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Michael Kranert
University of Southampton
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Matrikelnummer: 139787
Telefon: 030/44342942
E-Mail: michael.kranert@student.hu-berlin.de
I. Motivation, Problematisierung und Einleitung .................................................... 5
II. Textualität................................................................................................................ 7
2.1. Textdefinitionen............................................................................................ 12
2.2. Textualitätskriterien...................................................................................... 13
2.2.1. Textzentrierte Kriterien: Kohärenz und Kohäsion............................. 14
2.2.2. Verwenderzentrierte Kriterien: Intentionalität, Akzeptabilität,
Informativität, Situationalität und Intertextualität............................. 17
2.3. Text als prototypisches Konzept ................................................................. 20
2
IV. Über die Möglichkeit eines linguistischen Textkompetenzbegriffs.................. 41
3
2. Formale Intertextualitätskompetenz: Textsortenwissen ............................... 94
Abbildungsnachweis...................................................................................................... 121
Der Text der Arbeit folgt der reformierten deutschen Rechtschreibung (Duden
(222001)). Zitate sind in der Schreibweise des Originals wiedergegeben.
4
Aspekte der Textkompetenz – I. Motivation, Problematisierung und Einleitung
Der Begriff der Kompetenz ist in der derzeitigen öffentlichen Diskussion um Bildung
und Ausbildung in Deutschland ständig präsent. Verschiedene Schulleistungsmessungen
haben zu der Erkenntnis geführt, dass die Schüler deutscher Schulen nicht die
Kompetenzen erwerben, die sie für eine erfolgreiches Leben in der modernen Welt
benötigen. Die PISA-Studie (Program for International Student Assessment) hat
besonders auf die Mängel im Bereich der Lesefähigkeiten der Schüler hingewiesen – und
für diese Fähigkeiten den Begriff der Lesekompetenz geprägt:
„Lesekompetenz ist mehr als einfach nur lesen zu können. Unter Lesekompetenz versteht
PISA die Fähigkeit, geschriebene Texte unterschiedlicher Art in ihren Aussagen, ihren
Absichten und ihrer formalen Struktur zu verstehen und in einen größeren Zusammenhang
einordnen zu können, sowie in der Lage zu sein, Texte für verschiedene Zwecke sachgerecht
zu nutzen. Nach diesem Verständnis ist Lesekompetenz nicht nur ein wichtiges Hilfsmittel
für das Erreichen persönlicher Ziele, sondern eine Bedingung für die Weiterentwicklung des
eigenen Wissens und der eigenen Fähigkeiten – also jeder Art selbstständigen Lernens – und
eine Voraussetzung für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.“1 Der Begriff der
Lesekompetenz wird in PISA über die hier zitierte Definition hinaus nicht genauer
ausgeführt. Welche Voraussetzungen hat Lesekompetenz? Wie wird sie erworben?
Diese Arbeit geht davon aus, dass Lesekompetenz eine Teilkompetenz der globalen
Textkompetenz bildet. Ich möchte versuchen, einen sprachwissenschaftlichen Begriff
der Textkompetenz zu skizzieren, der eine Grundlage für eventuelle weitere didaktische
Diskussionen bieten kann. Hierzu werde ich zuerst diskutieren, was Textualität
ausmacht, wie sie historisch zu verorten ist und welchen Begriff des Textes aus
sprachwissenschaftlicher Sicht ich für sinnvoll halte. Dann werde ich die Debatte um den
Begriff der sprachlichen Kompetenz in der Linguistik kurz rekapitulieren, um darauf
aufbauend einen linguistischen Begriff der Textkompetenz vorzuschlagen. In zwei
Detailstudien zur schriftlichen Textkompetenz werden die Probleme der Text-
1
ARTELT, Cordula/BAUMERT, Jürgen u.a. (Hrsg.) (2001): PISA 2000: Program for International
Student Assessment – Zusammenfassung zentraler Befunde, Max-Planck-Institut für
Bildungsforschung, Berlin 2001.
Internetquelle (17.08.2003): http://www.mpib-berlin.mpg.de/pisa/ergebnisse.pdf, S. 11.
5
Aspekte der Textkompetenz – I. Motivation, Problematisierung und Einleitung
2
Hierzu: NUSSBAUMER, Markus (1991): Was Texte sind und wie sie sein sollen. Ansätze einer
Sprachwissenschaftlichen Begründung eines Kriterienrasters zur Beurteilung von schriftlichen
Schülertexten. Niemeyer: Tübingen 1991. Des Weiteren: NUSSBAUMER, Markus/ SIEBER, Peter
(1994) Texte analysieren mit dem Zürcher Analyseraster. In: SIEBER, Peter (HRSG.) (1994):
Sprachfähigkeiten - Besser als ihr Ruf und nötiger denn je! Ergebnisse und Folgerungen aus einem
Forschungsprojekt. Aarau: Sauerländer 1994, S. 141 – 186.
3
Vgl. hierzu: GIESECKE, Michael (1998): Der Buchdruck in der frühen Neuzeit. Eine historische
Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien.
Frankfurt/Main: Suhrkamp (stw 1357), 1998.
6
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität
II. Textualität
4
Es ist hier leider nicht Platz, erkenntnistheoretische Kontroversen darzustellen oder gar zu
führen. Deshalb die etwas dogmatische Setzung des konstruktivistischen Standpunktes. Zum
Unterschied Information – Signal, der häufig nicht gründlich gemacht wird, vgl.: ROTH, Gerhard
(1994): Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1994, S. 92 f. Hier wird der
Standpunkt, den ich vertrete, differenzierter dargelegt.
5
Natürlich abgesehen von den Möglichkeiten der elektro-akustischen Technologien, welche aber,
in der menschlichen Gesamtentwicklung betrachtet, eine Entwicklung sehr jungen Datums sind.
7
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität
etwas weiß, ist das Wissen nicht mehr vorhanden. Außerdem ist die Überlieferung
exakter Daten auf dem Wege der oraten Sprache unzuverlässig, da das Wissen im Kopf
eines Menschen dynamisch existiert, denn Menschen vergessen, sie verdrängen, sie
machen ständig neue Erfahrungen und verknüpfen diese mit ihrem Wissen. So ist Wissen
im menschlichen Gedächtnis nicht in diskrete Einheiten aufgeteilt, sondern erfährt
ständig Veränderungen. Die mündliche Weitergabe bedeutet ebenfalls eine ständige
Veränderung des Wissens, da ein Mensch selten eine Tatsache zweimal genau gleich
sprachlich kodiert. Dies alles lässt sich unter dem Phänomen „Stille Post“ fassen und ist
selbst mit dem exakten Auswendiglernen von Texten kaum zu umgehen.6
Die Technologisierung von Gesellschaften durch deren stetiges Wachstum führte
jedoch zur Notwendigkeit exakterer Überlieferungsformen. Der Ursprung der
Technologie „Schrift“ liegt vermutlich im oberen Niltal zwischen dem 15. und 7.
Jahrtausend vor Christus, wo eine Klimaveränderung und Wüstenbildung im Umland zu
einer erheblichen Verdichtung der Bevölkerung in den fruchtbaren und durch den Nil
mit Wasser versorgten Gebieten führte. Hierdurch wurde vermutlich eine stärkere
Differenzierung der Gesellschaft initiiert, in welcher deshalb eine exaktere
Überlieferungsmethode zur Verbesserung der Administration notwendig wurde.7 Die
ersten Schriftsysteme, die sich hier entwickelten, waren wahrscheinlich Zählsteine –
dreidimensionale Symbole für Waren u.ä., die zur Archivierung von Daten in
verschiedenen Tongefäßen gespeichert wurden. Ein solches System war auch Grundlage
der summerischen Keilschrift – eines der ersten Schriftsysteme, die wir kennen. Es lässt
sich zeigen, dass lediglich die ökonomische Buchführung und die gesellschaftliche
Administration über solche Vorläufer der Schrift verarbeitet wurden und
Wissensüberlieferung anderer Art weiterhin mündlich stattfand. Daher sind in ihrem
historischen Ursprung Schreiben und Textproduzieren zwei verschiedene Domänen
sprachlichen Wissens.8 Schreiben als Tätigkeit fiel anfänglich weder mit dem Produzieren
von Text noch mit dem Herstellen von Schrift zusammen, sondern war eine Tätigkeit
der Materialisierung und Überlieferung von ökonomischen Informationen. Schrift als
6
Vgl. hierzu ONG, Walter J. (1987): Oralität und Literalität: die Technologisierung des Wortes.
Opladen: Westdeutscher Verlag 1987, S. 61 ff.
7
Vgl. BECKER-MROTZEK, Michael (1997): Schreibentwicklung und Textproduktion. Opladen:
Westdeutscher Verlag 1997, S. 31 f.
8
Ebenda, S. 33.
8
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität
systematische graphische Umsetzung von Sprache und die Entwicklung von Prinzipien
der Textualität entsprechen einer späteren Entwicklungsstufe.
Zusammenfassen lässt sich das bisher Gesagte in der These, dass Mündlichkeit die
Effizienz der Kommunikation im Bereich des Wissens einschränkt, da Wissen im
Wesentlichen auf Kontinuität angelegt ist. Der Versuch der Überwindung der
Flüchtigkeit brachte die Technologie der „Schrift“ hervor, die nicht mit Textualität
gleichzusetzen ist. Diese ist ein gattungsgeschichtliches Konkurrenzmodell, welches
nicht auf eine neue mediale Form der Speicherung setzte, sondern zu neuen sprachlichen
Formen führte. Vertextung ist ursprünglich nicht ein Heraustreten aus der
Mündlichkeit, sondern eine besondere Entwicklung im Bereich der Riten, wo eine
artifizielle Sprechsituation und Repetition zur Verdauerung von Wissen durch
mündliche Vertextung führte. Die Tradition der Schriftlichkeit wurde erst durch
materielle Innovationen von Schreibmaterialien und -techniken bis zum Buchdruck
gestärkt und floss letztlich mit Textualität zusammen, was zu einer Revolutionierung
sprachlichen Handelns führte: zur wesentlichen Weiterentwicklung menschlicher
Wissenssysteme sowie zur Herausbildung neuer Textformen.9
Hier wird historisch-systematisch deutlich, dass Schrift und Textualität verschiedene
Domänen der Sprache sind, auch wenn sie sich gegenseitig beeinflussen. Von dieser
Erkenntnis ausgehend lässt sich behaupten, dass Schrift- und Sprachkompetenz zwei
verschiedene Kompetenzen sind, die auch unterschiedlich erworben werden:
Schriftkompetenz betrifft die Frage der Verschriftlichung von Sprache im Sinne der
Umsetzung von lautlichen Strukturen in graphische Strukturen nach Regeln, die in
Alphabetschriften die verschiedenen Domänen (Laut, Wort, Satz) einbeziehen, während
Textkompetenz die Möglichkeit der sprachlichen Vertextung, also der Erfassung,
9
„Die Leistung und Wertschätzung, die der Handschrift vom modernen Alltagsbewusstsein zuerkannt
wird, erbrachte bzw. erfuhr sie erst, als sie sich mit den typographischen Medien zu neuen
Kommunikationssystemen zusammenschließen konnte. Durch die Ehe mit den typographischen
Medien wurde es ihr auch erst möglich, sich aus ihrer Rolle als Magd der Rede herauszulösen.“
(GIESECKE, Michael (1998), S. 34.)
9
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität
Abbildung 1
10
Vgl. KOCH, Peter/OESTERREICHER, Wulf (1994): Schriftlichkeit und Sprache. In:
GÜNTHER/LUDWIG (HRSG.) (1994): Schrift und Schriftlichkeit/Writing and its Use. Ein
interdisziplinäres Handbuch internationaler Forschung. Berlin - New York (1994), S. 587 – 604.
11
Darstellung entnommen aus: KOCH, Peter/OESTERREICHER, Wulf (1994), S. 588.
10
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität
11
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität
und Nationalstaatenbildung kennzeichnen kann12, ein ungeahntes Ausmaß – bis hin zur
Rückbindung auf die gesprochene Sprache und die Entwicklung nationaler Orthoepien.
Nähebereich und Distanzsprache beeinflussen sich im Rahmen der weitreichenden
Alphabetisierung erheblich: Dialekte werden zurückgedrängt und es entstehen
Regiolekte auf Basis der Schriftsprache. Aus diesen Tatsachen lässt sich schließen, dass
man mündliche und schriftliche Sprachkompetenz unterscheiden, und innerhalb der
mündlichen wie schriftlichen Sprachkompetenz Textkompetenz isolieren kann.
2.1. Textdefinitionen
Nachdem ich versucht habe, die Unterschiede und die Zusammenhänge zwischen
Schriftlichkeit und Textualität herauszuarbeiten, soll nun skizziert werden, wie man den
Begriff „Text“ linguistisch erfassen kann. Das linguistische Verständnis ist weiter gefasst
als der Alltagsbegriff „Text“. Texte im sprachwissenschaftlichen Sinn können mündlich
oder schriftlich13, einsätzig oder mehrsätzig14, monologisch oder dialogisch sowie rein
sprachlich oder eine Verbindung von sprachlichen Ausdrücken mit anderen Medien sein.
Grob lassen sich historisch zwei Textbegriffe der Linguistik unterscheiden: ein
Textbegriff der sprachsystematisch ausgerichteten Textlinguistik und ein weiterer
Textbegriff einer kommunikationsorientierten Textlinguistik.15 Den Hintergrund der
sprachsystematisch ausgerichteten Textlinguistik bildet die strukturalistische Linguistik
sowie die generative Transformationsgrammatik. Nach Jahrzehnten der Dominanz der
Domäne „Satz“ in der linguistischen Forschung wandte die Linguistik sich in den 1960er
Jahren dem Text als primärer sprachlicher Domäne zu, die Hierarchie der Domänen wird
also lediglich um eine Ebene erweitert. Unter „Text“ wurde innerhalb der
12
Vgl. GELLNER, Ernest (1995): Nationalismus und Moderne. Rotbuchverlag: Hamburg 1995,
S. 48 ff.
13
Vgl. ebenda, S. 16.
14
Vgl. BRINKER, Klaus (31992): Linguistische Textanalyse: eine Einführung in Grundbegriffe und
Methoden. 3. durchges. und erw. Auflage – Berlin: Erich Schmidt Verlag 1992, S. 17.
15
Vgl. ebenda, S. 12 ff.
12
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität
2.2. Textualitätskriterien
16
Ebenda, S. 15. Die Problematik, die mit dieser Formulierung verbunden ist, wird im Abschnitt
V.1.1 dieser Arbeit diskutiert werden.
17
DE BEAUGRANDE, Robert-Alian/DRESSLER, Wolfgang Ulrich (1981): Einführung in die
Textlinguistik. Tübingen: Niemeyer 1981, S. 3.
13
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität
(1981) explizieren sieben Kriterien der Textualität, deren genauere Untersuchung sie
von ihrem prozeduralen Ansatz her unternehmen: Kohäsion, Kohärenz, Intentionalität,
Akzeptabilität, Informativität, Situationalität sowie Intertextualität. Diese betrachten sie
als konstitutive Prinzipien der Textualität: „Sie [die konstitutiven Prinzipien, M.K.]
bestimmen und erzeugen die als Text-Kommunikation bestimmbare Verhaltensform, die
zusammenbricht, falls sie zerstört werden.“18
18
Ebenda, S. 14.
19
Beispiel übernommen aus: DE BEAUGRANDE/DRESSLER(1981), S. 6.
14
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität
20
Vgl. z.B. VATER, Heinz (21994), S. 34.
21
Beispiel übernommen aus: VATER, Heinz (21994), S. 34.
15
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität
Begriff der Kohäsion selbst. Gerade dieses Beispiel zeigt, wie fragwürdig es ist, Kohäsion
als eigenes Kriterium zu definieren, das allein auf die Oberflächenstruktur angewandt
wird – wie es ja DE BEAUGRANDE/DRESSLER(1981) fordern. Auch Kohäsion verweist –
wie wir bereits bei unproblematischen Beispielen gesehen haben – auf die Textwelt.
Daher ist es sinnvoller, das Kriterium Kohärenz zu nennen und verschiedene Typen der
Kohärenz zu unterscheiden, die mehr oder weniger von der syntaktischen oder
semantischen Domäne dominiert werden, wie es BRINKER (31992) tut. Seine
Ausführungen zusammenfassend lassen sich folgende Kohärenztypen unterscheiden:
Grammatisch-semantische Kohärenz hat die Verbindung von Sätzen über syntaktisch
dominierte Phänomene zum Inhalt. Hier spielen vor allem die verschiedenen
Wiederaufnahmerelationen eine Rolle, die einen Zusammenhang zwischen Sätzen
dadurch herstellen, dass in einem Satz auf das Subjekt oder eines der Objekte eines
anderen Satzes des Textes referiert wird. Notwendiges Wissen für die Wiederaufnahme
kann textimmanent, sprachimmanent oder gar sprachtranszendent sein. Die
Wiederaufnahmerelationen werden zuerst unterschieden nach ihrer Bezugsrichtung im
Text: die anaphorische Wiederaufnahme verweist zurück auf bereits Erwähntes, während
die kataphorische Wiederaufnahme nach vorn, auf im Text Folgendes verweist.
Außerdem lassen sich explizite und implizite Wiederaufnahme unterscheiden: Die
explizite Wiederaufnahme besteht in Referenzidentität, d.h. der wiederaufgenommene
und der wiederaufnehmende Ausdruck beziehen sich auf das gleiche außersprachliche
Objekt. Die Richtung der Wiederaufnahme wird durch die Kennzeichnung der
Referenten durch ein Merkmalspaar gekennzeichnet, das traditionellen mit
„bekannt/nicht bekannt“ bezeichnet wird. „Bekannt“ ist ein Signal für den Hörer, dass
bestimmte innertextliche oder außertextliche Informationen als dem Hörer bekannt
vorausgesetzt werden, für „unbekannt“ gilt das Umgekehrte. Das Merkmalspaar steuert
daher bei der Suche nach innertextlichen Informationen auch die Merkmale
„anaphorisch/kataphorisch“, operiert also noch deutlich auf der syntaktischen Ebene. Die
Merkmale „bekannt/nicht bekannt“ werden realisiert durch die Wahl des
bestimmten/unbestimmten Artikels, durch Eigennamen/Gattungsnamen sowie durch die
(definiten) Formen von Demonstrativpronomen, Possessivpronomen und Interrogativ-
pronomen.
Die implizite Wiederaufnahme ist nicht durch Referenzidentität gekennzeichnet. Hier
bestehen implizite Beziehungen zwischen den Begriffen, es ist also bereits eine Form der
Kohärenz, welche eindeutig semantisch bestimmt ist. Die impliziten
16
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität
Kohärenz und Kohäsion sind textzentrierte Kriterien der Textualität – sie reichten aber
nicht aus um zu bestimmen, was ein Text sei. Hinzukommen müssten laut DE
BEAUGRANDE/DRESSLER (1981) verwenderzentrierte Begriffe, welche die Aktivität der
Kommunikation mit Hilfe von Texten durch Produzent und Rezipient betreffen. Als
erstes dieser Kriterien nennen sie Intentionalität, welches die Einstellung des
Textproduzenten zum Text betreffend seiner Absichten, Ziele und Pläne sei. Dass
22
Beispiele aus: BRINKER (31992): S. 41 f.
23
Es ist auch möglich, Thematizität als weiteres separates Kriterium aufzufassen; vgl. SANDIG,
Barbara (2000): Text als prototypisches Konzept. in MANGASSER-WAHL, Martina (2000)(Hrsg.):
Prototypentheorie in der Linguistik. Stauffenburg, Tübingen, 2000, S. 93 – 112, hier: S. 98.
17
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität
Intentionalität ein Kriterium für Textualität sei, ist für mich nicht einsichtig –
Intentionalität ist keine textspezifische Eigenschaft, sondern ein Kriterium für
kommunikatives Handeln allgemein. Ähnlich problematisch ist das Kriterium der
Akzeptabilität, welches die Einstellung des Textrezipienten zum Text – nimmt der
Rezipient den Text als solchen an, stellt er Kohärenz her etc. – umfassen soll. Auch hier
haben wir es mit einem Kriterium für erfolgreiche Kommunikation zu tun. Ein drittes
verwenderzentriertes Textualitätskriterium sei laut DE BEAUGRANDE/DRESSLER (1981)
die Informativität einer Äußerung, d.h. Rezipienten erwarten von einem Text, dass sie
mit für sie wesentlichen Informationen versorgt werden. Dieses Kriterium ist schlicht zu
pauschal formuliert, denn Texte, die nur Neues enthalten, sind eben nicht informativ:
der Rezipient muss noch in der Lage sein, die Inhalte eines Textes in sein Weltwissen zu
integrieren, wozu der Text eine Zuordnung zu bekanntem Wissen ermöglichen muss.
Das Kriterium der Informativität lässt sich eher als ein regulativer Teil des Kriteriums
der Kohärenz im Bereich der Thematizität fassen: ein Text ist von höherer
Akzeptabilität, wenn er thematisch strukturiert ist – wozu auch gehört, dass er an das
erwartbare Wissen des Rezipienten anschließt.
Die Diskussion dieser drei verwenderzentrierten Kriterien zeigt bereits sehr deutlich,
dass sie nicht als konstitutive Kriterien für Textualität angenommen werden können, wie
DE BEAUGRANDE/DRESSLER(1981) dies tun. Sie behaupten, ihre Prinzipien seien
konstitutive Prinzipien der Textualität, welchen noch zusätzliche regulative Prinzipien
gegenüberstehen, die Textualität nicht definieren, aber die Art und Weise des Auftretens
von Texten normativ beschränken. Als regulative Grundprinzipien nennen sie Effizienz,
Effektivität und Angemessenheit. Gerade diese Prinzipien fallen aber mit ihren ersten
drei verwenderzentrierten konstitutiven Kriterien zusammen: Effizienz und Effektivität
mit Informativität und Angemessenheit mit Situationalität. Schon hier hätte deutlich
werden müssen, das es sich bei diesen verwenderzentrierten Kriterien allgemein um
kontinuierliche Bewertungskriterien von Textproduzenten und Rezipienten handelt, die
beeinflussen, ob ein Text nicht nur als sprachliches, sondern auch ob und in wieweit er
als kommunikativ verständliches Ereignis akzeptiert wird.
Als weiteres konstitutives Kriterium nennen die Autoren Situationalität, worunter die
Faktoren fallen, welche die Relevanz eines Textes in einer kommunikativen Situation
bestimmen. Dieses Kriterium ist in Bezug auf Konstitutivität oder Regulativität noch
schwieriger einzuordnen, denn es stellt sich die Frage, ob ein Text kein Text wäre, wenn
er situativ nicht angemessen ist. Dies ist offensichtlich nicht so. Eine Bestätigung der
18
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität
Geburt eines Kindes auf einem Stück Toilettenpapier ist zwar nicht in die Textsorte
„Geburtsurkunde“ einzuordnen, wird aber trotz situationaler Unangemessenheit der
Form und des Materials als Text wahrgenommen. Situationalität ist also kein Kriterium
ob ein Text ein Text ist, sondern was er für eine Bedeutung bzw. Funktion in einer
Situation haben kann. Natürliche Sprachen sind nicht kontextfrei, d.h.
natürlichsprachliche Äußerungen werden immer in Verbindung mit dem materiellen
oder sozialen Kontext interpretiert. Um ein weniger abstruses Beispiel zu analysieren:
„LANGSAM
SPIELENDE KINDER“24
Diese Worte können verschieden interpretiert werden: Auf Papier gedruckt könnten sie
der Anfang eines Gedichts oder gar ein Gedicht sein, vor allem, wenn sie in einem
Gedichtband gefunden werden. Stehen sie hingegen auf einem Schild am Straßenrand,
werden sie von motorisierten Verkehrsteilnehmern als Aufforderung verstanden,
langsam zu fahren, die mit dem Hinweis auf spielende Kinder begründet wird. Dieses
Beispiel verdeutlicht auch, dass ein Text nicht nicht-situational sein kann, da er immer in
einer Situation produziert und rezipiert wird. Also kann Situationalität unter dem
regulativen Prinzip der Angemessenheit als situative Angemessenheit angesiedelt werden
– welches dann nicht nur regulativ ist in dem Sinne, dass es normativ die Menge
möglicher Texte beschränkt, sondern uns auf eine andere Art von Konstitutivität für die
gesamten verwenderzentrierten Eigenschaften führt: Textualität ist nicht als Eigenschaft
eines materialen Textes zu bestimmen, sondern ein Text ist das Interpretament eines
Leser-Schreibers. Damit ist Textualität eine Eigenschaft, die sich über Kontextualität
definiert, d.h. ein materiales Vorkommnis – sei es nun akustisch oder graphisch – wird
als sprachlicher Zusammenhang durch ein denkendes Subjekt in einer bestimmten
Situation interpretiert. Dies geschieht nach sprachlichen Kriterien der grammatischen
Wohlgeformtheit und der Kohärenz und wesentlich auch nach verschiedenen situativen
Kriterien der Angemessenheit. Angemessenheitskriterien wären hier Intentionalität,
Informativität und Situationalität. Diese Kriterien sind im Zusammenhang konstitutiv
für die Interpretation einer Tatsache im Wahrnehmungsraum eines Subjekts als Text. So
ist dann auch das letzte der Kriterien von DE BEAUGRANDE/DRESSLER(1981) als ein
konstitutives zu verstehen: Intertextualität als eine Eigenschaft des Interpretaments
24
Beispiel: DE BEAUGRANDE/DRESSLER(1981) S. 4.
19
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität
Da wir Text nun als mentales Ereignis – als Interpretament eines Sprachbenutzers –
begreifen wollen, stellt sich die Frage, wie die Kriterien mental organisiert sind, nach
denen Sprachbenutzer Texte von Nichttexten unterscheiden. Dies zu erfassen war
sicherlich auch die implizite Idee von DE BEAUGRANDE/DRESSLER (1981). Allerdings ist
ihr Versuch, konstitutive Kriterien aufzustellen, aus einem weiteren, bisher nicht
diskutierten Grund als problematisch anzusehen: Wären die sieben Kriterien konstitutiv
für die Unterscheidung Text vs. Nichttext, müsste angegeben werden, wann die Grenze
zu ziehen ist. Wann entscheiden wir, dass wir einen Text nicht als Text akzeptieren?
Offensichtlich tun wir es nicht nach der Anzahl der Kriterien, d.h. es lässt sich nicht
zeigen, dass Leser einen Text nicht akzeptieren, wenn er zwei oder drei oder x Merkmale
nicht erfüllt. Dies ist schon deshalb nicht möglich, weil die diskutierten Kriterien der
Akzeptabilität ein Kontinuum bilden: Texte sind eben mehr oder weniger informativ
oder situational angemessen. Um ein zusammenhängendes Konzept „Text“ erfassen zu
können, möchte ich – bezugnehmend auf SANDIG (2000) – vorschlagen, Text als
prototypisches Konzept zu begreifen. Zuvor ein paar Worte zur Idee der Prototypik:
Die Psychologin Eleanor ROSCH führte 1977 als erste den Begriff des Prototyps in
die Theorie der Begriffsbildung und -entwicklung beim Menschen ein. Sie entwickelt,
gestützt durch ihre interkulturellen Forschungen, ein komplexes, kontinuierliches25
Konzept der Begriffsbildung, in welches ein Konzept der Prototypik integriert ist26.
25
im Gegensatz zu diskret
26
Vgl. ROSCH, Eleanor (1977): Human Categorization. in: WARREN, N. (ed.), Studies in cross-
cultural psychology. New York et al., 1977, Bd. 1, S. 1 – 49.
20
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität
21
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität
22
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität
27
Vgl. auch den Begriff der Familienähnlichkeit bei WITTGENSTEIN. Dazu: WITTGENSTEIN,
Ludwig (1997): Philosophische Untersuchungen. In: Werkausgabe in 8 Bänden, Suhrkamp:
Frankfurt/Main 1997, (stw 501), Band 1, S. 278, Paragraph 67.
28
Ebenda, S. 100.
29
Ebenda.
30
Graphik aus SANDIG (2000): S. 108.
23
Aspekte der Textkompetenz – II. Textualität
Abbildung 2
31
Vgl. Ebenda, S. 101.
24
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz
Der Begriff der sprachlichen Kompetenz wird von Linguisten im Wesentlichen mit dem
Namen CHOMSKY verbunden. Er prägte das Begriffspaar Kompetenz – Performanz, mit
dem er sich gegen DE SAUSSURES Unterscheidung Langue – Parole und gleichzeitig
gegen die behavioristische Methode wandte. CHOMSKY betrachtet seine Theorie als
Weiterentwicklung der rationalistischen Sprachauffassung in der Tradition von
DESCARTES, LEIBNIZ und HUMBOLDT und nahm deren drei Grundannahmen wieder
auf: Eine Sprache erlernen zu können ist eine spezifisch menschliche Fähigkeit.
Spezifisch hierfür ist die Kreativität, d.h. die Fähigkeit, noch nie vorher gebildete Sätze
zu produzieren oder zu verstehen. Sprache hat einen inneren und einen äußeren Aspekt,
diese Aspekte werden bei CHOMSKY unter dem Konzept der Tiefen- und
Oberflächenstruktur erfasst. Die Besonderheit sprachlicher Kompetenz liegt darin, dass
sie ein spezifisch menschliches Vermögen ist: „Jeder, der sich mit dem Studium der
menschlichen Natur und den menschlichen Fähigkeiten befaßt, muß sich irgendwie mit dem
Umstand auseinandersetzen, daß alle normalen Menschen Sprache erwerben, während der
Erwerb selbst ihrer simpelsten Anfangsgründe außerhalb der Fähigkeiten eines ansonsten
durchaus intelligenten Affen liegt – ein Umstand, der mit Recht in der cartesianischen
Philosophie hervorgehoben wurde.“32 CHOMSKY ist der Ansicht, dass sein Begriffspaar
Kompetenz – Performanz die sprachliche Kreativität besonders gut erklären kann, indem
er hiermit die dem Sprachverhalten zu Grunde liegenden Strukturen ausdifferenzieren
und erfassen kann. Der Fortschritt liegt auf der Hand: DE SAUSSURES Langue-Begriff
umfasst nur das Inventar von Einheiten – CHOMSKY hingegen will unter Kompetenz ein
System generativer (erzeugender) Prozesse verstehen, die natürlich, und das unterschlägt
er z.T., über Einheiten operieren. Da sprachliche Kreativität allen Sprachen gemeinsam
ist, folgert CHOMSKY, es müsse universale grammatische Regeln geben, weshalb
einzelsprachliche Grammatiken durch universelle Grammatiken ergänzt werden
müssten. 33 Dieser Versuch ist in die Entwicklung einer generativen Grammatiktheorie
32
CHOMSKY, Noam (1970): Sprache und Geist. Frankfurt/Main 1970, S. 111.
33
Vgl. CHOMSKY, Noam (1969): Aspekte der Syntax-Theorie. Frankfurt/Main 1969, S. 16 f.
25
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz
integriert, die CHOMSKY wie folgt definiert: „Unter einer generativen Grammatik
verstehe ich einfach ein Regelsystem, das auf explizite und wohldefinierte Weise Sätzen
Struktur-Beschreibungen zuordnet. Offenbar hat sich jeder Sprecher einer Sprache eine
generative Grammatik vollständig angeeignet, die seine Sprachkenntnis ausdrückt.“34 In den
„Aspekten der Syntaxtheorie“ stellt er heraus, dass viele von Sprechern tatsächlich
hervorgebrachte Äußerungen ungrammatisch oder anderweitig defekt seien – da die
Performanz von sprachexternen Faktoren wie Konzentration, Gedächtnisbegrenzung,
Lärm etc. abhängig sei – die Abweichungen in der Performanz änderten jedoch nichts an
der Struktur und Klarheit der Kompetenz, die nur ein Faktor sei, der auf die
tatsächlichen sprachlichen Äußerungen einwirke. Es bestünde also keine direkte kausale
Verbindung Kompetenz – Performanz; vielmehr beziehe sich Kompetenz auf einen
idealen Sprecher-Hörer. Den Zugang zur grammatischen Kompetenz könne man also
nicht über den Korpus der Sprache gewinnen, sondern nur über Introspektion.
Generative Grammatik sei kein Sprecher- oder Hörermodell, sie spreche von Strukturen
– und nicht von Strategien und Prozessen. Diese gehörten nicht zur Kompetenz und
werden in einer Theorie der Sprachverwendung behandelt.35 Nach CHOMSKY sind
Kompetenz und Performanz sind Beurteilungsprädikate auf verschiedenen Ebenen
zugeordnet: das Prädikat „Korrektheit“ (grammaticalness) bezieht sich auf die
Kompetenz, während das Prädikat „Annehmbarkeit“ (acceptability) sich auf die
Performanz bezieht. Der Theorie der Sprachverwendung ist die generative Grammatik,
welche die Sprachkompetenz explizieren soll, logisch vorgelagert. Erst wenn man die
Regeln der Kompetenz kenne, so CHOMSKY, könne man die Regeln der Performanz
feststellen.
Die Regeln der Performanz lassen sich allerdings auch anders begreifen. COSERIU
schlägt hierfür den Begriff der Norm vor, welchen CHOMSKY nach COSERIUS Ansicht
meidet, da er es zwar für möglich hält, Regeln zu formulieren, die nicht korrekte
Konstruktionen ausschließen, aber für unmöglich, Regeln zur Ausschließung nicht
akzeptabler Konstruktionen aufzustellen.36 Ein Beispiel für eine Norm ist bei CHOMSKY
die Regel: „Nicht allzu viele Einbettungen.“ Doch gerade bei diesem Beispiel stellt sich
34
Ebenda, S. 19.
35
Ebenda, S. 20.
36
COSERIU, Eugenio (1988): Sprachkompetenz – Grundzüge einer Theorie des Sprechens. Franke:
Tübingen 1988, S. 48.
26
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz
die Frage, ob diese Normen tatsächlich Normen der Performanz sind. COSERIU hält hier
CHOMSKY entgegen, dass die Regeln der Kompetenz und die Normen der Performanz
sich immer regulativ auf die Performanz beziehen, denn die Regeln der Kompetenz
regelten ja nicht die Sprach- bzw. Sprechkompetenz, sondern das Sprechen: „Nicht
Kompetenz selbst ist korrekt, sondern eben die Realisierung der Kompetenz“37 Ich halte dies
für ein stichhaltiges Argument und möchte ihm folgen: Regeln und Normen gehören
zur sprachlichen Kompetenz, welches ein intuitives Wissen ist. Die Unterscheidung von
Kompetenz und Performanz muss durch COSERIUS Unterscheidung von System und
Norm ersetzt werden, um den Kompetenzbegriff als einen Wissensbegriff zur
Verfügung zu haben, der sowohl die der sprachlichen Struktur zugrunde liegenden
Regeln als auch die Regeln des Sprachgebrauchs umfasst – wodurch erst ein
sprachwissenschaftlicher Begriff der Textkompetenz möglich wird. COSERIUS
Unterscheidung sieht wie folgt aus: System bezeichnet das Regelsystem, welches
einschränkt, was auf Grund der Unterscheidungen und Verfahren der Sprache in einer
Sprache möglich ist. Die Norm umfasst das Regelsystem, welches beschreibt, was
tatsächlich realisiert worden ist und realisiert wird, d.h. die Einschränkung des Systems
durch sprachexterne Bedingungen.
Jürgen HABERMAS führt in die deutsche Diskussion der Sprechakttheorie den Begriff
der kommunikativen Kompetenz ein. Seine Ausführungen hierzu sind zu finden in den
„Vorbereitende[n] Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz“38.
HABERMAS setzt den Begriff der kommunikativen Kompetenz in Gegensatz zum Begriff
der linguistischen Kompetenz. Er grenzt sich von CHOMSKY ab, da dieser nicht
37
Ebenda.
38
HABERMAS, Jürgen (1976): Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen
Kompetenz. In: DERS./LUHMANN (1976): Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie.
Frankfurt/Main 1976, S. 101 – 141.
27
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz
39
Ebenda, S. 101.
40
Ebenda, S. 102.
41
Ebenda, S. 106.
28
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz
Trennung der Ebenen Sprache und Rede dürfe, so HABERMAS, nicht so vollzogen
werden, dass die pragmatische Dimension der Sprache einer ausschließlich empirischen
Analyse vorbehalten bleibe. Auch die Ebene der Rede sei der formalen Analyse
zugänglich42, und diese Analyse sei die Domäne der Universalpragmatik. Auf der
universalpragmatischen Ebene ist es zuerst notwendig, die Eigenschaften von
Sprechakten zu explizieren. Dazu analysiert die Sprechakttheorie die Regelkompetenz,
Sätze in Sprechhandlungen zu verwenden. HABERMAS nimmt an, kommunikative
Kompetenz habe ebenso einen universalen Kern wie linguistische: „Eine allgemeine
Theorie der Sprechhandlungen würde mithin genau das fundamentale Regelsystem
beschreiben, das erwachsene Sprecher beherrschen, soweit sie die B e d i n g u n g e n f ü r
e i n e g l ü c k l i c h e V e r w e n d u n g v o n S ä t z e n i n Ä u ß e r u n g e n erfüllen
können – gleich welcher Einzelsprache die Sätze angehören und in welche zufälligen
Kontexte die Äußerungen jeweils eingebettet sind.“43 Allerdings, stellt auch HABERMAS
fest, verlange eine kompetenztheoretische Untersuchung der Sprachverwendung die
Revision der Begriffe Kompetenz und Performanz:
„Um einen grammatischen Satz hervorzubringen, etwa einen Beispielsatz für Linguisten,
braucht ein kompetenter Sprecher einzig dem Anspruch auf Verständlichkeit zu genügen. Er
muß das entsprechende grammatische Regelsystem beherrschen – und das nennen wir seine
linguistisch analysierbare Sprachfähigkeit. Etwas anderes ist seine Kommunikationsfähigkeit,
die allein der pragmatischen Analyse zugänglich ist. Darunter verstehe ich die Fähigkeit des
verständigungsbereiten Sprechers, einen wohlgeformten Satz in Realitätsbezüge einzubetten
[…].“44
HABERMAS skizziert die Grundzüge einer Theorie der kommunikativen Kompetenz,
welche die Sprechakttheorie darstellen soll, wie folgt: „Kernstück der Sprechakttheorie ist
die Klärung des performativen Status sprachlicher Äußerungen.“45 Jede Äußerung wird eben
nur dann verstanden, wenn sie – mindestens implizit – eine bestimmte Beziehung
zwischen Sprecher und Hörer herstellt. Die generative Kraft eines Sprechaktes besteht
42
Vgl. HABERMAS, Jürgen (1984): Was heißt Universalpragmatik? In: DERS.: Vorstudien und
Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt/Main 1984, S. 353 – 400, hier:
S. 361.
43
Ebenda, S. 387, Hervorhebung original.
44
Ebenda, S. 390.
45
Ebenda, S. 395.
29
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz
darin, dass der Sprecher in der Ausführung desselben so auf den Hörer einwirkt, dass
dieser mit ihm eine interpersonale Beziehung aufnehmen kann und will: „Alle
kommunikativen Handlungen erfüllen oder verletzen normativ festgeschriebene soziale
Erwartungen oder Konventionen.“46 Die Lösung eventueller Probleme in diesem Prozess
liegt bereits in der Doppelstruktur der Rede. Die Möglichkeit der Entkoppelung des
illokutiven und des propositionalen Bestandteils bei der Bildung und Transformation der
Sprechakte führt zur Möglichkeit der Trennung der kommunikativen Ebenen
Intersubjektivität und Erfahrung von Sachverhalten. Damit macht die Doppelstruktur
der Rede Reflexivität der Kommunikation möglich und nötig – Sprecher müssen
prinzipiell in jeder sprachlichen Kommunikation gleichzeitig Kommunikation und
Metakommunikation betreiben. Daher kann in einer Äußerung sowohl der
interpersonale als auch der propositionale Gehalt zum Thema gemacht werden, was die
Lösung kommunikativer Probleme wesentlich erleichtert.
In HABERMAS’ Ausführungen zur rationalen Grundlage illokutiver Kräfte und seiner
Darstellung pragmatischer Universalien wird deutlich, dass sich sein Ansatz
kommunikativer Kompetenz sehr stark an einer Situation mündlicher Rede orientiert.47
Seine Darstellung reflektiert die Aushandlung einer kommunikativen Situation zwischen
Sprecher und Hörer – und welche Kompetenzen dazu erforderlich sind. Akte des
Umgangs mit Texten sind aber darüber hinaus durch andere als von genuin
syntaktischen oder morphologischen Eigenschaften pragmatisch markiert: Hier spielen
textuelle und materiale Eigenschaften eine Rolle, die vom Schreiber und Leser ebenfalls
kompetent produziert und erkannt werden müssen. Auch lässt sich eine Situation nicht
mehr einfach aushandeln: Handeln mit Texten bedeutet Handeln mit einer materialen
Struktur. Das kommunikative Gegenüber ist eben nicht mehr gegenüber: Es ist räumlich
und zeitlich verschieden vom Subjekt der Kommunikation. Der Begriff der
kommunikativen Kompetenz, wie ihn HABERMAS entwickelt, ist eine sinnvolle und
notwendige Erweiterung des CHOMSKY’schen Begriffs gewesen, reicht aber für eine
Beschreibung der Textkompetenz nicht aus. Eine Beschreibung dieser Kompetenz
müsste in den universalpragmatischen Ansatz integrierbar sein.
46
Ebenda, S. 398.
47
Vgl. ebenda, S. 433.
30
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz
48
Ebenda, S. 363.
49
Ebenda, S. 365.
31
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz
auf den semantischen Gehalt des symbolischen Gebildes, Inhaltsverstehen wird dabei
durch Verbindung einer unklaren Oberflächenstruktur mit klareren Oberflächen-
strukturen (Paraphrasen) versucht herbeizuführen. Bei weiter bestehender Unklarheit
kann sich der Explikationsversuch auf die Erzeugungsstrukturen der Ausdrücke selbst
richten und eine Rekonstruktion, die sich auf das intuitive Regelbewusstsein der
Sprecher bezieht, unternommen werden. Hierbei greift dann die Unterscheidung von
RYLE50: Knowing how als Können des kompetenten Subjekts vs. Knowing that als
explizites Wissen, wie man etwas macht. Der Autor einer Äußerung hat diese, wenn sie
verständlich ist, nach bestimmten Regeln und auf Grund bestimmter Strukturen
hervorgebracht, die das kontextspezifische Verwenden-Können des Regelsystems seiner
Sprache repräsentieren: Dies ist sein implizites Regelwissen oder sein Knowing how. Der
Interpret, der dieses Knowing how des Autors verstehen will, muss es in explizites
Wissen oder Knowing that überführen, und dies ist die Aufgabe des rekonstruktiven
Verstehens. Aus diesen methodischen Gedanken leitet HABERMAS die Unterscheidung
zwischen rekonstruktiver und empirischer Sprachwissenschaft her: Die Erfahrungsbasis
der empirischen Sprachwissenschaft ist das Sprachverhalten als Teil der wahrnehmbaren
Realität, während die rekonstruktive Sprachwissenschaft das Regelbewusstsein der
kompetenten Sprecher durch konstruktives Verstehen zu erarbeiten sucht. Dazu stehen
methodisch u.a. systematische Befragungen anhand von Beispielen zur Verfügung. Zu
Grunde liegt hier die Annahme, dass das Regelbewusstsein auf die Erzeugung
symbolischer Gebilde verweise, also aus diesen rekonstruierbar sei. Die empirische
Sprachwissenschaft verhält sich daher zu ihrem Gegenstandsbereich wie eine
kausalanalytische Theorie und stellt Gesetzeshypothesen auf, während die
rekonstruktive Sprachwissenschaft sich zu ihrem Gegenstandsbereich verhält wie eine
Bedeutungsexplikation zum Explikandum. Die empirisch-analytische Theorie will das
vorwissenschaftliche Alltagswissen über einen Objektbereich widerlegen und durch ein
korrektes, vorläufig als wahr angesehenes, theoretisches Wissen ersetzen, während das
rekonstruktive Vorgehen das vortheoretische Wissen mehr oder weniger abstrakt
darstellt, ohne es falsifizieren zu wollen oder zu können. Rekonstruktionen stellen damit
einen essentialistischen Anspruch, d.h. rationale Nachkonstruktionen müssen Regeln
explizieren, die bei der Erzeugung entsprechender Oberflächenstrukturen tatsächlich
50
HABERMAS bezieht sich hier auf: RYLE, Gilbert (1969): Der Begriff des Geistes. Stuttgart:
Reclam 1969, darin: Zweites Kapitel: Wissen und Können. S. 26 – 77.
32
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz
33
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz
COSERIU hat eine ganze Vorlesungsreihe der Theorie der Sprachkompetenz gewidmet.
Mit Sprachkompetenz bezeichnet er jenes Wissen, das die Sprecher beim Sprechen oder
beim Gestalten des Sprechens anwenden. Die Theorie der Sprachkompetenz muss daher
eine Theorie des Sprechens in allgemeinen Zügen sein, welche die Themenbereiche
Umfang, Natur, Gehalt und Struktur des sprachlichen Wissens umfasst.51 Historisch
sieht er diese Probleme vor allem bei DE SAUSSURE und CHOMSKY diskutiert – aber
unzureichend, wie er ausführt, denn das mit der Rede identifizierte Sprechen werde dort
als Manifestation der Kompetenz angesehen, Kompetenz als die Kenntnis einer
Einzelsprache betrachtet und eine Einzelsprache als gleichzeitiges und einheitliches
Sprachsystem verstanden. COSERIU hält aber folgende Fragen für bisher nicht
differenziert genug beantwortet: „[...]
1) Stimmt es, daß die Rede (das Sprechen) bloß Realisierung der Einzelsprache ist,
d.h. daß die Beschreibung der Einzelsprache das Sprechen restlos aufklärt bis auf
das, was rein okkasionell und individuell ist? Mit anderen Worten: Fällt die
Kompetenz einfach mit der Einzelsprache zusammen?
2) Stimmt es, daß die Einzelsprache, die sich in der Rede manifestiert, genau einem
Sprachzustand entspricht, wenn dieser Sprachzustand als einheitliches System
aufgefaßt wird?
3) Stimmt es, daß die sprachliche Kompetenz als Einzelsprache und Sprachzustand
genau e i n e m einheitlichen Sprachsystem entspricht?
Die Antwort auf alle drei Fragen wird ‘Nein’ sein.“52
Eine Sprache im Sinne eines für eine größere Volksgemeinschaft einheitlichen Systems
von sprachlichen Regeln ist ein historisches Kulturprodukt, welches sich dadurch
auszeichnet, dass es von eigenen Sprechern und von Sprechern anderer Sprachen als
Sprache anerkannt wird. Solche Sprachen werden historische Sprachen genannt. Eine
solche ist aber bei genauerer Betrachtung keine Einheit, sondern ein Gefüge von
51
Vgl. COSERIU, Eugenio (1988): Sprachkompetenz – Grundzüge einer Theorie des Sprechens.
Franke: Tübingen 1988, S. 3.
52
Ebenda, S. 23.
34
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz
Die Ausgangsthesen für eine begründbare Theorie der sprachlichen Kompetenz sind für
COSERIU, dass Sprache erstens eine allgemein menschliche Tätigkeit ist, zweitens als
Tätigkeit von Vertretern einer gemeinschaftlichen Tradition des Sprechenkönnens
ausgeübt wird und drittens durch individuell ausgestaltet wird. Dass die Einzelsprache
zwischen Kompetenz und Performanz anzusiedeln ist, verdeutlicht er mit den
klassischen Mitteln der analytischen Philosophie: „Im Sprechen hat die Einzelsprache
keine ‘substantivische’ Existenz, sondern eine ‘adverbiale’: Sie ist keine Sache für sich,
sondern Modalität einer Tätigkeit. Diese Tätigkeit ist das Sprechen, und adverbiale
53
Vgl. ebenda, S. 25.
35
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz
54
Ebenda, S. 62. Hervorhebung original.
55
Ebenda, S. 67 ff.
56
Ebenda, S. 69; Hervorhebung M.K.
36
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz
Gesichtspunkte Tätigkeit, Wissen und Produkt auf den Ebenen des Sprechens im
Allgemeinen, auf der Ebene der historischen Einzelsprache und auf der individuellen
Ebene des Diskurses und des Textes. Den drei Ebenen der Sprachtätigkeit stehen drei
Ebenen des Wissens gegenüber:
- elokutives Wissen oder allgemeinsprachliche Kompetenz als allgemeine Fähigkeit zu
sprechen und sprachlich zu handeln,
- das idiomatische Wissen als das einzelsprachliche Wissen eines Sprechers
- das expressive Wissen oder die textuelle Kompetenz eines Sprechers.
COSERIU kennzeichnet die Ebenen der Sprachtätigkeit und des Wissens noch genauer.
Im Folgenden werde ich diese Diskussion kurz zusammenfassen:
Die allgemeinsprachliche Ebene betrifft die Sprache und das Sprechen im Allgemeinen,
es geht um das Übereinzelsprachliche, um das, was zu jeder Sprache und zu jedem
Sprechen gehört. Das dieser Ebene korrespondierende Wissen ist das elokutionelle
Wissen. Die Urteilsprädikate auf dieser Ebene sind „kongruent“ oder „inkongruent“.
Dass Kongruenzurteile autonom sind und damit eine allgemeinsprachliche Ebene im
sprachlichen Wissen sinnvoll anzunehmen ist, zeigen Beispiele wie „Zwei und zwei sind
fünf.“, welche syntaktisch im Deutschen korrekt, aber inkongruent sind. Den
Kongruenzurteilen liegen andere Wissensformen als sprachliches Wissen zu Grunde, so
die Kenntnis der allgemeinsten Denkprinzipien und die allgemeine Kenntnis der Sachen.
Diese ermöglichen es, das Gesagte zu interpretieren, auch Sinnwidriges zu verstehen,
wenn eine Absicht dahinter vermutet wird (man denke an Metaphorik) und es
ermöglicht auch, etwas als kohärent zu akzeptieren oder als inkohärent abzulehnen.
Hinzu kommt implizites Wissen über die Möglichkeiten der sinnvollen Interpretation,
welches in Maximen des Sprechens erfasst werden kann.57
Die einzelsprachliche Ebene betrifft das idiomatische Wissen, das Wissen in Bezug auf
Einzelsprachen – also auf Sprachen historischer Gemeinschaften. Sprechen entsprechend
der einzelsprachlichen Tradition wird als „korrekt“ bewertet, während Abweichungen
hiervon als „inkorrektes“ Sprechen gelten. Das Kriterium der Korrektheit ist unabhängig
von dem der Kongruenz und dem der Angemessenheit. Die erste Unabhängigkeit haben
wir bereits auf der allgemeinsprachlichen Ebene gesehen – die zweite lässt sich recht
einfach mit einem Beispiel illustrieren: „A (ertrinkend): Hilfe! – B: Brauchen Sie ein
57
COSERIU spielt hier vermutlich auf die GRICE’schen Konversationsmaximen an.
37
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz
Bier?“ Sprachlich korrekt formuliert, ist die Äußerung von B dennoch der Situation
nicht angemessen. Auch hier gilt: Die Autonomie des Korrektheitsurteils spricht für
eine eigene Ebene sprachlichen Wissens. Die Kompetenz auf dieser Ebene, die häufig
verkürzt auch als die Ebene der langue betrachtet wird, wird von keinem Theoretiker
bestritten. Dennoch birgt sie einige schwerwiegende Probleme: Zuerst ist festzuhalten,
dass die tatsächliche einzelsprachliche Kompetenz mehr ist als die langue – sie reicht vor
allem auch in Bereiche des expressiven Wissens hinein, da die Wahl der sprachlichen
Mittel für eine konkrete Äußerung gerade diese Fähigkeiten erfordert.
Die individuelle Ebene betrifft die Tradierung sprachlicher Formen. Solches Wissen
ist in Bezug auf die Formen historisch und gemeinschaftlich, aber in anderer Form als
einzelsprachliches Wissen, da Textsorten – im Gegensatz zu Sprachen – keine Gemein-
schaften konstituieren. Hier geht es um das implizite Wissen über die außersprachlichen
Zusammenhänge, die das Sprechen determinieren, wie beispielsweise der Sprecher, der
Adressat, der Gegenstand und die Situation. Ein Urteil auf dieser Ebene wird mit den
Prädikaten „angemessen“ und „unangemessen“ gefällt. Auf dieser Ebene sind auch die
Normen der Textkonstitution anzusiedeln, sie umfassen Normen der allgemeinen
Determination sprachlicher Äußerungsprozesse und Normen für Textgattungen,
Textsorten und Textarten. Diese Kompetenz ist zum großen Teil autonom von der
einzelsprachlichen Kompetenz. Es gibt aber auch einzelsprachliches Wissen in Bezug auf
die Textstrukturierung. Dies betrifft konkrete Mittel der Vertextung, beispielsweise die
Verwendung und Bedeutung von Konnektoren. Auch die Zusammenhänge zwischen der
Satzstruktur und der propositionalen Mikro- und Makrostruktur des Textes sind
einzelsprachlich strukturiert. Situatives Wissen hingegen ist kein einzelsprachliches
Wissen, sondern kulturabhängig.
Bei genauerer Betrachtung ist nun festzustellen, dass fast alle Probleme der Linguistik
alle drei Ebenen des Wissens involvieren. So hat die Textlinguistik folgende Anteile an
den verschiedenen Ebenen: Die Ebene des Sprechens im Allgemeinen bestimmt die Art
der sprachlichen Funktionen, welche in einer Einzelsprache realisiert sind oder nicht.
Die Ebene des Diskurses betrifft, so COSERIU, die Verwendung sprachlicher Mittel zur
Konstituierung von Sinn. Hier ist allerdings in Konkretisierung dieser Behauptung zu
sagen, dass auf der Ebene des Diskurses vor allem auch das Wissen um Formen und
Strukturen des Textes und des Textproduktions- und Textrezeptionsprozesses
anzusiedeln sind.
38
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz
Über seine Differenzierung der Ebenen sprachlicher Kompetenz hinaus scheinen mir für
die Diskussion der Textkompetenz COSERIUS Reflexionen über die Sprachkompetenz
als Wissensform nützlich zu sein. Er geht davon aus, dass die Natur sprachlichen
Wissens in der Sprachwissenschaft bisher nicht als Problem erkannt wurde. Sie
unterscheide nur zwischen Wissen und Nichtwissen. Ausgangspunkt seiner Diskussion
ist, neben der schon erwähnten RYLE’schen Unterscheidung zwischen Knowing how und
Knowing that, HEGELS Unterscheidung zwischen bekannt und erkannt, zwischen nicht
begründetem und vollkommen begründetem Wissen. Während der Sprecher einer
Sprache in der Regel ein nichtbegründetes Wissen hat, muss es das Ziel eines Linguisten
sein, begründetes Wissen über Sprache und Sprechen zu erwerben: „Die Aufgabe der
Linguisten besteht gerade darin, das nicht begründete, nicht wissenschaftliche Wissen der
Sprecher zu einem reflexiven, einem wissenschaftlichen Wissen zu machen. In diesem Sinne
folgen die Linguisten bewußt oder unbewußt dem Rat von Hegel: ‘Alle Kenntnis muß
Erkenntnis werden.’“58 Sprachliches Wissen ist, wie COSERIU gezeigt hat, ein
Tunkönnen, das sich im Sprechen manifestiert. Dieses ist beim Sprechen und Verstehen
ein vollkommen sicheres Wissen, aber ein Wissen, das nicht begründet wird oder für
dessen direkte Begründungen es keine Begründungen gibt. Dieses Wissen kann man
sinnvoll ein technisches Wissen nennen - Τέχνη ist in der griechischen Philosophie ein
Wissen, das sich im Tun, in der Tätigkeit, im Machen zeigt: „[…] die sprachliche
Kompetenz ist weder δόξα noch έπιστήµη ; sie ist τέχνη, d.h. ein technisches Wissen. Ein Titel
wie Ars grammatica Latina bringt also zum Ausdruck, daß es sich um ein Werk über das
grammatische Tunkönnen der Lateinsprechenden bzw. um das grammatische Tunkönnen
handelt, das sich in der lateinischen Sprache manifestiert.“59 Diese Klassifikation lässt sich
auch durch die Beobachtung der Neuschaffung sprachlicher Strukturen und Regeln
durch die Sprecher absichern – in „die zue Tür“ wird ein Adverb plötzlich adjektivisch
gebraucht, hier werden also bereits bestehende Regeln kreativ angewandt. Der
Zuordnung sprachlichen Wissens zu technischem Wissen, das sich in der Performanz
zeigt, würde natürlich CHOMSKY vehement wiedersprechen: Aus der Performanz auf die
58
Ebenda, S. 205.
59
Ebenda, S. 213.
39
Aspekte der Textkompetenz – III. Sprachliche Kompetenz
Kompetenz zu schließen sei nicht zulässig, da die Performanz nie wirklich die
Kompetenz widerspiegle. Dieser Einwand geht allerdings von mehreren falschen
Voraussetzungen aus: Zum einen erweist sich die Behauptung, die Performanz würde
unendlichen Schwankungen unterliegen, als falsch, da es offensichtlich Domänen gibt, in
denen die Regelmäßigkeiten innerhalb einer funktionellen Sprache fast vollständig sind
(Phonologie, Morphologie), was aber auf Grund der Syntaxfixiertheit der Diskussion
übersehen wurde. Außerdem ist anzunehmen, dass manche Schwankungen der
Performanz nicht festgestellten Regeln unterliegen. Auch ein zweiter Einwand gegen die
Ableitung der Kompetenz aus der Performanz besagt nichts: Nicht alles, was die Regeln
der Kompetenz zulassen, komme auch tatsächlich vor. So gibt es bestimmte syntaktisch
korrekte Konstruktionen, die schon deshalb nicht vorkommen, weil sie allgemeinen
Denkprinzipien widersprechen („das grüne Pferd“).60
Die Grenze zwischen technischem Wissen und wissenschaftlicher Reflexion des
Wissens verläuft für COSERIU dort, wo Begründungen sprachlichen Wissens über eine
unmittelbare Begründung hinausgehen. Sprecher, die sprachliche Funktionen zu
differenzieren versuchen, seien bereits Linguisten. Genau an dieser Stelle ist
Widerspruch dringend geboten, denn das Besondere einer rekonstruktiven Human-
wissenschaft wie der Linguistik besteht gerade darin, dass wissenschaftlich erarbeitetes
Wissen über Bildungsinstitutionen das Alltagswissen beeinflusst. Es ist also zu fragen,
ob das Wissen über ein Schriftsystem und textuelle Kompetenzen eine besondere Art
reflexiven Wissens beinhalten. Am Beispiel des deutschen Schriftsystems und der
Reformdiskussion der deutschen Orthographie der letzten 100 Jahre ist dies deutlich zu
erkennen. Textuelle Kompetenz ist nicht in diesem Maße normiert, ist aber dennoch
stark vom reflexiven Wissen von Theoretikern und Praktikern beeinflusst – man denke
nur an Lehrbücher der Publizistik.
60
Vgl. ebenda, S. 217.
40
Aspekte der Textkompetenz – IV. Die Möglichkeit eines ling. Textkompetenzbegriffs
Wie wir gesehen haben, sind Textualität und Schriftlichkeit dem diachronen Ursprung
nach zwei verschiedene Technologien. Schriftlichkeit lässt sich aber auch heute noch als
gegenüber Textualität autonome Technologie begreifen, da auf sie – im Gegensatz zur
Textualität – expliziter politischer Einfluss ausgeübt wird (Orthographiereform).
Schriftkompetenz wird in der Grundschule auf nicht-naürlichem Wege durch Lehren
und Lernen erworben.
61
Vgl. VAN DIJK, Teun A./KINTSCH, Walter (1983): Strategies of Discourse Comprehension. New
York et. al. 1983. Vgl. auch Abschnitt V.1.3.1 dieser Arbeit.
41
Aspekte der Textkompetenz – IV. Die Möglichkeit eines ling. Textkompetenzbegriffs
Textkompetenz ist ein Tätigkeitswissen. Ich möchte COSERIU in seiner Ansicht folgen,
dass sie dennoch ein Forschungsgebiet der Linguistik ist.64 Hierdurch wird eine
handlungsorientierte Textlinguistik möglich, die den Zusammenhang zwischen
Handlungen und Textualität beschreiben kann. Die Schwierigkeiten, die hierbei
auftreten, werden uns im nächsten Kapitel beschäftigen.
62
Vgl. Abschnitt III.3.2 dieser Arbeit.
63
Vgl. HABERMAS 1984, S. 374.
64
Vgl. Abschnitt III.3 dieser Arbeit.
42
Aspekte der Textkompetenz – IV. Die Möglichkeit eines ling. Textkompetenzbegriffs
Textkompetenz als Tätigkeitswissen oder als Technologie steht, wie diskutiert, unter
dem Einfluss der rekonstruktiven Sprachwissenschaft. Dieser Kompetenz liegt
außerdem ein sprachliches Knowing that zugrunde, ein reflexives Wissen über die
allgemeinsprachliche Kompetenz und über gesellschaftliche Anforderungen an die
Kommunikation mit Hilfe von Texten. Deshalb liegt die These nahe, dass
Textkompetenz kein rein intuitives Wissen ist und somit nicht erworben werden kann,
wie wir eine natürliche Sprache im Erstspracherwerb erlernen. Außerdem ist davon
auszugehen, dass Wissensreflexion in Bezug auf Texte durch Weitergabe von
Expertenwissen aus der Sprachwissenschaft verbessert werden kann. Diese Thesen
werden von HABERMAS’ Theorieansatz, wie ich ihn dargestellt habe, verdeutlicht: Er
stützt seine Methodik der Universalpragmatik, wie bereits referiert, auf RYLES
Unterscheidung von Knowing how als Können des kompetenten Subjekts und Knowing
that als explizites Wissen, wie ein Ziel zu verfolgen ist. Ein Interpret, der das Knowing
how des Autors, also das implizite Wissen, verstehen will, muss es in ein explizites
Wissen, also ein Knowing that zweiter Stufe überführen. Die Aufgabe des
rekonstruktiven Verstehens besteht also in der Bedeutungsexplikation im Sinne der
Nachkonstruktion von Erzeugungsstrukturen. Das Knowing that über Strukturen und
Funktionen von schriftlichen Texten ist wesentlich komplexerer Natur als das über
mündliche Alltagskommunikation. Die Grundfrage in Bezug auf schriftliche
Textkompetenz lautet also: „Was verändert sich, wenn wir – statt zu sprechen –
schreiben?“65 Als vorläufige kurze Antwort lässt sich an dieser Stelle sagen, dass
Schreiben von den Zwängen aber auch von den Kooperationsmöglichkeiten der
Umgebungssituation entbindet, die bei Face-to-Face-Kommunikation vorliegen,
wodurch sich das gesamte interaktionale Bedingungsgefüge verändert. Der Schreiber
muss Strukturierung und Informationsverteilung im Hinblick auf Vorwissen und
Interesse des potentiellen Partners planen, die Textgestaltung muss also voraussehbaren
Bedingungen der Textrezeption genügen. Rekonstruktives Verstehen textueller
Kommunikation ist also Voraussetzung für den Erwerb textueller Kompetenz, somit ist
wissenschaftliches Knowing that über Textkompetenz eine wesentliche Voraussetzung
für sprachdidaktische Ansätze der Förderung textueller Kompetenz.
65
HEINEMANN/VIEHWEGER (1991): Textlinguistik. Eine Einführung. Tübingen: Niemeyer 1991,
S. 210.
43
Aspekte der Textkompetenz – IV. Die Möglichkeit eines ling. Textkompetenzbegriffs
Zur Stützung der These, Textkompetenz sei ein reflexives Wissen, möchte ich hier
kurz eine sprachdidaktische Studie referieren, welche empirisch zeigt, dass
textgrammatisches Wissen sich durch Reflexion verbessern lässt. KLOTZ (1996) führt
vor, wie syntaktische Anteile der textuellen Kompetenz durch ein reflexives Moment im
Unterricht verbesserbar sind.66 Der Autor illustriert meine These der Reflexivität des
textuellen Wissens mit dem treffenden Vergleich, Singen sei eine natürlich erworbene
Fähigkeit, während Komponieren ohne Unterricht kaum erlernbar sei: Dies gelte ebenso
für Sprechen und Schreiben.67 Die besondere Aufgabe der Textgestaltung liege darin,
dass sie eine linear-grammatische Aufgabe mit einer hierarchisch-informativen Aufgabe
verbinde. Eben diese Aufgabe sei mit Reflexivität verbunden, welche aber in der
ontogenetischen Entwicklung erst ab ungefähr dem 13. Lebensjahr möglich sei. Ab hier
müsse diese Fähigkeit durch Sprachangebotsunterricht, d.h. kreative Arbeit am
sprachlichen Material, verbunden mit expliziter sprachlicher Reflexion, gefördert
werden. Diese Forderung beruht auf der Erkenntnis funktionaler Bezüge zwischen
Textualität und Grammatik: Wissensreflexion in Bezug auf textstrukturelles,
textpragmatisches und textstilistisches implizites Wissen setzt analytisches Können,
Wissen und Vokabular auf syntaktischer und morphologischer Ebene voraus: „...und so
kann es z.B. passieren, daß an einem Thomas MANN-Text die Modi hin- und herprobiert
werden [...] Daß aber erst bei einem differenzierten Wissen zu den Modi die Qualitäten
eines literarischen Textes erkannt und gewürdigt werden können, wird bei solchem Vorgehen
für die Schüler nicht wirklich spürbar.“68 So sei es durch die Einführung des Begriffs der
Adverbialien in Verbindung mit Erfahrung adverbialer Strukturen an Texten möglich,
Kindern die Begrenztheit ihrer „und-dann“-Erzählstruktur und mögliche Alternativen
hierzu plastisch vor Augen zu führen. Dies sei eine typisch mündliche Struktur. Kinder
sollen aber der reinen Mündlichkeit allmählich entwachsen, „eben damit sie wirklich über
Schriftlichkeit verfügen.“69 Hier ist kritisch anzumerken, dass KLOTZ (1996) nicht sauber
zwischen konzeptioneller und medialer Schriftlichkeit unterscheidet. Dies lässt sich auch
als Hinweis darauf interpretieren, wie sehr Textualität mit Schriftlichkeit gleichgesetzt
66
KLOTZ, Peter: Grammatische Wege zur Textgestaltungskompetenz: Theorie und Empirie. Max
Niemeyer Verlag: Tübingen 1996.
67
Vgl. ebenda, S. 4.
68
Ebenda, S. 107.
69
Ebenda, S. 240.
44
Aspekte der Textkompetenz – IV. Die Möglichkeit eines ling. Textkompetenzbegriffs
wird. KLOTZ (1996) geht es in erster Linie um den Ausbau textueller Kompetenz, also
um konzeptionelle Schriftlichkeit, verbunden mit der Fähigkeit der Strukturvariierung
und der differenzierteren Vertextung.
KLOTZ (1996) versucht die These, Textkompetenz sei durch grammatische Reflexion
förderbar, in einem breiteren Umfang empirisch zu untermauern, indem er Schülertexte
in Zusammenhang mit bestimmten Unterrichtsformen auf Attribuierung und
Adverbiale, Satzglied- und Satzlängen, Tempus, Modus, Genus verbi, pronominale
Rekurrenz, syntaktische Kohäsion, Konnektoren und Isotopie untersucht. Theoretische
Grundannahmen der Untersuchung sind:
- Schülern lernen auf zwei Wegen: kognitiv oder prototypisch,
- es gibt einzelsprachliche Phänomene, die für (Schul-)Textsorten konstituierend sind,
sie sind nach den o.g. Wegen lehrbar,
- der Bereich „Grammatikunterricht/Sprachreflexion“ trägt diesen Überlegungen noch
nicht genügend Rechnung,
- „Funktional betriebener Grammatik- und Sprachwissensunterricht fördert die
Schreibkompetenz der Schüler. Dies lässt sich empirisch beobachten.“70,
- Schülertexte sind bis in die Einzelphänomene beschreibbar.
Die Prototypentheorie erscheint für KLOTZ (1996) didaktisch fruchtbringend, da zu
erkennen sei, dass kindliches und jugendliches Denken noch nicht schwerpunktmäßig
begrifflich-systematisch strukturiert sei. In einem kurzen Exkurs möchte ich seine
Gedanken hierzu ausführen, da sie uns später noch einmal beschäftigen werden. Da der
Stoff des Deutschunterrichts ausgesprochen komplex sei, müsse man, so KLOTZ (1996),
annehmen, Textkompetenz sei nicht restlos systematisch lehrbar. Die Prototypentheorie
verknüpfe mehrere Basiskategorien und erfasse damit Komplexes auf einem für
Jugendliche angemessenen Weg. Außerdem sei sie nicht normativ-präskriptiv, da sie
auch Randphänomene erfasse und Varianten inkludiere, was wesentlich für einen
Lernprozess sei: „Mit Hilfe von Prototypen werden Makro- und Mikrostrukturen und
deren Verhältnis zueinander lehrbar. Auf einem kognitiven Lehr-/Lernweg wäre der
Aufwand erheblich; und dieser Aufwand würde wohl das Lernziel in Frage stellen!“71
Problematisch sei allerdings, dass schulische Textsorten in der Regel nicht Prototypen
70
Ebenda, S. 78.
71
Ebenda, S. 98.
45
Aspekte der Textkompetenz – IV. Die Möglichkeit eines ling. Textkompetenzbegriffs
für Alltagstextsorten darstellten. Genau hier müsse angesetzt werden: Schule müsse dem
lernenden, eigenaktiven Subjekt durch das Lehrmaterial Prototypen anbieten um
- ... „beste Beispiele“ im Sinne der Prototypentheorie auf der halbbewussten Wissens-
und Könnensebene zu etablieren,
- ... eine bewusste kognitive Durchdringung dieser Beispiele zu ermöglichen,
- ... Schüler letztlich aus zu enger Verhaftung mit den Prototypen durch die kognitive
Durchdringung zu befreien und ihnen einen autonomen Umgang Texten zu
ermöglichen.72
Dieses Problem wird uns noch stärker im Kapitel „Textsortenkompetenz“ beschäftigen.
Kehren wir vom didaktischen Exkurs zurück zur Untersuchung des Einflusses von
grammatischer Sprachreflexion auf die Textgestaltungskompetenz. Als Grundidee für
die Unterrichtskonzeption führt KLOTZ das Modell des informationsgesättigten Satzes
ein, eines Modells, dass die Dependenzstruktur eines Satzes mit Wissen über die
Semantik und Pragmatik sprachlicher Äußerungen zu verbinden sucht. Dabei setzt er an
einem erweiterten Satzstrukturmodell an, weil er meint, dass, wenn man die mittlere
Komplexität der Satz- und Textstrukturen dem Unterricht zu Grunde lege, man die
Schüler dort abhole, wo sie vermutlich entwicklungslogisch stünden. Vom sprachlich
Mittelkomplexen solle man dann hierarchisch absteigen zu den weniger umfangreichen
Phänomenen: von Textabschnitten zum Satz, zu seinen intentionalen und semantischen
Ebenen, zu den Satzgliedern und Attributen. Als Ausgangspunkt für sein Satzmodell
wählt KLOTZ (1996) aus didaktischer Perspektive die Frage, welche Entscheidungen
Schreiber/Sprecher zu fällen hätten, wenn sie einen Satz formulieren wollten. Aus
informationeller Sicht drücke ein Satz einen Sachverhalt aus, indem er eine oder mehrere
Entitäten durch ein finites Verb bzw. eine Verbgruppe mit einem finiten Verb in einer
Struktur organisiere. Dieser Sachverhalt könne raum-zeitlich situiert und logisch-
argumentativ differenziert oder modifiziert werden. Die grammatischen
Verbinformationen (Tempus, Modus, Genus verbi) geben Verstehensanweisungen:
Textsorte, Zeitlichkeit, Gültigkeit, Denkmöglichkeit und Vermitteltheit. Daher deutet
KLOTZ (1996) folgende Wege zur Beantwortung der soeben zitierten Fragestellung an:
Welche Entitäten in einem Satz zusammengenommen werden, spiegele die Verbvalenz
wieder, welche in hohem Maße die Struktur unseres Weltwissens repräsentiere. Der
72
Vgl. ebenda, S. 103.
46
Aspekte der Textkompetenz – IV. Die Möglichkeit eines ling. Textkompetenzbegriffs
Satzkern wiederum sei durch Adverbiale situativ eingebettet, durch welche der
raumzeitliche Kontext sowie der Begründungs- und Zweckzusammenhang hergestellt
werden können. Dies fällt in der Schule in der Regel unter den Begriff der
„Erweiterungen“. Prototypisch werden in narrativen und informativen Texten meist
deiktische, in argumentativen Texten hingegen nicht-deiktische Informationen erwartet.
Verstehensanweisungen werden durch Tempus, Genus verbi und Satzadverbiale sowie
z.T. auch durch Partikel und durch Satzartenmarkierung vermittelt. Diese
Kurzzusammenfassung von linguistischem Knowing that spiegelt sich in KLOTZ’ Modell
des informationsgesättigten Satzes wieder.73
Als Unterrichtsmodell schlägt KLOTZ (1996) folgendes vor: „Ein moderner
systematischer Grammatikunterricht müßte sich eine Lernsituation schaffen, die tatsächlich
ein fast naturwissenschaftliches Untersuchen und Experimentieren mit der Sprache möglich
machte.“74 Für seinen integrativ-experimentierenden Sprachangebotsunterricht bietet der
Autor in seinem Buch Lehrmaterialien an. Er führte für seine empirische Untersuchung
ganze Unterrichtseinheiten als Unterrichtsversuche durch und untersuchte Schülertexte
vor und nach seinem Unterricht sowie von Vergleichsgruppen ohne seinen Unterricht.
Ziel war es, Schülertexte aus dem alltäglichen Schulbetrieb ohne künstliche
Versuchsbedingungen, Aufsätze in verschiedenen schulischen Textsorten (Erzählen und
Informieren) sowie Texte aus verschiedenen Jahrgangsstufen zu erhalten. Diese Texte
wurden mittels Computer erfasst, auf Sprachleistung untersucht und die Ergebnisse in
Übersichten durch den Computer ausgewertet. Dies Analyse der Sprachleistung erfolgte
nach folgenden Kriterien:
- Satztypen – klassifiziert nach einfacher Satz, Parataxe, Hypotaxe und Para-
Hypotaxen,
- kohäsive Mittel zwischen dem Sätzen ,
- Vorhandensein von Satzgliedern in Sätzen – Attribuierungsgrad etc.,
- Textlänge – bestimmt nach Sätzen, Satzgliedern und Wörtern
- Satzgliedlängen,
- Informationsdichte nach dem Modell des informationsgesättigten Satzes (ISS).
73
Vgl. ebenda, S. 143.
74
Ebenda, S. 111.
47
Aspekte der Textkompetenz – IV. Die Möglichkeit eines ling. Textkompetenzbegriffs
75
Die Wörterzahl geteilt durch den Quotienten aus abstrakt möglicher Information und konkret
vorhandene Information ergibt den Informationsmengenindex (WZ : (AI : KI) = IMI). Die
abstrakt Mögliche Information ergibt sich aus den Eigenschaften des Prädikats (Numerus,
Tempus, Modus, Genus verbi und Verbvalenz) sowie allen mögliche Ergänzungen.
76
Ebenda, S. 226.
77
Ebenda, S. 230.
78
Ebenda, S. 239.
79
Vgl. ebenda, S. 255.
80
Ebenda, S. 257.
48
Aspekte der Textkompetenz – IV. Die Möglichkeit eines ling. Textkompetenzbegriffs
49
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
81
Vgl.: WIEGAND, Herbert Ernst (2001): Schriftkonstituierte Texte und Sprachliches Handeln. Zur
Kritik der neueren Textlinguistik. In: Germanica – Jahrbuch für deutschlandkundliche Studien:
Sofia, 8 Jg./2001, S. 17 – 40.
82
BRANDT, Margareta/ROSENGREN, Inger (1991): Zur Handlungsstruktur des Textes. In: Sprache
50
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
Abbildung 3
51
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
Illokutionen spezifizieren: Zwei Illokutionen sind konjunkt, wenn sie auf der selben
Ebene der Illokutionshierarchie stehen und eine illokutive Einheit bilden, während eine
Illokution andere dominiert, wenn sie von hierarchisch untergeordneten Illokutionen
gestützt wird. Subsidiäre Illokutionen nehmen direkten Bezug auf die Erfolgs-
bedingungen der dominierenden Illokution und sind durch Ausdrücke wie „da“,
„deshalb“ etc. gekennzeichnet. Komplementäre Illokutionen hingegen haben
komplettierende Funktion und liefern Informationen über den Kontext der
Handlungssituationen. Sie werden durch Ausdrücke wie „übrigens“, „indem“, „wie“ etc.
angezeigt. Illokutionen können, so BRANDT/ROSENGREN (1991), auch von
Informationseinheiten gestützt werden. Die Sequenzierungsebene dient ebenfalls dem
Erfolgsprinzip. Für die Sequenzierung stellen die Autoren folgende Prinzipien fest:
- Hierarchieprinzip:
(i) Illokutionen auf der selben Ebene, die dieselbe Illokution stützen,
werden in der Sequenz nicht auseinandergerissen.
(ii) Illokutionen auf mittleren Ebenen stehen nicht in exponierten
Positionen.
- Ikonizitätsprinzip: Die Sequenzierung ist von der inhaltlichen Struktur des Textes
abhängig (kausal/temporal).
- Situationsprinzip:
(i) Sequenzierung ist abhängig von der Textsorte.
(ii) Sequenzierung ist abhängig vom sozialen/institutionellen Kontext.
Als sequenzstützende Ausdrücke bezeichnen BRANDT/ROSENGREN (1991) Lexeme,
welche auf der Sequenzierungsebene hinzugefügt werden, um die Sequenzierung zu
verdeutlichen (z.B. „im Folgenden ...“). Für die Formulierungsebene vertreten die
Autoren die These, dass die Grammatik Sätze beschreibe, die ein pragmatisches Potential
haben. Die Illokutionshierarchie und die Sequenzierung bestimmten die grammatische
Realisierung, wobei formulierungsstützende Ausdrücke hinzukämen, welche metakom-
munikative Ausdrücke seien, die nicht in die Illokutionsstruktur eingingen.
BRANDT/ROSENGREN (1991) gehen also davon aus, dass die genannten Strukturebenen
sprachlich verfasst sind und während der Äußerungsproduktion ineinander übersetzt
werden. Dass hierbei der Ebenen- und Dimensionsbegriff unklar ist, wird bereits von
VIEHWEGER (1991) kritisiert: Obwohl ein prozessualer Ebenenbegriff durch
52
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
84
Vgl. VIEHWEGER, Dieter (1991): Illokutionsstrukturen und Subsidiaritätsrelationen. In: Sprache
und Pragmatik 24. Arbeitsberichte, Lund 1991, S. 62 – 76; hier S. 64.
85
Vgl. ebenda, S. 67 f.
86
SCHRÖDER, Thomas (1998): Textstrukturen aus integrativer Sicht. Eine kritische Bestands-
aufnahme zur Textstrukturendiskussion. In: Deutsche Sprache (26) 1998, S. 121 – 137.
87
MOTSCH, Wolfgang (1996): Ebenen der Textstruktur – Begründungen eines Forschungs-
programms. In: MOTSCH, Wolfgang (Hrsg.): Ebenen der Textstruktur: sprachliche und
kommunikative Prinzipien. Tübingen: Niemeyer, 1996; (RGL 164); S. 3 – 33.
MOTSCH, Wolfgang (2000): Handlungsstrukturen von Texten. In: BRINKER, Klaus u.a. (Hrsg.):
Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. 1. Halbbd.
53
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
verfolgt, wobei die Aktivität ein geeignetes Mittel zur Zielverfolgung sein muss, wenn
das Verhalten als rationales Verhalten gelten soll. Die Aktivität kommunikativer
Handlungen mündet in das Äußern einer Zeichenkette mit dem Ziel der Beeinflussung
des Bewusstseins des Rezipienten. Sprachliche Handlungen seien daher ein Spezialfall
kommunikativer Handlungen.88 MOTSCH (2000) argumentiert hier mit einem
hochproblematischen Informationsbegriff. Kritisch betrachtet, sind die hier genannten
Voraussetzungen schon als falsch anzusehen: Es werden eben nicht Informationen
zwischen Sender und Empfänger ausgetauscht, sondern Signale, aus denen mittels
komplexer Kenntnissysteme Informationen konstruiert werden.89 Sprache besteht aus
einem lautlichen bzw. graphischen Signalsystem, dem durch kompetente Sprecher/Hörer
bzw. Schreiber/Leser in einem konstruktiven mentalen Prozess Strukturen und
Bedeutungen zugewiesen werden. Für ein Mehrebenenmodell, wie es MOTSCH
(1996/2000), BRANDT/ROSENGREN (1991) und SCHRÖDER (1998) favorisieren, nennt
MOTSCH (2000) folgende Voraussetzungen: „ [...]
(1) Sprecher verhalten sich rational. Das bedeutet insbesondere: sie formulieren ihre
Texte unter idealen Bedingungen so, dass sie geeignete Mittel zur Erreichung des
kommunikativen Ziels sind.
(2) Texte sind Produkte eines mit einer kommunikativen Absicht vollzogenen
Kommunikationsversuchs. [...] es wird zwischen T e x t k o m p e t e n z und
T e x t p e r f o r m a n z unterschieden. Die Beschreibung der Textperformanz setzt
eine Theorie der Textkompetenz voraus.
(3) Ebenso wie die Beschreibung der Grammatik einer Sprache von abweichenden bis
unkorrekten Sätzen absieht, muss auch die Textanalyse misslungene Texte oder
Textabschnitte ausgliedern. Nicht jeder Textverfasser kann in jeder Situation
optimale Texte verfassen. Die tatsächliche Textkompetenz von Sprechern kann mehr
oder weniger weit von den idealen Bedingungen abweichen. Grundsätzlich ist
jedoch zu verlangen, dass die idealisierte Beschreibung der Textkompetenz
ermöglichen muss, Eigenschaften von authentischen Texten zu beschreiben.
54
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
(4) Für literarische Texte gelten besondere Regeln, die auch Abweichungen von Regeln
für Gebrauchstexte einschließen (vgl. Rolf 1993). Eine Theorie für literarische Texte
setzt eine Theorie für Gebrauchstexte voraus.“90
Diese von MOTSCH (2000) genannten Voraussetzungen sind nicht ganz
unproblematisch: Ich halte, wie bereits ausgeführt, eine Unterscheidung zwischen
Textkompetenz und Textperformanz nicht für sinnvoll: Gerade die Erfassung von nicht-
optimalen Ergebnissen einer Sprachproduktionshandlung ermöglicht Erkenntnisse über
ideale Ergebnisse, nämlich über die Anforderungen, die wir an Äußerungen stellen –
auch hier zeigt sich noch einmal die Problematizität des sprachwissenschaftlichen
Kompetenzbegriffs nach CHOMSKY, der hier offensichtlich zu Grunde liegt.
Gegen die Grundthese aller Arbeiten zu Illokutionsstrukturen, Texte seien Mittel zu
Handlungen und ließen sich in elementare Illokutionen gliedern, wendet sich WIEGAND
(2001). Er entgegnet, dass nur in interaktiven Sprachkommunikationssituationen, in
denen sich die beteiligten Agenten ohne technische Hilfsmittel wahrnehmen könnten,
sprachlich gehandelt und also mit schriftkonstituierten Texten für die Fernkommuni-
kation nicht gehandelt würde.91 Um diese Thesen argumentativ zu untermauern, stellt er
sich zuerst die Frage nach dem Alltagsverständnis von „Text“. Mittels Wörterbüchern
und COSMAS-Online-Recherchen kommt er zu dem Ergebnis dass „Text“ im Alltag in
erster Linie aus ein schriftliches, im Wortlaut festgelegtes Sprachgebilde verweist,
welches größer als ein Satz ist und von etwas so handelt, dass es verstanden wird: „Damit
gelten Texte als abgegrenzte extraindividuelle, in statischer Weise materiell gegebene, visuell
wahrnehmbare semiotische Gebilde“92 Texte können durch Auswendiglernen in eine
intraindividuelle, nichtwahrnehmbare Form überführt werden. In der Linguistik werde
„Text“ anders behandelt, nämlich in einer hyperonymen Verwendung als das
Gemeinsame von mündlicher und schriftlicher Sprache. Hiergegen sei einzuwenden, dass
die Unterschiede zwischen diesen beiden Sprachebenen größer als ihre Gemeinsam-
keiten sind. Es sei daher besser, mündliche Äußerungsresultate in Abgrenzung zu
schriftkonstituierten Texten und mündliche Sprachhandlungen im Kontrast zu schrift-
konstituierten Texten und ihren Eigenschaften zu behandeln. Das phonische
Äußerungsresultat habe semiotische Qualität, d.h. es ist unter den gegebenen
90
MOTSCH (2000), S. 415, Hervorhebung original.
91
Vgl. WIEGAND (2001), S. 18.
92
Ebenda, S. 22.
55
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
93
Weshalb eben ein Fahrrad für einen Gelähmten kein Mittel der Fortbewegung sei. (WIEGAND
(2001), S. 25.)
94
Ebenda, S. 26.
56
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
95
Ebenda, S. 28.
96
Vgl. ebenda, S. 29.
97
Vgl. ROLF, Eckhard (1993): Die Funktion von Gebrauchstextsorten. Berlin – New York: De
Gruyter 1993, S. 36 f.
98
Ebenda, S. 35.
99
Ebenda, S. 36; Hervorhebungen original.
57
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
Interaktion mit dem Hörer modifizierbar wäre, wäre das Resultat der Äußerung nie als
solches kontrollierbar, es sei denn durch das zusätzliche Mittel der Gewalt, denn der
Hörer hat immer die Möglichkeit, die Kommunikationssituation zu verlassen, sich
einfach von vornherein nicht in sie zu begeben oder sie bewusst misszuverstehen. Der
Hörer hat in der Hand, ob eine Kommunikationssituation zustande kommt – weshalb
geschickte Sprecher auch wissen, wann und wo sie mit wem etwas besprechen. Schon ein
Kind weiß, in welchen Fällen die Mutter oder der Vater der bessere Kommunikations-
partner ist. Auch die hieran angeschlossene anthropologische und ethische These ist
eindeutig falsch: Schreiben ist gerade der Weg, sich nicht spontan äußern zu müssen.
Das Schreibhandlungsgeschehen als Verständigungsgeschehen wird daher anders
etabliert als über eine direkte Situationalität: über gesellschaftlich etablierte Formen des
Textes, welche in der Textlinguistik unter dem Begriff „Textsorten“ diskutiert werden.
Wenn WIEGAND (2001) behauptet, Handlungsbedeutungen seien durch die interaktive
Sprachkommunikationssituation definiert, vergisst er, dass Textsorten als kanonisierte
und materialisierte Kontextualität aufgefasst werden können. Dort wird nach
Möglichkeit die Zuschreibung von Verantwortung durch das Konstrukt des Autors
erreicht – ein Text, der seinen Autor nicht kenntlich macht, wird anders zur Kenntnis
genommen und z.T. auch normativ sanktioniert, wie man beispielsweise an anonymen
Briefen sehen kann.
Akzeptabel ist WIEGANDS Ansicht, dass eine Äußerung keine illokutionäre
Handlung ist: Der illokutionäre Akt wird erst zu einer Handlung, die mit dem im
lokutiven Akt Gesagten vollzogen wird, wenn der Hörer der Äußerung eine illokutive
Rolle (z.B. Drohung) zuschreibt. Dies gilt aber auch für situationsgebundene mündliche
Äußerungen, was leider bei AUSTIN und SEARLE nicht deutlich wird. Texte sind also als
ein Handlungsergebnis zu betrachten, aber nicht als Handlungen. Dies trifft aber auch
auf eine Äußerung in einer interaktiven Sprechkommunikationshandlung zu. Was
WIEGAND (2001) vorträgt, zielt tatsächlich – auch wenn es nicht von ihm intendiert war
– gegen die Sprechakttheorie und deren Begrifflichkeit generell, und nicht gegen deren
Übertragung auf schriftkonstituierte Texte. Der Hörer ist an der Sprechhandlung immer
mit beteiligt: Er kann das Sprechhandlungsangebot akzeptieren und er kann dann
handeln. Er kann aber auch die Annahme der Kommunikation verweigern, so tun, als
hätte er nicht verstanden oder gar nicht gehört – und sich der Situation durch Verlassen
des Raumes entziehen. Es ist ein Problem von Kommunikation im Allgemeinen, dass sie
zum größten Teil vom Empfänger abhängig ist. Was er als Kommunikation akzeptiert,
58
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
ist Kommunikation. Wenn ein Empfänger der Überzeugung ist, dass, was sein
Gegenüber als Selbstgespräch geäußert hat, an ihn gerichtet war, und er darauf
antwortet, nimmt der so Antwortende erst einmal das, was der ein Selbstgespräch
führende geäußert hat, als Kommunikation an. Dies sind allerdings für die
Sprechakttheorie Randprobleme gewesen – sie hat ihre Regeln von der Frage ausgehend
expliziert, welche Form eine Äußerung in einer Situation haben muss, damit sie in Bezug
auf eine bestimmte Sprecherintention Erfolg haben kann. Das Handeln des Sprechers in
einer Sprechsituation ist, in einem alltäglichen Sinne des Wortes, also immer erst einmal
das Sprechen. Dies findet sich aber auch bei Vertretern einer textuellen
Handlungsstruktur, beispielsweise bei MOTSCH (2000): „Kommunikative Handlungen
sind dadurch ausgezeichnet, dass die Aktivität das Äußern einer Zeichenkette ist.
Zielzustände sind Bewusstseinszustände von Adressaten.“100 Die Sprechakttheorie selbst
hat einen zu weiten Begriff von Handlung, dies ist allerdings ein Thema, welches hier
den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Hier möchte ich nur soviel andeuten: Man
handelt mit Äußerungen mündlicher Natur direkt, weil sie die Situation verändern.
Wenn sich beispielsweise ein Mitglied der Führungsriege einer Firma einem seiner
Mitarbeiter vorstellt, verändert sich die Kommunikationssituation. Er wird zum Chef,
und damit sind bestimmte Äußerungen und Äußerungsformen in der Situation als
mögliche gelingende Sprechakte ausgeschlossen. Bei Texten muss hingegen durch den
Produzenten antizipiert werden, wer ihn lesen könnte. WIEGANDS (2001) These, dass
nur in interaktiven Sprachkommunikationssituationen sprachlich gehandelt würde, in
denen sich die beteiligten Agenten ohne technische Hilfsmittel wahrnehmen können,
erweist sich im Hinblick auf die konventionell gewachsene Kontextualität von Texten
durch Textsorten als problematisch. Es ist anzunehmen, dass das sprachliche Handeln
durch den Text als Mitglied einer Textsortenklasse vermittelt ist: Ein Schreiber handelt,
indem er einen bestimmten Text in einer bestimmten Form verfasst, wobei er
antizipieren muss, ob diese Form angemessen ist, um seine Intention kundzutun und sie
durch den Rezipienten ebenfalls verfolgen zu lassen, denn eine Aushandlung ist hier
nicht möglich. Es handelt auch der Rezipient – er rezipiert, interpretiert die Intention
des Schreibers – und akzeptiert sie oder nicht. Mit schriftkonstituierten Texten für die
Fernkommunikation wird also gehandelt – es wird, wie ich noch zeigen werde, in
100
MOTSCH (2000), S. 414.
59
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
empirischen Untersuchungen deutlich, dass Schreiber einen Text verfassen, um ein Ziel
zu verfolgen. Nichts anderes aber bedeutet Handeln: ein Mittel zu einem Zweck
verwenden. Dass das Mittel ungeeignet sein kann – weil der Rezipient den Text nicht
liest – ist kein Gegenargument: dann wird der Text nicht als solcher realisiert oder er
verfehlt schlichtweg seine Wirkung. Genau so argumentieren wir im Alltag mit der
Mittel-Zweck-Relation: Ein Auto ist nicht deswegen kein Mittel zur Fortbewegung, weil
es defekt sein kann.
Sinnvoll ist die Kritik WIEGANDS (2001), dass das theoretische Konzept von
Illokutionsstrukturen in Texten, wie es bei BRANDT/ROSENGREN (1991) verwendet
wird, problematisch ist. Texte sind keine Handlungen und enthalten auch keine. Daher
ist jetzt die Frage zu diskutieren, wie sich die Illokutionsstrukturmodelle sinnvoll
modifizieren lassen.
101
Vgl. HEINEMANN/VIEHWEGER (1991), S. 209 ff.
102
Vgl. ebenda.
60
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
103
Ebenda, S. 214
61
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
Ein wesentliches Problem der Beschreibung von Schreiberstrategien liegt darin, dass
sie nicht direkt beobachtbar sind. Eine sinnvolle Möglichkeit ist aber, die aus dem
Zusammenhang zwischen Textstruktur und Zielstruktur auf die Strategien des
Schreibers zu schließen. Voraussetzung für Kommunikation ist Kooperation. Diese
können aber die Beteiligten an der Textkonstitution nicht kontrollieren: sie stehen sich
nicht in einer Situation gegenüber. Bei Schrifttexten kann kooperatives Verhalten also
nur in der Zuwendung zum Text liegen. Daher sind, so HEINEMANN/VIEHWEGER
(1991), Universalien schriftsprachlicher Kommunikation in Anlehnung an die
GRICE’schen Maximen auf die Schriftsprache anzunehmen: „[...]
- Formuliere deinen Text stets aufgabenbezogen und gib dem Rezipienten das Ziel zu
erkennen!
- Beschreibe Sachverhalte und Gegenstände und die Beziehungen zwischen ihnen so,
daß sie vom Partner mit seinen spezifischen Kenntnissen und Fähigkeiten verarbeitet
werden können!
- Überprüfe die Effektivität und Angemessenheit von strategischen Alternativen,
Strukturmodellen und Formulierungsvarianten.“104
Die Allgemeingültigkeit solcher Normen anzunehmen, sei aber, besonders im Hinblick
auf fiktive Texte, nicht ganz unproblematisch. Daher erwägen
HEINEMANN/VIEHWEGER (1991) die Möglichkeit, Schreiberstrategien über die
Aktivierung elementarer Muster zu beschreiben. Im Alltag seien Schreibaufgaben
elementaren Mustern wie Brief, Formular und Einkaufszettel zugeordnet und die
Variabilität der Alltagstextsorten sei gering. Es ließen sich zwei Grundtypen
unterscheiden: einfache Alltagstexte und die Komplexion der intentional-thematischen
Komponenten durch weitere Komponenten mit Stützfunktion (Begründen,
Spezifizieren, Explizieren). Die Aufgaben des Schreibers lägen in der Auswahl und
Sequenzierung sprachlicher Strukturen: „[...] entsprechende Musterstrukturtypen werden
vom Schreiber aktiviert und mit dem eigentlichen Anliegen des geplanten Schrifttextes in
Verbindung gesetzt“.105 Den Zusammenhang zwischen den verschiedenen
Strukturierungen des Texten stellen HEINEMANN/VIEHWEGER (1991) graphisch wie
folgt dar106:
104
Ebenda, S. 220.
105
Ebenda, S. 229.
106
Graphik: Ebenda, S. 227.
62
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
Abbildung 4
Hiermit entfernen sie sich aber wieder von der Möglichkeit ihres Konzepts, den
Zusammenhang zwischen Textstrukturen und Handlungsstrukturen über Strategien
herzustellen: Ihre Graphik interpretiert wiederum Handlungsstrukturen als Strukturen
des Textes, was, wie wir gesehen haben, nicht sinnvoll ist. Eine sinnvolle
handlungstheoretische Auslegung des Strategiekonzepts muss wie folgt aussehen:
Schreiber verfolgen Ziele. Der Text hat eine instrumentelle Funktion innerhalb einer
komplexen Kommunikationssituation, d.h. mit ihm soll durch Sprache eine Handlung
vollzogen werden, die wiederum Teil einer komplexen Kommunikationssituation ist. In
der Grafik fehlen die Subjekte, welche dem Text erst das „Handlungspotential“ geben:
der Autor, der auf Grund bestimmter Ziele mit bestimmten Strategien den Text
formuliert, und der Rezipient, der die Intention des Autors erkennt, akzeptiert und
eventuell die intendierten Folgen realisiert. Erst dann und nur in diesem Sinne wird mit
Texten sprachlich gehandelt. Es handeln immer zwei: der Autor und der Rezipient. In
diesem Sinne kann sich auch Handlungspotential von Texten realisieren, deren Autoren
bereits verstorben sind: diese haben gehandelt, d.h. sie waren mit einem Ziel vor Augen
und mit Strategien sprachlich tätig, als sie den Text produziert haben. Dieser kann nun
heute noch sein Potential entfalten, wenn ein Rezipient ihn liest, die Intentionen
(re-)konstruiert, und danach handelt. Der Text ist in diesem Sinne mit WIEGAND (2001)
Kommunikationsmittel, aber kein Handlungsmittel und er kann zu Folgehandlungen
63
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
führen.107 Das linguistisch Beschreibbare fungiert damit als Mittel zur Realisierung von
Zielen. Dies ist übrigens auch akzeptabel für WIEGAND (2001): „Texte sind Mittel zu
Realisierung eines Zieles“ und „Texte sind Kommunikationsinstrumente“.108 Graphisch
lässt sich dies wie folgt darstellen:
Abbildung 5
Die Textproduktion hat eine Zielhierarchie zur Grundlage, die der Schreiber in
Propositionen umsetzt, wenn er seine Ziele sprachlich verfolgen will. Der Schreiber
muss sich fragen, was er sagen muss, damit der Textrezipient seine Ziele erkennt,
akzeptiert und umsetzt. Zwischen der propositionalen Ebene und dem materiellen
Realisat erfolgt die Umsetzung in lineare sprachliche Strukturen und deren Übersetzung
in die materielle Struktur. Formulieren und Revidierens sowie bilden bei mir, im
Gegensatz zu BRANDT/ROSENGREN (1991), keine eigene Ebene. Diese Vorgänge sind
107
Vgl. WIEGAND (2001), S. 36.
108
Vgl. ebenda, S. 36.
64
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
109
HEINEMANN/VIEHWEGER (1991), S. 232.
65
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
Dieses Kapitel hat zwei Ziele: Es sollen die kognitiven Grundlagen der Textkompetenz
mit VAN DIJK/KINTSCH (1983) dargestellt, und die Bedeutung von Strategien im
Umgang mit Texten noch detaillierter herausgearbeitet werden. Zudem möchte ich
mittels der von WROBEL (1995) gewonnenen Erkenntnisse differenzierter diskutieren, in
welcher Art Schreiber mit Texten Ziele verfolgen – also mit Texten handeln wollen, und
wie sie hierbei explizite Strategien anwenden.
110
VAN DIJK, Teun A./KINTSCH, Walter (1983): Strategies of Discourse Comprehension; New
York et. al. 1983.
66
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
VAN DIJK/KINTSCH (1983) nehmen an, dass beim Satz- und Textverstehen
Strategien eine Rolle spielen, die oft unbewusst und automatisiert sind. Diese Strategien
können als Teile der Textkompetenz verstanden werden – wobei hier die unglückliche
Diskussion Kompetenz vs. Performanz nicht greift, da es um Text- und Weltmodelle
geht, die in direkter Verbindung mit sprachlichen Kompetenzen stehen. Hinter ihrer
Grundidee stehen folgende Annahmen, welche die Autoren am Beispiel des Bezeugens
eines Verkehrsunfalls darstellen111: Der Zeuge konstruiert, um eine Erfahrung darstellen
zu können, ein mentales Modell seiner Wahrnehmungen. Die Personen, die der
Schilderung des Zeugen folgen, konstruieren ebenfalls ein mentales Modell des
Unfallhergangs, wobei beide Modelle niemals identisch sein können. Das Gesagte wird
von Sprecher und Hörer nicht sprachlich im Gedächtnis repräsentiert, sondern als eine
Interpretation in ein mentales Modell integriert. Die Konstruktion des mentalen Modells
findet während der Kommunikation statt. Für das Verstehen der Kommunikation sind
kognitive Informationen notwendig, in welchen soziale Kontextinformationen enthalten
sein müssen. Mentale Modelle ermöglichen die flexible Erzeugung und Interpretation
der Informationen über eine Tatsache auch zu einem späteren Zeitpunkt. Ein Diskurs ist
ein sozialer Prozess, in welchem die Sozialdimension und die kognitive Dimension
interdependent sind. Kommunikation wird von Sprecher und Hörer als intentionaler
Akt verstanden: Sprecher und Hörer konstruieren eine kognitive Repräsentation der
verbalen und nonverbalen Interaktion zwischen sich, weisen sich gegenseitig Rollen zu
und konstituieren danach ihre Ziele und Strategien. Strategiewissen ist ein offenes
Wissen, d.h. es muss gelernt und kann überlernt werden. Es fällt also für VAN
DIJK/KINTSCH (1983) unter Knowing how, welches durch Lernen erweitert werden
kann. Für die propositionale Strukturierung kognitiver Strukturen spricht ein großer
Teil psycholinguistischer Studien zu diesem Thema.112 Was genau verstehen VAN
111
Vgl. ebenda, S. 4 ff.
112
Vgl. z.B. LESGOLD, A.M. (1972): Pronominalizations: A device for unifying sentences in
memory. Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior, 1972, 11, S. 316 – 323. Angabe in VAN
DIJK/KINTSCH (1983), S. 38. KINTSCH, Walter (1974): The Representation of meaning in Memory.
Hillsdale, N.J.: Erlbaum, 1974. Angabe in VAN DIJK/KINTSCH (1983), Ebenda. FORSTER, K.I.
(1970): Visual perception of rapidly presented word sequences of varying complexity. Perception and
Psychophysics, 1970, 8, S. 215 – 221. Angabe in VAN DIJK/KINTSCH (1983), Ebenda. RATCLIFF,
R. & MCKOON, G. (1978): Priming in item recognition: Evidence for the propositional structure of
67
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
DIJK/KINTSCH (1983) nun unter Strategien? Der Begriff „Strategie“ bezieht sich auf
menschliche Handlungen, welche zielorientiertes, intentionales, bewusstes und
kontrolliertes Verhalten darstellen. Intentionen sind Repräsentationen von Handlungen
und ihren Resultaten, während Zwecke und Ziele Repräsentationen von erwünschten
Konsequenzen einer Handlung sind. An Interaktionen sind mehrere Akteure mit
eigenen Zielen an einer Handlung beteiligt, welche koordiniert werden müssen. Dies
erfordert Wissen über den Anderen. Auf Grund der Komplexität unserer Handlungen
und Interaktionen machen wir globale Handlungspläne, welche kognitive
Makrostrukturen von Intentionen und Zielen sind und eine durch eine Makroaktion
dominierte Hierarchie bilden. Unterschiedliche Wege können – mit unterschiedlichen
Mitteln – zum selben Ergebnis führen: An den Abzweigungen des Weges muss der
Akteur Entscheidungen fällen. Genauso wie Pläne globale Konzepte von
Makrohandlungen und ihren letzten Zielen sind, sind Strategien globale
Repräsentationen über die Mittel und Wege zum Ziel. Dabei dominieren globale Mittel
eine Reihe von untergeordneten, detaillierteren Entscheidungen und Handlungen. Plan
und Strategie unterscheiden sich darin, dass ein Plan eine weniger globale Repräsentation
einer Handlung darstellt, während eine Strategie eine globale Repräsentation der Art der
Durchführung der Handlung ist. Eine Strategie ist also keine detaillierte Repräsentation
von Handlungssequenzen. Strategien und Pläne werden vermutlich zusammen
repräsentiert. Im Alltag ist nicht alles von Strategien bestimmt – wir bemühen Strategien
meist dann, wenn Ziele eine bestimmte Wichtigkeit haben. Strategien dienen der
schrittweisen Planung von komplexen Handlungszusammenhängen, welche zu einem
bestimmten Ziel führen. An jedem Punkt sind verschiedene Optionen des Fortsetzens
der Handlung möglich. Gleichzeitig ist das Wissen über Kontexte, Konsequenzen und
andere beteiligte Personen aber limitiert – Strategien optimieren hier die
Entscheidungsfindung. Im Zusammenhang mit Sprache ist der Begriff der Strategie nicht
unumstritten und wird in der Regel nur auf Satzprozessualisierung angewandt. Folgende
Gründe führen VAN DIJK/KINTSCH (1983) für eine Verwendung des Begriffs „Strategie“
im Zusammenhang mit Texten an:113 Im Sprachverstehen und in der Sprachproduktion
ist der Sprachbenutzer immer mit dem Verstehen von Handlungen konfrontiert. Solche
sentences. Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior, 1978, 17, S. 403 – 418. Angabe in VAN
DIJK/KINTSCH (1983), S. 41.
113
Vgl. VAN DIJK/KINTSCH (1983), S. 71 f.
68
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
Handlungen haben einen ziemlich gut definierten Ausgangszustand und einen Endpunkt
oder ein Ziel. Dieses Ziel ist allerdings häufig unscharf: Zusätzlich zum Gesagten oder
Gelesenen, welches wohldefinierte Ziele hat, meinen oder intendieren wir etwas,
verstehen solche Meinungen und Intentionen oder verstehen etwas in einem
allgemeineren Sinn. Die Aufgabe des Verstehens ist komplex, sie besteht aus einer Reihe
an Unteraufgaben, welche Schritt für Schritt ausgeführt werden müssen. Wir können
eine Äußerung aber nicht verstehen, indem wir nur eine Aufgabe vollenden. Außerdem
sind im Allgemeinen die Teilaufgaben nicht eindeutig: Informationen können nicht oder
nur unvollständig zur Verfügung und alternative Wege offen stehen. Diese
Uneindeutigkeit muss während des Verstehens- und Produktionsprozesses aufgelöst
werden – eine Aufgabe, die VAN DIJK/KINTSCH (1983) Strategien zuschreiben. Ein
allgemeineren Grund für die Verwendung des Terminus „Strategie“ im Zusammenhang
mit Sprachverwendung ist, dass Sprachverwendung in Regeln beschrieben wird, welche
eine allgemeine Natur haben, da sie Möglichkeiten einschränken. Regeln repräsentieren,
was Sprachbenutzer im Allgemeinen tun – Regelverwendung liegt also in der
spezifischen Natur von sprachlichen Ereignissen.114 Sprachbenutzer haben aber
begrenzten Speicher, vor allem im Bereich des Kurzzeitgedächtnisses und können
deshalb nicht beliebig viele verschiedene Arten von Information zur selben Zeit
verarbeiten. Die Produktion und das Verstehen von sprachlichen Äußerungen ist daher
linear, während aber die Strukturen der mentalen Modelle hinter den Äußerungen
größtenteils hierarchisch sind. Weitere mentale Kapazitäten werden während der
Produktion und dem Verstehen von Diskursen benötigt, um neben sprachlichen oder
grammatischen Informationen auch Informationen über den Kontext, Weltwissen etc.
zu verarbeiten. Dies optimal zu lösen, ist nicht in den Regeln der Sprache festgelegt, da
diese lediglich die Möglichkeiten korrekter Äußerungen restringieren. Erst Strategien
erlauben dem Sprachbenutzer, diese Probleme zu lösen. Diskursstrategien sind eng mit
syntaktischen und semantischen Satzstrategien verbunden: Die Produktion und das
Verstehen von Sätzen sind abhängig von Textinformationen.
114
Vgl. ebenda, S. 72 f.
69
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
70
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
werden, der zwei Propositionen suggeriert (Proposition splitting) oder eine Tatsache wird
in einem Satz mit nur einer Proposition zusammengefasst (Proposition fusion). Auch die
Wiederaufnahme von Informationen ist von der Satzstruktur abhängig.
Zusammenfassend finden VAN DIJK/KINTSCH (1983) folgende propositionale
Strategien, die für das Textverstehen von Bedeutung sind:
1. Versuche ein propositionales Schema zu etablieren, wenn Dir Informationen von
oder über ein Weltfragment gegeben werden.
2. Beginne die Konstruktion mit bereits gegebenen Informationen. Folge der
Wortreihenfolge, den syntaktischen Kategorien oder anderen Dingen der
Oberflächenstruktur.
3. In zusammengesetzten Sätzen folge den Signalen der Teilsatzstruktur – also
interpretiere Hauptsätze als Hauptpropositionen und Nebensätze als eingebettete
Propositionen.
4. Wenn Modifikatoren durch Wissen, Ziele oder Vorstellungen für den folgenden
Diskurs relevant scheinen, konstruiere für sie eine eigene Proposition
(Proposition splitting).
5. Wenn neue Propositionen wenig relevant sind, füge sie als Modifikator an bereits
bestehende an (Proposition fusion).
6. Bekannte Information sollte als propositionales Schema aus dem Gedächtnis
abgerufen werden. Entscheide dann über die Strategie des Umgangs mit neuen
Informationen.
7. Für alle fokussierten Elemente der Oberflächenstruktur verfolge die Splitting-
Strategie.
8. Für ungrammatische Elemente folge den hier genannten Strategien. 115
Die Evidenz dieser propositionalen Strategien können die Autoren in eigenen
Experimenten nachweisen.116
115
Ebenda, S. 103. Übersetzung und Kürzung der Zusammenfassung aus dem Originaltext: M.K.
116
Vgl. ebenda, S. 145 ff.
71
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
117
Interessant ist, dass die Autoren Kohäsion als eigene Eigenschaft nicht kennen – eben weil sie,
wie auch ich, sehen, dass Verbindungen zwischen Sätzen immer auf der semantischen Ebene und
nie allein auf syntaktischer Ebene existieren.
118
Hier müsste man der Konsequenz halber sagen: Signale aus dem Text. Es ist aber anzunehmen,
dass VAN DIJK/KINTSCH (1983) bei Text bereits von einem kognitiven Interpretament ausgehen.
72
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
119
Ebenda, S. 152. Übersetzung und Zusammenfassung aus dem Originaltext: M.K.
120
Vgl. ebenda, S. 190.
73
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
121
Dies trifft, bei strikter Redeweise, auch auf morphophonologische und syntaktische Strukturen
zu.
122
Vgl. Abschnitt V.1.3.1.4 dieser Arbeit.
123
Vgl. ebenda, S. 200. Übersetzung und Zusammenfassung aus dem Originaltext: M.K.
74
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
124
Ebenda, S. 222 ff.
75
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
- eine komplexe Version, in welcher das Zielobjekt sehr detailliert beschrieben wurde,
die sonst aber identisch mit der Basisversion war;
- eine überraschende Version, ein welcher das Zielobjekt außerhalb des Kontextes
eingeführt wird.
Es existieren zwei verschiedene Grundgeschichten für die Texte: Sie spielen entweder in
den Rocky Mountains oder in Manhattan. In den Bergen treffen die Jungen auf eine
Bergziege (Basistext und komplexe Version) oder auf einen Bus (überraschende
Version), in der Stadt auf einen Bus (Basistext und komplexe Version) oder auf eine
Bergziege (überraschende Version). Die Texte sind fragmentarisch und enden einen
Satz nach dem Zielobjekt und sollten durch die Versuchspersonen komplettiert werden,
wobei ihnen als Ziel der Untersuchung angegeben wurde, man wolle sehen, wie gut die
Versuchspersonen das Ende in 2 bis 3 Sätzen darstellen könnten. Nach der
Komplettierung des Textes wurden den Versuchspersonen die jeweiligen Zielobjekte
genannt, mit der Bitte, sie in Bezug auf Überraschung, Interesse etc. zu charakterisieren.
Die Ergebnisse entsprachen den Erwartungen: Der Interessantheitsgrad und der
Überraschungseffekt des Zielobjekts stiegen in der Bewertung der Versuchspersonen
vom Basistext über die komplexe Variante zur überraschenden Variante begleitet von
einer jeweils signifikant höheren Wahrscheinlichkeit seiner thematischen Fokussierung
an. Um das Ergebnis zu verifizieren, wiederholten die Autoren das Experiment etwas
modifiziert mit anderen Versuchspersonen. Dabei wurden die Zielobjekte in
unerwartbare, aber nicht groteske Kontexte gesetzt. In dem hier verwendeten ersten
Text beobachtet eine junge Frau Tiere im Zoo, sie sieht im Primatenhaus Schimpansen
(Basisversion) oder Leoparden (überraschende Version). Der zweite Text wurde
lediglich durch Austausch des Ortes (Katzenhaus) und die Umkehrung der Tatsachen
(Basisversion: Leopard im Katzenhaus) erzeugt. Der Überraschungseffekt wurde in
dieser modifizierten Replikation erwartungsgemäß abgeschwächt, die Markierung des
Zielobjektes durch die Komplexität der Beschreibung und den Überraschungseffekt aber
bestätigt. Aus den Ergebnissen lässt sich also ableiten, dass die Bildung von
Makrostrukturen durch die Strategien „Interessantheit“ oder „Niveau der Beschreibung“
gesteuert ist. Natürlich sind diese Strategien nicht die einzigen, sondern wirken
interdependent mit anderen bei der Erzeugung von Makrostrukturen.
76
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
1.3.1.4. Schemastrategien
77
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
Intention des Schreibers – erlaubt. Dies ist möglich durch kanonische rhetorische
Formen, welche bestimmte Kategorien klar signalisieren. Es wird angenommen, dass
ohne solche Formen Missverstehen wahrscheinlicher wird. Im Experiment werden
Versuchspersonen rhetorisch gute und schlechte Texte gleichen Inhalts vorgelegt, mit
der Annahme, dass sie den rhetorisch gut organisierten Text besser verstehen, weil sie
leichter Makrostrukturen formen können. Die Texte waren zwischen 205 und 410
Wörtern lang, wobei darauf geachtet wurde, dass die verschiedenen Versionen eines
Texte gleichlang sind. Im Anschluss an die Lektüre wurden den Versuchspersonen
Fragen dazu gestellt, worum es in dem Text gehe und was die Hauptideen des Autors
seien. Die Versuchspersonen antworteten tatsächlich besser, wenn sie den rhetorisch
besseren Text gelesen hatten. In einem zweiten Experiment zur Replikation der
Ergebnisse wurden zwei verschieden komplexe Texte benutzt, und zwar jeweils in einer
Version, in der die ursprünglich gute rhetorische Struktur verschleiert wurde. Der
komplexere Text ergab hierbei, wie erwartet, wesentlich schlechtere
Verstehensergebnisse. Zu vermuten ist, dass bei Abwesenheit einer klaren und
etablierten rhetorischen Struktur oder einer überkomplexen Formulierung die Gefahr
der Anwendung einer inadäquaten Makrostruktur steigt.
VAN DIJK/KINTSCH (1983) behandeln auch den pragmatischen Aspekt der Sprache
unter dem Aspekt sprachlicher Strategien. Kulturelle Strategien als Teil der
pragmatischen Strategien des Diskursverstehens zielen auf die effektive Selektion
kultureller Informationen. Ein Hörer/Leser kann und muss den kulturellen Hintergrund
des Sprechers/Schreibers oder die Produktionszusammenhänge kennen, um einen Text
zu verstehen. So versuchen Hörer häufig, Inferenzen über die Kultur des Sprechers zu
aktualisieren. Das Verstehen von Diskursen fremder Kulturen ist gegenüber dem
Verstehen von solchen eigener Kulturen der markierte Fall: Normalerweise stehen uns
Inferenzen über unseren eigenen kulturellen Hintergrund automatisch zur Verfügung.
Ein generelles Prinzip kultureller Strategien des Textverstehens ist also, dass es abhängig
ist von den Vorstellungen des Hörers über den kulturellen Kontext der Äußerung.
Soziale Strategien als Teilmenge der pragmatischen Strategien beinhalten Wissen über
Gruppenstrukturen und Institutionen einer Kultur. Sprecher aktivieren in verschiedenen
78
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
Bei der Rekonstruktion der Strategien der Textproduktion gehen VAN DIJK/KINTSCH
(1983) davon aus, dass der Prozess der Textproduktion nicht einfach als eine
Umkehrung des Textrezeptionsprozesses zu verstehen ist. Nur in abstrakten Modellen
sind die Regeln für Produktion und Rezeption gleichartig und werden lediglich
richtungsverschieden angewandt, nicht so in kognitiven Modellen. Verstehen und
Produzieren von Äußerungen sind aber natürlich auch nicht völlig separate Prozesse,
welche nichts gemeinsam haben. Dies wäre einerseits unökonomisch und andererseits
vor dem Hintergrund unverständlich, dass auch im Verstehensprozess aktive,
79
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
konstruierende Teilprozesse eine Rolle spielen. Interessant für ein Modell der Text-
produktion ist also die Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zum Prozess
der Sprachrezeption. Gemeinsam müssen beiden Prozessen die Beschränkungen sein,
welche die Konstitution des Menschen vorgibt. So gilt die These über die Limitierung
des Kurzzeitgedächtnisses (STM) auch für die Textproduktion. Daher können
Sprachbenutzer nicht erst eine lange Passage als Propositionen konstruieren, welche
dann sprachlich ausformuliert werden. Der strategische Zugang zur Sprachproduktion ist
also sinnvoll, wenn nicht gar zwingend. Die Diskursproduktion ist als Planung und
Durchführung von Handlungen ein Teil der Steuerung der sozialen und kulturellen
Kommunikationssituation. Zuerst ist hierzu eine Entscheidungsstrategie für die Frage
notwendig, ob eine Handlung die Situation in die gewünschte Richtung verändert. Eine
weitere Strategie muss die möglichen Handlungen des Agenten inklusive möglicher
Alternativen und deren Kohärenz mit seinen Globalzielen analysieren helfen.
Gleichzeitig werden die Makropropositionen des Makrosprechakts von der Analyse der
interaktionalen Situation abgeleitet und führen dann zum Makrosprechakt und zum
Thema des Diskurses. Die strategische Sprechaktplanung auf der globalen Ebene bringt
aber noch keine konkreten pragmatischen Informationen hervor, da ein Sprecher nicht
ohne die semantische Planung über mögliche konkrete Sprechakte entscheiden kann.
Die Ausführung eines globalen Sprechaktes ist ein strategisches Unternehmen, denn das
globale Ziel wird mit Hilfe lokaler Sprechakte erreicht, die der jeweiligen Lage angepasst
sein müssen. Die zentrale Strategie dabei ist, erfolgreich Subziele zu verwirklichen um
zum globalen Ziel zu gelangen. Auf der Ebene lokaler Strategien bedarf es relevanter
Züge, um das Wissen oder die Meinung des Hörers zu beeinflussen. Seine lokalen
Strategien in Alltagsgesprächen sind dem Sprecher nicht immer bewusst, sie sind aber
prinzipiell bewusstseinsfähig.125
In monologischen Diskursen – wozu auch die schriftlichen Texte zu zählen sind – ist
nicht die direkte Situation für die Diskursplanung und -produktion relevant, sondern
hier steht die Vorwegnahme möglicher Einwände des Lesers im Vordergrund. Die
Planung schriftlicher Diskurse muss deshalb, so VAN DIJK/KINTSCH (1983) bewusster
und besser durch einen globalen Plan kontrolliert sein.126
125
Hier setzen u.a. Verhaltenstherapien an: Sie helfen, solche Strategien zu reflektieren, wenn sie
zu Konflikten führen.
126
Vgl. ebenda, S. 269.
80
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
Sprache und Diskurs werden in erster Linie auf der Ebene von sozialer Interaktion
beschrieben, von welcher Syntax und Semantik abhängen. Dies weist, so die Autoren,
darauf hin, dass Bedeutungskonstruktion kein autonomer Prozess ist. Der strategische
Zugang betont die Kooperation und die Gleichzeitigkeit der verschiedenen
Strukturebenen im Produktionsprozess. Semantische Produktionsstrategien als Teil der
Diskursproduktion sollten in derselben Art beschrieben werden wie semantische
Verstehensstrategien: Semantische Makrostrukturen kontrollieren die Formulierung
semantischer Repräsentationen – sie dienen als globaler Produktionsplan. Das Thema
bzw. der Gegenstand eines Gesprächs oder eines Textes und somit dessen
Makrostruktur müssen aus Gedächtnisinformationen konstruiert werden.
Zusammenfassend lassen sich folgende propositionale Strategien für die
Textproduktion angeben:
1. Führe eine mögliche Welt, eine Zeit und einen Ort ein! Wenn diese konstant
sind, nutze sie implizit oder signalisiere sie marginal, wenn sie sich ändern,
signalisiere die Veränderung explizit!
2. Führe die Hauptpersonen, vor allem die Agenten, zuerst ein! Wenn sie
bereits eingeführt sind, erwähne sie marginal (z.B. durch Pronomen)!
3. Führe ein Prädikat für die Partizipanten ein!
4. Aktualisiere die typischen propositionalen Rollenschemata des Prädikates!
5. Führe andere Beteiligte in ihren Rollen ein – zuerst Personen, dann Objekte,
Zeit und Ort zuletzt! 127
Abhängig von der Wichtigkeit oder der pragmatischen Relevanz werden auch in der
Sprachproduktion Propositionen gesplittet oder kombiniert, neben- oder untergeordnet.
Wichtig für Textproduktionsstrategien ist, dass jede semantische oder pragmatische
Information in der Oberflächenstruktur oder mit parallelen, paratextuellen Handlungen
ausgedrückt werden kann. Ein generelles Modell müsste natürlich wesentlich mehr
Strategien mit einbeziehen. An dieser Stelle erlaubte die gebotene Kürze nur die
Zusammenfassung eines Modells, welches seine Autoren zudem selbst als eine Skizze
bezeichnen.128
127
Vgl. ebenda, S. 281. Übersetzung und Zusammenfassung aus dem Originaltext M.K.
128
Vgl. ebenda, S. 293.
81
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
Das Modell VAN DIJK/KINTSCH (1983) scheint mir aus mehreren Gründen besonders
gut für die Darstellung einiger Aspekte der Textkompetenz geeignet. Es erfasst Text als
Phänomen in unserer Wahrnehmungswelt, als kognitives Konstrukt auf Grund lautlich
oder graphisch kodierter sprachlicher Informationen. Es zeigt, welche verschiedenen
kognitiven Strategien bei der Sprachverarbeitung notwendig sind, ohne den Blick auf ein
Modul rein sprachlicher Kompetenz zu beschränken – es umfasst also in CHOMSKYS
Sinne die Begriffe Kompetenz und Performanz. Trotz seiner empirischen Ausrichtung
ist dieses Modell unter rekonstruktiver Sprachwissenschaft im Sinne von HABERMAS zu
fassen, da seine Untersuchungen von Sprecherurteilen ausgehen. Die
Strategierekonstruktion hat den Vorteil, automatisierte Strategien, die unbewusst sind,
bewusst zu machen. VAN DIJK/KINTSCH (1983) argumentieren mit kognitiven
Strukturen, die nicht prinzipiell unbewusst – also einfach nicht bewusstseinsfähig - sind,
sondern mit Strukturen, die jedes Subjekt reflexiv erfassen kann. Empirisch zu belegen
wäre, ob sich aus diesem reflexiven psycholinguistischen Konzept ein didaktisches
Konzept erarbeiten lässt, das im Zusammenhang von Textrezeptions- und
Textproduktionskompetenz die Textkompetenz im Gesamten zu steigern in der Lage
ist. Dies scheint nahezuliegen, weil das Textproduktionsmodell, das die Autoren
skizzieren, auf Begriffe ihres Textrezeptionsmodells zurückgreift, welche reflexiv
bewusstseinsfähig sind.
Ebenfalls wichtig für die Diskussion der Textkompetenz sind Nachweise der
psychischen Relevanz von Superstrukturen durch VAN DIJK/KINTSCH (1983). Diese
untermauert die Annahme einer Textsortenkompetenz als Teil der globalen
Textkompetenz, welche ich in einem weiteren Kapitel genauer ausführen werde.
Außerdem stärken die Ausführungen von VAN DIJK/KINTSCH (1983) über pragmatische
Strategien meinen Widerspruch gegen WIEGAND (2001). Die Lösung des diskutierten
Sprechhandlungsproblems in Bezug auf Texte geht aus den Ausführungen der Autoren
nicht explizit hervor, ist aber dennoch ableitbar: Illokutionen sind Interpretationen von
Sprecher-/Schreiberintentionen durch den Schreiber oder den Leser – sie sind Strukturen
des kognitiven Konstrukts Text, nicht aber der graphisch-sprachlichen Materialisierung.
Dass sich ihre Thesen in dieser Hinsicht auch empirisch nachweisen lassen, wird das
folgende Kapitel zeigen.
82
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
Da der im Abschnitt V.1.1 aufgeworfene Disput über die Verbindung von Handlung und
Text nicht endgültig durch VAN DIJK/KINTSCH (1983) entschieden ist, möchte ich
hierzu eine empirische Studie konsultieren: WROBELS (1995) Studie „Schreiben als
Handlung“.129 Auch diese Studie geht, wenn wir sie zuerst auch empirisch genannt
haben, den Weg der rekonstruktiven Sprachwissenschaft: Sie lässt Sprachbenutzer Texte
verfassen und wertet diese in Verbindungen mit Äußerungen von Sprechern über ihre
Handlungen aus.
Im Mittelpunkt der theoretischen Vorarbeiten WROBELS (1995) steht die Diskussion der
Widersprüche in der Auffassung „Schreiben als problemlösende Informations-
verarbeitung“. Diese, so der Autor, entziehe das „Schreiben“ dem sprachwissenschaft-
lichen Zugriff, da sie Schreiben nicht als Produktion von Texten betrachtet. Außerdem
seien die postulierten kognitiven Komponenten nicht schreibspezifisch und der
Zusammenhang zwischen kognitiven Prozessen und der sprachlichen Struktur gerate
nicht in den Blick. Auch sei beim „Schreiben als Problemlösen“ in vielen Darstellungen
unklar, welches das Problem sei, das hier gelöst werde.130 WROBEL (1995) sucht nun
nach einem Begriffsrahmen, der eine Alternative bietet, um Schreiben auch als
sprachkonstituierten Prozess explizieren und in sozial-kommunikative Aufgaben und
interne Organisationsprinzipien des Schreibens differenzieren zu können. Diese
Möglichkeit hofft er in einer handlungstheoretischen Perspektive auf das Schreiben zu
finden. Er führt als Grundbegriffe einer handlungstheoretischen Textproduktionstheorie
die Begriffe „Intention“, „Motiv“, „Ziel“ und „Zweck“ so ein, wie sie in der allgemeinen
Handlungstheorie aufgefasst werden und nimmt als Gesamtrepräsentation dieser einen
Handlungsplan an. Das Erreichen von Zielen werde durch Strategien optimiert, für
129
WROBEL, Arne (1995): Schreiben als Handlung. Tübingen: Max Niemeyer 1995. S. 4.
130
Vgl. ebenda, S. 22.
83
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
Für seine empirischen Untersuchungen zieht WROBEL (1995) vier Datenquellen heran:
Daten über den realzeitlichen Handlungsverlauf, Zwischenprodukte der
Textproduzenten, Recall-Interviews mit den Produzenten (nachträglich erhobene
verbale Daten) und Think-aloud Protokolle während der Textproduktion. Letztere
gehen daraus hervor, dass die Produzenten gebeten wurden, alles, was sie während der
Produktionsphase denken, laut zu äußern. Gegenstand aller untersuchten Produktions-
prozesse waren nichtliterarische Textarten: Zusammenfassungen, Geschäftsbriefe,
persönliche Briefe und Wegbeschreibungen. Gründe für diese Beschränkung waren die
Notwendigkeit, nicht zu zeitaufwendige Schreibprozesse im Experiment realisieren zu
müssen und die Idee, bekannte Schreibaufgaben aus dem Alltag, also bereits
131
Ebenda, S. 25 f.
132
Vgl. hierzu Abschnitt V.1.1 dieser Arbeit.
84
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
133
Kriterium war das Vorhandensein eines finiten Verbs.
134
Ebenda, S. 54 ff.
85
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
zwischen Abätzen > zwischen Sätzen > zwischen Teilsätze > zwischen Wörtern > in
Wörtern
135
Vgl. ebenda, S. 56.
136
Vgl. ebenda S. 61 f.
137
Vgl. FLOWER, Linda/HAYES, John R. (1980): The dynamics of composing: Making plans and
juggling constraints. In: GREGG, L.W./STEINBERG, E.R. (eds.): Cognitive processes in writing.
Hillsdale, N.J. Erlbaum, S. 31 – 50; DIESELB. (1981): The pregnant pause. An inquiry into the nature
of planning. In: Research in Teaching of English, 15, S. 120-160. Ausgeführt in: WROBEL (1995),
S. 11. Vgl. auch: MOLITOR-LÜBBERT, Sylvie (1996): Schreiben als mentaler und sprachlicher
Prozeß. In: GÜNTHER/LUDWIG (1995), S. 1005 – 1027.
138
Vgl. ebenda, S. 85.
86
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
abhängig vom schon verfertigten Text und wirkt gleichzeitig auf vorgelagerte
Teilprozesse der Textproduktion zurück. Im schriftlichen Formulieren, so WROBEL
(1995), werden kommunikationsbezogene Aufgaben monologisch bewältigt. Die
Produktion von Schrifttexten zeichne sich durch relative Eigenständigkeit der
Formulierungsprozesse und -resultate aus, d.h. die Spuren der Entstehung sind hier
weitgehend getilgt und Leser haben keinen direkten Einfluss auf die Textproduktion.
Ihnen steht – im Gegensatz zur mündlichen Kommunikation – nur das Resultat der
Sprachproduktionshandlung zur Verfügung. In Abgrenzung zu HAYES/FLOWER (1980)
schlägt WROBEL (1995) ein Modell der schriftlichen Textproduktion vor, in dem
Revidieren und Formulieren eine Einheit bilden: Die Möglichkeit des Revidierens
unterscheide das Schreiben wesentlich vom Sprechen. Traditionell wird Revidieren als
Retranskription erfasst, d.h. eine Dissonanz zwischen mentaler Repräsentation des
Textes und der manifestierten Repräsentation führt zu einer „Neuübersetzung“ des
gedanklichen Inhalts in Sprache. Diese Sicht kritisiert WROBEL (1995) als zu
produktorientiert – ihr fehle die Sicht auf den Prozess.
In ersten Untersuchungen kommt er zu folgenden Ergebnissen: Die Häufigkeit der
Revisionen schwankt stark von Schreiber zu Schreiber und ist abhängig von der Textart.
Pausen, in denen Revisionen auftreten, sind im Mittel doppelt so lang wie Pausen ohne
Revisionen, satzexterne Revisionen sind in der Regel weitaus zeitaufwändiger als
satzinterne Revisionen. Häufig sind Sequenzrevisionen, selten aber
Makrokonzeptrevisionen festzustellen. Letztlich spielen Textrevisionen, so WROBELS
(1995) vorläufiges Urteil, „[…] für den Prozeß der Textproduktion eine nur untergeordnete
und weitgehend überschätzte Rolle. Sie sind als Veränderungen bereits produzierter
Textsegmente weder für der Prozess der Textplanung noch für die Textformulierung
konstitutiv. Ihre Funktion besteht vielmehr in oberflächenorientierten, weitgehend in den
Prozess der Äußerungsformulierung integrierten Modifikationen von mental bereits
festgelegten Text-, Satz- und Formulierungsplänen.“139 Dies kann natürlich für größere
Textformen, aber auch für kooperative Textformen wie Pressetexte, nicht stimmen. Die
Untersuchung ist hier blind für die Abhängigkeit des untersuchten Phänomens von
Textsorten auf Grund der engen Textsortenauswahl in der Untersuchung – dies sieht
139
WROBEL (1995), S. 100.
87
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
WROBEL (1995) auch und benennt es später selbst als Beschränkung seiner
Untersuchungsergebnisse.140
In der Fortsetzung seiner Untersuchungen versucht WROBEL (1995), „Revidieren“
als eine kognitive Operation zu begreifen, die sich auf der Basis von Zielen und
textbedingten Einschränkungen vollzieht. Aus dieser Perspektive übt er konstruktive
Kritik am „Übersetzungsmodell“ von HAYES/FLOWER (1980/1981).
1.3.2.3. Prätexte
WROBEL (1995) führt hierzu für mentale Vorstufen von Textäußerungen den Begriff
„Prätext“ ein und weist diese über Experimente mit Think-aloud-Protokollen nach.
Folgendes lässt sich über die Struktur von Prätexten sagen: Prätexte als mentale
Vorstufen von Textäußerungen haben eine Mittlerfunktion zwischen abstrakten
Schreiberzielen, -intentionen und -plänen sowie seinen manifesten Textäußerungen. Sie
scheinen (nach Think-aloud-Protokollen) die mentale Erprobung sprachlicher
Alternativen zu erlauben. Eine große Zahl von Revisionsprozessen findet also bereits auf
der Ebene der Prätexte statt, was den Schluss zulässt, dass Revision eine Subkomponente
des Planungsprozesses ist. Dies lässt sich an Think-aloud-Protokollen nachweisen: Sie
enthalten eine große Menge sprachlichen Materials unterschiedlichen Typs, das im
Endprodukt nicht auftaucht: Reflexionen, Vorformulierungen, Lesen bereits
geschriebener Textteile, Mitsprechen während der Niederschrift. Vorformulierungen
seien nun, so WROBEL (1995), mit Prätexten vergleichbar, da sie teilweise Material und
Struktur des zu schreibenden Textteils enthielten. Reflexionen, Koformulierungen und
Nachlesen seien Indikatoren für bestimmte kognitive Prozesse zur Erzeugung von
Vorformulierungen. Hier ein Originalbeleg aus der großen Menge der Belege in
WROBEL (1995):
140
Vgl. ebenda, S. 101.
88
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
„VP 19 GBLD
Vor 4 Wochen haben Sie bei mir eine Waschmaschine angeschlossen. Die
Rechnung Nr. 276/88 darüber habe ich bereits beglichen. Der dafür
verwendete Laugenschlauch, Kosten 2,55 DM, war nach einer Woche
defekt und Sie ersetzten ihn.
Eine Woche später (unv.); da es sich hierbei um einen Materialfehler handeln muß,
der nicht durch Fehlbedienung/da dieser Fehler im Material liegen muß und nicht
durch Fehlbedienung bedingt sein kann, hm, sehe ich keine (unv.) Veranlassung, nee
Quatsch; die darüber erstellte Rechnung dreieinundneunzig, hm, ich sehe nicht
ein/...; der dafür verwendete Laugenschlauch war nach einer Woche defekt und sie
ersetzten ihn. Dafür stellten Sie eine
Dafür stellten Sie eine die Rechnung Nr. 391/88 über 78,56 DM aus.“141
141
Originalbeleg. Ebenda, S. 111. Wrobel verwendet folgende Transkriptionskonventionen:
„manifester Text – normal und eingerückt, Reflexionen – normal,
Vorformulierungen – unterstrichen, Nachlesen – kursiv“ (Ebenda, S. 108)
142
Ebenda, S. 111.
89
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
kennzeichnet kontextuelle Revisionen und die Einpassung der Prätexte in den bereits
produzierten Textzusammenhang nennt man Kotextualisierung.
90
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
„[...]
(5) .. zur Vorgehensweise: ich muß als erstes kurz den Sachverhalt schildern,
damit klar ist, was ich überhaupt reklamiere oder worüber ich mich
beschwere; Höflichkeit ist nicht am Platz, also keine Anrede, hm; womit
fang ich an? Damit daß vor 3 Wochen die Waschmaschine angeschlossen
wurde
(6) jetzt kommt das eigentliche Anliegen, die Beschwerde; die Beschwerde
darüber, daß nen’neuer Schlauch länger halten muß als 3 Wochen ...
143
WROBEL (1995) nimmt hier Bezug auf VAN DIJK/KINTSCH (1983). Vgl. hierzu Abschnitt
V.1.3.1 dieser Arbeit.
91
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
(7) so, der moralische Appell, wie bau ich das jetzt auf? Womöglich, daß ich bis
jetzt zufrieden war mit der Arbeit dieser Firma ...
(8) ... inwieweit muß ich denn jetzt noch erklären, was da vorgefallen ist; das
Beste ist, ich sag’ das mal in zwei kurzen Sätzen [...]“144
144
Originalbelege aus WROBEL (1995), S. 171, Hervorhebungen original.
145
Vgl. ebenda, S. 172.
92
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
„(12) Vp 5 WBLD
also, ich überleg mir jetzt den günstigsten Weg für jemanden, der sich in Marburg
nicht auskennt. Da geht das Problem schon los, daß ich nicht genau weiß, wie die
Straße heißt, die neben der Autobahn Richtung Phil. Fak. verläuft; Hm; außerdem
ist das auch ein blöder Weg. Also, ich wird ihn durch die Stadt schicken, dann kriegt
er auch gleich was mit so’n bißchen von der Stadt.“146
Die globale Intention dient hier als Konzept. Sie ist das Prüfungskriterium für die
Eignung der Subkonzepte („...günstigsten Weg für jemanden, der sich in Marburg nicht
auskennt ...“). Als Prüfungskriterium beim Problemlösen („...nicht genau weiß...“) führt
das Konzept zur Rekategorisierung von „günstiger Weg“ nach „blöder Weg“ auf Grund
des fehlenden Wissens und zur Neuentscheidung für einen Weg durch die Stadt als
realisierbares Subkonzept.
In Geschäftsbriefen spielt die illokutive Komponente, so WROBEL (1995), eine
ungleich größere Rolle als bei Wegbeschreibungen. Dies zeigt folgendes Beispiel:
„(18) Vp 7 GBLD
so, das war der erste Bereich; der zweite is, daß nach drei Wochen der Schlauch defekt
war, n’en neuer Schlauch, wo man erwarten kann, daß diese Arbeit auf Kulanz
ausgeführt wird. Oder nur Schilderung des Sachverhalts, die Reparatur in Rechnung
gestellt wurde und die Beschwerde anschließend, im dritten Schritt, daß man erwarten
kann, daß sowas auf Kulanz, ähm, gemacht wird: Okay, Schilderung also, was weiter
vorgefallen ist; kaputtgehen und Reparatur auf Rechnung.“147
146
Originalbeleg, ebenda, S. 176. Hervorhebung original: „Zur Verdeutlichung sind in den
Transkripten die näher analysierten konzeptbezogenen Äußerungssegmente kursiv hervorgehoben.“
(Ebenda.)
147
Originalbeleg, ebenda, S. 180. Hervorhebung original.
93
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Texthandlungswissen
des späteren Textes, sondern müssen vom Rezipienten wieder rekonstruiert werden –
was einen wesentlichen Teil der Textrezeptionskompetenz ausmacht.
94
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität
Kontexte für die Handlungsinterpretation von Schrifttexten. Gleichzeitig soll hier die
These vertreten werden, dass Textsortenkompetenz als Teilkompetenz einer
übergeordneten intertextuellen Kompetenz verstanden werden kann, die außerdem auf
eine intermediale Textkompetenz hinausweist.
2.1. Intertextualität
„Intertextualität“ stellt in der Sprach- und Literaturwissenschaft seit den 1970er Jahren
einen Modebegriff dar. Während seiner Lektüre für eine Diskussion der Fruchtbarkeit
des Intertextualitätsbegriffs zählte HEINEMANN allein 48 verschiedene Begriffe, ohne
Hoffnung auf Vollständigkeit zu haben.148
Als literaturwissenschaftlicher Terminus technicus wurde Intertextualität 1967 durch
Julia KRISTEVA eingeführt und gleichzeitig durch BACHTIN, R. BARTHES sowie GRIVEL
als Angriff gegen die vorherrschende Textimmanenz in der Literaturwissenschaft
verwendet. Diese Autoren forderten ein dynamisches Verständnis von Textualität,
angelehnt an Prozessabläufe bei der Auseinandersetzung mit ästhetischen Texten. Dabei
soll der Autor aus seiner zentralen Position im System der Literatur entfernt und der
Text als transsemiotisches Universum in den Mittelpunkt gestellt werden. HEINEMANN
(1997) benennt sehr pointiert das Grundproblem der literaturwissenschaftlichen Debatte
der sogenannten Postmodernisten um die Intertextualität: „Bei einer solchen
Grundposition […] kann leicht aus dem ‘Panta rhei’ ein ‘Alles zerfließt’ werden, läßt sich
nichts mehr festmachen und bestimmen, ist Intertextualität auch nicht zu limitieren und
wird – wie schon erwähnt – identisch mit Textualität schlechthin.“149
Eine sehr anregende kulturwissenschaftliche Betrachtung der Intertextualität liefert
SAGER (1997)150. Er behauptet, Kultur sei grundsätzlich auf das Prinzip der
148
HEINEMANN, Wolfgang (1997): Zur Eingrenzung des Intertextualitätsbegriffs aus textlinguis-
tischer Sicht. In: KLEIN, Josef/FIX, Ulla (Hrsg.) (1997): Textbeziehungen. Linguistische und
literaturwissenschaftliche Beiträge zur Intertextualität. Tübingen: Stauffenberg-Verlag 1997, S. 21.
149
Ebenda, S. 24.
150
SAGER, Sven F. (1997): Intertextualität und die Interaktivität von Hypertexten. In: KLEIN,
Josef/FIX, Ulla (Hrsg.) (1997): Textbeziehungen. Linguistische und literaturwissenschaftliche
Beiträge zur Intertextualität. Tübingen: Stauffenberg-Verlag 1997, S. 109 – 123.
95
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität
151
Das ist natürlich sehr stark vereinfacht. Hier wäre vor allem die fehlende Differenzierung in
scriptographische und typographische Kulturen zu ergänzen. Erst die Durchsetzung des
Buchdrucks treibt die Alphabetisierung in Europa soweit voran, dass man tatsächlich von einer
schrifttextuellen Kultur auf breiter Ebene sprechen kann. Vgl. hierzu: GIESECKE (1997).
96
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität
97
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität
Rezeption eines gegebenen Textes und dem Wissen der Kommunikationsteilnehmer über
andere Texte […]“152 bezieht. Angewandt werde intertextuelles Wissen im Prozess der
Mediation.153 Je länger der Text nicht verwendet werde, desto größer müsse die
Vermittlung sein, weshalb auch oft Neuübersetzungen antiker Texte mit neuen
Anmerkungen notwendig seien, die diese in den historischen Kontext einordnen. Eine
ausgedehnte Mediation von Texten verlaufe über die Textsorten – die Bildung von
Klassen von Texten führe zur Erwartung bestimmter Eigenschaften von Texten eines
bestimmten Typs. Hauptschwierigkeit der Typologisierung in der Domäne Text sei, dass
aktualisierte Beispiele die Charakteristika des Idealtyps weder vollständig noch exakt
erfüllen, da andere Kontexte die Erwartungen an die Textsorte verändern oder
überlagern können. Eine Texttypologie sollte von der Angemessenheit einer Textsorte in
einer Situation ausgehen, d.h. von Typologien der Diskurshandlungen und -situationen.
Erst diese Angemessenheit ermöglich das Aufrechterhalten der Textualität, welche in
verschiedenen Situationen verschiedenen Anforderungen unterliegt (so wird
beispielsweise in literarischen Texten eine andere Form der Kohärenz erwartet als in
wissenschaftlichen Texten). Auch ließen sich Textesorten durch die Funktion ihrer
Klassenmitglieder identifizieren, also durch ihren Beitrag zur Interaktion. Dennoch
bleibe „[d]ie Menge der Texte und ihre Charakteristika […] unscharf.“154 Das Bestimmen
von Textsorten gehe über konventionelle linguistische Methoden hinaus und betreffe
übergeordnete Bedingungen der Textverwendung in der menschlichen Interaktion:
„Eine ‘Textsorte’ ist eine Reihe von Heuristika für die Produktion, Vorhersage und
Verarbeitung von textuellen Erscheinungen, und dient folglich als wichtige
Entscheidungsinstanz für die Effizienz, Effektivität und Angemessenheit […]. Aber eine
Sorte kann kaum absolute Grenzlinien zwischen ihren Vertretern und den Vertretern
anderer Sorten ziehen, ebenso wenig, wie es der Begriff des ‘Textes’ vermag.“155
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass DE BEAUGRANDE/DRESSLER (1981) zwei
Formen von Intertextualität in die linguistische Diskussion einführen: eine
textsortengestützte und eine inhaltsbezogene Intertextualität.
152
DE BEAUGRANDE/DRESSLER (1981), S. 188.
153
„[D]as Ausmaß, in dem man seine momentanen Meinungen und Ziele in das Modell der
kommunikativen Situation einfließen läßt.“ (Ebenda, S. 188.)
154
Ebenda, S. 193. Hervorhebung original.
155
Ebenda, S. 193.
98
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität
156
Vgl. Abschnitt V.1.3.1.4 dieser Arbeit.
99
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität
157
Vgl. KRON, Olaf (2002): Probleme der Texttypologie. Frankfurt/Main u.a.: Lang 2002; S. 89f.
100
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität
Da ich, wie bereits bemerkt, der Ansicht bin, dass die wissenschaftliche Rekonstruktion
sprachlichen Wissens auf das Alltagswissen der Sprecher zurückwirken kann, und hierin
ein wesentliches didaktisches Potential liegt, möchte ich auch für die Klassifizierung der
Texte ein von mir favorisiertes wissenschaftliches Modell vorstellen. Hier soll
gleichzeitig deutlich werden, dass handlungsstrukturelle Momente eine wesentliche
Rolle für die Klassifikation von Texten spielen. Dies soll die Notwendigkeit einer
Revision des Handlungsstrukturkonzeptes für die Textlinguistik, wie ich sie skizziert
habe, unterstreichen.158
Eine wissenschaftliche Texttypologie hat die Aufgabe, alltagssprachliche Textsorten-
begriffe zu systematisieren und Lücken zu schließen. Sie soll außerdem
alltagssprachliche Textklassifikation wissenschaftlich-deskriptiv erfassen und ihre
Kriterien eruieren, das intuitive Textsortenwissen durch wissenschaftliche Erklärung
untermauern bzw. ergänzen sowie eindeutige Beschreibungen zur Überprüfung
populärwissenschaftlicher Schreibanleitungen zu Verfügung stellen. Gleichzeitig sollte
sie Richtlinien für eine Textsortendidaktik bieten können.159 KRON (2002), dessen
typologischen Ansatz ich hier kurz diskutieren möchte, zeigt in seiner Arbeit, dass
Texttypologien, die dem Anspruch der vollständigen Erfassung aller tatsächlichen und
möglichen Texte nahe kommen können, mehrdimensional sein müssen. Folgende
Dimensionen, die er Stufen nennt, hält er für notwendig:
- erste Stufe der Typologie: Handlungstypologie,
- zweite Stufe der Typologie: Situationstypologie,
- dritte Stufe der Typologie: Kommunikationstypologie.
Die Handlungstypologie als erste Stufe einer Texttypologie setzt einen angemessenen
Handlungsbegriff voraus.160 KRON (2002) sieht zwei mögliche Entwürfe des
158
Vgl. Abschnitt V.1.1 dieser Arbeit.
159
Vgl. auch KRON (2002), S. 12f.
160
KRON (2002), S. 98.
101
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität
161
Ebenda, S. 101.
162
Ebenda, S. 106.
102
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität
163
Ebenda, S. 123.
164
Ebenda. S. 139.
165
Ebenda, S. 141.
166
Vgl. die ausführliche Auflistung und Erklärung bei KRON (2002), S. 156 ff.
103
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität
167
Ebenda, S. 186.
168
Ebenda, S. 188. Hervorhebung original.
169
Ebenda, S. 191.
104
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität
Einflüssen und aktualer subjektiver Definition – als reine Typen. KRON (2002) verfolgt
hier ein rein phänomenologisches Programm im Sinne HUSSERLS, in dem er versucht,
soweit wie möglich zu abstrahieren. Er unterscheidet streng zwischen Typisierung
welche inter-situationell, also im Vergleich mit anderen Situationen, stattfinde, und
Typologisierung, welche trans-situationell in Überschreitung der Grenzen des
Konkreten sei. Als Typologisierungsbasis für die Situationalität von Texten wählt der
Autor die Kategorie Sinn. Er geht davon aus, dass Handeln generell sinnhaft und
bezogen auf Fakten der Handlungslage sei: „Die Objektivation von Sinn ist die Beziehung
des Handelns zu den Fakten der Handlungslage. Damit kann auch gesagt werden: Die
Situationsdefinierung des Subjekts und die Situationstypisierung der Gesellschaft sind
Objektivationen von Sinn.“170 Sinn sei genauer die Beziehung zwischen handelndem
Subjekt und den Fakten der Welt. Der Sinnbegriff ist, so KRON (2002), durch eine
besondere Subjektivität ausgezeichnet. Sinn sei eine Art Erfahrungsvorschuss, durch den
ein potentielles Objekt zum Objekt der subjektiven Wahrnehmung und des subjektiven
Interesses werde. Das Interesse eines Subjekts an einem Objekt zeige, dass das Objekt
im Subjekt sei. Objekte seien niemals außerhalb des Subjekts denkbar sondern sind
Seiendes in seiner subjektiv erkannten Form.171
Situationstypen sollen also auf Grund der Sinnbeziehung des Handelns unterschieden
werden, sie stellten kulturanthropologische Muster des menschlichen Handelns dar.
Drei Teilprozesse der gesellschaftlichen Ausformung der Situationstypen durch
Institutionalisierung seien hier zu bedenken: Erstens schränke eine Gesellschaft die
Möglichkeiten von Situationstypen nach ihrem Bedarf ein, zweitens schränke eine
Gesellschaft die Definitionsmacht des Individuums ein und drittens entspreche „[d]em
Bedürfnis nach Sicherheit und Kontinuität […] das Bestreben, das Handeln der einzelnen
Individuen zu typisieren, die geordnete Struktur zu verfestigen.“172 Meistens wird der
170
Ebenda, S. 204.
171
Es ist davon auszugehen, dass Kron (2002) eine transzendental-idealistische und phänome-
nologische Position einnimmt. Damit hat er SEARLE einiges voraus, der sich ja auch in seinem
Intentionalitätskonzept als Realist ausgibt – was erkenntnistheoretisch einfach nicht tragbar ist.
Um sich dieser Diskussion zu entziehen, hat sich Searle vermutlich auch nicht offen auf die
deutsche Phänomenologie und ihre Vorgänger bezogen, obwohl das philosophiehistorisch
offensichtlich sein Bezugspunkt ist.
172
Ebenda, S. 218.
105
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität
173
Ebenda, S. 226.
106
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität
174
Vgl. ebenda, S. 247.
175
Vgl. Abschnitt II.1.1 dieser Arbeit.
176
Vgl. ebenda, S. 260.
177
Vgl. S. 265.
107
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität
178
HEINEMANN, Wolfgang (2000): Textsorten. Zur Diskussion um Basisklassen des
Kommunizierens. Rückschau und Ausblicke. In: ADAMZIK (2000), S. 9 – 30; hier: S. 19f.
179
Ebenda, S. 22.
108
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität
180
Ebenda.
181
Um terminologische Verwirrung zu vermeiden, ist an dieser Stelle eine Vereinheitlichung
meinerseits notwendig: TECHTMEIER (2000) bezeichnet über Sprecherurteile empirisch
gewonnene Textklassifikationen als Textsortenklassifikationen, während sie deduktiv abgeleitete
Klassifikationen als Texttypenklassifikationen bezeichnet. Diese Terminologie widerspricht der in
der oben referierten Diskussion des Textmusterwissens von HEINEMANN (2000). Ich halte die
Terminologie von TECHTMEIER (2000), auch vor dem Hintergrund ihrer ausführlichen
Begründung in KRON (2002), für sinnvoller und werde mich im Weiteren an diese halten. Das hat
auch zur Folge, das ich beim Terminus Textsortenwissen bzw. Textkompetenz bleiben werde.
109
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität
182
DIMTER, Matthias (1981): Textklassenkonzepte heutiger Alltagssprache. Kommunikations-
situation, Textfunktion und Textinhalt als Kategorien alltagssprachlicher Textklassifikation. Tübingen
1981. Zitiert in: Techtmeier (2000), S. 115.
183
Ebenda, S. 117 ff.
184
Ebenda, S. 118.
110
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität
Das erhobene Material lässt den Schluss zu, dass Sprecher Textsorten nicht nur nach
vorhandenen, sondern auch nach nicht vorhandenen Merkmalen bestimmen (so
beispielsweise emotionslos, unpersönlich ...) Dies deute, so die Autorin, darauf hin, dass
Alltagswissen über Textsorten vernetztes Wissen sei, in dem Textsortenkonzepte
Knotenpunkte darstellen. Folgende Einzelmerkmale für Textsorten treten in
Äußerungen der Versuchspersonen über die Textlexeme auf:
- Funktionen der Textsorte (Werbetext: „Text, der potentiellen Konsumenten zum
Konsum bewegen soll.“185)
- Thema (Wetterbericht: „gibt Auskunft darüber, ob es am nächsten Tag bzw. in der
nächsten Woche regnet oder die Sonne scheint“186)
- kommunikative Rahmenbedingungen (Geschäftsbrief: „Adressat und Absender stehen
in kommerziellen Verbindungen untereinander.“187)
- Textgestaltung (Schriftlichkeit, Mündlichkeit).
Überraschend war das Auftreten von Textsortenbewertungen in den Antworten, weil die
Fragestellung zu keiner subjektiven Stellungnahme Anlass gab. Dies ist für TECHTMEIER
(2000) ein Hinweis, dass ihre Untersuchung eher nicht als Expertenbefragung
einzuschätzen ist. Die Annahme, die erste Frage würde mit Benennung der wesentlichen
definitorischen Merkmale, die zweite aber mit zusätzlichen Eigenschaften beantwortet,
erwies sich als falsch. Die Formulierungen gaben vielmehr Anlass zu der Annahme,
Wissen über Textsorten sei als Merkmalsbündel organisiert und je nach Textsorte rücke
das eine oder andere Merkmal in den Vordergrund. Dies deute, so die Autorin, auf eine
prototypische Merkmalszuschreibung hin.188 Dieser Annahme möchte ich mich
anschließen.
Ein weiteres Argument für eine prototypische Organisation des Textsortenwissens
scheint mir die Vielfalt der wissenschaftlichen Typologisierungen zu sein, die
mittlerweile in Typologien von Typologien münden.189 Diese Typologien beruhen z.T.
auf unserer intuitiven Alltagskompetenz. Dass sich Texte nicht in einfachen, mono-
kriteriellen Typologien erfassen lassen, liegt nicht an der Unfähigkeit der mit dieser
185
Ebenda, S. 123.
186
Ebenda.
187
Ebenda, S. 124.
188
Ebenda, S. 126.
189
Beispielsweise KRON (2002) S. 44 ff.
111
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität
Aufgabe befassten Wissenschaftler, sondern daran, dass eine solche Typologie dem
Gegenstand nicht angemessen ist.190 Mittlerweile haben sich bereits multikriterielle
Ansätze im Bereich der Texttypologie durchgesetzt – und es wäre lohnenswert, die
Frage zu beantworten, ob diese nicht bereits zu großen Teilen prototypische Züge
tragen.
Neben der Argumentation für eine prototypische Struktur des Textsortenwissens
möchte ich einen Vorschlag zur Funktion des Textsortenwissens unterbreiten. In
Anlehnung an meine Diskussion der Handlungsproblematik in der Textlinguistik191
möchte ich die These vertreten, dass Textsortenwissen eine Bedingung der Möglichkeit
von sprachlichen Handlungen mithilfe von Texten darstellen. Textproduktions- und
Textrezeptionsstrategien bedienen sich der Textsortenkompetenz als „geronnener“
Kontextualität. Sehen wir uns ein Beispiel aus der in dieser Arbeit bereits ausführlich
zitierten Studie WROBEL (1995) an, welches der Autor leider nicht mit dem
vollständigen Originalmaterial zitiert.192 Das Beispiel entstammt der Formulierung eines
Geschäftsbriefs einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin mit der Bitte um die Zusendung
einer Publikation:
„(19) ... und wäre bereit, mich zu revanchieren/Sie über unseren Forschungsstand zu
informieren“193
WROBEL (1995) berichtet, dass die Autorin verschiedene Prätexte bewertet, indem sie
diese auf ihre Angemessenheit im Kontext prüft. In seiner Interpretation des Beispiels
gibt WROBEL (1995) weitere Informationen zu diesem Beispiel: Die Autorin, welche in
ihrem formellen Brief um die Zusendung einer Publikation bittet, weiß, dass es üblich
ist, eine eigene Veröffentlichung im Austausch anzubieten. Ihr erster Einfall, dies
auszudrücken, ist „revanchieren“. Folgende Begründung der Revision dieses Ausdruck
durch die Autorin berichtet WROBEL (1995): „In ihren Reflexionen begründet die
Schreiberin dies [das Verwerfen der ersten Formulierung, M.K.] damit, ‘revanchieren’
190
Vgl. hierzu die kurze Diskussion der Prototypik im Abschnitt II.2.3 dieser Arbeit.
191
Vgl. Abschnitt V.1 dieser Arbeit.
192
Erinnert sei noch einmal an die Transkriptionskonventionen von WROBEL (1995):
unterstrichen ist hier die letztlich manifeste schriftliche Äußerung, während der geäußerte
Prätext unmarkiert ist.
193
WROBEL (1995), S. 114.
112
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität
klinge zu sehr ‘nach Sport’ und ‘zu salopp’. Die Formulierungsalternative ‘Ihnen unseren
Forschungsstand mitzuteilen’ bewertet die Autorin als ‘zu geheimnisvoll’.“194 Es handelt sich
hier also um eine formulierungsbedingte Revision durch Formulierungskontextua-
lisierung. WROBEL (1995) interpretiert die Äußerungen der Autorin zur Revision als
Bewertungen hinsichtlich der textmusterbedingten Einschränkungen der Textart
„förmlicher Brief“.195 Textsortenkompetenz schließt also das Wissen über konventionelle
Erwartungen an bestimmte Textformen mit ein. Hier lässt sich beobachten, was
COSERIU bereits theoretisch ausgeführt hat: Teil der Sprachkompetenz und
insbesondere der Textkompetenz ist neben strukturellem Wissen auch ein normatives
Wissen.196
Zum Abschluss der Darstellung der Textsortenkompetenz als Teil einer globaleren
Intertextualitätskompetenz möchte ich auf eine weitere notwendige Ausweitung meines
Themas hinweisen, welche aber in dieser Arbeit nicht mehr Platz genug findet,
ausgearbeitet zu werden. KRON (2002) hat, wie ich referiert habe, darauf hingewiesen,
dass die mediale Form eines Textes ein wesentliches Merkmal für seine Klassifizierung
ist. Von dieser Erkenntnis ausgehend ist festzustellen, dass von der medialen Form eines
Textes auch die sprachlichen und außersprachlichen Kompetenzen abhängen, welche zu
seiner Verabreitung notwendig sind. Dass wir uns in der Zeit eines medialen Wechsels
befinden, sollten meine Ausführungen zu den medialen Zeitaltern bei SAGER (1997)
verdeutlicht haben. Mit diesem medialen Wechsel werden Kompetenzen der
Intermedialität nun stärker gefordert: die Verbindung von Bild, Text und Ton. Die
Verbindung von Bild und Text ist kein neues Phänomen – schon mittelalterliche
Handschriften waren reich mit Bildern verziert. Die Möglichkeiten, die Hypermedialität
bietet, sind also nur eine Erweiterung bereits vorhandener intermedialer Mittel. Dies
alles deutet darauf hin, dass die Diskussion der Textkompetenz in eine globalere
Diskussion der Medienkompetenz einzubetten ist, wobei aus der Perspektive der
194
Ebenda.
195
Ebenda, S. 115.
196
Vgl. Abschnitt III.3 dieser Arbeit.
113
Aspekte der Textkompetenz – V. Detailstudien: Textsortenwissen und Intertextualität
114
Aspekte der Textkompetenz – VI. Resümee: Texthandlungs- und Textsortenwissen
115
Aspekte der Textkompetenz – VI. Resümee: Texthandlungs- und Textsortenwissen
In den Detailstudien habe ich versucht, zwei wesentliche Probleme der Textlinguistik
zu diskutieren und auf das Problem der Textkompetenz zu beziehen: den Zusammen-
hang zwischen Texten und sprachlichen Handlungen und das Problem der Textsorten.
Ich habe ein strategisches Konzept der Texthandlungskompetenz, angelehnt an
HEINEMANN/ VIEHWEGER (1991) und VAN DIJK/KINTSCH (1983), vorgeschlagen, da
es den Zusammenhang zwischen Texten und sprachlichen Handlungen plausibel zu
erklären vermag. An dieses Konzept, das unbewusstes Wissen der Reflexion zugänglich
macht, sollten auch didaktische Konzepte anschließen können. Es expliziert die
Übergänge zwischen der Ebene der Ziele einer sprachlich-textuellen Handlung bis zur
Ebene der materiellen Form als textuelle Strategien. Die Frage von Form und Struktur in
der Textproduktion wird, wie ich gezeigt habe, u.a. durch Textsortenwissen geregelt.
Dieses habe ich als Teilkompetenz einer globaleren Intertextualitätskompetenz
gekennzeichnet. Innerhalb der Diskussion der Intertextualitätskompetenz habe ich
gezeigt, dass Textsorten auch durch den medialen Charakter ihrer Mitglieder definiert
sind, wodurch auch das neue Medium des Hypertext bzw. Hypermedia in den Blick
gerieten. Allerdings wurde deutlich, dass die intertextuellen Möglichkeiten, die
Hypermedialität bietet, nur eine Erweiterung bereits vorhandener intertextueller und
intermedialer Mittel darstellen. Zum einen boten Texte durch Zitate – mit und ohne
Angaben zur Quelle – schon immer intertextuelle Anschlussstellen. Insbesondere der
kompetente Umgang mit modernen wissenschaftlichen Texten schloss daher schon
immer eine intertextuelle Kompetenz mit ein, welche man als Fußnotenkompetenz
bezeichnen könnte. Zum anderen ist auch die Verbindung verschiedener Medien bereits
bei papiernen Texten Gang und Gäbe gewesen – Texte wurden schon seit Jahrhunderten
durch bildliche Darstellungen ergänzt. „Hypermedia“ fügt dem lediglich das bewegte
Bild und das akustische Medium hinzu. Vor diesem Hintergrund ist die Textkompetenz
als Teil einer globalen Medienkompetenz zu betrachten. Vor allem die Reflexion von
Text-Bild-Bezügen und deren medienabhängigen Besonderheiten wäre für die Linguistik
von Interesse. Sie würde damit einer Mediendidaktik, in welche die Sprachdidaktik
einzubetten ist, wertvolle Informationen liefern können.
116
Aspekte der Textkompetenz – Bibliographie
Bibliographie
117
Aspekte der Textkompetenz – Bibliographie
118
Aspekte der Textkompetenz – Bibliographie
119
Aspekte der Textkompetenz – Bibliographie
NUSSBAUMER, Markus (1991) Was Texte sind und wie sie sein sollen. Ansätze
einer Sprachwissenschaftlichen Begründung eines
Kriterienrasters zur Beurteilung von Schriftlichen
Schülertexten.
Niemeyer: Tübingen 1991.
SIEBER, Peter (HRSG.)(1994) Sprachfähigkeiten - Besser als ihr Ruf und nötiger
denn je! Ergebnisse und Folgerungen aus einem
Forschungsprojekt
Aarau: Sauerländer 1994.
120
Aspekte der Textkompetenz – Bibliographie
Abbildungsnachweis
121
Aspekte der Textkompetenz – Eidesstattliche Erklärung
Eidesstattliche Erklärung
Ich versichere, dass ich die vorliegende Arbeit über das Thema „Aspekte der
Textkompetenz“ in der gesetzten Frist selbstständig verfasst und keine anderen
Hilfsmittel als die angegebenen verwendet habe. Alle Stellen der Arbeit, die anderen
Werken wörtlich oder sinngemäß entnommen sind, sind unter Angabe der Quelle als
Entlehnung kenntlich gemacht. Die Zeichnungen sind von mir verfasst, soweit nicht als
Entlehnung gekennzeichnet.
122