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Aspekte der Textkompetenz

Thesis · June 2003


DOI: 10.13140/2.1.1733.6647

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1 author:

Michael Kranert
University of Southampton
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Michael Kranert

ASPEKTE DER TEXTKOMPETENZ

Vorgelegt als wissenschaftliche Hausarbeit für


das erste Staatsexamen im Lehramtsstudium für
das Amt des Studienrates (L4), Fach Deutsch,
Bereich Linguistik.

Matrikelnummer: 139787

Geburtsdatum: 6. November 1976

Studienrichtung: Amt des Studienrates (L4) mit


den Fächern Deutsch und
Philosophie an der Humboldt-
Universität zu Berlin

Wohnanschrift: Raumerstraße 7, 10437 Berlin

Telefon: 030/44342942

E-Mail: michael.kranert@student.hu-berlin.de
I. Motivation, Problematisierung und Einleitung .................................................... 5

II. Textualität................................................................................................................ 7

1. Schriftlichkeit und Textualität ........................................................................... 7

1.1. Sprechen und Schreiben: Eine anthropologische und historisch-


spekulative Skizze ........................................................................................... 7
1.2. Vertexten und Schreiben ................................................................................ 9

2. Die sprachliche Domäne Text.......................................................................... 12

2.1. Textdefinitionen............................................................................................ 12
2.2. Textualitätskriterien...................................................................................... 13
2.2.1. Textzentrierte Kriterien: Kohärenz und Kohäsion............................. 14
2.2.2. Verwenderzentrierte Kriterien: Intentionalität, Akzeptabilität,
Informativität, Situationalität und Intertextualität............................. 17
2.3. Text als prototypisches Konzept ................................................................. 20

III. Sprachliche Kompetenz ........................................................................................ 25

1. CHOMSKYS Unterscheidung zwischen Kompetenz und Performanz........... 25

2. HABERMAS’ Begriff der Kommunikativen Kompetenz ................................. 27

2.1. HABERMAS’ Explikation des Begriffs der kommunikativen Kompetenz aus


der Möglichkeit des Diskurses ..................................................................... 27
2.2. HABERMAS’ methodischer Ansatz............................................................... 31

3. COSERIUS Konzeption sprachlicher Kompetenz ........................................... 34

3.1. Begrifflichkeit und historische Verortung .................................................. 34


3.2. Die Ebenen sprachlicher Kompetenz .......................................................... 35
3.3. Sprachkompetenz als Wissensform ............................................................. 39

2
IV. Über die Möglichkeit eines linguistischen Textkompetenzbegriffs.................. 41

1. Abgrenzung gegen CHOMSKYS Kompetenzverständnis ................................ 41


2. Bestandteile der Textkompetenz ..................................................................... 41
3. Textkompetenz als reflexives Wissen? ............................................................ 42

V. Elemente einer Theorie der Textkompetenz - Detailstudien ............................ 50

1. Texte, Handlungen und Strategien: Texthandlungswissen ............................ 50

1.1. Sprachliche Handlungsstrukturen und Texte ............................................. 50


1.2. Das Strategierahmenkonzept – Handlungskompetenz im Lesen und
Schreiben ....................................................................................................... 60
1.3. Handeln mithilfe von Texten: Textuelle Strategien.................................... 66
1.3.1. Kognitive Grundlagen der Textrezeption und Textproduktion – Das
Strategiemodell VAN DIJK/KINTSCH 1983.......................................... 66
1.3.1.1. Propositionale Strategien ................................................................ 70
1.3.1.2. Lokale Kohärenzstrategien ............................................................. 72
1.3.1.3. Makrostrategien als globale Kohärenzstrategien........................... 73
1.3.1.4. Schemastrategien ............................................................................. 77
1.3.1.5. Pragmatische Strategien .................................................................. 78
1.3.1.6. Textproduktionsstrategien im Modell von VAN DIJK/KINTSCH
(1983) ............................................................................................... 79
1.3.1.7. Schlussfolgerungen für eine Theorie der Textkompetenz............ 82
1.3.2. Empirie: Wie Schreiber mithilfe von Texten handeln ........................ 83
1.3.2.1. Textproduktion und Handeln – Theoretische Argumentation von
WROBEL (1995) ............................................................................... 83
1.3.2.2. Der Formulierungsprozess – empirische Ergebnisse von WROBEL
(1995) ............................................................................................... 84
1.3.2.3. Prätexte ............................................................................................ 88
1.3.2.4. Makroplanung im Schreibprozess .................................................. 90
1.3.2.5. Schlussfolgerungen für eine Theorie der Textkompetenz............ 94

3
2. Formale Intertextualitätskompetenz: Textsortenwissen ............................... 94

2.1. Intertextualität .............................................................................................. 95


2.2. Textsortenwissen als Formale Intertextualitätskompetenz ....................... 99
2.3. Texttypisierung: Wissenschaftliche Reflexion der Textsortenkompetenz
...................................................................................................................... 101
2.4. Textsortenwissen und Textkompetenz ..................................................... 108
2.5. Ausblick: Intermedialität............................................................................ 113

VI. Resümee: Textsorten- und Texthandlungswissen als Teile der Textkompetenz


.............................................................................................................................. 115

Bibliographie .................................................................................................................. 117

Abbildungsnachweis...................................................................................................... 121

Eidesstattliche Erklärung .............................................................................................. 122

Der Text der Arbeit folgt der reformierten deutschen Rechtschreibung (Duden
(222001)). Zitate sind in der Schreibweise des Originals wiedergegeben.

4
Aspekte der Textkompetenz – I. Motivation, Problematisierung und Einleitung

I. Motivation, Problematisierung und Einleitung

Der Begriff der Kompetenz ist in der derzeitigen öffentlichen Diskussion um Bildung
und Ausbildung in Deutschland ständig präsent. Verschiedene Schulleistungsmessungen
haben zu der Erkenntnis geführt, dass die Schüler deutscher Schulen nicht die
Kompetenzen erwerben, die sie für eine erfolgreiches Leben in der modernen Welt
benötigen. Die PISA-Studie (Program for International Student Assessment) hat
besonders auf die Mängel im Bereich der Lesefähigkeiten der Schüler hingewiesen – und
für diese Fähigkeiten den Begriff der Lesekompetenz geprägt:
„Lesekompetenz ist mehr als einfach nur lesen zu können. Unter Lesekompetenz versteht
PISA die Fähigkeit, geschriebene Texte unterschiedlicher Art in ihren Aussagen, ihren
Absichten und ihrer formalen Struktur zu verstehen und in einen größeren Zusammenhang
einordnen zu können, sowie in der Lage zu sein, Texte für verschiedene Zwecke sachgerecht
zu nutzen. Nach diesem Verständnis ist Lesekompetenz nicht nur ein wichtiges Hilfsmittel
für das Erreichen persönlicher Ziele, sondern eine Bedingung für die Weiterentwicklung des
eigenen Wissens und der eigenen Fähigkeiten – also jeder Art selbstständigen Lernens – und
eine Voraussetzung für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.“1 Der Begriff der
Lesekompetenz wird in PISA über die hier zitierte Definition hinaus nicht genauer
ausgeführt. Welche Voraussetzungen hat Lesekompetenz? Wie wird sie erworben?
Diese Arbeit geht davon aus, dass Lesekompetenz eine Teilkompetenz der globalen
Textkompetenz bildet. Ich möchte versuchen, einen sprachwissenschaftlichen Begriff
der Textkompetenz zu skizzieren, der eine Grundlage für eventuelle weitere didaktische
Diskussionen bieten kann. Hierzu werde ich zuerst diskutieren, was Textualität
ausmacht, wie sie historisch zu verorten ist und welchen Begriff des Textes aus
sprachwissenschaftlicher Sicht ich für sinnvoll halte. Dann werde ich die Debatte um den
Begriff der sprachlichen Kompetenz in der Linguistik kurz rekapitulieren, um darauf
aufbauend einen linguistischen Begriff der Textkompetenz vorzuschlagen. In zwei
Detailstudien zur schriftlichen Textkompetenz werden die Probleme der Text-

1
ARTELT, Cordula/BAUMERT, Jürgen u.a. (Hrsg.) (2001): PISA 2000: Program for International
Student Assessment – Zusammenfassung zentraler Befunde, Max-Planck-Institut für
Bildungsforschung, Berlin 2001.
Internetquelle (17.08.2003): http://www.mpib-berlin.mpg.de/pisa/ergebnisse.pdf, S. 11.

5
Aspekte der Textkompetenz – I. Motivation, Problematisierung und Einleitung

handlungskompetenz und der Textsortenkompetenz bearbeitet. Nicht dargestellt


werden können in dieser Arbeit das Textverstehen in seiner ganzen Komplexität, das
Thema der Bewertungskriterien für Texte2 und Fragen der stilistischen Kompetenz
sowie das Feld der graphischen Kompetenz in typographischen Kulturen3.

2
Hierzu: NUSSBAUMER, Markus (1991): Was Texte sind und wie sie sein sollen. Ansätze einer
Sprachwissenschaftlichen Begründung eines Kriterienrasters zur Beurteilung von schriftlichen
Schülertexten. Niemeyer: Tübingen 1991. Des Weiteren: NUSSBAUMER, Markus/ SIEBER, Peter
(1994) Texte analysieren mit dem Zürcher Analyseraster. In: SIEBER, Peter (HRSG.) (1994):
Sprachfähigkeiten - Besser als ihr Ruf und nötiger denn je! Ergebnisse und Folgerungen aus einem
Forschungsprojekt. Aarau: Sauerländer 1994, S. 141 – 186.
3
Vgl. hierzu: GIESECKE, Michael (1998): Der Buchdruck in der frühen Neuzeit. Eine historische
Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien.
Frankfurt/Main: Suhrkamp (stw 1357), 1998.

6
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität

II. Textualität

1. Schriftlichkeit und Textualität

1.1. Sprechen und Schreiben: Eine anthropologische und historisch-


spekulative Skizze

Sprechen ist eine anthropologische Grundgegebenheit des Menschen. Abstrakt lässt es


sich kennzeichnen als Signalaustausch zwischen Menschen über Schallwellen, der
verbunden ist mit der Intention der Informationsübermittlung zwischen zwei Subjekten,
wobei diese Information sowohl Wissen über die Welt als auch Information über die
Intentionen des Sprechers sein kann. Das Grundproblem des Zustandekommens von
Kommunikation trifft auch auf das Sprechen zu: der Empfänger – in diesem Falle der
Hörer – entscheidet über das Zustandekommen von Kommunikation. Sprachliche
Kommunikation hat Kenntnissysteme sprachlicher wie nichtsprachlicher Natur zur
Voraussetzung, welche die Konstruktion von Informationen aus Schallwellen
ermöglichen. Diese Kenntnissysteme sind Objekte der Sprachwissenschaft. Mit dieser
abstrakten und skizzenhaften Kennzeichnung des Prozesses sprachlicher
Kommunikation soll gleichzeitig der erkenntnis- und wissenschaftstheoretische
Standpunkt dieser Arbeit angedeutet und quasi axiomatisch gesetzt sein: Ich gehe von
einem konstruktivistischen Standpunkt aus.4
Ein weiteres Grundkennzeichen des Sprechens ist die Flüchtigkeit der Signale:
mündliche Sprache eignet sich nicht zur Speicherung von Informationen.5 Orate
Gesellschaften müssen also ihr Wissen von Person zu Person weitergeben – und so
existiert in ihnen Wissen nur im Bewusstsein von Personen: stirbt die letzte Person, die

4
Es ist hier leider nicht Platz, erkenntnistheoretische Kontroversen darzustellen oder gar zu
führen. Deshalb die etwas dogmatische Setzung des konstruktivistischen Standpunktes. Zum
Unterschied Information – Signal, der häufig nicht gründlich gemacht wird, vgl.: ROTH, Gerhard
(1994): Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1994, S. 92 f. Hier wird der
Standpunkt, den ich vertrete, differenzierter dargelegt.
5
Natürlich abgesehen von den Möglichkeiten der elektro-akustischen Technologien, welche aber,
in der menschlichen Gesamtentwicklung betrachtet, eine Entwicklung sehr jungen Datums sind.

7
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität

etwas weiß, ist das Wissen nicht mehr vorhanden. Außerdem ist die Überlieferung
exakter Daten auf dem Wege der oraten Sprache unzuverlässig, da das Wissen im Kopf
eines Menschen dynamisch existiert, denn Menschen vergessen, sie verdrängen, sie
machen ständig neue Erfahrungen und verknüpfen diese mit ihrem Wissen. So ist Wissen
im menschlichen Gedächtnis nicht in diskrete Einheiten aufgeteilt, sondern erfährt
ständig Veränderungen. Die mündliche Weitergabe bedeutet ebenfalls eine ständige
Veränderung des Wissens, da ein Mensch selten eine Tatsache zweimal genau gleich
sprachlich kodiert. Dies alles lässt sich unter dem Phänomen „Stille Post“ fassen und ist
selbst mit dem exakten Auswendiglernen von Texten kaum zu umgehen.6
Die Technologisierung von Gesellschaften durch deren stetiges Wachstum führte
jedoch zur Notwendigkeit exakterer Überlieferungsformen. Der Ursprung der
Technologie „Schrift“ liegt vermutlich im oberen Niltal zwischen dem 15. und 7.
Jahrtausend vor Christus, wo eine Klimaveränderung und Wüstenbildung im Umland zu
einer erheblichen Verdichtung der Bevölkerung in den fruchtbaren und durch den Nil
mit Wasser versorgten Gebieten führte. Hierdurch wurde vermutlich eine stärkere
Differenzierung der Gesellschaft initiiert, in welcher deshalb eine exaktere
Überlieferungsmethode zur Verbesserung der Administration notwendig wurde.7 Die
ersten Schriftsysteme, die sich hier entwickelten, waren wahrscheinlich Zählsteine –
dreidimensionale Symbole für Waren u.ä., die zur Archivierung von Daten in
verschiedenen Tongefäßen gespeichert wurden. Ein solches System war auch Grundlage
der summerischen Keilschrift – eines der ersten Schriftsysteme, die wir kennen. Es lässt
sich zeigen, dass lediglich die ökonomische Buchführung und die gesellschaftliche
Administration über solche Vorläufer der Schrift verarbeitet wurden und
Wissensüberlieferung anderer Art weiterhin mündlich stattfand. Daher sind in ihrem
historischen Ursprung Schreiben und Textproduzieren zwei verschiedene Domänen
sprachlichen Wissens.8 Schreiben als Tätigkeit fiel anfänglich weder mit dem Produzieren
von Text noch mit dem Herstellen von Schrift zusammen, sondern war eine Tätigkeit
der Materialisierung und Überlieferung von ökonomischen Informationen. Schrift als

6
Vgl. hierzu ONG, Walter J. (1987): Oralität und Literalität: die Technologisierung des Wortes.
Opladen: Westdeutscher Verlag 1987, S. 61 ff.
7
Vgl. BECKER-MROTZEK, Michael (1997): Schreibentwicklung und Textproduktion. Opladen:
Westdeutscher Verlag 1997, S. 31 f.
8
Ebenda, S. 33.

8
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität

systematische graphische Umsetzung von Sprache und die Entwicklung von Prinzipien
der Textualität entsprechen einer späteren Entwicklungsstufe.

1.2. Vertexten und Schreiben

Zusammenfassen lässt sich das bisher Gesagte in der These, dass Mündlichkeit die
Effizienz der Kommunikation im Bereich des Wissens einschränkt, da Wissen im
Wesentlichen auf Kontinuität angelegt ist. Der Versuch der Überwindung der
Flüchtigkeit brachte die Technologie der „Schrift“ hervor, die nicht mit Textualität
gleichzusetzen ist. Diese ist ein gattungsgeschichtliches Konkurrenzmodell, welches
nicht auf eine neue mediale Form der Speicherung setzte, sondern zu neuen sprachlichen
Formen führte. Vertextung ist ursprünglich nicht ein Heraustreten aus der
Mündlichkeit, sondern eine besondere Entwicklung im Bereich der Riten, wo eine
artifizielle Sprechsituation und Repetition zur Verdauerung von Wissen durch
mündliche Vertextung führte. Die Tradition der Schriftlichkeit wurde erst durch
materielle Innovationen von Schreibmaterialien und -techniken bis zum Buchdruck
gestärkt und floss letztlich mit Textualität zusammen, was zu einer Revolutionierung
sprachlichen Handelns führte: zur wesentlichen Weiterentwicklung menschlicher
Wissenssysteme sowie zur Herausbildung neuer Textformen.9
Hier wird historisch-systematisch deutlich, dass Schrift und Textualität verschiedene
Domänen der Sprache sind, auch wenn sie sich gegenseitig beeinflussen. Von dieser
Erkenntnis ausgehend lässt sich behaupten, dass Schrift- und Sprachkompetenz zwei
verschiedene Kompetenzen sind, die auch unterschiedlich erworben werden:
Schriftkompetenz betrifft die Frage der Verschriftlichung von Sprache im Sinne der
Umsetzung von lautlichen Strukturen in graphische Strukturen nach Regeln, die in
Alphabetschriften die verschiedenen Domänen (Laut, Wort, Satz) einbeziehen, während
Textkompetenz die Möglichkeit der sprachlichen Vertextung, also der Erfassung,

9
„Die Leistung und Wertschätzung, die der Handschrift vom modernen Alltagsbewusstsein zuerkannt
wird, erbrachte bzw. erfuhr sie erst, als sie sich mit den typographischen Medien zu neuen
Kommunikationssystemen zusammenschließen konnte. Durch die Ehe mit den typographischen
Medien wurde es ihr auch erst möglich, sich aus ihrer Rolle als Magd der Rede herauszulösen.“
(GIESECKE, Michael (1998), S. 34.)

9
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität

Darstellung und Überlieferung komplexer Sachverhalte durch Sprache betrifft. Eine


Folge des Zusammenfließens dieser Entwicklung ist jedoch, dass Schriftlichkeit und
Textualität aufeinander sowie auf die orate Sprache zurückwirken. So wird die
Unterscheidung „mündlich/schriftlich“ synchron in doppeltem Sinne verwendet10: Sie
kann eine mediale Kategorisierung sprachlicher Ereignisse bedeuten, d.h. die Begriffe
„mündlich“ und „schriftlich“ bilden eine dichotomische Unterscheidung, welche
„phonisch“ und „graphisch“ bedeutet. Genauso kann diese Unterscheidung auch
konzeptuell gemeint sein – und bildet dann ein Kontinuum zwischen informell und
formell. So lässt sich von einem wissenschaftlichen Vortrag in der Regel sagen, er sei
medial mündlich aber konzeptionell schriftlich. Das konzeptionelle Kontinuum umfasst
aber gleichzeitig die Pole „Nähe“ und „Distanz“, so dass die Charakterisierungen
„Öffentlichkeit“, „Vertrautheit“, „Spontaneität“ und „Themenfixierung“ Punkten in
diesem Kontinuum entsprechen. Graphisch lässt sich das bisher Gesagte wie folgt
zusammenfassen:11

Abbildung 1

10
Vgl. KOCH, Peter/OESTERREICHER, Wulf (1994): Schriftlichkeit und Sprache. In:
GÜNTHER/LUDWIG (HRSG.) (1994): Schrift und Schriftlichkeit/Writing and its Use. Ein
interdisziplinäres Handbuch internationaler Forschung. Berlin - New York (1994), S. 587 – 604.
11
Darstellung entnommen aus: KOCH, Peter/OESTERREICHER, Wulf (1994), S. 588.

10
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität

Konzeptionelle Schriftlichkeit bedeutet sprachlich-strukturell eine stärkere Vertextung


von Ausdrücken. Es lassen sich folgende Charakteristiken für eine Sprache benennen, in
der konzeptionelle Schriftlichkeit – oder, wie wir vorläufig sagen wollen, Textualität –
möglich ist: Im textgebundenen Sprachgebrauch sind besondere sprachliche Mittel
notwendig, um einer Äußerung neben einer linear-reihenden auch eine hierarchisch-
komplexe Gliederung geben zu können. Hierzu ist, gegenüber rein oraten Sprachen, ein
idiomatischer Ausbau der Sprache notwendig, der Formulierungen wie beispielsweise
„einerseits ..andererseits“, „erstens ... zweitens ...“; „zwar ... aber“; „im Folgenden ...“
umfasst. Auch ist strukturell eine größere Explizitheit notwendig, die folgende Mittel
erfordert:
- Ausbau von sprachlichen Vertextungsmitteln wie Konjunktionen, die Unterschiede
wie Kausalität und Temporalität explizit ermöglichen (weil, nachdem u.ä.),
- Ausbau hypotaktischer, partizipialer und nominaler Konstruktionen,
- stärkere Regularisierung von Tempus und Modusgebrauch,
- Kompensation fehlender außersprachlicher Kontexte durch differenziertere Lexik.
Solche Ausbauprozesse können historisch spontan oder auch fremdinitiiert stattfinden.
Gerät eine orate, nicht-textuelle Kultur in Austausch mit einer Schriftkultur und sieht
diese als ihr selbst überlegen an, kommt es zu einem starken Einfluss der bereits
literalisierten Sprache auf die bisher rein orate Sprache. Dieser Prozess der
Akkulturation ist auf der sprachlichen Ebene gekennzeichnet durch lexikalische und
syntaktische Entlehnungen wie beispielsweise Latinismen in den europäischen Sprachen.
Die Herausbildung einer Schriftsprache hat dann in der Regel einen Prozess der
Standardisierung zur Folge, in dem Selektionen und Kodifizierungen aus der Gesamtheit
der dialektalen Sprachmittel einer Sprache erfolgen. Diese sind meist gesteuert durch
außersprachliche Faktoren wie politische Entwicklungen, ethnische Auseinander-
setzungen und durch religiöse, ökonomische und kulturelle Einflüsse. Selektionen und
Kodifikationen sprachlicher Mittel beinhalten ein Moment der Wertung und führen
letztlich zu einer präskriptiven Norm als Norm des Distanzbereichs. In Europa waren in
Großreichen wie Griechenland und dem Römischen Reich solche Entwicklungen zuerst
zu beobachten, Jahrhunderte später entfalteten sie hier aber vor Allem durch
ökonomisch-gesellschaftliche Entwicklungen, die man als Beginn von Industrialisierung

11
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität

und Nationalstaatenbildung kennzeichnen kann12, ein ungeahntes Ausmaß – bis hin zur
Rückbindung auf die gesprochene Sprache und die Entwicklung nationaler Orthoepien.
Nähebereich und Distanzsprache beeinflussen sich im Rahmen der weitreichenden
Alphabetisierung erheblich: Dialekte werden zurückgedrängt und es entstehen
Regiolekte auf Basis der Schriftsprache. Aus diesen Tatsachen lässt sich schließen, dass
man mündliche und schriftliche Sprachkompetenz unterscheiden, und innerhalb der
mündlichen wie schriftlichen Sprachkompetenz Textkompetenz isolieren kann.

2. Die sprachliche Domäne Text

2.1. Textdefinitionen

Nachdem ich versucht habe, die Unterschiede und die Zusammenhänge zwischen
Schriftlichkeit und Textualität herauszuarbeiten, soll nun skizziert werden, wie man den
Begriff „Text“ linguistisch erfassen kann. Das linguistische Verständnis ist weiter gefasst
als der Alltagsbegriff „Text“. Texte im sprachwissenschaftlichen Sinn können mündlich
oder schriftlich13, einsätzig oder mehrsätzig14, monologisch oder dialogisch sowie rein
sprachlich oder eine Verbindung von sprachlichen Ausdrücken mit anderen Medien sein.
Grob lassen sich historisch zwei Textbegriffe der Linguistik unterscheiden: ein
Textbegriff der sprachsystematisch ausgerichteten Textlinguistik und ein weiterer
Textbegriff einer kommunikationsorientierten Textlinguistik.15 Den Hintergrund der
sprachsystematisch ausgerichteten Textlinguistik bildet die strukturalistische Linguistik
sowie die generative Transformationsgrammatik. Nach Jahrzehnten der Dominanz der
Domäne „Satz“ in der linguistischen Forschung wandte die Linguistik sich in den 1960er
Jahren dem Text als primärer sprachlicher Domäne zu, die Hierarchie der Domänen wird
also lediglich um eine Ebene erweitert. Unter „Text“ wurde innerhalb der

12
Vgl. GELLNER, Ernest (1995): Nationalismus und Moderne. Rotbuchverlag: Hamburg 1995,
S. 48 ff.
13
Vgl. ebenda, S. 16.
14
Vgl. BRINKER, Klaus (31992): Linguistische Textanalyse: eine Einführung in Grundbegriffe und
Methoden. 3. durchges. und erw. Auflage – Berlin: Erich Schmidt Verlag 1992, S. 17.
15
Vgl. ebenda, S. 12 ff.

12
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität

sprachsystematisch ausgerichteten Textlinguistik eine kohärente Folge von Sätzen


verstanden. Textkohärenz als grammatisches Konzept und die Untersuchung von
Vertextungsmitteln wie Pronominalisierung standen im Vordergrund der Forschung. In
den 1970er Jahren trat auch in der noch jungen Textlinguistik eine kommunikative
Wende ein: „Texte“ wurden nun begriffen als in Kommunikationssituationen
eingebettete sprachliche Äußerungen, welche immer in einem konkreten
Kommunikationsprozess entstehen. Sprecher und Hörer stellen mit ihren sozialen und
situativen Voraussetzungen einen wichtigen Faktor dieses Prozesses dar. Es dominierte
also eine pragmatische Perspektive auf den Text: „Unter pragmatischer
(sprechakttheoretischer) Perspektive erscheint der Text nicht mehr als grammatisch
verknüpfte Satzfolge, sondern als (komplexe) sprachliche Handlung, mit der der Sprecher
oder Schreiber eine bestimmte kommunikative Beziehung zum Hörer oder Leser
herzustellen versucht.“16
Beide Grundpositionen wurden in der weiteren Diskussion als komplementär
erkannt, „Text“ erschien nun als sprachliche und kommunikative Einheit. Die konkrete
Definition dieses Begriffs blieb aber immer umstritten. Der Begriff „Text“ ließ sich
scheinbar nicht in einer einfachen Definition fassen, sondern besser mit Hilfe
linguistischer Kriterien eingrenzen.

2.2. Textualitätskriterien

DE BAUGRANDE/DRESSLER (1981) erleichtern sich das Problem der Definition dessen,


was ein Text ist, indem sie unter dem Begriff der Textualität Kriterien dafür
zusammenfassen, wann ein kommunikatives Geschehen als Text zu bezeichnen ist: „[…]
Wir definieren TEXT als eine KOMMUNIKATIVE OKKURRENZ (engl. „occurrence“), die
sieben Kriterien der Textualität erfüllt. Wenn irgendeines dieser Kriterien als nicht erfüllt
betrachtet wird, so gilt der Text als nicht kommunikativ. Daher werden nicht-
kommunikative Texte als Nicht-Texte behandelt […].“17 DE BAUGRANDE/DRESSLER

16
Ebenda, S. 15. Die Problematik, die mit dieser Formulierung verbunden ist, wird im Abschnitt
V.1.1 dieser Arbeit diskutiert werden.
17
DE BEAUGRANDE, Robert-Alian/DRESSLER, Wolfgang Ulrich (1981): Einführung in die
Textlinguistik. Tübingen: Niemeyer 1981, S. 3.

13
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität

(1981) explizieren sieben Kriterien der Textualität, deren genauere Untersuchung sie
von ihrem prozeduralen Ansatz her unternehmen: Kohäsion, Kohärenz, Intentionalität,
Akzeptabilität, Informativität, Situationalität sowie Intertextualität. Diese betrachten sie
als konstitutive Prinzipien der Textualität: „Sie [die konstitutiven Prinzipien, M.K.]
bestimmen und erzeugen die als Text-Kommunikation bestimmbare Verhaltensform, die
zusammenbricht, falls sie zerstört werden.“18

2.2.1. Textzentrierte Kriterien: Kohärenz und Kohäsion

Nach DE BAUGRANDE/DRESSLER (1981) bezeichnet man die Verbindungen der


Komponenten des Oberflächentextes, also die Tatsache, dass Wörter und Sätze durch
grammatische Relationen miteinander verbunden sind und außerdem eine
einzelsprachlich determinierte Reihenfolge haben, als Kohäsion. Kommunikation wird
allerdings erst möglich, wenn andere Kriterien erfüllt werden, denn eine Wortfolge, die
kohäsiv ist, kann immer noch in vielerlei Hinsicht defekt oder ambig sein. Die genannten
Autoren führen daher ein weiteres textzentriertes Kriterium ein: Kohärenz. Während
Kohäsion ein syntaktisches Phänomen ist, soll Kohärenz ein Phänomen der
semantischen Ebene beschreiben. Die Autoren bezeichnen mit „Kohärenz“ die
Funktion, durch welche Konzepte und Relationen als Komponenten einer Textwelt
füreinander relevant werden. Konzepte sind hier kognitive Gehalte, welche mit einer
gewissen Einheitlichkeit und Konstanz bewusst gemacht bzw. aktiviert werden können –
wie beispielsweise das Objektkonzept „Kinder“ oder das Handlungskonzept „spielen“.
Relationen hingegen stellen Bindeglieder zwischen Konzepten dar. Sie werden nicht
immer sprachlich explizit dargestellt, da sie meist aus dem Zusammenhang folgen. So ist
„Hans fiel hin und brach sein Knie“19 eine Koordination der komplexen Konzepte
HINFALLEN (Hans) und BRECHEN (Hans, Hans, Knie), in die Menschen aber auf Grund
ihres Weltwissens die Relation der Ursache hineininterpretieren: das erste Ereignis ist
offensichtlich eine notwendige Bedingung für das zweite, denn man bricht sich Knochen
nicht ohne Ursache. Beide Grundkomponenten der Textwelt, Konzepte und Relationen,
liegen, so DE BEAUGRANDE/DRESSLER (1981), der Oberflächenstruktur des Textes

18
Ebenda, S. 14.
19
Beispiel übernommen aus: DE BEAUGRANDE/DRESSLER(1981), S. 6.

14
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität

semantisch zugrunde. Dies ist in unserem kognitionstheoretisch-konstruktivistischen


Paradigma so zu verstehen, dass sie Kohärenz deshalb ermöglichen, weil Textverwender
auf Grund der perzipierbaren sprachlichen Mittel Konzepte und Relationen
interpretieren und in einen Zusammenhang stellen.
Die Unterscheidung zwischen Kohäsion und Kohärenz erweist sich bei genauerer
Analyse als problematisch – die Grenzen zwischen beiden Bereichen sind nicht ganz
klar: Koreferenz via Pronomina wird beispielsweise in der Literatur auch unter Kohäsion
verhandelt20 – betrifft dies aber noch die Oberflächenstruktur? Setzt nicht hier schon
eine semantische Interpretation ein, die feststellen muss, dass ein Pronomen nur auf eine
Tatsache in der Textwelt bezogen werden kann, wenn der entsprechende
Referenzausdruck im Text identifiziert werden kann? Dass Pronominalisierung ein
Phänomen ist, das von der syntaktischen Oberflächenstruktur in besonderer Weise
dominiert ist, zeigen folgende Beispiele:
(1) Paul ruft an. Er ist gerade am Meer.
(2) Er ist gerade am Meer. Paul ruft an.
In Beispiel (1) ist eine koreferente Interpretation zwischen Paul und dem folgenden
Personalpronomen wahrscheinlich, während in Beispiel (2) eine solche Interpretation
zwischen Paul und dem vorhergehenden Pronomen „er“ ausgeschlossen ist. Dies liegt in
der Eigenschaft von Personalpronomina begründet, anaphorisch zu sein. Diese
Eigenschaft lässt sich durchaus als zur Domäne Syntax gehörig begreifen, denn es lässt
sich interpretieren, dass ein Personalpronomen die Anweisung enthält: „Suche rückwärts
in der sprachlichen Äußerung nach einer geeigneten Nominalgruppe, die eine Referenz
in die Textwelt ermöglicht. Kriterien für die Eignung sind Gleichheit in Numerus und
Genus.“ Doch selbst diese rein syntaktische Anweisung ist nicht hinreichend, um
eindeutige Koreferenz herzustellen. Betrachten wir folgendes Beispiel:
(3) Paul ist mit Flocki zum Tierarzt gegangen. Er hat ihm eine Spritze gegeben.21
Dieser Satz lässt wörtlich sechs Interpretationen zu – und nur unser Weltwissen
ermöglicht uns eine eindeutige Zuordnung: bekannterweise sind es Ärzte, die Spritzen
geben. Auch VATER (21994), dem ich dieses Beispiel entnommen habe, stellt fest, dass es
sich hier um eine Referenzbeziehung – und damit um Kohärenz handelt. Er verwirft aber
nicht die Zuordnung von pronominaler Wiederaufnahme zur Kohäsion oder gar den

20
Vgl. z.B. VATER, Heinz (21994), S. 34.
21
Beispiel übernommen aus: VATER, Heinz (21994), S. 34.

15
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität

Begriff der Kohäsion selbst. Gerade dieses Beispiel zeigt, wie fragwürdig es ist, Kohäsion
als eigenes Kriterium zu definieren, das allein auf die Oberflächenstruktur angewandt
wird – wie es ja DE BEAUGRANDE/DRESSLER(1981) fordern. Auch Kohäsion verweist –
wie wir bereits bei unproblematischen Beispielen gesehen haben – auf die Textwelt.
Daher ist es sinnvoller, das Kriterium Kohärenz zu nennen und verschiedene Typen der
Kohärenz zu unterscheiden, die mehr oder weniger von der syntaktischen oder
semantischen Domäne dominiert werden, wie es BRINKER (31992) tut. Seine
Ausführungen zusammenfassend lassen sich folgende Kohärenztypen unterscheiden:
Grammatisch-semantische Kohärenz hat die Verbindung von Sätzen über syntaktisch
dominierte Phänomene zum Inhalt. Hier spielen vor allem die verschiedenen
Wiederaufnahmerelationen eine Rolle, die einen Zusammenhang zwischen Sätzen
dadurch herstellen, dass in einem Satz auf das Subjekt oder eines der Objekte eines
anderen Satzes des Textes referiert wird. Notwendiges Wissen für die Wiederaufnahme
kann textimmanent, sprachimmanent oder gar sprachtranszendent sein. Die
Wiederaufnahmerelationen werden zuerst unterschieden nach ihrer Bezugsrichtung im
Text: die anaphorische Wiederaufnahme verweist zurück auf bereits Erwähntes, während
die kataphorische Wiederaufnahme nach vorn, auf im Text Folgendes verweist.
Außerdem lassen sich explizite und implizite Wiederaufnahme unterscheiden: Die
explizite Wiederaufnahme besteht in Referenzidentität, d.h. der wiederaufgenommene
und der wiederaufnehmende Ausdruck beziehen sich auf das gleiche außersprachliche
Objekt. Die Richtung der Wiederaufnahme wird durch die Kennzeichnung der
Referenten durch ein Merkmalspaar gekennzeichnet, das traditionellen mit
„bekannt/nicht bekannt“ bezeichnet wird. „Bekannt“ ist ein Signal für den Hörer, dass
bestimmte innertextliche oder außertextliche Informationen als dem Hörer bekannt
vorausgesetzt werden, für „unbekannt“ gilt das Umgekehrte. Das Merkmalspaar steuert
daher bei der Suche nach innertextlichen Informationen auch die Merkmale
„anaphorisch/kataphorisch“, operiert also noch deutlich auf der syntaktischen Ebene. Die
Merkmale „bekannt/nicht bekannt“ werden realisiert durch die Wahl des
bestimmten/unbestimmten Artikels, durch Eigennamen/Gattungsnamen sowie durch die
(definiten) Formen von Demonstrativpronomen, Possessivpronomen und Interrogativ-
pronomen.
Die implizite Wiederaufnahme ist nicht durch Referenzidentität gekennzeichnet. Hier
bestehen implizite Beziehungen zwischen den Begriffen, es ist also bereits eine Form der
Kohärenz, welche eindeutig semantisch bestimmt ist. Die impliziten

16
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität

Bedeutungsbeziehungen zwischen Begriffen werden als semantische Kontiguität


bezeichnet. Die grammatisch-semantische Kohärenz kann allerdings nicht die einzige
Form der Kohärenz sein, da es kohärente Texte gibt, die nicht durch eine
Wiederaufnahme verknüpft sind (Beispiel (1)) und durch Wiederaufnahmerelation
verknüpfte Sätze, die inkohärent sind (Beispiel (2)):
(1) Es war eine regnerische Nacht. Zwei Männer standen im Hauseingang und
rauchten.
(2) Ich habe ein Freundin in Hamburg. Dort gibt es viele öffentliche Bibliotheken.
Diese Bibliotheken werden von Jungen und Mädchen besucht. Diese Jungen
gehen gern in Schwimmbäder. Schwimmbäder sind in Berlin sehr teuer.22
Die Kohärenzbildung wird also durch weitere Faktoren verstärkt: thematische Strukturen
ergänzen die Kohärenzbildung durch die Wiederaufnahmerelation.23 Als Textthema wird
der Kern des Textinhaltes bezeichnet, wobei der Textinhalt der Gedankengang eines
Textes oder Textsegmentes bezogen auf die Hauptbezugsausdrücke ist. Es ist in der
Regel über die zentralen Textgegenstände ableitbar. Unter Themenentfaltung wird die
Verknüpfung oder Kombination von Verknüpfungen relationaler, logisch-semantisch
definierter Kategorien verstanden, welche die internen Beziehungen der Inhalte der
Teiltexte zum Inhaltskern des Gesamttextes angeben.

2.2.2. Verwenderzentrierte Kriterien: Intentionalität, Akzeptabilität,


Informativität, Situationalität und Intertextualität

Kohärenz und Kohäsion sind textzentrierte Kriterien der Textualität – sie reichten aber
nicht aus um zu bestimmen, was ein Text sei. Hinzukommen müssten laut DE
BEAUGRANDE/DRESSLER (1981) verwenderzentrierte Begriffe, welche die Aktivität der
Kommunikation mit Hilfe von Texten durch Produzent und Rezipient betreffen. Als
erstes dieser Kriterien nennen sie Intentionalität, welches die Einstellung des
Textproduzenten zum Text betreffend seiner Absichten, Ziele und Pläne sei. Dass

22
Beispiele aus: BRINKER (31992): S. 41 f.
23
Es ist auch möglich, Thematizität als weiteres separates Kriterium aufzufassen; vgl. SANDIG,
Barbara (2000): Text als prototypisches Konzept. in MANGASSER-WAHL, Martina (2000)(Hrsg.):
Prototypentheorie in der Linguistik. Stauffenburg, Tübingen, 2000, S. 93 – 112, hier: S. 98.

17
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität

Intentionalität ein Kriterium für Textualität sei, ist für mich nicht einsichtig –
Intentionalität ist keine textspezifische Eigenschaft, sondern ein Kriterium für
kommunikatives Handeln allgemein. Ähnlich problematisch ist das Kriterium der
Akzeptabilität, welches die Einstellung des Textrezipienten zum Text – nimmt der
Rezipient den Text als solchen an, stellt er Kohärenz her etc. – umfassen soll. Auch hier
haben wir es mit einem Kriterium für erfolgreiche Kommunikation zu tun. Ein drittes
verwenderzentriertes Textualitätskriterium sei laut DE BEAUGRANDE/DRESSLER (1981)
die Informativität einer Äußerung, d.h. Rezipienten erwarten von einem Text, dass sie
mit für sie wesentlichen Informationen versorgt werden. Dieses Kriterium ist schlicht zu
pauschal formuliert, denn Texte, die nur Neues enthalten, sind eben nicht informativ:
der Rezipient muss noch in der Lage sein, die Inhalte eines Textes in sein Weltwissen zu
integrieren, wozu der Text eine Zuordnung zu bekanntem Wissen ermöglichen muss.
Das Kriterium der Informativität lässt sich eher als ein regulativer Teil des Kriteriums
der Kohärenz im Bereich der Thematizität fassen: ein Text ist von höherer
Akzeptabilität, wenn er thematisch strukturiert ist – wozu auch gehört, dass er an das
erwartbare Wissen des Rezipienten anschließt.
Die Diskussion dieser drei verwenderzentrierten Kriterien zeigt bereits sehr deutlich,
dass sie nicht als konstitutive Kriterien für Textualität angenommen werden können, wie
DE BEAUGRANDE/DRESSLER(1981) dies tun. Sie behaupten, ihre Prinzipien seien
konstitutive Prinzipien der Textualität, welchen noch zusätzliche regulative Prinzipien
gegenüberstehen, die Textualität nicht definieren, aber die Art und Weise des Auftretens
von Texten normativ beschränken. Als regulative Grundprinzipien nennen sie Effizienz,
Effektivität und Angemessenheit. Gerade diese Prinzipien fallen aber mit ihren ersten
drei verwenderzentrierten konstitutiven Kriterien zusammen: Effizienz und Effektivität
mit Informativität und Angemessenheit mit Situationalität. Schon hier hätte deutlich
werden müssen, das es sich bei diesen verwenderzentrierten Kriterien allgemein um
kontinuierliche Bewertungskriterien von Textproduzenten und Rezipienten handelt, die
beeinflussen, ob ein Text nicht nur als sprachliches, sondern auch ob und in wieweit er
als kommunikativ verständliches Ereignis akzeptiert wird.
Als weiteres konstitutives Kriterium nennen die Autoren Situationalität, worunter die
Faktoren fallen, welche die Relevanz eines Textes in einer kommunikativen Situation
bestimmen. Dieses Kriterium ist in Bezug auf Konstitutivität oder Regulativität noch
schwieriger einzuordnen, denn es stellt sich die Frage, ob ein Text kein Text wäre, wenn
er situativ nicht angemessen ist. Dies ist offensichtlich nicht so. Eine Bestätigung der

18
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität

Geburt eines Kindes auf einem Stück Toilettenpapier ist zwar nicht in die Textsorte
„Geburtsurkunde“ einzuordnen, wird aber trotz situationaler Unangemessenheit der
Form und des Materials als Text wahrgenommen. Situationalität ist also kein Kriterium
ob ein Text ein Text ist, sondern was er für eine Bedeutung bzw. Funktion in einer
Situation haben kann. Natürliche Sprachen sind nicht kontextfrei, d.h.
natürlichsprachliche Äußerungen werden immer in Verbindung mit dem materiellen
oder sozialen Kontext interpretiert. Um ein weniger abstruses Beispiel zu analysieren:
„LANGSAM
SPIELENDE KINDER“24

Diese Worte können verschieden interpretiert werden: Auf Papier gedruckt könnten sie
der Anfang eines Gedichts oder gar ein Gedicht sein, vor allem, wenn sie in einem
Gedichtband gefunden werden. Stehen sie hingegen auf einem Schild am Straßenrand,
werden sie von motorisierten Verkehrsteilnehmern als Aufforderung verstanden,
langsam zu fahren, die mit dem Hinweis auf spielende Kinder begründet wird. Dieses
Beispiel verdeutlicht auch, dass ein Text nicht nicht-situational sein kann, da er immer in
einer Situation produziert und rezipiert wird. Also kann Situationalität unter dem
regulativen Prinzip der Angemessenheit als situative Angemessenheit angesiedelt werden
– welches dann nicht nur regulativ ist in dem Sinne, dass es normativ die Menge
möglicher Texte beschränkt, sondern uns auf eine andere Art von Konstitutivität für die
gesamten verwenderzentrierten Eigenschaften führt: Textualität ist nicht als Eigenschaft
eines materialen Textes zu bestimmen, sondern ein Text ist das Interpretament eines
Leser-Schreibers. Damit ist Textualität eine Eigenschaft, die sich über Kontextualität
definiert, d.h. ein materiales Vorkommnis – sei es nun akustisch oder graphisch – wird
als sprachlicher Zusammenhang durch ein denkendes Subjekt in einer bestimmten
Situation interpretiert. Dies geschieht nach sprachlichen Kriterien der grammatischen
Wohlgeformtheit und der Kohärenz und wesentlich auch nach verschiedenen situativen
Kriterien der Angemessenheit. Angemessenheitskriterien wären hier Intentionalität,
Informativität und Situationalität. Diese Kriterien sind im Zusammenhang konstitutiv
für die Interpretation einer Tatsache im Wahrnehmungsraum eines Subjekts als Text. So
ist dann auch das letzte der Kriterien von DE BEAUGRANDE/DRESSLER(1981) als ein
konstitutives zu verstehen: Intertextualität als eine Eigenschaft des Interpretaments

24
Beispiel: DE BEAUGRANDE/DRESSLER(1981) S. 4.

19
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität

Text, wodurch mögliche Texte nach erwartbaren typischen Eigenschaften kategorisiert


werden. Dass dies für die Kompetenz der Textproduktion und -rezeption von
besonderer Bedeutung ist, werde ich noch zeigen. Es ist allerdings zu beachten, das
dieses Kriterium nicht unter der Frage der Akzeptabilität zu fassen ist, sondern die Frage
der Typisierung betrifft. Allerdings gilt auch hier: Texte können nicht nicht-intertextuell
sein, denn sie werden immer vor einem Hintergrund anderer Texte produziert und
rezipiert.

2.3. Text als prototypisches Konzept

Da wir Text nun als mentales Ereignis – als Interpretament eines Sprachbenutzers –
begreifen wollen, stellt sich die Frage, wie die Kriterien mental organisiert sind, nach
denen Sprachbenutzer Texte von Nichttexten unterscheiden. Dies zu erfassen war
sicherlich auch die implizite Idee von DE BEAUGRANDE/DRESSLER (1981). Allerdings ist
ihr Versuch, konstitutive Kriterien aufzustellen, aus einem weiteren, bisher nicht
diskutierten Grund als problematisch anzusehen: Wären die sieben Kriterien konstitutiv
für die Unterscheidung Text vs. Nichttext, müsste angegeben werden, wann die Grenze
zu ziehen ist. Wann entscheiden wir, dass wir einen Text nicht als Text akzeptieren?
Offensichtlich tun wir es nicht nach der Anzahl der Kriterien, d.h. es lässt sich nicht
zeigen, dass Leser einen Text nicht akzeptieren, wenn er zwei oder drei oder x Merkmale
nicht erfüllt. Dies ist schon deshalb nicht möglich, weil die diskutierten Kriterien der
Akzeptabilität ein Kontinuum bilden: Texte sind eben mehr oder weniger informativ
oder situational angemessen. Um ein zusammenhängendes Konzept „Text“ erfassen zu
können, möchte ich – bezugnehmend auf SANDIG (2000) – vorschlagen, Text als
prototypisches Konzept zu begreifen. Zuvor ein paar Worte zur Idee der Prototypik:
Die Psychologin Eleanor ROSCH führte 1977 als erste den Begriff des Prototyps in
die Theorie der Begriffsbildung und -entwicklung beim Menschen ein. Sie entwickelt,
gestützt durch ihre interkulturellen Forschungen, ein komplexes, kontinuierliches25
Konzept der Begriffsbildung, in welches ein Konzept der Prototypik integriert ist26.

25
im Gegensatz zu diskret
26
Vgl. ROSCH, Eleanor (1977): Human Categorization. in: WARREN, N. (ed.), Studies in cross-
cultural psychology. New York et al., 1977, Bd. 1, S. 1 – 49.

20
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität

Ausgangspunkt ihrer Forschungen war die Untersuchung von Farbbegriffen in


verschiedenen Kulturen, wobei u.a. die theoretische Vorannahme bewiesen werden
sollte, dass menschliche Kategorien nicht arbiträr, sondern in einem bestimmten Sinn
durch die Welt vorstrukturiert sind. Zusammenfassend lässt sich zu ihrem Konzept von
Prototypik folgendes sagen: Für natürliche Prototypen ist die Basis Salience. Der Begriff
der Salience leitet sich vom englischen „salience“ ab, was soviel bedeutet wie
„Hervorspringen, Herausragen“. Hinter ROSCHS Terminus „Salience“ steht die These,
dass bestimmte Farben universal besonders markant für den menschlichen Sinnesapparat
seien. Bestätigt wurde dies durch eine Untersuchung von HERING (1964), der nachwies,
dass das Farbrezeptionssystem bei Primaten aus zwei Kanälen besteht: einer, der
zwischen rot und grün, und einer der zwischen gelb und blau anspricht, wodurch
bestimmte Farbtöne dieser Farben dadurch besonders ausgezeichnet sind, dass sie die
Begrenzung des Spektrums der Kanäle bilden. Diese Farbtöne erscheinen subjektiv
salienter zu sein als andere.
Während es für Farben natürliche Prototypen zu geben scheint, gilt für konkrete
Objekte die Maximierung der Cue Validity als grundlegendes Prinzip, d.h. Eigenschaften
mit höherer Korrelation in einer Kategorie haben dabei für die Prototypik größeres
Gewicht als dieselben Eigenschaften, wenn sie nicht durch ein wahrscheinliches
Zusammentreffen ausgezeichnet sind. Prototypen scheinen also eher solche Mitglieder
einer Kategorie zu sein, welche am meisten die redundante Struktur einer Kategorie als
Ganzes reflektieren. Es ist anzunehmen, dass Strukturprinzipien von Kategorien und
Prototypen aus funktionalen Gründen auftreten: Prototypen ermöglichen einfache, z.T.
auch bildliche Vorstellungen. Sie ermöglichen Subjekten die Nutzung ihres Wissens über
die Kontingenz der Struktur ihrer Umwelt ohne großen kognitiven Aufwand und bieten
größtmögliche Trennschärfe der Unterscheidung bei gleichzeitiger Offenheit für
zukünftige, kontingente Entwicklungen. Durch eine prototypische Struktur wird die
Effizienz von Basic-level-Kategorien ermöglicht. Diese Effizienz natürlicher
Begriffsbildung kann für bestimmte Teile der Wissenschaft nützlich sein, denn es darf –
trotz des wissenschaftlichen Ideals der Disjunktivität und Vollständigkeit von
Kategorisierungen – nicht vergessen werden, dass wir eine Welt beobachten, die sich
verändert, weshalb eine endgültig vollständige und disjunkte Kategorienbildung nicht
möglich ist. Auch innerhalb der historisch gewachsenen Strukturen der Welt gibt es
Dinge, die sich einer Kategorisierung nach dem Ideal der absoluten Trennschärfe
widersetzen, so vor allem plötzlich endende Entwicklungslinien oder überraschende

21
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität

Kreuzungen: somit kommen eierlegende Säuger genauso zustande, wie Wortformen im


Übergang.
Mit einem ähnlich komplexen Bereich haben wir es bei der Problematik der Texte zu
tun. Es kommt allerdings, gegenüber dem genannten Beispiel des eierlegenden
Säugetiers, noch ein weiterer Punkt hinzu: Was als Text oder Nichttext gilt, ist nicht
absolut bestimmt – sondern hängt von der aktuellen Bewertung der Sprachverwender ab.
Umgang mit Texten ist, wie wir im weiteren feststellen werden, ein komplexes Handeln,
das durch Erwartungen der Subjekte bestimmt ist, für die und von denen ein Text
produziert wird. Es darf also bei der wissenschaftlichen Rekonstruktion des Begriffs
„Text“ weniger darum gehen, was bisher von Sprachverwendern als Text bezeichnet
wurde. Vielmehr müssen die Kriterien, nach denen man Texte als Texte verschiedener
Qualität kategorisiert und bewertet, erarbeitet werden. Die Kriterien von DE
BEAUGRANDE/DRESSLER (1981) eignen sich hierzu, müssen allerdings noch erweitert
werden. Außerdem dürfen sie eben nicht, wie die genannten Autoren es tun, als
konstitutive Kriterien mit Ausschlusscharakter gelten, sondern sie müssen als
Merkmalskontinuum erfasst werden, welches einer Bewertung zugrunde liegt. Dies wäre
dann bereits eine prototypische Erfassung des Konzepts Text. Wie ein solches Konzept
genauer aussehen kann, führt SANDIG (2000) vor – wobei sie folgende Grundannahmen
einer prototypischen Theorie, die teils mit dem hier geschilderten psychologischen
Ansatz der Prototypik übereinstimmen, teils darüber hinausgehen, voraussetzt:
Kategorien werden nicht immer durch notwendige und hinreichende Merkmale definiert
und verfügen nicht immer über klare Grenzen. Die Merkmale, über die Kategorien
beschreibbar sind, müssen nicht alle für jeden Vertreter der Kategorie gelten. Das
bedeutet, Kategorien müssen nicht über ein Merkmal definiert sein, sondern können
einen Merkmalsraum bilden. Die Merkmale können zum einen gewichtet, d.h. mehr oder
weniger zentral für eine Kategorie, zum anderen gradiert, d.h. auf verschiedene
Kategorienmitglieder mehr oder weniger zutreffend sein. Daraus folgt, dass nicht alle
Mitglieder einer Kategorie den gleichen Stellenwert haben – es gibt bessere und
schlechtere Vertreter einer Kategorie, abhängig von der Anzahl und dem Gewicht der
Kategorienmerkmale, die sie teilen. Die besten Kategorienmitglieder sind die
Prototypen, welche die meisten Merkmale mit den anderen Mitgliedern einer Kategorie
teilen und möglichst wenige Merkmale mit Vertretern einer anderen Kategorie

22
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität

gemeinsam haben. Diese Merkmalsgemeinsamkeiten und -unterschiede lassen sich auch


als „Familienähnlichkeit“ zwischen Vertretern einer Kategorie bezeichnen.27 Bei der
Kategorisierung gibt es eine ausgezeichnete Ebene – die Basisebene, welche eine hohe
Optimalität in der Verbindung von Informativität und kognitiver Effektivität erreicht.
SANDIG (2000) diskutiert nun ebenfalls die Textualitätskriterien von DE
BEAUGRANDE/DRESSLER (1981) und führt, wie bereits erwähnt, noch das Kriterium der
Thematizität ein, welches wir aber dem Bereich der Kohärenz zugeordnet haben. An
einem Beispiel aus den Randbereichen der Textualität, dem Wand-Graffiti, zeigt die
Autorin, dass Kohäsion und Kohärenz nicht vorhanden sein müssen, wenn ein Text als
Text akzeptiert wird, wohl aber Thema und Textfunktion „vorhanden“28 sind. Textliche
„Randerscheinungen dieser Art“ seien nämlich „ an Situationen gebunden, die die Funktion
verdeutlichen […]“29. Offensichtlich wird hier, dass auch Kohärenz nicht als
Ausschlusskriterium gelten kann, wie noch DE BEAUGRANDE/DRESSLER (1981)
meinten. Allerdings zeigt die Wortwahl der Autorin, dass – trotzt der einleuchtenden
Erkenntnis, dass situative Funktionalität einen besonderen Stellenwert hat – die
Perspektive der Kriterien noch nicht deutlich herausgearbeitet wurde: Thema und
Textfunktion sind eben nicht in einer Situation „vorhanden“, sondern sind situative
Interpretamente. Thematizität und Funktionalität sind daher Bewertungsgesichtspunkte
von Textverwendern, nicht Eigenschaften von Texten. Diese lassen sich letztlich in
einem Kontinuum verschiedener Gewichtung erfassen, dessen graphische Darstellung
ich von SANDIG (2000) übernehme:30

27
Vgl. auch den Begriff der Familienähnlichkeit bei WITTGENSTEIN. Dazu: WITTGENSTEIN,
Ludwig (1997): Philosophische Untersuchungen. In: Werkausgabe in 8 Bänden, Suhrkamp:
Frankfurt/Main 1997, (stw 501), Band 1, S. 278, Paragraph 67.
28
Ebenda, S. 100.
29
Ebenda.
30
Graphik aus SANDIG (2000): S. 108.

23
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität

Abbildung 2

Ein weiterer interessanter Punkt lässt sich in SANDIGS prototypischem Textkonzept im


Anschluss an meine Diskussion der Unterscheidung „schriftlich-mündlich“ als
Doppelkriterium im Sinne von Materialität und Konzeptionalität finden: In einer nicht
repräsentativen Befragung unter 31 Studierenden zeigte sich nach ihrer Auskunft, dass
Schrifttexte als prototypischer Kern der Kategorie „Text“ erfasst werden.31 Hierin lässt
sich – wenn nicht die gebotene Kürze der Arbeit einen hinreichenden Grund darstellt,
die Einschränkung der Untersuchung auf Schrifttexte und schriftliche Textproduktion
ebenfalls begründen.

31
Vgl. Ebenda, S. 101.

24
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz

III. Sprachliche Kompetenz

1. CHOMSKYS Unterscheidung zwischen Kompetenz und Performanz

Der Begriff der sprachlichen Kompetenz wird von Linguisten im Wesentlichen mit dem
Namen CHOMSKY verbunden. Er prägte das Begriffspaar Kompetenz – Performanz, mit
dem er sich gegen DE SAUSSURES Unterscheidung Langue – Parole und gleichzeitig
gegen die behavioristische Methode wandte. CHOMSKY betrachtet seine Theorie als
Weiterentwicklung der rationalistischen Sprachauffassung in der Tradition von
DESCARTES, LEIBNIZ und HUMBOLDT und nahm deren drei Grundannahmen wieder
auf: Eine Sprache erlernen zu können ist eine spezifisch menschliche Fähigkeit.
Spezifisch hierfür ist die Kreativität, d.h. die Fähigkeit, noch nie vorher gebildete Sätze
zu produzieren oder zu verstehen. Sprache hat einen inneren und einen äußeren Aspekt,
diese Aspekte werden bei CHOMSKY unter dem Konzept der Tiefen- und
Oberflächenstruktur erfasst. Die Besonderheit sprachlicher Kompetenz liegt darin, dass
sie ein spezifisch menschliches Vermögen ist: „Jeder, der sich mit dem Studium der
menschlichen Natur und den menschlichen Fähigkeiten befaßt, muß sich irgendwie mit dem
Umstand auseinandersetzen, daß alle normalen Menschen Sprache erwerben, während der
Erwerb selbst ihrer simpelsten Anfangsgründe außerhalb der Fähigkeiten eines ansonsten
durchaus intelligenten Affen liegt – ein Umstand, der mit Recht in der cartesianischen
Philosophie hervorgehoben wurde.“32 CHOMSKY ist der Ansicht, dass sein Begriffspaar
Kompetenz – Performanz die sprachliche Kreativität besonders gut erklären kann, indem
er hiermit die dem Sprachverhalten zu Grunde liegenden Strukturen ausdifferenzieren
und erfassen kann. Der Fortschritt liegt auf der Hand: DE SAUSSURES Langue-Begriff
umfasst nur das Inventar von Einheiten – CHOMSKY hingegen will unter Kompetenz ein
System generativer (erzeugender) Prozesse verstehen, die natürlich, und das unterschlägt
er z.T., über Einheiten operieren. Da sprachliche Kreativität allen Sprachen gemeinsam
ist, folgert CHOMSKY, es müsse universale grammatische Regeln geben, weshalb
einzelsprachliche Grammatiken durch universelle Grammatiken ergänzt werden
müssten. 33 Dieser Versuch ist in die Entwicklung einer generativen Grammatiktheorie

32
CHOMSKY, Noam (1970): Sprache und Geist. Frankfurt/Main 1970, S. 111.
33
Vgl. CHOMSKY, Noam (1969): Aspekte der Syntax-Theorie. Frankfurt/Main 1969, S. 16 f.

25
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz

integriert, die CHOMSKY wie folgt definiert: „Unter einer generativen Grammatik
verstehe ich einfach ein Regelsystem, das auf explizite und wohldefinierte Weise Sätzen
Struktur-Beschreibungen zuordnet. Offenbar hat sich jeder Sprecher einer Sprache eine
generative Grammatik vollständig angeeignet, die seine Sprachkenntnis ausdrückt.“34 In den
„Aspekten der Syntaxtheorie“ stellt er heraus, dass viele von Sprechern tatsächlich
hervorgebrachte Äußerungen ungrammatisch oder anderweitig defekt seien – da die
Performanz von sprachexternen Faktoren wie Konzentration, Gedächtnisbegrenzung,
Lärm etc. abhängig sei – die Abweichungen in der Performanz änderten jedoch nichts an
der Struktur und Klarheit der Kompetenz, die nur ein Faktor sei, der auf die
tatsächlichen sprachlichen Äußerungen einwirke. Es bestünde also keine direkte kausale
Verbindung Kompetenz – Performanz; vielmehr beziehe sich Kompetenz auf einen
idealen Sprecher-Hörer. Den Zugang zur grammatischen Kompetenz könne man also
nicht über den Korpus der Sprache gewinnen, sondern nur über Introspektion.
Generative Grammatik sei kein Sprecher- oder Hörermodell, sie spreche von Strukturen
– und nicht von Strategien und Prozessen. Diese gehörten nicht zur Kompetenz und
werden in einer Theorie der Sprachverwendung behandelt.35 Nach CHOMSKY sind
Kompetenz und Performanz sind Beurteilungsprädikate auf verschiedenen Ebenen
zugeordnet: das Prädikat „Korrektheit“ (grammaticalness) bezieht sich auf die
Kompetenz, während das Prädikat „Annehmbarkeit“ (acceptability) sich auf die
Performanz bezieht. Der Theorie der Sprachverwendung ist die generative Grammatik,
welche die Sprachkompetenz explizieren soll, logisch vorgelagert. Erst wenn man die
Regeln der Kompetenz kenne, so CHOMSKY, könne man die Regeln der Performanz
feststellen.
Die Regeln der Performanz lassen sich allerdings auch anders begreifen. COSERIU
schlägt hierfür den Begriff der Norm vor, welchen CHOMSKY nach COSERIUS Ansicht
meidet, da er es zwar für möglich hält, Regeln zu formulieren, die nicht korrekte
Konstruktionen ausschließen, aber für unmöglich, Regeln zur Ausschließung nicht
akzeptabler Konstruktionen aufzustellen.36 Ein Beispiel für eine Norm ist bei CHOMSKY
die Regel: „Nicht allzu viele Einbettungen.“ Doch gerade bei diesem Beispiel stellt sich

34
Ebenda, S. 19.
35
Ebenda, S. 20.
36
COSERIU, Eugenio (1988): Sprachkompetenz – Grundzüge einer Theorie des Sprechens. Franke:
Tübingen 1988, S. 48.

26
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz

die Frage, ob diese Normen tatsächlich Normen der Performanz sind. COSERIU hält hier
CHOMSKY entgegen, dass die Regeln der Kompetenz und die Normen der Performanz
sich immer regulativ auf die Performanz beziehen, denn die Regeln der Kompetenz
regelten ja nicht die Sprach- bzw. Sprechkompetenz, sondern das Sprechen: „Nicht
Kompetenz selbst ist korrekt, sondern eben die Realisierung der Kompetenz“37 Ich halte dies
für ein stichhaltiges Argument und möchte ihm folgen: Regeln und Normen gehören
zur sprachlichen Kompetenz, welches ein intuitives Wissen ist. Die Unterscheidung von
Kompetenz und Performanz muss durch COSERIUS Unterscheidung von System und
Norm ersetzt werden, um den Kompetenzbegriff als einen Wissensbegriff zur
Verfügung zu haben, der sowohl die der sprachlichen Struktur zugrunde liegenden
Regeln als auch die Regeln des Sprachgebrauchs umfasst – wodurch erst ein
sprachwissenschaftlicher Begriff der Textkompetenz möglich wird. COSERIUS
Unterscheidung sieht wie folgt aus: System bezeichnet das Regelsystem, welches
einschränkt, was auf Grund der Unterscheidungen und Verfahren der Sprache in einer
Sprache möglich ist. Die Norm umfasst das Regelsystem, welches beschreibt, was
tatsächlich realisiert worden ist und realisiert wird, d.h. die Einschränkung des Systems
durch sprachexterne Bedingungen.

2. HABERMAS’ Begriff der Kommunikativen Kompetenz

2.1. HABERMAS’ Explikation des Begriffs der kommunikativen


Kompetenz aus der Möglichkeit des Diskurses

Jürgen HABERMAS führt in die deutsche Diskussion der Sprechakttheorie den Begriff
der kommunikativen Kompetenz ein. Seine Ausführungen hierzu sind zu finden in den
„Vorbereitende[n] Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz“38.
HABERMAS setzt den Begriff der kommunikativen Kompetenz in Gegensatz zum Begriff
der linguistischen Kompetenz. Er grenzt sich von CHOMSKY ab, da dieser nicht

37
Ebenda.
38
HABERMAS, Jürgen (1976): Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen
Kompetenz. In: DERS./LUHMANN (1976): Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie.
Frankfurt/Main 1976, S. 101 – 141.

27
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz

berücksichtige, dass „die allgemeinen Strukturen möglicher Redesituationen selber noch


durch sprachliche Akte hervorgebracht werden. Diese Strukturen gehören weder zu den
extralinguistischen Randbedingungen, unter denen die sprachliche Kompetenz bloß
angewendet wird, denn sie sind sprachabhängig; andererseits fallen sie nicht mit den
sprachlichen Ausdrücken, die kraft linguistischer Kompetenz erzeugt werden, zusammen,
denn sie dienen der pragmatischen Situierung dieser Ausdrücke.“39 Es sei also zu
unterscheiden zwischen dem Satz als linguistischer Einheit und der Äußerung als einer
Einheit, die sich auf Sätze, die in einer bestimmten Situation produziert würden, beziehe.
Zur theoretischen Beschreibung von Äußerungen stünden innerhalb der Pragmatik zwei
Theoriemodelle zur Verfügung: die empirische Pragmatik und die Universalpragmatik.
Die Erstgenannte ist eine verhaltenswissenschaftliche Kommunikationstheorie, welche
die nichtsprachliche Variablen, wie psychische Verfassung des Sprechers etc., als
Kontexte der Redesituation erfasst. Die Zweite ist die Theorie der kommunikativen
Kompetenz – sie konstruiert das Regelsystem nach, mit Hilfe dessen wir Situationen
möglicher Rede generieren: „Eine Theorie der kommunikativen Kompetenz muss die
Leistungen erklären, die Sprecher oder Hörer mit Hilfe pragmatischer Universalien
vornehmen, wenn sie Sätze in Äußerungen transformieren.“40 Ausgangspunkt der
Untersuchung kommunikativer Kompetenz ist, so HABERMAS, die Doppelstruktur der
Rede: Sie besteht aus propositionalem und performativem Gehalt. In ihr verbänden sich
die Ebene der Intersubjektivität und die Ebene der Gegenstände zur Ebene der
Tatsachen. Pragmatisch ableitbar sei hieraus, dass Kommunikation über Tatsachen auch
immer mit Metakommunikation – „[…] einer Verständigung auf der Ebene der
Intersubjektivität über den bestimmten pragmatischen Sinn der Kommunikation […]“41 –
verbunden ist.
Aus dem hier Ausgeführten geht hervor, dass HABERMAS dem Kompetenzbegriff
CHOMSKYS, der sich hauptsächlich auf die syntaktisch-strukturellen Fähigkeiten eines
Sprechers bezieht, die pragmatische Seite hinzufügt: Er vertritt die These, dass mit dem
Wissen um sprachliche Strukturen ein Wissen um deren situative Anwendbarkeit bereits
vorhanden sein muss. Die Annahme, dass sich die pragmatische Dimension der Sprache
einer formalen bzw. linguistischen Analyse entzieht, hält er daher nicht für sinnvoll. Die

39
Ebenda, S. 101.
40
Ebenda, S. 102.
41
Ebenda, S. 106.

28
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz

Trennung der Ebenen Sprache und Rede dürfe, so HABERMAS, nicht so vollzogen
werden, dass die pragmatische Dimension der Sprache einer ausschließlich empirischen
Analyse vorbehalten bleibe. Auch die Ebene der Rede sei der formalen Analyse
zugänglich42, und diese Analyse sei die Domäne der Universalpragmatik. Auf der
universalpragmatischen Ebene ist es zuerst notwendig, die Eigenschaften von
Sprechakten zu explizieren. Dazu analysiert die Sprechakttheorie die Regelkompetenz,
Sätze in Sprechhandlungen zu verwenden. HABERMAS nimmt an, kommunikative
Kompetenz habe ebenso einen universalen Kern wie linguistische: „Eine allgemeine
Theorie der Sprechhandlungen würde mithin genau das fundamentale Regelsystem
beschreiben, das erwachsene Sprecher beherrschen, soweit sie die B e d i n g u n g e n f ü r
e i n e g l ü c k l i c h e V e r w e n d u n g v o n S ä t z e n i n Ä u ß e r u n g e n erfüllen
können – gleich welcher Einzelsprache die Sätze angehören und in welche zufälligen
Kontexte die Äußerungen jeweils eingebettet sind.“43 Allerdings, stellt auch HABERMAS
fest, verlange eine kompetenztheoretische Untersuchung der Sprachverwendung die
Revision der Begriffe Kompetenz und Performanz:
„Um einen grammatischen Satz hervorzubringen, etwa einen Beispielsatz für Linguisten,
braucht ein kompetenter Sprecher einzig dem Anspruch auf Verständlichkeit zu genügen. Er
muß das entsprechende grammatische Regelsystem beherrschen – und das nennen wir seine
linguistisch analysierbare Sprachfähigkeit. Etwas anderes ist seine Kommunikationsfähigkeit,
die allein der pragmatischen Analyse zugänglich ist. Darunter verstehe ich die Fähigkeit des
verständigungsbereiten Sprechers, einen wohlgeformten Satz in Realitätsbezüge einzubetten
[…].“44
HABERMAS skizziert die Grundzüge einer Theorie der kommunikativen Kompetenz,
welche die Sprechakttheorie darstellen soll, wie folgt: „Kernstück der Sprechakttheorie ist
die Klärung des performativen Status sprachlicher Äußerungen.“45 Jede Äußerung wird eben
nur dann verstanden, wenn sie – mindestens implizit – eine bestimmte Beziehung
zwischen Sprecher und Hörer herstellt. Die generative Kraft eines Sprechaktes besteht

42
Vgl. HABERMAS, Jürgen (1984): Was heißt Universalpragmatik? In: DERS.: Vorstudien und
Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt/Main 1984, S. 353 – 400, hier:
S. 361.
43
Ebenda, S. 387, Hervorhebung original.
44
Ebenda, S. 390.
45
Ebenda, S. 395.

29
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz

darin, dass der Sprecher in der Ausführung desselben so auf den Hörer einwirkt, dass
dieser mit ihm eine interpersonale Beziehung aufnehmen kann und will: „Alle
kommunikativen Handlungen erfüllen oder verletzen normativ festgeschriebene soziale
Erwartungen oder Konventionen.“46 Die Lösung eventueller Probleme in diesem Prozess
liegt bereits in der Doppelstruktur der Rede. Die Möglichkeit der Entkoppelung des
illokutiven und des propositionalen Bestandteils bei der Bildung und Transformation der
Sprechakte führt zur Möglichkeit der Trennung der kommunikativen Ebenen
Intersubjektivität und Erfahrung von Sachverhalten. Damit macht die Doppelstruktur
der Rede Reflexivität der Kommunikation möglich und nötig – Sprecher müssen
prinzipiell in jeder sprachlichen Kommunikation gleichzeitig Kommunikation und
Metakommunikation betreiben. Daher kann in einer Äußerung sowohl der
interpersonale als auch der propositionale Gehalt zum Thema gemacht werden, was die
Lösung kommunikativer Probleme wesentlich erleichtert.
In HABERMAS’ Ausführungen zur rationalen Grundlage illokutiver Kräfte und seiner
Darstellung pragmatischer Universalien wird deutlich, dass sich sein Ansatz
kommunikativer Kompetenz sehr stark an einer Situation mündlicher Rede orientiert.47
Seine Darstellung reflektiert die Aushandlung einer kommunikativen Situation zwischen
Sprecher und Hörer – und welche Kompetenzen dazu erforderlich sind. Akte des
Umgangs mit Texten sind aber darüber hinaus durch andere als von genuin
syntaktischen oder morphologischen Eigenschaften pragmatisch markiert: Hier spielen
textuelle und materiale Eigenschaften eine Rolle, die vom Schreiber und Leser ebenfalls
kompetent produziert und erkannt werden müssen. Auch lässt sich eine Situation nicht
mehr einfach aushandeln: Handeln mit Texten bedeutet Handeln mit einer materialen
Struktur. Das kommunikative Gegenüber ist eben nicht mehr gegenüber: Es ist räumlich
und zeitlich verschieden vom Subjekt der Kommunikation. Der Begriff der
kommunikativen Kompetenz, wie ihn HABERMAS entwickelt, ist eine sinnvolle und
notwendige Erweiterung des CHOMSKY’schen Begriffs gewesen, reicht aber für eine
Beschreibung der Textkompetenz nicht aus. Eine Beschreibung dieser Kompetenz
müsste in den universalpragmatischen Ansatz integrierbar sein.

46
Ebenda, S. 398.
47
Vgl. ebenda, S. 433.

30
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz

2.2. HABERMAS’ methodischer Ansatz

Da HABERMAS’ Analyse gegenüber der von CHOMSKY einen wesentlichen Fortschritt


darstellt, stellt sich die Frage, mit welcher Methode dieser erreicht worden ist, und ob
sich diese Methode auch eignet, sich der Beschreibung der Textkompetenz zu nähern.
HABERMAS grenzt seinen Ansatz der Universalpragmatik scharf gegenüber anderen
Ansätzen aus Logik, Sprachwissenschaft und logischer Sprachphilosophie ab, die in dem
Ziel übereinkommen, Sprachverwendung unter formalen Gesichtspunkten zu
analysieren, vor allem gegen die klassische Sprechakttheorie von AUSTIN und SEARLE.
Die Schwächen dieser Ansätze liegen seiner Meinung nach darin, dass sie nicht radikal
genug verallgemeinern. Sie beschränkten sich auf die Instrumente der Logik und
Grammatik, welche z.T. ungenügend für eine pragmatische Analyse seien und zur
Formalisierung unzureichend analysierter Grundbegriffe verleiteten. Außerdem gingen
sie vom Modell eines einsamen, zweckrational handelnden Aktors aus (GRICE, LEWIS)
und könnten daher die Problematik intersubjektiver Geltungsansprüche nicht erfassen.
HABERMAS versucht nun einen Neuansatz durch das Verfahren der rationalen
Nachkonstruktion. Dieses Verfahren sei typisch für Wissenschaften, die „vortheoretisches
Wissen systematisch nachkonstruieren“48. Dabei ist zu unterscheiden zwischen
sensorischer Erfahrung, die wissenschaftlich durch das Verfahren der Beobachtung in
empirischer Erkenntnis mündet, und kommunikativer Erfahrung, welche durch das
Verfahren des Verstehens systematisiert wird. Der Beobachter macht seine Erfahrung
prinzipiell einsam und richtet seine Aufmerksamkeit auf wahrnehmbare Dinge und
Ereignisse, während der sinnverstehende Interpret seine Erfahrung als
Kommunikationsteilnehmer auf der Grundlage intersubjektiver Beziehungen macht. Es
besteht also eine Ebenendifferenz zwischen der wahrnehmbaren Realität und dem
verstehbaren Sinn eines symbolischen Gebildes: „Den beiden Begriffspaaren
‘wahrnehmbare Realität’ vs. ‘symbolisch vorstrukturierte Wirklichkeit’ und ‘Beobachtung’
vs. ‘Verstehen’ läßt sich das Begriffspaar ‘Beschreiben’ vs. ‘Explizieren’ zuordnen.“49
Innerhalb der Explikation von Bedeutungen lassen sich zwei Stufen unterscheiden: Ist in
der symbolisch vorstrukturierten Wirklichkeit etwas unklar, richtet sich die Explikation

48
Ebenda, S. 363.
49
Ebenda, S. 365.

31
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz

auf den semantischen Gehalt des symbolischen Gebildes, Inhaltsverstehen wird dabei
durch Verbindung einer unklaren Oberflächenstruktur mit klareren Oberflächen-
strukturen (Paraphrasen) versucht herbeizuführen. Bei weiter bestehender Unklarheit
kann sich der Explikationsversuch auf die Erzeugungsstrukturen der Ausdrücke selbst
richten und eine Rekonstruktion, die sich auf das intuitive Regelbewusstsein der
Sprecher bezieht, unternommen werden. Hierbei greift dann die Unterscheidung von
RYLE50: Knowing how als Können des kompetenten Subjekts vs. Knowing that als
explizites Wissen, wie man etwas macht. Der Autor einer Äußerung hat diese, wenn sie
verständlich ist, nach bestimmten Regeln und auf Grund bestimmter Strukturen
hervorgebracht, die das kontextspezifische Verwenden-Können des Regelsystems seiner
Sprache repräsentieren: Dies ist sein implizites Regelwissen oder sein Knowing how. Der
Interpret, der dieses Knowing how des Autors verstehen will, muss es in explizites
Wissen oder Knowing that überführen, und dies ist die Aufgabe des rekonstruktiven
Verstehens. Aus diesen methodischen Gedanken leitet HABERMAS die Unterscheidung
zwischen rekonstruktiver und empirischer Sprachwissenschaft her: Die Erfahrungsbasis
der empirischen Sprachwissenschaft ist das Sprachverhalten als Teil der wahrnehmbaren
Realität, während die rekonstruktive Sprachwissenschaft das Regelbewusstsein der
kompetenten Sprecher durch konstruktives Verstehen zu erarbeiten sucht. Dazu stehen
methodisch u.a. systematische Befragungen anhand von Beispielen zur Verfügung. Zu
Grunde liegt hier die Annahme, dass das Regelbewusstsein auf die Erzeugung
symbolischer Gebilde verweise, also aus diesen rekonstruierbar sei. Die empirische
Sprachwissenschaft verhält sich daher zu ihrem Gegenstandsbereich wie eine
kausalanalytische Theorie und stellt Gesetzeshypothesen auf, während die
rekonstruktive Sprachwissenschaft sich zu ihrem Gegenstandsbereich verhält wie eine
Bedeutungsexplikation zum Explikandum. Die empirisch-analytische Theorie will das
vorwissenschaftliche Alltagswissen über einen Objektbereich widerlegen und durch ein
korrektes, vorläufig als wahr angesehenes, theoretisches Wissen ersetzen, während das
rekonstruktive Vorgehen das vortheoretische Wissen mehr oder weniger abstrakt
darstellt, ohne es falsifizieren zu wollen oder zu können. Rekonstruktionen stellen damit
einen essentialistischen Anspruch, d.h. rationale Nachkonstruktionen müssen Regeln
explizieren, die bei der Erzeugung entsprechender Oberflächenstrukturen tatsächlich

50
HABERMAS bezieht sich hier auf: RYLE, Gilbert (1969): Der Begriff des Geistes. Stuttgart:
Reclam 1969, darin: Zweites Kapitel: Wissen und Können. S. 26 – 77.

32
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz

wirksam sind. Diesen Anspruch stellte CHOMSKY in seiner generativen


Grammatiktheorie – welche der rekonstruktiven Sprachwissenschaft zugehört, und
HABERMAS hält diesen Anspruch der Erklärungsadäquatheit für konsequent. Er sieht
allerdings methodologische Schwierigkeiten: Zum einen gibt es zwei Einwände gegen die
Wahl von Sprecherintentionen als Ausgangspunkt der Rekonstruktion. Hier stellt sich
erstens die Frage, ob die rekonstruktive Linguistik tatsächlich zur Kompetenz gelangen
kann – oder nicht vielmehr eine Beschreibung und Systematisierung der Intuitionen
kompetenter Sprecher bleibt. Zweitens werden die intuitiv fundierten Sprecherurteile für
unzuverlässig gehalten. Diesen Einwänden hält HABERMAS entgegen, dass sie falsche
Erwartungen an die rekonstruktive Methode stellen – nämlich Erwartungen der Art, wie
man sie an empirische Modelle richtet.
Das andere methodologische Problem betrifft mentalistische Interpretationen von
rekonstruktiven Regelformulierungen: Die Frage, ob es eine mentale Entsprechung zu
von der linguistischen Grammatiktheorie explizierten Regeln gebe. Diese Kontroverse
ist aber durch einen wesentlichen Punkt zu entscheiden, den HABERMAS ausführt:
CHOMSKYS Annahme der genauen Darstellung der angeborenen Sprachkompetenz
durch die Grammatiktheorie ist zu stark. Plausibler ist, dass die Rekonstruktion der
Kompetenz die Sprachkompetenz eines erwachsenen Sprechers darstellt, welcher diese in
einer kognitiven Entwicklung und in Lernprozessen erworben hat. Außerdem gehe eine
Kritik, die an diese Frage anschließe, wiederum von einem empirischen Paradigma aus.
Aus HABERMAS’ methodologischer Diskussion sind für das Thema der
Textkompetenz folgende Schlussfolgerungen zu ziehen: Erkenntnisse textueller
Kompetenz scheinen sinnvollerweise nur durch ein rekonstruktives Verfahren
erreichbar, denn Kompetenz ist nichts direkt Beobachtbares, sondern kann nur aus
Beobachtungen von Verhalten, Analysen der Verhaltensergebnisse sowie Befragungs-
ergebnissen der Verhaltenssubjekte erschlossen werden. Die Frage der kommunikativen
Kompetenz in Bezug auf Texte ist auf diese Art und Weise bisher nicht beantwortet
worden.

33
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz

3. COSERIUS Konzeption sprachlicher Kompetenz

3.1. Begrifflichkeit und historische Verortung

COSERIU hat eine ganze Vorlesungsreihe der Theorie der Sprachkompetenz gewidmet.
Mit Sprachkompetenz bezeichnet er jenes Wissen, das die Sprecher beim Sprechen oder
beim Gestalten des Sprechens anwenden. Die Theorie der Sprachkompetenz muss daher
eine Theorie des Sprechens in allgemeinen Zügen sein, welche die Themenbereiche
Umfang, Natur, Gehalt und Struktur des sprachlichen Wissens umfasst.51 Historisch
sieht er diese Probleme vor allem bei DE SAUSSURE und CHOMSKY diskutiert – aber
unzureichend, wie er ausführt, denn das mit der Rede identifizierte Sprechen werde dort
als Manifestation der Kompetenz angesehen, Kompetenz als die Kenntnis einer
Einzelsprache betrachtet und eine Einzelsprache als gleichzeitiges und einheitliches
Sprachsystem verstanden. COSERIU hält aber folgende Fragen für bisher nicht
differenziert genug beantwortet: „[...]
1) Stimmt es, daß die Rede (das Sprechen) bloß Realisierung der Einzelsprache ist,
d.h. daß die Beschreibung der Einzelsprache das Sprechen restlos aufklärt bis auf
das, was rein okkasionell und individuell ist? Mit anderen Worten: Fällt die
Kompetenz einfach mit der Einzelsprache zusammen?
2) Stimmt es, daß die Einzelsprache, die sich in der Rede manifestiert, genau einem
Sprachzustand entspricht, wenn dieser Sprachzustand als einheitliches System
aufgefaßt wird?
3) Stimmt es, daß die sprachliche Kompetenz als Einzelsprache und Sprachzustand
genau e i n e m einheitlichen Sprachsystem entspricht?
Die Antwort auf alle drei Fragen wird ‘Nein’ sein.“52
Eine Sprache im Sinne eines für eine größere Volksgemeinschaft einheitlichen Systems
von sprachlichen Regeln ist ein historisches Kulturprodukt, welches sich dadurch
auszeichnet, dass es von eigenen Sprechern und von Sprechern anderer Sprachen als
Sprache anerkannt wird. Solche Sprachen werden historische Sprachen genannt. Eine
solche ist aber bei genauerer Betrachtung keine Einheit, sondern ein Gefüge von

51
Vgl. COSERIU, Eugenio (1988): Sprachkompetenz – Grundzüge einer Theorie des Sprechens.
Franke: Tübingen 1988, S. 3.
52
Ebenda, S. 23.

34
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz

kleineren Sprachsystemen. Innerhalb von Sprachen kann man diese Subsysteme


entweder räumlich ausgrenzen (Dialekte), soziokulturell nach Sprachschichten und
stilistisch nach Expressivität bzw. nach Sprachstilen differenzieren.53 Von historischen
Sprachen verschieden sind funktionelle Sprachen, welche in jeder Hinsicht als
einheitliches Sprachsystem zu betrachten sind. Während historische Sprachen niemals als
solche gesprochen werden, da sie letztlich eine Konstruktion sind, bezeichnet
funktionale Sprache die Art der Sprache in einer situational bestimmten Realisation in der
Rede. In Texten können an verschiedenen Stellen verschiedene funktionelle Sprachen
verwendet werden.
Die Identifizierung von Kompetenz, Einzelsprache, Sprachzustand und Sprachsystem
beruht auf der Reduktion des Sprechenkönnens auf eine Einzelsprache und die
Reduktion der Einzelsprache auf eine funktionelle Sprache. So begreift COSERIU auch
CHOMSKYS Kompetenzbegriff: Er ziele auf die funktionelle Sprache – die Performanz
sei die bloße Ausführung der Kompetenz, d.h. ein weiter gefasster Begriff der
Kompetenz umfasst alle Regeln und Normen für die Erzeugungsprozesse der Rede.
CHOMSKY würde schließlich auch bejahen, so COSERIU, dass es eine Linguistik der Rede
als eine Theorie der Performanz geben kann, allerdings würde diese nicht die sprachliche
Kompetenz explizieren. Das dies auch für COSERIU nicht sinnvoll ist, haben wir bereits
am Schluss des Abschnitts III.1 gesehen. Er nimmt an, dass Regeln und Normen zur
Kompetenz gehören.

3.2. Die Ebenen sprachlicher Kompetenz

Die Ausgangsthesen für eine begründbare Theorie der sprachlichen Kompetenz sind für
COSERIU, dass Sprache erstens eine allgemein menschliche Tätigkeit ist, zweitens als
Tätigkeit von Vertretern einer gemeinschaftlichen Tradition des Sprechenkönnens
ausgeübt wird und drittens durch individuell ausgestaltet wird. Dass die Einzelsprache
zwischen Kompetenz und Performanz anzusiedeln ist, verdeutlicht er mit den
klassischen Mitteln der analytischen Philosophie: „Im Sprechen hat die Einzelsprache
keine ‘substantivische’ Existenz, sondern eine ‘adverbiale’: Sie ist keine Sache für sich,
sondern Modalität einer Tätigkeit. Diese Tätigkeit ist das Sprechen, und adverbiale

53
Vgl. ebenda, S. 25.

35
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz

Ausdrücke wie d e u t s c h , französisch (z.B. in E r spricht deutsch,


f r a n z ö s i s c h ) geben an, wie man spricht.“54 Kompetenz, so COSERIU, ist im
komplexen Vorgang des Sprechens zu identifizieren. Der Autor schließt daraus, dass wir
verschiedene Formen der Kompetenz annehmen müssen, von denen die Einzelsprache
nur eine ist. Von dieser Erkenntnis leitet er die Forderung nach einem Perspektivwechsel
in der Linguistik ab – es sei nicht von der Einzelsprache, sondern von der Tätigkeit des
Sprechens auszugehen. Genauso werde ich nicht von einzelsprachlichen Texten ausgehen
können, sondern vom tätigen Umgang mit Texten – was der allgemeine Begriff des
Sprechens bei COSERIU auch umfasst, wie ich noch zeigen werde.
Der neue, von COSERIU geforderte Schwerpunkt der Linguistik sollte eine Linguistik
des Sprechens sein, deren Interesse eine kulturelle Sicht des Sprechens ist: Sprechen als
kulturelle Tätigkeit auf der Grundlage tradierten Wissens, welche in sprachlicher
Tätigkeit und außersprachlichen Handlungsformen besteht. Zu postulieren ist damit
eine Kompetenz der außersprachlichen Handlungsformen – die aber zum Sprechen
gehört. Damit ist zum Teilbereich „Textkompetenz“ auch die Kompetenz zum Umgang
mit Textmustern oder Textsorten zu zählen, die ebenfalls außersprachliche Handlungs-
formen zum Ziel hat, welche nicht direkt zur sprachlichen Kompetenz gehören – aber
ohne die eine sprachliche Äußerung in Text- und Schriftform nicht zu Stande kommt:
„Es gibt also diese Tätigkeiten, die das Sprechen nicht nur begleiten, sondern die das
Sprechen und die ihm entsprechende Kompetenz auch beeinflussen können. Gewisse
Ausdrücke sind in Relation zu nicht-sprachlichen Ausdrucksinstrumenten entstanden, und
bestimmte Ausdrucksinstrumente setzen die gleichzeitige Verwendung dieser
außersprachlichen Instrumente voraus. Auch beim Schreiben gibt es außersprachliche Mittel,
z.B. die Bilder und Zeichnungen, die in einen Text eingefügt werden, oder die verschiedenen
Möglichkeiten der graphischen Textgestaltung. Außerdem kann man die Schrift ikastisch
verwenden, so daß sie zugleich Zeichnung des gemeinten Gegenstandes ist.“ 55
Sprechen im hier zu Grunde gelegten Sinn von sprachlicher Tätigkeit ist zuerst eine
psychophysische Tätigkeit, d.h. eine neurobiologisch bedingte Tätigkeit, aber „[d]ie
biologisch bedingten Mechanismen des Sprechens sind nicht unmittelbar Gegenstand der
Linguistik als K u l t u r w i s s e n s c h a f t . “56 Diese interessieren die

54
Ebenda, S. 62. Hervorhebung original.
55
Ebenda, S. 67 ff.
56
Ebenda, S. 69; Hervorhebung M.K.

36
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz

Gesichtspunkte Tätigkeit, Wissen und Produkt auf den Ebenen des Sprechens im
Allgemeinen, auf der Ebene der historischen Einzelsprache und auf der individuellen
Ebene des Diskurses und des Textes. Den drei Ebenen der Sprachtätigkeit stehen drei
Ebenen des Wissens gegenüber:
- elokutives Wissen oder allgemeinsprachliche Kompetenz als allgemeine Fähigkeit zu
sprechen und sprachlich zu handeln,
- das idiomatische Wissen als das einzelsprachliche Wissen eines Sprechers
- das expressive Wissen oder die textuelle Kompetenz eines Sprechers.
COSERIU kennzeichnet die Ebenen der Sprachtätigkeit und des Wissens noch genauer.
Im Folgenden werde ich diese Diskussion kurz zusammenfassen:
Die allgemeinsprachliche Ebene betrifft die Sprache und das Sprechen im Allgemeinen,
es geht um das Übereinzelsprachliche, um das, was zu jeder Sprache und zu jedem
Sprechen gehört. Das dieser Ebene korrespondierende Wissen ist das elokutionelle
Wissen. Die Urteilsprädikate auf dieser Ebene sind „kongruent“ oder „inkongruent“.
Dass Kongruenzurteile autonom sind und damit eine allgemeinsprachliche Ebene im
sprachlichen Wissen sinnvoll anzunehmen ist, zeigen Beispiele wie „Zwei und zwei sind
fünf.“, welche syntaktisch im Deutschen korrekt, aber inkongruent sind. Den
Kongruenzurteilen liegen andere Wissensformen als sprachliches Wissen zu Grunde, so
die Kenntnis der allgemeinsten Denkprinzipien und die allgemeine Kenntnis der Sachen.
Diese ermöglichen es, das Gesagte zu interpretieren, auch Sinnwidriges zu verstehen,
wenn eine Absicht dahinter vermutet wird (man denke an Metaphorik) und es
ermöglicht auch, etwas als kohärent zu akzeptieren oder als inkohärent abzulehnen.
Hinzu kommt implizites Wissen über die Möglichkeiten der sinnvollen Interpretation,
welches in Maximen des Sprechens erfasst werden kann.57
Die einzelsprachliche Ebene betrifft das idiomatische Wissen, das Wissen in Bezug auf
Einzelsprachen – also auf Sprachen historischer Gemeinschaften. Sprechen entsprechend
der einzelsprachlichen Tradition wird als „korrekt“ bewertet, während Abweichungen
hiervon als „inkorrektes“ Sprechen gelten. Das Kriterium der Korrektheit ist unabhängig
von dem der Kongruenz und dem der Angemessenheit. Die erste Unabhängigkeit haben
wir bereits auf der allgemeinsprachlichen Ebene gesehen – die zweite lässt sich recht
einfach mit einem Beispiel illustrieren: „A (ertrinkend): Hilfe! – B: Brauchen Sie ein

57
COSERIU spielt hier vermutlich auf die GRICE’schen Konversationsmaximen an.

37
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz

Bier?“ Sprachlich korrekt formuliert, ist die Äußerung von B dennoch der Situation
nicht angemessen. Auch hier gilt: Die Autonomie des Korrektheitsurteils spricht für
eine eigene Ebene sprachlichen Wissens. Die Kompetenz auf dieser Ebene, die häufig
verkürzt auch als die Ebene der langue betrachtet wird, wird von keinem Theoretiker
bestritten. Dennoch birgt sie einige schwerwiegende Probleme: Zuerst ist festzuhalten,
dass die tatsächliche einzelsprachliche Kompetenz mehr ist als die langue – sie reicht vor
allem auch in Bereiche des expressiven Wissens hinein, da die Wahl der sprachlichen
Mittel für eine konkrete Äußerung gerade diese Fähigkeiten erfordert.
Die individuelle Ebene betrifft die Tradierung sprachlicher Formen. Solches Wissen
ist in Bezug auf die Formen historisch und gemeinschaftlich, aber in anderer Form als
einzelsprachliches Wissen, da Textsorten – im Gegensatz zu Sprachen – keine Gemein-
schaften konstituieren. Hier geht es um das implizite Wissen über die außersprachlichen
Zusammenhänge, die das Sprechen determinieren, wie beispielsweise der Sprecher, der
Adressat, der Gegenstand und die Situation. Ein Urteil auf dieser Ebene wird mit den
Prädikaten „angemessen“ und „unangemessen“ gefällt. Auf dieser Ebene sind auch die
Normen der Textkonstitution anzusiedeln, sie umfassen Normen der allgemeinen
Determination sprachlicher Äußerungsprozesse und Normen für Textgattungen,
Textsorten und Textarten. Diese Kompetenz ist zum großen Teil autonom von der
einzelsprachlichen Kompetenz. Es gibt aber auch einzelsprachliches Wissen in Bezug auf
die Textstrukturierung. Dies betrifft konkrete Mittel der Vertextung, beispielsweise die
Verwendung und Bedeutung von Konnektoren. Auch die Zusammenhänge zwischen der
Satzstruktur und der propositionalen Mikro- und Makrostruktur des Textes sind
einzelsprachlich strukturiert. Situatives Wissen hingegen ist kein einzelsprachliches
Wissen, sondern kulturabhängig.
Bei genauerer Betrachtung ist nun festzustellen, dass fast alle Probleme der Linguistik
alle drei Ebenen des Wissens involvieren. So hat die Textlinguistik folgende Anteile an
den verschiedenen Ebenen: Die Ebene des Sprechens im Allgemeinen bestimmt die Art
der sprachlichen Funktionen, welche in einer Einzelsprache realisiert sind oder nicht.
Die Ebene des Diskurses betrifft, so COSERIU, die Verwendung sprachlicher Mittel zur
Konstituierung von Sinn. Hier ist allerdings in Konkretisierung dieser Behauptung zu
sagen, dass auf der Ebene des Diskurses vor allem auch das Wissen um Formen und
Strukturen des Textes und des Textproduktions- und Textrezeptionsprozesses
anzusiedeln sind.

38
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz

3.3. Sprachkompetenz als Wissensform

Über seine Differenzierung der Ebenen sprachlicher Kompetenz hinaus scheinen mir für
die Diskussion der Textkompetenz COSERIUS Reflexionen über die Sprachkompetenz
als Wissensform nützlich zu sein. Er geht davon aus, dass die Natur sprachlichen
Wissens in der Sprachwissenschaft bisher nicht als Problem erkannt wurde. Sie
unterscheide nur zwischen Wissen und Nichtwissen. Ausgangspunkt seiner Diskussion
ist, neben der schon erwähnten RYLE’schen Unterscheidung zwischen Knowing how und
Knowing that, HEGELS Unterscheidung zwischen bekannt und erkannt, zwischen nicht
begründetem und vollkommen begründetem Wissen. Während der Sprecher einer
Sprache in der Regel ein nichtbegründetes Wissen hat, muss es das Ziel eines Linguisten
sein, begründetes Wissen über Sprache und Sprechen zu erwerben: „Die Aufgabe der
Linguisten besteht gerade darin, das nicht begründete, nicht wissenschaftliche Wissen der
Sprecher zu einem reflexiven, einem wissenschaftlichen Wissen zu machen. In diesem Sinne
folgen die Linguisten bewußt oder unbewußt dem Rat von Hegel: ‘Alle Kenntnis muß
Erkenntnis werden.’“58 Sprachliches Wissen ist, wie COSERIU gezeigt hat, ein
Tunkönnen, das sich im Sprechen manifestiert. Dieses ist beim Sprechen und Verstehen
ein vollkommen sicheres Wissen, aber ein Wissen, das nicht begründet wird oder für
dessen direkte Begründungen es keine Begründungen gibt. Dieses Wissen kann man
sinnvoll ein technisches Wissen nennen - Τέχνη ist in der griechischen Philosophie ein
Wissen, das sich im Tun, in der Tätigkeit, im Machen zeigt: „[…] die sprachliche
Kompetenz ist weder δόξα noch έπιστήµη ; sie ist τέχνη, d.h. ein technisches Wissen. Ein Titel
wie Ars grammatica Latina bringt also zum Ausdruck, daß es sich um ein Werk über das
grammatische Tunkönnen der Lateinsprechenden bzw. um das grammatische Tunkönnen
handelt, das sich in der lateinischen Sprache manifestiert.“59 Diese Klassifikation lässt sich
auch durch die Beobachtung der Neuschaffung sprachlicher Strukturen und Regeln
durch die Sprecher absichern – in „die zue Tür“ wird ein Adverb plötzlich adjektivisch
gebraucht, hier werden also bereits bestehende Regeln kreativ angewandt. Der
Zuordnung sprachlichen Wissens zu technischem Wissen, das sich in der Performanz
zeigt, würde natürlich CHOMSKY vehement wiedersprechen: Aus der Performanz auf die

58
Ebenda, S. 205.
59
Ebenda, S. 213.

39
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz

Kompetenz zu schließen sei nicht zulässig, da die Performanz nie wirklich die
Kompetenz widerspiegle. Dieser Einwand geht allerdings von mehreren falschen
Voraussetzungen aus: Zum einen erweist sich die Behauptung, die Performanz würde
unendlichen Schwankungen unterliegen, als falsch, da es offensichtlich Domänen gibt, in
denen die Regelmäßigkeiten innerhalb einer funktionellen Sprache fast vollständig sind
(Phonologie, Morphologie), was aber auf Grund der Syntaxfixiertheit der Diskussion
übersehen wurde. Außerdem ist anzunehmen, dass manche Schwankungen der
Performanz nicht festgestellten Regeln unterliegen. Auch ein zweiter Einwand gegen die
Ableitung der Kompetenz aus der Performanz besagt nichts: Nicht alles, was die Regeln
der Kompetenz zulassen, komme auch tatsächlich vor. So gibt es bestimmte syntaktisch
korrekte Konstruktionen, die schon deshalb nicht vorkommen, weil sie allgemeinen
Denkprinzipien widersprechen („das grüne Pferd“).60
Die Grenze zwischen technischem Wissen und wissenschaftlicher Reflexion des
Wissens verläuft für COSERIU dort, wo Begründungen sprachlichen Wissens über eine
unmittelbare Begründung hinausgehen. Sprecher, die sprachliche Funktionen zu
differenzieren versuchen, seien bereits Linguisten. Genau an dieser Stelle ist
Widerspruch dringend geboten, denn das Besondere einer rekonstruktiven Human-
wissenschaft wie der Linguistik besteht gerade darin, dass wissenschaftlich erarbeitetes
Wissen über Bildungsinstitutionen das Alltagswissen beeinflusst. Es ist also zu fragen,
ob das Wissen über ein Schriftsystem und textuelle Kompetenzen eine besondere Art
reflexiven Wissens beinhalten. Am Beispiel des deutschen Schriftsystems und der
Reformdiskussion der deutschen Orthographie der letzten 100 Jahre ist dies deutlich zu
erkennen. Textuelle Kompetenz ist nicht in diesem Maße normiert, ist aber dennoch
stark vom reflexiven Wissen von Theoretikern und Praktikern beeinflusst – man denke
nur an Lehrbücher der Publizistik.

60
Vgl. ebenda, S. 217.

40
Aspekte der Textkompetenz – IV. Die Möglichkeit eines ling. Textkompetenzbegriffs

IV. Über die Möglichkeit eines linguistischen Textkompetenz-


begriffs

1. Abgrenzung gegen CHOMSKYS Kompetenzverständnis

Würde man CHOMSKYS Unterscheidung zwischen Kompetenz und Performanz folgen,


würde die Frage nach textueller Kompetenz, also nach den Fähigkeiten, die ein
Sprachbenutzer benötigt, um Texte rezipieren und produzieren zu können, sowohl unter
Kompetenz als auch unter Performanz fallen. Vor Allem die großen pragmatischen
Anteile der Textkompetenz sowie psycholinguistische Betrachtungen derselben, wie wir
sie bei VAN DIJK/KINTSCH (1983) finden61, fielen dann unter Performanz. Dies ist
sowohl in Bezug auf den Alltagsbegriff von Kompetenz als auch vor dem Hintergrund
der Diskussion des Ansatzes von COSERIU ein zu enger Begriff von sprachlicher
Kompetenz. Dies sollte auch in der weiteren Diskussion meiner These deutlich werden:
Schrifttextkompetenz ist ein Können, das reflektiert sein muss. Der Weg
Schrifttextkompetenz führt über ein Knowing that linguistischer und
pragmalinguistischer Natur. Textkompetenz möchte ich das Knowing how und das
Knowing that nennen, das Textproduktion und Textrezeption gleichermaßen zu Grunde
liegt.

2. Bestandteile der Textkompetenz

Wie wir gesehen haben, sind Textualität und Schriftlichkeit dem diachronen Ursprung
nach zwei verschiedene Technologien. Schriftlichkeit lässt sich aber auch heute noch als
gegenüber Textualität autonome Technologie begreifen, da auf sie – im Gegensatz zur
Textualität – expliziter politischer Einfluss ausgeübt wird (Orthographiereform).
Schriftkompetenz wird in der Grundschule auf nicht-naürlichem Wege durch Lehren
und Lernen erworben.

61
Vgl. VAN DIJK, Teun A./KINTSCH, Walter (1983): Strategies of Discourse Comprehension. New
York et. al. 1983. Vgl. auch Abschnitt V.1.3.1 dieser Arbeit.

41
Aspekte der Textkompetenz – IV. Die Möglichkeit eines ling. Textkompetenzbegriffs

Textualität ist eine Technologie, die ebenfalls gesellschaftlichen Normen unterworfen


ist, welche aber nicht explizit politisch gesteuert sind. Textkompetenz sollte ebenfalls in
der Schule erworben werden. Sie umfasst die Kompetenz zum Rezipieren und
Produzieren mündlicher wie schriftlicher Texte. Diese sollen den Normen konzeptueller
Schriftlichkeit entsprechen. Es findet hier also eine Erweiterung der
allgemeinsprachlichen Kompetenz statt, welche ein Kind natürlich erwirbt. Hierzu
gehört, neben der Erweiterung des morphologischen und syntaktischen Inventars, ein
pragmatisches Handlungswissen in Bezug auf Texte. Schriftliche Textkompetenz stellt
einen Spezialfall der Textkompetenz dar: Sie betrifft materiell wie sprachlich stärker
elaborierte und normierte Formen, wie wir später, bei der Diskussion der
Textsortenkompetenz als Teilkompetenz der Textkompetenz sehen werden. Die
Teilkompetenzen der mündlichen Sprachkompetenz, also das allgemeine Wissen und das
allgemeinsprachliche Wissen, wie COSERIU sie nennt62, gehen in die schriftliche
Textkompetenz mit ein bzw. werden von ihr vorausgesetzt.
HABERMAS stellte sich die Frage, ob die rekonstruktive Linguistik tatsächlich zur
Kompetenz durchdringen kann oder ob sie letztlich nur Sprecherintentionen
beschreibt.63 Hier ist meiner Ansicht nach insgesamt die Frage falsch gestellt, denn der
sprachliche Kompetenzbegriff muss auch über die Anforderungen rekonstruiert werden,
welche die kommunikative Realität stellt. Wie sehr beim Kompetenzbegriff auch
normative Elemente eine Rolle spielen, ist im Kapitel Textsortenkompetenz zu zeigen.

3. Textkompetenz als reflexives Wissen?

Textkompetenz ist ein Tätigkeitswissen. Ich möchte COSERIU in seiner Ansicht folgen,
dass sie dennoch ein Forschungsgebiet der Linguistik ist.64 Hierdurch wird eine
handlungsorientierte Textlinguistik möglich, die den Zusammenhang zwischen
Handlungen und Textualität beschreiben kann. Die Schwierigkeiten, die hierbei
auftreten, werden uns im nächsten Kapitel beschäftigen.

62
Vgl. Abschnitt III.3.2 dieser Arbeit.
63
Vgl. HABERMAS 1984, S. 374.
64
Vgl. Abschnitt III.3 dieser Arbeit.

42
Aspekte der Textkompetenz – IV. Die Möglichkeit eines ling. Textkompetenzbegriffs

Textkompetenz als Tätigkeitswissen oder als Technologie steht, wie diskutiert, unter
dem Einfluss der rekonstruktiven Sprachwissenschaft. Dieser Kompetenz liegt
außerdem ein sprachliches Knowing that zugrunde, ein reflexives Wissen über die
allgemeinsprachliche Kompetenz und über gesellschaftliche Anforderungen an die
Kommunikation mit Hilfe von Texten. Deshalb liegt die These nahe, dass
Textkompetenz kein rein intuitives Wissen ist und somit nicht erworben werden kann,
wie wir eine natürliche Sprache im Erstspracherwerb erlernen. Außerdem ist davon
auszugehen, dass Wissensreflexion in Bezug auf Texte durch Weitergabe von
Expertenwissen aus der Sprachwissenschaft verbessert werden kann. Diese Thesen
werden von HABERMAS’ Theorieansatz, wie ich ihn dargestellt habe, verdeutlicht: Er
stützt seine Methodik der Universalpragmatik, wie bereits referiert, auf RYLES
Unterscheidung von Knowing how als Können des kompetenten Subjekts und Knowing
that als explizites Wissen, wie ein Ziel zu verfolgen ist. Ein Interpret, der das Knowing
how des Autors, also das implizite Wissen, verstehen will, muss es in ein explizites
Wissen, also ein Knowing that zweiter Stufe überführen. Die Aufgabe des
rekonstruktiven Verstehens besteht also in der Bedeutungsexplikation im Sinne der
Nachkonstruktion von Erzeugungsstrukturen. Das Knowing that über Strukturen und
Funktionen von schriftlichen Texten ist wesentlich komplexerer Natur als das über
mündliche Alltagskommunikation. Die Grundfrage in Bezug auf schriftliche
Textkompetenz lautet also: „Was verändert sich, wenn wir – statt zu sprechen –
schreiben?“65 Als vorläufige kurze Antwort lässt sich an dieser Stelle sagen, dass
Schreiben von den Zwängen aber auch von den Kooperationsmöglichkeiten der
Umgebungssituation entbindet, die bei Face-to-Face-Kommunikation vorliegen,
wodurch sich das gesamte interaktionale Bedingungsgefüge verändert. Der Schreiber
muss Strukturierung und Informationsverteilung im Hinblick auf Vorwissen und
Interesse des potentiellen Partners planen, die Textgestaltung muss also voraussehbaren
Bedingungen der Textrezeption genügen. Rekonstruktives Verstehen textueller
Kommunikation ist also Voraussetzung für den Erwerb textueller Kompetenz, somit ist
wissenschaftliches Knowing that über Textkompetenz eine wesentliche Voraussetzung
für sprachdidaktische Ansätze der Förderung textueller Kompetenz.

65
HEINEMANN/VIEHWEGER (1991): Textlinguistik. Eine Einführung. Tübingen: Niemeyer 1991,
S. 210.

43
Aspekte der Textkompetenz – IV. Die Möglichkeit eines ling. Textkompetenzbegriffs

Zur Stützung der These, Textkompetenz sei ein reflexives Wissen, möchte ich hier
kurz eine sprachdidaktische Studie referieren, welche empirisch zeigt, dass
textgrammatisches Wissen sich durch Reflexion verbessern lässt. KLOTZ (1996) führt
vor, wie syntaktische Anteile der textuellen Kompetenz durch ein reflexives Moment im
Unterricht verbesserbar sind.66 Der Autor illustriert meine These der Reflexivität des
textuellen Wissens mit dem treffenden Vergleich, Singen sei eine natürlich erworbene
Fähigkeit, während Komponieren ohne Unterricht kaum erlernbar sei: Dies gelte ebenso
für Sprechen und Schreiben.67 Die besondere Aufgabe der Textgestaltung liege darin,
dass sie eine linear-grammatische Aufgabe mit einer hierarchisch-informativen Aufgabe
verbinde. Eben diese Aufgabe sei mit Reflexivität verbunden, welche aber in der
ontogenetischen Entwicklung erst ab ungefähr dem 13. Lebensjahr möglich sei. Ab hier
müsse diese Fähigkeit durch Sprachangebotsunterricht, d.h. kreative Arbeit am
sprachlichen Material, verbunden mit expliziter sprachlicher Reflexion, gefördert
werden. Diese Forderung beruht auf der Erkenntnis funktionaler Bezüge zwischen
Textualität und Grammatik: Wissensreflexion in Bezug auf textstrukturelles,
textpragmatisches und textstilistisches implizites Wissen setzt analytisches Können,
Wissen und Vokabular auf syntaktischer und morphologischer Ebene voraus: „...und so
kann es z.B. passieren, daß an einem Thomas MANN-Text die Modi hin- und herprobiert
werden [...] Daß aber erst bei einem differenzierten Wissen zu den Modi die Qualitäten
eines literarischen Textes erkannt und gewürdigt werden können, wird bei solchem Vorgehen
für die Schüler nicht wirklich spürbar.“68 So sei es durch die Einführung des Begriffs der
Adverbialien in Verbindung mit Erfahrung adverbialer Strukturen an Texten möglich,
Kindern die Begrenztheit ihrer „und-dann“-Erzählstruktur und mögliche Alternativen
hierzu plastisch vor Augen zu führen. Dies sei eine typisch mündliche Struktur. Kinder
sollen aber der reinen Mündlichkeit allmählich entwachsen, „eben damit sie wirklich über
Schriftlichkeit verfügen.“69 Hier ist kritisch anzumerken, dass KLOTZ (1996) nicht sauber
zwischen konzeptioneller und medialer Schriftlichkeit unterscheidet. Dies lässt sich auch
als Hinweis darauf interpretieren, wie sehr Textualität mit Schriftlichkeit gleichgesetzt

66
KLOTZ, Peter: Grammatische Wege zur Textgestaltungskompetenz: Theorie und Empirie. Max
Niemeyer Verlag: Tübingen 1996.
67
Vgl. ebenda, S. 4.
68
Ebenda, S. 107.
69
Ebenda, S. 240.

44
Aspekte der Textkompetenz – IV. Die Möglichkeit eines ling. Textkompetenzbegriffs

wird. KLOTZ (1996) geht es in erster Linie um den Ausbau textueller Kompetenz, also
um konzeptionelle Schriftlichkeit, verbunden mit der Fähigkeit der Strukturvariierung
und der differenzierteren Vertextung.
KLOTZ (1996) versucht die These, Textkompetenz sei durch grammatische Reflexion
förderbar, in einem breiteren Umfang empirisch zu untermauern, indem er Schülertexte
in Zusammenhang mit bestimmten Unterrichtsformen auf Attribuierung und
Adverbiale, Satzglied- und Satzlängen, Tempus, Modus, Genus verbi, pronominale
Rekurrenz, syntaktische Kohäsion, Konnektoren und Isotopie untersucht. Theoretische
Grundannahmen der Untersuchung sind:
- Schülern lernen auf zwei Wegen: kognitiv oder prototypisch,
- es gibt einzelsprachliche Phänomene, die für (Schul-)Textsorten konstituierend sind,
sie sind nach den o.g. Wegen lehrbar,
- der Bereich „Grammatikunterricht/Sprachreflexion“ trägt diesen Überlegungen noch
nicht genügend Rechnung,
- „Funktional betriebener Grammatik- und Sprachwissensunterricht fördert die
Schreibkompetenz der Schüler. Dies lässt sich empirisch beobachten.“70,
- Schülertexte sind bis in die Einzelphänomene beschreibbar.
Die Prototypentheorie erscheint für KLOTZ (1996) didaktisch fruchtbringend, da zu
erkennen sei, dass kindliches und jugendliches Denken noch nicht schwerpunktmäßig
begrifflich-systematisch strukturiert sei. In einem kurzen Exkurs möchte ich seine
Gedanken hierzu ausführen, da sie uns später noch einmal beschäftigen werden. Da der
Stoff des Deutschunterrichts ausgesprochen komplex sei, müsse man, so KLOTZ (1996),
annehmen, Textkompetenz sei nicht restlos systematisch lehrbar. Die Prototypentheorie
verknüpfe mehrere Basiskategorien und erfasse damit Komplexes auf einem für
Jugendliche angemessenen Weg. Außerdem sei sie nicht normativ-präskriptiv, da sie
auch Randphänomene erfasse und Varianten inkludiere, was wesentlich für einen
Lernprozess sei: „Mit Hilfe von Prototypen werden Makro- und Mikrostrukturen und
deren Verhältnis zueinander lehrbar. Auf einem kognitiven Lehr-/Lernweg wäre der
Aufwand erheblich; und dieser Aufwand würde wohl das Lernziel in Frage stellen!“71
Problematisch sei allerdings, dass schulische Textsorten in der Regel nicht Prototypen

70
Ebenda, S. 78.
71
Ebenda, S. 98.

45
Aspekte der Textkompetenz – IV. Die Möglichkeit eines ling. Textkompetenzbegriffs

für Alltagstextsorten darstellten. Genau hier müsse angesetzt werden: Schule müsse dem
lernenden, eigenaktiven Subjekt durch das Lehrmaterial Prototypen anbieten um
- ... „beste Beispiele“ im Sinne der Prototypentheorie auf der halbbewussten Wissens-
und Könnensebene zu etablieren,
- ... eine bewusste kognitive Durchdringung dieser Beispiele zu ermöglichen,
- ... Schüler letztlich aus zu enger Verhaftung mit den Prototypen durch die kognitive
Durchdringung zu befreien und ihnen einen autonomen Umgang Texten zu
ermöglichen.72
Dieses Problem wird uns noch stärker im Kapitel „Textsortenkompetenz“ beschäftigen.
Kehren wir vom didaktischen Exkurs zurück zur Untersuchung des Einflusses von
grammatischer Sprachreflexion auf die Textgestaltungskompetenz. Als Grundidee für
die Unterrichtskonzeption führt KLOTZ das Modell des informationsgesättigten Satzes
ein, eines Modells, dass die Dependenzstruktur eines Satzes mit Wissen über die
Semantik und Pragmatik sprachlicher Äußerungen zu verbinden sucht. Dabei setzt er an
einem erweiterten Satzstrukturmodell an, weil er meint, dass, wenn man die mittlere
Komplexität der Satz- und Textstrukturen dem Unterricht zu Grunde lege, man die
Schüler dort abhole, wo sie vermutlich entwicklungslogisch stünden. Vom sprachlich
Mittelkomplexen solle man dann hierarchisch absteigen zu den weniger umfangreichen
Phänomenen: von Textabschnitten zum Satz, zu seinen intentionalen und semantischen
Ebenen, zu den Satzgliedern und Attributen. Als Ausgangspunkt für sein Satzmodell
wählt KLOTZ (1996) aus didaktischer Perspektive die Frage, welche Entscheidungen
Schreiber/Sprecher zu fällen hätten, wenn sie einen Satz formulieren wollten. Aus
informationeller Sicht drücke ein Satz einen Sachverhalt aus, indem er eine oder mehrere
Entitäten durch ein finites Verb bzw. eine Verbgruppe mit einem finiten Verb in einer
Struktur organisiere. Dieser Sachverhalt könne raum-zeitlich situiert und logisch-
argumentativ differenziert oder modifiziert werden. Die grammatischen
Verbinformationen (Tempus, Modus, Genus verbi) geben Verstehensanweisungen:
Textsorte, Zeitlichkeit, Gültigkeit, Denkmöglichkeit und Vermitteltheit. Daher deutet
KLOTZ (1996) folgende Wege zur Beantwortung der soeben zitierten Fragestellung an:
Welche Entitäten in einem Satz zusammengenommen werden, spiegele die Verbvalenz
wieder, welche in hohem Maße die Struktur unseres Weltwissens repräsentiere. Der

72
Vgl. ebenda, S. 103.

46
Aspekte der Textkompetenz – IV. Die Möglichkeit eines ling. Textkompetenzbegriffs

Satzkern wiederum sei durch Adverbiale situativ eingebettet, durch welche der
raumzeitliche Kontext sowie der Begründungs- und Zweckzusammenhang hergestellt
werden können. Dies fällt in der Schule in der Regel unter den Begriff der
„Erweiterungen“. Prototypisch werden in narrativen und informativen Texten meist
deiktische, in argumentativen Texten hingegen nicht-deiktische Informationen erwartet.
Verstehensanweisungen werden durch Tempus, Genus verbi und Satzadverbiale sowie
z.T. auch durch Partikel und durch Satzartenmarkierung vermittelt. Diese
Kurzzusammenfassung von linguistischem Knowing that spiegelt sich in KLOTZ’ Modell
des informationsgesättigten Satzes wieder.73
Als Unterrichtsmodell schlägt KLOTZ (1996) folgendes vor: „Ein moderner
systematischer Grammatikunterricht müßte sich eine Lernsituation schaffen, die tatsächlich
ein fast naturwissenschaftliches Untersuchen und Experimentieren mit der Sprache möglich
machte.“74 Für seinen integrativ-experimentierenden Sprachangebotsunterricht bietet der
Autor in seinem Buch Lehrmaterialien an. Er führte für seine empirische Untersuchung
ganze Unterrichtseinheiten als Unterrichtsversuche durch und untersuchte Schülertexte
vor und nach seinem Unterricht sowie von Vergleichsgruppen ohne seinen Unterricht.
Ziel war es, Schülertexte aus dem alltäglichen Schulbetrieb ohne künstliche
Versuchsbedingungen, Aufsätze in verschiedenen schulischen Textsorten (Erzählen und
Informieren) sowie Texte aus verschiedenen Jahrgangsstufen zu erhalten. Diese Texte
wurden mittels Computer erfasst, auf Sprachleistung untersucht und die Ergebnisse in
Übersichten durch den Computer ausgewertet. Dies Analyse der Sprachleistung erfolgte
nach folgenden Kriterien:
- Satztypen – klassifiziert nach einfacher Satz, Parataxe, Hypotaxe und Para-
Hypotaxen,
- kohäsive Mittel zwischen dem Sätzen ,
- Vorhandensein von Satzgliedern in Sätzen – Attribuierungsgrad etc.,
- Textlänge – bestimmt nach Sätzen, Satzgliedern und Wörtern
- Satzgliedlängen,
- Informationsdichte nach dem Modell des informationsgesättigten Satzes (ISS).

73
Vgl. ebenda, S. 143.
74
Ebenda, S. 111.

47
Aspekte der Textkompetenz – IV. Die Möglichkeit eines ling. Textkompetenzbegriffs

Das ISS-Modell wurde als Werkzeug, das Textkomplexität und -strukturiertheit


größerer Textmengen erfassen kann, in die Numerik des Computers übersetzt.75 Der
Auswertung der Untersuchung lag ein Korpus von 158 Texten, 2897 Sätzen, 14.298
Satzgliedern und 37.796 Wörtern zugrunde. Im Vergleich der Schülertexte von Schülern
mit und ohne Unterricht nach dem Entwurf von KLOTZ (1996) war signifikant
erkennbar, dass Texte von Schülern mit schreibaffinem Grammatikunterricht einen
höheren Grad syntaktischer Strukturnutzung und größere Satzgliedlängen aufweisen, bei
der Satzlänge und Satzkomplexität war immerhin eine Tendenz zu Erhöhung
erkennbar.76 Vor und nach dem Unterricht nach den Entwürfen des Autors zeigte sich
die syntaktische Strukturnutzung signifikant verbessert, Satzlänge und Satzkomplexität
zeigten eine starke Tendenz zur Verbesserung.77 Auffällig war ebenfalls, wenn auch nur
als Nebenprodukt der Untersuchung, dass nach einer Kohärenzlektion, die auf Grund
vieler Bezugsfehler in den Texten der Schüler eingeschoben wurde, diese Fehler um 80%
abnahmen.78 Auch beim Problem der kindlichen „und-dann“-Struktur konnten mittels
grammatischer Reflexion, ausgelöst durch einen Sprachangebotsunterricht, Erfolge in
Bezug auf eine verbesserte Textproduktion erzielt werden: Strukturelle Variationen
wurden signifikant gefördert.79 KLOTZ (1996) zieht folgendes Fazit: „Sprachentwicklung
vollzieht sich weitgehend unbewußt, freilich beeinflußt von sozialen, regionalen, familialen
und allgemeinsprachlichen Faktoren. Schreibentwicklung […] bringt ein wachsendes
sprachliches Bewußtsein mit sich, da Schreiben zunächst gar nicht und später immerhin in
geringerem Maß spontan geschieht als Sprechen, sodaß der Heranwachsende gar nicht umhin
kann, ein Bewußtsein und eine Einstellung zu dieser Form des Äußerungsverhaltens zu
entwickeln.“80 Textkompetenz lässt sich also aus guten Gründen eine reflexive
Kompetenz nennen. Die Reflexivität des Wissens betrifft aber auch die Abhängigkeit der

75
Die Wörterzahl geteilt durch den Quotienten aus abstrakt möglicher Information und konkret
vorhandene Information ergibt den Informationsmengenindex (WZ : (AI : KI) = IMI). Die
abstrakt Mögliche Information ergibt sich aus den Eigenschaften des Prädikats (Numerus,
Tempus, Modus, Genus verbi und Verbvalenz) sowie allen mögliche Ergänzungen.
76
Ebenda, S. 226.
77
Ebenda, S. 230.
78
Ebenda, S. 239.
79
Vgl. ebenda, S. 255.
80
Ebenda, S. 257.

48
Aspekte der Textkompetenz – IV. Die Möglichkeit eines ling. Textkompetenzbegriffs

Teilkompetenzen für Textproduktion und Textrezeption, vermittelt durch Wissen über


Produktionsprinzipien und Textsorten. Innerhalb einer Staatsexamensarbeit ist es leider
nicht möglich, einen empirischen Ansatz betreffs dieser Zusammenhänge zu verfolgen.
Texthandlungs- und Textsortenkompetenz sollen in den folgenden Detailstudien zur
Textkompetenz deshalb vorerst begrifflich gefasst werden, in der Hoffnung, damit eine
Vorarbeit für eine empirische Untersuchung zu leisten.

49
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

V. Elemente einer Theorie der Textkompetenz - Detailstudien

1. Texte, Handlungen und Strategien: Texthandlungswissen

1.1. Sprachliche Handlungsstrukturen und Texte

Ich habe in Abschnitt III.2 HABERMAS’ Theorie der kommunikativen Kompetenz


eingeführt, um den Kompetenzbegriff CHOMSKYS zu erweitern. HABERMAS ist neben
AUSTIN und SEARLE einer der Hauptvertreter der Sprechakttheorie, welche in den
1970er Jahren zur pragmatischen Wende in der Linguistik beitrug. Anfang der 1980er
Jahre begann in der Textlinguistik unter dem Einfluss der Sprechakttheorie eine
Diskussion über Handlungsstrukturen in Texten - Ausgangspunkt waren folgende
Gedanken: Das Erfolgsprinzip ist ein implizites Wissen des Sprechers. Er weiß, dass er
seiner Sprechhandlung Nachdruck verleihen muss, will er mit ihr Erfolg haben.
Außerdem kennt er als kompetenter Sprecher das Stützungsprinzip, welches besagt, dass
Handlungen durch andere Handlungen unterstützt werden können. Texte lassen sich auf
Grund dieser Tatsachen, so die Vorstellung der Vertreter einer
Illokutionsstrukturtheorie des Textes, der in elementare Handlungen gliedern. In den
1990er Jahren wurden im Rahmen der Diskussion um komplexe Strukturen von Texten
neue Illokutionsstrukturmodelle vorgestellt, die sich in eine multidimensionale Struktur-
vorstellung einpassen lassen sollten. In der aktuellen Diskussion in der Linguistik ist
deutlich geworden, dass diese Modelle nicht ohne Probleme als sinnvoll erachtet werden
können81, weshalb auch unklar ist, wie Sprachhandlungswissen innerhalb der
schriftlichen Textkompetenz beschrieben werden soll. Ich möchte diese Diskussion hier
kurz nachzeichnen, um im Anschluss daran einen Lösungsvorschlag für die Problematik
zu erörtern.
Das bekannteste der multidimensionalen Illokutionsstrukturmodelle ist das
Handlungsstrukturmodell von BRANDT/ROSENGREN (1991).82 Diese Autoren nehmen

81
Vgl.: WIEGAND, Herbert Ernst (2001): Schriftkonstituierte Texte und Sprachliches Handeln. Zur
Kritik der neueren Textlinguistik. In: Germanica – Jahrbuch für deutschlandkundliche Studien:
Sofia, 8 Jg./2001, S. 17 – 40.
82
BRANDT, Margareta/ROSENGREN, Inger (1991): Zur Handlungsstruktur des Textes. In: Sprache

50
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

an, dass Handlungsstruktur und Informationsstruktur eines Textes autonom, aber


interdependent sind, d.h. sie sind hierarchisch einander nicht über- oder nebengeordnet
sondern haben modularen Charakter. Als empirisches Material ziehen
BRANDT/ROSENGREN (1991) Geschäftsbriefe heran, deren Hauptillokution sie als
DIREKTIVUM analysieren. Aus ihren Analysen folgern sie, dass Texte voneinander
unabhängige inhaltliche Strukturen und Handlungsstrukturen hätten, die jedoch
miteinander interagierten. Zur Veranschaulichung bieten sie folgende Graphik an:83

Abbildung 3

Die Illokutionsstrukturebene besteht aus einer Illokutionshierarchie, welche das


Verhältnis der Illokutionen des Textes zur Gesamtillokution des Textes darstellt, und
einer Zielhierarchie, welche die außersprachliche Handlungsstruktur repräsentiert, deren
Teil die sprachliche Handlung ist. Für die Illokutionshierarchie gilt das
Stützungsprinzip, d.h. einzelne Illokutionen können zur Stützung anderer Illokutionen
dienen. Das Stützungsprinzip lässt sich durch folgende mögliche Verhältnisse zwischen

und Pragmatik 24. Arbeitsberichte, Lund 1991, S. 3 – 46.


83
Graphik: Ebenda, S. 17.

51
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

Illokutionen spezifizieren: Zwei Illokutionen sind konjunkt, wenn sie auf der selben
Ebene der Illokutionshierarchie stehen und eine illokutive Einheit bilden, während eine
Illokution andere dominiert, wenn sie von hierarchisch untergeordneten Illokutionen
gestützt wird. Subsidiäre Illokutionen nehmen direkten Bezug auf die Erfolgs-
bedingungen der dominierenden Illokution und sind durch Ausdrücke wie „da“,
„deshalb“ etc. gekennzeichnet. Komplementäre Illokutionen hingegen haben
komplettierende Funktion und liefern Informationen über den Kontext der
Handlungssituationen. Sie werden durch Ausdrücke wie „übrigens“, „indem“, „wie“ etc.
angezeigt. Illokutionen können, so BRANDT/ROSENGREN (1991), auch von
Informationseinheiten gestützt werden. Die Sequenzierungsebene dient ebenfalls dem
Erfolgsprinzip. Für die Sequenzierung stellen die Autoren folgende Prinzipien fest:
- Hierarchieprinzip:
(i) Illokutionen auf der selben Ebene, die dieselbe Illokution stützen,
werden in der Sequenz nicht auseinandergerissen.
(ii) Illokutionen auf mittleren Ebenen stehen nicht in exponierten
Positionen.
- Ikonizitätsprinzip: Die Sequenzierung ist von der inhaltlichen Struktur des Textes
abhängig (kausal/temporal).
- Situationsprinzip:
(i) Sequenzierung ist abhängig von der Textsorte.
(ii) Sequenzierung ist abhängig vom sozialen/institutionellen Kontext.
Als sequenzstützende Ausdrücke bezeichnen BRANDT/ROSENGREN (1991) Lexeme,
welche auf der Sequenzierungsebene hinzugefügt werden, um die Sequenzierung zu
verdeutlichen (z.B. „im Folgenden ...“). Für die Formulierungsebene vertreten die
Autoren die These, dass die Grammatik Sätze beschreibe, die ein pragmatisches Potential
haben. Die Illokutionshierarchie und die Sequenzierung bestimmten die grammatische
Realisierung, wobei formulierungsstützende Ausdrücke hinzukämen, welche metakom-
munikative Ausdrücke seien, die nicht in die Illokutionsstruktur eingingen.
BRANDT/ROSENGREN (1991) gehen also davon aus, dass die genannten Strukturebenen
sprachlich verfasst sind und während der Äußerungsproduktion ineinander übersetzt
werden. Dass hierbei der Ebenen- und Dimensionsbegriff unklar ist, wird bereits von
VIEHWEGER (1991) kritisiert: Obwohl ein prozessualer Ebenenbegriff durch

52
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

BRANDT/ROSENGREN (1991) von vornherein ausgeschlossen wurde, schwinge er


dennoch in der Sequenzierungsebene mit.84 Er kritisiert ebenfalls zu Recht, dass es
unplausibel ist, die Sequenzierung als eigene Ebene zu postulieren, wenn man sich die
Implikationen des Ausschlusses prozessualer Ebenen ansieht: Handlungsstrukturen sind
Manifestationen von Illokutionskenntnissen, also sind Hierarchisierung und
Sequenzierung Bestandteile dieser Kenntnisse. Illokutionshierarchien resultieren aus der
Aktualisierung komplexer Handlungs- und Interaktionsmuster, welche als
Illokutionsmuster bezeichnet werden können. Diese enthalten Kenntnisse über mögliche
Stützungsbeziehungen. VIEHWEGER (1991) empfiehlt also ein Illokutionsmusterkonzept
als Korrektur von BRANDT/ROSENGREN (1991), dieses sei allerdings mit den anderen
Annahmen des Konzeptes verträglich, ja werde sogar von ihm impliziert.85 SCHRÖDER
(1998) kritisiert, dass der kommunikative Zusammenhang der Texte bei
BRANDT/ROSENGREN (1991) zu wenig berücksichtigt würde, um als
handlungsorientiertes Textmodell gelten zu können. Auch dass Text als hierarchisch
geordnete, von einer Gesamtillokution dominierte Menge von Einzelillokutionen
betrachtet werde, die auf Sätze zurückgeführt werden könnten, sei fragwürdig:
Schließlich sei es nicht klar, ob es immer eine dominierende Illokution gebe. Auch sind
Einzelillokutionen nicht immer eindeutig zu klassifizieren und in die Hierarchie
einzuordnen. SCHRÖDER (1998) hält außerdem eine getrennt von anderen
Strukturebenen betrachtete Handlungsebene im Hinblick auf ein multidimensionales
Textkonzept für problematisch. 86
Ein weiteres Illokutionsstrukturmodell diskutiert MOTSCH (1996) bzw. MOTSCH
(2000).87 Er definiert Handlungen als Aktivitäten, bei denen der Aktor eine Absicht

84
Vgl. VIEHWEGER, Dieter (1991): Illokutionsstrukturen und Subsidiaritätsrelationen. In: Sprache
und Pragmatik 24. Arbeitsberichte, Lund 1991, S. 62 – 76; hier S. 64.
85
Vgl. ebenda, S. 67 f.
86
SCHRÖDER, Thomas (1998): Textstrukturen aus integrativer Sicht. Eine kritische Bestands-
aufnahme zur Textstrukturendiskussion. In: Deutsche Sprache (26) 1998, S. 121 – 137.
87
MOTSCH, Wolfgang (1996): Ebenen der Textstruktur – Begründungen eines Forschungs-
programms. In: MOTSCH, Wolfgang (Hrsg.): Ebenen der Textstruktur: sprachliche und
kommunikative Prinzipien. Tübingen: Niemeyer, 1996; (RGL 164); S. 3 – 33.
MOTSCH, Wolfgang (2000): Handlungsstrukturen von Texten. In: BRINKER, Klaus u.a. (Hrsg.):
Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. 1. Halbbd.

53
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

verfolgt, wobei die Aktivität ein geeignetes Mittel zur Zielverfolgung sein muss, wenn
das Verhalten als rationales Verhalten gelten soll. Die Aktivität kommunikativer
Handlungen mündet in das Äußern einer Zeichenkette mit dem Ziel der Beeinflussung
des Bewusstseins des Rezipienten. Sprachliche Handlungen seien daher ein Spezialfall
kommunikativer Handlungen.88 MOTSCH (2000) argumentiert hier mit einem
hochproblematischen Informationsbegriff. Kritisch betrachtet, sind die hier genannten
Voraussetzungen schon als falsch anzusehen: Es werden eben nicht Informationen
zwischen Sender und Empfänger ausgetauscht, sondern Signale, aus denen mittels
komplexer Kenntnissysteme Informationen konstruiert werden.89 Sprache besteht aus
einem lautlichen bzw. graphischen Signalsystem, dem durch kompetente Sprecher/Hörer
bzw. Schreiber/Leser in einem konstruktiven mentalen Prozess Strukturen und
Bedeutungen zugewiesen werden. Für ein Mehrebenenmodell, wie es MOTSCH
(1996/2000), BRANDT/ROSENGREN (1991) und SCHRÖDER (1998) favorisieren, nennt
MOTSCH (2000) folgende Voraussetzungen: „ [...]
(1) Sprecher verhalten sich rational. Das bedeutet insbesondere: sie formulieren ihre
Texte unter idealen Bedingungen so, dass sie geeignete Mittel zur Erreichung des
kommunikativen Ziels sind.
(2) Texte sind Produkte eines mit einer kommunikativen Absicht vollzogenen
Kommunikationsversuchs. [...] es wird zwischen T e x t k o m p e t e n z und
T e x t p e r f o r m a n z unterschieden. Die Beschreibung der Textperformanz setzt
eine Theorie der Textkompetenz voraus.
(3) Ebenso wie die Beschreibung der Grammatik einer Sprache von abweichenden bis
unkorrekten Sätzen absieht, muss auch die Textanalyse misslungene Texte oder
Textabschnitte ausgliedern. Nicht jeder Textverfasser kann in jeder Situation
optimale Texte verfassen. Die tatsächliche Textkompetenz von Sprechern kann mehr
oder weniger weit von den idealen Bedingungen abweichen. Grundsätzlich ist
jedoch zu verlangen, dass die idealisierte Beschreibung der Textkompetenz
ermöglichen muss, Eigenschaften von authentischen Texten zu beschreiben.

Berlin, New York: de Gruyter (HSK 16.1) 2000, S. 414 – 422.


88
Vgl. MOTSCH (2000):, S. 414.
89
Vgl. ROTH (1994), S. 92f.

54
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

(4) Für literarische Texte gelten besondere Regeln, die auch Abweichungen von Regeln
für Gebrauchstexte einschließen (vgl. Rolf 1993). Eine Theorie für literarische Texte
setzt eine Theorie für Gebrauchstexte voraus.“90
Diese von MOTSCH (2000) genannten Voraussetzungen sind nicht ganz
unproblematisch: Ich halte, wie bereits ausgeführt, eine Unterscheidung zwischen
Textkompetenz und Textperformanz nicht für sinnvoll: Gerade die Erfassung von nicht-
optimalen Ergebnissen einer Sprachproduktionshandlung ermöglicht Erkenntnisse über
ideale Ergebnisse, nämlich über die Anforderungen, die wir an Äußerungen stellen –
auch hier zeigt sich noch einmal die Problematizität des sprachwissenschaftlichen
Kompetenzbegriffs nach CHOMSKY, der hier offensichtlich zu Grunde liegt.
Gegen die Grundthese aller Arbeiten zu Illokutionsstrukturen, Texte seien Mittel zu
Handlungen und ließen sich in elementare Illokutionen gliedern, wendet sich WIEGAND
(2001). Er entgegnet, dass nur in interaktiven Sprachkommunikationssituationen, in
denen sich die beteiligten Agenten ohne technische Hilfsmittel wahrnehmen könnten,
sprachlich gehandelt und also mit schriftkonstituierten Texten für die Fernkommuni-
kation nicht gehandelt würde.91 Um diese Thesen argumentativ zu untermauern, stellt er
sich zuerst die Frage nach dem Alltagsverständnis von „Text“. Mittels Wörterbüchern
und COSMAS-Online-Recherchen kommt er zu dem Ergebnis dass „Text“ im Alltag in
erster Linie aus ein schriftliches, im Wortlaut festgelegtes Sprachgebilde verweist,
welches größer als ein Satz ist und von etwas so handelt, dass es verstanden wird: „Damit
gelten Texte als abgegrenzte extraindividuelle, in statischer Weise materiell gegebene, visuell
wahrnehmbare semiotische Gebilde“92 Texte können durch Auswendiglernen in eine
intraindividuelle, nichtwahrnehmbare Form überführt werden. In der Linguistik werde
„Text“ anders behandelt, nämlich in einer hyperonymen Verwendung als das
Gemeinsame von mündlicher und schriftlicher Sprache. Hiergegen sei einzuwenden, dass
die Unterschiede zwischen diesen beiden Sprachebenen größer als ihre Gemeinsam-
keiten sind. Es sei daher besser, mündliche Äußerungsresultate in Abgrenzung zu
schriftkonstituierten Texten und mündliche Sprachhandlungen im Kontrast zu schrift-
konstituierten Texten und ihren Eigenschaften zu behandeln. Das phonische
Äußerungsresultat habe semiotische Qualität, d.h. es ist unter den gegebenen

90
MOTSCH (2000), S. 415, Hervorhebung original.
91
Vgl. WIEGAND (2001), S. 18.
92
Ebenda, S. 22.

55
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

Voraussetzungen von Personen interpretierbar. Sprechhandlungen seien das Ziel des


Äußerungsaktes: Der Sprecher-in-actu spricht für den Hörer-in-actu verständlich, also
ist die Sprechhandlung zustande gebracht, wenn der Hörer Verstehen erreicht hat. Das
Zustandebringen der Sprechhandlung, so der Autor, sei aber nicht oberstes
Handlungsziel des Sprechers-in-actu, sondern die intendierten Folgen der
Sprechhandlung – oder, wie SEARLE sagen würde: der perlokutionäre Akt. Eine
Sprechhandlung sei also erst erfolgreich bei Erreichen der intendierten Folgen. Über den
Sprechhandlungstyp könne aber der Sprecher-in-actu nur mit dem Hörer-in-actu
gemeinsam bzw. interaktiv entscheiden – deshalb seien auch Rückfragen wie „War das
eine Drohung oder ein Versprechen?“ zu beobachten. Das mündliche Äußerungsresultat
sei daher ein Mittel zum interaktiven Zustandebringen von Sprechakten, denn es genüge
dem aristotelischen Kriterium, dass etwas für ein Individuum nur dann Mittel sein
könne, wenn es in Handlungssituationen tatsächlich zielgerichtet von diesem
Individuum einsetzbar sei.93 Mittel für das Erreichen eines Zwecks durch eine
Sprechhandlung sei unter diesem Gesichtspunkt nur der leibgebundene Äußerungsakt
eines Sprechers in einer interaktiven Sprachkommunikationssituation zusammen mit
dem mündlichen Äußerungsresultat in Kooperation mit dem Hörer. Linguistisch
vertretbar sei eben deswegen nur ein Begriff der kommunikativen Sprechhandlung, wenn
er an den intentionalen, einmaligen und vergänglichen, mit dem Interpretationsprozess
zeit- und ortsgleichen Produktionsprozess, also an eine interaktionell konstituierte
Sprechsituation, gebunden sei. Das Sprechhandlungsgeschehen als Verständigungs-
geschehen werde gemeinsam etabliert, wechselseitig akzeptiert, ständig kontrolliert und
gegebenenfalls korrigiert. Auch sei dies für die Verantwortungszuschreibung von
kommunikativen Zügen notwendig: „Die Spontaneität des Sprechens und Verstehens ist
eine anthropologische, die Zuschreibungsmöglichkeit von Verantwortung eine ethische
Notwendigkeit.“94 Schriftkonstituierte Texte oder Teile von solchen könnten, so
WIEGAND (2002), keine illokutiven Handlungen sein, da sie diese Bedingungen nicht
erfüllten. Dem Illokutionsstrukturkonzept liege ein naiver, unreflektierter
Handlungsbegriff zu Grunde: „[…] schriftkonstituierte Texte dürfen nicht mit
kommunikativen Handlungen gleichgesetzt werden. Das gesamte sog.

93
Weshalb eben ein Fahrrad für einen Gelähmten kein Mittel der Fortbewegung sei. (WIEGAND
(2001), S. 25.)
94
Ebenda, S. 26.

56
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

Illokutionsstrukturkonzept ist verfehlt.“95 Eine unreflektierte Orientierung der


Textlinguistik an der Sprechakttheorie führe zu unhaltbaren Ansichten über den
Zusammenhang von schriftkonstituierten Texten und sprachlichem Handeln.
Schriftkonstituierte Texte könnten lediglich ein Mittel der Tradierung vergangener oder
künftiger Sprechhandlungen sein.96 Wie Texte Handlungsträger sein könnten, sei nicht
ohne Widersprüche vorstellbar. Die Auskunft ROLFS (1983), Texte seien
Handlungsträger, wäre also unverständlich.97 Sie habe zwei mögliche Auslegungen: Zum
einen könnte man sagen, werde in Leseakten die Handlung, die ein Text trägt,
aktualisiert. Dies würde aber bedeuten, dass beispielsweise Goethe in dem Moment, in
dem ich seine Gedichte lese, handele, da die Gedichte seine Handlung tragen. Die zweite
Lesart wäre die Interpretation, dass in Leseakten die Handlung, deren Träger der Text
ist, re-aktualisiert werde. Dann müsste der Autor beim Schreiben die Handlung aber
bereits aktualisiert bzw. ausgeführt haben, was nicht der Fall sei. Beiden Alternativen
liege eine ontologisch verfehlte Auffassung von Kommunikation zu Grunde, „wonach
etwas, das nicht nur eine Kanaleigenschaft ist (wie z.B. Sprachhandlung), vom Sender zum
Empfänger getragen oder übertragen wird.“98 Akzeptabel sind für WIEGAND (2001) die
Formulierungen „Texte sind Mittel zu Realisierung eines Zieles“ und „Texte sind
Kommunikationsinstrumente“, inakzeptabel hingegen die Formulierung „Texte sind
Mittel, um kommunikative Handlungen zu vollziehen“. Ein Brief, so sagt er bezogen auf
seine Diskussion eines Beispiels, „ist also ein Handlungsergebnis, das der Koordination
von kommunikativen und weiteren Handlungen dient und damit ein
K o m m u n i k a t i o n s m i t t e l , aber k e i n H a n d l u n g s m i t t e l . Er ist ein schriftliches
Angebot zur Verständigung, und er kann z u m A n l a s s f ü r (nicht sicher vorhersagbare)
zahlreiche H a n d l u n g e n d e s A d r e s s a t e n und anderer Rezipienten werden und
mithin h a n d l u n g s a u s l ö s e n d sein.“99
Hier nun einige Anmerkungen zu dieser doch recht harschen Kritik: Wäre es so, dass
ein Äußerungsresultat nur Mittel sein könnte, wenn es als Mittel kontrollierbar und in

95
Ebenda, S. 28.
96
Vgl. ebenda, S. 29.
97
Vgl. ROLF, Eckhard (1993): Die Funktion von Gebrauchstextsorten. Berlin – New York: De
Gruyter 1993, S. 36 f.
98
Ebenda, S. 35.
99
Ebenda, S. 36; Hervorhebungen original.

57
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

Interaktion mit dem Hörer modifizierbar wäre, wäre das Resultat der Äußerung nie als
solches kontrollierbar, es sei denn durch das zusätzliche Mittel der Gewalt, denn der
Hörer hat immer die Möglichkeit, die Kommunikationssituation zu verlassen, sich
einfach von vornherein nicht in sie zu begeben oder sie bewusst misszuverstehen. Der
Hörer hat in der Hand, ob eine Kommunikationssituation zustande kommt – weshalb
geschickte Sprecher auch wissen, wann und wo sie mit wem etwas besprechen. Schon ein
Kind weiß, in welchen Fällen die Mutter oder der Vater der bessere Kommunikations-
partner ist. Auch die hieran angeschlossene anthropologische und ethische These ist
eindeutig falsch: Schreiben ist gerade der Weg, sich nicht spontan äußern zu müssen.
Das Schreibhandlungsgeschehen als Verständigungsgeschehen wird daher anders
etabliert als über eine direkte Situationalität: über gesellschaftlich etablierte Formen des
Textes, welche in der Textlinguistik unter dem Begriff „Textsorten“ diskutiert werden.
Wenn WIEGAND (2001) behauptet, Handlungsbedeutungen seien durch die interaktive
Sprachkommunikationssituation definiert, vergisst er, dass Textsorten als kanonisierte
und materialisierte Kontextualität aufgefasst werden können. Dort wird nach
Möglichkeit die Zuschreibung von Verantwortung durch das Konstrukt des Autors
erreicht – ein Text, der seinen Autor nicht kenntlich macht, wird anders zur Kenntnis
genommen und z.T. auch normativ sanktioniert, wie man beispielsweise an anonymen
Briefen sehen kann.
Akzeptabel ist WIEGANDS Ansicht, dass eine Äußerung keine illokutionäre
Handlung ist: Der illokutionäre Akt wird erst zu einer Handlung, die mit dem im
lokutiven Akt Gesagten vollzogen wird, wenn der Hörer der Äußerung eine illokutive
Rolle (z.B. Drohung) zuschreibt. Dies gilt aber auch für situationsgebundene mündliche
Äußerungen, was leider bei AUSTIN und SEARLE nicht deutlich wird. Texte sind also als
ein Handlungsergebnis zu betrachten, aber nicht als Handlungen. Dies trifft aber auch
auf eine Äußerung in einer interaktiven Sprechkommunikationshandlung zu. Was
WIEGAND (2001) vorträgt, zielt tatsächlich – auch wenn es nicht von ihm intendiert war
– gegen die Sprechakttheorie und deren Begrifflichkeit generell, und nicht gegen deren
Übertragung auf schriftkonstituierte Texte. Der Hörer ist an der Sprechhandlung immer
mit beteiligt: Er kann das Sprechhandlungsangebot akzeptieren und er kann dann
handeln. Er kann aber auch die Annahme der Kommunikation verweigern, so tun, als
hätte er nicht verstanden oder gar nicht gehört – und sich der Situation durch Verlassen
des Raumes entziehen. Es ist ein Problem von Kommunikation im Allgemeinen, dass sie
zum größten Teil vom Empfänger abhängig ist. Was er als Kommunikation akzeptiert,

58
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

ist Kommunikation. Wenn ein Empfänger der Überzeugung ist, dass, was sein
Gegenüber als Selbstgespräch geäußert hat, an ihn gerichtet war, und er darauf
antwortet, nimmt der so Antwortende erst einmal das, was der ein Selbstgespräch
führende geäußert hat, als Kommunikation an. Dies sind allerdings für die
Sprechakttheorie Randprobleme gewesen – sie hat ihre Regeln von der Frage ausgehend
expliziert, welche Form eine Äußerung in einer Situation haben muss, damit sie in Bezug
auf eine bestimmte Sprecherintention Erfolg haben kann. Das Handeln des Sprechers in
einer Sprechsituation ist, in einem alltäglichen Sinne des Wortes, also immer erst einmal
das Sprechen. Dies findet sich aber auch bei Vertretern einer textuellen
Handlungsstruktur, beispielsweise bei MOTSCH (2000): „Kommunikative Handlungen
sind dadurch ausgezeichnet, dass die Aktivität das Äußern einer Zeichenkette ist.
Zielzustände sind Bewusstseinszustände von Adressaten.“100 Die Sprechakttheorie selbst
hat einen zu weiten Begriff von Handlung, dies ist allerdings ein Thema, welches hier
den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Hier möchte ich nur soviel andeuten: Man
handelt mit Äußerungen mündlicher Natur direkt, weil sie die Situation verändern.
Wenn sich beispielsweise ein Mitglied der Führungsriege einer Firma einem seiner
Mitarbeiter vorstellt, verändert sich die Kommunikationssituation. Er wird zum Chef,
und damit sind bestimmte Äußerungen und Äußerungsformen in der Situation als
mögliche gelingende Sprechakte ausgeschlossen. Bei Texten muss hingegen durch den
Produzenten antizipiert werden, wer ihn lesen könnte. WIEGANDS (2001) These, dass
nur in interaktiven Sprachkommunikationssituationen sprachlich gehandelt würde, in
denen sich die beteiligten Agenten ohne technische Hilfsmittel wahrnehmen können,
erweist sich im Hinblick auf die konventionell gewachsene Kontextualität von Texten
durch Textsorten als problematisch. Es ist anzunehmen, dass das sprachliche Handeln
durch den Text als Mitglied einer Textsortenklasse vermittelt ist: Ein Schreiber handelt,
indem er einen bestimmten Text in einer bestimmten Form verfasst, wobei er
antizipieren muss, ob diese Form angemessen ist, um seine Intention kundzutun und sie
durch den Rezipienten ebenfalls verfolgen zu lassen, denn eine Aushandlung ist hier
nicht möglich. Es handelt auch der Rezipient – er rezipiert, interpretiert die Intention
des Schreibers – und akzeptiert sie oder nicht. Mit schriftkonstituierten Texten für die
Fernkommunikation wird also gehandelt – es wird, wie ich noch zeigen werde, in

100
MOTSCH (2000), S. 414.

59
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

empirischen Untersuchungen deutlich, dass Schreiber einen Text verfassen, um ein Ziel
zu verfolgen. Nichts anderes aber bedeutet Handeln: ein Mittel zu einem Zweck
verwenden. Dass das Mittel ungeeignet sein kann – weil der Rezipient den Text nicht
liest – ist kein Gegenargument: dann wird der Text nicht als solcher realisiert oder er
verfehlt schlichtweg seine Wirkung. Genau so argumentieren wir im Alltag mit der
Mittel-Zweck-Relation: Ein Auto ist nicht deswegen kein Mittel zur Fortbewegung, weil
es defekt sein kann.
Sinnvoll ist die Kritik WIEGANDS (2001), dass das theoretische Konzept von
Illokutionsstrukturen in Texten, wie es bei BRANDT/ROSENGREN (1991) verwendet
wird, problematisch ist. Texte sind keine Handlungen und enthalten auch keine. Daher
ist jetzt die Frage zu diskutieren, wie sich die Illokutionsstrukturmodelle sinnvoll
modifizieren lassen.

1.2. Das Strategierahmenkonzept – Handlungskompetenz im Lesen und


Schreiben

Das Strategierahmenmodell der Textproduktion und Textrezeption von


HEINEMANN/VIEHWEGER (1991) bietet einen Ansatzpunkt für die Diskussion des
Zusammenhangs von Handlungsstrukturen und Textstrukturen.101 Die Autoren gehen
von den Besonderheiten der schriftsprachlichen Kommunikation aus: Dem Fehlen der
interaktionalen Kopräsenz und der temporalen und lokalen Distanz der Partner.
Grundfrage sei, was sich verändere, wenn wir, statt zu sprechen, schreiben.102 Schreiben
entbinde, so die HEINEMANN/ VIEHWEGER (1991), von den Zwängen und
Kooperationsmöglichkeiten der Umgebungssituation, es komme zur Entörtlichung,
Entzeitlichung und Entpersonalisierung. Durch diese Veränderung des interaktionalen
Bedingungsgefüges werde Ostension und unmittelbarer Deixis unmöglich, die
Sprachgestaltung muss daher wesentlich bewusster werden. Der Schreiber muss die
Strukturierung und Informationsverteilung in Hinblick auf Vorwissen und Interesse des
möglichen Partners planen, da er in der Lesesituation die Kommunikation nicht mehr
kontrollieren kann, seine Textgestaltung muss voraussehbaren Bedingungen der

101
Vgl. HEINEMANN/VIEHWEGER (1991), S. 209 ff.
102
Vgl. ebenda.

60
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

Textrezeption Rechnung tragen. Textstrukturierung, Textformulierung und


Textgestaltung erfordern Entscheidungsprozesse des Textproduzenten, denn ein Ziel
kann auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden. Die verschiedenen Möglichkeiten
der Verfolgung des textuellen Ziels nennen HEINEMANN/VIEHWEGER (1991) Strategien
zur Textherstellung, die Entscheidungen des Textrezipienten Strategien der
Textinterpretation. Textstrukturen und Textformulierungen sind das Resultat der
Handlung nach der jeweiligen Strategie beim Prozess der Textherstellung. Die
Komplexität der Prozesse schließe aber den Versuch einer Fixierung exakter Regeln für
das Funktionieren von Textproduktion und -rezeption aus. Beobachtungen der
kognitiven Psychologie dienen den Autoren als Stütze für die Theorie des
Strategierahmens: „Der Sprecher richtet seine Aufmerksamkeit nur in Ausnahmefällen […]
auf grammatische Mittel oder andere Phänomene der Oberflächenstruktur; vielmehr geht es
ihm vor allem um die strategische Verknüpfung der sprachlichen Mittel in einer gegebenen
Situation; auch das grammatische Wissen wird also nach strategischen Aspekten
instrumentalisiert. Der ‘treffende’ Ausdruck ist also immer nur in besonderem Grade
geeignet aus der Sicht einer bestimmten Sprecher-Strategie.“103 „Strategie“ in der
Textlinguistik soll die Gesamtheit der zielgerichteten, bewusst ablaufenden
Verarbeitungsoperationen bei der Textproduktion und -rezeption erfassen. „Strategie“
bedeutet, dass ein Handeln am möglichen Handeln des Anderen orientiert ist, es
antizipatorisch einplant. Strategien sind Ketten von Auswahl- und Entscheidungsopera-
tionen. Zwei grundlegende Ziele des Sprechers/Schreibers sind evident: zum einen das
Darstellen des Textes, also die Auswahl, Aktivierung und Bewertung von Einheiten aus
dem Kenntnissystem, die Ordnung der Einheiten, die Bereitstellung von geeigneten
Mustern zur sprachlichen Repräsentation und das grammatische Operieren, zum
anderen das Sichern des Textverständnisses durch den Rezipienten. Beim zweiten Ziel
unterscheiden sich, wie schon deutlich geworden sein sollte, die Kompetenzen für
schriftliche und mündliche Äußerungen. Ein weiteres Hauptargument für den
Strategieansatz sehen HEINEMANN/VIEHWEGER (1991) darin, dass er die Anforderung
an die Textlinguistik erfüllt, sie solle praktische Hilfestellung für den Sprachbenutzer
und -lerner ermöglichen.

103
Ebenda, S. 214

61
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

Ein wesentliches Problem der Beschreibung von Schreiberstrategien liegt darin, dass
sie nicht direkt beobachtbar sind. Eine sinnvolle Möglichkeit ist aber, die aus dem
Zusammenhang zwischen Textstruktur und Zielstruktur auf die Strategien des
Schreibers zu schließen. Voraussetzung für Kommunikation ist Kooperation. Diese
können aber die Beteiligten an der Textkonstitution nicht kontrollieren: sie stehen sich
nicht in einer Situation gegenüber. Bei Schrifttexten kann kooperatives Verhalten also
nur in der Zuwendung zum Text liegen. Daher sind, so HEINEMANN/VIEHWEGER
(1991), Universalien schriftsprachlicher Kommunikation in Anlehnung an die
GRICE’schen Maximen auf die Schriftsprache anzunehmen: „[...]
- Formuliere deinen Text stets aufgabenbezogen und gib dem Rezipienten das Ziel zu
erkennen!
- Beschreibe Sachverhalte und Gegenstände und die Beziehungen zwischen ihnen so,
daß sie vom Partner mit seinen spezifischen Kenntnissen und Fähigkeiten verarbeitet
werden können!
- Überprüfe die Effektivität und Angemessenheit von strategischen Alternativen,
Strukturmodellen und Formulierungsvarianten.“104
Die Allgemeingültigkeit solcher Normen anzunehmen, sei aber, besonders im Hinblick
auf fiktive Texte, nicht ganz unproblematisch. Daher erwägen
HEINEMANN/VIEHWEGER (1991) die Möglichkeit, Schreiberstrategien über die
Aktivierung elementarer Muster zu beschreiben. Im Alltag seien Schreibaufgaben
elementaren Mustern wie Brief, Formular und Einkaufszettel zugeordnet und die
Variabilität der Alltagstextsorten sei gering. Es ließen sich zwei Grundtypen
unterscheiden: einfache Alltagstexte und die Komplexion der intentional-thematischen
Komponenten durch weitere Komponenten mit Stützfunktion (Begründen,
Spezifizieren, Explizieren). Die Aufgaben des Schreibers lägen in der Auswahl und
Sequenzierung sprachlicher Strukturen: „[...] entsprechende Musterstrukturtypen werden
vom Schreiber aktiviert und mit dem eigentlichen Anliegen des geplanten Schrifttextes in
Verbindung gesetzt“.105 Den Zusammenhang zwischen den verschiedenen
Strukturierungen des Texten stellen HEINEMANN/VIEHWEGER (1991) graphisch wie
folgt dar106:

104
Ebenda, S. 220.
105
Ebenda, S. 229.
106
Graphik: Ebenda, S. 227.

62
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

Abbildung 4

Hiermit entfernen sie sich aber wieder von der Möglichkeit ihres Konzepts, den
Zusammenhang zwischen Textstrukturen und Handlungsstrukturen über Strategien
herzustellen: Ihre Graphik interpretiert wiederum Handlungsstrukturen als Strukturen
des Textes, was, wie wir gesehen haben, nicht sinnvoll ist. Eine sinnvolle
handlungstheoretische Auslegung des Strategiekonzepts muss wie folgt aussehen:
Schreiber verfolgen Ziele. Der Text hat eine instrumentelle Funktion innerhalb einer
komplexen Kommunikationssituation, d.h. mit ihm soll durch Sprache eine Handlung
vollzogen werden, die wiederum Teil einer komplexen Kommunikationssituation ist. In
der Grafik fehlen die Subjekte, welche dem Text erst das „Handlungspotential“ geben:
der Autor, der auf Grund bestimmter Ziele mit bestimmten Strategien den Text
formuliert, und der Rezipient, der die Intention des Autors erkennt, akzeptiert und
eventuell die intendierten Folgen realisiert. Erst dann und nur in diesem Sinne wird mit
Texten sprachlich gehandelt. Es handeln immer zwei: der Autor und der Rezipient. In
diesem Sinne kann sich auch Handlungspotential von Texten realisieren, deren Autoren
bereits verstorben sind: diese haben gehandelt, d.h. sie waren mit einem Ziel vor Augen
und mit Strategien sprachlich tätig, als sie den Text produziert haben. Dieser kann nun
heute noch sein Potential entfalten, wenn ein Rezipient ihn liest, die Intentionen
(re-)konstruiert, und danach handelt. Der Text ist in diesem Sinne mit WIEGAND (2001)
Kommunikationsmittel, aber kein Handlungsmittel und er kann zu Folgehandlungen

63
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

führen.107 Das linguistisch Beschreibbare fungiert damit als Mittel zur Realisierung von
Zielen. Dies ist übrigens auch akzeptabel für WIEGAND (2001): „Texte sind Mittel zu
Realisierung eines Zieles“ und „Texte sind Kommunikationsinstrumente“.108 Graphisch
lässt sich dies wie folgt darstellen:

Abbildung 5

Die Textproduktion hat eine Zielhierarchie zur Grundlage, die der Schreiber in
Propositionen umsetzt, wenn er seine Ziele sprachlich verfolgen will. Der Schreiber
muss sich fragen, was er sagen muss, damit der Textrezipient seine Ziele erkennt,
akzeptiert und umsetzt. Zwischen der propositionalen Ebene und dem materiellen
Realisat erfolgt die Umsetzung in lineare sprachliche Strukturen und deren Übersetzung
in die materielle Struktur. Formulieren und Revidierens sowie bilden bei mir, im
Gegensatz zu BRANDT/ROSENGREN (1991), keine eigene Ebene. Diese Vorgänge sind

107
Vgl. WIEGAND (2001), S. 36.
108
Vgl. ebenda, S. 36.

64
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

im strategiegeleiteten Prozess der Textrezeption zu suchen. Unter Ebenen verstehe ich


hier (Zwischen-)Ergebnisse kognitiver Prozesse. Damit sind Ebenen aus theoretisch-
heuristischen Gründen angenommene Postulate. Mit ihrer Annahme wird nicht
notwendigerweise ihre psychische Realität vorausgesetzt. Die Benennung der letzten
Ebene als „materielles Realisat“ soll verdeutlichen, dass das Ergebnis der Textproduktion
letztlich nicht anderes als gefärbtes Papier oder eine ähnliche materielle Repräsentation
ist – diese nennen wir alltagssprachlich einen Text. Der eigentliche Text im
linguistischen und kognitionswissenschaftlichen Sinne ist aber ein Interpretament von
Schreiber und Leser auf der Basis des materiellen Realisats der Textproduktion. Die
Richtung der Textrezeption führt den Leser von der materiellen Repräsentation über die
sprachliche Interpretation zur Konstruktion einer möglichen Zielhierarchie des
Textproduzenten auf Basis der materiellen Grundlage. Diese hat in der Regel
Eigenschaften, auf deren Basis der Leser in den meisten Fällen zurückschließen kann auf
eine gesellschaftlich etablierte Textsorte. So kann er beispielsweise einen Text als Roman
erkennen – woraus die Interpretation der Autorintention folgt: „Ich soll den Text lesen
wie einen ästhetischen Text.“ Der perlokutionäre Akt der Sprechakttheorie liegt
außerhalb dieser Darstellung, er ist auf diese Weise nicht als Teil des Zusammenhangs
Textproduktion und -rezeption darstellbar, hier spielen situative Elemente wie Status der
Beteiligten u.ä. eine Rolle.
Meine Idee eines Strategiekonzeptes ist mit dem Grundgedanken vereinbar des
Konzeptes von HEINEMANN/VIEHWEGER (1991) durchaus vereinbar. Sie erläutern, dass
es bei der Textherstellung darum geht, dass „... der Schreiber dem Adressaten – auf der
Grundlage des eigenen Verständnisses von einer Sache – ein sprachliches Textangebot macht,
das es dem Leser ermöglicht, die Intention des Schreibers in einem aktiven
Rekonstruktionsprozeß zu erfassen“.109 Der Textherstellungsprozess ist eine interaktive
Leistung, welche auf Textganzheiten gerichtet sei, und sich auf stereotype
Formulierungsmuster stützt. Die Formulierungsfähigkeit steige daher mit der
Vorkenntnis komplexer Formulierungsmuster. Für den Rezipienten ergebe sich ein
enger Zusammenhang zwischen Texterwartung und Verstehen: Er führe pragmatische
Voraborientierung durch und bildet Erwartungshaltungen anhand der materialen
Texteigenschaften oder der Textsorteneigenschaften. Die Texterwartungen grenzen die

109
HEINEMANN/VIEHWEGER (1991), S. 232.

65
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

Rezeptionstätigkeit ein und fokussieren das Textverstehen. Verstehensprozesse seien


also ebenfalls intentional und interaktional geprägte Phänomene. Betonen möchte ich,
dass die Ziele der Textproduzenten nicht identisch mit denen der Adressaten sein
müssen. Auch der kommunikative Erfolg einer Äußerung hängt vom Rezipienten ab.
Was er mit einer Äußerung seines Kommunikationspartners macht, ist seine Sache, er
muss allerdings nur – z.B. bei Befehlen – die Konsequenzen tragen. Dass dies auch auf
Schrifttexte zutrifft, zeigt das Beispiel „Rechnungen“: Ich kann aus einer Rechnung auch
einen Papierflieger bauen – die Mahnung mit ihren Kosten folgt aber bestimmt.

1.3. Handeln mithilfe von Texten: Textuelle Strategien

Dieses Kapitel hat zwei Ziele: Es sollen die kognitiven Grundlagen der Textkompetenz
mit VAN DIJK/KINTSCH (1983) dargestellt, und die Bedeutung von Strategien im
Umgang mit Texten noch detaillierter herausgearbeitet werden. Zudem möchte ich
mittels der von WROBEL (1995) gewonnenen Erkenntnisse differenzierter diskutieren, in
welcher Art Schreiber mit Texten Ziele verfolgen – also mit Texten handeln wollen, und
wie sie hierbei explizite Strategien anwenden.

1.3.1. Kognitive Grundlagen der Textrezeption und Textproduktion – Das


Strategiemodell von VAN DIJK/KINTSCH 1983

VAN DIJK/KINTSCH (1983) stellen in „Strategies of Discourse Comprehension“110 ein


psycholinguistisches Modell vor, in welchem es ebenfalls Strategien, die beim Verstehen
und Produzieren von Diskursen und Texten eine Rolle spielen, erfasst werden. Ihrem
Modell liegt, wie meiner Diskussion der Textkompetenz, eine konstruktivistische
Annahme zu Grunde: Sie fassen textuelle Strukturen auf verschiedenen Ebenen als
mentale Phänomene auf und umgehen dadurch den Kurzschluss, Texte bestünden aus
Propositionen oder Illokutionen.

110
VAN DIJK, Teun A./KINTSCH, Walter (1983): Strategies of Discourse Comprehension; New
York et. al. 1983.

66
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

VAN DIJK/KINTSCH (1983) nehmen an, dass beim Satz- und Textverstehen
Strategien eine Rolle spielen, die oft unbewusst und automatisiert sind. Diese Strategien
können als Teile der Textkompetenz verstanden werden – wobei hier die unglückliche
Diskussion Kompetenz vs. Performanz nicht greift, da es um Text- und Weltmodelle
geht, die in direkter Verbindung mit sprachlichen Kompetenzen stehen. Hinter ihrer
Grundidee stehen folgende Annahmen, welche die Autoren am Beispiel des Bezeugens
eines Verkehrsunfalls darstellen111: Der Zeuge konstruiert, um eine Erfahrung darstellen
zu können, ein mentales Modell seiner Wahrnehmungen. Die Personen, die der
Schilderung des Zeugen folgen, konstruieren ebenfalls ein mentales Modell des
Unfallhergangs, wobei beide Modelle niemals identisch sein können. Das Gesagte wird
von Sprecher und Hörer nicht sprachlich im Gedächtnis repräsentiert, sondern als eine
Interpretation in ein mentales Modell integriert. Die Konstruktion des mentalen Modells
findet während der Kommunikation statt. Für das Verstehen der Kommunikation sind
kognitive Informationen notwendig, in welchen soziale Kontextinformationen enthalten
sein müssen. Mentale Modelle ermöglichen die flexible Erzeugung und Interpretation
der Informationen über eine Tatsache auch zu einem späteren Zeitpunkt. Ein Diskurs ist
ein sozialer Prozess, in welchem die Sozialdimension und die kognitive Dimension
interdependent sind. Kommunikation wird von Sprecher und Hörer als intentionaler
Akt verstanden: Sprecher und Hörer konstruieren eine kognitive Repräsentation der
verbalen und nonverbalen Interaktion zwischen sich, weisen sich gegenseitig Rollen zu
und konstituieren danach ihre Ziele und Strategien. Strategiewissen ist ein offenes
Wissen, d.h. es muss gelernt und kann überlernt werden. Es fällt also für VAN
DIJK/KINTSCH (1983) unter Knowing how, welches durch Lernen erweitert werden
kann. Für die propositionale Strukturierung kognitiver Strukturen spricht ein großer
Teil psycholinguistischer Studien zu diesem Thema.112 Was genau verstehen VAN

111
Vgl. ebenda, S. 4 ff.
112
Vgl. z.B. LESGOLD, A.M. (1972): Pronominalizations: A device for unifying sentences in
memory. Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior, 1972, 11, S. 316 – 323. Angabe in VAN
DIJK/KINTSCH (1983), S. 38. KINTSCH, Walter (1974): The Representation of meaning in Memory.
Hillsdale, N.J.: Erlbaum, 1974. Angabe in VAN DIJK/KINTSCH (1983), Ebenda. FORSTER, K.I.
(1970): Visual perception of rapidly presented word sequences of varying complexity. Perception and
Psychophysics, 1970, 8, S. 215 – 221. Angabe in VAN DIJK/KINTSCH (1983), Ebenda. RATCLIFF,
R. & MCKOON, G. (1978): Priming in item recognition: Evidence for the propositional structure of

67
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

DIJK/KINTSCH (1983) nun unter Strategien? Der Begriff „Strategie“ bezieht sich auf
menschliche Handlungen, welche zielorientiertes, intentionales, bewusstes und
kontrolliertes Verhalten darstellen. Intentionen sind Repräsentationen von Handlungen
und ihren Resultaten, während Zwecke und Ziele Repräsentationen von erwünschten
Konsequenzen einer Handlung sind. An Interaktionen sind mehrere Akteure mit
eigenen Zielen an einer Handlung beteiligt, welche koordiniert werden müssen. Dies
erfordert Wissen über den Anderen. Auf Grund der Komplexität unserer Handlungen
und Interaktionen machen wir globale Handlungspläne, welche kognitive
Makrostrukturen von Intentionen und Zielen sind und eine durch eine Makroaktion
dominierte Hierarchie bilden. Unterschiedliche Wege können – mit unterschiedlichen
Mitteln – zum selben Ergebnis führen: An den Abzweigungen des Weges muss der
Akteur Entscheidungen fällen. Genauso wie Pläne globale Konzepte von
Makrohandlungen und ihren letzten Zielen sind, sind Strategien globale
Repräsentationen über die Mittel und Wege zum Ziel. Dabei dominieren globale Mittel
eine Reihe von untergeordneten, detaillierteren Entscheidungen und Handlungen. Plan
und Strategie unterscheiden sich darin, dass ein Plan eine weniger globale Repräsentation
einer Handlung darstellt, während eine Strategie eine globale Repräsentation der Art der
Durchführung der Handlung ist. Eine Strategie ist also keine detaillierte Repräsentation
von Handlungssequenzen. Strategien und Pläne werden vermutlich zusammen
repräsentiert. Im Alltag ist nicht alles von Strategien bestimmt – wir bemühen Strategien
meist dann, wenn Ziele eine bestimmte Wichtigkeit haben. Strategien dienen der
schrittweisen Planung von komplexen Handlungszusammenhängen, welche zu einem
bestimmten Ziel führen. An jedem Punkt sind verschiedene Optionen des Fortsetzens
der Handlung möglich. Gleichzeitig ist das Wissen über Kontexte, Konsequenzen und
andere beteiligte Personen aber limitiert – Strategien optimieren hier die
Entscheidungsfindung. Im Zusammenhang mit Sprache ist der Begriff der Strategie nicht
unumstritten und wird in der Regel nur auf Satzprozessualisierung angewandt. Folgende
Gründe führen VAN DIJK/KINTSCH (1983) für eine Verwendung des Begriffs „Strategie“
im Zusammenhang mit Texten an:113 Im Sprachverstehen und in der Sprachproduktion
ist der Sprachbenutzer immer mit dem Verstehen von Handlungen konfrontiert. Solche

sentences. Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior, 1978, 17, S. 403 – 418. Angabe in VAN
DIJK/KINTSCH (1983), S. 41.
113
Vgl. VAN DIJK/KINTSCH (1983), S. 71 f.

68
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

Handlungen haben einen ziemlich gut definierten Ausgangszustand und einen Endpunkt
oder ein Ziel. Dieses Ziel ist allerdings häufig unscharf: Zusätzlich zum Gesagten oder
Gelesenen, welches wohldefinierte Ziele hat, meinen oder intendieren wir etwas,
verstehen solche Meinungen und Intentionen oder verstehen etwas in einem
allgemeineren Sinn. Die Aufgabe des Verstehens ist komplex, sie besteht aus einer Reihe
an Unteraufgaben, welche Schritt für Schritt ausgeführt werden müssen. Wir können
eine Äußerung aber nicht verstehen, indem wir nur eine Aufgabe vollenden. Außerdem
sind im Allgemeinen die Teilaufgaben nicht eindeutig: Informationen können nicht oder
nur unvollständig zur Verfügung und alternative Wege offen stehen. Diese
Uneindeutigkeit muss während des Verstehens- und Produktionsprozesses aufgelöst
werden – eine Aufgabe, die VAN DIJK/KINTSCH (1983) Strategien zuschreiben. Ein
allgemeineren Grund für die Verwendung des Terminus „Strategie“ im Zusammenhang
mit Sprachverwendung ist, dass Sprachverwendung in Regeln beschrieben wird, welche
eine allgemeine Natur haben, da sie Möglichkeiten einschränken. Regeln repräsentieren,
was Sprachbenutzer im Allgemeinen tun – Regelverwendung liegt also in der
spezifischen Natur von sprachlichen Ereignissen.114 Sprachbenutzer haben aber
begrenzten Speicher, vor allem im Bereich des Kurzzeitgedächtnisses und können
deshalb nicht beliebig viele verschiedene Arten von Information zur selben Zeit
verarbeiten. Die Produktion und das Verstehen von sprachlichen Äußerungen ist daher
linear, während aber die Strukturen der mentalen Modelle hinter den Äußerungen
größtenteils hierarchisch sind. Weitere mentale Kapazitäten werden während der
Produktion und dem Verstehen von Diskursen benötigt, um neben sprachlichen oder
grammatischen Informationen auch Informationen über den Kontext, Weltwissen etc.
zu verarbeiten. Dies optimal zu lösen, ist nicht in den Regeln der Sprache festgelegt, da
diese lediglich die Möglichkeiten korrekter Äußerungen restringieren. Erst Strategien
erlauben dem Sprachbenutzer, diese Probleme zu lösen. Diskursstrategien sind eng mit
syntaktischen und semantischen Satzstrategien verbunden: Die Produktion und das
Verstehen von Sätzen sind abhängig von Textinformationen.

114
Vgl. ebenda, S. 72 f.

69
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

1.3.1.1. Propositionale Strategien

In einem ersten Schritt zur ihrem kognitiven Textmodell untersuchen VAN


DIJK/KINTSCH (1983) die strategische Konstruktion von Propositionen als den
kleinsten Einheiten eines Textweltmodells. Propositionen in ihrem Sinne sind ein
abstraktes, theoretisches Konstrukt, welches zur Identifizierung der Bedeutung bzw. der
Tatsachen, die ein Satz unter speziellen Bedingungen ausdrückt, sowie zur Darstellung
seines Wahrheitswertes genutzt wird. Tatsachen sind aus einer konstruktivistischen Sicht
Konstrukte menschlicher Subjekte. Für den Zweck der linguistischen und kognitiven
Interpretation des Diskurses postulieren VAN DIJK/KINTSCH (1983) Tatsachen als
Entitäten einer möglichen Welt und damit als Referenten für Propositionen. Tatsachen
sind in einem bestimmten Sinn auch soziale Konstruktionen, da ein Kriterium für
Wahrheit Intersubjektivität ist. Das Interesse von VAN DIJK/KINTSCH (1983) liegt nun
darin, psycholinguistische Grundlagen für eine repräsentationale Semantik zu schaffen:
Bei gegebenen Individuen und Relationen zwischen diesen wollen sie wissen, wie diese
Tatsachen semantisch repräsentiert werden, also, wie sie formal aussehen und wie sie in
einer natürlichen Sprache ausgedrückt werden. Dabei mahnen sie an, genau zu
unterscheiden zwischen der Komplexität der Oberflächenstruktur des Satzes und der
Komplexität der propositionalen Struktur. Die Autoren vertreten die These, dass
Tatsachenanalysen strategischer Natur sind, d.h. wir verstehen und konstruieren
Tatsachen, indem wir strategisch eine propositionale Struktur aufbauen. Dieser
Strukturaufbau folgt einem Bottom-up-Schema: Wenn der Fokus des Interesses auf
einem Individuum liegt, wird diesem zuerst eine Rolle zugewiesen, es kann aber genauso
erst ein Prädikat gesetzt werden, beispielsweise wenn wir ein Geräusch hören. Diese
Form der Tatsachenkonstruktion liegt auch dem Diskursverstehen zu Grunde, unsere
generellen Verstehensstrategien folgen den Prinzipien der Tatsachenkonstruktion. Im
Diskursverstehen wird die Tatsachenkonstruktion allerdings durch sprachliche
Kategorien gesteuert. Bestimmte Sprachen haben dabei bestimmte Strategien, d.h.
Sprachen unterscheiden sich in ihren Diskursstrategien. Wie Strategien beim Aufbau von
propositionalen Strukturen wirken, kann man an der Verarbeitung komplexer Sätze
verdeutlichen: Sprachbenutzer wenden zum einen propositionale Schemata, die in ihrem
Weltwissen enthalten sind, auf Sätze an, zum anderen signalisiert auch die
Oberflächenstruktur der Sätze unterschiedliche propositionale Strukturen. So kann je
nach Situation und Kommunikationsziel eine Tatsache in einem Satz ausgedrückt

70
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

werden, der zwei Propositionen suggeriert (Proposition splitting) oder eine Tatsache wird
in einem Satz mit nur einer Proposition zusammengefasst (Proposition fusion). Auch die
Wiederaufnahme von Informationen ist von der Satzstruktur abhängig.
Zusammenfassend finden VAN DIJK/KINTSCH (1983) folgende propositionale
Strategien, die für das Textverstehen von Bedeutung sind:
1. Versuche ein propositionales Schema zu etablieren, wenn Dir Informationen von
oder über ein Weltfragment gegeben werden.
2. Beginne die Konstruktion mit bereits gegebenen Informationen. Folge der
Wortreihenfolge, den syntaktischen Kategorien oder anderen Dingen der
Oberflächenstruktur.
3. In zusammengesetzten Sätzen folge den Signalen der Teilsatzstruktur – also
interpretiere Hauptsätze als Hauptpropositionen und Nebensätze als eingebettete
Propositionen.
4. Wenn Modifikatoren durch Wissen, Ziele oder Vorstellungen für den folgenden
Diskurs relevant scheinen, konstruiere für sie eine eigene Proposition
(Proposition splitting).
5. Wenn neue Propositionen wenig relevant sind, füge sie als Modifikator an bereits
bestehende an (Proposition fusion).
6. Bekannte Information sollte als propositionales Schema aus dem Gedächtnis
abgerufen werden. Entscheide dann über die Strategie des Umgangs mit neuen
Informationen.
7. Für alle fokussierten Elemente der Oberflächenstruktur verfolge die Splitting-
Strategie.
8. Für ungrammatische Elemente folge den hier genannten Strategien. 115
Die Evidenz dieser propositionalen Strategien können die Autoren in eigenen
Experimenten nachweisen.116

115
Ebenda, S. 103. Übersetzung und Kürzung der Zusammenfassung aus dem Originaltext: M.K.
116
Vgl. ebenda, S. 145 ff.

71
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

1.3.1.2. Lokale Kohärenzstrategien

Unter dem Thema „Lokale Kohärenzstrategien“ fassen VAN DIJK/KINTSCH (1983)


psycholinguistische Überlegungen zum Thema Kohärenz zusammen. Sie sehen in der
Herstellung lokaler Kohärenz, also der Verbindung zwischen Sätzen, die Hauptaufgabe
beim Verstehen von Texten. Die Herstellung lokaler Kohärenz wird von einem
Kontrollsystem in Hinblick auf die Makropropositionen des Textes oder Diskurses
gesteuert (siehe nächster Abschnitt). Der Leser/Hörer stellt dabei Kohärenz sobald wie
möglich her. VAN DIJK/KINTSCH (1983) richten in ihrer Untersuchung die
Aufmerksamkeit auf semantische Kohärenz – speziell konditionale und funktionale
semantische Kohärenz. Lokale semantische Kohärenz ist für sie eine Eigenschaft des
Diskurses, welche über semantische Beziehungen zwischen aufeinanderfolgenden Sätzen
definiert ist. Lokale semantische Kohärenz wird relativ zur globalen Kohärenz
hergestellt, sie ist immer relativ zu globalen Zielen und Motivationen, wird also
strategisch hergestellt.117 Dazu werden Oberflächenstrukturen von Sätzen auf kodierte
semantische Strukturen hin interpretiert und Informationen aus dem Zusammenhang
von bereits vorhandenen Informationen und neuen Informationen aus dem Text
konstruiert.118 Lokale Kohärenzstrategien sind mit globalen Strategien vernetzt, welche
situative lokale Strategien restringieren. Sie sind als Metastrategien Teil des
Kontrollsystems der Kohärenzbildung. Folgende neun Metastrategien erarbeiten VAN
DIJK/KINTSCH (1983):
1. Situation normalcy: Wenn nichts dagegen spricht, nimm eine normale
„Alltagssituation“ an!
2. Referential normalcy: Wenn keine anderen Signale wahrnehmbar sind, nimm an,
dass Kohärenz relativ zu deiner normalen Welt etablierbar ist!
3. Macrodependence: Sequenzen sind nicht nur lokal, sondern auch global kohärent –
alle lokale Kohärenz sollte auf globale Relevanz geprüft werden!

117
Interessant ist, dass die Autoren Kohäsion als eigene Eigenschaft nicht kennen – eben weil sie,
wie auch ich, sehen, dass Verbindungen zwischen Sätzen immer auf der semantischen Ebene und
nie allein auf syntaktischer Ebene existieren.
118
Hier müsste man der Konsequenz halber sagen: Signale aus dem Text. Es ist aber anzunehmen,
dass VAN DIJK/KINTSCH (1983) bei Text bereits von einem kognitiven Interpretament ausgehen.

72
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

4. Sequential coherence: Wenn keine Kohärenz zwischen direkt benachbarten Sätzen


herstellbar ist, prüfe erst die folgenden Sätze auf notwendige Informationen!
5. Actual state of text and context: Beachte die Situationsbezogenheit der lokalen
Kohärenz!
6. Propositional coherence: Lokale Kohärenzstrategien zielen auf volle, Tatsachen
denotierende Propositionen!
7. Partial coherence: Akzeptiere auch teilweise lokale Kohärenz in Bezug auf globale
Kohärenz!
8. Maximizing hypothesis: Wenn die Kohärenzstrategien fehlschlagen, mache
gutwillige, kooperative Annahmen über den Sinn der Proposition und warte,
wohin diese dich führt!
9. Grammatical evidence: Wenn die Kohärenz nicht dem Standard entspricht, sollte
dies grammatisch signalisiert sein. 119

1.3.1.3. Makrostrategien als globale Kohärenzstrategien

Makrostrategien bilden die zentrale Komponente des Modells VAN DIJK/KINTSCH


(1983). In einer Abstrakt-linguistischen Semantik werden Makrostrukturen über
Makoregeln definiert, welche Makrostrukturen aus Satzpropositionen ableiten:
1. Deletion: Aus einer Sequenz von Propositionen kann jede Proposition entfernt
werden, die keine Interpretationsbedingung (z.B. eine Präsupposition) für andere
Propositionen der Sequenz ist.
2. Generalization: Ersetze eine Sequenz von Propositionen durch eine Proposition,
welche aus jeder der Propositionen der Sequenz folgt.
3. Construction: Ersetze eine Sequenz von Propositionen durch eine Proposition,
welche aus der Verbindung der Propositionen der Sequenz ableitbar ist. 120
Dieses Regelsystem halten die Autoren aber für zu abstrakt für die Beschreibung eines
kognitiven Modells des Textverstehens. Eine adäquate kognitive Modellierung des
Verstehens muss die kognitive Zuschreibung von Strukturen und Bedeutungen erfassen.
Bedeutungen – auch globale – werden dem Diskurs vom Sprachbenutzer während des

119
Ebenda, S. 152. Übersetzung und Zusammenfassung aus dem Originaltext: M.K.
120
Vgl. ebenda, S. 190.

73
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

Prozesses des Verstehens und der Interpretation zugeschrieben.121 Makrostrategien in


ihrer Flexibilität haben dabei heuristischen Charakter. Die Makrostrukturverarbeitung
bildet mit der Superstrukturverarbeitung122 einen integrierten Prozess, von dem die
Autoren in ihrer Untersuchung der Einfachheit halber vorerst abstrahieren. Makro- und
Schemastrategien ermöglichen die Auswahl und Ordnung einer großen Menge
semantischer Details und machen diese für die begrenzten kognitiven Kapazitäten des
Menschen verarbeitbar, indem sie eine semantische Basis für die Verknüpfung von
propositionalen Sequenzen zur Verfügung stellen und eine einfache semantische
Struktur aus dem Diskurs extrahieren, welche ins Kurzzeitgedächtnis passt. Sie stellen
ein Modul dar, das Sequenzen für das episodische Gedächtnis hierarchisch organisieren
kann und bilden damit einen Ansatzpunkt für die Aktualisierung von Wissen über
längere Diskursabschnitte sowie Ausgangspunkte für eine effektive Erinnerung oder
Rekonstruktion semantischer Details. Makrostrukturen sind durch andere, bereits
bestehende Konzepte nicht zu ersetzen: Frames oder Scripts sind Wissensstrukturen –
während Makrostrukturen Strukturen des Diskurses sind, Zielstrukturen oder finale
Zustände müssen durch Makrostrukturen definiert werden. Folgende kontextuelle
Makrostrategien lassen sich formulieren:
1. Schränke die semantische Suche auf den generellen kulturellen Kontext des
Sprechers ein!
2. Schränke die Themensuche auf die generellen Eigenschaften der aktuellen
Situation ein!
3. Entscheide, welche Themen für die Aktualisierung der intentionalen und
pragmatischen Ziele des Sprechers funktional sind!
4. Entscheide, welche Themen für den in diesem Kontext zu erwartenden
Diskurstyp charakteristisch sind!
5. Wenn 1 – 4 gilt, entscheide, über welche Objekte oder Ereignisse von wem in
welchem Sprechakt oder Diskurstyp gesprochen werden kann. 123
Diese kontextuellen Strategien stehen nicht allein, da im Diskurs selbst und in der
Verbindung Text-Kontext die Entscheidung über aktuelle Themen restringiert ist.

121
Dies trifft, bei strikter Redeweise, auch auf morphophonologische und syntaktische Strukturen
zu.
122
Vgl. Abschnitt V.1.3.1.4 dieser Arbeit.
123
Vgl. ebenda, S. 200. Übersetzung und Zusammenfassung aus dem Originaltext: M.K.

74
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

Kontextuelle Makrostrategien erzeugen in diesem Zusammenhang Erwartungen über


mögliche Diskursthemen und dienen der Entscheidung über das jeweils aktuelle Thema.
Sprecher/Schreiber nutzen Teile des Textes auch direkt, um die globalen
Interpretationen durch den Leser zu beschränken, so können sie Makropropositionen
(Abstracts, Überschriften) direkt ausdrücken. Auch haben Themaausdrücke in den
meisten Sprachen spezifische Oberflächenstrukturen: Sie finden sich meist am Anfang
oder Ende eines Absatzes, sie sind in besonderen Typen gedruckt und von anderen
Ausdrücken durch Leerzeilen getrennt. Bezüglich der topikalen Ausdrücke
unterscheiden sich spontane von geplanten Diskursen: Während der gesprochene
Diskurs Betonung und Intonation als Mittel zur Verfügung hat, müssen geschriebene
Texte dies durch topikale Ausdrücke kompensieren. Auch ist der gesprochene Diskurs
auf Grund der reichhaltigen Kontextinformationen selten ambig.
An dieser Stelle möchte ich, an einem Beispiel zeigen, mit Hilfe welcher Experimente
die Autoren ihr Konzept empirisch zu untermauern versuchen, da das Makrostruktur-
und Makrostrategiekonzept der Kern der Ausführungen von VAN DIJK/KINTSCH (1983)
ist. Hier soll außerdem deutlich werden, dass es sich bei ihrem psycholinguistischen
Modell um ein Modell der rekonstruktiven Sprachwissenschaft im Sinne HABERMAS’
handelt, auch wenn dies schon aus der Art der Darstellung der Makrostrategien deutlich
geworden sein sollte. Das hier zu diskutierende Experiment mit dem Titel „Interest and
Level of Description as Macrostructure Cues”124 soll zeigen, dass Überraschungseffekte
eines Elements einen Einfluss auf die Wahrnehmung seiner Makrorelevanz haben. VAN
DIJK/KINTSCH (1983) gehen von der Vermutung aus, dass, wenn ein Textelement in
einem überraschenden Kontext im Text auftritt, es als interessant bewertet und in die
Makrostruktur integriert wird. Dies wäre eine Spezifizierung der kontextuellen
Makrostrategie (4) und ein Spezialfall der GRICE’schen Konversationsmaxime der
Relevanz. In dem Experiment wurden sechzig Studenten sechs Textfragmente, jeweils
drei pro Student, vorgelegt, wobei drei Typen von Fragmenten zu unterscheiden waren:
- ein Basistext, welcher aus einer Erzählung über zwei Jungen besteht, die umherlaufen
und auf einige einfache Objekte treffen, von denen eines für das Experiment das
Zielobjekt, dessen Makrorelevanz getestet werden sollte, darstellt;

124
Ebenda, S. 222 ff.

75
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

- eine komplexe Version, in welcher das Zielobjekt sehr detailliert beschrieben wurde,
die sonst aber identisch mit der Basisversion war;
- eine überraschende Version, ein welcher das Zielobjekt außerhalb des Kontextes
eingeführt wird.
Es existieren zwei verschiedene Grundgeschichten für die Texte: Sie spielen entweder in
den Rocky Mountains oder in Manhattan. In den Bergen treffen die Jungen auf eine
Bergziege (Basistext und komplexe Version) oder auf einen Bus (überraschende
Version), in der Stadt auf einen Bus (Basistext und komplexe Version) oder auf eine
Bergziege (überraschende Version). Die Texte sind fragmentarisch und enden einen
Satz nach dem Zielobjekt und sollten durch die Versuchspersonen komplettiert werden,
wobei ihnen als Ziel der Untersuchung angegeben wurde, man wolle sehen, wie gut die
Versuchspersonen das Ende in 2 bis 3 Sätzen darstellen könnten. Nach der
Komplettierung des Textes wurden den Versuchspersonen die jeweiligen Zielobjekte
genannt, mit der Bitte, sie in Bezug auf Überraschung, Interesse etc. zu charakterisieren.
Die Ergebnisse entsprachen den Erwartungen: Der Interessantheitsgrad und der
Überraschungseffekt des Zielobjekts stiegen in der Bewertung der Versuchspersonen
vom Basistext über die komplexe Variante zur überraschenden Variante begleitet von
einer jeweils signifikant höheren Wahrscheinlichkeit seiner thematischen Fokussierung
an. Um das Ergebnis zu verifizieren, wiederholten die Autoren das Experiment etwas
modifiziert mit anderen Versuchspersonen. Dabei wurden die Zielobjekte in
unerwartbare, aber nicht groteske Kontexte gesetzt. In dem hier verwendeten ersten
Text beobachtet eine junge Frau Tiere im Zoo, sie sieht im Primatenhaus Schimpansen
(Basisversion) oder Leoparden (überraschende Version). Der zweite Text wurde
lediglich durch Austausch des Ortes (Katzenhaus) und die Umkehrung der Tatsachen
(Basisversion: Leopard im Katzenhaus) erzeugt. Der Überraschungseffekt wurde in
dieser modifizierten Replikation erwartungsgemäß abgeschwächt, die Markierung des
Zielobjektes durch die Komplexität der Beschreibung und den Überraschungseffekt aber
bestätigt. Aus den Ergebnissen lässt sich also ableiten, dass die Bildung von
Makrostrukturen durch die Strategien „Interessantheit“ oder „Niveau der Beschreibung“
gesteuert ist. Natürlich sind diese Strategien nicht die einzigen, sondern wirken
interdependent mit anderen bei der Erzeugung von Makrostrukturen.

76
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

1.3.1.4. Schemastrategien

Schemata und Schemastrategien im psychologischen Sinne spielen bei der


Textkompetenz eine Rolle, da es für Texte konventionelle, kulturspezifische
Textschemata gibt, welche über die grammatische Ebene eines Textes hinausgehen. VAN
DIJK/KINTSCH (1983) nennen diese Schemata „Superstrukturen“ und diskutieren deren
kognitive Eigenschaften. Optimales Verstehen, Speichern und Erinnern, so die Autoren,
verlange vom Sprachnutzer, dass er den Diskurs optimal strukturiere. Schematische
Kategorien der Superstrukturen können dabei als konventionalisierte Diskursfunktionen
für semantische Makrostrukturen fungieren, die Aufgabe der Superstrukturen ist also
strategischer Natur: Das Wissen über kanonische Strukturen erlaubt dem
Sprachbenutzer, Textinformationen zu antizipieren, was das Lesen extrem vereinfacht.
Der Sprecher/Hörer fungiert in der Interaktion als Mitglied einer spezifischen Kultur
und als Teilhaber an einer Situation, welche mögliche Äußerungen restringiert. Die
Situationalität ist aber bei Texten stark eingeschränkt – als Kompensation dieses Mangels
stehen dem Schreiber/Leser Schemata zur Kontextualisierung seiner Äußerung und zur
Restringierung möglicher Bedeutungen konventionalisierte Schemata zur Verfügung.
Daher erwarten Sprachbenutzer, dass ein Diskurs ein kanonisches Schema zeigt, welches
in seinem Wissen direkt verfügbar ist, und darum nutzen Leser verschiedene Strategien,
um Schemastrukturen aus den semantischen Makrostrukturen oder an Signalen der
Oberflächenstruktur eines Textes zu erschließen. Außerdem geben schematische
Superstrukturen Texten eine zusätzliche Organisationsstruktur, also sollten sie dessen
Erinnerbarkeit verbessern. Dass Superstrukturen als Strategien zu konzeptualisieren
sind, folgt aus dem konstruktivistischen Axiom der Arbeit von VAN DIJK/KINTSCH
(1983), welchem ich mich anschließe: Strukturen in der Welt und in der Sprache sind
Interpretamente von Subjekten auf der Grundlage von Signalen der Welt.
Auch an dieser Stelle möchte ich ein Experiment der Autoren diskutieren, welches die
Relevanz von Superstrukturen und schematischen Strategien offen legt. Im Experiment
„The Role of Rhetorical Structure in Descriptive Texts“ zeigen VAN DIJK/KINTSCH (1983),
dass rhetorische Strukturen einen bedeutenden Top-down-Prozess ermöglichen. Diese
Strukturen evozieren Erwartungen bestimmter Makrostrukturen und erlauben eine
gezielte Suche nach bestimmten Prädikaten und Individuen. Die Aufgabe eines
Schreibers besteht also u.a. darin, das richtige rhetorische Schema für den Text zu
wählen, welches dem Leser eine optimale Organisation des Textes – kongruent zur

77
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

Intention des Schreibers – erlaubt. Dies ist möglich durch kanonische rhetorische
Formen, welche bestimmte Kategorien klar signalisieren. Es wird angenommen, dass
ohne solche Formen Missverstehen wahrscheinlicher wird. Im Experiment werden
Versuchspersonen rhetorisch gute und schlechte Texte gleichen Inhalts vorgelegt, mit
der Annahme, dass sie den rhetorisch gut organisierten Text besser verstehen, weil sie
leichter Makrostrukturen formen können. Die Texte waren zwischen 205 und 410
Wörtern lang, wobei darauf geachtet wurde, dass die verschiedenen Versionen eines
Texte gleichlang sind. Im Anschluss an die Lektüre wurden den Versuchspersonen
Fragen dazu gestellt, worum es in dem Text gehe und was die Hauptideen des Autors
seien. Die Versuchspersonen antworteten tatsächlich besser, wenn sie den rhetorisch
besseren Text gelesen hatten. In einem zweiten Experiment zur Replikation der
Ergebnisse wurden zwei verschieden komplexe Texte benutzt, und zwar jeweils in einer
Version, in der die ursprünglich gute rhetorische Struktur verschleiert wurde. Der
komplexere Text ergab hierbei, wie erwartet, wesentlich schlechtere
Verstehensergebnisse. Zu vermuten ist, dass bei Abwesenheit einer klaren und
etablierten rhetorischen Struktur oder einer überkomplexen Formulierung die Gefahr
der Anwendung einer inadäquaten Makrostruktur steigt.

1.3.1.5. Pragmatische Strategien

VAN DIJK/KINTSCH (1983) behandeln auch den pragmatischen Aspekt der Sprache
unter dem Aspekt sprachlicher Strategien. Kulturelle Strategien als Teil der
pragmatischen Strategien des Diskursverstehens zielen auf die effektive Selektion
kultureller Informationen. Ein Hörer/Leser kann und muss den kulturellen Hintergrund
des Sprechers/Schreibers oder die Produktionszusammenhänge kennen, um einen Text
zu verstehen. So versuchen Hörer häufig, Inferenzen über die Kultur des Sprechers zu
aktualisieren. Das Verstehen von Diskursen fremder Kulturen ist gegenüber dem
Verstehen von solchen eigener Kulturen der markierte Fall: Normalerweise stehen uns
Inferenzen über unseren eigenen kulturellen Hintergrund automatisch zur Verfügung.
Ein generelles Prinzip kultureller Strategien des Textverstehens ist also, dass es abhängig
ist von den Vorstellungen des Hörers über den kulturellen Kontext der Äußerung.
Soziale Strategien als Teilmenge der pragmatischen Strategien beinhalten Wissen über
Gruppenstrukturen und Institutionen einer Kultur. Sprecher aktivieren in verschiedenen

78
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

sozialen Kontexten verschiedene Erwartungen über Intentionen und Interaktionen und


limitieren damit mögliche Interpretationsansätze für den Diskurs.
Interaktionsstrategien sind Strategien der an einer Interaktion beteiligten
Sprecher/Hörer. Jene machen Annahmen über die Intentionen, Ziele, Wünsche und
Präferenzen ihres Gegenüber. Dabei nutzen sie unter anderem ihr episodisches
Gedächtnis, wenn sie schon Erfahrungen mit einer speziellen Rolle oder einem speziellen
Partner gemacht haben. Die Erwartungen der Beteiligten bestimmen ihre Strategien.
Pragmatische Strategien bilden eine Untergruppe der Interaktionsstrategien, welche
durch die Bindung an Interaktionen mittels natürlicher Sprache definiert ist. Das
Verstehen eines Sprechaktes ist nun eine komplexe Aufgabe, die zu ihrer Lösung
Strategien erfordert. Hörer warten in der Regel nicht auf das Ende eines Sprechaktes, um
ihn zu verstehen, was bereits daran deutlich wird, dass sie zum Teil ihr Gegenüber
unterbrechen, um die Vollendung eines bestimmten, von ihnen erwarteten Sprechakts zu
verhindern. Regeln genügen zur Beschreibung dieser Antizipation laut VAN
DIJK/KINTSCH (1983) nicht, da diese sich immer auf Ganzheiten beziehen – also wirken
hier Strategien mit. Pragmatische Strategien dienen der Lösung verschiedener Aufgaben:
der Gewinnung von Kontextinformationen, der Entscheidung über den aktuellen
Sprechakt, der Entscheidung über die Relationen zwischen dem einzelnen Sprechakt und
dem Gesamtzusammenhang, Entscheidungen über Makrosprechakte in größeren
Diskursteilen, Entscheidungen über die Zusammenhänge zwischen lokalen und globalen
Sprechaktsequenzen sowie Entscheidungen über die Zusammenhänge zwischen globalen
Sprechaktsequenzen.

1.3.1.6. Textproduktionsstrategien im Modell von VAN DIJK/KINTSCH (1983)

Bei der Rekonstruktion der Strategien der Textproduktion gehen VAN DIJK/KINTSCH
(1983) davon aus, dass der Prozess der Textproduktion nicht einfach als eine
Umkehrung des Textrezeptionsprozesses zu verstehen ist. Nur in abstrakten Modellen
sind die Regeln für Produktion und Rezeption gleichartig und werden lediglich
richtungsverschieden angewandt, nicht so in kognitiven Modellen. Verstehen und
Produzieren von Äußerungen sind aber natürlich auch nicht völlig separate Prozesse,
welche nichts gemeinsam haben. Dies wäre einerseits unökonomisch und andererseits
vor dem Hintergrund unverständlich, dass auch im Verstehensprozess aktive,

79
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

konstruierende Teilprozesse eine Rolle spielen. Interessant für ein Modell der Text-
produktion ist also die Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zum Prozess
der Sprachrezeption. Gemeinsam müssen beiden Prozessen die Beschränkungen sein,
welche die Konstitution des Menschen vorgibt. So gilt die These über die Limitierung
des Kurzzeitgedächtnisses (STM) auch für die Textproduktion. Daher können
Sprachbenutzer nicht erst eine lange Passage als Propositionen konstruieren, welche
dann sprachlich ausformuliert werden. Der strategische Zugang zur Sprachproduktion ist
also sinnvoll, wenn nicht gar zwingend. Die Diskursproduktion ist als Planung und
Durchführung von Handlungen ein Teil der Steuerung der sozialen und kulturellen
Kommunikationssituation. Zuerst ist hierzu eine Entscheidungsstrategie für die Frage
notwendig, ob eine Handlung die Situation in die gewünschte Richtung verändert. Eine
weitere Strategie muss die möglichen Handlungen des Agenten inklusive möglicher
Alternativen und deren Kohärenz mit seinen Globalzielen analysieren helfen.
Gleichzeitig werden die Makropropositionen des Makrosprechakts von der Analyse der
interaktionalen Situation abgeleitet und führen dann zum Makrosprechakt und zum
Thema des Diskurses. Die strategische Sprechaktplanung auf der globalen Ebene bringt
aber noch keine konkreten pragmatischen Informationen hervor, da ein Sprecher nicht
ohne die semantische Planung über mögliche konkrete Sprechakte entscheiden kann.
Die Ausführung eines globalen Sprechaktes ist ein strategisches Unternehmen, denn das
globale Ziel wird mit Hilfe lokaler Sprechakte erreicht, die der jeweiligen Lage angepasst
sein müssen. Die zentrale Strategie dabei ist, erfolgreich Subziele zu verwirklichen um
zum globalen Ziel zu gelangen. Auf der Ebene lokaler Strategien bedarf es relevanter
Züge, um das Wissen oder die Meinung des Hörers zu beeinflussen. Seine lokalen
Strategien in Alltagsgesprächen sind dem Sprecher nicht immer bewusst, sie sind aber
prinzipiell bewusstseinsfähig.125
In monologischen Diskursen – wozu auch die schriftlichen Texte zu zählen sind – ist
nicht die direkte Situation für die Diskursplanung und -produktion relevant, sondern
hier steht die Vorwegnahme möglicher Einwände des Lesers im Vordergrund. Die
Planung schriftlicher Diskurse muss deshalb, so VAN DIJK/KINTSCH (1983) bewusster
und besser durch einen globalen Plan kontrolliert sein.126

125
Hier setzen u.a. Verhaltenstherapien an: Sie helfen, solche Strategien zu reflektieren, wenn sie
zu Konflikten führen.
126
Vgl. ebenda, S. 269.

80
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

Sprache und Diskurs werden in erster Linie auf der Ebene von sozialer Interaktion
beschrieben, von welcher Syntax und Semantik abhängen. Dies weist, so die Autoren,
darauf hin, dass Bedeutungskonstruktion kein autonomer Prozess ist. Der strategische
Zugang betont die Kooperation und die Gleichzeitigkeit der verschiedenen
Strukturebenen im Produktionsprozess. Semantische Produktionsstrategien als Teil der
Diskursproduktion sollten in derselben Art beschrieben werden wie semantische
Verstehensstrategien: Semantische Makrostrukturen kontrollieren die Formulierung
semantischer Repräsentationen – sie dienen als globaler Produktionsplan. Das Thema
bzw. der Gegenstand eines Gesprächs oder eines Textes und somit dessen
Makrostruktur müssen aus Gedächtnisinformationen konstruiert werden.
Zusammenfassend lassen sich folgende propositionale Strategien für die
Textproduktion angeben:
1. Führe eine mögliche Welt, eine Zeit und einen Ort ein! Wenn diese konstant
sind, nutze sie implizit oder signalisiere sie marginal, wenn sie sich ändern,
signalisiere die Veränderung explizit!
2. Führe die Hauptpersonen, vor allem die Agenten, zuerst ein! Wenn sie
bereits eingeführt sind, erwähne sie marginal (z.B. durch Pronomen)!
3. Führe ein Prädikat für die Partizipanten ein!
4. Aktualisiere die typischen propositionalen Rollenschemata des Prädikates!
5. Führe andere Beteiligte in ihren Rollen ein – zuerst Personen, dann Objekte,
Zeit und Ort zuletzt! 127
Abhängig von der Wichtigkeit oder der pragmatischen Relevanz werden auch in der
Sprachproduktion Propositionen gesplittet oder kombiniert, neben- oder untergeordnet.
Wichtig für Textproduktionsstrategien ist, dass jede semantische oder pragmatische
Information in der Oberflächenstruktur oder mit parallelen, paratextuellen Handlungen
ausgedrückt werden kann. Ein generelles Modell müsste natürlich wesentlich mehr
Strategien mit einbeziehen. An dieser Stelle erlaubte die gebotene Kürze nur die
Zusammenfassung eines Modells, welches seine Autoren zudem selbst als eine Skizze
bezeichnen.128

127
Vgl. ebenda, S. 281. Übersetzung und Zusammenfassung aus dem Originaltext M.K.
128
Vgl. ebenda, S. 293.

81
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

1.3.1.7. Schlussfolgerungen für eine Theorie der Textkompetenz

Das Modell VAN DIJK/KINTSCH (1983) scheint mir aus mehreren Gründen besonders
gut für die Darstellung einiger Aspekte der Textkompetenz geeignet. Es erfasst Text als
Phänomen in unserer Wahrnehmungswelt, als kognitives Konstrukt auf Grund lautlich
oder graphisch kodierter sprachlicher Informationen. Es zeigt, welche verschiedenen
kognitiven Strategien bei der Sprachverarbeitung notwendig sind, ohne den Blick auf ein
Modul rein sprachlicher Kompetenz zu beschränken – es umfasst also in CHOMSKYS
Sinne die Begriffe Kompetenz und Performanz. Trotz seiner empirischen Ausrichtung
ist dieses Modell unter rekonstruktiver Sprachwissenschaft im Sinne von HABERMAS zu
fassen, da seine Untersuchungen von Sprecherurteilen ausgehen. Die
Strategierekonstruktion hat den Vorteil, automatisierte Strategien, die unbewusst sind,
bewusst zu machen. VAN DIJK/KINTSCH (1983) argumentieren mit kognitiven
Strukturen, die nicht prinzipiell unbewusst – also einfach nicht bewusstseinsfähig - sind,
sondern mit Strukturen, die jedes Subjekt reflexiv erfassen kann. Empirisch zu belegen
wäre, ob sich aus diesem reflexiven psycholinguistischen Konzept ein didaktisches
Konzept erarbeiten lässt, das im Zusammenhang von Textrezeptions- und
Textproduktionskompetenz die Textkompetenz im Gesamten zu steigern in der Lage
ist. Dies scheint nahezuliegen, weil das Textproduktionsmodell, das die Autoren
skizzieren, auf Begriffe ihres Textrezeptionsmodells zurückgreift, welche reflexiv
bewusstseinsfähig sind.
Ebenfalls wichtig für die Diskussion der Textkompetenz sind Nachweise der
psychischen Relevanz von Superstrukturen durch VAN DIJK/KINTSCH (1983). Diese
untermauert die Annahme einer Textsortenkompetenz als Teil der globalen
Textkompetenz, welche ich in einem weiteren Kapitel genauer ausführen werde.
Außerdem stärken die Ausführungen von VAN DIJK/KINTSCH (1983) über pragmatische
Strategien meinen Widerspruch gegen WIEGAND (2001). Die Lösung des diskutierten
Sprechhandlungsproblems in Bezug auf Texte geht aus den Ausführungen der Autoren
nicht explizit hervor, ist aber dennoch ableitbar: Illokutionen sind Interpretationen von
Sprecher-/Schreiberintentionen durch den Schreiber oder den Leser – sie sind Strukturen
des kognitiven Konstrukts Text, nicht aber der graphisch-sprachlichen Materialisierung.
Dass sich ihre Thesen in dieser Hinsicht auch empirisch nachweisen lassen, wird das
folgende Kapitel zeigen.

82
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

1.3.2. Empirie: Wie Schreiber mithilfe von Texten handeln

Da der im Abschnitt V.1.1 aufgeworfene Disput über die Verbindung von Handlung und
Text nicht endgültig durch VAN DIJK/KINTSCH (1983) entschieden ist, möchte ich
hierzu eine empirische Studie konsultieren: WROBELS (1995) Studie „Schreiben als
Handlung“.129 Auch diese Studie geht, wenn wir sie zuerst auch empirisch genannt
haben, den Weg der rekonstruktiven Sprachwissenschaft: Sie lässt Sprachbenutzer Texte
verfassen und wertet diese in Verbindungen mit Äußerungen von Sprechern über ihre
Handlungen aus.

1.3.2.1. Textproduktion und Handeln – Theoretische Argumentation von WROBEL (1995)

Im Mittelpunkt der theoretischen Vorarbeiten WROBELS (1995) steht die Diskussion der
Widersprüche in der Auffassung „Schreiben als problemlösende Informations-
verarbeitung“. Diese, so der Autor, entziehe das „Schreiben“ dem sprachwissenschaft-
lichen Zugriff, da sie Schreiben nicht als Produktion von Texten betrachtet. Außerdem
seien die postulierten kognitiven Komponenten nicht schreibspezifisch und der
Zusammenhang zwischen kognitiven Prozessen und der sprachlichen Struktur gerate
nicht in den Blick. Auch sei beim „Schreiben als Problemlösen“ in vielen Darstellungen
unklar, welches das Problem sei, das hier gelöst werde.130 WROBEL (1995) sucht nun
nach einem Begriffsrahmen, der eine Alternative bietet, um Schreiben auch als
sprachkonstituierten Prozess explizieren und in sozial-kommunikative Aufgaben und
interne Organisationsprinzipien des Schreibens differenzieren zu können. Diese
Möglichkeit hofft er in einer handlungstheoretischen Perspektive auf das Schreiben zu
finden. Er führt als Grundbegriffe einer handlungstheoretischen Textproduktionstheorie
die Begriffe „Intention“, „Motiv“, „Ziel“ und „Zweck“ so ein, wie sie in der allgemeinen
Handlungstheorie aufgefasst werden und nimmt als Gesamtrepräsentation dieser einen
Handlungsplan an. Das Erreichen von Zielen werde durch Strategien optimiert, für

129
WROBEL, Arne (1995): Schreiben als Handlung. Tübingen: Max Niemeyer 1995. S. 4.
130
Vgl. ebenda, S. 22.

83
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

Teilhandlungen gelten Subpläne. Der Handlungstyp „Textproduktion“ habe allerdings


gegenüber anderen Handlungen folgende zusätzliche Merkmale: „[…]
- die Handlung des Schreibens ist Bestandteil einer insgesamt sozial interaktiven
Handlung;
- diese sozial interaktive Handlung ist in ihrem Kern kommunikativ; d.h. sie bedient
sich vor allem sprachlicher Mittel der Handlungsrealisierung;
- Schreiben ist schließlich nur mittelbar kommunikativ; es findet unter der besonderen
Bedingung der zeitlichen und örtlichen Trennung von Textproduzenten und Text-
rezipienten statt, deren Handlungsbeziehung deshalb über Texte vermittelt ist.“131
Für das Handeln mit Texten sei der Prozess der Textproduktion die einzige Möglichkeit
der Steuerung der Gesamthandlung. Textherstellungsprozesse ließen sich als Resultate
einer spezifischen Strategiewahl auffassen. Dies läuft auf die These hinaus, dass die
sprachliche Handlung im Bereich der Domäne Text in der Wahl der Textproduktions-
strategie besteht. Könnte dies empirisch-rekonstruktiv untermauert werden, wäre der
Streit um die Handlungstheorie in der Textlinguistik entschärft, da dies eine Lösung
wäre, mit der vermutlich auch WIEGAND (2001) leben könnte.132

1.3.2.2. Der Formulierungsprozess – empirische Ergebnisse von WROBEL (1995)

Für seine empirischen Untersuchungen zieht WROBEL (1995) vier Datenquellen heran:
Daten über den realzeitlichen Handlungsverlauf, Zwischenprodukte der
Textproduzenten, Recall-Interviews mit den Produzenten (nachträglich erhobene
verbale Daten) und Think-aloud Protokolle während der Textproduktion. Letztere
gehen daraus hervor, dass die Produzenten gebeten wurden, alles, was sie während der
Produktionsphase denken, laut zu äußern. Gegenstand aller untersuchten Produktions-
prozesse waren nichtliterarische Textarten: Zusammenfassungen, Geschäftsbriefe,
persönliche Briefe und Wegbeschreibungen. Gründe für diese Beschränkung waren die
Notwendigkeit, nicht zu zeitaufwendige Schreibprozesse im Experiment realisieren zu
müssen und die Idee, bekannte Schreibaufgaben aus dem Alltag, also bereits

131
Ebenda, S. 25 f.
132
Vgl. hierzu Abschnitt V.1.1 dieser Arbeit.

84
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

automatisierte Prozesse, zu untersuchen. Ziel der Materialauswahl und der Bedingungen


der Tests war eine möglichst natürliche Schreibsituation.
Ein Teil der Untersuchungen von WROBEL (1995) zielt auf Realzeitverläufe beim
Schreiben, um auf kognitive Belastungen und damit auf Handlungsformen und -phasen
zurückschließen zu können. Erkenntnisleitende Fragen waren dabei, ob es Unterschiede
der einzelnen Textarten in Bezug auf Schreibgeschwindigkeit, Pausenlänge,
Pausenposition gebe, sowie ob Unterschiede der Lokalisierung von Pausen und
Zusammenhänge derselben mit Textstrukturen feststellbar seien. Es wurden erhoben:
- technische Schreibgeschwindigkeit (TSG), also die Artikulationsrate,
- die reale Schreibgeschwindigkeit (RSG), welche sich als Quotient von Wortzahl
und Gesamtproduktionszeit ergibt,
- die Schreibflüssigkeit (SF) als Quotient aus der Wortzahl und den Pausen
(ausschließlich Pausen von mehr als 3 Sekunden)
- und der Schreibquotient (SQ) als Quotient aus der reinen Schreibzeit und der
Gesamtproduktionszeit.
Die Schreibpausen wurden danach klassifiziert, ob sie nach Absätzen, nach Sätzen und
Satzgefügen, zwischen Teilsätzen133, nach Wortfolgen sowie nach Wörtern zu finden
waren. Die Untersuchung ergab Folgendes:134 Die Unterschiede in der technischen
Schreibgeschwindigkeit zwischen den Textarten waren nicht signifikant (p=0.08).
Schreibprozesse verliefen, bezogen auf die TSG, im Durchschnitt acht- bis zehnmal
langsamer als Sprechartikulation, die reale Schreibgeschwindigkeit (RSG) ist signifikant
unterschiedlich von Textart zu Textart. Beim Schreiben von Zusammenfassungen ergab
sich der kleinste Schreibquotient (0,36), es folgen der Geschäftsbrief (0,52), der
persönliche Brief (0,64) und die Wegbeschreibung (0,64). Bei der Schreibflüssigkeit
schnitt die Zusammenfassung am schlechtesten ab (3,67), es folgen Geschäftsbrief
(5,59), Wegbeschreibung (6,69) und persönlicher Brief (9,18). Zusammenfassend lässt
sich in Bezug auf die Schreibgeschwindigkeit sagen, dass die Zusammenfassung als die
langsamste und am wenigsten flüssige Textsorte den einen Pol einer Skala, der
persönliche Brief den anderen Pol bildet. Die Unterschiede zwischen persönlichem

133
Kriterium war das Vorhandensein eines finiten Verbs.
134
Ebenda, S. 54 ff.

85
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

Brief, Geschäftsbrief und Wegbeschreibung sind nicht signifikant, lassen aber


Tendenzen erkennen.135
Pausenhäufigkeit und Zeitanteil in Prozent ließen erkennen, dass der Geschäftsbrief
und die Zusammenfassung eher Pausenpositionen aufweisen, die nicht syntaktisch
definiert sind, also aus dieser Perspektive eher unflüssige Textsorten darstellen. Die
höhere Flüssigkeit von persönlichem Brief und Wegbeschreibung weist, so WROBEL
(1995), auf eine größere Nähe zum Sprechen hin. Feststellbar war ebenfalls, dass die
Pausenposition die Pausenlänge beeinflusst, wonach sich folgende Hierarchie aufstellen
lässt:

zwischen Abätzen > zwischen Sätzen > zwischen Teilsätze > zwischen Wörtern > in
Wörtern

Nichtsyntaktische Pausen treten beim Schreiben gegenüber dem Sprechen ungleich


häufiger auf, was der Autor auf die fehlende Ökonomie des Sprecherwechsels beim
Schreiben sowie die stärkere Beherrschung der Schreibprozesse durch lexikalischen
Planungsprozesse zurückführt.136
In einem weiteren Teil der Untersuchung versucht WROBEL (1995) mit Hilfe von
Think-aloud-Protokollen und Materialuntersuchungen den Formulierungsprozess zu
rekonstruieren. Er stützt sich hierzu auf das Textproduktionsmodell von
FLOWER/HAYES (1980/1981)137. „Formulierung“ ist für WROBEL (1995) eine
Komponente des Gesamtproduktionsprozesses von Texten.138 Diese wird gespeist durch
gedankliches Material verschiedenster Repräsentationsarten, welches, nach
HAYES/FLOWER (1980) in Sprache übersetzt wird. Diese Übersetzungsoperation ist

135
Vgl. ebenda, S. 56.
136
Vgl. ebenda S. 61 f.
137
Vgl. FLOWER, Linda/HAYES, John R. (1980): The dynamics of composing: Making plans and
juggling constraints. In: GREGG, L.W./STEINBERG, E.R. (eds.): Cognitive processes in writing.
Hillsdale, N.J. Erlbaum, S. 31 – 50; DIESELB. (1981): The pregnant pause. An inquiry into the nature
of planning. In: Research in Teaching of English, 15, S. 120-160. Ausgeführt in: WROBEL (1995),
S. 11. Vgl. auch: MOLITOR-LÜBBERT, Sylvie (1996): Schreiben als mentaler und sprachlicher
Prozeß. In: GÜNTHER/LUDWIG (1995), S. 1005 – 1027.
138
Vgl. ebenda, S. 85.

86
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

abhängig vom schon verfertigten Text und wirkt gleichzeitig auf vorgelagerte
Teilprozesse der Textproduktion zurück. Im schriftlichen Formulieren, so WROBEL
(1995), werden kommunikationsbezogene Aufgaben monologisch bewältigt. Die
Produktion von Schrifttexten zeichne sich durch relative Eigenständigkeit der
Formulierungsprozesse und -resultate aus, d.h. die Spuren der Entstehung sind hier
weitgehend getilgt und Leser haben keinen direkten Einfluss auf die Textproduktion.
Ihnen steht – im Gegensatz zur mündlichen Kommunikation – nur das Resultat der
Sprachproduktionshandlung zur Verfügung. In Abgrenzung zu HAYES/FLOWER (1980)
schlägt WROBEL (1995) ein Modell der schriftlichen Textproduktion vor, in dem
Revidieren und Formulieren eine Einheit bilden: Die Möglichkeit des Revidierens
unterscheide das Schreiben wesentlich vom Sprechen. Traditionell wird Revidieren als
Retranskription erfasst, d.h. eine Dissonanz zwischen mentaler Repräsentation des
Textes und der manifestierten Repräsentation führt zu einer „Neuübersetzung“ des
gedanklichen Inhalts in Sprache. Diese Sicht kritisiert WROBEL (1995) als zu
produktorientiert – ihr fehle die Sicht auf den Prozess.
In ersten Untersuchungen kommt er zu folgenden Ergebnissen: Die Häufigkeit der
Revisionen schwankt stark von Schreiber zu Schreiber und ist abhängig von der Textart.
Pausen, in denen Revisionen auftreten, sind im Mittel doppelt so lang wie Pausen ohne
Revisionen, satzexterne Revisionen sind in der Regel weitaus zeitaufwändiger als
satzinterne Revisionen. Häufig sind Sequenzrevisionen, selten aber
Makrokonzeptrevisionen festzustellen. Letztlich spielen Textrevisionen, so WROBELS
(1995) vorläufiges Urteil, „[…] für den Prozeß der Textproduktion eine nur untergeordnete
und weitgehend überschätzte Rolle. Sie sind als Veränderungen bereits produzierter
Textsegmente weder für der Prozess der Textplanung noch für die Textformulierung
konstitutiv. Ihre Funktion besteht vielmehr in oberflächenorientierten, weitgehend in den
Prozess der Äußerungsformulierung integrierten Modifikationen von mental bereits
festgelegten Text-, Satz- und Formulierungsplänen.“139 Dies kann natürlich für größere
Textformen, aber auch für kooperative Textformen wie Pressetexte, nicht stimmen. Die
Untersuchung ist hier blind für die Abhängigkeit des untersuchten Phänomens von
Textsorten auf Grund der engen Textsortenauswahl in der Untersuchung – dies sieht

139
WROBEL (1995), S. 100.

87
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

WROBEL (1995) auch und benennt es später selbst als Beschränkung seiner
Untersuchungsergebnisse.140
In der Fortsetzung seiner Untersuchungen versucht WROBEL (1995), „Revidieren“
als eine kognitive Operation zu begreifen, die sich auf der Basis von Zielen und
textbedingten Einschränkungen vollzieht. Aus dieser Perspektive übt er konstruktive
Kritik am „Übersetzungsmodell“ von HAYES/FLOWER (1980/1981).

1.3.2.3. Prätexte

WROBEL (1995) führt hierzu für mentale Vorstufen von Textäußerungen den Begriff
„Prätext“ ein und weist diese über Experimente mit Think-aloud-Protokollen nach.
Folgendes lässt sich über die Struktur von Prätexten sagen: Prätexte als mentale
Vorstufen von Textäußerungen haben eine Mittlerfunktion zwischen abstrakten
Schreiberzielen, -intentionen und -plänen sowie seinen manifesten Textäußerungen. Sie
scheinen (nach Think-aloud-Protokollen) die mentale Erprobung sprachlicher
Alternativen zu erlauben. Eine große Zahl von Revisionsprozessen findet also bereits auf
der Ebene der Prätexte statt, was den Schluss zulässt, dass Revision eine Subkomponente
des Planungsprozesses ist. Dies lässt sich an Think-aloud-Protokollen nachweisen: Sie
enthalten eine große Menge sprachlichen Materials unterschiedlichen Typs, das im
Endprodukt nicht auftaucht: Reflexionen, Vorformulierungen, Lesen bereits
geschriebener Textteile, Mitsprechen während der Niederschrift. Vorformulierungen
seien nun, so WROBEL (1995), mit Prätexten vergleichbar, da sie teilweise Material und
Struktur des zu schreibenden Textteils enthielten. Reflexionen, Koformulierungen und
Nachlesen seien Indikatoren für bestimmte kognitive Prozesse zur Erzeugung von
Vorformulierungen. Hier ein Originalbeleg aus der großen Menge der Belege in
WROBEL (1995):

140
Vgl. ebenda, S. 101.

88
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

„VP 19 GBLD
Vor 4 Wochen haben Sie bei mir eine Waschmaschine angeschlossen. Die
Rechnung Nr. 276/88 darüber habe ich bereits beglichen. Der dafür
verwendete Laugenschlauch, Kosten 2,55 DM, war nach einer Woche
defekt und Sie ersetzten ihn.
Eine Woche später (unv.); da es sich hierbei um einen Materialfehler handeln muß,
der nicht durch Fehlbedienung/da dieser Fehler im Material liegen muß und nicht
durch Fehlbedienung bedingt sein kann, hm, sehe ich keine (unv.) Veranlassung, nee
Quatsch; die darüber erstellte Rechnung dreieinundneunzig, hm, ich sehe nicht
ein/...; der dafür verwendete Laugenschlauch war nach einer Woche defekt und sie
ersetzten ihn. Dafür stellten Sie eine
Dafür stellten Sie eine die Rechnung Nr. 391/88 über 78,56 DM aus.“141

In Prätexten sind, im Gegensatz zu den manifesten Produktionsergebnissen, häufig


konzeptuelle Revisionen festzustellen, wie auch das vorstehende Beispiel zeigt, in
welchem der Autor aus einer Menge an auszudrückenden Informationen nach mehreren
Versuchen diejenige wählt, die ihm an dieser Stelle als am strategisch günstigsten
erscheint. Prätexte stellen offensichtlich ein Versuchsstadium dar, in dem die
Versprachlichung als konstruktiver Versuchsprozess abläuft: „Die Beispiele machen
allesamt deutlich, daß abstrakte Prozesse der Äußerungsplanung in weit engerem
Zusammenhang mit dem Formulierungsprozeß stehen, als es der von Flower/Hayes
verwendete Terminus der ‘Übersetzung’ (translating) zunächst nahe legt. Äußerungspläne
werden nicht in sprachliche Äußerungen übersetzt, vielmehr ist der Prozess der
Versprachlichung in vielen Fällen selbst ein konstruktiver Faktor ihrer Entwicklung und
Differenzierung.“142
Die weitere Argumentation von WROBEL (1995) lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Formulieren ist ein Prozess des Umformulierens und Revidierens. Prätexte sind der
zentrale Gegenstand dieser Prozesse. Diese Position wird durch ihre Doppelstruktur
ermöglich – Prätexte sind mental und doch sprachlich weitgehend ausformuliert.
Feststellbar sind drei Relationen der Formulierung und Revidierung: Werden
konzeptuelle Struktur und Prätext in Relation gesetzt, spricht man von konzeptuellen
Revisionen, die Anpassung von Prätexten an den Kontext der Kommunikationssituation

141
Originalbeleg. Ebenda, S. 111. Wrobel verwendet folgende Transkriptionskonventionen:
„manifester Text – normal und eingerückt, Reflexionen – normal,
Vorformulierungen – unterstrichen, Nachlesen – kursiv“ (Ebenda, S. 108)
142
Ebenda, S. 111.

89
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

kennzeichnet kontextuelle Revisionen und die Einpassung der Prätexte in den bereits
produzierten Textzusammenhang nennt man Kotextualisierung.

1.3.2.4. Makroplanung im Schreibprozess

Schreiben erweitert die kognitiven Möglichkeiten des Schreibers – so ist ein


offensichtliches Merkmal des Schreibens die zeitliche Entlastung bei der Strukturierung
und Formulierung seiner Äußerung. Er hat hier die Möglichkeit, aus dem Strom des
aktuellen Bewusstseins und des Sprechens herauszutreten. Planung ist Voraussetzung
des Formulierungsprozesses schriftlicher Texte, aber auch seine Bedingung: Schrifttexte
bedürfen auf Grund ihrer Unabhängigkeit vom Produktionsprozess (im Gegensatz zur
mündlichen Sprache) der Planung, da der Schreiber mögliche Wünsche und Einwände
der potentiellen Leser antizipieren muss. Es stellt sich daher die Frage, wie im
Textproduktionsprozess diese Voraussetzungen für Formulierungshandlungen
geschaffen werden. Zuerst muss der Schreiber über Ziele seiner Textproduktion, über
Bedeutungen, die er ausdrücken will, über die Struktur, die er dem zu Sagenden geben
will und über die Mittel zum optimalen Erreichen seiner Ziele eine Vorstellung haben.
Hieraus bildet der Textproduzent Subpläne eines Diskursplanes. Subpläne enthalten die
zur Erreichung von Zielen notwendigen Handlungen. Folgendes kann WROBEL (1995)
aus seinen Experimenten und Interviews über die Makroplanung beim Verfassen
verschiedener Textarten ableiten: Zusammenfassungen lassen sich unter der Kategorie der
rekapitulierenden Texte eingliedern. Das Zusammenfassen ist eine komplexe kognitive
Leistung – ein komplexer Zusammenhang von Rezeptions- und Produktionsprozessen.
Voraussetzung für die Produktion einer Zusammenfassung ist die intensive Rezeption
des Primärtextes, welche selbst ein komplexer produktiver Prozess ist, der zielorientiert
abläuft. Festzustellen war, dass Rezeptions- und Produktionsphasen nach der
Primärrezeption ineinander verschachtelt ablaufen. Der Entscheidung für einen
bestimmten Schreibhandlungsplan liegt dann, wie die Interviews zeigen, die Analyse der
Schreibaufgabe zugrunde. Besonders aufschlussreich sind WROBELS (1995)
Ausführungen über die Funktion von Unterstreichungen und Randnotizen bei
Zusammenfassungen. Er unterscheidet musterbezogene Markierungen, welche Makro-
strukturen kennzeichnen und propositionsbezogene Markierung zur Kennzeichnung
relevanter Propositionen. WROBEL sieht in Unterstreichungen und Randnotizen

90
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

Indikatoren für die Anwendung von Makroregeln143. Textmarkierungen erleichtern also


offensichtlich die Informationsselektion. Dies benennen die Versuchspersonen in
Interviews auch so. Stichworte für die Formulierung von Zusammenfassungen sind nur
von einem Drittel der Schreiber verfasst worden. Auch Stichwortzettel lassen typische
Makropropositionen erkennen. Interessant ist die durchgängige Nutzung der grafischen
Ordnung der Notate, welche WROBEL (1995) als Auslagerung des „mentalen Raums“
interpretiert. Die graphische Organisation fungiert als Instruktion für die formal-
technische Organisation der folgenden Formulierungshandlung, der so entstehende
graphischer „Textraum“ dient als Hilfe bei Ökonomisierung der Informationsstruktur.
Auffallend war auch, dass Versuchspersonen mit der meisten Erfahrung – vor allem
wissenschaftliche Mitarbeiter – in ihren Zusammenfassungen den höchsten
Reorganisationsgrad zeigten: Die Zusammenfassungen waren deutlich kürzer und
zeigten Prinzipien der Informations- und Textorganisation, die Schreiber waren
offensichtlich geübt im Extrahieren der wesentlichen Informationen eines
wissenschaftlichen Textes und verfolgten eine globale, konstruktive
Zusammenfassungsstrategie.
Zur Untersuchung der Makroplanung bei Wegbeschreibungen, Reisebeschreibungen
und Beschwerdebriefen wertete WROBEL (1995) die Reflexionen in den aufgezeichneten
Think-aloud-Protokollen aus. Er begreift „Reflexion“ als autonome Äußerungsform
innerhalb dieser Protokolle, da sie sich wesentlich von Prätexten und Textäußerungen
unterscheiden: Sie sind meist umgangssprachlich, ähnlich strukturiert wie
Unterstreichungen und Randnotizen bei Zusammenfassungen, d.h. sie enthalten
Propositionen zusammen mit Texthandlungskategorisierungen und weisen explizit
einem Textabschnitt Makroillokutionen zu. Dazu folgende Beispiele:

„[...]
(5) .. zur Vorgehensweise: ich muß als erstes kurz den Sachverhalt schildern,
damit klar ist, was ich überhaupt reklamiere oder worüber ich mich
beschwere; Höflichkeit ist nicht am Platz, also keine Anrede, hm; womit
fang ich an? Damit daß vor 3 Wochen die Waschmaschine angeschlossen
wurde

(6) jetzt kommt das eigentliche Anliegen, die Beschwerde; die Beschwerde
darüber, daß nen’neuer Schlauch länger halten muß als 3 Wochen ...

143
WROBEL (1995) nimmt hier Bezug auf VAN DIJK/KINTSCH (1983). Vgl. hierzu Abschnitt
V.1.3.1 dieser Arbeit.

91
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

(7) so, der moralische Appell, wie bau ich das jetzt auf? Womöglich, daß ich bis
jetzt zufrieden war mit der Arbeit dieser Firma ...

(8) ... inwieweit muß ich denn jetzt noch erklären, was da vorgefallen ist; das
Beste ist, ich sag’ das mal in zwei kurzen Sätzen [...]“144

WROBEL (1995) spricht bei den hervorgehobenen Ausdrücken von illokutiven


Markierungen in den Reflexionen, also im Sinne der Sprechakttheorie von Markierungen
für die Handlung, welche die Schreiber mit Hilfe des Ausdrucks ausführen wollen.145
Dies entschärft die diskutierte Kritik von WIEGAND (2001) z.T., da es empirisch zeigt,
dass Schreiber mit schrifttextlichen Äußerungen handeln wollen. Als Korrektur des
Illokutionsstrukturkonzepts führt WROBEL (1995) den Begriff „Konzept“ ein. Ein
Konzept sei ein Element von Wissen, das in Relationen zu anderen Elementen steht und
im Prozess der Wissens- bzw. Textproduktion temporär gebildet wird. Es enthält
Elemente semantischen, pragmatischen und prozeduralen Wissens. Der vorgeschlagene
Konzeptbegriff habe, so der Autor, folgende Vorteile: Zum einen komme er dem
umgangssprachlichen Begriff eines Textkonzepts sehr nahe. Des Weiteren würden
Handlungsstrukturen auf diese Weise als Elemente textproduktiver Prozesse erfasst.
Damit ist, so möchte ich hinzufügen, WIEGANDS (2001) Kritik Rechnung getragen.
WROBEL (1995) möchte Konzepte deutlich von Makrostrukturen unterschieden wissen,
da dies den prinzipiellen Unterschied zwischen textbezogenen Rezeptionsprozessen und
allgemein wissensbasierten Produktionsprozessen hervorhebe. Gleichzeitig betont er
aber die Verwandtheit beider Prozesse und stellt heraus, dass Konzepte
Makrostrukturen beinhalten. Weitere Eigenschaften von „Konzepten“ sind: Sie sind
Elemente der Planstruktur eines noch zu konstituierenden Textes, d.h. sie sind in
Textäußerungen nicht mehr unbedingt rekonstruierbar. Außerdem dienen sie als
Selektionsbeschränkung für die Auswahl und Realisierung intendierter
Äußerungsbedeutungen und -funktionen. Konzepte lassen sich empirisch in Reflexionen
von Textproduzenten nachweisen.
In Wegbeschreibungen, welche als Anweisungstexte ein klar definiertes Ziel haben,
dienen Konzepte als Suchanweisung für die Aktualisierung von Subkonzepten:

144
Originalbelege aus WROBEL (1995), S. 171, Hervorhebungen original.
145
Vgl. ebenda, S. 172.

92
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

„(12) Vp 5 WBLD
also, ich überleg mir jetzt den günstigsten Weg für jemanden, der sich in Marburg
nicht auskennt. Da geht das Problem schon los, daß ich nicht genau weiß, wie die
Straße heißt, die neben der Autobahn Richtung Phil. Fak. verläuft; Hm; außerdem
ist das auch ein blöder Weg. Also, ich wird ihn durch die Stadt schicken, dann kriegt
er auch gleich was mit so’n bißchen von der Stadt.“146

Die globale Intention dient hier als Konzept. Sie ist das Prüfungskriterium für die
Eignung der Subkonzepte („...günstigsten Weg für jemanden, der sich in Marburg nicht
auskennt ...“). Als Prüfungskriterium beim Problemlösen („...nicht genau weiß...“) führt
das Konzept zur Rekategorisierung von „günstiger Weg“ nach „blöder Weg“ auf Grund
des fehlenden Wissens und zur Neuentscheidung für einen Weg durch die Stadt als
realisierbares Subkonzept.
In Geschäftsbriefen spielt die illokutive Komponente, so WROBEL (1995), eine
ungleich größere Rolle als bei Wegbeschreibungen. Dies zeigt folgendes Beispiel:

„(18) Vp 7 GBLD
so, das war der erste Bereich; der zweite is, daß nach drei Wochen der Schlauch defekt
war, n’en neuer Schlauch, wo man erwarten kann, daß diese Arbeit auf Kulanz
ausgeführt wird. Oder nur Schilderung des Sachverhalts, die Reparatur in Rechnung
gestellt wurde und die Beschwerde anschließend, im dritten Schritt, daß man erwarten
kann, daß sowas auf Kulanz, ähm, gemacht wird: Okay, Schilderung also, was weiter
vorgefallen ist; kaputtgehen und Reparatur auf Rechnung.“147

Außerdem müssen Konzepte von Geschäftsbriefen häufiger reorganisiert werden als


Wegbeschreibungen, da sie komplexe und hierarchische Zielstrukturen zur Grundlage
haben, die in der Konzipierung des Textes linearisiert werden müssen, während
Wegbeschreibungen bereits eine temporal-lineare Struktur zu Grunde liegt. Die
Reflexionen aus dem Korpus von WROBEL (1995) zeigen hierarchische Handlungs-
strukturen wie bei BRANDT/ROSENGREN (1991) empirisch. Hier sind es allerdings
Konzepte in der Produktion eines Textes, welche auf allgemeineren Zielstrukturen
basieren (Wegbeschreibung, Reklamation). Diese Strukturen sind nicht mehr Strukturen

146
Originalbeleg, ebenda, S. 176. Hervorhebung original: „Zur Verdeutlichung sind in den
Transkripten die näher analysierten konzeptbezogenen Äußerungssegmente kursiv hervorgehoben.“
(Ebenda.)
147
Originalbeleg, ebenda, S. 180. Hervorhebung original.

93
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen

des späteren Textes, sondern müssen vom Rezipienten wieder rekonstruiert werden –
was einen wesentlichen Teil der Textrezeptionskompetenz ausmacht.

1.3.2.5. Schlussfolgerungen für eine Theorie der Textkompetenz

WROBELS (1995) Daten lassen deutlich erkennen, dass Textproduktions- und


Textrezeptionskompetenz z.T. aus denselben Teilkompetenzen, so beispielsweise aus
Makrostrukturwissen, welches Markostrategien zur Konstruktion von Makrostrukturen
in Texten ermöglicht, bestehen. Dass Textkompetenz eine Erweiterung der
allgemeinsprachlichen Kompetenz ist, zeigt der Umstand, dass Versuchspersonen mit
der meisten Erfahrung in ihren Zusammenfassungen den höchsten Reorganisationsgrad
zeigten. Ebenfalls wurde empirisch gezeigt, dass Schreiber mit Äußerungen handeln
wollen, was die diskutierte Kritik von WIEGAND (2001) teilweise entschärft und
verdeutlicht, dass eine adäquate Theorie der Textproduktion die kommunikative
Funktion von Texten bedenken muss. Das Modell „Schreiben als sprachliche Handlung“
von WROBEL (1995) erlaubt die Integration dieser verschiedenen Phänomene in ein
Modell. Meine Struktur von Textproduktions- und Textrezeptionsprozessen, welche als
Korrektur von HEINMANN/VIEHWEGER(1991) und BRANDT/ROSENGREN (1991)
vorgeschlagen wurde, bekommt mit dem Nachweis des Konzeptmodells von WROBEL
(1995) eine empirische Basis, denn Konzepten im Sinne von WROBEL (1995) liegen
Zielstrukturen zugrunde. Sozial-kommunikative Funktionen der Sprache sind
Bestandteile von Konzepten in der Textproduktion und damit der Textkompetenz.

2. Formale Intertextualitätskompetenz: Textsortenwissen

Nachdem ich ausführlich das Thema Textkompetenz als Sprachhandlungskompetenz


diskutiert und den Versuch unternommen habe, WIEGANDS (2002) Kritik an
handlungsorientierten Textmodellen teils zu entschärfen, teils Rechnung zu tragen,
schließt sich die Frage nach der Rolle von Textsorten oder Texttypisierungen für die
Beschreibung der Textkompetenz zwingend an. Schon in der Diskussion von WIEGAND
(2002) habe ich die Vermutung geäußert, Textsortenwissen sei das Wissen, welches u.a.
die kognitive Rekonstruktion der Intentionen des Textproduzenten durch den
Textrezipienten ermögliche: Textsorten als soziale und kognitive Konstruktion bilden

94
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität

Kontexte für die Handlungsinterpretation von Schrifttexten. Gleichzeitig soll hier die
These vertreten werden, dass Textsortenkompetenz als Teilkompetenz einer
übergeordneten intertextuellen Kompetenz verstanden werden kann, die außerdem auf
eine intermediale Textkompetenz hinausweist.

2.1. Intertextualität

„Intertextualität“ stellt in der Sprach- und Literaturwissenschaft seit den 1970er Jahren
einen Modebegriff dar. Während seiner Lektüre für eine Diskussion der Fruchtbarkeit
des Intertextualitätsbegriffs zählte HEINEMANN allein 48 verschiedene Begriffe, ohne
Hoffnung auf Vollständigkeit zu haben.148
Als literaturwissenschaftlicher Terminus technicus wurde Intertextualität 1967 durch
Julia KRISTEVA eingeführt und gleichzeitig durch BACHTIN, R. BARTHES sowie GRIVEL
als Angriff gegen die vorherrschende Textimmanenz in der Literaturwissenschaft
verwendet. Diese Autoren forderten ein dynamisches Verständnis von Textualität,
angelehnt an Prozessabläufe bei der Auseinandersetzung mit ästhetischen Texten. Dabei
soll der Autor aus seiner zentralen Position im System der Literatur entfernt und der
Text als transsemiotisches Universum in den Mittelpunkt gestellt werden. HEINEMANN
(1997) benennt sehr pointiert das Grundproblem der literaturwissenschaftlichen Debatte
der sogenannten Postmodernisten um die Intertextualität: „Bei einer solchen
Grundposition […] kann leicht aus dem ‘Panta rhei’ ein ‘Alles zerfließt’ werden, läßt sich
nichts mehr festmachen und bestimmen, ist Intertextualität auch nicht zu limitieren und
wird – wie schon erwähnt – identisch mit Textualität schlechthin.“149
Eine sehr anregende kulturwissenschaftliche Betrachtung der Intertextualität liefert
SAGER (1997)150. Er behauptet, Kultur sei grundsätzlich auf das Prinzip der

148
HEINEMANN, Wolfgang (1997): Zur Eingrenzung des Intertextualitätsbegriffs aus textlinguis-
tischer Sicht. In: KLEIN, Josef/FIX, Ulla (Hrsg.) (1997): Textbeziehungen. Linguistische und
literaturwissenschaftliche Beiträge zur Intertextualität. Tübingen: Stauffenberg-Verlag 1997, S. 21.
149
Ebenda, S. 24.
150
SAGER, Sven F. (1997): Intertextualität und die Interaktivität von Hypertexten. In: KLEIN,
Josef/FIX, Ulla (Hrsg.) (1997): Textbeziehungen. Linguistische und literaturwissenschaftliche
Beiträge zur Intertextualität. Tübingen: Stauffenberg-Verlag 1997, S. 109 – 123.

95
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität

Intertextualität gestützt. Unter Kultur versteht er die Gesamtheit der menschlichen


Verfahren zur Konstituierung von Umwelt und Wirklichkeit, um in diesen zu leben und
zu überleben. Kultur ist auch die organisierte Gesamtheit der Ideen zu diesen Verfahren.
Die Organisation der kulturellen Ideen wiederum geschieht vordringlich in Texten.
Texte sind also, so SAGER (1997), die eigentlichen Manifestationen von Kultur. Das
Textkontinuum der kulturellen Semiosphäre beruhe nun auf dem Prinzip der
Intertextualität, denn eine organisierte Ganzheit der Ideen entstehe erst durch das In-
Verbindung-setzen der Texte miteinander. Der Autor unterscheidet drei Formen von
Intertextualität:
- die abstrakt potentielle Intertextualität als inhärente Eigenschaft eines jeden Textes,
- die aktuell kognitive Intertextualität als Relation zwischen Texten via Rezipient
während des Rezeptionsprozesses,
- die textuell manifeste Intertextualität.
Intertextualität habe sich zu verschiedenen Zeiten verschieden konstituiert und so kennt
SAGER (1997) bis heute drei mediale Zeitalter: die schriftlose, die verschriftete und die
hypertextuale bzw. hypermediale Kultur.
Die schriftlose Kultur sei prototypisch gekennzeichnet durch die Figur des Barden.
Der Mensch entwickelt, wie wir bereits in Abschnitt II.1.1 dargestellt haben,
Textualitätsprinzipien zur Optimierung der Wissensspeicherung und -verbreitung und
ist dabei auf sein Gedächtnis angewiesen. Ausschließlich mit Hilfe seines Gedächtnisses
kann der Mensch dieser Zeit auch intertextuelle Bezüge herstellen. Hierzu kann er sich
Prinzipien wie die wiederaufnehmende und verweisende Textverknüpfung oder die
Parallelisierung von Ziel und Matrixtext zu nutze machen.
Die schriftlich-textuale Kultur ist, so SAGER (1997), gekennzeichnet durch die
Externalisierung des Gedächtnisses. Das prototypische Kennzeichen dieser Kultur sei
die Bibliothek151. Zentral für die Intertextualität sei hier die kognitiv-aktuale
Intertextualität, welche der Rezipient im Prozess der Rezeption herstelle.
Die hypermediale Kultur, deren Entwicklung wir gerade erleben, sei nun
gekennzeichnet durch die Entlinearisierung des Textes, d.h. durch Bildung von

151
Das ist natürlich sehr stark vereinfacht. Hier wäre vor allem die fehlende Differenzierung in
scriptographische und typographische Kulturen zu ergänzen. Erst die Durchsetzung des
Buchdrucks treibt die Alphabetisierung in Europa soweit voran, dass man tatsächlich von einer
schrifttextuellen Kultur auf breiter Ebene sprechen kann. Vgl. hierzu: GIESECKE (1997).

96
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität

Textkonglomeraten, welche durch Referenzverknüpfungen (sog. Links), und durch


Interaktivität vernetzt sind, d.h. der Rezipient könne nun Präsentationsform selbst
bestimmen und in sie eingreifen. Eine weitere Besonderheit des hypermedialen Zeitalters
sei die Verbindung von Text, Bild und Ton in netzartigen Verknüpfungen. Interaktivität,
so SAGER (1997), sei praktizierte Intertextualität: heuristische Verknüpfungen müssten
nun nicht mehr kognitiv vorgehalten werden, dies werde über das hypertextuelle System
realisiert. Im hypermedialen Zeitalter werde also auch die Heuristik aus dem
menschlichen Bewusstsein ausgelagert. Dies führe allerdings zu besonderen
Orientierungsproblemen im intertextuellen System, für welche neue Lösungen wie
Suchmaschinen und thematische Portale entwickelt werden mussten. Die Herausstellung
der Besonderheiten des hypermedialen Zeitalters bei SAGER (1997) halte ich für
fragwürdig. Intertextualität im Sinne von Querverweisen von Texten auf Texte ist nicht
erst ein Spezifikum der hypermedialen Kultur. Sicher, die elektronische Verknüpfung via
Links im Hypertext erspart dem Leser den Gang in die Bibliothek, sofern die Ressource,
auf die referiert wird, ebenfalls online abrufbar ist. Aber die netzartige Verknüpfung
textuellen Wissens ist, vor allem im Wissenschaftsdiskurs, eine alte Entwicklung:
Fußnoten und Literaturangaben führen ebenfalls von einem Text zum nächsten. Der
kompetente Umgang mit Fußnoten und das Wissen um die möglichen Heuristiken, um
einen Text in der Bibliothek wiederzufinden, gehören zur intertextuellen Kompetenz
und sind ein Teil der Textkompetenz, die wir, spätestens für die Hochschulreife,
erwerben müssen. SAGER (1997) führt als Beispiel für die besonderen
Orientierungsprobleme in hypermedialen Systemen den Serendipity Effect an: Häufig
könne man in solchen Systemen nur durch glückliche Umstände an eine Stelle gelangen,
die nützliches Wissen für die eigene Arbeit enthalte. Aber genau dieses Phänomen
kennen wir auch von der wissenschaftlichen Lektüre im traditionellen Medium Buch –
man folgt den Zitaten, Fußnoten und Literaturangaben, um später die Wichtigkeit der
Fundstellen zu bewerten. Diese Kompetenz wird also nicht erst im hypermedialen
Zeitalter notwendig – auch wenn sie hier, auf Grund der Informationsmenge, welche
dem Rezipienten in kürzester Zeit zur Verfügung steht, an Bedeutung gewinnt.
In die linguistische Debatte wird der Terminus Intertextualität durch DE
BEAUGRANDE/DRESSLER (1981) eingeführt. Sie definieren Intertextualität als ein
Textualitätsmerkmal, welches sich auf „die Abhängigkeiten zwischen Produktion bzw.

97
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität

Rezeption eines gegebenen Textes und dem Wissen der Kommunikationsteilnehmer über
andere Texte […]“152 bezieht. Angewandt werde intertextuelles Wissen im Prozess der
Mediation.153 Je länger der Text nicht verwendet werde, desto größer müsse die
Vermittlung sein, weshalb auch oft Neuübersetzungen antiker Texte mit neuen
Anmerkungen notwendig seien, die diese in den historischen Kontext einordnen. Eine
ausgedehnte Mediation von Texten verlaufe über die Textsorten – die Bildung von
Klassen von Texten führe zur Erwartung bestimmter Eigenschaften von Texten eines
bestimmten Typs. Hauptschwierigkeit der Typologisierung in der Domäne Text sei, dass
aktualisierte Beispiele die Charakteristika des Idealtyps weder vollständig noch exakt
erfüllen, da andere Kontexte die Erwartungen an die Textsorte verändern oder
überlagern können. Eine Texttypologie sollte von der Angemessenheit einer Textsorte in
einer Situation ausgehen, d.h. von Typologien der Diskurshandlungen und -situationen.
Erst diese Angemessenheit ermöglich das Aufrechterhalten der Textualität, welche in
verschiedenen Situationen verschiedenen Anforderungen unterliegt (so wird
beispielsweise in literarischen Texten eine andere Form der Kohärenz erwartet als in
wissenschaftlichen Texten). Auch ließen sich Textesorten durch die Funktion ihrer
Klassenmitglieder identifizieren, also durch ihren Beitrag zur Interaktion. Dennoch
bleibe „[d]ie Menge der Texte und ihre Charakteristika […] unscharf.“154 Das Bestimmen
von Textsorten gehe über konventionelle linguistische Methoden hinaus und betreffe
übergeordnete Bedingungen der Textverwendung in der menschlichen Interaktion:
„Eine ‘Textsorte’ ist eine Reihe von Heuristika für die Produktion, Vorhersage und
Verarbeitung von textuellen Erscheinungen, und dient folglich als wichtige
Entscheidungsinstanz für die Effizienz, Effektivität und Angemessenheit […]. Aber eine
Sorte kann kaum absolute Grenzlinien zwischen ihren Vertretern und den Vertretern
anderer Sorten ziehen, ebenso wenig, wie es der Begriff des ‘Textes’ vermag.“155
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass DE BEAUGRANDE/DRESSLER (1981) zwei
Formen von Intertextualität in die linguistische Diskussion einführen: eine
textsortengestützte und eine inhaltsbezogene Intertextualität.

152
DE BEAUGRANDE/DRESSLER (1981), S. 188.
153
„[D]as Ausmaß, in dem man seine momentanen Meinungen und Ziele in das Modell der
kommunikativen Situation einfließen läßt.“ (Ebenda, S. 188.)
154
Ebenda, S. 193. Hervorhebung original.
155
Ebenda, S. 193.

98
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität

2.2. Textsortenwissen als Formale Intertextualitätskompetenz

DE BEAUGRANDE/DRESSLER (1981) haben gezeigt, dass Textsorten als formale


Intertextualität betrachtet werden können. Formale Intertextualität wird aber erst durch
die Zuordnung eines Textes zu einer Textsorte durch den Produzenten und den
Rezipienten hergestellt. Es ist also anzunehmen, dass Textsortenkompetenz den
Spezialfall einer intertextuellen Kompetenz darstellt, welche zu unserer Textkompetenz
gehört: Zur Textkompetenz gehört das Wissen, dass Texte sich auf andere Texte
beziehen können. Besonders deutlich wird dies für die inhaltsbezogene Intertextualität
am Beispiel der Produktion und Rezeption von wissenschaftlichen Texten, welchen diese
Form der Intertextualität konstitutiv ist. Wissenschaftliche Texte unterliegen in Bezug
auf die inhaltliche Intertextualität einer starken normativen Beschränkung: Zur
Akzeptabilität eines wissenschaftlichen Textes gehört, dass seine intertextuellen Bezüge
deutlich gekennzeichnet sind. Rezipient und Produzent müssen die notwendigen
sprachlichen Signale gelernt haben, um Intertextualität zu kennzeichnen oder deren
Kennzeichnung zu erkennen (wie beispielsweise Fußnoten, indirekte Zitierweisen etc.).
Auch die Heuristik zum Finden der angegebenen Quelle gehört in den Bereich der
Kompetenz zum Umgang mit wissenschaftlichen Texten. Dies ist dann allerdings kein
Phänomen mehr, welches ein sprachwissenschaftlicher Textkompetenzbegriff erfassen
muss. Die formale Intertextualität ist, wie schon DE BEAUGRANDE/DRESSLER (1981)
feststellen, ein Textualitätskriterium. Dies liegt in der Erwartung der Rezipienten
begründet: Auf der Basis der Form und der Materialität eines Textes erwarten sie einen
bestimmten Inhalt – und umgekehrt: Ein bestimmter Inhalt wird in einer bestimmten
Form erwartet. Textsortenkompetenz liegt damit dem rezeptiven Aufbau einer Textbasis
im Sinne von VAN DIJK/KINTSCH (1983), d.h. der (Re-)-konstruktion der semantischen
und pragmatischen Struktur durch den Rezipienten, zugrunde. VAN DIJK/KINTSCH
(1983) fassen diese Kompetenz unter dem Thema „schematische Strategien“
zusammen.156 Auch für den Textproduzenten ist Textsortenwissen ein wesentlicher
Bestandteil seiner Kompetenz: Die Wahl der richtigen Form ist Bedingung für das
erfolgreiche Verfolgen eines Ziels mit Hilfe eines Textes.

156
Vgl. Abschnitt V.1.3.1.4 dieser Arbeit.

99
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität

Die alltägliche Textsortenkompetenz von Sprechern/Hörern bzw. Schreibern/Lesern


liegt auch der Textsortenlinguistik zugrunde. KRON (2002) beschreibt die typologische
Kompetenz als allgemein menschliche Fähigkeit:157 Der Mensch bringt bei seiner Geburt
die allgemeine Fähigkeit zur Symbolisation, eine allgemeine Handlungsfähigkeit (ohne
die Fähigkeit zu deren intentionalem Einsatz) und eine allgemeine
Diskriminationsfähigkeit bereits mit. Er lernt dann im Laufe seines Lebens interaktive
und kommunikative Handlungen durch Umgangserfahrung imitativ und
internalisierend. In der allgemeinen Handlungs- und Symbolfähigkeit des Menschen ist
die Fähigkeit des Mustererkennens enthalten. Die Unterscheidungsfähigkeit in Bezug
auf Muster wird in einem Lernprozess so weit differenziert, wie es die Umgebung
verlangt. Für Handlungen entwickelt der Mensch dann ebenfalls Muster zur
Identifikation oder Planung derselben. In einer komplexen textuellen Gesellschaft sind
Menschen darauf angewiesen, ihre Muster in Bezug auf die Zielverfolgung mittels
schriftlicher Texte stark zu differenzieren. In der Textsortenlinguistik sieht KRON
(2002) theoretische Defizite im Bereich dieser Texttypologisierungskompetenz darin,
dass die Unterschiede zwischen intuitivem Typologisierungswissen und
wissenschaftlicher Typologisierungskompetenz noch nicht hinreichend genau
beschrieben sind. Hier ist meiner Ansicht nach zu bedenken, dass die besonderen
wissenschaftstheoretischen Probleme der Linguistik auch für texttypologische
Kategorien gelten: Der Textsortenbegriff dringt mittlerweile, wie später noch zu
diskutieren sein wird, in die Alltagsvorstellung von Texten ein. Eine reine
Alltagskompetenz lässt sich also auf Grund der Rückwirkung der wissenschaftlichen
Erkenntnisse auf das Alltagswissen der Linguistik nicht rekonstruieren. Allerdings ist
hier in Übertragung dessen, was ich am Beispiel der Textgrammatik bei KLOTZ (1996)
diskutiert habe, anzunehmen, dass eine verstärkte Reflexion der sprachlichen
Zusammenhänge und die Rückwirkung der wissenschaftlichen Begriffe eine
Verbesserung der Textsortenkompetenz bewirkt. Ein weiteres Problem, das KRON
(2002) bezüglich der Textsortenlinguistik anspricht, sei das Fehlen einer Theorie der
wissenschaftlichen Typologie. Diese müsste verbunden sein mit einer Theorie der
Textproduktion und der Textrezeption, welche Typologisierung als internalen Teil des

157
Vgl. KRON, Olaf (2002): Probleme der Texttypologie. Frankfurt/Main u.a.: Lang 2002; S. 89f.

100
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität

Kommunikationsprozesses auffasst. Hier schlage ich das Superstrukturprinzip von VAN


DIJK/KINTSCH (1983), erweitert um den Gedanken der Prototypik, vor.

2.3. Texttypisierung: Wissenschaftliche Reflexion der Textsortenkompetenz

Da ich, wie bereits bemerkt, der Ansicht bin, dass die wissenschaftliche Rekonstruktion
sprachlichen Wissens auf das Alltagswissen der Sprecher zurückwirken kann, und hierin
ein wesentliches didaktisches Potential liegt, möchte ich auch für die Klassifizierung der
Texte ein von mir favorisiertes wissenschaftliches Modell vorstellen. Hier soll
gleichzeitig deutlich werden, dass handlungsstrukturelle Momente eine wesentliche
Rolle für die Klassifikation von Texten spielen. Dies soll die Notwendigkeit einer
Revision des Handlungsstrukturkonzeptes für die Textlinguistik, wie ich sie skizziert
habe, unterstreichen.158
Eine wissenschaftliche Texttypologie hat die Aufgabe, alltagssprachliche Textsorten-
begriffe zu systematisieren und Lücken zu schließen. Sie soll außerdem
alltagssprachliche Textklassifikation wissenschaftlich-deskriptiv erfassen und ihre
Kriterien eruieren, das intuitive Textsortenwissen durch wissenschaftliche Erklärung
untermauern bzw. ergänzen sowie eindeutige Beschreibungen zur Überprüfung
populärwissenschaftlicher Schreibanleitungen zu Verfügung stellen. Gleichzeitig sollte
sie Richtlinien für eine Textsortendidaktik bieten können.159 KRON (2002), dessen
typologischen Ansatz ich hier kurz diskutieren möchte, zeigt in seiner Arbeit, dass
Texttypologien, die dem Anspruch der vollständigen Erfassung aller tatsächlichen und
möglichen Texte nahe kommen können, mehrdimensional sein müssen. Folgende
Dimensionen, die er Stufen nennt, hält er für notwendig:
- erste Stufe der Typologie: Handlungstypologie,
- zweite Stufe der Typologie: Situationstypologie,
- dritte Stufe der Typologie: Kommunikationstypologie.
Die Handlungstypologie als erste Stufe einer Texttypologie setzt einen angemessenen
Handlungsbegriff voraus.160 KRON (2002) sieht zwei mögliche Entwürfe des

158
Vgl. Abschnitt V.1.1 dieser Arbeit.
159
Vgl. auch KRON (2002), S. 12f.
160
KRON (2002), S. 98.

101
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität

Handlungsbegriffs: einen beschreibungstheoretischen aus dem Blickwinkel eines am


Handlungsereignis beteiligten Subjektes, wobei die Handlung als
Interpretationskonstrukt reflektierend identifiziert wird, und einen begriffstheoretischen
Entwurf, welcher den Handlungsbegriff als primäre Einheit einer Handlung setzt, d.h.
behauptet, ohne den Begriff der Handlung gäbe es keine Handlung. Natürlich ist die
Diskussion, was wohl früher war, der Begriff der Handlung oder die Handlung, wenig
fruchtbringend. KRON (2002) schlägt daher als integrative Herangehensweise einen
„subjekttheoretischen“ Handlungsbegriff vor. Hierbei wird davon ausgegangen, dass das
Subjekt aufgrund seiner Erfahrung im Laufe der Zeit immer klarere Begriffe bildet, die in
eigener Anwendung und sozialem Aushandeln erprobt werden. Handlungen werden
dem Subjekt also durch Begriffsbildung und Zuschreibung bewusst. Sie beruhen auf den
konstitutionellen Grundlagen des Subjekts (allgemeine Handlungsfähigkeit). Zur
wissenschaftlichen Fundierung des Handlungsbegriffs gehört eine verhaltenstheoretisch
formulierte Grundlage, da Handeln eine Form von Verhalten ist. KRON (2002)
bezeichnet Verhalten mit subjektivem Sinn als Handeln. Verhalten sei gleichzeitig
Aktion und Reaktion, Anstoß und Erwiderung. Es sei dialogisch, denn auch, wenn ich
allein bin, seien Repräsentationen der Anderen in meiner Erinnerung. Verhalten definiert
KRON (2002) als „Summe aller Bewegungen, die durch das gegenwärtige Miteinander-in-
der-Situation-Sein von Menschen bei ihnen gegenseitig ausgelöst werden und auf die sie
gegenseitig wirken“.161 Handeln hingegen ist „[…]ein Verhalten mit einer einsichtigen,
bewusst veränderbaren Superstruktur“.162
Kommunikatives Handeln, so der Autor, findet nicht in der äußeren Wirklichkeit
statt, sondern betrifft Bewusstseinsinhalte. Es hat zwei Dimensionen:
Handlungsgegenstände erster Ordnung bilden die gegenständlich-inhaltliche
Dimension, Handlungsgegenstände zweiter Ordnung hingegen die gegenständlich-
konsensuelle Dimension. Die beiden Gegenstandbereiche sind prozessual voneinander
abhängig, da die Symbolisation von Bewusstseinsinhalten unwillkürlich den
Bewusstseinszustand des Gegenüber verändert. Sprachliches Handeln ist, so KRON
(2002), kommunikatives Handeln mittels Zeichen eines Symbolsystems einer
natürlichen, menschlichen Lautsprache. Hier unterschlägt der Autor natürlich, dass man
auch bei der Produktion natürlicher, menschlicher Schriftsprache sprachlich handelt.

161
Ebenda, S. 101.
162
Ebenda, S. 106.

102
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität

Sprachliches Handeln ist thematisierend und attribuierend, es verweist auf


außerkommunikative Gegenstände. KRON (2002) sieht eine Mehrschichtigkeit
sprachlichen Handelns: Es bestehe aus Kontaktaufnahme, Themenaushandlung,
Prädizierung und Stabilisierung. Subjekte konstituieren und gruppieren Elemente ihrer
Wahrnehmung, wodurch sie Ordnung in sie bringen, Grenzen bestimmen. Sie gliedern
Handlungen aus dem Wahrnehmungskontinuum auf Grund ihrer Regelhaftigkeit aus :
Das Erkennen von Handlungsmustern, so der Autor, gehöre zu den Grundlagen
menschlicher Handlungskompetenz.163 Handlungsmustertypen entstehen durch
Klassenbildung nach dem zu Grunde liegenden Wesen eines Handlungsmusters. Von der
Ebene der Handlungsmustertypen aus könne also das Wesen von Handlungen begründet
werden. Als Typologisierungsbasis auf der Ebene der sprachlichen Handlungstypologie
wählt KRON (2002) daher die Teilkomponenten der Intention: „Intentionen sind
diejenigen Beziehungen des Subjekts, die es aufgrund der wirkenden Kraft im Handeln
aufnimmt.“164 Drei Momente der Intention sind dazu zu unterscheiden: die pragmatische
Intention als Bezug auf den Handlungspartner, die semantische Intention als Bezug auf
Handlungsobjekte und die Kommunikationsintention als Bezug auf das Handlungsziel.
Texte betrachtet der Autor als materielle Niederschläge sprachlicher Handlungen – ein
Ergebnis auch meiner Betrachtung des Handlungsproblems in der Textlinguistik.
Interessant für die Typologie sei nun die Beziehung von prozessbestimmenden
Subjektintentionen zu Texten als physikalischen Ereignissen.165 Die Typologie auf
Grund semantischer Intentionen müsse also den Sprecher-Objekt-Bezug betrachten, die
Typologie auf Grund der pragmatischen Intention stellt die Konstruktion eines
Partnermodells für die Dauer der Kommunikation in den Mittelpunkt und die Typologie
auf Grund der situationellen Intention betrachtet den Beitrag des Textes zur
Bestimmung der Situation. Die genannten drei Aspekte bilden bei KRON (2002)
Teiltypologien einer Texttypologie auf Basis der Intention. In einer komplexen
Ableitung führen seine Gedanken den Autor zu folgenden Typen auf der Basis der
Intention166: DESKRIPTION, NARRATION, EXPLIKATION, KONFRONTATION,

163
Ebenda, S. 123.
164
Ebenda. S. 139.
165
Ebenda, S. 141.
166
Vgl. die ausführliche Auflistung und Erklärung bei KRON (2002), S. 156 ff.

103
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität

MOTIVATION, PROMISSION, INSTITUTION, DEKLARATION, EMOTION,


KONFIRMATION, KONFESSION und PUBLIKATION.
Die zweite Stufe der Typologie von KRON (2002) bildet die Situationstypologie.
Während die erste Stufe generelle Bedingungen jeden sprachlichen Handelns enthält,
werden in der zweiten Stufe Bedingungen der Einschränkung und Spezifizierung
möglicher Texte nach Situationen beschrieben. KRON (2002) geht davon aus, dass eine
Grundlage für (sprachliches) Handeln in der subjektiven Umweltinterpretation zu
suchen ist: in der Tatsache, dass Subjekte Situationen ständig neu schaffen.167 Die zweite
Stufe erfasst den Bedingungskomplex der Textformung mit Hilfe des Situationsbegriffs.
Hier ist zu unterscheiden zwischen Lage und Situation. Lage ist eine Summe von Fakten,
die zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort empirisch verifizierbar sind,
während eine Situation eine Lage darstellt, mit der sich das Subjekt selbst in Beziehung
setzt. Da eine Lage nie in ihrer Totalität erfasst werden könne, so KRON (2002), ziehe er
den Situationsbegriff zur Texttypologisierung heran. Situation sei ebenfalls, wie schon
Handlung, ein subjekttheoretischer Begriff, da Situationen durch Subjekte definiert
werden: „Die subjektive Situation entsteht durch die Auswahl von Fakten im Handeln des
Subjekts; Situation entsteht a k t i o n a l .“168 Die Beziehung zwischen den Fakten der Lage
und dem Handeln des Subjekts nennt der Autor Handlungsthema. Des Weiteren stellt er
fest, dass Handeln immer bezogen auf eine Gemeinschaft sei, weshalb es immer sozial
verantwortet werden müsse. Dabei sei zu unterscheiden zwischen einer echten
Interaktionssituation, in der Subjekte eine gemeinsame Situation aktuell aushandeln, und
einer Interaktionssituation, in welcher dies nicht möglich sei, weil entweder nicht beide
Partner zeitlich und räumlich kopräsent sind, oder weil gesellschaftlich vorgegebene
Muster ein aktuelles Aushandeln restringieren. Hier greifen institutionalisierte oder
standardisierte Situationsdefinitionen, sogenannte „Soziale Situationen“169.
Situationen gliedert der Autor in drei Teilbereiche: eine Situation habe
transsubjektive Anteile durch Definitionsvorgaben der Gesellschaft, intersubjektive
Anteile durch das Aushandeln der Situation und rein subjektive Anteile durch
individuelle Situationsentwürfe der beteiligten Subjekte. Eine Situationstypologisierung
versuche nun die Definition der Situationstypen unabhängig von gesellschaftlichen

167
Ebenda, S. 186.
168
Ebenda, S. 188. Hervorhebung original.
169
Ebenda, S. 191.

104
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität

Einflüssen und aktualer subjektiver Definition – als reine Typen. KRON (2002) verfolgt
hier ein rein phänomenologisches Programm im Sinne HUSSERLS, in dem er versucht,
soweit wie möglich zu abstrahieren. Er unterscheidet streng zwischen Typisierung
welche inter-situationell, also im Vergleich mit anderen Situationen, stattfinde, und
Typologisierung, welche trans-situationell in Überschreitung der Grenzen des
Konkreten sei. Als Typologisierungsbasis für die Situationalität von Texten wählt der
Autor die Kategorie Sinn. Er geht davon aus, dass Handeln generell sinnhaft und
bezogen auf Fakten der Handlungslage sei: „Die Objektivation von Sinn ist die Beziehung
des Handelns zu den Fakten der Handlungslage. Damit kann auch gesagt werden: Die
Situationsdefinierung des Subjekts und die Situationstypisierung der Gesellschaft sind
Objektivationen von Sinn.“170 Sinn sei genauer die Beziehung zwischen handelndem
Subjekt und den Fakten der Welt. Der Sinnbegriff ist, so KRON (2002), durch eine
besondere Subjektivität ausgezeichnet. Sinn sei eine Art Erfahrungsvorschuss, durch den
ein potentielles Objekt zum Objekt der subjektiven Wahrnehmung und des subjektiven
Interesses werde. Das Interesse eines Subjekts an einem Objekt zeige, dass das Objekt
im Subjekt sei. Objekte seien niemals außerhalb des Subjekts denkbar sondern sind
Seiendes in seiner subjektiv erkannten Form.171
Situationstypen sollen also auf Grund der Sinnbeziehung des Handelns unterschieden
werden, sie stellten kulturanthropologische Muster des menschlichen Handelns dar.
Drei Teilprozesse der gesellschaftlichen Ausformung der Situationstypen durch
Institutionalisierung seien hier zu bedenken: Erstens schränke eine Gesellschaft die
Möglichkeiten von Situationstypen nach ihrem Bedarf ein, zweitens schränke eine
Gesellschaft die Definitionsmacht des Individuums ein und drittens entspreche „[d]em
Bedürfnis nach Sicherheit und Kontinuität […] das Bestreben, das Handeln der einzelnen
Individuen zu typisieren, die geordnete Struktur zu verfestigen.“172 Meistens wird der

170
Ebenda, S. 204.
171
Es ist davon auszugehen, dass Kron (2002) eine transzendental-idealistische und phänome-
nologische Position einnimmt. Damit hat er SEARLE einiges voraus, der sich ja auch in seinem
Intentionalitätskonzept als Realist ausgibt – was erkenntnistheoretisch einfach nicht tragbar ist.
Um sich dieser Diskussion zu entziehen, hat sich Searle vermutlich auch nicht offen auf die
deutsche Phänomenologie und ihre Vorgänger bezogen, obwohl das philosophiehistorisch
offensichtlich sein Bezugspunkt ist.
172
Ebenda, S. 218.

105
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität

Institutionalisierungsbegriff auf Organisationen bezogen. KRON (2002) schlägt aber vor,


ihn für die Handlungstheorie zu erweitern: Jegliches Handeln werde gesellschaftlich
überformt. Hierdurch bildeten sich gesellschaftliche Situationstypen als soziale Systeme
aus. Die drei Teilprozesse der gesellschaftlichen Situationstypisierung könne man, so der
Autor, auch als Schritte eines einzigen Prozesses auffassen und miteinander verbinden:
Im ersten Schritt der „Definierung“ werde festgelegt, inwieweit ein Situationstyp in der
gesellschaftlichen Wirklichkeit ausgeprägt und differenziert wird. Im Schritt der
„Institutionalisierung“ werden bestimmte Sozialstrukturen organisatorisch und normativ
verfestigt und als objektive Realitäten angesehen, d.h. sie bestimmen das Verhalten der
im jeweiligen Kulturbereich Handelnden. Der dritte Schritt ist eine „Mythisierung“ der
Kulturbereiche als soziale Systeme durch systemkonforme bzw. -affirmative Begriffe,
d.h. implikative Begründungen und die retrospektiv geschaffene Geschichte eines
Systems etablieren sich hier. KRON (2002) versucht damit eine integrative
Beschreibung der Entstehung sozialer Systeme, welche die Standpunkte von LUHMANN
und ROTH integriere: Die funktionale Differenzierung führe nicht direkt zur Bildung
von Systemen, sondern ermögliche die Ausbildung differenzierter Situationstypen in der
Gesellschaft und rege zur thematischen Agglomeration von Selektionsleistungen in
Interaktionen an. Die vermehrten und nach den objektivierten Situationstypen
differenzierten Selektionsagglomerate führten zur Systembildung: „Soziale Systeme
entstehen durch Selektionshandeln.“ 173 Handlungsbereiche seien also Bereiche bestimmter
thematischer Selektion von Fakten. Jeder sozial Handelnde typisiert sein eigenes
Handeln, indem er potentiell Mithandelnden eine ihm komplementäre Rolle zuweist und
damit ein soziales System begründet. Dabei bilden sich Situationstypen durch eine
gesellschaftlichen Typisierung, d.h. durch gemeinsam verantwortete Selektionshandlung
der Subjekte einer Gesellschaft. Jeder Handelnde muss seine Situation ständig neu
definieren – wobei er entweder auf gesellschaftliche Typisierungen zurückgreift, oder
selber eine Typologisierung durchführen kann, was einen grundlegenden Teil der
menschlichen Handlungskompetenz – und damit der Textkompetenz – darstellt. Die so
definierte und typologisierte Situation sei aber nie rein subjektiv, sondern Produkt
verschieden gewichteter, einander überlagernder individueller, intrasituationaler und
gesellschaftlicher Prozesse. Vor diesem Hintergrund hält KRON (2002) eine vollständige

173
Ebenda, S. 226.

106
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität

Dokumentation der Textformen für unmöglich, da Textformen eine offene Klasse


bildeten. Als Textformen für Situationstypen in Klassen schlägt er die Unterscheidung
zwischen Textformen sozieller, praktischer, theoretischer, exerzieller, ästhetischer,
kultischer und Textformen medialer Kommunikation vor.174
Bisher haben wir zwei verschiedene Stufen der Typologie von KRON (2002)
vorgestellt: als oberste Stufe die Handlungstypologie, welche das Handlungsziel
akzentuiert und als Stufe darunter eine Situationstypologie, welche den Objektbereich
der Kommunikation fokussiert. Die unterste Stufe der Dreistufentypologie bildet die
Kommunikationstypologie. Sie akzentuiert keinen der Faktorenbereiche, sondern die
Form der Handlungen und die Handlungsmittel. KRON (2002) geht davon aus, dass
Kommunikation nicht nur Informationsübertragung sei, sondern gemeinsame
Sinnkonstitution. Signale erschienen, so der Autor, im Handlungsmodell als
Sprachhandlungen, als Sprache im Gebrauch, als Texte. Kanäle treten als Medien in
Erscheinung. Er wählt also als Typologisierungsbasis der Kommunikationstypologie das
Medium. Wesentliche mediale Unterscheidungen seien mündlich vs. schriftlich, die
Unterscheidung von Produktions- und Präsentationsstufen sowie die Unterscheidung
von Aufzeichnungs- und Speicherungsformen. Bei der Unterscheidung mündlicher und
schriftlicher Kommunikation sieht KRON (2002), wie auch ich175, einen Konflikt zweier
Kriterien: zwischen Formalität bzw. Formulierungsgrad und Realisierungsmodus bzw.
Medium. Er hält die Differenzierung der Kommunikation nach beiden Kriterien für
notwendig. Bei seiner Unterscheidung der Kommunikationstypen geht KRON (2002)
von der These aus, dass es aufgrund der Möglichkeiten elektronischer Textverarbeitung
eine Konvergenzbewegung zwischen mündlichen und schriftlichen Textformen auf den
Bereich der schriftnahen mündlichen und der sprechnahen schriftlichen Textformen hin
gibt.176 Außerdem stellt er fest, dass Texte verschieden mediatisiert werden, wodurch
verschiedene neue Textformen entstehen können177:
- Schrifttextformen als visuelle Form: Zeitungsnachricht, ... ,Dramentext;
- Hörtextformen als auditive Form: Rundfunknachricht, .... ,Hörspiel;

174
Vgl. ebenda, S. 247.
175
Vgl. Abschnitt II.1.1 dieser Arbeit.
176
Vgl. ebenda, S. 260.
177
Vgl. S. 265.

107
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität

- Performanztextformen als audiovisuelle Mediatisierung: Fernsehnachricht, ... ,


Fernsehfilm.
Wohl zu unterscheiden sei allerdings zwischen Textform und Kommunikationsform:
Aufsatz, Artikel, Sendung, Abschrift seien keine Textformen, sondern Kommuni-
kationsformen.

2.4. Textsortenwissen und Textkompetenz

Nun, da ich die Textsortenkompetenz als Teil einer globaleren Intertextualitäts-


kompetenz gekennzeichnet, und einen wissenschaftlichen texttypologischen Ansatz
skizziert habe, soll die Frage beantwortet werden, wie die Textsortenkompetenz genauer
zu charakterisieren ist.
HEINEMANN (2000) schlägt vor, Textmuster als Klassen geistiger Erfahrung von
Texten und Textsorten als Klassen konkreter Realisationsformen zu unterscheiden.178
Textmuster seien keine abstrakten und überindividuellen Größen, sondern hätten
individuelle Prägung. So ist das Muster „Roman“ für einen Jugendlichen ein anderes, als
für einen Literaturwissenschaftler. Die Methoden zum Nachweis komplexer Muster, so
HEINEMANN (2000), sind allerdings nur rudimentär entwickelt. Das Grundverfahren sei
die Beobachtung der Kommunizierenden bei stereotypen Aufgabenlösungen.
Befragungen hingegen hätten nur einen komplementären Wert, da Individuen immer nur
einzelne Aspekte eines Musters bewusst seien. Als psychologische Grundlage für
Textmuster schlägt der Autor Scripts bzw. kognitive Schemata vor. Textmuster seien
damit ein Wissen, das sich auf Grund der kommunikativen Erfahrungen der Individuen
in einem gesellschaftlichen Lernprozess ausbilde: „Vor allem jene Ablauf- und
Strukturmuster von Kommunikationsereignissen werden von den Handelnden als
Erfahrung gespeichert und behalten, die sich bei der Bewältigung bestimmter Aufgaben als
Erfolgreich erwiesen haben.“179 Kommunikationsmuster böten den Individuen einen
Orientierungsrahmen für das kommunikative Handeln. Textmusterwissen in Form von
kognitiven Schemata sei aber keine feste Größe, sondern, und hier lehnt sich

178
HEINEMANN, Wolfgang (2000): Textsorten. Zur Diskussion um Basisklassen des
Kommunizierens. Rückschau und Ausblicke. In: ADAMZIK (2000), S. 9 – 30; hier: S. 19f.
179
Ebenda, S. 22.

108
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität

HEINEMANN (2000) offensichtlich an VAN DIJK/KINTSCH (1983) an, prozedural


geprägt. Die Eigenschaften von Textmustern sind ähnlich denen von Textsorten:
Textmuster sind multidimensional, flexibel, variabel und leider auch vage. HEINEMANN
(2000) zählt das Textmusterwissen zum allgemeinen Interaktionswissen – und stützt
damit meine These, dass man eine Textsortenkompetenz als Teil der Textkompetenz
annehmen kann: „Textmuster sind Teilmengen des Interaktionswissens der
Kommunizierenden.“180 Textsorten sind allerdings für HEINEMANN (2000) virtuelle
Textklassen von Textexemplaren und damit merkmalhaltiger als Textmuster. Textsorten
sollten durch Merkmalsbündel beschreibbar sein und ließen auf Textmuster
zurückschließen. Textsorten stellen also Rekonstruktionen des Textmusterwissens dar,
welche, wie sprachwissenschaftliche Rekonstruktionen der Sprachkompetenz allgemein,
auf das sprachliche Alltagswissen zurückwirken.
Eine empirische Studie, die u.a. diese Rückwirkung der sprachwissenschaftlichen
Begriffsbildung auf das Alltagwissen zeigt, bietet TECHTMEIER (2000). Sie nennt zwei
Hauptrichtungen der Rekonstruktion des Textsortenwissen: eine theoriebezogen-
deduktive und eine empirisch-induktive Verfahrensweise. Die empirisch-induktive
Verfahrensweise wähle als Ausgangspunkt das Alltagswissen der Sprecher. Dieses sei, so
die Autorin, nicht-hierarchisch strukturiert. Sinnvoll findet TECHTMEIER (2000) neuere
Vorschläge, welche eine Zuordnung empirisch ermittelter Textsorten zu deduktiv-
funktional definierten Texttypen versuchen, denn im Alltagswissen der Sprecher
existiere sowohl Textsortenwissen als auch Texttypenwissen.181 Hier sei, und damit
unterstützt auch diese Autorin meine Grundüberlegung, bereits der Einfluss
wissenschaftlicher Bildung zu erkennen. Die Analyse der Textsortenkompetenz bringt
das Problem von Kompetenzanalysen im Allgemeinen wieder zu Tage: Es gibt keinen

180
Ebenda.
181
Um terminologische Verwirrung zu vermeiden, ist an dieser Stelle eine Vereinheitlichung
meinerseits notwendig: TECHTMEIER (2000) bezeichnet über Sprecherurteile empirisch
gewonnene Textklassifikationen als Textsortenklassifikationen, während sie deduktiv abgeleitete
Klassifikationen als Texttypenklassifikationen bezeichnet. Diese Terminologie widerspricht der in
der oben referierten Diskussion des Textmusterwissens von HEINEMANN (2000). Ich halte die
Terminologie von TECHTMEIER (2000), auch vor dem Hintergrund ihrer ausführlichen
Begründung in KRON (2002), für sinnvoller und werde mich im Weiteren an diese halten. Das hat
auch zur Folge, das ich beim Terminus Textsortenwissen bzw. Textkompetenz bleiben werde.

109
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität

dirkekten Zugang zum sprachlich-kommunikativen Wissen, sondern nur Evidenzen.


Einerseits äußert sich Textsortenwissen im Rezeptionsverhalten: Sprecher haben die
Fähigkeit, Texte, die sie rezipieren, nach bestimmten Kriterien zu ordnen. Dies konnte
DIMTER (1981) nachweisen, indem er Versuchspersonen musterhafte, aber semantisch
entleerte Texte vorlegte. Diese konnten die Texte erfolgreich mit Textsortenlexemen
zuordnen.182 Eine andere Möglichkeit bieten direkte Befragungen, die allerdings den
Nachteil haben, dass die Antworten der Versuchspersonen nicht ihrem Alltagsverhalten
entsprechen müssen. TECHTMEIER (2000) wählt dennoch ein Verfahren, das über die
Antworten der Probanden ihr Textsortenwissen zu rekonstruieren versucht.183
Versuchspersonen bei ihrer Befragung waren 300 Studenten der Romanistik und
Slawistik im zweiten Fachsemester an der Humboldt-Universität zu Berlin und der
Universität Potsdam zwischen 1985 und 1995. Bei dieser Personengruppe sind die
Ergebnisse natürlich eingeschränkt aussagefähig, da Studenten z.T. schon
Expertenwissen haben. Den Studenten wurde folgende Aufgabe gestellt:
„Bitte beantworten Sie zu den unter 1-8 aufgeführten Wörtern die folgenden zwei
Fragen:
a) Wenn Sie die Bedeutung dieser Wörter für ein einsprachiges Wörterbuch
umschreiben müssten, wie würden Sie das tun?
b) Welche Hauptmerkmale (maximal 5) würden Sie zur näheren Charakterisierung
dieser Wörter verwenden?“184
Als Wörter waren die folgenden Lexeme für Textsorten aufgeführt: Wetterbericht,
Geschäftsbrief, Heiratsannonce, Bewerbungsschreiben, Werbetext, Zugauskunft,
Telefongespräch. Die Zweiteilung der Frage spiegelt die Annahme wieder, dass bei
Antworten auf die erste Frage die als wesentlich betrachteten Merkmale genannt werden,
bei der zweiten weniger wesentliche Merkmale wie beispielsweise sprachlich-stilistische.
Textsortenlexeme haben laut TECHTMEIER (2000) eine ähnliche Indikatorfunktion wie
illokutive Verben, allerdings seien Textsortenbezeichnungen eher vage und mehrdeutig.

182
DIMTER, Matthias (1981): Textklassenkonzepte heutiger Alltagssprache. Kommunikations-
situation, Textfunktion und Textinhalt als Kategorien alltagssprachlicher Textklassifikation. Tübingen
1981. Zitiert in: Techtmeier (2000), S. 115.
183
Ebenda, S. 117 ff.
184
Ebenda, S. 118.

110
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität

Das erhobene Material lässt den Schluss zu, dass Sprecher Textsorten nicht nur nach
vorhandenen, sondern auch nach nicht vorhandenen Merkmalen bestimmen (so
beispielsweise emotionslos, unpersönlich ...) Dies deute, so die Autorin, darauf hin, dass
Alltagswissen über Textsorten vernetztes Wissen sei, in dem Textsortenkonzepte
Knotenpunkte darstellen. Folgende Einzelmerkmale für Textsorten treten in
Äußerungen der Versuchspersonen über die Textlexeme auf:
- Funktionen der Textsorte (Werbetext: „Text, der potentiellen Konsumenten zum
Konsum bewegen soll.“185)
- Thema (Wetterbericht: „gibt Auskunft darüber, ob es am nächsten Tag bzw. in der
nächsten Woche regnet oder die Sonne scheint“186)
- kommunikative Rahmenbedingungen (Geschäftsbrief: „Adressat und Absender stehen
in kommerziellen Verbindungen untereinander.“187)
- Textgestaltung (Schriftlichkeit, Mündlichkeit).
Überraschend war das Auftreten von Textsortenbewertungen in den Antworten, weil die
Fragestellung zu keiner subjektiven Stellungnahme Anlass gab. Dies ist für TECHTMEIER
(2000) ein Hinweis, dass ihre Untersuchung eher nicht als Expertenbefragung
einzuschätzen ist. Die Annahme, die erste Frage würde mit Benennung der wesentlichen
definitorischen Merkmale, die zweite aber mit zusätzlichen Eigenschaften beantwortet,
erwies sich als falsch. Die Formulierungen gaben vielmehr Anlass zu der Annahme,
Wissen über Textsorten sei als Merkmalsbündel organisiert und je nach Textsorte rücke
das eine oder andere Merkmal in den Vordergrund. Dies deute, so die Autorin, auf eine
prototypische Merkmalszuschreibung hin.188 Dieser Annahme möchte ich mich
anschließen.
Ein weiteres Argument für eine prototypische Organisation des Textsortenwissens
scheint mir die Vielfalt der wissenschaftlichen Typologisierungen zu sein, die
mittlerweile in Typologien von Typologien münden.189 Diese Typologien beruhen z.T.
auf unserer intuitiven Alltagskompetenz. Dass sich Texte nicht in einfachen, mono-
kriteriellen Typologien erfassen lassen, liegt nicht an der Unfähigkeit der mit dieser

185
Ebenda, S. 123.
186
Ebenda.
187
Ebenda, S. 124.
188
Ebenda, S. 126.
189
Beispielsweise KRON (2002) S. 44 ff.

111
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität

Aufgabe befassten Wissenschaftler, sondern daran, dass eine solche Typologie dem
Gegenstand nicht angemessen ist.190 Mittlerweile haben sich bereits multikriterielle
Ansätze im Bereich der Texttypologie durchgesetzt – und es wäre lohnenswert, die
Frage zu beantworten, ob diese nicht bereits zu großen Teilen prototypische Züge
tragen.
Neben der Argumentation für eine prototypische Struktur des Textsortenwissens
möchte ich einen Vorschlag zur Funktion des Textsortenwissens unterbreiten. In
Anlehnung an meine Diskussion der Handlungsproblematik in der Textlinguistik191
möchte ich die These vertreten, dass Textsortenwissen eine Bedingung der Möglichkeit
von sprachlichen Handlungen mithilfe von Texten darstellen. Textproduktions- und
Textrezeptionsstrategien bedienen sich der Textsortenkompetenz als „geronnener“
Kontextualität. Sehen wir uns ein Beispiel aus der in dieser Arbeit bereits ausführlich
zitierten Studie WROBEL (1995) an, welches der Autor leider nicht mit dem
vollständigen Originalmaterial zitiert.192 Das Beispiel entstammt der Formulierung eines
Geschäftsbriefs einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin mit der Bitte um die Zusendung
einer Publikation:

„(19) ... und wäre bereit, mich zu revanchieren/Sie über unseren Forschungsstand zu
informieren“193

WROBEL (1995) berichtet, dass die Autorin verschiedene Prätexte bewertet, indem sie
diese auf ihre Angemessenheit im Kontext prüft. In seiner Interpretation des Beispiels
gibt WROBEL (1995) weitere Informationen zu diesem Beispiel: Die Autorin, welche in
ihrem formellen Brief um die Zusendung einer Publikation bittet, weiß, dass es üblich
ist, eine eigene Veröffentlichung im Austausch anzubieten. Ihr erster Einfall, dies
auszudrücken, ist „revanchieren“. Folgende Begründung der Revision dieses Ausdruck
durch die Autorin berichtet WROBEL (1995): „In ihren Reflexionen begründet die
Schreiberin dies [das Verwerfen der ersten Formulierung, M.K.] damit, ‘revanchieren’

190
Vgl. hierzu die kurze Diskussion der Prototypik im Abschnitt II.2.3 dieser Arbeit.
191
Vgl. Abschnitt V.1 dieser Arbeit.
192
Erinnert sei noch einmal an die Transkriptionskonventionen von WROBEL (1995):
unterstrichen ist hier die letztlich manifeste schriftliche Äußerung, während der geäußerte
Prätext unmarkiert ist.
193
WROBEL (1995), S. 114.

112
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität

klinge zu sehr ‘nach Sport’ und ‘zu salopp’. Die Formulierungsalternative ‘Ihnen unseren
Forschungsstand mitzuteilen’ bewertet die Autorin als ‘zu geheimnisvoll’.“194 Es handelt sich
hier also um eine formulierungsbedingte Revision durch Formulierungskontextua-
lisierung. WROBEL (1995) interpretiert die Äußerungen der Autorin zur Revision als
Bewertungen hinsichtlich der textmusterbedingten Einschränkungen der Textart
„förmlicher Brief“.195 Textsortenkompetenz schließt also das Wissen über konventionelle
Erwartungen an bestimmte Textformen mit ein. Hier lässt sich beobachten, was
COSERIU bereits theoretisch ausgeführt hat: Teil der Sprachkompetenz und
insbesondere der Textkompetenz ist neben strukturellem Wissen auch ein normatives
Wissen.196

2.5. Ausblick: Intermedialität

Zum Abschluss der Darstellung der Textsortenkompetenz als Teil einer globaleren
Intertextualitätskompetenz möchte ich auf eine weitere notwendige Ausweitung meines
Themas hinweisen, welche aber in dieser Arbeit nicht mehr Platz genug findet,
ausgearbeitet zu werden. KRON (2002) hat, wie ich referiert habe, darauf hingewiesen,
dass die mediale Form eines Textes ein wesentliches Merkmal für seine Klassifizierung
ist. Von dieser Erkenntnis ausgehend ist festzustellen, dass von der medialen Form eines
Textes auch die sprachlichen und außersprachlichen Kompetenzen abhängen, welche zu
seiner Verabreitung notwendig sind. Dass wir uns in der Zeit eines medialen Wechsels
befinden, sollten meine Ausführungen zu den medialen Zeitaltern bei SAGER (1997)
verdeutlicht haben. Mit diesem medialen Wechsel werden Kompetenzen der
Intermedialität nun stärker gefordert: die Verbindung von Bild, Text und Ton. Die
Verbindung von Bild und Text ist kein neues Phänomen – schon mittelalterliche
Handschriften waren reich mit Bildern verziert. Die Möglichkeiten, die Hypermedialität
bietet, sind also nur eine Erweiterung bereits vorhandener intermedialer Mittel. Dies
alles deutet darauf hin, dass die Diskussion der Textkompetenz in eine globalere
Diskussion der Medienkompetenz einzubetten ist, wobei aus der Perspektive der

194
Ebenda.
195
Ebenda, S. 115.
196
Vgl. Abschnitt III.3 dieser Arbeit.

113
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität

Linguistik vor allem Text-Bild-Bezüge und deren medienabhängige Besonderheiten


interessieren würden.

114
Aspekte der Textkompetenz – VI. Resümee: Texthandlungs- und Textsortenwissen

VI. Resümee: Textsorten- und Texthandlungswissen als Teile


der Textkompetenz

Ziel dieser Arbeit war es, einen sinnvollen linguistischen Textkompetenzbegriff zu


erarbeiten. Dabei ist zuerst deutlich geworden, dass Textualität und Schriftlichkeit
diachron zwei verschiedene Technologien darstellen, welche historisch erst relativ spät
eine Verbindung gebildet haben. Synchron wird der Begriff der Schriftlichkeit neben der
Bezeichnung einer medialen Eigenschaft aber auch für die Bezeichnung einer
konzeptuellen Eigenschaft eines sprachlichen Gebildes verwandt. Damit fällt er im
Alltag mit dem Begriff der Textualität zusammen. Auch systematisch ist aber zu
unterscheiden zwischen Schrift und Textualität und damit zwischen Schriftkompetenz
und Textkompetenz. Ich habe vorgeschlagen, mündliche und schriftliche
Sprachkompetenz zu unterscheiden und innerhalb beider die Textkompetenz zu
isolieren, wobei sich meine Arbeit auf Schrifttextkompetenz konzentrierte. Als
Grundlage für eine Theorie der Textkompetenz habe ich versucht zu bestimmen, was ein
Text sei. Dabei war festzustellen, dass ein sprachwissenschaftlicher Textbegriff nicht
problemlos zu etablieren ist. Aus einer konstruktivistischen Perspektive, die hier
axiomatisch vorausgesetzt wurde, schienen die vielzitierten Kriterien von DE
BEAUGRANDE/DRESSLER (1981) nicht haltbar. Als Alternative habe ich angeboten, Text
als Interpretament des Schreiber/Lesers zu begreifen, wobei die Textualitätsmerkmale als
Bewertungskriterien in einem prototypisch organisierten Kontinuum verortet sind.
Auch der in der Linguistik als klassisch angesehene Begriff der sprachlichen Kompetenz
nach CHOMSKY wurde als für die Erfassung der Textkompetenz unzureichend bewertet.
CHOMSKY schließt die sprachliche Handlungsfähigkeit aus dem Begriff der Kompetenz
aus und verstellt der Linguistik den Blick auf einen, neben den rein sprachlichen Mitteln
der Vertextung, wesentlichen Aspekt schrifttextueller Kompetenz: die Fähigkeit zum
sprachlichen Handeln mithilfe von Texten. Mit COSERIUS Kompetenzbegriff hingegen
sind verschiedene Ebenen des textuellen Tätigkeitswissens beschreibbar und es ist
festzustellen, dass Schrifttextkompetenz ein Können ist, dass reflektiert sein muss. Der
Weg zur Schrifttextkompetenz führt über ein Knowing that linguistischer und
pragmalinguistischer Natur, welches die Linguistik als rekonstruktive Wissenschaft im
Sinne HABERMAS’ zur Verfügung stellt.

115
Aspekte der Textkompetenz – VI. Resümee: Texthandlungs- und Textsortenwissen

In den Detailstudien habe ich versucht, zwei wesentliche Probleme der Textlinguistik
zu diskutieren und auf das Problem der Textkompetenz zu beziehen: den Zusammen-
hang zwischen Texten und sprachlichen Handlungen und das Problem der Textsorten.
Ich habe ein strategisches Konzept der Texthandlungskompetenz, angelehnt an
HEINEMANN/ VIEHWEGER (1991) und VAN DIJK/KINTSCH (1983), vorgeschlagen, da
es den Zusammenhang zwischen Texten und sprachlichen Handlungen plausibel zu
erklären vermag. An dieses Konzept, das unbewusstes Wissen der Reflexion zugänglich
macht, sollten auch didaktische Konzepte anschließen können. Es expliziert die
Übergänge zwischen der Ebene der Ziele einer sprachlich-textuellen Handlung bis zur
Ebene der materiellen Form als textuelle Strategien. Die Frage von Form und Struktur in
der Textproduktion wird, wie ich gezeigt habe, u.a. durch Textsortenwissen geregelt.
Dieses habe ich als Teilkompetenz einer globaleren Intertextualitätskompetenz
gekennzeichnet. Innerhalb der Diskussion der Intertextualitätskompetenz habe ich
gezeigt, dass Textsorten auch durch den medialen Charakter ihrer Mitglieder definiert
sind, wodurch auch das neue Medium des Hypertext bzw. Hypermedia in den Blick
gerieten. Allerdings wurde deutlich, dass die intertextuellen Möglichkeiten, die
Hypermedialität bietet, nur eine Erweiterung bereits vorhandener intertextueller und
intermedialer Mittel darstellen. Zum einen boten Texte durch Zitate – mit und ohne
Angaben zur Quelle – schon immer intertextuelle Anschlussstellen. Insbesondere der
kompetente Umgang mit modernen wissenschaftlichen Texten schloss daher schon
immer eine intertextuelle Kompetenz mit ein, welche man als Fußnotenkompetenz
bezeichnen könnte. Zum anderen ist auch die Verbindung verschiedener Medien bereits
bei papiernen Texten Gang und Gäbe gewesen – Texte wurden schon seit Jahrhunderten
durch bildliche Darstellungen ergänzt. „Hypermedia“ fügt dem lediglich das bewegte
Bild und das akustische Medium hinzu. Vor diesem Hintergrund ist die Textkompetenz
als Teil einer globalen Medienkompetenz zu betrachten. Vor allem die Reflexion von
Text-Bild-Bezügen und deren medienabhängigen Besonderheiten wäre für die Linguistik
von Interesse. Sie würde damit einer Mediendidaktik, in welche die Sprachdidaktik
einzubetten ist, wertvolle Informationen liefern können.

116
Aspekte der Textkompetenz – Bibliographie

Bibliographie

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Tübingen: Max Niemeyer 1995.

Abbildungsnachweis

Abbildung 1, aus: KOCH/OESTERREICHER (1994), S. 588;.............................................. 10


Abbildung 2, aus: SANDIG (2000), S. 108; ......................................................................... 24
Abbildung 3, aus: BRANDT/ROSENGREN (1991), S. 17; ................................................... 51
Abbildung 4, aus: HEINEMANN/VIEHWEGER (1991), S.227; ........................................... 63
Abbildung 5, eigene Abbildung ........................................................................................... 64

121
Aspekte der Textkompetenz – Eidesstattliche Erklärung

Eidesstattliche Erklärung

Ich versichere, dass ich die vorliegende Arbeit über das Thema „Aspekte der
Textkompetenz“ in der gesetzten Frist selbstständig verfasst und keine anderen
Hilfsmittel als die angegebenen verwendet habe. Alle Stellen der Arbeit, die anderen
Werken wörtlich oder sinngemäß entnommen sind, sind unter Angabe der Quelle als
Entlehnung kenntlich gemacht. Die Zeichnungen sind von mir verfasst, soweit nicht als
Entlehnung gekennzeichnet.

Berlin, den 26. August 2003 Michael Kranert

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