer assoziativen Ansammlung gat-
tungstypischer Momente beruhen.
Längst ist also der Zeiger in Richtung der Literarizität ausgeschlagen,
ohne daß man freilich das genaue Beziehungsgeflecht des gegenseitigen
Ineinander auf der Grundlage der Gattung in Gänze erforscht hätte. Ver-
woben mit dieser forschungsgeschichtlichen Thematik ist die Frage, ob
Literatur bloße Unterhaltung sei oder nur der Erbauung beziehungsweise
einem anderen Zweck diene. Beides im Sinne einer Verbindung, also ein
prodesse et delectare (Hör. Ars 333), wird wohl eher der Wahrheit ent-
sprechen. Das prodesse muß freilich wie das delectare einer genaueren
Analyse unterzogen werden. Die Mythen, Rituale und religiösen Inhalte
dienen nicht unbedingt der reinen Unterweisung, sondern können in sich
wieder ein Element der Verunsicherung, der Hinterfragung und Problema-
tisierung tragen. Dies geschieht um so mehr, als wir damit in besonderer
Weise in ein Reich des Imaginären aufbrechen, welches das Fiktionale mit
Leben erfüllt.

42
Vgl. auch Sandy 1979.
252 Anton Bierl

Heteroglossie

Religiöse Schriften sind die griechischen Romane mit Sicherheit nicht.


Daher stellt sich die Frage, wie die religiöse Durchdringung der litera-
rischen Texte zu bewerten sei. Im folgenden geht es mir um die inner-
literarische Analyse dieser evidenten Beziehung sowie um die eventuelle
kulturelle Funktion. 43 Es wird also einerseits vor allem um die textliche
Nutzbarmachung der religiösen Elemente für die Struktur der Romane auf
Makro- und Mikroebene gehen, andererseits muß eine lebensweltliche
Dimension herausgearbeitet werden, mit der diese Anspielungen in Bezie-
hung zu setzen sind. Der unterlegte Sinn, so meine These, besteht im
Gattungszusammenhang des Eros in der traumhaften Umspielung der trau-
matischen Erfahrung von Hochzeit und Reifung. Das imaginäre Durch-
arbeiten des krisenhaften Übergangs, das in der literarischen Struktur den
rite de passage nachempfindet, macht den zentralen Lebenseinschnitt in
einer patriarchalen Gesellschaft erträglicher.
Für das Rahmenthema dieses Doppelbandes ist der Roman besonders
interessant, da er nach Michail Bachtin in typischer Weise eine Form von
Heteroglossie darstellt, also in hybrider Form zahlreiche sprachliche, so-
ziokulturelle, generische und literarische Formen in sich vereint. 44 Zu-
nächst stehen volkstümliche Traditionen, gewissermaßen die Basis der Er-
zählung, als mündliche lebendige Überlieferung, die auf Ritualen und
Mythen basiert, und Hochkultur als literarisches Kunstprodukt nebenein-
ander. Gerade aufgrund dieser Gemengelage von Hoch und Niedrig wird
die gegenseitige enge Verknüpfung von Literatur und Religion, Mythos
und Ritual verständlich. Zunächst aber bildet der Roman bereits auf der
literarischen Seite ein komplexes Konglomerat. Der kaiserzeitliche Roman
ist selbstverständlich von den einschneidenden Auswirkungen der bedeut-
samen Epochen- und Medienschwelle am ausgehenden fünften Jahrhun-
dert v. Chr. betroffen. Spätestens damals wurde die Mündlichkeit von der
Schriftlichkeit abgelöst. Während Mythos und Ritual in einer traditionel-
len, eher mündlich geprägten Kultur wirklich noch den zentralen Megatext
bilden, auf den sich alle Diskurse durch ihren pragmatischen 'Sitz im

43
Vgl. die literarische Studie von Edsall 2000/2001; in vergleichender Perspektive
vgl. Harrison 2007. Vgl. demnächst auch Zeitlin 2008.
44
Zum dialogischen Prinzip des Romans nach Michail Bachtin vgl. Bachtin 1981,
bes. 259-422. Vgl. auch Nimis 1999; Roilos 2004. Zur Heteroglossie und Amphotero-
glossie vgl. auch Roilos in diesem Band.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 253

Leben' beziehen, und ursprünglich mit der Okkasion zusammenfallende


Genres aufgrund ihrer markierten und poetisch anmutenden Ausdrucks-
weise erst sekundär zu 'Literatur' werden, tritt mit der medialen Wende
zur dominanten Schriftlichkeit eine radikale Veränderung der Produk-
tions- und Rezeptionsbedingungen von Texten ein.45 Erst mit dem im
Hellenismus einsetzenden Erblühen einer wirklichen Buchkultur besitzen
wir automatisch Literatur im heutigen Sinn, also ästhetisch ausgefeilte
Poesie oder Prosa. Als typisches Produkt der Zweiten Sophistik ist der Ro-
man vor allem ein Werk so verstandener Literarizität, 46 wenn man ihn
auch nicht anachronistisch in der bürgerlichen Ästhetik der sogenannten
'Autonomie der Kunst' verstehen sollte. Denn selbst in der Kaiserzeit sind
Mythos und Ritual nicht einfach tote, abgestorbene Entitäten, die nur noch
als poetische Motive zur Verfügung stehen, sondern sie existieren sowohl
in traditioneller Form, also in lebendiger performativer Praxis, als auch
vor allem in der Literatur weiter, wenngleich in kunstvoll gesuchten For-
men. Auch hellenistische und kaiserzeitliche Texte sind dementsprechend
von diesen Diskursen geprägt. Die Komplexität der Gattung wird dadurch
gesteigert, daß der Roman sich nach den Grundsätzen der Zweiten Sophi-
stik an archaischen und klassischen Modelltexten ausrichtet, in denen wir
noch eine eher traditionelle, pragmatisch verortete Durchwirkung von
Mythen, Riten und Aufführungstext vorfinden. Überall im Roman gibt es
Anspielungen auf Homer, insbesondere auf die Odyssee, die als Modell-
und Schlüsseltext par excellence der Romane fungiert, auf die frühgrie-
chische Lyrik, auf die Tragödie, Alte und Neue Komödie und die Historio-
graphie. 47 Gerade in der Odyssee, bei Sappho und zum Teil im griechi-
schen Drama spielt die weibliche Initiation sowie Ehe und Treue eine
große Rolle.48 Es können hier auch Mentalitäten und Vorstellungen behan-
delt werden, die in der Kaiserzeit nicht mehr in derselben Weise bestehen,
wobei in der Verschiebung freilich wiederum etwas anderes ausgedrückt
werden kann. In dieser Heteroglossie kann man ein ausgeprägtes Spiel von
Anspielungen, Austausch und Übernahmen in Form von Intertextualität,

45
Vgl. Bierl 2001.
46
Zur Zweiten Sophistik vgl. Borg 2004.
47
Zur Intertextualität im Roman vgl. Fusillo 1989; zu Sappho und Chariton vgl.
ζ. B. Bierl 2002.
48
Zur Odyssee vgl. u. a. Papadopoulou-Belmehdi 1994 und unten Anm. 83; vgl.
u. a. Bierl 2003 (zu Sappho); 2001 (zur Komödie); 1994 (zur Tragödie). Vgl. Bierl in
Band I, 23-25.
254 Anton Bierl

aber auch Interdiskursivität und Interperformativität ausmachen. Denn es


werden neben der Orientierung am literarischen Kanon auch lebendige,
volkstümliche und auf Mythen und Riten basierende Märchen und Legen-
den aufgenommen und in das Textcorpus integriert. Und eine solche tradi-
tionelle Erzählung kann bei der Rezitation unter Umständen sogar eine
rituelle Funktion erfüllen.

Gleichberechtigte Liebe oder der Fokus auf die Frau als vermittelndes
Zeichen

Wie Margaret Alexiou (2002) gehe ich von einer von Brüchen und Über-
lagerungen gekennzeichneten partiellen Kontinuität der spätantiken, by-
zantinischen und neuzeitlichen imaginären Mentalitätsstrukturen gerade
im mythisch-narrativen Volksgut der Griechen aus.49 Mythen "als traditi-
onelle Erzählung mit sekundärer und partieller Referenz auf etwas von
kollektiver Bedeutung" 50 vermitteln zwischen Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft, Wahrem und Falschem, Mündlichkeit und Schriftlichkeit,
Alltäglichem, Heiligem und Kosmischem. 51 Alte, schon literarisch überlie-
ferte Mythen, hier vor allem aus dem Epos und der Tragödie bekannte
Sagen, stehen neben mündlichen Wanderlegenden, auf die man in immer
neuen Varianten reagiert und repliziert. Diese Geschichten besitzen ein
narratives und fiktionales Potential, das sich sprachlich in einer Kette von
Metaphern und Metonymien äußert. Aus dem Alltagsbereich und Lebens-
zyklus gewonnene Metaphern stellen zugleich die Grundlage für rituelle
Handlungen dar. Viele nachantike griechische Erzählungen und volks-
tümliche Lieder inszenieren in hochpathetischer und phantastischer Weise
Krisen und Angstzustände, wodurch sie selbst nahezu rituelle Funktion
haben können. Ein wichtiges Thema stellt gerade auch die Welt des jun-
gen Mädchens in der Pubertät und die dramatische Schwellensituation der
Hochzeit dar. Die Frau, die in den Romanen der Liebe entsagt und doch
mit der Sexualität konfrontiert wird, ist eine ideale Vermittlerin. Sie medi-

49
Diese Kontinuität ist Basis des den beiden Bänden zugrundeliegenden Konzepts
für das Symposion mit dem Titel "Literatur und Religion: die Griechen, vorher, nachher
und heute. Mythisch-rituelle Strukturen im Text". Von den nämlichen Prämissen gehen
auch Yatromanolakis/Roilos 2004 und Roilos in diesem Band aus.
50
Übersetzt nach Burkert 1979, 23.
51
Alexiou 2002, 153.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 255

atisiert zwischen patriarchalen Ansprüchen, neuen religiösen Formen und


sexuellen Tagträumen und Machtphantasien.52 David Konstan (1994, bes.
14-59; 2006) geht von einer Symmetrie der Geschlechter im Liebesroman
aus. Das "Erzählmuster" eignet sich seiner Meinung nach auf ideale
Weise, die "Unerschütterlichkeit von eros, angesichts zahlreicher Bewäh-
rungsproben und Versuchungen zu illustrieren". Denn - so fährt er fort -
"Liebe wurde nunmehr als ein gegenseitiges und dauerhaftes Gefühl
begriffen, das als Grundlage für eine bürgerliche Ehe dienen konnte"
(Konstan 2006, 4). Trotz aller im narrativen Duktus angelegten Gleichbe-
rechtigung liegt meines Erachtens ein deutlicheres Gewicht auf der Pro-
blematik der keuschen Frau. Es wurde schon häufig gesehen, daß die
Romanheldinnen stark und standhaft sind, während ihre männlichen
Partner eigenartig schwach, labil und wenig heldenhaft agieren. 53 Die
standhafte Frau ist der Hauptfokus, an ihrer Person wird das Problem
hauptsächlich dargestellt. Sie ist das Mysterium der Liebe, während der
Mann zwar Ähnliches durchmacht, ihr aber untergeordnet ist und weitaus
weniger Charisma besitzt.

Die rituell-performative Funktion: Der Roman zwischen παραμύθι


und παραμυθεΐσθαι als Mittel zur imaginären Krisenbewältigung
und Formung eines kulturellen Gedächtnisses

Im Neugriechischen heißt eine phantastische Geschichte, wie sie im


Roman erzählt wird, παραμύθι - der Begriff ist aus dem 'bedeutsamen,
autoritativen Wort', dem Mythos, und der Vorsilbe παρα, 'entgegen', zu-
sammengesetzt; im Altgriechischen hat das Verbum παραμυθεΐσθαι auch
die Bedeutung von 'trösten' und 'abmildern'. Das dazugehörige Substan-
tiv lautet παραμυθία, 'Trost'. Diese Erzählungen (παραμύθια) griechi-
scher Volkstradition bestehen aus unheimlichen Wundergeschichten, die
typischerweise von magischen Vorstellungen, Dämonen- und Aberglau-
ben, Krisen- und Traumszenarien sowie Heilungen handeln. All das erin-
nert deutlich an die Inhalte des Romans und stellt gewissermaßen sein

52
Alexiou 2002; zu den Tagträumen und Machtphantasien vgl. auch Heiserman
1977, 75-93 (zu Chariton).
53
Vgl. Rohde 1876, 383 (1. Aufl. 356) und nun auf neuer Grundlage Haynes 2003,
81-100. Vgl. auch Konstan 1994, 15-26, der freilich die Passivität der männlichen Helden
als Zeichen der Gleichberechtigung in Sachen Liebe liest.
256 Anton Bierl

oral-populäres Substrat dar, das von der literarischen Hochkultur überla-


gert ist.54 Je nach Ausprägung ist entweder der eine oder der andere As-
pekt präsenter. Chariton ist hauptsächlich ein Autor von Mythhistorie mit
Homerischen Einlagen. Die Ephesiaka des Xenophon von Ephesos glei-
chen am meisten einer traditionellen mirakulösen Volkslegende. Der Ro-
man Leukippe und Kleitophon des Achilleus Tatios stellt eher ein an die
Komödie angelehntes parodisches Gegenlesen gegen die idealistische
Konstruktion dar; Longos' Daphnis und Chloe kann man als ein an der
Bukolik des Theokrit orientiertes mythisches Urbild der Liebe ohne Reise
auf dem festen Platz der Sappho-Insel Lesbos charakterisieren, Heliodors
Aithiopika als eine multikulturelle, mystisch-philosophische Überhöhung
einer reinen Liebe. In allen Romanen und volkstümlichen παραμύθια
wird freilich ein rite de passage auf den Achsen des Raumes ausgebreitet.
Nach dem klassischen Dreistufenmodell Arnold van Genneps (1909) setzt
sich ein solcher krisenhafter Übergang, gerade auch die Initiation Jugend-
licher, aus den Phasen Trennung - Übergang - Rückkehr/Reintegration
zusammen. Zu Beginn wird das Individuum aus seiner bisherigen Welt
gelöst, was oft mit Schmerz und Gewalt verbunden ist. Im langen Transi-
tionszustand der Marginalität ist es mit dem 'Anderen' konfrontiert. Diese
imaginären und phantastischen Episoden werden im Roman aneinanderge-
reiht, bis die Figuren nach einer langen Irrfahrt und schrecklichen Aben-
teuern zum Ausgangspunkt zurückkehren, nach einer Übergangsphase
schließlich heiraten, die Wiederaufnahme nach der Absonderung im wil-
den 'Anderen' festlich begehen und danach ein bürgerliches Leben führen.
Der Roman schwelgt in dieser marginalen Mittelphase und weidet den
Alptraum bis zur Unendlichkeit aus.
Bezüglich der raum-zeitlichen Erfahrung ist Bachtin der Ansicht, die
primäre Dimension des Romans sei der Raum, wobei der Wert auf der
zeitlichen Achse sich gleichsam gegen Null bewege. Daher habe die sich
perpetuierende Abenteuerzeit überhaupt keine Auswirkungen auf histori-
sche oder alltagsbezogene Prozesse, am wenigsten auf die biologische Zeit
der Helden. Nach dem russischen Formalisten machen sie keinerlei Rei-
fung durch. 55 Diese prinzipiell richtigen Beobachtungen haben in letzter

54
Vgl. Alexiou 2002, 151-171, bes. 162-167, 211-265; 2004, 105-109; sie spricht zu
Recht von "magic realism" in diesen phantastischen Erzählungen (112-117).
55
Bes. Bachtin 1981, 86-110 (dt. Bachtin 1989, 9-38). Vgl. nun zu Bachtin und dem
Roman Branham 2005 mit meiner Rezension in M H 63, 2006, 227-228.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 257

Zeit einige Kritik und manche Ergänzung erfahren. 56 Zu fragen bleibt, ob


die Abenteuerzeit wirklich keine Spuren bei den Jugendlichen hinterläßt.
Manche Interpreten sprechen dagegen jüngst sogar von einer paideia im
Roman. 57 Oder ist das Ganze doch eher eine spielerische Phantasie, ein
Freiraum für Gefühle, Ängste, Vorstellungen, zum Trost, um in der Ima-
gination alles durchzuspielen, um so die traumatische Schwellenkrise er-
träglich zu machen und solche Erfahrungen in das kulturelle Gedächtnis
zu überführen?
Das grenzüberschreitende Element, das in der Vorsilbe π α ρ α steckt
und sich im Gattungshybrid sowie in der Struktur der Geschichte manifes-
tiert, wird interessanterweise just in den der performativen Volkskultur am
nächsten stehenden Ephesiaka gleich dreimal mit dem Wort παρα-
μυθεΐσθαι umgesetzt, dessen Bedeutung bisher kaum verstanden wurde.
Habrokomes und Anthia treffen sich zum ersten Mal bei einer Artemis-
prozession (1.2.2-1.3.1). Die Liebe auf den ersten Blick (1.3.1-2) löst eine
tiefe Wunde und seelische Krankheit aus (1.3.3-1.5.4). Die Eltern der
Kinder können sich nicht mehr anders helfen, als Priester und Wunder-
heiler zu beauftragen, um die Lösung von den bösen Geistern zu bewirken
(1.5.5-9). Schließlich greift man in der Verzweiflung zum letzten Mittel,
nämlich der Befragung des Apollon-Orakels in Kolophon, das klar auf die
Liebe Bezogenes verkündet, freilich nichts Gutes ahnen läßt (1.6). An dem
Spruch rätseln die Menschen herum und verstehen die Bedeutungen von
Krankheit, Flucht, Fessel und Grab (1.7.1), die sich ganz über die Symbo-
lik auflösen lassen, nicht wirklich. 58 Da scheint es ihnen am besten, dem
Orakel 'entgegenzureden', es zu 'besänftigen' und damit 'abzumildern'
(παραμυθήσασθαι τον χρησμόν, 1.7.2). Bald wird direkt darauf Bezug
genommen: Die Kinder wollen dies nun selbst bewirken (τον του θεοΰ
χρησμόν ... π α ρ α μ υ θ ή σ α σ θ α ι , 1.10.3) und gehen mit dieser Intention
sowie gemäß dem Beschluß der Eltern (1.7.2) auf Reisen. Schließlich
kommt nach einem überaus tränenreichen Abschied noch Angst auf

56
Branham 1995 und 2002 bestätigt grundsätzlich Bachtins These. Vgl. aber Bierl
2006, 73. Konstan 1994, 46-47 hebt hervor, daß auch die Zeit durchaus ein notwendiges
Kriterium für die charakterliche Entwicklung der gattungstypischen sexuellen Symmetrie
zwischen beiden Helden darstelle. Einer Revision unterziehen die Theorie auch Whit-
marsh 2005, bes. 113, 116-119 und Ballengee 2005, bes. 135-137.
57
Winkler 1990; Laplace 1991; 1994; Kussl 1992; Morgan 1994; 1996 (wo er
wiederholt von "Bildungsromari" spricht und exakt auf den Z u s a m m e n h a n g mit Bachtin
eingeht, 166); 2004; Lalanne 2006; Alvares 2007.
58
Vgl. Bierl 2006, 87-88.
258 Anton Bierl

(1.10.7-11.1), doch, so heißt es, 'es besänftigte sie in allem die gemein-
same Schiffsreise' (παρεμυθεΐτο δ' αυτούς εις απαντα ό μετ' αλλήλων
πλους, 1.11.1). Unmittelbar danach stürzen beide in den alptraumartigen
Strudel der phantastischen und schrecklichen Ereignisse, die Trennung
und unendliches pathos verursachen (1.13-5.8), bis sie zuletzt nach einer
Irrfahrt über das Mittelmeer, die sie von Ephesos über Ägypten bis nach
Unteritalien führt, in Rhodos wiedervereint werden. Nach der Rückkehr
leben sie in Ephesos glücklich wie im Märchen bis ans Ende ihrer Tage
(5.15).
Παραμυθεΐσθαι ist in diesem Zusammenhang wohl ein Verbum, das
in selbstreferentieller Weise den in der Performanz oder im Vorlesen aus-
gespielten Inhalt der erotischen Irrfahrten und am Körper ausagierten
Greuel, die παραμύθι, bezeichnet. Diese Wundererzählung bewirkt in der
Grenzüberschreitung vom Realen ins Phantastische, daß das 'Andere' in
einer spezifischen Krisensituation, nämlich an der Schwelle der jungen
Menschen zum Erwachsenendasein, ausagiert wird. Im Erzählen und Hö-
ren einer solchen populären Geschichte können, so meine These, die damit
verbundenen Ängste und traumatischen Vorstellungen auf fast rituelle
Weise bearbeitet, ja, in einer fast magischen Form des 'Gegenanspre-
chens' geheilt werden.

Von der Mysterieninitiation zur 'Initiation' von Jugendlichen

In den Texten wird wiederholt explizit auf Mysterien verwiesen. Lange


Zeit hat man dieses religiöse Motiv so überdeutlich gesehen, daß, wie
gesagt, Merkelbach die griechischen Romane (außer Chariton) als 'Myste-
rientexte' der im ausgehenden Altertum florierenden Einweihungskulte
der Isis, des Mithras und des Dionysos interpretierte. Ihr eigentlicher Sinn
sei nur den Eingeweihten verständlich. Denn hinter dem 'Oberflächen-
sinn' einer einfachen literarischen Erzählung könne man in jeder Episode
dechiffrierbare Anspielungen auf mystische Geheimnisse erkennen. 59

59
Vgl. dazu Bierl in Band I, 26-28; Merkelbach 1962; 1988; 1995. Über die mythi-
sche Figur des Daphnis wollte Wojaczek 1969 im Anschluß an Merkelbachs Longos-
Interpretation (1962, 192-224) schließlich sogar die Bukolik mit der dionysischen
Mysterientradition der β ο υ κ ό λ ο ι verbinden und in der Nachfolge von Reitzenstein (1893,
204-228, bes. 204-208) den dionysischen Ursprung erweisen, was methodisch ebenso
fragwürdig bleibt. Zur Kritik vgl. Geyer 1977, 179-183.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 259

Nach Merkelbach reinszenieren die Helden die Geschichte von Isis und
Osiris. Ihre Hochzeit entspricht dann der Initiation, die Reise ist Sinnbild
der Leiden im diesseitigen Leben, das im griechisch-ägyptischen Myste-
rienkult durchgespielt wird. Die stereotype Anordnung der Abenteuer wird
als Beweis des religiösen Sinns gelesen. Das vom Geliebten getrennte
Mädchen spielt demnach Isis auf ihrer Suche nach Horos-Osiris. Der
Treueeid ist als Eid der Mysten zu verstehen, die restlichen Abenteuer,
besonders Geißelungen und Scheintode, entsprechen den Prüfungen des
Initianden. Jedes θαρρεΐν wird folglich als Anspielung auf die feste My-
sterienformel interpretiert. Der obligatorische Schiffbruch kommt laut
Merkelbach einer Taufe gleich. Kreuzigung, Nilabenteuer, Fesselung und
Mumifizierung bezieht er ebenfalls auf Rituale des Osiris. Weil neben Isis
andere Göttinnen wie Artemis hervortreten, greift Merkelbach auf das
Mittel des Synkretismus zurück, um Isis mit Artemis gleichzusetzen. Und
da Helios bei Xenophon und Heliodor eine prominente Rolle spielt, nimmt
Merkelbach sogar eine spätere Überarbeitung an.60
Die hierbei herangezogenen Textstellen mit angeblich mystischem
Sinnpotential deutet man nach der heftigen Kritik an dieser Position heute
meist als gattungsspezifische Versatzstücke der literarischen Komposi-
tion.61 Winkler hat, wie oben beschrieben, in heftigen Debatten mit An-
hängern dieser religiösen Ursprungsthesen der innerliterarischen Richtung
mit entscheidenden Arbeiten den Weg geebnet. 62 Beck (1982; 1996) ge-
lingt eine Vermittlung, indem er zeigt, daß sich die Ansätze von Winkler
und Merkelbach eigentlich gegenseitig ergänzen. Seiner Ansicht nach
teilen die Romane mit den Mysterien die Auseinandersetzung mit den
Themen der Rettung sowie der τελετή und der δρώμενα. Insgesamt argu-
mentierten Merkelbach und seine Gegner in der Tat aneinander vorbei.
Die Mysterien stellen für den Roman wohl kaum die sakralen "Wurzeln"
dar, und noch viel weniger erfährt der Kult der Eingeweihten seine Be-
gründung in einem literarischen Text aus spannenden und pathetischen

60
Diese Methode erinnert in mancherlei Weise an eine esoterische Arkandisziplin.
Die Verstehenslücke wird mit einem Geheimnis, von dem wir wenig wissen, aus dem
W e g geräumt. Zudem werden neuzeitliche Kategorien als Erwartungshorizont an den
Text gelegt; er muß angeblich in einer bestimmten Form sein, ist es aber nicht, weil er re-
ligiös ist; 'religiös' wird dementsprechend mit 'geheimnisvoll-andersartig' gleichgesetzt.
61
Zur Kritik an Merkelbach vgl. Berti 1967; Geyer 1977; Turcan 1963; 1989.
62
Winkler 1980; 1982; 1985a. Vgl. auch Holzberg 1986, 50, 75 und Versnel 1993,
71.
260 Anton Bierl

Liebes- und Abenteuergeschichten, der in verschlüsselter Form den ίερός


λόγος wiedergibt. 63 Trotzdem lassen sich die Mysterien als entscheidender
Subtext der Plotstruktur nicht einfach wegdiskutieren. Anstatt freilich
einen absoluten religiösen 'Hintersinn' zu postulieren, ist es wohl ange-
messener, die Mysterien als nur eines von vielen möglichen mythisch-ritu-
ellen Referenzmodellen zu betrachten. Die Schnittmenge ist in der Tat die
Suche nach Vollendung, das Streben nach Vollkommenheit auf einem
Weg mit zahlreichen Prüfungen, die zur Komposition phantastischer
Handlungsketten über Verschiebungen und Kombinationen im literari-
schen Schaffensakt umgesetzt werden.
Der griechische Liebesroman ist, wie gesagt, auf keinen Fall ein 'My-
sterientext', wie dies Merkelbach, Witt oder Chalk meinten. 64 Die
häufigen Bezüge auf Mysterien und theologische Sinnsuche sind vielmehr
nur Teil einer den Text durchweg bestimmenden Metaphorologie und Er-
möglichungsstruktur. Jedes Detail eines Romans ist dem Genre unterwor-
fen, das ganz und gar vom Erotischen geprägt ist. In einer solchen Ge-
schichte äußern sich der Mangel, das Begehren und die Verlustangst nar-
rativ in den Abenteuern der Trennung, den schrecklichen Erlebnissen mit
Räubern und Piraten, welche das Gelübde der keuschen Treue durch
sexuelle Gewalt bedrohen, sowie im pathetischen Streben zur Vereinigung
mit dem abwesenden Partner. Die Mysteriensprache ist dem Text immer
dann unterlegt, sobald jemand in die Geheimnisse der Liebe eingeführt
wird. Damit wird auch das Gebot der Dezenz umspielt, sexuelle Dinge
nicht beim Namen zu nennen. 65 Gleichzeitig gelingt es den Autoren mit
solchen Anspielungen, alltäglichen Praktiken des basalen Lebensbereichs
eine Aura der Sakralität zu verleihen. Aus dieser überhöhenden Perspek-
tive entsteht auch der frivole und etwas aufreizende Ton, an dem sich bei-
spielsweise Erwin Rohde so sehr stieß.66 Gerade der Sexualakt, in den
etwa das mannstolle 'Wolfsweib' Lykainion den Knaben Daphnis initiiert,
wird mit solcher Mysterienterminologie ummantelt.
Gleichzeitig verkörpern die keuschen Heldinnen der Romane auch
eine heilige Dimension. Die Reisen haben zudem fast den Anschein einer

63
So Merkelbach 1962, 333.
64
Merkelbach 1962; 1988; 1995; Witt 1971 (zu X.Eph.); Chalk 1960 (zu Longos).
65
Vgl. Burkert 1987, 107-108 (dt. Burkert 1990b, 91).
66
Ζ. B. zu Longos vgl. Rohde 1876, 549-554 (1. Aufl. 516-517). Zur Autorstrategie
der Lust und des begehrlichen Blicks vgl. Goldhill 1995, 1-45.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 261

Pilgerfahrt. Es erstaunt daher gar nicht, daß christliche Erlösungsge-


schichten, insbesondere die Apostelakte, sich des Modells des Romans be-
dienen. Hier wird oft das Leiden zaghafter und doch wagemutiger Mär-
tyrer beschrieben. Vor allem willensstarke junge Frauen ertragen die
Beschwerlichkeiten für Christus nun in absoluter Ergebenheit, ja Liebe zu
ihm.67 Die unumstößliche Treue eines Paares, die uneingeschränkte Hin-
gabe, wird konsequent umgearbeitet zu einem christlichen Erbauungstext.
Für Konstan ist der Schritt nur folgerichtig; seiner Meinung nach beruht
der Roman auf der neuen Vorstellung der individuellen, auch stoischer
und epikureischer Tradition verpflichteten Autonomie der Person, die bei-
den Strängen gemein ist. Er übersieht dabei freilich die gegenstrebigen
Phantasien, das sexuelle Gleiten, das Träumen selbst von der Übertretung
der Treue. Viele Helden begehen diesen Treuebruch in der Tat, manch
keusche, nahezu heilig-reine Heldin spielt mit dem Gedanken in einer
sexuell aufgeladen Traumwelt. 68 Zumindest wird dem begehrlichen Blick
der Leser ihr Körper zum Objekt und damit entheiligt. Die Romanciers
pflegen das Thema der unumstößlichen Liebe noch mit Begrifflichkeiten
Piatons anzureichern, der die Liebe unter Beiziehung von Mysterien-
inhalten ebenfalls metaphorisch zur Darstellung des Aufstiegs zu den
höchsten Ideen verwendet, 69 zudem mit Gedankengut neuplatonischer und
-pythagoreischer Provenienz. Gerade bei Heliodor vermutet man, überall
liege etwas Numinöses zugrunde, eine geheime Letztbegründung, auch
wenn das Ganze nur zur leicht parodistischen Pose und Überhöhung eines
viel 'menschlicheren' Themas dient.70 Die lebensweltliche Erotik der Gat-
tung erhält damit eine ironische Note, einen Sinnüberschuß, der die Texte
so reizvoll macht. Merkelbach und andere ließen sich von dieser sym-
bolischen Aufladung offensichtlich täuschen. Und ganz ähnlich verhält es
sich mit dem byzantinischen Roman, wo man bei Eustathios Makrem-
bolites' Hysmine und Hysminias in Weiterentwicklung der Merkel-
bachschen These eines 'verkleideten' Mysterientexts im Sinne einer Ver-
schleierung kultischer Realitäten eine christlich-mystische Deutung an-

67
Vgl. Konstan 2006, 11-27; Ramelli 2005.
68
Vgl. nun Burrus 2005.
69
Vgl. Krummen in diesem Band.
70
Vgl. D o w d e n 1996. Zu Heliodor und der Religion vgl. den Überblick bei Futre
Pinheiro 1991a, 359 mit Anm. 1.
262 Anton Bierl

nahm. 71 Hier werden im Zuge einer nachträglichen allegorischen Exegese


nach dem Vorbild der Deutung des Hohenlieds alle erotisch-synästhe-
tischen Merkmale als Symbole angesehen.72
Die Romane sind jedoch nicht wirklich religiös und daher auch nicht
als Allegorie einer verborgenen Bedeutung zu lesen. Ebensowenig geht es
um Verrätselungen einer tatsächlichen Initiation in Geheimkulte. Vielmehr
steht den Romanschriftstellern auf der narrativen Strukturebene eine ganz
andere Form der Einweihung zur Verfügung: die Initiation Jugendlicher in
den Status des Erwachsenendaseins. Dieses grundlegende Thema eines
rite de passage ist so evident, daß es verwundert, daß man erst in letzter
Zeit darauf gestoßen ist.73 Ein solches nach van Gennep dreiteiliges
Handlungsgerüst (separation, en marge, aggregation - Trennung, Limina-
lität, Reintegration in die Gemeinschaft im neuen Status) liegt letztlich fast
allen Erzählungen zugrunde, so daß man sich davor hüten muß, ein
solches pattern unspezifisch als passe-partout zu verwenden. 74 Im Liebes-
roman erscheint jedoch dieses Handlungsmuster nahezu selbstverständ-
lich. Jungen und Mädchen befinden sich im zarten Alter der Pubertät - sie
sind 15 und 13, 16 und 14 oder 17 und 19 Jahre alt - und das τέλος ihrer
Geschichte ist die Hochzeit. Synchron werden beide Jugendliche in den
Erwachsenenstatus von Frau und Mann eingeführt, der wie in allen tradi-
tionellen Gesellschaften durch die Heirat, den γάμος, besiegelt wird. Im
Diskurs der Liebe finden auf der Ebene der Makrostruktur der Texte exakt
eine Trennung vom bisherigen Leben, ein Übergang auf der Reise in der
Welt des 'Anderen' und eine Rückkehr in die Gesellschaft statt. Die ju-
gendlichen Protagonisten werden dabei einer paideia unterzogen, wie nun
zuletzt vor allem Sophie Lalanne (2006) gezeigt hat. Am Ende steht beim
Mädchen die Unterweisung in die Werte und Normen einer patriarchalen

71
Vgl. Plepelits 1989, 29-69; er verweist auf das Vorbild mystisch-allegorischer
Deutungen des antiken Romans von Seiten byzantinischer Gelehrter (29-30); solche Inter-
pretationen haben seiner Meinung nach nichts mit Merkelbach zu tun (30 Anm. 78).
72
Vgl. dagegen Alexiou 2002, 111-127, 256, 304, 346; sie liest den Roman als Ent-
deckung der Sexualität.
73
Vgl. u. a. Schmeling 1974, 137-138, 141; Garcia Gual 1992; Epstein 1995, bes.
68-73; Laplace 1991, bes. 36-47; Couraud-Lalanne 1998a; 1998b; Whitmarsh 1999;
Dowden 1999; 2005. Monographische Behandlung erfährt diese These erst bei Lalanne
2006; vgl. die ausführliche Rezension von D. Konstan in BMCR 2006.09.05. Zur Initia-
tionsstruktur des Romans vgl. Burkert 1987, 66-67 (dt. Burkert 1990b, 56-57); Whit-
marsh 1999; Dowden 1999; 2005; Alvares 2007, bes. 3.
74
Vgl. Versnel 1993,51-74.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 263

aristokratischen Gesellschaft, wobei sich die Frau dem Mann im οίκος und
in der Polis ganz zu unterwerfen hat. Ziel sind Hochzeit und Ehe, die Ge-
burt von Kindern, um die Aufrechterhaltung der männlichen Linie zu
sichern. Beim männlichen Jugendlichen steht die Erziehung zu den kriege-
rischen Werten im Zentrum, schließlich die Hochzeit und Gründung einer
Familie. Sehr gut lassen sich diese Motive bei Chariton verfolgen. 75
Lalanne hat diese Thematik des Übergangs der Altersklassen jüngst aus-
führlich behandelt. 76 Es ist allerdings fraglich, ob die Romane wirklich zur
paideia und Identitätsbildung der kleinasiatischen Griechen der adeligen
Oberschicht unter der Herrschaft der Römer in der Kaiserzeit dienen
konnten, wie dies andere Texte der Zweiten Sophistik tun. Nach dem Vor-
bild der archaischen Phase versucht Lalanne, einen soziohistorischen
Kontext nach einem literarischen Text zu bestimmen, und vergißt dabei
eventuell den literarischen Sonderstatus, seine Alterität. Daher will ich
weniger den kulturwissenschaftlich-historischen als den strukturellen
Aspekt der narrativen Orientierung an Pubertätsweihen betonen. Daphnis
und Chloe basiert ganz und gar auf dieser Makrostruktur, aber auch in der
Mikrostruktur finden sich hier wie in allen Romanen zahlreiche Hinweise
auf die Initiation von Jugendlichen. 77 Longos komponiert aus dieser The-
matik einen archetypischen Ur-Mythos, nämlich wie zwei naive Hir-
tenkinder über vier Bücher hinweg heranreifen, um zum vollständigen
Vollzug ihres erwachenden sexuellen Triebs zu gelangen. Den Akt der
endgültigen Vereinigung als τέλος fuhren sie schließlich - in der Konven-
tion eines patriarchalen adligen Wertekodexes - erst in der Hochzeitsnacht
durch. Entgegen Lalanne (2006, 183-274), die darin aus althistorischer
Perspektive neben der politischen Identitätsbildung mit anderen auch ei-
nen Beitrag zur Konstruktion der Gender-Rolle der Leserinnen und Leser
sieht, möchte ich den innerliterarischen und ironisch-parodischen Aspekt,
kurzum den Spiel- und Imaginationscharakter dieser Texte betonen. Die
Initiation ist meines Erachtens weniger in der kaiserzeitlichen Gesellschaft
als vielmehr in den archaischen Bezugstexten von zentraler Bedeutung.
Wir haben also auch hier wieder ein typisches Phänomen der Intertextuali-
tät, -ritualität, -performativität und -diskursivität vorliegen. In der Archaik
verarbeitet gerade Lyrik, ζ. B. die Lieder eines Alkman oder einer Sap-

75
Vgl. Schmeling 1974, 137-138, 141; Balot 1998; Couraud-Lalanne 1998b.
76
Für alle fünf großen griechischen Liebesromane vgl. Lalanne 2006, 101-180.
77
Vgl. u. a. Garcia Gual 1992; Epstein 1995.
264 Anton Bierl

pho, 78 Vorstellungen dieses zentralen Paradigmas, wobei 'Literatur' hier


freilich in einem 'Sitz im Leben' aufgeführt wird, noch pragmatisch und in
der ursprünglich mündlichen, lebendigen Performance zum Zweck des
Statuswechsels. Diese mentalen und kulturellen Muster werden nun viele
Jahrhunderte später in einen ganz anderen soziokulturellen Kontext ge-
stellt und zu einer fiktionalen Unterhaltungsliteratur umgeformt. Die in
Literatur, aber auch im Volk mittels ritueller Praktiken oder traditioneller
Geschichten tradierten Vorstellungen des Imaginären sind nicht abgestor-
benes Kulturgut, sondern sie bleiben Mittel zur Thematisierung anthropo-
logischer Grundproblematiken. Ich behaupte also, daß auch der literarisch
und intertextuell komplexe griechische Roman, ebenso wie einfache
volkstümliche Legenden und Wundergeschichten, die Krise des Über-
gangs vom Mädchen zur Frau, vom Jungen zum jungen Mann, als drama-
tische Schwellensituation der Hochzeit unter historisch völlig gewandelten
Bedingungen in Form eines traumatisch-phantastischen Traums in Szene
setzt, verhandelt, verarbeitet und umspielt. Zudem dient die Gattung allen
Leserinnen und Lesern natürlich auch zur Freude am sonst eher tabui-
sierten Thema der Liebe und Sexualität sowie ein wenig zur intellektuellen
Erbauung.
Spaßhaft und in deutlicher Anlehnung an Thukydides' programmati-
sche und methodische Vorbemerkungen sagt Longos in seinem Proöm,
daß er seinen Roman im agonistischen Wettstreit mit einem Reihenbild
dem Eros als Weihgeschenk darreiche, 'allen Menschen aber ein erfreuli-
ches Besitztum, das dem Kranken zur Heilung, dem Trauernden zum
Trost, dem Liebeskundigen zur Erinnerung, dem Unkundigen als lehrende
Vorbereitung dienen wird' (... κτήμα δε τερπνόν πάσιν άνθρώποις, δ και
νοσοΰντα ίάσεται και λυπούμενον παραμυθήσεται, τον έρασθέντα
άναμνήσεν, τον ουκ έρασθέντα προπαιδεύσει, praef. 3). Neben rhetori-
schem Wortgeklingel und platonischen sowie sophistischen Vorstellungen
der Wiedererinnerung (anamnesis) und Propädeutik findet sich hinter der
ironischen Distanzierung erstaunlicherweise erneut das traditionell-volks-
tümliche Motiv solcher Legenden (παραμύθια), nämlich die Heilung und
die mythische oder 'para-mythische' Behandlung des Besorgten und Lie-
besleidenden über die Performanz des Textes. Im Lesen beziehungsweise
Hören eines solchen Textes, der die liminale Situation der Krise des Er-
wachsenwerdens umspielt und in der spezifischen Metaphorologie eine

78
Vgl. u. a. Calame 1977; Bierl 2003.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 265

Anhäufung von traumatischen Abenteuern aneinanderreiht, finden wir auf


unsere Ängste, analog zu einem Ritual oder darauf gegründeten Mythos,
Bestärkung oder gar Trost, also παραμυθία, im ewigen Antworten, 'Ge-
genreden' und narrativen Weiterspinnen solcher mythischer Motive.

Themen und religiöse Motive

Im folgenden sollen mythisch-rituelle Themen und religiöse Motive,


welche die vom Erotischen gekennzeichnete narrative Struktur auf sym-
bolischer Ebene bestimmen, aufgelistet, kurz skizziert und zum Teil mit
Beispielen erläutert werden. Entscheidend ist, wie gesagt, das Motiv-
cluster der Initiation. Der gesamte mythisch-rituelle Komplex von Hoch-
zeit, Erziehung, Sexualität, rite de passage und Gender-Rollenkonstruk-
tion dient gewissermaßen als Hauptreferenz und dominanter shifter und
mover, der die Handlung generiert und die diesbezüglichen Inhalte, insbe-
sondere die Ängste in Zusammenhang dieses krisenhaften Lebensein-
schnitts, im Imaginären verhandelt. Insgesamt kann man feststellen, daß
alle drei Paradigmen, die für die Analyse des Rituals von der modernen
Religionswissenschaft vorrangig verwendet wurden, also Neujahr, Initia-
tion und Fruchtbarkeit, im Roman vereinzelt oder auch in orchestrierter
Kombination vorkommen. 79 Dementsprechend wird die Liminalitätsphase
der beiden jugendlichen Helden bisweilen auch als verkehrte Welt im
Übergang der Jahre beschrieben. Und gerade die sexuelle Reifung wird
bevorzugt mit Naturvorgängen und Ackerbauvorstellungen in Beziehung
gesetzt.

Initiation
Initiationen weisen als Passageriten strukturelle Ähnlichkeiten mit vielen
volkstümlichen Erzählungen auf,80 so daß eine enge Verzahnung der Ro-
mane mit diesem Paradigma zu erwarten ist. Zunächst werfe ich noch
einen Blick darauf, wie die Thematik der Initiation sich äußert und wie sie

79
Im einzelnen kann ich hier auf meinen ausführlichen Beitrag in Band I verweisen.
80
Vgl. Ruiz-Montero 1988; Nolting-Hauff 1974a; 1974b (nach der Erzählanalyse
von Propp 1928). Vgl. nun auch Renger 2006a, 180-199. Zur Initiation vgl. auch Bierl in
Band I, 23-25. Zu oralen Zügen bei X.Eph. vgl. O'Sullivan 1995; Ruiz-Montero 1994,
1096-1109; 2003; König 2007.
266 Anton Bierl

in Kombination mit anderen Verfahren und religiösen Ausdrucksformen


unterstrichen wird.
a) Die unterlegten Mythen, die zum Teil durch Bildbeschreibungen ein-
gefügt sind, reflektieren die Burkertsche 'Mädchentragödie', 81 ζ. B. An-
dromeda bei Heliodor (4.8.3-5; 10.14.7) und Achilleus Tatios (3.6.3-3.7),
Europa (1.1.2-13) und ihr Raub in der einleitenden Bildbeschreibung bei
Achilleus Tatios, ebenso das Bild von Philomela (5.3.4-8). Diese Ge-
schichten verweisen deutlich auf die Mädcheninitiation.
Auch Referenzen auf das klassische Theater nehmen das initiatorische
Modell bevorzugt auf. Daher bezieht man sich bei der Fokussierung der
Heldin mit Vorliebe auf Euripides' Iphigenie in Tauris,82 während im Um-
feld des Helden gerne Hippolytos ins Spiel gebracht wird. Das intertex-
tuelle Phänomen rekurriert auf mythische Figuren, die in sich bereits vom
Initiationsparadigma bestimmt sind.
Der wichtigste Prätext des Romans ist freilich die Odyssee, die als
zwischen Märchen und Roman stehendes Epos das initiatorische pattern
ebenfalls stark reflektiert. Penelope reaktualisiert den schwebenden Zu-
stand unmittelbar vor der Hochzeit, während Odysseus mit den Freiern in
Konkurrenz tritt und in einer Schlacht mit den Epheben seine Gattin er-
obert, womit die Hochzeit erneuert werden kann. Auch Odysseus wird
plötzlich aus der intensiven Ehe gerissen. Auf seinen Irrfahrten changiert
er zwischen Treue zur geliebten Gattin, Rückkehrwunsch und amourösen
Abenteuern. Penelope wird in einem Zustand unmittelbar am Anfang der
Ehe 'eingefroren'. In ihrer übermäßigen Keuschheit gefährdet sie das
Haus, gleichzeitig hat auch sie eventuell sexuelle Phantasien, sich mit den
Freiern einzulassen. Der Sohn Telemachos wiederum steht selbst an der
Schwelle zum Erwachsensein. Die Suche nach seinem Vater Odysseus ist
eine wichtige Probe und der entscheidende Schritt, der die Krise im Haus
beschleunigt. 83
b) Die Namen der Heldinnen und Helden sind entsprechend dem volks-
tümlichen Substrat 'sprechend' und werden zum Teil 'Programm der

81
Vgl. Burkert 1966; 1979, 6-7; 1996, 69-79 (interessanterweise anhand von
Apuleius' Psyche). Im Roman vgl. u. a. Ach.Tat. 3.15-22.
82
Zu E. / T u n d dem Initiationsthema vgl. Wolff 1992; Bierl 1994, 94-95. Zum
Mythos der Iphigenie im initiatorischen Zusammenhang vgl. u. a. Dowden 1989, 9-47.
83
Vgl. Hölscher 1988, 251-258; Auffarth 1991; vgl. die Z u s a m m e n s t e l l u n g bei
Versnel 1993, 69-73. Vgl. auch Ingalls 2000; Toher 2001. Zur Odyssee als rite de pas-
sagevgl. Segal 1994, 12-84.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 267

Handlung': 84 Leukippe, die Heldin des Achilleus Tatios transportiert als


'weißes Pferd' einerseits die Vorstellung des Mädchens als durch das Joch
der Ehe zu zähmender Stute;85 ferner spielt der Name auf die mythischen
Leukippiden der spartanischen Sage an, die glanzvoll-kosmischen Nym-
phen Phoibe und Hilaeira. Im mythischen Teil des berühmten Jungfrauen-
liedes des Alkman (fr. 1) wird vom gewaltsamen Kampf der Dioskuren,
der Λευκόπωλοι ('Weiß-Pferde'), und der Hippokoontiden um diese Mäd-
chen berichtet. Raub, Gewalt und Kampf als traumatische Erfahrung im
Zusammenhang mit der Hochzeit spielen hier eine große Rolle.86
Leukippe ist ferner eine Spielgefährtin der Persephone-Kore (h.Cer.
418), des mythischen Modells einer Initiandin par excellence Ρ In Orcho-
menos ist sie eine der Minyastöchter, zusammen mit Arsippe und Alka-
thoe. Sich zunächst dem Gotte Dionysos widersetzend, zerreißen diese
später gemeinsam Leukippes Sohn Hippasos, der dem Namen nach wieder
mit dem Pferd zu tun hat. Plutarch (Quaest. Graec. = mor. 299e-f), ver-
bindet den Mythos mit einem Verfolgungsritual, wobei die 'Schwarzen'
(Ψολόεις), welche die trauernden Gatten der Minyaden verkörpern, die
'Mörderinnen' ( Ό λ ε ΐ α ι ) verfolgen. Zuletzt werden sie in Nachtvögel ver-
wandelt. Das ganze Szenario erinnert stark an die Kämpfe zwischen den
ägyptischen Räuberbanden um das Mädchen bei Achilleus Tatios. Die
Agrionia sind als Neujahrsfest ein Reflex dieser Verfolgungsriten zwi-
schen verkleideten Epheben und Mädchen. Die Minyaden werden gerne
mit der Mädchentragödie der Proitiden parallelisiert. Lysippe entspricht
Leukippe, das 'entfesselte Pferd' tritt mit Iphinoe und Iphianassa auf,
Mädchen, die sich männliche Kraft aneignen. Kurz vor der Hochzeit wer-
den sie von Heras Zorn verfolgt. In totaler Auflösung der Ordnung bege-
hen sie allerlei Unzucht, rasen im Wahn nackt durch die Peloponnes und
halten sich in ihrer Geilheit für Kühe. Hera streut eine weiße Substanz
über ihre Haut - sie bekommen einen häßlichen Ausschlag und läßt
ihnen das Haar ausfallen. Sie werden damit weiß, lüstern und wahnsinnig

84
Bierl 2001, 218-219, 280-282.
85
Zum Pferd als Schlüsselsymbol der j u n g e n Mädchen an der Schwelle zum Frau-
sein vgl. A l k m a n s großes Partheneion fr. 1. Zu A g i d o und Hagesichora als möglichen
V e r k ö r p e r u n g e n der Leukippiden ( ' W e i ß - P f e r d e n ' ) vgl. u. a. N a g y 1990, 346. Ihre
gleichnamigen Priesterinnen heißen ' F o h l e n ' . Zum Fohlen als Metapher der jungen Frau
in der Initiation vgl. Calame I 1977, 340, 411-420 (engl. Calame 1997, 195, 238-244).
86
Vgl. Bierl 2 0 0 1 , 4 5 - 5 1 .
87
Vgl. Burkert 1996, 70-71; Kledt 2004, bes. 38-57.
268 Anton Bierl

wie Achilleus Tatios' Leukippe, die später ebenfalls als kahlgeschorene


Λάκαινα erscheint - ein Verweis auf die spartanische Heimat der Leukip-
piden. 88 Die schrecklichen Weibergruppen bestreuen sich im Ritual oft mit
Mehl. Manches erinnert an groteske Masken im Umfeld der Artemis
Orthia. In einer anderen Version steht die Sage im Zusammenhang mit
Dionysos, dem die Proitiden die Ehre versagen. Der Priester Melampus,
der 'Schwarzfuß', verfolgt die wild gewordenen Frauen mit Epheben unter
ekstatischen Tänzen und heilt sie. Er bekommt ein Proitos-Mädchen zur
Frau und wird König. Bei der Verfolgung stirbt Iphinoe, zu deren Ehren
die Agrionia eingerichtet werden. Allein über den Namen Leukippe wird
also das ganze Spektrum der Initiationsphantasie aufgerufen. 89 Es findet
sich die Spannung zwischen dem keuschen und dem sexuell-entfesselten
Mädchen, das die Ehegöttin Hera beleidigt. Auch Dionysos als Auslöser
ist im Roman des Achilleus Tatios verankert. Der 'schwarze Mann' im
Bereich des 'Anderen' ist zugleich gut und schlecht. Er kann das Mädchen
unter das Joch holen und ist damit konträr zum Äußeren rein. Aber sogar
der Geliebte ist im Roman ständig damit beschäftigt, das Mädchen sexuell
zu bedrohen oder mit anderen Frauen Abenteuer einzugehen. Er selbst
stellt vor allem die weitere Gefährdung der intakten Jungfräulichkeit dar.
Das 'Selbst' und das 'Andere', der griechische Held Kleitophon und die
männlichen Dritten, sind somit zum Teil vermengt. Der aggressive Mann,
der im Roman immer weiter auf andere Figuren verschoben wird, verkör-
pert die Gewalt, die der Liebe ursprünglich eigentümlich ist. Doch kann er
in Gestalt des zuletzt in Leukippe verliebten Sklaven des ägyptischen Dro-
genmischers Gorgias ihren Wahnsinn, in dem die Heldin ihre Scham ent-
blößt (4.9.2), auch mit Gegengift lösen. Leukippe wird nämlich durch die
ungemischte Dosis des Liebestranks, den Gorgias' Diener ihr für seinen
Herrn eigentlich in gemischter Form über den Weingott Dionysos verab-
reichen soll, selbst wahnsinnig und lasziv. Gleichzeitig ist sie jedoch der
Inbegriff der Keuschheit. Die letztere Haltung nimmt sie dann in Ägypten
an, was durch die Signifikanten des Weißen und Kahlen symbolisiert wird.
Sie ist Opfer der Gewalt und Sexualität, die sie zum Teil selbst verkörpert.
Deutlich wird hier das Generieren von widersprüchlich-paradoxen Sig-

88
Laplace 1991, 36-47 bezieht sie auch auf Helena.
89
Das männliche Pendant Leukippos ist neben der Vaterfigur der Leukippiden in
Sparta mit den Ekdysia in Kreta verbunden; vgl. Dowden 1989, 62-66. Zu den Mädchen-
Mythen vgl. Burkert 1972, 189-197 (engl. Burkert 1983, 168-176); Dowden 1989, 71-95,
bes. zu Melampus 97-115.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 269

nifikantenketten, die das Thema der Sexualität und der einschneidenden


Krise der Hochzeit aufschieben, umspielen, durcharbeiten und die gesel-
lschaftlichen Normen gleichzeitig in Frage stellen und bestätigen.
Oft sind die Heldinnen nach Nymphen benannt, was die Verbindung
von Sexualität und Natur betont. Vor allem sind die Nymphen die mythi-
sche Verkörperung der Bräute an der Schwelle zur Hochzeit. 90 Kallirhoe,
die Nymphe und Okeanide des 'schönfließenden' Wassers, zerfließt in
Schönheit und Liebe. Die Okeanide ist wiederum Spielgefährtin der Perse-
phone (h.Cer. 419). In der Trauer um ihren Geliebten vergießt sie im Ro-
man in zahllosen Klagen ihre göttliche Stimme (2.3.8). Als Tränenver-
gießerin fungiert sie als emotionaler Fokus des Chariton-Romans. Den
nämlichen Namen trägt eine berühmte Quelle in Athen am Iiissos. In der
Tyrannenzeit wird sie zu einem Brunnenhaus ausgebaut und in Ennea-
krunos umbenannt; aus ihr schöpft man das Wasser für das Brautbad (Hdt.
6.137.3). Ferner ist eine Kallirhoe ein Mädchen aus Kalydon, das dem
Dionysos geopfert werden soll, wenn sich kein Ersatz finde. Der Priester
Koresos bringt die Opferung nicht übers Herz und tötet sich selbst. Da
erkennt das Mädchen seine Liebe und bringt sich ebenfalls um (Paus.
7.21.1). Zudem ist eine gleichnamige Kallirhoe eine Braut aus Ilion, die
von Kimon getäuscht und verführt wird, als sie ein rituelles Bad im Ska-
mandros nimmt (Ps.-Aeschin. Ep. 10).91 Man sieht, wie ein Gewebe von
Bezügen die erotische Geschichte an der Schwelle zur Hochzeit vorberei-
tet. Anthia verkörpert bei Xenophon die Natur, die Blume und den Kon-
sum der Sexualität. Chloe ist bei Longos die mit dem Demeterkult zusam-
menhängende 'Grünsprießende' (Paus. 1.22.3).
c) Gerade die Protagonisten werden häufig mit Gottheiten und Heroen
verglichen, die den Übergangsstatus symbolisieren bzw. für den Übergang
verantwortlich sind. Die adoleszenten Mädchen werden unter anderem mit
Helena, Ariadne, den Nymphen, den Nereiden, Artemis, Isis, Astarte und
Aphrodite parallelisiert, die Jungen vornehmlich mit Achilleus, Neoptole-
mos, Daphnis und Apollon. Außerdem findet öfter ein Rückbezug auf den
klassischen Epheben statt. Nach Winkler stehen die Epheben mit den
τράγοι und τραγφδοί in Verbindung. 92 In diesem Kontext erhält das länd-

90
Vgl. Bierl 2001, 135 Anm. 73.
91
Vgl. Kl. Pauly 3, 84-85 (s. v. 'Kallirhoe') mit weiteren Quellenangaben.
92
Winkler 1985b. Vgl. dazu Bierl 2001, 34, 283-284 und Lämmle in Band I, 360-
361.
270 Anton Bierl

liehe Leben des Daphnis unter Ziegenböcken bei Longos eine neue Kon-
notation (4.17), vor allem auch deren Nachahmung (3.14.5). Bei Chariton
tragen Epheben den Sarg der tot geglaubten Kallirhoe (1.6.5). Zudem
treten zu Beginn freiende Epheben als komastische Rivalen auf, welche
die Handlung in Gang setzen (1.2-1.3.2). Epheben begleiten auch Habro-
komes bei Xenophon (1.2.2-3 und 1.2.8). Waffentänze von Epheben unter-
streichen bei Heliodor den Übergangszustand des Theagenes (3.10.3).
d) Durch Musik, Tanz und Mimus werden bei Longos Mythen und
Rollenmodelle mimetisch-performativ eingeübt (u. a. 2.36-37). Gerade der
Chortanz steht entsprechend der archaischen Situation in der Funktion der
paideia und des rite de passage,93
e) Entsprechend der Tendenz des Rituals, Gegebenheiten des Lebens-
zyklus und der Natur in den Vordergrund zu rücken, wird im Ur-Mythos
der Liebe bei Longos die Initiation von Daphnis und Chloe sehr kunstvoll
mit dem Natur- und Fruchtbarkeitszyklus synchronisiert. Im Laufe von
eineinhalb Jahren spielt sich die Geschichte vom Frühjahr bis zum Herbst
des nächsten Jahres ab. Das τέλος der Hochzeit ist mit der herbstlichen
Reife und Erntezeit des Acker- und Weinbaus parallelisiert. Die Zeit des
Hirtendaseins, in der Longos' ontogenetischer Entwicklungsroman spielt,
ist eine phylogenetische Übergangsperiode, die zum selbständigen Bauern
führt, der sich durch eigenen Anbau ernährt. Außerdem werden in der
griechischen Sprache die Sexualität und das Gebären häufig mit dem
Ackerbau gleichgesetzt. Auch Festanlässe stehen mit der initiatorischen
Grundthematik in Verbindung, so etwa dionysische Weinfeste, besonders
das Kelterfest und Winzerfest bei Longos (2.1-2; 2.31-32; 4.5; 4.33.1 und
schließlich 4.38, wo die eigentliche Hochzeit beim Kelterfest beschrieben
wird) sowie das Fest des Dionysos Protrygaios bei Achilleus Tatios (2.2-
2.3), das durch den Aristophanischen Ausdruck τρυγαν den sexuellen
Verkehr assoziiert.94 Auch die anderen Feste, die den Handlungen Kolorit
geben, stehen immer mit Gottheiten in Verbindung, die mit Liebe und
Initiation zu tun haben. Bei Chariton spielt das Aphroditefest eine große
Rolle (1.1.4). Bei Xenophon von Ephesos liefert das Artemisfest in Ephe-
sos überhaupt erst die Gelegenheit des ersten Treffens der Liebenden

93
Vgl. Pettersson 1992, 48-51; Bierl 2001, bes. 12, 34, 88, 284 Anm. 480.
94
Vgl. den Helden Trygaios und Ar. Pax 1339 sowie Henderson 1975, 65, 167. Vgl.
auch die häufige Verwendung bei Longos, bes. 4.33.2 sowie das Apfelpflücken 3.33.4.
und 3.34.1.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 271

(1.2); bei Heliodor finden sich zahlreiche Apollon- und Artemisfeste.


Theagenes trifft als zweiter Achilleus (2.34.3-2.35.1) zu einer Prozession
und zu Wettspielen in Delphi ein, die an Neoptolemos erinnern (2.34.3).
Ferner werden besonders bei Longos und Achilleus Tatios die Natur,
der Garten und die Landschaft als symbolische Bilder des Körpers ver-
wendet. Gerade die Blume verweist metaphorisch auf die zu konsumie-
rende weibliche Körperlichkeit in der Blüte der Jugend (vgl. auch Anthia
bei X.Eph.; Ach.Tat. 1.15.1-6; 2.1).95
f) Es gibt Lehrmeister der Initiation, die erotisches Wissen vermitteln,
ζ. B. Philetas, Lykainion, Kalasiris, Melite, die den Übergang zum vollen
Erwachsensein in der Ausübung der ehelichen Sexualität als Mann und
Frau in Form von Einführungen in 'Liebesmysterien' theoretisch und
praktisch zu überwinden helfen.
g) Agone dienen der Prüfung in der Phase der Liminalität; bei Frauen
und Männern wird die Keuschheit geprüft, etwa im Syrinx- und Styxtest
bei Leukippe und Melite (Ach.Tat. 8.12-14.4) 96 oder beim Reinheitstest
auf dem glühenden Eisensieb, dem sich Theagenes und Charikleia unter-
ziehen (Hld. 10.8-9.4). Bei Männern wird zusätzlich die Tapferkeit er-
probt. Körperliche Agonistik findet sich ζ. B. beim Stier- und Ringerwett-
kampf im Schlußbuch des Heliodor (10.27-32). Der Krieg, das Ziel der
männlichen Initiation im Gegensatz zur Hochzeit auf der weiblichen Seite,
wird bei Chariton fokussiert. 97 Im Laufe des Romans finden der schwäch-
lich-passive Held und die sexuell phantasierende Heldin zu der von der
Gesellschaft an sie herangetragenen Gender-Rollenidentität. Die im
Roman beliebten Gerichtsszenen und Prozesse (αγώνες) werden ebenfalls
als Agon der Probe inszeniert. Zum Beweis der Schuld oder Unschuld
können öffentlich durchgeführte rituelle Prüfungen (Syrinx- und Styxtest
am Ende von Achilleus Tatios) dienen.
h) Das τέλος des Romans ist die Hochzeit. Dies ist schon vom Modell
der Odyssee her vorgegeben, die selbst in mehrfacher Brechung auf das
Modell des rite de passage rekurriert. 98 Ein zentrales Ziel stellt in einer
patriarchalen Gesellschaft die Nachfolge der Eltern dar. Der dramatische

95
Zu Ach.Tat. vgl. Morales 1995; 2004, 156-226; Mignogna 1995.
96
Vgl. dazu nun Castelletti 2006, 270-280, bes. 270-274.
97
Vgl. Schmeling 1974, 130-141; Balot 1998. Vgl. insgesamt zum Roman Lalanne
2006, 154-204.
98
Vgl. Papadopoulou-Belmehdi 1994 und oben Anm. 83.
272 Anton Bierl

und krisenhafte Lebenseinschnitt wird als Todeserfahrung durchgespielt,


wobei die rituelle Inszenierung der Hochzeit als Tod in Handlung über-
führt wird.
i) Entscheidend ist die Jungfräulichkeit des Mädchens. Der junge Mann
kann das Gebot durchaus durchbrechen. Zur Sicherstellung werden de-
tailliert geschilderte rituelle Keuschheitstests bei Achilleus Tatios (Styx-
und Syrinxtest, 8.12-14.4) und Heliodor (Feuerprobe, 10.8-9.4) in die
Handlung integriert. In diesem Zusammenhang ist auch die explizite Be-
schäftigung mit dem weiblichen Körper von Relevanz. Achilleus Tatios
thematisiert eine Art anasyrma, ein Zeigen der weiblichen Scham im
Wahn (4.9.2), bei Longos erzeugt Lykainion bei Daphnis Angst vor dem
bevorstehenden Akt der Entjungferung, indem sie das weibliche Blutver-
gießen drastisch vor Augen führt (3.19.2-3; vgl. 3.24.3). Damit wird in der
Gender-Formung die potentielle Gewalt unterstrichen. Opferung, Auf-
schlitzen des Unterleibs (Ach.Tat. 2.23-24) und Entnahme der Gedärme
(Ach.Tat. 3.15-16) werden mit dem Sexualakt häufig in einer Signifikan-
tenkette assoziiert." Die Angstzustände im krisenhaften Prozeß äußern
sich beim Mädchen in echten oder vorgetäuschten Zuständen des Wahn-
sinns, der Hysterie und Epilepsie als Heiliger Krankheit (X.Eph. 5.7.4;
Ach.Tat. 4.9-10), was die Grundthematik des Eros als Krankheit auf-
nimmt. Die Keuschheit des jungen Mannes ist im Roman häufig durch die
Schwiegermutter bedroht; so figuriert das 'Hippolytosmotiv' etwa im Fal-
le des Knemon (Hld. 1.9-17, bes. 1.9-12, v. a. 1.10.2). Hüter der Keusch-
heit sind Vater und Mutter, die als Garanten der Gender-Ordnung auftre-
ten (vgl. ζ. B. Pantheia bei Achilleus Tatios 2.23.4-2.29). In der Hochzeit
trennt man sich freilich von Vater und Mutter und gründet ein neues Haus.
Um den Fortbestand der patriarchalen Ordnung zu gewährleisten, müssen
die jungen Leute die Werte der Eltern verinnerlicht haben,
j) Die männliche Homoerotik gilt als Zeichen der Transitionsphase, in
der die männliche Gender-Rollenidentität noch nicht vollständig ausge-
bildet ist.100 Habrokomes geht beispielsweise mit Hippothoos eine enge
Freundschaft ein, der in der eingefügten Geschichte im dritten Buch des
Xenophon von Ephesos (3.2) über seine päderastische Liebe zu Hy-
peranthes berichtet. In den ersten beiden Büchern des Achilleus Tatios

99
Vgl. Morales 1995; 2004, 156-220 für Ach.Tat.
100
Zur homosexuellen Liebe im Roman aus Foucaultscher Perspektive vgl. Goldhill
1995,46-111.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 273

spielt die homosexuelle Liebe des mit dem Helden Kleitophon freund-
schaftlich verbundenen Kleinias eine große Rolle. Sein Geliebter stirbt bei
einem Reitunfall (1.12-14). Später hält Kleinias auf der Überfahrt ein Plä-
doyer für die Päderastie (2.35-36 und 2.38). Mythische Vorbilder liefern
Orestes und Pylades, Achilleus und Patroklos. Wie die schönen Frauen
von männlichen Dritten bedroht werden, so geschieht dies auch auf der
männlichen Seite durch lüsterne Päderasten, ζ. B. Korymbos bei Xeno-
phon von Ephesos (1.13.3-14.7) und Gnathon bei Longos (4.11.2-4.12;
4.16.1-4.19.2). Kleiderwechsel - beispielsweise tritt Kleitophon bei Achil-
leus Tatios als Achilleus verkleidet die Flucht an, nachdem er mit Melite
geschlafen hat (6.1.2-3) - und uneindeutiges Gender-Verhalten verwi-
schen die sexuelle Identität in der Transitionsphase. Daher sind die Frauen
im Roman notorisch stark und resolut, die Männer unentschlossen und lar-
moyant.
k) Tod und Wiedergeburt sind die herausragenden Charakteristika von
Initiationen. Die Initianden müssen symbolisch sterben, was gleichbe-
deutend mit dem Ende ihres bis dato geführten gesellschaftlichen Lebens
ist, um den neuen Status zu erlangen, was als Wiederaufleben bezeichnet
wird. Der Roman umkreist immer wieder dieses Thema, indem der Tod
der Heldinnen und Helden angeblich eintritt oder vorgetäuscht wird. In
zahlreichen Episoden werden die Figuren Todesgefahren ausgesetzt, was
die existentielle Angst vor dem Lebenseinschnitt ausdrückt. Bei Longos
(3.4.2) wird die Thematik mit dem Absterben und dem Wiederaufleben
der Natur (έκ θανάτου παλνγγενεσίαν) parallelisiert. Achilleus Tatios
gelingt es, bei der Beschreibung eines Opferspektakels durch die Ein-
engung der Perspektive auf einen Ich-Erzähler den Zuschauern in der Er-
zählung zu suggerieren, daß Leukippe bei den gewaltsamen Übergriffen
auf ihren Leib den Tod erlitten habe (Ach.Tat. 3.15-16). Durch nachge-
reichte Informationen von Seiten anderer wird dieser Eindruck als Täu-
schung aufgedeckt (Ach.Tat. 3.17.4-3.22), so daß die Heldin dann wieder
ins Geschehen eintritt, also gewissermaßen wiederaufersteht (άναβιώσε-
ται, Ach.Tat. 3.17.4). Xenophon inszeniert hingegen Wunder: der Held
Habrokomes wird gekreuzigt und dann auf den Scheiterhaufen geführt,
doch überlebt er aufgrund übernatürlicher Eingriffe (X.Eph. 4.2). Kalli-
rhoe ist bei Chariton nach einem heftigen Fußtritt ihres eifersüchtigen Gat-
ten scheintot (1.4.12), beim Aufbrechen des Grabes durch Räuber erwacht
sie und kehrt auf fatale Weise ins Geschehen zurück (αλλην έλάμβανε
παλιγγενεσίαν, 1.8.1).
274 Anton Bierl

1) Der Mythos fungiert als mover und shifter, wobei die Figuren häufig
einem Veränderungsprozeß ausgesetzt sind. Alle Romane inszenieren
Jugendliche auf dem Weg zu mündigen Erwachsenen. Das Mädchen er-
langt über einen steinigen und unsicheren Weg ihren Status als Frau, der
Junge erreicht nach tiefsten Verunsicherungen und Unklarheiten in der
Gender-Rolle zuletzt seine Mannbarkeit. Eingefügte Mythen von Meta-
morphosen können im Falle des Longos die Transformation und Über-
schreitung der krisenhaften Schwelle, die im Liminalen des Romans
debattiert wird, untermalen. Am Ende der Bücher eins bis drei werden die
Sagen von Phatta (1.27), Syrinx (2.34) und Echo (3.23) berichtet, so daß
in der zunehmenden Gewaltsamkeit der Statusveränderung schließlich
Chloes Schritt von der παρθένος zur γυνή vollzogen wird (vgl. das Ende
4.40.3; vgl. 3.24.3).101
m) Zeichen und Symbole der Initiation (Zusammenfassung) 102
Folgende Symbole und Themen sind im Roman besonders charakteristisch
für die liminale Phase:
- verkehrte Welt und rite de passage
- Tod, Wiedergeburt
- Haaropfer, Haarscheren, Kleiderwechsel: Leukippe tritt als Lakaina
kahl auf, Anthia hat ein Haaropfer dargebracht. Ein neuer Haar-
schnitt und Kleiderwechsel können ebenso die Marginalität bezeich-
nen.
- Pädagogik und Unterweisung
- rituelle Kämpfe mit Totengeistern, Tieren, Monstern und Gruppen
des 'Anderen'; Angriffe von Geistern und Wilden
- Obszönität, sexuelle Anomalien und Orgien; Homosexualität
- Raubehe und Raub
- Reise, Abenteuer und Irrfahrten
- Prüfungen
- das 'Draußen' in den Wäldern, in den Sümpfen des Nildeltas und in
der freien Natur
- βουκόλοι als ägyptische Räuberbande und Hirten:103 Hierbei ist zu
bemerken, daß das Hirtendasein als phylogenetisches Übergangssta-

101
Vgl. MacQueen 1990, 31-97.
102
Zur Initiationsmorphologie vgl. Breiich 1969, 25-44 und 60-112 (Anmerkungen).
103
Vgl. Bertrand 1988; vgl. auch Henrichs 1972, 48-51.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 275

dium zum Ackerbau gedeutet wird.104 Gruppen von Einzuweihenden


zwischen sieben und zwanzig Jahren werden in Sparta in einer Her-
de (άγέλη) zusammengefaßt. 105 Die Bukolik, 106 auf die Longos in
Daphnis und Chloe zurückgreift, ist damit auch funktional sinnvoll.
Die Gattung des Theokrit ist neben anderen Verbindungen der Dis-
kurs der βουκόλοι, die dadurch gewissermaßen vom ägyptischen
Außen nach Innen, nach Lesbos, transponiert werden, um damit
ebenfalls den rite de passage in der Marginalität auszudrücken.
Folgende Zeichen und Motive können ebenfalls in diesem Kontext einge-
setzt werden:
- Nacktheit
- Jagd
- Narbe am Oberschenkel
- Transvestismus
- Torturen, Hunger, Durst, Schlaflosigkeit, Peitschen, am Körper aus-
agierte Gewalt
- Wahnsinn, Epilepsie, Krankheit
- Versklavung
- Verkauf in die Prostitution
- Tanz
- Sexualsymbolik, erster Kontakt mit Sexualität
- Maske, Bemalungen
- Angst und Gefahr
- Krieg
- Verschlingen, Opfer, Menschenopfer, Omophagie, Sparagmos, Blut-
trinken
- Mädchentragödie
- Labyrinth, Höhlen, Gruben, Orte und Zeiten der Marginalität
- Anarchie
- Pharmakos
- Neujahr
Prozesse (αγώνες) bilden in den Romanen häufig die Überleitung zur
Wiederaufnahme in die Gesellschaft und Normalordnung. Die Jugendli-

104
Vgl. Baudy 1986, 44.
105
Plu. Lyc. 16.4; vgl. Pettersson 1992, 80.
106
Der jugendliche Führer einer ά γ έ λ η wurde Rinderfuhrer ( β ο υ α γ ό ς ) genannt
(Hsch. s. ν. βοΰα, βουαγόρ).
276 Anton Bierl

chen werden als Ausgesetzte und Fremde bisweilen von den Eltern durch
Erkennungszeichen wiedererkannt (anagnorisis). Ein Schlußbankett und
Fest bekräftigt meist die Reintegration. Ziel ist die Hochzeit bzw. ihre Be-
stätigung nach der Rückkehr in die Heimat. Die ganze Bewegung ist
manchmal mit Abläufen in der Natur und im Kosmos synchronisiert. Am
Ende wird die bestehende Ordnung hinsichtlich der sozialen Klassenzuge-
hörigkeit und der Gender-Hierarchie gefestigt.
Aus allen genannten Signifikanten wird im Roman eine Handlungs-
kette konstruiert, die sich über gleitende Metaphern und Metonymien kon-
stituiert.

Weitere Themen und Motive


Mythen und Rituale orientieren sich am Körper und an der Körperlichkeit
und sind daher für das Erotische besonders bestimmend. Sie haben Anteil
an einer mimetisierten Theatralität und Performativität. Der Rückbezug
auf das attische Theater unterstreicht dieses Merkmal. Riten und Mythen
fungieren als Energiezentren und Katalysatoren der Narration. Folgende
religiöse Themenkomplexe, die auch bereits allgemein in meinem einfüh-
renden Überblicksartikel benannt sind,107 spielen in Verbindung mit der
im Roman dominanten Initiation eine Rolle.

1. Allgemeine Riten
Festanlässe, Prozessionen, Wettkämpfe, Tänze, Aufführungen, Opfersze-
nen, Magie, Zauber, Heilungen, Reinigungen, Beschwörungen, Eide,
Supplikationen, Orakel, Prophetie, Gebete und Tänze bilden ein wichtiges
Arsenal für die Romanhandlungen. Solche Riten stellen eine zentrale Ma-
terialbasis dar, aus der sich der Plot über Signifikantenketten weiterent-
wickelt.
Im Roman stehen vor allem Rituale des Lebenszyklus, also Hochzeit,
Bestattungsbräuche und Klage, im Zentrum. Die Hochzeit des liebenden
Paares ist τέλος, End- und zum Teil auch Ausgangspunkt der fiktionalen
Prosaerzählung. Ferner wird die Handlung durch zahlreiche Verehe-
lichungsversuche von dritter Seite verkompliziert. Tod und Hochzeit sind
schon im rituellen Symbolschema miteinander verbunden. 108 Der krisen-

107
Vgl. Bierl in Band I.
108
Vgl. Alexiou 1974; Seaford 1987.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 277

hafte Einschnitt der Hochzeit manifestiert sich in Angstphantasien. Die


Trennung vom Haus der Eltern und die körperliche Bedrohung entladen
sich in pathetischen Klageszenen. Da man im Roman um sich selbst und
den verloren geglaubten Partner fürchtet, entsprechen diese Formen von
pathos regelrechten Totenklagen. Der Threnos äußert sich aber auch im
übermäßigen Liebesleid, im Begehren, kurzum in dem als Krankheit und
Schmerz empfundenen Eros. Die Klage stellt ein hochwirksames perfor-
matives Ausdrucksmittel dar, das den Grundton der Gattung bestimmt. In
dem lamentierenden Schmerzausbruch kann die pathetische Grundbefmd-
lichkeit des Romans kontinuierlich eingeblendet und verstärkt werden.
Dem Liebesleid des Begehrens, des Sehnens nach dem vermißten Gelieb-
ten, kann damit Ausdruck verliehen werden, und die Einzelabenteuer kön-
nen rückblickend immer wieder wachgerufen werden. Die Wehklage gibt
der Prosa eine nahezu lyrische Grundstimmung, die das Schweben im
Imaginären unterstreicht. Es geht im Roman daher grundsätzlich weniger
um Entwicklungen psychologisch und glaubhaft dargestellter Charaktere
oder um naturalistische Plots als vorrangig um traumartige textliche Ver-
knüpfung und Ethopoiie, 109 das heißt pathetische Zeichnung der Emotio-
nalität von Jugendlichen im Zustand der Liebe.

2. Opferthematik
Gerade das griechische Opfer besitzt ein großes erzählerisches und
theatrales Potential, Gewalt und Gewaltphantasien wirksam in mitreißende
Handlung umzusetzen. Im Roman ist das Opfer oft über die griechische
Tragödie intertextuell vermittelt, in der mit Vorliebe Perversionen des
rituellen Ablaufs, vor allem in Hinsicht auf das Menschenopfer, themati-
siert werden. 110 Insbesondere im Bereich des totalen 'Anderen' werden
solche abstrus-phantastischen Menschenopfer im Roman nun ausführlich
inszeniert und in ihrer ganzen Grausamkeit ästhetisch ausgeschöpft. Ähn-
lich wie in der Tragödie des Aischylos "das 'Schreckliche' ... 'schön'
gesagt" wird, 111 wird im Roman das Entsetzliche in seiner Spektakularität
gleichsam als lebendiges, durch Sprache erzeugtes Bild im Detail vorge-
führt.

109
Vgl. Alexiou 2002, 313 ("ethopoieia and ploke").
110
Vgl. nun Henrichs 2006b.
111
Vgl. Bohrer 2006, 179 nach den Worten des Chors gegenüber Kassandra (Α. A.
1152-1153). Vgl. ebd. 178-181.
278 Anton Bierl

Die entsprechenden Szenen bei Achilleus Tatios (u. a. 3.15-22) und


Xenophon von Ephesos (2.13.1-3) sind bisher noch kaum unter dem As-
pekt der Ästhetisierung der Gewalt, des imaginären Schwebezustands zwi-
schen Abstoßung und Anziehung, behandelt worden. Entscheidend ist, daß
sich im erotischen Zustand die Angst vor dem traumatischen Einschnitt
des sexuellen Verkehrs auf Phantasien einer Opferung verschiebt, das
heißt auf rituell-mythische Bilder. Bei Achilleus Tatios wird diese sexuelle
Konnotation ganz offen in parodischer Form behandelt. Aus der be-
schränkten Ich-Perspektive des Kleitophon wird die Geliebte brutal abge-
schlachtet, wobei er zum inneren Zuschauer des grausamen Spektakels
wird (Ach.Tat. 3.15-16). Hinterher stellt sich der Akt als theatrale Insze-
nierung und Täuschung heraus (Ach.Tat. 3.17.4-3.22). Da im Vorfeld die
gesamte Erzählung sexualisiert war, reiht sich die Szene in diese Blick-
richtung ein.112 Erst danach wird das Mädchen wirklich keusch und ent-
haltsam. Bei Xenophon von Ephesos (2.13.1-3) wird Anthia in Kilikien
von der Räuberbande um Hippothoos als Menschenopfer für Ares be-
stimmt: An einem Baum aufgehängt soll sie von den Kämpfern mit Pfei-
len beschossen werden. Wer trifft, dessen Opfer wird von Ares ange-
nommen. Doch bleibt es bei Xenophon bei einer Beinahe-Opferung, da die
Protagonistin von Perilaos gerade noch gerettet wird. Die schreckliche Tat
dient auf seiten der Täter zudem der Herstellung einer Gruppenkohäsion
im Entsetzlichen.
Die narrative Strategie beruht auf der theatralen Ausstellung des eroti-
schen Körpers, vorrangig des jungen Mädchens, als Objekt der Lust in der
Extremsituation des Leidens. Die drohende Gewalt an der Unversehrtheit
des jungen, schönen Körpers kann imaginär auf die Opferung des sakralen
Leibs verschoben werden. Das Menschenopfer ist der offenste Eingriff,
das Sichtbarmachen des Eindringens in das Fleisch der bisher Unberühr-
ten. Der spektakuläre Akt lenkt zudem die Perspektive des Lesers auf den
Körper des Opfers, das in der Schuldlosigkeit in seiner vollen Blüte er-
strahlt. Der erotische Blick fokussiert den im Akt freigelegten, entblößten
Körper, wodurch die Ausstrahlung der Schönheit verstärkt wird. Nicht der
Schrecken an sich, sondern der Anblick des unschuldigen Opfers wird in
der Drastik der Gewalt im erotischen Kontext ästhetisiert. Der besondere
Reiz liegt in der Kontrastwirkung von keuscher Unberührtheit des Opfers
und draufgängerischer Brutalität des Täters. Die Gewalt vollzieht sich am

112
Vgl. Morales 1995; 2004, 156-177.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 279

offenen Fleisch: Das rote Blut vermengt sich mit der weißen Haut zu
einem schrecklich-attraktiven Schauspiel der crudelti. Furcht und Schrek-
ken, Ekel und Abscheu paaren sich mit Mitleid, Liebreiz und Lust, zumal
das Eindringen, Aufschlitzen, Ausweiden und Bewerfen mit Geschossen
deutlich auf den Sexualakt verweisen. Das geopferte Mädchen ist wie
Iphigenie Sinnbild der Mädchentragödie, das heißt auch des Mädchens in
der Initiation. Deshalb bezieht man sich im Roman so oft auf die Euripi-
deischen Iphigenien.
Grausame Opferriten können zudem einfach als ethopoietische Kon-
trastierung des 'Selbst' mit dem 'Anderen' fungieren. In der traumatischen
Welt des 'L'Autre' werden sämtliche Codes der Zivilisation gebrochen.
Zur frei montierten Konstruktion einer Handlung kann man in der Literari-
sierung auf Verkehrungsrituale und fremde, wörtlich genommene Mythen
zurückgreifen. Besonders interessant sind in diesem Zusammenhang zwei
Fragmente des Lollianos.113
Zunächst zur Szene auf Β 1 recto, die am Ende eines Buches steht:
Der Protagonist des Romans, Androtimos, befindet sich in der Hand von
Räubern, die momentan einen brutalen Mord an einem Knaben vorberei-
ten. Androtimos scheint Einspruch zu erheben, doch kann er den Gang der
Ereignisse nicht verhindern. Ein bis auf einen purpurnen Gürtel unbeklei-
deter Mann bringt das jugendliche Opfer herein. Der Gehilfe schleudert
den Knaben auf den Rücken, öffnet die Brust, schneidet das Herz heraus
und legt es auf das Feuer. Das gebratene Organ zerteilt er, eine Hälfte be-
stäubt er mit Mehl, die andere übergießt er mit Öl. Davon gibt er dann den
anwesenden Banditen. Mit dem Fleisch in der Hand nimmt er der Bande
beim Blute des Herzens einen Eid ab: sie schwören, den nackten Grusel-
priester, der wahrscheinlich ihr Anführer ist, weder im Stich zu lassen
noch zu verraten, nicht einmal, wenn sie ins Gefängnis geworfen und ge-
foltert würden. Das Buch endet mit einer erneuten Erwähnung des Andro-
timos. Wahrscheinlich soll auch er davon kosten.
Auf Β 1 verso, am Anfang des nächsten Buches, kann man folgendes
erkennen: Ein wildes Gelage schließt an die Opferszene an. Erneut geht es
um das Herz, auch wird vom Verschlucken und von Erbrochenem gespro-
chen. Während die sogenannten Eingeweihten ihre Portion kochen, um
das Fleisch genießbar zu machen - manche kauen es nur, um es weicher
zu bekommen - , beklagt sich jemand, wahrscheinlich Androtimos, über

113
Die folgenden Paraphrasen sind von Henrichs 1972, 6-7 übernommen.
280 Anton Bierl

den rohen Zustand seines Mahls. Ein Mädchen, wohl Persis, wird ver-
flucht. Die Zechgenossen urinieren auf den Boden, so daß sich jemand
über den Gestank beklagt. Es folgt eine Aufforderung zum Trinken. In
einem stark beschädigten Abschnitt scheint sich Androtimos über etwas zu
ärgern. Die übrigen Räuber treten ein. Vor seinen Augen haben sie wilden
Verkehr mit den Frauen, und davon ermattet schlafen sie ein. Die elf
Wächter, welche die Toten bewachen sollen, trinken nicht so viel. Um
Mitternacht ziehen sie die Toten aus und entfernen selbst die Busenbän-
der. Die Kleider werfen sie aus dem Fenster. Dann ziehen sich die einen
weiße, die anderen schwarze Gewänder an. Sie maskieren sich und färben
ihre Gesichter, die Schwarzen mit Asche, die Weißen mit Bleiweiß. Dann
schwärmen sie im Freien, die Weißen im grellen Licht, die Schwarzen im
Mondschein. Androtimos wird immer noch bewacht; beim Fluchtplan
scheint die Werkstatt eines Goldschmieds eine Rolle zu spielen; danach
kann man nichts mehr entschlüsseln.
Albert Henrichs, der Erstherausgeber, hielt den Teil Β (vom Mord am
Knaben bis zur Vermummung der Räuber) für einen getreuen Bericht über
den Verlauf eines Rituals, der Einweihungszeremonie in den Dionysos-
Zagreus-Kult (1972, 28-79). Dabei sah er die Thesen seines Lehrers Mer-
kelbach aufs trefflichste bestätigt (78). Im Gegensatz dazu läßt sich auf der
Grundlage von ähnlich gelagerten Szenen bei Achilleus Tatios und Apu-
leius die Passage ebensogut als typische Szene eines Romans lesen, in
dem eine verkehrte Räuberwelt gezeigt wird. 114 Der spektakuläre Ritual-
mord dient der Gruppenstabilisierung der Außenstehenden, der das totale
'Andere' symbolisierenden Banditenbande. Die anschließende Maskie-
rung ist eine typische Gruselszene, in der Geistergeschichten und Aber-
glaube in Handlung umgesetzt werden. Vielleicht eilen die Halunken in
Verkleidung auf ihren nächsten Raubzug. Lollianos spielt also den ganzen
stereotypen Formenschatz aus, wobei er zur Zurschaustellung und Unter-
haltung einzelne Züge drastisch dramatisiert. Henrichs scheint sich täu-
schen zu lassen, weil der Romanautor die Verbrecher in typisch sakralisie-
rend-ästhetisierender Manier gleichzeitig als Mysten und Eingeweihte
bezeichnet. Zur Stilisierung der Räuber als des 'Anderen' werden natür-
lich auch rituelle Formen und Diskurse fremdländischer und geheimer
Zeremonien interdiskursiv und -performativ eingewoben. Alles dient der
Steigerung des pathos, der Involvierung des Lesers, der Überhöhung nie-

114
Vgl. Sandy 1979; Winkler 1980; Jones 1980; Holzberg 1986, 75.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 281

derer Inhalte, gerade hier aus parodisch-komischer Perspektive. Eine


detailgetreue Beschreibung eines bestimmten Rituals ist nie beabsichtigt.
Das meiste ist neu und fiktiv montiert. Zieht man die Möglichkeit in
Betracht, der Knabe sei Androtimos' Geliebter, und dieser habe sich von
dem Mädchen, seiner Geliebten, getrennt, so enthält die Szene eine
zusätzliche Bedeutungsebene: Androtimos wird Zeuge eines grausamen
Spektakels an seinem Lustknaben, mit dem er päderastische Abenteuer
erlebt, aber auch hier in den typischen erotischen Schwebezustand verfällt.
Er nimmt an dem Übergriff der anderen unfreiwillig teil, wird in die
schreckliche Zeremonie mittels einer Kommunion der Anthropophagie
selbst einbezogen. Die Räuber haben sich symbolisch am weichen Fleisch
vergangen, während Androtimos noch nicht in den vollen sexuellen Genuß
an dem Jüngling kam - sein Fleisch blieb daher noch weitgehend zäh und
ungenießbar. Eventuell stellt sich heraus, daß auch dieses Opfer nur
inszeniert ist. Oder ist der Knabe doch ein Unbekannter? Die Bande über-
schreitet alle denkbaren Kategorien des Zivilisationscodes und übertritt
sämtliche Grenzen. Für den Zuschauer stellt die Szene eine typische
Episode der Marginalität im rite de passage der Initiation des Helden dar.
Das Menschenopfer mitsamt der Omophagie, der verkehrten Eßpraxis und
dem Bluttrunk ist die vollkommene Perversion des Normalopfers und
verwendet in der Tat Elemente von marginalen Sekten. Die Szene in-
szeniert also in freier Montage ein phantastisches Ritual nach der Vorgabe
des Dionysos-Zagreus-Mythos. Ist der Knabe damit die Verkörperung des
kleinen Dionysos? Und wird er aufgrund der Aufdeckung einer theatralen
Täuschung etwa 'wiederauferstehen', nachdem man seinen Leib zusam-
mengesetzt hat?
Die restlichen Räuber, die später in den Raum kommen, schlafen vor
Androtimos mit den Frauen. Der erotische Blick wird auch hier auf Sex
und Gewalt gelenkt. In der Orgie und im abnormen Verhalten festigen sie
untereinander erneut den Zusammenhalt. Die Wächter begehen eine
Transgression weiterer Grenzen, indem sie sich sogar an den Toten ver-
greifen. Androtimos' Blick fällt auch hier auf die nackten weiblichen
Körper. Schließlich werden die Akteure in der Verkleidung und Ver-
mummung mimetisch selbst zu Totengeistern, von deren nächtlichen ritu-
ellen Kämpfen und Spuk der Held Zeuge wird. Aus dem als Ritual theatral
inszenierten Mythos entsteht im Imaginären der permanente Aufschub der
Zeichen, das aufgrund des erotischen Verlangens entstehende Gleiten der
Signifikantenketten im Raum des 'Anderen'.
282 Anton Bierl

Die Menschenopferproblematik wird hingegen von Heliodor in seiner


typisch ethisierenden Art auf eine neue Stufe gestellt. Die edlen 'Ande-
ren', die Äthiopier, die sich mit dem 'Selbst', den Griechen, auf so eigen-
tümliche Weise in vielerlei Hinsicht decken, schaffen am Ende des Ro-
mans, im zehnten Buch, die Praxis des Menschenopfers ab. Der Autor
stellt also die Geschichte um das Mädchen Charikleia, die ähnlichen Be-
drohungen im Raum des Eros ausgesetzt ist, in eine überhöhende Rah-
mung, in der das überholte Ritual überwunden und ein Zivilisierungspro-
zeß dargestellt wird.
Daneben bilden Opferfeste bisweilen den festlichen Rahmen von Ro-
manhandlungen. Das normale Tieropfer kann auch als Vorbereitung auf
die bevorstehende Gewalt eingesetzt sein. Im zweiten Buch des Achilleus
Tatios wird eine Kette von Opfern in dieser Hinsicht verwendet: Beim
Voropfer für die vom Vater Hippias geplante Hochzeit des Helden Kleito-
phon mit der Stiefschwester Kalligone kommt es zu einem Vorfall. Ein
Adler entreißt das Fleisch vom Altar (Ach.Tat. 2.12.2). Das schlechte Vor-
zeichen ermöglicht einen Aufschub der Vermählung. Der Wahrsager teilt
dem Vater mit, man müsse Zeus Xenios um Mitternacht am Meeresstrand
mit günstigen Zeichen opfern (2.12.3). Nach einem Orakel in Byzanz, wo
Sostratos, der Halbbruder des Hippias, sich als Stratege in einem Krieg
mit Thrakien befindet, soll man ferner in Tyros dem Herakles ein Opfer
darbringen (2.14). Dem verwegenen Kallisthenes, der vom Hörensagen
der Leukippe verfallen ist, ohne sie je gesehen zu haben, und sie von dort
entführen will (2.13), gelingt es, als Gesandter zu dieser Zeremonie mit-
geschickt zu werden. Er will dort den Frauen auflauern und Leukippe ent-
führen. Ein riesiges Opfer wird am Strand veranstaltet, ein synästhetisches
Spektakel; das Räucherwerk von Düften und Blumen ist für die Frauen
ebenso anziehend wie der Anblick der zahlreichen, besonders kräftigen
und schönen ägyptischen Stiere (2.15). Zuletzt kommt der Erzähler auf das
Eingangsbild der Entführung der Europa zurück (1.1.2-13). Wenn der
Mythos wahr sei, habe sich Zeus dabei in einen solchen Stier verwandelt
(2.15.4). Kleitophons Mutter fühlt sich unpäßlich, und auch Leukippe
bleibt bei Kleitophon im Haus unter dem Vorwand, krank zu sein. Daher
finden sich nur Kalligone mit Leukippes Mutter ein. Der lüsterne Räuber
entführt somit die falsche Leukippe, Kalligone (2.18), womit die drohende
Hochzeit für Kleitophon aus dem Wege geräumt ist und er sich seiner
Liebe zu Leukippe hingeben kann. Anhand dieses Beispiels sieht man
deutlich, wie Opfer und Vorzeichen symbolisch die Handlung generieren
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 283

und weiterspinnen. Im Raub der Opfergaben durch den Adler, den männ-
lich-königlichen Vogel, ist die Entführung der unschuldigen Kalligone
von der Opferhandlung vorweggenommen, die den Anlaß für die Intrige
liefert. Zugleich sieht man, wie die keusche und unberührte Jungfrau im
Roman immer wieder mitverantwortlich ist, sich in Eros' Spirale zu bege-
ben. Die Schönheit des Entführers, die Ästhetik des Anblicks des Opfer-
stieres, der für die Jungfrau stirbt und das Ende der Goldenen Zeit der
Unschuld symbolisiert, zieht sie in den folgenden Variationen in die Nähe
der Gefahr. Der Gewalt an ihrem Körper von Seiten des Täters, der eben-
falls nur aus erotischer Attraktion und aus Instinkt handelt, steht ein my-
steriöses Hingezogensein ihrerseits zu diesem Täter gegenüber.

3. Fruchtbarkeit
Da Sexualität und Erotik im Griechischen in besonderer Weise mit der
Welt der Natur, mit der Vegetation, mit Blumen, Bäumen, Düften, mit
dem Ackerbau, dem Pflügen, der Ernte und dem Drusch, mit dem Wein-
bau, dem Reifen, Pflücken und Keltern, metaphorisiert werden, 115 besitzt
das wichtige religionswissenschaftliche Paradigma der Fruchtbarkeit
herausragende Bedeutung. Die ganze Handlung von Longos' Roman ist
mit dem Ablauf der Jahreszeiten synchronisiert und kulminiert zum Herbst
im Erntefest. Das erste Jahr gipfelt im dionysischen Weinfest, wo sich die
Geschlechter bei Tanz und Musik näherkommen (2.1-2.2.2). Im Rausch
necken umstehende Frauen Daphnis und mitfeiernde Männer Chloe. Die
sexuellen Übergriffe verletzen das Gefühl der einander heimlich und noch
unbewußt Liebenden, und sie wünschen sich, bald wieder auf ihre einsa-
men Weiden zurückzukehren. Dort spielen sie dann um so ausgelassener.
Da tritt ein greiser Rinderhirte namens Philetas zu ihnen und führt sie
durch seine Erzählungen in die Geheimnisse des Eros ein. Gegen Ende des
zweiten Buches bringen die Bauern die Zeit mit Herbstfesten zu (2.31-37).
Man tanzt den Winzertanz (2.36.1) und feiert die Oschophorien (2.31-32).
Zu Anfang des dritten Buchs ist Winter. Alles erstarrt und man wartet auf
die 'Wiedergeburt der Natur vom Tode' (3.4.2). Im Hause des Dryas feiert
man die Ländlichen Dionysien (3.9.2; 3.10.1; 3.11.1-2), im Frühjahr er-
wacht die Liebe erneut zwischen den Hirtenkindern, im Sommer wird
Daphnis durch Lykainions Initiation zum Manne. Inzwischen haben

115
Vgl. u. a. Henderson 1975, 166-169.
284 Anton Bierl

Chloes Eltern ihre Hochzeit für die Weinlese angesetzt (3.25.4); derjenige
Freier, der am meisten bietet, soll Chloe zur Frau bekommen. Beim Wei-
zendrusch auf der Tenne (3.29.1) kommt es zur Entscheidung; mit dem
gefundenen Geld kann Daphnis bei Dryas um Chloes Hand anhalten, die
durch ihren Namen selbst mit Demeter Chloe in Verbindung steht. Am
Ende des dritten Buchs pflückt Daphnis im Herbst nach der Ernte einen
ganz oben im Wipfel übriggelassenen Apfel (3.33.4-3.34). Beim Weinle-
sefest im vierten Buch (4.1.1; 4.33.1; 4.38) kommt es schließlich auf dem
Gut des Dionysophanes zum happy end, zur Hochzeit und zum Ehevoll-
zug.

Schema von Daphnis und Chloe:

Buch 1 2 3 4
Räuber Krieg
Fr So H|-H || Wi .... Fr So Η Η > τέλος HZ
Philetas Lykainion HZ-Verabredung

(3 remedia amoris) Episoden (Retardationen)


Chloe

Daphnis

Fr = Frühling | = Buchgrenze
So = Sommer || = Jahresgrenze (mit Buchgrenze)
Η = Herbst ... = Trennung der Liebenden
Wi = Winter — = nosos
HZ = Hochzeit

Die Hochzeitsnacht bildet also den Schlußpunkt des Romans (4.40.2-3):

... και έπεί πλησίον ήσαν των θυρών ήδον σκληρά και άπηνεΐ τη
φωνή καθάπερ τριαίναις γήν άναρρηγνύντες, ούχ ϋμέναιον
αδοντες. Δάφνις δε και Χλόη γυμνοί συγκατακλνθέντες περι-
έβαλλον αλλήλους και κατεφίλουν, άγρυπνήσαντες της νυκτός
οσον ουδέ γλαυκές, και έδρασέ τι Δάφνις ών αυτόν έπαίδευσε
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 285

Λυκαίνιον, και τότε Χλόη πρώτον εμαθεν δτι τά έπί της ϋλης
γενόμενα ήν ποιμένων παίγνια.

Und als sie näher an der Tür waren, sangen sie mit rauher und kreischender
Stimme, als ob sie die Erde mit Dreizacken aufrissen, nicht aber ein Brautlied
sängen. Daphnis und Chloe aber lagen entkleidet zusammen, umarmten einan-
der und küßten sich und schliefen in dieser Nacht nicht mehr als Nachteulen tun.
Daphnis übte jetzt Lykainions Unterricht aus; und Chloe erfuhr nun zuerst, daß
ihre Kurzweil am Wald nur Hirtenspiel gewesen war.

Der Brautgesang ist mit der Erdarbeit assoziiert, die umgekehrt den Ge-
schlechtsakt umschreibt. Es ist durchaus auch ein gewaltsamer, krisenhaf-
ter Akt, auf den sich das Mädchen einläßt. Doch die gemeinsame 'Arbeit'
bringt Früchte, Kinder und Anerkennung. Ironisch wird auf den Unterricht
der Lykainion verwiesen und damit der Treuebruch des Helden angespro-
chen, der aber nun der Gattin zum Genuß verhilft. Und Chloe lernt zum
ersten Mal, daß alles Vorherige eine Spielerei war - παίγνια ('Tändelei,
Tanz, Vorspiel') hat die pointierte Schlußposition inne. Auch hier ist die
Sprache wieder sexuell konnotiert. Alles war Spielerei am Wald, in der
Welt der Marginalität des Hirtenlebens, vorher war sie παιδίον, nun ist sie
γυνή. Sexualität ist zuletzt eine sozial definierte, ernsthafte Angelegenheit.
Auch für den Romanautor war alles zuvor, das heißt der ganze Roman,
eine spielerische Beschäftigung mit dem Noch-Nicht des Sexualakts, eine
fast 'pornographische' Tändelei, wie sich Rohde ausdrücken würde, aber
zugleich ein durch kunstvolle Retardationen erzeugtes wundersames Spiel
mit Musik, Poesie und Natur, das selbst Goethe verzauberte. 116
In anderen Romanen spielen die Fruchtbarkeit bringende Nilüber-
schwemmung (X.Eph. 4.2.5-10; Hld. 2.28) und Nilfeste in Ägypten (Hld.
9.9.2-5; 9.10.2; 9.22.2) eine wichtige Rolle. Das Fest in Syene ist bei He-
liodor kunstvoll kombiniert mit der Belagerung durch Hydaspes, den Kö-
nig der Äthiopier. Durch eine Nilumleitung und das Durchbrechen der
Mauern erobert er beinahe die Stadt, in der Oroondates, der persische
Statthalter des Großkönigs in Ägypten, Zuflucht gesucht hat. Die Unauf-
merksamkeit der Bevölkerung aufgrund der Festlichkeiten wird genutzt
und der jährliche Anstieg des Nils mit der strategischen Schwemme asso-
ziiert. Der persische Kommandant Oroondates kann sich noch entziehen.
Nach dem endgültigen Sieg über Oroondates bei Elephantine zieht Hydas-

116
Vgl. R o h d e 1876, 549-554 (1. Aufl. 516-517) und Goethe, bes. Gespräch mit
Eckermann 20. März 1831.
286 Anton Bierl

pes dann siegreich in die Stadt Syene ein und läßt sich zum Ende der
Episode von den einheimischen Priestern das Nilfest und die Aitiologie
dieses Jahresfestes erklären (9.22.2-6), womit die Ringkomposition ver-
vollständigt ist. Hydaspes bekräftigt zuletzt, daß Äthiopien diese heiligen
Zusammenhänge um den das Jahr und seine Fruchtbarkeit symbolisieren-
den Nil beanspruche, da der Fluß dort entspringe (9.22.7).117

4. Neujahr
Der Aspekt des Neujahrs ist mit dem dominanten Paradigma der Initiation
eng verknüpft, so daß manche Zeichen beiden Bereichen zuzuordnen
sind.118 Bei Heliodor ist im neunten Buch (9.9.2; 9.10.2) von dem eben
angesprochenen Nilfest die Rede, das während einer Waffenruhe zwischen
dem persischen Ägypten und Äthiopien in Syene gefeiert wird. Es sind die
höchsten ägyptischen Feiertage zur Sommersonnenwende, die mit dem
Anstieg des Nils einhergehen. Die religiösen Pflichten der Syener, die
nach einer von den Äthiopiern künstlich erzeugten Überschwemmung zu-
sammen mit den angreifenden Persern eingeschlossen sind, lassen die be-
lagernden Äthiopier etwas unaufmerksam werden. Während die Äthiopier
schlafen, können die Perser, nachdem sie Bretter über die Morastgebiete
gelegt haben, nach Elephantine entkommen (9.10.2-9.11.2; 9.12.2). Wie-
der erkennt man, wie eben gezeigt, wie in einer gleitenden Signifikanten-
kette die strategische Überflutung mit dem jährlichen Ansteigen des Nils
verwoben wird. Der Nil, so erklären die Priester Syenes dem Hydaspes,
versinnbildlicht überhaupt das Jahr in seinem Ablauf, da nämlich die
Buchstaben, in Zahlen ausgedrückt, 365 ergeben, 'also so viele Tage, wie
das Jahr hat' (9.22.6).
Während in vielen Städten der Einschnitt im Hochsommer um den
Siriusaufgang angesetzt wird,119 wird selbstverständlich auch die Zäsur im
Winter als Grenze der Jahre empfunden, wie eben bei Longos gezeigt wur-
de. Die Natur erstarrt, die Liebenden sind getrennt, hier ist die Ordnung

117
Hydaspes opfert dann in 10.1.2 dem Nilgott. Zum Nil als religiösem und selbstre-
ferentiellem Element bei Hld. vgl. Whitmarsh 1999, 24-29.
118
Vgl. die Kombination bei Auffarth 1991; Versnel 1993, 57, 59, 80-83 (mit Ver-
weis auf Walter Burkert).
119
Beim alexandrinischen Serapisfest (Ach.Tat. 5.2.1), das wohl mit dem Neujahrs-
fest zusammenfällt, wird Kleitophon von Räubern am Schenkel verletzt (5.7.2); vgl. dazu
Baudy 1986, 51, der die Verwundung mit der päderastischen Initiation und der Figur des
Adonis verbindet.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 287

des Hirtenlebens außer Kraft gesetzt (3.3). Daphnis besucht Chloes


Familie in dieser Zeit des Übergangs. Nicht zufällig liebkost er bei dieser
Gelegenheit Chloes Vater und geht damit eine päderastische Beziehung
ein (3.9.5).

4.1. Verkehrte Welt


Die gesamte Episodenreihe der Abenteuer im Raum des 'Anderen', das
zum Teil mit der Traumlogik verbunden ist, kommt aufgrund ihres Cha-
rakters der Marginalität einer verkehrten Welt gleich. Gerade die Räuber-
βουκόλοι im ägyptischen Nildelta und an anderen Orten muß man im
Roman mit einem Zustand des upside-down gleichsetzen. 120 Alle zivilisa-
torischen Normen und Kategorien sind hier temporär aufgehoben, die Ord-
nung ist in sämtlichen Diskursen pervertiert. Kunstvoll assoziiert Longos
diese Welt der βουκόλοι mit der Bukolik Theokrits, wobei die Hirtenwelt
ebenfalls ein zivilisatorisches Übergangsstadium auf dem Weg zum
Ackerbau bedeutet.121
Die Zeichen und Motive der verkehrten Welt stimmen mit denen der
Liminalitätsphase in der Initiation überein.

5. Heortologie
Feste zu Ehren von Gottheiten, die insbesondere mit der Initiation junger
Menschen zu tun haben, bilden entspechend den lokalen Handlungsge-
gebenheiten ein wichtiges Ambiente für die Romane. Zu nennen sind hier
Feiern für Artemis, Apollon, Isis, Hera, Aphrodite und Serapis. Auch Osi-
ris- und Dionysosfeste spielen als Anstoß zu Handlungsketten eine grö-
ßere Rolle. Ferner haben, wie gesehen, gerade Jahres- und Erntefeste eine
handlungsstrukturierende Funktion. Auch können Festabläufe, die das Ka-
lenderjahr bestimmen, das Fortschreiten der Romanzeit andeuten, wie dies
etwa bei Longos der Fall ist, ζ. B. von den Ländlichen Dionysien (3.9.2;
3.10.1; 3.11.1-2) im Winter bis zum Drusch des Getreides auf den Tennen
(3.29.1) und zum Weinlesefest im Herbst (4.38).122

120
Vgl. Bertrand 1988.
121
Vgl. Baudy 1986, 44; 1993, zu Longos bes. 302 Anm. 63.
122
Vgl. auch oben 283-284.
288 Anton Bierl

6. Götter und Heroen


Die Götter gehören wie selbstverständlich zum Personal der mythisch-
märchenhaften und imaginären Geschichten. Verantwortlich sind zum ei-
nen die Prätexte, vor allem das Homerische Epos und das Drama. Zum
anderen ist die Präsenz des Göttlichen auch Teil der onirischen Welt voller
Wunder und Rätsel. Vornehmlich stehen Gottheiten im Vordergrund, die
wiederum mit der erotisch-initiatorischen Grundfabel zu tun haben, also
Artemis, Isis, Aphrodite, Eros, Apollon, Dionysos, Pan und die Nym-
phen. 123 Aber auch Helios und Schicksalsmächte, wie der Daimon, die
Moiren oder die Tyche, werden als göttliche Wesen vorgestellt, die in den
Ablauf der Handlung eingreifen. Die Charakterisierung der Götter ge-
schieht nicht nach archaischen und klassischen Gesichtspunkten, sondern
entspricht der Entstehungszeit der Romane. Die auftretenden Gottheiten
sind also nicht mehr anthropomorphe Entitäten, die sich in ihrer Über-
macht den Menschen gegenüber ambivalent und unberechenbar zeigen.
Man kann mit Sicherheit nicht von einem Homerischen Götterapparat
sprechen, in dem sich die Aktionen der Menschen spiegeln und das Ge-
schehen nach dem Willen des Zeus geleitet wird. Noch weniger bestim-
men Götter diese Texte, die für den pragmatischen Rahmen verantwortlich
sind, wie etwa Dionysos im Falle des attischen Dramas, selbst wenn Mer-
kelbach dies postuliert. Vielmehr erfolgt die Einblendung des Göttlichen
oder das Auftauchen von Heroen nach den leichten, spielerischen Regeln
des Hellenismus. Es handelt sich hier folglich um einen literarischen Zug,
der durch die mündliche und volkstümliche Verankerung dieser Geschich-
ten im Märchen und in Wundererzählungen Anklänge an das Onirische
zeitigt.124 Vor allem ist das Göttlich-Heroische immer funktional zur eroti-
schen Handlung eingesetzt. Von Zeus und seiner Hierarchie ist demnach
kaum etwas zu spüren. Untergeordnete Gottheiten haben aus der entspre-
chenden erotischen Perspektive plötzlich einen großen Handlungsspiel-
raum. Je nach Kontext und Situation werden die Gottheiten nahezu als
Topoi, als Ermöglichungskatalysatoren von Wundern und Rettungen ver-
wendet. Tyche bekommt nach dem Vorbild der Neuen Komödie häufig
die Rolle eines 'Jokers', um Unwahrscheinlichkeiten wahr werden zu las-

123
Vgl. Alperowitz 1992; Doody 1996, 62-68, 432-464; zu Chariton vgl. Weis-
senberger 1997; Baier 1999; zu Longos vgl. Hunter 1983, 31-38; zu Heliodors zum Teil
nichtanthropomorphen Göttern vgl. Chew 2007.
124
Vgl. Alexiou 2002 und Renger 2006a.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 289

sen und Brüche in den Motivierungsketten zu überspringen. Götter und


Heroen werden zum Bildungsgut, das in der Kunst je nach Funktionsbe-
reich für Handlungsentwicklungen verantwortlich gemacht werden kann.

6.1. Angleichung der Protagonisten an Götter und Heroen


Die Romanhelden werden bevorzugt mit Göttern und Heroen verglichen
und ihnen häufig sogar angeglichen. 125 Dies erfolgt häufig aus einem ein-
geschränkten Blickwinkel, der eine Täuschung auslöst. Die Verbindung
wird über die Schönheit, den Glanz, die Ausstrahlung, die Stimme, die
Bewegung, kurzum über die ganze erotische Erscheinungsform herge-
stellt.126 Die Folge ist eine Aufhebung der kategorialen Grenzen zwischen
Gott und Mensch. In der Atmosphäre des Mirakulösen ist die Schwelle
zum Göttlichen hin offen. Durch dieses Verfahren werden die Figuren
sakral überhöht und in einer idealisierten Art und Weise in Szene gesetzt.
Die Mädchen sind vornehmlich so schön wie Artemis, Aphrodite, Isis, die
Nymphen oder Helena, die Jungen gleichen oft Apollon, Hippolytos,
Achilleus oder Neoptolemos. Die Götter und Heroen stehen grundsätzlich
in einem Zusammenhang mit den unterlegten Konnotationen der Initia-
tion, Fruchtbarkeit und sexuellen Reifung.

6.2. Epiphanie
Götter greifen bisweilen sogar aktiv in die Handlung ein. Sie können wie
Eros (2.4-6.2) und Pan (2.25.3-2.29) bei Longos direkt erscheinen, was
einem Wunder gleichkommt. In diesen Fällen nutzt der Autor sämtliche
erzählerischen Potentiale der Epiphanie. 127 Sie ist im Roman erneut häufig
intertextuell vermittelt. Die Ambivalenz der göttlichen Erscheinung wird
als theatrales Ereignis inszeniert, das den Leser emotional aufrüttelt, stark
involviert und berührt. In hochdramatischen Augenblicken ist es herausra-
genden Figuren erlaubt, die Gottheit in lebendiger Erscheinung, meist je-
doch in menschlicher Verkleidung, zu erfahren. Durch die Parousie wird
den Menschen die Existenz der Götter deutlich. Eine typische Situation ist

125
Vgl. dazu Cueva 2004.
126
Vgl. Schmeling 2005 für Kallirhoe.
127
Vgl. allgemein u. a. Versnel 1987; Lane Fox 1986, 102-167, 700-708; Bierl
2004, bes. 43-45 (mit Literatur). Zum Beispiel der Epiphanie Pans bei L o n g o s vgl.
Meillier 1975.
290 Anton Bierl

die Rettung in der Not und im Krieg. Sehr viel häufiger erscheinen die
Götter freilich im Traum, wie die Nymphen im Fall des Daphnis bei Lem-
gos (2.23). Auf der Überfahrt des Paares von Delphi nach Ägypten tritt im
Roman des Heliodor dem ägyptischen Priester und homerischen Gelehrten
Kalasiris Odysseus selbst im Traume vor Augen, als seine Reisegesell-
schaft auf Zakynthos, also in Odysseus' Gefilden um Ithaka, Halt macht
(5.22.1-3). Odysseus beklagt sich als abgemagerter Greis mit Helm und
hinkendem Schritt, daß Kalasiris, die Verkörperung der odysseischen Er-
zählkunst, ihm keinen Höflichkeitsbesuch abstatte, und droht ihm dafür
Rache an. Der sich einer verrätselnden Diktion bedienende Führer der bei-
den jungen Leute vergeht sich also in seiner Funktion als interner Deuter
der komplexen und symbolisch aufgeladenen Geschichte selbst am Aus-
gangspunkt des Romans, das heißt am Homerischen Odysseus. Anstelle
des üblichen Gottes, der in Nachfolge des zornigen Poseidon aus der
Odyssee das Schicksal des Paares in anderen Romanen bestimmt, tritt hier
der Held des literarischen Mustertexts auf, womit Odysseus und nicht zu-
letzt Homer gewissermaßen selbst zu Göttern stilisiert werden. Gleichzei-
tig läßt Odysseus dem keuschen Mädchen Charikleia von seiner Frau
Penelope, dem Inbegriff der Keuschheit, Grüße bestellen und sagt der ju-
gendlichen Heldin ein gutes Ende voraus. Mit der Vision geschieht also
auch Leserlenkung, das heißt Auflösung des narrativen Rätsels, mittels des
Blicks auf die Katastrophe, die vom Ende her erzählt worden ist, sowie
durch die Vorschau auf das happy end der Geschichte, die nach den Ver-
strickungen wie die Odyssee mit der Hochzeit ihren Abschluß findet.
Das größte erzählerische Potential liegt darin, daß in den griechischen
Romanen die Heldinnen Außenstehenden so erscheinen, als seien sie bei-
spielsweise Artemis oder Aphrodite selbst. Solche Verwechslungen in
Form einer Scheinepiphanie, wie etwa im Chariton-Roman diejenige von
Kallirhoe mit Aphrodite, sind Ausdruck der übermenschlichen Schönheit,
die sonst kaum in Worte gefaßt werden kann. 128 Die Grenzen zum Göttli-
chen sind durchlässig, die kategorialen Ebenen tendieren dazu, miteinan-
der zu verschwimmen. Durch solche Verfahren taucht die Welt des
Romans in eine heroisch-sakrale Atmosphäre ein. Die aristokratische Diva
wird nahezu übermenschlich, wodurch die Verwicklungen, die solcher
Schönheit geschuldet sind, erst glaubhaft werden.

128
V g l . H ä g g 2 0 0 2 ; S c h m e l i n g 2 0 0 5 . V g l . auch Zeitlin 2 0 0 3 .
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 291

6.3. Götter als Auslöser der Geschichte


In diesem Zusammenhang ist insbesondere das Zornmotiv entscheidend.
Eros ist beispielsweise bei Xenophon von Ephesos erzürnt über den Stolz
und die Hybris des Helden Habrokomes, der sich der Liebe zunächst ver-
weigert. Die Geschichte wird von göttlicher Ebene aus spielerisch-litera-
risch motiviert durch die Rache des verletzten Gottes, der nun den Jüng-
ling mit übergroßem Verliebtsein bestraft. Ganz ähnlich geht Petron vor,
wo der Zorn des verletzten Priap die Geschichte in Gang setzt. Poseidons
Zorn aus der Odyssee wird also auf eine sexuell-erotische Ebene über-
tragen. Auf höherer Stufe sorgen sich Eros, Pan und die Nymphen bei
Longos um das Paar. Eros führt bei Chariton Chaireas und Kallirhoe zu-
sammen. Ein höherer, göttlicher Plan, der mit dem Plan des Autors zu-
sammenfallt, bestimmt letztlich Heliodors Roman über die komplexe
Rückkehr der Charikleia ins Land der Äthiopier.
Als Theatergott bestimmt Dionysos das Ambiente von einigen Roma-
nen stark mit. Bei Longos spielt er eine so große Rolle, daß Merkelbach
(1988) hier von einem Text sprach, dessen 'Hintersinn' in Dionysos-
mysterien aufgehe. Dionysophanes ist im Roman der 'Dionysos-Zeigende'
bzw. derjenige, 'in dem Dionysos zur Erscheinung kommt'. Er ist die
Figur, welche die anagnorisis bewirkt, die in ihrer Theatralität an die
Neue Komödie erinnert. Auch bei Achilleus Tatios wirkt Dionysos in
seiner grundsätzlichen Ambivalenz der Gegensätzlichkeiten als Gott der
lieblichen Idylle wie auch der Grausamkeit (vgl. E. Ba. 861). Im Zeichen
der Gottheit des Weines entlädt sich zunächst die Liebe; danach schlägt
die Idylle um in Gewalt, Opfer und Wahnsinn, die mit Dionysos und sei-
nem Kult insbesondere aufgrund der besonderen Performativität und der
Energiefreisetzung verbunden sind. Metaphernketten entwickeln sich bei
Achilleus Tatios über Satyros, das Fest des Dionysos Protrygaios (2.2),
bedrohliche Sexualität, Opfer, μανία und theatralisch wirksame Szenen.

6.4. Alte, neue und fremde Götter


Das griechische Göttersystem ist um viele ausländische Gottheiten erwei-
tert, die je nach Ort und Kontext eingesetzt sind und der jeweiligen Stelle
somit das entsprechende Kolorit verleihen. Neben Apollon, Dionysos,
Artemis, Athene und Hera finden sich Isis, Osiris und Apis, Serapis, He-
lios, Selene, Astarte, Mithras und viele andere. Meist herrscht ein für die
Kaiserzeit typischer Synkretismus vor. So sind Astarte, Isis und Aphrodite
292 Anton Bierl

miteinander häufig verbunden, Apollon geht mit Helios eine Synthese ein,
Osiris traditionell mit Dionysos.

6.5. Statuen und Romanhelden am Beispiel der Kallirhoe des Chariton-


Romans

In Statuen und Götterbildern ist die Gottheit nach griechischer Vorstellung


stets als gegenwärtig gedacht. 129 Die Gleichsetzung einer Protagonistin
mit solchen Statuen ist daher eine Variante der Angleichung an eine Göt-
tin und der scheinbaren Epiphanie in Person einer Romanheldin.
Am Beispiel der Kallirhoe möchte ich die hier angesprochenen The-
men der Assimilation an die Gottheit und deren Darstellung als Statue
erläutern.130 Kallirhoes unbeschreibliche Schönheit ist ein Schlüsselthema
des Chariton-Romans. Wo auch immer das Mädchen auf der Schwelle
zum Erwachsenendasein und zur Hochzeit erscheint, zieht es den Blick
anderer auf sich und wird schnell zum Objekt der männlichen Begierde. 131
Vor allem wird sie laufend mit Aphrodite gleichgesetzt (1.1.2; 1.14.1;
2.2.6; 2.3.6; 2.5.7; 3.2.14; 3.2.17; 3.6.3-4; 3.9.1; 4.7.5; 5.9.1; 8.6.11), die
als theologische Instanz der Handlung erst eine späte Begründung der
dramatischen Ereignisse darstellt. Der Zorn der Göttin wird erst am Ende,
im achten Buch, als traditionelles Motiv nachgeschoben (8.1.3). Zusätzlich
wird die Protagonistin mit Artemis (1.1.16; 4.7.5; 6.4.6), Thetis (1.1.16;
6.3.4), Ariadne (1.6.2; 3.3.5; 4.1.8; 8.1.2), Leda (4.1.8), mit einer Nereide
(1.1.2; 2.4.8; 3.2.15) und einer Nymphe (1.1.2; 2.4.8) verglichen. 132
Schließlich wird Kallirhoes strahlendes Erscheinungsbild durch Helena
exemplifiziert (2.6.1; 5.2.8; 8.1.3). 133 Durch diese mythische Figur voller
Ambiguität erhalten der Roman und seine Heldin den Reiz paradoxer
Zweideutigkeit.134 Die Gattung fordert die absolute Treue in der Ehe.
Durch das Überschreiben der Kallirhoe-Figur mit Helena wird gleichzeitig

129 Vgl. Versnel 1987, 4 6 - 4 7 ; Gladigow 1985/1986; 1990, 104.


130 Zu K a l l i r h o e s idealer S t a t u e n h a f t i g k e i t vgl. Hunter 1 9 9 4 , 1 0 7 4 - 1 0 7 6 . V g l . auch
Zeitlin 2 0 0 3 .
131 V g l . E l s o m 1 9 9 2 . V g l . zum T e x t a b s c h n i t t B i e r l 2 0 0 2 , bes. 1 1 - 1 6 .
132 Zu den N y m p h e n als B r ä u t e n , die sich am Ü b e r g a n g von π α ρ θ έ ν ο ι zu γ υ ν α ί κ ε ς
b e f i n d e n , vgl. B i e r l 2 0 0 1 , 1 3 5 mit A n m . 7 3 . Z u r A n a l o g i e mit A r i a d n e vgl. C u e v a 2 0 0 4 ,
16-24.
133 Z u m V e r g l e i c h Helena/Kallirhoe vor dem Hintergrund H o m e r s vgl. F u s i l l o 1 9 8 9 ,
28.
134 V g l . Austin 1 9 9 4 .
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 293

auf die Transgression der Norm hingewiesen - Kallirhoe heiratet ja sogar


Dionysios (3.2.15-17). Wir haben gesehen, wie der Roman wie eine Art
Traum das Mädchen in seinen Ängsten und heimlichen Wünschen an der
für dieses traumatischen Schwelle der Hochzeit zeigt. Diese Konstellation
ist exakt in der Figur der Helena mythologisch verdichtet.
Arthur Heiserman (1977, 75-93) hat Kallirhoes paradoxe Geschichte
ebenfalls als Tagtraum gedeutet. Sie träumt davon, daß alle Männer ihr
hinterherlaufen, sie selbst den Großkönig für sich interessieren kann und
gleichzeitig doch auch wieder zurück zu ihrem Gatten will, der sie schlägt
und eigentlich nicht verdient. Nach Heiserman ist die Geschichte "a fan-
tasy of erotic power (I am beautiful as Aphrodite! Even the King would
adore me!) ... in conflict with, and therefore sanctioned by, a fantasy of
moral power (I am one who would be faithful to husband and child unto
death!)" (77). Und er faßt in psychologisierender Weise die Geschichte
zusammen (91):

The reader's feelings are therefore balanced between a sense of what the heroine
deserves and what she wants. What she deserves is the admiring love of the
most attractive men in the world; what she wants is a return to a man w h o
hardly deserves her. What she gets is both. The plot reconciles the discrepancies
between what the reader feels the heroine deserves, what he knows she desires,
and what in fact she gets. In this sense, the plot is like a daydream. That is, a
plot that depicts a rise in fortune that is castigated as a decline, and a decline that
leads marvelously to a rise, is not unlike an ordinary daydream that seems to re-
concile reality, just deserts, and contrary desires.

Im Traum versucht sie also nach Heiserman, gegensätzliche Wünsche zu


versöhnen. Sie gesteht sich ihr Verlangen nach weiblicher Erfüllung nicht
ein und kompensiert es mit Klagen über den Verlust des Gatten.
Interessanterweise wird ihre Schönheit außerhalb der zahlreichen my-
thologischen Vergleiche nie genauer spezifiziert. Da sie freilich keine
Gottheit auf Erden ist, greift der Autor zu dem Verfahren, sie mit einer
Statue oder einem Götterbild (άγαλμα, ζ. Β. 1.1.1) der Aphrodite gleich-
zusetzen. 'Αγάλματα werden nie als reine Monumente betrachtet, sondern
nach griechischer Auffassung ist in ihnen zum Teil die Gottheit präsent.
Aus dieser Gleichsetzung entsteht ein Spiel zwischen Präsenz und Absenz
im künstlerischen Abbild. Auf das harmonisch-wunderschöne, aber tote
Bild kann man allerlei Wünsche und Vorstellungen projizieren, so daß es
durch Ekphrasis ebenso wie ein gemaltes Bild Handlung in Bewegung
setzt.
294 Anton Bierl

Die mimetische Kunst hat als Abbild und simulacrum jedoch auch
Anteil am Göttlichen. Kallirhoe ist ein ästhetisches Produkt der absoluten
Schönheit, das, platonisch gedacht, an das Urbild heranreicht. Als relativ
Undefiniertes, leeres Zeichen bezieht Kallirhoe ihr Leben und ihre Be-
stimmung aus dem Verlangen des männlichen Gegenübers und des Lesers.
Das Statuenhafte der Erscheinung des wunderschönen Mädchens wird
permanent hervorgehoben. Die Heldin ist einer dem damaligen Schön-
heitsideal entsprechenden figürlichen Darstellung der Aphrodite aus Mar-
mor angeglichen, an deren Ekphrasis und Verlebendigung sich der Autor
versucht, und die dabei auf einer Achse von West nach Ost und wieder
zurück bewegt wird. Gleich zu Beginn des Romans wird Kallirhoe als
άγαλμα bezeichnet: θαυμαστόν χρήμα παρθένου και αγαλμα της δλης
Σικελίας (1.1.1). Sie ist ein 'Wunderobjekt von einer Jungfrau und Stand-
bild ganz Siziliens', die Verkörperung der Aphrodite Parthenos (1.1.2).
Das entspricht exakt ihrem Status als Mädchen, das im Laufe der Hand-
lung den Schritt zur erwachsenen Frau vollzieht.135
Bereits auf dem Gut des Dionysios angekommen, wird sie beim Bade
detailliert wie Praxiteles' berühmte Aphrodite auf Knidos beschrieben: 136

είσελθοΰσαν δέ ήλειψάν τε καί άπέσμηξαν έπιμελώς ώστε,


ένδεδυμένης αυτής θαυμάζουσαι το πρόσωπον ώς θείον, και
μάλλον άποδυσαμένης κατεπλάγησαν "["πρόσωπον εδοξαν
ΐδοΰσαιΐ" · ό χρως γαρ λευκός εστιλψεν ευθύς μαρμαρυγή τινι
δμοιον άπολάμπων · τρυφερά δέ σάρξ, ωστε δεδοικέναι μή καί ή
των δακτύλων έπαφή μέγα τραύμα ποίηση. (2.2.2)

Sie kam herein und sie salbten sie zunächst sorgfältig und wischten sie ab, und
gerieten in noch größeres Staunen, als sie sich da entkleidete, wie sie schon,
während sie noch bekleidet war, ihr Gesicht bewunderten und ein geradezu gött-
liches Gesicht zu bewundern glaubten. Ihre Haut schimmerte weiß und leuchtete
wie M a r m o r , ihr Fleisch war so zart, daß man befurchten mußte, sogar eine
leichte Berührung mit den Fingern könnte eine ernsthafte Verletzung verursa-
chen.

Diese Passage hat etwas vom voyeuristischen Blick durch das Schlüssel-
loch ins Badehaus, wie Helen Elsom (1992, 221-222) betont. Entschei-
dend ist, daß erneut Kallirhoes Statuenhaftigkeit bekräftigt wird. Ihr Kör-

135
Vgl. auch Hunter 1994, 1072.
136
Zur Praxiteles-Identifizierung vgl. Hunter 1994, 1075.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 295

per wird in der bloßen Materialität beschrieben, ihre Haut ist gewisserma-
ßen der glänzend weiße Marmor eines Standbildes, das zum Leben er-
weckt wurde. In der Romanforschung wird seit geraumer Zeit die Bedeu-
tung der Malerei und der Ekphrasis hervorgehoben. 137 Die durch Mimesis
erzeugte und zu einem tableau gefrorene Staffage einer meist mythischen
Handlung wird mittels Sprache und kreativer Phantasie in bewegten
Bildabläufen vor Augen geführt. Chariton und Heliodor, der Charikleia
zusammen mit Theagenes in der anfänglichen "Pietä-Szene" 138 (Hld. 1.2)
fast wie in einer filmischen Nahaufnahme fokussiert (Hld. 1.1-4),139 über-
tragen diese Technik auf die Skulptur. Das ideal-schöne Standbild wird
durch die Sprache lebendig. Das Übermaß an weiblicher Schönheit zieht
die Blicke auf sich, wechselseitig verliebt man sich. Die als Krankheit
empfundene Liebe überführt das Paar in die onirische Gleitbewegung
eines sich über Dreiecksverhältnisse fortpflanzenden und sich ver-
komplizierenden Plots, der mittels Signifikantenketten auf der Basis von
Metaphern und Metonymien weitergesponnen wird. Der Chariton-Roman
kann somit gewissermaßen als verlebendigende Ekphrasis einer durch die
Welt weitergereichten Aphroditestatue gelesen werden. Dies ist exakt, was
Erwin Rohde an den Romanfiguren anprangert. Seiner Meinung nach sind
sie, beispielsweise bei Xenophon, nur "blosse Marionetten" ohne "klar
erkennbare Individualität" (1876, 428, 1. Aufl. 400), ohne Fleisch und
Blut. Und den "seelenlosen Gestalten" und "Gliederpuppen" (476, 1. Aufl.
447) fehle sogar bei Heliodor ein psychologisch nachvollziehbarer Cha-
rakter. Rohde beklagt ferner, daß die Schönheit in der griechischen Kultur
allgemein wenig detailliert beschrieben werde. Dieser Mangel an Konkret-
heit werde dann mit dem Griff zur idealen Statue ausgeglichen (164-165,
1. Aufl. 154-155). Rohdes Kritik am "Ausdruck kalter Musterhaftigkeit"
(477, 1. Aufl. 448) atmet den Geist eines zeitbedingten Affekts gegenüber
der rhetorischen Kunst der Zweiten Sophistik. Heute hingegen hat man im
Zuge einer grundsätzlichen Neubewertung der Rhetorik und der Zweiten
Sophistik die Visualität der Kunst als narrative Strategie des Romans er-
kannt.140

137
V g l . Bartsch 1989; N i m i s 1998; Morales 2 0 0 4 , Index 5. v. ' e k p h r a s i s ' ; vgl.
Roilos in diesem Band; fur den antiken Roman vgl. weitere Literatur ebd. Anm. 4-5.
138
Kerenyi 1927, 26.
139
Vgl. u. a. Bühler 1976; Winkler 2000/2001.
140
Vgl. Bartsch 1989; Nimis 1998; Morales 2004.
296 Anton Bierl

Rohde hat hinsichtlich der defizitären Charakterisierung der Figuren


grundsätzlich recht. In der Tat geht es den Romanautoren nicht um die
Darstellung naturalistischer und psychologisch glaubhafter Charaktere,
sondern um Ethopoiie, um die ausmalende und phantastische Schilderung
eines idealen Mädchens in der traumatischen Situation des Statuswechsels.
Es ist exakt die Absicht des Autors, Kallirhoe als unbestimmtes weibliches
Zeichen in einer imaginären Welt zu veranschaulichen. Sie ist eine Statue,
eine Schönheit ohne Eigenschaften, auf die sich alle Blicke richten und auf
die der Leser Wünsche und Erwartungen projizieren kann.
Es gibt zahllose Stellen, an denen diese wunderbare Bild-Erscheinung
thematisiert wird:141 Ein Landmädchen, das Kallirhoe badet, sagt verwun-
dert zu ihr: "Wenn du Aphrodite anschaust, meine Liebe, wirst du glau-
ben, du siehst ein Bild von dir selber!" ("δόξεις, ω γύναι, θεασαμένη την
Άφροδίτην είκόνα βλέπειν σεαυτής", 2.2.6). Die Bilder von Gott und
Menschen, konkrete Ansicht oder Abbild, werden austauschbar. Durch
solche Charakterisierungen wird die Grenze zur Gottheit hin geöffnet.
Kallirhoe wird somit mit Aphrodite nahezu identisch. Als Kallirhoe sich
wegen des Kindes, mit dem sie von Chaireas schwanger ist, entschließt,
Dionysios' Drängen doch nachzugeben und ihn zu heiraten, besucht sie
auf ihrer Fahrt vom Lande in die Stadt Milet noch ein Heiligtum der Aph-
rodite, um sich bei ihr zu beklagen und zu rechtfertigen. Als sie wieder
herausgeht, wird sie von einfachen Menschen auf dem Lande erblickt.

βαδίζουσαν δέ αύτήν άπο του τεμένους έπν την θάλασσαν


ίδόντες οί ναΰται δείματι κατεσχέθησαν, ώς της 'Αφροδίτης
αύτής έρχομένης Ίνα έμβη, και (όρμησαν άθρόοι προσκύνησαν.
(3.2.14)

Als sie, auf dem W e g e vom Tempel zum Strand, von den Schiffsleuten erblickt
wurde, überkam diese heiliger Schrecken - es schien ihnen, als käme Aphrodite
selbst, um an Bord ihres Schiffes zu gehen und sie hatten das Gefühl, sie
müßten sich alle zusammen ihr zu Füßen werfen.

In dieser Szene arbeitet Chariton mit den typischen Elementen einer


Epiphanie. Auf ihren ersten öffentlichen Auftritt mit dem Brautkleid rea-
giert die Menge spontan mit dem Aufschrei "Aphrodite ist die Braut!" ("ή
'Αφροδίτη γαμεΐ", 3.2.17).

141
Zum Bildstatus von Kallirhoe vgl. auch Zeitlin 2003.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 297

Chaireas folgt nach der Aufdeckung der tatsächlichen Begebenheiten


in Sizilien nun Kallirhoe nach Kleinasien. Paradoxerweise trifft er neben
dem Aphroditetempel in den Besitzungen des Dionysios bei Milet auf eine
wirkliche Statue der Kallirhoe aus Gold, die Dionysios weihte (εικόνα
Καλλιρόης χρυσήν, ανάθημα Διονυσίου) - 'Und auf der Stelle erbebten
die Knie und erbebte das Herz ihm' (του δ' αϋτοΰ λύτο γούνατα και
φίλον ήτορ, 3.6.3). Er zeigt die typische Reaktion auf den Schrecken im
Homerischen Vers, die andere aufgrund der Überraschung bei leibhaftigen
Erscheinungen von Göttern haben. Er wird fast ohnmächtig, eine Tempel-
dienerin hilft ihm auf die Beine und sagt:

"θάρρει, τέκνον· και ά λ λ ο υ ς πολλούς ή θεός έξέπληξεν-


έπιφανής γάρ έστι καΐ δείκνυσιν έαυτήν έναργώς. ά λ λ ' αγαθού
μεγάλου τοΰτ' εστι σημεΐον. όρας εικόνα την χρυσήν; αϋτη
δούλη μεν ην, ή δε 'Αφροδίτη πάντων ημών κυρίαν πεποίηκεν
αυτήν." (3.6.4)

"Nur Mut, mein Kind! Bist j a bei weitem nicht der erste, dem die Göttin einen
plötzlichen Schrecken eingejagt hätte! Weißt du, hin und wieder erscheint sie
hier leibhaftig, und dann kann man sie ganz deutlich sehen! Aber das ist immer
ein Zeichen fur großes Glück! Siehst du die goldene Statue hier? Das ist eine
Sklavin gewesen, und Aphrodite hat sie zur Herrin über uns alle gemacht!"

Deutlich wird hier das ganze Potential der Epiphanie ausgespielt. Das Os-
zillieren zwischen Kallirhoe und Aphrodite ist erkennbarer Motor der
Handlung. Kallirhoe war den einfachen Leuten am nämlichen Ort gerade
als wirkliche Epiphanie erschienen. Selbst als Statue löst sie denselben
thaumatischen Effekt aus, den Schrecken und das Verzücken, als ver-
meintlich reale Erscheinung der Göttin.
Nach der Hochzeit hält es ihr neuer Gatte Dionysios für richtig, daß
sie sich in einem offiziellen Trauerritual von ihrem totgeglaubten und im-
mer noch heißgeliebten ersten Gatten Chaireas verabschiedet. Im Leichen-
zug führt sie nach römischem Brauch eine sehr schöne Statue des Chaireas
mit, die nach einem Siegelringbild gefertigt ist. Obwohl es ein sehr schö-
nes Bild (καλλίστην δε ούσαν τήν εικόνα) war, blickte keiner darauf, so
lange Kallirhoe präsent war.' Denn alle blickten auf sie, das Schönheits-
bild der Superlative, 'so sehr zog sie allein aller Augen in ihren Bann'
( ά λ λ ' έκείνη μόνη τούς άπάντων έδημαγώγησεν οφθαλμούς, 4.1.10).
Ihre Wirkung auf die Menge wird, wie gesehen, unmittelbar davor als Re-
flex einer Epiphanie beschrieben. Der plötzliche Glanz löst Staunen, spon-
298 Anton Bierl

tane Proskynese und ohnmachtähnliche Zustände aus. Auf dem Grabmal


umschlingt die statuenartige Kallirhoe das schöne Abbild des Geliebten
inniglich, küßt es und klagt (4.1.11-12). Immer wieder wird die Nähe von
Hochzeit und Tod in Handlung umgesetzt. Der Liebesakt mit dem Bild
(είκών) des Geliebten erinnert an Isis und Osiris und nimmt im Todes-
ritual die Wiederauferstehung des vermeintlichen Toten und die glückliche
Wiedervermählung vorweg.
Anhand dieser Beispiele ist das 'poietische' Spiel mit der Ikonizität
der göttlichen Schönheit und ihrer epiphaniegleichen Wirkung im eroti-
schen Kontext deutlich geworden. Die heftige emotionale Wirkung der
Gottesparousie wird vom Romanautor eingesetzt, um die pathologische
Erschütterung, die Verwirrung der Gefühle zwischen Schrecken und Ver-
zauberung, sowohl plotintern als auch beim Leser zu verstärken. In der
Gleitbewegung zwischen Kunst und Wirklichkeit, Schein und Sein, öffnet
sich der Raum der imaginierten Signifikantenkette einer Erzählung.

7. Mythos
Neben den oben skizzierten Charakteristika dient vor allem der Mythos als
Projektionsfläche und strukturelle Parallelhandlung, womit sich nach einer
Formulierung von Claude Levi-Strauss "gut denken läßt". 142 Mythen
werden in künstlerischen Medien, im Bild, in der Skulptur und in der Lite-
ratur, ästhetisiert und zum festen Kulturgut, aus dem man Exempla, Ori-
entierung und Vergleiche für neue Werke bezieht. Mythen sind immer
traditionelle, autoritative Erzählungen, die einen Bezug zu gesellschaftli-
chen Fragen und existentiellen Problemen besitzen. Die Geschichten als
Gesagtes ( λ ε γ ό μ ε ν α ) werden häufig durch im Tun vollzogene Rituale
(δρώμενα) komplementiert. In beiden Ausdrucksformen will man über die
Außenwelt Kontrolle gewinnen, auch das Sprechen ist letztlich performa-
tiv. Während das Tun aus einem basalen, vielleicht sogar biologischen
Handlungskonzept abgeleitet werden kann, ist die Erzählung meist symbo-
lisch aufgeladen und verarbeitet Ängste und Gefahren, d. h. im Mythos be-

142
Ursprünglich ist dieses Diktum in der Anthropologie auf Tiere bezogen; vgl.
Levi-Strauss 1962, 89 und den klassischen Aufsatz von Tambiah 1969 mit der englischen
Formulierung ("good to think with"). Zum Mythos im R o m a n vgl. nun Cueva 2004. Mit
dieser M o n o g r a p h i e , die sich weitgehend auf den Götter- und Heroenvergleich be-
schränkt, ist zu dem breiten Thema noch nicht das letzte Wort gesprochen: vgl. die Re-
zension von T. Whitmarsh, Ancient Narrative 5, 2005, 117-124. Zu Longos vgl. u. a.
MacQueen 1990; zu Ach.Tat. vgl. u. a. Laplace 1983.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 299

gegnet man häufig detaillierten alptraumartigen Szenarien des Schreckens


und Grauens. Mythen können als Vorlagen struktureller Erzählabläufe und
als symbolisches Material dienen, aus dem sich neue Erzählung spinnt. Oft
ist der Mythos zudem begründend und in illo tempore situiert, als der Kos-
mos und die soziale Ordnung entstanden sind. Aus Mythos kann Literatur
erwachsen. Auf der Grundlage der Interdependenz von Mythos und Litera-
tur sind zum Teil ganze Romane im Sinne einer Remythisierung ange-
legt. 1 «
Bei Longos geht es um die aitiologische Dimension der Liebe. 144 In
mythologisierender Weise versetzt uns der Autor in die Zeit zurück, als
die Hirtenkinder Daphnis und Chloe individuell für sich und gleichsam
phylogenetisch für die ganze Menschheit zum ersten Mal Liebe und Sexu-
alität entdecken. Liebende, das heißt auch alle Leser, können sich an
einem solchen modellhaften Mythos qua Mimesis ausrichten, sich an die
Idee der Liebe erinnern und damit Heilung für die Qualen ihres eigenen
verwirrten Liebeszustands erfahren (Longos, praef. 3). In einer einge-
fügten Rede des Pan, der dem Methymnäerführer Bryaxis erscheint und
ihn zur Rückgabe der geraubten Chloe ermahnt, wird das mythologisie-
rende Unterfangen direkt angesprochen: 'Ihr habt von den Altären ein
Mädchen weggerissen, aus welchem Eros einen Mythos machen will'
(άπεσπάσατε δέ βωμών παρθένον έξ ης "Ερως μΰθον ποίησαν θέλει,
2.27.2).145 Gemeint sind die Altäre der Nymphen, der mythischen Verkör-
perungen der Bräute, die sich wie Chloe an der Schwelle vom Mädchen
zur Frau befinden. Der Raub der Methymnäer stellt die bedrohliche Phan-
tasie des Mädchens dar, von zahlreichen Männern der näheren Umgebung
geraubt und sexuell gefügig gemacht zu werden. Daphnis beklagt sich bei
den Nymphen (2.22), die ihm daraufhin im Schlaf erscheinen. Sie helfen,
weil ihnen Chloe besonders am Herzen liegt. Vor allem haben sie Pan
schon gebeten einzugreifen (2.23.4). Daphnis und Chloe haben Pan bisher
nicht kultisch geehrt und somit das phallisch-männliche Element sträflich
vernachlässigt. Der kriegerische Gott hilft durch ein Wunder und den eben
zitierten Appell an Bryaxis im Traum (2.27). Chloe wird gerettet, Daphnis

143
Vgl. Alexiou 2002 und oben das Kapitel "Metapher, Mythos und Ritual" (246-
249).
144
Allgemein zu Longos vgl. Hunter 1983.
145
Vgl. dazu Morgan 1994, 75-77.
300 Anton Bierl

kommt von da an der Dimension Pans näher, 146 unter anderem indem er
im Tanze mit Chloe mimetisch die sexuelle Verfolgung der Syrinx aus-
agiert (2.37).
Pan erinnert daran, wie wir gesehen haben, daß Eros aus Chloe 'einen
Mythos machen' wolle (2.27.2). Der Gott ist Schutzpatron und Regisseur
der modellhaften Geschichte, die der Erzähler aus einem Reihenbild in
Sprache umsetzt. Der Autor ist die letzte Instanz, die aus Chloe genau
einen solchen Mythos 'macht/dichtet' (ποίησαν).
Diese nahezu absurde Tatsache, daß nämlich über vier Bücher geschil-
dert wird, wie lange zwei Jugendliche brauchen, bis sie schließlich das
mächtige Gefühl der Liebe, die Krankheit, durch drei Heilmittel, den Kuß,
die Umarmung und das Nackt-Beieinander-Liegen (2.8.5), in den gemein-
samen und beide befriedigenden Sexualakt überführen können, 147 wird
plausibel durch die Versetzung in einen Urzustand des 'allerersten Mals'
in mythischer Vorzeit, wobei die Figuren dennoch in eine bürgerliche
soziale Umwelt eingebettet sind. Als Findelkinder sind sie dieser zunächst
entzogen, sie wachsen isoliert und vollkommen unbedarft auf. Trotz der
Kenntnis der Schrift sind sie in eroticis völlig naiv. Dies wird glaubhaft
durch die spezifische mythische Verankerung, die auch den Eidyllia des
Theokrit eigen ist.148
Hier wird zudem das Konzept der Mimesis virulent: Mimesis ist die
Reaktualisierung, das reenactment, eines göttlichen Modells im Lied und
Tanz.149 Longos rekurriert auf den Mythos und die Natur, um den Ur-
sprung des Modells zum Leben zu erwecken. Das τέλος dieses ausführlich
ausgemalten mythischen Prozesses der Entdeckung der Sexualität ist die
Hochzeit. Die Remythologisierung und Renaturalisierung erzeugen einen
scheinbaren Archetypus für die alltägliche Praxis der menschlichen Lie-
be.150
Jeder Mensch macht diese Entwicklungsphase durch, und für jeden
gibt es ein 'erstes Mal'. Longos versetzt uns dabei in die mythische Welt.

146
Das Paar verehrt ihn nun (2.38.1 und 2.38.3) und Daphnis schwört bei ihm den
Liebeseid (2.39.1), später auf die Proteste der Chloe hin bei Ziegen und Böcken (2.39.5-
6).
147
Vgl. u. a. Bretzigheimer 1988.
148
Vgl. u. a. Rohde 1937; Effe 1982.
149
Vgl. Koller 1954; Nagy 1990, 42-45, 339-413, bes. 346, 349, 373-375; Bierl
2001, 35 Anm. 60, 58 mit Anm. 109 und Index s. v. 'Mimesis'.
150
Zur Natur vgl. u. a. Billault 1996.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 301

Muse und Lied sind die Medien dieses mythischen Modus, zumal der ar-
chaische Dichter sich als der inspirierte Vermittler der Musen sieht. Lon-
gos geht über Theokrit und den Ausgang der bukolischen Gattung bei
Philetas zurück zum mythischen Daphnis,151 der in einer Ur-Welt zusam-
men mit den Göttern, Eros, Dionysos und Pan lebt. Und als der nicht zu-
fällig Philetas genannte Greis sie durch die Erzählung von seiner Begeg-
nung mit Eros in das Geheimnis der Liebe einweiht (2.3-6), sagt der
Autor, daß sie mit Ergötzen zuhören, 'so als ob sie einen Mythos, nicht
einen Logos hörten' (ώσπερ μΰθον οϋ λόγον άκούοντες, 2.7.1). In witzi-
ger Verkehrung des einen Fortschritts 'vom Mythos zum Logos' suggerie-
renden Satzes - diese Vorstellung war durchaus nicht nur im 19. und 20.
Jahrhundert, sondern auch bei den Griechen im Zeitalter der sogenannten
griechischen Aufklärung verbreitet - wird erneut auf die Remythisierung
des ganzen Romans verwiesen. 152 Im symbolisch aufgeladenen Mythos
kann die Geschichte von der traumatischen Schwellenerfahrung, welche
die pubertierenden Jugendlichen auf dem Weg zum Erwachsenendasein
durchleben, ähnlich einer Traumsequenz besonders eindrücklich erzählt
werden.

8. Kult

Neben dem Mythos ist in der religiösen Welt des Romans der Kult von
großer Relevanz. Zahlreiche Szenen spielen in Tempeln und Heiligtümern,
die insbesondere als Flucht- und Asylort für die Helden von Bedeutung
sein können. Beispielsweise flüchtet sich Anthia im Roman des Xenophon
ins memphitische Heiligtum der Isis. Am Apisschrein wird ihr das die
Handlung antizipierende Orakel erteilt, daß die Wiedervereinigung mit
dem Gatten bald bevorstehe (X.Eph. 5.4.6-11). Auch Leukippe kann sich
bei Achilleus Tatios ins Artemisheiligtum retten (Ach.Tat. 7.13.2-4). Hier
spielen sich dann dramatische Szenen ab. Kultische Regeln können dro-
hende Gefahren in letzter Sekunde abwenden und unerwartete Handlungs-
umschwünge einleiten. Kleitophon ist von der Todesstrafe bedroht und
soll gerade gefoltert werden. Da kommt der Artemispriester herein, der die
Zeichen einer Festgesandtschaft meldet. Daraufhin muß das Verfahren un-

151
Zu Philetas vgl. Bowie 1985; Hunter 1983, 76-83. Zu Daphnis vgl. auch Woja-
czek 1969; Hunter 1983, 22-31.
152
Heute weiß man nur zu gut, daß beide Modi sich gegenseitig bedingen; vgl. Most
1999.
302 Anton Bierl

terbrochen werden (7.12.2-4). An der Spitze der Gesandtschaft der sieg-


reichen Byzantier steht Leukippes Vater Sostratos (7.12.4), der Kleitophon
erkennt und wütend seine Tochter einfordert (7.14.1-3). Just in diesem
Augenblick kommt ein Tempeldiener zum Priester gelaufen und meldet,
daß Leukippe gefunden worden sei (7.15.1-2). Daraufhin läuft jedermann
ins Heiligtum. Der Priester bürgt für Kleitophon, der somit vorübergehend
entlassen werden muß (7.16.2). Sostratos stürmt dann mit Kleitophon zum
Tempel, um Leukippe zu begrüßen (7.16.2-4).
Schließlich wollen Thersander und seine Gefolgsleute den Angeklag-
ten Kleitophon wider die kultischen Regeln mit Gewalt wegzerren, doch
die Leute im Tempel drängen sie ab. Frustriert droht Thersander Kleito-
phon nochmals die Todesstrafe an (8.1-3). Es folgt ein feierliches Abend-
essen im Heiligtum. Der Priester lädt alle Beteiligten zum Dankesfest ein
und fordert sie auf, ihre Geschichte zu erzählen. Dadurch erfolgt eine
Rückblende, die Aufklärung über vergangene Ereignisse gibt (8.4.1-5.8).
Am übernächsten Tag wird die Gerichtsverhandlung fortgesetzt (8.7.6).
Der Priester wird nun Hauptziel der Angriffe des Thersander (8.8, bes.
8.8.6-12). Der Diener der Gottheit verteidigt sich in einer aristophanisch-
sarkastischen Rede (8.9). Anhand dieses Beispiels sieht man deutlich, wie
der Kult am Auf und Ab spannender Handlung beteiligt ist und in theatra-
lischer Manier zu erwartende Ereignisse umkehrt. Die sakrale Welt stellt
sich gegen eine völlig verdorbene und ungerechte politische Clique, die
ihre Macht nur zum sexuellen Eigeninteresse mißbraucht.
Auch Götteranrufe, Gebete, Zeremonien, Prozessionen, Feste und Op-
ferungen gehören zum selbstverständlichen Material der Romane. Selbst
diese Elemente sind nie Selbstzweck, sondern Teil des Szenarios und des
erotischen Plots, Ermöglichungsstruktur und Quelle der Emotionalisie-
rung. In Heiligtümern veranstaltet man unter anderem Weihungen; bei-
spielsweise weiht Anthia ihr Haar am Ende des Romans im Heliostempel
für ihren Gatten (X.Eph. 5.11.5-6), 1 5 3 was zum Erkennungszeichen für
Leukon und Rhode wird (5.12), die vorher bereits Habrokomes, den 'Ele-
ganthaar', wiedererkannt haben und schließlich die endgültige Wiederver-
einigung des Paares vermitteln. Schon bei der Ausfahrt macht man in
Rhodos Station und stiftet Helios eine Rüstung (1.12.1-2). Diesen Ort
steuern Habrokomes und Anthia aus Erinnerungsgründen automatisch an

153 Z u m H a a r o p f e r als Z e i c h e n der Initiation und zur W i e d e r e r k e n n u n g mit e i n e m


Haaropfer vgl. A . Ch. 1 6 8 - 1 6 9 , 2 2 6 ; vgl. auch B i e r l 1 9 9 4 , 152 A n m . 2 7 .
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 303

(5.10.6-8 und 5.11.3-4), und in zeitlicher Versetzung treffen die treuen


Sklaven hier auf sie (5.10.9-11 und 5.12, bes. 3-5). Bei Achilleus Tatios
feiert Kleitophon mit Melite im Isistempel Hochzeit (Ach.Tat. 5.14.2-4),
die lange nicht vollzogen wird. Die Überfahrt von Alexandria nach Ephe-
sos am Tag darauf wird als ein mit Symbolen der Isis aufgeladenes eroti-
sches Ereignis geschildert, ohne daß Kleitophon den Avancen von Melite
willfährig ist (5.15-16). Vorgetäuschte Weihungen können als Tricks und
Ausflüchte gegen sexuelle Bedrohungen verwendet werden, etwa Anthias
Ausrede bei Xenophon von Ephesos, sie sei unter dem Namen Memphitis
Isis verpflichtet (X.Eph. 3.11.4-5).
Bei Heliodor besteht in noch viel auffälligerer Weise als in den ande-
ren Romanen eigentlich die gesamte Handlung aus Versatzstücken, die der
Religion, dem Mythos, Kult und Ritual entnommen sind. Das Personal ist
zu weiten Teilen aus Priestern und Pristerinnen sowie heiligen Männern
und Frauen zusammengestellt (Thyamis, Petosiris, Kalasiris, Hydaspes,
Sisimithres, Charikles, Charikleia, Theagenes, etc.). Tempel, Tempel-
dienst und Orakel dienen häufig als Ambiente und Motivierung; über den
Einsatz von Statuen war bereits oben die Rede. Auch heilige Gesandt-
schaften (θεωρίοα) werden zu ähnlichem Zwecke eingesetzt. Als Beispiele
sind die von dem achilleusgleichen Theagenes aus der Ebene Thessaliens
nach Delphi geführte θεωρία bei Heliodor (2.34-3.3) zu nennen, oder die-
jenige des Sostratos nach Ephesos bei Achilleus Tatios (7.12.2-4).
Auf der Handlungsebene dienen die Orakel ebenso wie Träume der
erzählerischen Prolepse, der Vorschau auf den weiteren Verlauf der Ereig-
nisse. Zudem können sie als Teil der dissemination, der von Eros bewirk-
ten Sinnstreuung, verwendet werden, die in symbolisch-assoziativer Form
in eine Geschichte übertragen wird. Es gehört zum Wesen von Orakeln,
daß sie nicht klar verständlich sind, weil sie mehrere Sinnmöglichkeiten in
sich tragen.154 Bisher wird in der Forschung noch kaum erkannt, daß sich
im Liebesroman fast alle Inhalte von Prophezeiungen metaphorisch auf
die Liebe, die damit verbundenen Wirrungen oder in verschlüsselter Form
auf die Sexualität beschränken. So geht beispielsweise der aus plot-
motivierender Hinsicht vielkritisierte Götterspruch bei Xenophon (1.6.2)
in seiner Bildhaftigkeit ganz im Diskurs des Erotischen und des rite de
passage auf, der die romantypische Struktur der ganzen Geschichte be-
stimmt. Das Apollonorakel in Kolophon gibt den Eltern folgenden Spruch:

154
Vgl. Bartsch 1989, 80-108.
304 Anton Bierl

τίπτε ποθείτε μαθεΐν νούσου τέλος ήδέ καν άρχήν;


άμφοτέρους μία νοΰσος έ'χεν λύσις ενθεν ενεστι.
δεινά δ' όρώ τονσδεσσν πάθη καν άνήνυτα εργα·
άμφότερον φεύξονταν ΰπενρ αλα λυσσοδνωκτον,
δεσμά δε μοχθήσουσν παρ' άνδράσν μνξοθαλάσσονς,
καν τάφος άμφοτέρονς θάλαμος καν πυρ άίδηλον.
καν ποταμού Νείλου παρά ρεύμασνν "Ισνδν σεμνή
σωτείρη μετόπνσθε παραστης δλβνα δώρα.
ά λ λ ' ετν που μετά πήματ' άρενονα πότμον εχουσν.

Warum ersehnt ihr denn, zu erfahren der Krankheit Ende oder Anfang?
Beide hält eine einzige Krankheit im Griff, die Lösung davon liegt auch darin.
Gewaltige Leiden sehe ich fur diese und endlose Werke;
beide werden fliehen über das Meer, vom Wahnsinn getrieben,
sie werden Fesseln erleiden von Männern, die sich mit dem Meere vermischen,
und ein Grab wird für beide die Hochzeitskammer sein, und vernichtendes
Feuer,
und bei den Wassern des Flusses Nil möge man der geheiligten Isis,
der Retterin, später reiche Geschenke darbringen.
Aber nach den Leiden haben sie dann irgendwo ein besseres Los. 155

Es gibt für die beiden Protagonisten Anthia und Habrokomes, die sich
eben unsterblich ineinander verliebt haben, in der Empfindung der als Lei-
den erfahrenen Liebe eine Krankheit (νοΰσος) sowie eine Lösung davon
(λύσνς), die natürlich die Hochzeit, das angestrebte τέλος, darstellt. Davor
muß jedoch ein qualvoller rite de passage von δεννά πάθη durchlaufen
werden. Die εργα können rituelle Handlungen sein, aber auch die Werke
der Liebe selbst, die Durchführung, wie gleich darauf in der Schilderung
der Hochzeitsnacht beschrieben wird (των 'Αφροδίτης έργων άπήλαυον,
1.9.9). Die Flucht über das Meer kann man wörtlich nehmen, wie es die
Väter tun. Es geht freilich ebenso um den Kampf gegen Eros. Dieser
erzeugt μανία und λύσσα (vgl. λυσσοδνωκτον), man wird vom Wahnsinn
verfolgt, strebt und verlangt nach dem anderen. Dabei überschreitet man
sämtliche Grenzen, selbst das Meer (φεύξονταν ΰπενρ άλα). Die Reise in
den unbekannten Raum des 'Anderen' ist gleichzeitig eine Absonderung
vom eigenen οίκος, der Ritus der separation. Liebe bedeutet zugleich Fes-

155
Ich folge hier der einzigen Handschrift F, während O ' S u l l i v a n den Vorschlag
von Passow und Merkelbach akzeptiert, den letzten Vers vor den drittletzten zu stellen;
auch im vorletzten Vers folge ich der Überlieferung und setze π α ρ α σ τ η ς statt π α ρ α -
σ τ ά σ ' . Übersetzung Α. Β. Zum Orakel vgl. u. a. Rohde 1876, 424-425 (1. Aufl. 396-
397); Ruiz-Montero 1994, 1098-1101.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 305

sein (δεσμά), eine magische Kraft, die einen bindet (καταδεσμός). Das
Meer steht als eine Metapher für die emotionale Weite, auf die man sich
einläßt.156 Das Wasser wird unter anderem mit den Tränen (δάκρυα) asso-
ziiert, die gleich in der nächsten Szene reichlich fließen (1.9.2-5). Die
Hochzeit (vgl. θάλαμος) wird in griechischer Vorstellung häufig mit dem
Begräbnis (τάφος) verbunden. 157 Es gehört dazu, sich leidvoll vom vor-
herigen Zustand der Kindheit abzulösen. Gerade für die Jungfrau ist der
Prozeß besonders schmerzhaft, weil sie in das Haus des Mannes geht und
alle sozialen Bande hinter sich läßt. Das Feuer (πυρ) bezieht sich ebenfalls
auf die Macht der Liebe. Man brennt vor Eros (καιόμενοι, 1.9.1). Es ist
άίδηλον, das heißt es vermag, auszulöschen und zu vernichten, wörtlich:
'unsichtbar' zu machen. Liebe aber 'geht über die Augen', 'vor Liebe wird
man blind'. Zugleich deutet das Wort auf Hades, Ά ί δ η ς , den 'Unsicht-
baren', hin. Und in der Tat nimmt das Orakel die typischen Ereignisse vor-
weg, die den Zustand der erotischen Marginalität metaphorisch umkreisen:
Banditen und Piraten tauchen unmittelbar danach auf, das Motiv des
τάφος - θάλαμος und des πυρ άίδηλον ist mehrmals präsent. Die Schiffe
brennen sehr bald, und beide Helden erleiden mehrere Fast- und Schein-
tode (Gift, Grube, Aresopfer, Habrokomes' Todesstrafe am Nilufer). Zu-
letzt, nämlich in der endgültigen Vereinigung, empfindet man die reichen
Gaben der Aphrodite als glückseligmachend (δλβια δώρα). Isis als Göttin
der Ehe vermag dies zu gewähren. Anthia und Habrokomes können der
Göttin zuletzt den entsprechenden Dank abstatten. Nach dem erfolgrei-
chen Bestehen des Übergangsrituals steht ihnen ein besseres Los bevor
(άρείονα πότμον εχουσιν). Anhand dieser Deutung wird deutlich, in
welchem Verhältnis die Abenteuerepisoden in Funktion zur gattungskon-
stitutiven Vorstellung der Liebe stehen.158

9. Magie, Zauber, Wunder und Heilung


Wenngleich die Gattung grundsätzlich vom Mirakulös-Märchenhaften und
Phantastischen bestimmt ist, sind solche Züge bei Heliodor besonders
prominent. 159 Der ägyptische Priester Kalasiris fungiert als nahezu goeti-
scher Zauberer, Heiler und Magier. Gleichzeitig verwendet Heliodor diese

156
Zu Meer und Sturm als Metaphern der Liebe vgl. Laplace 1983, 317.
157
Vgl. Alexiou 1974.
158
Vgl. zum ganzen Abschnitt Bierl 2006, 87 Anm. 67.
159
Vgl. nun Ruiz-Montero 2007.
306 Anton Bierl

Figur in seiner ausgefeilten narratologischen Kunst als Mittel der Sinn-


streuung. Durch den ägyptischen Weisen, gleichsam einen internen zwei-
ten Autor, vermag Heliodor Fährten zu legen, die den Hörer zum Narren
halten, eine doppelte und verzögerte Motivierung liefern, bisweilen aber
auch den Gang der Ereignisse auf dem vorbestimmten Pfade vorantreiben.
Kalasiris ist ambivalent, unergründbar und mysteriös. Er verkörpert als
Trickster, Scharlatan, weiser und heiliger Mann, Mystiker, Asket und Phi-
losoph in ein und derselben Person160 den heteroglossen, sylleptischen Ro-
man in seiner Spannung zwischen religiös-überhöhendem Anspruch und
erotischer Basishandlung. Als 'Disseminator' verwirrt Kalasiris den Le-
ser.161 Im ägyptischen Kleid des Weihepriesters involviert er ihn durch
fremdartige und theatrale Verfahren in das Labyrinth der Erzählung. In-
dem er die Signifikanten vervielfacht und den Modus der Narration er-
weitert, wird der Sinn, das Signifikat, aufgeschoben.
Als Magier verzaubert er den Rezipienten und die Figuren im Roman.
Mittels performativer Praktiken und magischer Prozeduren der medizini-
schen Therapie - er gibt vor, vom bösen Blick zu heilen (3.7.2-3.8; 3.18.3;
3.19.2; 4.5.4; 4.5.6),162 der auf der Ebene des Eros tatsächlich Auslöser der
als Krankheit empfundenen Liebe ist, - kann er die der Liebe keusch wi-
derstehenden Protagonisten zum einen dazu führen, sich ihres Gefühls
bewußt zu werden, zum anderen überhaupt zu beiden Kontakt aufbauen,
um sie dann nach Ägypten mitzunehmen. Der Plan ist längst gefaßt, als
Figur implementiert Kalasiris lediglich eine Vorhersehung der Gottheit
bzw. des Autors Heliodor. In der Liebe der beiden zueinander sieht er die
Chance, Charikleia ihrem Ziehvater zu entreißen, während die Verheira-
tung mit ihrem Cousin Alkamenes für sie die endgültige Installation in
Delphi bedeutet hätte. In seiner Funktion als Trickster ist er in der Lage,
vor Charikles 'Theater zu spielen' (4.5.3) und eine komplexe Intrige in
Handlung umzusetzen.
Wie ein Exorzist versucht er das leidende Mädchen von seiner Be-
sessenheit zu befreien. In einer künstlichen Versuchsanordnung zu dem
Zwecke, herauszufinden, wen sie denn liebe, gibt er vor, er benötige dazu
die Binde des Mädchens (4.5.1; 4.7.13). Damit entfaltet er die in Hiero-

160 Vgl. die Charakterisierung von Sandy 1982, 142-154, bes. 154.
161
Vgl. Winkler 1982; Futre Pinheiro 1991b.
162 V g | Yatromanolakis 1988 und Rakoczy 1996, 205-213; zum Medizinischen vgl.
Robiano 2003.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 307

glyphen eingestickte Botschaft vor Charikleia und dem Leser (4.8.1-8). Er


tut so, als sei ihm nun erst alles klar, in Wahrheit vollzieht er damit die
Sinnkonstituierung im Nacherzählen. Im 'Roman im Roman' des Haar-
bandes erhält der Leser nun im nachhinein Aufklärung über die Hinter-
gründe. Als innerer Autor weiß Kalasiris natürlich selbst längst Bescheid.
Nach dem Geständnis der Liebe und dem Beweis der Herkunft kann er
nun dazu übergehen, die keuschen jungen Leute durch den Plan, sie heim-
lich in die Ehe zu führen, dazu zu bewegen, mit ihm nach Äthiopien auf-
zubrechen. Mittels der sogenannten Meroe-Episode (4.12) wird eine
weitere Motivierung nachgereicht. Er sei bereits einmal in Äthiopien ge-
wesen, um sich in der Weisheit des Landes unterweisen zu lassen. Dabei
habe er auch Persinna getroffen, die ihm den Auftrag erteilt habe, die
Götter zu befragen, wo Charikleia lebe, um sie zurückzuführen. In der
Forschung diskutiert man, ob der Autor hier in einem Lapsus 'schlampig'
motiviere,163 ob Kalasiris nachträglich eine Lüge erfinde 164 oder ob er die
Umstände wirklich nicht verstehe und somit alles als Autor-Strategie eines
absichtlichen Verwirrspiels gelesen werden müsse. 165 Selbst bin ich der
Meinung, daß er die Zusammenhänge längst verstanden hat oder zumin-
dest erahnt. In ihm spiegelt sich auch der hermeneutische Prozeß des Le-
sers, der das Puzzle der Ereignisse nur allmählich zu einem geschlossenen
Bild zusammenzusetzen vermag. Die Integration einer solchen zusätzli-
chen Motivierung im nachhinein ist ein gezieltes Mittel der Sinnstreuung,
das dem Leser angesichts der Widersprüchlichkeit des Kalasiris gar nicht
mehr weiter auffällt. 166 Kalasiris pflegt sich zu inszenieren. Er will nun
analeptisch im Sinne einer Platonischen 'nützlichen und edlen Lüge' (R.
382d; 389b, 414bc) seine Motive nachliefern, da es sonst den Anschein
erwecken würde, als wäre er rein zufällig nach Delphi gekommen. Der
Autor will den Eindruck erzeugen, daß alles unter einem höheren Walten
steht. Der Scharlatan stellt sich also systematisch unter eine göttliche Wei-
sung, um selbst bedeutender zu werden sowie das Paar zur Reise und zu
ihrem Rollenspiel in einer 'fiktionalen Geschichte' (πλάσμα, 4.13.4) zu
bewegen.

163
Vgl. Hefti 1950, 72-78.
164
Vgl. Baumbach 1997.
165 V g i W inkier 1982 , bes. 93, 148.
166
Ähnlich Futre Pinheiro 1991b, 78-82.
308 Anton Bierl

Im sylleptischen Heliodor-Roman herrscht zudem eine Spannung zwi-


schen höherer und niederer Magie (vgl. 3.16.3-4), vergleichbar mit der
'Himmlischen' (Ουρανία) und der 'Gewöhnlichen' (Πάνδημος) Aphro-
dite bei Piaton (Smp. 180d6-9).167 Ein Beispiel für die volkstümlich-phan-
tastische Form des Hexenwesens findet sich im sechsten Buch. Kalasiris
und Charikleia, als Bettler verkleidet (6.10; 6.11.3-4; 6.12.1), stoßen
nachts vor Bessa auf ein altes Weib (6.12.2). Die Bessaer haben am näm-
lichen Tage Mitranes in einer Schlacht besiegt, um nun gegen Memphis zu
ziehen, mit der Absicht, ihren Führer Thyamis dort wieder als Priester ein-
zusetzen. Auf dem schrecklichen Kampffeld beklagt die Frau ihren toten
Sohn. In der Verborgenheit der Nacht werden Charikleia und Kalasiris
nun Zeugen eines grausigen Rituals, das sich wie eine theatrale Perfor-
mance abspielt (6.14.2). Zum Zwecke einer Nekromantie ruft die Alte den
toten Sohn wieder ins Leben zurück, um über den Verbleib und das wei-
tere Schicksal ihres überlebenden Kindes etwas zu erfahren (6.14.3-15.3).
Charikleia schleicht sich an dieses schreckliche Spektakel näher heran,
auch um über sich selbst Auskunft aus dem chthonischen Bereich zu er-
halten.168 Der Geist ist sich der fremden Zeugen bewußt und wechselt so
am Ende der negativen Prophetie an die Mutter indirekt die Adressatin, in-
dem er der Mutter den Romanplot weissagt und Charikleia ein happy end
am Rande der Welt voraussagt (6.15.4). Die Hexe will daraufhin die Lau-
scher attackieren. Bei ihrer wahnsinnigen und ungestümen Verfolgung fin-
det sie durch einen Speer ihr Ende (6.15.5). Hier wird wiederum deutlich,
daß das Ritual nie Accessoire ist, sondern die Handlung mitsamt ihrer
dramatischen Wirkabsicht kunstvoll vorantreibt. Die Inszenierung einer
Nekromantie kreiert die Spannung 169 und involviert den Leser mit all
seinen Gefühlen angesichts des phantastischen Grauens. Im chthonischen
Ritual wird Unmögliches möglich: die Leiche kommt wie ein Geist aus
einer anderen Welt und wird zur Sprache gezwungen. Die für das Leben
der Hexe erwünschte Prophetie wird zum Fortgang der höheren
Geschichte aufgeschoben und umgepolt. Intertextuell verweist das
Spektakel auf das dramatische Modell der Aischyleischen Perser, wo
Dareios' Leiche durch Beschwörungsrituale (598-680) für eine Prophetie

167
Vgl. Jones 2004.
168
Vgl. nun Slater 2 0 0 7 , 5 8 - 6 1 .
169
Allgemein zur Nekromantie vgl. Ogden 2001, im Roman nun Slater 2007.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 309

(681-842) aus der Totenwelt zurückgeholt wird. 170 Ferner bezieht sich die
Szene auf den 'erotischen' Prätext der Odyssee, speziell auf die Nekyia
(11.51-627), wo Odysseus vor seiner Rückkehr als Bettler bei den
Unterweltsseelen unter anderem über die Vorgänge in seinem Hause
Erkundungen einholt.
Mit ägyptischen Beschwörungs- und Heilritualen hantiert auch Achil-
leus Tatios in der berühmten Bienenstichgeschichte (2.7). Durch den vor-
getäuschten Stich in die Lippe kann Kleitophon Leukippe zur Behandlung
bewegen, wodurch es zum ersten Kuß der beiden kommt.

10. Weihbild, Votivinschrift und Aretalogie


Bekanntlich gehört es zur Konvention des Romans, die Geschichte mit
dem Beglaubigungsapparat einer Weihung zu umrahmen, sei es mittels
einer Inschrift, eines Buches oder Bildes.171 Besonders deutlich tritt dieses
Motiv bei Xenophon von Ephesos zum Vorschein. Bis vor kurzem hat
man immer wieder versucht, Xenophons angebliche erzählerische Mängel,
den gehetzten Staccato-Stil, die häufig kaum erkennbare Motivierung von
Handlungen, das Fehlen einer kunstvollen Gestaltung, die abrupten Über-
gänge sowie das plötzliche Auftreten von vorher nicht 'vorbereiteten' Fi-
guren als Kennzeichen einer später angefertigten Epitome zu erklären. 172
Dagegen bin ich davon überzeugt, daß die summarische Erzählweise der
Massierung von Ereignissen in einer Kette mechanischer Wiederholungen
und Variationen ein bewußtes Stilmittel Xenophons ist. In der extra- und
heterodiegetischen Nullfokalisierung mit leichter interner Fokalisierung
erweist er sich als allwissender Autor. 173 Die auffällige Flächenhaftigkeit
der Darstellung ahmt die traumatische Wirkung eines Tableaus nach, eines
Reihenbilds zahlloser schrecklicher Momentaufnahmen. Die Struktur der
Erzählung rührt meines Erachtens von der stilistischen Umsetzung einer
'autobiographischen' Inschrift her. 174 Ganz am Ende weihen die beiden
Helden ihre Leidensgeschichte tatsächlich als eine Votivautobiographie

170
Vgl. Bierl 2 0 0 7 , 6 1 .
171
Vgl. Hansen 2003; Sironen 2003.
172
Vgl. Bürger 1892; vgl. ausfuhrlicher Bierl 2006, 78-82.
173
Vgl. Bierl 2006.
174
Ganz am Rande haben Schmeling 1980, 81, 107 und Laplace 1994, 441 mit
A n m . 3 und 4 schon darauf aufmerksam gemacht. Vgl. nun auch Hansen 2003, 308-309
("light pseudo-documentarism", 309). Zur Inschrift bei Xenophon vgl. Sironen 2003,
290-292.
310 Anton Bierl

der Göttin Artemis im Tempel von Ephesos (θύσαντες α λ λ α άνέθεσαν


αναθήματα καΐ δή και την γραφήν τη θεω άνέθεσαν πάντων δσα τε
επαθον και οσα έδρασαν, 5.15.2).175 Der Roman stellt also aus dieser
Perspektive ein extrem langes Epigramm zum Preis der Götter dar, gewis-
sermaßen eine persönliche Aretalogie. 176 Γραφή kann natürlich zugleich
auf ein Buch verweisen, das im Heiligtum hinterlegt wird. 177 Es ist mit
dem vorliegenden Roman identisch, der in seiner summarischen Monu-
mentalisierung stilistisch eine Inschrift auf Stein imitiert.178
Das Motiv der Weihung im Zusammenhang einer Beglaubigung findet
sich auch in anderen Romanen. Daphnis und Chloe weihen nach ihrer
Hochzeit ein Reihenbild mit Szenen (Longos 4.39.2), das Longos nach
den Worten seines Proöms in Schrift umsetzt (praef.; vgl. εικόνος γρα-
φήν, praef. 1). Die Abenteuer jenseits von Thüle des Antonios Diogenes
geben die Erzählung des Deinias wieder, die er auf Tafeln schreiben ließ,
die neben seinem Grab in Tyros deponiert waren und von einem Getreuen
Alexanders des Großen nach der Eroberung der Stadt gefunden werden.
Heliodors Erzählung basiert zumindest auf der Beischrift (4.8), die dem
Stirnband als σύμβολον (10.41.2) der Charikleia mitgegeben ist. Und der
Ich-Erzähler in Achilleus Tatios' Roman findet seine Anregung wenig-
stens noch in dem Votivbild mit dem Raub der Europa, das er zusammen
mit dem Rahmenerzähler im sidonischen Astarte-Tempel betrachtet (1.1.
2-13).
Merkelbach hat den Ursprung des Romans in solchen Wunderberich-
ten gesehen, wie sie im Roman geweiht werden. 179 Jedoch sollte man nicht
der Fiktion einer Beglaubigung vertrauen. Auch hier geht es darum, die
imaginäre Geschichte zu erhöhen, ihr religiöse Würde zu verleihen und

175
Mehrmals wird auf Weihungen zusammen mit Inschriften hingewiesen, deren
Wortlaut als Epigramm in den Text eingelesen wird. Das Paar weiht in Rhodos eine
Panoplie mitsamt einer Inschrift für Helios (1.12.2; mit späterem Bezug 5.10.6; vgl. auch
5.10.7-10; 5.11.3-4; 5.12.3), Hippothoos verfaßt ein Grabepigramm für seinen ertrunke-
nen Geliebten (3.2.13) und Anthia hinterläßt eine Votivinschrift im Zusammenhang mit
der Darbringung einer Locke (5.11.6).
176
Merkelbach 1995, 347-348 betrachtet die Ephesiaka als "noch fast eine Aretalo-
gie".
177
Vgl. Hansen 2003, 308 Anm. 15. Merkelbach 1962, 113 weist auf die Deponie-
rung solcher Bücher hin, die als Aretalogien der Götter dienten.
178
Vgl. Bierl 2006.
179
Merkelbach 1962, 113; 1994; 1995, 340-348. Vgl. schon Kerenyi 1927, Index
j. v. 'Aretalogie , -isch'.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 311

vor allem Authentizität zu beanspruchen. Wunder erleben die Jugendli-


chen in der Tat auf ihrer Reise eines rite de passage. Diese Wunder sind
freilich nicht real erfahrbare Ereignisse, die in ihrer Unmöglichkeit nur als
von einer Gottheit bewirkt gedacht werden können. Vielmehr sind die
Geschichten Ausdruck der traumatischen Krisensituation, die in onirischen
Phantasien ausgelebt wird. Die Irrealität wird nachträglich religiös erklärt,
was die frei flottierende Signifikantenkette post festum in einen göttlichen
Sinnzusammenhang stellt. In Wirklichkeit steht hinter der erfundenen Ge-
schichte immer nur der Autor, der sich mit dem sakralen Anstrich einen
nahezu olympischen Status der Allwissenheit zuschreibt.

11. Reiseroute, religiöse Sinnsuche und Sonnenlauf


Die Reise wird insbesondere im Bezug auf Götter wie Helios und Isis mit
höherem Sinn aufgeladen. Im Roman ist Isis in ihrer Funktion als Retterin
(σώτειρα) aus der Not häufig die göttliche Schutzherrin der Liebenden.
Damit wird auch Ägypten oft zum Schauplatz der Ereignisse in der Mar-
ginalität. Bei Xenophon von Ephesos, Achilleus Tatios und Heliodor dient
Ägypten als besonderer, sakral und symbolisch reicher Ort. Im Ablaufen
einer Route durch heilige Orte vom Nildelta über Memphis bis zu den
Katarakten wird das Paar mit Signifikanten angereichert, die ihren Stoff
aus einer antiken Ägyptomanie beziehen. Ägypten fungiert als Ort der
Fülle, des Luxus, der Reinheit und Weisheit einer uralten Kultur, die mit
Isis, Osiris und Helios in Verbindung steht. Geheime Hieroglyphen stehen
für ein Übermaß der Signifikation, 180 die auf den Sinn selbst verweist. Das
Land am Nil dient ferner als exotischer Sinnträger, als Ort der Wunder
und Magie, der Zauberer, Weisen und Hexen. Vor allem ist Ägypten mit
dem Mysterium, dem Tod und der Mumifizierung verbunden. Zuletzt ist
es als das 'Andere' schlechthin Refugium der Räuber, Banditen und βου-
κόλοι. 181
Die bei Xenophon verfolgte Route durch die Mittelmeerwelt von Ost
nach West findet in Ägypten und im Grenzland zu Äthiopien ihr Zen-
trum. 182 Isis ist allgegenwärtig. Die Todeserlebnisse des Habrokomes am
Nilufer werden mit einer Mysterienerfahrung von Tod und Wiedergeburt
in Verbindung gebracht. Die fiktive Weihung der Anthia als Ausflucht vor

180 V g i e t w a Η ω 4 8

181
Vgl. Bertrand 1988.
182
Zu diesem und dem folgenden Abschnitt vgl. Bierl 2006, 81.
312 Anton Bierl

Psammis (3.11.4-5), ihre Identifikation als Memphitis vor Hippothoos


(4.3.6), die Todeskonfrontation mit den ägyptischen Hunden in der Grube
(4.6.3-7), die Flucht ins Heiligtum der Isis in Memphis (5.4.6-7) und das
Orakel im dortigen Apistempel (5.4.8-11) unterfüttern die Geschichte mit
einem religiösen Sinn, den ihr Ägypten als heilige Landschaft verleiht.183
Von dort geht es weiter nach Unteritalien, einem Raum mysterienhafter
Erlebnisse, wenngleich die Wahl des Schauplatzes zum Teil wohl auch
aufgrund von Assoziationen mit Reichtum und erotischer Käuflichkeit
getroffen worden ist. Durch die Anbindung an den Sonnengott Helios,
beispielsweise in der Rahmenhandlung auf Rhodos, ferner in Ägypten und
Äthiopien, wird der Route zudem der kosmische Sinn des Sonnenlaufs
zugewiesen. In Äthiopien, dem Grenzland, dessen Einwohner 'zwiefach
geteilt sind, die äußersten Menschen, / gegen den Untergang der Sonnen
und gegen den Aufgang' (τοι διχθά δεδαίαται, έσχατοι ανδρών, / οί μεν
δυσομένου Ύπερίονος, οί δ' ανιόντος, Horn. Od. 1.23-24),184 und wo die
Sonne unter- und wieder aufgeht, entwickelt sich die Peripetie, die zur
Rettung führen wird. Auch die Heldin geht hier beinahe unter und lebt
wieder auf (4.6.4-7). Man könnte den Verlauf der Stationen zudem mit
einer kosmischen Reise der Sonne von Ost nach West, von Phönizien über
die Achse Ägyptens und Äthiopiens bis nach Unteritalien in Verbindung
bringen, wobei der per Schiff rasch überwundene Weg von dort bis zur
zentralen Heliosinsel Rhodos eventuell auf die unterirdische Fahrt der
Sonne in der Barke vom Okzident zum Orient anspielt.185
Während die Route bei Chariton ebenfalls auf der West-Ost-Achse mit
Rückkehr über Ägypten verläuft, gibt es bei Achilleus Tatios eine Bewe-
gung an der kleinasiatischen Küste ins Nildelta und zurück. Zuletzt reist
man nach Byzanz. Heliodor ist auch hier am komplexesten. Sämtliche
totalisierenden Sinnzusammenhänge, die sylleptische Verbindung von
Griechen und Barbaren, Innen und Außen, Athen und Delphi, Weiß und
Schwarz, Religion und Eros, Philosophie und Abenteuer, Realität und
Utopie, werden in der Reise auf der Süd-Nord-Achse zwischen den heili-
gen Orten Meroe und Delphi aufgehoben. 186 Der Kurs von Äthiopien über

183
Vgl. Griffiths 1978.
184
Übersetzung von J. H. Voß. Zur Rolle Äthiopiens im Roman des Heliodor vgl.
Whitmarsh 1998.
185
Vgl. Marinatos 2001, bes. 382-387 (zum ägyptischen Kontext).
186
Vgl. u. a. Whitmarsh 1998; 1999. Zu Delphi bei Heliodor vgl. Feuillätre 1966,
45-67; Rougemont 1992.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 313

Ägypten nach Delphi und von dort wieder zurück besitzt eine besondere
sakrale Bedeutung. Durch das schon beschriebene narrative Verfahren
wird dieser Ablauf verwirrt und zerstreut. Das traumartige Gleiten erhält
durch die in-medias-res-Technik - Heliodor erzählt die komplexen Ereig-
nisse nicht chronologisch vom Anfang her, sondern setzt in der Mitte mit
den Geschehnissen im Nildelta ein - eine deutliche Fokussierung auf
Ägypten, auf das heilige Land des Übergangs. Hier konzentriert man sich
zuvorderst auf das sumpfige Nil-Mündungsgebiet, den Ort des 'Anderen'.
Indem der Ausgangs- und Endpunkt nur ana- und proleptisch auftauchen,
wird man in der schlangenförmigen Anordnung zunächst einer zirkulären
Wirkung ausgesetzt, 187 bis dann im zweiten Teil linear auf das eigentliche
τέλος, auf den Ursprungsort Meroe, die dortige Vereinigung der Geliebten
mit den Eltern und ihre Hochzeit zugesteuert wird. In der zivilisatorischen
Überwindung des Menschenopfers wird diese Bewegung vom Nildelta
nach Memphis und dann über die Grenzen Ägyptens hinaus zum Schritt in
die Utopie einer geheiligten Ordnung.
Hier ist erneut die Aufladung mit höherem Sinn durch die Sonne fest-
zustellen. Man kann also die Reisestrecke wiederum mit dem Sonnenlauf
verbinden. In Äthiopien stellt man sich das Land des Auf- und Untergangs
des Himmelskörpers vor - das Licht wandert dann nach Norden, bis es
wieder zum Ausgangspunkt zurückkehrt. Die Sonne und Helios als Gott-
heit spielen auch sonst bei Heliodor eine zentrale Rolle. In der sphragis
am Ende (10.41.4) nennt sich der Autor wie folgt, wobei er seine Verbin-
dung mit Helios betont: ... άνήρ Φοίνιξ Έμισηνός, των άφ' 'Ηλίου
γένος, Θεοδοσίου παις 'Ηλιόδωρος. Er bezeichnet sich also als einen
Phönizier, gebürtig aus Emesa, Hauptstadt der neugegründeten Provinz
Phoinike Libanesia und Zentrum des neuen Sonnenkults, der von Kaiser
Elegabal, der selbst aus Emesa stammt, nach Rom importiert wird. Helio-
dor pocht zudem auf seine Abkunft von einer Linie, die sich auf Helios
zurückführt.
Es stellt sich die Frage, ob dem Sonnenkult bei Heliodor größere Be-
deutung zukommt. Hier gehen die Meinungen erneut auseinander. Mer-
kelbach (1962, 234) glaubt, Charikleia sei ein "Heliosroman", der alle
anderen heidnischen Mysterienkulte synkretistisch integriere. Er interpre-

187
Vgl. Michael Psellos, De Heliodoro et Achille Tatio judicium, 24-25 (Dyck):
'Und der Anfang selbst des Romans gleicht gewundenen Schlangen' (και αύτη δε ή
άρχή τοΰ συγγράμματος εοικε τοις έλικτοΐς οφεσι).
314 Anton Bierl

tiert folglich diesen Roman in sehr weiten Kategorien als kodierte Allego-
rie des Falls der menschlichen Seele in die Niederungen der Materie, wo-
durch sie ihre göttlich-himmlische Abstammung vergessen habe, und ihrer
Rückkehr ins Sonnenland. Dies entspricht einer Deutung, die bereits von
den Neuplatonikern vorweggenommen wird. Charikleia stehe symbolisch
für die Seele und mache in der komplexen Erzählung die Erfahrung einer
Initiandin durch (1962, 234-298, bes. 246, 292-294). Otto Weinreich
(1962, 48-53) und Franz Altheim (1948, bes. 120) plädieren dafür, daß der
Helioskult zwar präsent und wichtig sei, aber nicht den entscheidenden
Subtext darstelle. Andere sprechen davon, daß der Roman im allgemeinen
Sinn religiös, die göttliche Vorsehung aber als Ausdruck des Plots zu lesen
sei.188 Somit würde auch das Göttliche nur Mittel der Narration. Der Autor
entspräche dann dem Gott, der die Geschichte zum glücklichen Ende
lenkt.

12. Die Sonne und der 'religiöse' Sinn bei Heliodor


Die Sonne ist bei Heliodor die alles überragende Instanz. 189 Dies kann
man eigentlich erst vom Ende her ableiten. Charikles sagt deutlich, daß
Apollon in Delphi Helios gleichzusetzen sei (10.36.3). In diesem synkre-
tistischen Zusammenhang wird Griechenland zu einem nördlichen Außen-
posten, während das Zentrum im äthiopischen Meroe liegt.
Mit der Sonne und ihrem Aufgang, den ersten Strahlen über der Hera-
klesmündung des Nils, beginnt der Roman. Ähnlich der Einstellungstech-
nik im Film wird zunächst die Szenerie in der Totalen gezeigt (1.1.1),
dann das verwirrende Bild in der Ebene fokussiert. 190 Dazwischen dehnt
sich das Geschehen im Zeichen des Lichts aus, bis hin zur sphragis
(10.41.4), in der Helios erneut prominent vorkommt. In Delphi spricht
Pythia im Beisein des Kalasiris das Orakel, das in typischer Weise eine
Antizipation der Ereignisse darstellt (2.35.5):

την χάριν έν πρώτοις αύτάρ κλέος ϋστατ' εχουσαν


φράζεσθ', ώ Δελφοί, τόν τε θεας γενέτην ·
οϊ νηόν προλιπόντες έμον και κΰμα τεμόντες
ι'ξοντ' ήελίου προς χθόνα κυανέην,

188
Vgl. Heiserman 1977, 183-202, bes. 202.
189
Zu Helios bei Heliodor vgl. Altheim 1948.
190
Vgl. Bühler 1976; Winkler 2000/2001.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 315

τη περ άριστοβίων μέγ' άέθλιον έξάψονταν


λευκόν έπί κροτάφων στέμμα μελαινομένων.

Achtet auf sie, die erstens die Anmut und dann auch den Ruhm hat,
(= 'Chari-kleia')
Delphier, und dann auf ihn, der einer Göttin entstammt. (= 'Thea-genes')
Meinen Tempel verlassen sie, teilen die Wogen des Meeres,
erreichen das dunkle Land, das die Sonne durchglüht.
Dort dann finden sie reichlichen Lohn für ihr rechtliches Leben,
ein weißleuchtendes Band um die schwärzliche Stirn.

In Aufnahme von Xenophons Technik wird gewissermaßen das Hand-


lungsprogramm vorgegeben, weswegen der Spruch zuletzt wieder anzitiert
wird (10.41.2). Trotz Sinnstreuung ist das Orakel ziemlich deutlich. Das
Paar reist zusammen ins dunkle Land der Sonne, wo sie Lohn für ihren
keuschen Lebenswandel vorfinden. Unklar bleibt lediglich, ob dieses Land
das Reich der Toten sei, aus dem sich die Sonne neu erhebt. Der Tod ist
wie immer mit der Hochzeit verbunden.
Bereits Merkelbach (1962, 298) hat den Roman zu Recht als "symbo-
lischen Irrgarten" betrachtet. Das Religiöse, das Mysterium, könne sprach-
lich nicht anders ausgedrückt werden als durch das Labyrinth, das den
Eindruck erwecke, hinter dem offenkundigen Sinn des Romans verberge
sich noch ein höherer Sinn der Religion. Fraglich ist nur, ob der Merkel-
bachsche 'Tiefsinn' der eigentliche Gegenstand des Romans ist, oder ob
der Autor mit Andeutungen auf Höheres sein Werk nur mit dem Anschein
des Bedeutsamen versieht.191 Die Gleitbewegung der Signifikantenkette ist
in der permanenten Supplementierung des Signifikats in eine Rahmung
gesetzt, deren wirklicher Sinn erneut aufgeschoben erscheint.
Heliodor versucht die Bemühungen seiner Vorgänger zu übertrump-
fen. Götter stellen im Roman nur noch den Hintergrund dar. Ihre Mythen
und Kulte werden nicht mehr direkt erlebt, sondern sind lediglich Pro-
dukte einer langen Tradition. Man bedient sich ihrer, zitiert sie als Fas-
sade, die ihre Verankerung unter anderem in der literarischen Überliefe-
rung hat. Bei Heliodor ist hierbei vor allem die Verwendung von Homer
und der attischen Bühnendichtung zu beachten.192 Der Romancier konstru-
iert einen hochkomplexen Plot. Alles fügt sich und gipfelt in einer höheren
Ordnung, hinter der aber letztlich nur der Autor selbst steht. Er ist als

191
Dowden 1996 nimmt Heliodors Anspruch ernst.
192
Zum Drama bei Heliodor vgl. u. a. Paulsen 1992.
316 Anton Bierl

Dichter und 'Hersteller' (ποιητής) gewissermaßen der Gott der Handlung,


der alles beherrscht, die Fäden des Romans zusammenfuhrt und nach den
vielen Irrfahrten das glückliche Ende herbeiführt. Die religiösen Durch-
blicke mittels Traum, Orakel und Prophetie dienen nur der Gliederung und
Orientierung für den verwirrten Leser. Und nicht zuletzt endet der Roman
mit einer sphragis (10.41.4), die im angehenden Zeitalter der Codices
eigentlich nicht mehr notwendig ist. Damit gibt der Autor sein Siegel und
zeigt aus der Retrospektive, daß er für diesen großartigen Roman ver-
antwortlich zeichnet. Er fingiert zudem eine göttliche Herkunft, stellt sich
in eine Stammeslinie mit Helios, der als Sonnengott alles durchleuchtet
und den imaginierten Götterhimmel überstrahlt. In gleicher Weise inten-
diert der Romancier, seine Vorgänger in den Schatten zu stellen. Er er-
zeugt den Anschein einer priesterlichen Weihe und knüpft an die Tradition
des göttlichen Sängers Homer an. Heliodor erhebt den Anspruch, Homers
Rolle tausend Jahre später in der Prosadichtung zu übernehmen. Er schafft
ein das damalige Weltsystem überspannendes Gesamtkunstwerk, die
'bürgerliche Epopöe', von der Hegel spricht. Heliodor liest sämtliche Dis-
kurse, Traditionen und literarischen Gattungen ein und reichert alles mit
dem religiösen Flair seiner Zeit an. Kunst gibt sich einen religiösen An-
strich, obwohl sie in der Produktion und Rezeption nur noch wenig damit
zu tun hat. Alles gerät zur Selbstinszenierung eines sein Material souverän
beherrschenden Autors, der den Leser wie ein γόης und Magier beein-
druckt, der sich in der Figur des Kalasiris spiegelt. Durch die Performance
einer simulierten Performance, einer religiös-rätselhaften Schau, deren In-
halte zu einem klar definierten Ziel führen, verschafft sich der Autor eine
übermenschliche Aura der Transzendenz.
Das Tasten nach Sinn, das freie Spiel der Signifikanten, kommt auf-
grund der souveränen Planung des Romanschriftstellers zu einem Ende.
Durch den betonten Kontrast zur Sinnstreuung, dem lange andauernden
Zustand des Suchens nach einem Signifikat, wirkt die Herstellung einer
Ordnung am Schluß besonders beeindruckend. Der Autor hat sich als Füh-
rer durch ein Labyrinth erwiesen, das, einfach und linear erzählt, relativ
banal wäre. Doch der Leser erkennt diese Zusammenhänge nicht. Denn er
läßt sich gerne täuschen. Aus dem dunklen Tunnel, wo das Prinzip der
chaotischen Sinnentleerung vorherrscht, werden wir schließlich in das
helle Licht der Sonne geführt. Helios ist letztlich mit 'Helio-doros' (Ηλιό-
δωρος), dem 'Sonnen-Geschenk', verbunden: Als Abgesandter des Son-
nengottes schenkt Heliodor uns das Licht der Erleuchtung. Nach dem Hin-
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 317

eingeworfensein in die schrecklichen Ereignisse bekommt man wieder


Halt. Die Ordnung ist noch gewaltiger, als man bisher ausmalen konnte.
Sie transzendiert den realen Raum, selbst die traditionellen Götterwelten,
und integriert die gesamte Welt, den Kosmos, der von einer neuartigen
Gottheit überstrahlt wird.
Dies entspricht dem Bedürfnis des Lesers, der zur Zeit Heliodors in
einer hoffnungslos chaotischen Welt lebt. Die Auflösung des römischen
Reiches und die Parzellierung können in der Lektüre rückgängig gemacht
werden. Chaos und Gewalt werden in einer Art Zivilisierungsprozeß über-
wunden. Ähnlich wie bei Longos wird in einer Art Mythos eine Aitiologie
der Weltordnung entworfen. In der exemplarischen Geschichte zweier
Menschen wird der Sieg über alle negativen Triebe, sämtliche Macht-
instinkte und Grausamkeiten zelebriert. Zuletzt wird die Erde durch die
Abschaffung des Menschenopfers humanisiert. Im utopischen Sonnenstaat
findet schließlich ein Ausgleich der Gegensätze statt.
Natürlich ist all dies Fiktion, die freilich den Entmutigten Rettung ver-
spricht. Der ganze Roman dreht sich nicht mehr um bloßes Liebesgeplän-
kel, sondern die Liebe ist einem höheren Ziel untergeordnet. Die übliche
Ehe ist mit einem umfassenden Sinn verbunden. Das immer keusche Paar
gelangt zuletzt zur Hochzeit, die zugleich die Einsetzung in das Amt eines
Priesters kosmischer Gottheiten, Sonne und Mond, bedeutet.
Es finden sich fast sämtliche Elemente des traditionellen idealen Lie-
besromans; alle stehen jedoch in einer funktionalen Beziehung zum
Gesamtkonstrukt der neuen Weltordnung. Griechenland ist nur Teil dieses
Kosmos, das Höhere liegt im barbarischen Niemandsland, in der Utopie,
jenseits von Ägypten. Die Rassen leben miteinander versöhnt, die unter-
schiedlichen Kulturen treten in Beziehung. Die zentrale Geschichte, die
noch erzählt werden will, ist die Geburt des Mädchens Charikleia. Sie ist
von weißer Hautfarbe, obwohl sie schwarzen Eltern entstammt. In gewis-
ser Weise ist sie die Reinkarnation von Andromeda, deren Sage ebenfalls
in Äthiopien lokalisiert ist. Hydaspes war lange kinderlos, bis ihm ein
Traum befiehlt, mit seiner Frau Persinna zu schlafen. Beim mittäglichen
Verkehr blickt sie im Schlafzimmer auf das Bild der Andromeda. Dabei
empfängt sie ein Mädchen, das der Heroin vollkommen gleicht (4.8.1-5).
Das Mirakulöse umspielt erneut die gewaltsamen Erfahrungen des Sexual-
318 Anton Bierl

Verkehrs. Andromeda bildet die Mädchentragödie ab,193 die sich in die


nächste Generation fortpflanzt. Als das Baby geboren ist, lassen das Gebot
der Keuschheit und die Scham - die weiße Hautfarbe, so ihre Sorge, läßt
auf einen sexuellen Fehltritt schließen - es Persinna geraten erscheinen,
das Mädchen auszusetzen (4.8.6). Es gelangt so von Äthiopien nach Del-
phi. Über Sisimithres wird es an Charikles weitergereicht. Dieser adoptiert
das Kind und nennt es Charikleia (vgl. 2.29.2-2.33.5). Sie hat insgesamt
drei oder gar vier heilige Väter. In Delphi ist das Mädchen aufgrund seiner
weißen Haut ganz und gar gesellschaftlich integriert. Wiewohl Barbarin,
gilt Charikleia selbstverständlich als Griechin und ist völlig assimiliert.
Am sakralen Ort Delphi lebt sie in Keuschheit und Frömmigkeit wie eine
zweite Artemis als deren Priesterin (2.33.4-5; 3.4.1-6). Plötzlich verliebt
sie sich in den griechischen Jüngling Theagenes, der Achilleus (2.34.3-
2.35.1; 3.1.3-3.3) und Apollon verkörpert.
Die Götter sind untereinander austauschbar: Artemis gleicht der ägyp-
tischen Isis, die wiederum in Selene aufgeht. Ebenso wird Apollon als
Osiris zu Helios. Die Götter haben schließlich bestimmt, daß das göttliche
Kind nun zu seinem Ursprung zurückkehren soll. Die Liebe ist dazu ledig-
lich das Mittel, um Delphi in männlicher Begleitung zu verlassen. Als
Personifikation von Andromeda ist Charikleia zudem das Symbol des
Mädchens an der Schwelle zur Frau, die Perseus-Theagenes den monströ-
sen Gefahren entreißt und zur Ehe führt. Die Hochzeit als Initiation ins Er-
wachsenendasein ist immer zugleich ein Schritt zur wahren Identität.
Der ägyptische θείος άνήρ, der Wundermann und Magier Kalasiris,
fungiert als göttlicher Mittler, der dem keuschen Paar die gegenseitige
Liebe bewußtmacht und es nach Süden führt. Die Abenteuer auf der Reise
zurück an den Ursprung sind der Gesamtbewegung untergeordnet. Über
das Nildelta, wo Piraten und Räuber ihr Unwesen treiben, die von einem
edlen Priester angeführt werden, geht es schließlich nach Memphis, von
dort über den Nilkatarakt nach Syene und schließlich zum Ziel nach
Meroe. Ihre Reinheit verleiht den Liebenden fast den Status der Heiligkeit.
Sie sind nahezu Gotteskinder und damit in besonderer Weise würdig, nach
äthiopischem Brauch geopfert zu werden. Die Praxis des Menschenopfers
kann jedoch überwunden werden. Aufgrund ihrer Keuschheit haben sie
eine Ehe verdient, die gleichzeitig unter das Priesteramt gestellt wird. Die

193
Zu A n d r o m e d a als Exempel der Mädchentragödie vgl. Bierl 2001, 262 A n m .
430. Zu Andromeda bei Heliodorvgl. Anderson 1997, 312-322; Whitmarsh 1999, 20-21.
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 319

Liebe ist zwar in vielen Bereichen das Movens, aber alles ist im Höheren
aufgehoben. Vor allem wird der reine Sexus auf negative Folienfiguren
übertragen.
Charikleias und Theagenes' Hochzeit ist die Verbindung der delphi-
schen Welt des Euripideischen Ion mit den fernen, utopischen Zügen der
Gymnosophisten und Brahmanen, die sonst in Indien verortet werden.
Alle Traditionen werden versöhnt und gehen in einer fiktionalen Religion
des Allerhöchsten auf, die ein genialer Autor zum Zweck der totalen Illu-
sionierung erfindet.
Heliodors Charikleia kann man den ersten wirklich großen Roman der
Weltliteratur nennen. Als Abschluß der Gattung des antiken idealen Lie-
besromans umfaßt er alle Tendenzen seiner Vorgänger, übertrifft sie und
bündelt sie zu einem nahezu enzyklopädischen und ideologisch-religiösen
Gesamtentwurf.

Religion, Mythos, Kult und Ritual als erzähltechnische Zentren

Alle genannten Elemente dienen als generative und pathossleigemde Zen-


tren der Narration. Sie erhöhen die Involvierung des Lesers und erzeugen
die Emotionen Furcht, Mitleid und Grauen sowie Freude und Verzückung.
Das Mythische ist nicht nur thetisch-sinnstiftend und deutend, sondern
auch ein Katalysator der Tropologie der Handlung, die der Autor quasi-
proteisch in immer neuen Faltungen und Ausstülpungen komponiert. Es
überlappt sich zudem mit dem Imaginären hinsichtlich der Symbolik, der
Uneindeutigkeit und Ambivalenz. Der Roman bezieht aus den besproche-
nen Erscheinungen Potentiale zum Phantastischen und Mirakulösen,
Themen und Motive der Gewalt, der existentiellen Bedrohung und des
Schreckens, welche die traumatische Erfahrung des krisenhaften Über-
gangs der Jugendlichen unterstreichen, begleiten, thematisieren, in Frage
stellen und unterminieren. Religiöse Motive vermitteln die im Eros cha-
rakteristische Sinnstreuung, die Verrätselung und die Welt der Wunder
und Phantasmen. Ferner können sie eine Atmosphäre der Mystifizierung
erzeugen, die einen höheren Sinn, ein transzendentes 'Dahinter' erahnen
läßt, das freilich am Ende mit dem allwissenden Autor, dem Meister des
Plots, zusammenfällt. Mythen und Rituale helfen, Figuren genauer zu
fokussieren, sie in ihrer ganzen visuellen und performativen Präsenz zu in-
szenieren. Ständige Klagen über das Leid, über das Auf und Ab der Ge-
320 Anton Bierl

fühle, stellen einen Sprechakt dar, der sich auf den Zustand des Lesers
überträgt. Im Sprechen tun die Figuren etwas, sie machen die Sprache zum
Ausdruck ihres unendlichen pathos. Aus der permanenten Trennung vom
ersehnten Geliebten entsteht eine gleitende Signifikantenkette von Formen
starker Expressivität. Tropen, vor allem Metaphern und Metonymien, bil-
den das Reservoir der Semiose, mit deren Hilfe man das Leid einzudäm-
men versucht. Kulte und Feste stellen für ein keusches Mädchen oft nur
die Gelegenheit dar, in der Öffentlichkeit überhaupt auf einen schönen
jungen Mann zu stoßen. Denn gerade der Kult gibt der Frau in einer patri-
archalen Welt der weitgehenden Geschlechtertrennung die Möglichkeit,
vor die Augen der Stadt zu treten. Dies gilt insbesondere für priesterliche
Tätigkeiten, Opferungen, Feste und Prozessionen, aber auch für Supplika-
tionen und Bestattungen. In der phantastischen Stimmung einer traum-
artigen, gleitenden Motivkette können Ritualbestandteile nach dem Prinzip
der Selektion und Kombination fiktionalisiert werden. In solchen Sequen-
zen wird das Grauenerregende des Mythos in performative Handlungsteile
umgesetzt. Neben der Grundkonstellation des rite de passage, der Initia-
tion von Jugendlichen, die in einer Massierung des Schreckens die Phase
der Marginalität durchleben, können sich andere Elemente des Rituals als
Konstituenten der Handlung gruppieren. Vor allem vermögen mythische
Bilder, Szenarien und Erzählungen die traumatische Krisensituation zu
begleiten, zu untermalen und zu schärfen. Im Ausagieren, Besprechen und
Beklagen der existentiellen Bedrohungen können die Ängste gebannt wer-
den. Die typische Unentschiedenheit zwischen Aversion und Attraktion
hinsichtlich des 'Anderen' liegt im Wesen des Erotischen, insbesondere
im Pubertätsstadium eines 'Betwixt and Between' der aufkeimenden
Sexualität.

Zusammenfassung

In diesem Beitrag ist deutlich geworden, wie der griechische Roman


sämtliche Formen der Religion, des Mythos, Kults und Rituals intertex-
tuell, -diskursiv und -performativ integriert und verarbeitet. Diese
Elemente stellen das generative Energiereservoir und den kreativen Kata-
lysator dar, aus dem die freie Fiktionalität der neuen Gattung in einer die-
sen Bestandteilen unterliegenden Metaphorologie ihr Material sowie das
emotionale Potential der Leser- bzw. Hörerinvolvierung bezieht. Letztlich
Mysterien der Liebe und die Initiation Jugendlicher 321

ist alles dem Erotischen, dem Kern der Gattung, und der Erzählstrategie
unterworfen. Entscheidend ist das Modell des rite de passage, der Initia-
tion von Jungen und Mädchen, die den alptraumartigen Zustand des
Dazwischenseins durchlaufen. Im Imaginären werden die Ängste und
Emotionen bezüglich einer heftig erwachenden Sexualität in einer phan-
tastischen Welt ausgelebt, bearbeitet und gebannt. Gleichzeitig wird dieses
Muster zunehmend manipuliert, unterminiert und neu zusammengesetzt,
um, wie im Falle des Heliodor, für umfassende Weltsinnstiftung religiösen
Anstrichs verwendet zu werden. Die Heteroglossie und totale Vermen-
gung aller Diskurse hoher und volkstümlicher Kultur ermöglichen eine
außerordentlich fruchtbare Interdependenz von Literatur und Religion.
Makro- und Mikrostruktur der Texte sind nicht nur davon durchwoben,
sondern die ganze Erzählung wird selbst wiederum zu einem literarisch
höchst komplexen μΰθος, der neben der kulturellen, situationsabstrakten
Unterhaltung auch durchaus lebensnahe Funktionen übernimmt, die in
einer traditionellen Gesellschaft ganz und gar dem Mythos und Ritual
vorbehalten waren.

Anton Bierl
Seminar für Klassische Philologie, Universität Basel
322 Anton Bierl

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Ekphrastic Semantics and Ritual Poetics.
From the Ancient Greek Novel to the Late Medieval Greek
Romance

In this article, I explore aspects of the interplay between ritual and rhetori-
cal discursive textures as represented in a variety of texts from different
Greek literary traditions. My objective is predominantly methodological.
Going beyond unilateral interpretive schemata I want to outline a trans-
historical and comparative approach to the intricate ways in which ritual
discursive strategies rather than actual practices (/'. e. specific rituals)
inform rhetorical and broader aesthetic modes of signification. Leaving
aside the always thorny and often sterile issue of direct intertextual influ-
ences, my exploration of the interaction between rhetoric and ritual in dif-
ferent periods of Greek literature does not imply an endorsement of any
ideologies of cultural linearity within the Greek (or, for that matter, any
other) case. 1 My theoretical apparatus draws from the concept of ritual
poetics as put forward in 2003 by Dimitrios Yatromanolakis and myself in
the book Towards a Ritual Poetics. There, our methodological Proble-
matik was defined as follows:

Ritual poetics should be understood in terms of a dialogic exchange among di-


verse domains - ordinary, aesthetic, cultural, social, political - of human inter-
action and expression. The pervasiveness of ritual poetics, we argue, is not con-
fined to specific unidirectional influences - how a particular ritual is re-inter-
preted in a particular 'text' of aesthetic/cultural expression or social action, or
vice versa. These one-way relations are of great but not of definitive importance
for mapping out ritual poetics in a particular sociocultural context. Intrinsic to
ritual poetics are mechanisms of mutual, and more often than not homologically
defined, assimilations of modes of expression on a deep level rather than on the
surface. The semiological webs with which ritual poetics works presuppose an
interweaving of homological patterns, modes, and tropes of expression, notably
symbols and metaphors ...
(Yatromanolakis/Roilos 2003, 36) 2

1
The scholarly and ideological preconceptions inherent in any essentializing ap-
proaches to the issue of discontinuity or continuity in connection with the Greek case are
addressed in Yatromanolakis/Roilos 2003, 11-12, where further bibliography on the sub-
ject is cited.
2
For the methodological process of ritual poetics, see also the following formu-
lation: "The concept of ritual poetics that we propose as a heuristic analytical tool ad-
336 Panagiotis Roilos

Due to limitations of space, I shall concentrate my analysis on examples of


elevated ekphraseis in Greek fictional narrative that manipulate the dis-
cursive dynamics of the interconnections between ritual and rhetorical
modes of signification.
Already in the ancient Greek novel, ekphrasis provided a discursive
frame marking the starting point of fictional narrative. In Heliodoros, the
plot of the novel is motivated by the opening description of the shipwreck,
while the beginning of the story is associated with the supernatural effect
of an image (a picture of Andromeda's myth) on the birth of the heroine. 3
In Achilleus Tatios, the homodiegetic narrative is formulated as an expli-
cation of a painting addressed by the male protagonist of the story to a per-
plexed viewer - the purported transcriber/author of the story. In Longos,
the narrative is similarly constructed as the ekphrastic interpretation of an
elevated picture. The pivotal role of such descriptions in the composition
of these stories has not escaped the attention of previous scholars.4 How-
ever, two central aspects of the function of ekphrastic discourses in the
ancient Greek novels have been rather understated or even neglected in the
majority of previous studies. First, ekphrasis as a discursive starting point
in these fictions is relatively often charged with solemn connotations.
Second, the initial ekphrasis that constructs the fictional narrative as the
discursive equivalent of the original pictorial story is associated with a
journey. This is the case with Longos and Achilleus Tatios. These two

dresses the interaction between the deep, socially and culturally defined structures of
ritual and aesthetic ways of communication - structure being employed here as elsewhere
in this chapter not with its static structuralist connotations, but in the sense of culturally
identifiable forms of expression. Such an approach involves two main methodological
steps: first, an exploration of the homologies between the two constituents of the concept,
that is, the poetics of ritual and ritual as inscribed and manipulated in cultural, notably
aesthetic, expressions; and, second, and most important, the pervasiveness of the inter-
penetratedness of both in broader social discourses" (Yatromanolakis/Roilos 2003, 27; cf.
Yatromanolakis/Roilos 2005a). Aspects of ritual poetics in different Greek contexts are
further explored in Yatromanolakis/Roilos 2005b. Specifically on archaic and classical
Greece, see Yatromanolakis 2006; on medieval Greece, see Roilos 2005.
3
Here 1 am employing the narratological distinction between plot (narrative) and
(narrated) story advanced by Victor Sklovskij.
4
For the role of ekphrasis in Tatios and Heliodoros, see, e. g., Bartch 1989. In
Achilleus Tatios' novel, the explicated picture is described as a 'votive painting'. In Lon-
gos' Daphnis and Chloe, the painting that gave rise to the narrator's fictional ekphrastic
reinterpretation is located in a cave dedicated to the Nymphs. For an interesting but
markedly commonsensical analysis of ekphrasis in Longos, cf. Zeitlin 1990. For an inter-
esting discussion of aspects of the description of the female protagonist in Chariton's
novel, cf. Bierl 2002.
Ekphrastic Semantics and Ritual Poetics 337

pivotal dimensions of ekphrastic discourse - which are further embedded


in or conducive to a narrative's enigmatic discursive inflections 5 - have
markedly shaped, I argue, parallel descriptive devices in later Greek fic-
tional narratives.
In contrast to modern narratological theory that tends to dissociate
description from narrative, 6 in ancient and medieval Greek rhetorical the-
ory and literary practice the two discursive modes were closely inter-
related. Here is not the place to refer to all the relative examples in the
Greek novel. Suffice it to note, for instance, that in Tatios' novel (5.3-5),
the ekphrasis of the painting of the rape of Philomela that Kleitophon
comes upon in his way to Chaireas' party in Pharos is explicated as an
ominous sign of Chaireas' threatening passion for the heroine, a notable
structural element in the development of the novel's plot as a whole. The
interpretation of the sinister prefiguring function of that image is comple-
mented by Kleitophon's recounting of the story about that mythical exem-
plum of dangerous passions.

5
The plot of the Aithiopika, for instance, has been largely composed as a response to
the enigmatic character of the initial ekphrasis. Andromeda's painting in the same fiction
is also involved in the whole nexus of interpretive games reactivated throughout the nar-
rative, starting at the very beginning of the story. For the construction of Heliodoros'
novel as a riddling narrative, see Morgan 1994. To a great extent the complexity of He-
liodoros' narrative derives from Kalasiris' manipulation of the expectations of his gul-
lible interlocutors; see Winkler 1982. In Achilleus Tatios, the ekphrasis is offered as an
interpretation of the puzzling introductory picture. Similar is the case in Longos, where
the narrative is articulated as an explicating ekphrasis of the sacred image described at
the beginning of the novel. For the narratological function of ekphrasis in Longos, see
Kestner 1973/1974, 166-171; interesting is also Mittelstadt 1967. Cf. also the brief obser-
vations in Hunter 1983, 38-39.
6
For interesting theoretical approaches to ekphrasis in modern literature, see
especially Cluver 1989; Steiner 1989; Hefferman 1991; Yacobi 1995. The theoretical
orientation of all these studies, which focus on Western European cases, would con-
siderably have profited from a familiarity with Greek (ancient, medieval, or modern)
rhetorical approaches and literary realizations of ekphrasis. For instance, the theoretical
rehabilitation of ekphrasis' relevance to narrative or to the descriptive mode in general
and not only to the account of a work of art - a reappraisal put forward in some of these
studies - was preceded, as I noted earlier in this article, by insightful discussions in an-
cient and medieval Greek rhetoric. It is to be greatly regretted that such studies, which are
representative of an overwhelmingly hegemonic scholarly discourse not only in critical
theory but in a variety of humanistic disciplines, classics included, entirely ignore the
Nachleben of ancient rhetorical concepts in later Greek literary traditions. Such an over-
looking unavoidably leads to partial or even distorting historical or theoretical
approaches.
338 Panagiotis Roilos

The relevance of ekphrasis to narrative was briefly addressed by Her-


mogenes in his progymnasmata. Some of the most careful rhetoricians, he
says, connected this exercise to other rhetorical forms such as myth, die-
gema (narrative), koinos topos ('common place'), and encomium (Rabe
1913, 23). The eleventh-century Greek rhetorician Doxopatres dwells on
the relations between ekphrasis and narration in more detail. Commenting
on previous theorists of rhetoric, he notes that both diegema and ekphrasis
contribute to narrative, but he discerns a main difference between the two
subgenres: the former is appropriate for the simpler and less convoluted
narrative modes, whereas the latter is conducive to more elaborate forms
of narration. This is, he argues, why it is easier to practice diegema rather
than ekphrasis. The discursive hierarchy and interconnection between the
two rhetorical subgenres is indicated, according to Doxopatres, by the fact
that, in traditional manuals of progymnasmata, diegema is consistently
placed much before ekphrasis?
The inclusion of ekphrasis in a periegesis - a descriptive account
associated with the experience of a real or imagined journey - is not fore-
grounded in the majority of the studies on the ancient Greek fiction. And
yet, these connections are of fundamental importance for the contribution
of this rhetorical (sub)genre to the narrative mode of the fictional story.
Ancient rhetoricians make it repeatedly clear that ekphrasis is a
periegematikos discourse. Already in the work of the first theorist of pro-
gymnasmata, Theon, ekphrasis is defined as 'a periegematikos [de-
scriptive] discourse clearly bringing the expressed subject matter to view'
(εκφρασις έστι λόγος περιηγηματικός, έναργώς ύπ' όψιν αγων τό δη-
λούμενον; Walz 1, 1832, 239). This definition is almost verbatim
reproduced by the two most influential rhetoricians of late antiquity, Her-
mogenes and Aphthonios. 8 Writing in the eleventh century, Doxopatres
explains the notion of periegesis in his Discourses on Aphthonios as
follows: περιηγεΐσθαί έστι τό τινα προϊέναι τινός και δεικνύειν αύτω, α
μήπω τεθέαται. Τον τοΰτο δέ διαπραττόμενον περιηγητήν φαμεν

7
Τό τε διήγημα και ή εκφρασις προς τάς διηγήσεις συμβάλλονται, ομως τό μεν
διήγημα προς τους άποικιλωτέρους και άπλουστέρους τρόπους της διηγήσεως συμ-
βαλλόμενον, ούτοι δ' αν είεν οί παχυμερώς τά πράγματα λέγοντες, προετάγη ώς εύ-
κολώτερον. ή δέ έκφρασις πολλω τούτου ύστερον τέθειται ώς ποικιλωτέρα ούσα και
μείζονος δεομένη της έξεως (Walz 2, 1835, 509).
8
In his definition, Hermogenes (second century AD), who writes one century after
Theon, includes an allusion to the authoritative discussions of previous rhetoricians: φασί
('they say')·
Ekphrastic Semantics and Ritual Poetics 339

('periegeisthai is when one goes somewhere before someone else and


shows that other person what he [z. e. that other person] has not seen yet.
The man who does this is called a periegetes').9 This is why, Doxopatres
continues, 'the poet has been called a periegetes, because through his ac-
counts he shows us rivers and lakes and countries and nations and several
features of the earth as though he visited the whole earth before us' (Walz
2, 1835, 512). Doxopatres, like the ancient theorists, foregrounds the
importance of the quasi-visual effectiveness of this particular rhetorical
subgenre. Ekphrasis is a literary discourse conveying in visual terms the
experience and knowledge that a traveler has accumulated on his (imag-
ined or actual) journey. The emphasis on the affinities of ekphrasis with
pictorial discourse explains why throughout ancient and medieval Greek
rhetorical theory enargeia is recognized as the principal stylistic virtue of
ideal literary description.10 This approach to ekphrasis in terms of a didac-
tic reactivation of a paradigmatic traveler's alleged original and authentic
visual experiences encompasses also a conceptualization of this subgenre
as a potentially enlightening discourse of privileged knowledge. Further-
more, the possible function of ekphrasis as an initiatory, as it were, that is
authoritative account about matters not easily accessible to its audience
explains the recurrent inclusion of this rhetorical form in broader enigma-
tic or even allegorical discourses, mainly narratives.
The most consistent use of ekphrasis as a periegematikos discourse in
the surviving pagan literature of late antiquity is provided by Pausanias.
Detailed description is the principal means through which this author con-
veys to his readers the knowledge that he collected on his journeys. More
often than not the verbal reactivation of his visual experience of an ar-
chaeological site is invested with marked ritualistic connotations under-
lining the mystical dimensions of his original encounters with the specific
described places.11

9
Walz 2, 1835, 512. It seems that this interpretation of the association of ekphrasis
with the concept of periegesis was a common theme in later commentaries on late
antiquity theories of progymnasmata. An anonymous rhetorician offers exactly the same
explication of ekphrasis as a type of periegematikos discourse (Walz 2, 1835, 56).
10
For enargeia as a rhetorical ideal, see Kustas 1973, 171-174.
11
See, for instance, his description of the temple in Eleusis and the temple of
Eileithyia outside Hermione (Paus. 1.38.7 and 2.35.11). Pausanias' emphasis on the ritual
dimensions of works of art can be read in terms of the methodological concept of ritual
poetics as developed in Yatromanolakis/Roilos 2003. For Pausanias' interest in ritual
340 Panagiotis Roilos

The potential of ekphrasis as a didactic initiatory discourse is memo-


rably exemplified in Ps.-Kebes' Tabula. If Pausanias' extensive account
records his actual trips to venerated Greek sites, Tabula delineates the ar-
chetypal progress of a fictional character's journey through life. This en-
gaging work is constructed as an extended allegorical ekphrasis of an
imaginary picture that the narrator is supposed to have encountered on a
trip. The narrative frame of Kebes' story intriguingly recalls the pivotal
structural position of enigmatic paintings in the ancient Greek novel. As in
Longos and Achilleus Tatios, in Kebes too the ekphrastic discourse is in-
stigated by the narrator's aporetic response to an image that is incorpo-
rated in a sacred space, a temple dedicated to Kronos. Kebes' narrative,
like the stories of the ancient novelists, has the form of an interpretive
elaboration upon the enigmatic content of the pictorial allegory. The in-
structive account in Tabula is narratologically closer to Tatios' fiction,
since in both works the extensive commentary on the images is articulated
by a knowledgeable bystander. The interpreter, a wise old man, compares
the cryptic meaning of the image with the riddle of the Sphinx: if one de-
ciphers it properly, he will lead a happy life, but if he fails to do so, his life
will be a continuous torture. The explication that the wise old man offers
is articulated in the narrative schema of an allegorical journey through a
number of obstacles and temptations. The desired end of this periegesis is
the abode of the personified Happiness. Personification is combined here
with the extensive ekphrastic account of the allegorical journey to illus-
trate man's life in terms of a perpetual struggle against several opposing
forces. It is in this respect that, as I have argued elsewhere, Tabula offers
an example of "narrative fictionalization of allegorically represented
ideals" (Roilos 2005, 151) that brings it close to the deep narrative pattern
of comparably elevated novelistic discourses.12
In Christian tradition, the allegorical potential of ekphrasis is often
employed in hermeneutic discourses on the significance of sacred archi-
tectonics and liturgical practices. Already in the second century AD, Kle-

practices, see Eisner 1996; for his descriptions of Greek monuments, cf. Eisner 1994,
244-252; for his narrative technique, see Akujärvi 2005.
12
For a discussion of Tabula in connection with the genre of the novel and specifi-
cally with the medieval Greek novel Hysmine and Hysminias, see Roilos 2005, 150-152.
For some general comments regarding the motif of the road in ancient Greek literature,
cf. Hirsch-Luipold et al. 2005, 18-22. For some observations about the philosophical
background of Tabula, see Fitzgerald/White 1983, 20-26.
Ekphrastic Semantics and Ritual Poetics 341

mes of Alexandria articulated an allegorical topographical description of


the main architectonic parts of the paradigmatic Judaeo-Christian temple.
For instance, in his discussion of the meaning of the curtain separating the
Holy of the Holies from the rest of the temple, Klemes uses several topoi
of traditional allegorical discourse. In diction echoing established herme-
neutic practices, he interprets the curtain as a symbol of the sanctioned
teachings that are kept hidden from profane masses. Other details such as
the number of columns are viewed in connection with aspects of the
Christian dogma (Stählin/Früchtel 1985, 5.32.1-34.5). Klemes proceeds to
an allegorical account of the dressing of the highest priest as established in
the Judaeo-Christian tradition. This vestmental code is deciphered by
Klemes as a principal constituent of the symbolic efficacy of liturgical
rituals. In his explication, he manipulates the conventions of both pagan
and Christian allegorization. The decoration of the archetypal priest's
gown is thus interpreted as an allegorical representation of the position
and the movement of the planets and of the overall rhythm of cosmic time.
Christian ritual symbolism is conflated here with pagan modes of
allegorical hermeneutics, notably what is known as the physical method of
allegorization (Stählin/Früchtel 1985, 5.37.1-41).13
Six centuries after Klemes, St. Germanos, Patriarch of Constantinople,
composed a relatively detailed explication of the allegorical semantics of
sacred architecture and ritual codes. He, too, draws symbolic homologies
between basic components of the Christian dogma and liturgical rites as
well as the spatial arrangement of the prototypical Christian temple. 14 His
description is organized as a periegematikos discourse that leads his
readers from one compartment of the church to the next. This topographi-
cal order is accompanied by a parallel interpretive development that
moves from one dogmatic subject to another. As a whole, he explains, 'the
church is a heaven on the earth, in which heavenly God resides and walks
about.' 15 The terminology employed in Germanos' explication of the ele-
vated symbolism of the church and the rituals performed in it is signifi-
cantly drawn from the formulaic vocabulary of traditional allegorical in-

13
For the categorization of allegorical methods in Greek literature, see Roilos 2005,
116-130, especially 124-127.
14
Germanos' treatise in terms of ritual poetics is discussed in Yatromano-
lakis/Roilos 2003, 24 and 27-28.
15
Ε κ κ λ η σ ί α έστίν έπίγενος ουρανός, έν φ 6 επουράνιος Θεός ένοικεΐ καί
έμπεριπατεΐ (Meyendorff 1984, 56, 1).
342 Panagiotis Roilos

terpretations: άντιτυποΰσα, προτυπωθεΐσα, αίνίττεται, προετυπώθη, έμ-


φαίνων, σημαίνει, εικονίζει, etc.
Ekphrasis constitutes the dominant discursive structure in Ioannes
Phokas' account of his trip to the Holy Land in the twelfth century. In-
deed, ekphrasis is the term that the author uses to describe his trave-
logue.16 His purpose, he admits, is philanthropic: he wishes to share his
experience of the sacred places with those who have never visited them,
and to offer a pleasant description to those who have already seen them - a
self-advertizing authorial topos that mutatis mutandis recalls the agenda of
Longos' erotic fictionalization of ekphrasis in Daphnis and Chloe,17 From
the very beginning, Phokas notes that in his narrative pictorial and verbal
discourses are inextricably intertwined. Ί should try as much as possible
to paint the outline of my description as in a picture through words, and by
means of writing to give an account of my sightseeing to the pious ones'
(PG 133.928B). His pilgrimage unfolds before the eyes of his audience as
an extended verbal portrayal of his original impressions. His narrative is
permeated by spiritual exaltation, which finds its peak especially in his
description of the Cave of the Nativity in Bethlehem. Ekphrasis provides
Phokas the discursive medium through which he expresses the correlation
between the sacred place and the images depicted in it with the
'mysteries', the prototypical religious events that happened there.18 In this

16
Characteristically, this piece has been preserved under the title Έ κ φ ρ α σ ι ς έν
σ υ ν ά ψ ε ι των ά π ' ' Α ν τ ι ο χ ε ί α ς μ έ χ ρ ι ς ' Ι ε ρ ο σ ο λ ύ μ ω ν κ ά σ τ ρ ω ν κ α ΐ χ ω ρ ω ν , Σ υ ρ ί α ς ,
Φοινίκης, κ α ι των κ α τ ά Π α λ α ι σ τ ί ν η ν 'Αγίων Τόπων. At the end of his account, Phokas
employs the same term to describe his account: εκφράσεως σ ύ γ γ ρ α μ μ α . For a general
discussion of Phokas' travelogue, see Galatariotou 1993, 224-225; Kuelzer 2002, 156-
158. For an approach to Phokas' text within the broader context of Byzantine ekphrasis,
see Roilos 2005, 46-47 and 195-196.
17
This observation does not entail that Phokas' comments on the usefulness of his
account directly or indirectly allude to Longos or to any other specific intertext. Rather,
what 1 want to underline here is the comparable emphasis on the didactic potential of
ekphrastic discourse in these two texts, despite the fact that they belong to two con-
spicuously different genres. It should, however, be noted that Phokas was familiar with
the ancient Greek novel. This is evinced by the appreciation he expresses for the descrip-
tive skills of another ancient novelist, Achilleus Tatios. Phokas finds Tatios' ekphrasis of
the harbor of Sidon memorable (on Phokas' response to Leukippe and Kleitophon as an
indication of his rhetorical interest in the genre of the ancient Greek novel, see Roilos
2005, 46-47).
18
Έ ν ά λ λ ο μ α ι τη γ ρ α φ ή και ολως τω νο'ι έντός γ ί ν ο μ α ι του ίεροΰ έκείνου σπη-
λ α ί ο υ ... "Εγραψεν ό τ ε χ ν ί τ η ς τη ζωγράφω χειρΐ έν α ύ τ ω τω σ π η λ α ί φ τ ά έν α ϋ τ φ
τελεσθέντα μυστήρια (PG 133.957C-D).
Ekphrastic Semantics and Ritual Poetics 343

respect, Phokas reactivates the anagogical potential traditionally attributed


to icons in Christian theological discussions. 19
Emphasis (allusive signification) is the main mode that determines the
rhetorical style of such discourses. Being closely connected with allegory
in ancient and medieval Greek rhetoric, emphasis contributes to dignified
(semnos) accounts. 20 Hermogenes illustrates the interrelationship between
these two rhetorical categories through a marked metaphor underlining
their similarities with ritual modes of signification: 'to indirectly express
something ritually and mystically through em phase is' and the cryptic en-
coding of elevated messages belong, he maintains, to the distinctive stra-
tegies of'dignified' (semnos) discourse (Rabe 1913, 24).21
In the examples of pagan and Christian literature I have touched upon
so far, ekphrasis is situated within or associated with ritualistic discursive
contexts, in which Semnotes (Dignity) is the dominant rhetorical 'Idea'.
According to ancient and medieval Greek rhetoricians, Dignity is related
to elevated subject matters such as religious topics, ideas about divinity
and cosmic rhythm - the succession of the seasons or divine qualities,

19
The anagogical perception of sacred images was memorably illustrated by loannes
of Damaskos, who described icons as 'books of the illiterate' (PC 94.1247C). According
to him, 'images of the built world dimly signify the divine emphaseis' (PC 94.1241B).
On loannes of Damaskos' theory of the icons, see the concise discussion in Kazhdan
1999, 90-93. For the transcendental semantic potential of icons in medieval Greek the-
ology, the overviews in Kitzinger 1950 and Ladner 1953 are still fundamental. Interesting
discussions of the subject are also found in Cameron 1991, 47-73 and 1992, 1-42. Ana-
gogical interpretation was widely employed in descriptions of religious art throughout
Byzantium. A case in point is Nikolaos Mesarites' description of the church of Sts.
Apostoloi in Constantinople in the twelfth century (the text of his ekphrasis along with an
English translation has been published in Downey 1957, 6). On Mesarites' ekphrasis and
use of allegorical explication, see Roilos 2005, 153 and 194-195, where also a discussion
of the dominant anagogical approaches to icons in Byzantine culture can be found. Simi-
lar is the description of St. Sophia composed by Michael the oikoumenikos didaskalos
also in the twelfth century. In the usual anagogical spirit of medieval Greek ekphraseis,
employed, for instance, in Klemes' allegorical interpretation of the architectonic ar-
rangement of the typical temple discussed earlier in this article, Michael calls the interior
of the church an 'antitype of the tent of the heavens' (Mango/Parker 1960, 237). For
ekphraseis of works of art in Byzantium, cf. also Webb 1999, 59-74.
20
For the concept of emphasis in medieval Greek rhetoric, see Kustas 1973, 69-73
and 159-167; Roilos 2005, 139, 143, 192-196, 200.
21
Cf. the following observation of the Patriarch Photios about the inspired discourse
of St. Paul: Μυστικώς εύ μ ά λ α και τελεστικως ά ν α κ α λ ΰ π τ ω ν την των κεκρυμμένων
ά λ ή θ ε ι α ν {PC 101.586Α; my emphasis).
344 Panagiotis Roilos

that is virtues, as exemplified by men. 22 More (in Kebes, Klemes, Germa-


nos, and Phokas) or less (in Pausanias) in all the cases addressed here, ek-
phrastic descriptions are employed to illustrate concepts pertaining to the
Idea of Dignity. The thematic focus of these accounts, which are related to
specific ritual practices and experiences (pilgrimage in Pausanias, Kebes,
and Phokas; liturgical rites in Klemes and Germanos), is homologically
reflected in the 'ritually and mystically' wrought out discursive textures of
their rhetorical Dignity. These authors employ allegorical and anagogical
interpretive mechanisms to decipher the elevated significance of the de-
scribed subjects. 23 Also, all of them incorporate their ekphraseis into
broader topographical narrative schemata. The scale of these patterns dif-
fers from author to author. Klemes and Germanos focus on interior spaces,
on the architectonic arrangement of typical temples, whereas Pausanias
and Phokas develop their descriptions according to the itinerary of their
respective periegeseis. In Kebes, journey becomes the organizing struc-
tural motif of his allegorical account, which unfolds as a fictional rite of
passage through different ordeals.
In an earlier study on the medieval Greek novel, I argued that in Helio-
doros as well as in Eumathios Makrembolites (twelfth century), the motif
of the journey is invested with specific ritual associations. In the ancient
novel, Theagenes' trip to Delphi is undertaken in the context of the ritual
of theöria. In the medieval Greek novel, Hysminias' journey has similar
ritual implications. In the last case, the ritually motivated trip of the prot-
agonist is further developed into an allegorical rite of passage into the
mysteries of pure erös. This elevated development of Hysminias' story is
articulated throughout his homodiegetic narrative by means of a ritual
poetics where Dignity is the dominant rhetorical mode. I give a detailed
discussion of the specific motifs, concepts, images, and rhetorical strate-
gies contributing to this ritual poetics in my aforementioned study. Here
suffice it to note that enigmatic images and their ekphrastic explication

22
Already in the second century AD, Hermogenes had delineated the discursive ter-
ritory of Semnotes in such terms (Rabe 1913, 242-246). His ideas were adopted and fur-
ther developed in medieval Greek rhetoric; see, for instance, the observations of Ioseph
Rhakendytes (14 th century; Walz 3, 1834, 497).
23
Here I am referring especially to Kebes, Klemes, Germanos, and Phokas. Pau-
sanias, despite his interest in the ritual associations of many of the monuments and the
images that he describes, does not present the same penchant for allegorical explication
found in the other authors discussed here.
Ekphrastic Semantics and Ritual Poetics 345

play a pivotal role in the allegorical redirection of the protagonist's jour-


ney.
It has been argued that in medieval times the image and the experience
of journey was perceived in terms of pilgrimage. 24 Admittedly this view is
overgeneralizing. However, its value lies, I believe, in its allusion to what
I call homological conceptual patterns interconnecting different domains
of symbolic experience and expression. 25 In Hysmine and Hysminias,
Makrembolites' novel, Hysminias' trip is developed according to the deep
conceptual schema of pilgrimage. As Victor Turner has illustrated, pil-
grimage can be approached in terms of a rite of passage. Pictorial
representations of abstract values and symbols, Turner contends, are often
conducive to the spiritual liminality frequently accompanying a pilgrim's
journey. 26 Similar is the case in Makrembolites' novel: the enigmatic de-
pictions of personified concepts and virtues that the protagonist encounters
on his ritually instigated trip have a distinctive impact on the development
of his story, which unfolds as a decipherment and reenactment of the
mystical potential of the allegorical images.
Clearly, in Hysmine and Hysminias, ritual poetics, ekphrasis, and the
allegorically informed motif of the journey are intertwined into a dense
fictional narrative. Later Greek adventure and romantic fictions offer
comparable cases of such discursive interconnections. This interdiscur-
sivity between rhetorical and ritual poetic modes of signification has been
neglected in previous studies of medieval Greek secular literature. In this
part of my article, I shall concentrate on one example from late Byzantine
literature.
In Belthandros and Chrysantza, one of the so-called chivalric roman-
ces produced in late Byzantium, 27 the motif of journey constitutes the

24
Lotman 1990, 172.
25
For the concept of homologies in cultural discourses, see Yatromanolakis/Roilos
2003, 27, 30, 36-37, 88.
26
Turner 1974, 305-327 and especially Turner/Turner 1978.
27
In this article, I use Emmanuel Kriaras' editions (Kriaras 1955). These fictions are
all verse compositions in the vernacular. Some of them are heavily based on specific
Western European texts, others more original and closer to the medieval Greek literary
tradition. For these romances, see Beck 1971, 128-147. Roderick Beaton offered an inter-
esting discussion of these works as examples of a developing genre (Beaton 1989, 91-
163). Panagiotis A g a p i t o s provides a notable, albeit at times restricted, formalistic
approach, focusing on the narrative, 'discoursive', and descriptive literary modes of these
texts (Agapitos 1991 and 1999). N o n e of these studies explores or addresses the impor-
tance of ritual modes of signification for the construction of those Byzantine fictions.
346 Panagiotis Roilos

pivotal structural axis of the narrative. Leaving aside any possible specific
intertextual connections with Western European and earlier Greek written
literature,28 what, I contend, is of particular importance for my discussion
here is the overall thematic and structural similarities of this and other
examples of that genre of late medieval Greek literature with aspects of
oral traditional narratives, notably folktales. In addition to the general
narrative pattern of these stories, which fits well in Vladimir Propp's mor-
phological model of Russian wondertales, 29 specific motifs such as
travelling in the foreign parts (xeniteia), wondrous castles (in Belthan-
dros), metamorphosis, the image of the old witch, the use of the symbolic
number three, the miraculous revival of the hero, the threatening presence
of an ogre (in Kallimachos and Chrysorrhoe), seem to draw from, or at
least to recall, the formulaic structural and thematic repertoire of folk nar-
ratives. These comparable elements contribute to the ritual poetics of the
specific written adventure and erotic fictions, since they foreground deep
narrative structures where time and space are organized in terms that are
homological with the construction of these categories in ritual acts or
systems of signification. 30 This ritual poetics is further enhanced through
the use of established rhetorical modes of elevated discourse.
In Belthandros, the homonymous hero's journey beyond the confining
boundaries of his father's authoritarian sovereignty can be viewed as the
first act of Belthandros' passage to maturity. This initial separation is fol-
lowed by the protagonist's experience of a wondrous image that marks his
transposition into the liminal space of erds\ on his trip away from his fa-
therland he comes upon an extraordinary river whose water was traversed
by a strange flame. It was as though the glow emanated from a 'celestial
star' (238). Being intrigued by the miraculous spectacle, Belthandros

28
For an overview of the 'genealogy' of these texts, see Beaton 1989, 146-163.
29
Propp 1928. For applications of Propp's model to the case of these romances, see
Aleksidze 1979 and Koliadimou 1988. Several similarities between these fictional narra-
tives and oral literature are noticed in Megas 1956; cf. also 1953, 3-43.
30
For a discussion of such homologies in oral literature, see Roilos 2007a; Yatro-
manolakis 2007a and 2007b. The possible interconnections of the Byzantine chivalric
romances with oral literature has been the subject of a considerable number of studies;
see, for instance, the seminal contribution of Jeffreys/Jeffreys 1986; Cupane 1994/1995;
Beaton 1989, 164-188. The potential of ritual poetics has not been addressed in these
studies. For an investigation of comparable interactions between written and oral tra-
ditional literature in Renaissance Crete (17 th century), see Roilos 2002, which advances a
methodological approach emphasizing the contribution of 'vocality' to the performative
and ritual(ized) aspects of written texts of that period.
Ekphrastic Semantics and Ritual Poetics 347

decides to follow the current of the river to discover its spring. After ten
days he finds that the river derives from a splendid castle made out of
precious stones. The narrator gives an extensive ekphrasis of the out-
worldly edifice (243-483). Its gate, wrought out of diamonds, occupies a
liminal point in the hero's process toward the world of romantic love and
maturity. In a manner reminiscent both of real works of art of the medieval
Greek world and of the conventions of ekphrasis in Greek literary tra-
dition, this transitional architectonic part is marked by a rather cryptic in-
scription:

Τον ούκ έφθασαν τον ποτέ τά βέλη των Ερώτων,


μυριοχιλιοκατάδαρτον ευθύς νά τον ποιήσουν,
δστις τό Έρωτόκαστρον άπέσω νά τό ϊδη (259-261).

That man whom the arrows of the Loves have never reached so far,
him they will at once beat innumerable times,
if he dares to see the interior of the Erötokastron (the Love's Castle). 31

The gate is thus invested with the archetypal symbolic potential attributed
to the concept and function of threshold across different cultures. 32
Located on a significant limen (threshold) both in the hero's journey and
in the development of the story, the gate marks the boundary between dif-
ferent, even antithetical, spatiotemporal categories. In this sense, the limi-
nality of the gate corresponds to the division between sacred and profane,
conspicuous and mystical represented in sacred architecture in different
times and societies. I commented earlier on a similar distinction made by
Klemes of Alexandria in connection with the typical Judaeo-Christian
temple. Similar symbolic demarcations may be observed in ancient Greek
temples. Jonathan Smith illustrates the symbolism of such architectonic
arrangements as follows:

31
For a detailed discussion of the use of epigrams in the context of enigmatic works
of art in literary works of late antiquity and Byzantium, see Roilos 2005, 148-168, where
special emphasis is placed on Makrembolites' novel. On the use of epigrams in works of
art from a period close to the composition of the romance under question, see Talbot
1999; on inscriptions and Byzantine works of art in general, see Maguire 1996.
32
Bachelard offers an interesting discussion of the general symbolic potential of the
image of the door. "The door", he argues, "is an entire cosmos of the Half-Open. In fact,
it is one of its primal images, the very origin of a daydream that accumulates desires of
being, and the desire to conquer all reticent beings" (Bachelard 1994, 222).
348 Panagiotis Roilos

When one enters a temple, one enters marked-off space (the usual example, the
Greek temenos, derived from temno, 'to cut') in which, at least in principle,
nothing is accidental; everything, at least potentially, demands attention. The
temple serves as a focusing lens, establishing the possibility of significance by
directing attention, by requiring the perception of difference. Within the temple,
the ordinary (which to any outside eye or ear remains wholly ordinary) becomes
significant, becomes 'sacred', simply by being there. (Smith 1987, 104)33

In late antiquity, the Neoplatonic philosopher Porphyrios had given a


similar sensitive account of the symbolic potential of architectonic transi-
tional spaces, especially of gates, in his allegorical interpretation of the
Homeric description of the antron of the Nymphs. 34
In Belthandros and Chrysantza, the intrigued hero, who is faced with
the liminal boundary of the wondrous gate, reflects on the meaning of the
epigram and oscillates between leaving the wondrous castle and entering
it. His pondering underscores the structural and notional opposition or
rather supplementarity between outside and inside, apparent and hidden,
known and unknown, familiar and exotic, obvious and secret, experienced
normalcy and potential reversal thematized in the fiction. In Kallimachos
and Chrysorrhoe, such antitheses are articulated in clearer terms. When
Kallimachos, the male protagonist of that romance, confronts a similar
dilemma, the problem is presented in terms recalling the formulaic oppo-
sition between container and content that informs traditional allegoriza-
tions.35 In Belthandros, the hero, like his counterpart in Kallimachos,
eventually decides to enter the enticing building to find out what the ulti-
mate source of the fiery river and its relationship to the puzzling inscrip-
tion are.
The enigmatic character of the architectonic miracle that the hero re-
solves to explore is throughout underlined by means of recurrent refer-
ences to his bewilderment. The terms used to convey Belthandros' extra-
ordinary experience along with the whole evocative atmosphere of this

33
Quoted in Jones 2000, 267. On the potential of ritual activities to assimilate ordi-
nary categories into their own semantic textures, see also Yatromanolakis/Roilos 2003,
29 and 32-33, where ritual order and signification are discussed in terms of metonymic
and metaphoric semantic associations; on metonymic and metaphoric modes of significa-
tion in traditional ritual settings, cf. Roilos 1998.
34
De Antro Nympharum, 20-31 (Nauck). For the reception of Porphyrios' Neo-
platonism in Psellos, see Roilos 2005, 123; on the influence of Neoplatonism in general
on twelfth-century Greek fiction, especially on Hysmine and Hysminias, see Roilos 2005,
175-183 and 196-203.
35
For such topoi in medieval Greek allegories, see Roilos 2005, 134-137.
Ekphrastic Semantics and Ritual Poetics 349

prolonged ekphrasis contribute to the rhetorical Dignity of the text.


Belthandros is repeatedly presented as being astonished at the view of all
the wondrous compartments of the Erötokastron, which are consistently
characterized as 'awesome' and 'extraordinary'. 36 Like the exemplary
ancient Greek sacred space described by Smith in the passage quoted
above, in the imaginary Erötokastron, too, every part is invested with par-
ticular semantic potential. The interior of the castle is decorated with a
number of sculptured figures that allegorically depict the power of love:
men and women are portrayed as slaves or proteges of personified repre-
sentations of love (Erötes). Some of those sculptures are accompanied by
inscriptions articulating inchoate narrativizations of the respective roman-
tic stories of the depicted figures. One is identified as the daughter of a
sovereign, another as the son of the king of the Romaioi (Greeks), who
decided to leave his father's territory in search for love (355-360). Clearly,
the last case alludes to Belthandros' own journey away from his fatherland
and foreshadows his impending surrender to the power of love. Indeed, the
convoluted series of the images culminates in the discovery of the source
of the miraculous river that instigated the hero's trip to the Erötokastron:
Belthandros discovers that the waters of the fiery river flow from the eyes
and the mouth of a melancholic statue made of sapphire and located in the
triklinon of the castle. An inscription on the statue makes it clear that the
source of the river coincides with the beginning of the hero's love ad-
ventures:

Βέλθανδρος, παις 6 δεύτερος πατρός του Ροδοφίλου,


του και κρατάρχου στέμματος πάσης της γης Ρωμαίων,
πάσχει δια πόθου στέμματος μεγάλης 'Αντιοχείας,
ρηγός μεγάλου θύγατηρ Χρυσάντζας λεγομένης,
της πανευμόρφου και λαμπρας και πορφυρογέννητου (384-388).

Belthandros, the second son of Rhodophilos,


the sovereign of the whole land of the Greeks,
suffers of desire for the daughter of the sovereign, of the illustrious king of
grand Antiocheia,
who [the daughter] is called Chrysantza
and is most beautiful and shining and purple-born.

36
See, for instance, the following verbs and adjectives that convey Belthandros' be-
wilderment or the wondrous nature of the described spectacle: π α ρ ε ξ ε ν ώ θ η ν , ύ π ε ρ -
ε θ α ύ μ α σ ε ν (292, 337, 454), έ θ α ΰ μ α ζ ε ν (313, 455), παρεξενώθηκεν (316), π α ρ ά ξ ε ν ο ν
(295, 326), ξ έ ν ο ν (308), φοβερά (320) θ α υ μ α σ τ ά (333), φρικτόν (405).
350 Panagiotis Roilos

This transition from the anonymous figures depicted throughout the castle
to Belthandros' own allegorically, that is pictorially, prefigured story
should be viewed as the culmination of the hero's contemplative reaction
to the series of wondrous spectacles and portraits that he encounters in the
outworldly building. Contemplation as a generic response to visual arts is
meant here in the sense of evocative coincidence of the viewing subject
with the observed object. It has been aptly argued that in many different
cultures the aesthetic experience of pictorial art can be perceived in par-
allel with elevated contemplation. 37 Certainly this is often the case with
medieval Greek perceptual and interpretive codes of visual aesthetics. In
my study on the amphoteroglossic character of the learned Greek novel of
the twelfth century, I explored how mystical contemplation is interwoven
with ekphrastic aesthetic discourse in the Komnenian fiction, especially in
Hysmine and Hysminias,38 Admittedly in Belthandros as well as in other
examples of its subgenre such as Kallimachos and Chrysorrhoe or Libist-
ros and Rhodamne, the contemplative mode of the heroes' reactions to the
images is less mystical but it is similarly characterized by a focus on the
enigmatic nature of the pictorial signs that they are invited to decode.
In Belthandros, the first epigram about the protagonist's own fate is
accompanied by a second one that repeats the same idea: Belthandros will
fall in love with Chrysantza, since Eros has predestined the one for the
other (421-425). After these prefigurations of the hero's erotic future,
there follows a description of the dome of the castle (442-459). The dome
is portrayed as a 'wondrous structure' (ητον τό κτίσμα θαυμαστόν); it is
like the 'celestial sphere', all the more since its arches are not founded on
the earth and its walls seem to be suspended from the air.39 The dignified
discourse of this passage contributes to the outworldly, magical at-
mosphere of the described building, which, however, is developed into the
topos not of a mystical but rather of a dreamlike experience. In this ek-
phrasis, the metanarrative implications of the preceding epigrams are fur-
ther enhanced by a reference to the paradigmatic love story of Leandros

37
Maquet 1986, 51-58. Maquet's comparative anthropological discussion would
have been significantly enriched by a study of analogous patterns of aesthetic experience
in medieval Greek culture.
38
Roilos 2005, 145-168.
39
In Kallimachos and Chrysorrhoe, the ogre's chamber is described in similar
terms. There, too, the ceiling of the room, which depicts mythological deities (Kronos,
Zeus, Aphrodite, Athena, Charites), is compared to the sky and the stars (423-438).
Ekphrastic Semantics and Ritual Poetics 351

and Hero. The tragic connotations of their romance, which is also men-
tioned in Niketas Eugeneianos' novel (twelfth century) as an exemplum of
true love,40 foreshadow the ordeals that the protagonist will have to pass
before he secures his union with his beloved Chrysantza.
The narrator proceeds to recount Belthandros' meeting with the lord of
the wondrous castle, the King of Erötes. The whole scene takes place in a
blurred context situated between the realm of dreams and the hero's al-
ready extraordinary adventures. The protagonist's reception by the king
recalls aspects of medieval Greek court rituals. According to the estab-
lished Byzantine ceremonial protocol, Belthandros prostrates in front of
the master of the castle who is seated on a throne.41 The King Eros orders
the hero to be the judge at the beauty show that will take place the fol-
lowing day and to choose the most beautiful young lady. Leaving aside
any possible allusions of the beauty-contest to actual customs, whose his-
torical accuracy remains highly questionable, 42 the whole scene, I argue, is
performed in a quasi-ritual order structured on the basis of repeated acts
and words. After Belthandros' announcement of his verdict to the King of
Erötes, the Erötes along with their master and the splendid women disap-
pear. The hero is left alone still wondering about the marvelous nature of
his experience.
The narrator's account here enhances the allegorical and dreamlike
character of Belthandros' extraordinary periegesis. 'The things that he saw
dissolved like a dream' (724), the narrator notes. The hero's subsequent
thoughts about the instability and transience of time in human life be-
speak, I contend, a fusion of allegorical characteristics traditionally attri-
buted to Eros and Time in Greek tradition. A comparable association of

40
Drosilla and Charikles 6.472-480. For a discussion o f references to paradigmatic
love narratives in this novel, see Roilos 2005, 69-71.
41
In its general character, the appearance of the King of Erötes in Belthandros
recalls Hysminias' meeting with the King Eros in a dream in Makrembolites' novel (3.1).
It is worth noting that in both scenes there is also an emphasis on the protagonist's aural
perception of his meeting with the supernatural; for a discussion of Hysminias' encounter
with the King Eros in his dream, see Roilos 2005, 191-193; for the general role of dreams
in this novel, cf. Alexiou 1979.
42
For the disputed historicity of beauty shows in Byzantium, see Ryden 1985;
Treadgold 1979; Hans 1988. Specifically for this motif in Belthandros and Chrysantza,
see Hunger 1975.
352 Panagiotis Roilos

Eros with Time is also found in Hysmine and Hysminias. There, however,
the emphasis was on Eros' sovereignty over all the periods of time. 43 In
Belthandros, what is powerfully foregrounded is the precarious and un-
controllable nature of time and, we may assume, of Eros as well. The ab-
rupt interruption of the normal course of time - as 'normal' as it could be
in the context of the hero's overall supernatural periegesis through the
marvelous castle - underlines the dreamlike liminality of his experience of
Eros' power inside and outside the Erötokastron. Like ritual time, which
has been appositely described as dream time by Edmund Leach, 44 Belthan-
dros' visit to the mysterious castle in general and his meeting with the
king of the personified Loves in particular suspends normal perceptual
patterns of experiencing and interpreting reality. It is presented as an ex-
traordinary, allegorical break in the expected course of the hero's journey.
Belthandros' allegorical periegesis through the world of Eros will be
later enacted on the 'realistic', as it were, level of the story, since he will
indeed meet Chrysantza, the daughter 'of the sovereign, of the illustrious
king of grand Antiocheia', and will fall in love with her. In Belthandros
and Chrysantza, this ekphrastic rite of passage is the principal discursive
mechanism through which the narrative is proleptically channeled toward
its completion. Instead of undermining the main corpus of the narrative,
the periegematikos account of the hero's gradual familiarization with the
enigmatic castle and its accumulated proleptic signs propels the develop-
ment of the story. Belthandros' initial curiosity at the view of the won-
drous fiery river and his crossing of the limen of the castle determine the
course of his journey and his almost ritually contrived passage first
through the Utopian land of Eros and then through the 'realistic' topos of
love adventures, until his final return to his homeland, where he is recon-
ciled with, and eventually procreates, his originally subverted paternal
authority. The inherently ritualistic tripartite schema detected in Belth-

43
For a detailed discussion of the relation between Eros and Time in M a k r e m b o -
lites' narrative as well as in other examples of medieval Greek literature and art, see
Roilos 2005, 161-166.
44
Leach 1961, 124-136; also 1988, 33-41. For a discussion of the embeddedness of
ritual temporal structures in everyday life and other domains of human experience and
expression, cf. Yatromanolakis/Roilos 2003, 37-38; also Roilos 1998 with a detailed
exploration of ritual time in oral literature; see also Yatromanolakis 2005.
Ekphrastic Semantics and Ritual Poetics 353

andros' story - separation, liminality/seclusion, reintegration - would have


been an a posteriori superimposed hermeneutic pattern comparable or
even applicable to the morphology of wondertales as a whole, 45 if the
ekphrasis of the Erötokastron had not activated - and accumulated - the
specific ritual and discursive homologies explored here.
In Belthandros, not unlike the other examples of Greek literary tra-
ditions explored in this article, the interaction between fictional ekphrastic
discourse and ritual schemata is articulated not on the basis of direct and
unidirectional influences but in terms of habitual interpenetratedness of
textural webs of signification. In such works, ritual discourses are acti-
vated not necessarily or primarily in the form of literary assimilations of
specific traditional ritual activities but in the sense of interdiscursive re-
sponses to modes, schemata, and tropes of ritual symbolicity. Indeed, as
argued in Towards a Ritual Poetics, it is on such a deep level of discursive

45
Here I have in mind Propp's influential model (cf. above n. 34). Ekphrasis plays a
similar role in other examples of the vernacular medieval Greek romances, especially in
Kallimachos and Chrysorrhoe and Libistros and Rhodamne. Theodoros Meliteniotes' On
Temperance, an extensive learned allegorical composition (mid-late fourteenth century),
provides an exceptionally interesting example of a meticulous ekphrasis contributing to
the ritual overtones of the whole narrative. Due to limits of space, here I have refrained
from discussing this intriguing but rather neglected text. I intend to explore the ek-
phraseis and the overall ritual poetics of Meliteniotes' allegorical poem in a separate
study. Suffice it to note that this is the most extensive surviving allegorical narrative of
secular Byzantine literature. This text has puzzling intertextual connections with me-
dieval Greek and Western European literature. For a recent study on a part of the detailed
ekphrasis of the personified Temperance's abode in this fiction, see Schönauer 1996. For
a brief discussion of this poem's intertextual allusions, see Beaton 1989, 192-195. Dölger
1919 remains the most systematic general study on Meliteniotes, his poem, and its
sources. For some allegorical aspects in the poem, especially the motif of the castle, see
Cupane 1978, especially 246-260; 1979. Cupane overemphasizes the possible intertextual
connections of Meliteniotes' poem with Western European tradition while understating or
neglecting the intertextual importance of prior comparable Greek examples such as
Kebes' Tabula or the Komnenian and the later vernacular romances. It is worth noting
here that the theme of the fiery river that plays a pivotal role in Belthandros is also found
in Meliteniotes' poem (lines 351-353). Another topic pertinent to my discussion in this
article is the reenactment of Byzantine descriptive modes in examples of modern Greek
narrative, especially in the literature of the nineteenth century. A case in point is the work
of Alexandres Papadiamantis, the most important Greek author of short stories in the
nineteenth and early twentieth century, who draws a great deal of thematic and discursive
elements from the medieval Greek literary tradition. Such aspects of his poetics are ex-
plored in Roilos 2002; 2007b. On the role of description in another nineteenth-century
Greek author, Georgios Vizyenos, cf. Alexiou 1993.
354 Panagiotis Roilos

interplay that ritual poetics is constructed in broader domains of cultural -


notably aesthetic - expression and of social interaction.46

Panagiotis Roilos
Department of the Classics, Harvard University

46
Yatromanolakis/Roilos 2003, 19, 26-27, 31-34, 37-38.
Ekphrastic Semantics and Ritual Poetics 355

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Mythos und Ritual, Leiden und Opfer.
Ein strukturgeschichtlicher Versuch zur Tragödie.1

Für meine Schwester Eva-Maria Diehl

Vorbemerkung

Die ersten beiden Abschnitte dieses Versuchs wollen einige Ansatzpunkte


für eine systematische Beschreibung der Tragödie aus ihren kulturellen
Bedingungen heraus gewinnen (I und II). Dann wird am Beispiel von
Sophokles' Philoktet skizziert, wie das Leiden des Menschen eine beson-
dere Herausforderung für die Tragödie mit ihren sinngebenden Referenz-
systemen (Kult, Opfer, Polis) ist (III) und wie sich genau hierfür durch die
Durchsetzung des Christentums eine neue Konstellation ergibt, die sich
am Beispiel von Lessings Tragödienpoetik besonders gut deutlich machen
läßt (IV). Die griechische Tragödie kennt freilich bereits die Spannung
zwischen der Subjektivität des Leidens und seiner objektivierenden Auf-
hebung in seiner Deutung als Opfer, wie man am Oedipus Rex des Sopho-
kles sehen kann (V). Die wichtigsten neueren Diskussionsbeiträge für eine
kulturanthropologisch fundierte Theorie der Tragödie stammen von Wal-
ter Burkert und Rene Girard; diese Theorien werden mit Bezug auf Dür-
renmatts Besuch der alten Dame umrissen (VI). Die beiden Schlußab-
schnitte (VII und VIII) wollen die strukturgeschichtlichen Überlegungen
mit Bezug auf Corneille und Schiller vertiefen und so die Produktivität des
attischen Tragödienmodells in der Literaturgeschichte der Neuzeit zeigen.

I. Religion, Mythos und Ritual

Religion, Mythos und Ritual reichen weit in die Vor- und Frühgeschichte
des Menschen zurück. Sie sind in vieler Hinsicht sinn-volle, zentrale Kon-

1
Das Folgende skizziert einige zentrale Gedanken zu einer Strukturgeschichte der
Tragödie, an der ich arbeite. Anton Bierl sei herzlich gedankt für seine vielen Anregun-
gen, seine Geduld und Nachsicht, Lothar van Laak, Jan Andres, Katja Malsch, Sascha
Monhoff, Anna Lindeman, Katharina Wesselmann und Rebecca Lämmle für kritische
Lektüre, Ellen Beyn für unverdrossene Hilfe.
360 Wolfgang Braungart

stitutionselemente von Kultur, wohl aller Kulturen. 2 Schon mit den ersten
Spuren menschlicher Kultur verbinden sich Spuren von Religion und von
Ritualen. In welchem Verhältnis Religion, Mythos und Ritual zueinander
stehen, ist deshalb ein kultur- und religionswissenschaftliches Grund-
problem. 3 Das einfachste Modell, das (religiöse) Ritual als Handlungstyp
zu verstehen, in dem der Mythos realisiert wird, ist nicht unsinnig, umfaßt
aber ganz offenkundig zu wenig. Rituale, auch religiöse, setzen nicht bloß
Mythen in darstellende und inszenierte Handlungssequenzen um. Mythen
liefern ihrerseits nicht nur die erklärenden Geschichten zu vorhandenen
Ritualen nach und gehen auch in funktionaler Hinsicht nicht in Religion
und Kult auf. 4 Es gibt Rituale ohne Mythos und Religion. Es gibt auch
Religion - zumindest Religiosität - 5 ohne Mythos. Schleiermachers mo-
derner Versuch, Religion im Gefühl des Subjekts zu (be-)gründen, mutet
letztlich, im Rilke-Ton gesprochen (auch wenn dies Schleiermacher ein
wenig unrecht tut), der 'Kraft des Herzens', also der religiösen Produkti-
vität des Menschen, alles zu. Was aber ist dann religiöse Erfahrung?6
Woran soll man sie machen, wenn sie mehr sein soll als Autosuggestion?
Das ist eine zentrale Frage, gerade für moderne Religiosität. Da zeigt sich

2
Die Frage kultureller Universalien, die hier nicht eingehend angesprochen werden
kann, beschäftigt in Zeiten der Globalisierung die Geistes- und Kulturwissenschaften
wohl nicht zufälligerweise wieder neu. Man kann versuchen, das Problem der Universa-
lien evolutionstheoretisch zu lösen: Wenn etwas unter ' U n i v e r s a l i e n v e r d a c h t ' steht,
müßte man seinen evolutionsgeschichtlichen Sinn nachweisen können. Vgl. Hejl 2001;
Eibl 2004, 353-358; jetzt v. a. Antweiler 2007.
3
Hock 2002, 116 und 118 zählt den Mythos "zur theoretischen E b e n e von Reli-
gion", das Ritual zur 'praktischen'. Aber was meint hier genau 'theoretisch'? Ein Prob-
lem der Mythenforschung scheint mir bis heute zu sein, daß man den Mythos noch immer
besonders von seiner narrativen Grundstruktur her versteht und ihm damit Textualität
unterstellt. Aber der Mythos "überschreitet die Grenzen zur Sichtbarkeit mühelos" (Blu-
menberg 1979, 243). Der Mythos ist auch bildhaft, anschaulich, evident; und das drückt
sich in Bildern, Plastiken, Architektur aus. Die Faszinationskraft des Mythos beruht min-
destens ebensosehr auf seiner Bildlichkeit wie auf seiner Narrativität. Mythen haben auch
einen ästhetischen Aspekt. Man könnte an diesem Problem eine Religionsästhetik ent-
wickeln, auch eine der christlichen Konfessionen. - Vgl. zusammenfassend den Artikel
von J a m m e 2005, 515-521; vgl. schon Jamme 1991. Christoph J a m m e ist zur Zeit einer
der besten Kenner der neueren Geschichte, Theorie und Philosophie des Mythos.
4
Zu dieser Diskussion vgl. Braungart 1996, 68-73, bes. mit Bezug auf Dalferth
1987.
5
Eine formenreiche, differenzierte, 'vagierende' und subjektive Religiosität ist für
die Moderne und insbesondere die Gegenwart charakteristisch; vgl. Taylor 2002; Graf
2004.
6
Zu dieser äußerst schwierigen, hier nicht zu diskutierenden Frage ist James 1902
noch immer ein zentraler Text.
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 361

die Bedeutung des Mythos generell und auch für Religion: In ihm 'ex-
ternalisiert' sich das religiöse Bedürfnis. 7 Der Mythos erklärt; er gibt an-
schaulich aber ebenso das vor, woran Erfahrungen gemacht werden kön-
nen. Erfahrungsmöglichkeiten können allerdings auch Rituale für das reli-
giöse Bedürfnis eröffnen. In ihnen kann sich religiöse Erfahrung perfor-
mativ vollziehen. Mythen und Rituale sind insofern grundlegend für das
ästhetische System 'Religion'. Religionen sind immer auch ästhetische
Systeme.8
Rituale sind jedoch, über die Sphäre der Religion hinausgehend, ein
eigener ästhetisch elaborierter, sozial-kultureller Handlungstyp. 9 Ihre ge-
staltende, transformative, ja dynamisierende Kraft findet neuerdings
wieder besondere Aufmerksamkeit. 10 Rituale können eine große perfor-
mative Intensität entwickeln - so sehr, daß ihre Semantik möglicherweise
sogar weitgehend irrelevant scheint, obwohl sich diese in der hermeneu-
tischen Reflexion dann durchaus erschließen läßt. Das politische Zeremo-
niell zum Beispiel - als ein besonders elaboriertes und reguliertes, immer
für ein Publikum aufgeführtes säkulares Ritual11 - wirkt auf den ersten
Blick in der Regel primär performativ: Es muß korrekt vollzogen werden,
um wirksam zu sein. Dem zweiten, hermeneutischen Blick kann sich dann
dennoch entfalten, in welcher Weise ein Staat, eine politisch-kulturelle
Ordnung im Zeremoniell - ganz wörtlich - zur Darstellung kommt. 12 Aber
man kann wohl nur in einem sehr vagen Sinne sagen, der Staat, der sich
im Zeremoniell zeigt, sei der dahinterliegende 'Mythos'. 13 Wie den Be-
griff der Religion sollte man auch den des Rituals und den des Mythos
nicht überdehnen.
Läßt man gelten, daß Religion, Mythos und Ritual relativ eigenstän-
dige kulturelle Äußerungsformen sind, so können Spannungen, Bewegun-
gen, Dynamiken zwischen ihnen auch in den Gesellschaften leichter wahr-

7
Einflußreich ist die konstruktivistische Zuspitzung bei Berger/Luckmann 1969.
8
Vgl. jetzt auch Lanwerd 2002.
9
Wie fruchtbar diese Perspektive auch für die antike Literatur ist, hat Bierl 2001
deutlich machen können.
10
Vgl. Harth/Schenk 2004.
11
Vgl. G. Braungart 1995; Braungart 1996, 57-67.
12
Vgl. jetzt zur Verschränkung von Politik und Literatur im Huldigungszeremoniell
Andres 2005.
13
Kann man den Staat 'erzählen'? Kann man ihn figurativ zeigen? Immerhin gibt es
die Rede von 'Vater Staat'; und in der ' G e r m a n i a ' kommt im 19. Jahrhundert die Nation
allegorisch zur Darstellung.
362 Wolfgang Braungart

genommen werden, die man - in einer geschichtstheoretisch schwierigen


Perspektive - vielleicht als 'vormodern' oder 'traditional' beschreiben
würde. 14 Mythos, Religion und Ritual können sich auch auf andere
kulturelle Sektoren - etwa Politik und Ökonomie - in je unterschiedlicher
Weise beziehen. Victor Turner versteht liminale Gesellschaften als solche,
in denen alles im Horizont des Heiligen geschieht; liminoide Gesellschaf-
ten sind dagegen differenziert; sie haben das Heilige institutionalisiert und
daneben andere Institutionen ausgebildet. 15 Diese Typologie ist hilfreich
und erinnert an andere Typologien und Prozeßmodelle (Luhmann: von der
vertikal-stratifikatorischen zur funktional ausdifferenzierten Gesellschaft).
Die Etablierung der attischen Tragödie ist ein kultureller Differenzierungs-
schritt, obwohl sie im Horizont von Mythos und Kult geschieht.
Religion, Mythos und Ritual sind ebenso zentrale Konstitutionsele-
mente der Tragödie. Darum ist sie die wohl komplexeste und wichtigste
literarische Gattung. Sie bleibt es zumindest bis ins 19. Jahrhundert, bis
zur Durchsetzung des Romans. Keine andere Gattung gründet so tief und
mit so langer Tradition in der menschlichen Kultur. 16 Keine andere
Gattung gründet auch so tief im 'Politischen' und Sozialen. Für eine Ge-
schichte der Tragödie muß man dieses Wechsel- und Widerspiel von My-
thos, Religion und Ritual im Rahmen von 'Politik' und Gesellschaft, also
dessen, was die 'Polis' angeht, bedenken. Im Hinblick auf dieses Wechsel-
und Widerspiel muß auch die Kategorie des Opfers bestimmt werden. 17
Das Opfer ist immer kommunikativ gerichtet; es ist immer gut zu etwas.
Es ist nicht unbedingt auf das Ritual und die 'Polis' bezogen, es ist es aber
doch bevorzugt.
Offensichtlich ist, besonders wenn man auf die Entstehung der Tragö-
die im antiken Griechenland des 6. und 5. Jahrhunderts v. Chr. zurück-

14
Ohne damit Luhmanns Konzept der modernen funktionalen Ausdifferenzierung
gesellschaftlich-kultureller Teilsysteme bestreiten zu wollen.
15
Turner 1969; 1982,28-94.
16
Auch nicht das Epos; wohl aber das Erzählen. Nur ist das keine Gattung. Der
Übergang des Erzählens vom Epos zum Roman ist mit der Durchsetzung der Literalität
verbunden. Sie läßt auch die Tragödie nicht unberührt und gilt doch hier nicht in der-
selben Weise, weil die Tragödie in ihrem Kern eine performative Gattung ist, der Roman
aber nicht. Am Schluß der Vorlesungen über die Ästhetik kommt Hegel darauf zu spre-
chen, wie unzureichend das Lesen und Vorlesen eines Dramas immer bleibt. Es muß auf-
geführt werden.
17
Die Literatur zur Theorie und Geschichte des Opfers ist inzwischen nicht mehr
überschaubar. Vgl. den Überblicksartikel in Weiß 2000.
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 363

blickt, daß wir in Religion, Mythos und Ritual drei strukturbildende Ele-
mente dieser literarischen Gattung, die ihren Sitz mitten in der Polis hat,
sehen können: 'Religion' ist der kultisch-soziale 'Rahmen' und ein wich-
tiger Sinnhorizont der Tragödie, insofern der Tragödien-Agon im Rahmen
und als Teil der Großen Dionysien stattfindet. 18 'Mythos' ist das zwar
nicht alleinige,19 aber doch besonders wichtige, anschauliche und episch-
narrative Substrat der Tragödie, das immer wieder neu zu gestalten ist. So,
als jeweils neu interpretierter, 'lebt' der Mythos. 'Ritual' ist eine seman-
tische Substruktur (im Opferritual des Bockes) und das ästhetische und
soziale Form- und Organisationsprinzip, das sich ζ. B. in der Regelhaftig-
keit der Tragödie zeigt (bis hin zur strikt normativen 'Regelpoetik' der
Frühen Neuzeit). Dieses Form- und Organisationsprinzip verweist eben
auf die kultisch-rituelle Performanz der Tragödie im Zusammenhang mit
den Großen Dionysien und ihrer Gesamtordnung.
Diese Konstitutionselemente der Tragödie können deutlich machen,
wie sehr in der Tragödie 'Kultur gespielt' wird. Aber eben: Sie wird ge-
spielt, bewußt inszeniert. Die Tragödie ist weder bloß "rituelle Inszenie-
rung" im Dienste von Religion und Kult, noch bloß "inszeniertes Ritual"
im Dienste des Theaters. 20 Sie ist beides, und ihre Geschichte lebt aus bei-
dem. Die 'Inszenierung' verbindet sie. Das Zusammen-Spiel dieser Kon-
stitutionselemente sowohl mit Bezug auf die 'Polis' wie auch auf das
Subjekt bedeutet durch die gesamte Geschichte der Tragödie eine Heraus-
forderung, 21 an der sie sich abarbeitet, womöglich bis hin zu ihrer Selbst-
auflösung, wenn dieses spannungsreiche Spiel seinen Sinn verliert: etwa
weil der Staat subjektiv nicht mehr relevant, die Gesellschaft in sich zu
sehr differenziert ist. Der kulturelle und soziale 'Sinn', der aus dem als
'Opfer' verstandenen Leiden entstehen kann, wird dann nicht mehr gese-
hen. Noch das sogenannte 'Bürgerliche Trauerspiel' des 18. Jahrhunderts
exponiert seine Konflikte auch, wenngleich nicht mehr vorrangig, im Hin-
blick auf die 'Polis', also auf das, was alle angeht: die Gesellschaft, die
soziale und moralische Ordnung, den Staat.22 Es geht ihm keineswegs nur

18
Vgl. Bierl 1991; Latacz 1993. - Welche Bedeutung dies in Bezug auf die Großen
Dionysien hat, ist nach wie vor umstritten. Vgl. Winkler/Zeitlin 1990.
19
So dient etwa in Aischylos' Persern ein geschichtliches Ereignis als Folie der
Handlung.
20
Chihaia 2002, 33; vgl. auch Turner 1982.
21
Für die griechische Tragödie vgl. Lehmann 1991.
22
Jüngster konziser Überblick zu dieser Untergattung der Tragödie: Schößler 2003.
364 Wolfgang Braungart

um den sozialen und emotionalen Nahbereich der Familie (Paradebeispiele


sind Lessings Emilia Galotti und Schillers Die Räuber). Der im 'Bürger-
lichen Trauerspiel' (auch) durchgespielte Konflikt zwischen den Ständen
betrifft die Ordnung der Gesellschaft und die Ordnung der Familie.
'Tragisch' nennt man es, wenn das Zusammenspiel dieser Konstitu-
tionselemente für das Subjekt nicht gelingt, ja nicht gelingen kann: für sein
Handeln, seine Gefühle und seine Körperlichkeit. Ausdruck dieses Mißlin-
gens sind Leid, Schmerz und Tod. Zur Disposition stehen damit in der
Tragödie nicht nur das Subjekt mit seinen Maximen, Werten, konkreten
Handlungen, sondern immer auch die politisch-soziale Ordnung (Polis,
Staat, Gesellschaft, Gemeinschaft, Familie), die doch den 'Ermögli-
chungsraum' für das Subjekt zu sichern hätte. Auf dieses Problem kon-
zentriert sich dann die frühneuzeitliche Tragödie, vor allem indem sie sich,
bis hin zu Schiller, auf die naturrechtliche Argumentationslinie bezieht.
Die Darstellung der Emotionen in der griechischen Tragödie berührt die
Seite des Subjekts wie die sozial ordnende Institution des Rituals (und das
ist so bis in die Trauer-Rituale unserer Zeit).23
Wenn ich bei meinem strukturgeschichtlichen Versuch also 'Leiden
und Opfer' besonders betone, so behaupte ich damit, daß sich das Tragi-
sche immer in dieser doppelten Perspektive entwickelt: als vorgeführtes
Leiden eines Subjekts, und als Opfer, das seinen Sinn nur im Hinblick auf
eine Ordnung der Religion, des Kultes, des Sozialen und des Politischen
(oder Geschichtlichen) gewinnen kann, der das Subjekt unterliegt (im
wörtlichen wie im metaphorischen Sinne). Das Opfer hat immer zwei
Aspekte: den der Opfergabe (victima), in der Tragödie also das leidende
Subjekt, und den der Opferhandlung (sacriflcium), 24 die als eine solche
wahrgenommen werden muß. Sie gilt dem Heiligen. Das macht die grund-
sätzliche Nähe des Opfers zu Ritual und Religion aus, fordert aber auch
das Subjekt heraus. Es hat wenig Sinn, von einem Opfer zu sprechen,
wenn dieser Bezug der Opferhandlung auf einen höchsten, unhintergeh-
baren Wert nicht gegeben ist. Dann wird, charakteristisch für die Mo-
derne, der Begriff metaphorisiert, und die 'Opferhandlung' tendiert dazu,
ihre Nähe zum Ritual zu verlieren. Wer bei einem gemeinsamen Essen das
letzte Stück Fleisch nimmt und kommentiert: "Ich opfere mich", opfert

23
Vgl. etwa Alexiou 1974; Segal 1994; Schauer 2002.
24
Zu dieser U n t e r s c h e i d u n g , die die deutsche Sprache nicht macht, vgl. Ja-
nowski/Welker 2000b; umfassend zur Theologie des Opfers jetzt auch Negel 2005.
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 365

sich eben nicht. Antigone opfert sich für einen höchsten Wert. Und doch
wird man schon bei ihr nicht mehr sagen können, ihr O p f e r ' entspräche
einer heiligen Opfer-Handlung für eine Gottheit. Man sieht also schon an
diesem wohl berühmtesten Beispiel der griechischen Tragödie, daß diese
nicht einfach dem religiösen Opfer im strengen Sinn entspricht. Die Meta-
phorisierung des religiösen Opfers beginnt bereits mit der griechischen
Tragödie. Dieser Vorbehalt soll gelten, auch wenn im folgenden vom
Opfer-Modell der Tragödie gesprochen wird.
Als Spiel, zu dem die Polis zusammenkommt, spielt also die grie-
chische Tragödie durch, was die Polis und was das Subjekt kulturell
konstituiert. Die griechische Tragödie stellt selbst schon ein bewegliches
kulturelles Gesamtsystem dar, nicht weil sie von vornherein kritisch oder
subversiv wäre (etwa zu Lasten der Polis und zugunsten des Subjekts oder
umgekehrt), sondern weil sie auf die Polis und ihre Kultur und auf das
Subjekt zugleich bezogen ist. Im Rahmen der Großen Dionysien aufge-
führt, ist die Tragödie Kultspiel und doch auch Theater; sie wiederholt den
'Mythos' - im Sinne der Aristotelischen Poetik - und zeigt ihn. Dieser
Mythos ist gewußter Mythos, nicht einfach nur Vollzug von Religion. 25
Das Wissen des Mythos erlaubt die nie wieder erreichte konzentrierte Mo-
numentalität der griechischen Tragödie: Es muß nicht alles gesagt werden.
Auch die Pragmatik der Aufführung im Rahmen der Großen Dionysien,
zugleich Dichterwettstreit konkurrierender individueller Autoren, erlaubt
wohl eine solche Deutung. (Soweit ich sehe, hat die neuere Forschung zur
Autorschaft dieser historisch-politisch und kultisch beschreibbaren Auf-
führungssituation der attischen Tragödie noch keine neue Aufmerksamkeit
geschenkt.26 Freilich muß man immer wieder darauf hinweisen, daß die
Entstehung der attischen Tragödie nach wie vor eines der rätselhaftesten
und schwierigsten Kapitel der Literatur- und Kulturgeschichte ist - trotz
so engagierter Theorien wie die Walter Burkerts, auf die später noch ein-
gegangen wird; dazu auch die Einleitung Anton Bierls in Literatur und
Religion I). Oedipus Rex ist aus der Sicht der Zuschauer ein hochironi-
sches Stück. Sie kennen den Mythos. 'Glauben' kann man ihn aber nicht.
Wie auch? Religiöser Kult und religiöses Ritual sind explizit, theatralisch,

25
Ein Beispiel: Auf der Ebene von (christlicher) Religion kann man die Personalität
und trinitarische Gestalt Gottes nur beschreiben und verkündigen; erklären kann man sie
nur auf der Ebene der Theologie, die sich dann mit einem anschaulichen (mythischen)
Verständnis etwa der Personalität schwertun muß.
26
Vgl. etwa Jannidis et al. 1999; vgl. auch Detering 2002.
366 Wolfgang Braungart

bewußt - aber nicht ironisch. Auch in profanen Ritualen, die größere


Spielräume haben, dürfen Witz, Spott, Ironie nicht das Ritual als Ganzes
in Frage stellen. (Das gilt etwa für moderne Protestrituale. Sie dürfen nicht
bloß läppisch oder witzig sein).
Also: Ein zu sehr ihre Integration betonendes Verständnis von Mythos,
Ritual und Religion wird dem Zusammen- und Widerspiel dieser kultu-
rellen und poetischen Konstitutionselemente kaum gerecht. Es kann dazu
einladen, diese vermeintliche Einheit in eine historische Epoche zurückzu-
projizieren, für die wir dann gerne ein wenig sentimentalisch glauben
möchten, daß sie noch ein einheitliches Weltbild, eine alles durchwirkende
Religion, eine noch nicht von Aufklärungs- und Rationalisierungsprozes-
sen angegriffene Geschlossenheit geprägt habe, wie auch immer man sich
all dies vorstellen will. Die Mythologie, die Religion der Griechen: eine
solche Rede ist problematisch. 27 Was aus dieser vermeintlichen Einheit im
Prozeß der Geschichte wird, beschreibt man vielleicht vorsichtig-neutral
als Differenzierungsvorgang, für die Neuzeit aber doch gerne als Nieder-
gangs- und Verfallsprozeß. Die moderne Kulturkritik seit Rousseau und
Schiller ist primär Verfallsgeschichtsschreibung. 28 Sie hat ihre Vorge-
schichte schon im europäischen Späthumanismus. 29 Verfallsgeschichte
gibt den geschichtlichen Ereignissen Zusammenhang und innere Struktur,
ja Logik. Im Grunde ist sie eine vergleichsweise einfache Antwort auf die
Grundfrage, was denn Geschichte sei: Es geht eben immer nur abwärts,
weg vom Paradies.30
Die Geschichte der Tragödie wäre in dieser Hinsicht auch als eine Sä-
kularisierungsgeschichte zu schreiben. Sie wäre gekennzeichnet durch
einen immer freieren Umgang mit dem Mythos; ihre Lösung aus dem reli-
giös-kultischen Zusammenhang im Prozeß der Institutionalisierung des
Theaters; schließlich durch ihre ästhetische Öffnung und moderne Entritu-
alisierung der Form. 31 Es ist gar keine Frage, daß sich diese Prozesse voll-
zogen haben, wenn auch nicht in schlicht linearer Weise: Der (griechisch-
römische) Mythos und die griechische Tragödie stellen bis in die Literatur

27
Und doch gilt gewiß noch immer die einfache hermeneutische Einsicht: keine
W a h r n e h m u n g des Individuellen ohne Generalisierung und Kategorisierung. Wir sind
auch neurobiologisch auf Mustererkennung hin angelegt!
28
Bollenbeck 2005a und 2005b.
29
Vgl. Kühlmann 1982.
30
Vgl. zur wichtigen Sündenfall-Debatte um 1800 Koch 1998.
31
Klassische Texte: Szondi 1956; Klotz 1960.
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 367

der Gegenwart hinein und noch für die moderne Tragödie (Heiner Müller,
Philoktet; Botho Strauß, Ithaka) eine besondere Herausforderung dar;32
die Aufmerksamkeit für Religion und Kultus ist in der ästhetischen Mo-
derne keineswegs verschwunden; 33 Entritualisierungen werden oft von Re-
Ritualisierungen begleitet oder sie folgen ihnen34 - in der Kunst, angezeigt
etwa durch die Erneuerung strenger Formen, 35 wie im sozialen Leben.
Als szenisch-theatrale und sprachliche Kunst ist die Tragödie 'evi-
dent', präsentativ und für die Einbildungskraft stimulierend zugleich. Die
Ritualität der Tragödie zeigt sich ästhetisch am stärksten in der Traditions-
permanenz der zu Regeln kanonisierten Aristotelischen Beschreibungska-
tegorien. Das verweist, so könnte man sagen, auf den kultisch-rituellen
Ursprung der Gattung,36 aber auch auf die (ästhetische) Ritualbedürftigkeit
der Zuschauer, die sich im wahrnehmenden Mit-Vollzug zur Gemein-
schaft (in der griechischen Antike: zur Polis, im Theater der bürgerlichen
Epoche: zum selbst-bewußten Bürgertum einer Stadt,37 im Projekt eines
Nationaltheaters im 18. Jahrhundert sogar zur Kultur-Nation) verbinden.
Wenn Aristoteles in der Poetik (1450b24-25) feststellt, 'daß die Tragödie
die Nachahmung einer in sich geschlossenen und ganzen Handlung ist, die
eine bestimmte Größe hat', 38 so wird hier - wirkungsgeschichtlich gese-
hen - nicht nur einer klassizistischen Poetik der Boden bereitet. Man kann
die Aristotelische Tragödien-Poetik, in der, das muß man sich immer vor
Augen halten, Sophokles' Oedipus Rex als Tragödie par excellence figu-
riert,39 als Versuch sehen, auf den Punkt zu bringen, was die attische
Tragödie eben auch noch ist: Ritualspiel im kultischen Zusammenhang der
Großen Dionysien. Wie alle Rituale, so muß auch das Ritualspiel der
Tragödie ganz, in sich abgeschlossen, nach einer festen Struktur, mit mar-

32
Flashar 1991; Frick 1998 und 2003.
33
Vgl. Vietta 1992, bes. 111-131; Kölbl/Larcher/Rauchenberger 1997; Braungart/
Fuchs/Koch 1997 und 1998; Braungart/Koch 2000.
34
Zur neueren Ritualforschung vgl. die Sammelbände von Schäfer/Wimmer 1998;
Belliger/Krieger 1998; Caduff/Pfaff-Czarnecka 1999; Harth/Schenk 2004.
35
Der Begriff der 'Form' markiert für die Poetik der Moderne ein Grundproblem;
vgl. Burdorf 2001. In der deutschen Lyrik der Gegenwart ist Durs Grünbein ein solcher
Meister der Erneuerung der Form.
36
Vgl. Girshausen 1999; Latacz 1993.
37
Was man mit den entsprechenden Inschriften über den Portalen der Theaterge-
bäude auch zu verstehen gibt.
38
Fuhrmann 1989,25.
39
Vgl. Söffing 1981,217-226.
368 Wolfgang Braungart

kiertem Anfang und markiertem Schluß usw. realisiert werden. Und nur
dann, wenn das Ritualspiel richtig vollzogen wird, kann es auch wirksam
sein. Am Leitfaden von Form-Erfüllung und Form-Störung dieses Bewäl-
tigungsrituals kann man die Geschichte der Tragödie schreiben. Die Form-
Erfüllung ist nicht von vornherein weniger interessant als die Form-
Störung - obwohl uns die Überbietungsästhetik der Moderne, die durch
die Genie- und Autonomie-Ästhetik des 18. Jahrhunderts etabliert worden
ist, dazu verleitet, zunächst einmal von der Störung her zu denken. 40 Dafür
gibt es dann unterschiedliche Modellierungen - etwa: Durchbrechung des
Erwartungshorizontes - , die jedoch immer auf dasselbe hinauslaufen.
Aber auch das (klassizistische) Insistieren auf Form-Erfüllung kann
historisch äußerst interessant sein.41 Man kann das am französischen
Klassizismus und an den ihm folgenden Theaterreformen Gottscheds
sehen.
Der Bezug des Theaters auf die Festkultur als einem kultisch-rituellen
Analogon bleibt bis in die Gegenwart hinein erhalten. 42 Anläßlich eines
Besuchs des Theaters in Orange, wo es die am besten erhaltene römische
Theaterwand gibt, klagt der Erzähler in Rilkes Roman Malte Laurids
Brigge·.

40
A u s der Perspektive eines in der Moderne ausdifferenzierten kulturellen Teil-
systems spricht man der Literatur bevorzugt und auch im Rückblick auf die Epochen, die
noch kulturell h o m o g e n e r gewesen sein sollen, die Rolle des subversiven kulturellen
Störfaktors zu, als sei sie es per se. Bis in die Schulbücher der Gegenwart hinein reicht
die etwas naive normative Vorstellung, Literatur habe aufzuklären, zu ' h i n t e r f r a g e n ' ,
'Kritik zu üben', zu 'problematisieren'. Dann darf sie natürlich mit Ritual, Religion und
Mythos nicht viel mehr zu schaffen haben, als in diesen kulturellen Systemen ihr 'Mate-
rial' zu finden, um sie als Sinnsysteme schließlich zu demontieren. Beantwortet wird mit
einer solchen simplen A u f f a s s u n g auch die schwierige Frage, wozu denn Literatur ' g u t '
sein soll. Das kann man aber auch ganz anders sehen. W o l f g a n g Ullrich hat kürzlich
betont: Bildende Kunst war "dann am stärksten, wenn sie bereits bestehende Weltbilder,
Werte und Ordnungen repräsentieren durfte" (Ullrich 2005, 245). Selbst wenn fur die
Literatur nicht mit der gleichen Konsequenz gelten muß, was für die Bildende Kunst
gelten mag, weil diese in ganz unmittelbarem Sinne ' e v i d e n t ' ist und präsentativ ihre
Bedeutung entfaltet, j e n e aber als sprachliche Kunst notwendig in der Einbildungskraft,
wie das 18. Jahrhundert sagt, so bedeutet die affirmative Übernahme einer sozialen, poli-
tischen oder religiös-weltanschaulichen Aufgabe auch für sie nicht notwendig ästhetische
Niveaulosigkeit. Daran zu erinnern, ist für Archäologie und Altphilologie eigentlich über-
flüssig, flir die Kunst- und Literaturwissenschaft der Moderne jedoch keineswegs.
41
Zum weiteren Z u s a m m e n h a n g dieses Problems (einer Ästhetik bzw. Poetik der
Affirmation) vgl. Braungart 2004a.
42
Vgl. Haller 2002.
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 369

Laßt uns doch aufrichtig sein, wir haben kein Theater, so wenig wir einen Gott
haben: dazu gehört Gemeinsamkeit. Jeder hat seine besonderen Einfalle und Be-
fürchtungen, und er läßt den andern so viel davon sehen, als ihm nützt und paßt.
Wir verdünnen fortwährend unser Verstehen, damit es reichen soll, statt zu
schreien nach der Wand der gemeinsamen Not, hinter der das Unbegreifliche
Zeit hat, sich zu sammeln und anzuspannen. 4 3

Ein Theater haben und/oder einen Gott haben, das hieße, so kann man
Rilke verstehen: nicht vereinzelt, nicht individuiert zu sein. Das hieße,
etwas Gemeinsames im gemeinsamen Vollzug zu haben und die 'Kraft'
gemeinschaftlich auf die eine Wand hin auszurichten - wie in der ortho-
doxen Kirche auf die Ikonostase, hinter der man das Heilige weiß, das sich
nicht zeigt. Wie sehr das Theater und insbesondere die Tragödie auf das
Gemeinsame bezogen sein können, das die griechische Antike 'Polis'
nennt, und in ihren Anfängen auch wirklich war, hat besonders Christian
Meier gezeigt.44

II. Warum gibt es die Tragödie?

Alle kulturellen Äußerungen und Handlungen sind 'zu etwas gut', und alle
werden sie in irgendeiner Weise 'gebraucht'. 45 Über ihre pragmatische,
heutzutage gerne evolutionstheoretisch begründete 'Brauchbarkeit' hinaus,
aber nicht von dieser ablösbar, konstituiert sich in ihnen und an ihnen
Sinn. Mit ihnen wird aus dem bloßen Vollzug vitaler, überlebensnot-
wendiger Akte (Sammeln, Jagen, Fressen/Essen, Schlafen, Sich-Fort-
pflanzen) ein Welt- und Selbstverhältnis planender, gestaltender und be-
deutsamer Produktivität. Man kann dafür auch den Begriff des Symbo-
lischen benutzen, wenn man das Symbolische nicht nur semiotisch als ein
gewissermaßen begrenzbares, einhegbares Moment des kulturellen Zei-
chens versteht (etwa im Rahmen eines dreipoligen Zeichenmodells), son-
dern hermeneutisch im Sinne mehr oder weniger offener Deutungs- und
Verweisungsspielräume und unterschiedlicher Intensitätsgrade von Be-
deutung und Bedeutsamkeit. 46 Kultur impliziert einen mehr oder weniger
großen Grad an Bewußtheit derjenigen, die sie hervorbringen. In allen

43
Engel/Fülleborn/Nalewski/Stahl 1996, 617.
44
Meier 1988.
45
Vgl. Braungart 2004c.
46
Vgl. die ausgezeichnete Darstellung bei Fauser 2003.
370 Wolfgang Braungart

ihren kulturellen Äußerungen, besonders in Mythos, Ritual, Religion und


Kunst, drücken sich Menschen aus - ihre Aufmerksamkeit auf die ver-
schiedensten Lebensvollzüge, ihre Neugierde, ihr Staunen, ihr Erschrek-
ken, ihre Ängste, ihre Hingabe, ihr Abhängigkeitsgefühl, ihre Freude, ihr
Leid. Sie bringen sich so immer auch in ein Verhältnis zu sich selbst. Sie
stellen sich in ihren kulturellen Äußerungen und Handlungen auf vielfäl-
tige Weise in ihrem In-der-Welt-Sein dar, ja werden sich dessen, mehr
oder weniger, bewußt. Man muß wissen, was man will und warum man
das will, wenn man Gerätschaften für die Jagd und für den Ackerbau vor-
bereitet. Streiten kann man darüber, wann, warum und unter welchen
Umständen im Prozeß der Evolution des Menschen das bewußte Erleben
aufkommt. Schon an den frühesten Spuren materieller Kultur, die erhalten
sind, können wir es mehr oder minder stark ausgeprägt wahrnehmen. In
den Künsten potenziert sich solche 'Reflexivität' (also ein Wissen von
sich selbst); sie fordert sie deshalb auch beim Rezipienten mit besonderem
Nachdruck heraus.47
Mythos, Ritual und Religion sind kulturelle Ortsbestimmungen des
Menschen. Auch die Künste sind es und mit ihnen in herausragender
Weise die Tragödie. Ihrer Sprachlichkeit wegen ist das reflexive Moment,
das Moment der intersubjektiv nachvollziehbaren 'Selbstverständigung', 48
bei der Literatur besonders gut wahrnehmbar. Intersubjektivität braucht
einen gewissen Grad an Abstraktheit. Ihren Ort bestimmen zu wollen und
zu können ist aber kein Privileg der Menschen im Prozeß neuzeitlicher
Modernisierung. Die Künste, auch die Tragödie, sind, wie auch die Reli-
gion, ein "Diskurs", den sich die Menschen geschaffen haben, 49 weil sie
des Ausdrucks bedürftige Wesen sind,50 sonst blieben sie mit ihrem be-

47
Glänzend jetzt die klare Darstellung von Bertram 2005.
48
Vgl. Bertram 2005.
49
Vom "Diskurs der antiken Tragödie" spricht Lehmann 1991. Ich übernehme diese
Formel, weil ich in der antiken Tragödie eine überaus komplexe Form der Auseinander-
setzung mit Mythos, Religion, Geschichte, Gemeinschaft und Subjekt sehe, wie sie bis
dahin nicht dagewesen ist. L e h m a n n s dekonstruktive Perspektive einer "suspensive[n]
Antwortlosigkeit der Tragödie" (Lehmann 1991, 21) teile ich nicht. Der kulturelle Pro-
zeß, in dem der Mensch mehr und mehr ein Selbstverhältnis gewinnt, kann kaum nach
dem Frage-Antwort-Muster interpretiert werden. Zu Lehmanns an Foucault orientiertem
Diskursbegriff vgl. Lehmann 1991, 23-29.
50
Ich beziehe mich auf den großen medientheoretischen Entwurf von Oliver Jahr-
aus, der jüngst 'Literatur als das M e d i u m ' , sozusagen das M e t a m e d i u m , systemtheore-
tisch zu begründen versucht hat: Mit Literatur werden Bewußtsein und Kommunikation
strukturell ' g e k o p p e l t ' . Daß Literatur hierfür besonders geeignet ist, liegt an der Ab-
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 371

wußten Erleben für sich. Im 18. Jahrhundert heißt das bewußte Erleben
'Innerlichkeit', und die war und ist bekanntlich religiös (Pietismus) wie
poetisch (Empfindsamkeit, Sturm und Drang) höchst produktiv! Menschen
wollen und müssen sich damit auseinandersetzen, wer und was sie sind:
im Hinblick auf die Götter, auf den Kosmos, auf den Staat, auf den enge-
ren sozialen Verband, auf sich selbst (entsprechend lassen sich, mit Karl
Kerenyi, auch Mythen ordnen). Es ist kein Zufall, daß sich die Tragödie
genau in der Phase im antiken Griechenland entwickelt, in der sich auch
die attische Demokratie entwickelt. Denn die attische Demokratie ist -
ganz ungeachtet der Einschränkungen, die sie gegenüber einem modernen
Verständnis von Demokratie charakterisieren - herausragender Ausdruck
einer gestaltenden Produktivität auf dem Feld des Politischen.51
Daß es eine fortwährende Aufgabe bleibt, sich mit sich selbst ausein-
anderzusetzen und mit dem, was ein gestaltendes Verhältnis zur Welt und
zu sich selbst mitprägt, ja womöglich hemmt - mit den Göttern, den sozi-
alen und politischen Verhältnissen, den Familienstrukturen, der eigenen
Affektivität, letztlich und am entschiedensten: mit Leid und Tod - , tut der
Notwendigkeit keinen Abbruch, es unter jeweils historisch konkreten Um-
ständen immer neu versuchen zu müssen. Denn sinnvoll muß das Leben
immer in der individuellen Erfahrung sein. Sinn ist "Wahrheit ... für
[m]ich" (Kierkegaard). 52 Diese Aufgabe provoziert die Künste stets neu
und so auch die Tragödie.
Aber, wird man einwenden, 'der Mensch' - wer soll das schon sein?
Habe ich nicht eben kritisiert, von den Griechen zu sprechen? Vielleicht
muß man im Hinblick auf die Künste doch einen längeren historischen
Atem haben, als wir uns möglicherweise selbst zugestehen. 53 Daß uns die
antiken Tragödien auch heute noch etwas zu sagen haben, hat nicht ein-
fach damit zu tun, daß es sich eben um große Texte der Weltliteratur han-
delt. Das wäre eine seltsam tautologische Erklärung. Es hat vielmehr da-
mit zu tun, was ich behelfsweise das anthropologische Substrat der anti-

straktheit ihrer Zeichen, also an ihren besonderen Ansprüchen an unsere Einbildungs-


kraft, die durch die ' E v i d e n z ' der bildenden bzw. gegenständlichen Künste und die Sug-
gestivität der Musik wohl weniger, zumindest anders, herausgefordert ist. Vgl. Jahraus
2003.
51
Vgl. Meier 1993.
52
"[D]enn allein die Wahrheit, die da erbaut, ist für dich Wahrheit" (Kierkegaard
1843 = Hirsch 1956,376).
53
Vgl. Riedel 2004; vgl. auch das große kulturanthropologische Handbuch von Wulf
1997.
372 Wolfgang Braungart

ken Tragödie nennen möchte, das seinen Kern im menschlichen Leiden


und in den Versuchen seiner Erklärung und Sinngebung hat.54 Als einen
solchen Versuch von größter kultureller Bedeutung kann man das Konzept
des Opfers verstehen. Deshalb geht die antike Tragödie uns auch heute
noch etwas an. Die Evolutionsbiologie, die in ihren verschiedenen Spiel-
arten (etwa kognitiv-neurologisch, psychologisch oder sozio-biologisch
orientiert) neuerdings wieder eine deutliche Renaissance erlebt und in die
Kulturwissenschaften hineinwirkt, 55 erinnert uns nachdrücklich daran, wie
weit unsere biologischen Dispositionen, die für unser Handeln, Verhalten
und unsere Gefühle relevant sind, entwicklungsgeschichtlich in prähistori-
sche Zeit zurückreichen. 56 Gewiß ist unsere biologisch-anthropologische
Ausstattung unauflösbar historisch-kulturell geprägt. Es gibt kein Jenseits
der Kultur und der Geschichte. 57 Dennoch zeichnet sie ein größeres Behar-
rungsvermögen aus, als uns forcierte kulturalistisch-konstruktivistische
Konzepte möglicherweise zugestehen wollen, die im übrigen tendenziell
auf einen neuen Historismus hinauslaufen. Nichts kann man allein aus
seinen je eigenen geschichtlichen Voraussetzungen verstehen. Wie grund-
legend dieser Problemkomplex gerade für die Geschichte der Tragödie ist,
und zwar seit ihren Anfängen, läßt sich an den zentralen poetologischen
Kategorien der Gattungspoetik (mimesis, eleos, phobos, katharsis) leicht
einsehen. 58 Es sind zentrale anthropologische Kategorien. Die Tragödie
wäre in dieser Perspektive (katharsis) - als eine auf Spannungs- und
Streßauf- und -abbau hin angelegte Gattung - eine auch evolutionsbio-
logisch höchst sinnvolle Gattung: Lebewesen, denen der Rhythmus von

54
Morris 1994, 337-368, bes. 340: "Die Tragödie ... ist die literarische Form, deren
wichtigste gesellschaftliche Funktion im umfassenden Nachdenken über Schmerzen und
Leiden besteht." - Ich danke Iris Hermann für den Hinweis!
55
Vgl. Eibl 2004; Zymner/Engel 2004; als grundlegende E i n f ü h r u n g vgl. Mayr
2005.
56
Darum passen sie unter Umständen heute auch so schlecht: Es ist nicht unbedingt
günstig, in einer Auseinandersetzung mit einem Vorgesetzten einen Adrenalinausstoß zu
haben wie auf der Jagd eines Höhlenbären. ' C o o l ' zu bleiben wäre viel eher angebracht
und hilfreicher.
57
Sehr energisch schon Eibl 1995.
58
Vgl. etwa Abel 2004.
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 373

Spannung und Entspannung nicht gelingt, 59 sind auch evolutionsbio-


logisch im Nachteil. 60

Mythos, Religion, Ritual sind also kulturelle Bedeutungsordnungen,


Handlungsstrategien und menschliche Ausdruckssysteme, die einen tiefen
anthropologischen 'Grund' haben und die miteinander in Verbindung
stehen, sich womöglich in verschiedenen Epochen überlagern und durch-
dringen. Dennoch scheint es produktiv, ihnen jeweils eine gewisse ästhe-
tische und kulturanthropologische Eigenlogik zuzugestehen, die sich nicht
nur aus ihrem funktionalen Bezug auf eine bestimmte historisch-kulturelle
Praxis ableitet. Dann kommen ihr expressives, ästhetisches Potential und
ihre performative Kraft besser in den Blick. Das gilt freilich für verschie-
denste kulturelle Äußerungsformen. Der Handlungstyp des Rituals bei-
spielsweise hat auch für moderne Gesellschaften noch große Bedeutung,
was von den Sozialwissenschaften inzwischen vielfach wahrgenommen
wird.61 Auch moderne Gesellschaften kommen ohne sie begründende, an-
schauliche Vorstellungen und Geschichten - Mythen - nicht aus. Das war
eine der Grundeinsichten der philosophisch-ästhetischen Diskussion über
eine 'Neue Mythologie' in Idealismus und Frühromantik. 62 Daß das
Schema 'vom Mythos zum Logos' viel zu einfach, ja, daß es geradezu
naiv ist und schnell von der Dialektik solcher Aufklärung wieder eingeholt
wird, lehrt die Geschichte der Moderne. Das Schema übersieht die an-
schaulich erklärende Kraft des Mythos völlig. 63 Die Tragödie geht mit
allen drei 'Logiken' um: mit der des Mythos, der Religion, des Rituals. Sie
entfaltet sie im Hinblick auf Polis, Staat, Gesellschaft, Gemeinschaft
einerseits, auf das Allgemeine, das Intersubjektive, und auf das Subjekt
andererseits. Der spezifische ästhetisch-anthropologische 'Sinn' der
Tragödie entwickelt sich genau in diesem 'Spiel'.

59
Zu einer hierin angelegten Theorie der schwierigen Kategorie des (literarischen)
Rhythmus vgl. Moennighoff 2004, 242-251.
60
Das ist, etwas simplifizierend referiert, die grundlegende These des wichtigen
Versuchs von Eibl 2004.
61
Vgl. etwa Soeffner 1995; Belliger/Krieger 1998; Caduff/Pfaff-Czernecka 1999.
62
Bohrer 1983; Graevenitz 1987; Frank 1988; Jamme 1991.
63
Vgl. Föllinger 2003, bes. Kap. 1.
374 Wolfgang Braungart

III. Die stinkende Wunde: Individuation durch Leiden, Störung des


Opfers

Odysseus und sein Gefährte Neoptolemos erreichen den Strand von Lem-
nos. Odysseus erinnert sich:

Hier, ...
... setzt' ich einst
Den Sohn des Poias, Philoktetes, aus,
Dem Eiter troff aus dem zerfreßnen Fuß.
Die beiden Feldherrn hießen so mich handeln.
Denn weder Trank- noch Speiseopfer war
Uns anzurühren möglich; so erfüllte
Das ganze Lager stets ein wildes Schrein,
Gestöhn und Ächzen ... (S. Ph. 3-11) 64

Mit dieser Schilderung, wie einst das Leiden, das der Leidende nicht mehr
für sich allein ertragen konnte und es deshalb hinausschrie, die soziale
Gemeinschaft der Griechen beeinträchtigte - es 'erfüllte das ganze Lager'
- und wie es auch die kultische Praxis der Gemeinschaft, das 'Trank-' und
'Speiseopfer', gestört habe, setzt Sophokles' Tragödie Philoktet ein.65 Das
Leiden stört die soziale Ordnung; damit aber, könnte man hinzufügen,
auch die der Götter. Denn die Götter brauchen selbst das kultische Opfer,
durch das sie als Götter anerkannt werden.66 Woher das Leiden Philoktets
kommt, interessiert an dieser Stelle der Tragödie noch nicht. Hervorgeho-
ben wird zunächst nur, daß es Philoktet radikal individuiert, gerade weil
sein Klagen im 'Lager' ankommt und gehört wird. Darum hat man ihn auf
der Insel Lemnos ausgesetzt. Durch das Leiden sieht sich Philoktet radikal
zum Individuum gemacht. Er 'schlägt aus der Art'. 67 Das Leiden ist zu
konkret und schmerzt zu sehr - die Wunde eitert und stinkt, Philoktet
stöhnt und jammert - , als daß es sich für die Griechen mit der kollektiven
symbolischen Handlung des religiösen Opfers vereinbaren ließe. Das Lei-
den ist hier nicht kultisch-rituell gebändigt und mit kollektivem Sinn auf-
geladen wie im Opfer. Anders: Vom religiösen Kult her gibt es offenbar

64
Die hier verwendeten Sophokles-Übersetzungen sind j e n e von Staiger 1944; hier
333.
65
Vgl. hierzu auch Morris 1994, 344-352.
66
Vgl. als literarische Belege Ov. Met. 1.240-252; Goethe, Prometheus (1774/1777).
67
Damit ist eine grundsätzliche Grenze evolutionsbiologisch inspirierter Interpreta-
tionen angedeutet. Die Evolutionsbiologie interessiert sich, wie alle Naturwissenschaften,
für das Allgemeine, nicht für das Besondere.
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 375

keine angemessene Antwort auf dieses übergroße individuelle Leid. Die


Griechen schließen Philoktet aus; sie trennen ihn von den Gesunden, die
nicht schreien vor Schmerzen und die sich im Kult wie in der politischen
Handlung des Krieges zusammengehörig wissen.
Der sozial unerträgliche Ausdruck des Leidens wirft Philoktet auf sich
selbst zurück. Jetzt, auf seiner Insel, in der Isolation, ist er erst einmal auf
das elementare Überleben verwiesen, auf die ersten und einfachsten Kul-
turpraktiken: Mit der 'Höhle' (S. Ph. 27) hat er ein primitives natürliches
Haus gefunden; 68 '[e]in Blätterlager, das zum Schlummer dient' (33), ist
sein Schlafplatz. 'Ein Trinkgefaß aus Holz, so wie's ein schlechter /
Handwerker fertigt, und hier Feuersteine' (35-36) sind auch noch da.
Ästhetischer Ausdruck ('ein schlechter Handwerker fertigt' es) ist neben-
sächlich. Erst kommt das nackte Über-Leben, dann kommt die Kunst.
Doch wenn das Überleben mehr sein soll als eben nur dies, nämlich ein
menschliches Leben, dann muß die 'Kunst', d. h. der differenziertere
kulturelle Ausdruck, schnell kommen, sonst schreitet die Dehumanisie-
rung rasch fort. In der Isolation hat das künstlerische Werk aber offenbar
wenig Sinn. Ästhetischer Ausdruck ohne sozialen Bezug und ohne soziale
Wahrnehmung ist überflüssig. (Dieses 'gesellige' Moment des Ästheti-
schen ist für die romantische Hermeneutik zentral).69 Philoktet sieht seine
entwürdigende Armseligkeit selbst. Aber Lemnos bildet nicht die Keim-
zelle zur Utopie. Robinson, der von der kulturellen Ordnung im Zeichen
des Kreuzes geprägt ist, sieht das anders. Er möchte nicht leben wie
Philoktet und kultiviert seine Insel deshalb konsequent, Zug um Zug.
Freilich sehnt er sich auch bald nach einem Gefährten. 70 Das nicht auf-
hörende Leiden Philoktets schreit zunächst nach dem Sozialen, nicht nach
ästhetisch-kulturellem Selbstausdruck: 'Sie waren fort, und niemand war
zugegen, / Kein Mensch, der mich betreute, keiner, der / Dem Kranken
Beistand bot' (280-282). Kein Freitag, nirgends: 'Eins aber, Sprech ich's
aus, will keiner tun: / Nach Hause mich geleiten. Ich verzehre / Mich
schon das zehnte Jahr in Not und Hunger / Und nähre meiner Seuche
wilde Gier' (310-313).

68
Denn ein tatsächlich von Menschen gebautes Haus bringt das zustande, was inner-
halb der Entelechie der Natur selbst vorgesehen ist. Vgl. Arist. Ph. II.8.199a.
69
Vgl. Kurz 1996.
70
So, als Menschheitsgeschichte im insularen Labor, kann man Daniel Defoes Ro-
binson Crusoe lesen. Vgl. einige knappe Hinweise bei Braungart 2004b.
376 Wolfgang Braungart

Der Chor bringt das Elend von Philoktets durch das Leiden erzwunge-
ner Individuation zur Sprache:

Ach, wie jammert des Mannes mich,


Den unter den Sterblichen keiner betreut
Und kein teilnehmendes Auge erblickt
In seinem einsamen Unglück.
An wütender Seuche siecht er hin,
Und mangelt ihm alles, des er bedarf.
Wie hält der Unglückselige stand? (169-175)

Das von Natur aus auf die Gemeinschaft bezogene Wesen 'Mensch' lebt
'einsam' und 'unbetreut': 'Wehe! Ich Unglückseliger! Ich / Von Not Ge-
peinigter! Immer nun, / Für alle künftige Zeit allein, / Ohne alle Gefährten
wohne ich hier / Und muß im Jammer verderben' (1102-1106). Das Leid
bessert nicht. Es wird auch nicht nobilitiert wie in der Moderne; es wird in
keiner Weise sinnhaft aufgeladen. Das große Thema der Gattung der Tra-
gödie, das sie von ihren Ursprüngen her bestimmt, wird auch hier, in
Sophokles' Philoktet, angeschnitten: Was ist der Mensch als ein Leiden-
der? Wie steht er selbst zu Schmerz, Leid und Tod? Und was ist deren
Sinn im Hinblick auf die Religion, auf die Gemeinschaft, auf die politisch-
soziale Kultur? Hilft dem Menschen in seinem konkreten, ihm völlig
sinnlos erscheinenden Leid der Verweis auf 'ein göttlich Geschick', wie
der Chor singt (1117)?
Die Tragödie ist die einzige literarische Gattung, die sich aus der
Darstellung des physischen Leidens, das bis hin zum Tod gehen kann, be-
gründet. So elementar anthropologisch muß man die Gattung sehen. Ge-
nau das macht auch ihren eigentlichen Rang aus, daß sie dem Leiden Aus-
druck gibt. Sie stellt sich fortwährend dieser Herausforderung. Selbst für
die Gattung der Elegie gilt dies nicht in derselben Weise, und auch nicht
für die, neben der Tragödie, andere 'altehrwürdige' Gattung des Epos. In
Unglück, Schmerz, Leid und Tod hat die Tragödie ihr semantisches Zen-
trum. Das ist bei keiner Gattung sonst so genau definiert und als ein sol-
ches anerkannt bis hinein in die Dramatik der Gegenwart (B. Brecht, H.
Müller, B. Strauß). Die Tragödie gibt es, weil allein auf die Frage, wozu
das Leiden gut sein soll, eine Antwort gegeben werden muß, wie immer
sie ausfallen mag. Womöglich so, daß es keine Antwort geben kann. Nach
dem Sinn des Glückes und des gelingenden Lebens muß man dagegen
nicht fragen, weil sie sich von selbst verstehen. In Sophokles' Philoktet
wirft der Chor die Frage auf: 'Wie hält der Unglückselige stand?' (175).
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 377

Philoktets Los ist geradezu ein experimentum crucis auf der Bühne.
'Standhalten' ist aber nicht 'Sinn'! Genau daraufkommt eine Moderne
zurück, die die Sinnkonzepte für das Leiden aufgegeben oder verloren hat
(wie man es nehmen mag). Sie behauptet, es gebe allenfalls das Standhal-
ten, die soldatische Variante, oder das Erdulden, die martyrologische.
Das Leiden ist die große religiöse, theologische und ästhetische Her-
ausforderung, die sich in der seit Hiobs Zeiten immer aufs neue gestellten,
aber nie wirklich beantworteten Theodizee-Frage formuliert. 71 Mit Feuer-
bach und Marx mögen wir die Religion als Antwortversuch auf das Leiden
durchschauen. Auf Ausdruck können wir dennoch nicht verzichten. In Ge-
org Büchners Geschichtsdrama Dantons Tod (1835) sagt Payne zu Chau-
mette, der sich selbst den Namen des Vorsokratikers und 'Protometaphy-
sikers' Anaxagoras gegeben hat:

Schafft das Unvollkommene weg, dann allein könnt ihr Gott demonstrieren,
Spinoza hat es versucht. Man kann das Böse leugnen, aber nicht den Schmerz;
nur der Verstand kann Gott beweisen, das Gefühl empört sich dagegen. Merke
dir es, Anaxagoras, warum leide ich? Das ist der Fels des Atheismus. Das lei-
seste Zucken des Schmerzes und rege es sich nur in einem Atom, macht einen
Riß in der Schöpfung von oben bis unten. (Büchner, Dantons Tod, III/l) 72

'Warum leide ichT Darauf wäre die Antwort zu geben. Die Verse aus
Agamemnon, dem Eröffnungsdrama der Orestie des Aischylos, sind be-
rühmt und in diesem Zusammenhang schon häufig zitiert worden:

Weise zu sein wies er [Zeus] den Weg


Den Sterblichen, und er setzte dies:
Daß aus Leid wir lernen.
Träufelt im Herzen zur Stunde des Schlafs
Kummer, des Argen eingedenk,
Lernt Weisheit auch verstocktes Gemüt. (Α. Α. 176-181) 73

Der von Zeus gesetzte Weg zur Weisheit geht demnach über das Leid.
Schmerz, Leid und Tod werden plausibel gemacht; sie werden erklärt als
notwendiger Weg des Lernens des Menschen, und zwar auch desjenigen,
der 'verstockten Gemüts' ist. Aber was genau ist denn daran zu lernen?

71
Ich bin den hier nur skizzierten Fragen schon mehrfach nachgegangen: Vgl. etwa
Braungart 1997 (mit weiterer Literatur zur Theodizee-Problematik) und 2005b.
72
Lehmann 1980, 44.
73
Staiger/Kraus 2002, 98.
378 Wolfgang Braungart

Vielleicht dies:74 Am Leiden und im Leiden erfährt der Mensch, wer er ist.
Das heißt: Am Leiden wird er Subjekt: einer, der sich selbst kennenlernt,
sich selbst weiß, auch im Unterschied zu andern. 75 Das zeigt die Gattung
der Tragödie. Sie impliziert eine Anthropologie des Leids. Aber was weiß
der Mensch dadurch wirklich? Die Herausforderung für das je konkret
geforderte Verstehen wird durch diese anthropologische Einsicht nicht
geringer, weil das Leiden eben immer je konkret ist und individuell aus-
gehalten werden muß.
Am Ende von Sophokles' Philoktet löst der Eingriff des Gottes die
Herausforderung auf. Herakles weist auf sich selbst als Exempel hin:

Erst laß dich mahnen an mein eigenes Geschick:


Durch wieviel Kampf und Mühsal rang ich mich hindurch,
Bis die Unsterblichkeit mir ward, die du nun schaust.
Ein gleiches Los ist dir beschieden, glaube mir,
Aus deinem Leid wächst dir ein Leben voller Ruhm. (S. Ph. 1418-1422)

'Glaube mir'! - Herakles versucht, das individuelle Leid zu objektivieren.


Die Bedingung für das Gelingen des Lebens, selbst im Leid, sei 'die Ehr-
furcht vor den Göttern' (1441). Doch wie tragfähig ist das Exempel des
Gott-Menschen Herakles, der sich die 'Unsterblichkeit' durch 'Kampf und
Mühsal' errungen hat? Genau diese Frage wird das Christentum aufgreifen
und nun religiös und bald auch theologisch vertiefen.

IV. Der subjektive Sinn des Leidens: Die Tragödie unter den Be-
dingungen des Christentums

Man kann die Christologie des Neuen Testaments so verstehen, daß sie
beansprucht, eine definitive Antwort auf die Frage zu geben, wozu das
menschliche Leiden gut sei. In der Perspektive des Neuen Testaments ist
das Leiden Jesu die notwendige Selbsthingabe Gottes zur Erlösung der
Menschen. So sollen Leiden und Opfer definitiv zusammengeführt wer-
den. In seiner armseligen Geburt und in seinem äußersten Leiden am
Kreuz bekommt der ferne, abstrakte Gott ein konkretes menschliches Ant-
litz. Das alttestamentliche Bilderverbot wird durchbrochen. Gott wird der
Aisthesis zugänglich. Er ist nun nicht mehr ein textueller Mythos alter Ge-

74
Vgl. auch Menke 2005, 93-101.
75
Zur Unterscheidung von Individuum, Selbst und Subjekt vgl. Vernant 1989.
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 379

schichten. Der ferne Gott existiert nicht mehr nur, weil man ihn im kulti-
schen Ritual verehrt und/oder ihn sich erzählt. Der theatrale Mythos der
griechischen Kultur und der erzählte Mythos des Alten Testaments tendie-
ren dazu, als inszenierter, also gewußter Mythos zum Material des Ästhe-
tischen zu werden. Der Mensch gewordene Gott des Neuen Testaments
aber ist 'mitten unter uns', materiell und spirituell zugleich.
Sein Leiden individualisiert auch Jesus Christus bis hin zur größten
Einsamkeit.76 Der Gott selbst, der 'Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs',
dessen Personalität sonst abstrakt bliebe (also unanschaulich, 'unästhe-
tisch'), wird zum Nächsten. Der Andere, der in Jesus Christus erscheint,
ist der Leidende, dessen Leiden aber nicht Natur ist, sondern ein von Men-
schen Zugefügtes, selbst Produziertes. Das ist der Anknüpfungspunkt für
Rene Girards Kulturanthropologie, auf die ich noch genauer eingehe. So
bliebe eigentlich für eine dunkle Leidensanthropologie und Leidensmystik
hier gar kein Platz mehr. Das schlimmste Leiden kommt uns in der Nach-
folge Christi nicht naturhaft zu, sondern erscheint als das, was wir selbst
einander antun. Für die gemeinschaftsbildende Funktion des Opfers ist
dieses aufklärerische Moment, das auch dem Leiden Christi innewohnt,
allerdings ein Problem. Es wird deshalb konterkariert durch das Geheim-
nis der eucharistischen Feier. Gemeinschaften brauchen Geheimnisse
(Georg Simmel), die nur ihre Mitglieder teilen und sie miteinander verbin-
den. Das Opfer-Ritual ist ein solches Geheimnis, das funktionieren kann,
solange es nicht 'aufgeklärt' wird. Es ist nicht zufällig so, daß der Abend-
mahlsstreit zentral war für die Konfessionsbildungen der Frühen Neuzeit.
Rogo ergo vos, imitatores mei estote, sicut et ego Christi, ermahnt
Paulus die Gemeinde von Korinth (1. Kor 4.16). Nachahmende Nachfolge
fordert Jesus selbst von den Jüngern. In welcher Weise diese Konkretisie-
rung und zugleich Verengung von mimesis zu imitatio auch poetologisch
und ästhetisch folgenreich war (das betrifft vor allem das Verhältnis von
Wirklichkeit und Literatur: von der Darstellung zur Nachahmung), 77 kann
hier nur im Hinblick auf die Tragödie behandelt werden: Wer das mensch-
liche Leiden als imitatio Christi begreift, gibt ihm einen definitiven Sinn,
eine Richtung, weil diese imitatio bedeutet, sich auf den Weg des Heils zu

76
Das hat die Literatur beschäftigt. Man denke nur an Jean Pauls große Rede des
toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei (Siebenkäs, 1796/1797) oder an
Rilkes Gedicht Der Ölbaumgarten (1906).
77
Vgl. Koller 1954. Zur kulturellen Problematik der M i m e s i s u m f a s s e n d : Ge-
bauer/Wulf 1992.
380 Wolfgang Braungart

begeben. 78 Das hebt das Tragische, das aus der unlösbaren Herausforde-
rung des Leidens kommt, tendenziell auf. Darum kennt die christlich ge-
prägte Literatur des Mittelalters keine Tragödie. 79 Das mittelalterliche
Passionsspiel ist in den liturgischen Zusammenhang eingelassen. Es ist
Wiederholung dieser einen Leidens- und Opfer-Geschichte, die definitiv
gültig sein will. 80 (Geschichte der Tragödie muß insofern immer auch
Institutionsgeschichte sein,81 die danach fragen muß, welchen Sinn die Er-
füllung der Ritualnorm - etwa des Opfers - oder die Abweichung davon in
diesem Rahmen haben kann).82
Die vollständige Rückbindung des theatralen Opferspiels an das reli-
giöse Ritual macht die Tragödie unmöglich, weil hier ein Sinnhorizont für
das Leiden und Sterben von vornherein mitgesetzt wird und das Leiden
deshalb keine hermeneutische Herausforderung ist. Im als gültig akzep-
tierten religiösen Ritual ist das Subjekt nicht primär hermeneutisch, sinn-
verstehend und sinnkonstituierend, gefordert. Es muß das Ritual vielmehr
korrekt und im Vertrauen auf dann gegebene Wirksamkeit vollziehen. Die
auf Thomas von Aquin zurückgehende katholische Sakramentskonzeption
des opus operatum rationalisiert diese Performativität und Wirkung des
religiösen (Meß-)Rituals und der Sakramente theologisch. 83
Als gegenüber dem Passionsspiel offenere poetische Möglichkeit
kommt die Tragödie erst wieder mit der humanistischen Wiederentdek-

78
Vgl. hierzu und zu den mit der imitatio Christi verbundenen Körperkonzepten:
Feichtinger/Seng 2004. Der Band ist im Rahmen des Konstanzer Forschungsprojektes
'Imitatio Christi als Körperkonzept. Der leidende Körper als kulturelles Symbol und
Kommunikationsmedium bei der Integration des Christentums in die spätantike Gesell-
schaft' entstanden.
79
Die Geschichte, die sich zwischen den Künsten und dem Christentum entwickelt
hat, ist bekanntlich ein höchst produktives Feld. Es ist aber auch eine in ihrem Streit rei-
che Konfliktgeschichte; verwiesen sei nur auf Schwebel 2002; vgl. für einen großen
Überblick zum Tragischen und zur Tragödie die ganz ausgezeichnete Darstellung von
Galle 2005.
80
Müller 2000, 775-777; vgl. zum Osterspiel jetzt (für eine kritisch-historische
Kontextualisierung der kulturwissenschaftlichen Konzepte 'Theater' und 'Ritual' plädie-
rend) Petersen 2004.
81
Vgl. Latacz 1993, 29-45. Grundlegend zur Theatergeschichte, auch unter institu-
tionsgeschichtlichen Gesichtspunkten, Brauneck 1993-2003.
82
Harald Fricke hat versucht, auf dieser Basis des Modells von 'Norm und Ab-
weichung' eine Literaturtheorie zu entwickeln: Fricke 1981 und 2000a. Eine evolutions-
biologische Auseinandersetzung mit diesem Konzept findet sich bei Eibl 2004, 278-301
("Abweichungsästhetik biologisch").
83
Slenczka 2005; Busch et al. 2004.
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 381

kung der antiken Tragödie in den poetischen Diskurs zurück, nun aber
eben entschieden als Theater in einem sich mehr und mehr institutiona-
lisierenden Rahmen, nicht mehr als theatrales Kultspiel. Das gilt auch für
das Jesuitentheater, das trotz seines religionspolitischen und -pädagogi-
schen Zwecks eben doch Theater ist.84 Die Poetik der Tragödie entwickelt
sich in den neuen theologisch-konfessionellen Auseinandersetzungen der
Frühen Neuzeit 85 und, damit verbunden, jedoch davon nicht allein ab-
hängig, in einer neu einsetzenden Reflexion des Politischen weiter.
Eine der Voraussetzungen dafür, daß dies möglich wird, ist die Neu-
deutung der hamartia als Schuld. Genau dies wollte die Aristotelische Po-
etik ja nicht, daß Schmerz, Leid und Tod als Konsequenz individueller
moralischer Schuld erscheinen. Mit der Revitalisierung der antiken Tragö-
die in der Frühen Neuzeit begeben sich die Gattung und ihre Poetik auf die
"Suche nach der Schuld". 86 Dadurch wird diese 'archaische' Gattung an-
schließbar an den jüdisch-christlichen Diskurs, demzufolge Leid und Tod
Folge der Sünde sind (Rom 5.12). Diese Verbindung von griechisch-rö-
mischer und jüdisch-christlicher Tradition, vieldiskutiert und für die
Geschichte westlichen Denkens von gar nicht zu überschätzender Bedeu-
tung, macht nun auch die 'Modernisierung' der Tragödie möglich. Jetzt
kann es schuldige, also 'gemischte' Charaktere geben und entsprechend
auch 'gemischte Empfindungen', die das 18. Jahrhundert so liebt, weil sie
rühren und man an ihnen Anteil nehmen kann. Die grundsätzlichen, unauf-
hebbaren Ambivalenzen und Ambiguitäten der Moderne beginnen sich
abzuzeichnen.

Lessings Tragödienpoetik schließt diesen Auseinandersetzungsprozeß,


den die Poetik der Tragödie mit der griechisch-römischen und der jüdisch-
christlichen Tradition seit der Frühen Neuzeit führen mußte, fürs erste ab.
Sie stellt die wirkungsvollste Synthese von antiker (Aristotelischer und
Senecaischer87) und christlicher 88 Tradition dar. Bekanntlich übersetzt
Lessing - in engster Auseinandersetzung mit der französischen Poetik der

84
Vgl. Szarota 1975, 87; Valentin 1978; Wimmer 1982; 2000.
85
Michael Lurje hat dazu vor kurzem eine akribische Studie vorgelegt: Lurje 2004.
86
So der Titel und Leitgedanke von Lurje 2004.
87
Vgl. dazu Barner 1973; Lefevre 1978.
88
Vgl. Schilson 1980.
382 Wolfgang Braungart

Tragödie 89 - die Aristotelische Formel von phobos und eleos als den
Affekten, welche die Tragödie hervorrufen soll, mit 'Furcht und
Mitleid'. 90 Man darf darin nicht bloß einen Übertragungsfehler oder ein
Mißverständnis sehen. Lessing versucht vielmehr, einen Grundgedanken
der Aristotelischen Poetik neu aus dem Geist der christlichen Ethik und
des christlichen Konzepts des Individuums zu formulieren. Die Erregung
von Furcht und Mitleid durch die Tragödie soll das Mitleid so habituali-
sieren, daß es jederzeit im praktischen Leben wirksam werden kann - und
zwar unmittelbar, ohne den Umweg über die Reflexion, also ohne eine
bewußte Entscheidung für die mitleidsvolle Handlung. Das hat auch einen
tiefen anthropologischen Grund: Aus der Emotionsforschung wissen wir,
in welchem Maße Emotionen Zeit sparen. Sie sind Abkürzungspro-
gramme. Das ist für solche Prozesse, in denen wir uns kognitive Ver-
arbeitung gar nicht leisten können, oft lebensnotwendig. Wenn jemand
stolpert und eine Treppe hinunterzustürzen droht, muß ich einfach sofort
zupacken.
Mitleid ist für Lessing freilich ethisch nobilitierte Emotion. Im prak-
tisch wirksamen Mitleid fallen also eine prinzipiell ethisch begründbare
Wertrationalität (M. Weber) und vorreflexive Emotionalität völlig zu-
sammen. Phobos, Furcht, ist für Lessing das 'Mitleid', das wir angesichts
des Leidens in der Tragödie für uns selbst empfinden. Eleos ist das 'Mit-
leid', das wir für andere und mit anderen empfinden. Auch diesen Affekt,
so Lessing, "üben" wir mit der Erfahrung des Leidens in der Tragödie ein,
und zwar grundsätzlich, nicht kasuistisch. 91 Seit der Poetik des Aristoteles
gilt: Die Tragödie emotionalisiert; das Ergebnis dieser Emotionalisierung
ist die katharsis - was immer das sein mag. 92 Lessing formatiert, sozu-

89
Ausführlich hierzu Golawski-Braungart 2005, bes. Kap. 3.
90
Ich stütze mich hier auf eine Passage aus Braungart 2005b, 108-110.
91
Lessing 1756 = Wiedemann 2003, 698. - Arbogast Schmitt 1994, 343 sieht als
"das eigentliche Ziel der griechischen Tragödie eine Kultur des Affekts", die aus "der
Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf die konkreten Einzelfälle" entstehe. Das berührt die
neuerdings wieder aufgegriffene Frage, ob die Übersetzungsformel Lessings vielleicht so
unpassend doch nicht sei. Man kann Schmitt darin folgen, daß die griechische Tragödie
nicht 'abstrakt' belehre, "sondern eben durch den Affekt selbst, genauer: durch Steige-
rung des im Affekt selbst wirksamen Moments der Rationalität." So betont man den Po-
lis-Bezug der Tragödie noch über ihr kultisch-rituelles Moment hinaus. Von einer Habi-
tualisierung eines empfindsamen moralischen Gefühls wie bei Lessing kann jedoch nicht
die Rede sein. Das ist erst Sache des 18. Jahrhunderts.
92
Vgl. Luserke 1991; Lurje 2004. - Vgl. auch den jüngsten, 'biopoetisch' inspirier-
ten Versuch von Abel 2004.
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 383

sagen, die unklaren Emotionen, die das tragische Geschehen hervorruft,


und gibt der katharsis, dem Effekt der Tragödie, eine soziale Richtung und
einen präzisen sozialen Sinn. Das Ziel dieser 'Übung', dieser symbo-
lischen Handlung 'Trauerspiel', ist die Praxis: "Der mitleidigste Mensch
ist der beste Mensch, zu allen gesellschaftlichen Tugenden, zu allen Arten
der Großmut der aufgelegteste", so Lessings berühmte Formulierung im
Briefwechsel über das Trauerspiel, den er mit Moses Mendelssohn und
Friedrich Nicolai geführt hat (1755/1756) und in dem die Kategorie des
Mitleids systematisch - scheinbar mit, letztlich aber doch gegen
Aristoteles - entwickelt wird. 93 Im Grunde läuft dieses Konzept auf die
poetologische Adaptation der Caritas, des jüdisch-christlichen
Nächstenliebe-Gebotes hinaus {Lev 19.18; Mt 19.19; Mt 22.39). Nur wer
für sich selbst fürchtet, kann auch für den anderen fürchten. Und umge-
kehrt. Die vieldiskutierte Bürgerlichkeit des neuen Trauerspiel-Typs -
bürgerlich ist das, was alle angeht, insofern sie gemeinsam in einem Staat
leben: die Polis-Idee - hat hier ihren jüdisch-christlichen poetologischen
Grund. Der 'Bürger' ist auch der Nächste. Der Staat selbst scheint
dagegen, anders als bei den barocken und frühaufklärerischen Tragödien,
auf den ersten Blick eher sekundär. Luhmann hat diese Differenzierungs-
prozesse beschrieben und theoretisch modelliert. Die umfassende Wieder-
entdeckung der 'Polis', der Belange des Ganzen, des Staates in ihrer
Bedeutung für die Tragödie und die entschiedenere Perspektivierung der
Tragödie auch vom Staat her ist eine Leistung Schillers. Seinen Don
Carlos nennt er "ein Familiengemälde in einem fürstlichen Hause". 94
Der heroisch standhaltende, die Bewunderung der Zuschauer erre-
gende Held, wie ihn sich Mendelssohn gegenüber Lessing wünscht, wie er
in der französischen 'tragedie classique' vorgebildet ist und wie ihn auch
die stoisch-neustoische Tradition der Tragödie kennt, kann für Lessing
nicht der Nächste sein, der unser Mitleid erregt. Er ist viel zu weit weg.
Der bewunderte Held hat besondere Eigenschaften; er ist ausgezeichnet -
er wird also nicht um seiner selbst willen in seiner 'Eigenschaftslosigkeit'
bemitleidet. 'Eigenschaftslosigkeit' ist der Kerngedanke der neutestament-
lichen Ethik und Anthropologie. Der 'eigenschaftslose' Mensch zählt

93
Lessing an Nicolai, November 1756 = Wiedemann 2003, 671.
94
Schiller, Brief an Dalberg vom 7. 6. 1784 = Fricke/Göpfert 1981, 1093.
384 Wolfgang Braungart

nicht wegen seiner Leistung, seinem Stand, seinem Ansehen. 95 'Eigen-


schaftslosigkeit' in diesem Sinne und subjektive Individualität schließen
sich nicht aus! - Die womöglich stoisch 'bewehrete Beständigkeit' (so der
zweite Teil des emblematisehen Titels von Gryphius' Trauerspiel
Catharina von Georgien) des bewunderten Helden im äußersten Leiden
imprägniert ihn gegen die Schläge des Schicksals, weil sie das Aushalten
einübt, aber nicht das Mitleiden. 96 Das Opfer-Modell zur Sinngebung des
Leidens scheint zwar auch bei Lessing auf, etwa im Schluß-Tableau von
Miss Sara Sampson (1755), wo Sara im Tod zur versöhnenden und die
Rest-Familie integrierenden, selbst der Tod-Feindin Marwood verzeihen-
den Schmerzensmutter wird. 97 Poetologisch ist das Opfer aber nicht der
Fluchtpunkt des Dramas; Sara eignet sich das objektivierende Opfer-
Modell gewissermaßen an. Es ist ihre verzeihende Tat, die sie selbst will:
"Marwood [also die Rivalin, von der Sara vergiftet wird] wird ihrem
Schicksale nicht entgehen; aber weder Sie [Saras Geliebter Mellefont],
noch mein Vater sollen ihr Ankläger werden. Ich sterbe, und ich vergebe
es der Hand, durch die mich Gott heimsucht" (Lessing 1755, V/10). 98
"Schicksal": ja; aber das bleibt für Sara doch eher eine abstrakte Größe.
Die Vergebung hat Sara dagegen selbst in der Hand; sie ist ihr Modus der
letzten Selbst-Sorge.
Lessing sieht klar, daß das Leiden etwas ist, was uns je individuell an-
geht. Es kann nicht im Opfer-Ritual aufgehoben werden. Diesen Stachel
kennt zwar auch schon die antike Tragödie: siehe Philoktet. Aber das Mo-
dell des Opfers ist in der antiken Tragödie doch eine Option für die Sinn-
gebung des Leidens, die wirklich zählt: Das zeigen Antigone, Iphigenie
und Alkestis. Bei Lessing dagegen - und dies scheint mir dann doch eine
'moderne', zumindest auf sie vorausweisende Position - ist die Sinnge-
bung des Leidens uns immer ganz selbst in der mit-menschlichen Inter-
aktion aufgegeben. Er zieht daraus die poetologischen Konsequenzen.
Schon die Tragödienpoetik Lessings ist insofern in ihrem Kern 'gesellige',

95
Ich verdanke diesen Gedanken dem Theologen Franfois Vouga. Die Kantische
Transzendentalphilosophie rationalisiert diesen Gedanken philosophisch.
96
Vgl. Schings 1980.
97
Ein Opfer-Diskurs ist auch Lessings Philotas (1759). Aber das heroische, Bewun-
derung erregende Opfer für die Politik wird hier vollkommen demontiert. "Glaubt ihr
Menschen, daß man es nicht satt wird?" fragt König Aridäus am Ende des Stückes, Phi-
lotas' unsinnigen Opfertod eindringlich kommentierend.
98
Wiedemann 2003, 523-524.
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 385

kommunikative Poetik." Im Mit-Leiden (mit der entsprechenden Hand-


lungskonsequenz) ist das Leiden erst richtig verstanden. Im konsequenten
Bezug des leidenden Subjekts auf den andern ist deshalb auch die kom-
munikative Auflösung des tragischen Konflikts angelegt. Man müßte das
Leiden im symbolischen Spiel des Theaters nicht einüben, wenn man die
Zuwendung zum andern schon beherrschte. Lessings Nathan und, ihm
ganz nahe, Goethes Iphigenie vermeiden die tragische Lösung des Kon-
flikts tatsächlich einerseits durch das Geschichten-Erzählen und -Deuten
(Kernstück von Nathan der Weise ist die Ringparabel) und das insistieren-
de Gespräch über die Legitimität des alten Opfer-Rituals, andererseits
durch das volle Risiko des Vertrauens, das sie dabei eingehen: Beide lie-
fern sich an ihre Verhandlungspartner - Saladin und Thoas - aus, obwohl
diese ziemlich unverhohlen auf ihre Machtmittel hinweisen, - und beide
'triumphieren' am Ende genau dadurch. 100 Kommunikation bedeutet Ge-
waltminderung. Die Forschung hat dieses kommunikative Konzept Les-
sings immer wieder unter dem Stichwort der öffentlichen, kritischen und
toleranten Streitkultur diskutiert, aber nicht unter dem der Versöhnung. 101
Versöhnung ist überhaupt eine poetologisch bislang merkwürdig wenig
interessierende Kategorie, 102 obwohl sie doch gerade für die Tragödie
spätestens dann von großer Bedeutung ist, wenn man diese Gattung vom
Opfer her versteht. Versöhnung, die das Opfer vermeidet, wird doch in
dessen Horizont und grundsätzlicher Möglichkeit geleistet (Aischylos, Die
Eumeniden\ Sophokles, Oedipus auf Kolonos).m Mit der Kategorie der
Versöhnung, grundlegend (ein letztes Mal) für die Philosophie Hegels
generell und auch für seine Konzeption des Tragischen, kann die Moderne
nicht mehr viel anfangen. Das ist für sie kennzeichnend.
Büchners Payne hat uns schon daran erinnert: Für das leidende Subjekt
kann das Leiden so übermächtig werden, daß ihm aller Sinn unmöglich ist.
Das Leiden läßt sich für das Subjekt nicht geschichtsphilosophisch aufhe-

99
Dazu Braungart 2003.
100
Vgl. Braungart 2005a. Zur geschichtlichen Bedeutung des Vertrauens vgl. Fre-
vert 2003. Mit dieser aufgeklärten, sozusagen symmetrischen und kommunikativen Ethik
des Anderen wird im 20. Jahrhundert erst Emanuel Levinas brechen, wenn er den Ande-
ren als den radikal Anderen versteht. Als knappe, ausgezeichnete Einfuhrung vgl. Gel-
hard 2005.
101
Vgl. etwa Mauser/Saße 1993; Stenzel 2005.
102
Philosophisch schon Hegel.
103
Vgl. Hösle 1984, bes. 46-55; Roche 1998.
386 Wolfgang Braungart

ben. Es sei denn eben durch eine Konstruktion, in der das Subjekt den
Sinn seines Leidens anschaulich (Mythos) und im Vollzug (Ritual) oder in
der sich das Subjekt als Teil eines Kollektivs erfährt: 104 etwa in der Kon-
zeption als das Opfer, das für die Gemeinschaft als den höchsten Wert
nötig sei.105 Auch diese Option des Opfers, wiewohl bei Lessing deutlich
relativiert, bleibt noch in der Moderne eine Verlockung. Sie ist in der
Tragödie der Neuzeit durchgespielt worden: vergleichsweise differenziert
und komplex, wenngleich nicht überzeugend, etwa in Georg Kaisers Die
Bürger von Calais (1914);106 hier heißt die Gemeinschaft 'Stadt' (Polis!).
Monumentalisierend, heroisierend und in offensichtlich ideologischer Ab-
sicht in Hanns Johsts Schlageter (1933); hier heißt die Gemeinschaft
'Volk'. 107 Der Verweis auf die Objektivität des Schicksals und der 'Not-
Wendigkeit' hilft dem einzelnen jedoch unter Umständen in seiner indivi-
duellen 'Not' wenig. "Ich verstehe die Welt nicht mehr", sagt Meister
Anton am Schluß von Hebbels 'bürgerlichem Trauerspiel' Maria Magda-
lena (1843), als die, die ihm lieb sind, alle tot sind. Dieses Stück, beson-
ders diese letzte Szene (III/l 1), ist voll von Anspielungen auf den biblisch-
christlichen Horizont, dessen sinngebende Kraft jetzt aber radikal bestrit-
ten wird: "Jesus", ruft der Sekretär, der die Nachricht von Klaras (d. i.
'Maria Magdalenas') Tod überbringt. Sie hat sich in den Brunnen gestürzt,
zu dem sie gegangen war, "um Wasser zu schöpfen". 108 Sie hat in "ihrem
Jammer" (!) keinen Trost mehr gewußt. Ihr Vater aber hatte nur acht auf
die "Pharisäer" um sich her.

Ich fasse kurz zusammen: Leiden und Opfer sind entscheidende


semantische Konstituenten für die Geschichte der Tragödie: Das Opfer als
kulturell weit zurückreichende, auf Ritual und Kollektiv verweisende
Sinngebungsstrategie des Leidens; das Leiden selbst als die Herausforde-
rung des Subjekts, der "Kreatur", die "Hilf von allen" braucht, 109 ohne daß

104
Das Leiden muß dann gar keinen anderen Sinn bekommen als den, Gemeinschaft
zu konstituieren, und den, nicht zu individuieren.
105 v g l . Münkler/Fischer 2000. Der Aufsatz ist eine ausgezeichnete, kritisch-typologi-
sche Bilanz des politischen Opferdiskurses.
106
Dazu Malsch 2007.
107
Der aus dem literarischen Expressionismus kommende Johst war 1933 bis 1945
Präsident der Reichsschrifttumskammer.
108
Vgl. Joh 4.7-26; alle Zitate aus Pörnbacher 1994, 92-94.
109
So der ritualisierte Kehrvers in Brechts Ballade Von der Kindsmörderin Marie
Farrar: Praxis, nicht Hermeneutik!
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 387

es dadurch verständlicher würde. Das Leiden ist dabei der eigentliche Ka-
talysator, der das kulturelle Wechselspiel zwischen Religion, Mythos, Ri-
tual, Polis und Subjekt in Gang bringt. Hölderlin schreibt in seinen
Sophokles-Anmerkungen: "In der äußersten Gränze des Leidens bestehet
nemlich nichts mehr, als die Bedingungen der Zeit und des Raums", 110
also die transzendentalen Kategorien Kants.111 Sie sind zwar Bedingung
auch der Leidenserfahrung, können ihr aber keinen Sinn verleihen. Den
muß sich das Subjekt dann selbst geben, wenn es ihn aus dem religiösen
Modell der imitatio Christi als einer imitatio passionis nicht mehr nehmen
kann. Aber gelingt ihm das? Der Neustoizismus der in ganz Europa ver-
breiteten, barocken Märtyrertragödie enthält noch beide Optionen: Sinn-
Konstitution des Leidens durch imitatio Christi und stoische Selbstbewah-
rung des Subjekts durch 'bewehrete Beständigkeit' (Gryphius), selbst in
der größten Qual. In der Standhaftigkeit des Märtyrers wird der höhere,
objektive Wert des Leidens auf der Bühne wirklich vor Augen gestellt.
Gryphius' Holjurist Papinian zeigt, daß für ihn das heilige Recht gilt,
gerade in der größten Herausforderung. 112 Catharina von Georgien, die
Protagonistin im gleichnamigen Trauerspiel von Gryphius, zeigt, daß
wahre Tugend unerschütterlich sein muß, selbst im fürchterlichsten Marty-
rium.113
Bei Schiller wird der Gedanke der Freiheit im Leiden bedeutsam wie
bei sonst keinem mehr in der neuzeitlichen Tragödienpoetik. Für Schiller
eröffnet gerade das Leiden des Subjekts die Möglichkeit zur Erfahrung
seiner sittlichen Freiheit und Selbstbestimmung. Dahinter steht auch, so-
zusagen, ein transzendental-pragmatisches Problem. Gerade im äußersten
Leid kann der Mensch sich selbst in seiner Freiheit (und also in seiner
höchsten Bestimmung) erfahren, weil er doch sonst nichts anderes hat als
sich selbst. Würde er seine Freiheit bestreiten, bestünde jene immerhin
auch in diesem geistigen Akt der Bestreitung. Vernunft ist für Schiller
nicht in der Geschichte, sondern im Subjekt. Das Leiden wird bei Schiller
also geradezu zur Bedingung von Freiheit, weil wirkliche Freiheit nur dort
gelingen kann, wo sie von der Natur, der Sinnlichkeit nicht abhängt. Und

110
Sattler 1988, Bd. 16, 249.
111
Vgl. Nägele 2005.
112
Andreas Gryphius, Großmüttiger Rechts-Gelehrter, oder Sterbender Aemilius
Paulus Papinianus, Trauerspiel (1659) = Mannack 1991, 307.
113
Andreas Gryphius, Catharina von Georgien, oder Bewehrete Beständigkeit,
Trauerspiel (1657) = Mannack 1991, 117.
388 Wolfgang Braungart

wo äußerte sich die Sinnlichkeit stärker als im Leiden? Es ist schließlich


kein Kunststück, sich sittlich frei und selbstbestimmt zu fühlen, solange
man seine Tage in ruhigen und konsolidierten Verhältnissen zubringt.
Darum gibt es von Schiller keine Komödie. Seine Poetik der Tragödie ist,
wie seine Kunstphilosophie überhaupt, letztlich Freiheitsphilosophie.

V. Wo bleibt die Pest? Der objektive Sinn des Leidens

Ich habe es schon skizziert: Man kann vom Leiden des Subjekts in der an-
tiken Tragödie einen Weg einschlagen, der hin zu Schiller führt. Vom Lei-
den, das als Opfer verstanden wird, führt ein Weg zu Hegel und zu seiner
Favorisierung der Sophokleischen Antigone als dem Paradigma für einen
tragischen Konflikt.
Auch dieses andere, gewissermaßen 'objektive' Moment im Diskurs
der Tragödie hat sich in dem eingangs gegebenen Zitat aus Sophokles'
Philoktet bereits angedeutet. Das Opfer der Gemeinschaft der Griechen,
die kultische Praxis, zu der das Kollektiv zusammengekommen ist, wurde
durch das Leidensgebrüll des Einzelnen so gestört, daß es gefährdet war:
'Wir konnten / Kein Opfer ungestört noch heilige Spende / Begehen' (Ρ-
ΙΟ). Weil die Gemeinschaft das Ritual braucht, ist es ein so schreckliches,
unheilverkündendes Zeichen, wenn Teiresias in Sophokles' Antigone sa-
gen muß:

Erschrocken prüft ich auf den rings entflammten


Altären gleich den Brand. Doch aus den Opfern
Erstrahlte nicht Hephaist. Der Schenkel Saft
Verzehrte qualmend in der Asche sich
Und glomm und prasselte. Die Galle schnellt'
Empor und platzte, und die Schenkel troffen
Vom Fett, das sie bedeckt, und lagen bloß.
So schwanden mir die Opfer hin
Und blieben stumm ... (S. Ant. 1105-1013) 114

Die Gabe wird nicht angenommen; die Götter zürnen. Die Menschen wer-
den durch das Opfer nicht 'ent-schuldigt', nicht 'ent-sühnt'.
Das subjektiv empfundene Leiden des Individuums ist der große Ein-
spruch gegen die kollektive kultisch-rituelle Praxis. Kulte und Rituale muß

114
Staiger 1944, 259.
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 389

man richtig und ganz vollziehen. Darin liegt ihr performativer Sinn.115 Das
legt nun umgekehrt nahe: Dem Leiden selbst muß, wenn es die Gemein-
schaft nicht stören soll, Sinn zugewiesen werden, etwa im Hinblick auf die
kollektive kultisch-rituelle Praxis. Dennoch bleibt es unweigerlich für das
Individuum eine große Herausforderung. Genau dies zeigt sich ebenfalls
schon in der griechischen Tragödie und konstituiert die andere große Linie
in der Geschichte der Tragödie. Das Leiden wird dann als Opfer bzw.
Selbstopfer gedeutet. Darin liegt generell die Herausforderung des Opfer-
Diskurses, der in der neueren religions- und kulturwissenschaftlichen
Forschung vielleicht auch deshalb wieder größere Aufmerksamkeit findet:
daß Leiden und Tod einen wirklichen, übergreifenden Sinn haben
sollen.116 Das heißt: Das Opfer wird als sinnvoll gedeutet im Hinblick auf
eine höhere, das Subjekt grundsätzlich übersteigende und es in einen
größeren Sinn-Zusammenhang einbeziehende Ordnung: 117 die der Götter,
der Religion, des Schicksals, oder, schließlich, in der modernen Perspekti-
ve Hegels: der Geschichte. Die Deutungsperspektive des Leidens als
Opfer braucht einen tragischen Konflikt, der, so Hegel, "Notwendigkeit"
hat, weil jede der widerstreitenden Positionen 'berechtigt' ist:

So berechtigt als der tragische Zweck und Charakter, so notwendig als die tragi-
sche Kollision ist daher drittens auch die tragische Lösung dieses Zwiespalts.
Durch sie nämlich übt die ewige Gerechtigkeit sich an den Zwecken und Indivi-
duen in der Weise aus, daß sie die sittliche Substanz und Einheit mit dem Un-
tergange der ihre Ruhe störenden Individualität herstellt. 118

Es ist ein Sinn in der Geschichte, auch wenn ihn das Subjekt nicht ein-
sehen kann oder will. Das tragische Leiden ist nicht nur unvermeidlich,
sondern, ganz wörtlich: notwendig, sagt Hegel. Die so konzipierte Ge-
schichte ist säkulare Heilsgeschichte. 119 Für Hegel ist, wie eben schon an-

115
Vgl. hierzu Braungart 1996, bes. Kap. 2.
116
Janowski/Welker 2000a; vgl. dazu auch die Bielefelder Dissertation von Malsch
2007.
117
Brecht setzt bezeichnenderweise nicht mehr auf die 'große Ordnung', sondern
auf die 'große Produktion'. Das ließe sich an seiner ^ni;'gone-Bearbeitung (1948) oder
schon an Die heilige Johanna der Schlachthöfe (1929/30) zeigen. Der Schlachthof ist ge-
schichtlich-gesellschaftliche Produktionsstätte; das 'Opfer' wird radikal neu interpretiert.
'Produktiv' in diesem Sinne ist Brechts Umgang mit der Gattung 'Tragödie' (und seine
Poetik überhaupt).
118
Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 1820-1829; hier zitiert nach Profitlich
1999, 166 (eine sehr nützliche Edition).
119
Löwith 1953.
390 Wolfgang Braungart

gedeutet, das Ziel der Tragödie das 'Dritte', die Versöhnung, die aus dem
tragischen Konflikt hervorgeht und nicht aus der Erregung von Furcht und
Mitleid und der damit verbundenen katharsis.
Tatsächlich ist bei Sophokles beides angelegt: sowohl die Leidens-, als
auch die Opfer-Poetik der Tragödie. Oedipus Rex ist, neben der Antigone,
in der Geschichte der Literatur die Tragödie schlechthin. 120 Sie ist es des-
halb, weil sie die beiden semantischen Momente, die für den Diskurs der
Tragödie bestimmend sind: Leiden und Opfer, schon konsequent aufein-
ander bezieht. Der Diskurs der Tragödie und des Tragischen entwickelte
sich auch und besonders als Auseinandersetzung mit diesem Stück.121
Zu Beginn des Oedipus Rex klagt der Priester über das Elend, das die
'grimme Pest' über die Stadt Theben und ihre Bewohner gebracht habe,
und fleht Oedipus um Hilfe an. Es beginnt die bekannte und doch immer
neu faszinierende dialektische Geschichte und das tragische Spiel zwi-
schen Wörtlichkeit und Metaphorisierung: Der, der sich nun anschickt,
Licht ins Dunkel zu bringen, gerät genau dabei selbst vom Licht in die
Dunkelheit seiner Selbstblendung und ins Dunkel, in die Abgründe seiner
selbst. Als er über die Dunkelheit seiner unschuldigen Schuld alles weiß,
wird es dunkel um ihn selbst. Der Aufklärer unterliegt der Dialektik seiner
Aufklärungsanstrengung. Sie fällt auf ihn zurück.
Um die Paradoxie dieses Aufklärungsprozesses soll es hier aber gar
nicht gehen, sondern nur um das Detail, daß das initiale Problem, die Be-
drohung Thebens durch die Pest, am Ende auf der Strecke bleibt. Nur noch
um Oedipus geht es am Ende, nicht mehr um die Stadt und die Pest, jeden-

120
Entsprechend dicht ist die Forschungsliteratur; aus der jüngsten Literatur ist die
Interpretation Christoph Menkes 2005 besonders anregend, zielt aber in eine andere Rich-
tung als meine wenigen Hinweise.
121
Michael Lurje hat in seiner großen Studie Die Suche nach der Schuld an der Re-
zeptions- und Interpretationsgeschichte des Oedipus Rex gezeigt, wie das Problem von
Schuld und Reinigung vom theologischen, philosophischen und poetologischen Diskurs
der Frühen Neuzeit adaptiert und jeweils situationsbezogen interpretiert werden konnte:
Lurje 2004. Die monumentale Studie Werner Fricks verfolgt die Transformationen der
griechischen Tragödie und ihrer Poetik in der Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts.
Zwar macht sie auf eine eindrucksvolle Weise deutlich, welche Faszinationskraft das
griechische Tragödienmodell auch noch für die ästhetische Moderne besitzt. Sie vermag
aber nicht die breite, vielschichtige Auseinandersetzung mit der griechischen Tragödie
auf einen Nenner zu bringen. Es sei denn auf diesen: daß es einen Nenner in der Pluralität
der Positionen nicht mehr geben kann: Frick 1998; zur Rezeptions-Geschichte vgl. auch
Flashar 1991. Das festzustellen ist vielleicht nicht sehr befriedigend, aber unvermeidlich,
weil die Pluralisierungsprozesse der Neuzeit auch die 'politische' Gattung der Tragödie
erfassen.
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 391

falls nicht mehr direkt. Dies kündigt sich zu Beginn der Tragödie schon
an, als Oedipus dem Priester antwortet:

Ihr Armen! Allzu gut ist mir bekannt,


Was euch zu mir geführt; ich weiß es wohl:
Ihr alle krankt. Und doch, wie sehr ihr krankt,
So krank wie ich ist keiner unter euch.
Denn euer Leiden geht auf einen nur,
Das eigne Ich, sonst niemand; meine Seele
Klagt um die Stadt, um mich und dich zugleich. (S. ΟΓ58-64) 1 2 2

In der Tat: Die Bürger leiden an 'einem nur', an ihrem König. Oedipus,
der die Doppeldeutigkeit seiner eigenen Rede nicht sieht, verschiebt hier
schon die Perspektive vom Unheil, das über der Stadt liegt, auf das Sub-
jekt. Er hebt sich heraus, zwar in seiner Rolle als König, aber grundsätz-
licher noch: als der Eine, der sich von den Vielen unterscheidet. Oedipus
beansprucht, auf eine besondere Weise zu leiden. Auch ihn individualisiert
schließlich sein Leiden. Das ist, wie gesagt, sehr nahe an der modernen
Nobilitierung des Leidens als Strategie der Selbstauszeichnung und auch
eine grundlegende Figur moderner Kulturkritik (der sehende Eine - die
blinden Vielen).
Am Schluß des Dramas verlangt Oedipus, nachdem er sich die Augen
ausgestochen hat, dreimal, daß man ihn außer Landes schaffe (1340, 1436
und 1515). Wie ambivalent man selbst noch diesen Wunsch verstehen
kann, macht Kreon deutlich, wenn er in seiner letzten Antwort an Oedipus
diesen auffordert, er solle doch nicht in allem Meister sein wollen: 'Nicht
alles meistre dein Begehr. / Denn auch was du einst gemeistert, sieh, es
folgte dir / Nicht nach' (1524). Von seinem Grundfehler kommt Oedipus
bis zum Schluß nicht los. Er ist schon bei Sophokles also nicht einfach
unschuldig.
Dreimal·. Das heißt, daß Oedipus weiß, daß er definitiv aus dem Land
muß und daß er genau so von der Polis ein letztes Mal gebraucht wird.
Nur wenn er weggeht, kann die Stadt gesunden. Also: Oedipus will sich
selbst ausschließen; er will sich selbst zum Sündenbock machen. Dies ist
aber noch immer seine Tat, die er selbst initiiert und ausführt. 123 Er will

122
Staiger 1944, 147.
123
Man kann, scheint mir, nicht sagen, daß Oedipus kein Sündenbock sei, bloß weil
er "selbst seine V e r b a n n u n g " betreibt (Kullmann 1994, 118). Die Tragödie ist eben kein
reines Sündenbock-Ritual, sondern auch ein Diskurs des Subjekts. Sie wiederholt das
Ritual nicht nur, sondern deutet es und hebt es in das reflektierende Bewußtsein.
392 Wolfgang Braungart

das Leid, das er an sich vollzieht, indem er das Organ zerstört, mit dem er
'gesündigt' hat, seine Augen - das Organ, das symbolisch sowohl für sei-
nen Willen zur Aufklärung als auch für seinen Willen zur Selbstermäch-
tigung steht. Das Wortfeld des Sehens, des Lichtes, der Klarheit ist grund-
legend in der Metapherngeschichte der Einsicht und der Erkenntnis. Nicht
zufallig: Der Augen-Sinn ist der Sinn, mit dem wir uns am schnellsten ori-
entieren, der uns am schnellsten zu einer koordinierten und strategisch
sinnvollen Handlung veranlaßt. Alle anderen Sinne haben nicht dieselbe
anthropologische Bedeutung. Oedipus will als ein vom Leiden besonders
tief Gezeichneter das Land verlassen.
Man kann zu diesem Schluß also einerseits sagen, daß das Sünden-
bock-Ritual - einer opfert sich für alle - wirklich funktioniert und daß
deshalb am Ende des Dramas nicht mehr eigens über die Leiden des Kol-
lektivs, die Pest, gesprochen werden muß. Das Ritual wäre, so gesehen,
noch in Kraft. Man könnte aber genauso sagen, daß hier die Tragödie
schon Diskurs des Subjekts ist.124
Folgt man der ersten Deutungslinie, so wäre Oedipus Rex ein Ritual-
Spiel vor der Polis und für die Polis. Es führt vor, wie eine Gemeinschaft -
leicht einsehbar - gefährdet wird durch Inzest, Gewalt und Tod und wie
sie sich reinigt und restituiert durch das Opfer-Ritual, das ein Selbst-Op-
fer-Ritual ist. Man muß dann auch die Frage, was denn die Pest - von
Sophokles bis Camus - bedeuten soll, gar nicht klären. Es genügt zu sa-
gen, daß in der Polis etwas ist, das sie zersetzt. Dafür ist die Pest eine ide-
ale Metapher. 125 Marcellus hat schon recht, wenn er zu Horatio sagt:
"Something is rotten in the state of Denmark" (Shakespeare, Hamlet,
1/4.90).126 Angezeigt ist dies durch den Zerfall der königlichen Familie.
Das ist das schlimmste Zeichen. Die zersetzende Kraft kann also auch die
'Polis' der Familie befallen: etwa als abgrundtiefer Haß und zerstörerische
Macht des Mißtrauens in Kleists Familie Schroffenstein (1803); oder als
Alkoholismus in Hauptmanns Vor Sonnenaufgang (1889). Nur entwickelt
sich bei diesen modernen Dramen nichts mehr, was die 'Polis', die Ge-
meinschaft, wiederherstellen könnte. Es wäre allein, wenn überhaupt, die

124
Vgl. auch Lehmann 1991.
125
Metaphern aus dem semantischen Feld von Krankheit/Gesundheit spielen in der
politisch-gesellschaftlichen Metaphorik überhaupt eine große Rolle; vgl. Demandt 1978.
126
Klein 1988,96.
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 393

Kraft des Subjekts, das sich über die Macht solcher 'Pest' hinwegsetzte,
wenn es denn diese Kraft aufbrächte. Das ist sein 'modernes' Problem.
Die Tragödie kann also auch ein gesellschaftliches Reinigungsritual
durchspielen, in der der Held das Opfer ist. Diese Möglichkeit ist für die
Geschichte der Tragödie von ihrem Beginn an gegeben. Daß die Aristote-
lische Poetik sich damit befaßt, wie der Charakter des Helden beschaffen
sein muß, kann man so verstehen: Der Held muß zum Opfer überhaupt ge-
eignet sein. Er darf sich nur einen kleinen Fehler leisten (hamartia). In
ihrer Poetologie, ihrer Inszenierung und in ihrer intendierten Wirkung ist
die Tragödie konzeptionell von ihrem Beginn an eine politische Gattung:
die einzige, die es gibt. Wie sehr sie das in ihrer Konstitutionszeit in Athen
war, hat Christian Meier gezeigt.127
Oedipus Rex ist aber auch ein großer poetischer Diskurs über das, was
das Subjekt ist in der allmählichen Einsicht in seine Hybris, in der Erfah-
rung des Leidens, des Schmerzes, des Todes. Davon handelt die Gattung
der Tragödie generell; sie ist die Gattung, die sich dieser Deutungsheraus-
forderung stellt, die von der Erfahrung des Schmerzes, Leidens und Todes
ausgeht, und von der Gewalt, die sie verursacht. Auch Oedipus ist durch
sein Leid zum individuellen Subjekt geworden: 'Mein Leid ist so, daß
keiner / Auf Erden außer mir es tragen kann' (S. OT 1414-1415). Das Lei-
den individuiert auch ihn. Durch seine Täuschungen und seine schuldlosen
Verfehlungen kann er nicht mehr der sein, auf den sich das Vertrauen der
Polis richtet: 'Wie soll ich Kreon gegenübertreten, / Wie Treu und Glau-
ben finden, der ich nun / In unserm Streit so jämmerlich bestehe?' (1419-
1421). Was Oedipus hier anspricht (daß ohne Vertrauen keine Politik
möglich ist), wird ein Grundproblem der Tragödie der Frühen Neuzeit
werden, wenn sich der frühmoderne Staat anders begründen muß als pri-
mär aus Kult und Ritual und wenn zugleich sichtbar wird, daß die bloße
Rationalität der naturrechtlichen Begründung von Souveränität nicht aus-
reicht.128

Für die soziale Wirksamkeit und transformative Kraft der Tragödie -


daß ihr Ritualspiel also wirklich etwas verändert, wenn es richtig vollzo-
gen wird - hat Aristoteles die Kategorie der katharsis eingesetzt. Diese
schwierige Kategorie, soeben im Hinblick auf den emotionalen Wirkme-

127
Meier 1988.
128 v g l hierzu meinen Aufsatz: Braungart 2005a.
394 Wolfgang Braungart

chanismus schon angesprochen, ruft einerseits ins Bewußtsein, daß Litera-


tur dort schon, wo sie ihre erste große Epoche hat: in der griechischen Tra-
gödie, zugesprochen wird, tief in die Psyche des Menschen eingreifen zu
können, sofern sie denn richtig realisiert wird.129 Katharsis ist andererseits
die Verbindungskategorie zwischen der performativen Ästhetik der Tragö-
die, dem Individuum und der Polis. Das von seinen psychischen Exaltatio-
nen gereinigte (oder in ihnen wenigstens gemäßigte), zuschauende Indivi-
duum ist polisfahiger. Jeder kennt diese Erfahrung: Exzessive psychische
Erregungen und entsprechende Äußerungen können auf Dauer sozial de-
struktiv werden; es sei denn, sie sind im institutionellen Rahmen kulturell
geradezu vorgesehen und werden dort abgeführt (Beerdigung, Pop-Kon-
zert, Fußballplatz, Theater).

VI. Opfer und Leid - Walter Burkert und Rene Girard

Die wichtigsten neueren Beiträge zu einer kulturanthropologischen Theo-


rie über Ursprung, Poetik und Geschichte der Tragödie stammen von
Walter Burkert 130 und Rene Girard.131 In ihrem Zentrum steht die religi-
onswissenschaftliche Grundkategorie des Opfers bzw. des Opferrituals
und damit die Dimension, die in den Blick kommt, wenn man den Effekt
der tragischen katharsis über die individuelle Psyche hinaus deuten will.
Dann wird mit der Kategorie der katharsis beschrieben, was das integrative
Moment des kultisch vollzogenen oder des auf dem Theater ästhetisch ge-
zeigten Opfers (in seiner rituellen und ästhetischen Regelhaftigkeit) ausma-
chen soll.
Auf die grundsätzlichste aller Fragen - Was ist der Mensch? - gibt
Walter Burkert eine ebenso grundsätzliche Antwort: Der Mensch ist ein
homo necans.m Um zu leben, muß der Mensch in die Ordnung der Natur
eingreifen und ihr etwas entnehmen. In der Jagd stellt sich dieses Entneh-
men aus der Natur unübersehbar als Töten dar. Burkert hat, angeregt durch
Karl Meuli und die Aggressionstheorie von Konrad Lorenz, die Tragödie

129
Thomas Anz hat diesen Gedanken differenziert in einem schwungvollen und an-
regenden literaturtheoretischen Entwurf entfaltet: Anz 1999. Vgl. auch Eibl 2004.
130
Burkert 1972; 1987; 1990 (dort bes. der A u f s a t z "Griechische Tragödie und
Opferritual", 13-39).
131
Girard 1983; 1987; 1998.
132
Burkert 1972.
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 395

in ihrem tiefsten anthropologischen Kern auf archaische Jagd-Opfer-Ritu-


ale zurückgeführt. "Opfer ist rituelle Tötung. Im Opferritual verursacht
und erfährt der Mensch den Tod" (Burkert 1990, 21). Jagd-Opfer-Rituale
sind Gewalt-Rituale. Sie agieren Gewalt im rituellen Vollzug aus und kon-
stituieren so Gemeinschaft, am deutlichsten sichtbar und realisiert im ge-
meinsamen Opfermahl, so wie sich im hochsymbolischen Gewalt-Spiel
der Tragödie Gemeinschaft (Polis) konstituiert. Man kann sich das auch
leicht an Jagd-Ritualen, wie sie heute noch praktiziert werden, klar ma-
chen: Die Jagd hat noch immer etwas Männerbündisches. Daß Frauen
teilnehmen, ist noch immer eher die Ausnahme. Die Jäger tragen eine be-
sondere Kleidung; sie befolgen besondere Regeln, die natürlich auch
zweckdienlich sind; sie benutzen eine eigene Sprache. Am Ende der Jagd
wird das Halali geblasen (ästhetische Inszenierung!); die erlegten Tiere
liegen in einer bestimmten Ordnung sortiert; man nimmt den Hut ab und
zeigt so den Respekt vor dem getöteten Tier (mit Burkert: das Schuldge-
fühl). Abgeschlossen wird eine Jagd in der Regel durch ein gemeinsames
Essen, bei dem sich die Gemeinschaft der Jäger bekräftigt.
Euripides' Iphigenie in Aulis thematisiert das Opfer-Begehren der
Griechen, um endlich den ersehnten Beistand der Götter zu bekommen, sie
also zu beschwichtigen, und die Opfer-Bereitschaft Iphigenies:

Vater, sieh, da bin ich schon


Und biete froh zu meines Vaterlandes Wohl,
Für alles Land von Hellas biet ich meinen Leib
Freudvoll zum Opfer am Altar der Artemis
Den Führern. (Ε. ΙΑ 1552-1556) 133

Eine Hirschkuh hat Agamemnon getötet; eine Hirschkuh ist das Ersatzop-
fer für Iphigenie nach deren Entrückung vom Opferaltar. In diesem Motiv
der Hirschkuh werden also die Schuld des Tötens und das sühnende, be-

133
Hagen/Jens/Kannicht 1958, Bd. 2, 125. - Man kann eine subtile, aber nicht
unwichtige Anspielung auf den Mythos darin sehen, daß sich Helene, die also den Namen
derjenigen trägt, deretwegen die Griechen nach Troja fahren, am Schluß von Gerhart
Hauptmanns Tragödie Vor Sonnenaufgang (1889) mit einem Hirschfänger tötet. Sie
vereint in sich beide Rollen, ist Opfernde und Opfertier zugleich. Dieses 'Selbstopfer'
ohne jeden sozialen Sinn und ohne den Sinn der Selbstbehauptung zeigt die allein von
Helene durchschaute Ausweglosigkeit und fatale Geschlossenheit ihrer Lebenssituation
an. In Hauptmanns Atriden-Tetralogie (1949) dagegen, dem wohl monumentalsten und
äußerst umstrittenen Versuch einer Erneuerung der griechischen Tragödie in der Mo-
derne, bewirkt Agamemnons in ritueller Ekstase vollzogene Tötung der Hirschkuh das
"Wunder", das die Götter versöhnt (Hauptmann 1949, 117).
396 Wolfgang Braungart

schwichtigende Opfer aufs engste aufeinander bezogen. In Jagd-Opfer-


Ritualen vorgeschichtlicher Stammeskulturen drücke sich, so Burkert, ein
(Schuld-)Bewußtsein darüber aus, daß man weiß, was man beim Jagen tut:
nämlich töten. Das kann man sich, Burkert weiterdenkend, leicht zurecht-
legen, wenn man sich genauer bewußt macht, was beim Töten geschieht.
Um selbst zu leben, ändert man nämlich durch die eigene Blut-Tat den
Zustand eines Lebewesens definitiv: vom Bewegten zum Unbewegten,
vom Warmen zum Kalten. Man erfährt sich als der, der für diesen irrever-
siblen Vorgang verantwortlich ist. Wie bei Kain nach der Ermordung
Abels: Töten provoziert Bewußtwerdung; mit ihr muß man deshalb umge-
hen, man muß sie gestalten. Töten kann also, wenn man so forciert formu-
lieren möchte, zu einer kulturschaffenden Kraft werden, wie man an den
Jagd-Opfer-Ritualen, aber auch an vielen Bräuchen und Ritualen um das
Verbrauchen natürlicher Ressourcen sehen kann (etwa im Schintoismus).
Das Opfer ist insofern kein dumpfer Vollzug einer finsteren Handlung.
Jagd-Opfer-Rituale sind, wie alle Rituale, ein präsentatives, gestalthaftes
Begreifen. (Präsentativität und Performativität sind auch ein besonderes
Kennzeichen des 'postdramatischen Theaters' der Gegenwart, das deshalb
viele Bezüge zum Ritual aufweist). 134 Jagd-Opfer-Rituale sind eine gestal-
tende kulturelle Antwort auf den großen Erklärungsnotstand für dieses
(lebensnotwendige) Töten, sobald es ins Bewußtsein dringt; sie rücken das
Töten und die Gabe des Opfers ins Zentrum. Wieviel mehr dann die Kunst
der Tragödie! Aus der Verhaltensforschung wissen wir, welch große Rolle
auch im menschlichen Verhalten Ritualisierungen spielen, also festlie-
gende, geregelte Handlungen und Handlungssequenzen, die einen biologi-
schen Grund haben, von dem sie sich aber so weit abgelöst haben, daß er
nicht mehr ohne weiteres erkennbar ist.135 So wird die Tragödie verstehbar
als die kulturelle Ritualisierung des Tötens. Hegels Tragödientheorie ist
im Kern eine Opfertheorie, und zwar eine geschichtsphilosophisch be-
gründete. Die geschichtlich notwendige Versöhnung braucht das Opfer
des tragischen Helden. Die Geschichte selbst ist für Hegel deshalb
"Schlachtbank". 136 In Büchners Geschichtstragödie Dantons Tod argu-
mentiert Robespierres Einpeitscher St. Just genauso; er camoufliert die

134
Vgl. die grundlegende Darstellung Lehmanns 1999. - Ob die Bezeichnung 'post-
dramatisches Theater' wirklich glücklich ist, will ich einmal dahingestellt sein lassen.
135
Vgl. Krebs/Davies 1996.
136
Moldenhauer 1970, 35.
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 397

Beseitigung des Gegenspielers Danton und seiner Gefährten als notwendi-


ges Opfer für den Prozeß der Revolution, also für die Geschichte: "Wir
müssen die große Leiche mit Anstand begraben, wie Priester, nicht wie
Mörder. Wir dürfen sie nicht zerstücken, all ihre Glieder müssen mit
hinunter ... Wir müssen ihn in seiner vollen Waffenrüstung beisetzen und
seine Pferde und Sklaven auf seinem Grabhügel schlachten" (1/6).137
Später vor den Deputierten fragt zunächst Legendre: "Soll denn das
Schlachten der Deputierten nicht aufhören?" (II/7). Und St. Just mit eisi-
ger Schärfe, fast wie eine Parodie Hegels: "Der Weltgeist bedient sich in
der geistigen Sphäre unserer Arme eben so, wie er in der physischen
Vulkane oder Wasserfluten gebraucht. Was liegt daran ob sie an einer
Seuche oder an der Revolution sterben? - Die Schritte der Menschheit
sind langsam, man kann sie nur nach Jahrhunderten zählen, hinter jedem
erheben sich die Gräber von Generationen" (II/7).138 Die Schuld, die die
Menschen durch das Töten auf sich laden, soll durch das Opfer, so scheint
es, beglichen werden. 139 Friedrich Dürrenmatts Tragikomödie Der Besuch
der alten Dame (1956) eignet sich geradezu als Demonstrationsobjekt für
die Burkertsche These vom Ursprung der Tragödie aus dem Jagd-Opfer-
Ritual: III ist schließlich der 'Panther', das Dionysos-Tier, das gejagt und
getötet wird, sich letztlich aber doch selbst opfert, indem er seine alte
Schuld an Ciaire annimmt und nicht flieht. (Darin liegt die Akzent-
verschiebung Dürrenmatts hin zu der Frage nach moralischer Autonomie).
Für Rene Girard ist das Opfer eine grundlegende "generative Kraft
menschlicher Kultur" und "der Schlüssel zum Verständnis gesellschaft-
licher Ordnung schlechthin" (Schweiker 2000, 109). Girard versucht nun
die Zäsur, die die Etablierung des Christentums für die Verbindung von
Gewalt und Heiligem darstellt, durch den Sündenbock-Mechanismus zu
deuten.140 Er versucht, die Frage Burkerts: "wie ist es zu verstehen, daß
Blutvergießen und Töten in einem zentralen Akt der Religionen und der
damit verwachsenen gesellschaftlichen Institutionen seinen festen Platz
hat?" (hier zitiert in der Reformulierung von Burkert 1987, 18), zu beant-
worten, indem er sie umkehrt: "Wie ist überhaupt Friede in menschlichen
Gruppen möglich, die doch stets den zerstörenden Kräften von Inter-

137
Lehmann 1980, 26.
138
Lehmann 1980, 38 und 41.
139
Burkert 1990,21.
140
Umfassend und umsichtig zu Girard: Palaver 2003.
398 Wolfgang Braungart

essenkonflikten und Eifersucht ausgesetzt sind?" (Burkert 1987, 18-19).


Das zieht die zweite, eigentlich ursprünglichere Frage nach sich: Woher
kommt überhaupt die elementare Gewalt im sozialen Leben? Girards Ant-
wort: aus dem mimetischen Begehren. Menschen sind nachahmende
Wesen. So sieht es schon Aristoteles in der Poetik'. Bedürfnis und Ver-
mögen der Nachahmung sind anthropologisch grundlegend. Seine beson-
ders ausgeprägte und über die Kindheit hinausreichende Befähigung zur
Nachahmung (als einer Form von Lernfähigkeit) unterscheidet den Men-
schen von anderen Lebewesen. Mit der mimetischen Gewalt als Kern der
Tragödie wäre auch diese Gattung, nach Aristoteles, 141 zugleich anthropo-
poetisch begründet. Menschen wollen das haben, sie verlangen nach dem,
was der andere hat und tut. Jeder, der die Mechanismen und Wege der
Mode mitverfolgt, jeder, der an Erziehungsprozessen beteiligt ist, weiß,
welche sozial wirksame und dabei oft destruktive Kraft im mimetischen
Begehren tatsächlich steckt. Die Mode ist ein kultureller Sektor, in dem
Ritualisierungen besonders offensichtlich sind.
Unter bestimmten kulturellen, sozialen und kommunikativen Bedin-
gungen kann, so Girard, der mimetische Druck in einer Gesellschaft so
hoch werden, daß er ein Ventil braucht. Die aus dem mimetischen Begeh-
ren resultierende Aggression muß abgeleitet werden. Hier nun setzt Gi-
rards Theorie des Sündenbocks ein: Ein unschuldiges Opfer wird ausge-
wählt, wird markiert und mit all der Aggression, die in der Gesellschaft
bzw. Gemeinschaft ist, 'beladen'. Der Sündenbock - nicht umsonst heißt
er so - wird ausgestoßen. In der Aggression, die sich gegen den Sünden-
bock richtet, restituiert sich die Gemeinschaft selbst. Auch dafür bieten
Geschichte und soziales Leben Beispiele in trauriger Fülle. Dürrenmatts
Güllener richten alle Aggression auf III und restituieren ihre 'Polis' damit
auf groteske Weise. 142 Indem sie den Einen ausstoßen, definieren sie sich
wieder neu als Gemeinschaft. Sie stilisieren das Leid, das sie zufügen,
zum wirklich not-wendigen Opfer für die Gemeinschaft. 143

141
Arist. Po. 1448b5-8 (= Fuhrmann 1989, 11).
142
Vgl. zu dieser Deutung ausführlich Braungart 2001.
143
Es ist interessant, unter diesem Gesichtspunkt Rechtsprozesse, die öffentliche
A u f m e r k s a m k e i t auf sich ziehen, wahrzunehmen. Der öffentliche Diskurs betont dann
gerne, daß ein Exempel statuiert, daß hart durchgegriffen werden müsse. Die gesell-
schaftlichen N o r m e n werden so bekräftigt; die rechtsförmig lebende Gemeinschaft bestä-
tigt sich durch Grenzziehung und in ihren sie begründenden Regeln.
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 399

Die kulturgeschichtlich kaum überbietbare Bedeutung des Christen-


tums liegt für Girard nun darin, daß mit Jesus Christus ein völlig Unschul-
diger beansprucht, ein für allemal, alle Schuld der Menschen auf sich zu
laden. Einer hat sich selbst freiwillig, ein für allemal zum Sündenbock
gemacht und so offengelegt, wie der Sündenbock-Mechanismus funktio-
niert. Die alte Geschichte soll so beendet und eine ganz neue möglich wer-
den, eine Geschichte jenseits des 'Menschheitsverhängnisses' (Girard) von
mimetischem Begehren und archaischer Gewalt. Daß mit ihm etwas Neues
beginnen soll, beansprucht Christus selbst (vgl. auch Paulus: "Siehe, es ist
alles neu geworden!", 2. Kor 5.17). Girards Literatur- und Kulturtheorie
geht so in Theologie über. Ab jetzt kann keiner mehr sagen, er habe nicht
gewußt, was kollektive Gewalt ist, wie sie sich entwickeln und was sie an-
richten kann. Christus will das unschuldige, reine, völlig unbefleckte
Lamm sein, das deshalb um so größere Aggressionen auf sich ziehen
kann. Auch dieses Problem kennen wir aus unserer eigenen sozialen Er-
fahrung: Je schwächer, wehrloser und unschuldiger, desto geeigneter. Es
hat im Hinblick auf diese sozial integrative Funktion wenig Sinn, wirk-
liche Schurken als Sündenbock auszuwählen. Darauf weist schon Aristo-
teles hin: Der Fehler des Helden der Tragödie darf nur klein sein, keine
wirkliche, verbrecherische, moralische Schuld. Dann wäre sein Tod näm-
lich nur eine Sühne, die der Verbrecher sich selber zuzuschreiben hat, und
der Betrachter empfände womöglich nur Genugtuung, aber nicht die nöti-
gen Emotionen von eleos und phobos,144 Christus aber hat gar keinen Feh-
ler.
Christus ist geradezu provozierend unschuldig. So zieht er die Ag-
gression der Massen auf sich. Ihm unterläuft, anders als Oedipus, nicht
einmal eine Fehleinschätzung seiner Situation oder seines Schicksals. Er
weiß ja alles und sieht alles vorher. Er weicht nicht aus, obwohl er könnte.
Das theologische Skandalon der Opfer-Theologie des Christentums -
Gottvater, ein Vater, opfert seinen Sohn! - wird mit Girards Theorie plau-
sibilisiert: Jesus interpretiert das Opfer um. Das Barbarische des Opfers
wird im Selbstopfer Jesu zur autonomen, demonstrativen Tat. Frei handelt
er, indem er sich dem Gesetz des Vaters unterwirft, das er als richtig aner-
kannt hat.145 Es liegt jetzt alles ganz offen da. Jeder muß jetzt wissen, wel-

144
Zu den gattungsgeschichtlichen Implikationen vgl. weiter oben S. 372-375.
145
Das weist auf die Bestimmung von Freiheit bei Kant und Schiller voraus: Die
Vernunft unterwirft sich dem Gesetz, das sie selbst gesetzt und als richtig anerkannt hat.
400 Wolfgang Braungart

che Gewaltbereitschaft und welche Tötungslust in menschlichen Gemein-


schaften stecken können. Jenseits der theologischen Differenzen wollen
eucharistisches Meßopfer bzw. Abendmahl dafür sorgen, daß das Ge-
dächtnis daran bewahrt wird.
Zurück zur Tragödie: Sie ist generell freilich nicht einfach nur eine
Wieder-Holung eines archaischen Opferrituals. Auch dies wurde eingangs
schon gesagt. Die Zuschauer/Leser verfolgen ja auch hier alles mit.
Oedipus Rex ist das Musterbeispiel für tragische Ironie: Die Zuschauer
haben den beobachtenden, reflexiven Abstand zum Geschehen und be-
kommen eine anschauliche Demonstration der Bedeutung und Funktion
von Opfer-Gewalt fur Gemeinschaft und Gesellschaft. Im 'Spiel' mit der
archaischen Gewalt 'spielt' die Kunst der Tragödie zugleich mit einer ta-
buisierten Transgression. Das Tötungstabu, das die Tötung eines Men-
schen nur in Ausnahmesituationen erlaubt, ist konstitutiv für Kultur. Kunst
ist hier in besonderer Weise ein Transgressionsspiel. Hinter dem 'Spiel'
liegt aber, wie angedeutet, ein großer Ernst.
Noch einmal zurück zu Dürrenmatt: Die von Ciaire, dieser monströ-
sen, antikisierend aufgeladenen Göttin der Gerechtigkeit, die doch eigent-
lich nur Rache will (so wird hier ein genuines Thema der Tragödie: das
Problem der Gerechtigkeit, grotesk verkehrt), in Aussicht gestellte "Milli-
arde" entfacht bei den Güllenern das mimetische Begehren, dessen perma-
nente Aggressivität und Gewalt nur dadurch fürs erste zum Stillstand
kommt, daß III sich selbst zum Sündenbock macht. Insofern er sich selbst
opfert, obwohl er doch fliehen könnte, bekennt er sich zu seiner mo-
ralischen Schuld und zeichnet sich gegenüber den Güllenern selbst aus.
Erst so eignet er sich als Sündenbock, auf den die gesellschaftszerstören-
den Kräfte abgeleitet werden können. Zugleich legt dieses Sündenbock-
Ritual bloß, wie es um die Gesellschaft der Güllener bestellt ist. Jagd-
Opfer-Ritual und Sündenbock-Ritual sind mögliche Interpretamente für
diesen Text. Die Ursprungsfrage, wo die Gewalt herkommen könnte, wird
von diesem Text präzise ästhetisch beantwortet: aus der entfesselten öko-
nomischen und mimetischen Gier.
Die Theorien Burkerts und Girards lassen sich als poetologisch-an-
thropologische Heuristik nutzen, um auf das anthropologische Substrat der
Gattung der Tragödie aufmerksamer zu werden und so auch genauer nach
dem Verhältnis von Anthropologie und Geschichte der dennoch je indivi-
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 401

duellen Tragödie fragen zu können. 146 Die Tragödie kann als Opfer-
Ritualsp/e/ verstehbar werden, in dem das Unglück, das Menschen erfah-
ren, und das Leiden, das sich Menschen antun können, bewußt gemacht,
gestaltet und als Opfer plausibilisiert werden. Ist für Burkert das Opfer der
Tragödie in der Logik vor-geschichtlicher Rituale begründet, so für Hegel
in der Logik der Geschichte.
Girards Theorie kann als anthropologische Heuristik dienen, die die
Tragödie als ein Leid- und Todes-Spiel verstehbar macht, das im Sünden-
bock-Mechanismus begründet ist und das Subjekt aufs äußerste herausfor-
dert und in seiner Singularität anspricht. Ist für Girard das Leiden des ein-
zigartig schuldlosen Opferlammes Jesus Christus die unwiderrufliche Be-
wußtmachung der Gewaltpotentiale des mimetischen Begehrens in uns
Menschen, so eröffnet gerade die Herausforderung durch das Leid für
Schiller die letzte, unwiderrufliche Freiheit und Autonomie des Menschen.
Erst recht dann, wenn er das Leiden freiwillig auf sich nimmt: im Selbst-
opfer, für das Schiller deshalb besondere Sympathie hat (Die Bürg-
schaft, 147 Don Carlos).
Mit den Theorien Burkerts und Girards kann also das eingangs postu-
lierte Spiel der kulturellen Konstitutionselemente Mythos, Religion und
Ritual im Bezug auf das Subjekt und auf die Gemeinschaft aufmerksamer
beschrieben und in seiner literaturgeschichtlichen Produktivität wahrge-
nommen werden. Dafür noch ein weiteres Beispiel: Die Veränderungen in
Senecas Oedipus-Tragödie 148 gegenüber Sophokles und die hier forcierte
Grausamkeit wären so weniger als Ausdruck stoischer Affektenlehre zu
deuten,149 und es wäre einfach zu konstatieren: Hier liegt ein Text vor, der

146
Zu diesem theoretisch-methodologischen Problem noch immer unübertroffen:
Szondi 1978a; 1978b (auch zu Oedipus Rex).
147
Vielleicht kann man sich so den merkwürdigen Satz Damons in der Bürgschaft
erklären: "Er schlachte der Opfer zweie / Und glaube an Liebe und Treue." Die archa-
ische, aber bereits religiös konnotierte Gewalttat selbst (Damon "sieht das Kreuz schon
erhöhet") provoziert den Umschlag in die plötzliche Überzeugung, daß die Gewalt durch
eine christlich getönte Sozialethik überwunden werden muß.
148
Vgl. Lefevre 1985. - Lefevre vermutet, daß Senecas Oedipus seiner indirekten
politischen Anspielungen wegen "weder öffentlich rezitiert noch veröffentlicht wurde.
Vielmehr ist es wahrscheinlich, daß er zur Rezitation im engsten Freundeskreis bestimmt
war" (Lefevre 1985, 1259). Die Katharsis müßte also auch über den gelesenen Text funk-
tionieren!
149
Und das literaturtheoretisch so schwierige und zu wenig diskutierte Modell von
Hintergrund und Vordergrund, von Text und Kontext, von Weltanschauung bzw. Philo-
sophie und ästhetischer 'Umsetzung' würde einmal zurücktreten.
402 Wolfgang Braungart

an einer bestimmten, entscheidenden Stelle den Aristotelischen 'Klassi-


zismus', den ich als poetologische Ausbuchstabierung kultisch-ritueller
und sozial notwendiger Stringenz und Konsequenz gedeutet habe, durch-
bricht, indem er Grausamkeit und Gewalt steigert. An Seneca sieht man,
welche Kulturleistung die Aristotelische Tragödienkonzeption als Ritual-
Spiel darstellt, das Gewalt domestiziert, und wie wenig es braucht, daß
jene andere Sphäre, die die Tragödie zitiert und doch im Spiel zu über-
winden scheint, auch im Spiel selbst wieder aufbricht. Den Zuschauern,
die dieses Senecaische Spiel verfolgen, genügt, so Senecas Unterstellung,
die ausbalancierte ästhetische Ritualität des Aristotelisch-Sophokleischen
Tragödientypus offensichtlich nicht mehr. Sie müssen individuell durch
den starken Affekt angesprochen werden, um überhaupt noch erreicht zu
werden. Noch etwas abstrakter: Die "rituelle Kohärenz" (Assmann 1992,
17 und 97) dieser Gesellschaft, für die Tragödien mit ihrem kultivierten
Opfer-Spiel geschrieben werden, ist im Schwinden begriffen. Jetzt wird
das Subjekt auf extreme Weise in seiner Affektivität angesprochen und
herausgefordert, was ja in der Emotionalisierung der Aristotelischen Po-
etik auch schon angelegt war. Primär daraus soll etwas resultieren. Wenn
man so will, dann wäre hier die Spannung aufzusuchen: zwischen dem
Gewalt-Spiel der Tragödie einerseits und der kommunikativ-pragmatisch
ausgerichteten Philosophie Senecas andererseits.
Zugleich wird an der Grausamkeit des Senecaischen Oedipus und der
Grausamkeit seiner Dramen überhaupt, die wirkungsgeschichtlich von
größter Bedeutung ist, ein weiteres Problem sichtbar, das meines Er-
achtens in der Diskussion um die Katharsis und in der Ableitung der Tra-
gödie aus dem kultischen Opferritual vielleicht doch nicht immer hinrei-
chend bedacht wird: Denn indem die Tragödie das Leiden, den Schmerz,
das Sterben inszeniert, verweist sie auch ausdrücklich auf die Körperlich-
keit des Menschen. Aus der unschönen Körperlichkeit des Leidenden soll
geradezu die Lösung des Tragödienkonfliktes auf der Handlungsebene wie
auch die katharsis des Zuschauers hervorgehen. Man muß aufpassen, das
Leiden also in seiner Konkretheit nicht zu rasch zu spiritualisieren, ihm
nicht zu rasch einen tieferen Sinn abgewinnen zu wollen. Diese Neigung
zur 'Tiefenhermeneutik' verweist auf ein Grundproblem abendländischer
Semiotik. Denn in der Zurschaustellung des Leidens kommt der geschun-
dene Körper präsentativ zur Geltung. Wie sollte sonst die katharsis funk-
tionieren? Die Poetik der Tragödie diskutierte immer auch die Frage, wie-
viel Gewalt direkt gezeigt oder durch Botenbericht und Mauerschau in die
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 403

Sprache allein verlagert werden sollte. Wieviel Blut soll aus der Maske
des geblendeten Oedipus quellen? Die schrecklichen (Sprach-)Bilder der
Tragödie implizieren auch das Heilsversprechen des Körpers. Das ist
zentral für das präsentative Leiden der abendländischen Kultur schlecht-
hin: das Leiden Jesu. Das Heils- und Erlösungsversprechen des zur Schau
gestellten Körpers führt bis in den Körperkult unserer Tage hinein.150

VII. Katholisierung des Mythos: Corneille, (Edipe (1659) und Polyeucte


Martyr (1642/1643)

Mit den bisherigen Überlegungen sollten einige wesentliche Aspekte für


eine Strukturgeschichte der Tragödie umrissen werden. Dabei habe ich
bereits mehrfach in die Tragödie der Neuzeit und der Moderne ausgegrif-
fen. Diese literaturgeschichtliche Perspektive soll im folgenden noch ver-
tieft werden, indem ich zwei entscheidende Stationen anspreche: die fran-
zösische 'tragedie classique' am Beispiel Corneilles und die Weimarer
Klassik am Beispiel Schillers. Es wird sich noch einmal zeigen, wie ge-
schichtlich produktiv und entwicklungsfähig das anthropologische Sub-
strat der (attischen) Tragödie ist, das Aristoteles auf den poetologischen
Begriff gebracht hat.
Der französische Klassizismus des 17. Jahrhunderts erneuert bekannt-
lich die strenge Regelhaftigkeit der Aristotelischen Tragödie. Die leiten-
den poetologischen Kategorien der Schicklichkeit, Angemessenheit und
Wahrscheinlichkeit gehören zu dieser Restitution des ästhetisch-rituellen
Spiels. Auch dieses ästhetisch-poetologische Konzept der Tragödie sollte
man nicht vorschnell nach dem schwierigen 'Spiegel-Modell' deuten: als
'spiegle' sich in der Ordnung der Tragödie die Ordnung der Gesellschaft
(wie, von welchen Annahmen her will man dieses 'Spiegel-Modell' be-
gründen?). Einfacher: Die höfische Gesellschaft Frankreichs braucht ein
ästhetisches Ordnungsritual, an dem sie sich als das, was sie ist, vollzieht
und so erfährt.151 Das war schon eine Grundbedeutung der attischen
Tragödie für die Polis. Deshalb besteht die höfische Gesellschaft Frank-
reichs darauf, das Ritual zu kontrollieren. Diese Rolle beansprucht die

150
Vgl. LeVitte Harten 1999.
151
Zu diesem Problem auch Chihaia 2002; dort die einschlägige Literatur zur
'tragedie classique'; außerdem Galle 2005, 139-151.
404 Wolfgang Braungart

Academie Fran9aise. Corneille selbst hat schnell begreifen müssen, daß


die Lizenzen hier nicht groß sind. Seine Auseinandersetzung mit d'Au-
bignac und die Kritik, die sein Cid entfacht hat, zeigen dies. Allgemeiner:
Gemeinschaften und Gesellschaften brauchen ästhetisch-präsentative Ord-
nungs- und Kohärenzerfahrungen, an denen sie sich als solche wahr-
nehmen, weil sich dabei Gemeinschaft und Gesellschaft jeweils neu voll-
zieht. Das ästhetische Ritual der Tragödie und des Theaters eröffnet eine
solche Option. Ordnung gibt es nicht einfach; "sie bedarf der rituellen
Inszenierung und der mythischen Artikulation: Die Mythen sprechen die
Ordnung aus, die Riten stellen sie her" - so Jan Assmann (1991, 24).
Der Oedipus Rex des Sophokles war auch die Mustertragödie des fran-
zösischen Klassizismus. Corneilles Tragödie CEdipe lehnt sich in der
Grundstruktur an Sophokles und Seneca an, erweitert die 'politische'
Handlung freilich auf charakteristische Weise um eine Liebeshandlung.
Das ist auch das Strukturprinzip des höfischen Romans. Man hat dies,
welche Position die Tragödie im 'Literatursystem' hat und welche
Korrespondenzen es mit anderen Gattungen gibt, bislang wohl zu wenig
beachtet. 152 Die Liebeshandlung, die zunächst nur eine Nebenhandlung zu
sein scheint (das ist in der Rezeption auch früh kritisiert worden), rückt
das Problem des Opfers stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit. 153 Das
Paar Dirce und Thesee rivalisieren förmlich darum, wer von ihnen beiden
denn als Opfer geeignet sein könnte. Besonders wichtig ist die letzte Szene
des dritten Aktes, in der es im Grunde um die Frage der Prädestination
geht. Thesee:

Wie denn! Der Zwang zur Tugend, oder der zum Laster
Soll Launen eines unabweislichen Gestirnes folgen,
Der Mensch hätt auf sich selber so geringen Einfluß,
Daß er ein Schurke wird, wenn Delphi es vorausgesagt?
Die Seele wäre also gänzlich Sklave: ein höheres Gesetz
Zerrt unablässig sie zum Guten oder Schlechten hin;
Und diese Freiheit, die uns keine Wahl beläßt,
Flößt keine Furcht und kein Verlangen je uns ein,
Ohn Unterlaß an die erhabene Weisung ganz gefesselt,
Voll Tugend ohne jed' Verdienst, und lasterhaft ohn' eigenen Frevel.

152
Vgl. allerdings etwa Kalmbach 1996 (jedoch mit ganz anderer Problemstellung).
153
Unter dem Gesichtspunkt des Opfers, aber mit anderen Akzenten, untersucht
Chihaia 2002 die 'haute tragedie'.
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 405

Versenken wir nicht Euern Blick und nicht den meinen


In diesen tiefen Abgrund, wo wir nichts erkennen könnenf.]
(Corneille, CEdipe, III/5)154

Die Protagonisten der Tragödie wollen also nicht bloß das Schicksal voll-
ziehen. Sie wollen die Versöhnung durch ihr eigenes 'Werk' selbst errei-
chen. (Höchst interessant wäre der Vergleich mit der jansenistischen Ak-
zentuierung des Tragödienproblems etwa in Racines Phedre). Die soziale
Bedeutung des Opfers tritt damit nur um so unverstellter hervor. Für The-
see und Dirce würde freilich ihr Opfer das Ende ihrer Liebe bringen. 155 Im
Diskurs der Tragödie der Frühen Neuzeit: Liebeshandlungen und poli-
tische Handlungen treten auseinander; sie sind nicht integrierbar. Das wird
ein grundlegendes Problem der Tragödie bleiben, auch des sogenannten
'Bürgerlichen Trauerspiels'.
Die letzte Szene bringt, gemäß dem Mythos, den Bericht über die
Selbstblendung (Edipes, die nun wirklich als Opfer für den Staat gedeutet
wird und so auch die Versöhnung zwischen Staat und Familie eröffnet:

In diesen Mauern breitet plötzlich sich Gesundheit wieder aus,


Und alles glaubt an Wunder, preist mit hocherhobener Stimme
Die Güte unserer Götter ob solch raschem Wandel. (V/11) 156

Indem die Tragödie zum Mythos zurückfindet, relativiert sie den Auto-
nomieanspruch des opferbereiten Paares Dirce und Thesee. Das Opfer
(Edipes erhält dabei christologisch-postfigurative Züge: "Nur seinem Blut
verdanken wir den öffentlichen Jubel." Aus seinem Blut entsteht "den
Thebanern neues Leben ... kaum hat dieses kostbar Blut den Boden nur
berührt" (CEdipe V/12). 157 Das Opfer (Edipes erscheint weniger grausam
und sowohl gegenüber der archaischen Monumentalität bei Sophokles, als
auch gegenüber der Drastik bei Seneca deutlich gemildert. Mit dem
"Wunder" wird die Sichtbarkeit der Wirkung des Rituals betont. Es muß
seinen sozialen Effekt dabei zeigen. Das ist, sozusagen, eine katholische
Variante der Tragödie und katharsis auf der Bühne selbst. Sie begnügt
sich nicht, wie im protestantischen Märtyrerdrama, mit der Emblematisie-

154
Schondorff 1968, 192.
155
Man sieht von hier aus schon die Verschiebung in der Liebeskonzeption bei
Lucile am Ende von Büchners Dantons Tod: Bewahrung der Liebe um den Preis des
Todes; Opfer an die Liebe, nicht Opfer an die Gemeinschaft.
156
Schondorff 1968, 214, meine Hervorhebung.
157
Schondorff 1968,215.
406 Wolfgang Braungart

rung des geschundenen Körpers. Das "Wunder" beglaubigt das Opfer-


Ritual. Das Selbstopfer (Edipes und das daraus entstehende Wunder
konstituieren eine "neue Ordnung". Der Fluchtpunkt des Rituals ist, wie
Dirce sagt, diese "neue Ordnung", die "der morgige Tag uns bringen" mag
("Un autre ordre demain peut nous etre donne", V/12). 158 Diese neue
Ordnung stabilisiert die Polis. Auf der Ordnung liegt der Akzent. Auch
dies ist 'katholisch'. Sie hat zwar den 'Erlöser' OEdipe als ihren Begrün-
der, kommt aber nun ohne ihn aus. Sie wird nun weiterhin auf dyna-
stischer Planung beruhen, wie dies von Thesee und Dirce repräsentiert
wird und wie es sich für frühneuzeitliche Herrschaftsrationalität gehört.
Hier zeichnet sich eine merkwürdige Spannung ab, deren Problem sich
in Corneilles berühmter fünfaktiger Märtyrer-Tragödie Polyeucte Martyr
von 1642/1643 noch einmal verschärft. Einerseits betont Corneille hier
noch sehr viel stärker das Moment des Wunders. Andererseits wird gerade
so, durch das Wunder, der säkulare Staat vorbereitet. Severe ist keines-
wegs severus. Beeindruckt von der Standhaftigkeit, mit der Polyeucte das
Martyrium erleidet, bekehren sich sowohl Pauline als auch ihr Vater. Der
Repräsentant der römischen Zentralgewalt Severe ist ebenfalls äußerst
beeindruckt. Er räumt nun individuelle Religionsfreiheit ein. Staat und
Religion treten, gerade vorangetrieben durch das Wunder, auseinander.
Die Politik wird gewissermaßen liberal. Das kultische Ritual (das heißt
nicht: jedes Ritual) kann und muß sie nicht mehr wirklich fundieren. Das
kultische Ritual ist nur initial für den modernen Staat. Beide, der Kaiser
und Gott, dürfen nun Verehrung beanspruchen. Damit daraus kein Kon-
flikt entsteht, braucht es aber das Band der Liebe und des Vertrauens zwi-
schen Herrscher und Untertan:

... Unterdessen will ich [Severe]


Gestatten, daß ein jeder seinen Göttern
Auf seine Weise dient, und ohne Furcht
Vor Strafe. Seid ihr Christen, fürchtet nichts
Von meinem Haß, ich liebe sie, ich will
Ihr Schützer ferner sein, nicht ihr Verfolger.
Behalte deine [das ist Felix'] Macht, nimm sie zurück,
Verehre deinen Gott und deinen Kaiser.

158
Schondorff 1968, 216.
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 407

Du wirst die Grausamkeiten enden sehen,


Wenn ich des Kaisers Liebe mir erhalte,
Der ungerechte Haß bringt ihm nur Schande. (Polyeucte Martyr, V/6) 159

Schon der für den französischen und europäischen Absolutismus zentrale


Staatsphilosoph Jean Bodin, mit Niccolö Machiavelli Begründer einer
rationalen und pragmatischen politischen Theorie in der Frühen Neuzeit,
fordert, daß zwischen den Untertanen und seinem Souverän ein Verhältnis
der Liebe und des Vertrauens bestehen müsse, ohne das keine stabile poli-
tische Ordnung sein könne. Wie die Polis, so darf auch der Staat nicht ein-
fach eine abstrakte Größe sein, sondern braucht affektive Verbundenheit
seiner Bürger mit dem Souverän. In der Zweiten Abhandlung über die Re-
gierung (1690) wird John Locke genau diese Kategorie des Vertrauens be-
sonders betonen. Vertrauen aber braucht Begründung und Bekräftigung in
'vertrauensbildenden Maßnahmen', in vertrauensbildender Kommunika-
tion. In dieser Perspektive wird Politik generell zum kommunikativen Pro-
zeß. Kann man durch Kommunikation das Opfer vermeiden? Lessings
Nathan und Goethes Iphigenie gelingt dies. Diese Frage wird zu einer
zentralen Herausforderung für die Poetik der Tragödie im 17. und vor al-
lem im 18. Jahrhundert. Ein Musterbeispiel dafür ist Schillers verwickelter
Don Carlos. Das bloße Opfer-Ritual braucht dagegen keine Einfühlung,
keine emotionale Bindung des Subjekts.160

VIII. Neuer Mythos im Zeichen von Christentum und Subjekt-


philosophie: Schiller, Die Jungfrau von Orleans (1801)

Schiller nennt seine Tragödie Die Jungfrau von Orleans, an der er seit
Sommer 1800 arbeitet und die er ein dreiviertel Jahr später, im April 1801
abschließt, im Untertitel "Eine romantische Tragödie" und piaziert sie da-
mit - als Drama! - in einer aktuellen literarisch-ästhetischen Diskus-
sion.161 Das Attribut 'romantisch' vergibt Schiller schon 1796 für Goethes

159
Killy 1962, 65. - Man kann sich hier schon, wenn "ein jeder seinen Göttern / Auf
seine Weise dient", an Lessings Ringparabel erinnert fühlen. Lessing hat Corneille
bestens gekannt.
160
Ich habe dieses Problem in Braungart 2005a zu umreißen versucht.
161
Grundlegendes zu Begriff und Epoche bei Schmitz-Emans 2004; einführend und
grundlegend zu Schillers Drama: Guthke 1998; Zymner 2002, 114-129; Luserke-Jaqui
2005,311-333.
408 Wolfgang Braungart

Wilhelm Meister. An der Durchsetzung der Begriffe 'Romantik', 'Roman-


tiker' (zunächst für 'i?oma«schriftsteller' verwendet) zwischen 1800 und
etwa 1820 kann man beobachten, wie sich das Bewußtsein für eine ästhe-
tische und literaturgeschichtliche Zäsur, ja für eine neue Epoche allmäh-
lich konturiert. Das ist hier nun nicht nachzuzeichnen. Wichtig ist nur, daß
Schiller mit dem Untertitel zu verstehen gibt, er wisse schon, daß dieses
Drama wirklich etwas Neues versuche. Schiller war immer, auch mit die-
sem Drama, zugleich Erzähler von Geschichten und Geschichte: Histori-
ker, und Deuter von Geschichte: Philosoph, Darsteller der geschichtlichen
Ereignisse und Interpret auf die Prinzipien hin, die der 'philosophische
Kopf in ihr sieht. Das Neue ist, daß Schiller die Annahme des Leidens
durch das Subjekt als wirklichen Akt der Freiheit deutet und so mit dem
christlichen Konzept des Subjekts vereinbar macht. 'Romantisch' bedeutet
auch 'romanhaft', also vom Epischen und damit vom Geschichtlichen her
gedacht, in dem sich Freiheit ereignen muß.
Dieses Bewußtsein des Neuen und einer tiefen Zäsur bestimmt nun
ebenfalls die innere Struktur des Dramas. Das Drama ist als ein literari-
scher Deutungsbeitrag zur Konzeption von Geschichte und Kultur lesbar.
Johanna ist Tochter eines Landmannes. Sie wächst als Naturkind in einer
idyllisch-arkadischen Welt auf. Raimond, der um sie wirbt:

Oft seh ich ihr aus tiefem Tal mit stillem


Erstaunen zu, wenn sie auf hoher Trift
In Mitte ihrer Herde ragend steht,
Mit edelm Leibe, und den ernsten Blick
Herabsenkt auf der Erde kleine Länder.
Da scheint sie mir was Höhres zu bedeuten,
Und dünkt mirs oft, sie stamm aus andern Zeiten.
(Schiller, Die Jungfrau von Orleans, Prolog 2.73-79, meine Hervorhebungen)

Wie sie hier noch naiv, kulturell-geschichtlich von weit herkommend, in


"ihrer Herde" steht, wird sie, diese Postfiguration Marias und des apoka-
lyptischen Weibes ("Mit ihrer Sichel wird die Jungfrau kommen", Prolog
3.306; vgl. auch II/5 und 6), später "in Mitte" ihres Heeres stehen und in
der geschichtlichen Wirklichkeit angekommen sein. Dazu muß sie aus
dieser "andern" geschichtsfernen Welt heraustreten. Johanna selbst: "Lebt
wohl ihr Berge, ihr geliebten Triften, / Ihr traulichen stillen Täler lebet
wohl! / Johanna wird nun nicht mehr auf euch wandeln, / Johanna sagt
euch ewig Lebewohl" (Prolog 4.383-386). Der Abschied ist definitiv: "Jo-
hanna geht und nimmer kehrt sie wieder!" (392) Fast könnte man meinen,
M y t h o s und Ritual, Leiden und Opfer 409

hier das Echo von Thoas' Schlußwort "Lebt wohl!" aus Goethes Iphigenie
zu hören. Goethes (lebens-)geschichtliche Kontinuität in seinem Drama,
das das Opfer vermeidet, braucht äußerste kommunikative Anstrengung
und wird mit äußerstem, existenziellem Risiko erarbeitet. Iphigenie
möchte versöhnt gehen, und sie möchte als Freundin zurückkehren können
zu denen, von denen sie weggeht.
Noch spricht Johanna hier, zu Beginn des Dramas, wie ein kleines
Kind von sich in der dritten Person. Gleich wird sie aber 'ich' zu sagen
beginnen. Sie wird so dieser ihrer naiven Lebensphase gegenübertreten,
sich selbst zu begreifen anfangen, 'Ich' werden und sich der von ihr kulti-
vierten Natur bewußt werden: "Ihr Wiesen, die ich wässerte! Ihr Bäume, /
Die ich gepflanzet, grünet fröhlich fort!" (Prolog 4.387-388). Aus dem
naiven Landmädchen wird ein Individuum, das sich selbst weiß. Mit pro-
gnostischer Kraft und in Anklängen an die Sprache der Bibel prophezeit
Johanna die "Wunder", die sich in der politisch-geschichtlichen Welt unter
ihrer Führung ereignen werden: "Es geschehn noch Wunder - Eine weiße
Taube / Wird fliegen und mit Adlerskühnheit diese Geier / Anfallen, die
das Vaterland zerreißen" (Prolog 3.315-317). Das Erklärungskonzept
"Wunder" ist Johannas Antwort auf die aufgeklärte Diagnose Bertrands:
"Ach! Es geschehen keine Wunder mehr!" (314).162 Das "Wunder" liegt in
der wirklichen Ich-Werdung Johannas.
Das Drama entfaltet also das um 1800 vielfach - bei Hölderlin, Kleist,
Novalis - poetisch durchgespielte und philosophisch reflektierte, tria-
dische geschichtsphilosophische Konzept. Johanna tritt aus ihrem naiven
Zustand heraus und in die Selbst-Bewußtwerdung ein, durch die sie sich
zunächst selbst fremd wird. Zeichen dafür ist, mit der Entdeckung der
Liebe zum Feind, der Verlust des militärischen Erfolgs, zu dem sie am
Ende, nach einem neuen "Wunder", aber wieder zurückfindet. Dann hat
sie den ganzen Lauf der Selbsterkenntnis und Selbstwerdung durchlaufen.
Sie kommt nicht im unendlichen, paradiesischen Bewußtsein an (nach
dem Modell von Kleists Marionettentheater), sondern im vollen Selbst-
Bewußtsein. Geschichtsphilosophie ist für Schiller Subjekt-Philosophie,
"Wunder" ist die Metapher für die neue Qualität, die Johanna im Prozeß
ihrer Selbstwerdung erreicht. Am Ende ereignet sich das "Wunder" noch
einmal, als Johanna plötzlich aus dem Gebet neue unglaubliche Kraft ge-

162
Zum ' W u n d e r ' als zentralem romantischen M o t i v in S c h i l l e r s D r a m a auch
Zymner 2 0 0 2 .
410 Wolfgang Braungart

winnt, die Ketten ihres Kerkers sprengt, und als unter ihrer neuen Führung
das Kriegsglück zu den Franzosen zurückkehrt (V/11.3462-3476). Das
Legendenhafte, in das die Tragödie mutiert, hat die Forschung natürlich
bemerkt. Man könnte auch sagen: Es geschieht etwas, es ereignet sich et-
was, was nicht strategisch planbar war und was doch zu einer neuen Qua-
lität von Geschichte und Subjekt führt.
Kurz etwas genauer zu den einzelnen Schritten der Tragödie: Zunächst
entwickelt sich Johanna, nachdem sie ihre Heimat verlassen hat, zu einer
wahren 'Kampfmaschine' im Zeichen der Himmlischen Jungfrau, zu ei-
nem von jeder personalen Identität entfremdeten Schlachtenmonster. So
sieht sie sich selbst im Dialog mit Montgomery:

Betrogner Tor! Verlorner! In der Jungfrau Hand


Bist du gefallen, die verderbliche, woraus
Nicht Rettung noch Erlösung mehr zu hoffen ist.
Wenn dich das Unglück in des Krokodils Gewalt
Gegeben oder des gefleckten Tigers Klaun,
Wenn du der Löwenmutter junge Brut geraubt,
Du könntest Mitleid finden und Barmherzigkeit,
Doch tödlich ists, der Jungfrau zu begegnen. (II/7.1591-1598)

Johanna, die im Zeichen der Himmlischen Jungfrau, der sichtbaren, christ-


lichen 'Göttin' (Mythos!) angetreten ist, zitiert zwar die Kernvokabeln ei-
ner christlichen Mitleidsethik, die Lessing ins Zentrum seiner Poetik der
Tragödie gerückt hat. Aber das wäre ein vorbewußter Affekt, der eher
noch beim Tier zu finden wäre als bei dieser Furie Johanna. Das verweist
auf ein wichtiges poetologisches Problem der Tragödie Schillers, das bei
Lessing offengeblieben war: Woher soll die christliche Mitleidsethik denn
kommen? Lessing denkt sie nicht wirklich geschichtlich; er situiert sie
nicht geschichtlich. Die Entdeckung der Geschichte als einer substantiel-
len Kategorie verändert für Schiller und Hölderlin (bei diesem mit anderen
Konsequenzen) 163 die Poetik der Tragödie entscheidend. Das sozialethisch
notwendige Mitleid soll bei Lessing allein aus der richtigen Inszenierung
des Leidens entstehen. Das erlaubt Lessing den ziemlich selbstverständli-
chen Anschluß an die antike Poetik, die er christlich überformt! Johanna
aber hat die christliche Mitleidsethik noch nicht völlig für sich angenom-
men. Subjekttheoretisch und poetologisch: Das Selbst und die Gattung der

163
Vgl. Kurz 1977.
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 411

Tragödie, sie müssen sich beide das Christliche ganz anverwandeln, um zu


sich selbst zu kommen. 164
Gegenüber Lionel, dem letzten englischen Ritter, behauptet Johanna:
"Erleide, was du suchtest, / Die heiige Jungfrau opfert dich durch mich!"
(III/l0.2465-2466). Sie nimmt das archaische Opfermodell (das Goethes
Iphigenie durch Kommunikation demontiert) in einem christlichen Deu-
tungshorizont in Anspruch. Das weist Lionel zurück: "Warum nennst du /
Die Heiige? Sie weiß nichts von dir, der Himmel / Hat keinen Teil an dir"
(111/10.2479-2481). Und sie also auch nicht an ihm! So, als 'Kampf-
maschine', verwirkt sie ihren 'Teil am Himmel'. Lionels Sprache wird
hier ganz prosanah, hart und streng.
Johanna ist jedoch solange nur kämpfendes Monstrum, wie sie den
Blick der Individuation, der ein Blick der Liebe sein muß, nicht leistet und
erfährt. Erst als sie Lionel den Helm herunterreißt und dem Feind ins Ant-
litz schaut, sieht sie im Feind den Nächsten. In ihrem Blick auf den Ande-
ren und im Blick des Anderen auf sie wird sie selbst humanisiert und
humanisiert sie den Anderen. Lionel nach dieser Erfahrung: "Du rührst
[im 18. Jahrhundert eine poetologische Zentralvokabel] mich, du hast
Großmut ausgeübt / An mir allein, ich fühle, daß mein Haß /
Verschwindet, ich muß Anteil an dir nehmen!" (III/l0.2485-2487). Nicht
neustoische Magnanimitas. Und nicht Teilhabe am Himmel, sondern
Teilhabe am Nächsten! Das ist Säkularisierung: wirkliches Weltlich-
Werden des jüdisch-christlichen Gedankens. So wie Johanna Mitleid mit
dem Feind hat, so hat er Mitleid mit ihr. Hier entsteht Feindesliebe, wie sie
in den Versöhnungsszenen zwischen Franken und Burgundern zuvor
schon thematisch geworden war. Darin liegt das eigentlich 'Romantische',
nicht in den romantischen Motiven allein. Romantisch ist die
Überformung des Heroischen und der Dramaturgie der Bewunderung
durch das Mitleid, des Antikischen durch das Jüdisch-Christliche.
Gewiß: Johanna hat sich dabei in Lionel verliebt und damit ihr Gelüb-
de gebrochen:

Sollt ich ihn töten? Könnt ichs, da ich ihm


Ins Auge sah? Ihn töten! Eher hätt ich

164
Vielleicht rücke ich Schiller so ein wenig zu sehr an Hegel heran, weil Johanna
als Vollstreckerin einer geschichtlichen Aufgabe erscheint. Doch Johanna 'versöhnt'
nicht primär die geschichtlichen Antagonismen. Sie versöhnt sich zuallererst mit sich
selbst! Je allegorischer Schiller jedoch seine Figuren konzipiert (und er neigt dazu) und je
allegorischer man sie interpretiert, desto kleiner wird der Unterschied.
412 Wolfgang Braungart

Den Mordstrahl auf die eigene Brust gezückt!


Und bin ich strafbar, weil ich menschlich war?
Ist Mitleid Sünde? - Mitleid! Hörtest du
Des Mitleids Stimme und der Menschlichkeit
Auch bei den andern, die dein Schwert geopfert? (IV/1.2564-2570)

Aus der Verhaltensforschung wissen wir: Der im Kampf Unterlegene wird


in der Regel nicht getötet, wenn er seine Unterlegenheit zeigt. In die Keh-
le, die deutlich als Zeichen der Unterwerfung dargeboten wird, beißt ein
Hund nicht. Der Sinn dieser Szene liegt jedoch nicht in der Unterwerfung
und nicht bloß im Tötungsverzicht, sondern in der Deutung, die Johanna
der Szene gibt. Das ist Schiller! Wiederum werden nämlich die zentralen
Kategorien einer christlichen Ethik und einer christlichen Tragödienpoetik
- insbesondere Lessingscher Provenienz - förmlich ausgestellt. Subjektive
Liebe (nur du und ich!165) und Mitleid mit dem Feind verbinden sich völ-
lig. Und daraus entsteht eine auch historisch neue Gefühlsstruktur, die Jo-
hanna bis dahin ganz unbekannt war und sie verunsichert:

Wer? Ich? Ich eines Mannes Bild


In meinem reinen Busen tragen?
Dies Herz, von Himmels Glanz erfüllt,
Darf einer irdschen Liebe schlagen?
Ich meines Landes Retterin,
Des höchsten Gottes Kriegerin,
Für meines Landes Feind entbrennen? (IV/1.2542-2548)

Johanna scheint zu ahnen, daß aus diesem Gefühl auch eine neue Politik
hervorgehen müßte. Mit ihrem Tod am Ende stirbt auch die alte Politik.
Warum aber sollte sich Johanna eigentlich nicht verlieben? Ein deutlicher
Kommentar auch zu Kants Pflichtethik, bei der die Interessen des Subjekts
keine substantielle Rolle spielen dürfen! Die Liebe hat ihre auch ganz
subjektive Seite. Mit Schiller: Das Besondere, die partikuläre Subjektivität
'läutert' sich zur bzw. versöhnt sich mit der 'Idee'. In der Begegnung mit
Lionel auf dem Schlachtfeld und seiner Schonung verbinden sich ethische
Pflicht und Neigung des Subjekts, das sich in seiner eigenen 'Natur' er-
kennt (V/4) und 'ich' wird.
Die Feindesliebe stürzt Johanna nun ganz aus ihrer traumwandleri-
schen Naivität, die bis dahin ihren militärischen Erfolg gesichert hatte.
Das Glück der Schlacht verläßt sie. Jetzt weiß sie über sich selbst Be-

165
Vgl. Luhmann 1982.
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 413

scheid. Ihre Schuld, so versucht sie das zu begreifen, liegt in der Verfeh-
lung ihres Gelübdes zur imitatio Mariae. Sie will nun wieder, als gäbe es
einen Weg zurück, "eine Hirtin" werden: "Wie eine niedre Magd will ich
euch dienen" (IV/9.2935-2936), sagt sie, auf das Magnifikat anspielend.
Die Liebe zu Lionel war der Katalysator der Selbsterkenntnis. Ihre Schuld
liegt, sie ahnt es, in der Verfehlung christlicher Demut, in der Hauptsünde
der Superbia. Sie will diese Schuld büßen, indem sie aus dem geschichtli-
chen Prozeß, den sie selbst vorangetrieben hat, wieder heraustritt und in
die vorgeschichtliche Welt des naiven Landlebens zurückkehrt. Aber das
ist unmöglich; Geschichte ist nicht reversibel, auch nicht die des eigenen
Lebens. Wie Jesus gibt sich Johanna zu erkennen, als sie auch "in der
Öde" des Köhlers keine neue Sicherheit findet (V/4.3170), und läßt sich
von Isabeau fesseln (V/5). Wie Jesus am Kreuz will sie sich selbst nicht
helfen (V/5). Sie fordert die Soldaten auf, sie, "die kein Mitleid mit euch
trug" (V/6.3233), zu töten.
Indem sie sich in ihrer Schwäche begreift, erfährt sie das Romantisch-
Christliche ganz an sich selbst. Das Romantisch-Christliche ist keine naive
mittelalterliche Ideenwelt und keine abstrakte Ordnungskonzeption, son-
dern ganz Sache des Subjekts selbst. Deshalb hält es Johanna in der Ka-
thedrale, dem Ort des gemeinschaftsbildenden Kultes, auch nicht mehr aus
(IV/9). Die volle Einsicht in sich selbst gibt Johanna am Ende auf eine
'wunderbare' Weise ihre Stärke zurück. Im Tod ist sie endgültig rehabili-
tiert. Johanna findet zu sich selbst zurück: "Schmerzlos und ruhig wie ein
schlafend Kind" liege sie da, sagt der Herzog von Burgund (V/14.3509).
Ihr Lebenslauf schließt sich, der "Regenbogen", das Zeichen der Versöh-
nung zwischen Himmel und Erde, erscheint; "[d]es Himmels Friede spielt
um ihre Züge" (V/14. 3510). Der Tod ist ihre freie Selbsthingabe, und nur
so versöhnt und integriert er und erhebt Johanna zum gültigen Exempel.
Das Individuum geht unter. Das Allgemeine: der soziale Verband (Polis,
Staat), für Schiller: die 'Idee', scheinen zu triumphieren. Religionswissen-
schaftlich hat dies die Struktur des Opfers. Johanna unterwirft sich ganz
dem Willen Gottes. Das Gesetz, zu dem sie sich aber selbst frei entschei-
det, stellt sich also nicht nur als abstraktes Sittengesetz dar, sondern for-
muliert sich anschaulich als religiöse Hingabe. Simson, der alttestamentli-
che Held, ist Johannas Exempel für die Kraft, die ihr daraus zufließt. Die
religiöse Hingabe ist Johannas freier Entschluß. Sie verliert ihr Leben,
anders als Antigone, nicht in einem unauflösbaren Konflikt; sie bezwingt
'nur' sich selbst. Begründet wird durch Johannas Tat ein neuer, integra-
414 Wolfgang Braungart

tiver Mythos: der Johannas selbst. Der Schluß der Tragödie stiftet eine
neue christliche Mythologie und zeigt Schiller an der Seite der Romanti-
ker. Jetzt soll eine neue Geschichte beginnen, eine Geschichte nicht aus
archaischen Anfangen, sondern aus dem Geist der Versöhnung des Sub-
jekts mit sich selbst, mit (seiner) Geschichte und in der Aneignung des
christlichen Gedankens. Das ästhetische Spiel (auch der Tragödie) ist für
Schiller der Ort, wo, anders als im Ritual, im Leiden Freiheit eingeübt und
zugleich schon vollzogen wird.
Sofort nach der Arbeit an der 'romantischen Tragödie' beginnt Schiller
mit der - sehr konstruierten - Tragödie Die Braut von Messina. Sie ist sein
einziger Versuch, den Chor der antiken Tragödie wieder einzuführen.
Nach der Jungfrau von Orleans ist die Braut von Messina nun der Versuch
einer Aneignung des Griechisch-Antiken im Zeichen einer Poetik der
Freiheit des Subjekts.

Schlußsatz

Seit ihren Anfängen entwickelt sich in der Gattung der Tragödie und ihrer
Poetik diese strukturelle Spannung: zwischen individuierendem Leiden
des Subjekts und dem Opfer für einen höheren Wert: die Götter, die Ge-
meinschaft, die Polis, den Staat. Das Opfermodell hat auch für die neuere
Literatur nicht unbedingt an Attraktivität eingebüßt. Nur traut man ihm
nicht mehr als einem verläßlichen, institutionalisierten Ritual. Es wird
nicht einfach appliziert, genausowenig wie der Mythos im religiösen Ri-
tual. Auf diese Struktur von Leiden und Opfer als 'Subtext' der Tragödie
aufmerksam zu werden, hilft, die Spannungen zwischen Anthropologie
und Geschichtlichkeit der Tragödie präziser zu beschreiben: also den
historischen Sinn und die historische Ausformung eines anthropologischen
Grundproblems im theatralen Spiel.

Wolfgang Braungart
Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft, Universität Bielefeld
Mythos und Ritual, Leiden und Opfer 415

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Index locorum Graecorum et Latinorum

8.12-14.4 271; 272


Achilleus Tatios
1.1.2-13 266; 282; 310 Aelian (Domingo-Foraste)
1.12-14 273 fr. 101a 95
1.15.1-6 271 fr. lOlf 95 Anm. 10
2.1 271 fr. 102 126 Anm. 57
2.2 291
Aischines
2.2-2.3 270
Or. 3.66-67 126 Anm. 57
2.7 309
2.12.2 282 Aischylos
2.12.3 282 A. 176-181 377
2.13 282 A. 1152-1153 277 Anm. 111
2.13.1-3 278 CA. 168-169 302 Anm. 153
2.14 282 CA. 226 302 Anm. 153
2.15 282 Pers. 50 6
2.15.4 282 Pers. 598-680 308
2.18 282 Pers. 681-842 309
2.23-24 272 Fragmente: TrGFZ = Radt
2.23.4-2.29 272 fr. 221-224 10 Anm. 37
2.35-36 273
2.38 273 Akesander (FGrH 469 = Jacoby)
fr. 4 154 Anm. 44
3.6.3-3.7 266
3.15-16 272; 273; 278 Alkman (Davies)
3.15-22 266 Anm. 81; 278 fr. 1 267 und Anm.
3.17.4 273
3.17.4-3.22 273; 278 Antigonos von Karystos
4.9-10 272 Mirabilia 75 207
4.9.2 268; 272 Mirabilia 129 208 Anm. 20
5.2.1 286 Anm. 119 Antoninus Liberalis
5.3-5 337 35 217 Anm. 54
5.3.4-8 266 39 224 Anm. 76
5.7.2 286 Anm. 119
5.14.2-4 303 Apollodor
5.15-16 303 Bibliotheca 1.5.1 5 Anm. 21
6.1.2-3 273 Bibliotheca 2.1.4 154 Anm. 45
7.12.2-4 302; 303 Bibliotheca 3.26-27 10 Anm. 37;
7.12.4 302 Anm. 38
7.13.2-4 301
Apollonios Rhodios
7.14.1-3 302
1.496-511 145
7.15.1-2 302
1.1063-1069 146
7.16.2 302
1.1084-1102 146
7.16.2-4 302
1.1117-1124 146
8.1-3 302
1.1127-1133 146-147
8.4.1-5.8 302
1.1134-1138 147
8.7.6 302
1.1138-1139 147
8.8 302
1.1141-1149 147
8.8.6-12 302
2.404-405 149
8.9 302
426 Index locorum

2.508-509 149 454 349 Anm. 36


2.511-514 149 455 349 Anm. 36
2.519-524 149 724 351
2.522-527 149 Drosilla und Charikles
4.1552-1555 150 6.472-480 351 Anm. 40
4.1732-1764 150 Kallimachos und Chrysorrhoe
schol. L 1.636a lOAnm. 37 423-438 350 Anm. 39
schol. 2.498 152 Anm. 38
Chariton
Aristophanes 1.1.1 293; 294
Pax 1339 270 Anm. 94 1.1.2 292; 294
Ra. 72 99 Anm. 17 1.1.4 270
Ra. 145-168 104 Anm. 25 1.1.16 292
1.2-1.3.2 270
Aristoteles
1.4.12 273
Cael. 2.13; 295bl 1-17 1.6.2 292
114 Anm. 39
1.6.5 270
HA 3.9.517a28-29 207 Anm. 16
1.8.1 273
Ph. 199a 375 Anm. 68
1.14.1 292
Po. 1448b5-8 398 Anm. 141
2.2.2 294
Po. 1450b 24-25 367
2.2.6 292; 296
Po. 1451 a-b 44
2.3.6 292
Fragmente: Rose
2.3.8 269
fr. 490 227 Anm. 88 2.4.8 292
Arnobius (Marchesi) 2.5.7 292
Adv.Nat. 5.18 210 Anm. 33 2.6.1 292
3.2.14 292; 296
Artemidor 3.2.15 292
On. 5.9 95 Anm. 10 3.2.15-17 293
Athenaios 3.2.17 292; 296
3.1.1 167 Anm. 72 3.3.5 292
7.295b-297c 227 Anm. 88 3.6.3 297
3.6.3-4 292
Bakchylides (Snell-Maehler) 3.6.4 297
16.23-35 17 Anm. 50 3.9.1 292
4.1.8 292
Byzantinische Romane
4.1.10 297
Belthandros und Chrysantza
4.1.11-12 298
238 346
4.7.5 292
243-483 347
5.2.8 292
259-261 347
5.9.1 292
292 349 Anm. 36
6.3.4 292
295 349 Anm. 36
6.4.6 292
308 349 Anm. 36
8.1.2 292
313 349 Anm. 36
8.1.3 292
316 349 Anm. 36
8.6.11 292
320 349 Anm. 36
326 349 Anm. 36 Cicero
333 349 Anm. 36 Ac. 1.3 211 Anm. 35
337 349 Anm. 36 Att. 12.45.3 229 Anm. 96
355-360 349 Att. 13.28.3 229 Anm. 96
384-388 349 Inv. 1.23 185 Anm. 42
405 349 Anm. 36 N.D. 2.62 229
421-425 350 N.D. 3.56 59 Anm. 59
442-459 350 Ver. 2.1.54 224 Anm. 78
Index locorum 427

Clemens von Alexandria (Stählin-Früchte 1) Doxopatres (Walz)


Strom. 5.32.1-34.5 341 509 338 Anm. 7
Strom. 5.37.1-41 341 512 339 und Anm. 9

Corpus Inscriptionum Latinarum = CIL Empedokles (31 Diels-Kranz = DK)


1.2 189.1 230 Anm. 99 Β 134 82 Anm. 122
1.2 189.4 230 Anm. 98
Ephoros (FGrH 70 = Jacoby)
1.2 325 224 Anm. 78
fr. 9 183 Anm. 33
Damaskios Τ 8 183 Anm. 32
In Phaedonem 561 123 Anm. 49
Etymologicum Magnum
Demokrit (Diels-Kranz = DK) s. ν. Δεξίων 126 Anm. 57
fr. 118 206 Anm. 11
Euripides
Demosthenes Ba. 73 99 Anm. 17
60.30 68 Anm. 86 Ba. 861 291
Hei. 1307 68 Anm. 86
Dio Cassius 68 Anm. 87
Hei. 1307
43.45.3 229 Anm. 96 395
IA 1552-1556
Diodor
Galen (Corpus Medicorum Graecorum =
1.2.2 197
CMG = Wenkebach)
1.5.1 184 10.2.1 606-607 167 Anm. 74
1.28.2-4 159 Anm. 61
3.64 10 Germanos (Meyendorff)
4.2.2 10 56.1 341 Anm. 15
19.79.5 224 Anm. 76
Heliodor
Diogenes Laertios 1.1.1 314
3.45 127 Anm. 60 1.1-4 295
1.2 295
Dionysios von Halikarnaß 1.9-12 272
Antiquitates Romanae 1.9-17 272
1.2.2 183 272
1.10.2
1.5.3 195 285
2.28
1.39-42 191 2.29.2-2.33.5 318
1.41.1 191 2.33.4-5 318
1.55.1 191 Anm. 57 2.34-3.3 303
1.64.4-5 228 Anm. 91 2.34.3-2.35.1 271; 318
1.67.1-4 192 2.35.5 314-315
1.67.4 193 3.1.3-3.3 318
1.67.4-68.1 193 Anm. 65 3.4.1-6 318
1.68.1-69.4 193 3.7.2-3.8 306
1.77.2 191 Anm. 59 270
3.10.3
1.77.3 194 und Anm. 67 3.16.3-4 308
2.19.1-2 194 3.18.3 306
2.20.1-2 194 Anm. 67 306
3.19.2
2.21.1 194 Anm. 68 306
4.5.1
2.56 229 Anm. 93 4.5.3 306
2.56.2 191 Anm. 59 4.5.4 306
2.61.3 194 Anm. 67, 306
4.5.6
Anm. 68 306
4.7.13
2.68.1-2 194 Anm. 67; 310;
4.8
Anm. 70; 195 311 Anm. 180
8.56 194 Anm. 70 317
4.8.1-5
8.56.1 195 307
4.8.1-8
8.56.4 191 Anm. 57; 195
428 Index locorum

4.8.3-5 266 1.53.1 55 Anm. 52


4.8.6 318 1.60.3-5 70 Anm. 93
4.12 307 1.73-74 22
4.13.4 307 1.86-87 3
5.22.1-3 290 1.91 46 Anm. 19
6.10 308 1.96-101.1 30
6.11.3-4 308 1.105.4 47 Anm. 27
6.12.1 308 1.107-122 30 Anm. 77
6.12.2 308 1.119 22
6.14.2 308 1.119.2 9 Anm. 34
6.14.3-15.3 308 1.131 17 Anm. 47;
6.15.4 308 46 Anm. 18;
6.15.5 308 47 Anm. 24;
9.9.2 286 48 Anm. 31
9.9.2-5 285 1.157-160 46 Anm. 21
9.10.2 285 1.181-182 55 Anm. 51
9.10.2-9.11.2 286 1.183 46 Anm. 18
9.12.2 286 1.183.3 15
9.22.2 285 1.189 23 Anm. 66
9.22.2-6 286 1.189-190 23
9.22.6 286 1.204-214 30 Anm. 77
9.22.7 286 1.216 46 Anm. 18
10.1.2 286 Anm. 117 2.3 56 Anm. 53; 71
10.8-9.4 271; 272 2.3.2 50-51;
10.14.7 266 54 Anm. 49;
10.27-32 271 56 Anm. 53; 70
10.36.3 314 2.4.1 51; 54
10.41.2 310; 315 2.23 70 Anm. 93
10.41.4 313; 314; 316 2.39-40 46 Anm. 18
2.41.2 74 Anm. 103;
Heraklit (22 Diels-Kranz = DK) 225 Anm. 82
Β5 82 Anm. 122 48 Anm. 31
2.42
Β 88 127 Anm. 59
2.42.4-6 74 Anm. 103
Hermesianax (Powell) 2.43.1 75
fr. 4 224 Anm. 76 2.43-45 55 Anm. 51;
75 Anm. 105; 77
Hermogenes (Rabe) 2.44.1 41
23 338 2.44.4 75 Anm. 108
24 343 2.44.5 75 Anm. 107
242-246 344 Anm. 22 2.45 75
Herodas 2.45.3 76 Anm. 109,
1.26 166 Anm. 71 Anm. 110
4.11-18 95 Anm. 10 2.46 74 Anm. 103
2.46.2 57
Herodot 2.47.1 57
1.5.3 177 2.47.2 57; 62 Anm. 70
1.19.1-2 47 Anm. 27 2.48 57 Anm. 57; 58
1.24 22 2.48-49 79 Anm. 117
1.26 46 Anm. 21 2.49 79
1.31 5 2.50.1 48 Anm. 31;
1.32 47 Anm. 28 51 Anm. 36
1.34.1 47 Anm. 27 2.50.3 74 Anm. 104
1.43-44 6 2.51.2 59; 66
1.45 6 2.51.4 58
Index locorum 429

2.53 49; 79 3.50-53 4


2.53.2 70 Anm. 92 3.97 48 Anm. 31
2.58-63 59 3.115.2 70 Anm. 93
2.59 48 Anm. 31 3.157.3 9 Anm. 34
2.61.1 59; 194 Anm. 66 4.33-35 203
2.62.2 59 4.59.1-2 48 Anm. 31
2.63 55 Anm. 51 4.60 46 Anm. 18
2.65 56 Anm. 53 4.61 48 Anm. 31
2.65.2 52-53; 184 4.78-80 47 Anm. 24
2.81.1-2 60 4.79 55 Anm. 51
2.86.2 60; 68 Anm. 86; 4.84 14
194 Anm. 66 4.84.2 9 Anm. 34
2.91.2 76 Anm. 112 4.87-89 23 Anm. 66
2.91.3 55 Anm. 51 4.96.2 54 Anm. 47
2.113 46 Anm. 21 4.103 46 Anm. 18
2.116 70 Anm. 93 4.108 48 Anm. 31
2.120.5 47 Anm. 27 4.118 23 Anm. 66
2.122.1 53 Anm. 44 4.157 153 Anm. 40
2.122-123 55 Anm. 51 4.158 153 Anm. 41
2.123.1 54 Anm. 47 4.181.2 74 Anm. 103
2.132.2 60 4.188 46 Anm. 18
2.142-146 55 Anm. 51 5.7 48 Anm. 31
2.142.3 77 5.32 9 Anm. 34
2.143 77; 80 Anm. 121 5.49.7 17 Anm. 47
2.143.4 77 Anm. 115 5.71 46 Anm. 21
2.144.1 77 Anm. 115 5.92α-ε 22
2.144.2 78 5.119 46 Anm. 18
2.145 79 Anm. 119 6.53.1 76 Anm. 111
2.145.1 78 6.53.2 76
2.145.4 78 6.54.1 77 Anm. 113
2.145-146 75 Anm. 105 6.63-69 21
2.146 9 6.73-75 47 Anm. 27
2.146.1 54 Anm. 47; 78; 6.79 46 Anm. 21
79; 80 6.82.2 74 Anm. 103
2.146.2 80 6.91 46 Anm. 21
2.153 225 Anm. 82 6.98 55 Anm. 51
2.156 48 Anm. 31; 6.105.1-2 179; 184 Anm. 38
55 Anm. 51 6.105.3 55 Anm. 51
2.170.1 60 6.127.3 55 Anm. 51
2.170-171.1 194 Anm. 66 6.134 47 Anm. 27
2.171.1 62 Anm. 70; 6.137.3 269
64 Anm. 73 7.3 33 Anm. 82
2.171.1-2 60 7.8γ.1 15
2.171.2 61 7.8γ.3 6
2.171.3 61 Anm. 66 7.10 47 Anm. 28
2.210 3 7.12-18 6
3.8 48 Anm. 31 7.20.2-7.21.1 178 Anm. 15
3.27.1 225 Anm. 82 7.22-24 23 Anm. 66
3.28.2 225 Anm. 82 7.27-29 14
3.35.3 9 Anm. 34 7.33 3
3.37.2-3 74 Anm. 103 7.34-37 23 Anm. 66
3.38 47 Anm. 24 7.37.3 9 Anm. 34
3.40 47 Anm. 28 7.38-39 14
3.48 4; 46 Anm. 21 7.40.4 15
430 Index locorum

7.54 46 Anm. 17 Carm. 2.1 184 Anm. 38


7.56.2 16 Ep. 1.20.1 224 Anm. 78
7.114 15 Anm. 44
Hygin
7.129.4 55 Anm. 51
Fab. 167 10 Anm. 37,
7.134-137 47 Anm. 27
Anm. 38
7.141 46 Anm. 21
Fab. 179 10 Anm. 37,
7.150.2 76 Anm. 112
Anm. 38
7.170-171 178 Anm. 16
7.215 9 Anm. 34 Inscriptiones Graecae = IG
8.13 55 Anm. 51 4.1 ed. minor 41.6 95 Anm. 10
8.20 46 Anm. 19
8.65 46 Anm. 20; Ioannes von Damaskus (Patrologiae
68 Anm. 87 Graecae = PG = Lequien)
46 Anm. 19 94.1241b 343 Anm. 19
8.77
8.96 46 Anm. 19 94.1247c 343 Anm. 19
8.111 19 Joseph Rhakendytes (Walz)
8.115 15 Anm. 45 497 344 Anm. 22
8.118 14
9.33-35 34 Isidor
9.43 46 Anm. 19 Etym. 15.1.77 154 Anm. 44
9.49.1 9 Anm. 34
Julian
9.65 47 Anm. 27 Gal. 235b 126 Anm. 57
9.65.2 54 Anm. 47;
55 Anm. 51 Kallimachos (Pfeiffer)
9.108-113 8 Aet. 2 fr. 43 56 162
9.109.3 9 Anm. 34 Aet. 2 fr. 43 84-85 163
9.116-120 3 Aet. 3 fr. 55 159 Anm. 62
Aet. 3 fr. 75 26-27 149
Hesiod Aet. 3 fr. 75 32-34 149
Op. 826 99 Anm. 17 Aet. 3 fr. 75 50-52 163
Th. 126-130 145 Anm. 16 Aet. 3 fr. 75 54-58 148
Th. 338 154 Anm. 46 163
Aet. 3 fr. 75 54-59
Fragmente: Merkelbach-West 149
Aet. 3 fr. 75 62-63
fr. 25.14-19 17 Anm. 50 Aet. 3 fr. 75 74-77 163
Hippokrates (Littre) Aet. 4 fr. 100 4 159
Ep. 2 ( 1 X 3 1 4 16) 95 Anm. 11 Aet. inc. lib.
fr. 178-185 160
Homer fr. 178-185 6 161
II. 2.484-486 177 fr. 178-185 10 161
II. 9.527-605 28 Anm. 74 fr. 178-185 11-12 161
II. 21.211-384 23 fr. 178-185 20 161
II. 22.79-89 5 Anm. 21 fr. 178-185 21-22 161
II. 24.58-61 5 Anm. 21 fr. 178-185 30 162 Anm. 67
Od 1.23-24 312 schol. Aet. 3 fr. 55 159 Anm. 62
Od. 11.51-627 309 Epigr. 21 151 Anm. 34
Epigr. 28 157 Anm. 52
Homerische Hymnen
h.Bacch. 1.4-7 10 Anm. 37 Epigr. 35 151 Anm. 34
h.Bacch. 7 23 Anm. 65 Hymnen:
h.Cer. 231-274 5 Anm. 21 Ap. 75-78 152
h.Cer. 418 267 Ap 88-89 153 Anm. 41
h. Cer. 419 269 Ap. 91-95 152-153
Ap. 92 154
Horaz Ap. 110-112 157
Ars 333 251 Del. 98 156
Index locorum 431

Del. 110-112 157 2.1-2.2.2 283


Del. 206-208 168 2.3-6 301
Dian. 183-184 157 Anm. 57 2.4-6.2 289
Dian. 183-186 157 2.7.1 301
Dian. 189-258 158 2.8.5 300
Jov. 29-41 148 2.22 299
Jov. 52 147 Anm. 20 2.23 290
Lav.Pall. 47-48 160 2.23.4 299
Lav. Pall. 140-143 160 2.25.3-2.29 289
Sos. 21-26 164 2.27 299
Sos. 28-34 165 2.27.2 299; 300
Sos. 44-45 165 2.31-32 270; 283
Sos. 47-49 165 2.31-37 283
Fragmente: 2.34 274
fr. 190 225 Anm. 80 2.36.1 283
fr. 199 59 Anm. 59 2.36-37 270
fr. 383 159; 160 2.37 300
fr. 383 16 159 Anm. 63 2.38.1 300 Anm. 146
Supplementum Hellenisticum = SH 2.38.3 300 Anm. 146
Victoria Berenices 254-265 2.39.1 300 Anm. 146
215 Anm. 50 2.39.5-6 300 Anm. 146
3.3 287
Leges sacrae (= LSCG)
3.4.2 273; 283
60.18-23 95 Anm. 10
3.9.2 283; 287
Libanios 3.9.5 287
Ep. 695.1-2 126 Anm. 57 3.10.1 283; 287
3.11.1-2 283; 287
Livius 3.14.5 270
1.2.6 228 Anm. 91 3.19.2-3 272
1.3.2 193 Anm. 62 3.23 274
1.4.1-2 186-187 3.24.3 272; 274
1.7.3 187 3.25.4 284
1.7.4-15 187 3.29.1 284;287
1.7.10 187 3.33.4 270 Anm. 94
1.7.15 188 und Anm. 48 3.33.4-3.34 284
1.16.4 229 Anm. 93 3.34.1 270 Anm. 94
1.21.3 222 Anm. 68 4.1.1 284
5.40.9-10 192 Anm. 61 4.5 270
5.52.8 193 4.11.2-4.12 273
44.16.10 224 Anm. 78 4.16.1-4.19.2 273
praef. 6 184-185 und 4.17 270
Anm. 40 4.33.1 270; 284
praef. 7 185 4.33.2 270 Anm. 94
praef. 8 185 Anm. 40 4.38 270; 284; 287
praef. 9 186 4.39.2 310
praef. 9-10 186 4.40.2-3 284
praef. 13 184 4.40.3 274
Lollianos (Henrichs) praef. 1 310
Β 1 recto 279 praef. 3 264; 299
Β 1 verso 279 Lukian
Longos Herod. 1 46 Anm. 16
1.27 274 VH 2.39 23 Anm. 65
2.1-2 270 (-7/2.41 23 Anm. 65
432 Index locorum

Macrobius Met. 1.450-451 215


6.5.13 227 Anm. 88 Met. 1.452-567 215
Met. 1.557-563 215
Makrembolites
Met. 1.615-623 18 Anm. 52
Hysmine undHysminias 3.1
Met. 1.738-749 216
351 Anm. 41
Met. 1.747-759 225
Meliteniotes Met. 3.253-315 10
Temp. 351-353 353 Anm. 45 Met. 3.256-315 9
Met. 3.283-286 11
Menekrates von Xanthos (FGrH 769 = Met. 3.293-295 11
Jacoby) Met. 4.531-542 225
fr. 769.2 217 Anm. 54 Met. 4.539-542 216; 226
Neues Testament Met. 6.313-381 214
1. Kor 4.16 379 Met. 6.319-320 217
2. Kor 5.17 399 Met. 6.325-326 217
Joh 4.7-26 386 Anm. 108 Met. 6.326-330 217
M t 6.14-28 20 Anm. 56 Met. 6.329-330 214
Mt 14.1-12 20 Anm. 56 Met. 6.333-337 203
Mt 19.19 383 Met. 8.87-88 218
Mt 2239 383 Met. 8.612-613 218
Rom 5.12 381 Met. 8.614-615 219
Met. 8.616-724 218
Nonnos Met. 8.617-618 219
D. 8 10 Anm. 37, Met. 8.621 219
Anm. 38 Met. 8.722-724 214
Met. 8.724 219
Olympiodor
Met. 9.6-86 218
Vit.Pl. P. 6.195.11·•12 127 Anm. 60
Met. 9.241-261 226
Orphika (Bernabe) Met. 9.265-272 226
fr. 463 Τ 127 Anm. 59 Met. 13.919-965 227
fr. 485 127 Anm. 59 Met. 13.950-955 227
fr. 485.1-2 99 Met. 14.159 222 Anm. 69
fr. 486.1-2 99 Met. 14.310-315 221
fr. 488-491 103 Anm. 23 Met. 14.316-317 221
fr. 488.5 100 Anm. 20 Met. 14.318 221
fr. 488.9 99 Met. 14.319-434 221
fr. 576 103 Anm. 24 Met. 14.388-396 221
Hymnen: Quandt Met. 14.390-391 221
H. 67 126 Anm. 58 Met. 14.432-434 221
Met. 14.434 222
Ovid
Met. 14.581-608 227
Fast. 1.1-2 211
Met. 14.581-582 227
Fast. 1.7-8 212
Met. 14.585 228
Fast. 1.581 226
Met. 14.596-605 228
Fast. 2.7 212
Met. 14.605 228
Fast. 2.475-512 229
Met. 14.607-608 228
Fast. 3.291-322 222 Anm. 71
Met. 14.623-624 223
Fast. 3.723-726 212
Met. 14.623-771 223
Fast. 5.545-598 230
Met. 14.694-697 223
Fast. 6.395-416 224
Met. 14.699-761 223
Fast. 6.473-568 226
Met. 14.759-762 223
Fast. 7.735-769 225 Anm. 80
Met. 14.808-821 228
Met. 1.199-205 226 Anm. 85
Met. 14.824-828 228
Met. 1.240-252 374 Anm. 66
Met. 15.492-546 225
Met. 1.438-447 215
Index locorum

Met. 15.745-746 225 Fragmente: Snell-Maehler


Met. 15.749-750 230 fr. 7 0 a l l 99 Anm. 17
Met. 15.818-819 230-231 fr. 137 99 Anm. 17
Met. 15.840-841 231
Piaton
Met. 15.840-842 231
Ap. 20e7-21e 94
Met. 15.845-850 231
Chrm. 155e 107 Anm. 30
Met. 15.868-870 231
Chrm. 155e5-9 123
Met. 15.877 233
Chrm. 156d 107 Anm. 30
Pont. 2.7.35 226 Anm. 83
Chrm. 156d8-el 126 Anm. 56
Pont. 4.8.55-56 209 Anm. 28; 224
Cra. 400c 100 Anm. 19;
Tr. 4.10.43 209 Anm. 25
109 Anm. 31
Pausanias Cra. 400c4 100
1.21.4 95 Anm. 9 Cra. 403e7-404a2 104 Anm. 26
1.22.3 269 Cra. 405a6-406a6 94
1.38.7 339 Anm. 11 Ep. 7.335a2 109 Anm. 31
2.26.8 95 Anm. 11 Grg. 459b 124 Anm. 52
2.35.11 339 Anm. 11 Grg. 475d 124
6.26.4-5 58 Anm. 59 Grg. 478al-bl 124 Anm. 52
7.21.1 269 Grg. 480a-c 124 Anm. 52
9.22.6-7 227 Anm. 88 Grg. 493a3-b2 105 Anm. 27
Grg. 493a7 105 Anm. 27
Pherekydes (FGrH 3 = Jacoby)
Grg. 497c 105 Anm. 27
fr. 57 154 Anm. 43
Grg. 523a-527a 92
Philikos von Kerkyra (Supplementum Grg. 525a7 100 Anm. 19
Hellenisticum = SH) La. 185e4 124 Anm. 52
fr. 677 166 Lg. 4.720a-e 124 Anm. 53
Lg. 5.735b 104 Anm. 26
Philostrat (Kayser) Lg. 6.762c5 100 Anm. 19
VA 4.18 95 Anm. 11 Lg. 9.857c-d 124 Anm. 53
Philostrat der Jüngere Lg. 9.870d5 109
Im. 2.15 227 Anm. Lg. 10.903b-905d 92 Anm. 2
Mx. 238b 68 Anm. 86
Phokas (Patrologiae Graecae = PG = Du Phd. 58b5-6 94
Cange) Phd. 58e3 100
133.928b 342 Phd. 58e3-4 96
133.957c-d 342 Anm. 18 Phd. 58e5-6 96
Phd. 59e6 99 Anm. 18
Photios (Patrologiae Graecae = PG = Wolf)
Phd. 59e6-7 97
101.586a 343 Anm. 21
Phd. 60a 1 99 Anm. 18
Phylarchos (FGrH 81 = Jacoby) Phd. 61 b 1 -3 94
fr. 16 154 Anm. 44 Phd. 61dl0-e3 97
Phd. 61el-2 131
Pindar
Phd. 61e2 101
0 . 2.25-26 10 Anm. 37
Phd. 62b 98
P. 4.33 152 Anm. 37
Phd. 62b3 109
P. 4.33-36 150 Anm. 27
Phd. 62b3-4 97
P. 4.294 153 Anm. 41
Phd. 62b3-6 100
P. 9.7 154
Phd. 62b4-5 97
P. 9.14-18 154
Phd 62b7 97
P. 9.18-25 152
Phd. 63c2-3 97
P. 9.26-28 152
Phd. 63c6-7 98
P. 9.30-32 153
Phd. 63c8-64a3 102
P. 9.51 154
Phd. 63e8-64a2 98
P. 9.65 154
434 Index locorum

Phd. 64a2 116 Phd. 109a7 131


Phd. 64c-69e 103 Phd. 109a9-l 1 lc5 114 Anm. 39
Phd. 67a5-6 102 Phd. 109b7 114
PW. 67a8-67bl 103 Phd. 109e2-3 114
FW. 67b 1-2 103 Phd. llObl 113; 115
Ρω. 67dl-2 102; 99 Anm. 18 Phd. 11 Ob 1-5 131
Phd. 69c 1-3 104 Phd. 110b5-l 1 lc3 115
P/irf. 69c5 103 Phd. 11 la3 115; 117
Ρω. 69c6-7 103 Phd. 111 c4-113c9 115
Ρω. 69c7 104 Phd. 11 lc5-l 13c9 114 Anm. 39
Ρω. 69c8 103 Anm. 24 Phd. 112a-114b 116
Ρω. 69e6-77e9 106 Phd. 114b6-7 116
PM 69e6-84b8 106 Phd. 114b6-c8 96
PW. 70c5-6 106 Phd. 114b8-cl 117
Phd. 70c5-9 109 Phd. 114c 116
Ρω. 72d7-e2 107 Phd. 114c 1-2 116
Ρω. 77e8-78a9 124 Phd. 114c5 118
Ρω. 80c-84b 108 Phd. 114c7-8 116
Ρω. 81b-83e 104 Anm. 25 Phd. 114c8 100; 116
Phd. 81d3-4 99 Anm. 18 Phd. 114c8-9 98
Ρω. 81d8-9 108 Phd. 114d III
PW. 82e-84b 109 Phd. 114d6 116
Phd. 84a-b 110 Phd. 114d7 124; 131
Phd. 84b 1-8 110 Phd. 114d-e 113; 115
Phd. 84c-88b 98 Anm. 13 Phd. 114e3-l 15a3 122
PM 84c-91d 111 Phd. 115a5-l 18al7 121
Ρω. 84e-85c 111 Phd. 115d4 96; 122
Ρω. 84e3-85b9 94 Phd. 117c2 101; 120
PW. 85b4-6 111 Phd. 118a7-8 94; 123
Phd. 89a5 124 Phdr. 244e 104 Anm. 26
Phd. 89d 111 Phdr. 245c5-246a2 130
Phd. 92al 99 Anm. 18 Phdr. 246a-256e 92
Phd. 95e-107b 111 Phdr. 246a4-6 120
Phd. 96a-102a 98 Anm. 13 Phdr. 246a6-256el 130
Phd. 99c9-d2 111 Phdr. 248c3 115 Anm. 41
Phd. 99d 111 Phdr. 249b6-c6 118
Phd. 99d-107b 118 Phdr. 249c2 115 Anm. 41
Phd. 100b5-7 112 Phdr. 249c5-65 100 Anm. 21
Phd. 101a-e 112 Phdr. 250b5-c6 115 Anm. 41
Phd. 101 d-e 112 Anm. 35 Phdr. 250b6 100
Phd. 102b-106e 112 Phdr. 250c3 100
Phd. 102b-107b 113 Phdr. 250c5-6 100 Anm. 19
Phd. 103e3 112 Anm. 33 Phdr. 253al-5 100 Anm. 21
Phd. 104c7 112 Anm. 33 Phdr. 274c-275b 130
Phd. 106e9-107al 113 Phdr. 276e-277e 100 Anm. 21
Phd. 107b3-9 112 Phlb. 16c 132 Anm. 69
Phd. 107d5-l 15a9 113 Phlb. 16c5 100 Anm. 21
Phd. 107d5-6 113 Prt. 313e2 124 Anm. 52
Phd. 107e2 120 R. 2.363c-365a 104 Anm. 25
Phd. 108c8 114 R. 2.382d 307
Phd. 108d4-e2 120 R. 3.389b 307
Phd. 108e 1 -5 131 R. 3.414bc 307
Phd. 108e4-109a8 114 Anm. 39 R. 4.426b 107 Anm. 30
Phd. 108e5 114 Anm. 39 R. 4.443el 119 Anm. 47
Index l o c o r u m 435

R. 4.445c5-6 119 Anm. 47 Poseidonios (Edelstein-Kidd)


R. 6.498b8-c4 101 fr. 44 182 Anm. 28
R. 6.500dl 101
Properz
R. 6.509d-51 le 112 Anm. 35
2.33.7-15 225 Anm. 82
R. 7.526e3 100
R. 7.532
4.1.64 211
112 Anm. 34
R. 8.567c
4.1.69-70 211
104 Anm. 26
4.9 218 Anm. 56
R. 10.608a 107 Anm. 30
R. 10.61 Id 227 Anm. 88 Protagoras (80 Diels-Kranz = DK)
R. 10.61 ld2 118 Anm. 46 Β4 55 Anm. 52
R. 10.614b-621b 92
Smp. 180d6-9 308 Pseudo-Aischines
Smp. 210a 112 Anm. 35 Ep. 10 269
Smp. 215a6-b3 101 Pseudo-Kebes
Smp. 215b 122 Anm. 48 Tabula 340
Sph. 227c 104 Anm. 26
Sph. 23 Od 106 Anm. 28 Pseudo-Longin
Sph. 249a 100 deSubl. 13.3 43 Anm. 6
Tht. 176a5-177a8 119 Quintilian
Ti. 29d 132
Inst. 12.11.27 209 Anm. 25
Ti. 40d 132 Anm. 69
Ti. 47b 1 100 Anm. 21 Servius (Thilo-Hagen)
Ti. 55c 115 Anm. 42 1.4.4-6 182 Anm. 28
Ti. 68d 132
Ti. 69b Sextus Empiricus
132
Ti. 69c-d P. 3.220-221 95 Anm. 10
113 Anm. 37
Ti. 90b 113 Anm. 37 Sophokles
Ti. 90c-d 113 Anm. 37 Ant. 1005-1013 388
Ti. 90c-e 124 Anm. 52 Ant. 1116-1117 10 Anm. 37
Ti. 90d5 118 Ant. 1139 10 Anm. 37
OT 58-64 390-391
Plinius der Ältere
OT 1340 391
Nat. 28.12 189
OT 1414-1415 393
Plutarch OT 1419-1421 393
Moralia OT 1436 391
109a 5 OT 1515 391
299e-f 267 Ph. 3-11 373-374
354a 57 Anm. 57 Ph. 27 374
355e 58 Anm. 58 Ph. 33 375
358b 58 Anm. 58 Ph. 35-36 375
373e 57 Anm. 57 Ph. 169-175 375
Vitae Ph. 175 376
Cat.Mi. 70.3 210 Anm. 32 Ph. 280-282 375
Cie. 2.3.861 227 Anm. 88 Ph. 310-313 375
Lyc. 16.4 275 Anm. 105 Ph. 1102-1106 376
Num. 13 222 Anm. 68 Ph. 1117 376
Rom. 21.6 210 Anm. 33 Ph. 1418-1422 378
Rom. 27 229 Anm. 93 Ph. 1441 378
Thes. 1 183 Anm. 34 Fragmente: TrGF 4 =; Radt
fr. 672-674 10 Anm. 37
Porphyrios fr. 837 99 Anm. 17
Abst. 2.19 125 Anm. 55
Antr. 20-31 348 Anm. 34
436 Index locorum

Suda (Adler) 1.6 257


s. ν. Ά λ ε κ τ ρ ύ ο ν α ά θ λ η τ ή ν Τ α ν α γ ρ α ΐ ο ν 1.6.2 303-304
95 Anm. 10 1.7.1 257
s. ν. Κ α λ λ ί μ α χ ο ς 227 Anm. 88 1.7.2 257
s. ν. Σπίνθαρος 10 Anm. 37 1.9.1 305
1.9.2-5 305
Theon (Walz)
1.9.9 304
239 338
1.10.3 257
Theophrast (Fortenbaugh) 1.10.7-11.1 258
Τ 584 A 19.5 125 Anm. 55 1.11.1 258
1.12.1-2 302
Theopomp (FGrH 115 = Jacoby) 1.12.2 310 Anm. 175
fr. 381 184 Anm. 37 1.13-5.8 258
Thukydides 1.13.3-14.7 273
1.21 29 2.13.1-3 278
1.22.4 45 2.34.3 271
4.116 3.2 272
3.2.13 310 Anm. 175
Tibull 179 Anm. 21
3.11.4-5 303;312
1.7.28 4.2 273
Valerius Maximus 160 Anm. 63 4.2.5-10 285
4.3.6 312
1.8.7
4.6.3-7 312
Varro (Cardauns) 190
4.6.4-7 312
fr. 6-11 220 Anm. 65 5.4.6-7 312
fr. 7 220 Anm. 65 5.4.6-11 301
5.4.8-11 312
Vergil
5.7.4 272
Α. 1.259 227
5.10.6 310 Anm. 175
Α. 1.267-271 193 Anm. 62
5.10.6-8 303
Α. 3.614 222 Anm. 69
5.10.7-10 310 Anm. 175
Α. 3.691 222 Anm. 69
5.10.9-11 303
Α.. 6.763-766 193 Anm. 62
5.11.3-4 303;
Α.. 7.177-189 222
310 Anm. 175
Α.. 7.189 222
5.11.5-6 302
Α.. 7.189-191 222
5.11.6 310 Anm. 175
Α.. 7.761-782 225 Anm. 80
5.12 302;303
Xenophanes (21 Diels-Kranz = DK) 5.12.3 310 Anm. 175
Β 11 82 Anm. 122 5.12.3-5 303
Β 11-15 55 Anm. 52 5.15 258
Β 23-26 55 Anm. 52 5.15.2 310
Β 25 82 Anm. 122
Β 34-35 55 Anm. 52

Xenophon
Mem. 4.8.2 94 Anm. 7

Xenophon von Ephesos


1.2 271
1.2.2-3 270
1.2.2-1.3.1 257
1.2.8 270
1.3.1-2 257
1.3.3-1.5.4 257
1.5.5-9 257

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