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Musik und Mathematik

Hellas
1 Aphrodite
O Vor Liebe (siehe Musik und Mathematik 1/1: Aphrodite)

1 Musik (siehe Musik und Mathematik 1/1: Aph rodite)

2 Musik ruft Mathematik (siehe Musik und Mathematik 1/1: Aphrodite)


2 Eros
3 Eros
II Roma Aeterna
1 Sexus
2 Virginitas

111 Hesperien
1 Minne
2 Liebe
3 Sex

IV Turingzeit
Friedrich Kittler

Musik und Mathematik

Band 1: Hellas

Teil 2: Eros

Wilhelm Fink
Coverabbildung: Duris, Hetäre und Aulosspieler. London, British Museum.
Computergestützte Restauration von Joulia Strauss

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Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co KG, Paderborn

ISBN 978-3-7705-4778-4
ware 9v(laKe1v Kai TO aewv· 9eouc; ö' ou
So stirbt auch das von göttern· götter nicht

Sophokles
Inhalt

3 Eros 11

3.0 Der Macher 11


3.0.1 Gelöbnis 12

3.1 I m kleinen Attika 14


3.1.1 Die Schule von Athen 16
3.1.1.1 The Taming of the Sh rew 18
3.1.1.1.1 Athen zähmt Aigina 19
3.1.1.1.2 Themistokles unter Barbaren 22
3.1.1.1.3 M useion und Gymnasion 26
3.1.2 Euripides, Sohn der Gemüsehändlerin 31
3.1.2.1 Ion 33
3.1.2.2 H ippolytos 40
3.1.2.3 Helena 45
3.1.2.3.1 Helena die Hure 47
3.1.2.3.2 Helena d i e keusche 51
3.1.2.4 Euripides der Urchrist 58
3.1.2.5 When the Music's Over 63
3.1.3 Sokrates, «der Narr aus Attika» 71
3.1.3.1 Xenophons Sokrates auf Hetärenjagd 72
3.1.3.2 Platons Sokrates auf Ephebenjagd 75
3.1.3.3 Schrift und Musik 80
3.1.3.3.1 Am l lissos bei den Nymphen 82
3.1.3.3.2 Von Pythagoras zu Theuth 91
3.1.3.3.3 Im Kerker bei Philolaos 109
3.1.3.4 Götter in Musik und Dichtu ng 117

3.2 Akademie und Lykeion 127


3.2.1 Platon 128
3.2.1.1 Auf Reisen 128
3.2.1.2 E i n Musenhain des Wissens 129
3.2.1.2.1 Das zweite Quadrivium 131
3.2.1.2.2 M usik auf Erden 133
3.2.1.2.3 H i mmelsharmonie mit Sirenen 138
3.2.2 Aristoteles und die Seinen 149
3.2.2.1 Aristoteles wird geboren . . . 149
3.2.2. 2 . . . arbeitet . . . 152
3. 2.2. 2.1 Form und Stoff 153
3.2.2.2.2 Laut Silbe Wort 157
3.2.2.2.3 Tiere und Menschen 171
3.2.2.2.4 Poetik 186
3.2.2.2.5 Zahl und Metapher 195
3.2.2.3 . . . u nd stirbt 205
3.2.3 Zwei fei ndliche Brüder 207
3.2.3.1 Phi losophie und Wissenschaften 207
3.2.3.2 Aristoxenos von Taras 208
3.2.3.2.1 1 Leben . . . 208
3.2.3.2.2 . . . u nd 453 Bücherrollen 209
3.2.3.3 Eukleides 221
3.2.3.4 translatio studii 225

4 U nter Römern 231

4.1 Die Flucht der Götter, Aphroditas Wiederkehr 231

4.2 translatio imperii 233


4.2.1 Maschinenwaffengänge 234
4.2.1.1 Von Archytas zu Archimedes 234
4.2.1.1.1 Krieg i m Westen 234
4.2.1.1.2 Krieg i m Osten 240
4.2.1.2 Von Archimedes zu den Römern 241
4.2.2 Reku rsion 244

4.3 Plutarchos und das Schwinden der Orakel 247


4.3.1 Konjekturen und Sirenen 247
4.3.2 Der grosse Pan 250
4.3.3 Ein Schwein aus Epikuros' Herde 263

4.4 Longos und der Frühling 268


4.4.1 The finest story in the world 268
4.4.2 And the goats make love 271
4.4.2.1 A l'ombre des jeunes filles en fleur 276
4.4.2.2 Mr. Mojo's risin' 278
4.4.2.3 0 Schoss voll Blut und Wu nden 280

0 Anhang 289
0.1 Dank 289
0.1.1 Musik und Mathematik 112 289
0.1.2 Sonderzeichen und Siglen 290
0.1.3 Bildnachweise 291
0.1.3.1 Band 111 291
0.1.3.2 Band 1/2 292

0.2 Chronologie 293

0.3 Lesehilfen 381

0.4 Bücher Noten Karten Platten 381


3 Eros

3.0 Der Macher

« Nie hatte er bei den Freuden der Erinnerung verweilt. Die Eindrücke spran­
gen federnd von ihm ab, augenblicks und lebhaft: das Zinnoberrat eines
Töpfers ; das Firmament, befrachtet mit Sternen, die zugleich Götter ware n ;
der Mond, a u s dem e i n Löwe herabgestü rzt war ; d i e Glätte des Marmors
unter der zögernden Empfindlichkeit der Fingerkuppen ; der Geschmack von
Wildschweinfleisch , das er mit jähen weissen Zähnebissen zu zerreissen
liebte ; ein phoinikisches Wort; der schwarze Schatten, den ein Speer auf
gelben Sand wirft; die Nähe des Meeres oder der Fraue n ; der schwere Wei n ,
dessen Herbe d e r Honig milderte - jedes dieser Dinge konnte d e n Raum
seiner Seele ganz und gar erfüllen. Er kannte das Entsetzen , doch auch
Zorn und Mut, und einmal hatte er sogar als erster eine Feindesmauer er­
kli m mt. Unersättlich, neugierig , aufs Geratewoh l , ohne anderes Gesetz als
Genuss und u n mittelbaren Gleichmut, zog er über die vielgestalte Erde und
erblickte am einen oder anderen Meeresufer die Städte der Menschen und
ihre Paläste. I m Gewimmel der Märkte oder am Fuss ei nes Berges mit unge­
wissem Gipfel , auf dem wohl Satyrn hausen mochten, hatte er verwickelten
Geschichten zugehört. Er nahm sie h i n , wie er die Wirklichkeit hinnah m ,
ohne nachzuforschen, o b sie wahr oder falsch seien.

Schrittweis liess ihn diese schöne Welt im Stich ; ein hartnäckiger Nebelflor
tilgte die Linien seiner Hand . Die Nacht war leer von Sternen , der Boden un­
ter seinen Füssen ungewiss. Alles wurde ferner u nd verschwamm. Als i h m
aufging, dass er dabei war z u erblinden, schrie er laut; stoische Scham war
noch nicht erfu nden und Hektar konnte ohne Ehrverlust entfliehen. Nun wer­
de ich (das spürte er) den mythischen Schrecken des Himmels nicht mehr
sehen , auch n icht dies Antlitz, das die Jahre verändern werden. Tage u nd
Nächte gingen über die Verzweiflung seines Fleisches hin, aber eines Mor­
gens wachte er auf, erblickte (nun ohne Erstau nen) die verschwommenen
Di nge, die ihn u mgaben, und hatte das unerklärbare Gefü hl, wie wenn man
eine Musik wiedererkennt oder eine Sti m m e : dass al l dies ihm schon ein­
mal widerfahren und dass er ihm mit Furcht, aber auch mit Jubel, Hoffnung
und Neugier entgegengetreten sei . So stieg er denn in die Tiefe seines Ge­
dächtnisses hi nab, die ihm unendlich schien, und es gelang ihm, aus diesem
Taumel die verlorene Erinnerung heraufzuholen, die wie eine Mü nze unterm
Regen glänzte, womöglich wei l er sie nie angeschaut hatte, ausser vielleicht
im Trau m .

11
Das war die Erinnerung. Ein anderer Bursche hatte ihn beleidigt; er war zu
seinem Vater gelaufen und hatte ihm die Sache erzählt. Der liess ihn re­
den, als würde er nicht hören oder nicht verstehen, u nd nahm von der Wand
einen Erzdolch , schön und mit Macht geladen, den der Junge schon heim­
lich begehrt hatte. N u n hielt er ihn in Händen und die Überraschung des Be­
sitzes löschte die erlittene Kränkung aus, aber die Stimme des Vaters sagte
zu ihm : • Man muss wissen, dass du ein Mann bist„ und in der Stimme lag
ein Befehl. Die Nacht machte die Wege blind; an den Dolch geklam mert, der
ihm das Vorgefühl einer magischen Kraft gab, kletterte er den steilen Hang
hinunter, der das Haus umgab, und lief zum Meeresstrand, während er sich
in Aias u nd Perseus h i neinträumte und das salzfeuchte Dunkel mit Wunden
und Schlachten erfül lte. Der genaue Geschmack dieses Augenblicks war
es, was er jetzt suchte ; alles übrige scherte ihn nicht: die herausfordernden
Sprüche, der ungefüge Kampf, die Heimkehr mit blutiger Klinge.

Eine andere Erinnerung, in der es auch eine Nacht gab und das unmittelbare
Bevorstehen eines Abenteuers, schloss sich jener an . Eine Frau, die erste,
die ihm die Götter gönnten , hatte ihn im Schatten eines Gewölbes erwartet
und er suchte sie in Galerien, die wie Netze aus Stein waren, oder an Ab­
hängen, die ins Dunkel stürzten . Waru m kamen ihm diese Erinnerungen und
warum kamen sie ohne Bitternis, als blosses Vorausbild der Gegenwart?

Er begriff mit tiefem Staunen. Auch in dieser Nacht seiner sterblichen Augen,
zu der er nun hinabstieg , erwarteten i h n Gefahr und Liebe, Ares und Aphro­
dita; denn bereits ergriff ihn (schon wei l er danach suchte) ein Klang von
Ruhm u nd Hexametern, ein Klang von Männern, die einen Tempel verteidi­
gen, den die Götter nicht erretten werden , und von schwarzen Schiffen, die
übers Meer eine geliebte I nsel suche n , der Klang von Odyssee und llias.
Denn sie zu singen u nd wie eingewölbt wiedertönen zu lassen im Gedächt­
nis der Menschen - so war es ihm bestimmt. Das alles wissen wir, nur nicht,
was er empfand , als er zum letzten Schatten niedersank. » 1

3.0.1 Gelöbnis

Das wol len wir i m Herzen wah ren , Athen und Sokrates zum Trotz. Homeros
als das G l ü hen aller Sinne feiern, die nur im Griechenalphabet aufleuchten,
grad weil es selbst - zum ersten Mal i n aller Schriftgeschichte - ja keinen
Bildsinn macht. Wir Sterblichen sind blind geworden, als eine Sonne namens
Eidos - Sinn, Begriff, Bedeutung ; verdeutscht, wie i h r nur wollt - die Netz­
häute verstrahlt hat,2 von Athen bis Nagasaki . Es bleibt uns daher auferlegt,

1 Borges, 1 964- 1 966, IX 9-1 1 . Deutsch 1 980-1 982, VI 9-1 1 .


2 PI. Resp. V I I 1 , 51 5e-5 1 6a. Dazu Heidegger, 1 967, 1 09-1 44.

12
Erleuchtunge n , die Götter sind, vor Platons Höhlengleichnis zu erretten -

ow�e:1v ra cpa1v6µe:va. Vor allem jene zweite Nacht nach Ares : die Nacht
mit Aphrodita.

Wenn die Liebe schaumgeboren aus dem Meer steigt, umspielen frohe
nackte Aulosbläserinnen ihre Ankunft. Wen n die Liebe stirbt, weinen tief ver­
hüllte Priesterinnen mit Weihrauchdüften ihrer Flucht nach (TAFEL X I I I ) .

13
3.1 I m kleinen Attika

Griechenland zeigt die größte Entwickelung und


Gliederung von Land und Meer; es übertrifft darin
ebensosehr alle andern großen Halbinseln Euro­
pas, wie dieses die andern Kontinente.
Meyers Großes Konversations-Lexikon

« Sein, die» sich gewährt (mit Philolaos a E:orw) , geht über jedes Hoffen.
Also heisst sie Lust. Auch wenn die H immel dunkeln , lassen wir nicht ab.
Denn dass Aphrodita immer wiederkehrt, bezeugt sich selbst in Attika. Es
darf nur niemals mehr zur Rede kommen.

Philebos, ein schöner Jüngling schon i m Namen, hat Sokrates erklärt, Lust
sei das Schönste von der Welt. Philebos ist (mit Verlaub) ein Held. Er bringt
Sirenenwahrheit wieder, die Engführung von Lust u nd Wissen. Dann sinkt
Phi lebos mittagssonnenmüd in Schlaf, u m einem anderen Epheben, der ihn
als Freund vertritt, das Wort zu überlassen . Genau so steht es mit der Lust:
Sie gleitet ziemlich faul in Tagträu me,1 Weinräusche,2 Liebesnächte u ndso­
weiter ab. Sokrates dagegen liegt daran , nie einzuschlafen, weder bei Gela­
gen noch in Liebesbetten.3 Er lehrt ja keine Weisheit mehr, sondern gibt als
blasser Weisheitsfreund (q>1A6ooq>oc;) das öffentliche Schauspiel, die vor­
gespielte Weisheit ju nger Freu nde so laut und prahlerisch zu widerlegen,
dass er selbst niemals verstum men muss.

So geht es Philebos, wenn Sokrates dem anderen Epheben vormacht, er


würde Reden über Lust nur achtsam wiederholen, wo doch sein blasses
Echo diese Reden schon entstellt. Seitdem heisst zitieren lügen - oder Gei­
steswissenschaft.

ne:1pareov, an' aurflc; öri riic; SeoO , fiv ööe: Äq>poöirriv µE:v Mye:o9ai
Q>llOI , TO ö' 0All9eOTCTOV aurflc; övoµa riöovf)v e:Tva1.
Wagen wir es also - von der Göttin selber her, die sie (sagt Philebos)
zwar Aphrodita nennen ; ihr wahrster Name aber sei die Lust.4

Es ist «die Göttin selber„ , deren Nennung Phi losophen nicht ertragen, einst
wie jetzt. Denn Sokrates sagt sofort darauf, er habe frömmste Scheu, Aphro­
ditas Namen auch nur auszusprechen. I mmer wieder graut ihm davor, Göt-

1 PI. Phdr. 259a.


2 Symp. 223b.
3 Symp. 2 1 Sc und 223c.
4 Phlb. 1 2b. Vgl. 22c, 28b und 30d, wo Zeus, Sokrates' Gott, Philebos' Göttin Aphrodita end­
gültig entthronen soll. - Dürften wir r)öovr;, etymologisch nur korrekt, mit •Süsse• übersetzen
(Chantraine, 2 1 999, s. v. i1öoµa1), wäre vieles wieder gut. • Lust• dagegen gehört zum selben
Stamm wie lat. lascivus.

14
ternamen i n den Mund zu nehmen . 1 Vielfach bunte Lüste aber - die Göttin
also unter Säuen -, die könne seine Fragerei ganz u ngestraft zerpflücken.2
Was als Name unberü h rbar heilig bleibt, schändet der Begriff.

So zwingt uns Sokrates, erst er, den U ntertitel dieses Halbbands auf. Eros
heisst hinfort Idee, ganz wie Aphrodita U nverborgenheit geheissen hat.

Erst als es Abend ward in Attika, kamen auch die alten Bäuerinnen aus ihren
armen Hütten an den Felsstrand . Über einer kleinen Insel, die Euboias wilde
Klippenzacken südwärts aufnah m , fiel die Sonne steil ins Salzmeer. Golden
lange Wasserstrassen lockten an den Horizont. Jene Alten aber tauchten
ihre langen schwarzen U nterkleider bis zum Hals ins Wasser. Sie mischten
Sand mit Seife, um sich unter klebend nassem Stoff zu waschen . Soviel
griechisch-orthodoxe Keuschheit hat uns beide damals stu mm gemacht.

Wir müssen daher euch und uns erdenken, waru m es nicht mehr tanzt und
klingt wie in Grossgriechenland und Sparta. Das ist uns Deutschen schon so
oft missglückt : Von Lessing bis zu N ietzsche, diesen Pfarrerssöhnen, immer
stü rzte vor der Liebe der Gedanke ab. Noch Heidegger, der Messmerssoh n ,
liess ein Abendländisches Gespräch, das Sappho a l s «singende Heldin der
Liebe » besang,3 zu Lebzeiten doch lieber ungedruckt. So hat die Schule
von Athen gesiegt - bis in Gymnasien und U niversitäten . Eros lässt sich
zwar zuweilen noch als Halbgott ehren, bei Gelagen oder Schulansprachen,
aber nie mehr Aphrodita. Daher sind Frauen in Athen - und nirgends sonst
im Griechenland - ohne alle Bürgerrechte.4 Sie wesen ab in Hinterhäusern,
die nicht einmal der Weltgeist deuten kan n , da Hegel ja stets wüsste, wie
•die• Geschichte auf ihn zugelaufen ist.

6 eorw, «die Sei n •„ schickt sich nur je und jäh . Versuchen wir es darum von
den Frauen her.

1 Crat. 407d.
2 Phlb. 1 2c ; dazu Gell. Noct. Att. IX 5, 7. Viel später wird ein Stoiker, Chrysippos von Tarsos,
lehren, den guten alten Eigennamen (övoµa Kup1ov) , weit über Aristoteles' Metapherntheo­
rie hinaus, vom neuen Allgemeinbegriff (nomen commune) streng zu unterscheiden ( Loh­
man n , 1 965, 269). Das macht es späten Philosophen noch viel leichter, Göttinnen und Göt­
ter zu verschweigen : Wenn Aphrodita als övoµa Kup1ov nicht mehr i m Sagen selbst erklingt,
bleibt nur - sokratisch und verlogen - •die Lust• als Allgemeinbegriff (övoµa npoorwop1K6v)
zurück. Weshalb Chrysippos denn auch rät, unsere Mütter, Töchter, Söhne auf der Stelle
zu beschlafen ( D. L. V I I 1 87 f.)
3 Heidegger, 2000, 1 1 5.
4 Loraux, 1 992, 30-37. Wie sich solche Tatsachen i m Auftrag eines Doktorvaters leugnen las­
sen, verrät C hristine Schnurr-Redford , Frauen im klassischen Athen. Sozialer Raum und
reale Bewegu ngsfreiheit. Berlin 1 996 (= Antike in der Modeme). Nie fällt der braven Dok­
torandin bei , derlei dürftige Bewegungsfreiheiten von Athenerinnen mit Spartas Frauen zu
vergleichen : Wo, möchten wir sie fragen , spielten Korai je mit Kouroi frei zusammen? Wann
tanzten sie vor ihnen nackt? Und warum durften die Athener Kouroi keine Korai rauben?

15
3. 1 . 1 D i e Sch ule von Athen

0 ihr Stimmen des Geschicks , ihr Wege des Wanderers !


Denn an der Schule Blau ,
Fernher, am Tosen des Himmels,
Tönet wie der Amsel Gesang
Der Wolken heitere Stimmung, gut
Gestimmt vom Dasein Gottes, dem Gewitter.
Hölderlin , G riechenland

Athen als Polis - Stadt und Staat - schliesst Aph rodita aus. Nur ausserhalb
der Mauern , nämlich am l lissos, und in jenen unbebauten «Gärten » , die wir
als Frauenleibeslandschaft schon erahnten, 1 sind der grössten Göttin Hain
und Bild geweiht. Nirgendwo auf der Akropolis stehen nach den Perserkrie­
gen Aphroditatempel ; nur Trümmer u nd ein heiliger Bezirk am Nordhang
bleiben alter Sitte treu.2 Auch vom Tempel, den die Ehebrecherin Phaidra
am Südhang der Akropolis ihrer wüsten Göttin einst gestiftet haben will,3
fehlt archäologisch jede Spur.4 Bezeugt sind also nur zwei heilige Gefilde
ausserhalb der Stadt. Doch wüssten (schreibt Pausanias, der letzte gute
Reiseführer) die Reiseführer und Athener auch nicht eine Sage anzufü hren ,
warum und wie dort Aphrodita anwest. 5 Vielleicht sind daher am l lissos,
ausserhalb der Mauern, solche wirren Liebessagen gang und gäbe, wie
sie der schöne Phaidros einem störrisch ahnungslosen Sokrates erzählt.6
Athen kennt Aphrodita ja nurmehr im Herzen junger Männer und (epigra­
phisch gut belegt) im privaten Kult von Frauen. Denn Schwängerung und
heile Kindsgeburt sind und bleiben dunkle Wünsche.7 Der Gegensatz zu
Sparta oder Taras, wo Aphrodita als ccdie König i n » (a ßao1.>.e:ia) zu höch­
ster Ehre kommt und öffentlich in Tempel n , Kulte n , Festen anwest, kön nte
grösser kau m mehr sein . Was ist da geschehen?

„Selbstredend war Athen nicht alles Griechenland. Denn was den Platz von
Frauen anlangt, war die Lage hier unüblich, ja extre m . Misstrauen in Frauen,
Frauenhass bei Rednern und Gesetzen waren in Athen grösser als irgend
anderswo. Athenischer Frauenhass ging in der Tat so weit, dass es eine
Sage brauchte, u m zu erklären, warum Frauen n icht Athenerinnen heissen
durften u nd Kinder den Namen ihrer M utter nicht annehmen durften. Varro
erzählt u ns, dass alles das geschah , um Poseidons Zorn zu sti llen, den es

1 Hopfner, 1 938, 1 58 ; Calame , 1 999, 87 <= 1 .4 . 1 .


2 Paus. 1 27, 3; dazu Boulanger, 1 963, 230-232, 240 f. und 257.
3 Eur. Hipp. 29-33.
4 Wie Pirenne-Delforg e , 1 994, 24-27 und 50, trotzdem lauter Aphroditatempel im vorklassi-
schen Athen entdecken kann, bleibt das Geheimnis einer - ja nun - Habilitationsmaschine.
5 Paus. 1 1 9, 2.

6 PI. Phdr. 229bd => 3 . 1 .3.3 . 1 .


7 Mit Dank an Jutta Stroszek/DAI Athen. Vgl . auch Winkler, 1 990, 1 89 -202.

16
erregte, dass die Frauen von Athen dafür stim mten , die Stadt Athena nach
zu nennen statt nach i h m ."1

Der Hass auf Aphrodita tobt also schon seit Athens ruhm los dunkler, da von
Homeros nicht besungener Grü nderzeit. Eine Göttin ohne Gatten , ohne Mut­
ter, statt einem Frauensehass dem Haupt des grössten Gatts entsprungen,
herrscht ausnahmsweis allei n . Die Entscheidung, wie Athener ihre Stadt be­
nennen sollen, wenn sie die Vaterschaft Poseidons schlicht verleugnen,2
gibt daher den Kriegsgrund selbst. Poseidonia wie die Tochterstadt i m gros­
sen Westen klänge völlig anders : nach einem Gott, der Göttinnen und Nym­
phen liebt und schwängert.3 Das Parthenon als •Jungfrauentempel> der
Akropolis setzt seinen Marmorglanz mithin der Wahrheit selbst entgegen :
dass sich die Landesgöttin jemals lieben, nehmen, schwächen, schwängern
liess. Was daran schön ist, wissen nur Athener. Wenn Hephaistos, Athenas
lahmer u nd (seit der Odyssee) gehörnter Gatte, sie erregt verfolgt, spritzt
sein Same blass auf ihre Kleider und die grauen Steine der Akropolis.4 Da­
her soll der erste König Erichthonios, wie schon sein Name sagt, der Erde
selbst entsprungen sein -: als Gründungssage klarerweise ein Phantasma.5

So ist Athen die einzige Stadt in Hellas, die sich •autochthon • nennt. I h re
Bürger heissen nicht nur nicht (wie alle anderen Griechenstämme) aus Nor­
den eingewandert, sondern ohne Brautnacht, Schwangerschaft, Geburt ent­
standen . 6 Die Athener haben ihre Frauen immer schon vergessen , wenn sie
die Stadt nach einer Scheinjungfrau benennen. «And the gods made love»
gilt mit einem Mal nicht mehr. Also «drückt» der Mythos von Athena, die
geilen Göttern ( Poseidon oder auch Hephaistos) eben noch entkommt, nur
«eine Aporie aus»: die •Weglosigkeit> , «Vor der eine Gesellschaft steht, die
an die Autochthonie des Menschen zu glauben vorgibt, nämlich die U n mög­
lichkeit, von dieser Theorie zur Anerkennung der Tatsache zu kommen, dass
jeder von uns aus der Vereinigung eines Mannes m it einer Frau geboren
wird .»7 Nur N ichtathener wagen noch vergeblichen Protest: « Kinder zeugt

1 Zaidman , in Pantel, 1 992 , 339: „Athens of course was not all of Greece. As far as the place
of women is concerned , the situation there was unusual , even extreme. Distrust of wome n ,
m isog yn y in rhetorics and law, were greater in Athens than an ywhere eise. l ndeed , Athenian
misog yn y was so extreme !hat a m yth was needed to explain why women there were not to
be called Athenians and children were not to take their mother's name. Varro teils us !hat is
was to quell Poseidon's ire , aroused when the women of Athens voted to name the city after
Athena rather than himself (August. Civ. Dei XVI I I 9)."
2 Siehe dagegen Paus. V I I I 37, 9, über Poseidon und Demeter als Götter Lykosuras, der
« ältesten Stadt, die Helios jemals sah „ (VI I I 38, 1 ).
3 � 1 .3 . 1 .2.
4 Eur. Ion 267-270.

5 Nonn. Dion . X I I I 1 7 1 - 1 79 und allgemeiner Keren yi , 2 12000, 1 98 f.

6 Zur Erichthonios-Sage siehe Brule , 1 987, 1 3-23.

7 Levi-Strauss , 3 1 97 1 , 238, gegen alle Monotheismen.

17
der Boden nicht!» 1 U m eben diesen Widersinn zu tarnen, hat das nachklas­
sische Athen gehandelt und - in Umwertung aller Werte - die Herrschaft
über den Disku rs erfochten : Sokrates u nd Euripides kamen bald nach beider
Schandtod2 doch zu höchstem Ruhm. Das Museion von Alexandreia hat nur
sie - vermutlich doch nach einem Meisterplan - uns wörtlich und erschöp­
fend überliefert. Es hiess zwar auch noch Musenhai n , war aber keine Quelle
mehr, sondern eine ferngelenkte Grossstadtbibliothek und Marktwi rtschaft,
über deren Kanon allein die Schule von Athen entschied .3 Daher vermissen
wir seit Hermann Diels die Schriften früher Zahlendenker, von denen nicht
ein einziger Athen entstammte : die sogenannte • Vorsokratik• .

3.1 . 1 . 1 The Taming o f the Sh rew

Der Hass auf Aphrodita schwelt schon seit der Gründerzeit Athens. Aber
erst wenn dank dem Griechenalphabet und Herodotos, seinem Denker, •die
Geschichte• sich entborgen hat, erfahren wir vom Grund der Wut. I m blau­
en Meeresbusen vor Athen , saronisch weit und schön, liegt die kleine I nsel
Aigina, der Aphaia heilig.4 Es riecht nach Pinien , Salz und toten Fischen,
kaum dass wir angelandet sind. Ansonsten gibt es ausser uns Touristen nur
noch Bauern , Ese l , alte Frauen. I n seiner Blütezeit jedoch darf sich Aigina
dramatisch übervölkern, wei l der Fern handel Zehntausende ernährt.5 Al­
so setzt die schmale I nsel einen ersten M ü nzfuss u nter Griechen fest6 und
löst die alte Seeherrschaft Euboias ab. (Europa stammt von kühnen klei­
nen I nseln ab. ) Schon Homeros' schwangere Mutter verbarg ja ihre Scham
(das Wissen, dass die Maske des Dionysos ein schlichter Mittänzer gewe­
sen war) auf jener I nsel der • E ntscheinende n • . 7 Auch wenn die Aigineten
selbst nur ihrer dunklen Göttin Tempel bauen u nd keine Hymnen überlie­
fern, tut Pindaros das unentwegt für sie.8 Die vielen Wettkampfkränze, um
die die kühnsten Helden ringen - Efeu, Lorbeer, Eichenlaub und Sellerie -,
werden Adelssängern zum gefeierten bezahlten Lied. Musik und Dichtung
blühen eben, solange keine massendemokratisch taube Plebs auch über die
Musik bestimmen darf. Denn der Applaus, minutenlang gespendet und so-

1Xuthos i n Eur. Ion 543 .


2 Von Euripides hiess es, die Hunde eines eifersüchtigen Ehegatten hätten ihn (fast wie Posei­
dons Pferde seinen Helden Hippo l ytos) im makedonischen Exil zerrissen (Athen. X I I I 597b) .
3 Dupont, 1 998, 1 1 2- 1 1 5.
4 Heidegger, 2000 , 240 f. : «Schon der Name der uralten Gottheit "A-<P01a - die N icht­
Erscheinende, dem Erscheinen sich Entziehende, die Entscheinende - nennt, was AAri9e1a
besagt. So hütet die Göttin "Acpa1a das Rätsel der '.A>.ri9e1a.

5 Schulz, 2005 , 5 1 .

6 Hdt. VI 1 27.
7 <= 1 .3.2.3.

8 Pind. 01. VIII; P y. V I I I ; Nem. I I I-VI I I ; lsth . V, V I , V I I I .

18
gleich verhallt, 1 ersetzt im späten Griechenland die einzige Unsterblichkeit,
der unsere M uttersprachen - von I ndien bis nach Island - treu vertraue n :
K>-eFoc; äcp81roc;, den unvergäng lich langen R u h m .

3.1 .1 .1 .1 Athen zäh mt Aigina

So flösst die reiche I nsel, weil sie alle Häfen von Athen - Peiraieus, Phale­
ron , Munichia - beherrscht und sperrt, dem armen dü rren Attika nur Neid
ein. Solons Weisheit stellt daher vom M ü nzfuss Aiginas auf den Euboias
um. Der « Dorn im Auge des Peiraieus „ , wie Perikles die Insel nennen wird , 2
m u s s weg . Athen beruft sich e i n e Weile also darauf, ionisch u n d nicht do­
risch wie Aigina zu sein . Erst unter Perikles wird auch Euboia, die Heimat
aller lonieralphabete,3 selber unterjocht. Der Achaier Xuthos soll dabei ge­
holfen haben.4 Doch damit nicht genug, sticht von Athen aus eine erste
Kriegsflotte in See, um „nach dem uralten Streben jeder Seemacht" ihre „Ge­
genküste" zu besetzen.5 Wann genau das war, ist schwer zu sagen, ku rz vor
den Perserkriegen jedenfalls. Allein dies erste Meeresabenteuer der Athe­
ner endet noch viel blutiger als ein Jahrhu ndert später das sizilische : Aigina
erschlägt dank seiner ccSeeherrschaft„6 und im Bund mit Argos die gelan­
deten Athener bis auf einen, den am Ende aber auch der Tod ereilt.

«Als er nämlich nach der Rückkehr in Athen erzählte, wie es ihnen ergan­
gen, und die Frauen der Männer, die den Zug nach Aigina mitgemacht, das
gehört, hätten sie, empört, daß er allein m it dem Leben davongekommen,
ihn alle mit der Frage, wo ihre Männer wären, umringt und mit ihren Tuchna­
deln erstochen . So wäre auch der ums Leben gekommen. Die Athener aber
hätten diese U ntat der Frauen noch fü r schrecklicher gehalten als selbst je­
ne Niederlage, u nd da sie nicht gewußt, wie sie die Weiber sonst bestrafen
sollten, hätten sie sie gezwungen, sich von nun an ionisch zu kleiden. Denn
vorher trugen die Frauen in Athen dorische Gewandung, die der korinthi­
schen sehr ähnlich war. Seitdem aber mußten sie Leinenkleider tragen, um
keine Tuchnadeln mehr nötig zu haben.
Eigentlich aber ist diese Kleidung ursprü nglich gar nicht ionisch , sondern ka­
risch ; denn die altgriechische Frauentracht war überall die, welche wir jetzt

1 PI. Leg . I I I 700d-70 1 b.


2 Arist. Rhet. 1 1 1 1 0 , 1 41 1 81 5 f. ; Plut. Vit. Per. V I I I 5. Siehe auch Hdt. VI 73 über «die Athener
als ärgste Feinde der Aigineten » .
3 Powell , 1 99 1 , 1 2- 1 8. Dagegen , ziemlich unbedarft , Dupont , 1 998 , 1 4.
4 Eur. Ion 292.
5 Haushofer, ( 1 944) 1 979, 1 635 , über die US Nav y. Auf derlei maritime Strategien der Grie­
chen geht Schulz , 2005 , mit keinem Wort ein.
6 Hdt. V 83.

19
dorisch nennen . Die Argeier und die Aigi neten aber hätten noch dazu be­
sti mmt, daß die Nadeln noch einhalbmal länger gemacht werden sollten als
bisher und ihre Frauen gehalten wären, i m Tempel der Göttinnen hauptsäch­
lich Nadeln als Wei hgeschenke darzubringen, ü berhaupt nichts Attisches,
nicht einmal i rdenes Geschirr mit in den Tempel zu nehmen, auch künftig
nur aus einheimischen Töpfen zu trinken. Auch noch zu meiner Zeit trugen
die Frauen in Argos u nd Aigina aus Haß gegen die Athener längere Nadeln
als zuvor.» 1

Der Kleinasiate Herodotos, einem Ionier von einer Karerin geboren, muss
es wissen . Während Griechenbräute u nvernähte kurze Röcke tragen , die
ihre Schenkel bis zur Hüfte zeigen, h ü l len sich die Ehefrauen - von Pene­
lopeia bis zu lokaste - in keusche Wol lgewänder, die Fibeln oder Nadeln
fest verschlossen halten. Solche Frauen kämpfen selbst Messenier nieder,
bevor sie sich mit ihren Män nern, statt zu fechten , unbeschreiblich wahllos
paaren.2 Sie sind n icht minder stolz und heldisch als Spartanerinnen , wenn
ihre Männer oder Söhne lebend aus dem Krieg heimkehre n : Wer verloren
hat, stirbt an ihren Fibeln, eben wei l er für die Hei mat und das heisst für
Mutter Erde hätte fallen müssen .

Die von der Seemacht Aiginas geschlagene Mannschaft Attikas erträgt nun
diesen alten Stolz nicht mehr. Ein neu gewählter Stratege namens Themisto­
kles redet den Athenern ein, nicht mehr ihre Muttererde gegen Perserheere
zu behüten, sondern kampflos preiszugeben, um statt dessen auf die Schiffe
seiner gegen Aigina erbauten Flotte auszuweichen .3 Damit spielen Frauen,
Huldinnen der alten Erde, kriegs- und seinsgeschichtlich beinah keine Rolle
mehr, aber auch nur beinah . Denn um Themistokles ins Recht zu setzen ,
muss d i e Priesterin Athenas dem kü h nen Feldzugsplan noch ihren Segen
geben.4 Der gerechte Kampf um Heimat, Mu ndart, Liebesglück schlägt zur
Hybris oder Strategie brutaler Angriffskriege um: Themistokles mit seinen
Silbergruben macht aus Athen die offensivste Seemacht aller Griechenstäd­
te.

So kom mt es, wie es kommen muss. Mathesis trennt sich von Musik und
wird zu Flottenbau .5 Auf Schiffen kämpfen keine Frauen ; also haben nur
noch Männer, selbst die bettelarmen auf den Ruderbänken, fortan Bürger­
rechte. Athen u nd nur Athen schafft Frauenwaffen ab, zieht alten Frauen­
festen engste Grenzen,6 verbietet Mädchen Wei n , damit sie nur noch spin-

1 Hdt. V 87 1. Dazu ausführlich Vismann, 200 1 , 1 00 1.


2 <= 1 .5.2.3.
3 Hdt. V I I 1 43 1. Mit Dank an Thomas Macho.
4 Hdt. V I I I 41 und dazu Connel l y, 2007, 6 1 , über die Auslegung von Delphois Orakelspruch .
5 Valer y, 1 957- 1 960, 1 1 1 33-1 38.

6 Plut. Vit. Sol . XXI 4 1. Dazu Loraux , 1 992.

20
nen oder weben, und tut vollends so, als sei die neue fibellose Leinenmode
uralt ionisch . Wo sie doch in Wahrheit, wie Herodotos spottet, karischen Bar­
barenfrauen abgeschaut ist. Euripides als erster Chauvinist avant la lettre
wird diesen Selbstbetrug vol lenden : Wen n Hekuba und ihre Chorfraue n ,
Barbarinnen a u s Troia also, einem Thraker, Meuchelmörder u nd Verräter
mit i h ren Fibeln beide Augenbälle blenden (statt wie Oidipus ein Schicksal
zu besiegeln), heisst das zwar rechtens, aber auch « barbarisch». « Es gibt
auf Land und See " , schreit der geblendete Barbar, « nichts schlimmeres als
Weiber.»1

Griechen und zumal Athenern fiel es leicht, U ntaten , die sie selbst begingen,
allemal N ichtgriechen anzuhängen . 2

Was wunder, dass d e r Hochsinn freier Griechinnnen, zumal in Aigina und


Argos, gegen die Athener Frauenfeindschaft aufsteht. Sie tragen ihre Fibeln
ab sofort noch tödlicher und länger, u m an alte Rechte zu gemah nen. Denn
schon i n den Gräbern von Mykenai , Argos' alter Burg , war der Fü rst am
unfasslich teu ren Waffensch muck u nd Siegelring erkenntlich , seine Fürstin
aber an der schönsten Fibel.3 Das lässt uns nebenbei vermuten, dass Siegel
(wie in Troia auch)4 in Zeiten vor dem Alphabet anstatt von Grabinschriften
standen : I konen statt dem Medium Heldenlied. Mit den Waffen ihrer Frauen
halten also Dorer den Athenern stand , aber nicht mehr lange. Geprägtes
Silbergeld schlägt Ehre nieder.

Dass Aigina als erste Dorerstadt 458 dem attischen Seebund notgedrungen
beitritt, erwirkt nur einen kurzen Aufschub. Perikles lässt 431 alle Ei nwoh­
ner vertreiben oder niedermachen,5 um Athener Kolonisten auf der I nsel
anzusiedeln. 418 verstrickt Alkibiades auch Argos in sein grosses Lügen­
netz, das i n der Entscheidungssch lacht bei Manti neia an Spartas unbeirrten
Helden scheitert.6 Zwei Jahre später lehrt Diotima von Mantineia, Prieste­
rin aus einer Stadt, die Aphroditas Liebe zu Anchises mit seinem Grab und
ihrem Tempel ehrt,7 den Athener Sokrates, die Liebesgöttin zu vergessen :8
Am Nektar- u nd Ambrosiafest, das alle Götter bei Geburt der Aph rodita fei­
ern, zähle nicht die Göttin selber, sondern nur des Eros trunkene Zeugung.9

1 Eur. Hec. 1 1 68-1 1 8 1 .


2 Burkert, 2 1 997, 1 38.
3 Kilian-Dirlmeier, 1 986, 1 6 1 - 1 95. Zur Erfindung der „Sicherheitsnadel" um - 1 300 siehe Chil-
de, 1 960, 1 36.
4 Latacz, 2003, 67-70.
5 Thuk. II 27, V 57.

6 Thuk. V 43-73.
7 Paus. V I I I 1 2, 8 f.

8 Das macht die späte Nachricht, Diotima sei Pythagoreerin gewesen (Proklos ad Plat. Resp.
1 248, 25 ff. Kroll; zitiert nach Detienne, 1 959, 31 ), u nwahrscheinlich.
9 PI. Symp. 203bc.

21
Dass das ein hausgemachter Mythos ist und Eros doch (mit Parmenides)
Aphroditas erstgeborenes Kind, räumt Platon bei Gelegenheit auch ein . 1
Doch i m Liebesleben der Athener, im kleinen Attika mithin, herrscht ab sofort
ein kleiner Daimon statt der grössten Gött i n . Was wunder, dass es bärtig rei­
fen Ehemännern in die Leibeshöhlen ju nger flaumiger Epheben strömt. Wir
wissen nicht genau wohin und wollen es auch gar n icht wissen . A l'ombre
des jeunes hommes en fleur.

3 . 1 . 1 . 1 .2 Themistokles u nter Barbaren

Aphroditas Schau mgeburt ist die Entbergung selber. Das abgeschnittene


Glied des alten Gottes sinkt ins dunkelblaue Meer und - wie Botticelli
malend wusste - aus seinen Blutstropfen erwächst Aphrodita Philommei­
des, 2 •die die Mannesglieder liebt• . Wann immer die Hetäre Ph ryne dieses
Wu nder vor Athenern nachspielt, taucht sie in nassen dünnen Hemden aus
dem Meer, denn nackt zeigt sie sich nur Bildhauern, die ihren Leib zumal
i m Bett geniessen dürfen.3 Wir Männer ahnen , wie das wirkt. Dorer wussten
überdies, dass Ph rynes öffentliche Nacktheit sie vor allen anderen Völkern
zierte.

Barbaren sind da anders. Sie denken sich nicht nackt und rein vom wu nder­
baren Griechenalphabet her. cc Barbarophon» nennt schon die llias Kleinasi­
ens Konsonantensprachen .4 Barbaren kämpfen bis zum Kopf verhü l lt mit
griechischen Hopliten, die sich strahlend nackt dem Tod aussetzen (TAFEL
XV) . Aber noch viel mehr liegt Persern daran , die Nacktheit ihrer Frauen al­
len Nebenbu hlern zu verhüllen,5 - und Athens Barbaren übernehmen bald
nach Kariens fibellosen Leinwandkleidern auch noch das. Es geht, so grau­
enhaft wie heut, um H ü l len, Schleier, Tschadors statt Entbergung. Direkt aus
Persien eingeführt.6

1 Phdr. 242d .
2 Hes. Theog. 1 95-200.
3 Vismann, 200 1 , 5 1 .
4 II. 1 1 867. Hall, 1 989, 5, erkennt zwar an, dass sich nur Griechen von Barbaren allein durch
Sprache unterscheiden, vergisst dabei jedoch das Alphabet.
5 Hdt. 1 8. <= 1 .3.3.2.2. Erst Casanova, der unter Türken mancherlei Serails genossen hat,
wird den wahrhaft rekursiven Mut aufbringen, das Barbarenwort, wonach «die Frauen mit
dem Hemd auch ihre Scham ablegen » , einer Frau selbst i n den Mund zu legen , während
sie sich eben für ihn auszieht (Casanova, 1 964- 1 967, V I I I 1 23 ; vgl . auch VI 257) .
6 2 0CD, s. v. warnen, position of: „In the society pictured in the Homeric poems, and especially
in the Odyssey, warnen held an honoured place. [ . . ) This comparative equality of the sexes
.

was in later ages always retained at Sparta, but in lonia during the seventh century B.
C. an idea became prevalent, perhaps due to Asiatic influence, that warnen were i nferior
beings. [ . . . ) After 500 B. C. the Athenians adopted lonian ideas of womanhood, and the
whole structure of Athenian social life was arranged for men's sole benefit." Solch klare
Worte hat das Oxford Classical Dictionary vor lauter Frauen- und Barbarenliebe mittlerweile
ausgemerzt.

22
Denn Tschadors machten einst wie heut Geschichte : Sie retteten Themi­
stokles das Leben. Wir beide denken bei Themistokles ans Amulett aus
Laureion, dem Silberbergwerk südlich von Athen . Der Frühlingstag ist grau
bewölkt. Du findest und ich deute : ein zauberhaftes Amulett. Wir denken an
die Goldhalskettchen, die alles Silber überstrahlen. Ich lasse sie dir auch im
Bett an. Die Nacht ist schön wie d u .

Doch ei nes Tages kam a u s Laureion kein Silber m e h r zutage. 1

Themistokles war armer Leute Kind u nd fing schon darum seine Laufbahn
mit dem Rat an, alles u mgeprägte Silbererz , das Sklaven bleivergiftet aus
den Gruben bei Laureion förderten , in Trieren gegen Aigina zu investieren.2
Er wollte einfach nicht, dass diese I nsel u m 500 « m it ihrer mächtigen Flot­
te das Meer beherrschte.»3 Die Rache an den stolzen Fibelträgeri nnen und
grossen Handelsherren nahm langsam Fah rt auf. 480 schlug Themistokles
- für einmal mit Aigina verbündet - die Perserflotte nebenan bei Salamis,
während auf der Felseninsel selbst Eu ripides zur Welt kam .4 Doch «die
Männer von Athen» (schon weil es Frauen von Athen nicht geben darf) ver­
gessen Ruh mestaten rasch. Seit scheinheilig selbsternan nte Demokraten
Eigennamen wie •Themistokles• auf Tonscherben kritzeln dürfen, um sie zu
verbannen,5 statt dem Alphabet der Sage weiter fromm zu lauschen , landen
Krieger, Helden, Sieger regelmässig im Exi l . Das wunderbare reku rsive Al­
phabet der Griechen kippt in Athen zum Missbrauch um. Es zählen nur noch
Hurenpreise oder Ostrakismos-Sti mmen. Themistokles entkommt nach Ai­
gai in Kleinasien und klagt, er könne nirgendwo im Morgenland, wohin er
schon sein Silbergeld geschmuggelt habe, vor nachgesandten Meuchelmör­
dern fliehen . Da kommt Nikogenes, sein Griechenfreund, mit einer List zur
Hilfe.

« Gemeinhin sind Barbaren auf ihre Frauen maßlos eifersüchtig, und Perser
tu n es darin allen noch zuvor. Nicht nur ihre Ehefrauen , nein, auch Sklavin­
nen und Nebenfrauen werden streng bewacht, und kein fremdes Auge darf
sie sehen. Sie leben eingeschlossen i n ihren Gemächern , und wenn sie rei­
sen müssen, fahren sie in Wagen, die auf allen Seiten von Tüchern dicht
verhängt sind.
Einen solchen Wagen ließ Nikogenes zu rüsten, so daß Themistokles in aller

1 X e n . M e m . 1 1 1 6, 1 2 ; Plut. De de! . or. 4 3 , 434a.


2 Hdt. V I I 1 44.
3 Plut. Vit. Thern . IV 1 .
4 Plut. Quaest. conv. V I I I 1 , 7 1 7c.

5 Solche Scherben kamen am Nordhang der Akropolis massenhaft zutage. Sie waren aber
von wenigen Schreibern vorgefertigt, damit viele bestochene Analphabeten gegen den Sie­
ger von Salamis abstimmen konnten ( l mmerwahr, 1 964, 44) .

23
Verborgenheit reisen konnte. Und wenn u nterwegs jemand nach den Insas­
sen des Gefährtes fragte, gaben seine Begleiter zur Antwort, sie m ü ßten
eine Griechin aus lonien zu einem der Großen am persischen Hofe füh­
ren.» 1

Gesagt getan . Themistokles reist durch Asien : vermutlich auf der ersten
je erbauten Königsstrasse, die Persiens Reiter, Pferde und Relaisstationen
so unfassbar schneller als fraktale arme Griechenstädte machte.2 Themi­
stokles als Barbarenfrau maskiert gelangt zum Perserkönig, wird dessen
Freund, findet auch im Harem Einlass und gibt sich schliesslich, um nicht
gegen Griechen in den Krieg zu müssen, selbst den Tod.3 Das heisst je­
doch zugleich , dass 471, im Jahr des Ostrakismos, Athen die Frauen und
Töchter noch nicht aus der Polis ausgeschlossen und ins sogenan nte Hin­
terhaus verbannt hat.4 Sonst käme doch Themistokles von selber auf die
List, die ihm sein persernaher Freund anrät : ein Griechenheld als Perserin
im Tschador. Uns dämmert daher, dass auch der Frauenausschluss, ganz
wie das fibellose Kleid, zwar als loniersitte galt und gilt,5 Athen jedoch so
einmalig barbarisch machte wie einst das Perserreich und heute den I ran.
Was Frauen oder Bräute zwar in keiner Weise hi nderte, zum Brunnen, auf
den Markt und ins Theater auszugehen , 6 wohl aber Athens tumbe Männer,
sie dabei auch wahrzu nehmen.7 Denn in ihren Träumen (soll Lyku rgos die
Athener schon verspottet haben) hauste das andere Geschlecht stets hi nter
Schloss und Riegel. 8 Womöglich wollte dies Geschlecht - wie alle Göttinnen
und Musen seit der goldenen Aphrodita - ja nur auf Wunsch erscheinen : auf
Allnachtfesten mit maskierten Männern .

Und schliesslich war es - auch und gerade i n Athen - Frauen oder Bräuten
nie verwehrt, als Priesterinnen Götterdienst zu tu n . Ein Leben lang, ein Jahr,
als Mutter oder Jungfrau -: all das stand zur freien Wahl . Zumal die Prieste­
rin der städtischen Athena blieb über ein Jahrtausend öffentlicher und das
heisst mächtiger als viele Männer, die m it ihr regierten . Deshalb fällten jene

1 Plut. Vit. Thern. XXVI 3 f.


2 Hd!. V 52-54. Dazu Siegert, 1 99 1 , 498-50 1 .
3 Plut. Vit. Thern. XXXI 4 f.
4 Xen. Oec. V I I 4-6. Vgl . Morris, 1 997, 547 : „The courtyard house was an important innovati­
on. To live within such closed-in houses, which could only be entered through a narrow door
onto the street, was a different experience from the open space of a Dark Age village. This
may have been most i mportant i n gender ideologies: in later literature the enclosed, dark,
inner rooms of a house were associated with the female and opposed to the open, light,
public spaces of male citizens."
s 2 oc D s. v. women.
,

s Cohen, 1 99 1 , 1 34-1 54.

7 Winkler, 1 990, 1 88-209.

s Plut. Vit. Lyc. XV 8.

24
Männer über Männer, die die alten Göttinnen und Götter nicht mehr ehr­
ten , ja auch das Todesurteil. Apollons Priesterin zu Delphoi bestimmte ü ber
Krieg und Frieden ; Demeters und Kores Mysterienherrin im ionischen Eleu­
sis, wer Grieche war, wer nicht . 1 Schon daher hatten Frauen, anders als
in Rom , nicht den geringsten Anlass, der Christensekte beizutreten , u m i h r
sogenan ntes Ansehen zu steigern.2

Schon um Athens Misogynie (im Gegensatz zur christlichen) doch in i h ren


alten Schranken zu belassen, hier der Forschu ngsstand :

„Für m indestens sieben Jahrhunderte traten Athens Frauen stolz das heilige
Amt an , das dem Vorbild von Praxitheas Dienst an Stadt und Göttin nachge­
formt war. Priesterinnen der Athena Polias u nd priesterliche Frauen wie sie
trugen Verantwortu ng, vollzogen Riten, taten gute Werke, gaben Überliefe­
rungen weiter und empfingen umgekehrt hohe Ehren. Diese Tribute schlos­
sen Standbi lder, Kronen, Theaterehrenplätze, Grabdenkmäler und die all­
gemeine Hochachtung ihrer Gemeinden ein [ . . . ] Gewiss gab es noch mehr,
was uns verloren gegangen ist, wenigstens bislang . Doch ist es strah lend
klar, dass Priesterinnen ihre Gemeinden liebten, ihnen zum Guten dienten
und lange im Gedenken blieben. Wir dü rfen sicher sein , dass die Beiträ­
ge dieser ausserordentlichen Frauen nicht nur ihre Städte tief bereicherten,
sondern auch die Leben, die in ihnen lebten ."3

1 Ü ber die zwei G rossen Göttinnen und ihr rätselhaftes Kind Dionysos, Eleusis, Mutterkult
und Mutterkorn, also über LSD (Lysergsäuredi methylamid) siehe Wasson/Hofmann/Ruck,
1 990.
2 Das belegt Connelly, 2007, 57-82 und 259-28 1 , gegen zahllose Apologeten -: von den
Kirchenvätern bis zu jenen Theologen, die Schulz, 2008, 1 42-1 53, ihre Halbwahrheiten ein­
flüsterten. N u r Sklavinnen und deren Männer fanden ökonomisch gute Gründe, dem Ge­
kreuzigten mehr als dem Kaiser-Gott zu trauen. I n Rom - wie wir noch sehen werden -
waren Priester fast ausschliesslich Männer.
3 Connelly, 2007, 281 : „For at least seven centuries, Athenian women proudly took up the
sacred office that was modeled on the ideal of Praxithea's service to goddess and city.
Priestesses of Athena Polias, and priestly women like them across the Mediterranean world ,
assumed responsabilities, performed rites, made benefactions, instructed in traditions, and
received substantial honors in return. As we have seen, these tributes i ncluded statues,
crowns, theater seats, grave monuments, and the collective esteem of their communities.
[ . . . ) There was certainly even more that has been lost to us, at least for now. Yet it is
brilliantly clear that priestesses loved their communities, served them well, and were long
remembered by them. We can be certain that the contributions of these exceptional women
deeply enriched, not just their cities, but also the ancient lives lived in them." Mit Dank an
Susan Gillespie.

25
3.1 . 1 . 1 .3 Museion und Gym nasion

Die Schranken lagen anderswo : im technisch-alphabetisch neuen Wissen ,


das Athen uns überlieferte u nd insgeheim verriet. 403, im Jahr nach i h rer
grössten Niederlage, gab die Stadt ihr u ngefüges altes Fünferzahlsystem
zwar preis, um die 27 Ziffern aller anderen Griechenstädte zu entlehnen.
Doch dies Alphabet der Zahlen und Musiken spielte bei Athens Erziehern
oder Denkern keine Rolle.

„In zwei H insichten deckte Erziehung ein zu schmales Feld ab. Erstens wu r­
de die Mädchenerziehung in Athen vernachlässigt, obwohl sie in Sparta und
Rom mehr Raum einnah m . Zweitens war Übung i n tech nischen Künsten
nicht u nter den freien begriffen, das heisst solche n , die einem freien Mann
i m Gegensatz zum Sklaven anstanden ."1

Wir könnten allerdings auch umgekehrt erkläre n : In zwei Hinsichten deckt


unsere eigene Erziehung viel zu schmale Felder ab. Anstatt der schönen
nackten Leiber im spartanischen Gymnasion sind postchristliche Gymnasi­
en getreten , die Schüler oder Schülerinnen einander bestenfalls bei m Du­
schen zeigen , aber nach Geschlechtern schroff getrennt. Daher schliefen
Gymnasiasten noch zu unserer Zeit erst als Studentinnen/Studenten m it­
einander (was sich zum Glück jetzt ändert) . Anstatt der Dorerfreiheit ist
für mehr als zwei Jah rtausende Athen getreten, Hauptstadt der Mädchen­
Nichterziehung. Und kau m wer schämt sich eines gnadenlosen Wort­
missbrauchs : Aus oxoAr;, der freien Musse, wird lateinisch schola und von
daher preussisch cc Schulpflicht„ .2 Wir haben allen Grund zu weinen u nd zu
lachen .

Athen ist also d i e Stadt, d i e erstens gegen Technik u n d Archytas Front


macht, zweitens aber gegen Frauenbildung. Solcher Trotz scheint selbst
für ionische Stadtstaaten einzigartig (um von Dorern und Arkadern ganz
zu schweigen ) . Denn elementare und höhere Mädchenschu len gibt es auf
Teos und i n Miletos.3 Ephesos geht gar so weit, Mädchen im Epos u nd im
Melos, in Elegie und Schönschrift auszubilden.4 Zwar lernen die Athenerin­
nen von ihren M üttern - und in Athenas Namen - Spinnen, Weben , Stricke n ;
zwar zeigen uns die Vasenbilder m e h r Leserinnen a l s Leser,5 Komödien u n d

12 0CD, s. v. education. Ü ber Spielkenntnis von Musikinstrumenten als Banausie siehe Arist.
Pol. V I I I 6, 1 340 b 3 1 - 1 34 1 89.
2 Dass „Schule, Schulleben, Scholastik usw." paradoxerweise auf oxo>.r'1 zurückgehen , belu-
stigt schon Andre, 2002, 9.
3 Marrou, 7 1 98 1 , 1 2 1 8.
4 Ziebarth, 2 1 9 1 4, 1 41 .

5 l mmerwahr, 1 964, 1 8-33, und dazu Kittler, 2007, 203 f. Vgl . auch Lawrence, 2 1 957, 1 76,
über die vielen schreibenden Etruskermädchen i m Museum von Volterra.

26
Tragödien sogar Frauen, die wie Phaidra oder Sappho1 schreiben können.2
Doch alles, was Erziehung anlangt, nehmen zumi ndest unsere Quellen (So­
phisten, Phi losophen und Rhetoren) nur an Jungen wahr. Dass die zwei
Geschlechter Ringhallen und Nacktspielplätze, Musik- und Götterfeste nicht
wie in Sparta teilen, versteht sich fast von selbst.3 Sonst würden ins Gym­
nasien kau m lauter Knabenfreunde oder Philosophen strömen , u m nackte
schöne Männer und - auch das - infibulierte Vorhäute zu bewu ndern .4 Aber
schon Grammatik und Musik, den Bildungsweg also vom Lesen bis zum
Schreibenkönnen, vom Gesang zum Leierspiel, regelt Sokrates nur für Jun­
gen zwischen Zehn und Dreizeh n,5 das heisst bevor das Scham haar flaumt
und lauter Liebhaber anlockt. Seit Frauen mit ihnen Töchtern aus der Polis
ausgeschlossen sind, bleibt auch kau m mehr übrig .6

Drittens aber und vor allem ist Athen die Stadt, in der die Bildung einzig bei
den Eltern liegt: Ein Sklave - · Ki nderführer• oder eben Pädagoge - bringt
Sohn nach Sohn zu einem schlecht bezah lten Lehrer i h rer Wahl und achtet
nebenher darauf, dass sie nicht Liebhabern verfallen .7 Um Kinder kümmert
sich die Polis so wenig wie um Aphrodita - ganz im Gegensatz zu Sparta,
wo ccdie Gemeinschaft grösste Mühe auf die Kinder wendet. ••8 Nur deshalb
überlegen in Athen ja Dichter oder Denker - von Aristophanes über Sokra­
tes bis Aristoteles - so unentwegt, wie die Polis selber ihre Söhne, bevor
sie zu Epheben und das heisst wehrpflichtig werden ,9 besser bilden kön­
ne, statt sie den Einzelbürgern als cc ldioten „ zu belassen. Der erste Schritt
zur Musenbildung dient wie bei allen Griechen einem klar bezeugten Ziel :
Schü ler haben das Alphabet und dank i h m gute Dichter auswendig zu ler­
nen (TAFEL XV I ) . Sonst wären sie als Söhne von Athenern ausserstande,
gleich ihren Vätern alten Helden nachzuleben . 1 0 Von jener anderen M i me-

1 � 1 .4. 1 .
2 Cole, in Foley, 1 98 1 , 223 f. , zu Eur. Hipp. 856-880. Siehe auch Eur. lph. T. 759-797, wo
lphigeneias Brief an ihren nur scheinbar abwesenden Bruder die Wiedererkennung der Ge­
schwister auslöst.
3 PI. Leg . V I I , 805e-806a. Dazu Cartledge, 1 98 1 , 92 f.
4 Vorberg , o. J., 244-246. Vgl . PI. Resp. V1 9 , 474bd, und Plut. De recta aud. 1 3, 44f. Denn
nackte rote Eicheln waren ein Skandal , Gymnasiengründungen im beschnittenen Jesusa­
lem ( 1 . Makk. 1 , 1 5 ; 2. Makk. 4, 9- 1 5) also eine hellenistisch herrscherliche Provokation der
orthodoxen Juden.
5 PI. Prot. 325d-326b; Leg . VII, 809e-8 1 0a. Siehe dagegen Platons späten Plan einer Koedu­
kation ( Leg . VII, 764cd), die als solche ein fast schrankenloses Liebesleben der Geschlech­
ter überhaupt erst möglich macht: Alle Wächter dürfen kreuz und quer mit allen Wächte­
rinnen schlafe n , Elternnamen zählen nicht. So geht «der Athener» der Gesetze auf «den
Spartaner» zurück und ein.
s Ar. N ub. 972-978.
7 PI. Ale. 1 22b; Symp. 1 83c. Dazu Marrou, 7 1 98 1 , 1 61 f. und 220.
8 Arist. Pol . V I I I 1 , 1 3378 3 1 f.

9 Winkler, in Winkler/Zeitli n , 1 990, 20-23.


10
PI. Prot. 326a; dazu Vegetti, 1 992, 385-4 1 9.

27
sis, die Liebesspiele zwischen Göttinnen und Göttern nachmacht, ist nicht
mehr die Rede.

Damit handeln sich die Männer von Athen (wenn anders Platon und die Sei­
nen ihre Sorgen treulich überliefern) allerdings Probleme ein. Alle Bildung al­
ler Griechen ruht auf einem felsenfesten Gru nd : der Aufgeschriebenheit von
llias und Odyssee: „Die erste Gegebenheit, die man in allen ihren Dimensio­
nen noch nie ermessen hat, ist die Gegenwart der homerischen Gedichte in
der griechischen Kultur, offiziell seit dem 6. Jahrhu ndert bis in die Spätzeit
-: in Wahrheit eines der wichtigsten Probleme antiker Literatu rsoziologie."1
Ein Alphabet, das für Hexameter erfunden worden ist, schreibt sich rekur­
siv, im schlichten Lesen- oder Schreibenlernen, durch die Geschlechter fort.
Hera hört daher nicht auf, Zeus auf dem lda zu verführen , Aphrodita nicht,
sich Ares in Hephaistos' Ehebett zu schenken. Um derlei Tun und Wissen
zu verhindern, muss Athen, die Stadt der mutterlosen Göttin, Massnahmen
ergreifen -: von der Erziehung ihrer Kleinen bis zum höchsten Volks- und
Stadtfest.

Erstens stellen in der Polis sogenannte Kindsaufseher (naiöov6µ01) sicher,


dass Mütter oder Ammen ihren Ki ndern blass die keuschen Sagen weiterge­
ben . 2 Zweitens sollen die Gesetze untersagen, dass Unmündige in Götter­
häusern je « u nschickliche Bilder oder Statuen» erblicken ; sonst könnte ja,
was sie so sehen, zur « Nachah mung» verleiten. Nur reifen Männern , die bei
Liebesgötterfesten Frauen und Kinder al lesamt zu Hause lassen und ver­
treten müssen, gesteht der grosse Aristoteles auch diese Augenweide zu.3
Also taucht erst auf Lateinisch , in der Seinsgeschichte völlig neu , das Wort
obszön auf: Alle dürfen fortan alles sehen, Patrizier und Plebeier, Männer,
Frauen, Kinder, obwohl und weil es •eigentlich • verboten bleibt. ,„Obszön' ist
ein typisch römischer Begriff, der interessanterweise im Griechischen kei­
ne Entsprechung hat."4 Euripides und seine keuschen Helden nehmen das
zu Herzen,5 während seine unkeuschen den Voyeur erfinden.6 Pentheus
in den Bakkhai will Dionysos' Mai naden bei wüsten Orgien zusehen u nd ist
enttäuscht, wenn es auf dem wilden Kithairon gar n ichts zu gaffen gibt,7 statt

1 Detienne, 1 962, 1 4 : „La premiere donnee, dont on n'a jamais mesure toutes les dimensions,
c'est la presence des poemes homeriques dans la societe grecque, depuis le v 1 e siecle,
de fa9on officielle, et jusque tres tard : au vrai, un des plus importants problemes de la
sociologie litteraire de l'antiquite."
2 PI. Resp. 1 1 1 7, 377c ; Arist. Pol . V I I I 1 7, 1 336 b 30-34.
3 Arist. Pol . V I I , 1 335a30-1 335 b 1 9 und dazu Cohen, 1 99 1 , 234. Zum metaphysischen Primat
von Augenweiden siehe Arist. Met. A 1 , 980822-27.
4 Peschel, 1 987, 387. Darauf kommen wir in Band II zurück.
5 => 3 . 1 .2.2.

6 Dazu Sale, 1 977, 1 1 2- 1 1 5.

7 Eur. Bacch. 1 057- 1 062. - Zum christlichen Bedeutungswandel von 6py 1 6 , dem Begehen
geheimer Kulte, zu Orgie und Orgasmus siehe Chantraine, 2 1 999, s. v. , und van den

28
wie Dichter vor i h m dem Gesang zu lauschen . Denn was will der Voyeur u nd
• Leidensmann • versteckt erblicken? Mainade n , die sich erst am Weinkrug
Mut und Rausch antri nken, um g leich darauf, «eine nach der anderen, i n die
Einsamkeit von Büschen zu entschwinden, wo sie geduckt auf Liebesbetten
unter Männern liege n . „ 1

Der zweite Bildungsschritt fü hrt zu den Musen selber. Athen als « Stadt, i n
d e r nicht ein berü hmtes Epos oder Lied entstand»,2 holt unter d e n Tyrannen
doch noch Spartas Musenkinderzüchtu ng nach . Ku rz bevor das Schamhaar
spriesst, wird aus Gelesenem Gesang. Die Ki nder lernen zwar nicht Noten­
zeichen schreiben/lesen wie die Dichter,3 aber singen und zwei Instrumente
spiele n : Kithara und Au los (TAFEL XVI I ) . Ganz wie Archytas' Rassel kleine
Kinder davon abhält, Geschirr und Töpfe zu zerschlagen, lenkt das Zup­
fen oder Blasen auch grössere von frechen Fingereien ab4 - hin zur Musik
als Fuge oder « Harmonie» der Seele.5 Sie können (wie der junge nack­
te Sophokles nach Salamis) mit ihrer Kithara ein Siegesfest anfüh ren oder
im Dionysostheater Chöre nach dem Doppelaulos tanzen machen. Deshalb
verdient, wer Kindern die Musik beibringt, u nter allen Lehrern , Schreibern,
Rechnern und Gymnasten weitaus am meisten. Vom klei nasiatischen Teos,
diesem Hollywood des späten Griechenlands, empfangen Fechtmeister 300
Drachmen im Jahr, Sportlehrer immerhin 500. Wer Kinder in das G riechenal­
phabet einfü h rt, streicht 600 Drachmen ein ; der Musiklehrer kommt i ndes
auf 700.6 Er allein ist es ja auch, der das Alphabet der Griechen in allen
seinen Tiefen oder Rekursionen kennen muss: als Laut-, als Zah l-, als No­
tenschrift. Diesen Vorrang der Musik räumt sogar Platon ein: « Kreistanz war

Burg, 1 939, 90- 1 24 ; über „pornographisch-voyeuristische" Motive auf Vasenbildern Pe­


schel , 1 987, 308.
1 Eur. Bacch. 2 1 8-223. Kovacs' Zweifel an diesem Wortlaut oder Wunsch bleibt sein (und
einer frommen Ehefrau) Geheimnis: „lt has been suggested [!] that Pentheus, believing
that the women on the mountain are having sex with strangers [?], wants to watch them
copulate, but there is no clear evidence of this i n the text, and furthermore a Pentheus
crippled [!] by skopophilia would lack the representative quality we [?] look for i n a tragic
hero" ( Kovacs, in Eur. 1 994-2003 , VI 1 8 f. ) . Vgl. auch den Hobby-Psychiater Kovacs, 1 994-
2002, I I I 1 29 , über „voyeurism" als „malady". Wo doch, was Pentheus bei den Mainaden
sehen möchte, schlichtweg dasteht: äMl)v ö' äMcx;' eic; E:pl)µlav / mWooouoav euvaTc;
apoE:vwv unl)pereTv oder (noch viel bündiger und kürzer) «der Mainaden schlimme Werke»
(µa1vaöwv aioxpoupyiav) (Eur. Bacch. 1 062) .
2 Plut. De glor. Athen. 5, 348b.
3 Pöhlmann, 1 994, 24 f.
4 Arist. Pol . V I I I 6, 1 340 b 25-32.

5 Arist. Pol . V I I I 5, 1 340 b 1 5- 1 9 . So elegant und nebenher weiss Hellas' letzter Denker anzu­
deuten, dass Sokrates mit seinen letzten Atemzügen gegen Philolaos als Banause sprach.
=> 3 . 1 .3.3.3.
6 Diese notgedrungen späte Zahlen gibt Ziebarth, 2 1 91 4, 6-7 und 56-58. Athen hat u nseres
Wissens keine solchen Listen hinterlassen - und Sparta vor Lysandros' Siegeszügen kennt
nur Eisengeld. Zur schlechten Entlohnung von Schreibleselehrern und Pädagogen siehe
aber Plut. De vitando 6, 830b.

29
uns doch das Ganze der Erziehung „ . 1 Genau das sehen oder lesen wir auf
TAFEL XVI I I : Opfern, tanzen, Musik spielen sind das Selbe.

Nur den verschollenen Schall des Doppelaulos m ü sst ihr aus Drogennäch­
ten dazu denken.

Kurz und gut: „Mousefon wu rde die Elementarschule deshalb genannt, weil
ihr Ziel diese musische Grundbildung des freien Bürgers zum Chortanz war.
Lesen und Schreiben waren ausdrücklich der Musike untergeordnet, sie
standen im Dienste von Gesang und Kitharaspiel, welche also keineswegs
so nebenbei als ,Kunstfächer' betrieben wurden . [ . . . ] Musik ist also im klas­
sischen Athen die allu mfassende musische Tätigkeit, welche noch nicht in
Literatur, Musik, Rhythmik, Rhetorik und andere , Fächer' aufgespalten ist,
sondern sich nach dem Chorl ied und der natu rgegebenen Ein heit des grie­
chischen musikalischen Wortes ausrichtete."2

Wenn nur nicht Athena wäre, Burgherrin von Athen. Dicke Backen, die bei m
Blasen eines Doppelrohrblatts unvermeidlich sind, findet sie entstellend.
Athena hat den Au los zwar erfunden, als sie in den Knochen eines toten
Rehs Ton löcher bohrte.3 Doch die sogenannte Götterjungfrau wirft ihr eige­
nes Spielwerk auf der Stelle wieder weg ,4 wohl u m den Gott der Frauen und
Räusche auszutreiben . U nd selbst der schöne Alkibiades, Dionysos viel nä­
her, wiederholt nicht nur Athenas Geste, sondern gibt auch deren Logos
oder Grund an : Beim Zupfen bleibt der Mund zum Singen frei, beim Blasen
aber nicht.5 Worauf die stolzen Bürger von Athen, die noch zur Zeit der Per­
serkriege fast alle Aulos spielen konnten, Alkibiades zum Vorbild nehmen
und das Instrument auch ihren Kindern untersagen.6 Archytas hat umsonst
dem Aulos eine erste Zah lentheorie gewidmet.7 Seit ihn die Athener nicht
mehr spielen können, sondern fremde Au losvirtuosen einladen und bezah­
len müssen, sterben im Dionysostheater auch Chorgesang und Chortanz
aus. Was als Ruine ü berlebt, heisst seit dem späten Aristophanes dann Mitt­
lere Komödie. B

Mit der Kithara wird es kau m besser enden . Epheben, sicher, lernen sie
noch lange Zeit wie Kinderrasseln spielen . Aber die athenische Erziehung

1 PI. Leg . I I , 672e : "0>.11 µE:v nou xopeia ö>.11 naiöeuo1<; � v r'JµTv.
2 Koller, 1 963, 92.
3 Call. Dian. 245 ; Pind. Pyth. XII 7. Dazu Plut. Sept. sap. conv. 5, 1 5 1 e.
4 Arist. Pol . V I I I 6, 1 34 1 b 2-8.
5 Plut. Vit. Ale. II 4-6 ; vgl . Arist. Pol . V I I I 6, 1 34 1 825 f.

6 Gell. Noct. Att. XV 1 7, 1 -3 ; vgl . aber schon PI. Resp. 1 1 1 1 0, 399d.


7 So Athen. IV 1 84e, der damit der Legende widerspricht, Pythagoreer hätten den Aulos als
«enthemmend » (ußp10TIK6<;) verboten ( lambl. V. P. XXV 1 1 1 ). Zur wahren Schwierigkeit,
Rohrbohrungen so mathematisch elegant wie Saitenlängen zu erfassen => 3.2.3.2.2. 1 .
8 Nietzsche, ( 1 874- 1 876) KGA 1 1/5, 1 69 f.

30
übt nur Musikwiedergabe ein, nicht das cc liedermachen » selbst . 1 Denn spä­
ter, wenn aus Ki ndern Männer werden , ist es besser, all das Stimmen, Span­
nen, Zupfen, Blasen wieder zu vergessen. Jede Kunst, die Handwerk ein­
schliesst, heisst Athenern (und vor allem Platon) Banausie. Zeus als letzter
Gott, den Aristoteles noch anerkennt, lernt und spielt die Kithara selbstre­
dend nicht ; er hört Apollon nur gern zu.2 Aus einem epistemischen Ding,
das Griechenkindern seit Pythagoras an einem Seienden das Sein als Zah l
entborgen hat, wird ein Gerät für zugereiste Virtuosen.3 So endet und ver­
endet die Tragödie, deren Chöre ja seit Sophokles auf Kithara und Au los
hören .

« Die griechische Tragödie ist anders zu Gru nde gegangen als sämmtliche
ältere schwesterliche Ku nstgattungen ; sie starb durch Selbstmord [ . . . ].
Diesen Todeskampf der Tragödie kämpfte Euripides; jene spätere Ku nst­
gattung ist als neuere attische Komödie bekannt. In ihr lebte die entartete
Gestalt der Tragödie fort, zum Denkmale i h res überaus mühseligen und ge­
waltsamen H inscheidens. „ 4

3 . 1 .2 Euripides, Sohn der Gemüsehändlerin5

Si les dieux ne font rien d'inconvenant, c'est


alors qu'ils ne sont plus dieux du tout.
Mailarme, Les dieux antiques

Im Sprechtheater spiegeln unsere Alltagskleider die Verachtu ng seiner Re­


gisseu re. Wenn wir dagegen in die Oper gehen, sind Abendkleider, Fracks
und Smokings zum Glück noch de rigueur. Wenn Griechen ins Theater gin­
gen, reichte eine Rose. Die Blumenhändleri nnen waren daher ganz verzwei­
felt, als Eu ripides die Tragödienwettspielkämpfe zum ersten Mal gewan n :
N iemand kaufte Göttinnen und Göttern, die e r schlicht verneinte, Blumen
ab.6 Jahrzeh ntelang war es den Preisrichtern gelungen, die Siegeskränze
beinah nur an Sophokles zu schenken. Jedoch ein Machwerk des Gemü­
sehändlerinnensoh nes, der Hippolytos, lud 428 die Männer von Athen ein,
Aphrodita endlich zu vergessen. Das lohnten sie mit einem ersten ersten
Preis. Grund genug für Frauen , Nebenfrauen, Blumenhändlerinnen, gegen
diesen Wahn ein letztes Mal (und mit Erfolg) zu streiten.7 Denn ohne Blu-

1 PI. Symp. 1 87d : µe>.ono1ia.


2 Arist. Pol . V I I I 5, 1 339 b 6-1 0 , nach I I . 1 604 f.
3 Pol . V I I I 6, 1 340 b 35-1 341 8 2 1 .
4 N ietzsche, [2 1 874 § 1 1 ] KGA 1 1 1/1 71 f.

5 Ar. Thesm. 456; Gell. Noct. Att. XV 20, 1 .

s Ar. Thesm. 451 .

7 Ar. Thesm. 672.

31
men, Quellen, Bäche gibt es keine Nymphen, Satyrn und Sirenen . Der Le­
bensgrund für Satyrspiele und Tragödien, diese unerhörte Einheit, ist dahin.

Nach einem Scherz des Sophokles, der auf ihn selber wundersam zu rück­
strahlt, war Euripides zwar « i n seinen Stücken Frauen feind, aber nicht im
Bett. » 1 Nicht nur, solange er mit ihnen schlafen konnte, hat Sophokles daher
für junge Frauen gedichtet. Er wollte sie ein Leben lang besingen, auch als
der Daimon Eros den Greis zu dessen Glück verlassen hatte.2 Eu ripides,
der letzte grosse Tragiker, wie er späteren Athenern hiess, begann das gan­
ze Gegenteil. I n seinen Stücken, also anders als i m Leben, spielte er den
Frauenfeind und -pädagogen. Er stellte keusche junge Männer oder reuige
verführte Bräute vor die Skene, um umgekehrt erfahrenen Frauen, die die
Liebe liebten, jedwede Geilheit anzudichten. Das, nur das ist die Tragödie.

Statt wie die Gräzisten an Euripides zu rühmen, unsere Psychologie (zumal


der Weiblichkeit) sei bei ihm vorweggenommen , statt wie Nietzsche zu be­
klagen, er habe die Tragödie Sokrates, dem Phi losophen unterworfen, m üs­
sen wir erst wieder lesen lernen. Nur dann erweist sich zweierlei : Freuds
Psychoanalyse, erstens, dürfen wir getrost vergessen. Den Wagnerkü nder
Nietzsche, zweitens, der zum Lesen der drei Tragiker wohl kau m mehr Zeit
fand, trog sein übereiltes Urteil, «es komme» bei Euripides «auf den In­
halt der dargestellten Ereignisse» gar « n icht an „ .3 ( Hegels Auslegungskunst
scheint an der klassischen Phi lologie noch lange Zeit vorbeigegangen .) Wir
möchten euch im Gegenteil beweisen , dass (mit Aristoteles' Poetik) jedwe­
de Wendung oder besser Fälsch ung alter Sagen zählt. Dass nämlich einen
sogenan nten « I nhalt» - die blosse Fabel ohne Götter und Musik - überhaupt
erst Eu ripides erfunden hat -: seitdem « ich komme» nicht mehr sagen darf,
was es besagt.

Lesen wir sie also wieder, 4 von 21 Dramen, die Römer oder Christen - was
das Selbe ist - uns ausnahmsweise ü berliefert haben. Denn Aischylos u nd
Sophokles mit ihren hu nderten Tragödien hat derselbe Wahn auf sieben für
die Schule abgeschriebene beschnitten . Lesen wir, was Frauenfeindschaft,
noch dazu im Theatron des Frauengottes selber,4 Athenern und Athenerin­
nen zeigte, ohne aber jenes Siegerglück zu schenken, das Sophokles mit
Kränzen überhäufte. Was Euripides zufolge Männern frommt und Frauen,
was Gattinnen von H u ren unterscheidet und waru m Helena, die Schönste,
zwar in sechs Tragödien untreu heisst, in einer aber brave Ehefrau . Kurz,

1 Athen. X I I I 5, 557e
= Eur. test. 1 23 Kovacs. Siehe auch Gell. Noct. Att. XV 20, 6-9.
2 Vgl. Schadewaldt, i n Sophokles, 1 968, 441 .
3 Nietzsche, [2 1 874 § 1 2] KGA 1 1 1/1 79. Entsprechend dürftig sind die Inhaltsangaben in Nietz­
sche, [ 1 874- 1 876] KGA 1 1/5, 1 20-1 4 1 .
4 Otto, 6 1 996, 1 55-1 64.

32
wie owq>poouv11, die so schwer errungene Besonnenheit der Griechen , 1 zu
blasser Keuschheit absinkt. Von Musik und Mathematik führt das zwar lang­
hin weg . Doch wir erku nden ja, warum Literatur i m Gegensatz zur Dichtung
nicht mehr silbenzählend singt, müssen aber mit der Antwort uns gedulden .

3 . 1 .2.1 I on

Die Tragödie namens Ion stellt das Vorbi ld solcher Keuschheit auf, mit Pla­
ton also die « Idee » . Ion heisst zu nächst ganz schlicht •der kommt• ;2 zwei­
tens ein Ephebe, der in Delphoi jeden Morgen Gottes Haus fegt; drittens
und am Ende aber kündet Ion jenen König Altathens, dessen Söhne al­
le Grü nderhelden der Ionier zeugen werden . 3 Euripides' Tragödie tut also
scheinbar dasselbe wie die zwei Sirenen, wenn sie iwv singen : « Los kom m
hierher· Odysseus vieler Rätsel· grosser G lanz Achaias ! » S i e ruft dreimal
zum Kom men auf: erst einen Namenlosen, dann einen vom Stiefvater be­
nan nten Epheben und am Ende u nvergänglich grossen Ruhm. Eben dies
jedoch , dass Ion • kommt• , ein Sterblicher, schliesst zwingend aus, Apollons
Kommen selber anzurufen. Statt wie Sappho oder Oidipus auf Götter zu
vertrauen, die uns in tiefer Not zu H ilfe eilen, führt Euripides den Gott, dem
anfangs Ions frommer Tempeldienst und Hymnos gelten,4 grad u mgekehrt
auf seiner Flucht vor.

Götter können Bräute zwar entjungfern, aber nicht zur Gattin nehmen. Da­
her reut Apollon seine eine Liebesnacht mit Ions Mutter doppelt. Erstens
überlässt er den Prolog , die Sage von Kreusas Schändung,5 seinem wil­
den Bruder Hermes, den die Griechen ja als Phallos selbst verehren. Pan
oder Hermes, wenn sie eine Braut entju ngfern, tun damit nur ihr Wesen
ku nd. zweitens spricht den Epilog , von einem Euripides so teuren Maschi­
nengötterkran herab,6 auf Apollons Bitte hin Athena, die Jungfrauengöttin
von Athen.7 Denn wo nur immer möglich, biegt Euripides alte Dorerkulte -
zuhöchst Delphois Apollon - in Kulte seiner Heimat u m . Sicher, zwischen
Lakedaimon und Athen tobt 410 seit zwei Jahrzeh nten Krieg.

1 Hölderlin, [04. 1 2. 1 80 1 ] o. J„ 389.


2 Eur. Ion 534, 661 .
3 Ion 1 57 1 - 1 595.
4 Ion 1 4 1 - 1 43 .
5 Vgl . Keuls, 1 985, 5 1 , über attische Sage n : . I n no other mythology o f which 1 am aware does
rape play a more prominent part. [ . . . ] One can only marvel at the candor with which Greek
myth fashioned and depicted these tales dramatizing the power of the male over the female."
6 Barthes, 1 990, 89 f.
7 Eur. Ion 367 und 1 557.

33
Doch ist ein Gott , der (laut Xenophanes und Eu ripides) Ehen bricht und
keusche Bräute ü berwältigt, überhaupt noch Gott? Nein, sagen freudig un­
sere Gelehrten , u m Eu ripides als Fortschritt der Moral zu feiern . 1 Sie ü ber­
sehen allerdings den Witz daran : ccWenn die Götter nichts U nschickliches
anstellen , sind sie gar keine Götter mehr. »2 Eben weil die Spiele zwischen
Scheu und Glied ,3 Bergen und Entbergen enden, wird aM8e1a zur plato­
nisch schatten losen Wah rheit der Idee. Daimone n , die im Dunkel schweifen,
dürfen Bräute und Epheben, schon u m sie athenisch einzuschulen, niemals
mehr verführen. Auf Schulmoral hin Verse drechseln und darob vergessen,
dass Apollon mit der Leier Musen oder Nymphen anfü hrt - das heisst seit
Euripides Literatu r. Das Skript des Christentu ms beginnt sich abzuzeichnen.
Xuthos ist so kinderlos wie Joseph. Kreusa, wenn der Gott in seiner Brunst
sie heimsucht, könnte fast Maria heissen.

Kreusa, einst Apollons wilde Braut und von daher Ions Mutter, kom mt mit
ihrem Mann nach Delphoi. Die Ehe ist unfruchtbar ki nderlos geblieben, sei
es, wei l der Gatte aus Achaia stammt, also Athen auch keinen autochthonen
König zeugen darf, sei es, weil Apollons Liebe Kreusas Schoss auf immerdar
verriegelt. Der Gott, der sie mit einem Sohn doch schon gesegnet hat, soll
ihr und Xuthos nun zum attisch autochthonen Thronfolger verhelfen. Xuthos
geht Trophonios, den Traumorakelgott von Lebadeia, fragen , ccob sich unser
beider Saft zu Kindern mischen wird . »4 So berichtet es Kreusa Ion und zeigt
ganz nebenher, dass Frauen Anaxagoras und seinem Schüler Eu ripides im­
mer noch nicht glaube n : I n Liebesnächten fliesst nicht bloss ein Sperma;
es vermischen sich zwei Säfte. Kreusa selber trifft auf ihren Sohn , den sie
nicht erkennt, schon weil pathetisch ausgestellte Scham ihr eigenes U n heil
einer Freundin anzudichten nötigt : Beim Blumenpflücken - also dem , was
Wiesennymphen schon seit Kore und Europa tun - sei die Freundin einer
Höhle Pans zu nah gekommen.5

1 Murray, 3 1 965, 60 ; Foucault, 200 1 , 44.


2 So zitiert Mailarme, [ 1 880) 1 96 1 , 1 1 85, uns leider unauffindbar, Euripides. Vgl . aber Calas­
so, 2003 , 9 1 .
3 Lacan , 1 966, 692 : « Le phallus est le signifiant de cette Aufhebung elle-meme qu'il inau­
gure (initie) par sa disparition. C'est pourquoi le demon de l'Aiöcix; (Scham) surgit dans le
moment meme ou dans le mystere antique, le phallus est devoile».
4 Eur. Ion 406. Zu Trophonios siehe ausführlich Paus. IX, 39, 1 -40, 2. Keinem Heilschlaf hast
du therapeutisch mehr vertraut.
5 Eur. Ion 936-94 1 . Ü ber Pan und Apollon, Kreusa und Kore siehe Loraux, 1 990, 1 96-203 .
Wir merken ergänzend an, dass Pans Höhle eine Votivnische wohl für Kinderwünsche war
(Travlos, 1 97 1 , 233 ) .

34
Die Höhle, von Poseidon in den Nordhang der Akropolis gegraben , 1 lockt
schon darum zu geheimer Liebe,2 wei l Pan schlicht „das Geschlecht ist", 3
e i n e satyrhafte Dauererektion. Er bläst in dieser Höhle auf d e r Hirtenflöte,
während ihn Aglau ros' Töchter oder Nymphen - so Kreusas Frauenchor
- mainadisch wild umtanzen.4 Musik (für Eu ripides) lädt leider dazu ein, in
der Liebe Götter nachzumachen . Am Nordhang der Akropolis, heisst das ar­
chäologisch , gibt es seit König Minos5 unterirdisch Phal losku lte junger Frau­
en,6 von Zeus und seiner Jungfrauentochter nur geduldet, von anderen Göt­
tern wie Apollon aber ausgenutzt. Perikles' grosse Architekten haben noch
nicht alles marmorn überbauen kön nen, was Athener Bräuten ehmals frei­
gestanden hat. Apollon sieht Kreusa Krokos pflücken, erglüht, verschleppt
sie in Pans Höhle, um einer Nymphe anzutu n , was ihrer aller Wesen ist,
seit Euripides jedoch bis zu den Christen unentwegt «Gewalt» heisst.7 Als
würden Bräute nie den Blutstrom ihres Leibes oder auch Poseidons füh­
len, immer nur wir Männer.8 Die Gründe dieser Unlust deuten sich auch an :
Derweil ein j u nger Gott i n Pans uraltem Namen oder Felsloch stu mm ans
Blumenpflücken geht, schreit Kreusa « Mutte r ! » 9 Solons Geheisse und Fami­
lienbande dringen also bis ins Lustgestöhn. Euripides fängt aufzuschreiben
an, was Dritte überhaupt nichts angeht : Pornographie.

Mit einem Gott zu schlafen (anders als mit Xuthos' flauem Sperma) bleibt
aber niemals ohne Folgen . 1 0 Zehn Monde später muss Kreusa, diesmal je­
doch aus freien Stücken, wieder in Pans Höhle flüchten, um hinterm Rücken
ihrer königl ichen Eltern Ion zu gebären. Sie setzt ihn wilden Tieren aus und
kan n nicht ahnen , dass Apollon seinen Bruder Hermes sendet, den Neu­
geborenen aus Athen in Delphois Tempel zu entrücken. Anders als vielna­
mige Daimonen wie Dionysos, der unter Männermasken Homeros' Mutter
schwängert, ohne je an seinen grössten Sohn zu denken, sorgen die nam­
haften Götter doch um ihre wilde Brut. Ion ü berlebt und darf i m Tempel sei­
nes unbekannten Vaters Putzerdienst verrichten. Dort treffen i h n , u m den
versagten Nachwuchs zu erflehen, Kreusa und ihr Gatte Xuthos. Dort ver-

1 Ion 282.
2 Ar. Lyc. 9 1 O ; Paus. 1 28, 4.
3 Walter, 200 1 , 56.
4 Eur. Ion 491 -509.
5 Zur Panshöhle und ihrem kultischen Alter siehe Boulanger, 1 963, 269 f. Nur fehlen bislang
Linear B-Tafeln aus Athen.
s Travlos, 1 97 1 , 228.

7 Eur. Ion 437. Wenn Euripides für einmal ßia, die Gewalt, vergisst, erfinden sie die Ü berset­
zer. So Kovacs in Euripides, 1 994-2002, IV 323. Wenn Euripides grad umgekehrt Gewalt
beklagt, verleugnen sie die Deuter: Foucault, 200 1 , 39, erkennt nur auf Verführung.
8 So taub noch Rilkes dritte Duineser Elegie (Rilke, 1 966, 1 452).

9 Eur. Ion 893.


1 0 � 1 .3 . 1 .2.

35
kündet die Pythia Xuthos, der erste, der beim Verlassen ihres Tempels ihm
•entgegenkomme• , also Ion, sei sein lang ersehnter Soh n . 1 Anstatt der Göt­
ter « kommen» blass noch ihre Ehebrüche.

Xuthos sinnt und sinnt, wie er zu dieser unverhofften Vaterschaft gekom­


men ist, bis ihm ein Jugendtau mel wieder einfällt: Lang vor seiner Heirat
war er am Parnassos und hat mit Delphois ländlich namenlosen Thyaden
weintru nken eine ganze Nacht durch dem Dionysos getanzt. Da sei es denn
geschehen. Fast als schwärmten einmal mehr maskierte Männer, vom Ger­
stenbier berauscht, mit Homeros' Mutter durch die Nacht, nur diesmal vol­
ler Reue, Mutterliebe und Redseligkeit. Denn beide - schei nbar erkan nter
Sohn und vom Gott betrogener Vater - wünschen sich nichts sehnlicher,
als den Namen dieser schwangeren Mainade zu erfahren.2 Dass Xuthos
bis zum Schluss nicht ahnt, wie schnöde ihn Apollon hinters Licht geführt
hat,3 zeigt am klarsten , dass Eu ripides im Ion das tragische Gefüge aus
Schicksalsumschwu ng, Wahrheit und Wiedererkennung (nep1nere1a, 6M-
9e:1a, avayvwp101c;) absichtsvoll zerreisst.4 Doch seit die Bürger von Athen
ihr Gebürtigsein aus einem Elternpaar verleugnen, u m lieber autochthon zu
heissen, wird Mutterschaft unweigerlich zum u n lösbaren Rätsel . Lest nur
das Neue Testament. . .

Es kommt zum Glück nicht mehr zu dieser irren M uttersuche, die gut athe­
nisch auch die Mutter Erde meinen kan n . 5 Kreusa bekennt am Ende, sie
selbst (und nicht die vorgeschobene Freundin) habe mit dem Gott geschla­
fen . Wer mag schon einer Frau vorhalten , sie hätte ihre Lust Gewalt ge­
nannt? Wer mag Pan und seinen vielen Nymphen die Mimesis der Götter
wehren?6 Nur für Ion, tumb wie nachmals Wolframs Parzival , stü rzt eine
Welt ein. Und u m das abzufedern, sucht der Held nach Worten , die ihm feh­
len , aber i n der Folge Dichtung selbst aufheben werden : Seit Ion heissen
Götter blasse Redensarten, Allegorien , Metaphern. Im bitterernsten Mono­
log des jungen Mannes taucht all das, zwar noch begriffslos stam melnd,
auf.

1 Eur. Ion 534, 660-662, 802, 8 1 3 . Ein ständig wiederholtes Wortspiel mit iwv, das Foucault,
200 1 , 36-57, vollkommen überliest.
2 Ion 545-554 und 564-574.
3 Foucault, 200 1 , 45 : The god's answer is a pure lie. » Foucault überliest nur ständig, dass
«

Athena, seine ach so wahre Göttin des Diskurses, Kreusa diese Lüge dringend anrät (Eur.
Ion 1 600 1.).
4 Ü ber dieses Grundgeschehnis d e r Tragödie siehe einzig Janke, 1 953, 46-5 1 , zu Arist. Poet.
6, 1 450834 1.
5 Eur. Ion, 543 .

s Ion 492-502.

36
vouSeTriTeoc; öe µ01
<Dolßoc; . Ti n6oxer nap9evouc; ßi9 yaµwv
npoöiöwo1 ; naK>ac; eKTe:KVouµevoc; A68p9
9v(loKOVTac; aµe:Ae:T; µfl OU y'· 6M' , enei KpOTe:Tc;,
ape:Tac; öiwKe. Kai yap ö011c; äv ßpoTwv
KaKoc; necpuKn . �riµ1oüo1v oi Seoi.
nwc; ouv öiKOIOV TOU<; v6µouc; uµäc; ßpo10Tc;
yp64JaVTac; OUTouc; avoµiav Oq>AIOKOVE:IV ;
ei ö' (ou yap eom1, Ti;> AOV� öe xpr'}ooµa1)
öiKac; ß1aiwv öwoe:T' 6v8pwno1c; y6µwv
ou Kai nooe1öwv Zeuc; 9' öc; oupavoü KpOTei,
vaouc; TivoVTec; CÖIKiac; KE:VWOE:TE:.
TO<; riöovac; yap Ti;<; npoµri9iac; nepa
oneuÖOVTec; 6ö1K€il' . OUKeT' 6v9pwnouc; KOKouc;
Aeye1v öiKaiov, ei Ta Twv Sewv KaAa
µ1µouµe8' , 6Ma TOuc; ÖIÖOOKOVTac; Taöe.
Doch zu tadeln scheint mir
Phoibos· was ihn ankommt? gibt jungfraun mit gewalt
der lustnacht preis? verlässt sie dan n ? setzt heimlich
kinder aus u nd lässt sie sorglos sterben ? nei n · nicht du !
da du doch macht hast· üb auch tugend ! denn wenn ein
sterblicher schlecht handelt· strafen ihn die götter.
ist's also recht· dass ihr uns sterblichen
satzungen vorschreibt und selber unrecht tut?
wenn ihr (es wi rd nicht sein · ich red nur so)
uns sterbliche für liebesübergriffe straft·
du selbst· Poseidon und auch Zeus· der himmelsherr·
so leert ihr unrecht sühnend eure tempel.
wenn ihr auf lüste sinnt und nicht des kom menden gedenkt·
so tut ihr unrecht. und recht ist's nicht die menschen
schlecht zu nennen· wenn wir der götter glück
nachah men· sondern euch die uns das lehrte n . 1

Wer weiss, w i e viele Hörerinnen lachten, a l s Eu ripides ganz offen zugab,


ihre Liebesnacht mit Göttern sei ein «Glück» ? Wer weiss, wie viele noch
begriffen, dass Liebe Nachahmung der Götter hiess? Wer weiss, wie viele
Hörerin nen weinten, als Ion erste Kinderfragen stellte ? Eu ripides erfindet ja
vor aller Ohren das uneheliche Kind. So werden wir in Lügennetze einge­
fangen.

1 I o n 436-45 1 .

37
Die Tragödie hört auf, Anrufung der Götter zu sein , und geht statt dessen
dazu über, unkeusche Götti nnen und Götter anzuklagen. Ku nstreich wie
nur attische Ju risten beruft Ion als Rechtsgrund seiner Anklage eben jene
Satzungen, die die Götter selbst geschrieben haben sollen. Als westen sie
nicht umgekehrt grad dari n , ohne Menschenlaut und Schrift zu walten - mit
« u ngeschriebenen Geheissen » . 1 Aber diese Verwechslung ewiger und so­
lonischer Gesetze erlaubt es Ion, Götter selbst an Sitten zu bemessen , die
im demokratischen Athen herrschen. Da erst geschriebene Gesetze demo­
kratisch Reich wie Arm erreichen, gelten sie schlechth in.2 Zu ihrem G lück
sind Frauen hinter Schloss und Riegel,3 können also nicht mehr mit Gewalt
genommen werden . Und wer drei dreist beim Namen angeklagte Götter -
Zeus, Poseidon und Apollon - weiter darin « nachahmt» , hinterm Rücken der
Eltern Liebe zu machen,4 hat fortan die Ausrede, Götter seien seine Lehrer.
Schreibt Eu ripides, der Volksschullehrer, und bittet sie zugleich , nicht durch
Unkeuschheit Heiligtü mer zu verarmen, die doch er selbst mit durchgefalle­
nen Tragödien leert.

( Damit meint Euripides nicht, wie ihr postchristlich Armen glauben könntet,
dass sich (wie heut) die Kirchenstü hle leeren, sondern dass der Gott sein
Haus verlässt - wie im Ion selbst. Zum I n nenraum des Tempels haben höch­
stens Priester oder Priesterinnen Zugang. G riechen beten ihre Götterbilder
stets von aussen an : im Freien, vor dem Altar, u nter heller Morgensonne.
Eu ripides meint auch nicht, dass angesichts so wüster Götter niemand mehr
Theaterkarten kaufen wird . Seit Perikles erhalten Athens Arme Staatsgeld
fürs Theater, das ja ein Heiligtum und Fest des Gottes ist.)

Doch kau m ist das gesagt, stockt Ion schon das Wort. Wir können es ihm
kau m verdenken. Ein Ephebe, sechzehn oder siebzehn und allein, ohne alle
Musen, Götter und Musik, stü rzt in den Abgrund, der dereinst Europa heis­
sen wird . Sein und « reden » treten grausam auseinander. Noch kann Ion ja
nicht ahnen, dass Apollon selbst am Schluss der Vaterschaftsanklage i h m in
allen Punkten zusti m mt. Also trennt er Götterwirklichkeit und Sage wie keu­
sches Sein und blossen Mythos. Der Chor - Kreusas Sklavinnen - sti mmt
ihm darin freudig zu : N u r Männerchöre scheuen Götter so gering, dass sie
ihnen «gesetzlos u nfromme Liebesnächte » mit ju ngen Bräuten anzudich­
ten wagen. Dagegen haben Frauenchöre, politisch nur korrekt, euripideisch
keusche « Gegensänge » zu erfinden.5

1 Soph. Ant. 454 1. � 1 .4.3.3.3.


2 Eur. Supp. 433 ; vgl . auch Ir. 586 Nauck, 8 1 .
3 Eur. Heracl . 476 1. Siehe aber die wütende Antwort der Athenerinnen in Ar. Thesm . 4 1 5-423 .
4 Eur. Ion 34 1 und 1 52 1 - 1 527, wo Ion zunächst Kreusas fiktiver Freundin, aber dann ihr selbst
vorhält, sie missbrauche Apollons Namen nur, weil sie sich der Liebesnacht mit einem Sterb­
lichen so schäme.
5 Ion 1 090- 1 098 ; =? 3 . 1 .2.3.2.

38
Dieser Gegensang erklärt nichts anderes, als was Ion Zeus, Apollon und
Poseidon vorwirft: So wie sie selber ihren Bühnenauftritt fliehen und durch
wüste Liebesnächte ihren eigenen Tempel leeren, verachtet solche Götter
auch der Chor. Chöre aber sti mmen zwischen Dialogen, wie sie aus Ho­
meros' Epos in das Drama wandern, das Melos reinen Götteranrufs an . Sie
müssen also - bei Euripides' verzweifelt grossen Nebenbuhler - i m Sturm
der Götterflucht, ihr eigenes Ende singend, sch lichtweg abzutreten drohen.
(Wie das der Mittleren Komödie nach Lysandros' Sieg geschieht.) Wen n
Oidipus i m H a i n von Kolonos nicht beide Töchter wiederfände u n d sterbend
von zwei Grossen Götti nnen gerufen würde, wäre es (mit Sophokles) um
die Tragödie geschehen. Die blosse Möglichkeit, dass Herrscher i h ren Vater
töten und mit i h rer Mutter schlafen, lässt den Chor am eigenen Tun verzwei­
feln.
e:i yap ai ro1aiöe: np6�e:1c; riµ1a1 .
ri öe:T µe: xope:ue:1v ;
[ . . . ]
KouöaµoO r1µdic; 'An6Mwv E:µcpavfic;
eppe:1 öE: TQ Se:Ta.
Wenn solche handlu ngen in ehren stehn·
was muss ich da noch reigentanzen?
[„ . ]
bei opfern scheint Apollon nirgendwo mehr vor·
hin geht das göttliche. 1

Euripides dagegen, statt die Götter glühend anzu rufen und ihr Schwinden
zu beweinen, schildert seinen Zuschauern nurmehr ihre Reliefs an Delphois
Tempelwänden. Als schrumpfte Apollons dorisch fernes Heiligtum zu einem
jener Eidola i m Bildprogramm , das Perikles am Eingang zur Akropolis auf
Tempelwände malen liess.2 Als wäre, schl i m mer noch, ein Bus voll älte­
rer Tou risti nnen in Delphoi eingefallen . Jedenfalls „versenken sich Kreusas
Dienerinnen i n eine ausfü hrliche Betrachtu ng der Reliefs am delphischen
Tempel". U nd das „berührt" nicht bloss daru m „fremdartig", weil „in der klas­
sischen Literatur die bildende Kunst wenig berü hrt wird",3 sondern rü hrt ans
Wesen aller Dichtung. Die Götter fliehen ihre Häuser, ihr leibhaftiges Anwe­
sen mith i n , um nurmehr Bilderehen (e:'iöw.>.a) zu rückzulassen: Allegorien,
Metaphern, leere Sagen.4 Der Chor gibt schlicht sein Wesen preis, die Göt-

1 Soph . 0. T. 894-9 1 0 . Dazu Schadewaldt, 1 968, 425.


2 Boulanger, 1 963, 236 1. Harzilius-Klück, 2004, 97, rech net zur „Tempelausstattung" sogar
„Decken aus Buntweberei".
3 Graf, 1 907, 3 , zu Eur. Ion 1 84-2 1 8. Vgl . aber auch Ion 271 und 1 1 4 1 - 1 1 65.
4 Snel l , 2 1 948, 1 39 . Dass Euripides sich selbst als Maler versucht hat, betont Nietzsche
(1 874- 1 876] KGA 1 1/5, 1 1 6.

39
ter um ihr Kommen anzurufen. Je älter, dreister, gottloser der Dichter wird ,
desto wahlloser schwelgen seine Chöre i n Bildbeschreibungen, Rückblen­
den und Landschaftsszenen . 1

Zwischen kalkulierter Langeweile u n d kalkulierter Span nung kommt statt


dessen eine neue Gattung auf, der Fortsetzu ngsroman avant la lettre. Wie
entfliehen Sterbliche den Schlingen schlim mer Götter, lautet jetzt die Frage.
Die radikalste Antwort gibt der ungeheuer wüste Rat, Kreusa möge Feuer an
Apollons schönsten Tempel legen.2 Denn er belegt nicht blass „die schwere
Krise des griechischen Geistes am Ende des fünften Jahrhunderts",3 son­
dern wird so flammend wie buchstäblich wah r : Als Nachahmungen der Göt­
ter heissen ihre Reliefs, Gemälde und Standbilder schlichtweg keine Götter
mehr.4 Dionysos u nd Ariadne mögen so beseligt tanzen, wie sie können,
Aischylos das Gespenst der toten Klytai m nestra so bestimmend auf die Büh­
ne zaubern, wie es ist.5 Die goldene Kette namens M i mesis reisst ab.

3 . 1 .2.2 Hippolytos

Et Phedre au Labyrinthe avec vous descendue


Se serait avec vous retrouvee, ou perdue.
Racine, Phedre

Wenn die Sonne überm Lykabettos östlich von Athen aufgeht, fangen atti­
sche Tragödien an . Das Drama spielt in Echtzeit. Sophokles, nur er, besi ngt
das immer wieder.6 Erst Wagners Ring des Nibelungen ruft uns dieses Me­
dienlichterspiel zurück: vom Rheingold-Morgen bis zur Götterdämmerung.
Wenn der Sonnenball i m Abendrot vor Aigina versinkt, gehen mit dem Satyr­
spiel die Tri logien zu Ende.7 Tragödien spielen anders als bei uns im Freien
-: ohne Kerzen , ohne Lampen. Griechi n nen und Griechen haben Musse,
keine Freizeit. Es ist hohe Zeit für Götterbilder. Ausser in Arkadiens wildem
Bassai8 blicken Tempel stets nach Osten, damit der erste Sonnenstrahl den
Gott in seinem Haus den Opfernden entbirgt. Anders als in Bassais Wald­
schlucht, die einen Wolfsgott hoher Berge feiert, blicken Tempel auch aufs
Meer. N ichts anderes heisst Theater, ·Götterschau „9 Deshalb geht Heideg-

1 Graf, 1 907, 8, vermerkt zu Recht die „zunehmende Geringwertigkeit des Inhalts i n vielen
seiner Chorgesänge".
2 Eur. Ion 974.
3 Staiger in Euripides, 1 947, 8.
4 Für Sokrates siehe PI. Euthphr. 6bc ; für Euripides � 3 . 1 .2.3.2.
5 Aesch. Eu. 94- 1 39.

6 Soph. Trach . 94-96; Ant. 1 00 f. ; EI. 86-9 1 .


7 Aesch. Eu. 1 02 1 - 1 027.

8 Charbonneaux/MartinNillard, 1 97 1 , 3 1 .

9 Heidegger, 2 1 992, 1 52- 1 55 und 1 82 .

40
ger das geographisch irre Wagnis ein, Bassais Apollontempel dem «Wogen
der Meerflut» so zu öffnen, dass sich vier Elemente alle u m ccdas Werk» ver­
sam meln können : der H i m mel und die Erde, die Meerflut und der Sturm . 1

Also fallen früh a m Morgen , wenn H ippolytos m i t seinem ungewohnten Män­


nerchor aus Nacht und Jagd heimkehrt, auch i m Dionysostheater zwei Göt­
terbilder vor der Skene strahlend in die Augen. Die Sonne scheint auf Ar­
temis u nd Aphrodita. Am rechten Bühnenausgang , der zu Wildnissen und
Meeren führt, zeigt sich die rau he Jägerin ; am linken, auf dem Weg zur
Stadt, dagegen Aph rodita.2 Beide sind jedoch, wie wir aus Sparta wisse n ,
beileibe keine Gegensätze : S i e leben nur die erste u n d d i e schönste Pha­
se im Reifen der Geschlechter vor. Artemis behütet Bräute, Aphrodita junge
Frauen, Artemis dann wieder Wöchneri nnen, einfach wei l sie beide lebens­
länglich nottu n . Eu ripides indes stellt seinen tumben Helden vor zwei Göt­
terbilder, als d ü rften wir - wie Herakles am Scheideweg - zwischen Artemis
und Aphrodita frei entscheiden. Solchen U nfug haben die Sophisten (von
Prodikos und Sokrates bis zu den Kirchenvätern) ausgeheckt : Jeder ei nzel­
ne Idiot soll eine u nd nur eine Gottheit wählen.3 Wo doch grad u mgekehrt
uns Göttinnen und Götter je und jäh erhöre n .

Hippolytos, Phaidras Stiefsohn, d e n e i n e männerfeindlich wilde Amazone


Theseus einst geboren hat, kränzt das Blondhaar seiner keuschen Göttin mit
Blumen keuscher u ngemähter Wiesen ; die Herrin aller Liebe aber ccgrüsst»
der ju nge Mann mit kei nem Wort.4 • Heil • kann Griechen beides heissen,
Willkomm u nd Abschied : Anwesen und Abwesen trennen sie lang nicht so
seinsvergessen wie wir Abendländer. Aber da schon Hippolytos' Jagdge­
nossen in xaipe: nur den Abschied hören, setzen sie der Hybris ihres Herren
wieder Masse.5 Der Männerchor ruft zwar die Liebesgöttin selbst nicht an ,
aber wie i m Ion doch ihr machtlos schönes Standbild. 6 Zudem hat Aphrodita
schon zu Anbeginn - auf dem Eu ripides so teuren Göttersprechplatz (9e:o­
Aoye:Tov) - H ippolytos gedroht, er werde die M issachtung ihrer Lust noch mit
dem Tod bezahlen müssen. Niemand dürfe sie ungestraft ccdie schlimmste
aller Götter nennen » .7 Was umgekehrt Hippolytos zur Hybris selbst aufsta­
chelt: Er rühmt sich , ohne Aphrodita auszukommen. Denn Artemis kehre

1 Heidegger, 4 1 963, 3 1 . Um von Schnee und Eiseskälte, Anfang März, zu schweigen.


2 „Die Göttinnen Artemis und Aphrodita werden so fast zu bloßen Symbolen." (Snell, 2 1 948,
1 39)
3 Xen . Mem. I I 1 , 2 1 -34.
4 Eur. Hipp. 73-83 und 1 1 3.
5 Hipp. 1 0 1 .

6 Hipp. 1 1 4- 1 1 7.
7 Hipp. 1 3.

41
ihm allein von allen Sterblichen wo nicht ihr Antlitz zu, so doch die « Men­
schensprache» (auör1) . 1

Der Übergang vom Ohr zum Auge, das Augenwu nder also, fügt sich erst
am Schluss. H ippolytos verblutet schreiend vor den Augen seines Vaters
Theseus, der Poseidon einen grausen Mordbefehl erteilt hat : Die Rosse
eines Pferdegottes lösen Hippolytos, wie um seinen Namen wahrzumachen,
in Fleischfetzen auf. ( Keine Zauberin ist wie Medea mehr vor Ort, dionysi­
sche Zerstückelung zu heilen . ) Da erscheint Artemis hoch überm Büh nen­
haus, auf demselben Göttersprechplatz wie zu Anfang Aphrodita, so dass
ihr keuscher Anbeter sie endlich noch erblicken kann . Wie im Ion, wo am
Schluss Athena den vor Liebe taumelnden Apollon ablöst und entschuldigt,
stellt Artemis, dem alten braven Jägerchor zum Trotz , ganz klar, dass sie
die Liebesgöttin aussticht, abstellt, mundtot macht. Das lohnt das demo­
kratische Athen 428 Eu ripides mit einem allerersten Siegeskranz. Theseus,
dieser Frauenheld, muss sich berichten lassen, dass Aph rodita vor Hass
ccauf uns » , die wie Artemis und ihr Ephebe eine vordem unerhörte « Lust auf
Keuschheit» spü ren,2 Phaidra wüste Lust auf ihren Stiefsohn eingeflösst hat
- nicht u mgekehrt (wie Theseus vorher wähnte) H ippolytos die untersagte
Lust (r'Jöovr1) auf Phaidra. (Was vor Sokrates die Lust auf Unlust immer auch
besagen mag . )

H ippolytos in seiner bodenlosen Keuschheit geht soweit z u fragen, warum


Zeus die Frauen überhaupt gemacht hat. Es wäre doch viel besser, wenn
Männer ganz allein i n Tempeln Kinder kaufen kön nten - gegen Bronze, Sil­
ber oder Gold.3 So offenkundig sollen Geldgeschäfte anstelle der Tragödi­
enpreise treten , u m die Eu ripides eben kämpft. Doch da es Frauen i n der
Mehrzahl nun schon gibt,4 müssen Männer Lehrer werden, die ihre eigene
Keuschheit auch dem anderen Geschlecht einflössen.5 Denn gegen The­
seus' Anklage, er habe Phaidra - wie Apollon Kreusa - Gewalt getan , setzt
H ippolytos all jene Gegengründe, die Aristoteles zur Politik verhärten wird :
Liebesszenen kenne er allein aus Reden u n d Gemälden , wolle aber weder
solche Reden noch Gemälde ccsehen » .6 H ippolytos, mit anderen Worten , ist
wie sein Dichter «der erste große Leser » auf der Büh ne7 - denn rein Ge­
sprochenes entginge ja den Augen. Erst solch leises Lesen vollbringt jene

1 Hipp. 84-86.
2 Hipp. 1 30 1 f.
3 Hipp. 6 1 6-624. Dasselbe wünscht lasen in Eur. Med . 573-575.
4 Lacan, 1 975, 68-7 1 .
5 Eur. Hipp. 667.

6 Hipp. 1 004- 1 006; dazu ausfü hrlich Schlesier, 2002, 2-5.

7 Nietzsche ( 1 874- 1 876) KGA 1 1/5, 283 ; vgl . auch 301 . Belege sind Ar. Ran . 943, 1 409 u nd
Athen. 1 4, 3a.

42
„Zertrüm merung von Sprache", 1 die nur schierer U nverstand dem musika­
lischsten aller Alphabete nachzusagen wagt.

Also stü rzen beide, Theseus und Hippolytos, durch leises Lesen in ihr Elend,
ihren Tod . Der Vater bringt den Sohn um, doch auch der Sohn den Vater. Wie
um mit Eu ripides' Geldgier zu erlügen, dass Palamedes uns das Alphabet
nicht zum Gesang erfand, sondern für Geschäftsbriefe und Testamente,2
hängt sich Phaidra eine versiegelte Schreibtafel (öeAroc;) testamentarisch
um die Hand . G leich darauf erhängt sie sich an einem Strick auch selbst.

Phaidras erstickter Leichnam rollt also aus der Skene ans Licht. Derweil
der Chor die Tote laut beklagt, nimmt Theseus nur Phaidras Brief als Testa­
ment wahr. Er liest, das heisst er « sammelt» schweigend , was an Dichtung
seitdem deren I nhalt heisst (ra ye:ypaµµeva) :3 eine ungenaue Wiederga­
be letzter Briefe, deren Wortlaut Euripides seinen Zuschauern verweigert.
Erst „seit diesem Zeitpu nkt gibt es das Problem von Form und Inhalt, ein
Problem , das vorher gar nicht aufkam ."4 Doch in der seinsgeschichtlich un­
erfahrenen Wirrnis leisen Lesens fällt Theseus, wohl nur mit Kretas alter
Silbenschrift vertraut, sofort ins alphabetisch neue Gegenteil. Gleich nach
seiner lautlosen Lektüre schreit er, Phaidras stumme Tafel schreie selbst.5
Als hätte dieses Wunder nicht erst - zweitausend Jahre später - Edisons
Phonograph gewirkt.

ßoc;l ßoc;l öeAroc; äAaora. nc;J cpuyw


ßapoc; KOKWV ; ano yap 6A6µe:voc; oixoµa1,
oTov oTov e:Töov µeAoc; ev ypacpaTc;
cp9e:yy6µe:vov TA6µwv.
Weh weh · o briet nicht zu vergessen ! wie fliehe ich
die last der übel? zugrund gerichtet kom m ich u m .
w i e · wie schreit das lied das ich geschrieben sehe
jammervollen laut.6

1 Jan und Aleida Assmann , Einleitung, i n Eric A. Havelock, Schriftlichkeit. Das griechische
Alphabet als kulturelle Revolution. Weinheim 1 990, 6.
2 <= 1 .2.2.3. 1 .
3 Eur. lph. A. 787 und 1 1 3. Als gesunkenes Kulturgut siehe auch die nep1oxr) Tfic; ypacpfjc; in
Apg . 8 , 32.
4 Koller, 1 963, 57, über den Sophisten Gorgias. Siehe auch McLuhan , 2 1 970, 340 : „Die Wir­
kung des phonetischen Alphabetes bei der Ü bertragung der auditiv-taktilen Kultur in eine
visuelle Kultur schuf sowohl in der Physik wie in der Literatur die irrige Vorstellung eines ,In­
halts'." Wir möchten McLuhan nur ganz leise korrigieren: Im Griechenalphabet übersteigen
sich die Augen selbst und lernen zuzuhören.
5 Dazu Stanford, 1 967, 2 1 , über Eur. lph. T. 763.

6 Hipp. 877-880 . Dazu Svenbro, 1 988, 9.

43
Der verwirrte leise Leser weiss also weder ein noch aus. Theseus glaubt
dem Schreiben Phaidras mehr als Hippolytos' wahren lauten Schwüren ,
Aphrodita sei ihm völlig fremd geblieben. Er hört aus Phaidras stu mmem
Brief die Sti mme melisch reiner Wahrheit, aus der Stimme seines Sohnes
umgekehrt nur jene Heuchelei (un6Kp101c;) , zu der einst Christen alle Schau­
spiele umfälschen werden. Theseus in seiner Not, aus der nur eine Medien­
wende spricht, träumt daher von Menschenstimmen, die von selbst beku n­
den würden, wann sie lügen und wann nicht. So fernhin ist auör1, die i m mer
wahre Göttersprache, schon entflohen.

ÖIOOO<; T€ q>WVO<; navrac; av8pwnouc; eX€1V,


TriV µ€;v ÖIKaiav, TriV ö' Önwc; eruyxaV€V,
wc; ri cppovouoa TÖÖIK' e�l')AeVX.€TO
npoc; rfic; ö1Kaiac; . KouK äv r)µarwµeea.
Zwei stimmen haben sollte jeder mensch ·
eine die spricht recht· die andre wie es kom mt·
so würde die die unrecht redet von der rechten
überfü hrt und wir nie mehr getäuscht ! 1

Schein u nd Wesen sollen mith i n , wie bei Sokrates, f ü r immer auseinander


treten , womit die Trennung aber überhaupt erst einsetzt. I n Wahrheit schei­
det Theseus ja nur Schrift und Rede und vergisst darüber, dass Phaidras
stumme Tafel ihn als leisen Leser schon betrügt. Ohne Artemis und ihre letz­
ten Worte vom Logeion wüsste daher niemand, was verlogen ist, was wahr.
AAr18e1a entbirgt sich nicht mehr im Geschehen . Sie wird , verordnet, zur
ldee.2 Der Chor besingt fortan nur Eros,3 nie mehr dessen Mutter Aphrodi­
ta. Ganz wie sich Apollon, Ions unkeuscher Dorergott, zu Beginn von seinem
Bruder Hermes und am Ende von der keuschsten aller Göttinnen vertreten
lässt, so hat Aphrodita zwar das erste Wort, Artemis jedoch das letzte. Eine
Jungfrauengöttin , die dem Sterbenden zuvor nur « Menschenstimme» (au­
ör1) war, erscheint am Ende - wie dem Ch risten Pau las - doch noch von
Angesicht zu ccAngesicht» .4 Die Parousie, zu Heideggers Entsetzen, wird
als Naherwartung furchtbar wah r.

Es ist daher nur folgerecht, dass die lateinische religio aus Artemis Diana
macht und i h ren keuschsten Helden nicht einmal (wie Aktaion) sterben
lässt. Hippolytos verwandelt sich in Virbius, wird nach Italien entrückt und

1 Hipp. 928-93 1 . Vgl . auch 387, wo Phaidra klagt, gute und böse Lüste schrieben sich mit
denselben Buchstaben -: welcher Abfall gegenüber Leukippos, der das Tragödien u nd Ko­
mödien zugedacht hat !
2 Heidegger, 1 967, 1 09-1 44.
3 Eur. Hipp. 538 ; vgl . 1 268- 1 28 1 .
4 Vgl . Hipp. 86 mit Apg . 9, 3-8, und 1 . Kor. 1 3 , 1 2.

44
überlebt i m waldig wilden Tempelhai n von Aricia. Dort waltet eine Tier­
gottheit, ob Kirke oder Artemis, die sich von Priestersklaven ehren lässt. 1
Keuschheit, Tugend, Auferstehung gehen fortan Hand i n Hand . Weshalb
die Christen ja Euripides und die Aeneis inständig bewahren . . .

3.1 .2.3 Helena

lt's now or never!


Elvis Presley

Aphrodita totzuschweigen fällt nicht leicht. Sokrates ersetzt sie durch die
«blasse Lust » , als ob es eine andere und «wahre» gäbe.2 Eu ripides erfin­
det Helena. U nter allen Heldinnen der Sage ist sie die einzige, auf die er
unentwegt zurückkommt. Gleichgü ltig ob Helena selber mitspielt oder nicht,
dauernd geistert Spartas Göttin als Barbarin durch die Stücke.3 Als müsse
Griechenlands Beginn erst widerrufen werden , um den Frauenhass Athens
ins Recht zu setzen . Als würde Juden, Christen und Muslimen schon i h r
Schlagwort zugespielt: Frauen s i n d , seit Göttinnen entschwinden, notwen­
dig H u ren oder Heilige. Noch die Fei nde Griechenlands plündern dessen
letzten Tragiker.

Was Freud die „allgemeinste Erniedrigu ng des Liebeslebens"4 nannte, ek­


sistiert schon daher nicht im ungeschichtlich Vagen. Ob Männer vor der
Ehefrau versagen, weil es ihnen nur bei Huren kommt, hängt entscheidend
davon ab, wie Kulturen ihre elementaren Verwandtschaftsregeln - auf grie­
chisch also Aphrodita - eingerichtet haben. Die verziffern aber letztlich Alge­
bren des Frauentauschs.5 Bei den Achaiern , wie Homeros sie besingt, sind
Fü rstentöchter i h ren vielen Freiern Dutzende von Rindern an den Schwie­
gervater schuldig. Aphrodita selbst erläutert es Anchises, sie sei eine solche
phrygisch < ri nderwerte• Königstochter.6 Später und zumal bei den Athenern
muss der Brautvater dagegen seinen Töchtern eine Mitgift spenden, die aus
Gold und letztlich Geld besteht, u m Freier ü berhaupt zu locken. So bietet
schon die Liebesgöttin, um als namenloser Daimon einem Sterblichen zu

1 Verg. Aen. V I I 76 1 -802. Diesem Hain hat Frazer, 1 968, ein Lebenswerk gewidmet.
2 Darüber mussten wir mit Walter Brüstle schon 1 968 lache n : Warum heisst die «wahre Lust»
ihr ganzes Gegenteil?
3 Murray, 3 1 965, 8 1 : „And Euripides was always curiously haunted by the thought of Helen
and by the mysterious and deadly power of mere superlative beauty'', Murray selber leider
nicht. Vgl . auch Hall, 1 989, 2 1 4.
4 Freud, 1 946- 1 968, V I I I 78-83.

5 Levi-Strauss, 3 1 97 1 , 257-265.

6 Hym n . hom. Ven . 1 1 9 : a>.q>e:aißo10.

45
nahen , in strahlendem Selbstwiderspruch Anchises ihre reiche Mitgift an . 1
Was Anchises, U rahn aller Römer, aber mit dem wahren Satz quittiert, er
wolle mit der unbekannten Schönen Liebe machen, Brautgeschenke oder
Mitgift hin und her! Hier auf diesem seinen Bett ! So kommt es, hinter beider
Eltern Rücken, einmal mehr zum gottgewollten Gamos.2

Sterbliche Bräute sind beim Öffnen ihrer Schenkel nicht so leicht und frei wie
ihrer aller Göttin. Die neue Mitgift wirft Probleme auf. Ob der Schwiegersohn
auf die (mit Smetana) verkaufte Braut auch Lust hat, steht seitdem dah i n .
W i r wissen nur, dass wir nicht sicher (aus d e n Quellen) wissen , was diesen
harten Schwenk vom Brautgeschenk zur Mitg ift ausgelöst hat. Aber die Ver­
mutung liegt doch nahe, dass es der Übergang vom rinderreichen Landbe­
sitz zur neuen Silbermü nzenwirtschaft war. Bevor Themistokles die reichen
Minen Lau reions der Flottenpolitik Athens erschloss, bot er mangels Mitg ift
seine beiden Töchter - als Italien und Sybaris - den nächsten besten Beute­
machern an.3 Und als Eu ripides beklagte, dass es Bräute, schmuckverliebte
Frauen und erwü nschte Söhne nur gegen hohe M itgift gebe, schlug er (wie
wir wissen) eine Lösung aller dieser Preisaufschläge vor : Männer könnten
ihre Kinder, statt mit einer Frau zu schlafen, doch viel einfacher im Tempel
kaufen.

Wir wüssten also gerne, wann , wie und worumwi llen Gift und Mitgift, Bordell
und Ehestand i m klassischen Athen zusammenkamen. Eine Antwort wäre
sicher möglich. Nur sind drei Jahrzehnte Gender Studies auf beiden Seiten
des Atlantik lieber Scheinproblemen nachgegangen.4

Brautmitg ift und Gruppensex -: alles das gehört ein ander Mal durchdacht.
An Helena, die in Lakonien Aphrodita rekursiv verdoppelt, lernen wir zu­
nächst die Raubhochzeit: Liebe ohne Brautgeschenke, ohne Mitgift, ei nfach
jetzt und hier. N icht jeder Mann versagt also bei der Geliebten, weil es ihm
nur bei H u ren kom mt. Spartas Heere, bloss zum Beispiel, zogen anders als
die anderen Griechen ohne Tross und Au losspielerinnen, nämlich ohne Hu­
ren in den Krieg .5 Sie hatten dank Musik gelernt, i h re Braut als Frau zu l ie­
ben . Dagegen setzten Solons hölzern drehbare Gesetzestafeln, die ja auch
den Münzfuss Attikas bestimmten , das Bordell und die Hetärenwi rtschaft
als Gegenhalt zur misogynen Ehe ein.6 „Er liess Sklavinnen in Bordelle ein-

1 Hym n . h o m . Ven . 1 37-1 42. Offenbar hat d e r Aphrodita-Hymnos mehrere Redaktionen er­
fahren . Falls er um 670 vollendet worden ist (Morris/Powell, 1 997, 490), würde das die Mitgift
ungefähr datieren helfen.
2 Hymn. hom. Ven . 1 55 f.
3 <= 2.2.2.2. 1 .
4 So mit allem Recht Connelly, 2007, 2 1 -24.
5 Plut. Vit. Cleom. XII 3.

6 So lesen wir mit Peschel, 1 987, 362, Plut. Vit. Sol. XV 3.

46
schliessen, u m die Bedürfnisse der ju ngen Athener zu befriedigen, und stif­
tete mit dem Geld, das die Pächterinnen dieser Hurenhäuser einnahmen ,
der Aphrodita Pandemos einen Kult."1 Die Göttin Aphrodita wird zur M ü nze
und das heisst zur nackten Zah l . In Solons Sinn vollstreckt Euripides, vor
zehntausenden von Ohren , mithin die Spaltung zwischen Ehefrau und Hu­
re, Haushaltu ng und Geldwirtschaft. Freud hätte gut daran getan, Griechen
nicht blass für seinen Abitursaufsatz zu lese n . Die « allgemei nste Ern iedri­
gung des Liebeslebens» scheint uns i m Gegenteil ganz einzigartig.

3.1 .2.3.1 Helena die Hure

Junge Männer, so sie nicht verderbt wie die Olympier sind, bleiben keusch
und rei n . Wo schreibt sich da noch das Begehren und Betrügen i h rer Frau­
en her? Helena, « bewu ndert viel und viel gescholte n , » 2 gibt die Antwort.
Nie würden Spartas Bräute mit ihren Liebhabern halbnackt die Stadt durch­
streifen, nie würden sie am Unterleib nur einen unvernähten schenkelfreien
Peplos tragen,3 wenn die geraubte Helena nicht schon zu Anbeginn das
alles vorgemacht hätte.

Mi mesis der Götter, eben.

Der alte weise Peleus, als hätte er Euripides, H ippolytos und Sokrates samt
ihren Frauenbildungsplänen durchgelesen, erklärt es Menelaos, dem U rbild
des betrogenen Spartaners. I n Frage steht nichts weniger als alles, was
Griechen erst zu G riechen macht : Wie können wir, als « Männer von Athen »
(ävöpe:c; Ä811vdio1) , 4 die llias ungeschehen machen ? Wir kommen ja i n ihr,
anders als ccdas frauenschöne Sparta » , 5 kau m je vor.

Ki;jra 8auµ6�e:1v xpe:wv


e:i µrl VUVÖIKO<; OWq:>povac; nOIÖE:UE:TE: ;
'EAE:v11v E:pE:o8a1 xpr1 r6ö' . i)11c; E:K ö6µwv
rov ouv Alnoüoa .

1 Pirenne-Delforge, 1 994, 28, nach Athen. X I I I 569de: „Solon aurait etabli des esclaves fe­
minines dans des maisons closes pour assouvir les besoins de la jeunesse athenienne et,
avec l 'argent amasse par les tenancieres de ces etablissements de prostitution , aurait in­
staure le culte d'Aphrodita Pandemos." So auch Breitenberger, 2007, 34. Forschungen , die
die archaische « Nebenfrau » (naMaKic;) (von der llias bis Sophokles, aber vor Pythagoras)
von der klassischen •bezahlten• Hure (n6pvri) u nterscheiden könnten, sind bislang Deside­
rate. neplff) µ I, das Stammwort aller Pornos, heisst ganz klar •Verkaufen>.
2 Goethe, Faust I I 3 , V. 8488.
3 Eur. Hec. 933 f. ; Andr. 592-600.
4 PI. Ap. 1 7a.
s Athen. XIV 633a.

47
Braucht es zu wundern·
wenn ihr die trauen nicht zur keuschheit aufzieht?
dann frag nur Helena die aus den häusern
dir davonlief. 1

Genauer noch ist ein lateinischer Heldenbrief, den Paris selbst an die Ent­
fü hrte richtet. Denn dieser Brief verfugt, was Euripides Spartas Bräuten all­
gemein und Helena i m einzelnen vorhält, so strahlend wie erotisch in ein
römisch nacktes Schauspiel . Und damit ruft Ovidius nur zurück, was Grie­
chen schon seit langem wisse n : ccE:Köüoa K18wva öwp1a�e1v, das Hemd
ausziehn heisst Dorerin sei n . » 2

Ergo arsit merito, q u i noverat omnia, Theseus,


et visa es tanto digna rapina vi ro,
more tuae genti lis nitida cum nuda palaestra
ludis et es nudis femina mixta viris.
So ist Theseus mit grund· der alles doch kan nte· erglüht·
und du erscheinst solchem mann als würdige beute.
strahlend und nackt nach art deines stammes spielst du
i m ringkampf und bist· frau · nackten männern gemischt.3

Menelaos mag also träumen , Helena sei keusch u nd treu .4 Statt ihre vie­
len Löcher zu erkunden, schläft er trunken ein.5 Folglich folgt Helena Pa­
ris, wie von Aphrodita ja verheissen, aus freien Stücken ins Barbarenland.6
Von Gewalt, wie Phaidra sie H ippolytos vorwirft, kann keine Rede sei n . Auf
einem kleinen Eiland bei Kythera gibt Helena sich Paris h i n . 7 Wenn sie
die Schu ld auf Aphrodita und das Parisurteil abwälzt, laut Menelaos aber
ganz allein trägt, werden Götter blosse Ausreden . 8 Denn Helena geniesst
in Troia: Sie lässt sich nach Asiatensitte fächeln und von phrygischen Bar­
barensklaven auch beweinen.9 Und da angeblich ja nur bei Barbaren Vä-

1 Eur. Andr. 600-603 . Dass Männer Frauen zur Keuschheit erziehen sollen (und nicht umge­
kehrt) , fordert auch H ippolytos in Hipp. 667 f.
2 Anakreon, fr. 399 L-P = Schal. Eur. Hec. 934. Dazu bemerkt ein Scholiast ausdrücklich,
gemeint seien Frauen, «die sich ausgezogen zeigen " . Für harte archäologische Belege
(nackte Figurinen und Spiegelgriffe aus Sparta) siehe Cartledge, 1 98 1 , 92, und TAFEL VI
im Band 111 .
3 Ov. Her. XVI 1 49- 1 52 <= 1 .3.3.3. Zur Entführung der zehnjährigen Helena durch Theseus
siehe Plut. Vit. Thes. XXXI f. , Paus. II 32, 7, und Athen. X I I I 557a. Gemeinsame Wettläufe
von Helenas 240 Karai mit unbezifferten Epheben besingt Theoc. ld. XVI I I 2 1 -27.
4 Eur. Andr. 694.
5 Theoc. ld. XVI I I 9- 1 4.

6 Eur. Tr. 373f.


7 Tr. 999. Dazu II. I I I 44 1 -446 und Paus. I I I 22, 1 .

8 Eur. Tr. 1 038 f.

9 Or. 1 426 und 1 368- 1 502. Diesen Chauvinismus deutet Hall, 1 989, 1 , leichtfertig weg .

48
ter Töchtern beiliegen , M ütter Söhnen, Schwestern Brüdern, während Grie­
chen jedem Mann bloss eine Frau verstatten , 1 führt Helena mit Paris auch
gar keine « Ehe » , was yaµoc; hier i n seiner langen Wortgeschichte zum al­
lerersten Mal besagt. Sie heisst cc liebesbettverhängnis» ,2 ccJammerrache­
geist„ ,3 doch niemals Gatti n .

Daran können wir ermessen, in welchen Rekursionen Seinsgeschichte


spielt. Schon Troias Greise fragen in der llias, ob es nicht besser sei , Hele­
na an Menelaos auszu liefern und so neun Jahre Krieg zu enden. Da naht
sie selbst - und sogar Greise spü ren noch , dass es um Schönheit lohnt zu
kämpfen und zu sterben , wenn eine Frau ccvon Angesicht unsterblichen Göt­
tinnen so gleicht » . 4 Auf dem Wu nsch nach Helena beruht die ganze llias
- so wie auf der Sehnsucht nach Penelopeia die ganze Odyssee. 5 Euri­
pides dagegen macht Helena zur ersten aller H u ren, wo doch erst Solon
in Athen asiatische Bordelle eingerichtet hat. Helena als cc Hure » , « Hü ndi n »
u n d « Beflecku ng Griechenlands » geistert w i e e i n irres Leitmotiv durch seine
Stücke.6 N icht ein mal ihre Schönheit strahlt mehr vom göttergleichen Antlitz
aus : Nach Troias Fall überlebt sie Menelaos' Rache nur, weil Helena den
«Zauber» ihrer Brüste frech entblösst. Sogleich lässt der betrogene Gatte
seiner Faust das schon gezückte Schwert entfallen, küsst ihren nackten Bu­
sen und - erweist sich so als feiger Sklave Aphroditas. 7

So scheint es von Eu ripides nurmehr ein Sch ritt zum lateinischen obszönen
Schauspiel . In Wahrheit freilich sinken Römer noch viel tiefer, vom Busen
bis zur « Fotze » . Das Sein erblüht nicht mehr in Formen und Idolen ; es stinkt
nur noch. Horatius spricht, mit einem U nwort, all das aus : Pornographie wird
literarisch .

nam fuit ante Helenam cunnus taeterri ma belli I causa.


Denn schon vor Helena war die fotze sti nkendster kriegsgrund.8

1 Eur. Andr. 1 73 - 1 80. Kein Wunder also, dass Euripides das Rätsel Oidipus zu dichten scheu-
te.
2 Andr. 1 03 f.
3 Hec. 943-949 .
4 II. 1 1 1 1 49-1 60.
s Anth . G r. IX 1 66 .

6 Eur. EI. 1 027; Andr. 630 ; Or. 1 584. Dazu höhnisch Ar. R a n . 1 053 f .

7 Eur. Tr. 890-893 ; Andr. 627-63 1 . Vgl . Ar. Lys. 1 55 f. u nd a l s sexuelle Ü berbietung Verg . Aen .
VI 528 f. Vorlage beider Szenen ist die Kleine l/ias, fr. 1 9 Loeb.
8 Hor. Sat. 1 3, 1 07 f. Ü ber die hörbare Obszönität von cunnus siehe Cic. Ep. IX 22: Offenbar
weil cum schon lange vor frz. con nasal klang , solle kei n Redner die Silbenfolge cum nos
gebrauchen.

49
Das verschlägt uns fast die Sprache. Zu rück zu dem , was Euripides träu mte ;
zu rück zu dem , was Troias Greise wussten. Kosmos heisst seit Anbeginn
schlicht Schönheit; also kann die Schönste nie vergehen.

Der Mord an Helena, i h r «Wu rf in Hadestiefen » , 1 wü rde Hellas zwar erlösen,


gelingt jedoch Orestes so wenig wie schon vor i h m Menelaos. Euripides,
während seine Polis langsam , aber sicher Sparta unterliegt, ersinnt daher
den Todeswunsch . Wenn Helena im Hades wäre (jammert ausgerechnet
ihre schöne Tochter Hermione), würden Frauen nie mehr ausser Haus zu
anderen Frauen laufen kön nen , um sie wie « Sirenen» unkeusch anzustiften ,
statt g u t athenisch eingesperrt zu bleiben.2 Doch während Orestes schon
sein Schwert zückt, u m Helena die Gurgel zu durchschneiden,3 haben ihr
die Götter Schöneres beschieden. I mmer wenn Euripides vor Frauenhass
nicht weiter weiss, naht ein «Gott aus der Maschine » . Apollon glänzt mit
der entrückten Helena vom Dach der Skene und verkü ndet, Zeus habe eine
seiner wilden Töchter eben i m Olympos aufgenommen.

Hure oder treue Ehefrau - wol len wir das wirklich wissen? Selbst Eu ripides
lässt Helena am Schluss doch wieder jene Göttin sei n , als die Odysseus
und auch Sparta sie immer schon verehre n : Aphrodita Galeneia, Schiffern
sanft die Wogen glättend.4

1 Eur. Or. 1 584; vgl . Verg . Aen . 1 1 567-574.


2 Or. 936-95 1 . Siehe auch Hipp. 645-650 und Phoen. 94 über Antigene, die - im Einklang mit
Sophokles' abscheulichstem Tyrannen (Soph. Ant. 577-580) - das Haus nie hätte verlassen
sollen. Athener I rrsinn kennt wohl keine Grenzen.
3 Eur. Or. 1 61 3 f.
4 Or. 1 629- 1 637; vgl . auch Hel. 1 667- 1 674 und <= 1 . 1 .2.2.

50
3.1 .2.3.2 Helena d ie keusche

Leuke - die weiße Insel des Achill !


Bisweilen hört man ihn den Päan singen,
Vögel mit den vom Meer benetzten Schwingen
streifen die Tempelwand, sonst ist es still.
Anlandende versinken oft im Traum .
Dann sehn s i e i h n , e r hat wohl viel vergessen,
er gibt ein Zeichen, zwischen den Zypressen,
weiße Zypresse ist der Hadesbaum .
Wer landet, muß vor Nacht zurück aufs Meer.
N u r Helena bleibt manchmal mit den Tauben,
dann spielen sie, an Schatten nicht zu glauben,
„- Paris gab dem den Pfeil , den Apfel der -"
Ben n , V. Jahrhundert

• Keusch • im Deutschen ist ein Lehnwort, das den Heiden in uns gar nichts
sagt, selbst wenn Tacitus das Gegenteil behauptet hat . 1 Erst Mönche, die
vulgärlateinisch sprachen, brachten •conscius• mit auf die Reichenau , was
althochdeutsch so ungefähr wie •kOski • klang . Enthaltsam sein im Esse n ,
Trinken, Lieben hiess zunächst d i e Losung , b i s dann i m hohen Mittelalter
nurmehr das Nein zur Minne zählte : • kiusch e • . 2 Lateinisch •conscius• war
jedoch selbst nach einem späten Griechenwort gebildet. �uve1öf1c; nannte
Eu ripides' Phaidra was? Erdrückend heimliches • Mitwissen• sexueller Übel­
taten i h rer Eltern und Geschwister, also nicht mehr schlicht • M itwisserschaft•
etwa bei Mordanschlägen,3 ein du nkles Schu ldbewusstsein mith i n , das sich
mühelos vom christlichen •Gewissen • bis zum cartesischen · Bewusstsein•
steigern liess - zwei Dingen, die es mit Gewissheit gar nicht gibt.4 Mo­
ses strafte eben Taten , der Bergprediger schon Wü nsche.5 So scheint es
nur folgerecht, dass Phaidras Fei nd H ippolytos dem guten alten oW<ppwv,
das noch bei Sophokles •besonnen • hiess, •achtsam auf die Göttersprü­
che > , 6 den neuen Wortsinn •keusch • beilegt.7 Seitdem verkünden uns vier

1 Siehe Tac. Germ. 1 9 über die pudicitia der Germanen .


2 Siehe Kluge, 1 9 1 963, s. v. keusch, z u m Bedeutungswandel.
3 Eur. H ipp. 425. Auf Zeus, Europa, Minos, Poseidon und Pasiphae (um von der wundersa­
men Ariadne ganz zu schweigen) kom men wir bei Racines Phedre noch zurück.
4 Für gr. ouveiörio1c;, lat. conscientia siehe 2. Kor. 4, 2 ; Röm. 2, 1 5 ; 1 . Petr. 2, 1 9 ; vor allem
aber Min. Fel . Oct. XXXV 6 (an die Heiden ) : «Vos scelera admissa punitis, apud nos et co­
gitare peccare est; vos conscios timetis, nos etiam conscientiam solam, sine qua esse non
possumus. " Klarer kann die Scheidung zwischen griechischen « Mitwissern » , jüdischem
Gottesterror u nd christlichem «Gewissen» kaum mehr greifen: von meinem Dresden bis
zu Japans Einfuhrhafen Nagasaki . Laut Ben-Chorin , 2006, 42, kennen weder Thora noch
Septuaginta ein Gewissen.
5 Matth. 5, 27-32. Hat Foucault, 1 975, sich in Jahrtausenden verirrt?

6 Soph. Ai. 1 32.

7 Eur. Hipp. 1 006 f„ 1 034 u . ö. Dazu unscharf Sale, 1 977, 36-39.

51
Frohe Botschaften u nd ihre Abgesandten , •das reine Gewissen • (Ka8apa
ouve:iörio1c;) brauche keusche Leiber. Beim Selbstmord Phaidras oder der
Tragödie steht mithin die christliche Semantik-und-Moral (bis auf groteske
Missverständnisse) längst abrufbar bereit. Der Apostel Pau las spricht von
Kind auf griechisch u nd wohl im Alltag aramäisch . Klassisches Hebräisch
bringt ihm erst ein alter Pharisäer bei . Pau las braucht daher ouve:iörio1c;,
dies tief gesu nkene Kulturgut, nur aus Eu ripides' tief gesunkenen Tragödien
abzuschreibe n . 1 Und das Unheil bricht sich Bahn .

„Wenn S i e s o wollen, u n d man soll d e n Einfluß solcher Gedanken [Nietz­


sches] nicht unterschätzen, dann geht dieser Einfluß bis zum Worte Adolf
Hitlers, das Gewissen sei eine jüdische E rfindung. Das ist eine Summe, und
- wenn ich sagen darf - eine gute Summe nietzscheschen Denkens, die in
[Hitlers] Tischgesprächen erhalten ist."2

Hamlet, wohl in Gedanken an die von i h m geschwängerte Ophelia: "Thus


conscience does make cowards of us all. - So macht Gewissen Feige aus
uns allen . » 3 U m euch schon einmal vorzuwarnen . . .

Eu ripides, da er die Sage Helenas nur liest, statt sie wie Sophokles zu dich­
ten,4 muss also seine keuschen Wünsche, wie nach Athener Sitte alles hätte
sollen sei n , immer wieder mü hsam ans Gesagte fugen. « U nter den Keulen­
schlägen seiner Misserfolge »5 lenkt er ständig ein. Genau das heisst seit­
dem Fiktion : e:iöwAov und nA6oµa. 6 Dichter, schreibt der Phi losoph , um sie
mehrdeutig zu loben, besingen eine schönere Welt, als ccdie Geschichte »
Aristoteles und uns gewährt hat.7 Das übersetzen dann gedankenlose Rö­
mer seit Cicero mit fingere und fictio, in Gru ndbegriffe also einer Theorie von
Recht und Rede,8 die Dichtung nurmehr missverstehen kan n .

Von Stesichoros, d e m archaischen Dichter, der schon dem Namen nach • i m


Chortanz schreitet> , gehen alte Sagen. « Komm, h e l l e Muse „ , sang er i m ­
m e r wieder.9 Auch dankte Stesichoros Palamedes woh l zum ersten M a l das

1 Siehe Bornkamm, 2 1 969, 32 und 1 42, ziemlich vage, über „stoische Popularphilosophie" als
Quelle des Heidenapostels.
2 Taubes, 1 993, 1 08 f.
3 Shakespeare, Hamlet, I I I 1 , V. 83. Dazu Kittler, 1 999, 66-98.
4 N ietzsche [ 2 1 874, § 1 1 ] KGA 1 1 1/1 , 76: « M it dieser Begabung, mit aller Helligkeit und Be­
hendigkeit seines kritischen Denkens hatte Euripides im Theater gesessen und sich ange­
strengt, an den Meisterwerken seiner grossen Vorgänger wie an dunkelgewordenen Gemäl­
den Zug u m Zug , Linie u m Linie wiederzuerkennen . »
5 Nietzsche [ 2 1 87 4, § 1 1 ] KGA 1 1 1/1 , 75.

6 Belege seit Xenophanes, 6DK 2 1 , B 1 , V. 22, siehe bei PI. Tim. 26e ; Dion. Hai. Thuc. 7 ; Plut.
De esu carn. 1 , 993c; Jul. Or. I I I 1 1 6d usw.
7 Arist. Poet. 9, 1 45 1 b 5 => 3.2.2.2.4.

8 Petron. Sat. 1 1 8.
9 Stesichoros, fr. 1 93 und 240 Loeb.

52
Griechenalphabet . 1 Dennoch wagte einer seiner Sänge, Helena als Ehe­
brecherin zu bezeichnen. Stesichoros erblindete zur Strafe wie Homeros,
Demodokos u nd Teiresias : Er hatte ja das Ü bermass der Frauenlust verra­
ten . Erst ein Lied des Widerrufs - ganz wie im Ion die naAiµcpaµoc; 601ö6
des Frauenchors - gab ihm das Augenlicht zurück.2 So mächtig , ja so grau­
sam walten Göttinnen, wenn wir sie verleugnen . Helena (sang dieser Wi­
derruf) sei nie in Paris' Liebesbett verh urt, sondern bloss ihr Eidolon ; denn
nach Ägypten hätte Hera ihren Leib entrückt. N u n , am Ende der Heroenzeit,
weile Helena unsterblich mit Achi l leus auf Leuke, der weissen I nsel an der
Donau m ü ndung.3

Mögen alle, die seit Stesichoros u nd Xenophanes Homeros' Göttern vor­


zuwerfen wagen, Götter würden niemals « lügen stehlen huren » ,4 in solche
Blindheit taumeln. «Wenn die Götter nichts U nschickliches begingen , wären
sie gar keine mehr. » Erst dieser kühle Satz von Mallarme - Auftakt zur mo­
dernen Lyrik - hat wieder Kraft geschenkt, von allem Christentu m befreit zu
dichten und zu denken.

Mit seiner Helena schreibt Euripides, dessen ganzer Frauenhass doch Spar­
tas Göttin gilt, für einmal Stesichoros fort. Das chemisch reine Gegenbild
der Hure walzt sich zur Tragödienheldin aus. Helena läuft gar nicht Gefahr,
Menelaos zu betrügen, weil Hera sie zur Sicherheit aus Sparta an den N i l
versetzen lässt. Hermes, lang vor Paris, raubt Helena beim Blumenpflücken,
trägt sie durch den Äther und verh indert Aphroditas Trug und Mordlust.5 Um
zwei blinde Männer zu betrügen, schafft Hera (schon aus Wut auf Aphrodita,
Frauenschönheitswettkampfspiele und das Parisurteil) eine Doppelgängerin
von Pandoras Art: Helenas «beseeltes Eidolon » , dessen Atem sprechen
kan n.6 Das • Bildchen• ist kein Eidos oder Wesen , sondern nur sein Schein .
Doch Männer lassen sich von i h rer G ier leicht täuschen : Menelaos einst
in Sparta, Paris i n Troia und am Ende wieder Menelaos. Beide schlafen sie
(wie wir mit Hardcore-Bräuten) mit Helenas « nachtscheinendem Gespenst»
(vuKTicpavroc; np6noAoc;) , das gleichwohl Götterbildnis (äyaAµa) heisst.7
So verrät uns Eu ripides das Geheimnis seiner Kunst: Um zu überleben, bie­
tet sich die sterbende Tragödie ab sofort als wet dream an . Playboy und
Penthouse lassen grüssen.

1 Ruijg h , 1 997, 556.


2 PI. Phdr. 243ab.
3 Paus. I I I 1 9, 1 1 - 1 3 . Dazu Rohde, [ 1 893] o. J . , 299, und (als wundersame Umdichtung einer
gelehrten Fussnote) Benn , 1 959- 1 96 1 , 1 1 1 202.
4 Xenoph . 6DK 2 1 , B 1 1 .
s Eur. Hel. 238-249.

6 Hel. 3 1 -36. Zu Pandoras menschensprachlicher auör) siehe Hes. Op. 6 1 .


7 Eur. Hel. 570 und 704. Dazu Borges, 1 964- 1 966, VI 65 = dt. 1 980-1 982, 5/1 66.

53
Die Götter werden also, weil es sie nicht gibt, Ideen wie bei Platon. (So kurz
und bündig Aristophanes über Eu ripides. 1 ) Auf Erden oder unter ihr bleibt
umgekehrt ein blasser Leib zu rück, wie schon die M ittlere Komödie über
Platon spottet.2 Wenn wir sterben , steigt - fast christlich - das Pneu ma wie
ein Scheinleib hoch zum Äther, während sich die Mutter Erde unser Fleisch
zurückholt.3 Eu ripides i n seinem Zweifel, ob Zeus ist, schwankt zwischen
Natu rzwang u nd jenem «Geist » , den der Freund u nd Lehrer Anaxagoras
verkündet hat.4 Der Logos, einst in der Physis ganz wie in Sang und Zahl
am Werk, zerfällt zu jenem U nterschied, den Römer zwischen Grund und
Rede, ratio und oratio treffen werden.5 Jäh und je beginnt Metaphysik, um
bis heut das Denken zu verflachen .6

Der Tragödie bleibt daher nur übrig , das Scheinbild wieder in sein Luftreich
aufzu lösen, u m Helena ihrem Mann und guten Namen zu erstatten . Denn
ein Eidolon ist zugleich Scheinbild, Mythos und Gerücht mit üblen Folgen.
Leda, statt von Zeus in cc Schwanenform » (KUKVOU µopcpwµarou) mit Hele­
na beglückt zu werden , hat sich erhängt, die Dioskuren, ihre Zwilli ngsbrüder,
statt zum H i m mel aufzufahren , auch. So sehr « besudelt» alle drei Geschwi­
ster ihre Schande,7 spartanisch mithin eine gute alte Raubhochzeit. Nicht
einmal die Götterkinder selbst, weder Helena noch Herakles, glauben mehr
daran , dass Götter, diese cc leeren Träume» ,8 in Tiergestalt verwandelt Bräu­
te frei begatten können.9 Alle, die als Folgen solcher Nächte vor der Skene
stehen, sind vielmehr der vagen Schande eines Ehebruchs entspru ngen
und ihr ständig wieder ausgesetzt.

„Die griechischen Heroen sind das genaue Gegenteil des Pharao, ob­
wohl beide ,göttlichen' U rspru ngs sind. Aber im G riechenland der Heroen­
Geschichten bedeutete göttliche Abstam mung etwas völlig anderes, als was
wir heute landläufig daru nter verstehen u nd was man i m alten Ägypten u nter
einem ehelich geborenen Nachfahren eines Pharao verstand. ,Gotteskinder'

1 Ar. Thesm. 451 .


2 D. L. 1 1 1 28.
3 Eur. Supp. 533 1. Vgl. Anaxagoras' Scheidung von vouc; und owµa bei D. L. I I 6 und ihre
lateinische Paraphrase in Lucr. 1 1 992- 1 004.
4 Eur. Tr. 886.
5 Lehmann, 1 965, 245.

6 Christina von Braun , Versuch über den Schwindel. Religion, Schrift, Bild, Geschlecht. Zü­
rich 200 1 , 88, schreibt i m beliebten Selbstzitat dem Logos i n der Bedeutung • Logik• einem
Herodotos zu, den sie mit Herakleitos schlicht verwechselt (Christina von Braun, Nicht ich.
Logik, Lüge, Libido. Frankfurt am Main 1 990, 1 02 !.) .
7 Hel. 1 9 u n d 6 6 1 . Lehmann, 1 952, 4 1 , hat gezeigt, dass erst Euripides das Wort µ6pqxooa
prägt. Doch der Grund entgeht auch i h m : Euripides kennt keine Schwanengötter mehr.
e Eur. lph. A. 570 1.

9 Herc. 1 49 , 1 262; Hel. 1 6-21 und 256; Bacch. 26-3 1 und 330-336 ; lph. A. 794-800. Für poli­
tische Folgen siehe Gell. Noct. Att. XIII 4, 1 -3 , über Alexandros und seine Mutter Olympias.

54
waren solche, die nicht im elterlichen Hause, sondern im Heiligtu m eines
Gottes (oft des Zeus oder Apollo) zur Welt kamen , weil die junge Mutter
noch über kein eigenes Haus verfügte und nicht standesgemäß verheiratet
war. Zahllose junge Damen von Stand brachten so Kinder zur Welt, die dem
jeweiligen Gott zugeschrieben wurden , in dessen Dienst sie als Tempeldie­
neri nnen gestanden hatten oder dessen Heildiener die Wöchnerin aufge­
nommen hatten . Denn Heiligtü mer der damaligen Zeit umfaßten nicht n u r
d i e Tempel u nd G rabstätten , sondern auch Stätten zur Krankenbehandlung .
Uneheliche Geburt war kein Makel, und die meisten dieser Mütter haben
später durchaus noch standesgemäße Hochzeiten gefeiert."1

Der alte weise Proteus, Ägyptens Herrscher in der Odyssee, ist tot. Aus
seiner Tochter Eidothea, « Göttin der Erscheinung „ ,2 die Menelaos jenen
wandelbaren Meeresalten einst zu überlisten half, ist Helena geworden , rei­
ner Schein der ehelichen Treue. Proteus verriet am Ende, als er aus lauter
Tiergestalten sich zum Menschen wandeln musste, dass Odysseus auf Ka­
lypsos ferner I nsel lebe, ohne seine Ehebrüche nur zu streifen.3 N u n jedoch
wi ll Proteus' Sohn (ein Rückfall ins Barbarentu m) die ebenso entrückte He­
lena, der Heimkehr doch nur ohne Ehebruch verheissen ist,4 mit Gewalt zur
Frau gewinnen. Die keusche Heldin sucht daher i n Proteus' Grab am Strand
Asyl, muss aber dort von schiffbrüchigen Griechen hören, sie sehe nur wie
cc Helenas Nachah mung» aus, wogegen Menelaos in den Trü mmern Troias
die wahre Helena zu rückerobert habe. Doch auf der Heimfah rt sei der Held
samt jener Doppelgängeri n im rauhen Meer ertrunken.5 Die treue Helena
muss also für bange Stu nden ihre letzte Hoffnung fahren lassen: Menelaos
könne sie - wie der angeblich ja so frauennahe Dichter - vor dem Barba­
renkönig retten.6 Der Heiland oder Held, an den sie glaubt, heisst tot.

Doch da erfindet und bewirkt Euripides, erst er, ein Wu nder: die «Auferste­
hung » eines Totgesagten , der im Hades haust.7 Schiffbrüchig landet Me­
nelaos mit Helenas verhurtem Scheinbild i n Ägypten , wo Hera allerdings
so gnädig ist, das Eidolon noch rechtzeitig zu entrücken, bevor zwei Dop­
pelgängerinnen aufeinanderprallen können.8 ( Diese metaphysische Konse-

1 Wu nderlich , 1 972, 3 1 3 . Eine zwar prosaisch schlichte, aber wunderbare Paraphrase von
Euripides' Ion.
2 Schadewaldt, 1 949, 1 06, zu Od. IV 366.
3 Od . IV 555-560.
4 Eur. Hel. 56-59.
5 Hel. 74.

6 Hel. 277-279.
7 Das christliche Grundwort 6v6maa1<; (erstmals in 1 . Kor. 1 5, 1 2, belegt) fällt in Eur. Herc.
71 9.
8 Hel. 605-6 1 5 .

55
quenz aus Eu ripides werden erst Komödien ziehe n : von Plautus, Moliere
und Kleist bis Giraudoux . . . ) Es kommt, so ausgedacht wie herzbewegend,
zur Wiedererkennung (avayvwp101c;) eines treuen Ehepaares, doch gleich
darauf zur bangen Jagd nach einem Fluchtweg . Denn zur Rettung fehlt noch
alles : Waffen , Segel , Schiffe. Aber seit die Seeherrschaft Athens über Gast­
freundschaft u nd ihre Bräuche ungestraft hi nweggeht, bietet sich ein kri mi­
neller Ausweg an , den Odysseus in derselben Lage bei Kalypso oder Ki rke
nie gewählt hat: Man , das heisst Eu ripides, „erfindet den Barbaren", 1 den
Griechenliebespaare ungestraft betrügen dürfen . Denn gegen die modische
These, dies Schandwort sei der Tragödie überhaupt verschuldet, spricht al­
les: Bei Sophokles, dem letzten Dichter, gibt es selbstredend keinerlei Bele­
ge, in Aischylos' Persern nur unverächtl iche Barbaren . Sonst hiessen Spa­
niens •brave• Helden ja nicht nach dem Wort • Barbar• .2 Übrigens, Spartaner
nan nten auch Barbaren ei nfach cc Fremde » .3

l phigeneia trägt i m Land der Kri mtataren keine Scheu, mit vorgetäuschten
Griechensitten einen König, der sie liebt, zu hintergehen.4 Erst Goethes Hel­
din wird Barbarenfürsten nur ccdie Wahrheit» selbst versprechen .5 Genauso
listig hält es Helena mit ihrem Nilbarbaren. Sie verheisst sich ihm und bleibt
doch Griechi n : ccTimeo Danaos, et dona ferentes. >• 6 Auch wenn Griechinnen
sich selbst zu geben sagen, bleibt ihre Gabe also Gift. Ein zweites Mal wird
Menelaos totgesagt, nun jedoch nicht blass durch ein Gerücht, sondern als
bewusste Lüge. I n Mu mien eingewickelt täuscht er seine eigene Leiche vor.
Worauf der blöde König vor lauter Götterscheu und Hoffnung, ihr zweiter
Mann zu werden, Helena erlaubt, den ersten Ehemann nach fiktiver G rie­
chensitte zu bestatten . Für jeden Toten , der auf hoher See, also unbegra­
ben, in Phersephassas düsteres Sirenenreich entschwu nden ist (gebietet
dieser frei erlogene Nomos) , muss ein Scheinbild seines Leichnams noch
ein zweites Mal im Meer versinken . (So geht aus e:iöwAov effigies hervor:
das, was Redner wie Cicero ihren Hörern •einzubilden• suchen. Helena und
nach ihr die Römer spielen mithin, ohne es zu ahnen , seinsgeschichtlich
schon beinah Subjekte : Sie stellen sich die Vorstellung des anderen vor,
um ihn zu hi ntergehen.7) Doch dieses Scheinbild, diese Täuschung ist Me-

1 Hall, 1 989, 1 22 .
2 Kluge, 1 9 1 963, s. v. brav. Dass Halls postkoloniale Fleissarbeit mithin erst b e i Euripides
fündig wird, fällt ihr selbst nie auf (Hall, 1 989, 1 97) - obwohl wir wissen, wie schwer es die
Athener ankam , zwischen Frau und Sklave klar zu scheiden (Arist. Pol . 1 2, 1 252 b 5).
3 Hdt. IX 1 1 ) .
4 Eur. lph. T. 1 1 89-1 3 1 6. Dazu Hall, 1 989, 1 22.
5 Goethe, lphigenie auf Tauris, V 3 , V. 1 9 1 9. - Als Tragikomödie ein trauriges Zeugnis dafür,
dass Goethes Lateinkenntnisse schon am Lokativ lphigenia in Tauris, nämlich «bei den
Krimtataren » , gescheitert sind.
6 Verg. Aen . II 49.
7 Lohman n , 1 965, 257.

56
nelaos selbst, von Helena in seinem eigenen Mumiensarg versteckt: owµa
of)µa -: ein « Leib» als « G rab» des Geistes. ( Fast jeder Schreiber, der i n
Platons Namen Philolaos fälschte, dichtete i h m dieses Wortspiel an . ) 1
Kurzu m , der blöde König2 schenkt Helena ein Griechenschiff. Menelaos, aus
der Meerestiefe auferstanden, geht als sein eigener Sarginhalt vermummt
an Bord . Das Schiff läuft aus, verschwi ndet hi nterm Horizont, entkommt
ägyptischen Verfolgern und steuert (wie einst Paris) Spartas Hafen Gythi­
on an. Die beiden Dioskuren, Götterbrüder Helenas, d ü rfen uns ex machi­
na eine frohe Botschaft künden : Therapnes mykenisch alte Göttin sei aus
ihrem Königinnengrab erstanden, werde gl ücklich landen und als Spartas
Aphrodita zum Olympos fah ren.3 Per aspera ad astra - vom höllisch auf­
gebauten Spannu ngsbogen ab ins happy ending. Eu ripides dafür zu loben,
dass ccdie Wirkung der Tragödie niemals auf der epischen Spannung, auf
der aufreizenden U ngewissheit beruhte, was sich jetzt und nachher ereig­
nen werde » ,4 war mithin Nietzsches dümmstes U rteil über ihn - als Lob viel
besser Sophokles gezollt. Heliodores von Emesa braucht allen solchen Ner­
venkitzel (ägyptische Exotik; äthiopisch schwarze Königinnen ; Pi raten u nd
Scheintote ; Gespenster und Schiffbrüche ; Errettungen aus Gräbern, Ker­
kern usw. ) nur in seine multiperspektivisch reiche Prosa umzugiessen -:
und die hellenistische Romanku nst gelangt m it den Aithiopika zum einsam
reku rsiven Höhepunkt.

Uns jedoch schwant langsam , was die Ideenlehre überhaupt erzwungen hat,
was Platon grad als jü ngsten Schüler seinem Lehrer überlegen macht. Attika
ist abgeholzt, die ÜAll in Prachtbauten aufgegangen ; auf dürren Böden reifen
eben noch Oliven. Spartas Flotte sperrt die Kornfelder am Schwarzen Meer.
Also bleibt zuletzt nur die iöea, Brot im nahen Westen zu erbeute n : aus
dem reichen Kälberland Italien. Gesagt getan. 413 aber gehen Landungs­
heer u nd Flotte der Athener - vor Syrakusai in Sizilien - bis auf den letzten
Mann zugrunde. Attikas Great Game, von Themistokles bis Alkibiades, wird
von einem Dorerbu nd aus Sparta, Syrakusai , Taras strategisch widerlegt,
Wohl i m Jahr darauf, 412, spielt Helena auf Athens Dionysostheater. Lauter
junge Männer (diesmal aber Griechen, keine blassen Perser wie vor Sala­
mis) ertrinken in der blauen Flut. So bleiben also schmählich unbestattet:

1 Siehe dagegen PI. Grg . 493a.


2 Über die verblödende Wirkung, als Mann den Titel rex et augur, also des höchsten Signi­
fikanten tragen zu müssen, siehe Lacan, 1 966, 38. Was Worte wie Barbar uns künftighin
erspart.
3 Eur. Hel. 1 662- 1 669 ; vgl . Hdt. VI 61 und Paus. 1 1 1 1 9, 9 . - Erst 2009 sind Linear 8-Tafeln in
Amyklai gefunden worden . Woraus wir immerhin entnehmen dürfen , dass Helena eine der
Gestalten Aphroditas ist.
4 Nietzsche, [ 2 1 874, § 1 1 ) KGA 1 1 1/1 8 1 .

57
(1) Menelaos bei Eu ripides, (2) fast alle, die Siziliens Kornreichtum erbeuten
wol lten , (3) die Matrosen nach der Seeschlacht bei den Ziegeninseln . Die
Überlebenden von 413 (wenn sie den Sizilianern nicht neueste Chorlieder
von Euripides vorsingen können und es so zu Volksschullehrern bringen)
verrecken in den Steinbrüchen vor Syrakusai . Kei n Eidolon, kein in effigie
hat uns ihre Namen aufbewahrt.

« U nd man kan n wohl sagen, daß dies der schlimmste Vorfall gewesen ist,
der in diesem Kriege, nach meinem Bedünken in der ganzen Geschichte
dieses Volkes, je den griechischen Namen betroffen hat, und daß nie ein
Sieg fü r den Überwinder ru hmreicher und für den ü berwundenen Tei l un­
glücklicher ausgefallen ist. » 1

Nur Euripides' Musik hat das Desaster überdauert.

3 . 1 .2.4 Euri pides der U rch rist

Die Lage ist verzweifelt. „t..: e nfer, c'est les autres", schrieb Sartre, wortreichs­
ter aller Oberlehrerphi losophen, 1944 in ein Existenzialistenstück. Wir, die
wir seit Sappho dichten, weil Liebe nicht der H i m mel ist,2 glauben solchen
Theorien kein Wort. Erst Eu ripides, der Götterleugner, Sartres heim licher
Gewährsman n , hat auf solchen U nfug Handlungen gebaut ; kein Grund, ihm
zu vertrauen. Aber wenn «der Blitzkrieg tobt » , 3 helfen auch Phantasmen
weiter. Wir Franzosen auf der Bühne, Bräute oder Frauen, wissen nicht mehr
ein und aus. Denn die Männer hat der Krieg geholt. Nebst unserer Keusch­
heit steht das Leben auf dem Spiel . Wir sind deutschen Barbaren ausgelie­
fert - ab nach Saint-Germain-des- Pres ! Ab i n Kel lerbühnen oder Diskothe­
ken ! Der Hades wird zu Huis clos, Antigone zum frechen Faschogirl.4 Euri­
pides füllt wieder alle Bühnen, weil es u m Flucht aus hoffnungslosen Lagen
geht.5 • Der Widerstand• und •die Befreiung• stehen auf dem Holzpapier, das
•die Besatzer• uns genehmigt haben. 1943 darf Sartres L'etre et le neant als
Beispiel von • heroischem Nihilismus• trotz Papierknappheit in Paris erschei­
nen. Kel ler, Katakomben , U nterwelten spielen Jazz ganz ohne subversive
Musiker, nur von erlaubten Platten . Die Wehrmacht ist's zufrieden . Als •dis­
cotheque• entsteht (nicht in New York) die Disco. Tanzen können wir das
schwerlich nennen. Es war - mit einem alten Wort - wohl eher Knutschen.

1 Thuk. V I I 87.
2 Carson , 3 2003, 3-9.
3 Rolling Stones, 1 969, 4.
4 Lacan, 1 986, 293, über Anouilhs Antigone.
5 Sale, 1 977, setzt solche Konkordanzen zwischen Euripides und existenzialistischem Drama
so umstandslos voraus, dass er ihren Gründen gar n icht nachgeht.

58
Heideggers Brief über den Humanismus kom mt in Paris kau m an. N icht ein­
mal die Musik hi lft weiter, weil sie Solon unserer Trauer ja verboten hat.
Da Admetos Orpheus' Sängerstimme abgeht, er also Kore nicht bezaubern
kan n , Alkestis wie einst Eurydike freizugeben, verbietet er ein ganzes Jah r
lang die Musik. 1 Der einzige, der uns erlösen könnte, dient als Sklave frem­
den Königen2 oder west sogar im Hades ab : Menelaos, Theseus, Herakles
und am Ende dieser Serie - Christus niederfahrend in die Hölle. Denn wie
Hölderlin gedichtet hat, tun Namen nichts zur Sache, wenn Der Einzige nur
aufersteht.3 Eu ripides ruft nicht mehr die Götter zu uns Sterblichen, sondern
lockt Phantome aus der U nterwelt. So erfindet seine Helena die Opernarie.
Eine Pri madonna, begleitet vom Orchester u nterweltlicher Sirenen.

w µeya.>.wv axewv KaraßaMoµeva µeyav oTKTov


noTov 6µ1Ma8w y6ov ri riva µoüoav E:ne.>.Sw
[öaKpUOIV ri 9pfivo1c; ri nev9eOIV ;]
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roTc; <ö' > E:µ0To1 ouvoxa öaKpua .
na8eo1 na9ea, µe.>.eo1 µe.>.ea.
µouoeTa 9p11vfiµa-
01 �uvcpöa neµlJJalTe,
<Depoeq>aooa q>6v1ov äxap1v
'iv ' E:ni ÖOKpUOI nap' E:µe9ev Uno
µe.>.aSpa vux1a na1äva
VeKUOIV OAOµeVOIC: Aaßn.
Ach · wie ich mich zu grosser klage
grosser leiden niederwerfe !
wie soll ich nur genügend jammern
oder welche Muse rufen
mit tränen klagen trauern?
o weh weh ! ihr Sirenen·
flügeltragende bräute ·
jungfrauntöchter der Erde·

1 Eur. Ale. 430-433: vgl . Plut. Vit. Sol. X I I 5.


2 Ale. 481 .
3 Hölderlin, o. J . , 227-229.

59
bringt mir libyschen aulos·
hirtenflöten oder leiern
und stimmt in meine elende klage ein !
teilt mit mir die tränen:
leiden mit leiden· l ieder mit liedern !
schickt einen musischen klagegesang ·
damit Phersephassa
in nächtigen häusern
mit meinen tränen einen
paian freudlos u nd blutig
für die elenden toten empfängt !1

Helena stimmt um ihren totgesagten Menelaos eine grosse Leichenkla­


ge an.2 Dazu muss sie wie wir Musen rufen, vor lauter Qualen aber Mu­
sen, die nicht in lichten Höhen am Olympos hausen, sondern unterweltlich
bei der Totengöttin . Musik zur Lust und Freude gibt es ja angeblich keine,
nur fü r Klagelaute.3 Zu solchen U ngeheuern werden seinsgeschichtlich die
Sirenen: keine Bräute mehr im Meeresg lanz u m Aphrodita, sondern Ka­
rai einer Kore, deren du nkler Name Phersephassa lautet. (Sicher, schon
ein rätselhaftes Sophoklesfragment, wohl aus Odysseus' Mund, spricht von
U nterweltsirenen. Sie heissen aber weder Klagesängerinnen noch Vögel,
sondern Töchter eines heimatlichen Meergotts, die ccdes Hades Nomoi tö­
nen » .4 ) So macht erst Eu ripides aus Nymphen geflügelte Mischwesen , aus
Musen die Sirenenbilder billiger und massenweise exportierter Vasen . 5 I n
diesem Umschlag endet Dichtung selbst u nd wird - Literatur, Fiktion, Meta­
morphose. Das ist nicht einmal Jorge Luis Borges aufgegangen.6

1 H e l . 1 64- 1 78. V g l . d i e vielen etruskischen Totenvögel, d i e unser Bild von drei Sirenen j a
b i s heute prägen (Brommer, 1 983, 37) . M i t •Aulos• übersetzen w i r l\wr6c;, einen nordafrika­
nischen Bau m , dessen hartes schwarzes Holz (nach Passow, 5 2004, s. v.) Oboen fast so
schön wie unsere modernen lieferte. Laut Eur. Bacch. 1 60 stammt der Lotos allerdings aus
Dionysos' phrygischer Heimat.
2 9pfivoc; ist u rverwandt mit nhd. dröhnen.
3 Eur. Med. 1 84-1 97. Aus diesem Unfug haben Philologen, „das dumpfe Rollen und Grollen
der Geschütze" seit 1 9 1 4 fünf Jahre später noch i m Ohr (Güntert, 1 91 9, XIV), messerscharf
geschlossen, alle Nymphengöttinnen der Odyssee - von Kalypso bis zu den Sirenen -
stünden für den Tod . Dass diese Nymphen hoch erotisch • Menschensprache sprechen„ fällt
Günter! niemals auf. Dass Phersephassa/Persephone i n Eleusis eben jene Göttin heisst, die
(lang vor Jesus Christus) den Tod selbst tötet ( Bader, 1 989, 38), kommt ihm nie bei .
4 Zu fr. 861 Radl siehe Kerenyi, 21 2000, 1 50.
5 Am ältesten scheint, vielleicht nicht u nzufällig, eine etruskische Amphora aus Cerveteri, um
650 bemalt: Odysseus segelt an einer geflügelten Sirene vorbei ( Hofsteller, 1 990, 309). Zur
Herkunft solcher Mischwesen siehe Burkert, 1 984, 23 : „Ein noch hethitischer Löwentyp wird
im 7. J h . von einem assyrischen abgelöst. Die noch exotischere Galerie der Mischwesen,
Greifen, Sphingen und Sirenen haben gleichfalls bronzezeitliche Ahnen, werden aber nach
der neuen Mode u mgeformt." Es fragt sich nur, trotz Burkert, warum die Dichtung solchen
Bildern noch so lange widerstanden hat.
s Borges, 1 964- 1 966, VI 83 f.

60
Erst seit Sirenen Hadesu ngeheuer heissen, scheinen sie halb Bräute und
halb Vögel. Gesang flösst Männern oder Lesern, die an Bildern hängen,
Angst ein. Also macht Eu ripides den Horror drehbuchreif: Von Apollonios
Rhodios, 1 Apollodoros2 und Lykophron3 bis in die Metamorphosen, 4 gei­
stern die Sirenen als fabulöse Vogelmädchen durch die Lexika u nd Epen.
Alle Männer, die vor ihnen warnen, widmen den Sirenen - seltsam - Ver­
se. ( U m von den späteren Fischschwanz-Sirenen christlicher Skribenten
und den „tödlich-sinnlichen Vogelfrauen" einer blinden Germanistik5 ganz
zu schweigen . ) Fast als falle Kirkes du nkler Schatten einmal mehr auf We­
sen , die die Falkin selber schlecht geredet hat.6 Um für das Totenreich zu
stehen , müssen unbeschreiblich helle Nymphen Flügel an den Schultern,
Kral len an den Füssen tragen. Bis zur vagina dentata ist es nicht mehr weit.

Das heisst zum einen , dass Sirenen keine Blumeninsel mehr bewohnen,
sondern - wie Literatur selbst auch - zum Fernverkehr gehören. I h rer Ver­
wandlung in Halbvögel gibt Ovidius den entzückend guten Grund, sie hätten
Kore, ihre von Hades geraubte Herrin , zu Land umsonst gesucht und daher
- fast wie Helena in Hermes' Götterarmen - auch Meere überqueren können
müssen.7 Zum anderen sind Vogelwesen, die ihren Vasenbildern gleichen,8
von vornherein nur transportable Bildchen. Euripidestragödien werden von
athenischen Gefangenen bis nach Sizilien ausgeführt1 , Vasenmalereimo­
tive bis zur Kri m . Hollywood lässt grüssen. Daher gibt es die Sirenen gar
nicht; sie schrumpfen wie die Götter zu Metaphern. Daher spricht Helena -
anders als Odysseus, Alkman , Sophokles, Ovidius - ihnen auch kein Wis­
sen zu. Sie sind nur Resonanzböden , die leises Jammern so durch Har­
monie verstärken sollen, dass es die taube Totengöttin überhaupt erreicht.
Unglaube an Orakel, Vorzeichen und Vogelflüge9 spricht Göttern , M usen
und Sirenen schlicht ihr Wesen ab: zu wissen, ccwas da war, was ist, was
sein wi rd . »

1 I V 895-899.
2 Epit. V I I 1 9 ; vgl . Ael. Nat. an. XVI I 23.
3 Alex. 653.
4 Ov. Met. V 556-563. Jedoch bewahrt Ovidius die dichterische Zweizahl der Sirenen (Am . I I I
1 2, 28) .
5 Gerhard Kaiser, Rede, daß ich dich sehe. Ein Germanist als Zeitzeuge. Stuttgart und Mün-
chen 2000, 206.
6 Über Blasphemie und Euphemie siehe Benveniste, 1 966-1 974, 1 1 254-257.

7 Ov. Met. V 556-560.

8 Das vor lauter Kunstgeschichte zu überlesen ist die grosse Schwäche von Hofstetter, 1 990.

9 Eur. H ipp. 1 057; Hel. 745 ; Ph. 955 . ; Ion 373-379 ; vor allem aber Hec. 488-49 1 : Dass Zeus
die Sterblichen behüte, sei blasse Doxa; in Wahrheit herrsche ruxri. der schiere Zufall . Dazu
Lohmann, 1 965, 254.

61
Soweit wir hören oder lesen können, ist Helenas Klagelied u m ihren totge­
glaubten Man n , wie die Sirenen ihn zum Hades weitertragen, der letzte je
erhörte Ruf. Doch nahen nicht wie einst auf Kolonos zwei ccgrosse Göttin­
nen „ , sondern arme Sterbliche. Oidipus ergab sich Kares Ruf als seinem
Schicksal ; Helena i n höchster Not erfindet die I ntrige. Erst sehr viel später
darf ihr treuer, aber auch untreuer Mann verkünden, dass er von den Toten
auferstanden seine Frau erlöst hat.

Ein Chor zieht tanzend ein, von See her, also wohl von rechts. 1 Schiffbrüchi­
ge Griechinnen, wie sie nach Nausikaas Modell i h re nassen Kleider in der
Sonne trocknen lassen , haben Helenas Gesang erhört - nur nicht als Klage,
sondern ganz i m Gegente i l : als schreie eine Nymphe wie Kreusa auf, wenn
Pan am Ende langer Fluchten sie besteigt. Deshalb, singt der Frauenchor,
darf keine Kithara den Schrei begleiten.2 Sie klänge sonst (mit Nietzsche)
viel zu apollinisch . Deshalb ruft ja Helena nur Auloi, H irtenflöten und Sirenen
an. Noch der Keuschheit selber geht es u m das Eine, das sich im Literari­
schen verschweigt. Im Chor verheissen Helenas Sirenen, dass Menelaos'
Tod nur ein Gerücht ist.3 Sie flössen Hoffnung ein u nd Glauben .4 Hoffnung
und Glaube sind also lang schon vorgesprochen oder vorgedacht; blass von
6y6n11, der Nächstenliebe seit der Septuagi nta, kann i m klassischen Athen
noch keine Rede sein : 6y6n11 meint - i m Gegensatz zum rätselhaften epwc;
unserer Leiber - ja nur Freude, Gastfreundschaft u nd schönstenfalls sogar
die Gattenliebe.5 Hoffnung und Glaube an den totgeglaubten Retter werden
aber wahr. Menelaos fährt (für seine treue Gattin oder auch Maria Magda­
lena) wie Theseus, Herakles und Christus in die Hölle namens Meerestiefe
nieder, aufersteht am dritten Tage von den Toten u nd erlöst durch vorge­
spielten Scheintod eine Helena, die wie Herakles und Christus als Göttin in
den H i m mel auffährt, wo sie zur Rechten ihres Vaters sitzt. Nämlich neben
Zeus.6 Das G rab ist leer, ein Kenotaph, der Retter aber unvermutet nah.
N icht erst am Ende aller Zeiten wird geprüfte Treue i h ren Lohn empfangen

1 Kovacs, in Euripides, 1 994-2002, 1 40.


2 Hel. 1 84-1 90.
3 Hel. 308 f.
4 Hier, u m die Schlüsselworte von 1 . Kor. 1 3, 1 3 , schon bei E uripides zu belegen , nur zwei
Stellen aus dem Rasenden Herakles: E:>.niöe:c; owrl']piac; (Herc. 84) und � r6v nap' 'A1ön
nmE:pa rwvöe: Keiµevov / n101euee· i)�e1v ; (Herc. 1 45 f.) Wir fragen uns manchmal bei
Nacht, waru m alle Schriftgelehrten solche Parallelen kennen und verschweigen. owrepla
zum Beispiel heisst schlichtweg · Erlösung„
5 Siehe klar wie immer Arist. Met. A 1 , 98oa22 f„ über alle Freuden, die die Sinne uns gewäh­
ren und ohne die Metaphysik nicht so verlockend wäre. Davon ist bei Anders Nygren, Eros
und Agape. Gestaltwandlungen der christlichen Liebe. Berlin-[Ost] 1 955, auf 600 leeren
Seiten nie die Rede.
6 Die 2 1 Artikel des Glaubens und der Lehre der Augsburgischen Konfession [ 1 530] § 3.
In: Evangelisches Kirchen-Gesangbuch. Berlin 1 957, Anhang, 74. Dazu irre systematisch
Barth , 1 948.

62
und Aphroditas böse Lust gebüsst, nei n , schon i m Hier u nd Jetzt der Naher­
wartu ng . 1 Der letzte Tragiker erschreibt den U rchristen ihr Drehbuch , von
der Semantik bis zum Plot. Der Apostel Pau los hat Euripides gelesen oder
( noch viel schlimmer) in seiner Griechenschule aufgeschnappt.
Was Wu nder, wenn ein frommer später Byzanti ner sein Passionsgedicht,
den Christus patiens, aus Versen von Eu ripides zusammenflickt. Da steht
der Wahn ja im mer schon zu lesen.

3.1 .2.5 When the Music's Over

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Jim Morrison, When the Music's Over

Die Tragödie kam mit dem Kult von Helden rund um frühe Heldengräber
auf. Chöre fanden sich beisam men , um ihren Ruhm zu tanzen, reiche Gön­
ner, u m die Chöre selber einzuüben und über Monate zu unterhalten.2 Ein
Grabmal , ein Altar - ein Tanzplatz, eine Orchestra. Nichts anderes hiess
für viele hundert Jahre Ae1roupyia, •Werk für die Leute • . 3 Doch wie die letz­
ten Aristophanes-Komödien zeigen, hat ein erster Dreissigjähriger Krieg den
Athener Adel so verarmt, dass das Dionysostheater seine Chöre schlicht­
weg streichen muss,4 auch wenn Platons adlig alte Schönstadt am Spenden
von Choregen trotzig festhält.5 Doch erst unter Römern , vor allem unter Ha­
drianus, wird Griechenland zu neuem Reichtu m kommen. I n Daphnis und
Chloe setzt Megakles seine einzige Tochter Ch loe aus, nur um statt ihrer
Mitgift Myti lenes Chöre zu bezahlen.6

Wi r dürfen Menandros und seinesgleichen, Komödiendichter ohne Chor und


Götter, füglich ü bergehen. Für Musik und Mathesis zählen gesprochene Ver­
se nicht. Wir feiern nur ein letztes Mal die ,Litu rgie', bevor uns Christen auch
dies schöne Wort und Tu n entwende n : „Die für die Kirchenmusik zentralen
Begriffe der , Litu rgie' und des ,Chores' sind ja eigentlich Begriffe, die mit der
Auffü hrung der griechischen Tragödie verbunden waren, das Meß-Opfer al­
so, so gesehen , Erbe des Dionysos-Kultes. Der Vergleich mit dem Islam , der
wohl Mathematik, Phi losophie und Medizi n , aber nicht die Musik der Grie­
chen entlehnt hat, macht den europäischen Zusam menhang , aber auch die
Rolle der Musik darin noch eindrucksvoller."7

1 Über Naherwartung und ihr Scheitern siehe Blumenberg , 1 966, 29-32. Wir alle leben noch .
2 Einzelheiten siehe bei Koller, 1 963, 89-9 1 .
3 Aa6c; und ,Leute' scheinen stammverwandt.
4 Schol. ad Ar. Ran . 404= Campbell, 1 990- 1 993, V 48.
s PI. Resp. II 2 1 , 383c.

s Longus, IV 35.

7 Lohmann, 1 970, 24.

63
Ku rzum, das Werk fürs Volk wird Volkserziehung, die nur drei neue Götter
ehrt: Wolken, Chaos und die eigene Zunge. 1 Diesem Kult des eigenen Wor­
tes fällt der Chorgesang zum Opfer. Die alten Götter sind auf seine Rufe
hin gekommen und gewesen . Eu ripides dagegen schränkt ihn immer wei­
ter ein : auf Vorgeschichten, Landschaftsszenen , Bildbeschreibungen. Der
Chor, statt wie bei Sophokles cc mit» den drei Schauspielern zu cc kämpfen » ,
verfällt z u Aristoteles' Entsetzen auf austauschbare Liedeinlagen.2 E r weiss
blass noch cc aus alten Schriften „ ,3 Zeus habe sich mit Semele gemischt und
Eos Kephalos entführt. Doch statt dem Musenalphabet zu trauen, liest der
Chor in ihm nur Lügen : Dass Leda Zeus als Schwan empfing, Semele als
Blitz,4 redet er den Gottestöchtern selber aus. Sie sind - fast wie bei uns
- blass unehelich geboren. Wenn ein gehörnter Gatte diese seine Schande
tarnen oder nutzen wi l l , faselt er von Götterliebesnächten. So werden denn
aus Musen mündern verlogen alte Bücherrollen . U nd der Begriff der Lüge
- im Gegensatz zum alten du nklen 4.Jeüöoc; der 6M8e1a - kommt auf die
Welt.5

ÖIO oe, TOV KUKVOU ÖOAIXauxevoc; y6vov,


ei ör1 cp6r1c; eruµoc; wc;
o' ereKev öpv181 maµevc+> </\ilöa >
ß16c; ör' r)Maxeri öeµac;. eir'
ev ÖeATOI<; n1epio1v
µ0801 r6ö' ec; 6v8pwnouc;
i'lveyKav napa Ka1p6v äMwc;.
U nd du· kind des langhalsigen schwans·
wenn die rede wahr ist· dich habe
Leda einem gefiederten vogel geboren·
Zeus in anderer gestalt. doch vielleicht
wurden solche sagen auf pierischen tafeln
den manschen zur unzeit geboren.6

1 Ar. Nub. 424 über Sokrates; ähnlich Eur. Supp. 203. Dazu Lacan, 1 99 1 b , 1 05 : cc Comment
les chretiens, a qui u n dieu reduit au symbole du Fils avait donne sa vie en signe d'amour,
se sont-ils laisses fasciner par l'inanite [ . . . ] speculative offerte en päture par le plus des­
interesse des hommes, Socrate? Ne faut-il pas la reconnaitre l'effet de la seule convergence
touchable entre les deux thematiques, qui est le Verbe, presente comme objet d'adoration?»
2 Arist. Poet. 1 8, 1 456825-27.
3 Eur. Hipp. 451 -456, ein offenbarer Hinweis auf den Dichter selbst.
4 Bacch. 330-336.

5 Detienne, 2 1 990, 73-77. - Wir melden also leise Zweifel an Lehmann, 1 965, 274, an : simulo
als affirmo id quod non est scheint nicht erst Römern, sondern schon Euripides- Helden
diskursiv verstattet.
6 Eur. lph. A. 794-800. (Pieriden hiessen die Musen nach ihrer thrakischen Herkunft.) So
dichtet auch Theseus die angebliche sexuelle Benebelung seines Sohns der Lektüre orphi­
scher Schriften an (Hipp. 953). Der Derveni-Papyros besingt ja in der Tat, wie Hera ihrem
Brudergatten •einen bläst„

64
Die Musen können also lügen, wie das ihr M u nd schon Hesiodos ku ndtat, 1
nun aber auch i n dauerhafter Schrift. Der Chor klärt Helena buchstäblich
auf : Ihr G laube, Götterki nd zu sei n , ist bloss cc Bibliotheksphantastik» .2 Doch
wenn Musen nicht mehr singen, sondern Wachstafeln beschreiben, müss­
te auch der Chorgesang verstummen u nd (wie beim Dichter) leises Lesen
werden . Das brächte Eu ripides in Athenerohren, die seit alters auf Musik
bestehen, u m noch mehr Siegeskränze, als er im Wettkampf schon an So­
phokles verloren hat. 5 erste Preise für ein ganzes Dichterleben u nd 75
Tragödien sind kei n Ruhmesblatt.3 Also sucht er anderswo - am Ende bei
den wilden Makedonen - Dichterkränze, anderswo nach Gründen, um noch
mehr Worte, Lär m , Musik zu machen. Vormals sprachen in Tragödien nur
Erwachsene, griechischer gesagt: Frauen oder Männer, denen Schamhaar
schon gesprossen war. Ki nder vor dem Sti mmbruch , nach dessen Eintritt
die Tragödie heisst, mussten stu mm wie Sklaven bleiben .4 (Auch Sklaven
haben ja den Logos, aber nur, um Reden als Befehle ihrer Herren cczu ver­
nehmen » . 5) N u n jedoch lässt Eu ripides kleine Kinder um ihr Leben plärren,
bis sie, ohne dass ein Gott zu Hilfe käme, hingesch lachtet werden.6 Nun
stimmen Sklaven gleichermassen schrille Klagelieder an, wobei der Dichter
nicht ein mal davor zu rückschreckt, den Jammer in barbarisch falsches Grie­
chisch u mzusetzen7 statt in die beiden Dialekte, die Tragödien vorgeschrie­
ben sind: attisch in den Wechselreden, dorisch i n den Chören. (Aiolisch ,
Sapphos hauchlos schöne Mu ndart, hat schon den Schwenk von Aphrodita
zum kleinen Eros kau m mehr überlebt.)

Solch wüstes Durcheinander in Musik und Lautung aber macht nur einen
Freund u nd Kitharoiden nach, der in seinen Persern nachgemacht hat, wie
persische Matrosen pidgin-griechisch laut u m Hilfe schreien, während sie
der Sund - der Sound? - vor Salamis verschlingt.8 Das besingt der älteste
bislang gefundene Papyros,9 dem aber auch schon alle Notenzeichen feh­
len . Wir werden also nie mehr hören, wie die Musik am Ende griechischer
Musik geklungen hat.

1 Hes. Theog. 27.


2 Foucault, 1 974, 1 57-1 77.
3 Varro bei Gell. Noct. Att. XVI I 4, 3. Andere Quellen sprechen gar von 92 Stücken ( Kovacs,
1 994-2002, 1 4/5 test. 1 , 1 6 und 38.
=

4 <= 1 .4.3.3. 1 .

5 Arist. Pol . 1 5, 1 254 b 20-23.


6 Eur. Andr. 5 1 3 f. ; Hec. 1 094.
7 Or. 1 385- 1 397. Dazu Hall, 1 989, 1 1 7- 1 1 9. Vgl. auch den H i rten, der in [Eur.] Rhes. 294 f.
ein Barbarenheer an dessen « nichtgriechischer Lautung» (yfipuc; oux eMl")VlKI)) erkennt.
8 Tim . Pers. 1 45-1 6 1 . Anders als Griechen können die Barbaren ja nicht schwimmen ( Hdt.
V I I I 89) .
9 Fowler, 1 987, 207.

65
Der Freund ist jener Timotheos von Miletos, der G riechenlands Musik wie
niemand sonst vor ihm verändert hat. Nur ganz zu Anfang seiner Lauf­
bahn hält er wie zur Sicherheit an hexametrisch alten Nomoi fest. 1 Bald
aber wechselt Timotheos beim selben Kithara-Auftritt zwischen allen drei
musikalischen Sti m mungen, Diatonik, Enharmonik u nd Chromatik, was die
Chromatik überhaupt erst du rchsetzt.2 Er vertont die Silben rhythmisch an­
ders, als sie metrisch und prosodisch dauern.3 Er hält in seinen Dithyramben
kein « besti mmtes Versmass» ein.4 Ja, er kann das gar nicht tu n . Denn wie
sollten persische Barbaren, deren Wassertod vor Salamis Timotheos - Bar­
baren feind wie sonst nur Eu ripides - feiert, Griechen anders als auf Pidgin­
Griechisch u m Errettung bitten ? Das Alphabet schreibt also erstmals auf,
dass es (wie nachmals Phonographen) beliebig viele Sprachen speichern
kan n . Der Feind, der Scat und New Orleans - das lernen von Euripides u nd
seinem Jazz-Freund noch die US-Pu ritaner - sind unsere eigene Frage als
Gestalt.

Zu alledem bespannt Timotheos, « rothaarig» hässlich wie er ist, seine Ki­


thara mit elf Saiten. Die Rede geht sogar von zwölf.5 Er übertritt also, wohl
u m Geräusche wie die Brandung nachzuah men, das heilige Gefüge der Ok­
tave. Schon darum weist ihn Sparta, die musikalischste von allen Griechen­
städten , aus,6 nicht ohne seine neuen Saiten alsogleich zu kappen und -
wie Timotheos uns selbst erzählt - die Kithara an einen Baum zu hängen.7
Doch auch Athen vergibt es Timotheos, der schon im Namen doch •die Göt­
ter ehren• sollte, lange nicht, dass seine Neuerungen «die alte Muse» (wie
er sie zu höhnen wagt) schlicht zu «Verscheuchen » suchen .8 Dass in seinen
Versen kein Melos und kein Rhythmos jemals wiederkehrt, ist - wie dermal­
einst bei Richard Wagner - die Neuerung an sich .9 Vor lauter Niederlagen

1 [Plut.) De mus. 4, 1 1 32e.


2 Dion. Hai. De comp. verb. 1 9 ; Kovacs, 1 994-2002, 1 50/5 1 . Dazu Pöhlmann, 1 970, 8 1 .
3 „Erst von dieser Zeit ab wären also Bemerkungen wie von Dionysios von Halikarnassos ( De
comp. verb. c. 1 1 ) über die von der metrischen Beschaffenheit unabhängige musikalisch­
rhythmische Vertonung berechtigt. Bis zu diesem Zeitpunkte ist die Scheidung zwischen
, Dichten' und ,Komponieren' , die Tonhöhenfestlegung ausgenommen, gegenstandslos. In
diesem an das Wesen der Sprache rüttelnden U mschwung der rhythmischen Einstellung
könnte man also den Kern der mit Phrynis und Timotheos gegen Ende des 5. Jahrhun­
derts v. Chr. verbundenen Neuerung suchen , der auch der alternde Euripides, jedoch nicht
Aristophanes folgt." ( Lohmann, 1 965, 247)
4 Tim. test. 1 1 , in Campbell, 1 990- 1 993, V 80/8 1 .
5 [Plut.] De mus. 30, 1 1 4 1 f) .
6 Marrou, 7 1 98 1 , 1 252; Franklin, 2002, 448.
7 Tim. Pers. 202-230 ; vgl . Paus. 1 1 1 1 2, 1 0. Dazu ausführlich v. Wilamowitz-Möllendorff, 1 903a.
Senns Dorische Welt übertreibt das wie folgt: cc Dem Kitharöden Thimoteus [!) von Milet
wurde sein Instrument, weil er die Saiten von sieben auf elf erhöht hatte, weggenommen,
er wurde erhängt. » (Benn, 1 959- 1 96 1 , 1 274)
a Athen. I I I 1 22e.

9 Graf, 1 907, 9.

66
denkt er schon an Selbstmord. Da lacht Euripides, überredet Timotheos
zu den Persern, dichtet ihnen ein Prooimion u nd hilft so seinem gleicher­
massen unbeliebten Freund zum allerersten Siegerkranz. Fast selbstbezüg­
lich sagt der Dichter ihm voraus : « I n ku rzer Zeit schon fallen sie vor dir auf
Kniee. » 1
Gesagt getan : die Kasse sti mmt. Aus Nomos, dem archaischen Musikge­
setz, wird N u mismatik, unser Geld .2 Timotheos tritt in • Konzerten • , wörtlich
also Musikwettkampfspielen, nicht mehr u m blosse frische Blumenkränze
auf; er singt u nd spielt für harte Silbermü nzen . Flower Power weicht dem
Yankee Dollar.3 Was der Showstar zur Begleitung von elf Gitarrensaiten an­
stimmt, feiern seine Fans daher zu Recht als Popmusik (cp1i\6v9pwnov) . 4

Damit aber ist das Griechenalphabet am E nde. Dichter schreiben fortan


blosse Lautbuchstaben , nur Musiker wie Timotheos fügen noch verschol­
lene Noten für ihre Sänger oder Instrumente an . Die Zahl als rekursive M itte
zwischen beiden geht verloren. Das fällt bloss deshalb niemand auf, wei l
Aristoteles, dem Zahlenfeind, an der Speicherung von Sound nichts liegt.
Das amusische Athen hat sich seit Perikles u nd dessen unbezahlbar teu­
rem Bauprogramm entschieden, allein den Augen schön zu tun. Genau das
heisst Akropolis: Karyais Nymphenchöre sind zu Marmorsäu len eingefroren,
Marmorfriese schi mmern heute noch am Parthenon, Wandbildprogramme
ehmals in den Propyläen. Daher ahnte schon Thukydides, dass eine Stadt
wie Sparta, weil sie nur auf Tänze, Chöre, schöne Bräute, nackte Leiber
setzte, statt wie Athen auf Wunderbauten, Albert Speers „Ruinenwert" nie­
mals erlangen würde.5 Carl Friedrich Schinkel war einst vom Ruinenwert
der Akropolis so ikonoklastisch toll entflammt, dass sie ihm als Schloss der
Bayernkönige erschien , zum Glück nur auf Papier (TAFEL XXI I ) . So siegen
Bauten, Schriften , Augen über Ohren .

Euripides kan n im Gegensatz zu Aischylos u nd Sophokles Chortänze nicht


mehr einstudieren,6 weil sich der eingefleischte Einklang zwischen Silben­
mass und Versfuss schon zersetzt. Euripides, wenn ihm die Worte fehlen,
bittet Sokrates u m Rat. 7 Der trägt dan n manchmal Verse bei und wandert
seinem Freund zuliebe bis ins entlegene Theater am Peiraieus.8 Dass der

1 Tim. fr. 6, in Campbell, 1 990- 1 993, V 74-77 ; Plut. An seni 23, 795d .
2 Lehmann, 1 968/69, 4 1 5-420.
3 Cohe n , 1 974, 1 4 f.
4 Vgl . [Plut.] De mus. 1 2, 1 1 35c, mit Poll. 1 1 1 1 53 .
5 Thuk. 1 1 0, 2 .

s Koller, 1 963, 8 6 .
7 D . L. 1 1 1 8. Dazu s i e h e schon Racine, [ 1 677] 1 950, 1 747 : « Socrate, le p l u s sage d e s philo­
sophes, ne dedaignait pas de mettre la main aux tragedies d'Euripide. »
8 Ael . Var. hist. 1 1 1 5. Dazu Nietzsche, [2 1 874, § 1 3] KGA 1 1 1/1 84 f.

67
Gott von Delphoi (so wie Athen ihn fälscht) Sophokles nur ccweise » nennt,
Eu ripides aber « Weiser» und Sokrates ccden allerweisesten » , 1 biegt diesen
Abstieg der Musik auch noch i n sogenannten Fortschritt u m .

Euripides, wenn ihm d i e Töne fehlen, ruft Timokrates von Argos oder Kephi­
sophon an , u m zum blassen Skript auch noch den Soundtrack nachzulie­
fern. 2 Das nutzt Kephisophon aus und betrügt den letzten grossen Tragiker
mit einer seiner beiden Frauen.3 Der Schreiber blasser Worte hatte also
Gründe, Helena u nd Paris zu verpönen. Einer seiner Ehebrüche war es, der
ihn zu den Makedonen flüchten liess.4 Sonst hätte gottlos neue Dichtung die
Athener woh l zum nächsten Asebie-Prozess verlockt. 5

Solang es Musen gab - Epos, Melos, Chorlied u nd Tragödie - war „die


Scheidung zwischen ,Dichten' und ,Komponieren' gegenstandslos". Seit 415
jedoch vollzieht sie sich. „Umschwünge der rhythmischen Einstellung" ma­
chen Seinsgeschichte, wei l sie „an das Wesen der Sprache rü hren".6 Je älter
Eu ripides wird , desto mehr zerfallen lange Silben in zwei kurze, bis selbst
Tragödienchöre (soweit wir mangels Grammophon erahnen können) fast wie
Prosa klingen. Rhythmos und Metron, neuer Sound u nd alter Versfuss tre­
ten auseinander. Timotheos hält es genauso. Damit entsetzt er zwar Athen
und Platon,7 solang die Mundart attisch bleibt, entzückt jedoch schon Ari­
stoteles.8 Timotheos hat die Kyklopen woh l ganz so laut und lautmalend wie
Euripides in seinem Kyklops nachgeahmt, der schon als Halbbarbar Koine
spricht.

U nd wie erklären wir uns das? Wir damals sprachen Badisch , Sächsisch ,
nur kein Deutsch . Das ist vorbei . Ich bin so traurig , aber du machst alles
Fremde wahr. Ich bin so selig, aber manchmal sprichst du Preussin badisch .
I m Sprachgewirr des Nachkriegs und der Fernsehsti mmen sind die Mund­
arten verstummt, verwischt, erloschen . Vernichtung und Vertreibung, Aus­
siedlung oder • Republikflucht• - ein zweiter Dreissigjähriger Krieg von 1914
bis 1945 hat die vielen Münder zum blassen Deutschen gleichgeschaltet.
Was Wunder, dass auch Ohren, Tänze, Leiber anders wurden. An Saxo­
phonen haben uns G i s den Jazz verkündet - ganz wie Euripides am Aulos,

1 Schal. ad PI. Apol. 2 1 a ; als « Unächt» zitiert bei Nietzsche, ( 1 869/1 876] KGA 1 1/4, 356.
2 Eur. test. 1 1 5 Kovacs.
3 Siehe Eur. test. 1 29 Kovacs und die zwei schönen Verse, in denen Euripides seine heikle
Lage selbst verrät: reK6vro1v a· üµvov E:py6ra1v öuoiil / E:p1v Moüoa1 cp1?.oüo1 Kpaive1v. «Wenn
Zwei an einem Hymnos schreiben, fachen Musen gerne Streit an . » (Andr. 476 f. )
4 Eur. test. 1 5 Kovacs.
5 Eur. test. 21 Kovacs. Dazu [Plut.] De plac. phil. 1 7, 880de.

6 Georgiades, 2 1 977, 57.

7 PI. Resp. I I I 9, 397a; vgl . Plut. Quomodo adol . 3 , 1 8c, über den Schauspieler Theodoros.

8 Arist. Poet. 2, 1 44839- 1 6 ; Met. a 1 , 993 b 1 5 f. Dazu Graf, 1 907, 1 2.

68
Timotheos an der durchstimmbaren Gitarre. Dreissig Jahre Krieg u m Pelops'
Insel , Kleinasien u nd Sizilien brachten alle G riechenmünder durcheinander.
Besetzungen, Aussiedelungen, Versklavunge n , Gefangennahmen waren an
der Regel. I m blutigen Entscheidungskampf u m Syrakusai verwirrten oder
überkreuzten sich die letzten beiden Dialekte, Dorisch und Ionisch , zum
tödl ichen Gemetzel , 1 wei l Sapphos hauchloses Aiolisch und das noch äl­
tere, fast mi noische Arkadisch ja schon erloschen waren.2 Nach der schwe­
ren Niederlage gegen Sparta mischten sich in Attika die Sprachen und Ge­
bräuche « aller Griechen und Barbaren » .3 Am Ende blieb nurmehr, Koine
zu sprechen, den von Athen geprägten kleinsten gemeinsamen Nenner al­
ler Ohren , M ü nder und wohl auch leiser Leseraugen . So siegte und verlor
denn Hellas seit den Alexanderzügen - vom alten Thrakien bis Israel, Ägyp­
ten , Persien und Afghanistan . Im babylonischen Gewirr entschwand dem
Dichten mit den Silbenquantitäten jeder Grund: Anderen Sprachen blieb die
prosodisch-phonologisch strenge Scheidung ku rz/lang völlig fremd. Also ist
erst in der Koine „das Wort, bis auf die Betonu ngsstelle - einem körperlosen
Punkt vergleichbar - musikalisch indifferent geworden ; jetzt dürfen wir jede
Silbe beliebig dehnen oder zusam menziehen , sie als kurz, lang , überlang
willkürlich in Musik setzen - bis auf die Beobachtung der Betonung."4 Das
bezaubert uns Barbarenohren so :

Fullest wieder Busch ünd Tal


Still mit Nebelglanz,
Losest endlich auch einmal
Meine Seele ganz.

Goethe, unvergesslich , An den Mond. Griechenohren aber tat die neue Me­
trik nach Akzenten weh . Sie beweinten lauthals eine Mundartfü lle, die sie -
reiner Widerspruch in soviel Zungen - selber schon verlassen hatte. So der
Tarentiner Aristoxenos über das klanglose Ende seiner Heimat, des G ross­
griechen landes.

«Wir sind in einer ähnl ichen Lage wie die Einwohner von Paestu m [Posei­
donia] am Tyrrhenischen Golf. Sie waren einst Griechen , wurden aber dan n
zu barbarischen Tyrrhenern und verloren i h re Sprache und frühere Sitte.
Einzig eines i h rer alten griechischen Feste feiern sie auch heute noch . Da

1 V g l . ebenso drastisch w i e ausführlich T h u k . V I I 57 f. und V I I I 1 00. Dazu Schadewaldt, 1 944,


1 01 .
2 Zur Musikliebe der Arkader siehe Plb. IV 20.
3 [Xen.] Ath . I I 8, zitiert nach 3 0CD, s. v. bilingualism .
4 Georgiades, 2 1 977, 56. Wir verzichten auf den N achweis, dass Aristoxenos dies Unheil
lauthals propagieren wird . - Zur hochwahrscheinlichen Annahme, dem lateinischen Quan­
titätenkollaps sei ein griechischer voraufgegangen, vgl . massgeblich Koller, 1 963, 1 74-1 76.

69
kommen sie zusammen und erinnern sich an die alten Worte und Laute
und Gebräuche, und wenn sie einander beklagt und das Schicksal bewei nt
haben, gehen sie wieder auseinander. So steht es auch mit u ns, da nun un­
sere Theater barbarisch geworden sind und diese h u rerische Musik in einen
großen Verfall geraten ist, und wenn wir wenigen noch zusammenkommen,
erinnern wir uns daran , was die alte Musike war. » 1

N icht Friede - Liebe heisst der Gegensatz zu Krieg . Wir stehen wie in Bas­
sai fröstelnd vor den grossen Trümmern , ohne jede Ahnung , was ku rze Sil­
ben einst von langen schied, dafür aber Hölderlin mit freien Rhythmen i m
Gepäck. Wenn Tod nur Scheintod ist, Gesang nur Schrift, erstirbt d i e M u ­
sike. Aus honigsu mmenden Sirenen werden Vögelvasenbilder, aus Liedern
Bücherrollen. Das hat schon Aristophanes entsetzt, im unterweltlichen Ge­
richt der Frösche: Eu ripides wird niemals Aischylos' Tragödenthron bestei­
gen dürfe n ; der bleibt für Sophokles gespart. So entscheidet es Dionysos,
der Weingott selbst.

xapiev ouv µr1 I:wKp6Te1


napaKa9r1µevov AaAeTv,
anoßaAOVTO µoUOIKrlV,
Ta Te µE:y1ora napaA1n6vra
Tf)c; Tpayy>ÖIKF)c; Texvric;.
Freuen tut es nicht sich plappernd
neben Sokrates zu legen·2
die musik hinauszuwerfen
und das grösste wegzulassen
von der tragödienku nst.3

1 Athen. XIV 632ab; deutsch nach Koller, 1 963, 1 78. Ü ber d e n Verräter Aristoxenos =>
3.2.3.2.
2 Uns ist, mit anderen Worten, ein Symposion vor Platon und Xenophon verloren gegangen ,
bei dem Euripides den jungen Sokrates eroberte. Paidophile sind ja Wiederholungstäter.
3 Ar. Ran. 1 49 1 - 1 495; dazu Snell, 2 1 948, 1 26. Womit die sterbende Tragödie erstmals als
« Kunst» besungen wird.

70
3.1 .3 Sokrates, »der Narr aus Attika» 1

Sokrates « u nterscheidet sich von allen früheren Philosophen durch seine


plebejische Abku nft und durch eine ganz geringe Bildung . Gegen die ganze
Kultur u. Kunst war er immer feindselig. Ebenso gegen die Naturwissen­
sch aft . » 2 « Die Philosophen vor ihm, eine kleine Zahl , haben eine ungeheu­
re Arbeit in Mathem. Astrom. Physik gethan, da ist nun freilich Thales ein
wirklicher Phön izier, Pythagor. ein Schü ler der Ägypter, u . Demokrit, die ei­
gentl. wissenschaftl. Natur, viell . ein Thrakier: wie es zu dem besten Theile
der wissenschaftl . Historiker Thukydides war. Sokr. machte sich über die­
se wissenschaftl . Leute lustig. Sternku nde sei etwas für Nachtwächter u .
Seeleute, man solle überhaupt nicht wissen wollen, was die Götter sich vor­
behalten hätten , Mathemat. sei gar etwas Lächerliches ; man müsse erst mit
sich i m Reinen sei n , ehe man zu den Wissenschaften komme: und wann sei
der Mensch so weit?» Ku rzu m : ccSocrates schrieb lieber nicht, offenbar wei l
e r e s nicht gelernt hatte . » 3

Wie Pythagoras i m Grassen Griechenland durch Schönheit und M u s i k vor­


stach, so Sokrates, der ihn im klei nen Attika an Schülerzahl ausdrücklich
überbieten wol lte,4 durch das ganze Gegente i l . Sokrates lehrt keine Schü ­
lerinnen, Sokrates spielt keine Leier, keinen Au los u n d ist darauf noch stolz.
(Dass Aristoteles ihn trotzdem « musisch » nennt,5 zeigt nur, wie in der Ko­
ine das alte Wort verkommt: µouo1K6c; heisst hi nfort wie bei uns: irgend­
wie gebildet.) Weder Ohr noch Auge finden an ihm jenes Gute, das allen
Griechen Schön heit hiess : KaAoKayaSia. Zu singen und zu dichten wie die
Denker, die er als cc loniens und Siziliens Musen » vag im Ohr hat,6 lernt So­
krates niemals. Erst mit Siebzig bringt er sich laienhafte Saitenläufe bei : i m
Kerker kurz vorm Schierlingstod.7 M i t Hakennase, Wulstlippen und G lotz­
augen schildern i h n im « Schönheitswettkam pfspiel der Männer» Xenopho n ,
der n üchterne,8 ganz w i e d e r trunken schöne Alkibiades.9 U n d doch ge­
lingt es Sokrates, obwohl er sich noch hässlicher als « Esel » oder «Satyrn »

1 «Scurra Atticus » (Cic. Nat. deor. 1 33, 9 , 3 Min. Fel . Oct. XXXV I I I 4). Scurra kann aller­
=

dings, genauso treffend, auch •Schmarotzer• heissen. Beide Bedeutungen versammelt ein
schöner Nietzsche-Satz : « Sokrates war der Hanswurst, der sich ernst nehmen machte"
((1 889 I I § 5] KGA V l/3, 64) . Was Nietzsche selber nicht ganz fern lag .
2 Nietzsche ( 1 869/1 876] KGA 1 1/4, 352.
3 Nietzsche, (1 874- 1 876] KGA 1 1/5, 3 1 1 und 308.
4 PI. Resp. X 3 , 600b ; Plut. De curios. 2, 5 1 6c.

5 Arist. Met. A 3, 953 b 1 4.

6 PI. Soph. 242d . Dass auch der Ionier Thales - geläufigen Annahmen zum Trotz - in verlo-
renen Hexametern lehrte, bezeugt Plut. De Pyth . or. 1 8, 402ef.
7 Phd. 60c-61 b. =? 3 . 1 .3.3.3.

8 Xen . Symp. V 1 -7.

9 PI. Symp. 2 1 5ab; vgl . auch Tht. 1 43e und 209b.

71
vorkommt, 1 also nicht umsonst wie Tiere i n der Brunftzeit klingt, Athens ver­
wöh nte reiche Jugend zu verlocken - wie nur noch die cc Sirenen» .2 Vom
Liebeszauber zur jeunesse doree . . .

Delphois Pythia rauchte Lorbeerdämpfe ein - aus einer erst vor ku rzem ar­
chäologisch nachgewiesenen Spalte. So rauchte ein, sie hauchte aus. So
konnte den Fragern (wie Mnemarchos) Los und Kinder künden, eben wei l
ihr eigenes Los vernebelt blieb. Das e i n e U nbewusste d e r Griechen künde­
te Einzelnen u nd Staaten, zumal Sparta, ihre Wahrheit. So asymmetrisch
steht es stets um Wissen und Nichtwissen : Wir haben es nur füreinander.
Doch ein arbeitsloser Steinmetz kehrt das alles u m . Sokrates kennt nur sich
selbst, sonst nichts u nd niemand . rvw81 oau16v, Delphois alte Tempelauf­
schrift in einen Ratschlag an Athens Idioten u mzudichten, scheint daher das
frechste Lügenmärchen von der Welt.

3 . 1 .3.1 Xenophons Sokrates auf Hetärenjagd 3

Was ist Philosophie, sag mirs doch !


Johanna Heidegger, geb. Kempf

Das Betriebsgeheimnis dieses ungeheuer neuen Zaubers hat uns Xeno­


phon bewahrt. Er erzählt in bester Laune, dass eine schöne Frau mit Na­
men Theodote in Athen lebt, ohne freilich zu verraten , dass diese ·Götter­
gabe> nicht nur Hetäre ist, sondern auch Alkibiades' Geliebte. Dem Athener
Klatsch zufolge macht sie (mit einer anderen Hetäre) alle seine Kriege mit
und bettet den ermordeten Strategos Autokrator 404 sogar ins Grab.4

Nun bei Xenophon schwärmt einer ihrer « Freier» , also doch wohl jener
schönste Sch ü ler, den Sokrates als mächtigsten so insgeheim begehrt,5
Theodote sei mit blossen Worten gar nicht genug zu rü hmen. Das gelin­
ge, soweit die Scheu erlaube, nur Künstlern auf der Lei nwand. Noch zeigt
sich also Aphrodita nicht vom Scheitel bis zur Sohle nackt - was alsbald
Phryne, ihr hetärisches Modell , einem Bi ldhauer gewähren wird.6 Sokrates
(und uns) macht aber auch schon halbe Nacktheit Lust, vom blossen « Hö­
rensagen » abzugehen : Wir folgen Alkibiades' Begehren, suchen samt den
Schülern Theodotes Haus auf und sehen gierig zu, wie die Hetäre sich als
halbes Aktmodell dem Maler gibt.7 Seit Eu ripides sind Götter bloss Idole;

1 Xen. Symp. V 7 .
2 PI. Symp. 2 1 6a.
3 Xen. Mem. 1 1 1 1 1 .
4 Athen. X I I I 574e und X I I 535c.
5 D. L. 1 1 23

6 Vismann, 200 1 , 43 f.
7 Xen . Mem. 1 1 1 1 1 , 1 f.

72
seit Sokrates verstehen Philosophen nichts von cc Kunst» ; 1 seit Platon heis­
sen Worte und Ideen selbst Bilder.

Also sehen die versammelten Voyeure eine Szene zwischen einem Maler,
der Alkibiades als Liebhaber vertritt, und einer Theodote, die in Sokrates'
Begehren den Schönsten selbst ersetzt. Anstelle des Dionysos im Ti'inkge­
lage, der mit seiner Ariadne lauter Götterliebesnächte nachspielt, tritt So­
krates - für Xenophon ein braver Eheman n , der aber Platons Paiderasten
schon erahnen lässt. So schrecklich wah r bleibt, Sokrates zum Trotz, dass
«das Begehren des Menschen das Begehren des Anderen ist . » 2

Erst w i e das Gemälde fertig ist, stellt Sokrates die typisch dummen Fragen :
Sollen er und seine « Männer» eher Theodote danken, dass sie sich enthüllt
hat? Oder muss es Theodote eher den Besuchern danken, dass sie sie be­
gehren, rü hmen, ja «berühren „ wollen? Worauf die Schönste Sokrates für
seine Blicke dankt3 und er, der Hässlichste, zwei stadtbekannte Glotzaugen
auf Schmuck, Gewand und Mägde der Hetäre wirft. Als erster Denker, dem
Kosmos und Physis nichts mehr sagen,4 versenkt sich Sokrates in Frau­
ensch muck (K6oµoc;) . Vor den Huren i n Athens Bordellen, die nach ihrem
nackten Kaufwert n6pva1 heissen, zeich nen sich Hetären ja nur dadurch
aus, dass sie dank hoher Bildung eigene Häuser führen können.

Sokrates aber spielt den Dummen. Ob sie diesen schönen Reichtum ihren
Rindern, Schafe n , Ziegen danke, ihren Feldern , Häusern oder Handwer­
kern? Treuherzig wie nur Xenophon , erster Haushaltswissenschaftler oder
•Ökonom„ erwidert Theodote : « Nein, Sokrates - Freunden, die mich aus­
halten . " Was das Gespräch dann doch zur Sache bringt: Wie können Sterb­
liche, ob nun Hetären oder Phi losophen, vom Zauber der Sirenen lernen?
Wie locken sie Athens Epheben an? I n diesem Agon um Verführungskün­
ste siegt Philosophie. Sokrates schlägt Theodotes Werben aus, sie öfter zu
besuchen und sich ihr damit « l ieb» zu machen. Ihm fehle dafür schlicht die
Zeit. Denn er sei m it anderen « Liebe n » Tag und Nacht damit befasst, Zau­
bersprüche oder Liebestränke zu ersi nnen -: Ki rke und Odysseus in attisch
kalte Prosa übersetzt, geplündert und verraten . Theodote solle daher ihn
besuchen, nicht u mgekehrt er sie.

Was Alkibiades' Geliebte denn auch zu schlechter Letzt verspricht und So­
krates mit blankem Hohn quittiert: « Du wi rst mir willkommen sein , es sei
denn , eine mir noch Liebere „ (soll heisse n : ein Ephebe) «ist schon da. »5

1 N ietzsche, [ 1 869/1 876] KGA 1 1/4, 353.


2 Lacan , 1 966, 8 1 4.
3 Mem. I I I 1 1 , 2 f.
4 N ietzsche [1 869/1 876] KGA 1 1/4, 353.
5 Xen. Mem. 1 1 1 1 1 , 4- 1 8.

73
So erkämpft der widerliche Alte den Platz der schönsten Frau , sein Daimo­
nion den Athenas, wie sie Achi lleus oder auch Odysseus guten Rat ein­
haucht . 1 Männerworte unter Männern lösen Götti nnen und Musen ab, eben
jene hellen Sti mmen also, die Hellenen von Barbaren unterschieden haben.
Erst Sokrates, nicht schon Odysseus, verstopft vor Frauen beide Ohren . Mu­
sik vergeht zu Prosa. Es zählt nicht mehr, was Reden tut, blass noch , was
Reden sagt.

cc Ein Schnitt, ganz sicher [erst] geschichtlich vollzogen. Denn noch bei den
griechischen Dichtern des sechsten Jahrhu nderts war der wah re Diskurs -
im starken hochbewerteten Wortsinn - der wahre Diskurs, vor dem man
Schreck und Achtu ng hatte. Dem man sich unterwerfen musste, wei l er
herrschte. Er war ja der Diskurs, den wer von Rechts wegen nach dem ge­
botenen Ritus aussprach ; der Diskurs, der Recht sprach und jedem sein Teil
zuwies ; der Diskurs, der, wenn er die Zuku nft vorhersagte, nicht nur ver­
kü ndete, was sich ereignen würde, sondern zu seiner Verwirklichung selbst
beitrug, weil er die Menschen an sich band und sich so mit dem Geschick
verschlang . Nun aber, ein Jahrhu ndert später, hauste die höchste Wahrheit
schon nicht mehr in dem , was der Diskurs war oder tat ; sie hauste in dem,
was er besagte. » 2 Darum und nur darum treten Leib u nd Seele auseinander.
Die Hetäre lockt mit ihrem Fleisch,3 dem Männer ausser Sokrates kau m wi­
derstehen können. Dagegen sind die Liebeszaubertränke, die er angeblich
braut, Metaphern blasser Worte und die fiktiven cc Freu ndinnen » Metaphern
jener schönen reichen Jünglinge,4 deren ccVerderbnis» (ö1acp8op6) Sokra­
tes den Bürgern von Athen mit seinem Tod bezahlen sollte. Neue Götter zu
verkünden u nd so Epheben zu verführen, warf i h m die Anklage aus guten
Grü nden vor. Theodote, diese <Göttergabe „ schenkte sich vergebens.

So mag denn Sokrates der letzte Grieche heissen, der manchmal noch auf
Frauen hört: bei Xenophon auf Theodote, Alkibiades' Geliebte, bei Platon
auf Dioti ma, Aphroditapriesterin aus Mantineia. Ein Menschenalter nach

1 Plut. De gen . Socr. 1 0, 580c. Zur u ndespotischen Höflichkeit griechischer Götterstim men
siehe Snell, 2 1 948, 46 f.
2 Foucault, 1 97 1 , 1 6 f. : « Partage historiquement constitue a coup sur. Car, chez les poetes
grecs du Vl9 siecle encore, le discours vrai - au sens fort et valorise du mot - le discours
vrai pour lequel on avait respect et terreur, celu i auquel il fallait bien se soumettre, parce
qu'il regnait, c'etait le discours prononce par qui de droit et seien le rituel requis; c'etait le
discours qui disait la justice et attribuait a chacun sa part; c'etait le discours qui, prophetisant
l'avenir, non seulement annonc;:ait ce qui allait se passer, mais contribuait a sa realisation,
emportait avec soi l'adhesion des hommes et se tramait ainsi avec le destin . Or voila qu'un
siecle plus tard la verite la plus haute ne residait plus deja dans ce qu'etait le discours ou
dans ce qu'il faisait, elle residait en ce qu'il disait. » Klüger hat niemand Heideggers Platon­
Kritik in Diskursanalyse umgesetzt.
3 Xen . Mem. 1 1 1 1 1 , 9.
4 PI. Apel. 23c.

74
ihm sinkt dah i n , was Griechenland vordem so hell vom Nahen Osten un­
terschied : dass Männer Frauenstim men aus der rechten Hälfte ihrer H i rne
mit der linken lauschten: Achilleus auf Athena, 1 Odysseus auf Sirenen, Epi­
menides auf Aletheia, Pythagoras auf seine du nkle Mutter. . . Fortan singt in
Männerohren, aus denen Leseraugen werden, nur noch die Sirene Sokra­
tes. Ein Phantasma oder Akusma, das wir Denken nennen und sein Erfinder
selbst Daimonion , den kleinen Halbgott seines M ittelohrs.2 Denn als Zenon
von Kition beim Gott von Delphoi antrug , wie er, um eine neue Philosophen­
schule, die Stoa, zu begründen , am besten lebe, beschied Pythia ihn i m
Lorbeerrausch : « •wenn er sich mit d e n Todten begatte• . [Zenon] verstand
dies vom Lesen der Alten. » 3

3.1 .3.2 Platons Sokrates auf Ephebenjagd

Plato geht weiter. Er sagt mit einer Unschuld, zu der man


Grieche sein muss und nicht cc Christ » , dass es gar keine pla­
tonische Philosophie geben würde, wenn es nicht so schöne
Jünglinge in Athen gäbe : deren Anblick sei es erst, was die
Seele des Philosophen in einen erotischen Taumel versetze
und ihr keine Ruhe lasse, bis sie den Samen aller hohen Din­
ge in ein so schönes Erdreich hinabgesenkt habe.
Nietzsche, Götzen-Däm merung

Reden , u m zu reden, schliesst Frauen aus. Ob im Musenhain am Keramei­


kos oder südlich an den Ufern des l lissos, Eros steht nur schönen ju ngen
Männern bei .4 Davon handeln, ja daraus entspringen Platons Dialoge. Wäh­
rend Attika für lauter neue Tempel- oder Flottenbauten abgeholzt wird und
auf immerdar verdorrt, strömen Sokrates, der keine Zeile schreibt, die Wor­
te. Kephisos und l l i ssos trocknen sommers aus. Über diese nicht zur Har­
monie gefugte Prosa müssen auch wir Klartext, also Prosa schreiben.

Zu Anbeginn der Trinkgelage, zu denen Athens reichste Bürger den Schma­


rotzer laden, werden alle Aulosspielerinnen - als wären sie Sirenen - ins
schlossbewehrte Frauenhinterhaus verbannt. Denn Männer, heisst es, sol­
len nicht mit fremder Musenstimme sprechen, sondern nur von Mann zu
Mann.5 Das ist der ganze U nterschied zwischen Xenophons und Platons

1 Snell, 2 1 948, 46.


2 PI. Apol. 3 1 d.
3 Nietzsche, (1 874- 1 876) KGA 1 1/5, 278, als Ü bersetzung von D. L. V I I 2. Siehe dagegen
die vor Keuschheit schon wieder obszöne Verdeutschung i n Diogenes Laertios, 1 998, 297 :
cc Der Gott habe geantwortet, er solle sich den Toten anpassen . "
4 P I . Phdr. 265c.
5 PI. Prot. 347c ; Tht. 1 73d ; Symp. 1 76e und 2 1 2d (wo der trunkene Alkibiades mit einer
Aulosspielerin und Hetäre wiederkehrt) . Einspruch gegen solche cc lächerliche Philosophen­
angst» erhebt schon Plut. Quaest. conv. VII 7, 7 1 0b-71 1 a. Siehe auch Weber, 1 979, 1 84,
und Stumpp, 1 998, 274.

75
Sokrates, Wahrheit u nd E rfindung . 1 Nach dem Trinkgelage mit seinen An­
standsgrenzen ginge nämlich sonst der Komas los : All die Schönen, die
vordem nur tanzten , spielten, lockten , würden wieder, was sie sind : Hetären
nackt und frei.2 U nser U mschlagbild kann daher zeigen , was Tanz zum Au­
los im Athen vor Sokrates/Foucault besagte : Die Hetäre „ist i n die typische
Mänadentracht, eine Nebris [Rehkitzfell], gekleidet. Doch der in der Wirkung
entscheidende U nterschied ist, daß sie u nter dem Fel l keinen Ch iton trägt,
wie es die ,Mänaden' auf den Darstellungen dieser Zeit regelmäßig tun .
Dadurch entstehen aufreizende Anblicke verschiedener Körperteile, spezi­
ell der Brüste und der G l utäen, die durch die verschiedenen Kostümbänder
besonders hervorgehoben werden und lasziv zur Geltung kommen."3

Sokrates, heisst das, ergreift das Wort, indem er es den Spielerinnen


schlicht entzieht. Der hässlichste Athener, u m sein Gerede durchzusetzen,
verschliesst uns zuvor beide Ohren. Nur so kan n es zu Trinkgelagen un­
ter lauter Männern kommen, Trinkgelagen, die sehr anders als noch Xeno­
phon die Werke Aph roditas glühend ignorieren. Es ist nicht «der Dionysos » ,
wie e r vor aller Augen mit «der Ariadne» schlafen geht, sondern i rgend­
wann in grauer Sagenzeit (als es nur Götter-Honigmet noch lange vor dem
Menschen-Weinrausch gab) Poros mit Penia. Der Gott heisst trunken ein­
geschlafen und trotzdem steht sein Phallos, wenn Penias Scheide sich von
oben auf ihn senkt. Das eben scheidet ja Unsterbliche, die immer können,
von Männern u nd Daimonen wie dem Eros, deren Penis mal zum Phal los
schwillt, mal nicht.4 Das eben ist die Stellung oder Harmonie, in der schon
Aphrodita sich dem Kriegsgott Ares hingegeben hat.5 Nur das von Sokrates
beherrschte Trinkgelage lässt das alles kalt. Es zählt nicht mehr die Lust der
Liebesnacht, sondern Eros, ihre Frucht. Der Gamos zwischen Drei und Zwei
oder odd and even, statt uns zwei beiden jetzt und hier zu glücken , kommt
erst zehn Monde nach der Göttin auf die Welt.

Philosophie ersetzt Musik, der kleine Daimon Eros jene Aphrodita, die nach
einem du nklen Spruch des Eu ripides « noch grösser» ist als Götter über-

1 Gell. Noct. Att. XIV 3 und Brunschwig/Lloyd , 2000, 7 1 7 : Xenophons Symposion „ist ein
philosophisches Werk, aber es hat auch historische Bedeutung, da es uns realistischer
als Platons Werk eine Beschreibung dessen gibt, was ein echtes athenisches Gastmahl
gewesen sein mag ." Die Wortwahl könnte klarer sein .
2 D e n ikonographischen Nachweis, dass Kwµoc; vor Athens grosser Niederlage im Pelopon­
nesischen Krieg kein blasser Fackelumzug war, sondern schamloses „Rauschfest'', erbringt
Peschel, 1 987, 339.
3 Peschel, 1 987, 1 1 7, i n einer wundersamen Stilmischung aus Modenschau und Anatomie­
atlas. Womöglich sollten wir vielmehr die Leserichtungen bedenke n : von links nach rechts,
vom Mann zur Frau .
4 PI. Symp. 203e.
5 Lucr. 1 39; über 6pµovia1 im sexuellen Wortsinn ( • Stellungen • ) vgl . Lucr. IV 1 248.

76
haupt . 1 Doch schon Hesiodos' Bauernschläue hat zwischen uns u nd den
Unsterblichen, u m deren schieres Dass zu zähmen, lauter Zwischenwesen
ausgeheckt. Seitdem heissen Nymphen2 und Daimonen,3 wei l sie zwar
langlebig sind, aber doch wie ihre Bäume oder Quellen einmal sterben , nicht
mehr Götter. Der Grund, die Sage derart zu verflachen, liegt auf der Hand .
Mit den Nymphen sti rbt die Treue. Während Aph rodita nur Männliches mit
Weiblichem, Weibliches mit Männlichem verfugt hat,4 spielt der kleine Eros
- so legt es kein geri ngerer als Aristophanes in Platons Trinkgelage dar -
alle Liebesarten wie beim Würfeln durch . Zeus hat zur Strafe die drei Kugel­
wesen mittig durchgeschnitten, Apollon dann am Nabel diese Schnittstellen
verleimt. Es gibt seitdem drei Arten, sich zu sehnen und vereinen. Erotik
wird Kombinatorik, um Harmonie als Tochter Aphroditas abzu lösen . Zwei
Geschlechter n, die als Liebespaar zur Ordnung r gehören ,5 haben nicht
mehr Möglichkeite n .

Männer paaren sich fortan m i t Männern, Frauen sich mit Frauen u n d biswei­
len sogar Mann u nd Frau .6 Keine der drei Liebesarten ist, wie nach mals un­
ter Römern oder Christen, verboten oder gar verpönt. Daher machte Platon
im Paris von 1970 Strukturalisten ja so froh. Es gibt im klassischen Athen
indessen eine Schranke, die ( Foucault zum Trotz) den neuen polymorph­
perversen Daimon Eros von der alten Ü bergöttin Aphrodita trennt. Athen ist
ja nicht Sparta.

„Einen Jungen, der sich entschied , die Leidenschaft seines Liebhabers zu


befriedigen (charizesthai) , konnte eine Vielzah l von Motiven dazu bewegen.
Das schloss (auf dem unteren Ende der Skala) materiellen Gewin n oder
sozialen Aufstieg ein und (auf dem höheren E nde) Zuneigung, Achtu ng, Re­
spekt und leidenschaftslose Liebe (phi/ia) ; aber - obwohl Männer Jungen
sexuell stimulieren durften - weder sexuelles Begehren noch sexueller Ge­
nuss stel lten annehmbare Motive dafür dar, dass ein Junge dem sexuellen
Verlangen seines Liebhabers nachgab. Selbst paiderastische Beziehungen ,

1 Eur. Hipp. 359 f.


2 Hes. Chir. fr. 3 Loeb; Hymn. hom. Ven . 1 59-272.
3 Plut. De def. or. 1 0, 4 1 5ab.
4 <= 2.2. 1 . 1 .

5 Die Formel für Variation mit Wiederholung entnehmen wir Bronstein/Semendjajew, 23 1 987,
1 1 1 2. Sie scheint nur für äusserst kleine Werte trivial.
6 PI. Symp. 1 89de. Von den ungezählten n Geschlechtern, die Gilles Deleuze und Felix Guat­
tari, L'Anti-<:Edipe. Capitalisme et schizophrenie. 2. Auflage, Paris 1 973, 352, verkünden
werden, weiss Platons Aristophanes zum Glück noch nichts.

77
die gegenseitige Liebe und Zärtlichkeit auszeichneten, behielten ein i rre­
duzibles Element emotionaler u nd erotischer Asymmetrie. Das zeigt schon
die konsistente U nterscheidung, die die Griechen unter solchen Umstän­
den zwischen dem erös des Liebhabers u nd der philfa des Geliebten trafen .
I m Gegensatz dazu galten Frauen f ü r imstande, die sexuelle Leidenschaft
ihrer männlichen Liebhaber zu erwidern ; deshalb konnte es von ihnen heis­
sen, sie würden Gegenliebe (anterös) beku nden - ein Begriff, der zu klas­
sischer Zeit niemals in erotischem Sinn auf Jungen angewandt wurde, aus­
ser bei Platon in einem hoch tendenziösen phi losophischen Kontext ( Phdr.
255ce) ."1

Mit anderen Worte n : Aphrodita und nur sie schenkt Gegenliebe. Es zählt
nicht nicht, ob sich zwei Männer, Frauen oder aber zwei Geschlechter mi­
schen . Foucaults von Nietzsche inspirierte These, in jedem der drei Fälle
ginge es allein daru m , wer Herr sei und wer Sklave, ist einfach falsch .2 Erst
wenn sich Schleimhäute und Säfte von Mann und Frau in ihrer Leibeshöhle
« mischen „ ,3 wei l Aphrodita beide dazu angestachelt hat, heisst das Lie­
besspiel 6 yaµoc; oder, noch selbstredender, ra aq>poöio1a. Es bleibt ja
Frauen unbenommen, «gegen die Natur»4 gel iebt zu werden , vorzugsweis
am frühen Morgen. Sie dürfen zudem , anders als von Liebhabern geliebte
Knaben, selber zum Orgasmus kommen.5 Was Sapphos lesbische Geliebte
dabei fühlen , deutet leider nur ein Wort an : das von Aphroditas Kommen
ausgelöste Kwµa, auf deutsch wohl •Zauberschlaf. >6 Oftmals sind daher die
Lexika viel klüger, als uns Denkern deucht. I n seiner massgeblichen Etymo­
logie und Wortgeschichte des Griechischen hielt Chantraine fest:

1 30CD, s. v. homosexuality : A „boy who chose to satisfy (charizesthai) the passion of his
lover might by actuated by a variety of molives, including (on the baser end of the scale)
material gain or social climbing and (on the higher end) affection, esteem , respect, and non­
passionate love (philia) , but - although a man might stimulate a boy sexually - neither sexual
desire nor sexual pleasure represented an acceptable molive for a boy's compliance with
the sexual demands of his lover. Even pederastic relationships characterized by mutual love
and tenderness retained an irreductible element of emotional and erotic asymmetry, as it is
indicated by the consistent distinclion which the Greeks drew in such contexts between the
lover's erös and the beloved's philia. By contrast, warnen were believed capable of returning
their male lovers' sexual passion, and so could by spoken of as exhibiting anterös (,counter­
desire') - a term never applied in an erotic sense in the Classical period to boys, except by
Plato in a highly tendenlious philosophical context (Phdr. 255ce)." Gegen Foucault, 1 984a,
222, 246 und 263, der all dies leugnet, aber aus Xenophons Symposion, V I I I 3, besser
wusste, siehe auch Ov. Ars am. II 682-685.
2 Sehmieder, 2006, 1 07-1 09.
3 Regenbogen, 1 930, 1 37.
4 PI. Leg . 1 636c.
5 Foucault, 1 984a, 226-236.

6 Sappho, Ir. 2 L-P, V. 8. Von diesem wundersamen Schwund der Sinne hat die Medizin ihr
grauenhaftes Koma her.

78
„Aq>poöio1oc; ,concerne Aphrodita' (ion.-att . ) , avec aq>poöio10 pi. n . ,fete
d'Aphrodita' (Xenophon) , et su rtout ,plaisir d'amour' ( H ippocrate, Platon),
avec une femme, par opposition a la pederastie ; dans les pap[yri] aq>poöi-
010 peut designer une maison de prostitution ."1
Schlaue Mönche haben Foucault diese klaren Sätze wohl aus Grü nden vor­
enthalten, obwohl doch sein Kollege am College de France sie 1968 drucken
liess und Foucault erst elf Jahre später aus der lieblosen Bibliotheque na­
tionale zum Lesen in ihr schwules Kloster floh.2 Ohne solche Dominikaner
hätte er womöglich Aph roditas Walten wahrgenommen und nicht den Wider­
sinn gewagt, ihr alle drei Spielarten des einen Eros wahllos anzusinnen.3

So verwi ldert Sokrates das Denken. Gegen alle Klassik oder Vorsokratik
lässt er Denker wie Foucault seine Knabenliebe als «die Klassik» feiern .4
Gegen alle Weisen vor ihm5 lehrt er, Eros sei nicht Aphroditas Kind, sondern
nur der Zufallsbalg aus einem Göttertrinkgelage, das Aphroditas Geburt ge­
feiert habe. Nektartrunken schlief ein Gott im Gras, eine arme Sterbliche
nahte ihm sirenengleich von oben und empfi ng. U nsterbliche sind selbst in
Ohnmacht, Rausch und Schlaf potent, wir Sterblichen nur manch mal . Wei l
er vor Schönem schwi llt u n d vor Nichtschönem schrumpft, ward Eros denn
ein Daimon oder Zwitterwesen: halb Gott, halb Mensch , halb Phallos und
halb Penis6 - als wolle Sokrates sich selber (wie sein grosses Vorbild Pyth­
agoras) als Dai mon feiern lassen. Alkibiades rü hmt als das Göttliche an i h m ,
dass ein alter Man n , hässlich oder g e i l w i e Satyrn , ausnahmsweis nicht j ü n ­
gere Geliebte jagen muss. Er kan n s e h r u mgekehrt vorspielen, s i e seien Lie­
bende, er der Geliebte.7 So lockt der Satyr Sokrates den schönen heissge­
liebten Alkibiades ins Bett: Eine ganze Wi nternacht liegen sie beisammen,
doch zur Enttäuschung des Epheben blass wie Sohn und Vater.8 Foucault
mag das als Meisterschaft und Selbstbeherrschung seiner bitteren letzten
Jahre feiern ;9 wir nennen es das Ende aller Dichtung und Paideia. Dass die­
ses Ende zugleich der Anfang unseres Abendlandes war, erfahrt ihr später :
Mehr als zwei Jah rtausende (unter Römern, Ch risten usw. ) mussten erst
verwunden werden , bis Hohe Schulen endlich wieder Frauen aufgenommen
haben.

1 Chantraine, 2 1 999, s. v. Äq>poöm,.


2 Eribon, 1 993, 4 1 8. Für das Epitheton haben wir Peter Gente/Berlin-Thailand zu danken.
3 Foucault, 1 984a, 47.
4 Foucault, 1 984a, 1 8.

5 Vgl . PI. Symp. 1 78b mit Parmenides, 6 D K 3 1 , B 1 3.

6 PI. Symp. 202d-203e.


7 Symp. 222ab.

8 Symp. 2 1 6c-2 1 9d .

9 Foucault, 1 984a, 264-269.

79
Denn während auch beim sterblichen Wei ngelage, das von Götternektar­
räuschen nurmehr schwärmt, alle anderen langsam sprachlos trunken wer­
den, bleibt Sokrates wie immer nüchtern . (Wir beide kannten einen toten,
genau so monoglotten Germanisten , der ihm das nachtat.) U nd das nur,
u m den Unsinn namens Literaturtheorie zu stiften : Sokrates cczwingt» zwei
letzte tru nken müde Hörer - Agathon, den Tragiker, und Aristophanes, den
Komiker - cczum Eingeständnis, ein und derselbe Mann müsse Komödien
und Tragödien machen können » . 1 Da schlafen beide, die es besser wis­
sen, ein : Kei n Komödiendichter nahm je an Tragödienwettbewerben tei l und
umgekehrt. Nur Tragödiendichter mussten ihre Trilogie mit einem Satyrspiel
vollenden , das mit der Komödie aber nichts zu schaffen hatte.

Doch so ist Sokrates, Narr und Satyr allen Dichtens, allen Denkens. Wer
das Griechenalphabet in seiner Ei nzigkeit nicht kennt und Vorsokratiker nur
vom Hörensagen, macht damit einen grossen Spruch zuschanden . Leukip­
pos von Miletos hat nie gesagt, dass derselbe Mann Komödien und Tragö­
dien schreiben können müsse. Um sogar der Physis Schriftelemente zuzu­
denken, lehrte er vielmehr, «Tragödie und Komödie entstü nden aus densel­
ben Lettern » .2 Wenn also Buchstaben «Atome» , u ntei lbar letzte Elemente
sind, gibt die Schreibfläche ccdas leere„ zwischen ihnen frei. Leukippos als
reicher <Schimmelzüchter• denkt das Medium allen Denkens, Sokrates nur
sich , den armen trag ikomischen Idioten. I n jeder Lebenslage «den Diskurs
zu halten und, tiefer noch , das Wort zu haben» wollen,3 bleibt sein Bluff.
Nüchternheit zu allen Tageszeiten macht sen i l . Leukippos in der Morgenrö­
te unseres Denkens rang viel tiefliegender darum , im Alphabet der Griechen
alles, was nur sagbar ist, zu schreibe n : nach Lauten , Zahlen, Tönen endlich
auch die Physis selbst.

3 . 1 .3.3 Sch rift und Musik

Wir können also n ichts sagen, was wir nicht


denken können.
Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus

Unsere Seinsgeschichte spielt i n solchen Reku rsionen . Sie kommt aufs Al­
phabet zurück, um es i mmer tiefer zu versenke n : die zwei Sirenen zur Okta­
ve, Oktaven in Polyphonie, Polyphonien in Obertöne (harmoniques), Ober­
töne in Fourierreihen - und so fort und fort zur heutigen Signalverarbeitung.

1 PI. Symp. 223d. Siehe dagegen Platons Klarstellung in Resp. I I I 7, 395a, u n d dazu Koller,
1 963, 1 04.
2 6DK 67, A 9 Arist. Gen. et corr. 3 1 5 b 1 4 f. : E:K rwv aurwv yap rpay<!JÖia Kai KWµC!JÖia yivera1
=

ypaµµarwv.
3 Foucault, 1 966, 3 1 6.

80
Die Seinsgeschichte tut das nie durch blasse Deutu ngen , sondern schreibt
jeweils das Schreiben u m . Leukippos gibt ein strahlend helles Vorbild, wenn
er Tragödie u nd Komödie zum ersten Mal zusammendenkt. Weil die Gras­
sen Dionysien ein Gesamtkunstwerk aus Schaudern , Ständern und Geläch­
tern sind (um von Kitzlern ganz zu schweige n ) , zugleich jedoch ein Würfel­
wu rf aus 2 4 Lettern (ypaµµam), wird auch der Kosmos aus oro1xeia , abge­
zählten Elemente n , Zeichen und Atomen, was er ist. Das zu denken braucht
an der Alphabetschrift, um sie von heute aus, dem digitalen Jetzt, reku r­
siv heraufzurufe n , nur die Geduld des anderen Anfangs. cc U n coup de des
jamais n'abolira le hasard . » 1
Sokrates hat nichts geschrieben. Das überliess er jungen Hörern , die ihn
liebten oder hassten - weil sie anders als er dichten konnte n : Platon, Xe­
nophon e tutti quanti. 2 Dafür haben seine gut getarnten Selbstgespräche,
die wi r fälschlich Dialoge nennen, das Griechenalphabet fast auf den Hund
gebracht. Noch i m mer geht die Mär von difference und U rschrift u m , als
wü rde sich das Wahre schon im Lauf des Redens oder Lesens wandeln.
Noch im mer fragen sich von Seinsgeschichte u nbeleckte Phi losophinnen,
ungespielt naiv sokratisch, ob es wohl Zufall war, dass oro1xe:Tov seit den
Atomisten zugleich Buchstabe und Element besagt. Und das nach über 100
Jahren phi lologisch strenger Forschung . . .

Sokrates, der Narr aus Attika, als er das u nbelehrbar leere Fragespiel er­
san n , verarmte unser Wissen. Wie die Philosophie im Boudoir so klar und
kalt befand : cc l l n'ecrit rien , vu son ignorance. - Er schrieb nichts, weil er gar
nichts wusste . » 3 Wir können eben nichts erdenke n , was sich nicht schreiben
lässt.

1 Mallarme, 1 96 1 , 455.
2 Am genauesten lässt Platon Eukleides von Megara berichten, wie Sokrates zu Lebzeiten
verschriftet worden ist: Theaitetos erzählt zunächst Eukleides, was er und Sokrates vor
langer Zeit beredet haben. Daheim in Megara schreibt Eukleides nach dem Gedächtnis das
Gehörte auf, fragt jedoch , sooft er nach Athen kommt, Sokrates solange weiter aus, bis
seine Handschrift namens Theaitetos mit der « Rede (Myoc;) beinah völlig» eins wird . Denn
am Ende hat ein Sklave alles abgeschrieben, was Eukleides grob skizzierte. Terpsion, der
Frager, und Eukleides, der Verschrifter, können nun das neue « Buch» durchgehen. (PI. Tht.
1 42c- 1 43b; dazu flüchtig Ludwig, 2005, 64 f.)
3 de Sade [ 1 795] 1 976, 73. Siehe auch ebd . 277 über den analen Wortsinn von «Sokratisie­
ren » .

81
3.1 .3.3.1 Am l l i ssos bei den Nymphen

Ou l' Eau existe, l'homme se fixe. Quoi de plus


necessaire qu'une nymphe tres fraiche? C'est la
nymphe et la source qui marquent le point sacre
ou la Vie se pose et regarde autour d'elle.
Valery, Louanges de l'eau

DAS I U SSOSTA L UM 1 830

Andritsena bei Bassai , eiskalt und schneeverweht. Wir schlafen in den Klei­
dern. Arkadiens Gott auf seinem Berg erschei nt als Wolf. Wasser kan n so
grausam sein . Wir aber glauben an den Süden, bis Spartas klei nster Hafen
ihn auch schenkt. Die Sonne über Yerolimin taut uns beide wieder auf.

Alkibiades scheiterte in einer Wi nternacht daran , seinen Meister zu verfüh­


ren , unter dünnen Vorwänden und dicken Mänteln. 1 Aber jetzt glüht Sonne
über dem l lissos. Blumen duften, Wiesen blühen. Es ist Frühling, hoher Mit­
tag vor der Stadt. Pan mit seinen Nymphen herrscht; selbst Sokrates wird
am Ende zu ihm beten.2 Denn ausserhalb der Mauern gibt es kau m Tempel
- nur Haine, Quellen, Bäche.

Ihr wisst, das war einmal, bevor Athen auch den l l i ssos überbaute und Attika
ein Scheinolympia aus Beton geworden ist. . .

Liebe zum <scheinend> schönen Phaidros, einem freigekauften Lustkna­


ben , 3 hat Sokrates dies eine Mal in Feld u nd Hain verlockt, obwohl sonst

1 PI. Symp. 2 1 9b.


2 Phdr. 279b.
3 Gell. Noct. Atl. II 1 8, 1 -4.

82
nur die Stadt mit Menschen ihn was « lehrt» . 1 Aber u nter seinem sommer­
leichten U m hang birgt Phaidros die Papyrosrolle einer Rede über Eros, das
Begehren. Kei n Wu nder, dass der Alte sie fast wie den Phallos selbst be­
gehrt.2 Wir müssen Phaidros also dafür dankbar bleiben, den Narren Atti­
kas ins Grüne zu entführen. Denn Sokrates verschmäht nicht nur den Kos­
mos, sondern auch die Physis:3 Wer in Nymphen Göttinnen verehren würde,
müsste gleichermassen an Kentau ren , Flügelrosse und Chimären glauben,4
Unmengen wüster Mischgebilde.5 Erst dank Descartes, der Denken als Ro­
man betrieben hat, werden Menschtierwesen, Fabeln und Romane wieder
wirklich : Was im mer mir im Traum erscheint, Sirenen oder Satyrn, ich habe
es gesehen u nd m ithin gedacht.6 Sonst wäre ja die jü ngst verflossene Neu­
zeit nur in Theorien und Techniken, nicht aber in Romanen da. Das cogito
schliesst die Sirenen ein statt aus.

Sokrates dagegen deutet, kau m in freier Gegend angelangt, alle Nymphen


und Romanzen am l lissos weg : Kei n wilder Nordwind habe Oreitheia, wie
Phaidros mit der alten Sage weiss, an ihrem Bach zur Braut und Frau ge­
macht. 7 Auf der Flucht vorm geilen Boreas sei sie vielmehr zu Tod gestürzt
-: Kreusa im Quadrat. Dass Oretheia vorher - wie alle Bräute seit Europa,
Kore und Nausikaa - mit einer anderen Nymphe namens Pharmakeia spiel­
te, 8 mag daher Derrida beglücken.9 Für uns dagegen zählt, wie Sokrates
aus freien Bräuten selbstmörderische Opfer macht.

Das hi ndert Musen nie daran zu sei n . Totgesagte kehren wieder, nicht bloss
als am l l i ssos aufgestellte Standbilder von Nymphen , 10 sondern als Daimo­
nen einer Mittagsglut.

1
PI. Phdr. 230d und 263d . Dazu Connor, 1 988, 1 59.
2 Phdr. 228d ; dazu Svenbro, 1 988, 220.
3 Xen . Mem. 1 1 , 1 1 .
4 Seit Aristoteles widerlegen sich Mischwesen schon rein logisch: Namen wie rpayE:"acpcx;

(Ziegenhirsch) haben zwar Bedeutung, doch darum noch lang nicht Sein und Referenz
(Arist. Cat. 1 6a 1 7) ; also laut Phys. IV 1 , 208a3o f„ auch keinen Ort
5 PI. Phdr. 229de. Für seitenlange rhetorische Variationen dieses Arguments siehe den Stoi­
ker Karneades bei Cic. Nat. deor. 1 1 1 1 7-20. Wir führen nur den Anfang an : «Si di sunt, suntne
etiam Nymphae deae? si Nymphae, Panisci etiam et Satyri ; h i autem non sunt; ne Nymphae
(deae) quidem igitur. - Wenn Götter sind, sind doch wohl auch Nymphen Göttinnen? Wenn
Nymphen, dann auch kleine Faune und Satyrn . Die aber sind nicht, also auch Nymphen
keine Göttinnen . » Und so läuft das rekursive Argument am öden Ende bis auf Zeus zurück,
so dass auch er nicht ist.
6 Descartes, Med. 1 6 = 1 959, 34. Wir kommen in Band 1 1 112 darauf zurück.
7 Hd!. V I I 1 89 . Vier gemeinsame Kinder nennt Apollod. Bibi. 1 1 1 1 5, 2; zwei Söhne Ap. Rhod.
Argon . 1 2 1 1 f.
8 PI. Phdr. 229b.

9 Derrida, 1 972, 86 f.
10
PI. Phdr. 230b.

83
roKPATHL rxoM µE:v öri, wc; eOIK€V. Kai äµa µ01 ÖOKOÜOIV, wc; ev r(f>
nviye1 , unep KecpaAi)c; riµwv oi rE:myec; <;iöovrec; Kai 6MriAOIC: ö1a­
A€y6µevo1, Ka9opäv Kai riµäc;. Ei ouv iöo1ev Kai VW Ka96nep rouc;
noMouc; E:v µeol')µßpi9. µr) ö1aAeyoµE:vouc; 6Ma vuor6�ovrac; Kai
Kl')AOUµE:vouc; ucp' aurwv öi' apyiav rflc; ö1avoiac; . ÖIKaiwc; äv Ka­
rayeA(f>ev rivouµevo1 6vöp6noö' ärra ocpio1v eA96vra eic; TO Kara­
'
ywy1ov wonep npoß6r1a µeol')µßp16�ovra nepi rr)v Kprivl')v eüöe1v.
'Eav öE: 6pwo1 ö1aAeyoµE:vouc; Kai napanAE:ovr6c; ocpac; wonep
re1pflvac; OKl')Ar;rouc;. ö yE:pac; napa Sewv exouo1v 6v9pwno1c; ö1-
ö6va1 r6x' äv ödiev ayaoeE:vrec;.

<J>Alf1POL UEXOUOI öE: öl) Ti TOÜTO ; ÄvriKooc; yap, wc; eo1Ke , ruyx6vw wv.

roKPATHL Ou µE:v ör) npE:ne1 ye cp1A6µouoov ävöpa TWV TOIOUTWV 6-


vriKOOV eTva1. l\E:yera1 ö' wc; nor' �oav ouro1 öv9pwno1 rwv npiv
Mouoac; yeyovE:var yevoµE:vwv öE: Mouowv Kai cpaveiol')c; tj.>öi)c;.
oürwc; öpa rivE:c; TWV TOT€ e�enAOVl')Oav ucp' riöovflc; WOT€ 9öovrec;
r)µeAl')OaV oirwv T€ Kai nOTWV, Kai eAa9ov T€A€UTrioavrec; aurouc;.
'E� wv ro rerriywv yE:voc; µer' E:KeTvo cpuerai. yE:pac; roüro napa
Mouowv Aaß6v. µl')öev rpocpflc; ö€io9a1 yev6µevov. 6M' äoir6v re
Kai ÖnOTOV eu9uc; <;iöe1v ewc; ÖV T€A€UTrion, Kai µera TOÜTO eA90V
napa Mouoac; 6nayyE:Me1v ric; riva aurwv r1µ9 rwv ev96öe.

SOKRATES. Musse haben wir ja, wie es scheint. Auch ist mir, als würden
die Zikaden ü ber unseren Köpfen, wie sie es bei Hitze tu n , singend
und miteinander redend auf uns niederschauen. Wenn sie nun auch
uns beide wie die Vielen am Mittag sähen, wie wir uns, statt zu reden ,
von ihnen aus klarem Denken in Trägheit einschläfern u n d bezaubern
liessen, würden sie uns zurecht auslachen u nd meinen, Sklaven sei­
en zu ihnen in die Herberge gekommen, u m wie Schafherden an der
Quelle Mittagsschlaf zu halten. Wenn sie aber sehen, dass wir mitei n­
ander reden u nd sie unverzaubert wie Sirenen umschiffen, geben sie
uns vor Freude vielleicht, was sie den Menschen zur Gabe von den
Göttern empfangen haben.

PHAI D ROS. Was haben sie denn [empfangen]? Zufällig scheint mir das un­
kund.

SOKRATES. Den M usenfreund von Mann schmückt solch U nwissen nicht.


Man sagt doch , dass es Menschen gab, bevor die Musen auf die Welt
gekommen sind. Als indes die Musen nun geboren waren und der Ge-

84
sang aufschien, verzückte diese Lust einige der damals Lebenden so
sehr, dass sie singend Speis und Trank vergassen und selbst ihr To­
desnahen sich verbarg . Aus ihnen ist seither das Geschlecht der Zi­
kaden erwachsen , das von den Musen die Gabe nah m , von Geburt
an keine Nahrung zu brauchen , sondern ohne Speis und Trank zu sin­
gen, bis es stirbt, dann aber zu den Musen zu gelangen, u m ihnen zu
melden, welche von ihnen wer hier [u nten] verehrt . 1

K I T H A R A M I T Z I KA D E ( T I T E L B LATT VON AT H A N A S I U S K I RC H E R S M U S U R G I A )

Essen sättigt, Trinken sti llt den Durst. Wir werden dann mit Erde oder Was­
ser eins. Anders steht es um Musik u nd Liebe. I mmer bleibt, bei allem G lück,
ein Wunsch . Für Musik und Liebe leben oder darben wir Zikaden .

U n s Sterblichen, seitdem e s Musen gibt, steht also e i n e Lebensweise of­


fen , die um ihretwillen Speis und Trank und Sterblichkeit der Lethe preisgibt.
Umgekehrt stehen Nymphen zwei Metamorphosen offen , die Sokrates im
Gegensatz zum sagentreuen Phaidros sauber trennt. Wenn Phaidros die
Quelle am l lissos feiert, rühmt er ihre Nähe zum Hain der Nymphen und
des Acheloos, der als Flussgott Vater der Sirenen ist.2 Sokrates dagegen
unterscheidet. Aus Nymphen werden schlimmstenfalls Sirenen und besten­
falls die Musen . Als Musen kommen sie am selben Tag zur Welt wie jenes
Griechenalphabet, dessen Ursprung ja der Dialog erfragt. Aber erst i m Jen­
seits sind die Musen Göttinnen; hier auf Erden - unter der Platane bei uns
Sterblichen - vertritt sie ein Zikadenchor.3 Er wacht darüber, dass Sokra­
tes mit Phaidros nichts anstellt, was von Hirten n icht bloss gemunkelt wur­
de, sondern auch in Felsinschriften eingeritzt : Einer «fickte» einen.4 Nur im

1 Phdr. 258e-259c.
2 PI. Phdr. 230b; vgl . 263d und Paus. 1 1 9, 5. => 4.3.2.
3 PI. Phdr. 230c. Zikaden waren zwar grammatisch männlich, nach Platons Aristophanes je­
doch zweigeschlechtlich und somit autochthon wie Kugelmenschen (Symp. 1 9 1 bc) oder
auch Athener.
4 Die archaischen Inschriften siehe bei Powell, 1 99 1 , 1 7 1 - 1 80 .

85
Notfall ahmten H i rten Pans und damit Hermes' einsames Vergnügen nach . 1
Beide Male west j a keine Nymphe an. Trotz M ittagshitze, Quellenrieseln,
Schweinekoben und Sirenensang weiter reden heisst daher: andere Lüste,
die auch Eigennamen tragen, zumal verneinen u nd u mspielen . Die Bräute
am l lissos würden statt zu Musen zu Sirenen, die beiden an der Musenquel­
le wie durch Kirkes Zauber Schweine. Phaidros' ungesagte Sagenwü nsche
träten ein. Wie Boreas, der Nordsturm, würde Sokrates den schönsten sei­
ner Schüler nehmen . U naufhörlich flössen Säfte u nd Begierden , weil wir ja
Säugetiere sind. Nun aber gehen Redeflüsse vor.

L I E B E N D E R U N D G E L I E B T E R SANFT V E R E I N T

So verdunkelt Sokrates, erst er, fast alles, was uns die Odyssee entborgen
hat : Musen, Kirke u nd Sirenen. Er weiss nur noch wie die Zikaden, dass
Sirenenlust - zu singen , um zu singen ; zu hören, um zu hören - alle Gau­
menfreuden überbietet. Dennoch segelt er, als Logos ohne Melos, an den
Sirenen/Musen/Nymphen immer schon vorbei . Aphroditas «Zauber» schlägt
in Eros oder Knabenliebe u m . Der alte Phi losoph und Musenfreund erklärt
dem jungen, dass die schönste Art, den ältesten und höchsten Musen Ge­
gengaben darzubri ngen, nicht Musik sei , sondern Denken. Auch Platons
Sokrates verzaubert also wie Sirenen, jedoch mit « nackten Worten » , weil

1 Dion von Prusa, zitiert nach Foucault, 1 984b, 1 65. - Ü ber Sokrates' diverse Geliebte ausser
Phaidros siehe Anakreon , fr. 503 L-P.

86
er nicht singen oder Leier spielen kan n . 1 Trotz aller M ittagshitze geniessen
die zwei Schwätzer also weder Schlaf noch Beischlaf. 2 Diese heldenhafte
Keuschheit werden oder sollen die Zikaden, deren Chor den « Dialog » ja hört
und überwacht, nach beider Tod der höchsten Muse melden.3 Und eben das
wird Sokrates vor seiner Hinrichtung bereuen : Er hätte besser doch Musik
gemacht.4
Die langatmig erlangte Musse nutzt der Phi losoph, u m von der Geburt der
Musen auf den U rsprung seines Griechenalphabets zu kommen. Als seien
diese zwei Ereign isse nicht eins.

UHKouoa roivuv nepi NauKpOTIV TiiC: Aiyumou yeveo8a1 TWV eKeT


na.).a1wv T1va Sewv. ou Kai To öpveov To iepov ö öii KaAoüo1v Tß1v.
auT(f> c5€ Övoµa T(f> c5aiµov1 eTva1 9eu8 TOÜTOV öfi npWTOV 6p19-
µ6v Te Kai AOy10µ6v eupeTv Kai yewµeTpiav Kai OOTpovoµiav. eTI
c5€ nerraiac; Te Kai KUßeiac;. Kai öfi Kai ypaµµara. ßao1.).ewc; ö' au
T6Te övroc; Aiyumou ÖAllC: eaµoü nepi Tiiv µeya.).11v n6.).1v Toü ävw
T6nou . ftv oi "EM11vec; Aiyumiac; 9fißac; Ka.).0001 Kai Tov Seov UAµ­
µwva . napa TOÜTOV eA8WV 6 9eu8 TOC: Texvac; enec5e1�ev Kai ecp11
öeiv c51ac508i;va1 ToTc; äM01c; Aiyumio1c; .
Ich habe [von den Alten] nun gehört, bei Naukratis in Ägypten sei einer
der alten Götter dort gewesen , dem auch der Vogel namens Ibis hei­
lig war, während der Daimon selbst den Namen Theuth trug . Er zuerst
hat Zahlen und das Rechnen erfu nden, auch Erdmessung und Stern­
kunde, ferner Brettspiel und Würfel und so auch die Buchstaben . König
ü ber ganz Ägypten war damals Thamus in der grossen Stadt des Ober­
landes, die die Hellenen Ägyptens Theben nennen , den Gott selbst
aber Ammen . Zu dem sei Theuth gegangen, habe ihm seine Kü nste
vorgezeigt und gesagt, sie müssten den anderen Ägyptern weiterge­
geben werden . s

W i r kennen d i e berühmte Antwort, d i e Thamus d e m « Vater der Buchsta­


ben »6 gegeben haben soll : Schrift sei kei n « Zaubermittel» (cpapµaKov) für
Verstand und Eingedenken, sondern nur eine Gedächtnisstütze (un6µv11-
01c;) , die zu Vielwisserei und Vergesslichkeit verführe;7 Bücher (anders als
der Meister, der nie schreibt) könnten ja auf neue Fragen niemals neue Ant­
wort geben. Diese knappe Schriftkritik füllt seitdem unüberschaubar viele

1 PI. Symp. 2 1 5cd ; dazu Derrida, 1 972, 1 46.


2 Kittler, 2007, 20 1 .
3 Phdr. 259d .
4 =} 3 . 1 .3.3.3.
5 Phdr. 274cd . Zu alledem trägt Powell, 2009, 85-9 1 , leider wenig bei.

6 Phdr. 274e.

87
Bücher, die wir auf sich beruhen lassen dürfen , wei l sie lauter Kleinigkeiten
überlesen. Nämlich alles das, was Sokrates in Ammons Maske selber dem
Vergessen übergab. Metaphysik heisst Seinsvergessen.

Erstens zitiert Sokrates, wenn er die Schrift verwirft, keinen König von
Oberägypten , sondern Herakleitos, der dem «Zusammenschreiber» Pyth­
agoras ja sei n « Vielwissen» vorgeworfen hat. Zweitens stam mt Theuth aus
Nau kratis, der Griechentochterstadt in U nterägypten , wo schon Herodotos
einen ganzen « Stam m » zweisprachiger « Dolmetscher» (E:pµrive:e:c;) antraf,
die Hieroglyphen so mü helos entziffern konnten wie ihr Alphabet . 1 Drittens
fü hrte Naukratis anstatt teurer Lederrollen billigen Papyros aus - Voraus­
setzung von Prosabüchern , mithin auch des l.'.m6µvriµa bei Sokrates und
Theuth.2 Eben darum aber wissen Tausende von Zeugen, zweisprachig und
zweischriftlich , dass Ägyptens • heilige Zeichen• nicht wie im Griechenland
Gemeingut sind, sondern das Berufsgeheimnis einer elitären Schreiberka­
ste, die zwar lebensläng lich Musse hat,3 aber keine Zeichen für Vokale.
Daraus folgt, dass niemand weiss, wie sich der Schrifterfinder selbst aus­
spricht. 4 Thoths unsokratisch echte Hieroglyphe <jl}wty verknüpft denn auch
zwei Piktogramme - das eine für Thoths Vogel Ibis, das andere für seine
Göttlichkeit - mit dem Skelett der nackten Konsonantenfolge.5 Was wunder,
dass schon Phaidros seinen Lehrer auslacht.

T H OT H , I B I S KÖ P F I G E R G OTT V O N S C H R I FT U N D Z A H L , I M S P I E L Z W I S C H E N P I KTOG R A M M E N ,
S I L B E N S C H R I F T U N D GÖTT E R - D ET E R M I N AT I V E N

Drittens klingen Thamus und vor allem Ammon völlig griechisch. Wenn Tha­
mus Theuth erwidert, Schrift lade eher zum Vergessen ein als zum Geden­
ken , verwirft ein Alphabet, das für alle Laute aller Sprachen Einzelzeichen
anzubieten hat, die H ieroglyphen . Denn die beiden Silben AM-MON liegen
uns noch heut in Schreiblernheften alphabetisierter Ki nderhände vor,6 der

7 Koller, 1 963, 5, zeigt eindringlich, wie aus privaten • Notizen• (unoµvriµara) von Historikern,
Technikern und Ä rzten die griechische Prosa entstand : Notizen rechnen einfach nicht mit
Lesern .
1 Hdt. I I 1 64 und 1 25. Dazu Burckhardt, o. J„ I I I 60.
2 Burkert, 1 984, 34.
3 Arist. Met. A 1 , 981 b 23 f. Dass altorientalische Schreiber keine blossen Sekretäre waren,
sondern die Macht selbst, belegt Powell, 2009, passim.
4 Gardiner, 3 1 982, 434 : „The absence of vocalization in the hieroglyphic writing has the i rritat­
ing consequence that there can be no fixed form for the transcription of proper names."
5 Gardiner, 3 1 982, 1 1 3. Ü ber Thoths Bildzeichen • Ibis• siehe auch, erstaunlich kundig, Plut.
Quaest. conv. IX 3, 738e.
6 Ziebarth, 2 1 9 1 3, 29.

88
Ba rba rismus Theuth dagegen nie. Schon dass das Griechische (einmalig i n
der indogermanischen Sprachfamilie) alle ererbten Endkonsonanten ausser
N P r abgeworfen hat, führt Eigennamen wie Theuth und loseph, Abraham
und David umstandslos als Barbarismen vor. 1
Die Flüsse fliesse n , wir mit ihnen. Doch den Ägyptern zuzuschreiben , sie
schr ieben «einem Gott oder Gottmenschen Theuth » die Erfindung ausge­
rechnet der « Vokale» zu,2 beweist doch blanke Ignoranz, am Nil wie am
l lissos und letztlich an der Seine. Geometrie, Astronomie und Arithmetik: all
das mag Pythagoras ja aus dem Osten übernommen haben. Aber u m Mu­
sik, diese Krönung des Quadriviums, diese Feier der Vokale, einem Daimon
Theuth zu danken -: dafür fehlt selbst Sokrates der Freimut. Platon, der wohl
in Ägypten war,3 verspottet also seinen Lehrer. Schriftursprung und Schrift­
kritik im Phaidros, seit Derrida beliebte Büchertitel, verfallen jenem Lachen,
mit dem schon Sokrates' Geliebter sie qu ittiert. Doch phi losophisches Ge­
lächter bleibt am klügsten stu mm.4 Am l lissos hat das Phaidros, fü r einmal
nicht lammfro m m , uns Abendländern vorgemacht.5

""O I:wKparec; , p9öiwc; ou Aiyumiouc; Kal 6noöanouc; äv €9eAnc;


A6youc; no1€ic; .
Ach Sokrates , leichthin machst du uns ägyptische u n d was sonst für
fremde Reden, wie du magst, daher.6

Drittens schliesslich eine Kleinigkeit, die selbst der kluge Phaidros überhört:
Was i m mer Sokrates als ausländische Sagen ausgibt, sind leicht verschlei­
erte Euripideszitate - von der Zaubergabe, die wie Kirkes Zaubergift sein
kann , über die Lethe, aus der Stimmlaute sich entbergen, bis zum Abwe­
sen der toten Phaidra im Verleumdungsbrief. Eu ripides' Tragödie Palamedes
sagt einem Griechenhelden vor Troia genau dieselben Erfindungen nach
wie Sokrates dem Theuth : Zahl und Brettspiel/ Konsonanten und Voka­
le. Aristophanes, um Euripides zu verhöhnen, spielt auf dies frei erfu ndene
Schrifterfinden an.8 Und schliesslich schreiben Xenophon und Platon immer

1 Hinweis a n multikulturell geneigte Leser u n d Claudia Breger allzumal : Barbarismus stammt


nicht von uns: das Wort hat Aristoteles geprägt (Arist. Poet. 22, 1 458824-26) .
2 P I . Phlb. 1 8b.
3 D. L. I I I 6.
4 Foucault, 1 966, 353 f. : „A toutes ces formes de reflexion gauches et gauchies, on ne peut
qu'opposer un rire philosophique - c'est-a-dire, pour une certaine part, silencieu x . »
5 Vgl . Heidegger, 1 994, 1 3 1 , dessen schöner Ü bersetzung w i r das spöttische «Ach Sokra­
tes ! » entnommen haben.
6 Phdr. 275b. Dazu trocken Harris, 1 986, 1 9 : „Socrates is later accused of making this account
up." Doch schon Sokrates, als Platon einen seiner Angriffe auf Lysis (ganz wie im Phaidros)
vortrug, soll gefragt haben: «Was lügt der Junge über mich zusammen? » ( D. L. I I I 35)
7 PI. Resp. VII 6, 522d ; <= 1 .2.2.3. 1 . Eur. lph. A. 1 92-1 98 ; Paus. X 3 1 , 1 . Dazu ausführlich
Powell, 1 99 1 , 235 f. ; 1 997, 25 f„ dem nur Platons Palamedes-Simulator Theuth entgeht.
8 Ar. Thesm. 765-78 1 .

89
wieder, dass Sokrates, der niemals schrieb, gleichwohl i n Palamedes seinen
Helden sah . Der Schrifterfinder kam zu Tod , wei l Odysseus ihm aus Rache
trojanische Bestechu ngsbriefe unterschob; Sokates, wei l ihn Athen verklag­
te, mit neuen Göttern oder Wörtern die Epheben zu verführe n . 1 Von allen
sagenhaften Alphabeterfindern heisst Palamedes, •der mit der geschickten
Hand„ jedoch der einzige, der Stimm- und Stu mmlaute als solche unter­
schieden haben soll. I h m ist die Einzigartigkeit des Griechenalphabets mit­
hin zu danken. Euripides als grosser Leser legt Palamedes diese Grosstat
selber in den Mund.

ra ri;c; ye M9ric; cpapµaK' 6p9woac; µ6voc; ,


äcpwva Kai cpwvoüvra ouMaßac; ri9eic;
e�eüpov av9pwno101 ypaµµar' eiöeva1.
Ich allein schuf gegen das vergessen zauber·
stimm lose wie stimmhafte setzte ich der silbe
und erfand den manschen buchstaben zu wissen.2

Lethe heisst mithin nicht nur, dass sich die Physis zu verbergen liebt und
uns als Tote ruhm los aufnimmt. Heideggers Aletheia geschieht als die Ent­
bergung, dass wir dank Palamedes unsere Sti mmen schreiben können . Es
bleibt daher u nfasslich , wie Derrida auf Platons Phaidros so hereinfiel und
völlig überlesen konnte, dass Schrifterfindung schlicht Vokalerfindung mein­
te. Womöglich war es seine Grätsche zwischen Hellas und Jerusalem , die
Derrida dazu verführt hat, Hieroglyphenschrift mit Thorarollen zu verwech­
sel n und beide zusammen mit einem Vokalalphabet, das wir allein den Mu­
sen danken.3 Der • Phallogozentrismus• jedenfalls, wie er •die Metaphysik•
von Platon und Rousseau bis Heidegger geschlagen haben soll , bleibt ein
Phantom, das die genauen Daten unserer Schrift- und Seinsgeschichte
überliest. Er ist auch keine Folge einer zeitentrückten Bi nsenwahrheit, dass
wir beim Sprechen (über den eustachischen Kanal vom Mund zum Ohr) uns
selber hören können und von daher wähnen, Selbstbewusstseine zu sein.4
Das /, das 0 - so west Eu ropas Wahrheit an. Die Stimme bleibt uns, die wir
Muttersprachen sprechen, heilig daher seit dem Tag , da um -800 ein Grie­
che oder Syrer aus vier semitischen Konsonanten fünf griechische Vokale
machte - und zwar, weil ihm am Lied des letzten Sängers ohne Schrift so
lag . Daran beissen jüdische Ägyptenträume und Derridas zwölf ungewohnt
gelehrte Seiten über Theuth nicht einen Faden ab. 5

1 PI. Apol. 26b; Leg. I I I 677d ; Xen. Apol. 26; Mem. IV 2, 33. Dazu Powell, 1 99 1 , 234.
2 Eur. fr. 582 Nauck, V. 1 -3 .
3 Kittler, 2007, 2 1 1 .
4 Jacques Derrida, De Ja grammatologie. Paris 1 967, 33 und 342.
5 Derrida, 1 972, 1 06-1 1 8.

90
3.1 .3.3.2 Von Pythagoras zu Theuth

Si (como el griego afirma en el Cratilo)


EI nombre es arquetipo de la cosa,
En las letras de rosa esta la rosa
Y todo el Nilo en la palabra Nilo.
Wenn (wie i m Kratylos der Grieche sagt)
die Zahl der Archetyp des Dinges ist,
dann ist die Rose in den Lettern Rose
und der ganze Nil im Namen Nil.
Borges, EI Golem 1

Wir denken ku rz, bevor es weitergeht, über Griechen, Römer, Juden, Zahlen
und damit über Borges nach . Selbstredend wünschen wir uns alle, dass Al­
gorithmen, rein und algebraisch , auch ü ber Letternfolgen laufen könnten, bis
Aristoteles' Semantik sich von selbst beweisen würde. Doch sind Mu ndarten
jemals digitalisierbar? Das steht sehr dahin. Also tauchen wi r statt dessen
kurz ins Wechselspiel von Alphabet und Ziffer ein.

Heliodoros' hinreissende Aithiopika treten zum Beweis an, dass Bor­


ges recht hat. Der N i l , als N EIAOr oder • Neuschlamm • arith metisch­
griechenalphabetisch buchstabiert, •bedeutet• an ihm selber 365 Tage, also
grad ein Sonnenjahr, wie es die Römer dankbar von Ägyptern übernehmen :
N + E + I + A + O + r = 50 + 5 + 1 0 + 30 + 70 + 200 = 365. Das kom mt bei zah­
lenfaulen Römern zwar nur als Gerücht an,2 doch auch Borges scheint das
buchstäbliche Geheimnis seines Golem nicht zu kennen : Der grosse Rab­
bi Löw schreibt im Prag des Kaisers Rudolf seinem Lehmgeschöpf TION,
•das Leben • , auf die Stirn - und sogleich fängt der Golem an zu schuften.
(Selbstredend nicht zu tanzen wie Hephaistos' Bräute.) Doch wenn der Skla­
ve sich zum Herrn aufwi rft, braucht Löw nur rasch das Alef im Wort TION zu
tilgen - schon ist sein Lehmklotz wieder tot (TIO) . So albern träu men Konso­
nantensch riften, aus deren Lehm vier wissenschaftlich klare Elemente nie
hervorgegangen sind, von ihrer redundanten Macht. Wir aber danken einem
namenlosen Griechen, den wir als Spielentwickler irrsinnig gerne nennen
oder feiern würden (wie Kreuzworträtsel, Schach, Sudoku und alle alpha­
numerischen Verg n ügen ) , dass er dem Leerlauf namens Kabbala die fast
stabile Wahrheit unserer Leben vorgezogen hat. Denn allein Ägypter und
wir Römer - so meldet Kaiser Julianus seinem Sonnengott zurück - fühlen
uns an 365 Tage, also an das Sonnenjahr des Nils gebu nden, astronomisch

1 Borges, 1 964- 1 966, 1 1 67.


2 Vgl . Heliod. Aeth. X I 22 mit Gell. Noct. Att. XIV 6.

91
fast korrekt . 1 Anders (in Mondjahren) wären Grossrau m reiche gar nicht zu
verwalten .

Soviel z u Borges u n d d e n Namen • N i l • und · Rose • .

3 . 1 .3.3.2.1 Phi lebos

Aber jetzt zurück zu Plato n !

Nehmen w i r vom schönen Phaidros Abschied, u m auf Philebos zurückzu­


kommen und mit Sokrates das Griechenalphabet zu denken. Denn seltsam ,
erst wenn es um die Schrift geht, fährt Phi lebos aus seinem Mittagsdäm mer
hoch , als höre er den Lehrer rufen.2 Zwei Epheben holen nach , wie Denken
die Begriffe gliedert u nd zweiteilt. Sokrates gemahnt an ihre Ki nderjahre, als
sie lesen lernen mussten.3 Von Anamnesis ist dabei keine Rede. Auch Me­
nons kleiner Sklave, dem das Irrationale der Quadratd iagonale doch in Erin­
nerung an frü here Existenzen aufgehen soll , lernt « Diagonale» (ö16µe;1poc;)
schlicht als Pythagoreerwort, das Sokrates ihm einsagt.4 Von Platon bis zur
Neurophysiologie - i m mer überhören Theorien des Denkens, Herrndisku r­
se also, dass Ku ltur in Sprache haust und sich allein im Sprechen/Schreiben
überliefert. Es sind die Griechen und erst sie, die aus yovu , dem • Knie„ zu­
nächst den Grundbegriff des Winkels (ywvia) bilden und dieses « Knie, sonst
nichts » ,5 dann bis zur •Zwischenkn ieung• namens Quadratdiagonale über­
höhen.6 Wie also finden Sti mmen in ein Alphabet? Grammatik - so hiess
vor der Stoa die schlichte Kunst des Lesens/Sch reibens - grü ndet nach Ar­
chytas und Euenos auf nichts anderem als Musik.7 Das möchten wir euch

1 Julian. Or. IV, 1 55a. Dazu Manguel, 2000, 237.


2 PI. Phlb. 1 8a.
3 Phlb. 1 7a.
4 PI. Men. 85b. Dazu Becker, 1 965, X : „Aber diese Rechnung (6v6µvrio1c;) geht nicht ganz
auf: An der entscheidenden Stelle des Beweises (85a) wird eine Hilfslinie, die Diagonale
eines gegebenen Quadrats, gezogen ; darin liegt gerade der ,springende Punkt' , der eigent­
lich schöpferische Gedanke der ganzen Betrachtung. Und auf diese Hilfslinie kommt der
Sklave nicht ,aus der Erinnerung', sondern der in der Geometrie erfahrene Lehrer Sokrates
zeichnet sie ein und teilt dadurch dem Schüler den entscheidenden Gedanken mit - eine
Gesprächswendung, die von seinen vielen Interpreten, soviel mir bekannt, noch niemals
beachtet wurde."
s Morgenstern, 1 956, 38.

6 So Lohmann , 1 965, 1 30 , als implizite Kritik an Oskar Becker. Allgemeiner vgl . Lacan, 1 99 1 a,
2 1 f. : « Reportez-vous au Menon, au moment ou il s'agit de la racine de 2 et de son incom­
mensurable. II y en a u n qui dit - Mais voyons, l'esclave, mais qu'il vienne, le eher petit, mais
vous voyez, il sait. On lui pose des questions, des questions de maitre bien sür, et l'esclave
repond naturellement aux questions ce que les questions deja dielen! comme reponses. On
trouve la une forme de derision . »
7 I m Gegensatz zu Platon kennt Sokrates Euenos von Paros, aber gerade u mgekehrt Archy­
tas nicht: =? 3 . 1 .3.3 . 1 . Was Jungen/Lohnstein, 2007, gar nicht erst ignorieren, Rousseau
[ 1 762] 1 995, 4 1 1 , jedoch schon ernsthaft in Erwägung zieht.

92
trotz/dank Sokrates beweisen. Denn einst war jedem Griechen klar : N u r wei l
M usik von tiefen b i s z u hohen Tönen tanzt, kan n auch Grammatik Konso­
n anten und Vokale scheiden . 1
CI>wvr1 µev riµTv eori nou µia ÖIO TOÜ or6µaroc; ioüoa , Kai ane1poc;
au nArl9€1, nOVTWV T€ Kai eKOOTOU.
Stimme ist uns nun woh l eine, durch den M u nd gesendet, doch auch
unbegrenzt an Menge, bei allen wie auch jedem.2

Es sprechen also soviel Stimmen, wie es Sprachen gibt und Mü nder. Alle
sind sie zugleich eins und doch unendlich wandelbar. Für Kinderlaute, bevor
sich ihnen eine Muttersprache aufprägt, hat Roman Jakobson das streng
bewiesen . 3 Wir wissen mit Odysseus, wie sich aus zwei Sirenenmü ndern
eine Sti mme sendet. Wir ahnen langsam gegen Sokrates, wie es wirkt, wenn
alte spitze Satyrohren jeden Fehler anderer aufspiessen. Sie würden ihn
zum Teufel jagen, den es zum Glück i m Griechenland nicht gibt.

Wenn nur der Narr nicht alles, was vor i h m gedacht ist, heillos verwechseln
würde. Der ionische Gegensatz zwischen Apeiron und Ei nern verschwimmt
ihm mit dem pythagoreischen von Gerad u nd Ungerad , Unbegrenztem und
Begrenzendem. Sonst käme Sokrates, bevor er uns das Griechenalphabet
erklärt, kau m auf M usik zu sprechen, auf Harmonien und I ntervalle, die an­
geblich dieses Apei ron in ganze Zahlen gliedern. Weder er noch die Ephe­
ben , die ihm lauschen, sind indes imstande, aus der Oktave klare Zahlen­
werte aller I ntervalle abzuleiten. Genug, dass auch Athener vage ahnen, wie
ccdie Alte n » die Musik nach Saitenlängen und den Tanz nach Silbendauern
durchgerechnet haben. So tritt anstelle eines bodenlosen , lonien abgelern­
ten Abgru nds, der das Eine vom Apeiro n , das Sein vom Werden unscharf
trennt, endlich Pythagoreerwissen.4 (Wir heute würden sagen : der Ring der
ganzen Zahlen. Denn das U nbegrenzte selbst erschliesst sich erst der Neu­
zeit in reellen Zahlen, da sie ein Körper sind, kei n blosser Ring.)

Um vorzufü hren , wie Unendlichkeit zu bannen ist, muss Sokrates, der ja die
Kithara nicht spielen kan n , eine List anwenden : Er wechselt von Musik sofort
zu Stimme, Sprache, Lautschrift.5 Das tut der Alte immer wieder aus einem
schlichten Grund : Ihm selbst wie seinen Hörern , sagt er, ist das Alphabet

1 Plut. De tranq . an. 1 5, 474a.


2 PI. Phlb. 1 7b.
3 Jakobson, 1 940.
4 PI. Phlb. 1 7be.
5 Stenzel, 3 1 959, 1 4, vermerkt diesen Ausschluss der Musik, aber ohne ihn zu denken, wei l
er Pythagoreer systematisch übergeht ( 3 1 959, 25-29). Derrida, 1 972, 2 0 3 , erklärt die Frage
nach Musik sogar zum „Umweg" (detour) . Es ist schon folgenreich, dass Frankreichs Ecole
superieure erst bei Platon einsetzt und ihren Schülern Sappho und Pythagoras verschweigt.

93
als Lautschrift schon seit Kinderzeit vertraut. 1 Die attische Reform, nach
verlorenem Peloponnesischen Krieg doch endlich Ziffern wie ganz Grie­
chenland mit Buchstaben zu schreiben, statt weiter an uralten Fünferzei­
chen festzuhalten, macht das Problem noch drängender. Das heisst gerade
nicht, dass Sokrates das Griechenalphabet als Beispiel höherer Sachverhal­
te missbrauchen würde, während erst Dekonstruktion es wahrhaft denkt.2
Daher entgehen ja die Letternnamen selber, im Kratylos Beweisstück N r.
1, der Pharmacie de Platon völlig. Sie sind für Sokrates im Gegenteil na­
paöeiyµaroc; nap6öe1yµa, « Vorbild des Vorbilds» selbst.3 Wenn die Idee
des Guten (10 aya96v) noch jenseits der Ideen am Götterhimmel schwe­
ben könnte, müsste sie schlicht Alpha heissen. (Ob dagegen armer Leute
Ki nder, wie Sokrates eins war, um 460 ausser den Sprachlauten auch Musik
und Mathematik in Alphabetzeichen erlernten, steht dahin.) Lesen können
«Wir» Athener folglich von dem Augenblick an , da « u ns nicht [mehr] verbor­
gen„ bleibt, dass die Buchstaben, weil ihrer «Wenige» und nicht unzählig
viele sind, cc in allem wiederkehren» .4 Abzählbarkeit trennt sie von unse­
ren vielgestalten Stimmen, den Mu ndarten als Apeiro n : Aus 1 . . . oo wird
1 ... 24.
naAIV öE: E:v TOic; yp6µµao1 TO vüv Aey6µeVOV Aaßwµev. 'Ene1öil
cpwvilv äne1pov Karev6rioev eiTe 11c; Seoc; eiTe Kai 9€ioc; äv9pw­
noc; - wc; A6yoc; ev Aiyumcp 9eü9 TIVa TOÜTOV yeveo9a1 Mywv. öc;
npw1oc; TO cpwvr)eVTa ev T� aneipcp KaTeVOl')OeV oux ev ÖVTa aMa
nAeiW, Kai naAIV eTepa cpwvfic; µE:v OÜ , cp96yyou öe µeTeXOVTO Tl­
voc;, ap18µov öe TIVa Kai TOUTWV eTva1 , TpiTOV öE: eTöoc; ypaµµaTWV
ÖleOTr)oaro TO vüv Aey6µeva äcpwva ru..iiv· TO µeTO TOÜTO ÖlflPel TC
Te äcp9oyya Kai äcpwva µexp1 E:voc; €:K6omu . Kai 10 cpwvr)eVTa Kai
TO µeoa KOTO TOV aUTOV Tp6nov. ewc; ap18µov aUTWV Aaßwv E:vi Te
€:KOOT<p Kai ouµnao1 OTOIXeTOV enwv6µaoe· Ka9opwv Öe wc; OUÖeic;
r)µwv ouö' äv ev aUTO Ka9' aUTO äveu n6VTWV aUTWV µ69o1. TOÜTOV
TOV ÖeOµov au Aoy106µevoc; wc; ÖVTa eva Kai TaÜTa n6VTa ev nwc;
nOIOÜVTa µiav en' aUTOic; wc; OUOaV ypaµµaTIK!lV TeXVl')V enecp9ey­
�OTO npooe1nwv.
Nehmen wir das eben Gesagte wieder an den Buchstaben durch .
Nachdem wer die Stimme als grenzenlos erkannt hatte - ob nun ein
Gott oder göttlicher Mensch, wie denn in Ägypten die Sage sagt, ein

1 PI. Pol . 277e und Soph. 253ab.


2 So Derrida, 1 972, 1 98 .
3 PI. Soph. 277d.
4 Resp. I I I 1 2, 402a: ÖTE: TO OTOIXE:Ta µi'} >.av06vo1 i'}µäc; 6>.iya ÖVTO ev önao1v oTc; eOTIV ne:p1cpe:­
p6µe:va. Ein wahrer Satz, den Derrida nie anführt.

94
gewisser Theuth sei es gewesen -, der u nterschied zuerst i m Gren­
zen losen die Stimmlaute als nicht eines, sondern viele seiend , dann
wieder andere, die zwar nicht am Stimmen , aber doch am Schallen
teilhaben u nd wie jene auch eine bestim mte Zahl sind ; drittens u nter­
schied er eine Art von Buchstabe n , die wir jetzt Stu mmlaute nennen .
Nach alldem tei lte er die sowohl Schall- wie Stimmlosen bis zu jedem
einzelnen , tat dasselbe auf dieselbe Weise für die Sti mmlaute u nd Mit­
tellaute, bis er die Zahl für jeden ei nzelnen [Laut] und alle insgesamt
nahm und Element nan nte. Und da er sah , dass niemand von uns auch
nicht ein Element fü r sich allein ohne sie alle lernt, las er dieses ihr
Band , wie es eins ist, zusammen - und da es sie alle gleichsam eins
macht, nannte und beschal lte er ihr Band die Schreibkunst.1

Uff, war das Verdeutschen schwer. N icht, weil Sokrates das Herz wie So­
phokles berücken könnte, sondern wei l sich Platons Schachtelsätze schon
seit Schleiermachers Deutsch verwi rren. Die blanke Lüge trotzt der Über­
setzung. Denn was wir unbedacht (die Vorsokratiker vergessend) den An­
fang unseres Denkens nennen, war ein erster stammelnder Versuch, dem
Ursprung von Musik und Alphabet ohne jedes Zahlenwissen nachzugehen.
(Als hätte Pythagoras niemals gesprochen .) Es gilt die Wahl : Wi r kön nen
Seinsgeschichte schreiben oder Theuth vorschieben. I m zweiten Fal l läuft
alles schief.

Ägyptens Theuth , schon weil auch er nur Logos ist, spricht also Griechisch .
Er lauscht einem Sänger und erklärt nicht blass, wie er an der Sti mme das
Apeiron ungezählter Laute schied, sondern auch , wie ihm das Alphabet als
einigendes Band aufschien, als abzählbare Menge, die die Aporie von Eins
und Apeiron erst löste. Theuths Rede sagt, was Schreiben ist: Mye1v rov
"A.6yov, die Rede lesen, sammeln , zäh len. Genauer, sie versucht es blass.
Denn Sokrates verg isst drei Fragen : weshalb es 24 Laute gibt, nicht weni­
ger, nicht mehr;2 wie die Buchstaben zu ihrem Schriftbild kame n ; warum
schliesslich diese Lettern (ypaµµara) i n ihrer festen Folge auch oro1x€ia,
also , Reihenglieder' heissen . Er sagt nur, dass sie Theuth so « nannte » . Wir
rätseln drum bis heute, welcher Vorsokratiker es war, der mit der Gleichung

1 Phlb. 1 Bbd ; ganz ähnlich, aber weniger klar, Grat. 424c. Zu alledem fällt Derrida, 1 972,
203 f. , nichts weiter ein, weil er dies eine Griechenalphabet mit Alphabeten überhaupt (und
dem hebräischen zumal) verwechselt. - Den U nterschied von yp6µµ01a und oro1xeTa, wie
ihn erst Aristoteles erfasst, geben wir durch den von , Buchstaben' und ,Schriftelementen'
wieder, u m diese Elemente von denen in der Physis abzuscheiden. Ob das gelingt, ist eine
Frage an euch Leser. Uns liegt allein daran , die Mühsal solcher Wege - das Sinnen von der
Stimme hin zur Schrift, die sie doch trägt - nicht wie Schleiermacher zu verschleiern.
2 Dazu Dion. Hai. De comp. verb. 14 sehr feierlich : « Es gibt weder mehr noch weniger als 24
Stimmursprünge (ra<; Tfi<; cpwvfi<; 6px6<;) » .

95
yp6µµa 0101xeiov die Einheit von Musik, Physik u nd Wissenschaft gestif­
=

tet hat . 1 Klar wird nur sovie l : Theuth scheidet als Ägypter aus, sein Erfinder
Sokrates schon als Banause, dem bei den Konsonanten - im Gegensatz zu
seinem Zeitgenossen Herodotos2 - kein Konsonantenalphabet mehr einfällt
u nd beim Wu nder der Vokale kein Gesang .

Theuth überträgt statt dessen Tonverhältnisse auf die Lautschrift. Er <fasst>


das Alphabet ,zusam men> wie die Griffhand einen Tetrachord . ouMaßr)
heisst nicht mehr wie bei Philolaos Quarte, nicht mehr wie bei Herakleitos
gegenwendig aufgespan nte Fuge,3 um von der < Empfängnis> eurer Frau­
enschösse ganz zu schweigen.4 Griechisch ouMaßri und daher lateinisch
syllaba - weil Römer ja ihr Mundwerk nicht von selbst vernahmen - über­
gaben unsern Klöstern auch das Leh nwort <Silbe> : Zusam mennahme vieler
Einzellaute.5 Grammatik ist als solche das Vergehen, Leiber, Stimmen und
Geschlechter zu verleugnen. Aus den drei Geschlechtern von Musik, wie
Archytas sie durch alle ihre Tonabstände rechnet, werden die drei Arten
(eiö11) , aus denen sich die eine Lautschrift fügt: Vokale, Halbvokale, Kon­
sonanten.6 Ein dreigetei ltes Alphabet löst also Sapphos und Archytas' klare
Zweigeteiltheit ab, die noch Platon einmal streift.7 Plutarchos wird sogar das
Kunststück meistern, aus dieser Trias von sieben Vokalen (A E H 1 0 Y 0) ,
acht Halbkonsonanten (Z /\ M N :=: P r 4') und neun Stummlauten (B r /::,,, K n
T X <D) eine Art von Metatetraktys zu fugen, was die Halbkonsonanten zum
arithmetischen Mittel von Vokalen und Stummlauten macht: 7 + 8 + 9 24.8 =

Unsingbar oder aber singbar sein , Lyra oder Stimme -: Sokrates schert das
nicht mehr. Den Grund « schallt» Theuth höchstselbst heraus: Wir können

1 Für pythagoreisch-musikalischen Ursprung von • Element• entscheidet Koller, 1 955, 1 6 1 -


1 89 ; für atomistischen Schwabe, 1 980, ohne Lohman n , 1 970, 1 1 - 1 3, auch nur z u zitieren.
Am überzeugendsten indes, weil an Tanz und Sparta ausgerichtet, scheint uns die Her­
leitung von Calame, 200 1 , 38 f. : „The word r6�1c; is used by the anonymous author of the
commentary on Aratus when he explains the word homostfchous, in the same line, used
by Alcman to describe the young girls dancing in formation in the same chorus (rac; ev
r6�e1 xopeuouoac; napaevouc;) . This expression appears also i n a quotation from Alcman
concerning a cosmological description of the four overlapping spheres of ether, air, water,
and earth . He explains that these spheres were called oro1xeTa because each of them was
placed oroix<!J Kai r6�e1, in line and order, which means that each formed a well-ordered,
circular line, like Alcman's choruses of young girls. And the commentator adds that the let­
ters of the alphabet are also called oro1xeia because their elements weave (l1AeKeo9a1) the
,syllable' (Anon. 1. ad Arat. 2 Alcm. fr 33 P)." Woran sich wieder einmal zeigt, dass Empe­
=

dokles' vier abgezählte ccWurzeln» oder Elemente, Alkmans abgezählte Mädchenchöre und
das Griechenalphabet das Selbe sind.
2 Hdt. V 58.
3 6DK 22, B 1 0.
4 Plut. Quaest. Graec. 43, 301 d .

5 PI. Tht. 203a.

6 Grat. 393de.
7 Tht. 203b.

8 Plut. Quaest. conv. IX 3, 738de.

96
Halbvokale zwar nicht auf Tonhöhen « sti m men » wie Vokale und von daher
Silben, aber doch noch kü rzer oder länger « schallen » , bis das Sigma end­
los si rrt. Stummlaute dagegen schenken überhaupt kein Dauern. Sie sind
nur Grenzen, Kanten, Explosionen -: eine G liederung der Stimme, deren
Fehlen aber selbst Sirenensänge jeden Sinns beraubt.

Denn was der Logos, dieses neue mundartlose Wort für Rede, tut, das nennt
Sokrates bedeuten.Ti Mye:1c; , seine liebste Frage, erfragt ja nicht, was du mir
flüsterst, deutest oder offenbarst, sondern was du redend meinst : den soge­
nannten Sinn. oriµaive:1v heisst nicht mehr Kirkes Ratschlag an Odysseus,
nicht Apollons Wink an die Pythia oder Pyth ias Spruch an uns. Es heisst
blass, was jemand Sokrates « bedeutet» , also zu denken gibt. Wenn Schrift
und Sprache in prosaischer Bedeutung aufgehen, wird aus den Spielen zwi­
schen M9ri und 6M8e:1a das Walten der Idee im Sinnlichen, dem was wir
hören, aber mehr noch sehen. Aus vielen Sinnen geht der eine Sinn hervor. 1
Logos als Antwort auf die Frage, «was du meinst » , tilgt aus dem späten At­
tisch sogar die alten Worte für den Sprachleib, wie sie von Homeros bis zu
Herodotos zwischen vielen Sprachen u nterschieden leben.2 Das Lesen , Le­
gen, Sam meln, was Logos schon von altersher besagt, kann wohl nur darum
(statt Mythos, Epos, Zunge) zum Namen unseres Sprechens werden, weil
den Griechen alle Logoi - ob Reden , Zahlen oder Töne - in Buchstaben
verfasst vor Augen stehen. Das zeigt am schönsten Platons Kratylos, weil
Sokrates zugleich nach Alphabet und Wortbedeutung fragt. Nur dass heut
Denker, die den Ton angeben, diese Kopplung sogleich überlesen. G ram­
matologie ist sehr viel ungenauer, als sie sich selbst beschreibt.

3 . 1 .3.3.2.2 Kratylos

lt is difficult to !hink about writing because writing is a form


of thinking and it is difficult to !hink about thinking.
Barry Powell, Homer and the Origin of the Greek alphabet

Hermogenes, Sohn des Hipponikos, eines reichen Mannes also, •der zu


Pferde siegt• , berichtet Sokrates von seinem Streit mit Kratylos. Denn dieser
Herakleitos-Schüler hat behauptet, alle Worte (oder besser Namen) seien
von Natu r aus wah r, bedeuteten im Lautstand also schon das so benann­
te Wesen . Dem widerspricht Hermogenes aus G rü nden, die in seinem Ei­
gennamen liegen. Er heisst zwar •vom Geschlecht des Hermes • , kann aber
nicht wie Götterboten reden . Ihm scheint daher die Sprache nur ein Werk

1 Hörisch , 200 1 .
2 Lehmann , 1 952, 1 2 f. , sowie 1 965, 1 0 1 und 1 59. Ausser Lohmanns •Zunge• (yhii>ooa)
möchten wir auch Kirkes und Kalypsos Menschensprache (auör'J) nennen.

97
von Sterblichen , Griechen oder auch Barbaren, die sich verabredet haben,
von Dingen so zu reden, wie sie rede n . 1 Physis oder Thesis, Wachstum oder
Setzung -: die Frage nach dem Grund der Sprache brennt bis heute.

Kratylos verschwindet, ohne Grü nde anzugeben, von der Agora. Sokrates
und sein Schü ler sind, bis Kratylos am Ende wiederkehrt, für lange Zeit al­
lei n . Der ungestörte Lehrer kan n die Dinge wieder einmal dialektisch lenken,
also so und so. Schon Homeros, sagt er, nennt für manche Flüsse, Vögel
und Gewächse Namen , die nur bei Sterblichen im U mlauf sind. Denn auch
die Götter sprechen miteinander eine Sprache, in der dieselben Wesen - ob
nun die Zauberwurzel Moly oder auch der Fluss Skamandros - völlig anders
heissen .2 Nicht allen Göttern ist auör1 gegeben, u nsere Menschensprache.
Wir müssen auf der Suche nach dem rechten Namen also ständig damit
rechnen, dass nur in Göttersprache Wahrheit sich entbirgt.3 Der "A6yoc,, wie
er zwischen Sterblichen und Göttern schwankt, ist kei n voOc, , der die Dinge
selbst in ihrer Wesenheit • berü h rt • .

Oio9a ÖTI 6 "A6yoc, TO näv 0 1-,µaiVel Kal KUK"A€i Kal no"A€i 6eL Kal eOTI
ö1n"AoOc, , a"Al')9rlC. Te Kal ljJeuör1c,.
Du weisst doch, dass der Logos alles kundtut und immer rollt und dreht.
Er ist ja zwiefach , wahr und falsch zumal.4

U nd schon weil "A6yoc, zugleich •Satz • bedeutet, Gefüge oder Harmonie aus
einem Tun u nd einem Namen , die dann in unserem Schullatein zu Verb und
Substantiv verkommen werden ,5 erlaubt der Satz vom Satz die Selbstan­
wendung : Ist das, was Eigennamen uns bedeuten, wahr oder falsch ? Heisst
etwa Hermogenes, wenn Sokrates mit ihm grad übers Reden redet, zu
Recht Hermogenes, •von Hermes her gebürtig • ? Kratylos hat das bestrit­
ten und der Gefragte stimmt ihm auch noch z u : cc Nein, beim Zeus, ich bin im
Reden nicht erfinderisch » (und trage meinen Namen daher nicht zu Recht) .
Denn was, will Hermogenes wissen, heisst • Hermes• selbst? Daraufhin teilt
Sokrates den Gottesnamen i n seine beiden Silben, die er als eipw und E:­
µr1oar6, • rede n • und •ersinnen• deutet, bis Hermes ganz buchstäblich zum
Gott des Wortefindens wird.6 Es gibt also - Platonforschern sehr zum Trotz

1 PI. Crat. 383a-384b.


2 Crat. 39 1 d ; vgl . Phdr. 252b und Lact. Inst. div. 1 2 1 , 23. Dazu G ünter!, 1 92 1 ; Otto, 6 1 996,
7 1 ; Heubeck, 1 984, 94- 1 1 5.
3 Soviel gegen die Unverschämtheit von Thomas Alexander Szlezäk, Platon und die Schrift­
lichkeit der Philosophie. I nterpretationen zu den frühen und m ittleren Dialogen . Berlin und
New York 1 985. 2 1 O : „Gemessen am Ideal des gemeinsamen Suchens ist die Befragung
Homers natürlich ein I rrweg ." So u nterschlägt man Platons Göttersprachen, so werden Pla­
titüden hierzulande Professuren .
4 PI. Crat. 408c. Dazu Detienne, 2 1 990, 77.
s PI. Crat. 43 1 b; vgl. Soph. 263b.

s Crat. 407b-408b.

98
- gar keinen sterblichen <Gesetzgeber• der Namen , 1 sondern Hermes als
den Gott, der uns (wie Theuth) « befiehlt» , den Gott des Namengebens als
c Eiremes• oder eben < Hermes• anzurufen. Nur deshalb kann der Tiergott
« Pan , sein Sohn » , <das All• von allem heissen, was als falsch und wahr i n
Rede steht: Booles universe o f discourse. 2 - Auf Pan a l s Sohn Penelopes
mit Hermes oder hundert Freiern kommen wir zu rück. 3

Sokrates verschweigt mithin das einfachste : Wenn Hermes schon im Na­


men < Reden findet„ kan n nur er der lang gesuchte <Wortesetzer• sei n . Er -
nicht Theuth, nicht Edison - erfindet das Erfinde n , von der Leier und dem
Diebstahl bis zum Griechenalphabet. Musik ist M i mesis, also müssen wir sie
stehlen ; Musik ist Handwerk, also müssen wir ihr viele Griffe lernen ; Musik
ist schliesslich Sage oder Weitergabe, die entschwi nden kan n ; also müssen
wir sie einem Alphabet vertrauen. So hat es Hermes, weil er sich mit lauter
Nymphen oder Musen paart, seinem Griechenland geschenkt.

Doch genau dies Schweigen ist Sokrates' List, u m selbst als Hermes und
Sirene alle Ohren zu bezaubern . Ein mal mehr spielt sich der Narr aus At­
tika als göttlicher Pythagoras auf, dem das «Zweitweiseste » gleich nach
der Zahl das « Namensetzen für die Dinge» hiess.4 Hinter dem ägyptisch
fremden Theuth kann Sokrates verbergen, dass seine Dialektik Hermes­
Hermeneutik bleibt und Botschaft von den Göttern bringt.5 Denn die Grie­
chen wissen lang zuvor: Hermes, ihrem Gott des Logos, entspricht bei den
Ägyptern Theuth .6 Bei Plutarchos gibt diese < Hermeneutik• oder Überset­
zung zudem ein Hermeias, der Hermes sehr viel näher steht als Platons
dümmlicher Hermogenes.7 Von Theuth als Hermes Trismegistos stammen
späte Zauberbücher ;8 vom Worterfinder Hermes ist im Kratylos die Rede,
vom Schrifterfinder Theuth sowohl in Philebos u nd Phaidros. Die beiden
sind mithin der Selbe, ob nun als « Daimon oder Gottmensch » angerufen.
Platons Schreiben überliest sich mithi n selbst.9 Das heisst nun aber nichts
geringes : Wir Sterblichen müssen wieder alles daran setzen , Götternamen

1 Wir verdeutschen voµoeerric; daher nicht mit Schleiermacher, sondern hören, ganz i m Sinn
des Kratylos, ein Wortspiel zwischen voµoeerl"lc; und 6voµaroeerric;.
2 Grat. 408bc.
3 => 4.3.2.
4 lambl . V. P. XVI I I 82: Ti TO Ooq>WTCTOV ; apt9µ6c;· öeurepov öe TO roTc; np6yµao1 TC 6v6µara
rt0eµevov. Dazu Detienne, 1 962, 73 , mit Parallelen aus Proklos' Kratylos-Kommentar.
5 PI. Ion 535a.

6 Gic. Nat. deor. I I I 22, 56; Plut. De ls. et Os. 54, 373b; August. De doctr. christ. II 1 8, 72.
7 Plut. Ouaest. conv. IX 2, 738e.

8 Plut. De ls. et Os. 61 , 375f; Borges, 1 964- 1 966, V I I I 1 4.

9 PI. Grat. 438c. Hier, aber auch nur hier sei einer redu ndanten akademischen Praxis, die i n
lauter Selbstzitaten schwelgt, gehuldigt: Friedrich Kittler, Kratylos. Ein Simulacrum . I n : Fu­
gen. Deutsch-Französisches Jahrbuch für Text-Analytik, 1 ( 1 980), 247-25 1 . I n haschisch­
du nkler Nacht neun Jahr zuvor erträumt.

99
ihre Wahrheit abzulauschen . Homeros' Göttersprache -: Entbergung selbst
des G riechenalphabets ; Hermes -: der Götterbote, wie er schon im Namen
uns die Namen fand . . .

I:OKPATHI:. [ . . . ] ri ouoia TOÜ npayµaroc; ÖrtAOuµevri ev T� 6v6µar1.

'EPMOrENHr. nwc; roüro Aeye1c; :


I:OKPATHI:. Ouöev no1KiAov. 6M' wonep rwv oro1xeiwv oToea ön 6v6-
µara Aeyoµev. 6M' OUK aura TO oro1xeTa. nMv rerrapwv. TOÜ E Kal
roü Y Kal roü 0 Kal roü O' roTc; ö äM01c; cpwvrieoi re Kal 6cpwvo1c; oT­

o9a ör1 nepmeevrec; äMa ypaµµara Aeyoµev. 6v6µara no1oüvrec; .


[ . . . ] OTov r6 BHTA 6pQc; ör1 roü H Kal roü T Kal roü A npoore­
Sevrwv ouöev eMnrtoev, WOT€ µri ouxl rriv eKeivou TOÜ OTOIXeiou
cpuo1v ÖrtAWOal ÖA<t> T� 6v6µar1 OU eßOUA€TO 6 voµoeerric;· oürwc;
r)rnorri9rt KCAWC: eeoea1 roTc; yp6µµao1 TO 6v6µara.
SOKRATES. Die Wesenheit des Dinges ist im Namen offenbart.

H E R MOG E N ES. Wie meinst du das ?

SOKRATES. Gar nicht buntscheckig . Sandern so, wie du weisst, dass wir
die Namen der Schriftelemente sagen, aber nicht sie selbst ausser
bei vieren - dem E und U, dem Ö und ö. Den anderen Sti mm- u nd
Stummlauten fügen wir zur Aussprache, wie du weisst, noch andere
Buchstaben an, wenn wir ihnen Namen machen. [ . . . ] So etwa beim
BETA. Du siehst, dass wir ein E, ein T und ein A anfügen , was aber
nicht hindert, dass sich nicht dennoch das Wesen dieses Sprachele­
ments durch den ganzen Namen offenbart, den der Satzungsgeber
beschloss. So schön verstand er, den Buchstaben die Namen zu set­
zen . 1

Bu ntscheckiger, j a närrischer ward n i e zuvor u n d n i e danach das Sein des


Seienden erfragt. Wir glauben Sokrates ja gerne, dass Dinge sich in Namen

1 Crat. 393de ; vgl . 432e. - Grapheme und Phoneme, yp6µµara und oro1xeTa, gehen hier (vor
Aristoteles' Klarstellung) noch sichtlich durcheinander. Darum hat Schleiermachers freie
deutsche Nachdichtung (zusammen mit den späten griechischen Minuskeln) eine Schlüs­
selstelle Platons beinah rettungslos verschleiert: „Wie du weißt, daß wir auch die Buch­
staben mit Namen nennen, die bekannten Selbstlauter ausgenommen, den übrigen aber,
Selbstlautern und Mitlautern, fügen wir noch andere Buchstaben bei, und bilden einen Na­
men daraus." Daraus soll noch jemand schlau werden. - Derrida, 1 972, 77-2 1 3 , in seiner
Blindheit, die G riechisch nur i m Notfall anzieht, überliest die Stelle blankerdings, so dass
La pharmacie de Platon ihr Thema schlicht verfehlt. - Doch schon seitdem die Byzantiner
• Epsilon• und •Ypsilon„ •Omikron• und ·Omega• als neue Namen prägen mussten, weil
Silbenquantitäten längst erloschen waren, sind «E, U, Ö und Ö » nicht länger autonym. -
Wie schliesslich Sokrates sogar ro T aussprechen konnte, bleibt ein Rätsel , das uns Platon
u ngelöst vermacht hat.

100
offenbaren, doch nur, weil sie aus langer Seinsgeschichte raunen. Von Pla­
tons forscher Klippschulweisheit bleibt das weit entfernt. Lehrer schwatzt mit
lammfromm jungem Jü nger. Beide können alle Worte schreiben/lesen u nd
haben in der Schule auch gelernt, die Buchstaben zu buchstabieren. Daraus
soll dann nichts geringeres folgen , als dass Namen sich im Glücksfall selber
nen nen und dies Wunder auf das Seiende i m ganzen ausstrahlt. 1
So werden wir noch eine Weile brauchen, u m Sokrates auf die Schliche zu
kommen. Hermes heisst Theuth und u mgekehrt, weil beide die Schriftzei­
chen buchstabieren, auf griechisch aber ohne irgendwelchen Sinn. Dass :i
phoinikisch schon als Lautwert · BET, das Haus• bedeutet und im Schriftbi ld
darum an ein Haus gemahnt, können G riechen ja nicht ahnen . Dass sie das
Alphabet in seinen «Typen » kau m je als importiert erörtern , bemerkt schon
Derrida,2 ohne aber Schrift als Seinsgeschichte zu bedenken. Auch dass
die Phoiniker für Alef einen Ochsenkopf hin malen und dazu den Anfangs­
knacklaut des Wortes •Ochse• hauchen, muss G riechenohren glatt entge­
hen. Für Zischen, Knacken, Stottern kennt die schönste Sprache, die wir
kennen, kein Phonem . Erst der hochgebildete Plutarchos macht seinen Le­
sern klar, aus welcher Widrigkeit des nahen Ostens Alpha als der schönste
Stimmlaut rü hrt. Zuerst erklärt der Philosoph Ammonios aus dem Schriftbild,
der Alphabetadaptor Kadmos habe Alef oder Alpha zum ersten Buchstaben
erkoren, weil die Phoiniker (ganz wie der Bauer Hesiodos) vor allem Och­
sen brauchten. Daraufhin erklärt Plutarchos selbst (viel griechischer) , sein
Grossvater Lamprias habe ihm das Alpha als schönsten aller Laute vorge­
sagt. 3 Wir büffeln n icht mehr, sondern lauschen.

Aber u m auf Sokrates zu rückzukommen . . .

Der Ahnungslose, vergisst also das von Leukippos, Pythagoras und De­
mokritos4 so tief bedachte Schriftbild.5 Wenn er BETA buchstabiert, dankt
er dem Namengeber nur die Akrophonie als solche: Der erste Laut jedes
Schriftzeichennamens fällt mit seinem Wesen oder Element zusammen ,
nämlich mit der Lautu ng.6 4 unter 24 aber tun dem Narren aus Attika den

1 Das widerlegt nebenbei Mcluhan, 1 987, 355: „Plato regarded phonetic letters as giving the
eye dominance over the other senses for the first time."
2 Derrida, 1 972, 1 29 .
3 Ouaest. conv. IX 2, 738ab. S o auch D i o n . H a i . De comp. verb. 1 4: «auri.iiv öE: ri.iiv µaKpi.iiv
n6>.1v euq>wv6rarov µev TO a. Unter den langen [Vokalen, die am schönsten klingen ,] klingt
wiederum das A am schönsten „.
4 <= 2.2.2.3.2
5 Stanford , 1 967, 24; Ryle, 1 97 1 , 6 1 -63.

6 Lohmann, 1 954, 1 37 : „Der einzige nennenswerte , Fremdwörter'-Komplex sind i m Griechi­


schen die semitischen Buchstaben-Namen." Für Einzelheiten siehe (weniger scharfsichtig)
Burkert, 1 984, 3 1 -37.

101
Gefallen reiner Selbigkeit: Sie heissen, wie sie laute n . 1 Kurz gesagt : Stimm­
laute « stimmen » wie sonst nur die gut gestim mte Kithara, Stu m mlaute aber
bloss im Anlaut ihres Eigennamens. Allein auf diesem U nterschied beruht
also die Möglichkeit, jedwede Wesen heit, als wäre sie wie BETA, durch un­
gefähre Lautwortspiele zu bestimmen.2

Denn woher weiss das Sokrates? Aus seiner unerforschten Schulzeit. Er hat
ja weiter n ichts gelernt.

I:OKPATHL Baoavi�wµev ör1 auTc 6vaJ..a µß6vovrec;. µäMov öe riµäc;


auTouc; . oÜTwc; fi oux oÜTwc; yp6µµara eµ68oµev. CDE:pe npwTov·
ap' ai µev ouMaßai J..6yov E:xouo1, TC öe OTOIX€Ta äJ..oya;

9EAITHTOL Nlowc;.

rOKPATHL navu µev oüv Kai eµoi q>aivera1. LWKparouc; yoüv ei nc;
E:po1ro TrlV npwrrw ouMaßr1v OUTWoi· ctO 9eaiTllT€, J..E:ye Ti eor1
I:Ü'» Ti 6n0Kp1vfi;

9EAITHTOr. " On oTyµa Kai w.

I:OKPATHL ÜUKOÜV TOÜTOV E:xe1c; J..6yov Tf)c; ouMaßf)c;;

9EAITHTOL NEywye.

roKPATHr. "181 öl), OÜTwc; eine Kai TOV TOÜ diyµa J..6yov.

9EAITHTOL Kai nwc; TOÜ OTOIXeiou nc; epeT oro1xeTa· Kai ycp öl), w rw ­

Kparec;. TO T€ diyµa TWV aq>wvwv eorL 4J6q>oc; Tlc; µ6vov, oTov ouplT­
TOUOllc; Tf)c; VAWTT'lc;· TOÜ ö' au ßf)ra OÜT€ q>WVI) OÜT€ 4J6q>oc;, ouöe
TWV nJ..eiorwv OTOIXeiwv. "OoTe n6vu eu E:xe1 TO J..E:yeo8a1 aUTC
äJ..oya , wv ye TC evapyE:orara aUTC q>WVrlV µ6vov E:xe1, J..6yov öe
ouö' OVTIVOÜV.
SOKRATES. Überprüfen wir doch noch einmal von vorn (oder besser von
uns selber her) , ob wir so oder nicht so die Buchstaben gelernt haben.
Frag zuerst : haben die Silben Sinn, während Schriftelemente ohne
Sinn sind?

TH EAITETOS. Ja doch .

1 Sehr ähnlich lehrt viel später ein von Griechen leis verspotteter Chaldäer, «Sieben Buchsta­
ben[namen) hätten ihren eigenen Laut (cpwvriv iöiav) » ( Plut. De E 4, 386a) .
2 Andreas Eckl, Sprache und Logik bei Platon. Erster Tei l : Logos, Name und Sache im KRA­
TYLOS. Würzburg 2003, 45 und 202, verfehlt all das genauso l ieblos wie - trotz schönem
Titel - Gerhard Schönrich, Das Problem des Kratylos und die Alphabetisierung der Welt.
Philosophisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft 99 ( 1 992) , 29-50.

1 02
SOKRATES. Das scheint auch mir ganz klar. Wen n jemand nach Sokrates'
erster Silbe fragen würde - "Theaitetos, sag , was ist SO?» -, was
gäbest du zurück?

TH EAITETOS. Dass es Sigma ist und 0.

SOKRATES. Da hast du den ganzen Logos dieser Silbe.

TH EAITETOS. Ja.

SOKRATES. Dann komm , sag auch noch den Logos/Sinn des Sigma.

TH EAITETOS. U nd wie sollte wohl jemand die Elemente eines Elements


erfragen ? Denn zudem, Sokrates, ist das Sigma unter den Stu mm­
laute n : ein blasser Schall , wie mit der Zunge gepfiffen, das Beta aber
weder Laut noch Schall , so wie die meisten Buchstaben. Sie u nsagbar
zu nenne n , ist daher sehr gut, da selbst die strahlendsten von ihnen
nur eine Stimme habe n , aber keinen Logos. 1

Sokrates also lehrt noch einmal, was u n d wie e r einst als Kind gelernt
hat. So leer und redundant kan n Denken werden, wenn es die Mathe­
sis verschmäht. Phi losophie verkommt zur Kinderfrage, wie •Sokrates• sich
schreibt. I h re Eigennamen in die Einzelsilben aufzulöse n , brachten Leh­
rer Schü lern stets als erstes bei.2 ( Fast als wäre König Mi nos' alte Silben­
schrift noch immer i n der Schule nachgeklungen . ) Die Lautung/Schreibung
I:O-KPA-THI: war offenbar ein Lehrertrick, ihm, dem kleinen Sokrates, die
ccalphabetise» 3 zu verzuckern . Erst i m zweiten Schritt, den wohl nur gute
Schüler taten , lernten Griechenkinder, diese Silben in meist unsprechbare
Einzellaute zu zerlegen. Sonst wären n icht so viele lange Silbenlisten noch
erhalten.4 Also, folgert Sokrates, hebt der Logos oder Sinn erst bei der Silbe
an : SO-KRA-TES lässt sich laut lesend i n drei Phasen gl iedern .5 Bei Ein­
zellettern geht das aber nur, wenn sie Stimmlaute bedeuten, deren Name -
wie beim 0 i n • Sokrates• - ja mit ihrem Klang zusammenfällt. Der Zischlaut,
eben darum ITyµa und n icht einfach r geschriebe n , pfeift dagegen wie die

1 PI. Th!. 203ab. Von solchem • Pfeifen• rühren der Name Syrinx und Lasos' von Hermione
Satz, das Sigma sei der unschönste Laut (Dion. Hai. De comp. verb. 1 4 ; Athen. X 455c.
Dazu Stanford , 1 967, 53) . Umgekehrt weist sich ro w i n I:wKparric;. das erst nach dem
Quantitätenkollaps den neuen Namen • Lang-0• (w µeya) brauchte, schon im Klang als
schön aus.
2 Zu den einzelnen Schritten antiker Alphabetisierung - vom Auswendiglernen der Buchsta­
bennamen über die für Lesen und Schreiben zentrale Silbenerkennung bis hin zum Wort
und seinen Quantitäten - siehe die einmalige Analyse von Dion. Hai. De comp. verb. 25.
3 Lacan, 1 973b, 252, über unsere ccAlphabetverblödung „ .

4 Ziebarth, 2 1 9 1 3 , 3-5; aber siehe schon Xen. Oec. V I I I 1 4 <= 1 .5.3.


5 Dass Platon schon der Silbe Sinn gönnt, wird Aristoteles zu stummem Widerspruch bewe­
gen. => 3.2.2.2.2. 1 .

1 03
Syrinx und i h r Tiergott Pan . Er lässt sich n icht mehr sagen , geschweige
denn zerlegen. Pan west (du weisst) i n jedem Eselsbrunftschrei durch den
Juliabend Braurons an .

So tief ist, was den G riechen auch an der Physis Element heisst - u ntei lbar
letzte Einheit oder schlicht Atom -, i n ihrem Alphabet verankert. Und dank
dem ihren noch i n uns. « Die erste vollständige und also systematische Ana­
lyse der Lautformen einer Sprache» 1 treibt u nd hält die Analyse zugleich
an . Oberhalb der Einzellaute lässt sich jede Silbe noch zerlegen . U nterhalb
des Einzelvokals aber gibt es nichts. Euler erst und Helmholtz werden diese
wahrhaft u ngedachte Grenze übertreten , wen n sie jeden Sprachlaut, selbst
das unausdenklich reine A,2 in ein komplexes Frequenzgemisch zerlegen .
So albern schl iesslich missversteht der attisch kleine Sokrates den grossen
H ippasos, wenn er das Unaussprechliche von Konsonanten mit dem Unbe­
rechenbaren namens ä'J..oyov verwechselt.

Doch das ist kei n Wu nder: Wer mit zehn wie üblich zwar das Alphabet ge­
lernt hat, hernach mit dreizehn aber n icht das Leierspiel ,3 versteht von Mu­
sik u nd Mathematik kei n Wort, geschweige denn von ihrer Harmonie. Das
einzige, was Sokrates wie jeder dumme Schüler weiss, ist, dass B im Lese­
u nterricht auch ßfira heisst. Und darauf fusst sein ganzes leeres Denke n .
Die Philosophenfrage nach d e r Richtigkeit d e r Namen blendet ja nur aus,
dass die Sängerfrage nach dem Schönsten seit Anbeginn auf reine Laute
hört. Wenn Pindaros «das Wasser als das Beste» preist, liegt n ichts daran ,
die fünf Lautbuchstaben von üöwp sokratisch i n ein Eidos namens Wasser
u mzudeute n . Pi ndaros gelingt i m Gegenteil das Wu nder, sechs Silben so
zu fugen, dass schon i m ersten Vers von allen sieben griechischen Vokalen
nacheinander sechs erkl i ngen. Genau das lauschen Dichter den Sirenen
ab.4

ÖplOTOV µE:v üöwp. 5


Woraus wir zugleich lerne n , ob n u n von Platon oder Pi ndaros, dass es gar
nicht not tut, O und O als kleines oder grosses 0, Omikron und Omega zu
benennen - denn noch sind beider Namen oder Silben hörbar ku rz und lang,

1 Lohmann, 1 970, 23.


2 Plut. Quaest. conv. IX 2 , 737d-738c.
3 PI. Lach. 1 88d und dagegen PI. Menex . 236a, wo ein verarmter Konnos dem jungen Sokra­
tes angeblich Musik beibringt.
4 <== 1 . 1 .2.2.
5 Pind. OI. 1 1 singt also A 1 OE V O. Vgl . auch die fünf Vokale in xpuoea q>6pµ1y� (Pind. Pyth. 1
1 ) und dazu Stanford, 1 967, 8 1 -83. Ganz ähnlich schafft es eine japanische Versinschrift von
1 079, die Kanji-Äquivalente aller 47 Hiragana-Silben einmal und nur einmal zu gebrauchen
(Mit Dank an Dr. Sato, Masaaiki ) .

1 04
also n icht blass auf Papyros u nterschiede n . Nachmals i n der Koine werden
solche Quantitäten allesamt verstummen - zusammen mit der griechischen
M usik . . .
Wir lernen aber noch viel mehr. Sokrates zählt vier Vokale auf, die sich selbst
bei Namen rufe n . Die anderen drei - Alpha, Eta, Iota - lässt er weg , wei l
der Adaptor s i e ja schon als Konsonantennamen , nur o h n e Wortbedeutung
übernahm : Nordsemitisch Alef wurde Alpha oder Stimmlaut, während Bet
der Stu m mlaut Beta blieb. Trotzdem ist Sokrates imstande, statt <Alpha• kurz
und gut «das A» zu sagen , während er «das Beta» buchstabiert. Griechen
ist es wie uns Deutschen ja vergönnt, jedwedes Wort, jedweden Laut, ja
selbst «das T „ zum Eigennamen zu erhebe n , Römern aber nicht: Sie haben
keine Artikel und daher fast u nfasslich grosse Nöte mit dem Denken . 1

„Das Verhältnis der Sprache zur wissenschaftlichen Begriffsbildung [ . . . ]


läßt sich , streng genommen , nur am Griechischen beobachten, da nur hier
die Begriffe organisch der Sprache entwachsen sind. Nur i n Griechenland
ist das theoretische Bewußtsei n selbständig entstanden, nur hier gibt es
eine autochthone wissenschaftliche Begriffsbildung - alle anderen Spra­
chen zehren hiervo n , haben entlehnt, ü bersetzt oder hängen in noch locke­
rerer Form vom G riechischen ab. Die einmalige Leistu ng der Griechen hat
die anderen Völker über ihre Eigenentwicklung hi naus gefördert.

In Griechenland begi nnen die sprachlichen - und das heißt zugleich die
geistigen - Voraussetzungen fü r eine wissenschaftliche Begriffsbildung sich
schon i n den ältesten Zeiten zu entwickeln. Es ist z. B. nicht abzusehen,
wie i n Griechenland Naturwissenschaft und Phi losophie hätten entstehen
kön nen , wäre nicht i m Griechischen der besti m mte Artikel vorhanden ge­
wesen. Denn wie kann wissenschaftliches Denken solcher Begriffe entraten
wie ,das Wasser' , ,das Kalte', ,das Denken'? [ . . . ] I m Gebrauch des bestimm­
ten Artikels ist schon die homerische Sprache weiter entwickelt als etwa das
klassische Latein. Cicero hat Mühe, die einfachsten philosophischen Begrif­
fe wiederzugeben , nur weil ihm der besti mmte Artikel n icht zur Verfügung
steht. "2 Doch dafür gibt es Roms Legionen.

Die einfachsten Begriffe aber sind Buchstabe n . Wie sagen wir mit Sokrates
«das A» ? Auf deutsch sofort, doch auf lateinisch nie. Lettern (litterae) heis­
sen vielmehr < Elemente• : denn anders als das B u nd C zu Alphabetbegi n n
lassen sich L, M , N beliebig lang aussprechen und ergeben (beinah w i e im
Traum) das Merkwort eL-eM-eN-tum.3 Mit der Versachlichung, dem sächli-

1 Schon S e n . E p . VI 6 ( 5 8 ) , 7, geht d i e Unübersetzbarkeit von Platons r 6 ö v auf; m a n könne


es notfalls durch quod est umschreiben .
2 Snell, 2 1 948, 2 1 7 f. Vom unbestim mten Artikel gilt dasselbe (Wend!, 1 96 1 , 243).

1 05
chen Artikel TO biegt Sokrates jedwede cc Sache» (npäyµa) also i n ihr so­
genanntes Wesen u m . Anstatt der dunklen Physis und des lichten Kosmos,
wie sie Seiendes zur Harmonie verfugen , tritt jäh das Wesen als ouoia, kurz
die Seiendheit.

Das Ganze ist so dummdreist, dass schon ein Beispiel hinreicht, es zu wi­
derlegen. Der grosse H i ppias von Elis, von Sokrates gespielt naiv befragt,
was ihm denn schön heisst, erwidert aus dem Stand ( und unseren Herzen ) :
cc napaevoc; KaM KOA6v. Schön? Ein schönes Mädchen . „ Da schnauft der
Paiderast : Er habe n icht nach cc schö n » gefragt, dem Beiwort schöner Bräute
oder Knabe n , sondern nach ccdem Schönen selbst » , auT6 TO KOA6v, einer
sächlichen ldee . 1 Begriffsbildung wird jener Leerlauf, der Nymphen , Musen,
Bäche nach u nd nach vertrocknet. Am Ende bleibt nur noch, überirdisch und
unhörbar, Platons Sphärenharmonie zu rück.

Lüsten und Vokalen geht es nicht besser. Wir können sie wie Sappho sin­
gen oder frei wie Sokrates erörtern . Wir hören auf Musik - oder lernen die
Grammatik. Wir kön nen den Sirenen glauben oder aber einem Totengott,
dem es wie Sokrates i n dessen kühnstem Traum geli ngt, noch Zauberi nnen
u nentrinnbar zu bezaubern. Bestürzender als Euripides, der die Sirenen an
die Totengöttin band, denkt sie Sokrates dem Hades zu. Wie u m Odysseus
seine vorgespielten Fesseln abzu nehmen, bindet der Totengott statt dessen
die Sirenen selber. Hades «weiss so schöne Reden zu reden „ , dass sie
ccwie alle anderen» im Jenseits ccganz bezaubert sind» und gar n icht mehr
ins Diesseits kommen wollen.2 Stimme kann mithin Gesang sein , Musikspiel
oder endloses Geschwätz darüber, was Reden wohl bedeute n . Und wen n
jemand wie Hermogenes, anders a l s sein Namengeber Hermes, i m Wort­
erfinden schlecht ist, um so schlimmer.

'EPMOrENHr. ÄN\a Tic; äv. w I:wKpare:c;. µiµ1101c; e:i11 To övoµa;

I:OKPATHL npwTOV µev. wc; E:µoi ÖOK€i. OUK E:av. K086ne:p Tfj µouo1Kfj
µ1µouµe:9a Ta npayµara, OÜTW µ1µwµe:8a, KOiTOI q>l)Vfj ye: Kai TOTE:
µ1µouµe:Sa· ene:ITO OUK E:av. äne:p ri µouo1Kii µ1µ€iTOI, Kai fiµ€ic;

3 So schon Böttcher, 1 866, 1 82, lange vor Cogan , 1 974, 6 1 . Uns verdankt ist nur der pho­
netische Grund. Andere Etymologien - etwa von alimenta (Alfred Kallir, Sign and Design.
Die psychogenetischen [sie] Quellen des Alphabets. Übersetzt aus dem Englischen von Ri­
chard Hölzl und Thomas Dietrich . Berlin 2002, 241 ) oder gar von E:Atcpac;, dem elfenbeinern
Letternspielzeug reicher Römerkinder (Quint. 1 1 , 26; Diels, 1 899, 83 f. ; Heinichen , 91 9 1 7,
s. v. ) - spotten dagegen ihrer selbst.
1 Hipp. mai. 287d-288a; dazu Lohmann , 1 965, 265.
2 Crat. 403de. Da haben wir sie wieder, die Komplizen Sokrates und Euripides, wie sie Sire­
nen mit dem Totenreich verkuppeln.

1 06
µ1µwµe;8a, OÜ µ01 ÖOK00µe;v OVOµOOelV. /\eyw Öe TOI TOUTO' eOTI
roTc; npayµao1 cpwvil Kal oxfiµa E:Kaorcp. Kal xpwµa ye; noMoTc;;
'EPMOrENHI:. navu ye;.

HERMOG EN ES. Doch was für eine Nachah mung, o Sokrates, wäre dann
der Name?

SOKRATES. Zuerst, scheint mir, nicht wie wen n wir die Dinge durch Mu­
sik nachah men, obwohl wir sie auch da mit der Stimme nachah men ;
weiter auch n icht, wenn wir das nachahmen, was auch die Musik nach­
ahmt; auch dan n , scheint mir, benennen wir n icht. Ich meine es dir so :
Ist u nter den Di ngen einem jeden Stimme und Gestalt und vielen auch
noch Farbe?

HERMOG EN ES. Gar sehr. 1

Alles liegt also daran , der Stimme die Musik zu nehmen , ihre Gliederung
nach « Melos, Rhyth mos, Metron » . Dann ist die « Lust» der Münder oder
Ohren endlich ausgetrieben - u nd was noch « ü brig bleibt » , sind nackte Na­
men oder '/l.6yo1.2 Dass Dichtu ng alle Schönheit einbüsst, wenn Sokrates sie
« auszieht» , räumt Platon selber ein.3 Dass er Musik auch «Ohne Werkzeu­
ge» wie Syrinx oder Aulos macht, also noch viel « göttlicher» « mit nackten
Worten » , rühmt Alkibiades ihm nach .4 Vor allem aber kappt das Denken
damit seine Nähe zu den Zah len , wie sie i m Melos über Hoch und Tief be­
sti mmen, im Rhythmos über Lang und Kurz, im Metron über eben solche
Fugen aus Tonhöhe u nd Tondauer. Denn anders als beim Namen BETA, wo
nur der Anfangslaut die Sache nennt, ETA, TAU und ALPHA jedoch belie­
big sind, lässt sich einer ganzen Zahl wie Zehn nichts nehmen oder geben,
ohne sogleich eine kleinere oder grössere Zah l zu bilden.5 Die erträu mte
«Wortkunst» sucht m ithin alles, was an Dingen mathematisch ist, zu ü ber­
steigen , und tut das mit dem listenreichen Argument, dass jedem Seiendem,
also auch der Stimme und den Formen oder Farben , die ja Eigenschaften an
ihm sind, die «Anrede des Seins» zukomme. Dann muss das Wort als Mi­
mesis der Sache, kurz als Logos, schon an seinen Buchstaben und Lauten
offenbaren, ccwas » dies Seiende in seinem «Wesen » (ouoia) ist.6

1 Crat. 423cd .
2 PI. Grg. 502ac; vgl . [PI.] Def. 4 1 4d .
3 Resp. X 4, 60 1 b) .

4 Symp. 2 1 Sc.

5 Crat. 432ab. Vgl . auch Th!. 1 99b (über die Zahlen 1 1 und 1 2) und Arist. Met. H 3, 1 043 b 36-
1 044a2 .
6 Crat. 423e.

1 07
Klarerweise scheitert dieses U nterfangen , spätestens sobald ein anderer als
Sokrates - Kratylos selbst - besagte « Richtigkeit der Namen» zu erweisen
sucht. Kaum dass ein anderer das Wort ergreift, auch wen n es eben noch
sein eigenes war, verfällt der Narr aus Attika aufs Gegenteil. Er schlägt sich
ja nur auf dem Marktplatz durch . . .

Die Worte, i n denen wir das Wesen buchstabierend suchen, heissen (streng
nach Archytas) zuvor von anderen erlernt. Also kan n es Theuth , den Na­
mengeber, gar nicht geben : Er m üsste sich schon i m mer selbst voraus
gewesen sein , um zu wissen, wie er Seiendes benennt. 1 Das Wort als
«Werkzeug des Belehrens » , Erkennens und Begreifens kommt n icht i n Be­
tracht.2 Was Sokrates am Schluss nur eine abenteuerliche Wende übrig
lässt, die aber Platons ganzes Denken prägen wird . Er schlägt Kratylos
vor, ccdie Wah rheit des Seienden ohne Worte » , nämlich mit dem Werkzeug
ccdes Seienden selbst» zu suchen.3 Wie das gehen sol l , bleibt sein Geheim­
nis.4 Wir wissen nur, dass Kratylos, •der Starke • , diesen Rat befolgte und
zum Schluss mit sprachlos stummem Finger auf die Dinge zeigte.5 So ver­
schmäht die Schule von Athen vor lauter Prosa sowohl Musik wie Zahlen­
kunst. Was zu Papyros kommt, das un6µvriµa, ist keiner Muse mehr ver­
dankt, sondern füllt Gedächtnislücken .6

Sokrates hält es nicht anders, wen n er Alphabet, Musik und Zahl als blas­
se Beispiele missbraucht. Zwei Epheben sollen lernen, dass alles Seiende,
die Lüste eingeschlossen , nach Mass und Zah l verlangt. Einer von den bei­
den Schönen räu mt am Ende ein, ccdie Sache zwischen Mann und Frau »
(1aq>poöio1a) sei zwar ccdie grösste u nter allen Lüsten » , aber auch die
«wüsteste» . Deshalb würden Götter Liebenden selbst Meineide vergeben.7
So kommen sie, der Alte und die zwei Epheben, denn doch noch überein,
dass Aphrodite, vulgo r)öovr), im Verhältnis zur Idee des Guten erst an fünf-

1 Crat. 438ab.
2 Crat. 388b. Dazu Heidegger, 2000, 78: •«Fast unausrottbar ist die Meinung, nur der Begriff
leiste die Deutlichkeit des Wortes ; darum gelte es überall , die Wortbedeutungen in Begriffe
zu verwandeln und so die Sprache für die eindeutige Verständigung leistungsfähig zu ma­
chen . Man macht so die Sprache zu etwas, was sie gar nicht ist. Man macht sie sogar zum
bloßen Werkzeug für etwas, was nicht einmal die Anwendung von Werkzeugen duldet. • »
3 Crat. 437d-439a.

4 Trabant, 2003 , 28 und 293 .


5 Arist. Met. r 5, 1 0 1 08 1 0- 1 5.

6 PI. Phdr. 275a. Noch wörtlicher: das un6µv11µa liegt •unter• einem (fehlenden) •Gedächtni s > .
- Foucault, 1 994, IV 403-406, spricht ganz zu Recht - u n d im Streit m i t Derrida - von
einer «Technologie•> , datiert sie aber, nicht ohne mit der laufenden Computerrevolution zu
flirten , entschieden zu spät: Merkhefte sind nicht erst im Athen von Xenophon und Platon
aufgekommen, sondern bei G rossgriechenlands Pythagoreern ( Koller, 1 963, 5).
7 PI. Phlb. 65c; vgl . Resp. III 1 2, 403a. Als göttliche Quelle siehe Hes. Aeg . fr. 3 Loeb; als
sterbliche Nachahmung Ov. Ars am . 1 631 -636 und Am. I I I 3, 1 1 f.

1 08
ter oder letzter Stelle steht. 1 Die ccwahre Lust» ist stets das Gegenteil von
L ust.

3.1 .3.3.3 Im Kerker bei P h i lolaos

La cigue a u n effet ontologique: initier a la


contemplation de l'eidos et a l'immortalite de
l'äme. Socrate la prend pour teile.
Derrida, La pharmacie de Platon

Kein Wu nder, dass Sokrates 399 im Kerker endet, dem Anaxagoras 436
nur knapp entronnen ist. Wer neue Götter einfüh rt, erweist den alten kei­
ne Scheu (oeßac;). Das Todesurteil von 50 1 Athener Bürgern lautet daher,
Sokrates verführe i h re Söhne. (Schon weil ihm die eigene Zunge Gott ge­
heissen hat . )

Nur darf kei n Verbrecher i n ganz Attika d e n Schierlingsbecher leere n , so­


lang die heilige Gesandtschaft (Sewpia) , zu Schiff nach Delos unterwegs,
dort den Musengott Apollon feiert. Das halten die Athener so, seit Theseus
sieben Kouroi, sieben Karai aus dem Labyrinth befreit hat.2 Sokrates ge­
niesst daher zwischen U rteilsspruch und H i n richtu ng einen u nvermutet lan­
gen Aufschub.3 Er findet nicht nur Zeit, im Kerker weiterhi n mit ccvielen » jun­
gen Freu nden «der Phi losophie zu frönen „ ,4 sondern lernt zum ersten Mal
im Lebe n . Das Schiff aus Delos kehrt zu rück, an Poseidons Kap vor Suni­
on gesichtet und von einer Postenkette nach Athen gemeldet.5 Die Freu nde
eilen mit der Morgen röte in den Kerker, treffen aber Sokrates bei Frau u nd
Kind, hören, wie er beide wegschickt, und erfahren , dass selbst er seit neue­
stem - mit Siebzig also - « Musik macht » .6 Der Banause lernt doch noch
die Kithara zu spielen .7 Vordem hiess ihm cc Harmonie» allein die Binsen­
wahrheit, dass Tat und Wort, ccder Redende und das Geredete» , bei Weisen
zueinander cc Sti mmen » .8

Mit anderen Worte n : Der arme Sokrates will seine Kerkermeister nicht be­
steche n , auch wen n ihm Simmias und Kebes, zwei Thebanerfreunde, dafür
viel Silbermünzen bieten , sondern seiner letzten Rede an die Bürger von
Athen nachsterben . (Die Frage, was zwei reichen Männern , die auf Phi-

1 Phlb. 67a.
2 Plut. Vit. Thes. XXI 1 -2 .
3 PI. Phd. 58bc.
4 Phd. 59a.
5 Cri. 43d. Zur Postenkette siehe Garlan , 1 974, 8 1 .

6 PI. Phd . 61 b.
7 Cic. De senect. V I I I 26.

8 PI. Lach. 1 88cd, vom unbegreiflichen Foucault, 200 1 , 99, auch noch bewundert.

1 09
lolaos hörten, am Ü berleben seines Leugners liegt, ist unseres Wissens
u ngestellt.) Statt ins freie Theben zu entfliehen , 1 lernt er noch als greiser
Todeskandidat Musik.

Wir reiben uns die Augen oder Ohren , wie der sogenan nte Phi losoph den
Grund verrät. Aber eine erste Ahnung dämmert schon, wenn wir den Fra­
ger dieser Frage nur erfahren. Er heisst und ist Pythagoreer. Kebes, der mit
Simmias aus Theben zu Besuch weilt,2 fragt ihn auf Bitten eines Dichter­
freundes, was dieser Sinneswandel heisse. N u n soll Kebes die Antwort an
Euenos weitergeben : Sokrates macht neuerdings nur darum Verse und Mu­
sik, wei l es ein Traumgesicht befohlen hat. Derselbe Traum ist zwar schon
oft erschienen, doch erst i m Kerker kommt die Gegenfrage auf, «was er wohl
meine» (ri Aeye1) . 3 So kehrt Grammatik als ein Logos, der zurückbleibt, wen n
Melos, Rhythmos, Metron aus d e r Sprache ausgetrieben sind, i m Angesicht
des Todes doch zum Anfang Griechenlands zurück. Euenos und Archytas
bleibt das letzte Wort. Denn siehe an : Sokrates versteht Musik, wie sie der
Trau m befiehlt, wortwörtlich. Er legt den Namen n icht mehr auf die eige­
ne Dialektik aus, diese ccgrösste » oder seiendste Musik4 für Kalliope u nd
U rania, die zwei « ältesten der Musen » ,5 sondern lernt am Ende wieder von
Pythagoras, seinem unerreichten Vorbild, dass Philosophie zwar auch Musik
ist, sie aber nie ersetzen kann.6 Er nimmt sie endlich so wie das •gemeine
Volk• : c51"1µWc51"1 µouo1Kr1 heisst wieder schlicht Musik. Sokrates übt Verse
fügen , Saiten greifen, Töne treffen, Lieder singen . Das «erste » aber, was er
dabei «macht u nd werkt » , ist es, Apollon anzu rufen. Den Deliergott, der ihm
so u nverhofft das Leben stundet, preist der Gefangene mit einem Vorspiel
auf der Leier. 7

Es geht wohl allen Worten so : sie sagen, was sie sagen. U nd allen Träumen,
die Apollon schickt.

«Jenes Wort der sokratischen Trau merscheinung ist das einzige Zeichen
einer Bedenklichkeit ü ber die Grenzen der logischen Natur : vielleicht giebt
es ein Reich der Weisheit, aus dem der Logiker verbannt ist? Vielleicht ist
die Kunst sogar ein nothwendiges Correlativu m und Supplement der Wis­
senschaft?••8

1 PI. Cri. 45b und 53b.


2 Phd. 59c, 6 1 b. Siehe auch Xen. Mem. 1 1 1 1 1 , 1 7, und 1 2, 48; Plut. De gen. Socr. 2, 576bc ;
Julian. Ep. ad Themistium, 264c -: doch wohl zuviel Belege, um zwei treue Philolaoshörer
(mit Ebert, 1 994, 8) ins Reich der Sage zu verweisen.
3 Phd. 60e.

4 Phd. 60e.
5 Phdr. 259d .
6 Poseidonios, zitiert nach Otto, 1 962, 372.
7 Phd. 60d-61 b.
8 Nietzsche, [2 1 872 § 1 1 ] KGA 1 1 1/1 , 92.

110
Doch die Erleuchtung währt wie oft nur eine Nacht. Andere Hochkulturen
lehren mehr Geduld. I m beredsamen Athen kräht schon der Hahn des näch­
sten Morgens zum Verrat. Nachdem Xanthippe, ihr Geschrei und ihre Brut
entfernt sind, schenkt Sokrates, bevor der Scherge m it dem Schierlingsbe­
cher naht, noch eine Stu nde seinen jungen Freunden, von denen zwei aus
Theben stam men. Er nutzt sie, wie er sagt, um sich cc mit Harmonia u nd
Kadmos zu versöhnen». 1 Was aber, allem greisen Leierspiel zum Trotz, i n
Verhöhn u ng mündet.

Wir wisse n , Harmonia heisst Musik und Kadmos Schrift. Beider Hochzeit
grü ndete einst Theben als die Stadt, wo Göttinnen und Götter uns ein letz­
tes Mal besuchten. In beider Stadt sind Kebes und Simmias heimisch. Bei­
de wissen sie von Philolaos, der ebenfal ls i n Theben ccweilte», aber nicht
mehr 399, wohl wei l Archytas i h n nach Herakleia rückrief, mehr als sie ver­
raten . Nämlich dass er Harmonia, die Oktave, als erster Denker Griechen­
lands i n Kadmos' Zahlenschrift gebracht hat. Sokrates dagegen, der ja we­
der schreibt noch liest, kennt Philolaos nur ccvom Hörensagen».2 Es kann
schon darum keine Rede davon sein , ihm i n seiner letzten Stu nde pytha­
goreisch strenges Wissen zuzuschreiben.3 Er hat im Kerker zwar gelernt,
einfachste Musik zu setzen , ihr Zahlenwesen aber, wie es die Kithara an al­
lem Seienden entbirgt, nie durchdacht. Also sammelt Sokrates sein armes
Hörensagen, u m Philolaos' grossen Schatten grob zu widerlegen. I m ersten
Anlauf geht es gegen Simmias und die Musikharmonik, im zweiten gegen
Kebes und die Schrift als Zah lentheorie. Erst dan n , nach drei vier lauten
Morgenstu nden, verstummen Thebens ccjunge Männer».4

Denn was lehrt uns ccThebens Harmonia»,5 wie S i mmias sie i n seiner Hei­
matmundart6 schlecht und recht vertritt, aber doch buchstäblich provokant?7
Dass die Seele streng nach Philolaos Harmonie ist: Stimmung, Fuge, Ein­
klang u nter Leibesgliedern , cc Freundschaft der Seele mit dem Leibe, [ . . ] .

Freundschaft zwischen Mann und Frau , [ . . ] Freu ndschaft des sterblichen


.

1 Phd. 95a.
2 Phd. 6 1 de.
3 Ebert, 1 994, 1 6: „ Dieser Sokrates des Phaidon, diese ,anima naturaliter Pythagorica', hat
mit dem historischen Sokrates wenig zu tun ; er ist eine E rfindung Platons .'' Das setzt den
bodenlosen Widersinn voraus , den Pythagoreern „eine asketische, weltflüchtige und leib­
feindliche Lebensweise" anzuhängen ( Ebert, 1 994, 1 1 ) .
4 Phd. 89a: Als veavioK01 sind Simmias und Kebes 399 rund 30 Jahre alt ( Delatte, 1 9 1 5, 1 83 ) ,
was Philolaos' Rückkehr nach Italien auf etwa 4 1 0 datiert.
5 Phd. 95b.
6 Phd. 62a. Boiotisch klang Athenerohren wie das Bäurische schlechthin.
7 Laut Phdr. 242b übertrifft Simmias beim « Hervorzwingen » von Antworten selbst Phaidros .
Bei wirren Doxographen heisst er zudem der erste Grieche, der eine Schrift Über die Schrift
verfasst hat ( D. L. 1 1 1 24). Sein Freund Kebes wäre uns selbstredend lieber.

111
Leibes mit sich selbst, Befriedung und Versöhnung der einander entgegen·
wi rkenden Kräfte, die in ihm verborgen sind » . 1 Denn wenn an einer Kitharc:
der Körper fau lt - ob Holzgestell, ob Schildkrötpanzer -, gibt sie keine voller
Töne mehr. Epistemisch bleiben Zeuge nur, solang sie schön und unauffälli�
laufen.

Daraus folgt notwendig, dass, was Sokrates im Angesicht des Todes eber
kühn verkündet hat, schlicht falsch ist: Der Leib vergehe zwar, die Seele
als Idee hingegen sei unsterblich, u m i m nächsten Leib ein neues Leben ZL
beginnen. Simmias setzt dem kleinen Attika - von Anaxagoras, Euripide�
bis Sokrates - mithin Grossgriechenland entgegen : Schönes ist, solang eir
Leib es trägt. Ohne Resonanzkörper, wie er das Saitenspiel verstärkt, wärer
Leiern viel zu leise. Ohne Darmsaiten, wie sie zwei Tetrachorde zur Oktave
oder Harmonie aufspannen, gäbe es Musik n icht. Würden Resonanzbäder
zerbrochen oder (wie i n Sparta dem Timotheos) Darmsaiten abgeschnitten
vergi nge auch die Harmonie. Da mithin Seiendes, solang es währt, aus Zah
und Stoff gefugt bleibt wie Musik, sei auch die Seele sterblich .2

Mit dieser Rede, die nur Phi lolaos wiederholt, geli ngt es Simmias, alle Hö·
rer ausser Sokrates zu rü hren , ja zu überzeugen. Und diese Stimmung hall
noch nach Jahrzehnten nach . Denn den Grund, die letzten , von ihm n ich
gehörten Worte seines Lehrers zu erdichte n , verrät uns Platon selber: Lan·
ge Jahre nach der H i n richtung habe ein gewisser Echekrates von Phleiu�
Phaidon u m den letzten Satz des Sokrates gebeten.3 Wen n aber Plator
eben diesen Echekrates in Ital ien aufsucht,4 kann er n icht nicht wissen , das�
Echekrates (im U nterschied vielleicht zu Simmias und Kebes)5 auf Phi lola
os u nd Eurytos hörte, also im strengen Sinn Pythagoreer war.6 Echekrates
Lob des Simmias wiegt daher um so schwerer. Es wiederholt ja nur, wa�
jeder Grieche seit Pythagoras bei Harmonie empfand .

9auµaorwc; yap µou 6 AOVO<; OUTO<; OVTl'Aaµßave:Tal Kai VÜV Kai ae:i
TO apµoviav nva f)µwv e:Tva1 rr,v l!,Juxfiv.
Denn wundersam greift dieser Spruch nach mir, jetzt und immer schon
das «eine Harmonie ist uns die Seele . » 7

1 lambl . V. P. XXX I I I 229. Dazu Rohde, [ 1 893] o . J. 1 93.


2 PI. Phd. 85e-86d.
3 Phd. 55a.

4 Cic. Fin. V 29, 29.

5 Ebert, 1 994, 8.
6 6 D K 44, A 4.
7 Phd. 88d. - Über die tiefe Harmonie zwischen Philolaos, also auch seinen Hörern Simmiai
und Kebes, mit jener h ippokratischen Leibesharmonie, die der Arzt Eryximachos in Platorn
Trinkgelage als Geheiss des Eros lehrt, siehe wirklich nur Dr. med. Lacan , 1 99 1 b, 86. Nie
mand hat, soweit wir wissen, um die Liebe (Europas Seinsgeschichte) mehr gerungen : «Ji
ne fais que ca depuis que j'ai vingt ans, explorer les philosophes sur le sujet d'amour.•
( lacan, 1 975, 70)

112
Solange Griechen der Musik vertrauen, also n icht Sokrates und der Gram­
matik, heisst Logos Spruch , nicht Satz . Das bleibt i n Theben und Phleius
noch lange so - auch im Athen vor Plato n .

D e r Todgeweihte aber gibt n icht auf, die Thebaner Simmias u nd Kebes -


also Philolaos - offen oder heimlich anzugreife n , bis ihm wen igstens Athen
den Siegeskranz zuspricht. 1 Denn Schwerverbrechern bleibt nur Nachru h m .
Simmias hat seiner Harmonia abgeschworen und d i e Unsterblichkeit der
Seele anerkannt.2 M it Kebes bleibt daher nur Kadmos noch zu schlagen .
A m Ende, wen n der Schierling wirkt u n d von den Beinen langsam i n s Gehirn
kriecht, wird das schönste Hochzeitspaar, von dem wir hören, vorsätzlich
geschieden . Bräute, Männer, Götti nnen und Götter - niemand tanzt auf der
Kadmeia . . .

Seltsam nur, dass Kadmos nicht (wie allen anderen Griechen) Griechenal­
phabet besagt. Offenbar sind Sokrates und sein Ägypter Theuth es leid,
einmal mehr in Buchstaben nach Sinn zu suche n . Kebes kennt dagegen
Diagram me, wie Sokrates sie Menons kleinem Sklaven pythagoreisch vor­
gezeichnet hat.3 Es geht daher um keine Lautschrift, sondern gegen Zah­
lenalphabete. Erst wenn er glaubt, dass seine Widerlegung auch das Paar
Musik und Mathesis geschieden hat, brechen Sokrates im Glauben an die
Unvergängl ichkeit der Seele beide Auge n . So meint er mit Philolaos zu be­
weisen , dass sein Tod gerecht sein wird und kei n verkappter Selbstmord.4
So kommt wie bei Eu ripides der Glaube auf die Welt.

Was doch i m Theater, seit die Tragödie verstummt ist, alles « hurt, stiehlt,
lügt u nd mordet.»5

Sokrates ist nämlich listenreich genug, u m Kebes wie von ungefähr aufs Feld
der Zahlen zu verlocke n , statt Philolaos einmal mehr das Wort zu geben. Da­
für war S i m mias viel zu überzeugend. Von der Schönheit namens Harmonie
geht es zunächst zum Schönen selber, dieser « scheinendsten erotischsten»
Idee, «vermöge derer» alle schönen Wesen oder besser Männer schön sind,
weil sie i n die Augen fällt, nicht blass in Ohren.6 Vom Schönen geht es weiter
zu den Ideen von G rass und Klein . Vermöge ihrer überragt Simmias zwar
den alten Satyr, der seinen Kleinwuchs kühl wie « Mitschreiber» vermerkt,
nicht jedoch den schönen Phaidon,7 i n dessen Haaren Sokrates grad eben

1 Phd. 89c.
2 Phd. 92d.
3 Phd. 73a; vgl . Hipp. min. 367d .

4 Phd. 6 1 d .
5 Büchner [ 1 835] 2 1 974, 1 4 1 .
6 PI. Phdr. 250d .
7 Phd. 1 OOd- 1 02d . Soll das ein alberner Versuch gewesen sein , mit Archytas' Grössenver­
gleich der drei Mittel zu wetteifern?

113
spielt . 1 Von Grössenmassen schliesslich ist es nur ein Schritt, den Kebes
kaum verweigern kann , zur Zah lentheorie. Phaidons Nacherzählung fährt
daher beruhigt fort, bis die behauptete U nsterblichkeit der Seele schon aus
unsterblich ganzen Zahlen folgt.

NEOTIV äpa. � ö' öc; . nepi ev1a TWV TOIOUTWV WOT€ µil µ6vov aUTO
TO eTöoc; 6�1oüo9a1 TOÜ auroü 6v6µaroc; eic; TOV aei xp6vov. aMa
Kai äMo Tl ö eon µE:v OUK E:Kfivo. exe1 öE: Tilv E:Keivou µopcpilv aei
öravnep r;. NETI öE: E:v ToToöe iowc; eoTal oacpeoTepov ö 'Aeyw. T6
yap nep1rr6v aei nou öeT TOUTou Toü 6v6µaroc; ruyx6ve1v önep vüv
'Aeyoµev· Fi oü; - navu ye. - NApa µ6vov TWV ÖVTWV (TOÜTO yap
E:pwTW) Fi Kai äMo Tl ö eor1 µE:v oux önep TO nep1rr6v. öµwc; öE: öei
aUTO µeTa TOÜ E:aUTOÜ 6v6µaroc; Kai TOÜTO Ka'Afiv aei Öla TO OÜTW
necpuKeva1 woTe Toü nep1rroü µ11öen0Te ano'Aeineo9a1; /\eyw öE:
auT6 eTva1 o'lov Kai r') Tp1ac; nenov8e Kai äMa noM6. I:K6ne1 öE: nepi
Tf)c; Tp16öoc;· apa OU ÖOKfi 001 T<;) T€ aUTf)c; 6v6µan aei npooayo­
p€UTea eTva1 Kai Ti;> Toü nep1rroü . övroc; oux önep Tf)c; Tp16öoc;;
Es ist n u n , sagte Sokrates, bei einigem so, dass nicht nur der Anblick
selbst seinen Namen fü r alle Zeit erfordert, sondern auch noch etwas
anderes, was zwar n icht es selbst ist, aber seine Gestalt hat, solang es
ist. Das wird noch klarer machen , was ich meine. Denn das Ungerade
muss i m mer diesen Namen tragen, den wir eben sagen , oder nicht?
- Ganz so. - Aber, frage ich, nur den? Oder noch einen anderen, der
zwar nicht das Ungerade selbst ist, aber doch immer mit diesem Na­
men gerufen wird , weil es nun einmal so ist, dass er das U ngerade
nie verlässt? Ich meine damit das, was auch der Dreiheit widerfah ren
ist und noch anderem mehr. Schau nur die Dreiheit an . Scheint dir
nicht, dass sie auf immerdar sowohl bei ihrem Namen angeredet wer­
den muss wie auch bei dem des U ngeraden , der [doch] n icht Dreiheit
ist?2

Das soll nun Zahlentheorie sein , state of the art, Attika Frü hsommer 399.3
Umständlicher, armseliger ward nie gedacht, bevor auf einem Berg die gei­
stig Armen auch noch selig hiesse n . Philolaos hat nur einen Satz gebraucht,
aus vier Gliedern streng geschmiedet u nd gefugt, u m dasselbe allgemein zu
sagen : Es gibt - i m Kosmos wohlgemerkt, n icht luftleer im Gerede - zwei
Anblicke : U ngerades oder Grenzendes, Gerades oder Unbegrenztes. U nd
doch fugt jede Harmonie der beiden Gru ndanblicke (eiö11) unzählig viele

1 Phd. 89b.
2 Phd. 1 03e- 1 04a. Das nennt Lacan, 1 99 1 b, 1 24, mit Recht, aber ohne mathematische Ein­
sicht, Sokrates' «Signifikantenkult. »
3 Sokrates' Todestag nach Xen. Mem. IV 8, 2.

1 14
schöne Formen (µopq>ai).1 So steht es geschriebe n . Wir können seit Pyth­
agoras und Philolaos das blasse aus dem Orient ererbte Rechnen lasse n ,
um statt dessen Zah len überhaupt zu denken.

Platons Sokrates lernt also Philolaos, ohne ihn zu nennen , beide Worte ab.
Aber schon für einen der zwei Anblicke, das U ngerade in seiner Form als
Drei, braucht er lauter Schachtelsätze, Fragen , Substantive - und zudem
ein Ja aus Philolaos' Theben. Nur so verkümmert Eidos zu Idee, Zahl zu
Logos, Harmonie der Saiten zu Metaphysik. Wie alles, was nur schön ist,
am Schönen selber Anteil hat (µe8e:�1c;) , so jede Zwei an der Idee der Zwei­
heit, jede Zweiheit am Geraden . Selbst die Eins heisst nicht Beginn, sondern
- allem Griechentu m zum Trotz - eine u ngerade Zahl,2 die an der Einheit
teilhat.3 Mit gutem Grund kann Aristoteles da spotten, Platon im Gefolge
seines Meisters sei von Phi lolaos doch « nur» dari n abgewiche n , den Bezug
des Seienden zur Zah l als Methexis zu denken statt als Mi mesis. Der kleine
Unterschied jedoch hat Folgen, die bis heute wäh ren. Denn Nachahmung
und Tei lhabe, statt rekursiv das Selbe aufzurufe n , m i ndern i n Athenerohren
immerfort das Sein . Es heisst nicht mehr pythagoreisch, dass « i n den Din­
gen selber Zah len sind » : Verhältn isse i n Saitenspielen, Lochabstände wie
beim Au los, Energien i n Kriegsmaschinen. Denn für den Banausen Sokra­
tes stehen Zahlen und Ideen, die er voneinander kau m zu scheiden weiss,
« neben dem Sinnlichen » (napa ra aio9rir6),4 wen n nicht gar über ihm am
« H immelsort » . So segeln sie an dem, was Herz und Sinne anrührt, ohne alle
Lust •vorbei > - wie Odysseus einst i m Lügenmärchen an den zwei Sirenen.
Was den U ntersch ied von Geist und Fleisch , Mann und Frau erst aufreisst.
Einer gegen Zwei .

Denn Sokrates fährt fort, das Gerade u n d das U ngerade z u sortieren. Die
Drei, die Fü nf, lehrt er, ja überhaupt die eine Hälfte aller Zahlen wird für
immer ungerade bleiben , die Zwei, die Vier und ü berhaupt die andere Rei­
he (orixoc;) jedoch für immer gerade (äpr1oc;) . Damit ist nicht nur erklärt,
warum Buchstaben fortan Elemente (ra oro1x€ia) heissen, •die Gereihte n > , 5
sondern auch ein Gegensatz i n alle Ewigkeit behauptet. Ungerade u n d Ge­
rade verschränken sich nicht harmonisch ineinander als Grenzendes und
Unbegrenztes, sondern bleiben abgrü ndig geschieden.

"H ou q>r)ooµe:v ra rpia Kai 6n0Ae:To9a1 np6re:pov Kai äMo 6r100v


ne:ioe:o8a1, npiv Ünoµ€iva1 eTI Tpia ÖVTa ÖpTla ye;ve09al;

1 <= 2.2.2.2.2.
2 PI. H ipp. mai . 302a.
3 PI. Phd. 1 0 1 bc.

4 Arist. Met. A 6, 987 b 1 -27; dazu Burkert, 1 962, 29.

5 Phd. 1 04ab.

115
Oder werden wir n icht sagen, die Dreie würden eher u ntergehen und
sich alles beliebige andere gefallen lassen als es auszuhalten, Drei zu
sein und zudem grad zu werden ?1

I n diesem unerschütterlichen Gleichmut, der wie Sokrates den Tod der


Wandlung vorzieht, zeigt sich das U ngerade - Aristoteles zum Trotz - als
ccdie Idee» der Drei.2 Die Zahlenreihe selbst klingt beinah wie Vergewal­
tigung, Kreusa i n Apollons Armen. Das steht i n schroffem Gegensatz zu
allem, was Pythagoras und seine Hörer lehrten. Denn es hiess das Wu n­
derwerk der Eins, an irgend eine Zah l gefügt, das U ngerade i n Gerades zu
verwandeln , Gerades u mgekehrt i n U ngerades. So wird es als Lehre des Ar­
chytas von Aristoteles im Pythagoreerbuch überliefert.3 Erst diesem steten
Wechselspiel - dem Schreiten (mixoc;) durch die Zahlenreihe der 0101xe:Ta
- 4 entspringen überteilige Verhältn isse, musikalisch also Harmonien . Oder
auch erotisch mit Plutarchos : Erst wen n sich 3, die erste ungerade Zah l ,
mit 2, der ersten geraden , paart, ist 5, das Liebesspiel ( 6 y6µoc;) als Auf­
gang neuen Lebens. "Eyw y6µw heisst noch heute kei neswegs • ich heirate „
sondern schlicht u n d grob • ich ficke• .5

Also tritt der eine Logos, wie Sokrates ihn Herakleitos ablernt, den Logoi
als Verhältnissen von Gerad und U ngerad entgegen . Er sorgt dafür, dass
in Athen die Zahlen und Geschlechter streng geschieden bleiben - ewig
wie Ideen . Kei n Mann mit ungeradem Schamglied wird sich i n die Schande
schicken, Frau mit geradem Lippenpaar zu werden, vor allem , wenn sein
Henker naht. Nach einem letzten Bad schickt Sokrates die Frauen seines
Haushalts samt drei Kindern fort, u m (wie der J ü nger Phaidon stolz erzählt)
«ZU uns zu kom men „ .6 Doch wen n auch seinen Schü lern helle Tränen flies­
sen , während schon der Schierling wirkt, befiehlt er ihnen - streng nach So­
lon - i m Angesicht des Todes Totenstille. Denn eben wei l sie zu laut wein­
ten , hat Sokrates ccdie Frauen weggeschickt. » 7 Jede Träne, die Sterbliche
u m Sterbende vergiessen , widerlegt mithin den Narren Attikas und die Un­
sterblichkeit der Seele.

1 Phd. 1 04c.
2 Vgl. Phd. 1 04b mit Arist. Met. A 6, 987 b 1 4-1 6.
3 Theo Smyrn. in Timpanaro Cardini, 2 1 969, 1 1 324.
4 Lehmann, 1 970, 1 0 f.
5 M it Dank an Anastasia Georgaki/Athen.

6 Phd. 1 1 6ab. Den Grund dieses Hinauswurfs hat von allen Platonlesern nur Lacan , 1 99 1 b,
44, bedacht: « La difference qu'il y a entre la femme antique et la femme moderne, c'est que
la femme antique exigeait son dü, eile attaquait l'homme.>•
7 Phd. 1 1 7d ; vgl . Resp. X 6, 605d. - Am einfachsten erklärt Tht. 2 1 0bc diese Misogynie:
Sokrates ist nicht, wie seine Mutter, «Hebamme schwangerer Frauen » , sondern « edler und
schöner Jünglinge » , die er selber mit Ideen «geschwängert hat » .

116
3.1 .3.4 Götter in Musik und Dichtung

Ist das nicht eben Göttlichkeit, dass


es Götter, aber keinen Gott giebt?
Nietzsche, Also sprach Zarathustra

Die Trennung der Geschlechter, wie sie Athen bewirkt hat, trifft zuhöchst
die Götter. In Platons Idealstaat, der aber besser « Schönstadt» heisst, 1 darf
niemand - Mütter oder Ammen, Dichter oder Sänger - u nwah r von ihnen
reden . 2 Kinder werden nur das lernen, was Götter der Idee nach sind: un­
wandelbar, gerecht und gut. Mit dieser Rede ü ber alle Reden , wie sie die
Philosophen/Leser überwache n , vergehen selbst den Göttern ihre Freiheits­
grade. Jede Dichtu ng ist den Schönstadt-Wächtern vorher schriftlich einzu­
reichen , u m auf i h re Götterlehre überprüft zu werden .3 Womit sich Platons
sogenannte Schriftkritik von selbst erledigt. Sie denkt n icht, sondern u nter­
sagt.

Erst seit der befohlenen Verschriftung bleiben Götter - wie die Zahlen -
auf i m merdar sie selbst : gerade oder u ngerade, weiblich oder män n lich ,
ohne Spielräu me für Wandlung und Vermischung. « Musik» hört auf, sich
zu ereignen , wei l nur ihr « Logos » als Besagtes auf den Prüfstand kom mt.4
So einfach macht die Schönstadt mit der Dichtersage Schluss. I h re Göt­
ter schicken keine falschen Träume und steigen n icht wie bei Homeros, als
Sterbliche verkleidet, zu unseren Hochzeiten herab.5 Also können sie von
alledem nichts tun , was kindlicher Nachahmungslust zum üblen Vorbi ld wü r­
de. Mord und Kastration, Gigantenkampf und Liebeslust, wie sie doch Epos,
Melos, Drama seit U rzeiten füllen -: all das darf Athener Kinder nicht mehr
cc prägen » u nd beschriften, nur noch das nackte leere Alphabet.6 Schon da
Ideen am Götterh i m mel schweben , fällt «der Gott» m it seinem wahren Sein
zusammen.7 « Körperlos und u nvergänglich, ist er immerdar der Gott» und
entkommt auch jedem Zahlendenken, das geometrische Probleme m it Hil­
fe irdischer Maschinen löst. (So Platon laut Plutarchos gegen cc Eudoxos,
Archytas, Menaichmos» und alle Versuche, das Volumen von Apollons deli­
schem Altar maschinell zu verdoppeln.)8 Vor allem aber ist der eine Gott kei n

1 P I . Resp. V I I 9, 527c.
2 Dazu treffend 3 0CD, s. v. mythology : .., lndoctrination' by mothers and nurses will have been
a significant, if usually neglected , factor in the continuing popularity of myth all through
antiquity."
a Resp. I I I 9, 298a.

4 Resp. 1 1 1 7, 376e.
5 Resp. II 2 1 , 383a. Wir müssen immerfort bedenken, wie schwer noch Platon dieser heute
längst vergessene Abschied fiel.
6 Resp. 1 1 1 7- 1 9, 377a-380d .
7 Es bleibt daher unfasslich, wie die Platonforschung den Zusammenfall von Ideen- und Göt­
terlehre (laut Aristoteles Theologie») hat derart vernebeln können .

8 Plut. Quaest. conv. V I I I 2, 71 Bef.

117
« Lügendichter„ 1 oder « Schwindelzauberer„ (yo11r()c;) , der «wie aus dem
H interhalt» uns Sterblichen in « anderen Ideen erscheinen» würde oder -
noch viel schl i mmer, nämlich wüster - seine « eigene Form i n vielerlei Ge­
stalten ändern„ kön nte (6Mcmovra ro auroü eTöoc; eic; noMac; µopq>ac;).2
Als würden Frauen n icht Stiere, Adler oder Blitze liebe n . Als würde Eidos
n icht seit Philolaos Metamorphosis besagen, Strukturen-Übergängigkeit in
viele Formen . . .

Platon schweigt u nd gibt die grösste oder bündigste all seiner Lügen aus.

eeoc; öE: 6v8pc.i>n(f> ou µiyvera1


Gott mischt sich n icht dem Menschen.3

Selbstredend tun das Platons Götter. Ohne es i m Rausch zu spüren, schläft


der Reichtu m mit der Armut. Schon damit ein Daimon oder Halbgott, näm­
lich Eros, überhaupt entstehen kann , müssen sich Idee und Stoff, Poros und
Penia, Gott und Menschenfrau vermischen. Erst wen n Halbgötter die Bo­
tendienste zwischen Sterblichen und Göttern übernehmen, kann « Gott» sie
u nterlassen.

Aus der heillosen Gleichschaltu ng von Eidos, Morphe u nd Idee zieht Pla­
tons Sokrates (wie sei n Freund Euripides) zwei Schlüsse. Erstens darf kei n
Dichter m e h r verkünde n , dass '"Götter i n wandelnder Fremdlinge Bildung
jede Gestalt annehmend die Stätten der Menschen besuchen > . » 4 Metamor­
phose als die Wahrheit aller Götti nnen und Götter, die ja Tieren so viel näher
stehen als uns Sterbliche n , wird verboten . Semele, Phrygiens Erdgöttin , trifft
kei n Blitz aus blauem H i m mel mehr, Danae kei n goldener Regen ; Zeus be­
samt Europa n icht als Stier, Leda n icht als Schwan , Aig ina nicht als Adler.5
So, erst so fällt der Entscheid, dass sich U nsterbliche und Sterbliche n icht
mehr in Streit und Liebe m ischen dürfen , mit Blut vor Troia, Samen auf Aiaia:
llias und Odyssee. Vor allem aber, dass der Phallos jener Liebesnächte nie
mehr tierisch heisst.

1 PI. Resp. II 382d .


2 Resp. I I 1 9, 380d . Nach Burkert, 1962, 135, ist v611c; anfänglich ein Name von Göttern,
sofern sie als Daimonen unter Sterblichen wandeln und zaubern. Erst Herodotos und Platon
verkehren ihn zum Schimpfwort.
3 PI. Symp. 203a. Was hier Mensch heisst, Mischung, Frau und Mann, warum unzählige Dai­
monen seitdem die wahren Götter für uns Menschen stellvertreten müssen -: all das bleibt
so ausgeblendet wie die zwei Sirenen.
4 Resp. I I 1 9, 381 d .
5 Ov. Met. VI 1 03-1 20; N o n n . D i o n . XXX I I I 297. Dass Stiere u n d Hengste göttlich, nämlich
phallisch sind, l iegt klar zutage. Bei den Vögeln, die Zeus für seine Wandlungen erwählt,
bleibt dagegen ornithologisch ausser auf Macho, 2008, 97 f. , vorab auf Meyer, 6 1 902-1 908,
XX 208, zu verweisen : „Eine Rute fehlt [Vögeln] in der Regel; nur bei einigen wenigen grö­
ßern Raub- und Sumpfvögeln, bei Enten, Gänsen, Schwänen etc. [ . . . ] ist sie einigermaßen
ausgebildet."

1 18
zweitens u nd noch wüster, aber auch gehei mer : Wenn es nach Platon und
de n Seinen ginge, gäbe es nur einen Gott, den sie als ccgrössten» zart um­
schreiben . 1 Dieser Ontotheologie hat Heidegger eine Frage gestellt, die zu
drucken oder auch nur vorzutragen er sein Lebtag lang nicht wagte : cc Ge­
setzt aber, Gott sei , zwar nicht das Seyn selbst, aber das Seiendste, wer
dürfte jetzt schon wagen, zu sagen , daß dieser so vorgestel lte Gott die Ge­
fahr sei für das Seyn ? » 2 Platon wird zwar den Teufel tu n , sein övrwc; öv, das
cc seiend Seiende » , Athenern zu verraten und sich damit den Schierlingsbe­
cher einzuhandeln, zieht aus dem U ngesagten aber alle Folgeru nge n . Also
darf sich dieser vorgestellte eine Gott, u nwandelbar er selbst, selbst mit Göt­
tinnen nie m ischen - so wie die Drei n icht mit der Zwei, das U ngerade n icht
mit dem Geraden .

Was also will Sokrates, obwohl u nd wei l es bei Homeros steht, nicht wissen ?
E i n Liebesakt auf Bergesgipfeln eint Zeus m i t seiner Schwester Hera, einer
in Hephaistos' Ehebett Ares mit der schönbekränzten Aphrodita.3 Das soll
schon daru m Lüge sei n, damit Athens verliebte Söhne nicht wie Homeros'
grosse Götter den gehörnten Schmied verlachen.4 Hephaistos kom mt an
Hässlichkeit Sokrates ja bei nah gleich.

Die zwei Verbote haben in der Schönstadt ihrerseits drei Folgen . Die er­
ste schreit zum H i m me l : „All das streicht selbstredend beinah jede Dich­
tung aus, wie wi r sie kennen (und auch Platon kannte) ."5 Zweitens geht den
Wächtern, die all das überwachen sollen, selbst jede Möglichkeit zu spie­
len aus. Wenn zwischen den Geschlechtern gar n ichts läuft,6 entfallen alle
Rollen, die nicht (und bis zum Überdruss) Nachahmung guter Götter oder
Männer sind. Wah n rasende und Trunkene, vor allem aber Frauen darf kei n
Wächter spielen.7 Damit zergeht d e m griechischen Theater, das ja i m Ge­
gensatz zum römischen nur Schauspielern das Wort erteilt und Frauen be­
stenfalls in stu mmen Rollen zeigt,8 der Grund selbst. Es wird , mit anderen
Worten , Lesestoff.

1 PI. Leg . V I I 821 a.


2 Heidegger, 1 994, 55. Aus «vorgestellt» spricht eine Verachtung, die wir erst wieder lernen
müssen.
3 PI. Resp. III 4, 390bc.

4 Resp. I I I 3 , 389a.
5 Reardon, 1 99 1 , 63 : „All this, of course, effectively wipes out virtually all litterature as we
know it (and Platon knew it)".
6 Lacan, 1 975, 34: «Ce qui fait le fond de la vie en effet, c'est que pour tout ce qu'il en est des
rapports des hommes et des femmes, ce qu'on appelle collectivite, ga ne va pas. Ca ne va
pas, et tout le monde en parle, et une grande partie de notre activite se passe a le dire. >•
Womit die Pseudowissenschaft von „der Gesellschaft", gräko-lateinisch Soziologie benannt,
erledigt wäre.
7 Resp. I I I 7, 395c-396a.
8 Dass die Komödie auch Elaphion - ein junges schönes stummes • Rehkitz„ dessen einstu­
dierter Striptease den Dichter und Choreuten Euripides vor dem Kerker rettet - mit einem

1 19
So liegt das Drama dann vor Wächtern, Schreibku nstlehrern , Kindern und
dem « Leser» Aristoteles: n icht als gespielter Nachvollzug (µiµrio1c:;) am eige­
nen Leib, geschweige denn als Beispielnehmen an verderbten Göttern, 1
sondern nurmehr als Erzählung (ö1fivrio1c:;) auf Papyrosrollen . So stellen alle
Dichtungen der Griechen den Apollonpriester Plutarchos später nurmehr vor
die Titelfrage, Wie der Jüngling sie zu lesen habe. Jeder Rechtsstaat - ein
U n begriff bis heute - ermisst sich daran, welche Bücher, Drogen, Lüste er
fast u nvermerkt verbieten darf. (Eine sozialdemokratische Novellierung des
Jugendschutzgesetzes hat besagten Jugendschutz hierzu lande kürzlich bis
zur Bahre ausgeweitet.) So kom mt denn erst, wen n Melos, Rhyth mos, Me­
tron in der Alltagssprache fast erloschen sind, das Wort als nacktes Wort
zu Wort, das Griechenalphabet als blasse Schrift. Der Orient mit seinen
Ei ngott-Despotien erobert Hellas doch noch , u m ihm die Musen auszutrei­
ben . Da Sokrates nicht schreiben kann und auch cc kei n Dichter ist» , gibt er
Hexameter nur i n Prosa wieder.2 Nichts anderes heisst seitdem Logos : der
Begriff.
cc µüSoc:; und '/l.oyoc:; treten erst dort aus- und gegeneinander, wo weder
µü9oc:; noch '/l.oyoc:; ihr anfängliches Wesen behalten können. Das ist bei
Platon schon geschehen . Es ist ein auf dem Grunde des Platonismus vom
neuzeitlichen Rationalismus übernommenes Vorurteil der Historie und der
Philologie, zu meinen , der µü9oc:; sei durch den '/l.oyoc:; zerstört worden. Das
Religiöse wird niemals durch die Logik zerstört, sondern immer nur dadurch,
daß der Gott sich entzieht . » 3

Was zweitens auf d i e Frage führt, w i e alte Göttersagen Kindern i n Athen z u


lesen oder deuten s i n d . Logos kom mt von '/l.eye1v, was wie i m Deutschen
•sammeln , legen, lesen• heisst.4 N u n hat auch diese Frage, lang bevor sie
Sokrates für seine Schönstadt aufwi rft, Denker und Sophisten angelockt.
Es ist das Schönste an Sirene n , dass ihr Singen Lust mit Wissen fugt. I m
Augenblick, d a Zeus u nd Hera alle Sinne schwi nde n , weil beider Säfte sich

Mann besetzt habe, scheint uns (mit Zweig, 1 992, 73-89) undenkbar: Wie liesse sich He­
tärennacktheit transvestitisch simulieren? Doch auf Ar. Thesm. 1 1 72-1 2 1 0 kommen wir (in
Band 1 1/1 ) beim römischen Mimus noch zurück.
1 PI. Resp. 1 1 1 5, 39 1 c.
2 Resp. I I I 6, 393d . Siehe auch Xen. Mem. II 1 , 2 1 -34, wo Sokrates den Herakles am Schei­
deweg von Prodikos in nackter Prosa nacherzählt. Dürfen wir draus schliessen , dass im
vulgären Attisch armer Steinmetzen der Quantitätenkollaps schon um 4 1 0 eingesetzt hat?
3 Heidegger, 2 1 96 1 , 7. « Das Religiöse» (falls das Wort nicht nur Wilhelm Nestles Buch Vom
Mythos zum Logos zusammenfassen soll) scheint uns eine Fehlleistung, die Heidegger
ausdrücklich widerrufen wird , schon weil «der Gott» endlich «den Göttern» weicht: « Die
Götter der Griechen haben aber n ichts zu tun mit Religion. Die Griechen haben nicht an
ihre Götter geglaubt. Einen Glauben der Hellenen - um an Wilamowitz zu erinnern - gibt
es n icht. » ( Heidegger, GA 1 1 1/75, 2000, 25) Drei Sätze, dreimal nein.
4 Heidegger, 2 1 959, 208-2 1 3 .

1 20
vermischen, tropft vom Himmel Tau hernieder, während aus der Erde lau­
ter Blumen spriesse n : Lotos, Krokos, Hyakinthos . 1 Also singt Empedokles,
dass Zeus der G lanz der Höhe ist und Hera unsere Erde, wann immer Streit
nicht beide trennt, sondern Aphrodita sie vereint. ( I n der llias gelingt i h r das
höchst selten.) Erst wie der Wahn aufkommt, dass Götter n iemals « stehlen,
ehebrechen u nd betrügen » , geben cc Homeros und Hesiodos» , die eben das
an ihnen rü hmen,2 dem Denken lauter dumme Rätsel auf. Sophisten lassen
sich mit Silbergeld vergüten, als Deuter durch ganz Griechenland zu ziehen
und im Gegensatz zu schlichten Homeriden dem Göttersänger einen (oder
ihren) H intersinn (un6vo1a) zu u nterlegen .3 Denn der Sophistensatz , dass
cc Sänger vieles lügen » ,4 hat stets den H intersin n , H i ntersinnige zu Geld zu
bringen -: Rhetore n , Hermeneuten, Phi lologen , Ch risten, Professoren - bis
auf unsere trüben Tage. Also brauchen Deuter ausgerechnet für die Worte,
die sie als • uneigentliche> entzaubern wollen, dringend neue Eigennamen :
Hyponoia bei Sokrates und späten Schreibern,5 Metapher bei Aristoteles,6
schliesslich Allegorie, •die Anderssage> - vom ersten Heidenchristen Pau­
los7 bis zum Hymnos aufs Erhabene.8 Den U nfug solcher Reden über Re­
den hat jedoch schon Kratylos benannt: Sie alle setzen unbedacht voraus,
es sei uns Sterblichen vergönnt, von dem , was nicht ist, überhaupt zu sagen ,
dass e s ist. 9

Allegorisch liest zum ersten Mal Pythagoras den Sänger, aber nie, u m ihn
herabzusetzen . Wen n aus Homeros' zwei Sirenen die Oktave spricht, aus
Delphois Lorbeerrausch die Tetraktys, dann steigert solche Deutung noch
den S i n n . 1 0 Erst m it den Sophisten wird Allegorese, der neue Name alter
H i ntersinne, zum billigen Geschäft. Reden wir von Göttinnen und Göttern,
schon u m ihnen alles Anderswerden auszutreibe n , stets schlechter als die
Sänger. Nutzen wir die Freiheit aus, dass Dichter und nicht Priester oder gar
Despoten das, was den Griechen Götter sind, entborgen haben. Fälschen

1 11. XIV 346-35 1 .


2 Xenophanes, 6 D K 2 1 , 8 1 1 ; siehe auch B 1 2.
3 Xen . Symp. I I I 6 über Stesimbrotos und Anaximandros.
4 Plut. Ouomodo adol . 2, 16a. noMa \j)euöovra1 001öoi ist laut Arist. Met. A 2, 98333a, ein
Sprichwort unter Griechen, das aber Gorgias, 6 D K 82, 8 23 = Athen. V 348c, sehr viel
genauer durchgedacht hat. Christen wird dagegen schon der Wortlaut des Zitats hinreichen ,
um Dichtung g u t sophistisch abzuschreiben ( Lactant. Div. inst. 1 1 1 , 29) .
5 Demetr. Lacon. Poet. I I 1 2 ; [Plut.] Vit. Horn. B 92. Dazu Foucault, 1 994, 1 565, über den
Gegensatz von vorsokratischem oriµe:Tov und metaphysischer CJMriyopia.
6 => 3.2.2.2.5.
7 OMrwopouµe:va heisst in Gai. 4, 24, die erste christlich verfälschende Konkordanz zwischen
Altern und Neuem Testament. Dazu Brunschwig/Lloyd, 2000, 771 f.
a [Longin.) IX 7.

9 PI. Crat. 429d . Mit Dank an Rainer Marten/Freiburg .


1 0 <=
2 . 1 .2.2.2. Dazu Detienne, 1 962, 61 -71 , der allerdings die irdischen Sirenen schon als
Sphärenharmonie missdeutet.

1 21
wir daher die Sagen. Flüstern wir den Kindern u nd uns ein, es sei im Kos­
mos nur ein Gott: 6 9e:6c;, dem keine Frau sich je gewährt hat. Dann •gott­
sagen • keine Sänger mehr u nd keine Odyssee. Aphrodita steigt nicht mehr
aus blauem Meer i n Ares' Arme ; nein , blass Venus tritt am Nachthimmel m it
Mars i n Konjunktur. 1 Harmonia, beider Kind, bekundet keine Liebesnacht
auf der Kadmeia; nein , nur die Harmonie der hohen mit den tiefen Tönen.2
Auch Hera lockt n icht Zeus zum schönsten je besungenen Liebesspiel i m
Freien ; n e i n (will Homeros « allegorisch » sagen ) , e s m ischen sich blass zwei
Elemente : das Kalte mit dem Warme n , Erdendunst mit H i mmelsglanz.3 Was
den Inzest zugleich erklären u nd verleugnen soll .

U m Lehrern solchen U nsinn einzureden, damit s i e ihn a n Schüler weiter­


geben, hat aber Aristoteles erst einmal Empedokles' zur Tetraktys gepaarte
Götter oder Elemente fälschen müssen : Neben den Äther, der als fünftes
oder vielmehr «erstes» Element u nvergänglich schön am H i m mel schwebt,
treten jene vier, die auch unterm wandelbaren Mond vorkommen : neben
Feuer, Wasser, Erde unsere sublunare trübe Luft.4 Und wenn es Zeus auf
Heras Liebeszauber hin so lang und lustvoll kommt, dass er hernach in Tief­
schlaf sinkt?5 Ja n u n , dann zeigt Homeros unseren Kindern sehr beden­
kenswert, wie Frauenlist zu Ehekrisen führt. Wen n Ares (und i n seiner Mi­
mesis auch Hermes) nichts auf der Welt mehr lockt, als Aphroditas Bett zu
tei len? Ja n u n , dann cc lehrt» der Dichter unsere Kinder, nicht wie die Phaia­
ken und Odysseus so ccgemeiner Musik und unkeuschem Gesang» zu lau­
schen.6 Oder, um die Sache kurz zu mache n : Es sind gar nicht die Götter,
die uns zur Nachahmung all ihrer Laster laden , sondern blass halbirdische
Daimonen.7

So lernten Kinder bei zum Glück vergessenen Sophisten, die doch bis heu­
te alle Lehrerseminare schulen, Göttinnen und Götter wegzudeuten,8 vor
allem aber i h re Liebe. So lernten Lehrer, die alte Eigenwerbung der Sophi­
sten, dass « Sänger lügen » (nicht sie selber) , ihren Schülern einzureden .
S o sollten kleine Leseratten , pädagogisch sanft gesteuert, von Gedichten
zu Gedanken schwenken, also n icht mehr Versen trauen, sondern Phi loso-

1 Plut. Ouomodo adol. 4, 1 9ef. Wenn [Plut.] Vit. Horn. B 1 0 1 Homeros und Empedokles zu­
gleich entschärfen will, mischt sich Trocken-Warmes (Aphrodita) einfach mit Nass-Kaltem
(Ares) .
2 [Plut.] Vit. H o rn . B 1 02. Dazu Wehrl i , 1 928, 3 4 f.
3 [Plut.] Vit. Horn. B 96.

4 Arist. De cael. 1 3 , 27oa21 -24. Dazu Kingsley, 1 995, 1 8.

5 I I . XIV 352. Post coitum omne animal triste trifft Zeus zum Glück noch nicht.
6 Plut. Quomodo adol . 4, 1 9f-20b. Dazu Marrou, 7 1 98 1 , 1 254.
7 Plut. De def. or. 1 5, 41 6f-4 1 7a.
8 Lamberton, 1 997, 36-54.

1 22
phenprosa. 1 So erbte Rom , die Hauptstadt ohne Logos, ohne Mythos, von
Alexandreias Phi lologen eine Sagenbibliothek, die es erlaubte, literarische
Tragödien aufzufü hre n , deren Götter nurmehr leere Namen ohne Kultort wa­
ren. 2 So machten schliesslich christliche Rhetoren i h r ganzes unverdientes
Geld mit einem Trick, den erst der letzte G riechen kaiser so gnadenlos wie
höflich aufgedeckt hat. Sie reden (schreibt Julianus) ihren Schü lern, mit de­
nen sie (auch sie) Homeros und Hesiodos lesen m üssen, schon um Beamte
aufzuziehen, eine blanke Lüge ein: Alle Göttin nen und Götter seien allego­
risch ausgesagt. Es gebe ja nicht sie, sondern nur den einen Vatergott, den
der Kaiser seinerseits « Fiktion » nennt.3 Deshalb verspricht das Edikt von
362 den « Galiläer n » (wie Julianus Christen durchgängig verspottet) , er wer­
de sie und ihre Lehren nicht (wie Nero, Hadrianus und zuletzt der grosse
Diocletianus) gnadenlos verfolgen, sondern sei im Gegenteil gewillt, Kirchen
und Gemeinden zu beschützen.4 Nur die infame Praxis, für unverschämte
Götterleugnung auch noch Schulgeld einzunehmen , untersage er, der Kai­
ser. Pfaffen dürften Lu kas u nd Matthäus allegorisch deuten, aber nicht Ho­
meros. 5

Niemals zuvor, niemals danach waren Denke n , Herrschen und Erziehen


derart eins.

Nun gut. Wahrscheinlich hatten reiche Eltern i n Athen u nd Rom , die christli­
chen Sophisten die Verdummung ihrer Kinder lange vor Julianus auch noch
zahlten, gute • soziokulturelle• Gründe. Wer im späten Kaiserreich Beam­
ter werden wollte, musste Dichter wie Homeros einfach ken nen. Sollen Ha­
bermasadepten an solchen Widersprüchen ihre Federn wetzen . Uns liegt
anderes im S i n n . Aphrodita, die Verpönte, ist seitdem auf einer Flucht, die
hinreisst. Sag , heisst das Liebe?

Wir scheinen jedenfalls, wie wir so lebe n , aus Wortspielen von langer Hand
gemacht. Begriffsgeschichte ist kein Wort dafü r. Wie wär es mit diskursi­
vem Terror? Allegorie, Metapher, Gleichnis . . . - jedes Wort ein Schnitt ins
Fleisch , jedes Wort ein Schritt zu kalter Linguistik.

«Zweifellos m üssen wir zwischen Zeichen und Simulacren eine strenge


Scheidung treffen. Beide rühren nicht aus derselben Erfah rung, selbst wenn
sie sich zufällig manchmal überlagern. Das Simulacrum bestimmt ja kei nen
Sinn ; es zählt zur Ordnung des Erscheinens, das i n der Zeit aufblitzt : Er­
leuchtung des M ITIAGS und Ewige Wiederkehr. Die griechische Religion

1 Plut. Quomodo adol. 1 4, 37b.


2 Dupont, 1 985, 1 45, 1 68-1 72.
3 Julian. Adv. Gai. 39a; vgl . Ep. 1 8, 450d.
4 Ep. 41 , 438bc.
5 Ep. 36, 422a-424a. Vgl. auch Or. I I , 74d-75a. All das spricht gegen Kojeve, 1 990.

1 23
kannte vielleicht nur Simulacren. Erst die Sophiste n , hernach auch Stoiker
und Epikureer haben diese Simulacren als Zeichen lesen wollen - eine spä­
te Lesart, bei der die Götter sich entzogen . Die christliche Exegese, deren
Heimstatt Alexandreia ist, hat diese Auslegung beerbt . » 1

Sokrates hat von solchen Notlösungen gehört und verwirft sie doch. Er
n i m mt ja, anders als Sophisten um i h n , für seinen kleinen Daimon Eros kei­
ne Silbermünzen an . Selbst wen n alle Göttersagen , wie Homeros sie uns
Griechenherzen erst ersu ngen hat,2 philosophisch wahren Hintersinn ver­
bergen sollte n , würden sie der Schule von Athen nicht helfen, ihre Kleinen
hi nters Licht zu führen. Denn Kinder wissen wie der eisige Pilatus, dass was
dasteht dasteht: «Ö yeypacpa yeypacpa. » 3 Weg von den Göttern also, vor­
wärts zur Metapher, die eben sie noch n icht durchschauen : in eine seitdem
sogenannte Ki nderunschuld. Freud hat fast n ichts von dem , was seinen gu­
ten Zorn entflammte, je begriffen. Er glaubte ja, wie alle die Idioten oder
• Ei nzelnen• vor i h m , n icht an Freiheit, Grenze u nd Musik. Sondern nur wie
Sokrates an Zwang und Einschreibu ng. Also fand erst Aristoteles mathe­
matisch sauber zum Begriff Metapher, 4 Sokrates dagegen bloss zum ersten
Waschzwang der Geschichte.

'0 yap veoc; OUX oT6c; TE: Kpive:1v Ö Tl TE: un6vo1a Kai Ö µri. a"M.' ä äv
Tl')AIKOÜToc; WV Aaßn ev Tale; ö6�a1c; ÖUO€KV1m6 TE: Kai aµe:TOOTOTa
cp1A€i yiyve:o8a1.
Denn der Junge weiss noch n icht zu scheiden , was H i ntersinn ist und
was n icht; aber was er schon so klein ins Meinen aufnimmt, wird gern
schwer auswaschbar und unveränderlich .5

1 Foucault, 1 994, 1 3 3 0 f. : „ sans doute faut-il etablir un partage rigoureux entre signes et
simulacres. II ne relevent point de la mäme experience ml!me s'il leur arrive parfois de se
superposer. C'est que le simulacre ne determine pas un sens; il est de l'ordre de l'apparaitre
dans l'eclatement du temps : illumination de Midi et retour eternel. Peut-etre la religion grec­
que ne connaissait-elle que les simulacres. Les sophistes d'abord, puis les stoiciens et les
epicuriens ont voulu lire ces simulacres comme des signes, lecture tardive ou les dieux
grecs se sont effaces. t.:exegese chretienne, qui est de patrie alexandrine, a herite de cette
interpretation . » Grosse wahre frühe Sätze gegen alle Christentümer, selbst wenn « religi­
on grecque„ gründlich i n die Irre führt: Religio, ob nun als · R ückbindung• oder · Relektüre•
gelesen, gibt es erst, seitdem den Göttern (von Platon bis zum römischen Senat) Simula­
cren und Verwandlungen verboten sind. Dass das Lateinwort simulacrum den Götterhimmel
G riechenlands daher von vornherein verfehlt, ist den (katholisch ferngelenkten) Helden un­
serer Jugend noch entgangen . Wir kommen in Band 1 1/1 darauf zurück.
2 Hdt. 1 1 53 und dagegen PI. Resp. X 7, 606e ; vgl . Curtius, 4 1 963, 2 1 1 f.
3 Joh. 1 9, 22: « Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben . »
4 =? 3.2.2.2.5.
5 PI. Resp. I I 1 7, 378de. Dazu Wehrli, 1 928, 89: „Dies kann nichts anderes heißen, als daß
Platon Homer-Auslegungen kannte, die in den frivolen Geschichten einen geheimen Sinn
entdecken wollten, um sie vor Anklagen der Unsittlichkeit zu schützen ."

1 24
So „liefert Platon selbst Beweise, dass Homeros' Werke zu seiner Zeit i n Al­
legorien gelehrt wurde n , obwohl er diese Tatsache in einem Kontext erwähnt
(oder Sokrates erwähnen lässt) , wo Homeros als G ru ndlage der Kinderer­
ziehung angeschwärzt wird , gleichgü ltig ob seine obszönen Geschichten
von den Göttern i n allegorischer Form erzählt sind oder nicht."1 Das geht
an Platons beiden Poi nten knapp vorbei : Erstens prüft Erziehung seitdem
alle Tafel n , Bücher, Platten , Algorithmen noch einmal, u m früh geprägte Kin­
der umzuprägen . Zweitens lässt sich gerade Kindern (streng nach Platon)
nie ausreden , dass Peterchen zum Mond gefahren ist.

Deshalb sind frühe Ch risten Platon auch so dankbar, dass er das Liebes­
glück der Götter aus seiner Schönstadt feierlich verbannt. Denn von i h ren
ahnu ngslosen Heideneltern müssen sie die Sagen oder Fabel n schon als
Ki nder hören, als Anwärter auf höhere Beamtenstellen aber auch noch
selbst auswendig lernen.2 Es wird fast zum Rhetorenspass, Sagen zu ent­
larven oder zu verteidigen.3 Erst das Ch ristentu m als Staatskult tilgt all diese
Kinderlüste oder Schü lerqualen .

Dichtung also heisst imstande, Kindersinn u nwandelbar z u wandeln ; er wür­


de Göttinnen und Götter nachah men, die sich genauso unaufhörlich wan­
deln. Damit das niemals eintritt, Sokrates mithin das Wort behält, bleiben
Götter der Idee, für die sie stehen, gleich, Kinder aber ab sofort vom Wort
des Dichters, der uns alle lesen machte, abgesch nitten. Platon wil l , dass wir
nur Platon lesen : « I n Kallipolis ist Homeros n icht erlaubt. »4 Dionysios von
Halikarnassos, der klügste Grieche, der am Hof des ersten Römerkaisers
dachte, schrieb und lehrte, hat diese Philosophenselbstsucht klar durch­
schaut. Uns zu Europäern macht nur eine Herku nft : der aufgeschriebene
Gesang.

�V yap. �V ev rfi nA6rwvoc; Q>UOE:I noMac; ape:rac; exouon TO Q>IAOTl­


µov. eör)AWOE: öe TOÜTO µ6A10Ta ÖIO rfjc; npoc; "'0µ11pov �l1AOTuniac;.
ÖV eK rfjc; KCTaOKE:Ua�oµevric; un' aUTOÜ nOAITe:iac; €Kß6Me:1 OTe:q:>a­
vwoac; Kai µupq.> xpioac;. wc; öfi TOUTWV aurc:;> öeov eKßaMoµevq.>.
öl' öv r; re: äMri naiöe:ia näoa napfjA9e:v e:ic; r6v ßiov Kai re:Ae:urwoa
Q>IAOOOq:>ia.
Denn i n Platons Wesen lag bei aller Kraft doch Eh rbegier. Die zeigte

1 Lamberton, in Porphyrios, 1 983, 1 6 : „Plato h imself provides evidence that the works of
Homer were taught in allegories in his time, though he mentions the fact - or has Socrates
mention it - in the context of denouncing Homer as a basis for the education of the young,
whether his obscene stories about the gods are in the form of allegory or not."
2 Min. Fel . Oct. XXI I I 1 -7.
3 Suet. Rhet. 1 .

4 PI. Resp. 1 1 1 7, 378d .

1 25
er zumal i n seiner Eifersucht auf Homeros, den er aus der Idealstadt
warf, nachdem er ihm Kränze gewunden und mit Myrrhe gesalbt hatte.
Als hätte Homeros, da Platon i h n hi nauswarf, solchen Lobspruch nötig ,
wo doch alle Bildung durch ihn i n u nser Leben kam - und am Ende/als
Vollendung auch Philosophie. 1

Dichterfreie Schönstadt, „judenfreies Cafe",2 „rauchfreier Bahnhof".3 Wer


räu mt uns wieder Freiheit ein u nd Liebe - wen n nicht der Raucher Heid­
egger und dank ihm wir selbst?

So sind wir denn mit Sokrates, der plappernden Sirene, durch . Er verdient
n icht mehr. Warten wir auf Aristoteles i n seiner heilig n üchternen Helle. Al­
les Schönere - vor seiner Rekursion i n der verzweifelten modernen Lyrik -
wird für Jahrtausende verloren gehe n . Denn die Komödie, als sie n icht etwa
sich beweinte, sondern ihre grosse Schwester, die Tragödie, hat das Unheil
schon vorhergesagt.

xapiev oliv µri I:wKp6Te1


napaKa9fiµevov 'Aa'AeTv,
6noßa'A6vra µouo1Kf}v,
Ta Te µE:y1ora napa'A1n6vra
Tfic; Tpaycpö1Kfic; Texvric;.
Schön ist's nicht sich plappernd
neben Sokrates zu legen ·
die musik hinauszuwerfen
und das grösste wegzu lassen
aus der tragödienku nst.4

1 Dion. Hai . Pomp. 1 gegen PI. Resp. III 308a.


2 Luxemburgischer Cafehauswerbespruch 1 940, entdeckt und vermerkt von Miller, 1 1 968,
1 00.
3 Die Deutsche Bahn, 2008 freiwillig in die Zwangsjacke weltweiter US-Terror-Gesetze ge­
gangen.
4 Dazu Nietzsche, KGA 1 1/4, 353.

1 26
3.2 Akadem ie und Lykeion

Sokrates hat seine Mutterstadt Athen aus freien Stücken nur einmal ver­
lassen, um an Wettkampfspielen bei Kori nthos tei lzunehmen . Siegerkränze
brachte ihm das nicht. Ansonsten kannte er die Ferne einzig als Hoplit: von
Schlachten bei Amphipolis, Delion und Potidaia . 1 Erst seine Schüler leb­
ten freier. Platon reiste dreimal nach Sizilien und einmal auch nach Libyen,
um Pythagoreerwissen zu erbeuten. Platons Meisterschüler Aristoteles ver­
schlug es durch die ganze, von Alexandras' Heeren aufgefaltete Koine. So
ward das kleine Attika zuletzt doch jenes grosse Griechenland, dem uns
die Schule blind verpflichtet hat: ein grösseres Athen. Den Rest besorgten
Römerheere, als sie zunächst Grossgriechenland und später dessen Mut­
terstädte in Schutt und Asche legten, Athen jedoch verschonte n .

Doch erst einmal g i ng e s daru m , Epheben i h ren Bräuten vorzuziehe n . Auf­


rüstung in Athen , bis schliesslich Nymphen nurmehr Wasseradern heissen
konnten.

„Im 6. J h . v. Chr. gründete der Staat Athen die drei berü hmten, außerhalb
der Stadt gelegenen Gymnasien : das der Akademie, des Kynosarges und
des Lykeion, i n denen die Epheben ihre m i litärische Ausbildung erhielten,
athletische Übungen veranstalteten und sonstigen U nterricht bekamen. Die­
sen vielfältigen Bestimmungen eines Gymnasiums entsprach ein Bedarf an
weitem Rau m , besonders für die Anlage des Dromos und anderer Wett­
kampfbahnen für die verschiedenen Arten m i litärischer, athletischer und hip­
pischer Agone. Aus diesem Grund wurden die Gymnasien i n freies Gelände
gelegt, und zwar i n die Nähe der schönsten Vororte, an den Ufern der atheni­
schen Flüsse. Wasser nämlich durfte bei Brunnen häusern und Bädern n icht
fehlen und diente auch für den U nterhalt von Gärten und Pflanzunge n , die
den Jünglingen bei Übung u nd Entspannung erfrischenden Schatten bo­
ten ."2

1 D. L. 1 1 22 f. Dazu Gigon, 1 986, 1 47.


2 Travlos, 1 97 1 , 345.

1 27
3.2.1 Platon

Plus l'homme cultive les arts, moins i l bande.


Baudelaire, Mon camr mis a nu

3.2. 1 . 1 Auf Reisen

Plato n , anders als sein Lehrer, kam aus besten Häusern . Ariston, der Va­
ter, gehörte dem berüh mten Stamm des Kodros an, Periktione, die Mutter,
dem noch älteren des Solo n . Schon daher flössten i h m die Bienen, die auf
Platons Kinderlippen flogen, am Hymettos Honig und Musik ein . 1 Schon
daher ging der Jüngling bei berühmten Musikern in Lehre.2 Platon lernte
Leier spielen u nd (wie Sophokles) mit « leiser Stimme» singen : Er schrieb
Lieder, Dithyramben und Tragödien, deren Rollen er jedoch verbrannte, um
mit zwanzig als erträumter junger Schwan bei Sokrates zu landen .3 Anstatt
vernichteter Tragödien trat der platonische « Roman » als Prosadialog .4 So
fanden leere Reden ohne Melos, Rhythmos, Harmonie, wie Sokrates sie
auf dem Marktplatz schwang , doch noch in musikalisch ausgehörte Ku nst­
prosa. 5 Am Tag nach Platons Tod durften seine Schüler letzte u nvollendete
Entwürfe sehen. Auf einem kleinen Schreibblock (öE:Arov) stand der erste
Satz der Politeia - in jeder rhythmisch möglichen Wortstellung.6

Und erst neun Jahre später, als Sokrates i m Kerker Philolaos' Musikharmo­
nie bestritt, kam Platon von der Sirene seiner Ohren los. Er blieb der bitte­
ren Abschiedsszene zwischen Sokrates und seinen Schü lern « krankheits­
halber» fern ,7 verkaufte eine ganze Ölbaumernte8 und verreiste mit dem
Geldgewinn für lange Jahre aus Athen. Seitdem gehen Phi losophen auf die
Schiffe. Aber n icht, wie viele meinen , u m i n Sizilien eine ideale « Schönstadt»
aufzubauen , sondern u m erst einmal nachzuholen , was Platons Lehrer Kra­
tylos9 u nd Sokrates ihm beide niemals hätten übergeben können : Mathema­
tik. Der Ruhm Athens beruht fast nur auf Wissenseinfu h r (wie der der USA) .

1 � 1 . 1 .2.2. Über Bienen und Dichter siehe PI. Ion 534ab.


2 [Plut.] De mus. 1 7, 1 3361, nennt neben dem Athener Drakon auch einen Metellos von Akra­
gas, der wohl Pythagoreer war. Nahm also der Banause Sokrates Platon aus demselben
Grund zum Schüler wie Aristoteles den Musiker Aristoxenos? Weil sie von Klängen selber
nichts verstanden ?
3 D. L. 1 1 1 1 -5. Auf diesen « musikalischen Schwan » , der im nächsten Leben wieder Mensch
wird, spielt PI. Resp. X 1 6, 620b, an.
4 N ietzsche, [ 2 1 872 § 1 1 ] KGA 1 1 1/1 , 89 f. Siehe auch Borges, 1 964- 1 966, V I I I 1 58
= dt. 1 980-
1 982, V/2, 1 1 8.
5 Arist. bei D. L. 1 1 1 37. Das war, wie Gigon, 1 986, 1 47, richtig anmerkt, von Aristoteles „gewiss
nicht als ein Kompliment gemeint".
6 Dion. Hai. De comp. verb. 25. Das (legt Dionysios nahe) war die Urszene der « Philologen » .
7 P I . Phd. 59b.
B Plut. Vit. Sol . II 4.

9 Arist. Met. A 6, 957a29.957 b 1 .

1 28
Deshalb führte Platons erste grosse Seefahrt - wo schon nicht nach Ägyp­
ten - zunächst ins libysche Kyrene, zum Mathematiker Theodoros, 1 danach
von Afrika nach Taras, wo er Eu rytos und Archytas zu Gesprächen traf, Phi­
lolaos' hinterlassene Bücherrollen aber bloss erstand .2 Auf dem Weg von
Taras nach Sizilien, Platons letztem Reiseziel, lag schliesslich Lokroi • u n­
term Westwind • , wo er Echekrates, auch Philolaoshörer, und andere « letzte
Pythagoreer» wie Timaios getroffen haben soll.3 Deshalb lernte Platon doch
noch , was Sokrates so bitter abgegangen war : «Zahlenwissen, Geometrie
u nd Harmonie » .4 Deshalb gelangen erst dem Hörer auf Theodoros, Archy­
tas und Timaios fortan statt blosser Dialoge mathematische Gedankengän­
ge. Ein Brief an Dionysios, den der Tyran n doch bitte gleich verbrennen soll­
te, tat das bündig ku nd : Mit dem Ruhm des jungen Sokrates i n Büchern
u nter seinem, Platons, Namen sei von nun an Schluss ! Er schreibe fortan
selber.5

Also müssen auch wir zwei ein zweites Mal damit beginnen, Platon selbst
zu lesen u nd ihn von Sokrates (so gut es geht) zu u nterscheiden. Mit einer
Sphärenharmonie, die niemand hört, hat nämlich Platon erst die Christen­
heit beglückt. Musik verschwindet an den Himmel. Diese furchtbar lange
Auszeit oder Stille heisst uns mit Heidegger Metaphysik. Wir stehen sie
durch, bis Musik wieder hörbar wird und Mathesis verwandelt wiederkehrt:
i n Europas hohem Mittelalter.

3.2. 1 .2 Ein Musenhain des Wissens

Nach i h rem Doppelsieg bei Eu rymedon - zu lande wie zur See - fiel den
Athenern überreiche Perserbeute zu. Sie konnten an der heiligen Strasse
nach Eleusis ein Gymnasion verschönern , das seit je den Helden Akade­
mos ehrte, und auf der Agora die Stoa Poikile, eine neue • bu nte Wandelhal­
le• bauen. U nweit östlich vom Akademos lag zudem der u nbetretbar dunkel­
schöne Hai n , i n den die beiden Todesgöttinnen einst Oidipus berufen hat­
ten.6

1 D . L. 1 1 1 6 ; dazu Heath, 1 92 1 , 1 23.


2 D. L. I I I 9. Damit widerlegt Diogenes Laertios den eigenen Widersinn, Platon sei noch Phi­
lolaos selbst begegnet ( D. L. 1 1 1 6 ; dazu Gigon , 1 986, 1 52- 1 56 . ) : Pythagoreisch schliessen
Lesen und Vernehmen ja einander aus. Wir vermuten also, dass der wirre späte Doxograph
Philolaos mit Archytas verwechselt hat. - Leo Spitzer, Classical and [!] Christian ldeas of
World Harmony. Prolegomena to an I nterpretation of the Word Stimmung. Baltimore 1 963,
1 5, überliest diesen ersten nachweisbaren Buchkauf der Geschichte, um alle echten Philo­
laosfragmente platonisch zu missdeuten.
3 6 DK 44, A 4.

4 Cic. Rep. 1 1 0, 1 6 ; vgl . auch Cic. Fin. V 29, 87.

5 PI. Ep. II, 3 1 4c. Se non e vero, e ben trovato.

6 <= 1 .4.3.3.2. Dazu Travlos, 1 97 1 , 42 und 1 64.

1 29
PLATONS AKAD E M I E , UM
1 83 0 E RTRÄUMT

Nach bösem Streit mit Platon liess Dionysios der Ältere, Tyrann von Syraku­
sai , den Denker auf dem Sklavenmarkt verkaufen. Marktplatz war, fast wie
zum Hoh n , die I nsel Aigina, Platons vermutlicher Geburtsort. 1 Doch statt
aus ihrer Beute gutes Geld zu machen , brachten i h n die Aigineten beinah
u m . 2 So glühend bran nte damals noch der Hass auf die Kleruchen , Perikles'
landnehmende Athener.

Von einem reichen Freund errettet u nd «für 20 oder 30 Minen » freigekauft,3


keh rte Platon nach Athen zurück und kaufte nahe beim Gymnasion einen
Garten, den er den Musen weihte. Einer schöneren Version zufolge waren
es die « Philosophen » aus Grossgriechenland, also wohl Archytas und die
Seinen , die Platon für 20 Minen aus der Sklaverei befreiten , u m ihm (wie
Archytas selber) einen Tempelhain im kleinen Griechenland zu schenken.4
Denn wer n icht auf dem Marktplatz plappert, sondern i n der Gunst der Mu­
sen steht und lehrt, muss auch keinen Schierlingsbecher fürchten.

Auf jeden Fall fand sich ein Garten reinen Denkens. Der Preis: 3000 Drach­
men oder wieder 30 Minen.5 Am Eingang : ein Altar für Eros (und nicht

1 D. L. 1 1 1 3.
2 D. L. III 1 9. Über diese böse Kontingenz scheint Platons grösster Schüler mild zu lächeln :
« Es gibt also für das Akzidens keine bestimmte, sondern nur eine zufällige Ursache, d. h .
e i n e unbestimmte. Es war z. B. f ü r jemand e i n Akzidens, nach Aigina zu kommen, wenn e r
nicht deshalb hinkam, weil er hinkommen wollte, sondern vom Sturme verschlagen oder von
Räubern gefangen. Denn das Akzidens ist geworden und ist, aber nicht insofern es selbst,
sondern insofern etwas anderes ist; denn der Sturm war Ursache, daß er anderswohin kam .
als wohin er wollte, nämlich nach Aigina. " (Arist. Met. t:i. 30, 1 025325-29)
3 D. L. 1 1 1 20.
4 Diod. Sie. XV 6, 7.
s Plut. De exil. 603bc.

1 30
Aphrodita) . 1 I m Garten selbst: Altäre für Athena und Prometheus, Herakles
und jene Nymphen , die wie im Phaidros Musen heissen .2 Die Akademie
war mithin ein Temenon und ein Nympheion - wie alle Weisheitsliebe seit
Pythagoras. Wir hätten ihre Gründung « als eine platonische I mitation des
Pythagoreischen Bundes zu begreifen » ,3 wenn sie nicht (wie nachmals eu­
ropäische U niversitäten) Frauen ausgeschlossen hätte.4 Das Wissen von
Musik jedoch, wie es der junge Platon Drakon und Metellos dankte, der alte
Theodoros und Archytas, fand im Nympheion eine neue Stätte : Dank hoher
Geldgeschenke aus Sizilien konnte er die Aetroupyia, das höchste « Werk
am Volk» erbringe n , 5 das die Polis von Athen vergab: Ein Ephebenchor mit
Doppelaulos, Tanz und Maskenpracht war übers Jahr hin zu bewirte n , ein­
zuüben , auszustatten , bis dann beim grossen Weingottfest den Musen wie­
der Dank des Denkens floss. Zwar nicht mit selbst gedichteten Tragödien,
aber doch . . .

3.2. 1 .2.1 Das zweite Quadrivium

Platon, i n Attika zurück, schliesst also zum zweiten Mal den Kreis, den Ar­
chytas gefugt und Sokrates gesprengt hat. Es geht der Akademie nicht bloss
(wie Sokrates einst auf der Agora) um wahre Lust und gutes Leben, also den
Zusammenfall von Gru ndschulwissen, Knabenliebe, Polis. Figuren und Pla­
neten, Zahlen und Musiken treten als «freie Bildung» wieder zum System
zusammen, weil pythagoreisches Musikzahldenken ihrer aller Einheit wie
ein « Band » umschliesst.6 N icht einmal Sokrates hat ja gewagt, dem Ägyp­
ter Theuth neben Arithmetik, Geometrie und Astronomie auch noch Musik
zu unterschieben.7 Griechen , kann Platon daru m schreiben, machen alles,
was sie vom Morgenland erlernen, schöner.8

So wissen wir denn erst aus Platons Feder, wie sich die Charis namens Har­
monia in den ganzen Zahlen zwischen Sechs und Zwölf am Werk erweist.
Wir bauen einen Kasten , über den wir eine und nur eine Saite spannen. Das

1 Dass eine Inschrift über diesem Eingang allen Ungeometern den Zutritt wehrte (Tzetzes,
Chiliad. V I I I 973 : µr,öek; ayewµE:rpriro<; eioirw µou ri'}v orE:yr,v) scheint byzantinisch späte
Sage.
2 Paus. 1 30, 1 f.
3 Nietzsche, ( 1 87 1 /72] KGA 1 1/4, 47.

4 Alten Gerüchten zufolge fanden Frauen allenfalls in Männerkleidern Einlass (D. L. I I I 46;
dazu Hopfner, 1 938, 1 381 ) Nur Epikuros' « Garten » , wie ja schon der Name sagt, stand in
.

Athen auch Frauen u nd Hetären offen - zu Worten wie zu Taten ( D. L. X 5-7).


5 Plut. Vit. Dien. XVI I 2.

6 PI. Epin . 991 e <= 2 . 1 . 1 .3. Siehe auch Leg. V I I I 8 1 7e.


7 Phdr. 275b.
8 Epin. 987de. Ob die Epinomis von Platon oder einem seiner Schüler stammt, können wir
dahingestellt sein lassen.

1 31
heisst auf griechisch Monochord (TAFEL XXIV) . Wir nennen dieses Mess­
gerät jedoch m it den Assyern Kanon, wei l es an hohles Schilfrohr irgendwie
gemahnt. Wir tei len seine Strecke, die der Saite einer Kithara entspricht, in
zwölf gleiche Teile. Zwölf sei der Grundto n , Sechs selbstredend die Okta­
ve, während Neun zur Quinte wird u nd Acht zur Quarte. Dann lässt sich
der ägyptische Seiltrick, der ja den rechten Winkel auch mit zwölf Knoten
konstruiert hat, zur allgemeinen Kithara erweitern. Auf dem Kanon dieses
straff gespannten Monochords, den Platon klarerweise von Archytas über­
n i m mt, 1 beruhen alle Sänge, Feste, Musentänze.2 (Dass dagegen Sokrates
im U nterschied zu Platon vom Monochord noch keine Ahnung hat, belegen
seine Worte, Baukunst sei dank Richtscheit (Kavwv) , Zirkel, Schnur und
Hobel viel genauer als Musik.3) Wir wissen also nur, was mathematisch ist:
beim Zählen mit dem Ziffernalphabet, beim Messen mit dem Monochord ,
beim Wägen m i t Gewichten, die ja Saiten spannen oder «Stimmen » kön­
nen.4 Alle «Technik» ist auf diesem Weg gefunden ;5 allen Trug - etwa den
der Lichtstrahlbrechung oder auch verzerrter Malerperspektiven - rechnet
das Quadriviu m wieder weg .6 Wären wir doch algorithm isch schon i n jedem
Fal l soweit !

N u r seiner Sternenkunde kann auch Platon keine Technik zuerkennen.


Sternumläufe lassen sich n icht messen oder wägen , sondern einzig zählen.

Doch seit die M usen h i m mlisch wie Ideen sind, gilt auf einmal die Musik
n icht mehr als U rsprung allen Zahlendenkens. Aus den acht Saiten der Ok­
tave werden notgedrungen acht Gestirne. Platon mag den Schierlingsbe­
cher seines Lehrers ja n icht leere n .

1 Szab6, 1 969, 1 58 .
2 PI. E p i n . 991 ab.
3 Phlb. 56bc.
4 Diese Rückführung von «Zählen, Messen, Wägen » ( Phlb. 55e, Xen. Mem. 1 1 , 9) auf drei
von vier Teilen des Quadriviums danken wir Boeckh, 1 8 1 9, 86 f. Kein Wunder, dass die
Weisheit Sa/omons, derzufolge Gott alles nach Mass, Zahl und Gewicht eingerichtet hat
(Sap. 1 1 , 20) , nicht hebräisch oder aramäisch geschrieben ist, sondern immer schon in
Philolaos' Griechisch ( Fredel , 1 998, 85-94) . Nur warum „wird man, um die Tradition über
Platon zurückzuverfolgen , nicht einmal die Pythagoreer bemühen müssen"?
5 PI. Phlb. 1 6c ; Soph . fr. 432 Radt.
s PI. Resp. X 5, 602c.

1 32
3.2. 1 .2.2 Musik auf Erden

puoµ6c; 6v9pwnouc; exe1


fuge hält uns menschen
Archilochos, Ir. 67 D

Platons Schönstadt heisst vor allem deshalb so, weil sie nur schöne Reden
und Musik verstattet. Was den Gesang an langt, kann sie bestimmen , welche
Harmonien u nd Rhythmen zugelassen sind u nd welche nicht. Sie verbietet
daher (beinah tautologisch) alle Reden , die n icht M imesis des Logos sind,
sondern (wie Timotheos) auch Geräusche nachmache n : Keine Stimme darf
so tun , als sei sie Donner, Hagel, Au los, Wagenachse, Vogel oder H u n d . 1
· Der Mensch • a l s rei nes �c;>ov "ll.6yov exov ist e i n e Züchtung seiner Denker.

Nur um diesen Schwachsinn auszuhebe l n , und zwar mit Stellen grosser


Dichter, schreibt Dionysios von Halikarnassos seinen unbegreiflich schönen
Aufsatz, wie Laute sich zu Worten fugen. Da lässt Homeros wieder Silben
rauschen wie die Brandung oder poltern wie die Steine, die Sisyphos i m
Hades wälzen muss ; d a wählt Pindaros jeden seiner Laute streng u n d rauh .
Das Alphabet der G riechen fängt e i n letztes Mal z u singen a n . U nd alles das
(lässt Dionysios uns am Ende wissen) war schon in Sapphos Liebe zu den
Fraue n , Silben und Vokalen eins: in Aphroditas Tem pelhain aus Honig , Har­
monie und Charis.2 Deshalb und nur deshalb ist Sapphos fr. 1 , von Dionysi­
os liebevoll kopiert und durchgehört, ausnahmsweise eben kei n Fragment.
Wir bitten daher unsere Leser, diese tastenden Bemerkungen zur ruvaeo1c; rwv
ovoµarwv u m neue Dissertationen oder Habilitationsschriften zu ergänze n .

Nun jedoch u mfasst M u s i k nicht nur die Teile, die Sokrates selbst regeln
oder vielmehr trennen kann : den Logos und den Mythos.3 Zuerst hat er die
Mythen ausgeschieden, i n denen Götter sich zu Tieren wandel n ; nun schei­
det er die Reden aus, m it denen das auch Menschenstimmen tun. Allein was
ist, wen n uns Musik als solche aufspielt, unbegleitet? Aulos, Syrinx, Kithara
und Lyra ganz allein ? •Absolut„ wie es ab 1 800 heissen wird? Da kommt
Sokrates, weil er «die Harmonien nicht ken nt » ,4 ans Ende seiner Halbbil­
dung. Er muss den schönen ju ngen Glaukon fragen, der schon als Platons
jü ngerer Bruder den « Musiker» vom Dienst abgibt.5

Platon, wie wir wissen, tritt in seinen Dialogen niemals auf. Daher springt
Glaukon als sein Sprachrohr ein, um pythagoreisch klares Musikwissen dem

1 PI. Resp. III 9, 396e-397d ; vgl . Leg . I I 670a.


2 Dien. Hai. De comp. verb. 20-23.
3 PI. Resp. I I I 9 , 398b. Dass diese Trennung erst platonisch ist, zeigt Fournier, 1 946, 2 1 6 .
4 PI. Resp. I I I 9 , 399a.
5 Resp. 1 1 , 327a, und I I I 9, 398e ; vgl . D. L. I I I 88.

1 33
Narren Attikas zu bringen. Wir lernen erstens, dass die Harmonie nicht nur i n
Menschenkehlen haust, sondern auch i n I nstru mente n , u n d dass e s zwei­
tens viele Arten (yev11) gibt, auf Saiten oder Löcherreihen die Oktave zu
durchlaufen. Glaukon zählt seinem Meister sechs solcher Arten auf, die
Stimmungen i n jedem Wortsinn sind : Sie walten n icht nur mathematisch
über Instrumente oder Lieder, sondern stim men je und jäh auch das Ge­
müt der Hörer. 1 Wenn der Au los lydisch oder hyperlydisch spielt, sind wir
selber hochgespannt i n Klage oder Jammer ; wen n die Au losspielerin auf
Trinkgelagen ionisch oder lydisch i ntoniert, fühlen wir uns weich (µaAaK6v)
herabgestimmt wie einst Odysseus durch Kalypso.2 N u r wenn die Kithara
nach alter Sitte dorisch spielt, macht sie seit Terpandros Spartas Kriegern
Mut zu Kampf und Tod . 3 U mgekehrt schenkt Phrygisch Frieden und Beson­
nenheit, wen n Musik die Götter bitten oder aber Menschen lehren soll.4

Uns lässt Glaukons Musikkenntnis anfangs völlig ratlos. Wir wissen zwar,
dass Pythagoras u nd nach ihm Philolaos, statt wie wir aus Halbtonelemen­
ten Ton leitern zu türmen , die einfache Oktave namens Harmonie i n ihre sie­
ben Töne ausgefaltet habe n . Wir wissen auch schon, dass Archytas auch
die beiden Tetrachorde, die die Oktave fugen, auf drei verschiedene Arten
mathematisch durchgerechnet hat : diatonisch, enharmonisch und chroma­
tisch . N u n lernen wir erstau nt von G laukon, dass die Musik der Griechen
noch eine zweite Art Dreiteilung kennt, deren letzte Trümmer uns als Dur
und Moll vertraut sind. Dur heisst, dass der erste Halbton erst nach dem
dritten Schritt erkli ngt; Mol l , schon nach dem zweiten. Kom m , schm ieg dich
an , leg eine alte Platte auf u nd höre !

Die vielen Stimmungen , von denen G laukon spricht, erlauben es dagegen ,


jene beiden Halbtonschritte an jeden ccOrt» (r6noc;) i n der Oktave zu verle­
gen . 5 Entweder lässt der Spieler alle Saitenspannunge n , wie sie von Haus
aus sind, das klingt dann dorisch oder phrygisch. Er kann sie aber auch um
einen Halbton straffer oder weicher spannen , womit uns schon vom Tonge­
schlecht her Jammer oder Jubel anfällt. Musik als µeAoc; fährt i n Leibesglie­
der (µeAea). Deshalb rü hrt das erste Wort ja auch vom zweiten.6

1 Lehmann, 1 970, 64.


2 <== 1 . 1 .2.3.2. 1 .

3 Resp. 1 1 1 9, 398d-399a; vgl. [Plut.] De mus. 3, 1 1 32c.

4 Resp. 1 1 1 9, 399bc. Dass erst Platon zwischen Hymnen an Götter und Menschen unterschei­
det ( Resp. X 8, 607a) , zeigt Ford , in Morris/Powell, 1 997, 408.
5 Für zahllose mathematische, aber auch begriffliche Einzelheiten verweisen wir auf Leh­
mann, 1 970, 27-87.
6 Lehmann, 1 970, 7 f„ zu Parmenides, 6DK 3 1 , B 1 6. Wir Deutsche könnten wortspielend
auch (G) Lieder schreiben. Doch das trifft die Unschuld nicht, wie sie aus Gliedern Lieder
macht.

1 34
Oktave, Tetrachordeinteilung, Tongeschlecht - so «vielfach » wie nur noch
das « Sein als solches» 1 sagt sich den Griechen also apµovia. Noch steht
kei n Konzertflügel auf der Bühne, aus dessen längst gestimmten Saiten die
Tastatur nur einen festen •Tonvorrat• entlockt.2 Noch wagt sich umgekehrt
kein Komponist daran, den Flügel so (wie Gage) zu • präparieren„ dass reine
Klänge postmodern Geräusche werden. Musik i m Griechenland ist zugleich
freier und gebu ndener. Vor jedem Wettkampfspiel - i n Delphoi, Sparta und
zuletzt auch i n Athen - muss jeder Spieler vorentscheiden , wie er die Kithara
heut morgen stimmen wird : chromatisch , diatonisch oder enharmonisch . Er
huldigt damit jeweils einer der drei alten Musen .3 Diese Tongeschlechter
oder Freiheitsgrade haben griechische Musik so unerratbar schön gemacht,
so orphisch machtvoll über Steine, Tiere, Menschen u nd selbst Götter.

Eben darum wählt, nur strenger, Sokrates aus der von Glaukon aufgezäh l­
ten Vielfalt aus. Auch Harmonien als Tongesch lechter müssen sich dem Lo­
gos fügen . Da Menschen der Idee des Menschen u nterstehen , dürfen sie
n icht brüllen wie die Tiere oder lachen wie die Götter. Die Syrinx bleibt zwar
Hirtenwildnissen erlaubt, Grossstädten wie Athen jedoch allein die Kithara.
Denn eben weil der Aulos - unser Saxophon - alle Tongeschlechter und da­
mit Gefühle mimen kann , tragische und kom ische, verbietet ihn die Schön­
stadt.4 Der Grund fällt i n die Ohren : „Den Alten ist der Aulos das Aufregende,
während uns Flöte n , Schalmeien , Oboen die Stim m u ng idyllischen Friedens
male n ; u mgekehrt dienen uns die Saiteninstrumente, da sie gestrichen wer­
den , zum Ausdruck der Leidenschaft, während die antike, mit dem Plektron
geschlagene Kithara etwa den Charakter unseres Spinetts gehabt haben
mag ."5

Was seit Platon Werkzeug heisst, ein Ding i n unserem Dienst, sei es Name
oder Instrument, ist i n Wahrheit also keins. Wir lassen uns grad umgekehrt
von Instrumenten her bestimmen, steuern und berücke n : Hochstimmung der
Oktave drückt uns n ieder, Weichsti mmung auf den Trinkgelagen erhebt zu
Lust und Rausch . Nur reine diatone Stim m u ng lässt uns al ltäglich, wie wir
sind.6 Kei n Wu nder, dass Platons Schönstadt einzig Dorisch oder Ph ryg isch
zulässt. 7 Denn i n beiden Tongeschlechtern folgen Harmonien und Rhyth-

1 Arist. Met. E 2, 1 025a34, Dazu Guzzoni , 1 958.


2 West, 1 992, 1 1 .
3 Plut. Quaest. conv. IX 1 4, 2, 744cd. Gegen die gelehrte Neunzahl siehe auch Diod. Sie. IV
7.
4 Resp. III 9, 399d .
5 Graf, 1 907, 5. Siehe aber schon Wieland , [ 1 766 f.] 1 8 1 8- 1 828, IX 224 f. , über den eroti­
schen Unterschied zwischen Musen und Sirenen , Kithara und Aulos. - Auf das Oboensolo
in Berlioz' Symphonie fantastique (Op. 1 4, 1 00 ff. ) kommen wir zurück.
6 ·Alltäglich• im Wortsinn von Heidegger, 3 1 93 1 .
7 PI. Resp. 1 1 1 9, 399ab ; vgl . Leg . V I I I 8 1 2cd .

1 35
men - wie schon im Mythos oder Prosavortrag - der Idee (runoc;) des Lo­
gos . 1

A l s i n d e r späten Renaissance das wu ndersame Missverständnis aufkam ,


Monteverdis Oper sei die Neugeburt der attischen Tragödie, war ein Platon­
satz i n aller Munde: Das Orchester habe monophon den Menschenstimmen
nachzufolgen, statt polyphon den Kosmos darzustellen.2 Doch schon wei l
Griechen das Orchester g a r nicht kannten, sondern nur d i e Orchestra, ging
es Sokrates und Glaukon u m ganz anderes. Dorisch und ionisch heissen
klarerweise nicht nur Tongeschlechter, sondern auch zwei Stämme oder
Mu ndarten der Griechen. Dasselbe g i lt vom Ph rygischen und Lydischen ,
zwei Barbarendialekten. Die Tongeschlechter spielen also zwischen Ethos
und Eth nie, Gestimmtheit und Geworfenheit.3 Weshalb denn e9oc; und �­
Soc;, wie um das Spiel der sieben Stimmlaute zu feiern , aus derselben Wur­
zel stammen :4 einem alten Wort für Brauch und Sitte, die uns schon immer
halten. Da wo Tiere nächtens lagern, liegt ihr fi9oc;. So ccerschliesst» die
sogenannte •«blosse Stimmung• das Da ursprünglicher» als alles Wahrneh­
men und Denken.5 So heisst das Genos oder Tongeschlecht den Griechen
auch schlicht Nomos: u ngeschriebene •Verteilung• der Gefühle. Terpandros
selbst, als Sparta ihn um Kriegsmusik und H ilfe gegen die Messener bat,
kam zwar aus Sapphos aiolischem Lesbos ; die Stimmung seiner Kithara je­
doch hiess dorisch , weil sie dem alten Sparta musikgesetzliche Verfasstheit
(Kar601ao1c;) gab.6 Was uns erdet, ist Musik.7
Wir Armen können eine Polis, die schlechthi n auf Musik (statt Geld) beruht
hat, schlechthi n nicht mehr denke n . U nd das schon als leise Leser. Denn
„die Beziehung, die die Griechen zur Schrift u nterhielte n , kön nte i n der Tat
mit derjenigen verglichen werden, die wir heutzutage zur musikalischen No­
tenschrift unterhalten. Es ist n icht u n möglich , ein Musikstück schweigend zu
lese n , aber i m Normalfall wird man es singen oder auf einem Instrument
spielen , um zu hören , wie es klingt."8

1 Resp. I I I 9, 398d .
2 Resp. 1 1 1 1 0, 398d . Darauf kommen wir, auch bei Rousseau und seinem blinden Leser Der­
rida, zurück.
3 Zur Stimmung überhaupt siehe Heidegger, 3 1 93 1 , §§ 29-41 ; zu den yE:v11 griechischer Musik
als Mundarten Lohmann, 1 952, 47.
4 Arist. Eth. Nic. 1 1 1 , 1 1 038 1 7 1.

5 Heidegger, 3 1 93 1 , 1 36. Es brauchte aber erst Hans Ulrich Gumbrecht, um uns das wieder
wahr zu machen .
6 [Plut.] D e mus. 9 , 1 1 34b. Vgl . Plut. Vit. Lyc. I I I 4, 1 f.
7 Deleuze-Guattari , 1 980, 383 f. (über griechische Nomoi) und 4 1 8 (über Mahlers Lied von
der Erde).
s Svenbro, 2005, 23.

1 36
Das gilt auch i m U m kehrschluss : Um Staatsverfassu ngen zu stürzen, reicht
es völlig h i n , neue Nomoi einzuführen oder, schlimmer noch, viele schon ge­
stiftete zu einem Chorlied zu vermengen . So soll Sakadas von Argos seine
Chöre eingeübt zu haben, die erste Strophe dorisch , die zweite phrygisch
und die dritte lydisch anzusti mmen . 1 Eben diese Mischung aber heisst ver­
boten2 und bleibt auch Plato n , der den Zusam menbruch der alten Mu ndart­
grenzen am eigenen Leib erfahren haben muss, ein Greuel.3 Er prägt für
solche U mstü rze (wohl in Gedanken an Pythagoras, Kroton u nd Hippasos)
das folgenreiche Wort · Revolution • .

�öoc; yap KOIVOV µOUOIKf)c; µe:raß6Me:1v e:u>.aß11reov ciJc; ev ÖAy> KIV­


öuve:uora· ouöaµou yap KIVOUVTOI µOUOIKf)c; rp6no1 äve:u nOAITIKWV
v6µwv TWV µe:yiorwv, wc; cp11oi ßaµwv Kai eyw ne:i8oµa1.
Auf eine neue Art von M usik umzustellen ist so zu scheuen , als ob
es u m das Ganze ginge. Denn nirgends ändern sich Wendungen der
Musik, ohne grösste Satzu ngen der Polis [zu verändern]. So sprach
Damon, dem auch ich vertraue.4

Das ist Klartext. Fragt sich nur, woher er stammt, wohin er führt.

Damon war Athener von Geburt,5 vom Wissen her jedoch an Pythagoras
geschult.6 Er weiss also, wovon er spricht. Pythagoras mit seiner Stiftung
mathematischer Musik hat das Grosse Griechenland begründet, H ippasos
mit seiner N ichtzahl die erste musikalische Revolution erwirkt.7 Damon führt
den alten Perikles, Athens fast lebenslänglichen Strategen, i n die Musik ein,
aber hinter ihrem Schutzschirm zugleich i n die Tyrannis.8 Die Plebs droht
folglich wieder einmal aufzustehen , sti m mt gegen Damon ab und schickt ihn
ins Exil.9 So muss Perikles dem frommen Volkszorn nacheinander alle sei­
ne Lehrer opfern : Anaxagoras, Protagoras 1 0 und Damo n . Denn ihnen allen

1 [Plut.] De mus. 8, 1 1 34ab.


2 [Plut.] De mus. 7, 1 1 33b und 8, 1 1 34ab.
3 Resp. I I I 9, 399cd .

4 PI. Resp. IV 3, 424c. Vgl. Leg . I I I 701 a. Dazu Enzensberger, 1 963, I I 1 34, scharfsichtiger
als alle Philosophe n : „Einsichtiger als Platon hat kein Feind der Poesie ihre Wirkungen be­
schriebe n : unabsehbare Wirkungen, für niemand, auch für den Dichter nicht, kalkulierbar,
wie die eines Spurenelements oder einer Ausschüttung von winzigen Sporen. Platons War­
nungen sehen schärfer als alle bisherige Literaturwissenschaft".
5 PI. Lach. 1 80cd.
6 Damons musikalischen Stammbaum gibt [Plut.] De mus. 1 6, 1 1 36de.
7 {o= 2.2.2. 1 .2. Wir kennen aus der Neuzeit nur eine Parallele: I n Brüssel löste 1 830 die
Uraufführung der Stummen von Portici den Aufstand Belgiens gegen die N iederlande aus.
a Plut. Vit. Per. IV 1 f.

9 Arist. Ath . resp. XXV I I 4, zitiert in Timpanaro Cardini, 2 1 969, I I I 347. Eine dieser Scherben
ist 1 9 1 4 ausgegraben worden.
10
Den Satz, dass er über die Götter nichts wissen könne, soll Protagoras, sehr klandestin , im
Haus des Euripides verlesen haben ( D. L. IX 52-54).

1 37
drohen - wie nachmals Sokrates - die Buchverbrennung und der Schier­
lingsbecher.

Soviel zur Herku nft jenes wahren Spruches.

3.2.1 .2.3 Himmelsharmonie m it Sirenen

ai ae1pi'\vec; ai eni Ti'\<; apµoviac;


Die Sirenen sind die über der Harmonie.
Demosthenes

Doch nun zur Zuku nft, also Plato n . Er trägt wie Damon Pythagoreerwissen
aus Grossgriechenland nach Attika. Er weiss, dass diese Wissenschaft fü r
seine Stadt ganz neu ist, schon wei l er selbst sie erst i m Alter - aus Phi lo­
laos' Büchern und Archytas' Reden - lernte. Denn vorher (u nter Sokrates)
hat Platon ccwie ein Schwein gelebt . » Noch ken nt niemand ausser ihm die
Wahrheit über Sterne und Planeten : dass sie Götter sind und zugleich Zah­
len folgen. Im Gegenteil, Athen u ntersagt vor alter Götterscheu geradezu ,
im Kosmos nach dem einen «grössten Gott» zu forschen , 1 der doch nach
Platon alle anderen ablösen sol l . (Was den unzählig christlichen Gräzisten
vor Wiedersehensfreude glatt entgehen musste. ) Also kann auch Platon -
wie Anaxagoras und Sokrates mit i h rem Feuerklotz von Sonne2 - nur zwi­
schen Scherbenurteil oder Schierlingsbecher wäh len . Was tut ein Phi losoph
dagegen? Wie verhütet Platon?

Die Antwort gibt Plutarchos ; nur lesen ihn die Phi losophen heut kaum mehr,
weil sie ja Strategien n icht achten, geschweige denn die Götter. 41 3 aber,
als der kühne Feldherr Alkibiades ein Athener Landu ngsheer verlassen hat­
te, das seitdem führerlos vor Syrakusai operierte, verdunkelte ein Sonnen­
schatten nachts den Mond. Die grösste Stadt n icht nur Grossgriechenlands
verschwand vor aller Augen. Da verschob der arme N i kias, Athens glück­
loser General , aus Angst vor den Daimonen seinen für dieselbe Nacht ge­
planten Angriff. Das brachte ihn um seinen Kopf und dem grösstem Heer
Athens vieltausend Tode. Hören wir Plutarchos über Götter, Mondfinsternis­
se und Athener Aberglauben , um Platons und Archytas' Freundfeindschaft
zu erahnen .

« Denn Anaxagoras war der erste, der am klarsten und kühnsten von allen
die Beleuchtungen und die Beschattung des Mondes i m Buch (e:ic; ypacpr)v)
beschrieb. Aber er hatte weder den Ruhm eines Alten noch war die Schrift

1 PI. Leg . V I I 8 1 9d-82 1 e ; vgl . Grit. 1 2 1 b.


2 Für Sokrates siehe PI. Apol. 26d ; dazu Cohen, 1 99 1 , 2 1 5-2 1 7.

1 38
(6 A6yoc;) schon bekannt u nd berü h mt, sondern ging noch als Geheim­
nis unter wenigen um, die sie eher mit Vorsicht als Vertrauen [aufnahmen].
Denn (die Athener] waren undu ldsam gegen Natu rphilosophen und • Him­
melsschwätzer• (µerewp0Moxe1c;) , wie es damals hiess : Sie würden das
Göttliche in gru ndlose U rsachen (airiac; 6A6youc;), n icht vorsehungsmässi­
ge Kräfte und zwangsläufige Vorgänge auflösen . Daher musste Protagoras
fliehe n ; Perikles kon nte Anaxagoras nur mit Mühe vor dem Kerker retten ; ja
auch Sokrates, der solchen Di ngen gar n icht nachging, fand wegen Philo­
sophie den Tod . Erst ganz spät kam es dazu , dass Platons Ruhm, der dank
seiner Lebensart und weil er die Natu rzwänge göttlichen und höheren An­
fängen (airia1) u nterstel lte, so erstrahlte, diesen Leh ren das Verpönte nahm
und der Mathematik einen Weg zu jedermann erschloss. » 1

Es gibt platonische Ideen, gedankliche u nd zugleich ewig seiende Begriffe,


mithi n aus Todesangst. Sie sind nicht blass wie A6yo1 in der Rede da, son­
dern schweben übersinnlich dinglich - wie die Zahlen auch - am Himmel.2
Sie sind n icht blass Gestalten, wie sie ein jeder Stoff als Stoff an nehmen
kan n , sondern für Athener gut und schö n ; sonst hätten « Haare, Kot und
Schlam m » ja auch ldeen.3

Platon gilt als erster Phi losoph, der weder Frau noch Kinder hatte. Statt des­
sen warf er Zahlen oder Götter an den leeren blauen Himmel, woher sie
Dummköpfe wie Feuerbach und Marx dann wieder holen wollten.4 Metaphy­
sik seit ihrem Anbeg i n n ist stets auch Feigheit. Um dem Schandtod seines
Lehrers zu entgehen , täuscht Platon nicht blass Krankheit vor. Nei n , er ver­
rät die Erde oder Physis selbst an einen H i m mel vager Götter, damit auch
die dümmsten oder frömmsten Männer von Athen der neuen Mathesis ver­
trauen kön nen . Was wunder, dass er es Archytas nie verg ibt, die pythago­
reische Musikmathematik in Diagrammen, Katapu lten und Maschinen, hier
i m Schlamm der schönen Erde, nachgebaut zu habe n . Es waren also n icht
•die Griechen • , wie eine seinsvergessene Wissenschaftsgeschichte i h nen
nachsagt, die das Experiment i m Gegensatz zur stolzen Neuzeit schlicht
verschmähten - schon weil neipap, das •Wagnis• , von Odysseus bis Ar­
chytas ihrer aller Losu ng hiess. Erst Platons Todesangst vor den Athener
Richtern hat es eben noch vermocht, die Versuche von Vorsokratikern und

1 Plut. V i t . N i e . XXI I I 2 - 4 . Z u r fatalen Mondfinsternis von 4 1 3 siehe auch Thuk. V I I 50 und


Diod. Sie. X I I I 1 2, 6.
2 PI. Ep. VII 342a-343e.
3 Parm. 1 30c.
4 Huber, 1 978, 94 f.

1 39
Pythagoreern „am Wachstum und vollen Entfalten zu verhindern " . 1 Das dan­
ken Professoren , die keine Wurzel ziehen können, ihm bis heute.2

Gesagt getan . Die Zahlen sind n icht mehr, pythagoreeisch , in Dingen wie
der Kithara verkörpert ; sie schweben vielmehr als Ideen mit der Idee des
Guten hoch am Himmel. Wandelsterne - die fünf Planeten, Mond u nd Son­
ne -, weit entfernt davo n , blass feuerglühendes Gestein zu sei n , sind und
heissen Götti nnen und Götter : von Aphrodita, unserer Venus, bis zu Heli­
os, dem Sonnengott.3 Den pythagoreisch oder gar ägyptisch alten Namen
Geometrie findet Platon drum zum Lachen : Es geht n icht mehr um • Erd­
vermessu ng • , sondern um das «göttliche Wu nder„ ,4 dass das U rbild aller
Kreise am H i mmel so wie auch in unserem Geist anwest.5 Noch «der Gott» ,
den Aristoteles als «erstes u nbewegt Bewegendes» (TO npWTOV KIVOÜV 0-
Kivr)TOV) aller anderen H i mmelssphären und damit allen Werdens denkt,6
wird auf diesem Lehrsatz seines Leh rers gründen. Schüler kommen selten
bis zum reinen Widerruf. . .

U nd Harmonia, die Musik? Erst wen n auch sie am H i m mel schweben wür­
de, wäre der ganze, vierfach freie Bildu ngskreis vergöttert und Mathesis vor
dem Athener Schierlingstru nk bewahrt. Es reicht also n icht h i n , wie Sokrates
und Glaukon, Platons kleiner Bruder, die Musik auf zwei von vielen Tonge­
schlechtern , zwei von vielen I nstru menten blass akustisch zu beschränke n .
S i e m u s s auch i n d e r Theorie zum H i m mel fahren. Platon gibt « d e n Pythago­
reern » daher gerne zu , dass Ohren für Musik genauso taugen wie Augen
für die Sternenku nde, n icht jedoch, dass unsere Sinne dabei auch erken­
nen. Also ist es « lächerlich » und « u nnütz » , Kitharas nach dem Gehör zu
sti m men.7 Wir fahren besser gleich zum H immel auf.

„Im 1 0 . Buch der Politeia (61 6b ff. ) entwi rft Platon ein Bild des Alls: U m die
Spindel der Ananke kreisen die acht Sphäre n , die Sphäre des Mondes, die
Sphäre der Sonne, die fünf Sphären der Planeten, die Sphäre der Fixsterne.
Auf jeder dieser Sphären sitzt eine Sirene (61 7b) , die durch das Kreisen der
jeweiligen Sphäre um die Spindel der Ananke herumbewegt wird - je weiter

1 Regenbogen , 1 930, 1 53-1 58.


2 So noch Gadamer, 1 999, 1 70 f. Heidegger, Gadamers Lehrer, kam ganz im Gegenteil mit
Gleichungen zurecht. Siehe etwa Heidegger, 3 1 966, 1 49, über die cartesische Formel c =

s/t.
3 PI. Epin. 987bc.
4 Epin. 990d ; dazu Heath, 1 92 1 , 1 400 f.
5 PI. Ep. V I I , 342bd. Damit behält Platon immerhin gegenüber aller Technikgeschichte recht,
die (von Ernst Kapp über Freud bis zu McLuhan) Medien auf Prothesen reduzierte : Nichts
an unseren Leibern dreht sich wie ein Rad , sehr wohl jedoch der Sternenhimmel Babyions,
allwo das Rad erfunden ward .
6 Arist. Met. /\ 8, 1 073a26.
7 PI. Resp. VII 1 2, 530d-532a.

1 40
entfernt sie sitzt, desto schneller. Dabei gibt sie einen einzigen Laut und
einen einzigen Ton von sich. Aus diesen acht Tönen der Sirenen entsteht
eine Harmonie, in welche einstimmend die Moire n , die Töchter der Ananke,
das Schicksal verkü nden ."1

Hier noch viel genauer, aber auch u n mögl icher i n Platons weichem Grie­
chisch :

'Eni öE: rwv Kul<Awv auroü ävw9ev E:cp' E:Kaorou ßeßriKE:va1 I:e1pfjva
ouµnep1cpepoµE:vriv, cpwvr,v µiav ieToav, eva r6vov· E:K naowv öe
OKTW ouowv µiav apµoviav �uµcpwveTv.
Auf den Kreisen Uener Spindel] sässe aber oben auf jedem eine m it­
umschwingende Sirene, die eine Stimme sendet, einen Ton ; aus allen
acht zusammen kläng' i ndessen eine Harmonie zusammen.2

Erst wenn die Harmonie/Oktave überirdisch u nd u n hörbar tönt, «Ohne Ge­


räusch und Schal l » ,3 ist Platons Werk vollbracht. Er leug net seine Quellen
- mehr noch das, was sie bezeugen - wie nach ihm nur Cicero. Phi lola­
os schrumpft zur denkbar knappsten Widerlegung, Archytas' Name taucht
nur in geheimen Briefen auf, kei nmal in Platons Dialogen - es sei denn als
Timaios, dieser elusive Hörer auf Pythagoras, der zugleich (wie Archytas)
einen Stadtstaat lenkt und unsere schöne Welt, den Kosmos, als aus Zah­
len aufgebaut erklärt.4 Das aber heisst ganz schlicht: Platon leugnet die Mu­
sik in unseren Sinnen, Gliedern , Lüste n . Sie soll schnu rstracks zum H i m mel
fahren.

Damit aber steht er ganz allein . Ein Griechensprichwort, das wir wie so vie­
les Schöne Kaiser Nero danken, sagt ganz klar : cc Occultae musicae nullum
esse respectu m . - M usik, die man nicht hört, verdient auch keine Achtu ng . »5

Eben das dreht Platons Mythos u m : Acht Sirenen , die u nser Menschenohr
n icht nur n icht vernimmt, sondern auch niemals vernehmen soll , locken uns
vom Leben weg zum H i m mel der Ideen oder Toten .6 U nd fortan faseln Rö­
mer, Neuplatoniker u nd Christen von einer u n hörbaren Sphärenharmonie,
um sie auch noch Pythagoras und dessen ersten, vorgeblich tauben Hörern
anzudichten.7

1 Hofstetter, 1 990, 23.


2 PI. Resp. X 1 4, 6 1 7b.
3 PI. Tim. 37b: äve:u q>06yyou Kai rixfic;, dazu Burkert, 1 962, 332.
4 PI. Tim. 20a. Über diese verschwiegene Identität siehe Wuilleumier, 1 939, 579; Burkert,
1 962, 75 ; Vogel, 1 975, 1 86.
5 Suet. Ner. XX 1 ; Gell. Noct. Att. XIII 3 1 , 3.

6 So schon Plutarchos i m l iebevollen Vergleich zwischen Politeia und Odyssee (Quaest. conv.
IX 1 4, 745df) .
7 Am ärgsten treibt das Leo Spitzer, Classical and Christian ldeas of World Harmony. Prole­
gomena to an Interpretation of the Word Stimmung. Baltimore 1 963, 3-8, der das Existenzial

1 41
Das ist schlicht nicht wahr. Wie wir von Bu rkert dankbar lernen, cc bleibt vor
einer systematischen Ausführung des Gedankens der · Sphärenharmonie
bei vorplatonischen Pythagoreern keine Spur. » 1 Das n i m mt Burkert leide1
nach drei Seiten schon zurück, wohl um das Akusma von der Oktave unc
ihren zwei Sirenen nicht i m Glanz der Odyssee zu lesen. Darin ist Detienne
ihm leider schon vorangegangen . Ganz wie angeblich nur Odysseus die Si·
renen hört, der wachsverstopfte Ohrgang seiner Mannen aber nicht, sol
auch allein Pythagoras, weil er als erster Hesiodos und Homeros allegorisct
auslegt, dasselbe von der Sphären harmonie behauptet haben.2 So unaus·
rottbar falsch geht eine Sage um, die Platon doch vor unser aller Leserau·
gen erst erfindet. Seine Bücherrollen schreiben Sokrates Ideen so scham
los zu wie einem ungenan nten Pythagoreer die eigene Sphärenharmonie
Aus einem klaren Zahlverhältn is, wie Philolaos es an sieben Saiten ganz sc
nüchtern wie an sieben Wandelsternen misst, macht Platons Him melslie·
be also einen hörbar-u nhörbaren Sound, dem dann als Musengott Apollor
vorsteht.3 Seitdem wirft Metaphysik, u m sich i m Jenseits anzusiedeln, imme1
wieder solche irdisch medialen Schatten . Es war daher befreiend, dass Bru
no Snell den berühmten, nur bei Plutarchos bezeugten Herakleitosspruct
naAivrovoc; apµoviri K6oµou , ÖKwon€p Mpac; Kai r6�ou4 so emendierte
naAivrovoc; apµoviri , ÖKWOn€p TO�OU Kai Mpric;.5 Damit ist von Weltenhar
monie bei einem Denker, der Pythagoras nur nach- und widersprochen hat
nicht mehr die Rede: Es gibt den Bogen u nd die Leier, beides gegenwendigE
und epistemisch nahe Dinge, aber keine Sphärenklänge . . .

Sicher, Philolaos denkt den Kosmos von der Tetraktys, mithin von Vier unc
Zehn her. I m M ittelpunkt von Allem, heisst das, steht zum ersten Mal nich
mehr die Erde, sondern Hades-Ätna als ein u nterweltlich dunkles Feuer, da�
im Glücksfall seiner Kore warme Quellen spendet. So übernimmt es Empe
dokles, so wird Copernicus es Philolaos danken. Auch wir, auf Heras Le
benserde u nter Zeus, dem H i mmelsglanz, geboren, kreisen doch um Zeu�
Chthonios, der schon als Hades Seiendes • u n sichtbar• machen kann . Die
Erde heisst daher zum ersten Mal cc Planet» .6 Deshalb verdeckt uns Hades

« Stimmung „ i n Heideggers Sein und Zeit gekonnt verschweigt und sich statt dessen eim
„jüdisch-griechisch-christliche" Kultur aus den Fingern saugt: „In spite of the fact that th1
simile, world harmony - musical harmony, was derived (historically speaking) from a humar
instrument, the Pythagoreans i nverted this order by admitting that the human lyre (as ima
gined in the hands of the god Apollo) was an imitation of the music of the stars." Belege fü
Apollons Sphärenharmonie bleibt uns der selbsternannte Griechenkenner schuldig.
1 Burkert, 1 962, 332.

2 Detienne, 1 962, 28-36 und 58 f.


3 PI. Grat. 405d.

4 s o K 22, B 51= Plut. De ls. et Os. 45, 369b.


5 Heraklit, 5 1 965, 1 8.
6 Burkert, 1 962, 3 1 6.

1 42
dunkles Feuer den Anblick einer Gegenerde, die i n der Kreisbahn gegen­
über schweift . 1 Wir, gemacht aus Heras dunklem Erdengrund und Kares kla­
rem Wassergeist, blicken besser nur nach oben. Da leuchten ausser Mond
und Sonne fünf Planeten, allesamt in Zeus, den H i m melsglanz getaucht,
der einen oder anderen freien Liebe. So verschränken sich zeh n Sternenku­
geln , wie Philolaos sie erschaut, m it den vier Erdenwurzeln, die Empedokles
besingt, zur schönen Tetraktys aus Vier und Zeh n . 2

Sieh ! u n d das Schattenbild unserer Erde, d e r Mond ,


Korn met geheim nun auch ; die Schwärmerische, die Nacht kommt,
Vol l mit Sternen und wohl wenig beküm mert um uns,
Glänzt die Erstau nende dort, die Fremdlingin u nter den Menschen ,
Über Gebi rgeshöhen traurig u nd prächtig herauf.3

Wir möchten aber nebenbei noch zäh len lernen .

Feuer, Gegenerde, Erde und darüber sieben Himmelssphäre n : das macht


zusammen zehn . Phi lolaos hat die Tektraktys - eine Vierung, die zugleich
Dekade ist - mithin als Kosmos angeschrieben . Der Kosmos reicht wie bei
Empedokles vom u nteren Feuer namens Hades hinauf zum höchsten Zeus
als Himmelsglanz. So ist die Zehnzahl oder Tetraktys, obwohl wir nur neun
Sphären sehen,4 mit den vier Wu rzeln oder Göttern kosmisch liebevoll ver­
fugt. Doch nirgendwo schreibt Phi lolaos, obwohl er doch Musik und Mathe­
matik zum ersten Mal verschwistert, dass im Kreisen der zehn Kugel n eine
Sphärenharmonie erklingen würde. Er spräche ja so mathematisch wah r,
wenn auch erst im nach hinein.

Seit Henri Poincare bewiesen hat, dass Newtons Sonnensystem pure


Zwangsneurose war, geniessen Monde und Planeten wieder Freiheitsgra­
de. Alle Sterne spielen m iteinander, nicht blass die einzelnen Planeten mit
der Sonne. Kleine Massen lassen sich fraktal von grossen fangen, aber nur
in Jahrmilliarden. I h re Bahnen um den Schwerpun kt schwi ngen sich daher
auf Eigenwerte ein, die eine partielle Differentialgleichung zweiter Ordnung
physikalisch und das heisst unendlich langsam lösen. Vier von den fünf Ju­
pitergefährten sind bislang am weitesten gelangt : Sie kreisen fast schon wie
Oktaven - also mit Archytas i m geometrischen Verhältnis 1 : 2 4 : 8 - =

um ihr Zentralgestirn, den Zeus. Keplers irrationale Zahlen nahen oder wei­
chen wieder griechisch ganzen. Selbst Selanna, Sapphos Mondin, scheint

1 Arist. De cael. 1 1 1 3, 2938 1 7-b 1 . Siehe auch 6 D K 44, A 1 7.


2 Arist. Met. A 5, 98688- 1 2. H ier verrät die Ironie nur Neid und Zahlenferne.
3 Hölderli n , 1 966, 1 08.
4 Arist. De cael. 2938 1 5-27.

1 43
mit ihrem Stern , der Mutter Erde, beinah schon in Phase. Sonst würde - mit
Pink Floyd - der Mond uns seine dunkle Seite nicht so inständig verbergen . 1

And i f the cloud bu rsts, thunder in your ear


you shout and no one seems to hear
And if the band you 're in starts playing different tunes
1'11 see you on the dark side of the moon.2

öeöuKe µev 6 oe>-.6wa


Kai n>-.rjiaöec;· µeoa1 öe
VUKTec; . napa ö' epxei wpa,
eyw Öe µ6va KOTeUÖW. 3
Doch alles das hat Platon nicht i m Ohr, selbst wenn ihm Sappho «zehn­
te Muse» heisst.4 Bandleader, der er ist, liegt ihm an different tunes. Wir
können es kaum fassen , aber Platons Sphärenharmonie bringt die Sirenen
wieder. Ganz wie Apollon aller Harmonie vorsteht, auf Erden als Musik, am
H i m mel als Umdrehu ngsperiode,5 singen acht Sirenen oder Saiten als acht
H i mmelssphären.

Davon zeugt der letzte oder höchste Mythos, in den Platons zehn Bücher
Von der Schönstadt m ü nden. Es glaubt ihn zwar - anders als die Hochzeit
von Kadmos u nd Harmonia - kei n Grieche mehr;6 doch er versetzt dafür
Musik und Zahl fast 1 600 lange Jahre an den H i m mel , wo sie niemand hört
und stört. Ein Pamphylier mit dem fremden Namen Er ist im Krieg gefal­
len, nach zehn Tagen unter halbverwesten Leichen u nversehrt geborgen
worden, am zwölften aber auf dem Massenscheiterhaufen ins Leben rück­
gekehrt. Dieser Mythos sei , schwört Sokrates, viel wahrer als die Sagen,
u m die Alkinoos Odysseus bat, wahrer also auch als die (laut Ki rke leichen­
übersäte) Insel der Sirenen , wie sie dem allerletzten Mythos klar vor Augen
schwebt. Denn der tote Er erzählt, was Sterbliche, von unserer Erde weit
entrückt, am höchsten H immel hören, schauen und erfahren dürfen : Platons
Kosmos als Idee, die aus acht Sirenenmündern ihre eigene Harmonie be­
singt. Schon deshalb hiess Ers Vater, den unsere Handschriften Armenios
schreiben, laut Plutarchos schlicht Harmonios.7

1 Mit Dank an Christian Kassung. Siehe aber schon Arist. De cael. I I 8 , 2508 26 f„ und Plut.
De fac. 1 8, 930f, und 29, 944c.
2 Pink Floyd , 1 973.
3 <== 1 .4. 1 .

4 Sappho, test. 60 L-P = Anth . Pal . IX 506.


5 PI. Crat. 405d : etymologisch schon fast irre.
6 Snell, 2 1 948, 292 f. ; Lehmann , 1 970, 1 04.
7 Vgl. Plut. Quaest conv. I X 5, 2, 740bc, gegen PI. Resp. X 1 3, 6 1 4b. Plutarchos wird als
Philologe gerne unterschätzt.

1 44
(Es fällt nicht leicht, euch all das zu erklären. Den G riechen selber ging so
vieles durcheinander wie uns auch .)

Die jungen Toten , gute wie auch schlechte, treffen sich - wo sonst? - auf
einer Wiese, wo sie sieben Tage weilen . 1 Dann müssen sie fünf Tage lang
noch höher wandern, bis der ganze Kosmos sich «von obe n „ zeigt. Der
pamphylische Barbar - warum gerade er, weiss niemand - sieht, dass sich
acht Sphären ineinander schachteln wie Babuschkapuppen . Er sieht auch ,
dass sie i mmer schneller kreisen : vom Fixstern h i mmel abwärts über fünf
Planeten bis zur Sonne und zum Mond.2 Also liegt die Erde Platons - gegen
Philolaos - geozentrisch unbewegt in einer M itte, die der Kosmos mit « Not­
wendigkeit» umkreist. An der Spindel ältester Kultu rtechn iken, spinnend,
webend, singend, fugt sich «Welt» aus Frauenstimmen.

'Eni öE: TWV KUAAWV auTOÜ ävw9e:v E:cp' E:KCOTOU ßeßriKeva1 re1pflva
ouµnep1cpepoµevriv. cpwvr1Jv µiav ieToav, eva T6vov· E:K naowv öe
OKTW ouowv µiav apµoviav �uµcpwveTv. NA>.>...a c, öE: Ka9riµevac, ne­
p1� öl' ioou TpeTc,. E:v 9p6vcp E:Kaorriv. 9uyarepac, Tiic, AvayKric,.
Moipac, . Aeuxe1µovouoac,. OTeµµara E:ni TWV Keq>aAWV E:xouoac,.
/\axeoiv Te Kai l<AWTW Kai NATponov. uµveTv npoc, Tr1Jv TWV I:e1privwv
apµoviav, /\axeo1v µE:v TC yeyov6ra . KAwew öE: TC övra. WATponov
öE: Ta µeMovra .
Auf jedem Kreise dieser Spindel sitzt oben eine Sirene, die sich mit
ihm dreht; sie sendet eine Stimme, einen Ton . Aus allen acht jedoch,
die sind, klingt eine Harmonie zusammen. I m selben Abstand glänzen
rings u mher, je auf einem Sessel , noch drei andere Fraue n : die Mai­
ren , Töchter der Notwendigkeit, weiss gewandet und mit Kränzen auf
den Häuptern, Lachesis, Klotho, Atropos. Sie sti mmen Hymnen an zu
der Sirenen Harmonie: Lachesis, das was gewesen ist, Klotho, was ist,
und Atropos, was sein wird.3

So klar gibt Platons grösster Mythos Antwort auf die Sage: von Odysseus
über Pythagoras bis zu Philolaos. Alle ruft er sie ein letztes Mal auf - i m sel­
ben Augenbl ick, da Metaphysik die Sage scheinbar siegreich überschreibt.
Uns bleibt nur, aus der Verleugnung das Verleugnete zu lesen .

1 PI. Resp. X 1 3 , 6 1 4e.


2 Burkert, 1 962, 320.
3 Resp. X 1 4, 6 1 7bc. Lachesis: •die lost • ; Klotho : •die spinnt• ; Atropos: •die unabwendbar
ist„ Klarer könnte Platon es nicht sagen , dass er das Seiende als anwesend-gegenwärtig
denkt, den Philologen zum Trotz also Heideggers Lesart (Heidegger, 1 967, 1 39-1 43) recht
gibt, ohne diesen cc Sinn von Sei n » auch nur zu befragen.

1 45
Der Scheintote am höchsten H i m mel hört nicht etwa zwei Sirenen singen ,
sondern acht. Jede hat nur eine Stimme, einen Ton - wie i n Odysseus'
Ohren einen Mund. Doch auch acht «Töne» sind wie Saitenspannungen
auf der Kithara: sie sti mmen zur Oktave oder Harmonie zusammen - wie
die eine Stimme aus zwei Mündern, die Odysseus lockt, die eine Harmonie,
der Pythagoras im Rauschen Delphois lauscht. E R hat die Kithara mit acht
gespan nten Saiten ja erfunden .

Die zwei Sirenen haben ihrem Helden einst versprochen, dass sie als Mu­
sen alles wissen : was war, was ist, was sei n wird . 1 Diese selbsterfü llende
Prophezeiung ist die Odyssee gewesen . Platon, der Homeros ja verbietet,
spricht den Sirenen ihr Allwissen ab und seinen Moiren zu. Sie fallen wahr­
sagend in die Sirenenharmonie ein, um unser Los in allen drei Ekstasen (von
der Geburt zur Gegenwart bis in den Tod) zu spinnen . Sang und Sage treten
auseinander. Und falls auch die drei Moiren Allegorien von Saiten sind, wird
der sirenische Oktavrau m von Platon selber überschritte n : Mit einem dritten
Tetrachord , u nten oder oben angefügt, zerstört die Schönstadt, ohne es zu
ahnen , ihr eigenes Musikgesetz. Acht Sirenen plus drei Moiren : Timotheos'
elf skandalöse Saiten lassen grüssen.

I m M ittelpunkt von allem aber schwebt die Erde; in Platons Zählung hiesse
sie die Null (wenn diese U nzahl nicht erst tausend Jahre später in Südin­
diens Tempeln aufgegangen wäre). Mit anderen Worte n : Der Philolaosle­
ser widerspricht (nur musischer als Sokrates) seiner eigenen Quelle. Aus
einer Zehnzahl oder Tetraktys, bei der neun Wandelsterne um ein unter­
weltlich dunkles Mittelfeuer kreisen, wird Harmonie im Wortsinn von Pyth­
agoras : acht Saiten auf der Kithara. Eben das, was Sokrates der Seele
abgesprochen hat, entdeckt sein hellstes Schülerohr am Kosmos wieder.2
Denn „Platons Sphärenharmonie ist keine u nvorstellbare, transzendentale
Passacaglia oder Fuge, sondern nackter Ruhm der diatonischen Oktave."3

N u r wie acht Saiten oder Sphären, um wie die zwei Sirenen eine Stimme zu
versenden, spieltechnisch genau zu stimmen sind, erfährt der junge Glau­
kon nicht. Ideen und Harmonien am cc Himmelsort» hört ohnehin kein Men­
schenohr. Erst der greise Platon liefert im Timaios jene « Rechnu ngen und
Zahlen » nach, an denen seine Sphären mathematisch «Anteil haben» .4 Und
siehe da: Die Abstände der Kugeln zueinander sind dieselben I ntervalle,

1 Weshalb der treuherzige Plutarchos Platons acht Sirenen - durch Mitzählung der Erde -
wieder zu neun Musen machen wird (Plut. Quaest. conv. IX 1 4, 6, 746a) .
2 Stenzel, 3 1 959, 39 f.
3 West, 1 992, 234: „Plato's harmony of the spheres is not some inimaginable, transcendental
passacaglia or fugue, but the naked glory of the diatonic octave."
4 PI. Tim. 37a.

1 46
die wir musikalisch von Philolaos und Archytas kennen. N u r dass Platon
sie n icht mehr Schritt u m Schritt errechnen kann , sondern blass bei i h ren
alten Namen ruft : Ü berachtei, Übertrittei , Ü bereinte l . 1 Selbst Phi lolaos' so­
genan nter « Rest » , um den ein Tetrachord zwei ganze Töne übertrifft, kehrt
als öie:o1c; wieder.2 Wenn mithin die Sphären oder Bälle, uns schon seit
Nausikaa so nah , Sekunden, Quarten oder Quinten spielen, ist der Kosmos
eine Arithmetik, die in ganzen Zahlen aufgeht.3 Platons acht Sirenen bür­
gen dafür, dass sich alles einmal wiederholen wi rd , wie das jeder Gru ndton
als Oktave tut: Nach Ablauf vieler Tage, Monate und Jahre dürfen alle See­
len (wie der Pamphylier Er schon nach zwölf Tagen) auf ihre Wiederkehr
im neuen Leben zäh len. Die Erde kreist u m sich und schenkt uns Tag und
Nacht. Der Mond dreht sich u m sie und m isst in Griechenland die Mona­
te - ganz wie der Sonnenumlauf Jahre.4 Aber erst wenn alle Umläufe oder
Perioden der acht Sphären in einem Nu zusammenfallen, also gleichzeitig
von vorn beginnen, vollendet sich platonisch ccgross » das Jahr der Jahre.5
Der Kosmos, dieses Spiel der Musen und Sirenen, hat einen idealen Reigen
durchgetanzt. Welt beginnt von neuem .

Ganzzah larithmetik, unaufgelöste Brüche, A6yo1, wie sie das Griechen land
im Wesen prägen, aber von der Erde unserer Ohren an den Himmel unseres
Augenlichts verschleudert. « M usik, die man nicht hört, ist kei ne. » Die Neu­
zeit wird daher, u m von der Sphären harmonie wieder zum Erkli ngen heim­
zufinden, mit nichts anderem beginnen, als an dieser idealen Ganzzahl­
Periodik (ava A6yov6) mathematisch Zweifel anzu melden. Die Umlaufzei­
ten der Planeten sind zuei nander inkommensurabel oder irrational und doch ,
wie sich erweisen wird , i n Zahlen angebbar. N ichts u nd niemand kann mithin
je wiederkehren. Denn selbst Musik (schreibt u m 1 370 N icolas d'Oresme,
Bischof von Lisieux) hat Lust darauf, uns immer neu zu überrasche n . Das
schliesst n icht aus, dass sie allein im Chaos noch auf ganze Zahlen , Peri­
oden oder Harmonien hört, das U niversum aber kei neswegs.7 Platons stum­
me Sphärenharmonie verstummt; das Abendland vernimmt sich wieder als
Musik. Wir können Bach und Mahler hören und vor Lust auf Barrett oder
Hendrix tanze n . Ein heller Kreis auf schmaler stroboskopbestrahlter Fläche
- letzte Mi mesis an jene Sphärenharmonie, die es n icht gibt.

1 T i m . 36ab; dazu Burkert, 1 962, 364-367.


2 Lohmann , 1 970, 1 1 3 .
3 Stenzel, 3 1 959, 40-42.
4 Sonnenmonate wird erst Caesar seinem Imperium romanum verordnen. Darauf kommen
wir in Band 1 1/1 zurück.
5 PI. Tim . 39d ; dazu Cic. Nat. deor. II 20, 52.

6 PI. Tim. 37a.


7 Oresme, 1 97 1 , 3 1 6.

1 47
N i m m deinen U nterarm, schlag acht weisse Tasten wie Sirenen am Klavier
an u nd lausch dem Klang nach . Du hörst ein Cluster, berauschend lautstark
wie bei Ligeti und Jarrett, aber niemals Platons Sphärenharmonie.

1 48
3.2.2 Aristoteles und die Seinen

In der Sprache berühren sich Erwartung und Ereignis.


Wittgenstein, Bemerkungen

Weisst du noch , wie du mir Aristoteles m itbrachtest? Ein schlankes Taschen­


buch zur Eth ik - fast wie du.

3.2.2.1 Aristoteles wird geboren . . .

Ethik heisst seit Aristoteles der Wahn , zwischen dir und mir ein summum
bonum auszumachen u nd ihm fortan nachzulebe n . Einern Gott, der rei nes
Denken wäre, also selbst (im Gegensatz zu Frauen) ohne irgendein Begeh­
ren . 1 Das summum bonum, sagt ja schon der Name, ist weder Frau noch
Man n . Anstatt der Ü bergöttin Aphrodita tritt eine blasse « Freundschaft » , die
die Phi losophiegeschichte sogar in Empedokles gesch muggelt hat. Mimesis
des einen Gottes . . .

Das fiel uns auf den Parties, als die Platten dröh nten und ihre Cover im­
mer mehr verrieten , schwer und schwerer. «All you need is love . » Wie also
kamen Liebe und Musik wieder auf den Boden unserer Erde? Nur wei l der­
selbe Aristoteles, schon als sein Lehrer Platon noch am Leben war,2 dessen
späte Sphären harmonie so liebevoll wie grausam widerlegt hat.

Dass diese Lehre « musikalisch und melodisch redet» , also selbst in « Har­
monie» mit dem ist, was sie lehrt, «der enharmon ischen Stimme» krei­
sender Fixstern- und Planetenkugeln, bestreitet Aristoteles schon aus Ver­
ehrung nicht, im Gegenteil. Er nennt sie schön und nur « Unmöglich » .3 Seit
den « Pythagoreern » 4 dürfen « Mathematiker und Astronome n » den U m läu­
fen der Sphären 'l\6yo1 ganzzah lige Verhältnisse zuerkennen,5 aber nicht
wie Platon auch noch eine Stimme, einen Ton , kurzum Musik. Mit einem
Wort : die zwei Sirenen, statt ins Jenseits abzudriften , singen auf derselben
du nklen Erde wie (laut Pythagoras) Delphois Pythia auch .

Wir hören Platons acht Sirenen, die Aristoteles charmant verschweigt, auch
darum nicht nicht, wei l uns ihr dröhnendes Geräusch (lj.J6cpoc;) schon von
Gebu rt an so vertraut wie einem Schm ied aus Kroton wäre,6 sondern wei l

1 Lacan, 1 975, 78.


2 Arist. De cael. 1 1 1 2, 29283-7, bezeugt, dass die Schrift kurz nach 357 entstanden ist.
3 Arist. De cael. 1 1 9, 2908 1 2-b 32.
4 De cael. II 9, 29 1 828. Das heisst gerade nicht, den Pythagoreern jene platonische Sirenen­
musik zuzuschreiben, die Detienne, 1 962, 58, Burkert, 1 962, 1 72 (über Sonne und Mond),
sowie Timpanaro Cardini 2 1 969, 1 1 1 1 98-202 ins Sirenenakusma hineinlesen.
5 Arist. De cael. I I 1 0, 29 1 829-b 1 0.
6 De cael. I I 9, 29o b 24-29.

1 49
die Göttinnen u nd Götter nur noch i n alten Sagen am H i m mel oder Äther
weilen . 1 Die Wissenschaft dagegen, wie Aristoteles sie u nserm Abendland
vermacht, führt Zeus und Hermes, Ares und selbst Aphrodita nurmehr als
Sterne hoch am H i m mel oder, noch viel kruder, als Standbilder in Erz und
Stein. Tiere oder Menschen, also Fleisch und Blut wie wir, sind die Götter
daher nie.2 Drum heissen sie seit Aristoteles denn auch schnöde wie Pla­
nete n : Jupiter, Mars, Merkur und Venus. Himmelssphären aber sind bewegt,
Götterstandbilder aus anderem gemacht, nie selbst ccdas unbewegt Bewe­
gende » über ihnen. Also verschweigt uns Aristoteles die Göttinnen noch viel
mehr als die Götter. Das beweisen nicht nur ihre Erwähnu ngen in der Meta­
physik,3 sondern mehr noch ihrer aller fast unfassbares Fehlen in der Poetik,
die doch der Sage selbst nachdenkt. Seitdem geben die entflohenen Göt­
ter, Athens Vermächtnis an Europa, u nbegrenzte Forschungsfelder frei. Nur
dass (und eben drum) ccdie Wissenschaft nicht denkt» .4

Wie das gekommen ist, sei rasch erzählt. Aristoteles war Arztsohn aus einer
Stadt am Rand der Barbarei. Seine letzten Bücher i m Exil von Chalkis,
schon weil sie zum ersten Mal den Verkehr von Männl ichem und Weibli­
che m , Sperma und Monatsblut, ganz ohne Aph rodita oder Eros dachten ,
rückten fast von jeder Theorie ab, d i e Aristoteles d e r Lehre Platons und
später ihrer Widerlegung dankte. So süchtig war er - wie Homeros - auf die
Sachverhalte. Platon aber liess den jungen Arztsoh n , der gestottert haben
soll5 und deshalb wohl ins sti lle Lesen floh ,6 anders als die anderen Schü­
ler frei gewähren . So streifte Aristoteles, schon i m Namen auf dem Weg
zum • besten Zie l • nach Pflanzen oder Tieren u nterwegs, durch Attika wie
wir.7 Während Platon selbst i m Alter, statt plaudernd einen idealen Sokrates
zu geben, nurmehr ein «Göttl iches » verkündete, das zur Verblüffung bei­
nah aller Hörer reine Musikarithmetik war und zur « Vorlesung» geriet,8 blieb
sein jüngster Schü ler unbeirrt «der Erde treu» .9 Soviel hat Raffael in seiner
Schule von Athen begriffen.

Diese Treue war beileibe keine Götterunscheu (aoeße1a) . Sie wird nur stän­
dig u nterschlagen. I n eigenen Versen hat Aristoteles es einem seiner Freun-

1 De cael. 1 1 1 , 2848 1 1 - 1 3.
2 Met. /\ 8, 1 074838-b 1 4.
3 Planete n : 1 07383 1 -b 35; Standbilder : 1 002822, 1 0 1 7 b 7, 1 048 b 32; Dichternamen : 1 09 1 b 6.
4 Heidegger, 2 1 96 1 , 4.
5 Plut. Quomodo adol. 8, 26b ; D. L. V 1 . Als erste Theorie des Stotterns siehe (Arist.] Prebl .
1 1 , 898 b 29-89983.
6 Strab. XIII 1 , 54.
1 2oc D, s. v. Aristotle.
8 => 3.2.3.2.2. 1 .
9 Nietzsche, (1 883-1 885] KGA Vl/1 , 9.

1 50
de nachgerühmt, dass er dem toten Platon i m Hain des Akademos Altäre
bauen liess. Ein Götterhymnos ruft Apollon als den Bogenschützen an , ein
anderer den Zeus der Gastfreundschaft . 1 Aristoteles (im Gegensatz zu So­
krates) kann also singend dichten, um Freunde, Helden, Götter zu verehren.
Ein Spruch am Eingang zum Lykeion fordert zudem von den Schülern, dass
sie die Götter scheuen, in die Mysterien eingewei ht sind und am höchsten
Wissen Anteil nehmen.2 So lieben wir Gelehrten es noch heute.

Aber kaum dass Platon tot ist, flieht Aristoteles aus dessen Musenhain . Wir
ahnen auch den G rund. Zum Nachfolger hat Platon, erster Denker ohne
Frau und Kinder, unter seinen Schülern den berufen, der Musik und Mathe­
matik vor allen anderen ehrt: einen Sohn der eigenen Schwester. Speusip­
pos' Bücher feiern Philolaos und die Tetraktys,3 wie u m Platons letzte Wün­
sche zu erfü llen. Eben dem entzieht sich Aristoteles und verschwi ndet nach
Klei nasien . Erster aller Schulabbrecher, die die Zahlen nicht vermögen . . .

Er lebt u nd lehrt am Hofe eines fürstlichen Eunuchen , dessen adoptierte


Tochter seine Frau wird . Und erst als dieser Grieche, von Persern grausam
zugerichtet, den Löwen vorgeworfen wird , kom mt Aristoteles über Lesbos,
wo er zwei Jahre lang Gewächse und Getier erforscht, an den Königshof der
Makedonen, also fast nach Hause. Philippos hat ihn eingeladen , einem wil­
den Sohn i m Nymphenhain bei Mieza die vier freien Kü nste nach Archytas
beizubringen. Der j u nge Alexandros freilich, statt an der l/ias die Kunst des
Lesens zu erlernen, hört nicht auf seinen Lehrer und liest Homeros nur, u m
Achi l leus nachzuleben.4 Aristoteles, ganz umgekehrt, entsagt jedweder Pra­
xis, zieht wieder nach Athen u nd gründet beim llissos seine eigene Schule,
das Lykeio n . (Nicht zu verwechseln mit Lyzeen , unseren verflossenen hö­
heren Mädchenschulen . ) I m damals grü nen Süden von Athen , am Bach, wo
Sokrates trotz aller Sommerglut und Bücherrollen u m den schönen Phaidros
warb, wächst eine grosse Bibliothek heran , Grundstock von Alexandreia.5
Und doch wird das Lykeion (dank Lyku rgos, dem Archonten) mehr und mehr
zum Musenhai n : Am l lissos stehen jetzt Gymnasion und Palaistra, vor allem
aber Bäume, die gegen Sommerhitze Schatten spenden.6

1 Alle drei Hymnen siehe in Campbell, 1 990- 1 993, V 2 1 4-21 9 .


2 Julian. Or. V I I , 237c ; vgl . Dupont, 1 998, 1 2.
3 6 D K 44, A 1 3.
4 Plut. Vit. Alex. V I I 1 -V l l l 3.
5 Pöhlmann, 1 994, 1 9. - Das ist so ungefähr der betonierte Stadtteil, wo es 1 967 die be­
sten Wiener Schnitzel von Athen gab und der l lissos seit 1 960 nurmehr unterirdisch fliesst
(Travlos, 1 97 1 , 504) .
6 [Plut.] Vitae dec. oral. V I I , 841 d .

1 51
Die Tage am Lykeion beginnen mit Gesang . So treu bleibt noch das klei­
ne Attika dem Grassen G riechenland. Am Morgen folgen Vorlesungen, die
ganz Athen anhören darf. Denn erst am Abend spricht der Lehrer, während
er mit eingeweihten Schü lern durch die Gärten wandelt, also •peripatetisch•
denkt, geheime Dinge aus, die nur für ihre Ohren sind . 1 Alles wirkt m ith i n ,
a l s würde noch d e r Peripatos Pythagoras u n d dessen Scheidung zwischen
Akusmatikern und Mathematikern wiederholen . Doch ein wu ndersamer Zu­
fall - dass uns zwar viele esoterische Schriften erhalten sind, exoterische
dagegen kaum - bringt das ganze Gegenteil ans Licht : Es gibt von Aristote­
les „keine einzige mathematische Schrift".2 So entschwinden Zahlen, Töne,
Noten sang- und klanglos aus der Überlieferu ng.

Wie gesagt, das heisst nicht, im Lykeion würde nicht gesungen. Jeden Mor­
gen ruft der Denker seinen u mgebrachten Freund Hermeias in so schönen
Hymnen an , dass böse Zungen ihn der Asebie bezichtigen : Er verehre einen
Sterblichen als Gott.3 Der Metoike Aristoteles erwidert, schon um den Athe­
nern Justizirrtü mer wie den an Sokrates zu sparen, werde er die Stadt ver­
lassen . Freund und Ehefrau sind beide lange tot. Zusammen mit Herpyllis
und N i komachos, seiner geliebten Hetäre und dem jü ngsten Soh n , wandert
Hellas' letzter Denker nach Euboia aus. Dort, wo die Anschrift von Voka­
len einst began n . Dort, i m Angesicht des engen blauen Sunds, der Attika
von seiner reichsten I nsel trennt, schreibt Aristoteles ein letztes, aber völlig
neues Buch : dass Liebe physiologisch im Vollzug besteht, De generatione
animalium. Dann bleibt nur noch ein Testament zu machen - für den unehe­
lichen Sohn u nd die u nendlich heiss Geliebte.4

Wie Heidegger so bündig lehrte : «Aristoteles wurde geboren, arbeitete und


starb. » 5

3.2.2.2 . . . arbeitet . . .

Aristoteles hatte von Platon den Scherznamen 6vavvw01T1c;.


Nietzsche, Geschichte der griechischen Litteratur

Griechisch avayvworric;, wie wir ein Jahrhu ndert später Nietzsches Spott
erklären müssen, heisst •der Leser• . Er cc erkennt» Buchstaben ccwieder».6
Besser sollte Aristoteles wohl Allesfresser heissen. Er hat erstens über jeg-

1 Gell. Noct. Att. XX 5, 1 -5.


2 Wagner, in Aristoteles, 5 1 995, 475.
3 D. L. V 5. Den Wortlaut siehe bei Athen . XV 696 oder Campbell, 1 990-1 993, V 2 1 4-2 1 7.
4 D. L. V 1 2- 1 6.
5 Arendt, 1 969, 896.
s Svenbro, 1 988, 7 1 .

1 52
liches geschrieben, n icht nur, wie uns i n Heideggers verlassenem Freiburg
und Gadamers besetztem Heidelberg eingeredet wurde, vom Seienden als
S eienden . 1 Er wollte zweitens alles - aber ohne Götter - wissen, sagen ,
s chreiben. Z u m Beispiel : Wo geniesst d i e Frau? N icht dort, wo sie der Mann
geniesst u nd ihre Lust vermutet, sondern an genau derselben Leibesstelle
wie der Man n . 2 Seitdem herrscht Eros auch als Frauenarzt.

Aristoteles hat drittens 445 270 Zeilen geschrieben,3 also über alles. Er tat
das so, dass alle Leser ihn auch lesen konnte n : Als Grieche aus Barbaren­
land schrieb er Koine.4 Nur so konnte einem unvordenklich alten Dichter­
denken, das Mu ndarten im Haus des Seins bewoh nte und Aristoteles ein
Fremdwort blieb, die Wissenschaft als abzählbare Vielheit überhaupt ent­
springen .

«Wir vergessen , daß schon im Zeitalter der griechischen Phi losophie ein
entscheidender Zug der Philosophie zum Vorschein kommt: es ist die Aus­
bildung von Wissenschaften i nnerhalb des Gesichtskreises, den die Philo­
sophie eröffnete. Die Ausbildung der Wissenschaften ist zugleich ihre Loslö­
sung von der Phi losophie und die Einrichtu ng ihrer Eigenständigkeit. Dieser
Vorgang gehört zur Vollendung der Phi losophie. Seine Entfaltung ist heute
auf allen Gebieten des Seienden in vollem Gang . » 5

3.2.2.2.1 Form und Stoff

Von Platon hat Aristoteles gelernt, dass es Form und Stoff gibt, Eidos und
Hyle. Er hat darüber hinaus gelernt, dass das Eidos wesentlich Idee ist und
am Götterhi m mel fern von uns erstrah lt. Nur wie soll das Denken damit ar­
beiten? Wen n « iöea in der attischen Sprache Platons ein Fremdwort ist» ,6
kann es von Sokrates und dessen Handwerkswissen ja nichts weitergebe n .
Platon rettet zwar M u s i k a l s Sphärenharmonie, aber um d e n Preis d e r Ki­
thara, die als Denkmodell schlicht ausfällt. So bleibt denn Aristoteles, schon
weil er Philolaos gegen die Idee treu bleibt, nur eines übrig : hier auf Erden
Sachverhalte nachzuweisen , die das Verhältnis Eidos: Hyle an i hnen selber
zeigen.

1 Arist. Met. r 1 , 1 003820: „·eonv en1oniµl"l n c; i1 9E:wpe:T r6 ö n öv. - Es ist eine Wissenschaft,
die das Seiende als Seiendes anschaut» .
2 Arist. Gen. an. 1 20, 728832-34.
3 D. L. V 27.

4 2oco, s. v. Dialects, G reek.

5 Heidegger, 4 2000, 63.


6 Lohmann , 1 970, 1 1 2 .

1 53
Das tut schon darum not, wei l sich zwar alles, was ontologisch zählt, bestim­
men oder definieren lässt - vom Element zum Seiende n , vom Seienden zum
Logos -, nur nicht das Eidos selbst. Aristoteles, der Meister des Begriffs,
versagt vor seinem Grundbegriff. Ohne jemals darauf einzugehen, waru m er
beide Worte - i n seinen eigenen Worten - cc synomym » gebraucht, schreibt
er wahllos einmal e:Töoc;, einmal µopcpfi. Damit ist das Eidos zwar mit An­
mut und Gestalt verknüpft und von der schönen Stimme des Odysseus ab­
gekoppelt, aber n icht gedacht. Denn dass es sich mit ausgelegten Zahlen­
steinchen nicht beschreiben lasse, hat Eu rytos schon zornentbrannt erfah­
ren müssen . 1 Und wen n das Eidos mit der Morphe eins sein soll , geht laut
Aristoteles auch Phi lolaos' Grundgedanke in die Irre : Aus einer Form ent­
stü nden viele, die dann «Verschieden scheinen „ .2 Geometrie u nd Arithmetik
scheiden also aus, wen n es das Seiende in seinem Sei n zu denken gilt. Da­
mit bleiben ontisch nur drei Felder offen, um das Verhältn is Eidos : Hyle als
Logos aller Logoi anzusprechen . Wir können uns an Kunst-u nd-Technik
halten, an die Physis zwischen Mann-und-Frau oder aber (rekursiv) an un­
ser Reden selbst.

3.2.2.2. 1 . 1 Techne

Der Gott im Stein, wie Aristoteles so einfach schreibt, ist n icht schon i mmer.
Ein Künstler hat ihn machen müssen, wobei sein grosser oder kleiner Na­
me n ichts zur Sache tut.3 Den Kult gen ialer Geister ü berlassen Griechen
uns. Es sagt auch n ichts, dass Hermes' Ku ltbild einen Endzweck hat, näm­
lich dass der Gott in seinem Tempel anwest.4 Doch damit sich diese Wahr­
heit überhaupt i m Werk ereignen kann , muss uns die Erde Stoffe schenken.
I n Steinen wie dem Marmor schlummert schon die Möglichkeit, Gestalten
anzu nehmen . Zum Ende und zur Ruhe seiner Wirklichkeit (evepye1a) ge­
langt das Bildwerk aber erst, wenn eine Technik ihm zum Beispiel Hermes'
Anblick einprägt.5 Dies eine Bild als wirklich Seiendes aus Stoff u nd Form

1 <= 2.2.2.3.
2 Met. Z 1 1 , 1 036 b 1 7-20. - Für Philolaos, also gegen Aristoteles spricht aber schon, dass
- nach einer mässig klugen Übersicht (Sandoz, 1 97 1 , 1 38 f.) - e:Töoc; das Dauerhafte an
der Form betont, µop<pri das Wechselnde - ganz wie oxi'jµa eine Statik und pu8µ6c; eine
Dynamik (Benveniste, 1 966- 1 974, 1 333) .
3 Arist. Met. 6. 2, 1 0 1 3 b 34 f.
4 Heidegger, 4 1 963, 32.
5 Siehe dagegen Mcluhan, 1 987, 429 : „On sunday [2 1 . März 1 97 1 ] I made the biggest dis­
covery of all my life. lt happened while 1 was working on the preface for lnnis' Empire and
Communications which the University of Toronto Press is bringing out. Put in a word , the
discovery is this: for 2500 years the philosophers of the Westerns have excluded all tech­
nology from the matter-form i n entelechy treatment. [ . . . ] lt did not occur to him [lnnis] that
our philosophy systematically excludes techne from its meditations. Only natural and living
forms are classified as hylo-morphic." So grandios kann Medienwissenschaft sich irren .

1 54
gefugt nennt Aristoteles die Wesenheit (ouoia). Oder noch genauer und in
kü hnstem Griechisch ccdas Was-war-Sein » (ro ri �v e:iva1) . 1

3.2.2.2. 1 .2 Physis

Aber sind die Fische rund um Lesbos, sind Sapphos Blumen, Wiesen, Läm­
mer auch so gemacht wie Bildwerke und Häuser? Nei n , gibt Aristoteles dem
Heidegger in ihm geheimes Recht.2 Es braucht für das, was von Natur her
ist, gar keinen Kü nstler oder Handwerksmeister, geschweige denn den De­
miurgen oder Puppenspieler Platons, aus dem die Christen nachmals ihren
Schöpfer schöpfen werden . Ein Gott, der ohne Göttin ist, schliesst Denken
aus und umgekehrt. Denn Leben west im Leiben und Vollziehen , niemals
als Werk von anderen. Die Technik kann die Physis ontologisch daher nicht
begründen, schon weil sie als Werkzeug die Natu r nur nachah mt,3 statt uns
wie Archytas zur Freiheit des Maschinenwesens einzuladen. Also braucht
die U nterscheidung Eidos/Hyle ein Modell, das nicht aus der Technik rü hrt,
sondern aus der Physis selber. Doch darum seid ihr Ärztekinder nie verle­
gen .

« Ein Mensch zeugt einen Menschen » , schreibt der Arztsohn aus Stageira
immer wieder.4 Jeder weiss das, Mann und Frau . Jeder ausser Athens Auto­
chthonen ahnt jedoch schon , dass das Beispiel gar nicht sti mmt und nur den
Lügensatz verdeckt, « auch die Frau [sei] aus dem Mann „ .5 Jedes Säuge­
tier braucht zwei Erzeuger, ob Eltern oder Götter - und das zudem noch
rekursiv. ccAnd the gods made love. »

Doch was meint der Satz rein onto-logisch, zugleich vom Sein und Lo­
gos aus gesagt? Dass ein Anblick nach Jahrzeh nten als derselbe wieder­
kehrt, also kein U nmensch oder U ngeheuer, sondern schlicht ein Kind. Si­
cher, Stoff und Fleisch sind immer wieder anders, aber nicht das Eidos. Wer
schenkt dem Kind das Fleisch ? Gebärmutter und Mutterbrust. Also scheiden
sie als Eidos aus. Es muss vielmehr i m Samen eine Form verborgen liegen,
die sich dem dunklen Monatsfluss aufprägt, damit wir Menschen Menschen
werden.6 Folglich ist der Vater, nicht die Mutter, die Wahrheit oder Wirklich-

1 Für diese unübersetzbare Fügung schreiben wir mit Bonitz •Wesenswas• . Zur Sache siehe
Marx, 1 954, 43-48.
2 Heidegger, 4 1 963, 1 6-21 .
3 Arist. Phys. 1 1 8, 1 99a 1 5- 1 7.
4 Met. z 8, 1 033 b 32. Dazu Marx, 1 954, 46 f. - Über das dornige Problem, dass Maulesel
weder von Mauleseln stammen noch Maulesel gebären können, siehe Met. Z 9, 1 034 b 3 f.
5 Met. Z 9, 1 034 b 2.
6 Met. H 4, 1 044a34 f. Dazu Lacan, 1 975, 76: „Jusqu'alors, rien de la connaissance ne s'est
conc;u qui ne participe du fantasme d'une inscription du lien sexuel - et on ne peut meme
pas dire que les sujets de la theorie antique de la connaissance ne l'aient pas su. - Consi-

1 55
keit von Kindern , zumindest wenn sie Söhne sind. I m Gegenfall von Töch­
tern muss sein Eidos nämlich noch Geduld aufbringen, bis es i n Enkeln oder
U renkeln wiederkehrt. 1 Doch dafür hat die Physis schon gesorgt: Die Lust
der Frauen glüht ja n icht in i h rer Scheide oder Physis, vielmehr ccam selben
Ort» wie die der Männer. 2 Dass Aristoteles ihn trotzdem ohne Namen lässt,
trennt ein Jahrtausend doppeldeutig schöner • Nymphe n • von zwei Jahrtau­
senden der ärztlich umgedachten Kl itoris.3

Es ist also genau genommen nicht das Sperma, sondern nur der Vater, der
in seinen Kindern wiederkehrt. Mi mesis der Mimesis, aber endlich wieder -
gegen Platon - ohne Seinsverlust. Stünde es nämlich anders, wäre immer
anderes im Spiel : Auch Sperma ist ein Stoff, der den Epheben erst noch
werden muss, das Eidos namens Vater aber n icht. Ihn gibt es lang zuvor.
Also weiss das Sperma, wenn es mit Zwölf und Dreizehn langsam quillt,
immer schon Bescheid. Kein Mensch braucht es zu zeugen und zu machen,
sonst läge hinter jedem Eidos noch ein Eidos und hi nter dem ein drittes -
bis ins aktual U nendliche, das es jedoch nicht geben darf.4 N iemals werden
Affen Menschen zeugen, niemals Menschen Affen . Denn Rekursionen hat
uns Aristoteles (im Unterschied zu Darwin oder Turing) strikt verboten .

Aber liegen s i e n icht auch unendlich nahe? U m sich f ü r alles Seiende, ob


in Physis oder Techn ik, als seine Wahrheit zu erweisen, m üsste doch die
Form am Logos selbst aufscheinen, der sie Seiendem je zusagt. Lässt sich
DAS WORT dan n noch von Vaterschaft und Mutterschaft her denken? Nein,
ahnt Aristoteles u nd schweigt. Statt dessen spielt er i m mer wieder, aber
ohne nachzudenke n , noch ein drittes Eidos : Hyle-Beispiel durch . Wir (im
Gegensatz zu u ngezählten Deutern , die Stimmen, Laute, Harmonien seit
jeher überlesen haben) hören also weiter zu. Vielleicht sind Form und Stoff
ja in der S(PR)AC H E selbst verborgen und verschlungen .

3.2.2.2. 1 .3 Struktur

Die S ( P R)AC H E , lehrt Pythagoras, schlingt Singen Reden Zählen ineinan­


der. Wir können das nur kau m mehr sagen, wei l Aristoteles uns so an Form

derons seulement les termes d'actif et de passif, par example, qui dominant tout ce qui a ete
cogite du rapport de la forme et de la matiere, ce rapport si fondamental , auquel se refere
chaque pas de Platon, puis d'Aristote, concernant ce qu'il en est de la nature des choses. II
est visible, touchable, que ces enonces ne se supportent que d'un fantasme par ou ils ont
tente de suppleer a ce qui d'aucune fa<;on ne peut se dire, a savoir le rapport sexuel.„
b
1 Arist. Gen. an. IV 3 , 767 3- 1 2.

2 Gen. an. 1 20, 728832-34.


3 Passow, [ 5 1 84 1 ] 2004, 1/2 1 745.
b
4 Met. Z 8, 1 0338 3 1 - S .

1 56
und Stoff gebannt hat. Selbst Denkern wie Kojeve gelingt es nur dank lauter
Sonderzeichen, die Ontologie des Seienden als Seienden zu u nterlaufe n :

Pythagoras hat d i e Frage des BEG R I FFS auf sehr explizite Art ge­
stellt. Denn was die Struktur einer Zah l hat, ist sicher weder der ,Stoff'
i m geläufigen Wortsinn noch die erscheinende , Form' der körperlichen
Dinge. Es ist auch kein ,Sinn' im geläufigen Wortsinn. Gleichwohl ist
es das, was die Formen der Körper ,besti mmt' u nd den (,wahren') Sinn
dessen, was man darüber sagt, ,definiert' . Wenn man also annehmen
darf, die Menge der pythagoreischen ,ZAHLEN' sei der BEG R I F F, dann
ist es jedenfalls zum ersten Mal in der Philosophie, dass man ihn als
Struktur anspricht. 1

Ku rz gesagt: was ist, ist alphabetisch. Das, n u r das, vergisst Metaphysik.

3.2.2.2.2 Laut S i l be Wort

Wenn also bei Aristoteles der Logos als die Rede S ( P R)AC H E selber ablöst,
müssen wir ihm Schritt um Schritt ablernen, wie sich Form und Stoff zur
Sammlung namens Logos sammeln. Erst dann wird klar, dass die Struktu r
der Zahl dabei erstirbt.

3.2.2.2.2.1 Vom Wort zur Silbe

Worte sind aus Silben , Silben sind aus Lauten.2 Das ist keine Binsenwah r­
heit, sondern phonologisch so u nfassbar3 wie ontologisch dunkel. 4 Wir da­
gegen fangen ganz von unten an , bei kleinsten Zeichen. Es gibt, seitdem

1 Kojeve, 1 968, 201 : „Pythagore ( . . . ] a pese la question du Concept d'une lai;:on nettement
explicite. Gar ce qui a la structure d'un nombre n 'est certainement pas la ,matiere' au sens
courant du mot, ni la ,forme' apparente des objets corporels. Ce n 'est pas non plus un ,sens'
au sens cou rant du mot. Pourtant, c'est ce qui ,determine' les formes des corps et ,definit' le
sens (,vrai') de ce qu'on en dit. En tout cas, si l'ensemble des ,Nombres' pythagoriciens est
cense d'etre le Concept, c'est pour la premiere leis en philosophie qu'on en parle comme
de ce qui a une structure."
2 Walter Bröcker, Aristoteles. Fünfte Auflage, Frankfurt am Main 1 987, 1 76-1 84, kann nicht
einmal dies Verhältnis wiedergeben.
3 Denn „die Silbe, um deren Definition sich viele Forscher bemüht haben , ohne zu einem ab­
schließenden und allgemein anerkannten Ergebnis zu kommen, ist eine vom Sprecher emp­
fundene, mit den Mitteln der Phonetik aber keineswegs immer nachweisbare Sprecheinheit
ohne [?] Beziehung auf einen Bedeutungsgehalt." (Wend!, 1 96 1 , 229 !.)
4 Um so schlimmer, wenn ein einflussreicher Schüler ausgerechnet Heideggers zwar alle
Aristotelessätze über Buchstaben und Silben in sein „Stellenregister" aufnimmt, im Text
jedoch als Maseratifahrer unterschlägt. So Ernst Tugendhai, Tl KATA TINOS. Eine U nter­
suchung zu Struktur und Ursprung aristotelischer Grundbegriffe. Dritte Auflage, Freiburg
und München 1 982 (= Symposion. Philosophische Schriftenreihe, herausgegeben von Ro­
bert Spaeman n , Klaus Hemmerle und Alexander Hollerbach), 1 57-1 60. Genauso sprachlos
führt Tugendhai auch an, was über Musik als «Verhältnis von Zahlen » geschrieben steht
( 3 1 982, 1 49, zu Arist. An. Post. B 2, 908 1 8) .

1 57
Homeros auf Euboia Griechenalphabet geworden ist, für alle Laute Elemen­
te. Wir denken also bottom up - mit Aristoteles.

rro1xe:Tov AE:ye:TOI E:� ou OUVKE:ITOI npwrou E:vunapxovroc; aö1a1pE:rou


T� e:iöe:1 e:ic; E:re:pov e:Töoc;. o'iov cpwvr;c; OTOIXe:Ta E:� wv OUVKE:ITOI r1
cpwvr1 Kal e:ic; ä ö1a1pe:Tra1 E:oxara, E:Ke:Tva öe µ11KE:r' e:ic; äMac; cpw­
vac; E:rE:pac; T� e:iöe:1 OUTWV, aMa KÖV ö1a1pf;ra1. TO µ6p1a 6µoe:1öf; ,
oiov üöaroc; TO µ6p1ov üöwp, aM' ou rr;c; ouMaßf;c;.
Element heisst ein Erstes, aus dem als I n/Unterliegendem , der Art
nach nicht [weiter] in eine andere Art Teilbarem etwas zusammen­
vorliegt. So [sind] Elemente der Stimme die, aus denen die Stimme
zusammen-vorliegt und in die sie sich als in letzte zerlegt, die aber
nicht wieder in andere fremde Stimmen/Laute von selber Art [zerfal­
len] , sondern, selbst wenn man sie teilte, in Teile gleicher Art. So ist
[jeder] Teil des Wassers wieder Wasser, nicht jedoch der Silbe . 1

Ku rz und g u t : ein Wassertropfen i s t von derselben Art w i e ganze Meere,


ein Sprachlaut aber lediglich von gleicher Art wie andere. Sie alle bilden ja
die Stimme, deren kleinste Einheit offenkundig Silbe heisst. So ist zum Bei­
spiel BA zwar eins mit B u nd A, aber als «Zusam mennahme» (ouMaßr'i)
oder eben « Silbe» doch nicht ganz.2 Das zeigt sich Aristoteles am einfach­
sten darin , dass (mit Leukippos) die Silben AN und NA verschieden sind,
nicht aber ihre beiden Elemente A und N.3 Ein U ntersch ied , was Elemente
sind, scheint erst bei ihren Rekursionen auf: Sie können erstens und an­
fänglich Laute einer durchgehörten Sprache sein , zweitens wie seit Leuk­
ippos Atome physikalisch als Unteilbarkeiten denken u nd schliesslich bei
Eukleides, dessen Bücher nicht umsonst I:ro1xe:Ta heissen, Diagramme und
Beweise, die mathematisch atomar sind.4 So weit und nur so weit gelangt
das Griechenalphabet bei seinen Rekursionen : Es ahnt in der Metaphysik
sich selbst.

Die Verwandlu ngskü nste des Stoicheio n , das «vielfach ausgesagt» wie al­
le Seinsbegriffe ist,5 führen Aristoteles kurz zur Frage, ob jede Silbe BA
«ein Eins ist» oder ob es soviele BA gibt, wie Elemente ausgesprochen
werden.6 I m ersten Fal l , der Platons Antwort nachspielt, nähmen auch die

1 Met. t. 3 , 1 0 1 4a26-3 1 . Götter, möge dieses Deutsch sowohl dem Denker wie euch Lesern
nahekommen !
2 Met. Z 1 7, 1 04 1 b 1 2 f. und 3 1 -34. Dazu vorläufig Marx, 1 954, 56.
3 Met. A 4, 985 b 1 7. N icht erst Louis Hjelmslev hat also die phonologische Kommutation er-
funden.
4 Met. t. 3, 1 01 4a3 1 -b 1 .
s Guzzoni, 1 958.

6 Met. M 1 0, 1 0ssa22-2?.

1 58
Einzellaute an Ideen tei l : Es gäbe « neben vielen As oder Bs das A selbst
und das B selbst» (napa ra noMa auro ÖAq>a Kai auro ßfira). Im Gegen­
fall , den Aristoteles an nimmt, werden (wie i n jeder Mundart) «der ähnlichen
Silben unzäh lig viele sei n . » 1 Doch dieses Rätsel , ob nun nur ein Vorge­
plänkel unserer Phonologie mit der Phonetik oder doch ein Ei nblick in das
unendlich Endliche der Sprache, bewegt i h n nur am Rand . Viel drängender
bleibt zu bedenken, wie Laut und Silbe sich zum U nter-Schied von Form
und Stoff verhalten, der bis auf diesen Abend am Computer alles Reden
Denken Schreiben vorbestimmt:2 Software, Hardware, Wetware usw.

ra µev yap oro1x€ia rwv ouMaßwv Kai ri ÜAll rwv oKeuaorwv Kai
6 nOp Kai ri yfi Kai ra ro1aOra n6vra rwv owµ6rwv Kai ra µepri roO
ÖAOU Kai ai uno9E:oe1c; TOU ouµnep6oµaroc; wc; TO E:� oü a'in6 E:or1v·
TOUTWV öe TO µev wc; TO unoKeiµevov. o'iov TO µepri . TO öe wc; TO Ti
�v eTva1 . ro re ÖAOV Kai ri ouv8eo1c; Kai ro eTöoc;.
Denn die Elemente sind an den Silben [schuld] und der Stoff an dem
daraus Gefertigten und das Feuer, die Erde und al les dergleichen an
den Körpern und die Teile am Ganzen [ . . . ], sofern sie das sind, woraus
etwas wird ; und dabei ist nun das eine U rsache als Zugru ndeliegendes,
etwa die Teile, das andere als das Wesenswas, näml ich das Ganze, die
Zusammensetzung und das Eidos.3

eva ö' wc; E:K TOU ouv9erou E:K rf)c; ÜAll<; Kai rf)c; µopq>f)c;. wonep E:K
roO ÖAou ra µepri Kai E:K rf)c; 0IA16öoc; ro enoc; Kai rf)c; oiKiac; oi Ai9or
TeAoc; µev y6p E:or1v ri µopq>fi. TeAelOV öe TO exov TeAoc;. TO öe wc;
E:K roO µepouc; ro eK>oc; . o'iov 6 äv9pwnoc; E:K roO öinoöoc; Kai ri
ouMaßfi E:K roO oro1xeiou.
Aus-etwas-sein [heisst es] von dem aus Stoff u nd Form zusam men­
gesetzten , so wie aus dem Ganzen die Teile [sind] und aus der llias
ein Gesang [ist] und am Haus die Steine; denn Ziel ist die Form und
was Ziel hat, ist vollendet. [Aus-etwas-sein heisst auch] das, wenn das
Eidos aus dem Tei l ist, so wie der Mensch aus dem Zweifüssigen u nd
die Silbe aus dem Stimmelement.4

« Das Aus-etwas-sein " (ro E:K nvoc; eTva1) ist nur einer von i nsgesamt 30
Seinsbegriffen, deren sagbare Vielfalt Aristoteles sorgsam entfaltet. Er tut

1 Met. M 1 0, 1 08785- 1 0 . Dazu Lehmann , 1 965, 264 f. , aber auch Lacan, 1 975, 1 26 : « Le
langage n'est que ce qu'elabore le discours scientifique pour rendre campte de ce que
j'appelle lalangue. "
2 Heidegger, 4 1 963, 1 6- 1 8.
3 Met. /j, 2, 1 01 3 b 1 7-23 . Unsere Verdeutschung von ainov folgt Heidegger, 2 1 959, 1 6-20.

4 Met. /j, 24, 1 023831 -36.

1 59
also, was auch die Silbe tut, wenn sie ihre letzten Elemente freigibt, aber
auch das, was Stimmelemente tun , wenn sie sich zum Anblick einer Silbe
fugen . Stoff ist aus Form, Form ist aus Stoff; nur dass auf dem Spielfeld des
Seins der Weg zu Ziel oder Zweck viel höher steht als jeder Rückweg zu den
Teilen. Daher liest und versammelt erstmals die Silbe, was wir als Buchsta­
ben erkennen . Sie ist der Logos ihrer Elemente . 1 Nur wie sie das tut, kann
die Metaphysik nicht mehr erklären. Sie gesteht/verhehlt i h r Scheitern mit
dröh nendem Verstummen : U nter den 30 Definitionen erscheint zwar auch
die ü>.11, aber ihre beiden Gegenbegriffe e:Töoc; und µopcpr) glänzen durch
Abwesenheit. Wie sollten Silben auch «Anblicke » geben oder sei n ? I h re Let­
tern lassen sich nur lesen, wenn Ohr und Herz dabei sind.

Kein Aufschreibesystem , solange es waltet, lässt sich schreiben. Uns erst


ist vergönnt, es wenigstens in seiner Einfalt zu belegen. Was Schulkinder
im kleinen Griechenland gekritzelt haben, hat nun zwar die Zeit fast ganz
zerstört. Wir wissen daher nicht, wie •die Metaphysik• in Schulstu nden ent­
stand . Aber aus Ägyptens heissem Wüstensand sind (dank Sir Flinders Pe­
trie) spätantike Papyri u nd Wachstafeln ans Licht gekommen, denen wir ab­
lesen können, wie Schülerhände sich ins Aufschreibesystem -300 einzu­
schwingen lernten. Jedes dieser Hefte beginnt - wie Aristoteles - mit den
24 Einzelbuchstaben (yp6µµara) : Das Alphabet, in seiner festgelegten Rei­
henfolge einmal und nur einmal abgeschrieben, übt zugleich die Elemente
(oro1xe:Ta) allen Wissens e i n . Dann aber •schreiten• solche Hefte - wieder­
um wie Aristoteles und das Grundwort von oro1x€iov - vom Stoff zur Form
fort, vom Buchstaben zur Silbe, von der Silbe bis zum Beispielsatz und Vers.

1 Über diesen Wortsinn von "'6yor:, siehe Heidegger, 2 1 959, 208-2 1 1 .

1 60
3.2.2.2.2.2 Eine Schu lstu nde

An AH HA e BH lc;
AP XON HB He IZ
AI THP Hr IA 9H IZ
AY =:ON H� IB
AM MON HE Ir
AY AOr HH I�
<D
. . .A. HZ IE
HH lc;

EIN FACH E 8 1 09 28 16
H E R R SCH E R 8 2 10 89 17
G E STI R N 8 3 11 98 17
MEH REND 8 4 12
AM MON 8 5 13
AU LOS 8 6 14
8 7 15
8 8 16

Da sehen wir es schwarz auf weiss: 1 Ein Kindergriffel hat auf einer leider
verlorenen ersten Tafel schon die 24 Ei nzellettern eingeübt. Jetzt schreitet
er (am linken Rand) zu Silben fort, um aus 2 Silben je 1 Wort zu bilden. Alle
diese Wörter beginnen mit dem Anfang, näml ich Alpha. I m Archon meldet
sich der Kaiser als Herr auch von Ägypten , der Papyrosschreibstoffquelle
des I mperiums, in Ammen und Gestirn der alte Gott des Landes. Der Au los
steht wohl für das nächste Schu ljahr und •mehrend• heisst zu Recht ein Sil­
benbilden, wie es auf der Tafel eben statthat.2 Doch, u m aller Götter willen ,
wofür steht am Listenanfang selbst das Wort AnAH , •die ein-fache • ? Warum
nicht wie bei allen anderen die männliche Normalform, also AnAOr? Etwas
Weibliches wird angerufen, das indes nicht aufhört, sich nicht zu schreiben.
Das kan n , beim Zeus, doch nur die Silbe selbst sein . AnAH rYAAA B H. Die
einfache Silbe, ist mith i n das Element, dessen Zwiefalt - wie Aristoteles uns
bald beweisen wird - jedes Wort der Spalte links ergibt.

Nur die vier Spalten rechts müssen wir uns selbst erklären, weil Aristote­
les ja vor dem Zahlenwesen floh. Zudem verdunkelt unsere indo-arabische
Umschrift, dass griechische Arithmetik i m selben Medium wie die Wortbil-

1 Nach Ziebarth, 2 1 9 1 3, 29. Das Schreibheft, zwischen +400 und +500 entstanden , umfasst
insgesamt 9 Holztafeln im Format 1 7,5 x 9,5 cm.
2 Was Ziebarth in Grimmscher Rechtschreibung „uebung der silbentrennung" nennt, ist nach
Ausweis anderer erhaltener Schulhefte das ganze Gegenteil: ein ouMaßi�eiv oder Silben­
bilden ( Plut. De am. prol. 4, 496f) .

1 61
dung geschieht, nur eben mit drei Zusatzbuchstaben . Ganz wie der Schü ler
Lettern zu Silben und Silben zu Worten gefugt hat, so addiert er nun Zahlen
von 1 bis 9, also die sogenan nten Einer, zu Summen. 8 + 8 1 6 würden =

wir schreiben, um auch die zwei Operatoren + und -, die das Griechische
weg lässt, nicht über ihren Operanden zu vergessen. Denn was würde sonst
der Lehrer sagen oder tu n ?
LEHRER. Seit wann ist 8 + 2 1 6? Setz dich ! D e r Nächste !
=

K I N D. Der Schüler meint wohl 8 x 2 1 6, nur ohne Mal, Herr Lehrer!


=

LEHRER. Richtig ! Und warum schreibt er 1 7 zweimal an, erst a l s 8 + 9 ,


dan n aber auch a l s 9 + 8?
K I N D. Weil die Addition im Körper der reellen Zah len kommutativ ist,
Herr Lehrer!
LEHRER. S e h r gut, danke ! Das war's f ü r heute i n Ägypten . Kehren wir
zu Aristoteles u nd seiner Wortbildung zu rück. Schlagt die Po­
etik auf, Kapitel 20 !
Wir beide fangen also wieder an u nd lesen. Du Studenti n , ich dein Tutor.
Du brünett und jung, begehrt u nd scheu ; ich Lessing, Schiller, Hegel und so
fort. Warum steht das Schicksal immer schon geschrieben? Schlag mit mir
die „älteste Grammatik" auf, „die uns überliefert ist" ! 1 Lass uns Aristoteles'
Poetik wieder lesen !

3.2.2.2.2.3 Von der Silbe zur llias

La grammaire est ce qui ne se


revele du language qu'a l'ecrit.
Lacan , Encore

Tf)c; öe Ae�e:wc; an6011c; T6ö' eorl Ta µep11, oro1xe:Tov ouMaßil ouv­


öe:oµoc; Övoµa pf)µa Öp9pov mwo1c; A6yoc;. OTOIXe:Tov µev OUV
eOTIV <.pWVrl OÖ1aipe:Toc;, OU ncoa Öe 6M' e� �c; ne<.pUKE: OUV9e:Til
yiyve:o9a1 <.pwvfi· Kal yap TWV 911piwv e:iolv aö1aipe:TOI <.pwvai. wv
ouöe:µiav Aeyw OTOIXe:Tov. TOUTl1c; öe µepri TO Te: <.pwvf)e:v Kal TO
riµi<.pWVOV Kal Ö<.pWVOV. eOTIV öe TaUTa <.pwvf)e:v µev <TO> äve:u npo­
oßoAf)c; exov c.pwvilv 6KouoTfiv, r1µic.pwvov öe TO µe:Ta npooßoAf)c;
exov <.pwvilv CKOUOTrlV o'lov TO r Kal TO p, äc.pwvov öe TO µe:Ta npo­
'
oßoAfic; Ka9' aUTO µev ouöe:µiav exov <.pwvfiv, µe:TO öe TWV ex6VTWV
TIVO <.pwvilv y1v6µe:vov CKOUOTOV oTov TO r Kal TO b.. TaUTa öe ö1a­
'
<.pepe:1 oxfiµaoiv Te: TOU or6µmoc; Kal T6no1c; Kal öaOUTl1T1 Kal 4,llAOTl1TI
Kai µfiKe:I Kal ßpaxUTl1TI €Tl öe 6�UTl1T1 Kai ßapUTl1TI Kal Tc'.j) µeoc'.j)· ne:pi

1 Lehmann, 1 953, 1 8 1 .

1 62
WV Ka9' eKaOTOV ev ToTc; µe:TplKOic; npoor)KE:I 9ewp€iv. OUMaßr) Öe
eOTIV Q>WVr) äoriµoc; OUV9e:Tr) €� CQ>WVOU Kai Q>WVl)V exov10c;· Kai
yap TO rP äveu TOÜ A touMaßri Kaitµe:Ta TOÜ A. oTov TO rPA aMa
Kai TOUTWV 9ewpfjoa1 Tac; Ölaq>opac; Tfjc; µe:TplKfjc; eOTIV.
Von der ganzen Redeweise sind dies die Teile: Stimmelement Sil­
be Verbindung Name Zeitwort Glied Fall Rede. Stimmelement n u n ist
[eine] u nteilbare Stimme, n icht irgendeine, sondern aus der eine zu­
sammengesetzte Stimme werden kan n . Denn auch [Säuge]Tiere ha­
ben unteilbare Stimmen, von denen ich aber keine Stimmelement nen­
ne. Seine Teile n u n sind: der Stim mlaut und der Halblaut und der
Stu mmlaut. Selbiger Stim mlaut ist aber, was ohne Daranwurf eine hör­
bare Stimme hat ; Halblaut, was mit Daranwurf eine hörbare Stimme
hat, wie das S oder R ; Stu m m laut aber, was mit Daranwurf von selbst
überhaupt keine Stimme hat, [doch] mit etwas, das eine Sti mme hat,
hörbar wird , wie das G oder D. All diese [Stim melemente] nun sind
verschieden : je nach Stellungen und Orten des Mundes, nach Fellig­
keit und Nacktheit, nach Länge, Kürze und weiterhi n nach Höhe, Tiefe,
Mitte. All dies i m einzelnen wird aber i n der Metrik zu betrachten sein .
Silbe n u n ist Stimme ohne Sinn, zusammengesetzt aus Stimmlosem
und Stimmhaftem . Denn das G R ohne A ist keine Silbe, wohl aber das
mit A, nämlich G RA. Doch auch solche Unterschiede zu betrachten ist
[Sache] der Metrik. 1

Wir haben Aristoteles nur daru m so wortgetreu verdeutscht, wie Schulkin­


der es täten , damit euch deutsche Professoren (Gigon oder Fuh rmann) das
Denken nicht von vornherein abnehmen. Anders als am fremden Wortlaut
rankt kei n Wissen . Uns sind zum Glück, wie einst Spartanern , erste Schritte
in die Feme ja enth ü l lt.

Stimmelement und Silbe, Namen und Zeitwort hat schon Platon abgeson­
dert. . Was Aristoteles darüber hi naus an Wortarten entdeckt, geht uns im
Gymnasiu m an, nicht aber hier, so wenig wie Artike l , Konjunktionen, Fälle.2
Doch dass ein Denker überhaupt versucht, cc alle» Redeweisen aufzuzäh len ,
ist ein erster Schritt über Platon hinaus. Aristoteles erkundet, wie Sprache
sich als doppelte Artikulation vollzieht, durch Phoneme u nd Morpheme, also
sowohl i n Stoff wie Form . Den zweiten Schritt macht seine Abgrenzung des
Sprechens gegen Lebewesen , die zwar auch Geräusche senden, sie aber

1 Poet. 20, 1 456 b 20-38. Unterm Titel « Daranwu rf„ bedenkt Aristoteles und erst er die Beiträ­
ge von Zunge und Lippen zur Lautbildung, also den Konsonantismus. Siehe Hist. an. IV 9,
535 b 1 , und dazu 2 0CD, s. v. Grammar.
2 Über die Erfindung oder Selbsterkenntnis der Deklination siehe Lehmann, 1 965, 1 76 f.

1 63
nicht zu Stimmen oder (besser gesagt) Silben verbinde n . Das sind beileibe
n icht alle Tiere, aber doch die alltagsnächsten : von Schafen oder Ziegen 1
über R i n d u n d H u n d b i s h i n zum Wolf. Wen n die Nachtigall dagegen kei­
ne Silben sänge, würde Sophokles i m heiligen Gebüsch von Kolonos keine
Muse hören und Aristoteles Singvögel n icht so feiern.2

Silbenbilden ist also eine notwendige, doch noch n icht hinreichende Be­
dingung unseres Menschseins. Eben darum wird es laufend eingeübt, ob
akustisch oder optisch. Es gab attische Komödien, die fast n ichts anderes
i ntonierten, als was auch viele der in Ägypten ausgegrabenen Schü lerhefte
ausfüllt:3 endlose Litaneien von « BA BE BI BO BU, GA GE GI GO G U , DA
DE DI DO DU . . . „4 Aristoteles, «der Leser» , wird solche Silbenlisten beim
Schreibenlernen erst gesehen und i m Dionysostheater nachmals vernom­
men haben. Deshalb erklärt er uns i m nächsten Schritt , was am Silbenbilden
schwer fällt, und stiftet so ganz nebenbei die Wissenschaft Phonetik. Beim
Versuch zu sagen, wie das S klingt, hat Theaitetos ja versagt.5 Erst Aristo­
teles stellt klar, dass jeder Stimmlaut schon als solcher eine Silbe bildet. So
kann er dem homerischen « Geheg der Zähne» als «geflügeltes Wort» ent­
strömen : als Pfeil mit der Lizenz zu töten . Um dagegen auch aus Halblauten
wie S und R hörbare Silben zu machen, müssen erst die Lippen schwingen
oder Gaumensegel rollen . All diese Werke unseres Mundraums, den Euler
einst als unerforschtes Wu nder Gottes feiern wird , nennt Aristoteles Daran­
wurf (npooßo>i1). Die Grade seiner Rauhheit oder Weichheit u nterscheiden
Rede vom Gesang , dessen Theorie der Philosoph ja u nterm Titel « Metrik»
immer m itdenkt und zitiert.

Wir alle wissen, dass die Poetik nur i n Teilen überliefert ist oder (noch viel
schlimmer) auf einer einzigen Pariser Abschrift ruht. (So hängt das Abend­
land an einem Faden .) Das zweite Buch Von der Komödie ist zu Umberto
Ecos Staunen irgendwann i n Flammen aufgegangen .6 Seltener staunt je­
mand, dass nicht einmal die erhaltenen alten Titellisten irgendwelche Schrif­
ten über Metrik führen.7 Der Meister aus Stageira hat sie, heisst das, zwar
versprochen, aber nie verfasst. Metaphysik ist diese Seinsvergessenheit,
auf Musik und Mathematik immer wieder zu verweisen, ohne sie zu denken.
Nur darum schreiben wir und folgen stau nend Aristoteles, wie er vor der Mu­
sik hin i n Phonetik u nd Grammatik flieht. Statt mit Sokrates u nd Kratylos auf

1 Zu dieser Hörwelt siehe Od. IX 1 67.


2 => 3.2.2.2.3.2.
3 Ziebarth , 2 1 9 1 3, 3-5.
4 Svenbro, 1 988, 204.
5 <== 3 . 1 .3.3.2.2.

6 Eco, 1 982, 6 1 0-6 1 6.


7 D. L. V 22-27.

1 64
Stimmlaute zu bauen, die i h ren Klang zugleich i m Namen führen, lauscht
sein Ohr dem Flüchtigsten und Schwersten , das aber Prosa erst zu Prosa
macht: den Konsonante n . Offenbar ist i h m , dem Stotterer, zum Ausgleich
ein geschärftes Ohr gegeben (so wie dem blinden Sänger Demodokos der
entzückendste Gesang) .

Und was verrät die Muse aller Prosa? Stummlaute wie D und G sind klei­
ne ku rze Explosionen, die lange vorm Kanonendo n ner schon beweisen ,
dass wir Menschen nicht erst Sphärenharmonien n icht hören. Wir können
Stummlaute mit Hauchlaut sprechen (X � 9) , also ccfellig » , oder ohne (K
n T) , also cc nackt» ; wir können sie auch weich erkunden (f B 6) oder aber
hart (K n T) - es hi lft doch alles n ichts ! Stu mmlaute brauchen einen M it­
laut, wie es treffend heisst, um an die Ohren anderer zu rü hren. Halblaut
oder Stimmlaut, beide reichen rei n phonetisch h i n : Aus G wird GR, ein dau­
erhaftes Grunzen. So erweist sich Aristoteles, ccder Leser» , als unfassbar
guter Hörer. Seitdem die tote Schildkröte, Resonanzrau m aller Leiern und
Gesänge, immer seltener aufspielt, lauscht das hellste Griechenohr dem ge­
samten Mundraum nach , um ihn von seinen sichtbaren ccSymbolen » , dem
Griechenalphabet mith i n , erstmals klar zu scheiden . 1

UEon µE:v ouv TC ev Tfl cpwvn TWV ev Tfl 4Juxn na811µ6TWV ouµßoAa , Kai
Ta ypacp6µe:va TWV ev Tfl cpwvfl. Kai wone:p ouöE: ypaµµara näo1 TC
auTa, ouöE: cpwvai ai auTai· wv µE:vro1 TOÜTO oriµe:Ta npwTwc;. TOUTO
näo1 na9fiµara Tfjc; 4Juxfjc; . Kai wv TaÜTa 6µ01wµara. npayµaTa ii öri
TOUTO.
Es sind die [Laute] i n der Stimme nun aber Symbole der Erleidnisse i n
d e r Seele und die geschriebenen [Lettern Symbole] d e r [Laute] i n der
Stimme. U nd wie die Schriftzeichen n icht bei allen dieselben sind, so
auch n icht die Sprachlaute selbst. Wovon i ndessen [alle] diese erstlich
Zeichen sind, das sind bei allen dieselben Erleidnisse i n der Seele und
die Sachen, deren Gleichnisse sie sind, ebenfal ls dieselben.2

Die Seele eines G rieche n , falls wir sie mit der anima naturaliter christiana nie
verwechseln , « ist gewissermassen alles Seiende » .3 Ein unfassbar grosser
Satz. Denn die Seele hat nicht nur die Hand als « Werkzeug aller Werkzeu­
ge» ,4 sondern auch die Stimme, wie sie sich i n alle Laute aller Sprachen

1 Harris, 1 986, 86: „The Greeks never made a great deal of progress in analysing the physio­
logy of speech. [ . . . ) The basic reason for this failure has been recognised by modern scho­
larship. lt was due, precisely, to the fact that ,the descriptive framework for G reek phonetics
was the Greek alphabet' ." Schönere Rückkopplungsschleifen sind uns kaum begegnet.
2 Arist. De int. 1 , 1 683-8. Unsere Verdeutschungen bleiben seit nun 42 Jahren Heidegger,
2 1 960, 244, so nah es geht.
3 Arist. De an. 1 1 1 8, 43 1 b 2 1 : ri l.j.luxri ra övra nWc; eon navra. Dazu Heidegger, 3 1 93 1 , § 4 , 1 4.
4 De an. I I I 8, 43282.

1 65
gliedern kann (selbst wen n eben dieses Wort für • Sprache• (yAwooa) i m
Attischen verschwi ndet) . 1 Griechen und Barbaren sprechen hörbar anders,
räumt Aristoteles, den Feldzug seines Schülers Alexandras und die Weiten
der Koine im Ohr, zwar ein . Jedoch als was und wie ein Seiendes bei ihnen
allen , nämlich i n Erleidnissen der Seele, anwest, muss so streng das Sel­
be bleiben wie sonst nur sein Eidos selbst. Sonst könnte nicht der Geist im
Menschen (voüc;) i m merdar u nd überall ccdie Form der Formen „ sei n . 2 Denn
dass Sprachform Denkform ist, nicht umgekehrt, verbirgt sich jedem Den­
ken , das wie Aristoteles (und nur an dieser einen Stelle) die Grapheme von
den Phonemen ontologisch scheidet, um sie als Schrift den Lauten nach­
zuordnen. Platons nichtig leere Mi mesis der Mi mesis wird zwar von einem
Denken gutgemacht, das uns Buchstaben als « Symbole» zweiter Ordnung
lesen lehrt, aber gar nicht darauf fällt, dass nicht jede Sprache eine Schrift
hat, geschweige denn ein Alphabet. I h m entgeht wie allen Griechen also,
dass nur Griechen ihre Laute schreiben können u nd schlecht und recht so­
gar beliebige Barbarenzu ngen, vom Persischen bis zum Latei n . Daher ver­
wechselt Aristoteles die vielen Schriftsysteme seiner U mwelt - Kei lschrift,
Syllabare, Hieroglyphen usw. - mit dem einen Alphabet. Alexandras schlägt
zur selben Zeit den Perserkönig, nimmt Ägypten e i n , zieht siegreich bis nach
I ndien und Afghan istan , um Griechisch zur Koine der Alten Welt zu machen .
Seinem grössten Lehrer hätte daher beinah dämmern müssen, dass ne:­
pi E:pµe:vdiac;, wie der Titel sagt, in Wahrheit nur Vom Übersetzen selber
handelt. Aber nein . . .

So gewähren sich für zwei Jah rtausende Sprachlautsymbole als letzte nicht
mehr hinterfragte Elemente. Das Alphabet wird reku rsiv zur Notenschrift,
zur Algebra, zum Kryptogramm , bis es als O und 1 am Ende in Computer
einzieht. . .

Wir fangen daher mit der Arbeit, Freude oder Musse an, zugleich zu hö­
ren und zu lesen. Die alte Philologenfrage, wie Kapitel 20 ins Ganze der
Poetik passt, hat eine Antwort nötig. Auf G geht's los ! Am Anfang , heisst
das, war beileibe n icht das Wort, das seinerseits bei Gott war.3 Am Anfang
stand auch nicht das Bet von 1'1'�N1'.l, das es Lacan erlaubte, beim Anfang
oder A zu bleiben.4 Aristoteles' Poetik hält unser ABC, genauer noch das

1 Lohmann, 1 965, 1 0 1 .
2 Arist. De an. I I I 8, 432a2.
3 Joh. 1 , 1 .
4 1 . Mose 1 , 1 . Warum ccdie Elohim » (im Plural) eine Welt (im Singular) ccerschafft „ , wagen
wir nicht zu entscheiden. Womöglich sind hebräische Signifikate gar nicht so stabil, wie wir
erwarten. Daher vgl . nur Lacan, 1 975, 45: cc De l'ecrit, depuis que la langue existe, nous av­
ons vu des mutations. Ce qui s'ecrit, c'est la lettre, et la lettre ne s'est pas toujours fabriquee
de la meme fac;on . [ . . . ) Poser des questions telles, c'est la function habituelle de l'Histoire.

1 66
ABr, erst bei m dritten Laut an . U nd alles nur, u m zu beweisen - was i mmer
hier beweisen heissen mag -, dass sich r/G zwar sprechen lässt, nur nicht
verstehen .

Wir könnten also eine Ewigkeit lang GR grunzen oder auch erlöst zu GA
entfliehen . GA wär ein alter Eigenname jenes später so genannten Gamma,
um das es seit undenklich frühen Zeiten geht. Denn rA ruft dorisch unser
aller Mutter Erde an . GR dagegen , das wir zur Not auch selber knu rren kön­
nen, steht für alle Schweine oder cGru nzer• , die nur auf Korsika noch frei den
Wald durchpflügten. ( Damals, als wir nackt i n grünen Flüssen schwammen . )
U nd nun beweist Plutarchos' Gryllos, dies von Kirkes Zauber freigesetzte
Schwein, aus dem blossen GR, dass Menschsei n sich n icht lohnt. 1

Der Denker tut das Gegenteil. Zunächst erwägt er wie beiläufig, dass rP -
ganz wie die erst von i h m entdeckten Doppelkonsonanten X 4-' Z - auch
mit nur einem Zeichen schreibbar wäre.2 Dann aber lässt er dem tierischen
Geräusch den Sti m mlaut schlechth in folgen u nd beweist mit diesem Alpha
seinen Lesern, zumal den lauten unter ihnen, dass u nversehens eine Silbe
ausgesprochen worden ist. U nd es wiederholt sich einmal mehr das Wu nder
des Vokalalphabets i m Gegensatz zu allen Konsonantenschriften. Das Alef
hört zu knacken auf, wei l es zum musikalisch schönen Alpha oder Einheits­
mass aufsteigt. Denn « Selbst wenn bei den Lauten (q>96yyo1) das Seiende
eine (An)Zahl von Sprachelementen ist, so ihr Eins» doch nur «der Stim m ­
laut» . 3 S o l l heissen : wir messen die Phonemsysteme ganz s o a m Vokal als
kleinster klarster Lauteinheit, wie wir Mann igfaltigkeiten von der Eins her
zählen.

Nun aber sinkt der Herbst des Altertums. Griechen und Lateiner hören kei­
ne Silbenlängen mehr, einfach weil Barbarenlaute das I m perium überfluten.
Die christlich dummen Kopisten der Poetik sind verwirrt. Denn die Silbe G RA
lässt sich zwar sprechen oder schreibe n , jedoch, falls sie noch Griechisch
können, weder übersetzen noch verstehen . Also lesen sie i m Text ihr eige­
nes stummes Tun beschrieben und machen auf der Stelle Abschreibfehler,
die moderne Ü bersetzer dann noch einmal wiederholen.4 An der genauen

II faudrait dire - surtout ne touchez pas a la hache, i nitiale de l'Histoire. Ce serait une banne
fac;on de ramener les gens a la premiere des lettres, celle a laquelle je me limite, la lettre A
- d'ailleurs la Bible ne commence qu'a la lettre B, eile a laisse la lettre A - pour que je m'en
charge. " Soviel Stolz war selten.
1 Zu Grunzlauten wie GR und GL siehe schon im Titel Glas, Derridas kühnstes Buch .

2 Arist. Met. N 6, 1 093a20-22. Vgl . Met. A 9, 993a5, über r6 �a. unser Zeta, dessen Eigenna­
men Aristoteles als « S+D+A" zu gliedern vorschlägt.
3 Met. 1 2, 1 054a 1 f.
4 Mit grossem Dank an Philipp von Hilgers. - Fuhrman n , 2 1 994, verdeutscht nicht nur „GR
ohne A ist eine Silbe, und ebenso GR mit A, also G RA" (63-65), sondern merkt zu allem
Überfluss noch an: „Die aristotelische Definition weicht also - wenn der Text richtig überlie­
fert ist - von der uns geläufigen ab." ( 1 28)

1 67
Stelle seines Selbstbezugs wird der Text verderbter denn je u nd kam nur in
arabischer Übersetzung aus dem Syrischen korrekt auf u n s . 1 Tausendfüss­
ler, Ü bersetzer und Kopisten stolpern über ihre eigenen Beine.

Gut, wir wissen nun, dass Menschen Silben bilden können. Ihnen ist, an­
ders als den allermeisten Tieren, Stimmgliederung vergönnt. Das macht sie
aber lang noch nicht zu Menschen, da ja die Silbe ohne Sinn/Bedeutung
heisst. Wie rohem Si lber aus Laureion , das u ngeprägt (äoriµoc;) vom Berg­
werk kommt, spricht ihr der Denker jeden Tauschwert ab. Deshalb werden
noch zwei weitere Faltu ngen von Stoff und Form notwendig, um ans End­
ziel • S i n n • zu kommen. Griechen müssen dieses U ngeprägte (wie ihr Geld)
bebildern und beschrifte n : recto mit dem Anblick einer Stadtgottheit, verso
mit dem syllabisch abgekü rzten Namen einer Polis. Seitdem erst sind Gold
und Silber Mü nzen : tauschbar wie das Griechenalphabet.2 Erst diese zweite
Fuge - vom Silbenpaar zum ganzen Wort, vom u ngeprägten Silbererz zur
Mü nze - leitet daher zur Bedeutu ng über, dem neu geprägten Wort oriµavn­
K6c;. So kann die dritte Fuge - vom Wörterpaar zum Satz - schliesslich Sein
Des Menschen heissen. Solange Griechen denken, geht es, wie u ngesagt
auch immer, um Harmonie und das heisst Liebe.

övoµa öE: E:or1 q>wvri ouv9e:rr1 oriµavnKr) äve:u xp6vou �c; µE:poc;
ouöE:v E:or1 Ka8' OUTO oriµaVTIKOV ( . . . ) .
pfiµa öe q>wvri ouv9e:rr1 oriµavr1Kr1 µe:ra xp6vou �c; ouöev µE:poc;
oriµaiVE:I KOS' OUTO ( . . . ) .
AOVOC: Öe q>WVri OUV9e:Tr) Ol"'lµOVTIKrl �C: eVIO µE:pri Ka8' OUTO oriµai­
VE:I Tl (. . . ) . e:Tc; öE: E:or1 A.6yoc; ö1xwc;, ri yap 6 ev oriµaivwv, ri 6
E:K nA.e:16vwv ouvöE:oµcp, o'iov r') 'IA.1ac; µev ouvöE:oµcp e:Tc; , 6 öe roü
OV8pwnOU Tcfl ev Ol"'lµOiVE:IV.
Name ist eine zusam mengesetzte bedeutsame Stimme ohne Zeit, de­
ren Tei l an ihm selber n icht bedeutsam ist [ . . . ) .
Zeitwort [ist] e i n e zusammengesetzte bedeutsame Stimme m i t Zeit,
von der kei n Tei l an ihm selber bedeutet [ . . . ] .
Logos [ist] eine zusam mengesetzte bedeutsame Stimme, deren ein­
zelne Teile an ihnen selber was bedeuten [ . . . ) . Eins ist der Logos auf
zweifache Art, denn er bedeutet entweder ein Eines oder aus Zusam­
menbindung von Vielem . So ist die llias durch Verbindung eins, der
[Logos] des Menschen aber durch Bedeuten von Einem.3

1 ouMaßri Kai :::: : e x Ar[abo] s i e fere emendaveris o u ouMaßr), ouMaßri öe. S o Kassel i n
Aristoteles, 1 965, 3 2 , d e m w i r gegen Fuhrmann folgen.
2 Lehmann, 1 968/69, 4 1 5-420. - Wie Rom aus Bild und Schrift der M ünze Bild Schrift Zahl
gemacht hat, erzählen wir euch später.
3 Poet. 20, 1 4578 1 0-30. Vgl . Met. z 4, 1 030 b 6-9, wo die llias «durch Zusammenhang eins»
heisst.

1 68
Doch bevor wir die wundersame Klarheit dieser Sätze oder Reden, die i m
Logos als der Rede selber münden, langsam nachvollziehen, lädt der Text
zum Rückblick ein . Wenn erst das Vol lwort (um für Namen u nd Zeitwort
einen Namen zu bilden) Bedeutu ng hat, ist schlicht die Frage, welche Fol­
gesilbe rPA zum Vollwort fugen könnte, also mit Bedeutung fü llen. Zwei
Antworten liegen auf der Hand . ypa-q:>w heisst • ich schreibe• und yp6µµa
das, worauf das Schreiben zielt: • Buchstabe • . An allen anderen Stellen , wo
Aristoteles eine Silbe bildet, bleibt er beim nahel iegendsten Beispiel : BA ver­
bindet die beiden ersten Buchstaben im Alphabet. Schon darum beginnen
auch die Silbenliste n , an denen griechische Schüler das Lesen lernen, alle
mit BA. Nur i n der Poetik treibt Aristoteles die U msicht so weit, mit seiner
Beispielsilbe auf das Schreiben und den Buchstaben selbst zu deuten, ohne
doch das Wort je zu gebrauchen. Er hätte ja, wie an so vielen anderen Stel­
len, statt 0101xe:Tov auch yp6µµa schreiben können. Das erzü ndet in uns
Lesern schon Verdacht : Vielleicht sind Silben doch n icht ohne jeden Sinn?
Behalten wir den Verdacht im Herzen und fahren m it dem Lesen fort.

Aristoteles, seufzen seine Deuter, sage Binsenwahrheite n : Aus „Verb" und


„Nomen" wird ein „Satz". 1 Nein. Grammatik, wie sie bei uns auf dem Lehr­
plan steht und lauter Dichtungen zerstört, ist gesu nkenes Ku lturgut eines
grossen Denkens.2 Aristoteles sagt ganz anderes : Erst in der Fuge zwi­
schen Namen u nd Zeitwort geht ein Logos auf, zugleich Grund und Rede,
Sachverhalt u nd Ausgesagtes. Wahrheit waltet, wen n sie n icht im Nu des
reinen voüc; gesch ieht, als versammelndes Entbergen.

Seit wann ist die llias ein Satz? Das könnte jedes Schu lkind fragen . Sie zählt
bekanntlich 1 5693 Hexameter, also etwa 1 0000 Sätze, und heisst gleichwohl
(Grammatiken zum Trotz) ein Logos. Ja, wir erfahren selbst, warum das so
ist. Vor allen andere n , die uns die Sage aufgeschrieben haben, bleibt Home­
ros der «göttlichste » (9e:onE:o1oc;) : Nur seine Epen kön nen nicht i n mehrere
Tragödien zerfallen,3 wei l sie die Einheit « einer Handlung„ wahren.4 Was
Aristoteles an der Odyssee auch liebevoll beweist: Er zieht den Logos ihrer
1 2 1 1 0 Hexameter zu einem einzigen Satz zusammen.5

Seit wann heisst «das Tier, das Logos hat» , ein Satz? U nser Lebtag kön nten
wir warten , bis die Wortfolge �ct>ov 'A6yov exov - m it Chomsky gesprochen
- ihren Stack wieder abgebaut hätte. U nd dennoch macht sie, wie es dem

1 Gigon in Aristoteles, 1 96 1 , 58; Fuhrmann in Aristoteles, 2 1 994, 65.


2 Benveniste, 1 966- 1 974, 1 1 9 : „Chacun sait que la linguistique occidentale prend naissance
dans la philosophie grecque. Tout proclame cette filiation."
3 Poet. 23, 1 459a30-b 2.

4 Poet. 8, 1 45 1 a29.

5 Poet. 1 9, 1 455 b 1 6-23.

1 69
Logos als der Rede zukommt, offenbar und sagt, was den Menschen von al­
len Tieren, nicht nur von grunzenden oder wiehernden Säugern u nterschei­
det. Jede Definition (was ja eine der vielfältig einfältigen Bedeutungen von
"11.oyoc, ist) spricht «etwas etwas » zu und näherhi n einem Stoff eine Form . 1
Vor allen Stoffen oder Tieren zeichnet e s den Menschen aus, dass bei ihm
der 'Aoyoc, als Zusprache m it dem Zugesprochenen, dem 'Aoyoc, als eTöoc,,
zusammenfällt. Das macht seine Definition so einzigartig cc eins » .

Das unzufällig ausgesuchte Beispiel zeigt aber noch mehr. Aristoteles macht
es, wohl als erster, zur Methode, sich selber zu zitiere n . Was in der Poetik
nur « Logos des Mensche n » heisst, steht in der Politik als ganzer Satz und
lautet cc "/l.6yov öe µovov äv9pwnoc, exe1 TWV �<f>ov. - Rede aber hat von
den Tieren nur der Mensch . »2 Würden wir den Satz i n der Poetik also ent­
falten oder - wiederum mit Chomsky - in seine Definition einbetten , dann
hiesse er auf Deutsch : cc So ist die llias durch Verbindung eins, der Logos
des Menschen als <Tier, das den Logos hat> aber dadurch, dass er ein Eines
bedeutet . » 3

D e r U nterschied d e r beiden Beispiele kön nte grösser g a r nicht sei n : 1 5693


Hexameter da, 3 Worte hier. In der Ferne seines Sagens dort ein Sänger,
dessen llias den Logos nur einmal und nur i n der Mehrzahl nennt.4 Hier, i n
kalter nächster Nähe, ein Denker, d e r die Lexis oder Redeweise vom Ei nzel­
laut her i n zwei Richtungen verfolgt : vom kleinsten Element rückwärts zum
Epos als Sache der Poetik, zugleich jedoch vom Dreiletternbeispiel für die
Silbe vorwärts zu jenem einzigartigen Dreiwörterbeispiel für den Satz, in
dem sich jenseits aller Poesie das Denken nennt.

Philologen haben das Kapitel, das wir durchgegangen sind, oft als Einschub
abgetan , der den Zusam menhang der Poetik angeblich u nterbricht.5 Wir su­
chen den Gegenbeweis zu erbringe n . Denn wer das vielfältig Einfältige an
Wort u nd Sache Logos i mmer wieder stört, 'Aoyoc, hier mit < Sprache> ein­
deutscht, da mit < Satz > und dort mit < Definition > , täuscht am Ende nur sich
selbst.

1 Met. H 3, 1 1 43 b 3 1 . Eben darum rühmt Aristoteles (Met. H 2 , 1 04382 1 -28) auch alle Defini­
tionen, die Archytas, nicht ohne der Sirenen zu gedenken, von Windstille und Meeresglätte
gegeben hat.
2 Pol . 1 2, 1 253 b 1 0.
3 Dazu wunderbar genau Lacan, 1 975, 1 3 1 : « Le Un incarne dans lalangue est quelque chose
qui reste indecis entre le phoneme, le mot, la phrase, voire toute la pensee . „
4 <= 1 . 1 .2.3.2. 1 u n d dazu Fournier, 1 946, 2 1 7.
5 Lehman n , 1 948- 1 953, 1 1 96.

1 70
3.2.2.2.3 Tiere und Menschen

ccVielleicht wird man überhaupt erst anfangen können, das Griechische zu


verstehen , wenn man aufgehört hat, es als <Sprache• zu betrachten. „ 1 Le­
sen wir die Griechen schlicht als Tiere.

3.2.2.2.3.1 Säugetiere

Wie kommt der Mensch als Tier dazu, dass er als G rieche auch den Logos
hat? ( U nd nicht, wie einst bei Philolaos, dieser Logos i h n ?)

Zum einen , weil die anderen lebendgebärenden Vierfüssler zwarauch Sti m­


men haben, aber doch in keiner Mu ndart wohnen.2 Zum zweiten, weil schon
durch unser Lebendsein der Riss des Wissens zieht. Aristoteles' zwölf
Bücher zur Ersten Philosophie beginnen mit einem Satz, der auf seinem
Standbild vor Freibu rgs ältestem Kollegiengebäude uns scheue Erstseme­
ster grüsste. Dass wir und alle eigentlich blass mitei nander schlafen wollten,
unterstand schon immer diesem Satz und - selbst von Aristoteles vergessen
- seinem Griechenalphabet. Nur Lettern, die den Lauten gleichen , wecken
solche Wissbeg ier. Sie reissen «von Natu r her» aus Natur ins Wissen.

navrec; äv8pono1 TOU eiöE:va1 6pE:yovra1 q>uoe1. oriµerov ö' r1 TWV


aio9f)oewv 6y6nrio1c;· Kai yap xwpic; Tf)c; xpeiac; 6yanwvra1 öl' au­
Tac;. Kai µ6A1ora Twv äMwv r1 ö1a Twv 6µµ6Twv. ou yap µ6vov 'iva
np6rrwµev 6Ma Kai µrieev µE:Movrec; np6rre1v To 6päv aipouµe­
ea avri n6vrwv c.i>c; ein€iv TWV äMwv. aiTIOV ö' ÖTI µOAIOTO no1eT
yvwpi�e1v r)µäc; aüTri Twv aio9f)oewv Kai noMac; Öl"IAÖI ö1acpop6c;.
cpuoe1 µE:v oliv aioerio1v €xovra yiyvera1 Ta �{f)a, E:K öE: rauTric; ToTc;
µE:v auTwv ouK E:yyiyvera1 µvfiµri. TÖie; ö' E:yiyvera1. Kai ö1a roOTo
raum q>pov1µwTepa Kai µa8riT1KwTepa Twv µr1 öuvaµE:vwv µvriµo­
veue1v E:ori. cpp6v1µa µE:v äveu TOU µav86ve1v öoa µr1 öuvara TWV
4J6cpwv 6Koue1v (o'iov µE:A1rra KÖv ei Tl To100Tov äMo yE:voc; �if)wv
€OTI) , µav96V€1 ö' Öoa npoc; Tfi µvfiµn Kai TOUTl"IV €X€1 TrlV ai091"lOIV.
Ta µE:v oliv äMa raTc; cpavraoia1c; �fi Kai Tdic; µvfiµa1c;. E:µne1piac; öE:
µeTE:xe1 µ1Kp6v· To öE: Twv 6v9pwnwv yE:voc; Kai Texvn Kai Aoy10µ0Tc; .
Alle Menschen drängt es von Geburt/Natur zum Wissen. Zeichen des­
sen [ist] die Freude an Empfindungen ; denn auch ohne Not freuen sie
sich an ihnen und vor allen anderen an der Augenlust. Denn n icht
nur, um zu handeln, sondern auch, wenn uns am Handeln gar nicht
liegt, ziehen wir das Sehen so gut wie allem anderen vor. Schuld

1 Lohmann, 1 952, 1 1 .
2 Arist. His!. an. IV 9, 535 b 1 f.

1 71
daran ist, dass diese Empfindung uns am meisten erkennen macht
und viele U nterschiede entbirgt. N u n werden die Tiere von Natur her
Empfindungen-habend. Einigen entsteht daraus kei n Gedächtnis, an­
deren aber doch. Sie sind daher verständiger und lernender als [Tie­
re] , die nicht erinnern können. Verständig, aber ohne zu lernen, [sind]
solche, die Geräusche n icht zu hören vermögen (wie die Biene und
was sonst in jener Tierart sein mag ) . Es lernen dagegen solche, die
neben dem Gedächtnis auch diese Empfindung haben. Die anderen
[Tiere] nun leben den Erschei n u ngen und Erinnerungen , am Erfahren
haben sie kaum tei l . Das Geschlecht der Menschen aber [lebt] auch
der Ku nsVTechnik und den Rechenwegen . 1

W i r Menschen sind Natu r, d i e e s vondannen zieht. W i r sind m i t einem der­


art einzigartigen Geschlecht geschlagen, dass Aristoteles sich selber erst im
dritten Satz uns zuzählt. Auch seine Freude ist die Theorie, das Schauen.2
Auch seine Lüste - nämlich Pflanzen, Tiere und am Sein Bedeutungen zu
u nterscheiden - dringen durch zwei ( Leser)Augen i n die Seele. Aber, sagt
er, ohne es zu schreiben, Ohren zählen ontologisch mehr. Bienen leben ihr
gemeinsames Ambrosiasaugen zwar so verständig, geometrisch3 und « po­
litisch » wie sonst nur Ameisen und Wespen , Kran iche und wir.4 Aber weil sie
keine Laute hören können, lernen sie nichts voneinander. Auch wenn Aristo­
teles also Musik und Mathematik durch Rede u nd Gehör ersetzt, bleibt er
den Akusmata doch nahe. Es war ein Missgriff Gottfried Sen ns, das «Zoon
politiko n » als «griechischen M i ßgriff„ und « Balkanidee » zu verspotten . 5 Wir
sind n icht darum Logostiere, weil wir (wie Bienen oder Kraniche) i n Staaten
lebe n , sondern kön nen nur in Staaten leben, weil uns der Logos stim mt. Dar­
um ist «die Politik» auch n icht (wie Soziologen wähnen) «die höchste Wis­
senschaft » , «der Mensch » bei weitem nicht das « H öchste » auf der Welt.
Einzigartiger als alle Staatenbildung bleibt vielmehr ein Aufeinanderhören.
das nach langen Wehen oder Wegen schliesslich Logos wird : vom schlich­
ten Alltagswissen zu den Schmerzen oder Freuden des E rfahrens und von
da aus bis zur götterklaren Schau «der Sterne » .6 Erst so gewährt sich uns
und nur uns eine Aisthesis, die gar nicht i n die Sinne fällt: Wir nehmen Gutes
wahr.

1 Arist. Met. A 1 , 9808 2 1 -b 28. - Zu r Wiedergabe von aio9rio1c; durch Empfindung statt Wahr­
nehmung: Würden wir Schmerz und Lust brünstiger Tiere Wahrnehmung nennen? =>
3.2.2.2.3. 1 . - Zur Wiedergabe von >.oy10µ6c;: Aristoteles hat drei verlorene Bücher über
Archytas verfasst <= 2.2.2.4.2.
2 Marx , 1 954, 8 : „The translation must bring out the .seeing' implied i n the word eiöE:va1."
3 Papp. Coll. V, praef. 1 -3, in Thomas, 1 980, II 588-593 .

4 Arist. Hist. an. 1 1 , 48888- 1 1 .


5 Benn, 1 959- 1 961 , 1 1 229 = IV 282.
6 Arist. Eth . Nie. VI 7, 1 1 4 1 b 2.

1 72
ÖIOTI Öe nOAITIKOV 6 Öv8ponoc; ��OV naoric; µe:AiTTllC: Kai navroc;
aye:Aaiou �c;>wv µäMov. öf;AOV. ou8E:v yap. wc; cpaµev. µarriv rl
cpuo1c; no1e:r A6yov öE: µ6vov äv8pwnoc; exe:1 TWV �c;>wv· r1 µE:v
ouv cpwvfi roü Aunripoü Kai r'löeoc; E:ori oriµe:Tov. ö16 Kai roTc; äM01c;
unapxe:1 �c;>o1c; (µexp1 yap TOUTOU r1 cpuo1c; aurwv E:MAu8e:. TOÜ exe:1v
aio81101v Aunripoü Kai r'löeoc; Kai raüra 011µaive:1v 6Mr1Ao1c;). 6 öE:
A6yoc; E:ni r� ö11Aoüv E:or1 ro ouµcpepov Kai ro ßAaße:p6v. wore: Kai ro
öiKalOV Kai TO ÖÖIKOV' TOÜTO yap npoc; TC äMa ��a roTc; av8pwno1c;
iö1ov. TO µ6vov aya8o0 Kai KaKOÜ Kai ÖIKaiou Kai aöiKOU Kai TWV
äMwv aio81101v exe:1v· r1 öE: TOUTWV KOIVWVia no1€i oiKiav Kai n6AIV.
Dass nun der Mensch als Tier viel staatlicher als Bienen ist und alle
Herdentiere, liegt zutage. Denn (wie wir sagen) die Natur macht n ichts
u msonst. Von den Tieren hat die Rede nur der Mensch . Die Stimme
nun ist Zeichen eines Schmerzes oder einer Lust, weshalb sie auch
den anderen Tieren zukommt. Denn soweit reicht bei ihnen die Physis,
dass sie einander die Empfindungen von Schmerz und Lust beku nde n .
Die Rede aber ist dazu d a , das Zuträgliche und Schädliche gleichwie
das Rechte und U n rechte zu entbergen. Denn das ist vor den anderen
Tieren Menschen eigen , dass nur sie vom Guten und Schlechten, vom
Rechten und U n rechten und anderem mehr Empfindung haben. Die
Gemeinschaft [al les] dessen macht den Hausstand und die Polis aus . 1

Sowohl d i e Stimme w i e d i e Rede, ihre Gliederung, gibt e s nur zwischen Ein­


zelwesen . Wen n ein Tier vor Lust schreit oder Schmerz, •drückt es sich•
nicht etwa irgendwohin •aus„ wie die taube Neuzeit das seit Herder lehrt.2
Nein, dem Männchen schwillt, vor allem i n der Brunftzeit (6xe:ia), eine Stim­
me, die i m schönsten Fal l den Weibchen Lieder ccsingt•> .3 Dass auch wir
Menschen solche Lust empfinden u nd bekunden, g leicht unsere Sti mme
der von Tieren an : Wen n es dem höchsten Gott i n Semeles Scheide kommt,
brüllt er nur cc Euoi ! » als rituellen Schrei des Gottes, der im selben Augen­
blick gezeugt wird : Dionysos.4 Aber - fährt das klarste je gedachte Den­
ken fort - bei Menschen reicht Empfindung weiter, nämlich in Bereiche, die
Platon und erst er der Aisthesis entzogen hat : I m « Empfinden haben» wir,
die wir den Logos haben, die Gegensätze Gut und Schlecht, Gerecht und

1 Pol . 1 2, 1 25387- 1 8. Ü b e r Menschen a l s «einzige» Logostiere siehe auch Pol . V I I I 1 3,


1 332 b 5. Systemtheoretisch dagegen argumentiert Luhmann, 1 97 1 , 7 f. , ohne allerdings den
Logos zu bedenken.
2 Herder, [1 772] 2 1 962- 1 963, III 403. Gegen Sprache als « Ausdruck» siehe Heidegger,
2 1 959, 1 90 und 228 f.
3 Arist. Hist. an. 1 1 , 488832-b 2 ; vgl . IV 9, 5368 1 4 f.

4 Nonn. Dion. V I I 334 f. Vgl . auch den unartikulierten Jubelschrei der Aithioper in Heliod. Aeth.
X 30.

1 73
U ngerecht. 1 N u r deshalb gibt es n icht blass Liebesnächte, sondern zwei
Gemeinschaften auf Dauer: die Ehe u nd den Staat. Die erstere ccverzwei­
paart» (ouvöu6�eo8a1) Mann und Frau ,2 bleibt jedoch i m Gegensatz zum
y6µoc; erster Liebesnächte, aber auch zur Priesterehe, diesem späten Kir­
chensakrament, auf griech isch ccohne Namen „ .3 Die andere Gemeinschaft
namens Polis vereint cdie Männer von Athen • und schliesst schon darum
Frauen aus. Deshalb redet noch Pau las von Tarsos nur die ävöpec; Ä8ri­
vdlo1 an.4 In Ch ristenkirchen haben Frauen ja zu schweigen .5 So hält uns
nur der Logos, n icht mehr der Rhythmos wie bei Archilochos, über Nacht
und Lust hinaus beisammen : Wir Menschen als ccvollendetste der Tiere»6
können hören sprechen lesen schreiben . Wir sind (verzeiht uns) alle Grie­
chen.

3.2.2.2.3.2 Si ngvögel

I n manchen Tönen ist die Nachtigall noch Vogel;


dann steigt sie über ihre Klasse hinüber und scheint
jedem Gefiederten andeuten zu wollen, was eigent­
lich singen heiße.
Goethe, Die Wahlverwandtschaften

Das gliedert oder ordnet alle Tiere nach Massgabe der Klänge, die sie
empfangen oder senden. Wir würden diese U mwelten wohl Medien nen­
nen. Dass Fische stu mm sind (äcpwva), heisst, dass nur ihr Schwimmen
selber ein Geräusch macht. Erst bei Insekten, die anders als die Bienen
aufeinander höre n , beg i n nt so etwas wie Musik. Dass aber Sokrates Zi­
kaden Sänger nannte und Platon, der das aufschrieb, selber wie Zikaden
zi rpte,7 kan n ihr klügster Schüler nur belächel n : Insekten schallen blasse
Stu mmlaute (4Joq>l")TIK6) heraus, indem sie Leibesglieder aneinander reiben,
doch mehr nicht.8 Denn erst Tiere, deren « breite oder feine Zunge » 9 den
Luftstrom i n Stimmlaute und Stummlaute zu ccgliedern » vermag , 1 0 kommen
unserem Menschenwesen nahe : Sie haben jeweils wie die Griechen eine

1 Hermann Bonitz hat denn auch aio8rio1v exe1v, ungriechisch tollküh n , aber hegeltreu, mit
„sich [ !] Vorstellungen machen" verdeutscht (Aristoteles, 2 1 968, 1 0) .
2 Arist. Pol . 1 1 , 1 252826; dazu Foucault, 1 984b, 1 80. Oft sind Griechenworte unübersetzbar
schön.
3 Pol . 1 3, 1 253 b 9_

4 Apg. 1 7, 22.
5 1 . Kor. 1 4, 34. So steht es, femi nistischen Theologinnen zum Trotz, geschrieben.
6 Arist. Pol . 1 3, 1 25383 1 .
7 D. L. 1 1 1 7.
8 Arist. Hist. an. IV 9 , 535 b 3.7_

9 Hist. an. I I 1 2, 504 b 1 -3. Dazu sehr oberflächlich Wolfram Ax, Laut, Stimme und Sprache.
Studien zu drei Grundbegriffen der antiken Sprachtheorie. Göttingen 1 986 ( Hypomnema­
=

ta. Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben, Heft 84) , 1 28.

1 74
Mundart, einen cc Dialekt » , •durch • den sie m itei nander • reden • . 1 Sokrates'
leichtfertige Behauptu ng, nur Menschen hätten Artikulation u nd von daher
Dialekte,2 fällt dah i n . Die Nachtigall singt anders als der Sprosser, anders
aber auch als jede andere Nachtigall . Das kommt daher, dass ihre Liebes­
lieder gar nicht angeboren wie die Schreie wi lder Tiere sind. Sie werden
ju ngen Hähnen vielmehr, da ja Vögel Ohren haben , von den älteren bei­
gebracht.3 Jedes Lied, das Nachtigallen oder Sprosser schmettern, besteht
aus rhythmisch und melodisch hoch verschiedenen Melismen, sogenannten
Strophen, die ihrerseits nur 30 oder 40 Muster wiederholen - ganz wie wir
Menschen unsere etwa 60 Silbe n . Die besten Nachtigallen lernen an die
1 20 Strophe n , dümmere nur 30. Aber Aphrodita ehren alle, i ndem sie die­
se festen Elemente i m mer wieder neu zu Liebesliedern fugen - ganz wie
wir Liebenden ja n icht bloss allnächtlich Liebe machen wollen , sondern dar­
an unser Wesen habe n , Metren, Reime, Liebesbriefe in die Feme namens
Sehnsucht zu versenden. Amor de longh hiess das i m hohen Mittelalter.
Aber erstmals ausgesprochen hat es Aristoteles.

Kai oi E:pwvrec; Kai ö1aAey6µevo1 Kai yp6cpovrec; . Kai no1oüvrec; r1


6ei nepi roü E:pwµevou xaipouo1v· E:v änao1 yap roTc; ro1ouro1c; µe­
µvriµevo1 oTov aio86veo8a1 oiovra1 roü E:pwµevou. Kai 6pxr1 öE:
TOÜ epwroc; aÜT!"l yiyvE:TOI nÖOIV, ÖTaV µri µ6VOV nap6vroc; xaipWOIV
6Ma Kai 6n6vroc; µeµvriµevo1 E:pwo1v.
Auch die Liebenden beglückt es, m it dem Geliebten immerdar zu spre­
chen, ihm zu schreiben und zu dichte n . Denn ihnen allen scheint, das
Gedenken des Geliebten gebe ihn zu fühlen. Und der Anfang selbst
von Liebe wird doch allen so : wen n sie sich n icht bloss an seinem Da­
sein freuen, sondern auch des Fernseins liebevoll gedenken.4

So sanft durchdenkt Aristoteles das unermesslich weite Tierreich auf seinen


(seit Kant verbotenen, aber dennoch wahren) Endzweck hin. Es ist vor Lie­
be, dass wir spreche n , schreiben oder dichten, statt nur brünstig brüllend wie

10
Arist. Hist. an. IV 9, 535a3 1 : «ÖIOAeKToc; ö' ii Tfjc; cpwvi;c; E:OTI Tfi YAWTTfl ö16p9wo1c;. - Mundart
ist der Stimme Gliedern mit der Zunge. » - Das Griechenwort für ·Gliederung• geht auf
dieselbe Wurzel zurück wie ap-µovia, 6p-18µ6c; und lateinisch ars, arma und articulus.
1
Hist. an. 1 1 , 488a32-34.
2 Xen. Mem. 1 4, 1 2.
3 Arist. Hist. an. IV 9, 536 b 1 7 f; vgl . Plut. Gryll . 9, 992c. Dass der Denker dieses Lehren Nach­
tigallenmüttern zuschreibt, sollten wir ihm nicht verübeln: Das Geschlecht von Singvögeln
hat sich erst 1 883 ihren Chromosomen ablesen lassen .
4 Arist. Rhet. 1 1 1 , 1 370 b 1 5-24. Vgl . dringend Anal. pr. I I 22, 68 b 3-7, wo das «Anwesen»
(napouoia) noch viel klarer « Beischlaf» (ouvouoia) heisst. Heideggers Frage nach der me­
taphysischen ouoia hat solche Nebensinne unseres Wissens nie bedacht. Womöglich aber
übernehmen napouoia und anouoia bei Aristoteles den vorsokratisch alten Widerstreit von
6l.l'J9e1a und Mari.

1 75
die Säugetiere zu begehre n . Es ist vor Feme, vor ccAbsenz » , dass sich sog ar
Aristoteles, der Ontologe dinglicher Präsenz schlechthi n , 1 zum Medienden­
ker wandeln muss. So macht uns Eros, bittersüss, allererst zu Menschen.
N ichtlaut, Stum mlaut, Mitlaut, Stimmlaut bilden die vier ausgehörten Stufen
einer Leiter, die über unser aller Mu ndart oder Muttersprache zuletzt zu r
Lautschrift namens Logos steigt. Denn wir i n Europa lesen/schreiben alle
Griechisch. Schuli ntern wird Aristoteles die Stufenleiter woh l so etwa aufge­
gliedert haben. (Wobei nur die auör'J, Homeros' Menschenlaut aus Götter­
mündern oder Pferdemäulern, ohne jede Spur verschwindet.)

cp96yyoc; Schall im allgemeinen


4J6q>oc; Geräusch
äq>wva Stu mm laute Explosiva, Konsonanten
riµiq>wva Halbsti mmlaute Liquida, Nasale
q>wvr1 Stimme Ku h-, Menschen- und Schalmeiensti mme
q>wvr'Je:vra Stimmlaute Vokale
ÖIOAE:KTO<; Sprache Singvogel- oder Menschenmundart
.>-.6yoc; Rede der Mensch als �if>ov .>-.6yov exov
.>-.e�1c; Redeschönheit
Der Denker selbst erkennt wohl nicht, wie schön er allen Schall gegliedert
hat. Was den Gedanken eher fördert. Denn wen n das Griechenalphabet erst
einmal erschienen ist, lässt sich von seinen Rekursionen her der Kosmos
denken . Elemente, Zahlen, Töne, Tiere ergeben n icht blass schriftlich auf­
gereihte Listen, sondern wie der Logos selber eine Welt für Ohr und Auge.
Sicher, jede Hochkultur hat mit Verzeichnissen begonnen, die letztlich Listen
sind: vom Kamasutra bis zu Chinas altem Nachschlagwerk, das alle Tiere
danach u nterschied, ccob sie dem Kaiser zugehören oder balsam iert sind,
eingefangen oder wie Sirenen , unaufzählbar oder nur mit dünnstem Pinsel
abzu malen » .2 Aber alles das ist Wissensmacht. Wir hier i m Abendland da­
gegen surfen auf dem Griechenalphabet, das anstelle auflistbarer Waren,
Feinde, Sklave n , Leichen u nser eigenes Hören festhält. (Vielleicht auch das
der Nachtigal lenhennen . ) N u r deshalb lauschte Aristoteles den ungezäh lten
Tieren - Käfern , Krabben , Fischen , Vögel n , Säugentieren - auf der Suche
nach dem Dasein , das uns cc Sprechwesen (parletres) » obliegt.3 Nämlich ob
sie schweigen, rasseln, brü l len oder aber wie wir singe n . Und wurde (frei
nach Sophokles) im dunklen Götterhain von Kolonos bei Nachtigallen fün­
dig. Wir danken also - wie schon jene Muse auf dem Musenberg , der ein
winzig kleiner Sänger das Singen selber vorsingt (TAFEL XXI I I ) -, anderen

1 Heidegger, 3 1 93 1 , § 6, 25.
2 Foucault, 1 966, 7, nach Borges, 1 964- 1 966, V I I I 1 42 = dt. 1 980-1 982, 5/1 1 1 1 2.
3 Lacan , 1 980, 4.

1 76
offenen Ohrenwesen u nser Lernenkönnen. Am Heliko n , dem • Weidenberg • ,
windet sich die Nachtigal lenmundart zum Gesang empor.

e:uinnou , �eve:, räoöe: xwpac;


"(KOU TO KPOTIOTO yäc; enaUAO,
TOV 6ypi;ra KOAWVOV ev8'
'
6 Aiye:1a µ1vupe:ra1
Saµi�ouoa µOAIOT' a11öwv
xAWpdic; Uno ß60001c; ,
rov oTvwnov exouoa K1ooov
Kai rav äßarov Seoü
q>uM6öa µup16Kapnov avfiA1ov.
Zu dieses rosseguten landes
schönstem ort auf erden ·
fremder· bist du kommen·
dir schi mmert Kolonos· da wo
am liebsten wei lt
die nachtigall hell schluchzend
unter grünen waldtälern
i m weinfarbenen efeu·
dem u nbetretbaren laub gottes
mit tausendfacher frucht. 1

Die Nachtigall i m Hain singt, deshalb heisst sie einfach a11öwv, •das Sin­
gende • . Sophokles dagegen schreibt und dichtet, dass sie singt. Aus der
sophokleisch leisen Vogelstimme entspringt Dionysos mit seinen Nymphen
oder Amme n . Der Dichter singt und singt, damit aus Nymphen Musen wer­
den , die wie er selbst um Aphroditas goldene Ankunft bitten -: Oidipus auf
Kolonos, noch immer griech isch nachzulesen . . . 2

Dieser U nterschied von Sang und Schrift ist es, den Aristoteles fast ahnt.
Weil Singvögel so wunderbar •gegliedert• singen, grenzt er ihre Mundarten
vom ccschriftlosen » Schreien aller Säugetiere ausser uns ab: Deren ccschrift­
lose Geräusche (ayp6µµaro1 4J6cpo1) machen zwar auch etwas kund , sind
aber kei n Name . » 3 Singvogelstrophen sind wie Griechenlautschriftzeichen
ja nicht angeboren, sondern erst erlernt. Aristoteles nennt daher, was dünne
feine Vogelzungen so gegliedert ccschallen » , für einmal sogar cc Buchstabe n »
(yp6µµara).4 So lesbar schwer fällt e s selbst einem Griechen , d e r d e n Un-

1 Soph. 0 . C. 668-676.
2 <== 1 .4.3.3.2.
3 Arist. Hist. an. 1 1 , 488834. Vgl . De int. 2, 1 6828. - I m römischen Ägypten wird aypaµµamc;
schliesslich zum Begriff der Verwaltungsbürokratie ( 3 0CD, s. v. literacy) .
b
4 Hist. an. I I 1 2, 504 1 -3 .

1 77
tersch ied von Laut und Letter ja doch ü berhaupt erst denkt, 1 sich beim eige­
nen Schreiben ständig zu beachten . Wir beide müssen ihm schon darum
helfe n.

D i e Nachtigall , Erithacus luscinia L . , siedelt i n Europa li nks der Oder, der


Sprosser, Erithacus philomela Bchst. , rechts von ihr. Beide bi lden mithin
eine Gattu ng, aber zwei getren nte Arten, sagt Linne. Das sti m mt nicht, zir­
pen unsere Sänger. Sie vögeln seit paar Jahren wieder m itei nander, weil die
grosse Stadt Berl i n mit ihrem Futter lauter Sänger lockt. Noch sind solche
Eier taub. Das wird sich aber alsbald geben. Hauptsache, dass Sprosser
schon um Nachtigallen werben und Nachtigallen schon um Sprosser. Sie
haben (streng nach Aristoteles) ei nander neue Liebeslieder abgelernt. I n
e i n paar Jahren werden zwei getren nte Arten von ihrer Gattung also gar
nicht mehr geschieden sein , sondern wieder eine: Aus den ersungenen Ei­
ern schlupfen Nachtigal lensprosser. Die U nterscheidung zwischen Art und
Gattu ng, Eidos und zweiter Wesenheit - Aristoteles zum Trotz2 - entfällt. Im
Berl i n von heute kommt eine neue M u ndart auf, wie Sprosser oder Nachti­
gallen sie mit uns teilen. Als U nterschied bleibt nur: Si ngvögel schreiben die
Elemente ihrer Mu ndart nicht wie Hochku lturen an. Deshalb fal len alle Tiere
uns zur Beute.

"Tiere reden . Sie schreiben nicht. Eine schlaue alte Ratte mag noch so gut
Bescheid wissen über Fallen und vergiftete Köder; sie kann für den Reader's
Digest kei n Handbuch über Tödliche Fallen in Ihrem Warenlager schreiben
und taktische Maßnahmen für den Kampf gegen Hu nde u nd Frettchen er­
läutern u nd wie man mit Schlaumeiern fertig wird , die einem die Löcher mit
Stah lwolle zustopfen . „ 3

LANG UAG E IS A V I RUS FROM ANOTHER PLAN ET.

Wir könnten das auch ohne Denker oder Junkies wissen und lang bevor die
Nachtigal l , Erithacus luscinia L., zum Objekt der Biologen wurde. Nämlich
von der Sage.

Pandion, König von Athen , hat zwei Töchter : Prokne mit ihrem schl ichten
Namen u nd Philomela, •die die Lieder liebt • . Tereus, ein odrysischer Barbar,
führt Prokne heim nach Dau lis,4 schändet aber alsbald i h re schöne nym-

1 De int. 1 , 1 6a4-9.
2 Vgl. Arist. Met. Z 1 2, 1 037 b 27- 1 038a9; Cat. 5, 2b 2 1 f.
3 Burroughs, 2 1 976, 5: «Animals talk. They dont write. Now a wise old rat may know a lot about
traps and poison but he cannot write a text book on DEATH TRAPS IN OUR WAR E HOUSE
for the Reader's Digest with tactics for ganging up on dogs and ferrets and taking care of
wise guys who stuff steel wood up our holes. lt is doubtful if the spoken word would ever have
evolved beyond the animal stage without the written word . » Dem bleibt nichts hinzuzufügen .

1 78
phenhafte Schwester. Damit Philomela nichts verraten u nd Tereus weiterh i n
zu Willen bleiben kann , schneidet ihr s e i n Schwert die Zunge a u s . D e r ein­
gesperrten Stu mmen bleibt nur, Buchstaben i n ein Teppichbild zu weben .
Prokne cc l iest» dan k e i ne r Botin i m Gewebe, was geschehen ist: Philomelas
ccjammervolles Lied » . Die beiden schlachten nach Mainadenweise Proknes
Sohn und setzen ihn gesotten u nd gebraten sei nem Vater vor. Wie Tereus
fragt, was er gegessen hat, wi rft Prokne ihm den blutig rohen Kinderkopf ent­
gegen. Der Thrakerkönig zückt ein zweites Mal sein Schwert. Da plötzlich
greifen (noch zu Römerzeiten) ungenannte Götter ein. Prokne wird zu einer
Schwalbe an der Hauswand, Philomela fliegt als Nachtigall in freie Wälder. 1
Aus Griechenschrift wird wieder Vogelstimme. Was zu beweisen war.

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SINGVOGELSTRO P H E N (OBEN E I N E NACHTIGALL, UNTEN D I E N E U E S P ROSSERNACHTIGALL)

4 Thuk. II 29. Siehe Frazer zu Apollod. I I I 1 4, 8, gegen andere Ortsangaben: .But no one who
has seen the grey ruined walls and towers of Daulis, thickly mantled in ivy and holly-oak,
on the summit of precipices that overhang a deep romantic glen at the foot of the towering
slopes of Parnassus, will willingly consent to divest them of the legendary charm which
Greek poetry and history have combined to throw over the lovely scene." Stimmen wir dem
nicht, vom Stecken eines H i rtenbuben einst in Daulis vor der Schlangenangst bewahrt, von
ganzem Herzen zu?
1 Ov. Met. VI 424-674, wo allerdings Progne steht. Mit Dank an Till Nikolaus von Heiseler.

1 79
Evolution, mit Lamarck und gegen Darwin , spielt also in allen Sinnesfeldern
oder Medien . Es gibt Farbem pfinden dank der Augen, aber nur ganz sel­
ten u nd u nendlich langsam Farbensende n. Es gibt Tonempfi nden dank der
Ohren, aber dank dem M u nd- und Rachenrau m auch Tonerzeugung. Jah r­
mil lionen hat der Pfauenhahn gebraucht, um die Augen seiner Hennen mit
dem schönsten Federschmuck der Welt zu locken. Ein zwei Jahre Lern­
zeit reichen einem jungen Sprosser, u m i m Singen wieder Nachtigallenhahn
zu werden. Und schon mit ein zwei Jahren verlernen Menschenkinder ihre
überabzählbaren vielen Säugli ngslaute, um das Mu ndwerk mü hsam auf die
fünfzig oder sechzig Phoneme dieser i h rer Muttersprache zu beschränke n . 1
Seit d e r Ju ngstei nzeit ist es d e m homo sapiens auch gegeben, das, was
bei m Sprechen g nadenlos verhallt, in Flöten, Bildern, Plastiken und sch liess­
l ich Schriften abzuspeichern - ein Medienverbund oder teedback loop, der
seine und nur seine Evolution exponentiell beschleunigt hat.2

Seit zudem das Griechenalphabet u nd es allein erlaubt hat, die Mu ndart


selber fernen Leseraugen anzuschreiben, lernen wir zugleich so schnell
wie Nachtigallen u nd so langsam wie der Pfau . Denn Schriftsysteme halten
sich Jahrtausende, Seinsepochen bestenfalls Jahrhunderte, und wir selbst
sind sterblich. N u r wei l das �c;>ov 'A.6yov exov, anders als die so verwand­
ten Si ngvögel , zugleich in M u ndart u nd Sch riftsprache west, kan n es das
« Haus des Sei ns»3 bewohnen und seit Alan Tu ring gar verlasse n : Die Schrift
als Zah l entschwindet in Masch inen, deren Rechen leistung sich - seit nun
schon über fünfzig Jahren - i n allen achtzehn Monaten verdoppelt hat.4
Computer lernen von Computern so unfassbar sch nell, dass Tieren, Men­
schen und Ku lturen nur das Nachsehen bleibt. So leben wir als Gäste einer
Welt, i n der Ku ltur Natu rklang zeitrafft, Silizium Ku ltu rsch rift. U nter Tieren,
Vögel n , Logoswesen und - trotz Aristoteles5 - Computern.

All das ruft indes nur reku rsiv zurück, dass und was die Griechen von den
Musen lernten und Musen von den Nachtigallen .

1 Jakobson , 1 940, passi m .- Es bleibt unbegreiflich, weshalb Lacan, 1 966, 690, seine soge­
nannte « U rverdrängung„ (forclosion) nie mit dieser allerersten Löschung gleichgesetzt hat.
2 Bahnsen, 2008, 34: „Das Wechselspiel im Menschengenom vermag nicht nur die individu­
ellen Eigenheiten des Einzelnen zu erklären, es produziert auch das genetische Sortiment,
aus dem die Evolution den Menschen weiter formt. Das macht einen weiteren verstörenden
Befund verständlich . Die Spezies Homo sapiens unterliegt offenbar einer Turboevolution.
Hunderte Bereiche im Erbgut haben sich weit schneller gewandelt als bei anderen Prima­
ten . Neue Untersuchungen kommen sogar zu dem Schluss, dass die Evolution seit Beginn
der Jungsteinzeit die menschliche Evolution um das 1 00-Fache beschleunigt haben muss."
Was folgt daraus für Moore's Law?
3 Heidegger, 1 967, 1 64.

4 Moore's Law von 1 965 wird in Musik und Mathematik IV: Turingzeit zum Thema werden.
5 <= 2.2.2.4.3.4.

1 80
ccAnd before Buddha or Jesus spoke the nightingale sang , and lang after
the words of Jesus and Buddha are gone i nto oblivion the nightingale still
will s i ng . Because it is neither preaching no r teaching n or com manding n or
u rging. lt is just s i n g i ng. A nd i n t he begi nni ng was n ot a Word , but a chir­
rup. » 1

3.2.2.2.3.3 Die S i l be spricht

Da ohne Vokal keine Sylbe ausgesprochen werden kann ,


s o maßen sich d i e Vokalen u n d Diphthongen in Erfin­
dung bedeutender Namen ein gewisses Vorrecht an.
Lambert, Neues Organon

Ich lausche also dir. Du zi rpst, du si ngst, du hauchst. Im Bett, am Telephon.


Liebste, was weiss ich? Silben fugen sich an Silben. Der gelehrte Faust hört
zu - und wartet sehnlich auf die letzte. G retchen wusste schon ein Lied
davon zu singen.2 Aufschreibesystem von 1 800, hörst du noch?

MARGARETE Laßt ein mal ! ( Sie pflückt eine Sternblume und zupft die
Blätter ab, eins nach dem andern.)
FAUST Was soll das? Einen Strau ß?
MARGAR ETE Nein, es soll nur ein Spiel.
FAUST Wie?
MARGAR ETE Geht! I h r lacht mich aus. ( Sie rupft und murmelt. )
FAU ST Was mu rmelst du?
MARGAR ETE ( halb laut. ) Er liebt mich - liebt m ich n icht ­
FAUST Du holdes H i m melsangesicht!
MARGAR ETE ( fährt fort.) Liebt mich - nicht - liebt m ich - nicht ­
( Das letzte Blatt ausrupfend, mit holder Freude.)
Er liebt mich !
Wie ihr lesen oder besser hören könnt, hängt also alles von der letzten Silbe
ab, die fällt. Die letzte Silbe ist ein letztes Blütenblatt, kei n Logos wie seit Ari­
stoteles, sondern reine Liebe. (G retchen hat zum G lück ja keine Universität
besucht. ) Ob Si lben erst zu Wort und Satz gefugt cc bedeuten » , bleibt also
sehr die Frage. ( Margarite heisst auch eine Blume u nd ouMaßri, wie schon
gesagt, • Empfängnis• . ) Fausts Entzücken an dem cc holden H i m melsange­
sicht» , das sich auf die Silbe cc nicht» rei mt, spricht dagegen. Der Signifikant
(die M uttersprache) spielt unterhalb von Schulgrammatiken : « Denn er n i m mt
den Sinn von vornherei n vorweg , i ndem er seine Dimension i rgendwie vor

1 D. H. Lawrence, 2 1 957, 53.


2 Goethe, Faust. Erster Teil, V. 3 1 79-3 1 84.

1 81
ihm entfaltet. » 1 Es gibt unzäh lig viele Si lben , u m uns Männern eure Liebe
zu erklären.

Dass Sinn nicht erst bei Worten anhebt, sondern schon in jeder Silbe, be­
zeugt uns ungewollt auch Aristoteles, sobald wir sein Sprachdenken nicht
wie taube Philosophen aus dem U mfeld aller heissgeliebten Tiere, Lüste,
Stimmen lösen. (Vielleicht hat Aristoteles nur viel zu viel gedacht, um immer
mit sich eins zu sei n . )

Z u m einen nämlich heisst es ontologisch , dass sich d i e Ei nzel laute (oro1-


xeTa) zur Einheit namens Silbe so verhalten wie Stoffe oder Elemente zum
Ganzen oder Wesenswas.2 Sonst könnte ja «die Si lbe BA» n icht « etwas
anderes als der Sti m m laut u nd der Stu m m laut sei n » , sondern wäre selbst
nur Stoff.3 Das greift die Kinderfrage wieder auf, ob wir - mit Sokrates -
die vol l kommene Zah l Sechs eher als 1 + 2 + 3, als 1 x 2 x 3 oder als sie
selbst bestimmen sollen.4 Von Leibniz' « Realdefinitione n » ( u nd das heisst
Algorithmen) hatten G riechen , die ja nicht die besten Rech ner waren, keine
Ahnung . (Erst mit Archimedes' Kreiszah l näherung und Herons Wu rzelalgo­
rith mus kam ihr Denken weiter - oder änderte sein Wesen . ) Zweitens lehrt
uns die Poetik, dass aus Silben als sinn losen Stoffen jedes Wort zu einem
Sinn gelangt. Drittens sch liesslich heisst es konklusiv und biologisch , dass
die Menschenstimme (cpwvfi) sich zum Logos ganz so analog verhält wie
die Materie zur Form. U nd das ergibt mit anderen (u mgedrehten) Worten
ein zwar nicht bezeugtes, aber grosses Aristotelesfrag ment. (Wi r sind so
frei, das Singen, Dichten, Denken nachzudichten.)

I m fünften, letzten u nd schönsten Buch seiner Generatio animalium, das un­


sere seku ndären Geschlechtsmerkmale erstmals in die Acht ni mmt, lauscht
der Denker auch den Sti m men vieler Säugetiere nach : alten, jungen ; Rin­
dern, Kälbern, Menschen ohne U nterschied . So kommt er zum empirischen
Befund, dass - mit Ausnah me von Kälbern - die Weibchen durchweg hel­
ler klingen als die Männchen. Es fällt dem Denker gar nicht bei zu fragen,
warum dann ihre Sti mmen Männer so verzaubern. Statt den Sirenen nach­
zu lauschen, folgert er aus seiner kruden Empirie, ontologisch wie der Blitz,
was an uns Menschen ( Frauen oder Männern) Eidos ist, was Hyle. Dass

1 « Gar le signifiant de sa nature anticipe toujours sur le sens en deployant en quelque sorte au
devant de lui sa dimension. Comme i l se voit au niveau de la phrase quand eile s'interrompt
avant le terme significatif: Jamais je ne . . . , Toujours est-il. . . , Peut-ätre encore . . . Elle n'en
fait pas moins sens, et d'autant plus qu'il se suffit a se faire attendre . » ( Lacan , 1 966, 502)
2 Arist. Met. 6 2, 1 0 1 3 b 1 7-23 ; vgl . 6 24, 1 0238 3 1 -36, und Phys. 1 1 3 , 1 968 1 6.
3 Met. Z 1 7, 1 041 b 1 2- 1 7.
4 Implizit PI. Tht. 204bc, explizit Eucl. V I I 23, über die erste «vollkommene Zahl » (re>.e1oc;
6p19µ6c;) vor 28. 496, 8 1 28 usw. Zu alldem siehe Herrmann , 1 992, 1 52 f.

1 82
bei fast allen Säugetieren Frauenstimmen heller klingen, verrät i h m , was die
Rede selber ist.
,
µOAIOTO ö eniÖl"\AOV eni TWV 6v9pwnwv TOÜTO' µOAIOTO yap TOUTOI<;
raUTl"\V rriv öuvaµ1v 6noöE:öwKev ri cpuo1c; ö1a ro A6Vc+> xpfio8a1 µ6-
vouc; rwv �cf>wv, roü öE: A6you ÜAl"\V eTva1 rriv cpwvfiv.
Am meisten scheint dies bei den Menschen auf; denn am meisten
i h nen hat die Physis diese Kraft gegeben, einzigartig im Getier, die
Rede zu gebrauchen, da der Rede Stoff die Sti mme ist. 1

So steht es bei Aristoteles geschrieben. Wir beide, u m das Spiel von Form
und Stoff ganz sanft zu widerrufen, kehren seinen Satz sch licht u m :

rfic; ö E: cpwvfic; eiöoc; eiva1 rov A6yov.


Der Logos ist die Form der Stimme.

Wir brauchen also, u m den U nterschied von Form u nd Stoff zu denken, kei­
ne Künstler, die aus form losen Massen Götterbilder giessen oder meissel n .
W i r brauchen keine Männer, deren Same du nkelbrau nes Monatsblut erst
zu gesunden Söhnen formt. Das Wu nder namens Si lbe würde (schon seit
den Assyrern) beinah reichen. Aber dass die Sti mme seit und für Homeros
wahrhaft - dank den fünf Vokalen - ausgefaltet werden kann , gewährt uns
erst die Si lbe, sofern sie sich noch ein mal phonologisch gliedern lässt, bis
auf Vokal und Konsonant. Das (und nur das) zeigen die Lautsilben chinesi­
scher Bedeutu ngszeichen nicht mehr an , weil sie selbst wie alle anderen auf
g leicher Silbenebene bleiben.2 Lesen heisst den G riechen daher gar nicht
buchstabieren, sondern Bücherrollen «der Aussprache nach » (KOTO npo­
owöiav) sprechen, mit anderen Worten Silben bilden .3
Wenn daher die Ein heit namens Sti mme zugleich Silbe ist und umgekehrt
der Logos nur das Eidos einer Hyle namens Stimme, dann waltet zwischen
den drei Wesenheiten - Ei nzellauten, Silbe n, Worten - folgende Analogie:

ITOIXEION LYMABH/<DONH LYMABH/<DONH Aoror


' YAH El�Or ' YAH El�Or
Wenn Aristoteles je seinsvergessen war, dann hier. In Teilen sind die beiden
Gleichu ngen zwar ü bers ganze Werk verstreut, aber nie als Logos ei nge­
sammelt und bedacht. Wi r Modemen , Zwerge auf den Schultern alter Rie­
sen, brauchen solche Analogien, wie sie seit Pythagoras das Denken der

1 Arist. Gen. an. V 7, 786 b 1 4- 1 7.


2 Banfi , 2002, 1 9 1 und 205.
3 Ziebarth , 2 1 9 1 3, 13 f.

1 83
Musik bestimmen, nur in Algebra zu übersetzen , um noch bei Aristoteles
das geometrische M ittel sofort wiederzuerkennen :

A:B= B : C

Wir wissen aber dank H ippasos und Archytas auch , dass das geometri­
sche Mittel - im Gegensatz zum arith metischen wie zum harmonischen -
n icht i m mer aufgeht, also eine rationale Zahl ergibt. Sicher, Platons kubi­
sche Konstrukte für Apollons Deloswürfel (1 : 2 2 : 4 4 : 8) machen
= =

keine Not . 1 Doch wenn die Oktave das Verhältnis 2 : 1 ist,2 g leitet ihr geo­
metrisches Mittel - unsere v'2 - vom Logos selber weg , ohne ihn doch völlig
zu verlassen . Denn , wie G riechendenker wisse n : Was in einer ganzen Zahl
n icht fassbar ist, gewährt sich elegant u nd leicht als Verhältnis oder Logos
zwischen Strecken . I rrationale Zah len (noch lang n icht transzendente) sind
damit allesamt erfasst.

So auch , wenn wir nur hören könnte n, die rätselhafte Si lbe oder Sti mme
auf der Schwelle zwischen Sinn und U nsinn, Form und Stoff. Ein Hauch ,
kau m anzuschreiben. Du bist am Telephon , ich lausche. N ichts gegen­
wärtig Seiendes, kei n Ding, kei n Leib, die Aristoteles so optisch/ontisch
nah wie seine lieben Pflanzen , Tiere, Sterne anzuwesen pflegten . . . Bloss
eine zärtlich schattenhafte N ähe, die uns Logostiere in die Ferne narrt,
entrückt und lockt. Hört noch ein mal auf Kalypso und die zwei Sirenen.
lauscht der cc semantischen Si lbe» - dieser cc Zumutung des U mdenken s » . 3
DU Was das wohl sein mag ?
ICH Auf keinen Fall Grammatik.
DU Ob es sich trotzdem denken liesse?
ICH Als Poetik.
DU Die Silbe oder Sti mme macht Musik.
Vom März 1 945 bis zum Nervenzusam menbruch i m Februar 1 946 schrieb
Heidegger an einem unvollendet Abendländischen Gespräch, das er bei
Lebzeiten nicht zu drucken wagte. Sonst hätten wir zwei beide längst er­
fah ren , dass er die Liebe dachte und auch lebte. Sappho als ccsingende
Heldin der Liebe » hätte unser Leben tief verwandelt.4 Nun bleibt nur noch
zu erzäh len.

1 PI. T i m . 3 1 c-32b.
2 Arist. Met. !!.. 2, 1 0 1 3a2a: roü ö10 naowv ra öua npöc; ev. Genauer, nämlich über die Oktave
als ein wahres e:Töoc;, handelt P hys. II 3, 1 94b 26-29. Feinere Tonstufungen als die Oktave
beziffert Aristoteles, der ja vor lauter Zahlenferne aus der Schule Platons floh, soweit wir
sehen nie.
3 Lehmann, 1 965, 1 69 f.
4 Heidegger, 2000, 1 1 5. Dazu Heidegger, ( 1 3 . 1 1 . 1 954] 2005, 304, an seine Frau Elfride :
cc Aber meine Natur ist zwiespältiger als die Deine; und ich kann Dir durch keine Argumente
beweisen, daß ich im "Epwc; leben muß, um das Schöpferische, das ich noch als U ngelö­
-

stes und Letztes in mir spüre, noch wenigstens in eine unvollkommene Vorform zu bringen . >•

1 84
Hört zu : Ein «Jü ngerer» i m schönen Donautal spricht mit einem «Älteren » .
Themen sind Der lster Hölderlins und ein abendliches Bad zu zweit i m sel­
ben Fluss. Ü ber cc liebe » sagt cc D.Ä. » , der Ältere : cc lch spürte dies, als wir
neul ich beim Abendl icht i n den kühlen Wassern des Stromes schwammen
und vom Stromgeist durchfrischt, von i hm umsungen zu unserer Behau­
sung hinaufstiegen . » 1 Heidegger haust 45 für Monate mit seiner Geliebten
bei Hausen an der Donau , kurzum im cc Haus des Seins » . Er ist 1 889 ge­
bore n; cc der Jü ngere » jedoch u mschreibt verschämt ccdie Jü ngere» : Mar­
got, Pri nzessi n von Sachsen-Meiningen, 1 9 1 1 als Margot Grössler auf die
Welt gekommen , gönnt i h rem Liebhaber, i m strah lend schönen Frühling des
Kriegsendes 1 945, Zuflucht, Bett und Forsthaus an der Donau . Also bri ngt
sie i h ren Lehrer auf Sappho und die Liebe. (Was Ehefrau , Herausgeber und
Leser aber n icht erahnen sollen . )

D.J . Wen n wir also ü ber das Wesen des Gesanges und des Si ngens, über
das Tönen u nd Leuchten sei nes Sagens, über das abgründige Wesen
der Sinnl ichkeit des Wortes und der Sprache einen tieferen Aufsch l u ß
hätten , d a n n kön nten w i r auch e h e r wissen, i nwiefern d e r Gesang z u m
Geschenk gehört u nd selbst das Tönen d e s großen Geschickes leuch­
ten läßt.

D.Ä. Wir dürften woh l , wenn wir dem ursprünglichen Wesen der Sinnlich­
keit nachdenken, erkennen, i nwiefern das seit den Griechen g ültige
Schema nur vordergründig ist, demgemäß wir an sprachlichen Gebil­
den ihren sinnlichen Wortleib (Laut und Schriftbild) und den Wortsi n n
u nterscheiden. 2

Damit kann ein letzter Platonismus, den Aristoteles n icht abstreift, glatt
verschwi nden. Der Phi losoph ist nämlich ausserstande, das Zur-Sprache­
Kommen zu erklären. Solang die Menschenseele noch im Mutterleib ver­
weilt, lebt sie dumpf wie eine Pflanze. Erst wenn der Säugling krabbeln lernt
und wahrnimmt, verhält die Seele sich , vom väterlichen Samen angeregt,
wie andere Tiere.3 Soweit, sogut. Aber um den Menschen zum einzigen
Logoswesen dieser sublu naren Welt zu machen , braucht Aristoteles eine
evE:pye:1a VOl")TIKrl als dritten Seelenteil, der Erwachsenen den « Geist» ein­
flösst. Dieser voüc; allein heisst cc göttl ich » ,4 wei l er vom Sternen himmel fällt.
Ganz wie platonische Ideen .

Mit « Eros» waren Prinzessinnen, Gräfinnen, Doktorandinnen und Studentinnen umschrie­


ben .
1 Heidegger, 2000, 64.
2 Heidegger, 2000, 1 05. Wenn es uns, zum Leidwesen gelehrter Freunde, auch nur für einen
Wimpernschlag gelungen ist, euch solche dunklen Sätze zugleich geschichtlicher und leib­
licher zu machen , sind N ächte ferner Liebe n icht vergebens.
3 Arist. Gen. an. 1 1 3, 736 b 5-5, 74 1 a9.

4 Gen. an. I I 3, 736 b 27-29.

1 85
Wir dagegen brauchen keinen Gott, u m die lJ,luxri vo11T1Kr1 zu denken. Es
reicht, dass sich die Sprache durch Nachahmung vom Stam meln über Sil­
benhalbsinn bis zum Glanz des Wortes steigert. Es gibt nur Wachstu m -
wie bei Tier und Pflanze. So zeigt es Aristoteles i n der Poetik.

3.2.2.2.4 Poetik

I ndes steh' ich nicht an zu bekennen (und sollte ich in


d iesem erleuchteten Jahrhundert auch darüber ausgelacht
werde n ! ) , daß ich die Poetik des Aristoteles für ein ebenso
unfehlbares Werk halte, als die Elemente des Euklides nur
immer sind.
Lessing

Warum gibt es Dichtu ng? Weil Menschen Tiere sind, die wundersam zu
Menschen werden . Auch Eltern wissen ja so wenig. Wie also, heisst die Fra­
ge, lernen Kinder (ganz wie sonst nur Nachtigallen) in ein paar Jahren, kurz
bevor das erste zarte Schamhaar spriesst, was Jahrtausende vor uns ge­
sagt, erdacht, gedichtet und errechnet haben? Wie werden wir (heisst das)
n icht ganz so klug wie Aristoteles, 1 aber dennoch - wie in Goethes Glücks­
fall - letzte Homeriden? Wie erfassen wir (den Neurophysiologen sehr zum
Trotz) das Wu nder, dass die Sprache uns umfängt? N icht mich , dies trübe
Hirn, sondern das Ereig nis, dass «Wir» von « Morgen an » «ein Gespräch
sind und hören voneinander» ?2

I ndem wir weiterlese n.

3.2.2.2.4.1 Aus dem Geiste der Musik . . .

'EoiKao1 öe ye;wfioa1 µev öhwc; ITiv no11111Kr1v aiTia1 öuo 11vec; Kai
aUTal cpUOIKai. TO Te yap µ1µ€io9a1 ouµcpUTOV TÖie; 6v8pwno1c; eK
naiöwv eoTi Kai TOUT� ö1acpepouo1 TWV äMwv �c;>wv ÖTI µ1µ11TIKWTO­
TOV eOTI Kai Tac; µa8r1oe;1c; no1e;T101 ÖIO µ1µr1oe;wc; Tac; npc.i>mc;. Kai TO
xaipe;1v TÖie; µ1µr1µao1 n6VTac;.
I m ganzen, scheint es, haben zwei U rsachen die Dichtku nst erzeugt,
beide selber physisch . Denn [erstens] ist das Nachmachen den Men­
schen von Kind auf angeboren - auch das u nterscheidet sie von den
anderen Tieren, dass sie am nachahmendsten sind und durch Nach­
ahmung ihr erstes Wissen gemacht haben - und [zweitens] bereiten
Nachahmungen [ihnen] allen Freude.3

1 <= 1 . 1 .
2 Hölderlin, 1 966, 1 40.
3 Arist. Poet. 4, 1 448 b 4-9. Als Lob einer tierischen q>p6vrio1c;, die ohne Lernen auskommt,
siehe dagegen Plut. Gryll. 9, 991 df. - Fuhrmanns deutsche Syntax (Aristoteles, 2 1 994, 1 1 )

1 86
Der Riss, der die Menschen von ihrer Physis her zum Wissen zieht, waltet
al so auch als Dichtkunst, no1ri11Kr1 1exvr1. Menschen müssen feine Ohren
und ein gegliedertes M u ndwerk haben, u m - wie sonst nur noch Si ngvögel
- seit frü her Kindheit Älteren zu lauschen . Anders kämen sie ja nie zum Sil­
benbilden, das immer auch ein Si ngen ist. Sprache wird nicht angeboren ,
sondern nachahmend erlernt. Das gi l t offenbar nicht nur für Kinder, sondern
mehr noch für Neuronen . 1 U m den Logos zu erlangen, muss der Mensch
daher erstens das « nachahmendste » u nter allen Tieren sein u nd zweitens
seine « Stimme das nachahmendste unter den Leibesg liedern » . Weil dem so
ist und jedes «Wort„ « N achahmung „ heisst, haben denn erst Dichter jene
Ku nst erfu nden, die seither Lexis heisst : ein schönes volles Sprechen .2 So
sanft wie deutlich also widerruft Aristoteles jene heil los falsche Gleichung,
die Platon - vom Kratylos bis zur Politeia - zwischen Dichtung und Malerei
aufgestellt hat u nd missbraucht. Falls Bilderwerb und Bi lderkennung uns je
zu Menschen machen könnten , hätte die Physis, die i m mer auch Geburt, ja
Scheide heisst, dem mimetischsten der Tiere kau m jene sch ranken lose Frei­
heit seines Spracherwerbs « m itangebore n „ (und Aristoteles das Büh nenbild
nicht so missachtet.)3 Alle Tiere freuen sich i hrer Augenweiden, aber nur die
Ohren haben, können anders werden, näml ich lerne n .

I ndem nun u nsere Sti mme - seit Helena u nd d e m Chorlied delischer Bräute4
- andere Sti mmen u nd damit andere Sti m m ungen nachzuahmen lernt, sind
wir alle anderen , die diese Sti mme mimt. Genau davon handelt Aristoteles
in seiner Leh re von der Polis. Sie geht am Ende darauf ein, warum es ganz
zufällig bleibt, ob Staaten ihre Kinder zeichnen lehren oder nicht, warum
es aber für das Endziel Lust notwendig ist, allen Kindern Musik beizubrin­
gen. 5 Denn keine von den anderen Sinnesfreuden - Fühlen , Schmecken,

kappt leider jeden Zusammenhang zwischen Physis, Mimesis u n d Kindsein. Wer schliess­
lich wie Dupont, 2007, 62, µiµ1101c; mit „representation" im Sinn von Darstellung wiedergibt,
bezeugt nur Unverstand.
1 .Auch im Hirn des erwachsenen Menschen , so weiß man seit einiger Zeit, werden laufend
neue Zellen produziert. Doch ehe der neuronale Nachwuchs seinen Dienst antreten darf,
muss er eine Art Grundausbildung absolvieren, wie US-Forscher von der Yale School of
Medicine jetzt erkannt haben. Die Neuronenbabys werden bei erwachsenen Nervenzellen
in die Schule geschickt. Die Forscher untersuchten Jungzellen, die in dem für die Geruchs­
verarbeitung zuständigen Hirnabschnitt heranreifen. Zehn volle Tage lang , so zeigte sich ,
schweigen die Neuankömmlinge. In dieser Phase lauschen sie offenbar intensiv auf Si­
gnale, die sie von den reifen Zellen aus entfernten Hirnregionen erhalten. Erst nach dieser
Lernphase schalten sie sich allmählich in den Funkverkehr mit Nachbarzellen ein. Einige
wichtige Schaltstellen, an denen die Neuronen mit anderen H irnzellen kommunizieren, bil­
den sich sogar erst nach 2 1 Tagen aus." (Der Spiegel , 52/2007, 1 23)
2 Arist. Rhet. 1 1 1 3, 1 404822.
3 Poet. 6, 1 450b 1 6- 1 8 .

4 tj 1 .3.2.2.

5 Arist. Pol . VIII 3, 1 337b 23-32. Soviel gegen Charbonneaux/MartinNillard, 1 97 1 , 305.

1 87
Riechen, ja n icht ein mal Augenlüste - kommt ihrer Wirkung nur von ferne
g leich . « I n den Weisen (µ€All) selber sind Nachahmungen (µ1µfiµma) der
Gefü hle (1)811)»; i n den verschiedenen «Tonarten (6pµovia1) » - m ixolydisch ,
dorisch , phrygisch u nd so fort - durchlaufen wir die ganze Skala u nseres
Gesti m mtseins: Klage/Freude, Sanftmut/Zorn, Ruhe/Enthusiasmos, sie alle
treten musikalisch auseinander und hervor, auch «ohne» dass der Logos
schon h i nei nspielt. 1

3.2.2.2.4.2 . . zur Gebu rt der Tragödie


.

Im U nterschied zur Politik geht Aristoteles' Poetik mit ein paar knappen Sät­
zen über all die Musen- oder Dichtkü nste hi nweg , die nicht am Logos Anteil
habe n. Chortanz, Kithara und Au los können zwar auch Sti m mungen, Lei­
denschaften , Handlu ngen (Kai 1)811 Kai na811 Kai npa�e1c;) nachahmen, aber
keine Sagen (µu8o1) sagen . 2 I mmerh i n weist die Poetik ihnen allen in der
Dreifalt Rhythmos, Logos, Melos einen Ort zu. Was zäh lt, sind aber ei nzig
jene u nter den Dichtkü nsten, i n denen sich Musik und Logos - also, wie
wir langsam lernen , Silbe, Wort und Sage - unauflöslich ineinander fugen .
Die von der Physis angeborene Lust an Metren, Harmonien und Rhyth men3
paart sich zum guten Ende mit einem anerlernten Sprechenkönnen, das alle
Physis übersteigt. Wir brüllen daher nicht nur wie die Kühe oder Stiere, wenn
uns nach Sterben oder Bru nften ist, sondern es ergreift uns der Gesang.

Auf diesem langen Weg von der Musik zum Wort begibt es sich , dass Wor­
te ganz allein geschrieben stehen, auch ohne Melodie u nd Rhythmos, aber
trotzdem überliefert. Platons Kauf von Phi lolaos' Büchern hat einen Buch­
markt aufgetan , der spätestens seit seinen Dialogen • Prosa• spricht und
schreibt.4 Das macht dem « Leser» Aristoteles Probleme : Dürfen derlei Bü­
cher Dichtung heissen oder nicht? Seinsvergessenheit heisst manchmal we­
niger, das Vergessensein im Kugelherzen der ÄAfi8e1a zu überlesen, son­
dern zu vergessen , welchem dichterischen Alphabet das G riechenland ver­
dankt ist. Auch von dieser Wirrnis zeugt der Denker. Dass llias u nd Odyssee
vormals zur Kithara erklangen, ahnt i m kriegszerstörten mu ltikulturellen At­
tika kei n Mensch mehr. Aristoteles lebt zwischen Bücherrollen.

'H öE: (ernno1ia) µ6vov roTc; A6yo1c; lJ,11AoTc; Fi roTc; µE:rpo1c; Kai rouro1c;
eire µ1yvoüoa µer' 6Mr1AWV ei8' evi rlVI yeve1 xpwµE:v11 rwv µE:rpwv
6vwvuµo1 ruyxavouo1 µexp1 roO vüv.

1 Arist. Pol . V I I I 5, 1 3408 1 2-1 040 b 5.


2 Poet. 1 , 1 4478 1 -28. Warum Fuhrmanns Übersetzung (in Aristoteles, 2 1 994, 5) ausserstande
ist, Praxis und Mythos zu unterscheiden, und beide Male • Handlung• schreibt, wissen nur
die Götter.
3 Poet. 4, 1 1 48 b 20-24.
4 Pöhlmann, 1 994, 1 9 ; Patzer, 2006, passim.

1 88
Jenem [Wortemachen] nun, das nur nackte Logoi oder aber Metren
braucht (sei es, dass es sie miteinander mischt oder nur eine Art von
Metren braucht) , ist es zugefallen , bis heute namenlos zu sei n . 1

Aristoteles - das zeigt d i e Folge - zögert also vor d e r Frage, o b sich


das, was Dichtung ist, was keine, vom Metron oder aber von der Mime­
sis bestimmt. Die Entscheidung fällt sehr klar aus : Zwar dichtet Empedokles
ganz wie Homeros wunderbare Hexameter ; das macht i h n , der die « Physis
denkt» , aber längst noch nicht zum Dichter. Dagegen ahmen die «Sokrati­
schen Gespräche» , obwohl sie Prosa sind u nd nicht wie cc Sophrons Mimen »
Metren, doch auch Menschen nach, die wir lauten Leser miteinander reden
hören .2 Mit anderen Worte n : Platons Dialoge sind i m U nterschied zu Empe­
dokles' Gesängen, zumi ndest vorläufig, der Dichtung zuzuzählen . Aristote­
les bedauert nur, dass es cc bis jetzt» für die Gesamtheit des Geschriebenen
- Vers und Prosa, Wissenschaft und Dichtung - an einem Namen fehlt (ganz
wie beim lebenslangen Gamos namens Ehe auch ) . So verrät denn seine
eigene Doppellust am U nterscheiden und Zusam mendenken Wesentliches :
Es gibt im Griechenland, anders als bei uns seit Rom , • Literatur• noch n icht
als Allgemei nbegriff, der Wissenschaft und Dichtu ng überspan nt.

ccAbendländische Dichtung und europäische Literatur sind zwei abgrü ndig


verschiedene Wesensmächte u nserer Geschichte. Vermutlich haben wir
vom Wesen u nd der Tragweite des Literarischen noch ganz unzureichen­
de Vorstellungen. - Durch das Literarische und i n ihm als i h rem Medium
sind nun aber Dichten u nd Wissenschaft einander angeglichen . >• 3

Alles Denken steht w i e alles Dichten i n Homeros' Schatten oder Glanz. Wir
haben ei nzig zwischen dieser Nacht und jenem Tag die Wah l . So war es

1 Poet. 1 , 1 447828-1 447 b 9 . I n der ersten Zeile lesen wir - gegen Kassel , aber mit den be­
sten Handschriften - statt Und ein disjunktives Oder. - Fuhrman n , der «nackte » oder noch
genauer «Unbehaarte Worte» scheinbar schlank mit „Prosa" übersetzt (Aristoteles, 2 1 994,
5), führt (sit venia verbo) nur seinsgeschichtlichen Anachronismus vor : Lange bevor frühe
Christen ihre « Prosa»-Hymnen singen konnten, musste sich ein U nterschied von Poesie
und Prosa überhaupt erst bilden. - Katholisch fromme Romanisten schliesslich taten klug
daran, die Stelle schlicht zu unterschlagen (Curtius, 4 1 963, 52). Sie müssten ja sonst Grie­
chenlands gedenken. - Dagegen betont Dupont, 1 985, 1 69, sehr einsam und zu Recht: „A
l'epoque qui nous interesse, c'est-a-dire au 1 1 1° siecle, l'ancienne culture grecque a explose
en plusieurs morceaux. De quelques uns est nee la culture au sens moderne du terme,
culture a laquelle appartient la litterature, une idee neuve que decouvre Aristote etonne
qu'il n'existe pas en grec de mot pour la designer." Vgl. näherhin Dupont, 1 998, 1 09-1 1 3 ,
wo allerdings Lexis und Melos in Aristoteles' Poetik sträflich unterschlagen werden . Klar,
so schreibt man Reisser. Aber wozu könnte eine Ethik des Zitierens, also des Überlieferns
selbe[, uns verpflichten ?
2 Arist. Poet. 1 , 1 447 b 9-20.
3 Heidegger, 2 1 96 1 , 1 55, gegen Curtius, 4 1 963. Vgl . auch Foucault, 1 966, 95.

1 89
denn unfasslich schön, als u nserer Jugend aus Paris die Botschaft aller die­
ser Bücher kam :

„Es scheint dies eine Schwierigkeit unserer Epoche. Heute, für den Augen­
blick noch , gibt es nur eine mögliche Wah l , und diese Wahl betrifft nur zwei
exzessive Methoden : entweder ein der Geschichte völlig durchlässiges Rea­
les annehmen, also ideolog isieren - oder aber u mgekehrt ein Reales set­
zen , das am Ende undurchdringlich und i rreduzibel ist, also poetisieren. Mit
einem Wort, ich sehe noch keine Synthese zwischen Ideolog ie und Poesie
(u nter Poesie verstehe ich sehr allgemein die Suche nach dem unentfremd­
baren Sinn der Dinge.)" 1 Sind wir fünfzig Jahre später weiter?

Aristoteles, letzter Denker dieses ersten Anfangs, mag das alles zwar bekla­
gen, aber ganz umsonst. Denn wer wie Empedokles Hexameter ersungen
hat, heisst ccden Vielen „ oder eben Griechen ganz selbstredend Dichter;
wer Prosa wie er selbst als Platonschü ler schreibt, dagegen nie und nim­
mer. 2 Der Grund liegt auf der Hand .

Air1ov öe Kai rourou . ön µav86ve1v ou µ6vov roTc; q>1Aoo6q>o1c; i1-


ö1orov aMa Kai roTc; äM01c; 6µoiwc;. aM' eni ßpaxu KOIVWVOÜOIV
auroü. ö1a yap roüro xaipouo1 rac; eiK6vac; 6pwvrec;. ör1 ouµßaive1
8ewpoüvrac; µav86ve1v Kai ouMoyi�eo8a1 Ti eKaOTOV. oTov ÖTI OU­
roc; eKeTvoc;·
Karo Q>UOIV öe Övroc; r')µTv TOÜ µ1µ€io8a1 Kai rf)c; apµoviac; Kai TOÜ
pu8µoü (Ta yap µerpa ÖTI µ6p1a TWV pu8µwv eor1 q>avepov) e�
apxf)c; oi neq>uK6rec; npoc; aura µOAIOTO KOTO µ1Kp6v npoayovrec;
eyewrioav rr)v noirio1v eK TWV aurooxeö1aoµarwv.
U rsache dafü r : Lernen ist nicht nur am lustvollsten für Philosophen ,
sondern gleichermassen auch f ü r d i e andere n ; nur kommen s i e viel
weniger daz u . Deshalb freut sie das Sehen von Bildern, weil damit ein­
hergeht, dass sie beim Schauen lernen und überlegen, was (etwas] ist,
etwa dass der jener ist. ( . . . ]
Wei l uns also das Nachahmen, die Harmonie und der R hythmos von
Natur aus ist (denn die Metren sind offenbar Teile der R hythmen), ha-

1 Barthes, 1 957, 267 f. : .II semble que ce soit la une difficulte d'epoque: aujourd'hui, pour
le moment encore, il n'y a qu'un choix possible, et ce choix ne peut porter que sur deux
methodes egalement excessives: ou bien poser un reel entierement permeable a l'histoire,
ou ideologiser; ou bien, a !'inverse, poser un reel finalement impenetrable, irreductible, et,
dans ce cas, poetiser. En un mot, je ne vois pas encore de synthese entre l'ideologie et la
poesie ff entends par poesie, d'une fac;:on tres generale, la recherche du sens inalienable
des choses) . (Barthes, 1 957, 267 f.)"
2 Poet. 1 , 1 447b 1 3- 1 6.

1 90
ben die dafür am besten Gewachsenen die Dichtung in kurzer Zeit aus
Stegreifspielen heraufgeführt und gezeugt. 1

Wir konnten es fast ahnen : das Tier, das am meisten nachahmt, spürt auch
zum Lernen grösste Lust. Selbstredend gipfelt dieses Lernen in Phi loso­
phen , die ja seit Pythagoras bis heut nie aufgehört haben, «was ist» zu
fragen und seit Aristoteles «das Seiende als Seiendes » zu denken. Doch
auch die Augenl ust der vielen ist ein bescheidener Anfang , die Wesensfra­
ge nebenbei zu stellen : Sie erkennen auf den Bildern « etwas » immer schon
« als etwas » wieder.2 Aber um das Lernen selbst zu lernen , brauchen Tiere
Ohren , die von anderen M ü ndern lernen. Weit über Bi lderkennung, diesen
Anfang h inaus, i n i h rer Art also vollendet, stehen u nter den Nichtphi loso­
phen daher die Dichte r : Sie haben unser aller Sprach- und Ki nderspiele i n
e i n e Ku nst (re:xvri) verwandelt. Aus d e r Sti mme, diesem nachahmendsten
Organ am Menschen , wird eine Charis -: Gu nst u nd Freude, Lust und Dank
zumal. Musen, wenn sie Kindermü ndern Honig statt blass Mi lch ei nflössen ,
können faule stumme Ohrenlüste z u Musik verzaubern .

Harmonie u nd Rhythmos, heisst das, freuen sogar einen Phi losophen, dem
die Physis oder Charis diese ihre Selbstverzauberung zwar nicht wie Dich­
tern in die Wiege legte, aber doch Papyrosrollen ei ngab. (Wobei wir immer­
dar im Herzen halten, dass Aristoteles im Gegensatz zu seinen Übersetzern
und Erklärern nur an Zeugung denkt, wo Christen und Kapitalisten von gött­
l ich einsam ,kreativen' Schöpfern träumen.) Womöglich fehlt ja nur darum
cc bis jetzt ein Wort » , das Wissenschaft und Dichtku nst überspannen würde,
wei l Poesie schon i m mer ihrer beider Hochzeit ist.

Des Wortes Hyle: Silbe .


Des Lautes Eidos : Silbe.
Des Logos Hyle: Sti mme.
Der Sti mme Eidos : Logos.

U nd was ist dann Dichtu ng?

Mag sich also Sokrates (fast wie dei n Nacktmull) endlos lang in Worten
«ohne Fel l » ergehen, wei l i hm der Musengott Apollon seine Gaben - Melos,
Rhythmos, Metren - erst i m Kerker schenken wird ; mögen Platons Prosa­
Dialoge Sokrates in dieser seiner Fragerei nachah men u nd daher fast wie
Epen wirken, Dichtung ist das alles nicht.3 Denn wen n die Frage lautet,

1 Poet. 4, 1 448a 1 2-24. Fuhrmann entblödet sich nicht, in npoayw, • ich schreite voran„ den
-

aufgeklärten · Fortschritt• zu (v)erkennen (Aristoteles, 2 1 994, 1 3) .


2 Heidegger, 3 1 93 1 , 33.
3 Deshalb hat i n zweieinhalb Jahrtausenden auch noch kein Mensch behauptet, unter den
verlorenen Büchern der Poetik habe eins von Prosa behandelt.

1 91
wie Seiendes sich je zum Wesenswas vollendet, zu diesem einen Werk
aus Form und Stoff, dann können Prosarollen keine Antwort sei n . Wie vor
ihm nur Pythagoras hält Aristoteles streng daran fest, dass die Frage nach
dem Wassein - auch in der Poetik - zugleich die nach dem Besten ist . 1
D e n n was Dichter « machen » , also dichten müssen, damit ihre Nachahmung
« am schönsten» wird,2 will er - den Dichtern oder uns? - entbergen. Von
«Weibs-Aesthetik»3 ist noch keine Spur.

Auf die Frage nach dem Schönsten waren damals, nach der Flucht der Göt­
ter, zwei Antworten im U m lauf: Die einen rü hmten Homeros und seine ta­
gelangen Sänge, andere Sophokles u nd den E intagsblitz Tragödie. Wen n
Aristoteles nach langem Zögern für die Tragödie entscheidet, nennt er be­
ste Gründe: Tragödien sind das Gegenteil von Satyrspielen u nd Komödien,
erheben also Menschen zu genauso hohen Helden wie das Epos, statt sie
zu Phallosträgern oder Satyrn zu erniedrigen.4 Doch wen n wir, die nach­
ahmendsten von allen Tiere n, solche Heldinnen und Helden n icht blass le­
sen, sondern mit den beiden Fernsinnen nachgeahmt vernehmen ,5 gehen
sie uns u nvergleichlich näher an als wie auch i m mer gross erzäh lte Sagen.
Wir sehen/hören es vorm du nklen Schattenwu rf der Skene, dieses ange­
deuteten mykenischen Palasts, dass die vordem nur besu ngenen Heroen
wie zum allerersten Mal auftreten. Schauspieler (un0Kp110i) sind maskier­
te Männerstimmen, deren Lesenkönnen so auswendig wie inwendig auf­
schei nt, dass alle 1 7000 Zuhörer es, das Griechenalphabet, auch selber
lernen mögen .6 Auf dem Papyros i h rer • Rolle • , diesem schönen Doppel­
wortsinn, stehen zwar Buchstaben für Laute und Tonhöhen , Stichomythien
u nd Chorgesänge, alle schon vom Dichter vorgeschrieben . Doch zur Feier
des Weingottes, bei den G rassen Dionysien, wird diese Sch rift ein zweites
Mal Musik. 7 Tragödien sind daher Nachah mung als Parousie, reku rsive Ge­
genwart des Seienden, das wir, die ei nzigen von Logos, Mi mesis und Enthu­
siasmos ganz durchsti m mten Tiere, sind. Deshalb und nur deshalb, weil er
zugleich in Sch rift und Rede einführt, heisst der « Mythos Nachah mung des
Handelns» (µiµ1101c; npa�ewc;). 8 Du weisst seit 36 Jahre n : Aristoteles denkt
n icht i m Traum daran , den U nfug namens Literatursoziologie zu stiften .9 Tra­
gödien, die ihn zwischen Skene und Orchestra, Palast und Tanzplatz zeigen,
tun etwas völlig anderes : Sie holen (u nter Aussparung der alten Götter) den

1 � 2 . 1 .2.2.
2 Poet. 1 , 1 4478 1 0.
3 N ietzsche, KGA V l l l/3 1 49.
4 Poet. 4, 1 4498 1 1 .
5 Poet. 26, 1 4628 1 2- 1 6.
6 Wie PI. Symp. 1 75e auf «30 000 Zeugen » im Dionysostheater kommt, bleibt baugeschicht­
lich dunkel. Verwechselt das betrunkene Gelage etwa Leiber mit Ohren?
7 Svenbro, 1 988, 1 87-1 93.
8 Arist. Poet. 7, 1 450 b 2.

1 92
Frauen und Männern von Athen Homeros' Heldensage wieder. U nd nur u m
ihretwi llen steigert sich d e r Logos i m Theater b i s zur Lexis. W i r werden die­
se .>..E: �1c; (latei n isch elocutio) schon darum nie (wie leider meist) mit • Stil>
verdeutschen , wei l latein isch stilus die Feile des Schreibgriffels meint, Lexis
aber Selbstgenuss der Rede, Wiederholung des Sirenenwunders . 1 Die Grie­
chen haben zwar den Griffel (Ka.>..a µoc;) erfu nden, doch im Gegensatz zu
Römern wie Horati us nie bedacht.2 Als Wort gleicht Ka.>..a µoc; ganz sch licht
dem deutschen • H al m > . Handschreibend spielten wir, bevor die Gänsefe­
der aufkam , also mit Pflanzen und auf Pflanze n. U nd da Sumpfgewächse,
ob Papyros oder Schi lfrohr, dri ngend Wasser brauche n , sind die Nymphen
nie entflohen.3 Deshalb macht Lexis auch nicht Schriften schöner, sondern
klangvoll laute Worte.

NEor1v ouv rpaycpöia µiµ1101c; npa�ewc; onouöaiac; Kai re.>..eiac;. µE:­


ye8oc; exouoric; . riöuoµE:vcp .>..6ycp xwpic; eKOOT<p TWV eiöwv ev roTc;
µopio1c;, ÖpWVTWV Kai OU Öl' anayye,>..iac;, Öl' e.>..e ou Kai cp6ßou ne­
paiVOUOa rfiv rwv ro1ourwv na811µarwv Ka8apo1v. /\E:yw ö€: riöu­
oµE:vov µE:v .>..6yov TOV exovra pu8µov Kai apµoviav Kai µE:.>..o c;. TO
ö€: xwpic; roTc; eiöeo1 ro ö1a µE:rpwv ev1a µ6vov nepaiveo8a1 Kai
nOAIV erepa ÖIO µE:.>..o uc;. enei ö€: nparrovrec; no10Üvra1 TfJV µiµ1101v,
npwrov µE:v e� avayKf}c; äv eiri r1 µ6p1ov rpaycpöiac; 6 ri')c; fü!Jewc;
KOOµoc;· eTra µe.>..o no1ia Kai .>..E: �1c;, ev TOUTOI<; yap no10Üvra1 TfJV µiµ11-
0IV. /\E:yw ö€: .>..E: �IV µE:v aurfiv ri')v TWV µE:rpwv ouv8eo1v, µe.>..o no1iav
ö€: Ö TflV ÖUVaµ1v cpavepav exe1 nÖOaV.
Es ist nun Tragödie Nachah mung ernsten und sich vollendenden Han­
delns, das eine [gut überschaubare] G rösse hat, in einem Reden, das
Lust macht - je nach jeder Art in ihren Tei len -, von Handelnden und
nicht durch Botenbericht, .u nd das durch Jam mer und Schauder die
Reinigung solcher Leiden vol lbringt. Lustmachend nenne ich eine Re­
de, die Rhythmos, Harmonie und Melos hat u nd dass je nach Art ei­
niges nur durch Metren vol lbracht wird u nd anderes wiederu m durch
Sänge. Da nun H andelnde die Nachah mung machen, ist mit Notwen­
digkeit ein erster Tei l der Tragödie der Sch muck des Sichtbaren, so-

9 Griechisch Myoc, und lateinisch • socius• konnten wohl erst dann zum Unwort kollabieren,
als die Metaphysik (mit Hegel) ans Ende gekommen war. Doch just an ihm hoffte einst die
Germanistik, so sie Griechen überhaupt noch las, billig zu genesen.
1 Fuhrmann in Aristoteles, 2 1 994, schreibt „Sprache" ( 1 9) oder „sprachliche Form" (61 ) , Gi­
gon in Aristoteles, 1 96 1 , 33, gar „Rede" - ganz als sei die Lexis mit dem Logos eins. So
schwindet alle Achtung vor Gedachtem.
2 Carson , 3 2003, 60; Gumbrecht, 1 986, 727-73 1 .
3 «The nymphs are departed . I And their friends, the loitering heirs of city directors, I Depar­
ted , have left no addresses. I By the waters of Leman 1 sat down and wept. » ( Eliot, 1 954,
59) ist daher einer jener modisch falschen Verse, die die moderne Lyrik eingeläutet haben.

1 93
dann das Liederdichten und die Lexis, denn in denen wird die Nach­
ah mung vollzogen. Lexis nun nenne ich die Fügung der Metren selber,
Liederdichten aber das, was die ganze Gewalt offenbar hält. 1

Mit den drei Einheiten der Modemen - Ort Zeit Handlung - hat das fast
n ichts zu tu n . Es geht allein daru m , dass die Sonne morgens über der Tra­
gödie aufgeht, u m am Abend wieder zu den Toten abzusteigen .2

Das Schönste, das dem Denker hier auf Erden widerfäh rt, empfängt also
eine Wesensbestimmung, die die Kämpfe zwischen Alten und Modemen -
von Platon über Corneille und Lessing bis zu Kom merell u nd Schadewaldt
- tief in den Schatten stellt. Denk dir und deinen Schülern, hier und heu­
te, wie Aristoteles vor U rzeiten gelauscht hat. Bleib bei mir wie seit über
dreissig Jahren. Es geht gar nicht u m Lessings « Fu rcht u nd Mitleid » , son­
dern um die Medien, i n denen sich der Logos selber aufruft, u m ein Reden,
das den vollen Glanz des Redens feiert, zu höchst akustisch und seit So­
phokles auch visuell.3 In den Metren, die die Spieler sprechen , west bereits
die nackte Prosa ab, in den vertrackten Versmassen und Melodien , die der
Chor zum Doppelaulos und das heisst nach Noten singt, das blosse Spre­
chen überhaupt. Das Ereignis der Tragödie macht die Sprache «Wieder» zu
Musik - zur Reinigung der Leiden, die (mit Sophokles) ein Gott, Dionysos,
so bringt wie heilt.4 Als Lexis messen sich die Silben je nach Länge oder
Kürze. Als Melos lauschen sie der eigenen Höhe oder Tiefe und entbergen
Hörern eben damit ihre « H armonie » . Alles das am Logos, was Sokrates
nach eigenem Geständnis nicht vernehmen konnte, steigt mithin als Tragö­
die strah lend auf. Alles, was sich im Streit der Alten u nd Modemen Jammer
und Schauder humanistisch bieten lassen mussten, vergeht vor einem Eidos
namens Logos, dessen Hyle Sti mme heisst. Denn wen n der Mensch das
Tier ist, das am meisten nachahmt, und seine Sti mme das Organ , das von
allen Leibesgliedern die meisten Sti mmungen u nd Leiden anderer Logos­
tiere nachahmt,5 spielt das Bi ldwerk vor den Augen nur eine Nebenrolle. In
Tragödien hören wir, wi e u nsere Ohren hören : jammernd u nd erschauernd
mit den Helden , jubelnd mit den Chören.

Walter F. Ottos Dionysos, sein schönstes Buch , schliesst mit den Worte n :

1 Poet. 6, 1 449 b 24-36. Dass >.E:Qc; schon von Gorgias geprägt ist, erwähnt der Denker nicht.
- Die Verdeutschung „Liederdichten" danken wir Gigon. - Zum •gut Überschaubaren•
(euouvonrov) , das wohl besser gut Überhörbares hiesse, siehe Poet. 7, 1 451 84.
2 Poet. 5, 1 449 b 1 2 f.
3 Poet. 4, 1 4498 1 8 f. , zur E rfindung der Skenographie.

4 <= 1 .4.3.3.3.

5 Arist. Pol . VIII 5, 1 340 b 1 0- 1 2.

1 94
« Die Größe der Idee des Dionysos lebt fort in der Tragödie. [ . . . ] Die ganze
Herrlichkeit des Versunkenen tritt i n bezwi ngende Nähe, während sie doch
zugleich im U nendlichen verloren ist. Der Maskenträger wird ergriffen von
der Hoheit und Würde derer, die nicht mehr sind. Er ist er selbst und doch
ein anderer. Der Wahnsinn hat ihn angerü hrt, etwas von dem Gehei mnis
des rasenden Gottes, von dem Geiste des Doppelseins, der in der Maske
lebt, und dessen letzter Abkömmling der Schauspieler ist.
Dieser Wah nsin nsgeist, in dem das Wu nder der u n mittelbaren Gegenwär­
tigkeit Ereignis wird , er war es, der dem tragischen Mythos neues Leben
einhauchte und i hn in einer Gewalt wiederkehren ließ, die seinen Ernst und
seine Hoheit überwältigender zeigte, als alle frü heren . So ist Dionysos auch
in der geistigen Welt des Griechentums ersch ienen , u nd sein Kommen war
so gewaltig, daß es uns heute noch erschüttert. » 1

3.2.2.2.5 Zah l und Metapher

MeAono1ia, mit Liederdichten notdürftig verdeutscht, cc entbi rgt die ganze


Gewalt» des Logos i n der Lexis, seine Power, wie der Jazz es nennen wü r­
de. U nd doch ist die Dreiheit von Melos, Metron u nd Rhythmos in einer
Fuge oder Harmonie geborgen . Nie kommt Aristoteles den « sogenannten
Pythagoreern » , also Phi lolaos näher, als wenn er Dichtung u nd Musik be­
denkt. Deshalb gipfelt alle Lehre von der Lexis dari n , auch das Wort nach
seinen Arten zu behandel n . Wir lernen, dass die Dichtersprache schön ist,
im Mass sie massvoll von der üblichen abweicht. Jeder Name (övoµa) hat
zwar eine Hauptbedeutu ng, die ihm die U mgangssprache gibt, aber Dich­
ter dürfen auch i n anderen Dialekten als dem eigenen schreiben , sie dürfen
(wie i h r Denker) neue Worte prägen und schliessl ich i n Metaphern reden -:
ein Wort, das Aristoteles vom Redner lsokrates in jenem neuen Wortsinn
übernimmt, der seine Hauptbedeutung ·Transportieren, seither fast über­
deckt.2 Wir sprechen beispielsweise in Metaphern , wen n wir die Art statt
i h rer Gattung nennen oder umgekehrt die Gattung statt der Art. Konkretes
und Abstrakes stehen füreinander ein. So kommt, weil ja die zweite Wesen­
heit n icht ist, die Scheidung zwischen Sinnlichem u nd Übersi nnlichem zur
Welt. Wir sagen dann Zeh ntausend statt U nendlich wie Homeros, U nend­
lich statt Zeh ntausend. ( Fast als wollte Aristoteles n icht wirklich rechnen . )
Vor allem aber blü hen d i e Metaphern auf, wenn w i r - wie Dichterdenker seit

1 Otto, 6 1 996, 1 89 f.
2 Poet. 2 1 , 1 457b 1 -9 . Im Griechischen von heute sind µeracpopai aber immer noch Möbelum­
züge.

1 95
Empedokles - Analogien erfinden. Aristoteles hört niemals auf, das Nennen
selbst, die Redeweise, zu benennen.

TO öe ava"Aoyov "Aeyw, örav 6µoiwc; exn TO öeurepov npoc; TO


npwrov Kai TO reraprov npoc; TO rpirov· ep€i yap avri TOÜ öeurepou
TO reraprov Fi avri TOÜ reraprou TO öeurepov. Kai eviore npooneE:a­
OIV av8' ou "Aeye1 npoc; Ö eon. "Aeyw öe oTov 6µoiwc; exe1 cp1a"AI"}
npoc; Ll16vuoov Kai aonic; npoc; 0ÄPl"l' epeTroivuv rriv cp1a"Al"}V aoniöa
fllOVUOOU Kai TriV aoniöa <PIOAl"}V "Apewc;. fi Ö yfjpac; npoc; ßiov, Kai
eonepa npoc; riµE:pav epeT roivuv rriv E:onepav yfjpac; riµE:pac; fi
wonep 'Eµneöo"AKfjc; , Kai TO yfipac; E:onepav ßiou Fi öuoµac; ßiou.
Das Analoge nenne ich, wenn sich das Zweite zum Ersten so verhält
wie das Vierte zum Dritten . Man wird also statt des Zweiten das Vierte
sagen oder statt des Vierten das Zweite. Und manchmal wird man statt
des Gemei nten das Zu m-sei n h i nzusetzen . Ich sage etwa, dass sich
die Schale zum Dionysos ganz so verhält wie der Schild zum Ares.
Man wird deshalb die Schale Schild des Dionysos nennen oder den
Schild Schale des Ares. Oder das Alter zum Leben wie der Abend zum
Tag . Deshalb [wi rd man] den Abend Alter des Tages [nennen] oder wie
Empedokles das Alter « Abend des Lebens» oder « Sonnenu ntergang
des Lebens » . 1

Damit gibt der Denker uns ein grosses Beispiel, dass Phi losophie nie blasse
Beispiele anfü h rt.2 Die Analogiemetapher spielt viel mehr auf dem Feld der
höchsten Gegensätze, wo sich Schale und Sch ild, Wei n rausch und Waffe,
Dionysos und Ares in ihrem Anblick Oberkreuzen . Denn Schild und Schale
versam meln eine selbe leere ; sie sind topolog isch - wie Heideggers hen­
kellos ei nfacher Krug - beide vom Geschlecht 0.3 Ja, die Analogie riskiert
es, den Gegensatz von Tod u nd Leben dichtend zu verwinden :

M it « Abend des Lebens» um schreibt Empedokles (ganz wie Herakleitos'


Wortspiel zwischen ßioc; u nd ß16c;, Leben und Bogenwaffe) nur das U nsägli­
che der Fäu lnis, «die i n kei ner Sprache einen Namen hat» und für die selbst

1 Poet. 2 1 , 1 457 b 1 6-25. Vgl . die Parallelen in Rhet. I I I 4, 1 407a 1 5- 1 9, mit dem unmittelbar
folgenden Angriff auf Empedokles i n Rhet. I I I 4, 1 407a 3 1 -34 : Wer nichts zu sagen hat,
jedoch das Gegenteil vortäuschen will, spricht wie die delphische Pythia in Hexametren
und Metaphern. Dazu Kingsley, 1 995, 43.
2 Dies gegen Fuhrmann, in Aristoteles, 2 1 994, 69.
3 Heidegger, 2 1 959, 1 66-1 70. Über Krüge mit Henkeln , komplexere Dinge vom Geschlecht 1
also, siehe ebd. 1 64 : « Das Fassende am Krug sind Boden und Wand . Dies Fassende ist
selbst wieder faßbar am Henkel . »

1 96
cc Leiche» noch ein Euphemismus bleibt . 1 Wenn uns das Wort i m Mund er­
stirbt, springt daher die Metapher ein.2

Zehn Paare solcher Gegensätze nun schreibt Aristoteles jenen «sogenann­


ten Pythagoreern » z u , denen er auch Wort und Sache der Analogie ver­
dankt:3 Gerade steht zu U ngerade wie Rechts zu Links, wie Kru mm zu Ge­
rade und so fort.4 Nur dass Phi lolaos u nd Empedokles in solchen Fäl len
oder Fugungen imstande sind, sie auch zu beziffern .5 Eins steht zu Zwei wie
Zwei zu Vier u nd heisst daher Oktave oder Harmonie. Das weiss auch Ari­
stoteles, solange er die "A6yo1 etwa bei Empedokles anfüh rt.6 Doch wen n er
selbst Verhältnisse erdenkt, verschwi ndet jede Arithmetik. Aus dem ebenso
berechneten wie bedachten Analogverhältnis wird ein blass poetisches, das
seit dem Wegfall jeder Zahl Metapher heisst. Ein Name taucht dann n icht i n
seiner « starke n » , u n s geläufigen Bedeutu ng (Kup1ov övoµa) auf, sondern
als ein «fremdes Wort» (a"A"A6rp1ov övoµa) .7 Lateinische Rhetoren, denen
jeder Sinn für Dichtung abgeht, werden diesen Gegensatz noch schärfer fas­
sen, i n ihre grauenhaften Rechtsbegriffe näml ich : proprium heisst das Wort,
falls ihm die Bedeutu ng ,eignet' wie sein Eigentu m dem Vater, improprium,
fal ls es u neigentlich, näml ich blass Metapher ist. Dan n brauchen Ch risten
nurmehr hi nzugehen u nd Metaphern als Überstieg vom Stoff zum Geist,
vom Sinnlichen ins übersinnliche zu feiern - und der Leerlauf namens Lite­
raturtheorie kom mt auf den Weg . Dagegen müssen wir uns wappnen.
«Weil u nser Hören u nd Sehen niemals ein bloß sinnliches Aufnehmen ist,
deshalb bleibt es auch u ngemäß zu behaupten, das Denken als Er-hören
und Er-blicken sei nur als Übertragung gemeint, nämlich als Übertragung
des vermeintlich Sinnlichen i n das N ichtsinnliche. Die Vorstellung von • ü ber­
tragen • und von der Metapher beruht auf der U nterscheidu ng, wenn n icht
gar Trennung des Sinnlichen und N ichtsinnlichen als zweier für sich be-

1 Lacan , 1 978, 270, über Oidipus auf Kolonos und Edgar Allan Poes Facts in the Gase of Mr.
Valdemar.
2 Arist. Poet. 2 1 , 1 457 b 25-30.
3 Die Begriffsgeschichte von Analogie beschreibt am klarsten Horovitz, 1 978, 1 80 : „Obwoh l
beide Komponenten (sowohl das distributive a n ä a l s auch der Verhältnisbegriff 16gos) ge­
sondert vorwiegend i n der Sprache der Verwaltung, des Militärwesens und des Handels
gebräuchlich sind, erscheint deren Zusammenfügung in diesem Bereich nicht, sondern tritt
zuerst bei Archytas, dem pythagoreischen Musik- und Mathematikwissenschaftler, und bei
Platon, dem Philosophen, auf. Wenn Platon etwas selber findet oder sprachlich neu bildet,
wird es jeweilen ausfü hrlich besprochen, bei ana 16gon ist dies nicht der Fall ; da es nicht
eingeführt wird , muss es übernommen sein. Da Platon ferner die Wendung stets in Verbin­
dung mit der Mathematik verwendet, ist mit einiger Sicherheit anzunehmen, dass er den
Begriff der mathematischen Fachsprache entnommen hat."
4 Arist. Met. A 5, 986823-26.
5 {'= 2.2.2.2.2.2.
6 =? 3.2.2.2.5. 1 .
7 Poet. 2 1 , 1 457 b 1 -9.

1 97
stehender Bereiche. Die Aufstellung dieser Scheidung des Sinnlichen und
N ichtsi n n l ichen , des Physischen und des N ichtphysischen ist ein Gru ndzug
dessen, was Metaphysik heißt u nd das abendländische Denken maßgebend
besti mmt. Mit der Einsicht, daß die genan nte U nterscheidung des Sinnlichen
und N ichtsinnlichen unzureichend bleibt, verliert die Metaphysik den Rang
der maßgebenden Denkweise . » 1

3.2.2.2.5.1 Dichter Denker Mathematiker

Phi lolaos kann (in unseren modernen Zeichen) schreiben


3:2x4:3=2 : 1
u nd damit die Oktave (aus Quint und Quarte) rech nend denken. Ganz so
nennt Empedokles die Knochen ein Verhältnis zwischen Elementen , das 4
Teile Feuer mit je 2 Teilen Erde u nd 2 Teilen Wasser mischt.

ri Öe X8WV enirip1c; ev E:UOTepVOI<; XOOVOIOIV


rw öuo rwv µe:pewv i\6xe: vr'\or1öoc; aiyi\ric;.
rE:ooapa ö' 'Hricpaioro10· ra ö' 6orE:a i\e:uKa yevovro.
Aber die gütige erde verband sich in bauchigen tiegeln
u nter acht teilen i m ganzen mit zwei aus dem glänzenden wasser,
vier aus dem göttlichen teuer; die sch im mernden knochen entstan­
den. 2

Aristoteles überliefert diese grossen Verse zwar, weil er Empedokles bewu n­


dert. Er rechnet sie jedoch nicht durch , wei l er sonst « stoffl iche Elemente»
statt reiner Formen denken müsste.3 Das aber wäre schon darum erfordert,
weil Empedokles der Erde ja nicht ausdrücklich zwei Teile zuspricht. Die
Rede ist nur von acht Teilen, von denen vier Hephaistos und zwei der Ne­
stis angehören. Woraus wir den Anteil «der lieben Erde » selbst errechnen
müssen. Denn für solche Kleinigkeiten (Zahlen oder Götternamen) sind sich
Phi losophen heut zu schade.4 Wir dagegen glauben Empedokles als guten
Pythagoreer zu lesen, der d rei seiner vier Elemente in ein geometrisches
Verhältn is, also in Analogie bringt:
2:4=4:8

1 Heidegger, 2 1 958, 88 f.
2 6 D K 3 1 , B 9 8 Arist. De a n . 1 5, 4 1 0a 1 -8. - Vgl. dagegen Aristoteles, 2 1 966, 2 0 ) , schon u m
=

anzudeuten, wie man durch Umschreibung eines Gottes u n d Kleinschreibung einer Göttin
(auch im Griechisch-Englischen (Aristoteles, 1 956, 20)) Dichterdenker zu Grunde richten
kann . Über Nestis, sizilische Göttin des Süsswassers, � 2.2. 1 . 1 .
3 De an. 1 5, 4 1 0 b 1 1 .

4 Siehe etwa Theiler, in Aristoteles, 2 1 966, 1 03 .

1 98
An die genaue Stelle dieser Arith metik setzt Aristoteles eine Semantik, an
die Stelle einer Dichtu ng seine Dichtungstheorie :

Abend : Tag = Alter : Leben

So wird der Lebensabend zur Metapher, die aber arithmetisch keinen Sinn
mehr gibt. So unscharf bringt schon Platon die Analogie von seiner Rei­
se zu Archytas nach Athen: „Die Lehre von den Proportionen haben in der
Mathematik vor allem die Pythagoreer ausgebildet. Platon benutzt sie zu
Analog ie-Schlüssen auch außerhalb mathematischer Gegenstände - aber
da erhebt sich die Frage, ob diese Methode bei solcher Übertragung noch
ihre Beweiskraft besitzt, denn wenn das Vergleichen zum Beweis verwandt
wird , muß das ,ist gleich' notwendig im strengen Sinne genommen werden ,
wie es aber in weiten Bezi rken der Sprache garnicht genommen werden
kann ."1 Aus
2 4 = 8
Abend Tag Alter Leben
folgt mitnichten

Abend Leben Alter Tag


1 8 4 2

Frage: Woher rü h rt der U nterschied , der Schnitt, die Sei nsepoche? Was
scheidet uns seither von Empedokles und Philolaos?

Antwort : Dass Aristoteles sein Wissen , jene «erste Phi losophie» , die Sei­
endes als Seiendes erfragt, sowohl von Zahlendenkern wie von Dichterden­
kern absetzt.

3.2.2.2.5.2 Ohne Metaphern denken

Viel leicht, als sollten wir eben das nicht merken, ergeht sich Aristoteles in
Lippendiensten. Poetik und Rhetorik feiern jeden , der als erster eine treffen­
de Metapher prägte. (Was ihm aber auch erst Aristoteles nachrü hmt.)

Kai TO oac:pE:c; Kai TO riöu Kai TO �e:VIKOV exe:1 µ6>.1ora ri µe:r6c:popa.


Kai >.aße:Tv OUK eonv aurriv nap' äMou .
Auch das Scheinende, lustvolle und Befremdende hat am meisten die

1 Snell, 2 1 948, 2 1 2, in bewundernswerter Klarheit. - Was Snell übergeht: M i t proportio hat


Cicero ava>.oyia wiederzugeben versucht, damit aber die Polysemie von Myoc,, zugleich
Rede, Grund und Zahlenverhältnis zu sein, vollends verdunkelt: « ld optime assequitur, quae
Graece analog ia, Latine (audendum est enim, quoniam haec primum a nobis novantur)
comparatio proportione dici potest. » (Cic. Tim. IV 1 2, zitiert nach Szab6, 1 969, 1 93) An
dieser schiefen Übersetzung krankt noch Fredel, 1 998.

1 99
Metapher. U nd die lässt sich nicht von jemand anderem nehmen . 1
noM öE: µE:y1orov ro µeracpop1K6v eTva1. µ6vov yap rouro oüre nap·
äMou €:011 AaßeTv eucpuiac; Te 011µ€i6v E:orr TO yap eu µeracpE:pe1v
r6 r6 öµo1ov SewpeTv E:or1v.
Am weitaus grössten [u nter allen unal ltäglichen Redeweisen] aber ist
die metaphorische. Denn sie allein ist n icht bei einem anderen zu ho­
len, sondern Zeichen des Wohlgewachsenen. Gut übertragen heisst
näml ich das Ähnliche erschauen . 2

So wundersame Treue hält Aristoteles (wenigstens solange wir ihm trauen)


seinem Gru ndbegriff: Mimesis macht uns zum lernendsten von allen Tieren.
Doch eben daru m m us s d i e M i mesis noch überstiegen werden. Alle ande­
ren Redekü nste können Dichter oder Redner i h ren Vorgängern ablernen,
nur die Metapher n icht. Sie ist lichtend neuer Einblick in die Wesenheit und
kü ndet, was den Anblick von zwei Seienden bei allem U nterschied der Stoffe
doch zur Ähnlichkeit verhält.3 Daher beku ndet das Metaphernfinden schon
als solches etwas « Ei ngeborenes „ , bei dem die Physis sich gleichwohl auf
Wissen oder Schau hin übersteigt. Wenn es alle Menschen von Natu r zum
Wissen drängt, dann dichtende und denkende am meisten . Deshalb heisst
die Dichtung cc philosophischer u nd allgemeiner» als alle anderen Reden , die
i m Griechen land das Wort ergriffen und behalten haben.4

Aristoteles scheint also Dichtern und zumal den Trag ikern geneigter als sei n
Lehrer Platon , der, wei l er die wandelbaren wilden Götter von llias und Odys­
see n icht als Metaphern wegzudeuten wagte, aus der erträumten Schön­
stadt Dichter strikt verban nte. So lernen oder lehren wir Literaturtheorie bis
heute. List und Tücke sind nicht eben unser Fach.

U nd doch ist Aristoteles durchtriebener als Plato n . Er gestattet, ja empfiehlt


uns Dichter, wie er Dichtern selber zu Metaphern rät. (Offenbar sind Grie­
chen i n ihrer Musenl iebe u nverbesserlich . ) Nur wehe, wenn auch Denker in
Metaphern reden ! Aristoteles erledigt sie mit einem Ku rzsatz : Die Rede von
Ideen jenseits des wahrneh mbar Konkreten sei die schiere leere.

TO öE: Mye1v napaöeiyµma aura eTva1 Kai µerE:xe1v aurwv raMa


KevoAoyeTv E:ori Kai µeracpopac; AE:ye1v no111r1Kac;.
Aber zu sagen, es seien U rbilder selbst und und an ihnen nehme [al les]
andere tei l , ist Leerreden u nd poetische Metaphern sagen . 5

1 Arist. Rhet. 1 1 1 2, 1 045aa- 1 0.


2 Poet. 22, 1 459as-8. Dazu Carson , 3 2003, 73.
3 So die Bestimmung des Ähnlichen in Met. 1 3 , 1 054 b 3-5.
4 Poet. 9 , 1 451 b 5-7.
5 Met. A 9, 991 a20-22.

200
Platon schrumpft also zum blossen Dichter, sein Himmel der Ideen zur lee­
ren Sage. Methexis reduziert sich auf Metapher und ist den Pythagoreern
abgelernt. Die "Teilhabe» an Zahlen und Ideen habe ja bloss umbenannt,
was schon im Grossen Griechenland Nachahmung von Zahlen hiess.1 Da
aber Zahlen ontologisch gar nicht sind, fallen auch selbständige Ideen da­
hin. Der «Leser» Aristoteles stutzt mithin vor Worten seines Lehrers, denen
nichts entspricht oder - mit den stoischen Grammatikern gesprochen - zwar
Bedeutung zukommt, aber keine Referenz. Die Idee: ein rpayeAacpoc; oder
· Bockhirsch•. Also nennt er sie aus Höflichkeit «Metapher» und nicht wie
unser grobes Mittelalter flatus vocis, Furz aus Philosophenmund.

So scheiden sich fortan die Philosophen von den alten Dichterdenkern, Em­
pedokles und Platon. In populären Schriften, die wir alle lesen dürften, wenn
sie denn erhalten wären, gestattet Aristoteles den Dichtern zwar Metaphern
und seinen sogenannten Dichterdenkern sogar Götternamen. 2 In Schriften
aber, die sich esoterisch an die engsten Hörerkreise wenden, steht ein Ver­
bot von gnadenloser Härte: Erlaubt bleibt Denkern nur der eigentliche Wort­
sinn. Der Angriff auf den eigenen Lehrer macht schon vor, wie man damit zur
Diskursmacht über alle Bücher aufsteigt: • Ich als Denker sage hiermit, dass
dieses oder jenes Sagen über ... gar kein Sagen war.• Immerfort derselbe
Logos, der sich rekursiv benennt: Aeyw rriv Ae�1v . , ccich nenne Nennen
. .

. . . „ und so weiter. Die internen Bücher über Logik, uns als Organon ver­
traut, schreiben dies Verbot auch fest. Die Metapher bleibt dem Denkenden
als solchen untersagt - aus dem unfasslich dunklen Grund, dass sie «nichts
zum Scheinen bringt», also keine Wahrheiten entbirgt. Ganz als hätte die
Rhetorik Metaphern nie zum ccScheinendsten» ernannt.

näv yap aoacpec; ro Kma µeracpopav Aey6µevov.


Denn ganz unaufscheinend [ist] das nach Metapher Ausgesagte.3

So zerrissen irren wir seit Aristoteles im Denken. Während die Rhetorik Me­
taphern als «aufscheinend» rühmt, bestreitet eben das die Topik. Es war den
Göttern wohl nicht lieb, von Aristoteles am Morgen und am Abend - früh am
Tag vor vielen, spät vor wenigen - immerfort das Gegenteil zu hören. Sie
haben ihn denn auch geschlagen. Ein Zufallsfund gab die geheimen, nicht
dem Büchermarkt bestimmten Manuskripte bis auf uns preis.4 Wir können
Aristoteles daher beweisen, dass und wie er uns betrog. Das Griechenal­
phabet ist mächtiger als seine Philosophen.

1 Met. A 6, 957a 1 0 f.
2 Met. B 4, 1 0ooa5-29; vgl . A 8, 1 074b 1 - 1 4.
3 Top. 1 39 b 32. Dazu Lloyd , 1 987, 1 83-1 90.
4 Zu Aristoteles' Editionsgeschichte siehe am knappsten Pöhlmann, 1 994, 1 44.

201
Seitdem schreiben wir fast alle mit zwei Zungen: tagsüber denkend und
bei Nacht zuweilen dichtend. (Wenn die Universität zugrunde gehen muss,
dann nur aus diesem einen Scheidungsgrund.) Aristoteles hat uns das er­
ste double bind der Lesekunst gesandt: exoterisch/esoterisch, metapho­
risch/philosophisch. Das wäre ja nicht weiter schlimm, wenn die Philoso­
phen auch Homeros läsen. Aber leider triggern Bücher, in denen Denken
nach sich selber fragt, viel mehr Folgebücher als die Wahrheit.

Die Götter fliehen und Epochen kommen, deren Denker immer lästiger emp­
finden, wie dumm und kindisch doch die Lust an alten Lüsten war: unser al­
ler Liebe zu den Rätseln, Allegorien, Metaphern.1 Selbst Delphois Pythia (so
ihr Priester Plutarchos) sieht diesen Unfug endlich ein: Sie kündet uns die
Zukunft nicht mehr hexametrisch-metaphorisch, sondern stellt auf schlich­
te Prosa um.2 Die zarte Scheidung, die Herakleitos zwischen Mye:1v und
oriµaive:1v, •sagen> und •bedeuten> traf, um Apollons dunkle Sprüche zu
bedenken,3 fällt dahin. Seit Aristoteles das Wort oriµavnK6c; gebildet hat,
heissen Götterwinke, Grabmale und Zeichen allesamt nurmehr semantisch.
Um ccdie Sprache als die Sprache zur Sprache zu bringen», 4 sagt das er­
schreckend wenig.

3.2.2.2.5.3 Ontologie ohne Mathematik

Metaphern und Ideen sind also Namen, denen nichts in unserer Wirklichkeit
entspricht. Wie steht es dann mit Zahlen? Sie lassen sich - laut Eurytos - an
jedem Seienden erschauen, das ja den Anblick seiner ausgelegten Rechen­
steine bildlich nachahmt. Sie lassen sich - laut Archytas, dem besten Hörer
auf Eurytos - an rein gestimmten Instrumenten hören, die vom Einklang der
Oktave her jedwedes Fingerloch und jedwede Saitenlänge so mathematisch
wie maschinentechnisch regeln.

Wir haben schon erfahren, wie Aristoteles gegen diese wahren Lehren an­
kämpft. Das Eidos als der Anblick, den Seiendes als Seiendes unserem
Vernehmen zukehrt, löst nach der Flucht der Götter jene beiden Zahlenar­
ten ab, die Philolaos in Odd and Even, Mann und Frau so schied wie fugte.
Damit wird es aber auch unmöglich, diese umgedachte Form zu definieren.
Nirgendwo sagt Aristoteles, obwohl er doch fast alles - von den Katego­
rien bis zur Metapher - ein zweites Mal «benennt», was Eidos oder Morphe
«sagen» . Die zirkuläre Definition, derzufolge e:Töoc; das ri �v e:Tva1 und die

1 Plut. De or. 30, 409cd .


2 Plut. De Pyth . or. 24, 406bf.
3 6DK 22, B 93.
4 Heidegger, 2 1 960, 242.

202
npGm1 ouoia eines jeglichen heisst, unterstreicht das nur.1 Nirgendwo ge­
lingt es Aristoteles, ccdas Ähnliche» von Schild und Schale geometrisch zu
bestimmen. (Deshalb rühmt er es ja Dichtern als vordem unerhörte Meta­
phern nach.) Lautende Maschinen, wie sie seit Archytas ganz von selber
Formen oder Dinge generieren, kennt der Werkzeug-Denker nicht. Seine
Logik benutzt daher (erstmals in der Alphabetgeschichte) zwar Buchstaben
wie A. B. r. Sie alle stehen aber nicht wie seit Pythagoras für Zahlen oder
Linien, sondern kürzen nur Subjekt und Prädikat ab, ohne - wie seit Baa­
le - ein Kalkül zu stiften.2 Aristoteles hat Platons Musenhain an just dem
Tag verlassen, als dessen Nachfolger und Neffe Speusippos Philolaos end­
lich in die Akademie einführte.3 Was Aristoteles nicht hinderte, Speusippos'
Bücher alle aufzukaufen.4

Zwei ganze Bücher (und ihren Schlussatz) widmet die Metaphysik dem
Nachweis, dass Mathematik zwar wie Physik und Ontologie zu den drei
höchsten, weil theoretischen Wissenschaften rechnet, die Frage nach dem
Seienden als Seienden jedoch versäumt. Statt das Zusammenganze (ro
ouvo>.ov) von Form und Stoff in jedem «Dies da» (r6öe: r1) zu bedenken,
tun Geometrie und Arithmetik gerade umgekehrt ihr Bestes, wenn sie vom
Seienden Unabtrennbares - Linien und Zahlen - setzen, als sei es doch
abtrennbar. Im Gegensatz zu Physikern, die einzelne Stoffe untersuchen,
im Gegensatz zu Ontologen, die Stoff und Anblick allgemein zusammen­
denken, fragen Mathematiker gar nicht erst, ob ihr Kreis aus Erz ist oder
Holz.5 Sie nehmen also nicht wie Platon fälschlich an, dass Linien und Zah­
len wahrhaft seien, sondern behandeln sie als methodische Fiktionen. Die
Optik sieht Gesichter nicht als solche, sondern nurmehr ihre Linien; die Har­
monik hört in Stimmen nicht mehr Stimmen, sondern nurmehr Melodien. 6
Eine Abstraktion, für die die Zahl buchstäblich zahlen muss: Sie kann (im
Widerstreit mit Philolaos) aus Stoff und Form kein Wirklichsein (E:vE:pye:1a)
erwirken,7 weil sie ja nur Element des Stoffes, nicht der Form heisst.

1 Met. Z 7, 1 032 b 1 f. Ü ber diesen Zirkel siehe schon Marx, 1 954, 43. Benveniste, 1 966-1 974,
1 328 f. , verstellt das Rätsel bereits darum, weil er pu9µ6c; zwar mit oxi'jµa, aber nie mit
µopcpri oder elöoc; abgleicht.
2 Dass solche Buchstaben keine algebraischen Variabeln sind, zeigt Lohmann , 1 970, 1 1 0.
Von Weizsäcker, 1 959, 1 68, vermutet überdies, dass Aristoteles dies alphabetische „Hilfs­
mittel" stillschweigend „aus der Mathematik übernommen haben dürfte." Damit hat er völlig
recht. Nur sind Zeichensysteme niemals blosse „Hilfsmittel" und Recherchen schon von
daher dringend angebracht.
3 6 DK 44, A 1 3.
4 Pöhlmann, 1 994, 1 1 09.
5 Arist. Met. Z 1 0, 1 03683-5.
6 Met. M 3, 1 0788 1 4-23 ; Phys. II 2, 1 9488- 1 2. Dass Aristoteles von absoluten Zahlen , nicht
von 'A6yo1 zwischen ihnen spricht, verrät schon seine Unkenntnis der Harmonie.
7 Met. l!i.1 5, 1 02 1 8 1 9-21 .

203
Doch wie der unverhoffte Blick auf Optik und Harmonik schon verrät, ent­
bergen auch «mathematische Wissenschaften» eine Wahrheit, die allen an­
deren verborgen bleibt. An Flächen, Körpern, Stimmen und Planetenbah­
nen (allerdings nicht mehr an Kithara und Aulos) «zeigt» das Zahlendenken
plötzlich «Werke», die uns drei ccgrösste Anblicke des Schönen» offenbaren:
«Ordnung Symmetrie Umgrenztsein» (r6�1c; Kai ouµµe:rpia Kai r6 6p1oµe­
vov) . Aristoteles' Quelle scheint hier Platons Schmerz darüber, dass uns
die Idee des Guten, so licht und einfach sie auch ist, immer in drei Formen
auseinanderfällt: «Schönheit, Symmetrie und Wahrheit» . 1 Nur vom Schö­
nen Wahren Guten an ihm selber weiss das Zahlendenken nichts. Das zu
sagen bleibt dem reinen Denken aufbehalten. Nun, da aber auch das Schö­
ne den «Grund von vielem» bildet, verspricht uns Aristoteles, wohlgemerkt
als Ontologe, «anderswo» von ihm zu handeln.2 Und nur weil diese tiefe
ungeschriebene Lücke klafft, konnte Kants Kritik der Urteilskraft uns alle
schönen Dinge auszureden suchen, obwohl es sie doch ohne jeden Zweifel
gibt.

Wenn wir uns schreiben oder küssen, gehen so unzählig viele Sinne auf. Ich
flüstere, dass du schön bist. Love, bist du dann schön? Bild ich mir das nur
so ein? Solang nicht alle anderen Männer (mag sein, auch nur die deinen)
meinem sogenannten «Urteil» Beifall zollen können?3 Oder ist es einfach
wahr? Kants Kritik der Urteilskraft hat mit Schönheit oder Liebe also nichts
zu tun.

Hätte Aristoteles die Symmetrik bloss geschrieben! Doch so wenig wie die
versprochene Metrik liegt die entsprechende Symmetrik vor. Die Freuden
zweier Ohren, zweier Augen bleiben ontologisch völlig unbedacht, weil Optik
und Harmonik (die eine geometrisch, die andere viel strenger arithmetisch)
der verpönten Mathesis zuzählen würden.4 Gebrochene Versprechen aber
wiegen schwerer als verschollene Komödientheorien.

„Die mathematischen Gegenstände sind für Aristoteles lediglich Produkt


einer Methode, einer methodischen Ausklammerung (acpaipe:o1c;) ; sie ha­
ben kein wirkliches Fürsichsein an ihnen selbst. [ ... ] Aber es scheint fast,
daß es selbst dabei nicht geblieben ist, daß vielmehr die Mathematik zuletzt
sogar ganz aus der Philosophie ausgeschieden worden ist - keine einzige

1 PI. Phlb. 65a. Nota bene: ouµ-µe1pia feierte nicht nur (wie in heutiger Alltagsprache) sicht­
bar « Schönes » , sondern (fast wie in der modernen Physik) als strenges Äquivalent von
apµovia vorab •kom-mensurable„ nämlich ganzzahlige Tonverhältnisse. Platons Schmerz
entspränge so der Not, Bilder, Klänge und Gedanken ( « Schönheit, Harmonie und Wahr­
heit » ) grundlos tief ineins zu denken. Dass wir heut dabei nicht ernsthaft weiter kommen, ist
Metaphysik.
b
2 Arist. Met. M 3 , 1 07883 1 - S.
3 Kant, K. d. U, § 6, 8 1 7 f.
b
4 Arist. Anal. Post. 1 7, 75 1 5 f.

204
mathematische Schrift hat denn Aristostotes auch geschrieben, eine Tatsa­
che, die am nachhaltigsten in diese Richtung weist."1

3.2.2.3 ... und sti rbt

Den Männern von Athen jedoch war all das noch nicht fromm genug. Das
Göttliche, wie immer körperlos, als «erstes unbewegt Bewegendes» zu den­
ken, Theologie hoch über Arithmetik und Physik zu stellen, Dichten als Sa­
gen des Sagens für die vielen, «Denken» als gottgleiches «Denken des
Denkens» 2 für die wenigen zu rühmen -: dem Zugereisten aus Stageira
hat es alles nichts gebracht. Auch ihn klagten Denunzianten an, er habe
seinen Helden Hermias wie einen Gott besungen und daher Asebie began­
gen.3 Also verliess der Denker, um (wie er spottete) den Athenern einen
zweiten Schierlingsbecher und Justizirrtum zu sparen, die misogynste aller
Griechenstädte. Mit seinem kleinen Nikomachos, dem die erste aller Ethi­
ken gewidmet ist, 4 und dessen heiss geliebter Mutter, der Hetäre Herpyllis,5
floh Aristoteles nach Chalkis auf Euboia. Nicht in Athen, sondern auf der­
selben schmalen Insel, wo sich dereinst das Griechenalphabet entborgen
hatte, begann sein Eulenflug.
Tag : Abend = Leben : Tod

Manche sagen, an einem Magenleiden sei Aristoteles gestorben. Nach


anderen hat er selbst den Schierlingsbecher ausgetrunken, weil ihm die
vielen Wechsel einer Strömung unerklärbar blieben. Der Denker schaute
wie Odysseus tagelang aufs Meer, rechnete zum ersten Mal und gab es
schliesslich auf. Denn im Euripos, dem schmalen Meeresarm zwischen At­
tika und jener <rinderguten• Insel Euboia, die uns so grün am Herzen liegt,
wechseln die Gezeiten rascher noch als zwischen Skylla und Charybdis:
sechs bis sieben Mal am Tag.6 Er aber wollte endlich Rhythmen in der Phy­
sis messen.
Murieron otros, pero ello aconteci6 en el pasado,
Que es la estaci6n (nadie lo ignora) mas propicia a la muerte.
lES posible que yo, subdito de Yaqub Almansur,
Muera come tuvieron que morir las rosas y Aristoteles?

1 Wagner, in Aristoteles, 5 1 995, 475, zu Arist. Phys. II 7. Siehe auch Lehmann, 1 980b, 89,
über Aristoteles' « E nt-mathematisieru ng» der Philosophie.
b
2 Arist. Met. i\ 9, 1 074 35_ Dazu Marx, 1 954, 1 2- 1 5.

3 D. L. V 5.
4 Prof. Dr. Julian Nida- Rümelin zum Trotz gibt es keine „Nikomachische Ethik", sondern nur
eine «an Nikomachos» .
5 Z u dieser schrankenlosen Liebe siehe D. L . V 1 3 f.
6 Arist. Eth . Nie. IX 6, 1 1 67 b 8 ; genauer Boulanger, 1 963, 601 . Ü ber Skylla und Charybdis <=
1 . 1 . 2 . 1 .6.

205
Andere starben zwar- doch das geschah in der vergangenheit·
die als jahreszeit (wer weiss es nicht?) dem tod am nächsten steht.
ist es aber möglich· dass ich· untertan von Yaqub Al Mansur­
sterben werde - wie die rasen sterben mussten und Aristoteles?
(Borges, Aus dem Diwan des Almoqtadir EI Magrebf) 1

1 Borges, 1 964- 1 966, IX 1 06.- Der Abbasside Al-Ma'mun, Sohn des Kalifen HärOn al­
Raschisch, brach mit arabischem Nomadenwissen und stiftete, kaum dass Aristoteles ihm
im Traum erschienen war, ein Reich des G riechentums: „Der geheimnisvolle Wortwechsel
hatte zur Folge, daß die Gelehrten der Bagdader Akademie den Befehl erhielten, sich fortan
der Ü bersetzung des griechischen Philosophen zu widmen." (Manguel, 2000, 229)

206
3.2.3 Zwei feindliche Brüder

Die Wissenschaft denkt nicht.


Heidegger

Philologen lesen oder schlucken alles. Keiner kommt auf den Gedanken,
dass die Wissenschaft als solche Feindschaften begründen kann. Musik
ohne Mathematik, Mathematik ohne Ontologie.

3.2.3.1 Phi losophie und Wissenschaften

Als Aristoteles im Sterben lag, fragten ihn die Schüler hintersinnig, ob er


lieber Wein aus Lesbos oder aus Italien möge. Denn mit seiner Antwort,
seinem letzten Schluck, entschied er auch die Nachfolge: Nicht dem ehr­
geizigen Aristoxenos, der offenbar als einziger Zuhörer aus Italien stammte,
übergab der Sterbende die Schule, sondern T heophrastos von Eresos, dem
die Blumen seiner Heimatinsel Lesbos soviel Sammelfreude machten wie
dem Meister selbst.1 Nicht dass Aristoteles, •der mit den besten Zielen•,
für Aristoxenos,•den mit besten Gastfreunden•, keinerlei Verwendung sah.
Im Gegenteil, der Denker auf dem Sterbebett brauchte jede noch so irre
Leidenschaft. Kaum dass er tot war, hörte das Lykeion daher auf, alle For­
schung oder Neugier auf die eine Frage nach dem Seienden als Seienden
zu richten. Die Einheit namens Denken zerbrach nicht nur in drei getrennte
Fächer (Logik, Ethik und Physik), sondern ihr entsprangen lauter Einzelwis­
senschaften. Bis vor kurzem lag daher das Griechenland in Trümmern - von
der •reinen Mathematik• bis zu den Wissenschaften von Musik und Kunst.
Als seien Bild Schrift Zahl nicht seit den Griechen schon vom Ton hervorge­
rufen.

ccEnde ist als Vollendung die Versammlung in die äußersten Möglichkeiten.


Wir denken diese zu eng, solange wir nur eine Entfaltung neuer Philoso­
phen des bisherigen Stils erwarten. Wir vergessen, daß schon im Zeitalter
der griechischen Philosophie ein entscheidender Zug der Philosophie zum
Vorschein kommt: Es ist die Ausbildung von Wissenschaften innerhalb des
Gesichtskreises, den die Philosophie eröffnete. Die Ausbildung der Wissen­
schaften ist zugleich ihre Loslösung von der Philosophie und die Einrichtung
ihrer Eigenständigkeit. Dieser Vorgang gehört zur Vollendung der Philoso­
phie. » 2

ccDieser Vorgang„, ob Entscheidung oder Würfelwurf, scheint sich am Ster­


bebett in Chalkis abgespielt zu haben. Schwerer Wein aus Lesbos spielte

1 Suda s. v. Aristoxenos = Aristox. fr. 1 .


2 Heidegger, 4 2000, 63.

207
sicher mit. Aristoteles erwählte einen Schulnachfolger und - bewusster als
sein grösster, aber Nacht für Nacht berauschter Schüler Alexandras - lauter
kleine Diadochen. So halten es seitdem die Professoren. Uns aber, die nur
Musik und Mathematik begeistern, (er)zählen unter all den Einzelwissen­
schaften, die der Sterbende ins Leben rief, vorab diese beiden. Dass von
Bräuten, Nymphen, Frauen dabei lange keine Rede ist, liegt nicht an uns.

3.2.3 .2 Aristoxenos von Taras

Für Wolfgang Scherer

3 .2 .3.2.1 1 Leben ...

Aristoxenos kam aus Taras, Italiens grösster Stadt. Um -370 wird er geboren
worden sein. Sein Vater, ein gewisser Mnesias, hiess viel schöner •Spintha­
ros•, weil er so •glänzend• Musik machte.1 Er hatte seine Kunst Archytas ab­
gelernt, von dem er viel erzählen konnte,2 und gab sie weiter an den Sohn.
Das alles fiel in jene wirren Bürgerkriege, als Italiens Pythagoreer einmal
mehr zur Flucht gezwungen wurden: zunächst nach Rhegion, wo Aristoxe­
nos bei Xenophiles, einem Philolaoshörer, pythagoreische Harmonik lernte,3
zum Schluss jedoch nach T heben, wo Spintharos auch die dunklen Gründe
jeglicher Musik erfuhr: das Schweigenkönnen grosser Helden.4 Grund ge­
nug für Aristoxenos, wie vor ihm Simmias und Kebes ins redselige Athen
zu wechseln, wo Aristoteles ihn rasch wie viele ins Lykeion aufnahm, aber
eben nicht als Nachfolger.

Denn auch wenn das Lykeion, wie die Akademie, einen Musenhain um­
schloss, waren seinem Stifter doch sowohl Musik wie Zahlendenken fremd.
Also gab er lauter Schülern lauter Sonderaufträge5 und dem einzigen Ar­
chytaskenner klarerweise die Musik. Seitdem geht Büchermachen zu wie
an Gesamthochschulen. Ein spätes Lexikon, die Suda, verzeichnet von Ari­
stoxenos allein 453 Bücherrollen. Darunter zählt so gut wie alles oder nichts:
Spottschriften gegen Sokrates und Platon, Bücher über Pythagoras und Ar­
chytas, Aufsätze über Tanz, Tragödienchöre und den Aulos - nichts schreck­
te den wahllosen Vielschreiber ab. Dass fast kein Grieche seine Bücher je
zitiert hat, sondern bestenfalls (wie lamblichos) geplündert, gibt der For­
schung kaum zu denken.6 So wurde ausgerechnet Aristoxenos, Totengrä-

1 Wuilleumier, 1 939, 585.


2 lambl. V. P. XXXI 1 97.
3 lambl. V. P. XXXV 251 ; Plin. Hist. nat. VIII 1 68.
4 Plut. De recta rat. 3, 39b, über Epameinondas. Vgl. auch De gen. Socr. 23, 592f.
5 Schadewaldt, 1 989, 62.
6 So leider Gibson, 2005, 2-4.

208
ber aller Notenschrift und Harmonie, „in gewissem Sinne [sie] der Ahnherr
der Musikwissenschaft", 1 sofern sich diese Wissenschaft nicht einmal selbst
versteht.

„Ein anderer Aristotelesschüler, Aristoxenos, hat sich zumal mit der Musik
beschäftigt aufgrund der älteren Materialien. Interessant ist, daß gerade
durch die Abzweigung dieser Arbeit an der Musiktheorie die alte Musik ver­
schollen ist. Denn auch bei Pindar und dem alten Chorlied, wo sie doch
überliefert war, ließ man sie nun weg, während sie sonst zweifellos erhalten
geblieben wäre. Aber es ist nun einmal eine der weltgeschichtlichen Fügun­
gen, daß die Musik getrennt wurde von der Überlieferung des eigentlichen
poetischen Worts, ob es nun Zufall war oder so sein mußte."2

3.2 .3.2.2 . .. und 453 Bücherrol len

Nein, es war kein Zufall. Das Lykeion sorgte mit Bedacht dafür, dass alle
Musiklettern, wie sie vormals Melodien und Metren angeschrieben hatten,
für uns verloren sind. In Sapphos Liedern, Pindaros' Gesängen, Sophokles'
Tragödien finden wir sie nicht. Alexandreia, der grössten Bibliothek des Grie­
chenlandes, gingen aus Athen auch weder Philolaos noch Archytas zu. Er­
haltene Buchrollen, die von Harmonik oder Metrik handeln, gehen vielmehr
letztlich auf den Zerstörer beider T heorien zurück: Aristoxenos. Das möch­
ten wir euch kurz und bündig nacherzählen.

3 .2 .3 .2 .2 .1 Harmonik

Aristoxenos beginnt das zweite Buch seiner Harmonik mit einer Anekdote,
die Aristoteles wohl seinen Schülern oft und gern erzählte: Der alte Pla­
ton habe mit seiner Vorlesung über das Gute (ne:pl raya9o0 6Kp6aoic;)
die allermeisten Zuhörer enttäuscht. Denn er sprach nicht über Reichtum,
Macht, Glückseligkeit im Menschenleben, sondern über Zahl und Mathesis

1 Darin ist, vom Buchmedium verblendet, Albrecht Riethmüller, Stoff der Musik ist Klang und
Körperbewegung. I n : Gumbrechl/Pfeiffer, 1 988, 5 1 -62, 52, mit Russe, 2005, 261 -263 , und
Gibson, 2005, 6, völlig einig : „Musicology cannot really be said to have been born until
Aristoxenus' harmonic treatise took it out of a cosmological context and examined it inde­
pendently and systematically." Was von Gibson noch als hohes Lob gedacht ist (falls wir
überhaupt von Denken sprechen können). Dagegen hat „cand. phil. Albrecht Riethmüller"
immerhin an Musike und Logos mitgewirkt (Lehman n , 1 970, XV) .
2 Schadewaldt, 1 989, 63. - Wie griechische Schauspielergilden (scaenici artifices) die Musik
doch noch errettet und als Zeichensatz wohl aus G rossgriechenland nach Rom getragen
haben, skizziert Pöhlmann, 1 994, 44 f. (nach Cic. Pro Archia V 1 0). Nur überliefern Mönche
solches Wissen nicht.

209
im Kosmos.1 Sokratische Dialoge schreibend vorzutäuschen, war ihm - gut
pythagoreisch - langsam leid. Worauf fast niemand wiederkam ...

Der Spott auf Platon macht schon klar, was Aristoxenos um jeden Preis um­
gehen will: ein Wissen von Musik, das Zahlen als Verhältnisse bestimmen.2
Kurzum, er will gelesen werden. Das erspart den vielen Laien, alle «Logoi
und Geschwindigkeiten» zu errechnen, «in denen» T öne «Zueinander» ste­
hen.3 Aber woher nimmt der Schreiber selbst sie her? Schon weil Aristoxe­
nos, obwohl doch ausgemachter Pythagoreer-Kenner, Philolaos und Archy­
tas in der Harmonik nie erwähnt, ist er fast gezwungen, sie klammheimlich
zu bestehlen. Er weiss selbstredend wie wir alle, dass die Oktave

2:1 =4:3x3:2

ist, schreibt es aber nie. Das Grundgefüge beider Tetrachorde - Quart


und Quint als die Oktave - fällt also völlig unbedacht vom Himmel. Doch
weil sogar der Dümmste an Aulos oder Kithara ersehen und erhören kann,
dass Quinten grösser sind als Quarten, nennt Aristoxenos ihrer beider Un­
terschied den Ganzton (r6voc;) und setzt ihn stillschweigend zum Mass
schlechthin: für Intervalle, Stimmungen und Tongeschlechter.4 Sicher, die­
ser Ganzton lässt sich noch halbieren, dritteln oder vierteln; aber feiner
hören Ohren nicht. Halbtöne ergeben mithin Diatonik, Dritteltöne Chroma­
tik, Vierteltöne Enharmonik5 - und fertig wie im Bastelkasten sind die drei
Tongeschlechter, von denen Aristoxenos unverfroren dreist behauptet, seine
pythagoreischen Vorgänger hätten nur das enharmonische berechnet, von
den anderen beiden aber nirgends Diagramme angegeben.6 Das ist nicht
nur die blanke Lüge, sondern wirft ein trübes Rücklicht auch auf Aristoteles.
Womöglich fälscht der Schüler, wenn er Vorsokratiker anführt, nicht minder
als sein Lehrer.

1 Aristox. Harm. 30, 1 6 - 3 1 , 2.


2 Daher ist 6va>.oyia in Marquards grossem Wörterverzeichnis keinmal belegt, 6p19µ6c; fast
nur im trivialen Sinn (Marquard, in Aristoxenes, 1 868, 395) .
3 Aristox. Harm. I I 32, 23-25.
4 Gibson , 2005, 63.
5 Harm . 1 1 46, 1 -6. Daraus schliesst Marquard (in Aristoxenos, 1 868, 259), seinsgeschichtlich
völlig unhaltbar, auf Aristoxenos: „Den Ganzton in gleiche Halb- Drittel- und Vierteltöne
theilen kann eben nur derjenige, welcher u nsre so genannte gleichschwebende Temperatur
zu Grunde legt." Die sechste Wurzel aus 2 ist aber ebenso neuzeitlich wie irrational, das
Verhältnis 9 : 8 dagegen klarerweise griechisch. Es gilt � 1 . 1 2246205„. i 1 . 1 25.- Dass
=

Griechen nur Wurzeln und Potenzen kannten, die unserem JR3-Alltagsraum entsprechen,
hat Spengler, 65 1 923, 1 89 f. , ein- für allemal gezeigt.
6 Harm. 1 1 , 8- 1 4. Antike Einsprüche gegen diese Frechheit versammelt schon Marquard in
Aristoxenos, 1 868, 1 97. - Vitr. De arch . IV 4, 1 , versichert, seine eigenen musikalischen
Diagramme nach Aristoxenos gezeichnet zu haben. Beide Diagramme sind jedoch in allen
Handschriften verloren.

21 0
Harmonik wird jedenfalls zum Widerspruch in sich. Am verschwiegenen
Grund liegen überteilige Verhältnisse, wie Archytas sie durch arithmetisches
und harmonisches Mitteln gewonnen hat. Auf der Leserobertläche aber wer­
den T öne, als wären sie blass schnöde Handelsware, unterteilt wie Kauf­
mannsbrüche. Archytas hat umsonst bewiesen, dass überteilige Verhält­
nisse und geometrische Mittel einander radikal ausschliessen, schon weil
gleichgrosse Hälften, Drittel oder Viertel irrational sein müssten. Nur dem
Lykeion sagt das alles nichts. Aristoxenos muss daher einem Lehrer fol­
gen, der alles physisch Seiende aus kleinsten Teilen oder Elementen auf­
gebaut hat, gleichgültig ob die Teile Laute, Punkte, Einsen oder halbe T öne
sind, die Wesenheiten folglich Silben, Linien, Zahlen oder auch Oktaven.
Den Grundgedanken einer Harmonie, deren gegenwendige Eintracht sich
von dem «Ganzen» der Oktave immer feiner bis zur Diesis auffächert, ohne
doch in alledem ihr Walten aufzugeben, stellt Aristoteles vor Zahlenscheu
glatt auf den Kopf .1 Seiendes aus lauter Einsen bauen kann ja jeder.

Deshalb erklärt die Metaphysik, ohne diese ihre Asebie je zu verraten, auch
die Zahl der Elemente für beliebig: Der eine alte Denker zählte zwei, der
nächste drei; Empedokles fügte, statt die Vierung oder Tektraktys dem Kos­
mos wahrhaft einzuschreiben, ein viertes blass hinzu.2 Ganz wie wir heute
damit rechnen müssen, dass im periodischen System der Elemente immer
wieder neue Transurane kurz aufblitzen und zerfallen, steht Aristoteles nicht
an, ein fünftes anzugeben: Neben Zeus als Aither oder Äther, der zur un­
wandelbaren Himmelskugel fährt, um die Physik bis 1 887 bös zu narren,
tritt in unserer sublunaren Welt die irdisch trübe Luft (arip).3 Schon lang vor
Euler trübt dieser Wahnsinn neuzeitliche Hirne, Aristoteles mit seiner quin­
ta essentia habe unsere Quintessenz gemeint, den arabischen in Retorten
destillierten Alkohol. Noch lang nach Euler wird der Wahn umlaufen, dass
dieser einst dem Gott geraubte Äther das Licht so fortträgt wie die Luft den
Schall.4 Aus einer heiligen viertältigen Struktur, die ganz so streng wie Can­
tors Mengenlehre operiert hat, macht das zahlenfeindliche Lykeion blasse
Addition von Lauten, Elementen oder Vierteltönen. Ob eins zwei drei vier
fünf - wen schert es?!5

1 Lehmann , 1 980b, 96.


2 <= 2.2 . 1 . 1 .
3 Kingsley, 1 995, 1 8. Zum Bedeutungswandel von ar'Jp siehe auch Chantraine, 2 1 999, s . v.­
Erst seit dieser Fälschung mussten schon antike Doxographen rätseln, welche Götter wel­
chen Elementen Empedokles denn zugesprochen habe.
4 Euler, [1 769- 1 773, 1 9. Brief] 1 986, 23 f.
5 Das gilt leider auch für Gernot und Hartmut Böhme, Feuer Wasser Erde Luft. Kulturge­
schichte der Naturwahrnehmung in den Elementen. München 1 996. Den vier G riechenele­
menten eine schöne Monographie zu widmen, ohne ihre Anzahl jemals zu bedenken - ist
das noch Kulturgeschichte oder Seinsvergessenheit?

21 1
ccßieo1c; war ursprünglich, wie wir bei Philolaos (Diels-Kranz B 6, am En­
de) lesen können, das, was Ptolemaios A€iµµa nennt, d. h. das, was übrig
bleibt, wenn man zwei Ganztöne in die Quart hineinsetzt. Die Pythagore­
er organisierten und teilten die Oktave vom Ganzen aus zu den Teilen hin.
Dieses Verfahren wurde dann in der Akademie [ ... ] umgekehrt (was musi­
kalisch vollkommen widersinnig ist) und man machte dafür (als ,Viertelton')
die öieo1c; zur kleinsten Einheit in der Musik, an der die übrigen Intervalle
quantitativ gemessen wurden (die Oktave hat dann 24 solche Diesen, wel­
che von Aristoxenos speziell •enharmonische Diesis• genannt werden.)» 1

Doch was bei Zahlen, Punkten und Buchstaben restlos aufgeht, stösst bei
Musik an eine prinzipielle Grenze, die Aristoteles sogar verrät. Kein Eins
zwar ist dem anderen ungleich, aber doch die Diesis. Da das enharmonische
Geschlecht (laut Aristoxenos) das älteste und ehrwürdigste ist,2 errechnet
schon Archytas für seinen Tetrachord auch zwei verschieden grosse Halbtö­
ne: Ihr überteiliges Verhältnis beträgt entweder 28:27 oder 36:35.3 Aristo­
teles, der Zahlenflüchtling, schreibt diese beiden Werte zwar nie hin, deutet
aber ihren Unterschied doch an. Ob wir eher unseren Ohren oder dem Kal­
kül vertrauen sollen, lässt er fast sträflich offen. (Denn niemand ausser uns
scheint Glaukons jugendlicher Wissenschaft zu glauben.)

OUK aei öE: T� ap18µ� ev TO µE:rpov aM' eviore nAeiw. oTov ai


c51E:oe1c; öuo. ai µr) KOTO rr)v OKOr)v äM' ev TÖie; A6yo1c;.
Nicht immer nun ist das Mass der Zahl nach eins, sondern manchmal
ein Mehreres; so [gibt es] zwei Resttöne, zwar nicht dem Gehör nach,
aber in den Zahlverhältnissen.4

«Und mit einer solchen grotesken mechanischen musikalischen •Dihäretik•


[ ... ] mußte sich dann Aristoxenos [ ... ] herumschlagen!»5

Er erledigt (um das mindeste zu sagen) seine Aufgabe mit Eleganz, wenn
auch polemisch überlaut. Anstatt unsäglich vager Resttöne setzt Aristoxe­
nos nur einen Ganzton fest, der die zwei Tetrachorde klar und hörbar trennt.
Damit gibt er zwar alle Logoi oder Zahlenwerte preis, verstrickt sich aber
nicht im eklatanten Widerspruch, dass uns der Logos - bei den Göttern! -
etwas anderes verkünden würde als die Ohren. Von Aristoteles bis zu Mer­
senne muss Musikharmonik ja am Märchen spinnen, dass es diesen Unter-

1 Lohmann , 1 970, 1 1 3.
2 Aristox . Harm. 1 2, 7- 1 8.
3 <== 2.2.2.4.3.2.
b
4 Arist. Met. 11 , 1 053a 1 4- 1 6; vgl. auch N 1 , 1 087 33-36, wo der Selbstwiderspruch eines
Masses, das nicht eins ist, aber unterschlagen wird.
5 Lohmann, 1 980b, 96.

21 2
schied zwar gibt, aber nur ccan sich» und nicht ccfür uns». 1 Aristoxenos lässt
dieses An sich weg und traut nur dem Für uns. Er verfällt auf den Ausweg,
die Musik dem gemeinen Verstand (ö16vo1a) und der von ihm geschulten
Wahrnehmung (aT081101c:;) aufzubürden. 2

Sogenannten «Phänomenen» trauen3 heisst jedoch - vom Hellenismus bis


zu Husserl - Technik gar nicht erst zu ignorieren. Es heisst daher vor allem
leugnen, dass Instrumente epistemische Dinge sind, von der Zahl durch­
drungene Maschinen. Wer glaubt, er könne einem Aulos schon an dessen
Grifflöchern ablesen, wie die Oktave aufzugliedern sei, ist wohl nicht ge­
scheit. Es wäre doch zu schön, wenn sich der Aulos selber stimmen könnte!
Nein, ein «Wissender„ muss her, der ccdem Laien» (iö1wr11c:;) erst einmal
diverse Anblastechniken beibringt,4 bevor besagter Aulos fehlerfrei in allen
Tongeschlechtern spielt. Aristoxenos schreibt also nur die Werkzeugtheo­
rie seines Lehrers fort: «Wenn das Plektron selber Leier spielen könnte!»5
Allein im alten Mythos, heisst das, hat es Automaten geben können, die
von selber alles machten, was ihr Erfinder, Schmiedegott Hephaistos, nur
befahl.6 (Selten lag das kleine Attika so falsch.) Grifflöcher und Saiten sind
dagegen «seelenlose» Einzelteile eines Werkzeugs,7 dem wir im Gegensatz
zu Sklaven, sprachbeseelten Allzweckwerkzeugen mithin, jedweden Dienst
einbauen müssen.

ÖTI ö' ouöE:v TWV 6py6vwv OUTO 6pµ6rrera1 [ ... ] öfjAOV.


Dass kein [einziges] Spielwerk sich selbst stimmt, [. ..] ist offenbar.8

Nein, sagt die Seinsgeschichte, nichts ist falscher. Alle E-Gitarren, wie das
Pop-Konzert sie feiert, sind im Feedback-Loop mit Tuner und Verstärker,
Mischpult und Computertechnik längst schon automatisch durchgestimmt,
bevor Dave Gilmour auch nur zum ersten Tonglissando ansetzt. Dies ma­
schinelle Stimmen wiederholt sich in den Pausen.9 Kaum etwas auf der Welt
ist algorithmischer als die Musik.

Um diese Einsicht der Pythagoreer als ccgrössten aller Irrtümer» zu bestrei­


ten,10 muss Aristoxenos den Instrumenten jede Ordnung oder Form abspre-

b
1 Ü ber An sich und Für uns im allgemeinen siehe Arist. Met. /:J. 1 1 , 1 0 1 8 29- 1 0 1 983.
2 Aristox. Harm. I I 34, 29.
3 Harm. I I 32, 20.
4 Harm . 1 1 41 , 4 und 3 1 -33.
5 Arist. Pol. 1 4, 1 053 b 38.
6 <== 2.2.2.4.3.4.
7 Aristox. Harm. II 4 1 , 1 4.

a Harm . 1 1 43, 7.

9 Mason , 2004, 203 .

10 Harm . 1 1 41 , 26,

21 3
chen. (Kein Musiker kann so taub sein, sie nicht als epistemische Dinge zu
erfahren und verehren.) Nicht weil der Aulos als abgemessen aufgebohr­
tes Luftrohr mit bestimmten Löchern (nun schon seit 35000 Jahren) vorliegt,
ergeben sich beim Spielen (und nach Aristoteles) seine 27 T öne als Sy­
stem.1 Nein, «der Aulos und die übrigen Instrumente nehmen nur, so gut
sie können, an einer Harmonie teil», als deren leitendes Prinzip allein «die
Wahrnehmung» auftritt, nicht etwa die Zahlenlehre namens Arithmetik.2 Es
hat schon daher gute, nämlich üble Gründe, dass Aristoxenos Wort und Sa­
che Kithara nirgendwo erwähnt und nur zweimal vage von «gespannten Sai­
ten» schreibt.3 Denn das Monochord, zu seiner Zeit mit Sicherheit bekannt,4
widerlegt bei jedem Einsatz die Behauptung, «dass das Gestimmtsein (ro
r)pµooµevov) nicht in den Saiten ist, sondern in der Handarbeit des Stim­
mens.»5

Beim Aulos liegen, wie bekannt, die Dinge anders: Es gibt kein Instrument,
das ihn als Instrument so kinderleicht, so mathematisch wie der Monochord
die Kithara durchstimmt. Flötenbauer, also Handwerker, die in unterschied­
lich grossen Abständen unterschiedlich grosse Löcher in ein Holzrohr boh­
ren, können den Monochord zwar auch zur Prüfung brauchen, ob dieser
grad gebaute Aulos Ausschuss oder nicht ist. Aber das geht immer erst im
nachhinein. Weshalb schon Platon treffend anmerkt, dass die Bläser und
Benutzer vom Aulos mehr verstehen als seine Macher.6 Bei der Kithara
ist solche nachgeholte Empirie nicht nötig. Schon vor jedem Auftritt zeigen
Spieler ihre Kunst, acht Saiten sauber nach dem Monochord gestimmt zu
haben -: in einer von fast zahllos vielen Stimmungen und Arten. Chroma­
tisch, diatonisch, enharmonisch; phrygisch, lydisch, dorisch undsoweiter.

Der schlaue Aristoxenos jedoch verdrängt die Kithara und ihre Wissen­
schaft, um stets und nur die Handwerklichkeit des Aulos anzuprangern. Er
könnte sonst, statt seinem Lehrer blindlings treu zu bleiben, dessen See­
len/ehre sanft verschönern: Es ist nicht nur ccdie Hand das Werkzeug aller
Werkzeuge„, sondern auch der Monochord ein erstes Spielwerk aller Spiel-

b
1 Arist. Met. N 6, 1 093 2 f.
2 Aristox. Harm. II 42, 23-30. Bei Aristoteles ( Pol. V I I I 6, 1 341 b 7) hiess es sehr viel präzi­
ser, dass Athena den Aulos wegwarf, weil er (doch wohl im Gegensatz zur Kithara) keine
E:n1orr1µri lehrt.
3 Harm. 1 1 1 , 9- 1 3; II 4 2 1 . Das alles wäre mit der wohl pseudo-eukleidischen Sectio canonis
in Barbera, 1 991 , abzugleichen .
4 Nach Burkert, 1 962, 1 58, u n d Szab6, 1 960, 1 58, ist d e r Kanon älter a l s PI. Epin. 991 a. So
auch West, 1 992, 240.
5 Aristox. Harm. II 43, 2 f. Auf den erotischen Wortsinn von xe:1poupyia (Ar. Lys. 671 f.; D. L.
VI 2, 46, über Diogenes von Sinope) weisen wir nur hin.
s PI. Resp. X 4, 601 de.

21 4
werke. Was Aristoxenos selbstredend niemals dämmert. Kurzum, wir (wie
Aristoteles) würden den «Idioten» nie zum Nachfolger berufen...

Wenn aber Harmonie nicht aus dem Monochord und damit aus der Tetraktys
entspringt, sondern einem vom Gehör gelenkten Handwerk, gibt es sie nicht
immer schon im Zahlenreich. Acht Saiten hängen vielmehr schlaff herab und
werden mühsam nacheinander hochgestimmt. Wir alle wissen, dass das ein
Glissando gibt, Sirenensound im Luftweltkrieg. Eben diesem Gleiten lauscht
Aristoxenos so unersättlich lange nach, bis ihm die Einsicht kommt, was
musikalisch reine T öne überhaupt sind. Musikontologie (wenn wir so sagen
dürfen) gipfelt in dem Satz:

q>wvflc; mwo1c; eni µiav TCOIV 6 q>96yyoc; eori.


Der Stimme Fall auf eine Spannung ist der Ton.1

An sich gibt es also einen unbeschränkten Tonraum, den wir beim Stim­
men als Glissando hören und der bis «ins Unendliche anwachsen könnte
(aü�rio1c; e:ic; äne:1pov).„ Für uns verengt sich dieses Apeiron indessen zwi­
schen einem Minimum und Maximum: Kleinere Intervalle als den Viertelton.
grössere als zweieinhalb Oktaven braucht Musik nicht. Nur wenn ein Mäd­
chenaulos (napeev1oc; aÜAoc;) zu einem tiefen Aulos aufspielt oder Männer
mit Kindern unisono singen, spannt der Tonraum mehr als vier Oktaven auf.2

Damit ist die griechische Harmonie, die seit Pythagoras Oktave heisst, an­
sieh zu Ende. Aristoxenos schreitet nicht vom «Ganzen» her zu dessen Tei­
len fort, sondern „tut den ersten systematischen Schritt zur Überschreitung
dieses Oktav-Rahmens".3 Er muss daher, um die Musik doch wenigstens
für uns zu retten, eine Grammatik, die ihr entsprungen ist, rückwirkend wie­
der in Musik verwandeln. Aristoteles hat mit mwo1c; zum ersten Mal den
Sachverhalt benannt, dass das Indogermanische bei Substantiven wie bei
Verben viele •Fälle• kennt. (Wir alle lernen noch, und zwar par creur, von
Herzen oder auch im Chor: amo amas amat. ) Lehmann hat zudem bewie­
sen, dass solche Fälle, als Endungen an Stamm und Wurzel angefügt, uns
und nur uns Europäern Heideggers ontologische Differenz gewähren: Im
Stamm sagt sich das reine Sein von Dingen, im Endungsfall, wann wo wo­
her wozu sie eben grade •seiend• sind.4

1 Aristox. Harm. 1 1 5, 1 5 f. Dass die spätantike Musiktheorie diese Definition übernimmt, aber
ihrem U rheber zum Trotz um den Begriff der « Note „ (ofiµa) erweitert, zeigt Gibson, 2005,
1 50, an Bakcheios Geron . Seinsgeschichtlich viel wichtiger bleibt, dass Cicero r601c; von
Aristoxenos übernimmt und als intentio wiedergibt (Tusc. 1 1 0, 1 9) .
2 Aristox. Harm. 1 2 0 , 1 5-21 , 3 1 .
3 Lohmann, 1 970, 63 1. und 1 1 3.
4 Lohmann, 1 948, 49- 1 06.

21 5
Aristoxenos tut also gut daran, die ontologische Grammatik seines Lehrers
musikalisch umzudenken. Unsere Stimme gleitet nicht im Unbestimmten auf
und ab, sondern «fällt auf eine Spannung„, die Monochord und Kithara ihr
schon zuvor gewiesen haben. Das Griechenalphabet bleibt an der Macht.
So halten uns beim Singen festgelegte T öne -: ganz wie Dativ oder Ge­
nitiv beim Sprechen. Und da nur Saiten, Lippen und Stimmbänder, aber
keine Flötenlöcher sich je «spannen» lassen, kehrt die verdrängte Kitha­
ra im Grundbegriff der r601c; zurück wie ein Gespenst. Die zwei Sirenen
haben ihrer «beider eine Stimme angespannt» , um Odysseus auf die In­
sel aller Inseln, die Oktave namens Harmonie zu locken. Weil Aristoxenos
von alledem nichts wissen will, muss er ein ganzes trübes Buch der Mühsal
widmen, jede Saite oder Spannung - wohlgemerkt für alle Tongeschlech­
ter - vom Ganzton her empirisch zu ermitteln: Hypate, Parhypate, Lichanos,
Mese, Paramese, Trite usw. usw. (Wobei er zum Bedauern einer ziemlich
jungen Wissenschaft, der zweieinhalb versprochene Oktaven aus dem Pia­
nistenherzen sprechen würden, stimmungstechnisch trotzdem niemals den
Oktavraum sprengt.)

Die gerühmte Empirie daran ist nicht einmal Aristoxenos' Erfindung, son­
dern blosser Rückfall. Schon Platons Sokrates hat ja - im kleinen Attika, wo
sonst? - dumme Musiker getroffen, die "Tetrachorde oder Einzeltöne nur
dem Gehör nach aneinander messen» und «Saiten oder Leierwirbel quä­
len», statt der «pythagoreischen Verschwisterung» von Musik und Arithme­
tik zu vertrauen.1 Was den schönen Glaukon (Platons Bruder, der von Musik
viel mehr als Sokrates versteht) zu einem lachend hellen Ja reizt. Aristoxe­
nos wird schon verspottet, bevor er in Athen ankommt.

Nil rouc; Se:ouc;. ecpe:, Kai ye:>.oiwc; ye:, nuKVwµar' ärra 6voµ6�ovre:c;
Kai napaß6Movre:c; TC WTO, oTov eK ye:1r6vwv cpwvilv Sripe:u6µe:vo1.
' I V I 1 I II. 1 II. \ I .,..
01 µe:v cpao1v e:n KaTOKOUE:IV e:v µe:oy> TIVa l')Xl')V Kai 0µ1KpOTOTOV e:1va1
TOUTO ÖIOOTl')µa , � µe:rprirE:ov, oi öE: 6µcp1oßrirouvre:c; wc; öµo1ov riöri
cp9e:yyoµE:vwv. 6µcp6re:po1 wra roO voO npoorrio6µe:vo1.
Nein, bei den Göttern, sagte [Glaukos]. So lachhaft halten sie bei ihren
sogenannten Heranstimmungen die Ohren hin, als ob sie den Ton sei­
nem Nachbarn abjagen wollten, da denn einige behaupten, sie hörten
noch einen Unterschied des Tones, und dies sei das kleinste Intervall,
nach dem man messen müsse; andere aber leugnen es und sagen,
[die T öne] klängen schon ganz gleich. Beide stellen eben Ohren höher
als den Geist.2

1 PI. Resp. V I I 1 2, 530d-53 1 b; vgl . Epin. 978ab.


2 Resp. V I I 1 2, 53 1 ac. Dazu Regenbogen, 1 930, 1 53- 1 58.

21 6
Nach diesem Ausbruch Glaukons stimmt selbst Sokrates, «gequälte Leier­
wirbel» und die Tetraktys vor Augen, der mathematischen Musikharmonik
zu.

Denselben Halt im Unbegrenzten gewähren aber auch die Noten. Abge­


zählt diskret wie jenes Griechenalphabet, dem es entsprungen ist, gibt je­
des Zeichen eine Höhe oder Spannung vor. Kein Tonsystem auf dieser Welt
ist geometrisch, unendlich teilbar wie die Linie, sondern arithmetisch unstet
wie die Menge ganzer Zahlen. Wir halten uns an Noten, wenn wir singen.
Genau das findet Aristoxenos ganz unsäglich falsch.

"A öe r1ve:c; no1oüvra1 reAI') rfic; 6pµov1Kfic; KaAouµev11c; npayµare:iac;


oi µev TO napao11µaive:o8a1 Ta µeAI') cpaOKOVTe:c; nepac; e:Tva1 TOÜ
�uv1eva1 TWV µE:ACf>ÖOuµevwv eKOOTOV. oi öe rr,v ne:pl rouc; OUAOU<;
Se:wpiav Kal TO €xe:1v e:ine:Tv riva rp6nov eKaOTa TWV OUAOUµevwv
Kal n68e:v yiyve:rar TO csr, raüra Aeye:1v naVTE:AW<; eOTIV ÖAOU TIVO<;
Öll')µOpTl')KOTO<;. OU yap ÖTI nepac; rfic; apµOVIKf;<; ernorf)µI')<; eOTIV r)
napao11µavr1Kf) . äM' ouöe µepoc; ouöev. e:i µr, Kal rfic; µe:rp1Kfic; TO
yp64Jao8ai TWV µerpwv eKaOTOV.
Was aber einige zum Ziel der sogenannten Harmonik machen - man­
che sagen, die Notenbezeichnung sei der Endzweck beim Verstehen
jeglicher Musik; andere sprechen über die T heorie des Aulos, seine
Spielweisen und wie sie entstanden sind -, all das sind von Grund auf
falsche Reden. Denn Ziel der harmonischen Wissenschaft ist nicht die
Notenbezeichnung, ja nicht einmal eines ihrer Teile; es müsste ja dann
auch Ziel der Metrik sein, jedes Metren anzuschreiben. 1

Um diesen Wutausbruch als solchen zu begreifen, hilft wieder Aristoteles.


Er erst prägt - und zwar bis heute - Wort und Sache der Semantik. Also
fühlt sich sein Musikexperte dazu eingeladen, ein wissenschaftliches Wort
auch für die erste Notenschrift der Welt zu prägen: Para- oder Nebens­
emantik. Denn ob Pindaros mit jenen «Zeichen» (oaµara), die das Vorspiel
auf der Phorminx dem Stimmeinsatz des Sängers gibt, wirklich schon die
Notenzeichen selber sang, steht fast unklärbar dahin. 2 Aristoxenos vergisst
nur zu erwähnen, was napao11µaivw schon seit langem meint: Falschgeld
prägen, Siegel fälschen usw. 3 Was wunder, dass er samt seinen Pythago­
reerfälschungen dem Abendland beinah verschollen ging.

1 Harm. 1 1 39, 4- 1 6.
2 Pind. Pyth. 1 4.
3 Passow, [1 841 ] 2004, s. v.

21 7
Und doch verrät auch die geschmähte Parasemantik, worum es Aristoxe­
nos geht. Wir können seine Noten selbst benoten. Nach Aristoteles stehen
Silben zu Worten wie Metrik zu Semantik. Also stehen nach Aristoxenos mu­
sikalische T öne zu gesungenen Silben wie Harmonik zu Metrik. Die Frage
lautet daher, ob wir nach Noten singen dürfen oder allein so, wie Aristoxe­
nos den Laien Aulosspiel beibringt. Sein Nein zum Alphabet der Töne folgt
aus einem Sprachbegriff, der Gesang nurmehr als Sonderfall des Sprechens
kennt. Das Griechenalphabet kommt auf den Hund.

Än>.wc; yap ÖTOV µev OÜTW KIVfjTOI rl Q>WVrl WOTE: µl'")ÖOµOÜ ÖOKE:TV 'i­
OT00901 Tfi 6Kofi, ouve:xfi Myoµe:v TOUTl'")V Triv Kiv1101v· örav öE: orfivai
nou ö6�aoa e:TTa n6>.1v ö1aßaive:1v nvo T6nov cpavfi Kai TOÜTo no1fioa­
oa n6AIV eq>' eTepac; TOOe:wc; OTfjVOI Öo�n Kai TOÜTO E:vaMa� no1e:Tv
cpa1voµev11 ouve:xwc; ö1are:>.fi, ö1aor11µanKriv Triv Kiv1101v Myoµe:v.
Triv µE:v oliv ouve:xfi >.oy1Kriv e:Tva1 cpaµe:v. ö1a>.e:yoµevwv yop r;µwv
OÜTwc; ri q>wvfi KIVe:TTOI KOTO T6nov WOTe: µriöaµoü ÖOK€iv 'iorao9a1.
Karo öE: Triv E:Tepav E:vavriwc; neq>uKe: yiyve:o9ar 6Mo yap 'ioTa-
0801 Te: öoKe:T Kai n6vre:c; Tov roüro cpa1v6µe:vov no1e:Tv ouKeT1 >.eye:1v
cpaoiv 6M' <;löe:1v.
Einfach wenn die Stimme sich so bewegt, dass sie dem Gehör nie still­
zustehen scheint, nennen wir diese Bewegung die stetige, wenn sie
aber irgendwo stehen zu bleiben scheint, dann wieder offenbar einen
Ort durchschreitet und dann sich wieder auf eine andere Spannung
zu stellen scheint und dies abwechselnd bis zum Ende tut, nennen
wir eine solche Bewegung intervallisch. Die stetige nun nennen wir die
sprechende/logische, denn wenn wir miteinander reden, bewegt sich
die Stimme so, dass sie nirgends zu stehen scheint. Bei der anderen
aber geschieht das Umgekehrte: denn sie scheint stehen zu bleiben
und alle können nicht umhin, diese Erscheinung singen zu nennen.1

Das liest sich beinah wie die Rede eines Irren, der anderen Irren zu erklä­
ren sucht, welche Wunder der Gesang vermag. Ob griechische Gespräche
je so kunstlos klangen, als blasses Auf und Ab von Stimmen, steht dahin.
Der Reichtum an Vokalakzenten spricht eine andere Sprache. Aber darum
geht es nicht. Was Aristoxenos versucht, ist schlimmer. Die gemeine Rede
(>.6yoc;) wird zum Regelfall, an deren Mass sich fortan der Gesang bestim­
men soll. Rede ist - mit Aristoteles - geometrisch stetig, Gesang dagegen
arithmetisch sprunghaft wie die Ganzzahlreihe. Doch weil Aristoxenos vom
Denkmodell des Stimmens (insgeheim also der Saite) niemals loskommt,
sind selbst die beim Singen festgehaltenen Töne durch unmerkliche Glis-

1 Aristox . Harm. 1 9, 1 2-29.

21 8
sandi auf und ab verbunden. Die Stimme schwimmt beim Übergang zum
Singen noch in einem Apeiron, das dem der Kithara beim Stimmen gleicht.1
Wir hoffen nur, dass Musen und Sirenen nie so jaulten.

Seinsgeschichtlich heisst das alles, dass Prosa fortan die Musik begründet,
statt aus ihr hervorzugehen. Aristoxenos kann nur von alldem nichts berech­
nen, weshalb er sich bis zur Ermüdung wiederholt. Erst Joseph Sauveur, der
1 701 ja die Musik zum Teilgebiet der allgemeineren Akustik absenkt, unter­
scheidet Poesie und Prosa schlicht danach, ob ihre Tonhöhen in rationalen
Zahlen anschreibbar sind oder nurmehr in reellen.2 Erst Cagniard de la Tour
erfindet 1 8 1 9 eine technische Sirene, die den unendlich weiten Tonraum als
endloses Glissando spielen kann.3

Trotzdem bleibt Aristoxenos ein historisches Verhängnis. Noch Platon denkt


die Rede vom Gesang her: als Rest, wie er von Chören, Dithyramben oder
Liedern übrig bleibt, wenn Sokrates ihnen Melos, Rhythmos, Metron raubt. 4
Das dreht sich nun für lange Folgezeiten um. Späte Griechen schreiben le­
sen sprechen hören Prosa und verwundern sich lauthals, dass «Dichtungen
der Rede süsse Weisen, Metren, Rhythmen hinzufügen.» 5 «Die Prosa der
Welt» 6 bricht über Griechenland herein. Es gibt Musik nicht mehr, um Liebe
zu erregen, Götter anzurufen und eine ganze Nacht lang durchzutanzen. Es
gibt Musik nicht mehr, um in das Wunderreich der Zahlen einzuführen. Sie
wird zur Einzelwissenschaft, die endlos leer um einen ungedachten Ganzton
kreist.7

3.2 .3 .2 .2.2 Rhythmik

Selbstredend feiert die Musikwissenschaft Aristoxenos auch als Begründer


aller Rhythmik. Er erst habe Rhythmen von den Metren theoretisch klar ge­
schieden. 8 «Dass die Metren Teile der Rhythmen sind, ist offenbar», schreibt
aber schon Aristoteles. 9 Er erklärt sogar, dass die Rede Rhythmen braucht,
die Dichtung aber auch noch Metren, weil «alles» (gut pythagoreisch) «von

1 Harm. 1 1 1 , 9- 1 3. Dazu Gibson, 2005, 1 44: „In this way while Aristotle's mesure is arith­
metical, and in accordance with the unit, or the Pythagorean monad , the definition of the
element of melodic sound has been redirected through Aristoxenus' influence to a geome­
trical concept."
2 Sauveur [1 701 ) 1 973.
3 Cagniard de la Tour, 1 8 1 9, 1 71 .
4 PI. Grg . 502c.
5 Plut. Amat. 23, 769c.
6 Foucault, 1994, 1 479-497.
7 Ganz ähnlich dreht sich C, die Sprache von uns Programmierern, um lauter unerklärte Zei­
ger, die doch nur in Assembler existieren. So leider Kernighan/Ritchie, 1 983, passim.
8 Gibson, 2005, 77.
9 Arist. Poet. 4, 1 445a 2 1 f.

21 9
der Zahl umgrenzt wird (nepaivera1 öe ap19µ{i) n6vra ).» 1 Zu dieser Einsicht
kommt sein Schüler nie.

Auch rhythmisch ist Aristoxenos kein Denker, sondern ein Symptom. Die
Koine hat ihre Herrschaft angetreten und alle Mundarten verdrängt. In den
Silben selber (um von T änzerfüssen ganz zu schweigen) wohnen keine Kür­
zen oder Längen mehr. Also braucht Musik die leere Regel, dass es eine
kurze Zeit und eine lange gibt. Beide verhalten sich gemeinhin wie Oktaven,
also wie 1 : 2. Aber auch der Fall tritt ein, dass die Länge nur um eine Hälfte
grösser als die Kürze ist, also wie die Oktave zur Quinte steht. Solche leicht
berechenbaren Füsse nennt der dumme Aristoxenos aber schon ä'll.oyov,
irrational!2 Er hätte besser Wiener Walzer mitgetanzt.

Wie um den Irrsinn zu vollenden, taucht noch ein kleinstes Zeitmass auf.
Der xp6voc; npwroc; soll für unser Ohr so unteilbar sein wie Vierteltöne, hat
mit Füssen oder Silben aber nichts zu schaffen.3 Die «erste Zeit» drängt
sich nur auf, weil Aristoxenos für seinen Lehrer schreibt - vergebens, wie
wir wissen. Aristotelisch flach heisst Rhythmos eine blosse Form, die einer
formlosen Materie, dem Rhythmisierten, gegenübertritt. Was aus der Spra­
che selbst sich zuspricht, verklingt im Ungehörten. So können Römer ihr
Latein verformen, angeblich kurze oder lange Füsse schreiben und in den
Wahn verfallen, sie würden schön wie Sappho singen.4

3.2.3.2.2.3 Der grosse Irrtum

Nach soviel Fehlern, Platitüden und Polemiken kommt ein Verdacht auf, den
wir Barbara Münxelhaus verdanken. Alles das, was spätantike Quellen von
Pythagoras als Musiker der Tetraktys berichten, geht auf seinen ersten Bio­
graphen Aristoxenos zurück. Wenn ein Hammer auf den Amboss schlägt,
soll der halb so schwere Hammer die Oktave zu vernehmen geben. Wenn
ein Stein an einer angeschlagenen Saite hängt, soll der doppelt schwere
Stein dieselbe Wirkung tun. Aber seit Marin Mersenne 1 636 beide Versu­
che nachgestellt und in reellen Zahlen durchgemessen hat, sind sie als
blosse Anekdoten widerlegt. Allein das Hippasos von Metapontion nach­
gesagte Experiment mit leeren und halbvollen Bechern hält mathematisch­
physikalisch stand. Franklins Glasharmonika hat es 1 763 so erfolgreich wie­
derholt wie die Pink Floyd noch 1 974 Franklins Glasharmonika:

b
1 Rhet. 1 1 1 8, 1 408 28.
2 Georgiades, 1 949, 1 1 0.
3 Georgiades, 1 949, 56.
4 So Hor. Carm . 1 1 1 3 , 25.

220
„T he intro to Shine On You Crazy Diamond, the opening track of the new al­
bum, contained the only remnant from the Household Objects sessions: we
had used an old party trick of filling wine glasses with varying levels of water
and then running a finger round the rim to create a singing tone. T hese tones
were then put on to sixteen-track tape and mixed down in chord clusters so
that each fader controlled an individual chord. In fact, although we didn't use
it, the glass harmonica, an instrument using a keyboard to control spinning
glass plates had been invented to achieve the same effect."1 Was aber nun,
wenn „Aristoxenos, auf den die [antiken] Quellen [allesamt] zurückgehen,
selbst der Urheber des physikalischen Fehlers war? Offensichtlich kannte er
sich in der Berechnung der Tonverhältnisse nicht aus."2

Wenn alledem so ist, müssen wir uns ändern - wie Rilke vor dem Torso des
archaischen Apoll.Wenn Aristoxenos Lügen oder Irrtümer verbreitet hat, fällt
auf Pythagoras der ganze Ruhm zurück, von der Harmonie her Quart und
Quint an ihrer Physis selber aufgezeigt zu haben, ob nun an Seitenlängen
oder Bechern. Sein Feind und Hörer Hippasos gewährt uns etwas anderes:
eine Zahlentheorie. v'2, die Quadratwurzel aus 2, kann keine Ganzzahl sein
- wie Aristoxenos kein Musiker.

3.2.3.3 Eukleides

Ob Eukleides überhaupt gelebt hat, steht dahin. Weder seine Mutterstadt


noch irgendwelche Lehrer oder Schüler sind bezeugt. Einzig der späte Pro­
klos, Neuplatoniker auch er, nennt Eukleides' «Vorsatz„ streng platonisch.3
Vielleicht besagt der stolze Name (wie im 20. Jahrhundert Nicolas Bourba­
ki) also nur soviel: Im vagen Zeitraum zwischen -325 und -250 sind mehre­
re namenlose Mathematiker damit zu •gutem Ruhm• gekommen, dass sie
in dreizehn Bücherrollen ihr ganzes Wissen aufgeschrieben haben. Auch
ob diese Elemente einen Wunsch des Aristoteles erfüllten sollten, 4 ist zwar
wahrscheinlich, aber unbeweisbar. Eukleides hat es - ganz wie Aristoxenos
für die Musikharmonik - jedenfalls geschafft, alle mathematischen Elemente
seiner Vorgänger aus der Überlieferung zu löschen: Hippokrates, Theaite­
tos, Eudoxos usw.

1 Mason, 2004, 208.


2 Münxelhaus, 1 976, 38. Dazu Fredel, 1 998, 1 1 0- 1 1 5. - Tannery, 2 1 930, 206-224, der vor
lauter Hippasos-Begeisterung Pythagoras nicht eines Wortes würdigt, und Burkert, 1 962,
1 6 1 , wären damit beide widerlegt.
3 Procl. in Eucl. 1, zitiert nach Thomas, 2 1 980, 1 1 56.
b
4 Arist. Met. f:j. 3 , 1 01 4a2s- 2 , zählt unter die «vielfachen Bedeutungen » von oro1xe:Tov «erste
Diagramme und Beweise", also doch wohl Axiome der Geometrie u nd Arithmetik. Wie Bo­
nitz « Diagramme» als „Beweise" hat verdeutschen können (Aristoteles, 1 966b, 96), bleibt
sein Geheimnis.

221
Das geht erstaunlich einfach. Die namenlosen Redaktoren unterschlagen al­
les, was vormals Brücken zwischen Mathesis und Künsten schlug. Analogie
heisst kein Zahlverhältnis mehr, wie es Archytas an der Musik, also zwischen
Saitenlängen ausgemessen, durchgerechnet und entborgen hat. Analogie
heisst aber auch kein Sinnbezug, wie Aristoteles ihn an Metaphern, also
zwischen Dichterworten so gefeiert wie verboten hat. Von allen Wirkungs­
feldern, in die das Zahlendenken vormals strahlte, sieht Eukleides ab, um
beide Formeln (die von Archytas und von Aristoteles) in einer höchsten auf­
zuheben.
Elemente : Geometrie = Buchstaben : Rede 1

Grossgriechenland und Attika beenden also ihren Krieg. Mathematik wird


um den Preis jedweder Stoffe reine Form. Sonst müßten Scholiasten nicht
daran gemahnen, die in den Elementen definierte Analogie «umfasse das
der Geometrie, der Arithmetik, der Musik, überhaupt allen mathematischen
Bemühungen Gemeinsame.» 2 Diese neue Allgemeinheit, ganz wie von Ari­
stoteles befohlen, lässt Physis, Techne, Wesen gleichermassen aus. Ma­
thematik wird eine zweite Sprache, eine Koine jenseits von Kindern oder
Griechen. Mag Sein im Abendland sich je und jäh gewähren, Eukleides'
Elemente mussten Englands Schüler noch vor hundert Jahren lesen. Das
klang dann fast so trocken wie die Poetik der Metapher.

Ap18µoi avciAoy6v eio1v, örav 6 npwroc; rou öeurep1ou Kai 6 rpiroc;


TOU reraprou io6K1c; .
Zahlen sind analog, wann immer die erste der zweiten und die dritte
der vierten gleichvielmal ist.3

Von solchen Axiomen ist es zur neuzeitlichen Algebra nicht mehr weit. Wir
schreiben einfach Alphabetbuchstaben in ihrer Reihenfolge, also a b c d,
statt wie Eukleides Ordinalzahlworte vom «Ersten» bis zum «Viertem» zu
benutzen. Schon steht es unverbrüchlich angeschrieben:
a:b=c:d
Kein Wunder, dass die rro1x€ia fast in so viele Sprachen wie die Bibel über­
setzt sind. Alle schreiben von Europa ab, nur um eben das zu leugnen. Als
höchste aller Rekursionen, wie sie das Griechenalphabet ja erst erfunden
hat, bergen letzte nackte Elemente aber auch Gefahr. Denn nur in ihrer
fälschlich so genannten Einkleidung verraten Formeln, auf welche Fragen

1 Procl. in Eucl. 1 72 f. , zitiert nach Thomas, 2 t 980, 1 50 f. Nur Hegelton und Algebraschreib­
weise sind - mit Hegel - « unsere Zutat„ (Hegel, (1 807] 6 1 952, 74) .
2 Eucl. Eiern. V 280, zitiert nach Koller, 1 963, 1 87.
3 Eiern . V I I 2 1 . Dazu Lohmann, 1 970. 1 1 0.

222
sie geschichtlich Antwort geben. «Die Bestimmung[en] des arithmetischen,
geometrischen und harmonischen •Mittels• z. B.» bei Archytas ccsind ja nicht
nur formale Operationen, sondern sie stellen konkrete Analysen aus der
Perspektive bestimmter Fachgebiete dar, die sich zu der Idee einer reinen
Mathematik im heutigen Sinne so verhalten, wie eine physikalische Formel
der heutigen Naturwissenschaft zu einer rein mathematischen Formel.» 1 Bei
Eukleides posiert Mathematik dagegen •ohne Fell• wie Prosa. Niemand lernt
von seinem Lehrer mehr, wozu er lernt. Wohl darum heissen späte Griechen
ihren Römerschülern nurmehr graeculi : kleine Geister, die mit unanwendbar
leerem Wissen prunken. Erst Lessings Recha, zwei Jahrtausende danach,
darf sich wieder eines Vaters oder Lehrers rühmen, dem sie all ihr Wissen
dankt und meistens auch ccnoch sagen könnte, wie? wo? warum? er mich's
gelehrt.» 2 Doch auch in Rechas fragmentarischer Kategorientafel fehlt, da
Nathan ja kein Grieche ist, jedwedes Worumwillen, r6 ou eveKa. Einen sei­
ner Schüler, der zu fragen wagt, was ccihm» die Elemente «mehr» an Wissen
bringen, wirft Eukleides schroff hinaus. •«Zahl ihm diese drei Obolen>, weist
der Meister einen seiner Sklaven an, •er will mit dem Gelernten Geld verdie­
nen.»•3

Dereinst hat sich die Schule des Pythagoras in Akusmatiker und Mathema­
tiker gespalten: Ohren, die nur hören, und Hände, die selbst Rechensteine
legen. Nun folgt (in einer ersten Rekursion) die Schule von Athen. Aristoxe­
nos will von Zahlen nichts mehr wissen, Eukleides - von einer apokryphen
Sectio canonis, die den Monochord durchrechnet, abgesehen - nichts mehr
von Musik. Doch beide überschreiten sie den heilig eingehegten Raum (rE:­
µevoc;) vorm Tempel ( templum) , in dem Archytas Harmonie und Tetraktys,
Musik und Mathesis, Kithara und Katapult zusammendachte.

Aristoxenos hat die Frechheit, nicht eine, sondern zwei Oktaven anzuset­
zen, aus denen unser Pianoforte mittlerweile sieben macht.4 Physiologisch
ist das zwar plausibel, weil der Stimmbruch (streng nach Aristoteles) Kinder
von Erwachsenen trennt, beide aber trotzdem in Oktavenparallelen mitein­
ander singen. Nur mathematisch kommt Aristoxenos mit den zwei Oktaven
nirgendwo zu Rande. So bodenlos versumpft die krude Empirie.

Dagegen bringt Eukleides den ungeheuren Mut auf, die Menge N der na­
türlichen Zahlen erstmals in der Seinsgeschichte als unendlich zu erweisen
(ohne das Wort unendlich anzuschreiben). Denn während in der Tetraktys

1 Lohmann , 1 970, 1 1 2.
2 Lessing, Nathan der Weise, V 6.
3 Stob. Ecl . I I 3 1 , 1 1 4, zitiert nach Thomas, 2 1 980, 1 436.
4 Lohmann, 1 970, 63 f.

223
nur Steinchen zwischen 1 und 4 verstattet sind, bei den Planeten nur Zahlen
zwischen 1 und 1 0, kann es nach Eukleides keine höchste Primzahl geben,
mithin auch keine grösste ganze Zahl. (Prim heissen Zahlen, die sich nur
durch Eins und durch sie selber teilen lassen.) Eine reductio ad absurdum,
wie Archytas sie erfunden hat, macht das unvergänglich klar. Denn Zahlen­
theorie ist keine tastend arme Wissenschaft von der Natur (wie die Physik
vor Planck), sondern spiegelt das Gefug des Seins.

Wir nehmen also (mit Eukleides) fälschlich an, es gebe nur endlich viele
Primzahlen. Sagen wir zunächst (mit T heaitetos) grad die zwei kleinsten,
nämlich 2 und 3, nicht mehr. Wir bilden das Produkt der beiden Zahlen,
erhalten 6, und addieren (weil alle Primzahlen ausser 2 mit Philolaos - -

ungrad sind) einfach 1 . 7 lässt sich durch kleinere Zahlen niemals teilen, ist
also prim.

Wir versuchen es ein zweites Mal, erhöhen die Faktoren und nehmen fälsch­
lich an, die höchste Primzahl sei nun 5. 2x3x5 gibt 30. Doch leider ist auch
30 + 1 31 prim. So geht es bis zum Faktor 29 fröhlich weiter. Erst das Pro­
=

dukt aus allen Primzahlen von 2 bis 31 gibt, um 1 erhöht, die Monsterganz­
zahl 2005684901 31 . Sie ist zum ersten Mal nicht prim, sondern zerfällt in
die zwei Primfaktoren 27743 und 722951 7. Beide sind indes viel grösser als
der Faktor 31 , mit dem wir unser Spiel diesmal beendet haben. Die höchste
Primzahl kann es also gar nicht geben. Womit der Meister Aristoteles und
sein nur potentiell Unendliches bewiesen wären.1

Damit hat Eukleides, ohne es zu sagen, den Zauberkreis der Tetraktys ge­
sprengt. (Ihn zu umzirken, fehlen uns noch immer alle Worte.) Aristoteles,
Eukleides' vager Auftraggeber,2 ist hingegen streng bewiesen. Es gibt in der
Menge N gar keine höchste Zahl. Wir dürfen endlich endlos weiter zählen,
weit über Vier und Zehn hinaus. Pythagoras hat ausgespielt. Und dennoch
werden sich unendlich viele Hasen oder Reihenglieder (seit Fibonaccis Mit­
telalter) mit endlich vielen Zeichen (seit Alan Turing) schreiben lassen. Die
neue Algebra des Abendlandes taucht wie eine zweite Morgenröte auf: Mu­
sik (mit ihrem Segen) in symphonisch überabzählbaren Orchesterklängen.
Homeros' vages äne:1pov, der unsagbare Überfluss an rotem Wein und ro­
tem Fleisch, klärt, sammelt und verschlankt sich (wie dereinst der Logos)
im mathematischen Begriff des Grenzwerts.3 Aus dem nymphenschönen

1 Vgl. Eucl . Eiern. IX 20 mit Arist. Phys. I I I 4, 203 b 23-28. Für weitere Primzahlsätze siehe
Eiern. VII 2 1 -32. Auf Georg Cantors aktual Unendliches, Gott als das Alef selber, kommen
wir zurück.
2 Arist. Met. A 5, 955as-a.
3 Auf unendliche Reihen und Binome, wie sie seit Newton Seinsgeschichte machen, kommen
wir in den Bänden I I I und IV zurück.

224
Eigennamen Bach wird die chromatisch irre Notenfolge b-a-c-h, aus dem
Arcustangens eine konvergente Leibnizreihe.

1
h. m 1 - - 1 1 00
( - 1 )n 7r

+ - '.f - · · · '°' -- - arctan(1 )


2n + 1
= = =

n--+oo 3 5 n L.,, 4
n=O

3.2.3.4 translatio stud ii

l..'. i mperialisme macedonien triomphe


dans la bibliotheque d'Alexandrie.
Florence Dupont

Wir möchten alles das bewahren, was Musik und Mathesis im Ausgang von
Pythagoras eröffnet haben, doch alledem entgegentreten, was Geldgier, Le­
serfreundlichkeit und Abstraktion bewirken. Wenn zwischen Mathematikern
und Musikern keine Harmonie mehr waltet, keine Liebe - was ist dann? Das
Gegenteil von Liebe: nicht blasser Friede, sondern Krieg.

Ihr wisst, es braucht zehn lange Jahre und einen ganzen Sagenkreis, bis die
stolze Festung Troia den Achaiern fällt. Hektar selbst, ihr Schützer, sagt es
seiner Stadt voraus.

eOO€TOI �µap, ÖT' ÖV nor' 6i\wi\n nli\1oc; ipri


Sein wird der tag da die heilige llios dahinsinkt.1

Doch die Belagerungen dauern immer kürzer, weil der Angriff die Verteidi­
gungen überflügelt,2 zumindest vor Verdun und Stalingrad. Aus Jahren oder
Monden werden blasse Tage.

480 zieht Grosskönig Xerxes gegen Griechenland ins Feld. Seine Flotte
folgt der griechischen durch Euboias Euripos. Zugleich umgeht das Perser­
heer die T hermopylen, um Leonidas' 300 Spartanerhelden zu vernichten.
Der Weg nach Attika ist damit freigekämpft. Aber statt nach guter alter Sit­
te ihre Stadt wie Troia zu ummauern, geben die Athener sie den Persern
beinah kampflos preis. Nur die minoisch-alte Burg der Göttin leistet schwa­
che Gegenwehr. Denn wie wir wissen, hat T hemistokles, unterstützt nur von
Athenas höchster Priesterin, die Bürger dazu überreden können, sich auf
die Schiffe zu begeben.3 Aigina und andere Städte nehmen Frauen, Kinder,
Sklaven gastlich auf, während Themistokles mit allen Griechenschiffen Xer-

1 II. IV 1 64
= VI 448. Mit Dank an Schadewaldts Verdeutschung.
2 Russe, 2005, 1 23 .
3 Connelly, 2007, 6 1 .

225
xes' überlegene Flotte im Meeressund vor Salamis vernichtet. Aischylos und
der Kitharoide Timotheos können Lieder davon singen.

75 Jahre später sind solche Fluchtwege verbaut. Lysandros, der Spartaner,


hat die Athener Flotte bei den Ziegenflüssen fast vernichtet. Die Stadt ist
ihren Feinden preisgegeben. Selbst die Mauern, mit denen T hemistokles
Athen und nach ihm Perikles die Strassen zu den Häfen sicherten, schützen
nicht vor Durst und Hunger. Die Belagerung braucht nicht mehr Jahre wie
vor Troia, sondern nur noch Monate.

405 schliessen die Spartaner Athen, die Polis unterm Schirm Athenas, von
Land und See her ein. Deshalb kann die Göttin, die als Promachos •im
Kampf vorangeht•, nicht wie vor Salamis zur Flucht auf schnelle Schiffe ra­
ten. Die Könige Agis und Pausanias belagern Athen zu lande, während
Lysandros mit den Schiffen die drei Häfen sperrt. Und wie wir wissen, lässt
er nur den Trauerzug für Sophokles hindurch.1 Das heisst, er hat die Macht.
Nach Monaten der Hungersnöte ergibt die Stadt sich ihrem Überwinder.2
Lysandros meldet heim nach Sparta in drei Worten, «Athen sei eingenom­
men» (E:aAwKao1v ai A8fiva1) . Die Ephoren finden, selbst diese Nachricht
könnte kürzer sein, lakonischer: «ÄpKeT r6 ye E:aAWKe1v. •Genommen• -

würde reichen.„3 So erfindet Sparta unseren Telegrammstil.

Zwei Jahrzehnte vorher, um 425, steigen die Samniter aus ihren Bergen nie­
der, um die älteste der Griechenkolonien Italiens anzugreifen: Kume in Cam­
panien. Die Belagerten schlagen die Barbaren ein allerletztes Mal zurück.
Erst ein zweiter Angriff dreissig Jahre später bringt Lukanern (und nach­
mals Römern) den Erfolg: Cumae wird zur Kolonie und Stätte einer pseudo­
griechischen Sibylle,4 die aber Römern nicht als Frau aus Fleisch und Blut
weissagt, sondern nur aus toten Büchern.5 Und die verbrennen schliesslich
auch...

4 1 2 sagt sich das reiche Miletos vom aufgezwungenen attischen Seebund


los. Der Verräter Alkibiades stiftet zwischen Perserflotten und Spartanerhee­
ren einen ersten Bund. Die Athener greifen ihre abgefallene reiche Beute
klarerweise sofort an, gewinnen vor den Mauern sogar eine Schlacht, aber
nicht die Stadt. Denn eine Flotte der vereinten Dorer Spartas und Siziliens
schlägt sie, wie im Jahr zuvor bei Syrakusai, schliesslich in die Flucht.6 Mile-

1 <= 1 .4.3 . 1 .
2 Diod . Sie. X I I I 1 07, 3 f.
3 Plut. Vit. Lys. XIV 4; vgl. Apophth . Lac. 229c und Vit. Ages. V I I 2 (über Lysandros' Wort-
knappheit) .
4 Cic. De div. 1 1 8, 24.
s Verg. Aen . VI 42 f.
6 Thuk. V I I I 25-27.

226
tos, weil es wie sonst nur Taras die Athener hasst, ergibt sich freiwillig dem
Perserkönig.

Die Verteidigung von Kume wie von Miletos liegt in den Händen eines Inge­
nieurs, der zugleich Pythagoreer ist: Zopyros von Taras.1 Er hat das vermut­
lich erste Katapult erfunden, eine Armbrust, die von Winden langsam straff
gespannt den Feind auf einen Schlag mit Pfeilen überschüttet. 2 Ihre Wucht
bezieht die Armbrust - ganz wie der gute alte Bogen - freilich noch aus der
Federkraft gespannter Hölzer, nicht aus jener Sehnenspannung, die Vitru­
vius, Caesars Artilleriechef, später mit Maschinen schlechthin gleichsetzt.3
Zopyros von Taras, den wir gut und gern als Philolaos' Zeitgenossen oder
auch Archytas' Lehrer denken können, wird zum ersten Festungsingenieur,
von dem wir Kunde haben,4 allerdings zu einem defensiven. Wie eine Feu­
erwehr rast Zopyros über's Mittelmeer, von Odysseus' fernem Westen in den
nahen Osten und zurück, um bedrängten Griechenstädten aus der Not zu
helfen. Seine maschinelle Armbrust rettet Miletos vor den Athenern und be­
wahrt Kume noch eine Zeitlang vor der Niederlage, wie Lysandros sie ganz
ohne Kriegsmaschinen dem ausgehungerten Athen beibringt. Pallas verhält
nicht nur, weil Abend ist, sondern weil die Götter Attika verlassen: auf ihrer
Fluchtbahn nach Sizilien und Rom.

«Pallas verhält, es ist Abend, sie löst den Panzer; die Brünne mit dem Haupt
der Gorgo abwärtsnehmend, dies Haupt, in dem der babylonische Drache
Tiamat und die Schlange Apophis aus Ägypten weiterleben, aber geschla­
gen und besiegt. Es ist Abend, dort liegt ihre Stadt, steiniges Land, der Mar­
morberg und die zwei Flüsse. Überall der Ölbaum, ihr Werk, große Haine.
Sie steht auf der Richtstätte von damals, dem Areopag, der alten Amazo­
nenburg, die T heseus, der Steinaufheber, zerstörte. Vor ihr die Stufen des
Altars, auf dem der Richtspruch sich entschied. Sie sieht die Furien, sie
sieht Orest. Sie sieht Apollon, den Gefährten der Szene, und ihr fällt die
Bemerkung des Proteus ein, des Beherrschers der Meerkälber, daß an die­
ser Stelle nicht weit vor, nach Götterstunden gerechnet, ein anderer stehen
würde, um die Auferstehung der Toten zu verkünden. Klytämnestra - Aga­
memnon; Gattenmord - Muttermord; Vateridee - Mutteridee -: Erschlagene
und Auferstandene: alles nur Gemurmel, alles Ideen - auch Ideen sind sinn­
los wie Fakten, genau so chaotisch, da auch sie nur einen geringen Teil des
Äon ordnen und beleuchten; - es gelten nur die abgeschlossenen Gebilde,

1 lambl. V. P. XXXVI 267.


2 Kingsley, 1 995, 1 50- 1 55: .A type of crossbow supplied with a pullback winch system and a
base, transformed artillery into a stunningly effective weapon of war."
3 <= 2.2.2.4.3.4.
4 Zu Begriff und Sache des Festungsingenieurs siehe G . A. Kittler, 1 95 1 , 1 39-244.

227
die Statuen, die Friese, der Schild des Achill, diese sind ohne Ideen, sagen
nur sich selbst und sind vollendet.
Da unter den Sternen erblickte sie das Horn der Amalthea, der kretischen
Ziege, die den Vater als Knaben säugte, Tauben brachten ihm Nahrung,
goldgefärbte Immen führten ihm Honig zu. Das Unförmliche, Ungebildete,
Unbegrenzte vertilgte er dann, dazu die T itanen und Giganten, das Gren­
zenlose. Dieser Stern hatte ein helles grünes Licht, er war reiner als Ariad­
ne, daneben, die Bacchus im Reiz der Liebe emporgeschleudert hatte. Sie
gedachte des Vaters. Durch einen mit Ziegenhaar umwickelten Stein rettete
Rhea, seine Mutter, sein Leben. Sie gab ihn dem Saturn zum Verschlingen
statt des neugeborenen Götterkindes. Dieser oft erwähnte Stein! Das Le­
bende und Gebildete hatte Zeit gewonnen, sich verstohlenerweise an das
Licht zu bringen! Dann begann seine Herrschaft, und der Lauf der Dinge
kam in sein Gleis. Dies Land, in dem die Armut zu Hause war und die von
den Vätern ererbte Sitte, nur durch Arbeit und Einsicht Vorzüge zu erringen
- nun dort die Götterbilder aus Elfenbein und Gold, nun dort der geister­
haft weiße Zug der Propyläen. Darin erkannte, darin erschuf sich ein Volk.
Wie lange war es her, daß die Strahlen des Helios nicht mehr nur Rücken
und Flossen unterwärts Blickender, sondern ein erwiderndes Feuer trafen,
seit im aufrechten Gang ein Sterblicher zum Anschauen von sich selber ge­
langte, sich selbst bedeutete und dachte und innerlich in sich sein eigenes
Wesen an sich selbst zurückgab in Äußerungen und Werken: jetzt - hier!
Pallas wandte sich und schritt zur Stadt. Die schimmerte von Olivenzweigen
und roten Distelköpfen; die Spieler von morgen wogten durch die Straßen,
Scharen von Wallfahrern und die Masse der Schauer. Es war der Abend vor
den Panathenäen. Die von den Quellen, die von den Terrassen der Berge,
die von den Grabhügeln in den Sümpfen um Marathon; die von der See ka­
men, waren nach der blitzenden Lanze der Athene Promachos gesegelt, das
war das Leuchtfeuer gewesen. Morgen traten sie vor die Bilder und die Sta­
tuen und die für das Spiel verfertigten Masken. Alle die Hellenen! Die Hel­
lenen von den Platanen, die meißelführenden, die oresteischen Hellenen!
Zwischen ihnen nun verschwand Pallas, mutterlose Göttin, wieder gerüstel
und allein.» 1

1 Benn, 1 959- 1 961 , 1 369 f.

228
U nter Römern

How can flesh tumble and flow so, and never b e any less beautiful?

Pynchon, Gravity's Rainbow


4 Unter Römern

4.1 Die Flucht der Götter, Aphroditas Wiederkehr

Behind the glass, under the cellophane,


Remains your final summer sweet
And meaningless, and not to come again .
Philip Larkin

Allem Eingedenken liegt die Tatsache zugrunde, dass wir auf dem Gipfel un­
serer Glücke, im Orgasmus, nicht mehr wissen, wer wir sind. 1 Wenn Musen
oder Götter bei den Griechen sich besingen und besinnen, dann zu allererst
auf ihre Zeugung.

Heute, wo ein Weltkrieg zwischen Juden, Christen, Muslimen nicht nur uns
bedroht, sondern alles, was an Heiligem in Tempeln, Dschungeln, Wüsten
und Savannen überdauert - kurz gesagt, die Göttinnen -, müssen wir uns
wappnen. Die Wissenschaft vom Tod ist noch kein Wissen. Ein guter Kampf
bleibt daher auszufechten. Bis das Heil das Heilige, das Heilige die Göt­
ter wiederbringt,2 wird die Dreisam unserer Jugendliebe noch viel Wasser
führen.

Das heisst, dass Schreiben nicht nur Glück bringt, Lesen nicht nur Dank.
Denkt, wenn ihr mögt, daran. Die Gabe namens Liebe anzunehmen fällt
so schwer. Nur bitte habt Geduld: Nach dem Unding jenes einen Gottes,
um den zurzeit ein dritter unerklärter Weltkrieg tobt, wird es wieder Minne
geben, Aphroditas Wiederkehr ins Abendland. Dafür bluten schon seit je die
Frauen.

Wie denken wir, was euch der Mond erzählt? Eine ÜAll, die nicht erst aufs
e:Töoc; wartet, sondern «unterm Mond» schon immer ist,3 die Menstruation?
Wie denken wir, was uns seit Hegel, Nietzsche, Heidegger (diesen Christen­
und Beamtensöhnen) hier auf deutsch so zusetzt: den Umschlag allen Den­
kens in Metaphysik? Wie dichten wir, was laut Rimbaud und Mallarme jed­
wede freie Lyrik unterbunden hat: den Umschlag allen Dichtens in gereimte
Christenlieder? Wie lösen wir uns von berauschenden Chorälen, die alle
Griechenchöre überbieten? Wie ist aus den Unsterblichen das summum
ens geworden? Und aus der Sage Griechenlands - lateinische Allegorie?
Seit Heidegger ist klar, dass es nicht •der Wert> und •die Moral> gewesen

1
Borges, 1 964- 1 966, V 25: «Todes los hombres, en el vertiginoso instante del coito, son el
mismo hombre.„ Deutsch in Borges, 1 980- 1 982, 3/1 1 04.
2 Heidegger, 4 1 963, 294.

3 Arist. Met. Z 4, 1 044a35: ra KaraµriVla.

231
sind, Nietzsches längst verstaubte Worte, die die Götter in die Flucht ge­
schlagen haben. •Wert> ist blass ein Geldschein und •Moral> verstellt zwei
Fragen: Was mit den Göttern wird? Was aus der Liebe? Eben diese Fragen
haben sich Schulpfortas bestem Schüler (schon weil ohne Schülerinnen)
nie gestellt. Zwar feiert Die Geburt der Tragödie griechisch stolze «Frevel»
gegenüber jüdisch feigen «Sünden,„ jedoch nicht minder «ehrwürdiges Fa­
milienthum» gegenüber dionysisch wüsten Festen.1 Was den Einsiedler von
Sils als «Vernichtung des Familienthums durch» Bachofens ccHetärenthum»
so entsetzlich schrecken konnte,2 bleibt jedoch entsetzlich dunkel. Schon
darum kehren zwar Apollon und Dionysos zurück wie Traum und Rausch,
sogar (uns unbegreiflich) als ccgeheimnissvolles Ehebündniss» zweier Göt­
ter,3 aber nie die eine Göttin Aphrodita. Nur in Nietzsches unerfülltem Traum,
cceine Geschichte der Liebe» endlich zu beginnen, 4 kommt auch sie zur
Sprache: als grosse Göttin bei Empedokles. Das sei euch nicht vorenthalten.

ccln allen pessimistischen Religionen wird der Zeugungsact als schlecht an


sich empfunden, aber keineswegs ist diese Empfindung eine allgemein­
menschliche; selbst nicht einmal das Urtheil aller Pessimisten ist sich hier­
in gleich. Empedokles zum Beispiel weiss gar Nichts vom Beschämenden,
Teuflischen, Sündhaften in allen erotischen Dingen; er sieht vielmehr auf der
grossen Wiese des Unheils eine einzige heil- und hoffnungsfrohe Erschei­
nung, die Aphrodite; sie gilt ihm als Bürgschaft, dass der Streit nicht ewig
herrschen, sondern einem milderen Dämon einmal das Scepter überreichen
werde.»5

Heideggers Flucht der Götter, wie er sie bei Hölderlin erfahren hat, denkt da­
gegen nur ccden Gott» und in seinem Umkreis bestenfalls ccdie Göttlichen»,6
nie jedoch den Schied in Göttinnen und Götter, der uns zu Frauen oder
Männern doch erst macht. Semele und Zeus, Zeus und Ganymedes, Arte­
mis und Zeus, Zeus als Kallisto oder Artemis. (Nur diesen lesbisch letzten
Würfelwurf bringen Sagen nicht so offenbar zutage).

Wir schreiben also diesen zweiten Halbband, damit es hier in unserer alten
wundersamen deutschen Sprache wieder singt. Wir schreiben ihn, um zu
erraten, was einst Athena oder Eros auf den Sessel Aphroditas trug und wie
die lange Götternacht mit luppiter und luno, Jesus und Maria sank.

1 Nietzsche, [2 1 874, §§ 2 und 9] KGA 1 1 1/1 , 28 und 65.


2 N ietzsche [1 870- 1 87 1 ] KGA 1 1/3 1 4.
3 Nietzsche, [2 1 874, § 4] KGA 1 1 1/1 38.
4 Nietzsche, [2 1 887, § 7] KGA V/2 52.
5 Nietzsche, [1 878- 1 886, 1 3, § 1 4 1 ] KGA IV/2, 1 35, nicht eben philologisch wahr, doch um so
sprechender.
s Heidegger, 2 1 959, 1 77.

232
Xllla (unten) Aphrodite. von den zwei Chariten aufgehoben u n d beklei det , taucht vor
Lokroi Epizephyrioi aus dem blauen Meer (um 460-450)
Xl l l b ( l i nks) Aulosbläserin z u r Linken
X l l l c (rechts) Priesterin mit Wei h rauchfass zur Rechten
XIV Arsinoe II. von Ägypten als Isis oder Aphrodite schaumgeboren 1

' Wir wissen von Kleopatra VII . , Ägyptens letzter Königin, dass sie, von Antonius zur Rechtfertigung nach Kilikien
befohlen, statt dessen als Aphrodite ihrem Dionysos nahte.
XV Auf Alexandros' Sarkophag fechten nackte Griechen (rechts) mit tief verhüllten Persern (links)
MOILA MOi/A<l>I D<AMAN�PON/EYPON APXOMAI/ AEIN�EN
Muse· hilf mir· den schönfliessenden Skamandros beginn ich zu singen
lnach Powell, 2009. 251 )
XVIII London-Maler, Chortanz junger Bräute um einen flammenden Altar
XIX Pegasos, lakonisch
XX Odysseus lauscht g efl ügelten S i renen
XXI Athena, die J ungfrau, formt ein Tonmodell des Pferdes
XXII Schinkel zeichnet Athens Akropolis zum Königsschloss um
• i"' 1 f • 1-1 '

� A A 1 t
l A t 1 M. „ • 0

A ':'" E JI

XX I I I Am Musenberg Helikon lauscht eine Muse der Nachtigall


XXIV Jo u 1·ia Strauss ' 0 as Monochord (C omputergraphik)
XXV Wirbel einer Kithara
XXVI Pan Aigibates treibt es mit einer Ziege
XXVII Pan bringt einem jungen H irten die Syrinx bei
XXVIII Mikis Koundourus, Die Junge Aphrodite (1 963)
TORSIONS KATAP U LT

4.2 translatio imperii

Man sagt bei uns, daß Dinge, die die Welt


Zertrümmern können, hie und da auf Erden
Verborgen sind. Sie stammen aus der Zeit,
Wo Gott und Mensch noch miteinander gingen
Und Liebespfänder tauschten. Dieser Ring
Gehört daz u !
Hebbel, Gyges u n d s e i n Ring

Das Mittelalter ist die Kraft gewesen, Aristoteles' Metaphern (lateinisch also
Translationen) allesamt beim Wort zu nehmen: Die unbeschränkte Vollmacht
des auroKparwp orpanwoc:;, wie sie von Taras einst nach Rom gewandert
ist, überträgt sich in den Titeln Imperator oder Caesar (Zar) von Rom erst
nach Byzanz, dann nach Aachen, Moskau und Paris. Europas Osten bleibt
den Griechen treu, sein Westen den Lateinern - und dieser Riss schmerzt
weiter. Zwei Alphabete sind schon eine Häresie zuviel. Päpste hiessen bis

233
vor kurzem höchste Brückenbauer : Die translatio sacerdotii übertrug das
Priesteramt des pontifex maximus vom Kaiser auf den Erzbischof von Rom.
Selbst wenn am Tiberufer das Wissen nie so hoch in Ehren stand wie in
Athen, Alexandreia oder Rhodos, haben sich Universitäten, diese „originale
Schöpfung des Mittelalters", 1 doch immer als translatio studii verstanden :
vom Hain des Akademos nach Bologna und Paris, vom Lykeion am llissos
über Oxford, Wien und Heidelberg bis nach Yale und Stanford. (Um von der
T ödei ganz zu schweigen.) Mögt ihr sie auch in Zukunft (also unter Pisa­
und Bolognaplanern) nie an einen lächerlichen Staat verraten.

Trotzdem bleibt und quält die Frage: Wie konnte aus der Translation des
Wissens die des Imperiums selber werden? Warum fiel Hellas unter Römer­
heere?

4.2 .1 Maschinenwaffengänge

4.2 .1 .1 Von Archytas zu Archi medes

And may the spirit of this song ,


May it rise up pure and free;
May it be a shield to you ,
A shield against the enemy !
Leonard Cohen

4.2 .1 .1 .1 Krieg im Westen

Zopyros von Taras hat Griechenstädte also noch ein letztes Mal gerettet. Er
heisst Pythagoreer, aber nirgendwo auch Musiker und Zahlendenker. Diony­
sios der Ältere jedoch, vom Schein der neuen Waffenüberlegenheit befeuert,
greift 403 Karthagos Stützpunkt Gela auf Sizilien an, nur um eine schwere
Niederlage zu erleiden. Die Punier schlagen die Belagerer mit Kriegsma­
schinen, die aber sicher keine Katapulte sind, zurück.2 Erst in den Puni­
schen Kriegen werden die Frauen von Karthago ihr langes Haar für Kata-

1 Curtius, 4 1 963, 64: „Mit den Universitäten beginnt eine neue Epoche des mittelalterlichen
Bildungswesens. Sie sind keineswegs, wie man immer wieder lesen kann, eine Fortset­
zung oder Erneuerung der antiken Hochschulen. Was man antike Hochschulen nennt, sind
G ründungen der späteren Kaiserzeit. Sie pflegten an erster Stelle Grammatik und Rhetorik.
Die Philosophie, erst recht andere Wissenschaften, mußte weit dahinter zurückstehen . [ . . . )
Nirgends in der antiken Welt hat es diese genossenschaftlichen Gebilde mit ihren Privile­
gien, ihrem festen Lehrplan , ihren abgestuften G raden (Baccalaureus, Lizenziat, Magister,
Doktor) gegeben."
2 Diod. Sie. X I I I 1 09, 5. Vgl. Garlan , 1 974, 1 64 f., über assyrische und karthagische Belage­
rungsmaschinen .

234
pulte opfern, 1 so wie sie Kinder auch bei höchster Kriegsgefahr in Molochs
Feuerofen werfen.2

Das alles hat Gustave Flaubert schon vor 1 50 Jahren den antiken Quellen
nachgedichtet, während seine archäologischen und literarischen Zeitgenos­
sen (fast wie in unserem Fall) immer blass dem sogenannten Forschungs­
stand vertrauten.3 Warum Karthagos eigenes Söldnerheer 238 die Stadt an­
griff, lässt sich seitdem wissen: Hamilkars Tochter war zugleich Salammbö
und Tanit/Aphrodita. Hinter der Belagerung stand jene eine Liebesnacht, in
der Salammbö sich dem Söldnerfürsten Matho hingegeben hatte. Er wollte
sie um jeden Preis, auch den des Todes, wieder.

ccMatho teilte die Söldnerarmee in große Halbkreise ein, um Karthago bes­


ser umzingeln zu können. Die Hopliten der Söldner bildeten die erste Reihe;
ihnen folgten die Schleuderer und Reiter; ganz im Hintergrund das Gepäck,
die Karren, die Pferde; vor dieser Menge, dreihundert Schritt von den T ür­
men entfernt, erhoben sich drohend die Kriegsmaschinen.
Trotz der unendlichen Vielfalt ihrer Namen - die sich im Lauf der Jahrhunder­
te mehrfach änderten - ließen sie sich letztlich in zwei Kategorien einteilen:
die einen funktionierten wie Schleudern und die anderen wie Bögen.
Erstere, die Katapulte, bestanden aus einem viereckigen Fahrgestell mit
zwei senkrechten Pfosten und einem Querbalken. An der Vorderseite hielt
eine mit Tauen versehene Walze eine mächtige, deichselartige Stange, aus­
gestattet mit einem Löffel, in den die Wurfgeschosse gelegt wurden; das
untere Ende wurde von einem Strang stark gedrehter Seile gehalten, und
wenn man die Spannung plötzlich löste, fuhr die Stange in die Höhe und
schlug gegen den Balken, so daß sie mit einem Ruck zum Stehen kam und
auf diese Weise ihre Wucht noch erhöhte.
Die anderen verfügten über einen komplizierteren Mechanismus, auf einer
kleinen Säule war ein Querbalken genau mittig befestigt, an der Stelle, an
der im rechten Winkel eine Art Führungskanal mündete; an den Enden des
Querbalkens erhoben sich Kapitelle, die jeweils einen Knäuel aus Mähnen­
und Schweifhaaren enthielten; zwei kleine Balken waren dort verkeilt, um die
Enden des Stranges festzuhalten, den man bis zum Ende des Führungska­
nals über eine bronzene Platte führte. Mit Hilfe einer Federeinrichtung wurde
diese Platte gelöst und trieb, während sie durch die Rinnen glitt, die Pfeile
an.

1 Plut. De vitando 3, 828c; dazu Flaubert, [1 862) 1 95 1 - 1 952, 1 964.


2 Flaubert, [1 862) 1 95 1 - 1 952, 1 977-984.
3 Flaubert, 1 95 1 - 1 952, 1 1 029- 1 047.

235
Die Katapulte nannte man auch Onager, nach den wilden Eseln, die mit
ihren Hufen die Kieselsteine hochschleudern, und die Ballisten Skorpione,
wegen des an der Platte hochragenden Hakens, der, durch einen Faust­
schlag niedergedrückt, die Feder losschoß.
Ihr Bau erforderte sachkundige Berechnungen; ihr Holz mußte unter den
härtesten Baumarten gewählt werden, ihr Triebwerk ganz aus Eisen sein;
man spannte sie mit Hilfe von Hebeln, Flaschenzügen, Winden und Ritzeln;
über starke Dreh- und Angelpunkte konnte man ihre Schußrichtung verstel­
len, sie über Walzen vorwärts bewegen; und die mächtigsten, die man Stück
um Stück heranbrachte, wurden erst im Angesicht des Feindes zusammen­
gesetzt.» 1

Das ist archäologisch und maschinentechnisch Satz für Satz exakt. Nur in
einer Hinsicht irrt sogar Flaubert. Die antiken Katapulte unterschieden sich
von Zopyros' mechanisierter Armbrust einfach dadurch, dass nicht bloss
Hebel ihre Sehnen spannten, sondern rechts und links zwei dicke Wirbel
- ganz wie an der Kithara. Sklavenkräfte mussten unermüdlich lange an
den Hanteln beider Wirbel drehen, bis lauter potentielle Energie im Kata­
pult gespeichert lag [TAFEL XXV ] . Sein Schuss war mithin eine Kinema­
tik der Geraden, die deren ganzem Gegenteil entsprang. Immer wieder zo­
gen Sklaven (wie Archytas sie in Massen hielt) schwitzend ächzend Kreise,
die aber Platons statische Idee des Kreises seinsgeschichtlich überrollten.
Kreise heissen füglich nicht mehr alle Orte, die zum Mittelpunkt denselben
Abstand halten. 2 Sie sind vielmehr Figuren, die entstehen, wenn «Sich ein
Punkt bewegt, genauer noch, wenn wir ihn uns im Fliessen denken» . 3 Aus
solchen Realdefinitionen, die (mit Leibniz) ihr Objekt erzeugen und bei He­
ron von Alexandreia, dem kaiserlichen Waffeningenieur, erstmals geschrie­
ben stehen, werden Kinematik und Ballistik noch der Feuerwaffe schöpfen.
Gitarren, Diagramme, Katapulte -: seit Archytas sind sie griechische Ma­
schinentheorie. Aristoteles, der selber ja nur Werkzeuge und Sklaven denkt,
stellt staunend fest, dass Wurfgeschütze und Belagerungsmaschinen «heut­
zutage» jede Polis niederwerfen können. 4

Flaubert in seiner ccimpassivite», der Hingegebenbeit an Sachverhalte,


merkt das am Ende selber. Mag der Numider Matho das glühende Begehren
nach Salammbö sein - als Techniker, der ihm die Belagerungsmaschinen
baut und stimmt, kommt unter allen Söldnern nur ein fröhlich freier Grie-

1 Flaubert, [1 862) 1 999, 289 f.


2 Arist. Met. Z 8, 1 033 b 1 3.
3 Hero, Deff. XIV 24, zitiert nach Thomas, 2 1 980, 1 1 468.
4 Arist. Pol. V I I 1 1 , 1 33 1 8 1 f. : p€AI) Kai µrixavai.

236
ehe in Betracht. Der entlaufene Sklave Spendius steigt zum Ingenieur auf.
Zahlendenken sorgt dafür, dass Katapulte zielen, also treffen.

ccSpendius wurde nicht müde, [die Kriegsmaschinen] einzurichten. Er selbst


spannte die Stränge der Ballisten. Um eine gänzlich gleiche Spannung der
beiden Sehnen zu erreichen, schlug man - während man sie festzurrte -
abwechsend auf den linken und den rechten Strang, bis beide Saiten den
gleichen Ton hervorbrachten. Spendius stieg auf ihre Spanten. Mit der Fuß­
spitze klopfte er ganz sacht die Sehnen und spitzte dabei die Ohren wie ein
Lyraspieler, der sein Instrument stimmt.» 1

Schon Odysseus, unmittelbar bevor sein Bogen Penelopeias hundert Frei­


ern tödlich aufspielt, spannt die Schafsdarmsaiten ja so kundig oder •wis­
senschaftlich•, als würde er an jedem Wirbel seiner Phorminx solang dre­
hen, bis aus vier Saiten sich zwei Tetrachorde fugen.2 Torsionskraft über­
setzt sich in die lineare potentielle Energie gespannter Seilen, die ein
· Schlag• wie der des Plektrons dann aufs Mal kinetisch freisetzt. Lohn des
mühsam langen Drehens, wie es an Katapulten, Brunnen oder Mühlen Skla­
ven obliegt, ist genau das jähe helle schwalbenhafte Sirren, dem Archytas
erstmals nachhört und nachdenkt - translatio imperii et studii. Der Pfeil trifft
in ein Feindesherz, das stirbt, und in ein Siegerohr, das die Musik geniesst.

Doch wer ersetzt die Spannung von gebogenen Hölzern durch die von Sei­
len oder Pferdehaaren?3 Wem verdanken es die Wirbel an den Katapulten,
dass sie schwere Steine schleudern können? Wer denkt Kitharaspiel zuerst
als Anschlag, dorisch n1'.ay6, ionisch-attisch also n1'.rwri oder Plektron? Nur
Archytas, eben jener Philosoph und Feldherr, der Musik, Mathematik und
Strategie zum ersten Mal zusammenfugt. Wem wirft Platon vor, dass er die
reine Mathesis in Kriegskunst überführt hat? Wer gibt den Grund dafür, dass
noch im hohen Mittelalter eine Kriegsmaschine Tarant heisst? 4 Archytas von
Tarent. Wer schreibt, dass auch Geschosse desto weiter fliegen und desto
heller oder lauter durch die Lüfte schwirren, je stärker sie geschleudert wer­
den? Wieder nur Archytas.5

1 Flaubert, (1 862) 1 999, 1 93 f. Quelle ist zweifellos Vitruvius, der angehende Ballistiker auf
Musiktheorie und Monochordkenntnisse verpflichtet (Vitr. 1 1 , 8).
2 <= 1 . 1 .2.5.2.

3 Zur tarentinischen Pferdezucht und Reiterei <= 2.2.2.4. 1 .


4 Lexer,
30 1 963, s. v.
5 Mit dieser These stehen wir nicht ganz allein. Vgl. Garlan , 1 974, 1 66 : „Mais on aimerait pre­
ciser davantage et, si l'on ne croit pas au röle preponderant des techniciens carthaginois,
pouvoir attribuer le merite principal de l'invention, sinon a un individu, du moins a l'une des
,ecoles' grecques qui depecherent a Syracuse certains de leur representants : est-il permis
alors, au nom de la vraisemblance, de songer a la Grande-Grace, berceau du Pythagoris­
me, qui s'avere a cette epoque un lieu de grande fermentation scientifique? On sait, par
exemple, qu'Archytas avait fait de Tarente, au debut du IV9 siecle, la metropole de la secte,

237
eTI öe Kai TOÜTO ouµßaive:1 wone:p eni ße:AWV' TO µev ioxupwc; Oq>le­
µe:va np6ow q>epe:ra1. TO öe 6o8e:vewc;. eyyuc;. roTc; yap ioxupwc;
q>e:poµevo1c; µäMov unaKoue:1 6 ar)p· ToTc; öe 6o9e:vewc; . �ooov.
TWUTO öri Kai Tdic; q>wvaTc; ouµßr)oe:rar TÖI µev uno (TW) ioxupw TW
nve:uµaroc; q>e:poµeva1 µe:y6Aal TE: �µe:v Kai 6�ea1. TÖI Öe Uno 009e:­
veoc; µ1KpÖI TE: Kai ßapea1 .
Dasselbe geschieht nun auch bei Geschossen: die kraftvoll gesende­
ten trägt es weit, die kraftlos kurz. Denn auf kraftvoll geworfene hört die
Luft besser, auf kraftlose weniger. Dasselbe nun trifft aber auch auf die
Stimmen zu. Töne, die von grosser Atemluft getragen sind, [scheinen)
uns gross und scharf, die von kraftloser dagegen klein und stumpf.1

In den zwei hellen Stimmen der Sirenen hat schon Pythagoras die Oktave
oder Harmonie gehört, den Unterschied von tief und hoch, von 2 und 1 (in
Saitenlängen ausgemessen). Nun überführt sein grösster Schüler zweihun­
dert Jahre Zahlendenken aus der Musik in die Ballistik. So wie die Sirenen
«schöne Stimmen sandten„, versenden jetzt Archytas' Katapulte tödliche
Geschosse.2 In Übertragungsmedien selber lauert die Gefahr.

Die Oktave als ballistische Zielvorrichtung ist dem Kriegstechniker aber nicht
genug. Er muss zweitens schon vor jedem Schuss abschätzen, welche Ge­
wichte sein Torsionskatapult auf welche Entfernung verschiessen kann. (In
diesem mathematischen Sinn ist Artillerie keine Sache der Neuzeit.) Da­
zu braucht man (nach Philon von Byzanz) eine Formel, die den Durch­
messer der Spannfeder als Funktion des Geschossgewichts bei gegebener
Schussweite berechnet. Ihre Lösung läuft aufs Ziehen einer Kubikwurzel hin­
aus. griechischer gesprochen, auf „das berühmte Problem der Verdopplung
des Würfels", wie es angeblich erst Erathostenes mit seinem Mesolabium
gelungen sein soll.3 Zu solch groben Fehldatierungen führt eine Technik­
geschichte, die nicht zugleich Seinsgeschichte ist. Selbstredend war es Ar-

et que ce pythagoricien, qui etait en relations avec Denys l'Ancien, se distinguait a la fois
par ses connaissances mathematiques, ses talents de mecanicien et son activite politique
et militaire : il ecrivit, dit-on, un traite sur les machines, inventa la crecelle et construit un
pigeon volant, tut sept fois stratege et ne subit jamais d'echec dans un combat. Ne sont­
ce pas la ces qualites qui predisposent a l'invention de la catapulte?" So auch Timpanaro
Cardini, 2 1 969, I I 264: „Archita era matematico insigne e dotato di singulare attitudine alla
meccanica; onde si puo supporre que creasse nella sua citta una vera e propria scuola di
meccanica militare e prowedesse alla difesa con macchine da guerra. A conferma di cio
sta la notizia ehe Dionisio avesse fatt6 venire dall' ltalia artefici e ingegneri militari ; e d'onde,
se non da Taranto, l'unica citta importante con cui fasse in relazioni amichevol i ?" Mit diesen
beiden klugen Fragezeichen müssen wir es wohl bewenden lassen , solange aus der Wüste
keine beweiskräftigen Papyrosrollen auftauchen.
1
6 DK 47, B 1 . - Dass Archytas - wie vor ihm schon Herakleitos - nicht laut und leise schreibt,
auch nicht hoch und tief, mag schon eine Ahnung davon geben, was neuzeitliche Tastaturen
und Pedale mit unseren Sinnen angerichtet haben.
2 Kingsley, 1 995, 1 46 f„ über Waffen und Archytas.

3 Ph. Bel. L l l l 2 1 -29, zitiert nach und kommentiert von Russe, 2005, 1 27 f.

238
chytas, der zu Platons Entsetzen die zweitälteste Maschine zum Ziehen von
Kubikwurzeln angegeben hat.1

Drittens schliesslich dürfen Krieger, die auch Kriegstechniker sind, nie der
Frage ausweichen, ob nicht noch wirksamere Waffensysteme winken. Die
Spannkraft von Menschen- oder T ierhaar ist begrenzt, selbst wenn es ge­
bündelt von Karthagos zwölfhundert schönsten parfümierten Huren käme.2
Nun überliefert aber Philon, unzuverlässig wie so oft: Ktesibios von Alexan­
dreia, dessen Bücher und Kalküle vollständig verloren, wo nicht römisches
Arkanwissen geworden sind, habe zu Kriegszwecken Federn aus Metall, ja
sogar Luft erfunden. „Letztere glichen in ihrer Struktur den Torsionskatapul­
ten, sie wurden jedoch durch Luft angetrieben, die in zwei Metallzylindern
durch Kolben komprimiert wurde."3 Hat nicht aber Archytas die erste pneu­
matische Maschine gebaut: eine Taube, die sich heissluftangetrieben in die
Höhe schwingen kann? 4

Wir wiederholen also unsere Behauptung, der letzte und grösste Pythagore­
er habe aus der schlichten Armbrust seines Vorgängers Zopyros musikma­
thematische Torsionskatapulte gemacht: ballistische Leitwaffe des folgen­
den Jahrtausends. Der Grund? Grossgriechenland. Das Datum? Um 400.
Die Folgen? Weltgeschichtlich, Angriff statt - wie noch bei Zopyros - Vertei­
digung. Das grosse wie das kleine Griechenland fallen unter Römerheeren.
Und erst seitdem •Kanon• nicht mehr griechisch-musikalisch Monochord
besagt, sondern neuzeitlich •Kanone•, hat der Krieg mit Feuerwaffen auch
Archytas überholt. Im Unterschied zur Rekursion des Zahlendenkens kennt
das T öten einen Fortschritt. . .

Mehr als Behauptungen ertaubt die Quellentage nicht. Geschichtsschrei­


bung seit Thukydides denkt Dichter, Denker, Krieger niemals mehr zusam­
men. (Das suchen wir, frei nach Herodotos, ja zu ändern.) In der Überliefe­
rung zählt Archytas zu den reinen Philosophen, sein Gastfreund Dionysios
zu den Politikern, bis späte Doxographen die getrennten Fäden ebenso ver­
knüpfen wie verwirren. Dagegen nimmt Diodoros, Siziliens glühender Histo­
riker, das doch so nahe Grosse Griechenland kaum wahr und zählt Archytas,
Italiens Feldherrn, unter namenlose «Philosophen», die Platon von Diony­
sios dem Älteren freikaufen.5 Dafür schildert Diodoros uns ausführlich, wie

1 <= 2.2.2.4.3 . 1

2 Flaubert, (1 862) 1 95 1 -52, 1 964.


3 Russe, 2005, 1 23-1 25. Den musikgeschichtlichen Unterschied zwischen Knochen, Sehnen
und Metallen werden wir noch denken müssen.
4 <= 2.2.2.4.3.4.
5 Diod. Sie. XV 6, 7. I mmerhin plausibler, als Platons Rettung (mit den Doxographen) einem
unbekannten Annikeris von Kyrene nachzusagen (0. L. I I I 20) .

239
der Tyrann Siziliens nach seiner Schmach vor Gela «aus allen Gegenden
[von Hellas] die besten Ingenieure (1e:xvire:c;)», Schiffbauer und Fachhand­
werker werben lässt - mit dem durchschlagenden Effekt, dass 399 «in Sy­
rakusai das Katapult erfunden worden ist.» 1 Als würden Assyrer, Karthager
und Pythagoreer nichts erfinden können, nur Siziliens Griechen.

4.2.1 .1 .2 Krieg im Osten

Sieben Monate lang hatte Alexandras die stolze Inselfestung Tyros schon
belagert, als ihm ein Satyr träumte. Er befragte den Traumdeuter, was dieser
Satyrtanz auf seinem Schild bedeuten mochte. Aristandras brach sogleich
in Jubel aus. «förupoc;· ori TUpoc;. Satyros: dein ist Tyros!» 2 Denn es war
mühsam gelungen, einen Damm zu bauen, auf dem schweres Kriegsge­
rät bis vor die Mauern rollen konnte. Schon drei Tage später, im Juli 332,
brach makedonisches Fussvolk durch die geschlagenen Brechen im wich­
tigsten Seehafen der Levante ein.3 Das Mittelmeer ward erstmals mare no­
strum: von Katapulten und Belagerungsmaschinen, Aristoteles und der Ko­
ine ersch(l)ossen. Kaum anders, nur noch nicht zur See, hatte Alexandras'
Vater schon gesiegt: König Philippos von Makedonien „führte diese furcht­
baren Erfindungen in Griechenland ein", um mit neuen Kriegsmaschinen die
städtischen Hoplitenheere zu zerschlagen. 4 Wenn die Freiheit nur zur µrixa­
vr), aber nicht zur µaxav6 gelangt, ist sie schon verloren.
Von da an ging es Schlag auf Schlag. Die Diadochen eroberten eben jene
Städte, die sie selbst gegründet oder doch zu Grasstädten verwandelt hat­
ten, immer schneller, immer effektiver. Demetrios, schöner Sohn des ersten
Antigonos, erfocht sogar, nachdem er den Peiraios und Munychia zu Fall
gebracht und damit Athen zurückerobert hatte, den Ehrennamen Poliorke­
tes, < Städtebezwinger• . Als solcher durfte er, von Hymnen zum «Sohn des
gewaltigen Poseidon und der Aphrodite» erhoben,5 im Tempel der Athena
Parthenos mit Hetären wüste Orgien feiern, bis sein gestrenger Vater ihn
wieder zu den Waffen rief. Poseidons Meere siegten über Aphrodita. Mit un­
fassbar schweren Kriegsmaschinen, die er selbst erfunden hatte und nur
in Riesenschiffen transportieren konnte, segelte Demetrios gegen Rhodos,

1 Diod. Sie. XIV 42, 1 -4. Russo, 2005, 1 22 , übertreibt diesen Lokalstolz noch und nennt das
Katapult „von Dionysios erbaut".
2 Freud, 1 946-68, I I/I I I 1 03 f„ nach Artemidoros von Daldis, über «das schönste Beispiel einer
Traumdeutung, welche uns aus dem Altertum überliefert ist » .
3 Spamer, 1 893-98 1 1/2, 1 6.
4 Spamer, 1 893-98 1 1/2, 2 1 2.

s Burckhardt, o. J. 358.

240
das ihm jedoch heroisch widerstand. Sein Sturmgeschütz, die 45 Meter ho­
he Helepolis, 1 war auf dem Landweg nicht einmal zu retten.

So endete Demetrios, gefangen wie ein König, im paradiesischen Palast von


Apameia. Er „wurde träger und brachte endlich seine ganze Zeit mit Wein
und Würfelspiel zu. Ja, er fand dann, dies sei eigentlich das Leben, das
er längst ersehnt und nur aus Unverstand und leerer Ruhmsucht bis jetzt
verfehlt habe unter unendlichen Beschwerden für sich und andere, nun aber
endlich unerwartet vorfinde."2 Epicure de grege porcus...

4.2 .1 .2 Von Archimedes zu den Römern

Solange als die Römer nun in der lincken Hand das Buch, und
in der rechten Hand den Degen gehalten , so lange haben sie
in gutem Flor gestanden, und sind formidiret gewesen ; So bald
sie aber angefangen den Degen beyseit zu legen, und die Bü­
cher in beyde Hände zu nehmen, haben sie darüber die erste
Maxime begunt zu vergessen, darum sie dann nicht nur allge­
mählich in Sicherheit, sondern auch hernach in Uneinigkeit, und
endlich durch Kriege zerstreuet, gar in solche Extremität zerfal­
len, daß sie auch ihren lang gefü hrten Scepter derjenigen Nation
überlassen, welche sie in vorigen Zeiten darunter zwingen, aber
doch nicht bezwingen mögen.
Georg Rimpler, Befestigte Festung

Der Hellenismus und seine Diadochenreiche ersticken also am belage­


rungstechnisch erbeuteten Luxus. Es sind arme Wehrbauern aus Mittel­
italien, die den Krieg in allem Ernst aufnehmen. Wenn Römer keine Pflü­
ge führen, müssen sie ihr halbes Leben lang mit Schwert und Lanze einem
Consul auf das Schlachtfeld folgen. Und nachdem sie Latiums alte Städte
unterworfen oder zu Kolonien verwandelt haben, müssen auch die socii auf
Senatsbefehl hin in den Krieg für Rom.

Ein adliger Messaper namens Ennius kämpfte auf Sardinien in einer solchen
Heereseinheit. Er hat fast alle diese Landnahmen besungen, weil Ennius
sich nicht nur zum Griechischlehrer reicher Römer aufschwang, sondern
zu Homeros' Metempsychosis. Das hilft, die Unterschiede zwischen llias
und Römerkriegen zu ermessen. Denn den Annalen jenes Ennius danken
wir (mit einem assonantisch-bösen Stabvers) zugleich den ältesten Beleg
dafür, dass Archytas' µaxav6 in Rom ans Ziel gelangt ist. Eine Wort- und
Sachschöpfung bringt es zum Imperium.

1 Flaubert [1 862] 1 95 1 - 1 952, 1 964.


2 Burckhardt, o. J. 372.

241
machina multa minax minitatur maxima muris.
was die mauern am allermeisten bedroht· ist die maschine.1

Römerheere machen also platt: zuerst Etrusker, Osker und Samniter, dann
das reiche Grosse Griechenland, bald darauf die armen kleinen Mutterstäd­
te auf dem Festland. Sie nehmen jede Akropolis ein, die gegen Katapulte
und Ballisten nichts vermag. Archytas und sein Erbe Archimedes, der die
Maschine neu erfindet, siegen über Platon, nicht aber über Rom. So sinken
beider grosse Städte zum Schluss in Schutt und Asche - aber erst durch
Algorithmendiebstahl. Tempel, Schriften, Götterbilder, sie alle sind verloren.

Algorithmendiebstahl, wie wir wissen, ist viel billiger, viel wirksamer als Den­
ken. (Auch diese unsere Sätze werden bald vom Internet entsorgt.) Den
Sieg im ersten Punischen Krieg dankt Rom dem Nachbau einer karthagi­
schen Flotte, die Einnahme Grossgriechenlands im zweiten dem Nachbau
griechischer Maschinen. Und nachdem der dritte Punische Krieg Karthago
bis auf die Grundmauern zerstört hat, ist das Westmittelmeer von Feind­
flotten schlechthin gesäubert. Römische Legionen, Schiffe und Maschinen
können überall hin übersetzen, um Hellas selbst, den Osten ihres Westens,
die Sonne ihrer Nacht, zu unterwerfen.

Denn eines haben Römern ihren Feinden allesamt voraus: Sie lassen (wie
vordem die Perserkönige) von Sklavenheeren Strassen bauen. 2 Wenn die­
se Sklaven meutern, werden sie wie Spartacus am Strassenrand gekreuzigt.
Auf solchen Strassen zirkulieren - spätestens seitdem Caesar und Augustus
das Nildelta erbeutet haben - papyrosleichtgeschriebene imperia, also auf
deutsch Befehle. Eine Medienherrschaftstechnik nimmt im cursus publicus
Gestalt an. Nur deshalb führen alle Strassen ja nach Rom. Sie sind keine
Autobahnen für Touristen, sondern schärfstens überwachte Anmarschwege
der Legionen: Wehrbauern mit verstärkter Artillerie. 70 Katapulte und Balli­
sten kann jedwede Kampfeinheit vorführen.

Als erste Römerstrasse lässt der blinde Zensor Appius Claudius 31 2 die Via
Appia in Richtung Süden bauen. Sie wird 295 bepflastert, unterwirft Cam­
panien und erreicht 244 Taras in Grossgriechenland. 374 Kilometer können
Katapulte also auf dem Landweg rollen, bis Archytas' Kriegsmaschinen sich
dem Erfinder selbst entgegenwerfen. Hannibal tut gut daran, sein Heer die
Winter über in Grossgriechenland zu lassen, im Ursprungsland der Kriegs­
maschinen. Doch die Via Appia ist mächtiger: 209 belagert und erobert Rom
die Griechenstadt, die seitdem Tarentum heisst. Immerhin raubt Quintus Fa-

1 Enn. Ann. 620 S. Siehe sehr viel später die machina belli bei Verg . Aen . I I 1 5 1 .
2 Ü ber Persiens erste Reichsstrasse siehe Hdt. V I I I 98, und dazu Siegert, 1 99 1 , 498 f.

242
bius Cunctator nicht alle Tempelgötterbilder aus, wie Marcus Claudius Mar­
cellus das drei Jahre vorher Syrakusai antut, um Rom zur Marmorstadt zu
machen.1 Die Flucht der Griechengötter, die doch in ihren Bildern sind, ist
also ganz real. (Um vom Raub der Lieder und Tragödien, die Herzen zu den
Göttern rufen, noch zu schweigen.)

21 3, drei Jahre nach der Niederlage bei Cannae, greift Marcellus mit dem
Heer und einer Flotte Syrakusai an. Sechzig Fünfruderer, mit schweren Ka­
tapulten und Belagerungsmaschinen vollbeladen, schliessen die Stadt von
Meer ab. Doch Marcellus übersieht, dass König Hieron eine philosophisch­
mathematische Bekehrung gelungen ist: Sein Freund Archimedes lässt sich
überreden, Platons Verbote zu missachten und die Mathematik aus dem
Reich der Ideen wieder (wie Archytas) auf epistemische Dinge anzuwen­
den. Mit selbsterfundenen Flaschenzügen kann Archimedes Fünfruderer mit
einer Hand verschleppen, mit Steinen, die seine Katapulte schleudern, sie
versenken; und die Sambyke des Marcellus (kein Musikinstrument, sondern
wieder ein der Sambyke abgesehenes Belagerungsgerät) bricht über ihrer
Mannschaft unrettbar zusammen. Archimedes, stellt der Römerfeldherr fest,
übertrifft die hundertarmigen Giganten selbst der Sage (um von seinen eige­
nen Kriegsingenieuren ganz zu schweigen).2

Denn Archimedes, schreibt Plutarchos, steht unterm Zauber einer «häusli­


chen mitwohnenden Sirene», die ihn zu Musen oder Zahlen einfach cchin­
reisst».3 Wie die Zikaden am llissos isst und trinkt er nichts, wenn die Sire­
ne lockt. Er zeichnet Diagramme auf die eingeölte Haut und läuft aus einer
T herme nackt durch Syrakusai. Das Erfinden selber will erfunden sein. Doch
weil Archimedes, Platon treu, Kriegsmaschinen insgeheim verachtet, blei­
ben alle seine Schriften bei reiner Mathematik. Die neuen Kriegsmaschinen
schreibt er nirgends auf. Und das ist Marcellus' grösste Niederlage, kaum
dass seine Männer Syrakusai siegreich eingenommen haben. Die Städter
sind betrunken, weil ein Fest der Artemis die ganze Nacht lang tobt; dum­
me Legionäre gehen auf Beutezüge und erschlagen Archimedes, dessen
mathematische Modelle sie mit blossem Gold verwechseln. Marcellus aber
weint um den entgangenen Wissenstransfer und die grösste schönste al­
ler Griechenstädte, wie sie unter Plünderern zerfällt. Den Mörder trifft sein
Fluch. 4 Denn wenn sowohl die Wetware (Archimedes) wie die Software (Dia­
gramme und Beweise) schlichtweg unzuhanden sind, bleibt Imperien seit
Marcellus nur die Mühsal selber: reverse engineering.

1 Plut. Vit. Marc. 2 1 .


2 Vit. Marc. XIV-XV I I ; vgl . Polyb. V I I I 5-7.
3 Vit. Marc. XVI I 6 : µouo6>.rimoc;.
4 Vit. Marc. XVI-XIX.

243
So hat Archimedes gegenüber Rom und dessen Legionären sterbend doch
noch Recht behalten: cc Noli turbare circulos meos. - Störe meine Kreise
nicht.» Es gibt keinen einzigen lateinischen Mathematiker, sondern nur er­
beutetes Griechenwissen -: auch eine Form der Rekursion. Für den unge­
störten Kreis indes wird immerdar die Ungleichung des Archimedes gelten:1
300 22
71 < n < 7

4.2 .2 Rekursion

Des dieux nouveaux, les memes,


gonflent deja l'Ocean futur.
Foucault, Les mots et les choses

Vernichtung, Unterwerfung, Übernahme - das alles stellt uns vor die Frage,
wie Seinsgeschichte noch erzählbar bleibt, nachdem die Helle ihres Auf­
gangs im Imperium Romanum scheinbar ganz erlischt. Für lateinische Skri­
benten von Cicero bis Augustinus beginnt das Denken immer erst mit Platon
und hört schon kurz vor Archimedes wieder auf.2 Dennoch üben früheste
Namen oder Worte, die da denken machen, weiter ihren Zauber aus. Es
gibt Oktaven, gibt Sirenen, also immer noch die Harmonie. Der sogenann­
te Fortschritt mag Naturwissenschaften durchwalten, die ihr Gewordensein
kaum je erinnern müssen, um im Modellieren und Errechnen einen Schritt
nach vorn zu tun. Wasser, Feuer, Luft und Erde sind seit Lavoisier keine
unteilbaren Elemente mehr - ganz wie seit Euler die Vokale. Es kostet dies
Vergessen Geld, Labors, Maschinen und Computerzeit, sonst nichts. Doch
die Oktave, von Pythagoras als Tetraktys erdacht, bleibt allzeit wahr - wie
sein zu Unrecht viel berühmterer Dreieckssatz. Wir können ihn auf ortho­
gonale Hilberträume zwar erweitern, doch nie und nimmer widerlegen. Ob
unendliche Funktionsfamilien oder blosse Linien zueinander senkrecht ste­
hen, spielt doch keine Rolle. Am Ende sind die beiden Sätze eins.

Daher entziehen sich Musik und Mathematik der Denkschablone namens


Fortschritt. Nichts Griechisches wird falsch, wenn etwas Neues sich entbirgt,
nur immer abgründiger und allgemeiner. Aus apµovia, der sirenischen Ok­
tave, machen Mersenne und Leibniz «universale Harmonie», das Wunder
von gleichschwebenden Frequenzen. Der Ton pulsiert nicht mehr wie seit

1 Teubner, 2 1 996, 740.


2 So leider auch Russe, 2005, in seinem ebenso gelehrten wie gelungenen Versuch, ge­
gen Römer und Christen die hellenistisch-alexandrinischen Wissenschaften wieder stark
zu machen . Er weiss nur überhaupt nichts von Musik und sieht daher bloss Rückfälle, wo
es doch um Rekursionen geht.

244
Archytas, nein, er schwingt und oszilliert. Aus dieser Saitenfrequenz, die
das Inverse monochordisch alter Saitenlängen ist, entfalten sich /es harmo­
niques, die unabzählbar vielen Obertöne jedes einzelnen, vordem zur blas­
sen Note abstrahierten Tons. So explodiert (dank den Mongolen, Arabern
und Janitscharen) sogar im Abendland ein wilder Überschuss mit Namen
Klang. Den müssen Komponisten seit Berlioz erst einmal erhören und Ma­
thematiker seit Ohm berechnen, bevor die Götter unserer Jugend ihn durch
Verstärkerröhren jagen können.

Der Aulos hat ein Doppelrohrblatt wie unsere Oboe; wer immer ihn mit · Flö­
te> oder •Klarinette> übersetzt, irrt daher von vornherein. Seit Georg Simon
Ohm ist klar, dass Klarinetten Dreieckswellen senden, Oboen aber Recht­
eckpulse.1 Instrumente mit ganzzahligen Obertönen, wie Symphonieorche­
ster sie zum Klangteppich verweben, erschliessen sich daher in Fourier­
reihen, was Flöte und Aulos, Klarinette und Oboe oszillographisch sichtbar
trennt. Bei den einen herrschen - streng pythagoreisch - die ungeraden
Obertöne vor, bei den anderen die geraden. Alle solche Ganzzahlarithmetik
versagt jedoch vorm ungeheuren Reich, in das die Griechen Stummlaute
und T iergebrüll, Blitz und Donner, Dionysos und Zeus verbannen mussten.
Wildfremde Klänge - von weissem Rauschen über Stammestrommeln bis
zu Pauken oder Glocken - geben sich (nicht immer so geschlossen elegant
wie Fourierreihen) erst modernen Fourierintegralen auch als harmonisch zu
erkennen. So oft, so alt, so neu, sind die zwei Sirenen mit ihrer einen Harmo­
nie zurückgekehrt, nur um immer tiefer bis ins Schwingungsherz von Quarks
und Superstrings zu sinken. Selbst wenn der letzte, aber schon geplante
Weltkrieg um Armagetton je ausbricht, werden ihn akustische Sirenen von
unseren Rathausdächern heulen müssen...

Für diese neue Art, Geschichte zu erschreiben, gibt es nur eine Weise, einen
Namen: Rekursion.2 Wir achten auf die Wiederkehr des Selben - und zwar
im selben Mass, wie es sich seingeschichtlich wandelt. Wir •laufen, in der
Zeit •zurück>, von heute zu den Griechen, zugleich jedoch auch in der Zeit
voran, vom ersten Anfang bis zu seiner wiederholenden Verwindung. So
pushen wir Adressen von Funktionen nach und nach auf einen Stack, den
wir dann wieder pappen. Harmonie ist immer neu und doch (wie Aphrodi­
ta) stets dieselbe. Das sollen die Verweise vor- und rückwärts nahebringen.
Einmal verzweigen sich die Fäden wie zur Gabel, ein andermal verschlingen
sich getrennte Fäden wieder wie zur Masche. Bloss zum Beispiel: Aristoxe-

1 Chapman , 2 1 978, 094-097; Stauder, 1 976, 98- 1 07. Siehe jedoch schon (wohl erstmals)
Chladni [1 787] 1 980, 2.
2 Zu Wort und Sache Rekursion vgl . Peter, 2 1 957.

245
nos, unheilig mit Eukleides im Verbund, trennt Musik und Mathesis. Das ist
die Gabel. Leonhard Euler, schon als Pfarrerssohn, wird ihrer beider Masche
wieder schlingen. Die beiden Zeichen <== für die Gabel, => für die Masche
sollen euch das deuten. Europa ist ein Spiel der Rekursionen, das uns als
Seinsgeschichte immer schon durchstimmt.

Was also gibt es unter Römern Unerhörtes zu berichten? Hären wir gelöst
auf letzte Griechen, wie sie die Flucht der Götter und das Ende Griechen­
lands zu denken lernen. Nach vollbrachter Pflicht wird diese Rekursion zur
Kür.

246
4.3 Plutarchos und das Schwinden der Orakel

The pppd daemon has died.


Linux kernet message, 27. 1 2.2002,
1 8 :06:46 CET

Legen wir den langen Weg - von heute zu den letzten Griechen - kurz
zurück.

Lacan hat (vor Foucault schon) vorgeschlagen, den Begriff der Menschen­
ader Geisteswissenschaften abzuschaffen, weil es das Ich und daher auch
den Menschen gar nicht gibt. Wir folgen beiden, wie ihr wisst.

An die genaue Stelle, wo Ich und Mensch sich in der Neuzeit spreizten,
setzt die strukturale Psychoanalyse ein Subjekt, das vom Unbewussten wie
von einer Sprache her gesteuert wird und darum keine seiner Wahlen ra­
tional entscheiden kann. Die strategische Lage zwar ist klar wie John von
Neumanns kombinatorische Matrizen, doch vom Subjekt nicht durchzurech­
nen.1 Es muss vielmehr bei jeder Wahl (wie Odysseus auf der Heimfahrt)
konjizieren. Dem Analytiker geht es kaum anders: Er kann jedoch wie die
Pythia konjizieren, welchen Konjekturen das Subjekt auf seinem Divan einst
gefolgt ist und noch folgen wird.

4.3 .1 Konjekturen und Sirenen

·o cpi>.e n6v re Kai äM01 öoo1 rfiöe Seoi


0 lieber Pan und andere Götter, die ihr
anwest !
Sokrates

Der Begriff der Konjektur, schon seit Alexandreia, rührt von den Philologen.
Sie streichen Verse aus der llias, die nur zum höheren Ruhm Athens er­
schlichen sind. Sie erfinden •Hörnchen• (Kepaia1) , also Zusatzzeichen, die
verlorene alte Silbenlängen und -akzente auch nach dem Quantitätenkol­
laps alphabetisch sicherstellen.2 Sie haben, kurz gesagt, Homeros uns ein
zweites Mal geschenkt. Erst Lacan wird •Konjektur• der Philologenzunft ent­
wenden und mit John von Neumanns mathematisch strenger Theory of Ga­
mes verallgemeinern. Bezogen aber hat Lacan sein Schlüsselwort von Ed­
gar Allan Poe. Der allerersten Detektivgeschichte, wie sie den Buchmarkt
1 841 radikal veränderte, stellte der Erfinder nicht blass einer Gattung oder
Schlussform, sondern des modernen Helden, ein altes Philologen-Motto

1 Lacan , 1 966, 806 f.


2 Plut. Non passe, 1 1 OOa.

247
stolz voran. Denn Auguste Dupin, Stammvater aller Detektive, musste end­
los lang aus winzigen Indizien konjizieren, bis der Mörder feststand. Konji­
zieren heisst seit Poe und seinen Murders in the Rue Morgue demnach: Wir
schliessen aus bekannter Wirkung auf ihre unbekannten Ursachen zurück,
treiben also ganz buchstäblich Rekursion.

Wer hat zwei Pariserinnen in einer tristen Seitenstrasse umgebracht, die


zudem wie •Leichenhalle• klingt? Konjektur Dupins: Das kann kein Mensch
gewesen sein, nur ein wild gewordener Orang-Utan. Doch woran erkennt
der Detektiv, dass der Mörder Menschenaffe war? Antwort Dupins: Orang­
Utans sind zur ccsyllabification» ausserstande.1 So frisst der Zoo die Damen,
die in Rom wie Frankreich Raubtiere aus tropischen Kolonien einführen. So
waltet immer noch und immer mächtiger die Silbe griechischen Gedenkens.

Und wer hat dann den grossen Pan getötet?

What sang the Syrens sang or what name Achilles assumed when he
hid himself among warnen, although puzzling questions are not beyond
all conjecture. (Sir T homas Browne, Urn-Burial.)2

Schon da wir der ersten Frage auch selber lange nachgegangen sind und
selber munter konjizieren, fragen wir uns, woher Poes englischer Gewährs­
mann seine Fragen wohl bezogen hat. Die Antwort fällt nicht schwer und
zeigt ganz nebenbei, dass es um Poes klassische Bildung nicht ganz so gut
stand, wie er vorgab. Denn während The Purloined Letter, Poes zweite De­
tektiverzählung, wie Lacan sie als eine einzige grandiose Konjektur grandios
entziffert hat,3 mit einem lateinischen Seneca-Motto prunkt, 4 führen auch
The Murders in the Rue Morgue in zweifacher Rekursion über Sir Thomas
Browne auf einen Römer zurück. Gaius Suetonius Tranquillus, der schon
als magister ab epistulis unter zwei flavischen Kaisern Einsicht in alle Ge­
heimarchive ihrer Vorgänger nehmen durfte, war die Quelle, die Sir Thomas
Browne so wörtlich wie unvollständig zitierte. Denn von T iberius, dem zwei­
ten Kaiser und ersten Philhellenen auf dem Thron, wusste Suetonius eine
Wissbegier zu melden, die T iberius dem römisch-allzurömischen Senat fast
so lachhaft machte wie seine greisenhafte Geilheit.

Maximum tarnen curavit notitiam historiae fabularis usque ad ineptias


atque derisum; nam et grammaticos, quod genus hominum praecipue,
ut diximus, appetebat, eius modi fere questionibus experiebatur: Quae

1 Poe, 1 962, 400-402.


2 Poe, 1 962, 378.
3 Lacan, 1 966, 1 1 -61 .
4 Poe, 1 962, 454.

248
mater Hecubae, quod Achilli nomen inter virgines fuisset, quid Sirenes
cantare sint solitae.
Am meisten jedoch hat ihn die Kenntnis sagenhafter Geschichte bis ins
Alberne und lachhafte beschäftigt; denn auch die Philologen, welchen
Menschenschlag er (wie gesagt) besonders suchte, prüfte er mit Fra­
gen wie etwa: ccWer Hekubas Mutter gewesen sei; wie Achilleus unter
den Mädchen hiess; was die Sirenen so zu singen pflegten.» 1

Tiberius' Sehnsucht nach dem Griechenland war unersättlich. Während er


als Kaiser und pontifex maximus ägyptische und jüdische Kulte so grimmig
untersagte, dass ihre rituellen Kleider und Geräte allesamt im Flammen auf­
zugehen hatten, 2 pflegte er <privatim> nur mit Griechen Umgang.3 Aber da­
mit nicht genug: +26 befahl T iberius, eine Höhle ( spelunca) bei Sperlonga
kostbar auszubauen und mit übergrossen Marmorgruppen aus der Odys­
see zu schmücken. Dabei stand ihm Kirkes schroffe Felseninsel, weil sie
am Gegenufer von Sperlonga liegt, unentwegt vor Augen. 4 27, ein Jahr spä­
ter, verliess der Kaiser vollends Rom samt allen seinen Pflichten, um die
Stadt nie wieder zu betreten. Der «alte Ziegenbock» , wie ihn die Unterta­
nen höhnisch oder neidisch nannten, verschwand auf einer Insel, die - der
Affeninsel Pithekusai gegenüber - selber wie die Ziegenböcke hiess: nach
Capri.5 Von seiner prachtvoll neuen Villa lovis ging der kaiserliche Blick drei
Meilen weiter über blaue Fluten nach Südosten - hin zu den drei Galli und
jenem Tempel am Sirenenkap, der den Musen schon seit alters heilig war.

„Schön aber muss auf der See selbst der Anblick gewesen sein, segelte
man zwischen Capri und dem Kap der Minerva und betrachtete dort [auf
Capri] die Marmorschlösser und den Faro, hier [auf dem Festland] die Tem­
pel. Denn Tiberius sah auf jenem Vorgebirge, dessen Spitze heute ein Turm
krönt, noch die weitberühmten Tempel der Minerva, der Sirenen und des
Herakles."6

So sehnsüchtig kann das Griechenland (seit Scipio Africanus) uns Abend­


länder machen. Doch weil wir lieber Inseln oder Tempel sehen, statt auf den
Gesang zu achten, bleibt die Rekursion oft taub. T iberius und sein Histo­
riker, Sir Thomas Browne und Poe: alle wissen überhaupt nicht mehr, was

1 Suet. Vit. Tib. L l l 3. Auf den Wortsinn von « historia fabularis» kommen wir im Band 1 1/1
zurück; den von «grammatici» siehe bei Suet. Gram. 4: «proprie sie appellandos poetarum
interpretes, qui a Graecis grammatici nominentur. - Eigentlich sollen so die Dichterdeuter
heissen, die von den Griechen •Grammatiker• benannt sind . >•
2 Vit. Tib. XXX I .
3 Vit. Tib. LVI .
4 D e n Nachweis führt hinreissend klar Andreae, 1 982, 9 u n d 1 85.
5 Suet. Vit. Tib. XLV.
6 Gregorovius, 2 1 928, 745; vgl . 3 0CD, s. v. Capri .

249
ihre Konjekturen bei Homeros suchen. (Nur Poes Auguste Dupin, der erste
Detektiv, ersetzt Philologie durch wahrhaft neue Abduktion.) Sicher, wie He­
kubas Mutter hiess und wie Achilleus unter lauter Mädchen, hat Homeros
nie erwähnt. Doch was die zwei Sirenen von ihrer Blumeninsel aus Odys­
seus zugesungen haben, steht über jeden Zweifel da. Es füllt im Wortlaut
die acht schönsten Hexameter von der Welt. Tiberius, statt seine Philologen
zu bemühen, hätte sich wohl besser selbst (wie wir) zur Detektion entschlos­
sen. Wir suchen nicht, wir finden.

4.3.2 Der grosse Pan

Suddenly, Pan - leaping - its face too beautiful to bear,


beautiful Serpent, its coils in rainbow lashings in the sky
- into the sure bones of fright -
Pynchon, Gravity's Rainbow

Da finden wir jedoch vor allem, dass Suetonius unser Griechenwissen kunst­
voll unterbietet. Wir haben erstens doch mehr Quellen, und zweitens war
T iberius schon klüger als sein Archivar. Die Frage, wie Achilleus sich auf
der Kykladeninsel Skyros mit einem Mädchennamen unter lauter Nymphen
tarnte, um vor Troia nicht bereits als junger Mann zu fallen (oder wie der
junge General Tiberius im barbarischen Germanien), mag dem Stiefsohn
des Augustus ja oft nachgegangen sein. (Nur sind Nymphenchöre erst als
namenlose schön gewesen.) Doch der Name von Hekubas Mutter konnte
ihm so wenig sagen wie Shakespeare dann Hekuba selbst. Genealogie er­
regt die Herzen nur, wenn sie aus ehelichen Bahnen ausschert. Genau das
feiern und verpönen Römer aber als obszön. Also leben Mimen, Dichter,
Pornographen und die kühnsten Kaiser ihrem Sexus, Historiker und Sena­
toren dagegen weiterhin der prüden Ahnenreligion.

Nicht so die letzten Griechen. Eben jenes Rätsel, das T iberius seinen Philo­
logen stellt und der Römer Suetonius mit gutem Grund ins «Alberne» ab­
schiebt, hält Plutarchos von Cheironeia für uns fest. Zwar dienen beide,
Suetonius und Plutarchos, hochrangig beamtet dem selben Kaiser Hadria­
nus, Doch nur ein Griechenpriester, der auch das delphische Orakel hütet,
begreift, dass es auf Capri, gegenüber der Sireneninsel, um Götter, Liebe,
Treue geht.

OÜTW öE: n108e:Ooa1 r4) '/l.oy� TOV T1ßep1ov, wore: ö1anu86ve:o8a1 Kal
�rire:Tv ne:pl TOÜ navoc;· e:iK6�e:1v öE: rouc; ne:pl aurov cp1'/l.o'/l.6youc;
ouxvouc; övrac; TOV €:� "Epµoü Kal nrive:'/l.onric; ye:ve:vriµevov.
Diese Geschichte überzeugte T iberius so sehr, dass er eine Untersu-

250
chung und Nachforschung über Pan anordnete. Die Philologen aber,
von denen viele um ihn waren, konjizierten: Pan sei das Kind von Her­
mes und Penelope.1

Pan, die Dauererektion, klinisch reine Satyriasis, halbgöttlich wildes Kind


des grossen Hirtengottes; „Pan, der wildeste und tierischste Gott, der Ona­
nierer, der Schreckenerregende, suchte sich zur Mutter die Frau aus, die
man über Jahrhunderte als Beispiel für Keuschheit und Treue nennen sollte:
Penelope"2 - was treibt ihn zu der treuesten aller Frauen? Antwort: Um treu
zu bleiben, muss eine Ehefrau auch andere Männer kennenlernen. «Ne­
mo meo melius nervum tendebat Ulixe - Niemand spannte mir die Sehne
besser als Odysseus», verrät sich die Penelope der Priapeia.3 Mit ande­
ren Worten: Im selbsterbauten Liebesbett übertrifft Odysseus noch seinen
Ahnen oder Schutzgott Hermes.

Gut, das ahnen Griechen lange vor Plutarchos. Falls sie nicht gar wie Duris
Pans Namen von •allen• 1 08 Freiern ableiten, mit denen Penelope geschla­
fen haben soll. In kühler Prosa sprechen das schon Herodotos und nach
ihm Apollodoros aus.4 In Verse fugt Theokritos ein rätselvolles Schriftbild,
das von selbst zur Flöte Pans, zur Syrinx schrumpft und obendrein - wie
der Code Napoleon - die Frage nach der Vaterschaft des geilsten Gottes
schlicht verhöhnt: Pans zwei Epitheta cc l<Awnonarwp, anarop (Diebsvater,
Unvater) „ verrätseln zugleich Hermes und die hundert namenlosen Freier.5
So endet, ja verstummt das Hirtenlied der Griechen mit dem gelüfteten ge­
heimen Elternpaar des Hirtengottes selbst ...

1 Plut. De def. or. 1 7, 4 1 9de. Wie um Lacan und Poe zu stützen , gibt auch die Loeb Classical
Library eiK6�eiv mit •conjecture, wieder.
2 Calasso, 1 992, 396.

3 Carm. Priap. LXV I I I 33.


4 Hdt. 1 1 1 45 ; Apollod. Epit. V I I I 38. Vgl. auch Cic. Nat. deor. 1 1 1 22, 56, wohl eine von Tiberius'
Quellen.
5 Theoc. ld. XXX I I I 1 6. Wie der Code Napoleon zu Recht vorschrieb: « La recherche de la
paternite est interdite » .

251
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KoM16r'IQ, so schOn ihre sti m me ·
v ri.>..e: Ucm+> . s i e n icht zu seh n .
Im nächsten Band erzählen wir ausführlich, wie T iberius auf Capri Venus,
Pan und allen seinen Nymphen huldigte. Vorerst über diesen Römerkaiser
nur soviel:

In silvis quoque ac nemoribus passim Venerios locos commentus est


prostantisque per antra et cavas rupes ex utriusque sexus pube Panis­
corum et Nympharum habitu, quae palam iam et vulgo nomine insulae
abutentes •Caprineum• dictitabant.
Er liess auch in Wäldern und Hainen überall der Venus geweihte Stät­
ten herrichten, wo in Grotten und Felshöhlen junge Leute beiderlei Ge­
schlechts, als Panisken und Nymphen verkleidet, zur Wollust einluden.
Deshalb nannte ihn auch schon alle Welt mit einem Wortspiel über den
Namen der Insel Caprineus, den alten Bock. 1

So wandelt sich vor Römeraugen alles Wilde, das Griechen nur in Vers­
figuren anzudeuten wagen, zu Leibern und Figuren flaumig junger Paare.2
Der grosse Pan zergeht in zahllos römische Panisken, deren polymorph­
perverses Liebesspiel mit Nymphen einem alten impotenten Kaiser neue
Lust einflössen soll.3 Rom als acting out des Griechenlandes, Arkadien als
Hardcoreporno.

„Es hat seinen guten Grund, dem Pan der römischen Zeit den Rücken zu
kehren und nur von dem der alten Zeit zu reden, der nichts bedeutet - son­
dern der ist. Man weiß es ganz genau, wann seine Zeit vorüber war: im Jahr
41 v. Chr., als der römische Dichter Vergil Arkadien entdeckte." 4
Nicht immer also terminieren Rekursionen. Das nennt man dann Programm­
abstürze. Fragen wir uns daher lieber, was Plutarchos wohl bewogen haben
mag, vom Grossen Pan Geschichten (A6yo1) zu erzählen, ohne das Ge­
heimnis seiner Zeugung Tiberius' kaiserlichen Philologen zu verraten. In Tat
und Wahrheit gibt Apollons letzter grosser Priester ein Ereignis weiter, das
viel erschütternder als aller Klatsch seit Herodotos ist.

Das Reich, nach lauter Kaisermorden, lebt in innerem und äusserem Frie­
den. Für eine Weile, die die Götter gönnen. Der grösste aller Kaiser, Ha­
drianus, liebt Antinous, den schönsten aller jungen Männer. Also baut er

1 Suet. Vit. Tib. XLI I I 2. - Conrad Ferdinand Meyers Schuss von der Kanzel hat diesen « Fau­
nen und Panisken» ein «tolles und gottvergessenes» Lachen mitten auf dem christlichen
Zürichsee vergönnt (Meyer, o. J., 251 ).
2 Unsere Verdeutschung ,flaumig' sucht den Reiz von pubes mit Aristophanes (Ach. 78 1 f.)
und Aristoteles (Gen. an. 1 20, 728b 23-32) gegen Habermas zu stärken.
3 Ü ber Tiberius' kostenspielige Leidenschaft für anale und orale Stellungen (oxfiµara) siehe
Suet. Vit. Tib. XLI I I f„ über Pane in der Mehrzahl Ov. Met. XIV 638.
4 Walter, 2001 , 1 2. So genau hat Snell, 2 1 948, 268-293, Arkadien noch nicht gesehen.

253
Griechenland ein zweites Mal aus Trümmern und Verödung auf. Athen al­
lein empfängt Millionen von Sesterzen, wie das der weltweit grösste Tempel
heute noch bezeugt. Plutarchos aus Boiotiens Kleinstadt Cheironeia hört
in Athen die Philosophen und wird zum Priesteramt Apollons nach Delphoi
selbst berufen.

Plutarchos widmet und berichtet sein unglaubliches Gespräch Über den Ver­
fall der Göttersprüche nicht aus Zufall einem Freund in Rom. Terentius Pris­
cus weiss so wenig wie T iberius, was Orakel für das Griechenland bedeuten.
Plutarchos muss es ihm erklären: Zwei Adler oder Schwäne, phallisch stol­
ze Göttervögel also, flogen einst von den zwei Enden dieser Welt (Elysion
und Tartaros), um sich mittwegs in Delphoi, dem alten Nabelstein der Mut­
ter Erde, zu begegnen.1 So wahr es bleibt, dass sich Apollons Raunen aus
dem Tempelabgrund einem Lorbeerrausch verdankt, so klar erhellt zugleich,
dass Stimmen wie in Delphoi von uralten Vogellauten lernen. Ohne das ge­
heime Wissen, das in Mohnen, Pflanzen, T ieren schlummert oder lauert,
gäbe es die Göttinnen und Götter nicht.

Das kaiserliche Rom hat andere Gelüste, panem et circenses. Das Brot
braucht Weizen aus Ägypten, das Spiel die Löwen, Christen und Barbaren.
Also sticht ein Frachtschiff, das auch viele Reisende ccnach Italien„ trägt,
von der Kornkammer Ägypten aus in See. Ein Fahrgast, griechischer Vater
eines römischen Redners, erzählt seinem Schüler, dem Historiker Philippos,
viele Jahre später eine wundersame Begebenheit, die Philippos nun in Del­
phis Tempelhain zum Beleg dafür anführt, dass Daimonen nur Halbgötter
sind und von daher sterblich.

eonepac; ö' riö11 ne:pi rac; 'Ex1vaöac; vf)oouc; anooßfiva1 16 nve:Oµa.


Kai Tf)V vauv ö1acpe:poµev11v nA!lOiov ye:veo8a1 naxwv· eyp11yope­
va1 öe 100c; nAe:io10uc;. noMouc; öe Kai nive:1v e11 öe:öe:1nv11K6mc;·
e�aicpv11c; öe cpwvf)v 6n6 Tfjc; vf)oou TWV na�wv OKOU08fjva1, ea­
µouv 11voc; ßon KaAouvroc;. wme: eauµa�e:1v. 6 öe eaµouc; Aiyu­
m1oc; �V KUße:pvfi111c; ouöe TWV e:'"'µnAe:OVTWV yvwp1µoc; noMoTc; an'
6v6µmoc;. öic; µev oliv KA119€vra 01wnfioa1, 16 öe 1pi10v rinaKouoa1
Tcf> KaAOUVTI' KOKe:Tvov ernre:ivavra Tf)V cpwvflv e:ineiv, 6n6vrav yevn
KOTO TO naAwöe:c; , 6nayye:IAOV ÖTI nav 6 µeyac; 1€9v11Ke:. TOUT' 6-
Kouoavrac; [ . . . ] navrac; eKnAayfivar Kai ÖIÖOVTac; ee:auroTc; AOyov
e:ire: no1fioa1 ßeA11ov e:i11 16 npome:myµevov e:ire: µfl noAunpayµo­
ve:Tv 6M' E:ov, oürwc; yvwµa1 10 eaµouv, e:i µev e:i11 nve:Oµa , na­
panAeiv riouxiav exovra. v11ve:µiac; öe Kai vaMv11c; ne:pi 16v 16nov

1 Plut. De def. or. 1 , 409e. Zum 6µcpa�6<; siehe Pi. Pyth. IV 74; Strab. IX 3, 6; Paus. X 1 6, 3.
Ü ber Fernost und Fernwest <= 1 . 1 . 2 . 1 .2.

254
ye:voµE:vric; 6ve:1ne:1v 0 llKOUOE:V. wc; ouv KOTO TO na>.wöe:c; . OÜTe:
nve:uµOTO<; ÖVTO<; OÜTE: KAUÖWVO<;, eK npuµy11<; ß>.E:novra, ÖTI nav 0
µE:yac; rE:Sv11Ke:v. ou cp8fiva1 öe nauo6µe:vov aurov Kai ye:vE:o8a1
µE:yav oux E:v6c; 6Ma noMwv ore:vayµov äµa Sauµaoµc'.;'> µe:µe:1y­
µE:vov. oTa öe noMwv 6v8pwnwv nap6vrwv. raxu rov >.6yov E:v
'Pwµn OKe:öao8fiva1, Kai TOV 9aµo0v ye:v€:08a1 µe:rane:µmov uno
T1ße:piou Kaioapoc; .
Es war schon Abend, als bei den Echinadeninseln der Wind erstarb
und das Schiff in die Nähe der Paxoi trieb. Die meisten waren noch
wach, viele tranken nach dem Essen Wein. Plötzlich liess sich von
der Insel Paxos her eine Stimme hören, die laut nach einem gewis­
sen T hamus rief, was zum Erstaunen war. T hamus war Ägypter und
Steuermann, den meisten aber nicht einmal vom Namen her bekannt.
Zweimal schwieg er auf den Ruf hin, beim dritten Mal aber antwortete
er dem Rufer. Da spannte jener seine Stimme an und sprach : «Wenn
du gegenüber von Palodes kommst, verkünde, dass der grosse Pan
gestorben ist!» Als sie das hörten, waren alle erschüttert und gaben
einander Gründe dafür an, ob es besser wäre, dem Befehl zu folgen
oder sich lieber nicht einzumischen. Thamus erklärte jedoch, dass er,
falls eine Brise ginge, stillschweigend vorbeifahren würde, falls aber
in der Gegend Windstille und Meeresglätte einträten, verkünden wür­
de, was er gehört hatte. Wie er nun gegenüber von Palodes ankam
und weder Wind noch Wellen gingen, blickte T hamus vom Heck zum
Land hin und rief, wie er gehört hatte : «Der grosse Pan ist tot.» Er hat­
te noch kaum ausgeredet, da erhob sich ein grosses, mit Erstaunen
vermischtes Stöhnen - nicht etwa von einer, sondern von vielen [Stim­
men]. Da aber so viele Menschen anwesend waren, verstreute sich
die Geschichte rasch nach Rom und machte, dass T hamus zu Kaiser
Tiberius berufen wurde. 1

So leidenschaftlich also nehmen Römerkaiser, zumal wenn sie aus Grie­


chenliebe fragen, am Verfall der Götter und Orakel Anteil. T iberius lässt
T hamus über Pan berichten, bis er vom Ehebruch der treuesten aller Grie­
chenfrauen erfährt.

Neros magister elegantiae Petronius erzählt noch trauriger von der euboi­
ischen Sibylle, die bei Cumae zwar (seit der ersten Griechenlandung bis zur
Aeneis) Italiens Schicksale vorherzusagen wusste, aber dennoch sterblich
bleibt wie Pan. «Phoebi longaeva sacerdos - Apollons langlebige Priesterin»
nennt Vergilius die Sibylle daher diplomatisch.2 Offenbar passen Hesiodos'

1 Plut. De de!. or. 1 7, 4 1 9bd.


2 Verg. Aen . VI 2, 42 und 628.

255
langlebige Nymphen 1 zum divus Augustus besser als Platons Daimon Eros,
der zwar dauernd zwischen Schwall und Abschwall schwankt, «Organ der
Zeugung und Organ des Pissens„,2 aber dennoch niemals stirbt.

Hier nun das klare Gegenzeugnis der Sibylle, dunkel nur, was ihren Ort in
einer Flasche angeht.

Nam Sibyllam quidem Cumis ego ipse oculis meis vidi in ampulla pen­
dere, et cum illi pueri dicerent: LißuMa ri 9E:Ae1c;· respondebat ille: ano-
9aveTv 9€Aw.
Denn bei Cumae habe ich mit eigenen Augen die Sibylle in einer Fla­
sche hängen sehen. Und als Kinder ihr «Sibylle, was willst du?» sag­
ten, gab sie zur Antwort: «Sterben will ich.» 3

Italien ist also das zweisprachig «Wüste Land», wo Götter und Sibyllen ster­
ben wollen. Sie fliehen nicht nur wie im Griechenland vor späten Lehrern,
Dichtern, Denkern, um fortan in der dunklen Klarheit des Entzugs zu walten,
sondern wünschen selbst den Tod. Im Abendland Italiens stirbt das Sagen­
reich. T. S. Eliot stellte seinem Langgedicht vom Waste Land, das Europa
seit Gral und Christentum, Amfortas und dem Ersten Weltkrieg ist, Sibyllas
letzten Wunsch daher zu Recht voran. 4 Rekursionen über Rekursionen. . .

Auch der so wiederholt beschworene Schrecken, den eine namenlose Stim­


me bei T hamus und den Fahrgästen auslöst, klingt wie Cumaes Sibylle: Der
grosse Pan, er selbst, will seinen Tod verkündet hören. Statt mit panischem
Gelächter Hirten in Arkadiens Mittagsglut zu schrecken, wendet sich der
Halbgott an den Abend und das Abendland. Pans Botenkette fängt selbst­
redend in Ägypten an, weil Herodotos dortselbst mit Priestern Streit gehabt
hat, ob Pan ccein ganz alter Gott„ ist oder aber als Sohn von Hermes und
Penelope griechisch jung wie sein ehelicher Halbbruder Telemachos, eben
einmal acht Jahrhunderte vor Herodotos' Zeit geboren.5 Dann läuft die Bo­
tenkette weiter über König Thamus, der Ägyptens hunderttoriges Theben
beherrscht, in Platons Phaidros den Schrifterfinder Hermes/Theuth verspot­
tet6 und zuletzt als Steuermann zum Götterboten Hermes/Thamus wird. An
Bord des Schiffs jedoch sind Griechen, die Pans Botschaft unzufällig vor
den Echinaden hören und darum um Sirenenklänge reicher machen. Denn
die kleinen •lgelinseln• oder eben Echinaden liegen zwischen Penelopes
lthaka und dem Mündungsdelta eines ungenannten Flusses, der aber Hel-

1 Hes. Chiron, Ir. 3.


2 Hegel, [1 807] 6 1 952, 254.
3 Petron . Sat. 48.
4 Eliot, 1 954, 49-74.
5 Hd!. 1 1 1 45.
6 PI. Phdr. 274d .

256
las' grösster ist: dem Acheloos. Als wir in seinem wilden Tal von Delphoi
her nach Westen fuhren, um ins sanfte Baden heimzukehren, wussten wir
noch nicht, dass den Griechen (schon grammatisch) alle Flüsse männlich,
alle Quellen, Wiesen, Auen aber T öchter oder Nymphen hiessen. 1 Dort Al­
pheios, Acheloos oder auch llissos: ein Fluss, ein Strom, ein Wildbach, wie
er phallisch aus Gebirgen durch Gebirge bricht; da Europa, Arethusa, Orei­
thyia, eine Senke, sobald der Fluss durch Ebenen und T äler sich ins Meer
verströmt: kurzum «die Nymphen, T öchter des Acheloos».2 Denn erst wo
sie von steilen Bergesgipfeln in die Uferauen niedersteigen, können Bäche
oder Nymphen, Quellen oder Musen ihre Reigen tanzen.3

Das war dann, 1 971 , unser beider Leben.

Doch welche unter tausenden von Nymphen sind es, die den grossen Fluss­
gott Vater nennen? Welche Nymphen rund um Acheloos zeigen Nymphen­
heiligtum und -denkmal am llissos? 4 Davon schweigen Phaidros, Sokrates
und Platon so beredt wie noch Plutarchos. Eindeutig klare Antwort gibt da­
gegen Apollonios von Rhodos, wenn seine Argonauten (angeblich lange vor
Odysseus) von Kirkes Insel kommend Südkurs halten. Tyrrhenien ist längst
erschlossen, da treibt der Nordwind namens Boreas das Segel hin zur Blu­
meninsel.

vi;a ö' euKpafic; äveµoc; cpepev. aT4Ja öE: vi;oov


KaAfiv, Äv8€µ6eooav E:oeöpaKov. €v9a 7'.iye1a1
I:e1pi;vec; oivovr' Äxe7'.wiöec; r')öeino1v
9e7'.youoa1 µ07'.njio1v. ÖT1c; napa n€ioµa ß67'.01To.
Tac; µE:v äp' eue1öfic; Äxe7'.wi(f> euv118eToa
yeivaro Tep4J1x6p11. Mouoewv µia· Kai noTe ß11oüc;
Suyarep' icp8iµ11v 6öµi')T' €T1 nopoaiveoKov
äµµ1ya µe7'.n6µevar TOT€ ö' äMo µE:v oiwv0To1v.
ÖMO Öe nap8€VIKjic; E:va7'.iyKIOI eOKOV iöeo9a1.
aiei ö' eu6pµou öeöoK11µevai E:K nep1wni;c;
� Saµa öfi no7'.ewv µe7'.111öea v6oTov e7'.ovro.
TllKeö6v1 cp81vu8ouoar 6n117'.eyewc; ö äpa Kai ToTc;

'ieoav E:K oroµ6Twv öna 7'.eip1ov.


Milder wind beflügelte das schiff. bald sahen sie
die schöne insel Anthemoessa· wo die helltönenden

1 Koller, 1 963, 24.


2 PI. Phdr. 263d .
3 II XXIV 6 1 3-61 7, klarerweise Platons Quelle. Dazu vgl. wie immer unvergleichlich Otto,
.

1 955, 1 2.
4 PI. Phdr. 230c.

257
Sirenen· Acheloos' töchter· mit lustvollen gesängen
bezaubern und verderben· wer dort sein tau festmacht.
vom liebesbett mit Acheloos gebar sie schöngestaltet
Terpsichore· eine von den Musen. dereinst dienten sie
Zeus' mächtiger noch unbezähmter tochter und sangen
für Kore im reigen· da wurden sie zur hälfte vögeln·
zur hälfte jungen trauen gleich zu schauen.
stets sahen sie von ihrem guten hafenausguck ringsum
und nahmen vielen ihre honigsüsse heimkehr weg·
weil sie die schmachtenden verzehrten. [. . ] .

nun plötzlich sandten


sie auch ihnen aus den mündern ihre lilienstimme.1

Euripides' Totenseelen kehren also wieder, halb Vögel und halb Bräute, als
Nymphen oder Tänzerinnen ehedem im Dienst der Hadesgöttin, solange
Kore noch die ungeraubte unbezähmte Jungfrau unter lauter Nymphen war.
Einern grossen Fluss, der auch für Sperma steht,2 hat die Muse aller T änze
die Sirenen einst geboren. Nun aber strömen Acheloos und Alpheios alle
zwei nach Westen, um in Siziliens Nymphenquellen ganz wie Kore wieder
aufzutauchen.3 Thamus lenkt daher sein Schiff nur noch soweit die Adria
nach Norden, bis er bei den Paxoi anlangt, zwei kleinen Inseln zwischen
Kerkyra und Leukas. Im Angesicht der „grauen Buckel, auf denen sich die
knorrigen Olivenbäume wie Ringkämpfer an den kargen Boden klammern",4
schwenkt er jedoch auf Westkurs. Um nach Italien und näherhin Tarent zu
segeln, könnten Hochseestrecken schwerlich kürzer sein. (Du weisst, noch
heute legen Autofähren in Brindisi oder Bari ab, um dann von Korfu, Leu­
kas, lthaka den Inselbergen bis nach Patras langzufahren. Der antike nepi­
riAouc;, die Küstenschiffahrt ist nicht tot.)
Wo soll T hamus also, wohl im Auftrag von Pan selber, laut verkünden, dass
der grosse Pan gestorben ist? «Gegenüber Palodes.» Aber dies Palodes
gibt es nicht, wie schon 1 797 Plutarchos' erster deutscher Übersetzer klug
vermerkte.5 Keine Insel, keine Küste kommt in Frage. Die Auskunft Frank
Cole Babbitts, „Palodes" sei „a place in the neighbourhood of Paxi",6 ist da-

1 Ap. Rhod. Argon. IV 891 -903 . Welche Todesart Sirenen bewirken, bleibt also selbst gelehr­
ten späten Griechen völlig dunkel. Dieselbe Genealogie siehe bei Ov. Met. V 552-563 ; Paus.
IX 34, 3; Nonn. Dion. X I I I 3 1 2-3 1 5.
2 Devereux, 1 986, 1 3 1 .

3 Ü ber Arethusa und Alpheios, Sizilien und die Peloponnesos, Persephone und Hades siehe
Ov. Met. V 487-508 und 572-642.
4 Bradford, 1 967, 234.
5 Kaltwasser, in Plutarchos, 1 797, I I I 274: „Was dieß für ein Ort oder eine Gegend gewesen,
ist gänzlich unbekannt. Eben so wenig läßt sich sagen, ob er an der Küste von Italien oder
G riechenland gesucht werden müsse." Eine wahrlich gute Frage.
6 Plutarch, 1 962- 1 969, V 5 1 1 .

258
her sehr viel dümmer. Warum sollte jener namenlose Daimon Thamus einen
Auftrag geben, den er in der Nachbarschaft der Paxoi doch auch selbst erfül­
len könnte? Um Griechen zu vermelden, dass ihr alter Hirtengott gestorben
ist, bräuchte es den polyglotten Seemann aus Ägypten nicht. Mithin kommt
dem Daimon (wie Plutarchos) alles darauf an, die Botschaft nach Italien zu
übermitteln. Griechisch macht das Wort na.>.wöec; schlechthin keinen Sinn;
lateinisch klärt der Name sich sofort (obwohl noch niemand drauf gekom­
men scheint): Paludes sind ganz schlicht, bis hin zu Andre Gides analen
Phantasien,1 •die Sümpfe>. Terentius Priscus, an den der Brief (ganz wie
Pans Botschaft) ja gerichtet ist, wird beim Lesen wenig Mühe haben, Wör­
ter seiner eigenen Sprache, Örter seines eigenen Landes zu erkennen, wo
immer auch die Sümpfe liegen mögen.

Thamus aber zögert, seinen schweren Auftrag zu erfüllen. Wenn gute Se­
gelwinde wehen, will er Palodes lieber stumm umfahren - grade wie Odys­
seus ja angeblich die Sireneninsel. Nur wenn eine Göttin (die wir als Sire­
nenherrin Aphrodita kennen) Windstille und Meeresglätte sendet, soll Pans
Botschaft in die Sümpfe schallen. (Ganz so hat einst Kirke Odysseus zwei
Wege um Sizilien freigestellt: die Strasse von Messina oder Aphroditas Eryx­
Heiligtum. Wenn-dann-Entscheidungen zu treffen, gewährt uns eben nur
die Menschensprache.) Doch das Sirenenwunder wiederholt sich: Die See
schläft spiegelnd ein, Wind und Wellen schwinden, der Ruf kommt an und
findet Antwort. Nur dass anstatt der Blumeninsel Anthemoessa die Sümpfe
treten und anstatt der zwei Sirenen, die aus einem Mund melodisch Hexa­
meter sangen, aus vielen namenlosen Geistern oder Schilfen ein Geräusch
ersteht, das das genaue Gegenteil von Musik ist: white noise.2 Mit Pan,
heisst das, vergehen seine Nymphen, deren tiefstes Wesen die Sirenen
sind.

Plutarchos ist mithin ein Kryptogramm gelungen, das seinen vielen Deutern
kunstvoll trotzt.3 Wenn Pan, der Nymphengott, in Römerohren stirbt, ver­
gehen auch Sirenen und Musik, Erscheinungen der Götter hier auf Erden.
Nicht umsonst bezeugt dieselbe Schrift, nur sie, den Vers des Sophokles,
dass Göttliches vergehen kann, Götter aber nicht.4 Nicht umsonst datiert
Plutarchos seinen Mythos, wann und wie der Mythos selber endet, geogra­
phisch und historisch so genau. Zeit der Erzählung, Zeit des Erzählten -:

1 Gide, 1 958, 87- 1 49. Mit Dank an Horst Ochse.


2 arevayµ6c; heisst eben nicht nur, wie der Totenkult von Ü bersetzern seit dem Neuen Te­
stament es möchte, Stöhnen oder Seufzen ; auch der Donner donnert u nd der Wildbach
rauscht so.
3 Walter, 2001 , 1 1 6: „Die Geschichte ist so rätselhaft, daß noch niemand etwas Einleuchten­
des darüber zu sagen wußte."
4 Plut. De def. or. 9, 4 1 4d
= Soph . Ir. 850 Radt.

259
beide liegen fest. Lauter Zeugen werden angeführt, die das Wort vom Tod
des grossen Pan beschwören könnten.1 Sogar Christen trauen dieser Sage
Wahrheit und Geschichte zu: Am Tag, da in Jerusalem der Tempelvorhang
riss, weil Jesus aus dem Grab auffuhr, sei Pans Tod verkündet worden.2
Aber je mehr Zeugen sich zu Worte melden, um so zweifelhafter wird der
letzte grosse Mythos uns. Der Tod des grossen Pan soll ja erklären, warum
die griechischen Orakel mehr und mehr verstummen. Es ist jedoch schlicht­
weg nicht wahr, dass unterm Friedenskaiser Hadrianus, dem Attika, Athen
und Delphoi, ja auch Plutarchos selbst unfasslich viel verdanken,3 die Orakel
ausser Delphoi alle ausgestorben seien.4 Ihren «Niedergang» wird erst Ju­
lianus, letzter Griechenkaiser, bitterlich erfahren müssen. Denn grade wenn
die grossen Götter, wie sie am Olympos und in stolzen Marmortempeln einst
gewaltet haben, als Beutekunst nach Rom entschwunden sind, kehrt Pan
mit seinen ländlich treuen Nymphen wieder. Es gibt sie nur im Westen nicht,
wo das Reich lateinisch spricht und keine Sage lebt; es gibt sie weiter an
der Adria und auf den Inseln der Ägäis. Denn kaum ein Grieche, so er nicht
im Reichsheer aufzusteigen sucht, nimmt die Mühsal auf sich, die Befehls­
sprache der Sieger zu erlernen. Dagegen kann kein Römer, der nicht auch
fliessend Griechisch spricht und liest, jemals gebildet heissen.

Der Hirtengott ist also gar nicht tot; er wird Roms triumphalen Kaiserkul­
ten bloss verschwiegen. Erstens können nur Daimonen sterben; zweitens
schrumpfen unter Römern bloss die Städte Griechenlands.5 Über seine Dör­
fer wissen wir fast nichts. Aber wie Plutarchos selber sagt, wesen Nymphen
oder Musen immer nur weitab von Städten oder Tempeln an. 6 Je prächtiger
die Hauptstadt Rom vor lauter Beutekunst erstrahlt, desto heimlicher kehrt
Pan als Gott der Wildnis in sein Hirtenland zurück. Südwestlich von Argos,
in den Bergtälern der Kynuria, hat Dorisch noch die Grammophonepoche
überdauert7 - ganz wie Althochdeutsch im tiefsten Wallis. Schrift erreicht
uns Leute nicht immerdar als Göttergabe.

1 De def. or. 1 7, 4 1 9e.


2 So unter anderem Lacan, 1 986, 209, in phantastischer Verwechslung von Adria und Ägäis,
Mythos und Legende: uC'est par le christianisme, dit Hegel, que se complete la destruction
des dieux.- l..'. h omme survit a la mort de Dieu assume par lui-meme, mais ce faisant, il
se propose lui-meme devant nous. La legende paienne nous dit que sur la mer E gee, au
moment ou se dechire le voile du temple, retentit le message - Le grand Pan est mort. " Klar,
Jesus ist unter Tiberius ans Sklavenkreuz geschlagen worden; nur nahmen das die Herren
dieser Erde nicht zur Kenntnis.
3 Plut. De Pyth. or. 29, 409c.
4
3 0CD, s. v. oracles.
5 Plut. De def. or. 8, 41 4a. Viele Ruinen auf dem Festland sind durch Strabon und Pausanias
bezeugt.
6 {= 1 . 1 .2.2.
7 Gemoll,
1 0 1 988, XI.

260
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II

M ESOMEDES RUFT D I E M U S E AN

Was damit freilich endet, ist Musik als kunstvoll kalkulierte Mathesis der vie­
len Stimmungen und Tongeschlechter. Mesomedes aus Kreta, Hofkompo­
nist von Kaiser Hadrianus, schreibt seine Hymnen an die Musen ausnahms­
los als diatonisch schlichte Kinderlieder.1 Pan unterbietet alle Auloskünste
und bläst auf seiner Hirtenflöte. Pythia unter Römern spricht nicht länger
«musisch und poetisch»; sie redet Prosa wie wir alle und Plutarchos selbst.
Dereinst, im stillen zweiten Aufgang Griechenlands, vierhundert Jahre nach
den Bränden von Mykene und Knossos, als mit den Musen auch das Grie­
chenalphabet zur Welt kam, als Delphois Erdspalt nicht Apollon, sondern
noch der Mutter Erde heilig war, soll das Orakel den Hexameter überhaupt
erfunden haben,2 um seine dunklen Worte Ohren tiefer einzuprägen. Men­
schen sind ja so vergesslich und Unsterbliche so taub.3 Plutarchos' Bruder
Lamprios lagert seine Gäste also nicht umsonst am kühlen alten Musen­
quell, der von Dichtern oft besungen im Süden des Apollontempels plät­
schert. Dort gemahnt er sie daran, dass zu Anfang alle Denkenden - ccOr­
pheus, Hesiodos, Parmenides, Xenophanes, Empedokles und Thales» 4 -
nur in Hexametern dichteten und lehrten. Jetzt aber unter Römern sei das
Denken (wie die wenigen verbliebenen Orakel) auf schlichte Prosa umge­
schwenkt. Die pax romana habe Griechenland von Seuchen, Kriegen und

1 Pöhlmann, 1 970, 1 5.
2 Plut. De Pyth . or. 1 7, 402b ; vgl . 27, 407f.
3 Nietzsche, [2 1 887, I I § 84] KGA V/2, 1 1 6.
4 De Pyth. or. 17 f. , 402cf. Thales' Nennung widerlegt das alte endlos wiederholte Vorurteil,
loniens Physiologen hätten sich durch ihre Prosa von Italiens Pythagoreern abgesetzt. Der
Hexameter war viel mächtiger (und nach dem Quantitätenkollaps unerkannter) , als Diels­
Kranz den Vorsokratikern zuschreiben konnten. Nur dass Lucretius auf Plutarchos' Liste
grosser Dichterdenker fehlt, tut bis heute weh . Griechen nahmen Römer eben kaum zur
Kenntnis.

261
Tyrannen längst befreit, so dass Apollon nur noch vor Hochzeiten und Rei­
sen angerufen werde.1 Doch eben dieser Alltag, diese Prosa mache es erst
möglich, Mythisches und Faktisches zu trennen. Die Sprache selbst, der Lo­
gos, entbirgt Plutarchos sich mithin als wandelbar,2 in unseren Worten als
geschichtlich. Hegels Philosophie der schönen Kunst3 dankt ihren Grund­
gedanken einem delphischen Apollonpriester: Poesie und Prosa sind nicht
blosse Redeweisen, wie Platon und die Seinen noch vermeinten, sondern
wahre ccWeltzustände».

Rom setzt also weltweit durch, was Aristoteles gefordert hat: Alle Reden,
sofern sie als Diskurse zugleich Macht und Wissen sind, haben ihre Dun­
kelheiten, Metren und Metaphern aufzugeben.4 Apollon, dessen Seherin zu
Delphoi rast, hört auf, im Zwischenreich von Sagen und Verbergen ccanzu­
deuten» ;5 er spricht prosaisch und semantisch wie wir alle. Ganz wie die
Gerade seit Eukleides die kürzeste Verbindung zweier Punkte heisst, so Py­
thias neue Prosa.6 Dagegen könnte oder möchte Kaiser Julianus - zugleich
Römer, Philosoph und letzter Grieche auf dem Thron - seinen Göttinnen
und Göttern am liebsten Hexameterhymnen weihen, schon um undichteri­
sche ccGaliläer» (also Christen) zu beschämen.7 Doch niemand ausser ihm,
dem Kaiser, kennt und ehrt mehr die Musik. Daher besingen seine Hymnen
Demeter und Helios in nackter Prosa. Daher bietet er zugleich den Sän­
gern, Chören, Musikschulen beliebig hohe Gelder an, um die Seelen, gut
pythagoreisch, durch Musik zu reinigen.

"A.�16v E:onv, e:ine:p äMou nv6c; . Kal rfic; ie:päc; E:rnµe:Ari9fiva1 µou-
01Kfjc;.
Wert ist vor allem anderen, die heilige Musik zu pflegen.8

Damit legt zu Römerzeiten die Pythia alle Wesenszüge ab, die sie mit den
Eichen von Dodona9 und den klügsten Vögeln teilte: Sie sang ja nicht wie
Nachtigallen, nicht wie Chöre im T heater, sondern krächzte wie die Reiher
oder Wotans Raben. Nun wird aus einer unerfahren keuschen Dorfschön­
heit 10 die Prosa der Vernunft, aus einem Tier ein Mensch. Eben deshalb
sterben die Daimonen. Sie sind es, die Seherinnen einst zu Instrumenten

1
De Pyth. or. 28, 408bc.
2 De Pyth. or. 24, 406e.
3 Hegel, 2 1 965, 1 1 3.
4 Plut. De Pyth. or. 25, 407ab; vgl. 30 409d.
,

s sDK 22, B 93 = De Pyth. or. 2 1 , 404de.


s Plut. De Pyth. or. 29, 408f.
7 Julian. Mis. 337b.

8 Julian, Ep. 49, 422ac.

9 Od. XIV 327 f.


10
Plut. Pyth. or. 22, 405cd .

262
stimmten und auf ihren Leibern Lorbeerräusche spielten; nun, da die Daimo­
nen tot wie Pan sind, fällt auch ihr Spielzeug unbenutzt zu Boden. Ein letztes
schrilles Heulen aus dem Schilfrohr, das dem Hirtengott die Syrinx schenk­
te, besiegelt dieses Ende. Schon weil die Götter bei Plutarchos (streng nach
Platon) keine Liebesabenteuer haben, sehr wohl jedoch Daimonen, heissen
die berauschten Seherinnen wilde Instrumente eines Daimons.1

Wahr bleibt selbstredend das genaue Gegenteil: Durch den Mund Pythias
hat Apollon, niemand sonst, geweissagt. Sonst würde Oidipus nicht an sei­
nen Sprüchen sterben. Nur stehen beinah alle Statuen der Olympier jetzt
in Rom, als marmorn kalte Beutestücke auf dem Forum oder Kapitol. Dem
dunklen Rätsel unserer Leiber helfen keine städtisch stolzen Tempelbilder
mehr, nur noch uralte ländliche Daimonen. Seit selbst Orakel als ihr unbe­
wusstes Spielwerk Prosa sprechen müssen, verwandelt sich das �Ci)ov 'A6-
yov exov wieder in ein T ier. Dass Götter ganz wie T iere im Reellen wohnen,
glüht daher als letztes Glück im Abendrot des Griechenlandes auf, während
schon Johannes' Logos siegreich in den Christenhimmel steigt.

«Flectere si nequeo superos, Acheronta movebo.


Wenn ich die himmlischen nicht beugen kann, reg ich den Hades auf.» 2

4.3 .3 Ein Schwein aus Epikuros' Herde3

Plutarchos hat seine vielen Dialoge, die nachweisbare Zeitgenossen mitein­


ander führen, nur einmal in die Zeit der Sage rückverlegt. Statt der klugen
Römergriechen, mit denen er so elegant parliert, spricht die Wahrheit selber.
Ohne jeden Kommentar des Schreibers kommen miteinander ins Gespräch:
die Gott (a 9e:6c;), der Mensch, das T ier. Seinsgeschichtlich ist das völlig
neu. Der Dialog heisst Gryllos oder Grunzer, aber um das blanke Gegenteil
von Grunzen vorzuführen: Auch Säugetieren (nicht nur Nachtigallen) eignet
Menschensprache.

Plutarchos lässt Odysseus erst mit Kirke und dann mit einem ihrer vielen
Schweine sprechen. Eingangs erklärt der Held der Nymphengöttin und Ge­
liebten, er bitte um Erlaubnis, zwar nicht alle die verhexten T iere, aber doch
die Griechen unter ihnen zu entzaubern. (Weil Barbaren jede Sprache ab­
geht.) Kirke lacht und sagt, Odysseus habe sich ja selber nicht zum Gatten
oder Gott verzaubern lassen, sondern sei zu Penelope heimgekehrt. Was
gingen ihn dann ihre zahmen Löwen, Wölfe, Schweine an? 4

1 De def. or. 1 5, 41 7e-1 6, 41 8e.


2 Verg. Aen. VII 3 1 2 . Dazu Freud, 1 946- 1 968, 1 1/1 1 1 VI und 6 1 3 .
3 Hor. E p . 1 4, 1 6 : Epicuri de grege porcus.
4 Plut. G ryll. 1 , 985f-986a. Dass Plutarchos Kalypsos Angebot, Odysseus zu vergöttern (Od .
V 1 35 f. ) , auch ihrem Double Kirke in den Mund legt, zeigt strukturale Einsicht in die Sage :
Plutarchos faltet Mythen aufeinander, lang vor Levi-Strauss.

263
Kirkes Antwort gibt den bündigsten Beleg, wie Griechen das Verhältnis zwi­
schen Göttern, Sterblichen und T ieren denken: als Verschlingung dreier
Seinsbereiche, die sich zum Möbiusband verfugen. „Auf Odysseus' Fahr­
ten ist sein Menschsein selber in Gefahr. Die Menschheit existiert auf einer
Ebene zwischen den T ieren und den Göttern: Kalypso möchte ihn unsterb­
lich machen, Kirke in ein Tier verwandeln."1 Bei Nymphengöttinnen, die auch
Menschensprache sprechen,2 liegt es also, den einen oder anderen Zauber
(wie auf einem Schaltbrett) zu erwirken.

Selbstredend glaubt Plutarchos nicht an solche Mächte, er fabuliert sie nur.


Aber eben weil seit Platon Götter sich nie wandeln dürfen, driften Poesie
und Wahrheit unter Römern fröhlich auseinander. Hier das riAaoµa, auf la­
teinisch die •Fiktion•;3 da die historisch recherchierten Parallelen Lebens­
läufe. Literatur, nur sie, macht mithin aus der µopq>r, , bei Aristoteles der
seiendsten unwandelbarsten aller Wesenheiten, alexandrinisch hochgelehr­
te Literatenspiele, unter denen Formen sich beliebig wandeln lassen. In den
Schranken der Fiktion dürfen Schreiber fortan unerhörte Wesen und Ver­
wandlungen erfinden.4 Einen Griechengott mit Namen Morpheus, der als
«Künstler und Vortäuscher von Gestalten» waltet,5 erfindet erst - so para­
dox wie rekursiv - der Lateiner Ovidius. Morpheus kann die wildesten Me­
tamorphosen mit alten Sagen überblenden und im Kopf der Leser schon
den Trickfilm starten.6 Ganz so wird auch Gryllos, dessen ccSchweinheit»
(ouf")oia) Platons ouoia parodiert,7 erst unter Römern schreibbar. Griechen
deuten ihren Herren leise an, unter welchen tierisch wüsten Masken uralte
Götter nahe bleiben.

Dass Götter T iere sind und Tiere Götter, können die Metaphysik und mithin
das Christentum nicht denken. Form und Stoff sind immer schon zu Geist
und Fleisch verkommen, jener dümmsten Unterscheidung von der Welt. Wir
verlernen sie erst wieder mit Giuseppe Tomasi, dem Herrn von Lampedusa.
Ein Rosario La Ciura, junger Philologe aus Catania, verbringt den August

1 Hall, 1 989, 52: „Odysseus' humanity itself is jeopardized on his travels. Mankind exists on a
plane between the beasts and the gods : Calypso wants to make him immortal, Circe to turn
him into an animal."
5
2 Zu auöri vgl. einzig Passow, 2004, s. v.

3 PI. Tim. 26e ; Plut. De esu carn. 1 , 993c.


4 Lohmann, 1 952, 41 , über hellenistische Wortprägungen wie µopcp6w und µ6P<PQ01c;, die
seinsgeschichtlich schon vom « immanenten Wesensgesetz » zur lateinisch „äusseren For­
mung" überleiten. Lohmann verweist dabei nicht nur auf Sertürners • Morphium„ sondern
auf ein ganzes Wortfeld, das noch unser Denken prägt: •formare, reformare, transformare,
informare• usw. usw.
5 Ov. Met. XI 634 : «artifex simulatorque figurae» .
e Fondermann , 2008 .

7 Plut. Gryll. 2, 986e ; 5, 988f.

264
1 887 in einer einsamen Hütte nah beim Aetna, um fürs Examen seine Grie­
chen laut zu lesen. Jeden Morgen rudert er aufs blaue Meer hinaus. Da
klettert eines Tages, fischgeschwänzt und nackt, die Sirene in sein Boot.
Sie greift ihm in die Badehose, er nimmt sie auf der Stelle. Und hört jetzt
zu: All die dummen Vasenbilder und Euripides haben uns betrogen. Sirenen
spielen keine Instrumente; sie sind nur diese ihre rauhe Stimme.1

Ti sentivo parlare da solo in una lingua simile alla mia; mi piaci, prendi­
mi. Sono Lighea, sono figlia di Calliope. Non credere alle favole inven­
tate su di noi: non uccidiamo nessuno, amiamo soltanto.
Ich hörte dich zu dir in einer Sprache reden, die der meinen ähnelt; du
gefällst mir, nimm mich. Ich bin Ligeia, Kalliopes Tochter. Glaub den
Fabeln nicht, die über uns erfunden sind; wir töten niemand, sondern
lieben nur.2

So lernen wir ganz langsam Griechisch. So lösen sich Sirenenängste. So


gehen zwanzig selig schwanke Sommertage auf dem blauen Meer dahin,
bis Ligeia in den Herbststürmen entschwinden muss. (Wir denken oft an
Hossegor und dein Olymposzelt.) Ihr Liebhaber, weil er Ligeias rauhes Grie­
chisch hören durfte, wird zum berühmten Philologen, der (nach drei Jahr­
tausenden) das vorsokratische Geheimnis der Sirenen wieder sagen kann:
Götter sind wie Tiere oder umgekehrt.

Era una bestia ma nel medesimo instante era anche una lmmortale ed
e peccato ehe parlando non si possa continuamente esprimere questa
sintesi come, con assoluta semplicita, essa la esprimeva nel proprio
corpo. Non soltanto nell'atto carnale essa manifestava une giocondita
e una delicatezza opposte alla tetra foia animale ma il suo parlare era
di una immediatezza potente ehe ho ritrovato soltanto in pochi grandi
poeti.
Sie war ein wildes T ier, aber im selben Augenblick auch eine Unsterbli­
che und es ist schade, dass sich im Sprechen diese Synthese nicht so
fortdauernd ausdrücken lässt, wie sie sie mit vollkommener Einfachheit
im eigenen Leib ausdrückte. Nicht nur beim Liebesakt zeigte sie eine
Freude und Feinheit, die das Gegenteil trüb tierischer Geilheit waren;
auch ihre Sprache war von einer mächtigen Unmittelbarkeit, die ich nur
in wenigen grossen Dichtern wiedergefunden habe.3

1 Lampedusa, 9 2002, 1 1 9.
2 Lampedusa, 9 2002, 1 1 9. Unsere Verdeutschung von • Lighea• bleibt der Odyssee und Poes
Ligeia treuer als der Wortlaut.
3 Lampedusa, 9 2002, 1 22. Wir alle ringen noch um eine Sprache, die wie die Sirenen singen
kann.

265
Gryllos sagt dasselbe schlichter, aber doch auch so, dass in den Tieren
Götter wesen. Beide sind sie im Reellen, nicht wie wir in Form und Stoff,
in Geist und Leib zerfällt. Kirke, höflich wie sie ist, lässt Odysseus mit Gryl­
los allein, um ihm, dem Tier, freie Wahl der Wesenheit geben. (Dass es ein
Schwein ist, erfahren wir als Leser erst recht spät.) cc xdipe:. 'Oöuooe:O -
Odysseus, sei willkommen» ist sein erstes Wort. Gryllos kann also spre­
chen wie Ligeia, erkennt den Helden wie sonst nur Sirenen, hat zwar Bor­
sten, Stimme und Gestalt von Schweinen, aber (wie schon bei Homeros)
noch den vouc;. 1 Trotzdem lehnt Gryllos seine Rückverwandlung höflich ab.
Die Physis seufzt nicht, bis sie in christlicher Erlösung aufersteht (Röm. 8,
22) , sondern spricht ihr griechisch reines Wesen aus. Tiere sind nicht «Al­
lesfresser» wie wir Sterblichen,2 die elendsten der Wesen;3 sie alle wählen
zwischen Fleisch- und Pflanzenkost. Und was die flüchtigste von allen Lü­
sten angeht, sind Rabenwitwen treuer als Penelopeia - treu wie nur Plut­
archos selber.4 T iere paaren sich nur einmal im Jahr, wenn im Frühling mit
den Blumen Aphrodita naht, nicht wie wir Menschen jederzeit und in Bor­
dellen selbst für schnödes Geld.5 Nur Hirten oder Bauern vergehen sich an
ihren Lämmern, Zicken, Säuen, Stuten; nur geile Ehefrauen verfallen T ie­
ren, aus deren Samen dann die Minotauren, Ziegen-Pane und Sphingiden
stammen (TAFEL XXV I). Wenn doch einmal ein Hahn den nächsten besten
Hahn besteigt, dann nicht nach Athener Philosophensitte, sondern nur aus
Not.6 Alles, was die alten Götter angetrieben hat und Denker seit Xenopha­
nes entsetzt, fällt als Laster auf uns Sterbliche zurück: Diebstahl, Mord und
Ehebruch. Der grosse Pan ist doch nicht tot, weil er im Begehren selber rast.

So unfasslich ernsthaft nimmt Plutarchos, belesen oder nicht, Lucretius'


grosses Götterdenken auf.7

Sind dann die T iere nicht den Göttern gleich, die sich an alle Jahreszeiten
halten? Plutarchos lässt die Frage offen. Aphrodita blüht im Frühling, Diony­
sos erscheint im Herbst und Kore west im Winter ab. Nur wir, die Sterblichen,
sind niemals, was wir sollen oder scheinen. Seit Homeros heisst Odysseus
des Laertes ehelicher Sohn, bis wie zum Beweis der Menschenlaster Gryl­
los seine grösste Schande aufdeckt: Noch als Antikleia Jungfrau war, vor
ihrer Ehe mit Laertes also, hat sie ihn von Siphysos empfangen.8

1 Od. X 239 f.
2 Plut. Gryll. 8, 991 c.
3 G ryll. 2, 986e.
4 G ryll. 5, 989a; vgl. Foucault, 1 984b, 1 90-2 1 6.
5 G ryll. 7, 990c. Vor Brunstzeiten im Herbst verschliessen späte G riechen und Römer gern
die Augen .
6 G ryll. 7, 990e-99 1 f.
7 Auf De rerum natura kommen wir in Band 1 1/1 zurück.

8 Plut. Ouaest. Graec. 43, 30 1 d .

266
ccSollen wir verleugnen, Odysseus, dass ein so weiser und erfahrener Mann
wie du doch Sisyphos zum Vater hatte?» 1

Da bricht das Gespräch schroff ab, weil es (wie alle Dichtung seit Hesio­
dos) die unendlich rekursive Frage nach den Liebespaaren stellt, denen
Sprecher oder Sprecherinnen ihr Dasein selbst verdanken. (In drei Jahr­
hunderten Altphilologie scheint das noch niemand aufgefallen.) Nur sind,
unter Römern, die Antworten kein Heldenruhm mehr, sondern plötzlich eine
Schande. Der grosse Pan stammt aus dem Ehebruch von Penelope und
Hermes, Odysseus - wie sollen wir blass sagen? - vorehelich aus einem
Brautschaftsbruch. Sein letzter Satz, dass Tiere (anders als wir Menschen)
die Götter nicht erkennen können,2 wird durch den Götterleugner Sisyphos,
seinen eigenen Vater, glänzend widerlegt. Da bleibt dem grössten Lügner
Griechenlands die Sprache weg. Ein Schwein, das zwar ccden Logos hat»,
doch lieber grunzt und sich im Schlammbad suhlt,3 behält das letzte Wort.

1 Gryll. 1 0, 992e.
2 Gryll. 1 0, 992e.
3 Gryll. 6, 9891; wohl nach Lucr. VI 976-978.

267
4.4 Longos und der Frü h l i ng

Ihr alle kennt die wilde Schwermut, die uns bei


der Erinnerung an Zeiten des Glücks ergreift.
Ernst Jünger, Auf den Marmorklippen

Wir wissen nichts von Longos/Longus, nicht einmal, ob er Grieche oder Rö­
mer war, nur dass Longos unter Römern griechisch schrieb (wie Plutarchos
unterm grossen Hadrianus). Doch nie zuvor und nie danach ist in Europa so
entzückend laut geworden, was die Flucht der Götter unseren Kindern antut.
Auf einmal wollen junge Männer wissen, ob ihre Liebste Jungfrau ist. Karai
und Kouroi können ja nicht mehr erfahren, dass schon ccdie Götter Liebe
machten»; sie haben es fortan von jungen Herdentieren abzulernen. Daran
ändern Video und Internet fast nichts.

Daphnis und Chloe heissen schon seit Amyot ein Meisterwerk. Nur warum
nie junge Böcke, Lämmer, Zicklein?

4.4.1 The finest story i n the world1

Am 1 5. März 1 831 vermerkte Johann Peter Eckermann, der Daphnis und


Chloe eben in Couriers französischer Version verschlungen hatte,2 nach
einem längeren Gespräch mit Goethe:

«Zu dem Schluß von Goethes Novelle wird im Grunde weiter nichts verlangt
als die Empfindung, daß der Mensch von höheren Wesen nicht ganz verlas­
sen sei, daß sie ihn vielmehr im Auge haben, an ihm teilnehmen und in der
Not ihm helfend zur Seite sind.

Dieser Glaube ist etwas so Natürliches, daß er zum Menschen gehört, daß
er einen Bestandteil seines Wesens ausmacht und, als das Fundament aller
Religion, allen Völkern angeboren ist. In den ersten menschlichen Anfän­
gen zeigt er sich stark; er weicht aber auch der höchsten Kultur nicht, so
daß wir ihn unter den Griechen noch groß in Plato sehen und zuletzt noch
ebenso glänzend in dem Verfasser von Daphnis und Chloe. In diesem lie­
benswürdigen Gedicht waltet das Göttliche unter der Form von Pan und den
Nymphen, die an frommen Hirten und Liebenden teilnehmen, welche sie am
Tage schützen und retten, und denen sie nachts im Traum erscheinen und
ihnen sagen, was zu tun sei.» 3

1 Kipling, [1 89 1 ] 1 941 , V 1 67-203.


2 Eckermann, [09.03 . 1 83 1 ] o. J. 60. Wie Paul-Louis Courier de Mare 1 809 fünf verlorene
Romankapitel in Florenz entdeckte, abschrieb und hernach mit schwarzer Tinte übergoss,
beschreibt J. M . Edmonds in Longos, 6 1 989, X I I I-XV I I .
3 Eckermann, [1 5.03. 1 83 1 ] o. J. 6 1 0 f.

268
Fünf Tage später kommen Goethe und sein Sekretär wie Süchtige auf den
Roman zurück. (Wozu der arme Eckermann für einmal seinen Herrn verführt
hat.)

«Goethe erzählte mir bei T isch, daß er in diesen Tagen Daphnis und Chloe
gelesen.

·Das Gedicht ist so schön>, sagte er, •dass man den Eindruck davon, bei
den schlechten Zuständen, in denen man lebt, nicht in sich behalten kann
und daß man immer von neuem erstaunt, wenn man es wieder liest. Es ist
darin der helleste Tag, und man glaubt herkulanische Bilder zu sehen, so
wie auch diese Gemälde auf das Buch zurückwirken und unserer Phantasie
beim Lesen zu Hülfe kommen.»>

Nur auf Eckermanns gelehrten, aber triftigen Einwand, dass «von Gottheiten
bloß Pan und die Nymphen wirksam sind, andere [aber] kaum genannt»,
geht Goethes Altersweisheit ungern ein. Der feigen deutschen Klassik stellt
sich unsere Frage nicht.

«Man müßte ein ganzes Buch schreiben, um alle großen Verdienste dieses
Gedichts nach Würden zu schätzen. Man tut wohl, es alle Jahr einmal zu
lesen, um immer wieder daran zu lernen und den Eindruck seiner großen
Schönheit aufs neue zu empfinden.» 1 Pan darf mithin, nach Goethes Ein­
sicht, auch mit Ziegen schlafen.

Was Longos selber liest, sind nicht Gedichte, sondern Bilder. Er geht auf
einer Insel, die unzufällig Sapphos Lesbos ist, auf die Jagd. Longos gelangt
dabei in einen Nymphenhain, der (o Wunder) Sapphos Strophen wieder in
die Wirklichkeit versetzt. Nein, in keine Diagramme, sondern in die Bilder
einer Liebe. Denn nicht der hohen Ingenieurskunst spätantiker Wassertech­
nik2 trägt Longos Rechnung, sondern dem Gedicht. Kalypsos Höhle kehrt so
schlicht wie möglich wieder. Bäume schatten, Blumen blühen, aus einer küh­
len Quelle strömen viele klare Bäche. (Philologen aus der Curtius-Schule,
die alles das als locus amoenus wegerklärten, hatten ihre Sinne wohl nicht
recht beisammen.) Doch ein im selben Nymphenhain «gemaltes Bild» (ei­
Kwv ypamr)) ist noch um so viel schöner, dass es (wie alte Griechenstädte
seit den Römern) auch Touristen aus der Fremde lockt.3 Alles Schöne, das
im kleinen Attika verkam, bringt der erotische Roman als fabulierte Lebens­
welt zurück.4

1 Eckermann, (20.02. 1 83 1 ] o. J. 6 1 3-6 1 5.


2 Ü ber faktische Nymphenhaine unter Hadrianus siehe Schulz, 2009, 1 40-42 : Der längste
je gebaute Aquädukt sollte im syrischen Gadara einen Nymphenhain mit Fontäne und 22-
Meter-Becken versorgen. So durstig waren Palästina und Jerusalem seit je.
3 Longus, proem. 1 .
4 Vgl. Longus, I I 7, über Mythos und Logos.

269
Nur bitte, wendet uns nicht ein, es habe dieses Lesbos nie gegeben. Wir
waren da - wie Meister Gottfried in der Minnegrotte.1 Es gab in Attika noch
Hirtinnen und Hirten, bevor Athen 2004 (zum zweiten Mal nach 1 896) Olym­
pia verraten hat.

Wir erinnern uns: Die Götter, die vom Chor zur Heilung der Tragödie ange­
rufen worden waren, erniedrigte Euripides zu blassen Bildern an den Tem­
pelwänden. Den Statuen der Sirenen und ihres Vaters Acheloos, wie sie am
llissos standen, kehrte Sokrates den Rücken. Nun geht es umgekehrt um
Rückverwandlung einer Bilderfolge, die die ccPhantasie» 2 (um nicht Rekursi­
on zu sagen) liebevoll vergegenwärtigt. Longos bittet, fast wie Herodotos in
Ägypten,3 einen «Deuter», ihm die gemalte Szenenfolge auszulegen.4 Ob
Longos alle diese Bilder - Nymphen, Findlinge und Liebespaare - gesehen
oder dem Roman zuliebe schlicht erfunden hat, weiss kein Mensch. Was
er zu lesen lernt, ist jedenfalls eine Liebesgeschichte, die seine Prosa ein
zweites Mal geschehen lassen soll. Mimesis der Mimesis - ohne jede Min­
derung an Sein.5 Die «vier Bücher» des Romans begreifen sich daher als
Weihegabe (6v69riµa) an Eros, Pan und seine Nymphen, auf Sapphos In­
sel dargebracht - an letzte oder vielmehr früheste Götter. Die sind ja nicht
nur Griechen, sondern «allen Menschen» noch bewahrt.

ö Kai voooüvra i6oe:ra1 Kai Aunouµe:vov napaµu8r)oe:ra1, rov E:paoeevra


6vaµvr)oe:1, TOV OUK E:paoeevra na1öe:uoe:1. n6vrwc; yap ouöe:ic; NEpwra
ecpuye:v fi cpe:u�e:ra1, µexp1 ÖV KaMoc; n Kai 6cp9aAµoi ßAE:nWOIV.
Mein Weihgeschenk «wird Kranke heilen und Traurige ermuntern, dem, der
geliebt hat, eine Erinnerung und dem, der nicht geliebt hat, eine Lehre sein.
Denn noch kein Mann ist Eros ganz entflohen oder wird ihn fliehen, solange
Schönes ist und Augen sehen.» 6

Sokrates, dem schöne Bräute nichts mehr sagen, nurmehr «das Schöne
selbst», wird im zweiten Satz endgültig widerlegt. Sein Gegenspieler Hippias
von Elis behält das letzte Wort: Es sind schöne Mädchen, auf die wir Män­
neraugen werfen.7 Daher verwandelt sich auch Longos' erster Prosasatz
zurück in einen Kehrreim, der das Pervigilium Veneris, ein Ganznachtfest

1 Gottfried, 3 1 969, 1 71 40-1 7 1 42.


2 [Longin.] XV 1 -9.
3 Hdt. II 1 25, vgl. II 1 06, und Heliod. Aeth. 1 1 9.
4 Zu bildgebenden Verfahren unter Römern vgl. Paus. V 1 6, 1 - 1 9, 1 0, über die Kypsele-Lade
zu Olympia.
5 Carson 3 2003, 86. Vgl. dagegen PI. Resp. X 2, 597b.
6 Longus, proem . 1 -2.
7 <= 3 . 1 .3.2.2.

270
für Venus, als allerhöchster Trost durchstimmt. (Und das unendlich schöner
als goldene oder silberne Lateiner.)

cras amet qui numquam amavit, quique amavit cras amet !


Morgen liebt· wer nie geliebt hat; und wer geliebt hat· morgen! 1

Schlichter lässt e s sich nicht sagen.

4.4.2 And the goats make love

Editorial Note ( 1 978) : Those passages of the translation


which in previous impressions appeared in Latin have now
been replaced by English renderings.
G. P.G., Longus

Was genau hat Longos auf dem Bilderfries erblickt? Die rekursive Nym­
phengrotte.

Ein Ziegenhirt entdeckt im wilden Domgebüsch, wie eine seiner Ziegen


einen Säugling stillt. Er bringt Kind und Ziege seiner Frau nach Haus; sie
täuscht den Nachbarn vor, der kleine Daphnis sei ihr eigener Sohn. Zwei
Jahre später wiederholt sich die Geschichte. Hinter einer bachgetränkten
Wiese entdeckt ein Schafhirt eben jene Grotte, in der auch Longos leicht­
geschürzte Nymphenstatuen und die Weihegaben alter Hirten findet. Im
Hintergrund der Grotte säugen die zwei Zitzen eines seiner Lämmer, das
der Schäfer schon entlaufen glaubt, ein «Kindelein, das weiblich war» . Er
bringt die Kleine seiner Frau nach Hause, die ihrem Findelkind (wie schon
bei Daphnis) den Hirtennamen Chloe beilegt. 2

In Wahrheit stammen beide ausgesetzten Kinder, wie goldene Erkennungs­


zeichen schon erweisen, von reichen Eltern aus der Stadt, so dass am En­
de eine doppelte Erkennungsszene glückt.3 Noch der bukolische Roman

1 Perv. Ven. 8, 1 2, 27, 36 usw.


2 Longus, 1 2-6. - Schon diese arg verknappte Nacherzählung hat uns verzweifeln lassen.
- Erstens gehen im Deutschen (aber nicht im Griechischen) grammatisches und leibliches
Geschlecht unheilbar durcheinander. Warum heisst es nur •das Lamm „ •das Mädchen•?
- Zweitens haben Elr)l\ai, die •Zitzen„ und Elfil\uc; , Chloes •weibliches• Geschlecht, nur auf
griechisch einen Stamm, dessen Wurzel schlichtweg •Säugen • meint. Solange Tiermilch
Säuglingen bekommt, hausen auch wir Menschen im Reellen.- Drittens sind profane Worte
wie •Statue• von einer römisch-christlichen Kunstgeschichte her gedacht, die ihren eigenen
Beginn aufs Jahr von Konstantins Bekehrung setzt (und damit alles Schönste der Klas­
sischen Archäologie belässt) . Wir können also äyal\µa, das Schmückende/Geschmückte
von Götterbildern, Kleidern, Waffen , Kriegsschiffen und Streitwagen (Chantraine, 2 1 999, s.
v. 6yal\l\oµa1) schlichtweg nicht verdeutschen, weil es kein Wort für •feiern, rühmen, stolz
sein, schmücken• allzumal gibt. Euch bleibt nur, den steingewordenen Nymphenreigen in
der Grotte selbst zu träumen oder Longos aufzuschlagen . Wir kommen auf die Minnegrotte
im Band 1 1 1/1 zurück.
3 Das erkennt und überbetont Winkler, 1 990, 1 02 f.

271
befolgt mit ne:p1nE:re:1a und 6vayvc.i>p101c;, Glücksumschwung und Wieder­
erkennung, Aristoteles' Poetik der Tragödie.1 In Wahrheit deuten auch die
Namen, die beide Ziehmütter ersinnen, in höhere Bereiche als den länd­
lichen: Daphnis heisst ein Rinderhirt und Hermessohn, den Aphrodita wie
Anchises liebt;2 Chloe gar, •das frische Grün>, ist ein Beiname Demeters
oder Kares, wenn zwei Göttinnen den Frühling wiederbringen.3

Und dennoch wachsen Daphnis und Chloe ländlich wie in unserem Arkadien
auf. Er hütet Ziegen, sie blass Schafe.4 Als 1 971 alle orthodoxen Osterläm­
mer Attikas schon geschlachtet waren und wir vier in Marathon uns trotz­
dem Fleisch bestellten, kam aus dem Bauernhof ein Todesschrei und nach
einer halben Stunde doch noch Fleisch zu T isch: das letzte Zicklein.5 Beide
leben sie von Obst und Brot und Käse, schon weil nur an hohen Götter­
festen Fleisch geopfert wird. Beide trinken Milch und klares Wasser, wenn
nicht im Herbst Dionysos zur Weinlese einlädt. Deshalb kennen und ver­
ehren sie an Göttern anfangs wirklich nur die Nymphen ihrer Grotte, ihrer
Nacktheit. Ein einziger fiktiver Tempel ist dem Weingott nur in weiter Ferne
vor der Stadt errichtet.6 Die Nymphen schicken ihnen lauter segensreiche
Träume, die schon der Tag darauf erfüllt. Dass sich im Dunkel einer Fich­
te auch Pan, der wilde geile Hirtengott verbirgt, hört Chloe erst im Traum
von ihren Nymphen.7 Da ist sie (wie du) Dreizehn und hat, was Longos nie
erwähnt,8 ihre erste Blutung grad durchlitten. Daphnis ist schon Fünfzehn
und erfährt von einem alten Hirten, dem seine lebenslange Liebe Amaryllis
nachgeht, dass es auch Eros gibt. Ein Gott, den Daphnis' sogenannte El­
tern überhaupt nicht kennen,9 waltet also über erster ahnungsloser Liebe.
So sanft führt Longos ins Begehren ein; so heillos ist zugleich jedoch die
Überlieferung des Griechenlands durch Römermacht durchbrochen, dass
weder Wort noch Schrift die alten Götter weitertragen. Chloe und Daphnis
haben lesen zwar gelernt, 10 lesen aber nie im Leben. (Um so mehr tut es ihr
treuer Dichter Longos.)

1
<= 3 . 1 .2. 1 .

2 Theoc. ld. 1 64- 1 42; Parth. XXIX 1 . Ü ber Daphnis' sizilische Landschaft siehe Stauffenberg ,
1 963, 56.
3 Ar. Lys. 835; Athen. XIV 6 1 8d.
4 Longus, I I I 34.
5 Mit Gruss an Elke und Ludwig Siep.
6 IV 3 . Dass die Zwei nach ihrer Heirat sogar Pan mit einem Tempel ehren (IV 39) , widerlegen
alle archäologischen Befunde.
7 11 21 .

s Winkler, 1 990, 1 04.

9 Longus, 1 8.
10
1 8.

272
Chloe und Daphnis müssen also (fast wie Goethe) wirklich alles wieder ler­
nen. «Was ist Eros, Vogel oder Kind?» fragen sie den alten Hirten hoch
erregt. In beider Träumen taucht der Gott ganz ohne Namen auf.1 Die Frage
klingt daher, als habe Hesiodos nie gedichtet, Platon nie gedacht, ja als gebe
erst ein Eigenname den unsäglichen Gefühlen Halt. «On n'est jamais amou­
reux que d'un nom. » 2 Denn die wahre Liebesgöttin, Aphrodita, ist schon
längst in blasser Sagenzeit verschollen.3 Sie verfugt nicht mehr (mit Em­
pedokles) die beiden Götterpaare Himmel/Erde, Feuer/Wasser. Nein, der
weise alte Hirt erklärt den Liebenden statt dessen, dass Eros über alle Ele­
mente herrscht, den Lauf der Sterne lenkt und im Begehren so von Göttern
wie von T ieren waltet. «Jede Blume ist sein Werk, alles Wachstum sein Ge­
dicht.» (Longos' poeme en prose wundersamerweise eingeschlossen.)

Darum zeigt sich der Geflügelte mit seinem Bogen zwar strahlend jung und
nackt, aber doch als mächtigster und ältester von allen Göttern. Zeus und
sogar Kronos heissen sehr viel jünger.4 Fast zur selben Zeit erklärt Pau­
sanias Eros' unbehauenen Stein in T hespiai zum ältesten Kultbild von der
Welt.5 So selig fromm, als hätten sie nie lesen lernen müssen, tauchen spä­
te Griechen in die Anfänge zurück.6 Von Bronze, Kunst und Marmor, den
geraubten Götterbildern, ist nicht mehr die Rede.

In dieser Urzeit gibt es keine Könige und Helden, also auch die schwere lau­
te Kithara Apollons und der Sänger nicht. Syrinx, Aulos, Lyra - das ist alles.7
Auf Lesbos sind die Nymphen keine Musen, schon weil niemand schreibt.
Chloe lernt von ihnen singen, Daphnis zudem von einem Jünger Pans, wie
man die Syrinx schnitzt und spielt - mehr nicht. In Sümpfen west (wie bei
Plutarchos) der Phallosgott noch immer an. Also auch sein Komplement, die
Scheide.

Syrinx heisst ursprünglich eine Nymphe, die mit Pan nicht schlafen will, aber
nicht, weil sie nicht Liebe machen wollte, sondern weil er «Weder ganzer
Mann noch ganzer Bock ist».8 Syrinx flieht vor seiner Brunst ins tiefe Röh­
richt und verschwindet. Der Gott in seiner Wut reisst lauter Halme aus, hält
inne und bewundert deren Höhlung, bis er sie mit Bienenwachs zur ersten
aller Hirtenflöten fugt. 9 Wann immer eine Braut entflieht, entdecken Män-

1 1 7 f.
2 Lacan, mündlich.
3 Longus, 1 1 1 1 3 und 34; IV 1 7. Ganz wie leider bei Foucault.
4 1 1 5-7.
5 Paus. IX 27, 1 .
6 Vgl. Longus 1 1 4-7 mit Hes. Theog . 1 20-1 22.
7 I I I 23. Die Trompete taucht nur in Vergleichen auf ( I I 26).

8 Welchen Phallos also hat sich Syrinx sonst gewünscht? Eine dunkle Frage, die uns zu Eseln
und Apuleius' Metamorphosen führen würde.
9 1 1 34.

273
ner neue Löcher, Wölbungen und Instrumente. Statt Syrinx' offenen Mund
zu küssen, darf Pan auf seiner Syrinx blasen und die Musik, leicht erigiert,
an junge Männer weitergeben (TAFEL XXV II). Das heisst seit Freud dann
Sublimieren.1 Genauer, nämlich morphogenetisch, ist die Syrinx ein Ver­
bund von lauter Löchern, aber nicht aus Knochen, Därmen, Panzern toter
T iere, sondern pflanzlich sanft. Sie kommt (mit Bach zu sprechen) musika­
lisch ohne Opfer aus. Auch sieben ländlich hohle Rohre spannen - wie die
Saiten - eine ewige Oktave auf, von der höchsten bis zur tiefsten ccNote•>,2
nicht von der tiefsten bis zur höchsten wie bei uns. Assyrisch •kanu„ •hohles
Schilfrohr„ bleibt das Etymon von Kanon (Kavwv) 3 vom Katapult bis zur -

Kanone.

S Y R I N X VE RSCHWINDET IM SCHILF

Wir wissen alle, dass es soviel Glück kaum gibt. Nur hast du mir das Buch
geschenkt, von dem ich heut noch lebe.

Musik kommt also ländlich neu und neugeboren auf die Welt, schon weil
ccalle Nymphen musikalisch sind.» 4 Vom Alphabet der Griechen oder Mu-

1 Lacan, 1 986, 1 93 : «Cette Chose, dont certains d'entre vous ont pressenti la fonction dans
sa relation a la sublimation, est en quelque sorte devoilee avec une puissance insistante et
cruelle. I I est difficile tout de meme de ne pas en voir les echos, car il ne s'agit pas d'une
singularite sans antecedents. Voyez par exemple dans /a Pastorale de Longus l'origine de la
flute poetique. Pan poursuit la nymphe Syrinx qui se derobe a lui et disparait au milieu des
roseaux. Dans sa fureur, il fauche les roseaux, et c'est de la, nous dit Longus, que sort la
flute aux tuyaux inegaux. Pan voulant ainsi, ajoute le poete subtil, exprimer que son amour
etait sans egal. Syrinx est transformee dans le tuyau de la flute de Pan . „
2 S o Ach . Tat. V I I I 6, in der genauesten Beschreibung griechischen Instrumentenbaus, d i e wir
kennen.
3 Burkert, 1 984, 40.
4 Longus, I I I 23.

274
sen ist dagegen keine Rede: fast als sei das Schreiben (schon in Longus'
stillen Sätzen) mit dem Seienden verschmolzen. Selbst die eingeschobenen
Abenteuer dienen nur der Feier solcher reiner Mündlichkeit.

Ein Schiff fährt in die Bucht; die Schiffer singen Lieder, wie sie von Bergen
widerhallen, Chloe lauscht erstaunt und lernt von Daphnis, was ein Echo
ist.1 Er sagt ihr die Sage weiter, dass Echo eine halbe Nymphe war: zwar
Tochter einer Göttin, doch sterblich wie ihr Menschenvater. Sie wahrte ihre
Jungfernschaft (wie das Geheimnis selber des Romans), als Pan das Ge­
genteil begehrte. Da stachelte der wilde Gott die Hirten an, Echos Glieder
(µE:J..11 ) zu zerreissen und in der Mutter Erde zu verscharren.2 So bittersüss ­
mit Sappho - ist die Liebe.3 Echos Leib vergeht, doch eben darum kommen
Echos, kommen Lieder (µE:J..11 ) auf die Welt. «Sie machen alles nach, was
vorher Echo tat: Götter, Menschen, Spielwerke und T iere." Pan rast seitdem
nicht mehr nur auf Nymphenjagd durch Berg und Tal, sondern um heraus­
zufinden, welche unsichtbare Stimme seine Syrinx so allgegenwärtig wie
«verborgen nachmacht.» 4 Longos scheint daher der erste Dichter, der nach
Sapphos grossem Vorgang den Doppelsinn von µE:J..oc; wahrhaft aushört,
statt wie lsidorus, Westgotenbischof von Sevilla, melos falsch und lieb von
•Honig> (µE:J..1 ) abzuleiten.5 Und weil Musik das Seiende im ganzen nach­
macht, gehorchen ihr auch umgekehrt die Tiere. Je nachdem wie Daphnis
auf der Hirtenflöte bläst, heben oder senken seine Ziegen ihre Köpfe, legen
sich zu Boden, flüchten vor den Wölfen oder laufen ihrem Herren wieder zu.
Er hat, ein zweiter Orpheus, die T iere zur Musik gebracht.6

Die grossen Götter sind entflohen. Bleiben nur die ländlichen in ihren T ieren.
Chloe glaubt von Herzen, dass Schaf- und Ziegenherden die «eigentlichen
Götter» sind.7 Daher verwickelt sich auf ungeahnte Weise Pan mit Eros und
Dionysos, um die schönste Liebe von der Welt zu wecken. Pan (und nicht
der Weingott) lässt Efeu spriessen, Delphine tanzen, Schiffsmannschaften
irre werden.8 In Xenophons Symposion hat ein Aulos aufgespielt, damit die
reichsten Männer von Athen zwei verliebte Sklavenkinder den Dionysos mit
seiner Ariadne tanzen sahen.9 Jetzt ist es eine Hirtenflöte, zu deren Klängen

1 I I I 21 f. Erneut steht zu vermuten, dass Longos De rerum natura kannte. Wir kommen auf
Lucr. IV 572-592 im Band 1 1/1 zurück.
2 I I I 23. Vgl. Nonn. Dion. XLII 386 über Pan und Syrinx.
3 Vgl. Sapphos y>.uKun1Kpov (Ir. 1 30 L-P) mit Longus, 1 1 8 und 1 1 1 4.
4 1 1 1 23.
5 « Euphonia est suavitas vocis. Haec et melos a suavitate et melle dicta . » ( l sid. Et. III 20, 4)
6 IV 1 4 1. Von solchen Wundern blieben unserer Nachkriegskindheit - historisch lange vor
-

den Schlachthäusern Chicagos - immerhin noch Hüh und Hott. Jeder Ochse, der sich
schlachten lassen musste, hörte doch auf einen Eigennamen.
7 Longus, I I 39.
8 Vgl . Longus, I I 26, mit Hymn. hom. Bacch. 32-53.
9 <= 1 .3 . 1 .3.

275
Daphnis tanzend Pan nachmacht und Chloe Syrinx auf der Flucht. Doch
da der wilde Gott ja nicht nur einer Nymphe nachstellt, sondern ganzen
Scharen, 1 schwören sie einander lebenslange Liebe - aber wieder nicht
bei Eros, sondern er beim Hirtengott, Chloe bei ihren Nymphen.2 Pan ist der
Phallos, vuµcpri das gute alte Wort für eine Schwellung, die (wie gesagt) erst
spätantike Ärzte unterm Kunstwort •Klitoris• den Leibern selbst verrätseln
werden.

4.4.2.1 A l'ombre des jeunes fil les en fleur


Im ersten Frühling, den die Liebenden durchleben, zählt Chloe dreizehn
Jahre, Daphnis fünfzehn.3 Uns kümmert nicht, wann der Roman entstan­
den ist, sondern wie zwei scheue junge Leiber sich entbergen. Füreinan­
der, voreinander, wie ihr wollt. «Es war die Zeit des ersten Frühlings, und
in den Wäldern, auf den Wiesen und auf den Hügeln blühten die Blumen.
Schon summten auch die Bienen, Vogelgesang schallte, und die Kleinsten
der Herden sprangen umher. Die Lämmer hüpften auf den Halden, die Bie­
nen summten im Gras, und die Vögel sangen im Hain. Überall herrschte
Freude, und die beiden, zart und jung, wie sie waren, wußten nur nach­
zuahmen, was sie hörten und sahen. Die Vögel sangen, also sangen auch
sie; die Lämmer hüpften, also tollten auch sie umher; und selbst den Bie­
nen suchten sie gleichzutun, pflückten Blumen und steckten sie an die Brust
oder flochten Kränze, die sie den Nymphen darbrachten.» 4

Wie schon zu oft gesagt: Die grossen Götter sind entflohen; der Liebe zweier
Hirtenkinder steht nurmehr die Mimesis von Tieren offen. Wir alle singen
mit den Lerchen oder Nachtigallen.5 Das bleibt solange harmlos, wie kein
Blut verströmt und keine Wölfin in den Herden wildert. Vom Monatsblut, wie
Aristoteles es als die ÜAl"'I selbst erdacht hat, ist keine Rede mehr. Griechen
unter Römern geht es nur um die paar Tropfen, die Jungfrauen - vielleicht -
beim ersten Mal verlieren. So propfen sie den Christen ihre Ängste auf.

Im dichten Wald haust eine Wölfin, die blutig in den Herden wildert. Die Hir­
ten graben eine tiefe Grube aus, die sie mit Geäst und Gräsern überdecken.
Doch ist die alte Wölfin (MKa1va) viel zu klug, in diese Falle je zu gehen.6
Wer in die Grube fällt, ist vielmehr Daphnis, weil er zu unbesonnen einem

1 Agelaia, •die aus der Herde• (6ye>.I')) , wird Chloe (wie um Spartas oft bestrittene Mädchen-
herden zu beweisen) ihre Tochter nennen (IV 39) .
2 1 1 37-39.

3 1 7.
4 1 9, nach Ludwig Woldes beinah unfehlbarer dritter Ü bersetzung (Longus, 1 966, 1 9 f.) .
5 Shakespeare, 1 998, 1 026 = Romeo and Juliet, 1 1 1 5.
6 � Burroughs.

276
seiner Ziegenböcke nachrennt. Chloe eilt herbei, um ihm zu helfen. Ein Ret­
tungsseil ist aber nicht zur Hand. Da bleibt nur noch, ihr Mädchenbrustband
(101via) abzuwickeln, damit sich Daphnis an ihm aus der Grube ziehen kann.
Wir erfahren also nebenher, dass Chice schon ein Busen wächst und Mäd­
chen unter Römern nicht mehr ohne Unterwäsche gehen.1 Daphnis dage­
gen, sobald er seinen kurzen Chiton auszieht, steht vor Chloe auf der Stelle
nackt. Die beiden freuen sich, dass er nicht blutet, sondern von der Grube
nur verdreckt ist. Daphnis taucht in ihre Nymphenquelle, Chloes Hände wa­
schen ihn von Kopf bis Fuss. Ihm (schweigt Longos) regt sich dabei nichts.
Chloe dagegen findet seine nackte Haut so weich, dass sie sich beim Wa­
schen selbst berührt und Daphnis noch den ganzen Sommer über badet.
Immer öfter bläst sie eine Syrinx, deren Löcher noch von seinen Lippen
feucht sind, einfach um ihm erste Küsse zu entlocken.2 (So haben wir das
auch gehalten.) Es sind die Mädchen, Bräute, Nymphen, von denen das Be­
gehren rührt.3 Schon Plutarchos schreibt, «dass Mädchen», weil ihr Phleg­
ma heisser ist, «früher als Jungen zum Orgasmus kommen (6pywo1) und
eher zur Fortpflanzung (yewä) hin geschüttelt werden.» Deshalb (schliesst
Plutarchos) gehen sie auch lieber nackt.4 Wir lassen ersteres dahingestellt,
um letzteres zu unterschreiben.

1 1 1 2. Siehe die vielen Brustbinden, die Pompeiis Huren auf obszönen Fresken über ihrer
Liege grad noch tragen (De Caro, 2000, 29.) Nur macht Chices Unterwäsche keine Werbung
wie in Rom und Hollywood .
2 Longus, 1 1 3.

3 So glanzvoll Winkler, 1 990, 1 1 5 f. : „Chice is still leading him by a considerable margin."


4 Quaest. conv. I I I 4, 651 bc.

277
4.4.2.2 Mr. Mojo's risin'1

Im Jahr darauf wird wieder Frühling. Alles kehrt zurück und alles kehrt sich
um. Nun ist es Daphnis, der begehrt. Er leidet zwar den Winter vorher unter
Kälte, Einsamkeit und Schnee. Aber selbst wenn Chloe/Kore dieses Drittel­
jahr bei Hades und im Hades weilen muss,2 macht sie doch heimlich Glieder
schwellen, von den Hoden bis zur Eichel. Denn nur aus Lethe wächst Ale­
theia hervor. Daphnis kommt zur Reife (r)ß11) und wird mit sechzehn Mann. 3
Das überhaupt so hinzuschreiben, ist schon ein Diskursereignis. Gut, die
allererste Ontogenese unserer Geschlechtsmerkmale, primärer und sekun­
därer (von den Hoden bis zum Achselhaar), hat ganz ruhig Aristoteles er­
dacht. 4 Doch erst Lucretius und Longos verwandeln eine kühle T heorie zu­
rück in jugendliches Fleisch und Blut. Der Römer schildert Schritt um Schritt,
wie sich der Junge überhaupt - über Träume, Pollutionen usw. - zum Mann
und Gatten mausert.5 Den Griechen treibt viel eher um, wie es dem einen
Hirtenjungen Daphnis geht.

Wie kommt das? Seit wann, warum, wozu erzählt sich die Erregung unserer
Jugend? Interpreten werfen nicht einmal die Frage auf. Wir können also nur
vermuten: Griechen, die zugleich für Römer schreiben, müssen mit obszö­
nen Lesern rechnen. Sie deuten also vordem Ungesagtes an, halten aber
kurz vor einer Grenze inne. Soll doch die Konkurrenz - schon seit Catullus
- uns noch überbieten! Daphnis lässt sich nicht mehr bloss von Chloe ba­
den, küssen und umarmen, fasst auch nicht mehr bloss nach ihren Brüsten,6
sondern wird in allen «Werken» kühner und beherzter.

«Die Schafe blökten, und die Lämmer hüpften und krochen unter die Mütter,
um aus den Eutern zu trinken. Die Widder folgten den T ieren, die noch nicht
geworfen hatten, jedem dem seinen, brachten sie unter sich und besprangen
sie. Ebenso stellten die Böcke den Ziegen mit brünstigeren Sprüngen nach
und kämpften um sie; und jedes Männchen hatte sein Weibchen und wachte
darüber, dass es nicht heimlich verführt wurde. Solche Schauspiele hätten
selbst Greise für Aphrodita entflammt, wieviel mehr solche, die jung und
schwellend (ocpp1ywvrec;) schon lang den Eros suchten. Sie entbrannten
und verzehrten sich bei allem, was sie hörten, was sie sahen, und wollten
nun selbst mehr als nur Kuß und Umarmung, am meisten aber Daphnis.» 7

1 The Doors, L. A. Woman .


2 Hymn. hom. Cer. 464.
3 Longus, I I I 1 3 : evrißiioac;.
4 Arist. Gen. an. V, passim.
5 Lucr. De rer. nat. IV 1 026- 1 287.
s Longus, 1 26.
7 I I I 1 3. Abweichungen von Waldes keuschem Deutsch, das aus Aphrodita „Liebeslust" und
aus •erigieren• „blühen" macht, sind hier (wie schon bei evriß6w) nötig geworden. I mmerhin

278
Um es zum zehnten Mal zu sagen: Entflohene Götter können uns die Lie­
be nicht mehr lehren. Selbst Pan, halb Gott, halb T ier und noch daimonisch
waltend, kommt in keiner der erzählten Sagen je zum Ziel. Bleibt also nur
die Mimesis von Tieren. Die aber halten sich, im Gegensatz zur Dauerlust
der Menschen, an die vier Jahreszeiten. Das rühmt ja Gryllos seinesglei­
chen nach.1 Die Brunst bricht mit dem Frühling aus und fällt daher mit Säu­
gen und Gebären wunderbar zusammen. So erblickt es Chloe, so erregt es
Daphnis. Nun sind aber Osterlämmer allesamt im Herbst empfangen, Zie­
gen, die im Frühjahr werfen, ebenfalls im Herbst besprungen. Chloe und ihr
Daphnis bewohnen also eine Wunderwelt, die seit Vergilius' Georgica Arka­
dien heisst.

In dieser Wunderlandschaft gibt es keine Schranken, keine Eltern, sondern


einzig schöne junge Leiber. In ihr wird Daphnis selbst zum T ier. Auf einen
Rat des weisen alten Hirten hin fleht er Chloe um die Gunst, die Charis,
sich «nackt an nackt» zu ihm ins Gras zu legen.2 Chloe, bevor sie seiner
Bitte nachkommt, fragt so erstaunt wie nüchtern, ob er denn nicht sehe,
dass Geiss und Bock, Lamm und Widder beim Kopulieren beide auf vier
Beinen blieben: Sie kehre ihm den Rücken zu, damit er sie bespringen kön­
ne. Warum sie, Chloe, also liegen solle? (Mit solcher Klarheit überraschen
Frauen immer wieder.)

Daphnis versucht es lange Zeit in beiden Stellungen, erst liegend, wie der
Hirte rät, dann stehend, wie es Chloe und die Tiere nahelegen. Das heisst
zu unserer Freude «Mimesis der Böcke». Doch ob ab adverso, ob a tergo,
er findet weder in die Scheide noch zu seiner Lust. 3 Daphnis bricht in Tränen
aus und klagt, in «Liebeswerken sei er unerfahrener als jeder Schafbock».4
So kehrt die Mathesis zuletzt zu ihren unerzählten Ursprüngen zurück. Nicht
erst die Geometer erfinden Lagen, Formen, Stellungen (oxf)µara) ; das tun
wir alle schon zu zweit im Bett. Ein hellenistisch breiter Buchmarkt hat von
nichts anderem gehandelt, jedoch die Klosterabschriften nicht überlebt. Erst

unterschlägt Weide nicht ständig (wie Engländer seit 1 657) das Wort <nackt • . So noch J. M.
Edmonds in Longus, 6 1 989, 79, 8 1 , 83, 1 49 und 247.
1 Davies, 1 987, 21 , referiert die Anthropologin Helen Fisher wie folgt: „In keiner anderen
Spezies, ob Elefant oder Mücke, gibt es Weibchen , die eine derart gleichmäßige Liebes­
bereitschaft zeigen, denn sie unterliegen dem Ö strus, einer Periode der Brunst, in der sie
kopulationsbereit sind, während sie sonst jeglichen sexuellen Kontakt meiden. Bei vielen
Säugetieren tritt diese Periode nur einmal jährlich während der Paarungszeit ein."
2 1 1 1 1 4 : yuµvri yuµvijl. Philetas' Ratschlag siehe in I I 7.

3 Lacan , 1 966, 687 : « Cette ignorance [du vagin] est tres suspecte de meconnaissance au
sens technique du terme, et d'autant plus qu'elle est parfois controuvee. Ne s'accorderait­
elle qu'a la fable ou Longus nous montre l'initiation de Daphnis et Chice subordonnee aux
eclaircissements d'une vieille femme?»
4 Longus, 1 1 1 1 4: KPIWV 6µa9€mepoc; eic; Tcl eporoc; epya.

279
Lucretius wird solchen Stellungen mit dem Pythagoreernamen harmoniae
ihre Ehre rückerstatten.1

Soviel zu Daphnis' unerfüllten Harmonien. Ob Chice dabei etwas fühlt und


sagt, verrät uns der Erzähler nicht.

4.4.2.3 0 Schoss vol l Blut und Wu nden

nap9evla. nap9evia. noT µe Aino10' anoixn ;


Where are all the flowers gone?
Sappho, fr. 1 1 4 L-P

Doch Rettung naht, sowohl den Werken wie dem Wissen. Lacan bestreitet
ganz zu Recht, dass jeder Mann, wie Freud von sich und Sophokles behaup­
tet hat, mit seiner Mutter schlafen wolle.2 Es gibt zwar einen Ödipuskomplex;
er hat nur gar nichts Tragisches, sondern ist ein Dramolett.

«Übrigens ist die sexuelle Beziehung den Würfelwürfen ausgeliefert, die auf
dem Feld des Anderen spielen. Sie bleibt den Erklärungen ausgeliefert, die
man ihr gibt. Sie ist der Alten ausgeliefert, die es braucht - und das ist
keine leere Fabel -, damit Daphnis lernt, was er machen muss, um Liebe
zu machen. ( . ] Die Wege dessen, was man als Mann oder Frau machen
. .

muss, sind gänzlich dem Drama, dem Szenario preisgegeben, das sich im
Feld des Anderen anspielt - das ist recht eigentlich der Ödipus. ( ... ] Ich
habe da die alte Frau aus der Geschichte von Daphnis und Chice angeführt,
deren Fabel uns vor Augen stellt, dass ein letztes Feld, das der sexuellen
Erfüllung, existiert, dessen Wege der Unschuldige schlussendlich gar nicht
kennt.» 3

Damit widerruft Lacan zu unserer Freude alles, was er vordem (mit Freud)
am jüdisch-christlichen Vater gewürdigt und gefeiert hat, seltsamerweise
aber doch im Blick auf einen Griechen namens Oidipus.4 ccLe nom-du-pere»
zerfällt in viele grause Namen, hinter denen sich Astarte birgt.5 Um Aphro-

1 Lucr. IV 1 248. Darauf kommen wir im Band 1 1/1 zurück.


2 Freud, [1 5 . 1 0 . 1 897] , 1 986, 293.
3 Lacan, 1 973b, 1 81 - 1 86: « Pour le reste, la relation sexuelle est livree aux aleas du champ
de l'Autre. Elle reste livree aux explications qu'on lui donne. Elle est livree a la vieille de
qui il taut - ce n'est pas une fable vaine - que Daphnis apprenne comment il taut faire
pour faire l'amour. Les voies de ce qu'il taut faire comme homme ou comme femme sont
entierement abandonnees au drame, au scenario, qui se place au champ de l'Autre - ce qui
est proprement l'OEdipe. [ . . . ) J'ai invoque la la vieille femme du conte de Daphnis et Chloe,
dont la fable nous represente qu'il est u n dernier champ, le champ de l'accomplissement
sexuel, dont en fin de compte, l'innocent ne sait pas les chemins . » Dass «Vieille femme»
kein zweimaliger Lapsus ist, sondern eine üble Fehlleistung, zeigt Lacan , 1 966, 669.
4 Lacan, [1 938) 1 973- 1 980, 62-77.
5 Lacan, 2006.

280
ditas ars amandi durch die Geschlechter fortzupflanzen, braucht es keine
Kernfamilienstruktur. Irgend eine ist genug.

So weit, so gut. In der Pastorale, wie Lacan sie nennt, gibt es einen rei­
chen Bauern, der ein junges Weibchen (yuva1ov) aus der Stadt heimführt.
Er selbst ist alt und ccent-ephebt» (naprißwv) - ein Wort, das uns im Deut­
schen abgeht, aber klarmacht, was gemeint ist -; Lykainion dagegen hasst
das Leben auf dem Land, schon weil sie vor jugendlicher Reife strotzt (w­
pdiov) . Lacan bringt also alles durcheinander, vielleicht weil seine erste Ge­
liebte fünfzehn Jahre älter als er war oder eine Kundin seines Vaters ihn mit
Siebzehn in die Liebe einwies.1 Den alten Mann verlässt die Hebe, Daphnis
hat sie eben erst beseelt (E:vrißwv) . Was wunder, dass Lykainion zweimal
ihren Mann belügt, um dem Hirtenjungen nachzustellen. Im Dickicht eines
Waids verborgen, sieht sie zu, wie Daphnis Chloe zu besteigen sucht und
doch am Werk der Liebe scheitert.2 Darin gleicht Lykainion aufs Haar der
Wölfin Lykaina,3 die selbst in keine Falle ging, aber deren Falle Daphnis
einst zur Falle wurde: Aus Angst, er würde bluten, zog er sich zum ersten
Mal vor Chloe aus. Und siehe an: Lykainion heisst •kleine Wölfin•. Auch sie
wird Daphnis nackt ausziehen, um Lust und Blut ineins zu setzen.

Sagen wir es so: Longos konnte schreiben. Viel dunkler oder rätselvoller,
als den meisten Deutern schwant. Deshalb begnügen wir uns (wie bei der
Odyssee) mit schlichtem Nacherzählen.

Lykainion lügt auch Daphnis etwas vor, um ihn von Chloe wegzulocken. Ein
Adler habe ihre schönste Gans gestohlen, er möge sie doch retten; die Nym­
phen hätten ihr im Traum gezeigt, wie gestern seine Tränen flossen. (In
Wahrheit hat das Wölfchen den tumben Liebesspielen zugeschaut.) Doch
beiden Lügen folgt bald Klartext: Die Nymphen hätten ihr, Lykainion, befoh­
len, Daphnis das «Werk der Liebe beizubringen». 4 Das nennt der Erzähler,
spätantik abstrakter, E:pw11Kfl na1öaywyia, •erotische Erziehung•.5

Lykainion bittet also Daphnis, neben ihr ins Gras zu sinken und sie, wie
Chloe, lang und tief zu küssen. Sie prüft kurz nach, ob er ihm schwillt
(ocpp1ywv) , um zufrieden und unmerklich unter seinen Leib zu gleiten. Dann

1 Roudinesco, 1 996, 99 und 37.


2 1 1 1 1 5 f.
3 Dies Wort ist so ausschliesslich Dichtern vorbehalten, dass es auch Eigenname werden
kann.
4 III 16 f. Ausserhalb von Träumen erscheinen Götter also nicht mehr.
5 I I I 1 9.
- Flauberts Education sentimentale, Robbe-Grillets Roman sentimental, ja selbst
Foucaults Volonte de savoir wären von daher neu zu lesen . Es ist nicht wahr, dass unter
allen Hochkulturen nur China, Japan, Indien, Rom und der Islam eine ars amandi lehrten
(so Foucault, 1 976, 76 f.) , nicht auch das Griechenland . Sicher, Foucault hat später tätige
Reue gezeigt, vor lauter Erosliebe aber Aphrodita überlesen .

281
braucht das Wölfchen gar nichts mehr zu tun. Die positio obversa normalis
ist erreicht.1

aurri yap ri cpuo1c; AOlnov E:naiöeuoe TO npaKTeov.


«Denn was noch zu tun blieb, lehrte die Physis selbst.» 2

Wir könnten also glauben oder hoffen, der «Begriff der Physis» 3 sei ein
Jahrtausend lang stabil geblieben. Dem ist nicht so. Daphnis und Lykaini­
on kehren vom Orgasmus (einem späten Griechenwort) wieder auf die Welt
zurück. Daphnis will sofort zu Chloe laufen, um ihr sein neues Wissen zu
bescheren. Da hält das Wölfchen ihn mit einer letzten Lehre oder Lüge auf.

ccDu musst noch etwas lernen, Daphnis. Weil ich zufällig eine Frau bin, hat
es heut nicht weh getan. Vor langem hat ein anderer Mann mir all das bei­
gebracht. Dafür nahm er meine Jungfernschaft zum Lohn. Doch wenn du
mit Chloe denselben Ringkampf ringst, wird sie jammern und weinen und
soviel Blut hergeben, als würde sie erstochen. Du aber fürchte dieses Blut
nicht! Sobald du sie überredest hast, sich dir hinzugeben, führ sie an diesen
Platz! Damit sie niemand schreien hört, niemand ihre Tränen sieht und sie
ihr Blut im Quell abwaschen kann. Nur halte im Gedächtnis: ich, vor Chloe,
habe dich zum Mann gemacht.» 4

Worauf die kleine Wölfin rasch im selben Wald verschwindet, aus dessen
Schutz heraus die grosse wildert.

Wir aber reiben uns die Augen. Wie kann es sein, dass dieser Schmerz,
dass dieses Bluten nie zuvor zur Sprache kam? Fast tausend Jahre tren­
nen Longos von Homeros, tausend Jahre einer selben Sprache. Doch keine
Frau hat je zuvor behauptet, dass sie beim ersten Mal gelitten und geblu­
tet hat: weder in der Dichtung noch in der Geschichte, um von der Medi­
zin zu schweigen.5 Sappho schreibt ein ganzes Buch von Hochzeitsliedern,
und wenn Oidipus um seine beiden T öchter klagt, dann weil sie Jungfrau­
en bleiben müssen, ccungefreit und ungemannt» . Bevor Euripides zum Ge­
genangriff antritt, erwarten Bräute also Männer, die wie Götter oder Tiere
nahen. Aber selbst der heuchlerische Künder lauterer Jungfernschaft, ehe­
licher Treue und Athener Rassenreinheit denkt nicht im Traum daran, dass
Kreusa in Pans Höhle je ein Tropfen Bluts geflossen sei. Das Hymen gab

1 Van de Velde, 20 1 928, 220. Hätten wir 1 953 je daran gedacht, dies kluge und versteck­
te Buch nach 56 Jahren zitieren zu dürfen? Zweifel bleiben nur an der Normalität dieser
Stellung. Wir glauben eher belegt zu haben, dass sie eine ältere Reitstellung abgelöst hat.
Schon in der Tetraktys schwebte die Zwei über der Drei.
2 Longus, 1 1 1 1 8.
3 Heidegger, 1 967, 309.
4 Longus, I I I 1 9.
s Sissa, 1 990, 1 .

282
es einfach nicht - nur Hymenaios, den alten Festgesang und Gott der Hoch­
zeitsnacht.1 Wenn der grosse Frauenarzt Soranos, der unter Hadrianus heilt
und schreibt, ausnahmsweise solche Häutchen findet, schneidet er sie so­
fort weg, um kranken Mädchen Schmerzen zu ersparen. 2

Daphnis aber geht es ganz wie uns. Er staunt. In Lykainions Scheide hat er
eine Lust erfahren, die nach ihren Worten süsser und auch länger als die
aller T iere ist.3 Dass seine frohen «Hüpfer„ (n11öfiµ01a) Chloe nur Schmerz
und Wunden bringen sollen, erschreckt ihn daher tief. Seine schlichte Frage,
wie sich Mann und Frau am schönsten paaren, hat Lykainion in eine Frage
nach Gewalt verkehrt. Die aber stellt sich gar nicht Chloe, sondern ihrem
scheuen Freund.4 Daphnis, der cceben Eingeweihte„ (apr1µa9r)c;) , unter­
drückt den ersten Drang (6pµf)) , gleich auf der Stelle Chloe einzuweihen.
Lieber bleibt er seiner Liebe treu. Das Hymen: ein Phantasma oder ccTrau­
ma„5 junger Männer, von Eltern oder schlauen Wölfinnen erdacht. Das wird
erst - zweihundert Jahre später - der Christendichter Nonnos ändern: Be­
trunkene Nymphen, die Dionysos im Schlaf geschändet hat, finden beim
Erwachen ihre Unterwäsche rot und weiss befleckt. Ein Gerücht wird end­
lich wahr. 6 Es ist Lykainions Begier, als unsterbliches Gespenst in Daphnis'
Herz zu spuken.

Longos schreibt sein viertes Buch ganz offenbar, um dieses Grausen ab­
zuwenden. Das heisst seit Aristoteles Katharsis. Eros muss nicht Chloe ir­
gendwelche Ängste nehmen, sondern Daphnis' Kinderherz von Furcht und
Mitleid heilen. Deshalb ist (im Unterschied zu Nonnos) auch nie von Sper­
ma, nur von Blut die Rede.

Chloe staunt wie wir, dass Daphnis sich verändert hat. Solang sie weiter
nackt beisammen liegen, wäre sie so leicht zur Frau zu machen. Doch Daph­
nis fürchtet seine eigene Glut und verbietet ihr, sich wie früher auszuziehen.
Chloe ist zu scheu, ihn nach dem Grund zu fragen.7 Ein volles Liebesle­
ben stünde also beiden offen, wenn ein Gerücht es nicht verhexen würde.
Selbst Chices sogenannter Vater findet, zwei so Verliebte dürften doch nun
langsam miteinander schlafen.8 Zudem verlangt ein junger Städter namens

1 Sappho, fr. 1 1 1 - 1 1 4 L-P.


2 Auch nach Heliod. Aeth. IV 10 ist das Begehren junger Frauen eine Krankheit, die erst die
Hochzeit heilt.
3 Longus, 1 1 1 1 7.
4 1 1 1 20. Das verkennt Winkler, 1 990, 1 04, 1 1 8, 1 20 und 1 25, der vermutlich sich als angstvoll
junge Frau Michel Foucaults beschreibt. Es geht eben nicht um mediterrane Anthropologie,
sondern um Seinsepochen.
5 Longus, III 20.
6 Wir kommen in Band 1 1/2 darauf zurück.
7 1 1 1 24.

8 1 1 1 30.

283
Gnathon, dessen •Schlund• nur Knaben liebt, Daphnis nach ein paar ver­
spielten Küssen, ihm den Rücken zuzukehren und sich ccvon hinten» wie
die Ziegen aufzutun. So kehrt das scheueste aller Liebesspiele wie ein Alp
zurück. Der Ziegenhirt - noch viel vertrauensseliger als Gryllos, der solche
Unnatur zumindest Hähnen einräumt - schwört bei allen seinen T ieren oder
Göttern, dies Gelüst sei Böcken, Ebern, Hähnen gänzlich fremd, also auch
ihm selbst.1 Immerhin, er kann jetzt eifersüchtig denken, dass Chloe, die
so gerne weiter nackt in seinen Armen läge, sich dem ersten besten Bau­
ernjungen hingibt.2 Auch nimmt sein wahrer Vater ihn vor der Hochzeit kurz
beiseite, um die Frage aller Fragen loszuwerden. Nein, schwört Daphnis re­
kursiv, bei Lykainions erdachtem Hymen: Zwischen uns gab es nur Küsse
oder Schwüre. Da ist Dionysophanes, •der wie Dionysos erscheint•, mit sei­
nem Sohn zufrieden.3 Daphnis' Angst verfliegt, denn Wahrheit ist zu Wort
gekommen. Zum ersten Mal, seit wir die Griechen lesen, fallen Hochzeitsfest
und erste Liebesnacht zusammen. Ab sofort heisst yaµoc; einfach yaµoc; .
Keine Hera braucht vor Zeus' erregten Blicken ihm wieder jene blutbefleckte
Wäsche vorzuführen, die sie damals (hinterm Rücken beider Eltern deflo­
riert) angeblich anbehalten hat.4 Die Dinge fügen sich von selbst.

So kommt es denn zum grossen Festgelage. Römisch-griechischer


Beamtenadel schmaust und trinkt den ganzen Tag mit Lesbos' armen Hir­
ten. Ein goldener Herbst hat neuen Wein geschenkt. Alle jungen Männer,
die an Chloes vage Keuschheit jemals rührten, sind geladen. Sogar Lykai­
nion und Gnathon,5 die Daphnis unerahnte Wege des Geniessens aufge­
wiesen haben, schliesst diese letzte freie Überschau der grossen Aphrodita
ein, nicht aus. Die Gäste können zwar nicht mehr - wie unser aller Heldin
Sappho - Hochzeitslieder für die Götter und uns Sterbliche erdichten. Doch
während vor dem Brautgemach Syrinx und Schalmei ertönen, cchacken hei­
ser rauhe Sängerstimmen» immer noch ccdie Erde» namens Chloe ccauf».6
Honi soit qui mal y pense.

6acpv1c; öE: Kai XA611 yuµvoi ouyKarai<>.1eevrec; nep1eßaMov 6Mr1Aouc;


Kai KOTeq>iAOUV, aypunvr'ioavrec; rfjc; VUKTOc; ÖOOV OUÖe yAaÜKec;. Kai
eöpaoe Tl 6aq>v1c; wv aur6v E:naiöeUOe /\uKaiv1ov. Kai TOTe XA611 npwrov
eµa9eV ÖTI TC E:ni rfjc; ÜA'lc; VeVOµeva �V na1öiwv naiyv1a.

1 IV 1 2. Soviel gegen Winkler, 1 990. 1 1 3 , der Daphnis alle Homophobie abspricht.


2 IV 28.
3 IV 3 1 . - Dass Jungfräulichkeit nicht mehr aufs Wort geglaubt wird, sondern technomagisch
überprüft, beschreiben erst viel spätere Romane (Ach. Tat. V 20, 5, und V I I I 5, 7) . Dass auch
der Bräutigam die Ehe unbefleckt eingeht, erwarten erst Heliodoros' hinreissende Aithiopika
(Aeth. 1 1 1 1 7 und IV 1 8) und Kaiser Marcus Aurelius von sich selbst ( M . Aur. Med. 1 1 7. Dazu
Foucault, 1 984b, 1 95 !.) .
4 Vgl . Nonn. Dion. XXX I I 32-35 mit I I . XIV 295 1.
5 Longus, IV 37.
6 IV 40.

284
«Daphnis und Chloe aber legten sich nackt zueinander, umarmten und küss­
ten sich und schliefen noch viel weniger als Eulen. Daphnis vollbrachte, was
Lykainion ihn gelehrt hatte, und Chloe erfuhr erst jetzt, dass alles, was am
Waldrand einst geschah, Kinderspiel gewesen war.» 1

So endet denn die letzte Liebessage beinah wie die erste. Held und Heldin
sind nach langer Trennung liebevoll im Bett vereint: Odysseus endlich wieder
mit Penelopeia, Daphnis zum ersten Mal mit Chloe. Der Held, wenn ihm das
Werk der Liebe glückt, muss seiner Liebsten ja nicht unbedingt verraten,
was an Erfahrungen er mitbringt. Die Heldinnen genau so wenig. Dorkon,
der eine ahnungslose Chloe einst hat schänden wollen, darf sie im Sterben
doch noch küssen.2 Von alledem hört Daphnis (wie Odysseus) nichts.

Neu ist nach fast eintausend Jahren Griechenland nur eins: Chloe und
Daphnis sind keine Heldinnen und Helden der Sage mehr, sondern fast noch
Kinder. Longos' wundersame Kindersprache macht das bezaubernd nach.
So ersetzen Dichter unter Römern die entflohenen Götter, damit sich Teen­
ager, die Aphrodita nicht mehr spüren, von ihrer Mimesis der Herdentiere
bis zum Glücksfall (n'.Jxri) einer kleinen Wölfin steigern können.

Von der einen Seite fliesst das Sperma, von der anderen nichts als Liebe.
Jedenfalls kaum Tränen oder Blut. Die erste Liebesnacht bleibt auch als
Hochzeit selig schön. Daphnis' (und nicht Chices) Angst vor Jungfernhäuten
war ein Kindervorspiel, grade mal zwei Lenze lang. Chloe hat mit alldem
nichts zu tun. Sie spürt nur Aphroditas Charis.

Odysseus und Penelopeia, Pyramos und T hisbe, Daphnis und Chloe, Tristan
und lsolde, Romeo und Julia, Humbert Humbert und Lolita... Und wenn sie
nicht gestorben sind, so leben sie noch heute. Grad wie du und ich.

1 IV 40. Das Griechische leitet •Spiel• - wie ja auch Lykainions education sentimentale - vom
Wortstamm •Kind• ab. Wir Römer und Barbaren leider nicht.
2 130.

285
Jetzt aber endiget, seligweinend,
Wie eine Sage der Liebe,
Mir der Gesang, und so auch ist er
Mir, mit Erröten, Erblassen,
Von Anfang an gegangen. Doch Alles geht so.
Hölderlin, Am Quell der Donau
0 Anhang

0.1 Dank an

H u bert B u rda
Christa Maar
und
Rene Ag uigha
Max Dax
Anne Dippel
Francesco Fiorentino
Marino Freschi
Alexander Kluge
To m Lamberty
Martin Pasek
Cord Riechelmann
Giovan n i Sampaolo
Klaus Scherpe
J ü rgen Pau l Schwind
Wolfgang Storch
Tom Lam berty
E l isabeth Wag ner

0.1.1 Musik und Mathematik 112

G raphik Joulia Strauss, Lukas Feigelfeld


Karten Peter Kast
G riech isch Gerhard Scharbert, Gerald Wildgruber
Latein Garste n Sehmieder
Recherche Tania H ron
li\TF){ Friedrich Kittler, Pau l Feigelfeld
SysOp Pau l Feigelfeld
Lektorat Susanne Holl
Verleger Raimar Zons

289
0.1.2 Sonderzeichen und Siglen

griech isches Fragezeichen


griechische und deutsche Sprechpause
geht bitte zu rück ( M asche)
=? geht bitte vorwärts (Gabel)
*Silbe- sprachgeschichtlich ersch lossene Wu rze l n , Stäm me, Wörter
< sprachgeschichtliche Herleitu ng
Etymologie
" „ lest einen heiligen Text
Zitate in heiligen Texten
lest einen profanen Text
Zitate in profanen Texten
[. . . ) bei Eigen name n : falsche Autorzuschreibung
[. . . ) in Zitaten : u nsere Au slassungen oder Kommentare
Sp. Spalte (statt Seite)
N Menge der natü rlichen Zahlen

IQ! Körper der rationalen Zah len


� Körper der reellen Zah len

rx n-te Wurzel aus X

L.7 Summe von i bis n


lim G renzwert von x nach n
x�n

DK Diels-Kranz (Herausgeber) , D i e Frag mente der Vorsokratiker.


Griechisch und deutsch
EE Edition Eulenburg
FG H Felix Jacoby (Herausgeber) , Die Frag mente der griechischen
H istoriker. Acht Bände. Leiden 1 749
GA Heidegger, Gesamtausgabe
II. Homeros, l l ias
KGA N ietzsche, Kritische Gesamtausgabe
LCL The Loeb Classical Library
LSJ Liddel l-Scott-Jones
2ocD Oxford Classical D ictionary. Zweite Auflage. Oxford 1 949
30C D Oxford Classical D ictionary. D ritte d u rchgesehene Auflage.
Oxford 2003
Od . Homeros, Odyssee
PG Migne, Patrologia G raeca
PhB Meiners Phi losophische Bibl iothek
PL Migne, Patrologia Latina
rde Rowoh lts deutsche E nzyklopäd ie
RE Real - E ncyclopäd ie der classischen Altertumswissenschaft
OCT Oxford Classical Texts (Scriptorum classicorum bibliotheca oxoniensis)
UB Reclams Un iversal -Bibliothek

290
0.1.3 Bildnachweise

0.1.3.1 Band 111

SCH UTZUMSCHLAG
Liebespaar. Schuwalow-Maler ( u m 430) , gefunden in Lokroi Epizephyrioi.
Staatliche Museen zu Berlin. Antikensammlung l nv. F 24 1 4. Photographie Johannes
Laurentius.

FARBTAFELN
Tafel 1 : The State Hermitage Museum , St. Petersburg . Recherche und
Phographie Anastasia Mikljaewa. (Erster Farbdruck) .
Tafel 2 : Photographie Tania H ron, April 2004, Photomontage Joulia Strauss.
Tafel 3 : Phorminxspieler mit Vogelgöttin aus Pylos (-1 200) . Messenisches
Chora, Arch . Museum l nv. 43 H 6.
Tafel 4: Phorminxspieler aus Keros (-2500). Athen, Arch. Nationalmuseum
l nv. 3908.
Tafel 5: Tänzerinnen aus Taras. Aus: Cerchiai, 2004.
Tafel 6: Nackttänzerinnen aus Olympia. Athen. Arch. Nationalmuseum l nv.
X 6236.
Tafel 7: Sappho und Alkaios. München, Staatliche Antikensammlungen.
Tafel 8: Silenes von Dodona. Nationalmuseum Athen, l nv. KAP 22.
Tafel 9: Heratempel bei Kroton . Aus: Cerchiai, 2004.
Tafel 1 0: Heratempel bei Metapontion. Aus : Cerchiai , 2004.
Tafel 11: Fraktaler Farn. Fractint, von uns nach Linux-XWindow portiert.
Tafel 1 2: Aus: Griechische Präsidentschaft der Europäischen Union (Hg), 2003.
1 2a: Rekonstruierte Leier. Alabasterfrag mente aus dem Palast von Knossos,
spätminoisch 1 500-44. l raklion, Arch. Museum l nv. M . H . 1 07 . 1 79.
1 2b: Schildkrötenpanzer als Resonanzboden. Arta (Ambrakia), Arch. Museum .
l nv. AE 5646.
1 2c: Doppelaulos aus Pydna, 4. Jh. Thessaloniki, Arch. Museum lnv. nu
1 00.
1 2d : Rhombos aus Alabaster. 5. J h . Patras, Arch. Museum l nv. 1 3 1 9.

29 1
0.1.3.2 Band 112

SCH UTZU MSC H LAG


Duris, Hetäre und Aulosspieler. London , British Museum.
Computergestützte Restauration von Joulia Strauss

FAR BTAFELN
Tafel 1 3 : Ludovisischer Thron. Rom, Römisches Nationalmuseum.
Tafel 1 4 : Arsinoe II. Ägyptens versunkene Schätze.
© Franck Goddio, Photo Christoph Gerigk.
Tafel 1 5: Alexandersarkophag. Archäologisches Museum lstambul.
Tafel 1 6: Duris, Schreib- und Leseunterricht. Schale, Berlin F 2285 (recto).
Tafel 1 7: Duris, Musikunterricht. Schale, Berlin F 2285 (verso).
Tafel 1 8: Chorreigen. Boston, Museum der schönen Künste. ©
2007, Photo Edwin E. Jack Fund. Aus : Connelly, 2007, Abb. 1 .
Tafel 1 9: Pegasos. Antiken-Museum der Universität Leipzig.
Tafel 20: Vogelsirene. Athen, Archäologisches Nationalmuseum.
Tafel 21 : Athena modelliert ein Pferd. Oinochoe, Berlin 24 1 5.
Tafel 22 : C. F. Schinkel, Entwu rf einer Königsburg auf der Akropolis von
Athen. München, Staatliche G raphische Sammlung.
Tafel 23 : Nachtigall und Muse. Lekythos des Achilleusmalers (um 435) . München,
Staatliche Antikensam mlungen. Photographie Christa Koppermann.
Tafel 24: Monochord. Computergraphik von Joulia Strauss.
Tafel 25: Wirbel einer Kithara. Lefkada, Archäologisches Museum.
Tafel 26: Pan besteigt eine Ziege. Neapel, Archäologisches Nationalmuseum.
Tafel 27: Pan lehrt einem Hirten die Syrinx spielen. Neapel, Archäologisches
Nationalmuseum.
Tafel 28: Junge Aphrodita. Aus: Nikos Koundouros, Junge Aphroditen I
MIKPHI: ACl>P0.11THI:. Nach dem Film erzählt von Ulrich Bass.
Bremen 1 965, o. S.

292
0.2 Chronologie

Und man rechnet die Zeit nach dem dies nefastus,


mit dem dies Verhängnis anhob - nach dem ersten
des Christentums!
Nietzsche, Der Antichrist

33000 Fünflochflöte aus dem Speichenknochen eines Gänsegeiers, 2008 im Achtal


bei Ulm entdeckt
9000 Schafe lassen sich zähmen . . .

8000 . . . Pferde desgleichen


7500 den Göttern wird in Anatolien die erste menschenleere Tempelstadt geweiht
7000 erste Zahldingzeichen i m Zweistromland

6500 Jericho stellt 1 O bemalte Herrscherschädel auf, denen aus toten Augen Kauri­
muscheln scheinen, damit aus hohlen Mündern Befehle fliessen können
6000 auch Sterbliche erbauen sich i n Catal Hüyük V I Häuser

4000 berauscht der erste Wein

3500 tönerne Keilschriften im Zweistromland


3 1 70 in Meggido erscheint das erste Bild einer Kithara
3 1 00 heilige Schriftzeichen auf Stein (•Hieroglyphen • ) im vereinten U nter- und
Oberägypten
3000 in der Ägäis verschmelzen Kupfer u nd Zinn zu Bronze
3000 im Zweistromland spielen Harfe, Leier und zweiteilige Trommeln

2900 Luwier finden Wort und Sache Labyrinth und bauen Troia am Hellespontos
zum Bronzehandelplatz aus. Die Gründer sind Atlas (•starke Strömung • ) und
seine Tochter Kalypso
2850 Troia ersinnt den ersten Sonne-Mond-Kalender
2800 in Delphoi raunt die Erdmutter durch einen Mädchenmund
2700 Gilgamesch heisst um U ruk eine Mauer fugen
2500 die Bronze gelangt ins Griechenland
2500 ein sumerischer Keilschrifttext aus Shuruppak dividiert 1 1 52000 durch 7
2500 die I ndogermanen strömen auseinander
2500 i n Ägypten spielen Doppelrohrblattpfeifen
2450 Troia l lg hortet Goldschätze
2400 in Assyrien wird das leichte Speichenrad erfunden

293
2350 Sargon gründet das erste Grossreich
2300 ein Ledertext unter Pharao Amenemhat 1. bezeugt den ägyptischen Seiltrick:
32 + 42 52 =

2000 Achaier wandern vom Balkan unter G riechenlands Pelasger ein

1 900 Kreta baut •alte Paläste> (wohl eher Mumiengrüfte)


1 900 ägyptische Offiziere/Schreiber verkehren mit ihren sinainitischen Söldern
nurmehr in Ein-Konsonanten-Hieroglyphen. Als abzählbare sind sie schon ein
halbes Alphabet, dem noch die ordinale Folge fehlt

1 850 erste Linear A-Silbenschrift auf Kreta: da nicht griechisch, bislang unentziffert

1 750 in Stonehenge messen Megalithe das Sonnenjahr


1 728 Hammurabi besteigt den Thron von Babylon und gräbt Strafmasse i n Stein
1 700 Kretas alte •Paläste> vergehen im Feuer
1 700 G rosskönig Anitta nimmt Hattusa mit Gewalt, gründet das Reich Hatti und lässt
Keilinschriften an die Tempelwände meisseln
1 700 Pferde, Speichenräder u nd I ndogermanen gelangen nach Troia. Der Pferde­
gott Poseidon baut ihnen und sich ein Heiligtum

1 690 bei Olympia schreibt sich Griechisch zum ersten Mal in Linear B an, zwei
Jahrhunderte vor Eroberung Kretas
1 686 t Hammurabi
1 670 die U nterstadt von Troia VI raubt Schnecken ihre Farbe, um Purpurstoffe aus­
zuführen
1 630 * Kronos
1 600 im arkadischen Lykosura (der •Wolfsburg>) kämpfen König Lykaon (•der Wolfs­
mann>) und Zeus Lykaios daru m , wer von beiden sterblich ist, wer nicht
1 600 Seevölker oder Hyksos fallen in Ägypten ein
1 600 u nentzifferter Diskos von Phaistos

1 590 Zeus und Lykaons Tochter Kallisto (Artemis) paaren sich als Bär u nd Bärin
1 590 t Mursilis 1.
1 58 1 setzt die Marmorchronik von Paros ein
1 570 Attikas Mädchen tanzen in Brauron die Bärin Artemis
1 540 Streitwagenkrieger in Mykene
1 53 1 Hattis König Mursili 1. erobert Babylon

294
1 520 Sänger fügen griechische Laute zu ersten Hexametern
1 51 7 Aphrodita schenkt dem Ares die Harmonia
1 5 1 0 die Söhne und 50 Töchter des Ägypters Danaos ziehen siegreich in Mykenai
ein
1 500 der Vulkan auf Thera (Santorin) explodiert, Bimssteine regnen bis Ägypten,
aber Kretas Labyrinthe gehen darob nicht unter
1 500 Hattusa entwickelt und beschreibt den Streitwagenkampf
1 500 der Minos-Zeus fährt über Meer und raubt am Strand vor Tyros die Königs­
tochter Europa, u m sie als Stier am Strand von Hagia Galene zu begatten
1 500 Römer dringen über die Alpen nach Italien vor
1 400 auf dem Sinai schreiben sich reine Konsonantenzeichen

1 499 Europa schenkt dem Minos-Zeus Pasiphae, •die allen scheint•


1 498 auf vergeblicher Suche nach seiner Schwester Europa (•Westen • ) folgt Kad­
mos (•Osten•) einer Kuh zu i h rem Schlafplatz, wo er das siebentorige Theben
gründet und Boiotiens Achaiern phoinikische Buchstaben bringt
1 498 Zeus schenkt Europa dem Asterion, dem sie Mi nos, Sarpedon und Rhada-
manthys gebiert
1 498 Kadmos sühnt acht Jahre lang das Gemetzel der Spartoi
1 490 Hephaistos schmiedet der Harmonia zur Hochzeit doch ein Halsband
1 490 die Paläste von l l ion (Wilusa) bis Miletos (Milatos) führen mykenische Keramik
ein
1 489 zur Hochzeit von Kadmos u nd Harmonia tanzen u nd spielen Unsterbliche un­
ter den Gästen, dieweil Amphions Leier dem Paar in einer Nacht Thebens
Burg Kadmeia fugt
1 487 Harmonia schenkt Kadmos die Semele
1 485 Kadmos weiht der Athena von Lindos einen Dreifuss mit phoinikischen Lettern
1 475 die Burg Phaistos in Kretas Süden fällt Flammen zum Raub. Als Bruder des
Minos-Zeus besetzt sie Rhadamanthys
1 468 Zeus macht der Semele den Gott Dionysos und einen Blitztod
1 467 Zeus muss Dionysos im eigenen Schenkel austragen und gebären
1 462 die Marmorchronik von Paros bezeugt, dass Minos über Kreta und alle Meere
herrscht
1 460 Ares entrückt Kadmos und Harmonia als schwarzblau geflecktes Schlangen­
paar zum Balkan
1 460 bei Therapne ersteht der erste Palast auf griechischem Festland
1 455 Sarpedon als Bruder des Minos-Zeus nimmt Lykien ein

295
1 450 Aigisthos zu Mykenai im Tholosgrab bestattet
1 450 Kretas •Paläste• ausser Knossos gehen in Flammen auf oder werden aufge­
geben
1 448 Dionysos fällt mit seinem Wein in Theben ein : rasend trunkende Mütter und
Bräute zerfleischen König Pentheus
1 445 Pasiphae schenkt dem Zeus in M inos einen Minosstier
1 443 Pasiphae schenkt dem Minos in Zeus die Ariadne oder •Spinne•
1 440 achaische Fürsten nehmen Kreta ein u nd heissen ihre Schreiber griechische
Silbenzeichen in Linear B-Tontafeln ritzen; Linear A erlischt
1 439 Pasiphae schenkt dem Minos Phaidra, die uns •scheint•
1 435 Aktaion sieht Artemis beim Baden nackt und stirbt vor Glück
1 430 Tei resias sieht einem Schlangenpaar beim Paaren zu und wird neun Jahre
lang zur Frau
1 430 auf mykenischen Burgen besingen Sänger in Hexametern die Eroberung Kre-
tas
1 423 t der Minos-Zeus
1 42 1 Teiresias sieht dasselbe Schlangenpaar und wird wieder zum Mann
1 400 das Götterherrscherpaar fragt Teiresias, wer mehr Lust verspüre, Frauen oder
Männer. Neun Zehntel, sagt er, sind der Frau. Darauf raubt ihm Hera beider
Augen Licht, Zeus tröstet mit der Sehergabe
1 400 der Stadtname (W) l lion taucht in Hattis Diplomatenbriefen auf
1 400 Hattis König Suppiluliuma stürzt das Reich von Mitanni
1 400 i m syrischen Ugarit übt ein Alphabet die Reihenfolge seiner 30 schieren Keil­
schriftkonsonanten ein. Diese Reihenfolge herrscht bis heute
1 400 R undgräber in Mykene

1 400 auf dem Sinai schreiben sich reine Konsonantenzeichen


1 390 Amenophis I I I . steigt zum Pharao auf
1 380 erste chinesische Zeichen auf Orakelknochen
1 380 Dionysos fällt mit seinem Wein ins attische lkaria ein
1 380 im olympischen Wagenrennen erringt Pelops die ganze Fastinsel, die ihm zu
Ehren Peleponnesos heisst und für i m mer heissen möge
1 375 Knossos geht in Flammen auf, am Ort des grössten Totenlabyrinths bleibt nur­
mehr ein H irtendorf
1 375 der Minos-Zeus
1 375 Kadmeer besiedeln Miletos und handeln mit dem Kaukasus

296
1 370 Zeus sinkt als Regen in Danaes Schoss und macht ihr Perseus
1 365 Um Minos' Tod zu rächen, belagern die Kreter fünf Jahre lang das sizilische
Kamikos
1 364 Amenophis IV. wird Pharao, nennt sich Echnaton und kürt Aton („die einzige
Sonne") zum einzigen Gott
1 363 König Laios schleppt die Knabenliebe aus Pelops' I nsel in Thebai ein

1 360 Laios muss nach Korinthos fliehen und seinen Sohn Oidipus aussetzen

1 360 Auf ihrer Rückfahrt wirft ein Sturm die Kreter in U nteritalien an Land; sie grün­
den Hyria und werden iapygische Messaper

1 357 * Tutankhamun
1 350 Vor Anatoliens Küste sinkt ein Schiff mit zusammenklappbarer Schreibtafel an
Bord
1 348 t Suppiluliumas
1 34 7 t Echnaton
1 345 Die Priester befehlen Tutankhamun. alle H ieroglyphen Echnatons wegzumeis­
seln
1 340 1 00 Zylinder von Agat und Lapislazuli aus der Neuen Kadmeia, 1 964 gefun­
den , ein Siegel von einem Sohn des letzten Burraburiyas ( 1 375- 1 347) , Kassi­
tenkönig von Babylon
1 340 die Burg von Mykenai erhält ihr Löwentor
1 340 t Herakles auf dem Scheiterhaufen
1 339 t Tutankhamun
1 330 Oidipus löst das Rätsel der Sphinx und bald darauf lokastes Gürtel
1 325 lason und seine Argonauten überwinden Troias Sperre am Hellespontos, um
in Kolchis am Kaukasos lauteres Flussgold , giftige Herbstzeitlosen (Colchicum
L.) und die Kräuterherrin Medea zu erbeuten
1 324 Kirke sieht die Argo durch den Hellespontos heimwärts segeln
1 32 1 Zeus macht Arkadiens Nymphe Maia Hermes, den Gott der Hirten , Diebe und
des Leierspiels
1 320 * lsmene
1317 * Antigone
1 3 1 6 Hattis König Mursili I I . brandschatzt die reichen Städte Miletos und Ephesos
1 3 1 8 Zeus macht der Göttin Leto einen Sohn Apollon, der den Bogen und die Leier
gut zu spannen weiss
1 3 1 O ein Ägypter namens Moses, der dem Volk Israel Echnatons einen Gott und
Konsonantenzeichen übergeben haben soll , erscheint dem Dr. Freud

297
1 3 1 0 Oidipus entbirgt die blendend helle Wah rheit seiner selbst, lokaste hängt sich
auf
1 309 Tros herrscht über Troia
1 308 t Mursili II.
1 30 1 Ramses II. wird Pharao
1 300 Achaias Burgherren lassen die Festungsmauern verstärken
1 300 der König der Achaier macht von Thebai aus Miletos zur Vasallenstadt
1 300 in Korinthos betrügt lason Medea, woraufhin sie beider Kinder verbrennt
1 300 Hermes macht Chione (dem •Schneemädchen• Arkadiens) einen Sohn
Autolykos (den •Selbstwolf• )

1 298 Persephone ruft den blinden Oidipus zu sich


1 295 C h ione wetteifert an Schönheit mit Artemis, die sie sogleich tötet
1 294 Sieben gegen Thebai
1 294 t Antigene (durch Erhängen)
1 292 Zeus entführt Tros' Sohn Ganymedes zum Olympos
1 290 Poseidon macht die Erde beben und Troia V l h vergehen
1 285 Hattis König Muwalatti II. schliesst mit Alexander von Troia einen Vasallenver-
trag und schwört bei Troias Gott Apollon
1 280 Laomedon herrscht über Troia und zeugt Priamos
1 279 Ramses II. wird Pharao
1 275 Beim syrischen Kadesch stoppt Hattis Muwatallis Ramses' Ausgriff nach Nor-
den. Die erste Schlacht der Weltgeschichte ist geschlagen
1 273 Troia VI zerstört
1 270 Troia V l l a baut grösser und tritt Hattis Reich bei
1 270 .dem Autolykos wird Antiklea geboren
1 265 l::lattusili II. besteigt Hattis Thron
1 263 der Achaierkönig von Thebai schreibt l::lattusili und beruft sich auf seinen Ahn­
herrn Kadmos
1 250 die Söhne der Sieben gegen Thebai brandschatzen die Kadmeia
1 250 Antiklea gebiert Odysseus, ob nun ihrem Gatten Laertes oder ihrem Räuber
Sisyphos
1 250 den Sänger Orpheus, einem Thrakerkönig von der Muse Kalliope geboren,
zerreissen die Mainaden , weil er die Männerliebe singt
1 249 Herakles auf seinem Scheiterhaufen verglüht zum Gott
1 248 Priamos mit 50 Söhnen (von Hektor bis Paris) herrscht über Troia

298
1 246 Ramses II. heiratet eine Tochter l::lattusilis
1 245 Zeus wohnt als Schwan der Leda bei
1 245 Feuersbrünste in der Burg Mykenai
1 244 Leda gebiert dem Zeus die eine Helena und beide Zwillinge
1 240 I n Troia versiegen die Einfuhren aus Mykenai
1 240 t l::lattusili II.
1 235 Theseus von Athen tötet den Minosstier und findet dank Ariadnes Spinnenfa­
den vom Labyrinth zurück ans Licht
1 234 Dionysos beglückt u nd entrückt Ariadne, von Theseus verlassen, auf Naxos
1 234 Aigeus sucht den Tod, weil Theseus vergessen hat, weisse statt schwarzer
Segel zu setzen
1 233 Aphrodita verführt Anchises u nd gebiert ihm den Aineas
1 232 Theseus von Athen entführt die kaum mannbare Helena
1 228 Klytaimnestra gebiert dem Agamemnon den Orestes, Helena dem Menelaos
die Hermione
1 225 Theseus führt Ariadnes Schwester Phaidra heim
1 224 Paris wählt unter drei Göttinnen - Athene, Aphrodita, Hera - die der Liebe
1 22 1 Odysseus schlägt alle anderen Freier in Spartas Wettlauf und gewinnt Pene-
lopeia
1 220 Hattis König Tudbalija IV. unterbindet den Handel zwischen Achaia und Assur
1 220 Penelopeia schenkt dem Odysseus, Herrn auf lthaka, den •Fernkämpfer• Te­
lemachos
1 220 Paris entführt Menelaos von Sparta dessen Gattin : der Kriegsgrund Helena
liegt vor
1 2 1 8 die erste Ausfahrt der Griechen gen Troia scheitert an den Winden
1 2 1 8 Palamedes aus Euboia zwingt Odysseus mit einer List zum Krieg
1 2 1 8 Agamem non von Mykenai sammelt alle Herzöge Achaias und ihre 1 1 86 Schif­
fe im Hafen Aulis vor Euboia. Die Flotte liegt fest. Westwinde bringt erst das
Opfer seiner Tochter lphigeneia, die auf Artemis' Altar verblutet oder (gnädi­
ger) von der Göttin auf die Krim entrückt und durch eine Hindin ersetzt wird
1 2 1 8 die vereinten Achaier landen am Skamandros und greifen Troia an
1 2 1 7 die Karer von Miletos eilen Troia zu H ilfe
1 2 1 3 t Ramses II.
1 2 1 2 Odysseus schiebt Palamades, der Buchstaben und Ziffern erfunden hat, einen
gefälschten Brief unter, u m ihn zu steinigen
1 2 1 O Ugarits letzter Stadtherr meldet seinen Verbündeten sechs Feindschiffe beim
Verwüsten der Stadt

299
1 209 im hölzernen Pferd verborgen entscheidet Odysseus den Krieg um Troja, Kno­
chen und Feuerspuren bleiben
1 209 i m Kriegsbericht von Pharao Merneptah heisst Achaia mächtiges Fremdland
am Meer
1 209 Aineas bestattet seinen Vater Anchises im arkadischen Mantineia
1 209 Agamemnon meldet seiner Gattin Klytaim nestra mit optischer Telegraphie
(von Troia über Euboia und Attika bis nach Mykenai) den Sieg über Troia und
die Heimkehr vom Krieg
1 209 Nauplios, um seinen Sohn Palamedes zu rächen, setzt falsche Hafenlichter an
Euboias Felsenküste, um Archaiersch iffe in den Wassertod zu locken
1 208 Seevölker von Norden helfen den Libyern Ägypten überfallen
1 208 in der Burg von Mykenai brechen Feuer aus und stürzen Häuser ein
1 208 Odysseus plündert noch die Häfen der Kikonen und bricht zur Heimkehr auf
1 207 Kirke (•die Falkin • ) schläft mit Odysseus zwölf Monde lang
1 207 Odysseus hört am Hadeseingang seine tote Mutter und viele Kriegerwitwen
klagen
1 206 Odysseus lauscht den zwei Sirenen
1 206 Kirke schenkt dem fernen Odysseus den <ferngezeugten• Telegonos
1 206 Kalypso (•die Hehlende• ) bestrickt Odysseus sieben Jahre lang
1 203 auf die Sage vom Wassertod des Odysseus hin werben 1 08 Freier vier Jahre
lang um Penelopeia
1 202 die ehebrechende Klytaimnestra schlachtet ihren Mann i m Bad
1 20 1 Menelaos mit der wieder errungenen Helena kehrt nach Sparta heim
1 200 die Sage von Gilgamesch , König von Uruk, schreibt sich in akkadischer Keil­
schrift an
1 200 flüchtige Troer bauen der Aphrodita ein Haus auf dem sizilischen Berg Eryx

1 1 99 Telemachos sucht zu See und Land nach seinem Vater Odysseus


1 1 99 Odysseus fleht nackt und schiffbrüchig Nausikaa um Schutz an, die Tochter
des Phaiakenherrn von Scheria/Atlantis
1 1 99 Orestes raubt den Krimtataren seine Schwester lphigeneia, u m das Holzbild
i h rer Artemis im attischen Brauron zu weihen
1 1 90 namenlose Angreifer setzen die Geisterstadt Hattusa, offenbar schon verlas­
sen und geräumt, in Brand
1 1 90 letzte Linear B-Tafeln aus Pylos melden Verteidigungsmassnahmen, bevor
Nestors Palast in Flammen aufgeht
1 1 53 t Ramses I I I.

300
1 1 50 Eisen löst im Griechenland langsam die Bronze ab
1 1 49 Boioter vertreiben die letzten Achaier
1 1 45 Mykenes letzter Palast geht in Flammen auf, Adelssippen fliehen nach Athen
und Kypros
1 1 30 erstes phoinikisches Konsonantenalphabet
1 1 1 0 auf Adelshöfen zeigen Vasenbilder Sänger an der Phorminx
1 1 04 die Herakliden oder Dorer dringen erneut auf Pelops' heilige I nsel vor
1 1 00 Ionier aus Athen paaren sich mit karischen Frauen , um Miletos wieder zu be­
siedeln
1 1 00 Phoiniker gründen in Tartessos, an der Mündung des Guadalquivir, eine Fak­
tore i : es gibt den Tartaros
1 1 00 Ur türmt der Liebe zwischen Gott und Göttin zuliebe eine Zigurrat aus Ziegeln
auf

1 090 Chinas Gnomon misst den Winkel der Ekliptik


1 074 Herakles' Enkel Aketes nimmt Korinthos ein
1 050 aiolische Griechen dringen bis Lesbos vor
1 050 Sänger ersingen den Krieg um Troia
1 000 im Heroon von Lefkandi wird ein Fürst bestattet, der sich durch Grabbeigaben
auf die Heldenzeit berufen hat
1 000 Villanova-Völker wandern in Norditalien ein

960 Phoiniker siedeln auf Malta, Kalypsos Ortygia


950 Siedlungsende in Troia
950 Lefkandi in reichem Austausch mit Kypros und der Levante
940 Attikas verstreute Dörfer beschliessen „zusammenzuwohnen"
9 1 O Dorer dringen bis Sparta am Südende der Peloponnesos vor
900 aus Wachs und Federn bauen Bienen Apollons zweites Haus zu Delphoi
900 eine Bronzeschüssel mit phoinikischen Lettern wird einem Grab bei Knossos
beigegeben

890 griechische Wanderstämme brechen in Boiotien ein und vertreiben Tanagras


phoinikische Gephyraier auf die Nachbarinsel Euboia
880 Assurnasipal I I . begründet Assurs neues Reich
877 Assurs Heer dringt zum Mittelmeer vor
860 Assurnasipal gründet eine königliche Bücherei

30 1
858 Salmanassar I I I . besteigt Assurs Thron
850 * Homeros auf los
841 Assur zwingt Tyros und Sidon zu Tributen
840 Etrusker aus Lydien erobern die Toskana, die fortan ihren Namen trägt
830 monumentale phoinikische Inschriften auf Sardinien
825 G riechen handeln im syrischen Al Mina

824 t Salmassar I I I .
8 1 5 HOMEROS ersingt die llias
8 1 4 Dido von Tyros gründet Karthago
800 Homeros diktiert die /LIAS einem Adapter, der auf Euboia das griechische
Vokalalphabet ersinnt
800 Kelten ersinnen das H ufeisen und Wagen mit vier Speichenrädern

790 * Hesiodos von Askra


782 Lupa (•Wölfin/Hure•) wirft die Zwillinge Romulus und Remus
780 t Homeros auf los bei Kreophylos, der ihm aufs Grab Grab zwei Hexameter
setzt:
Hier hüllt unten erde ein hochheilig haupt:
den künder heldischer Männer· göttlichen Homeros.

778 ein jüngerer HOM EROS, wohl sein Sohn , schreibt selbst die Odyssee
776 die Olympiaden stiften dank lphitos von Elis und Lykurgos von Sparta die grie­
chische Vierjahreszählung, Die in Elis geführten Siegerlisten sind zwar verlo­
ren , doch bezeugt
776 früheste bislang ausgegrabene griechische Inschrift (EY/\INCOI:) = •schönes
Leinen • ) aus einem Frauengrab bei Gabii in Latium
775 Euboier und Phoiniker zusammen besiedeln die Affeninseln vor Neapel ( I schia
u nd Procida)
775 Euboier u nd Phoiniker zusammen besiedeln die Affeninseln vor Neapel ( I schia
u nd Procida)
774 Lykurgos bereist lonien und sammelt bei einem Homeriden, Kleophylos von
Samos, die Buchrollen von llias und Odyssee
774 Arktinos von Miletos ersingt die Aithiopis
773 die Musen erscheinen Hesiodos am Musenberg Helikon, um den Göttern ein
Werden, Unsterblichen mit Sterblichen viele Beilager anzudichten
773 Achaier gründen Metapontion
771 vokalalphabetische I nschriften von Lefkandi auf Euboia

302
770 ein jüngerer Homeros rühmt auf Delos den Apollon, Nymphenchöre und sich
selbst
770 erste Griechen landen in Apulien
768 Lykurgos' wölfisches Wirken beugt Spartas Männer und Frauen unter lauter
Lüste und Kriege: die ungeschriebenen Geheisse (pfirpa1)
760 Sparta erobert Lakoniens mykenische Hauptstadt Amyklai
758 Eumelos von Korinthos dichtet das erste uns erhaltene griechische Chorlied.
Leute aus lthome in Messenien, die nach Delos pilgern, führen es auf
757 Siedler aus Chalkis (•Graiai • ) gründen Rhegion und Kume bei den Affeninseln.
Daher heissen Römern alle Hellenen nachmals Graeci oder •Griechen•
755 ein jüngerer Homeros, vielleicht sein Enkel , liest die Odyssee und stellt ihr die
Geschichte seines Sohns voran
754 Sparta legt eine Liste seiner Ephoren an
753 Romulus erschlägt seinen Zwilling Remus, um Roma aeterna zu gründen
753 * Archilochos von Paros
750 der jüngere Homeros tritt in Chalkis auf Euboia gegen Hesiodos zum Sänger-
wettkampf an
750 Herophile vom boiotischen Erythrai kommt als Sibylle nach Ku me
745 t Lykurgos
745 Tiglatpileser I I I . besteigt Assurs Thron
744 Sparta errichtet dem Lykurgos ein Götterhaus und tritt der Opfergemeinschaft
von Olympia bei
740 die Dipylon-Kanne vom Athener Kerameikos gibt einen Hexameter in euboi-
schen Lettern zu lesen
740 vier phoinikische I nschriften auf Pithekusai
738 Sparta zieht erstmals gegen Messenien zu Feld
736 Tiglatpilesar I I I . meldet einen ersten Gegenangriff der Ionier auf syrisches Ge-
biet
734 der Heraklide Archias von Korinthos gründet Syrakusai
733 Aristodemos von Messene opfert seine Tochter, u m Sparta zu besiegen
732 Tiglatpilesar I I I . rückt ans Mittelmeer vor
73 1 ein vokalalphabetischer Homeros-Scherz kritzelt drei Verse auf einen rhodi­
schen Skyphos, der 1 953 auf Pithekousai ( I schia) wieder auftaucht
730 Hesiodos in den Frauenkatalogen ortet Odysseus' Italien
728 im zehnten Kriegsjahr gegen die Messener zeugen Spartas junge Krieger u nd
Bräute die Parthenier oder •Ju ngfrauensöhne•

303
727 t Tiglatpileser I I I.
726 Akkads König Barrakib standardisiert Silberbarren zu Minen, die griechische
Talente werden. 1 Talent in Attika rund 26 kg Silber
725 die Phryger entlehnen ein griechisches Vokalalphabet
724 die Messenier müssen sich als Heloten Sparta unterwerfen. Aristodemos
wählt über seiner Tochter Grab den Tod
722 Sargon I I . besteigt den Thron von Assur und zerstört Israels Königssitz Shö­
merön
721 Babyions Priester verzeichnen Mond- und Sonnenfinsternisse
720 Amphidamas von Chalkis fällt im Krieg um Euboias reichste Felder, die lelanti­
schen. Hesiodos gewinnt den Sängerkranz auf der von seinem Soh n Ganyktor
ausgerichteten Totenfeier. Chalkis u nd Eretria verarmen beide, die Gephyraier
fliehen mit dem Griechenalphabet nach Attika
720 Orsippos von Koroibos wirft im olympischen Wettlauf, den alle anderen cc nach
alter Sitte» austragen, den letzten Schamschurz ab und siegt
7 1 8 Hesiodos lässt Hippomenes nackt mit Atalanta kämpfen, ist daher ccjünger als
Homeros »
7 1 6 beim olympischen Kampfspiel laufen alle nackt
7 1 5 dorische Achaier gründen Sybaris u nd überwältigen die Messaper im benach­
barten Kroton
7 1 5 t Hesiodos (von Ganyktor erschlagen , weil er dessen Schwester verführt hat)
7 1 1 Archilochos schreibt auf Lederrollen und sagt die Sonnenfinsternis vom 1 4.
März voraus
708 Archilochos nimmt an der Tochterstadtgründung von Thasos teil
708 Sargon I I. zwingt die Könige von Kypros ( <Kupferland• ) zur Huldigung
707 Spartas Parthenier unter Palanthos nehmen den Messapern Taras ab
705 t Sargon 11.
704 Ameinokles von Korinthos baut denen von Samos vier Trieren
701 Sanherib führt Assurs Heer siegreich gegen Juda und Ägypten
700 t Archilochos (im Kampf)
700 Seeschlacht zwischen Assyrern und Ioniern beim kilikischen Tarsos
700 Lefkandi wird im Gefolge des Lelantischen Krieges aufgegeben
700 ein Erdbeben vertreibt die Griechen von Pithekousai nach Kume
700 Etruskisches Abecedariu m von Marsigliana

698 * Terpandros von Antissa auf Lesbos, Urenkel des Homeros

304
695 ein erster Grieche signiert auf Ischia sein Vasenbild
685 Gyges erschlägt Kandaules von Lydien , der ihm Rhodope nackt gezeigt hat,
freit sie und gründet die Mermnaden-Dynastie : Erster Fürst, der Tyrann heisst,
erste Dynastie, die Mü nzen prägt
683 Athen stü rzt seine Könige, listet die neuen Herrscher oder Archonten auf und
überträgt die Feste für Dionysos einem Archon Basileus
682 * Epimenides von Phaistos als ,neuer Kurete' der Nymphe Balte (sagen wir
ausserehelich) geboren
679 Lokrer, Spartaner und flüchtige Sklaven gründen Lokroi Epizephyrioi , •unterm
Westwind>
676 Terpandros erfindet die Kithara mit sieben Saiten, stillt den Streit derer von
Delphoi mit Gesang und siegt beim ersten spartanischen Fest des Apollon
Karneios
675 Ionier aus Kolophon gründen Siris, ccalten Besitz Athens„
675 homerischer Hymnos an Aphrodita
672 Sparta baut Tänzen und heiligen Vollzügen (, Dramen') ein Rundhaus mit Zelt-
dach
67 1 Assurs König Asarhaddon erobert Ägypten
670 der homerische Hymnos an Hermes besingt die siebensaitige Leier
669 Pheidon von Argos schlägt die Spartaner bei Hysiai und baut der Hera ein
grosses Haus
668 Thaletas stiftet Spartas Karneia
664 Zaleukos schreibt den Lokrern u nterm Westwind erste harte Gesetze an
663 Pharao Psammetich schüttelt dank griechischer Söldner Assurs Joch ab
662 Epimenides von Phaistos schläft in Zeus' heiliger Höhle auf dem kretischen
lda 57 Jahre
660 im Haus des Apollon auf Delos geben hölzerne Tafeln einen homerischen
Hymnos an den Gott zu lesen
660 auf einer Scherbe aus Samos erscheint - neben Digamma und Koppa - das
erste Omega
660 Lesches von Pyrrha ersingt die Kleine l/ias
659 * Alkman von Messoa bei Sparta
655 t Gyges
653 aus Sybaris vertriebene Achaier gründen Poseidonia ( Paestum) im Süden der
Sireneninseln
650 Pheidon von Argos setzt Silbermünzen einen ebenso wägbaren wie künstli­
chen Standard

305
645 Terpandros führt in Sparta die Kithara mit sieben Saiten und damit die drei
Tongesetze ein
644 t Gyges (im Kampf gegen die Kimmerier) <

640 erste schriftliche Gesetzen am Apollontempel von Dreros auf Kreta


640 homerischer Hymnos an Demeter
638 * Solon von Athen
637 Kolaios von Samos segelt als erster Grieche durch die Säulen des Herakles
ins silberreiche Tartessos
635 * Sappho (der •Saphir•) in Erebos auf Lesbos
635 t Terpandros
635 dorische Achaier gründen Metapontion in U nteritalien
632 * Stesichoros in Metau ron
634 die Pythia heisst die Spartaner Tyrtaios aus Attika rufen, um den Aufstand der
Messenier durch Kampflieder niederzuwerfen
630 Miletos prägt Münzen
630 Alkman singt den Bräuten Spartas neue Chorlieder
625 Arion von Methymna auf Lesbos lernt bei Alkman und lehrt Korinthos' Chöre
Dithyramben auf Dionysos tanzen und singen
624 * Thales von Miletos
624 Drakon unterwirft Athen dem Gesetz der Schrift; nur den Vatermord vergisst
er zu verbieten
623 * Alkaios von Mytilene auf Lesbos
620 Sappho muss nach Syrakusai fliehen
6 1 8 Arion singt in Taras und Sizilien
61 5 Stesichoros wandert mit seinen Eltern nach H imera aus
6 1 5 Pharao Psammetich gewährt den M ilesiern Naukratis im N ildelta und damit
ägyptischen Papyros
6 1 2 Meder und Babylonier unter Kyaxerxes zerstören Assur u nd Ninive
61 2 Sappho, zurück in Lesbos, gebiert dem Kerkylas ein Kind
6 1 0 * Anaximandros von Miletos
608 Necho heisst nach dem Sieg von Meggido im Didyma-Tempel von Miletos
opfern
605 Epimenides von Phaistos erwacht nach 57 Jahren, die er in Zeus' heiliger
Bergwaldhöhle verschlafen hat, u m aufzusch reiben, dass in seinem Traum die
Göttin U nverborgenheit alle andern Kreter Lügner nannte: Ausser der offen­
baren Wiege ihres Gottes verehren Kreter nämlich auch sein geheimes Grab

306
604 Nabu-kudurriuzur (Nebukadnezar) besteigt den Thron von Babylon
600 erste italische I nschriften
600 * Pherekydes von Syros, Lehrer des Pythagoras
600 Erinna, Sapphos Freundin, singt und dichtet
600 zu Delphoi schreibt sich ein Nabelstein "der Erde"(G A Sigma, OCD)
600 Kume grü ndet die Tochterstadt Neapolis
600 Delphois Priester erfinden Eta u nd Omega, damit die sieben Saiten von Apol­
lons Leier sieben Vokalen entsprechen
600 Phokaier gründen Massilia, heute Marseille
600 Arion überführt den trunkenen Dithyrambos des Dionysos in regelmässige
Chöre
600 Auswanderer aus dem ionischen Phokaia gründen Massalia/Marseille
600 Südwestspanien entwickelt aus griechischen und phoinikischen Zeichen
eigene Alphabete

595 Epimenides lehrt Solon von Athen Gesetze geben


594 Solon, Urgrossvater Platons, senkt den argivischen Silberkurs und Drakons
harte Gesetze, die er auf drehbare Holzsäulen im Prytaneion schreiben heisst.
Sklaven verbietet er, im Gymnasion freie Epheben zu verführen
590 erster Heiliger Krieg : das zerstörte Kirrha darf Delphois Pilgern keine Zölle
mehr erheben
590 t Alkman
587 Sappho singt, dass Singen unsterblich macht, und ehrt so Aphrodita
586 Sakadas von Argos siegt bei Delphois ersten Pythischen Spielen mit einer
Schalmei , die Apollons Sieg über den Python-Drachen spielt; ein anderer Sie­
ger stimmt zu seiner Kithara den homerischen Hymnos auf den pythischen
Apollon an
586 im Tempel von Jerusalem verliert JHWH seine Bettgenossin Aschera
585 Thales von Miletos ersinnt den ,Winkel' und kann daher die Sonnenfinsternis
vom 28. Mai vorhersagen
584 Nebukadnezar zerstört Jerusalem
582 Gela auf Sizilien gründet die Tochterstadt Akragas
580 Sappho singt, dass sie ccbei Nacht allein liegt»
580 * Xenophanes von Kolophon
577 die Pythia weissagt der schwangeren Frau des Mnesarchos einen schönen
und weisen Sohn , woraufhin Mnesarchos Parthenais (,die Jungfrau') wie Py­
thia selber Pythais nennt

307
576 * PYTHAGORAS (der Pythais zu Sidon geboren)
575 Poseidonia zeigt griechische Buchstaben als Ziffern
575 Solon reist nach Ägypten und bringt Athen erste Gesänge mit
573 Tyros, nach 1 3 Jahren Belagerung unbesiegt, erkennt Nebukadnezars Ü ber­
macht an. Babyions Schreiber ersinnen eine anschreibbare Leerstelle, die der
N u l l vorarbeitet
573 Phalaris von Astypalaia steigt zum Tyrannen über Akragas auf und lässt Frem­
de foltern. Aber im Bauch einer bronzenen Färse, die ihm Perillos für Todes­
u rteile giesst, verglüht der Künstler selber unter Stiergebrüll
572 Kroton nimmt die Nachbarstadt Siris ein
570 * Anakreon von Skythinos auf Teos
570 Phalaris von Akragas baut dem Zeus ein Haus
570 * Aristaios von Kroton
566 Athen beginnt Grosse Panthenaia zu feiern
566 Sapphos Bruder führt den Wein von Lesbos nach Ägypten ein und lebt mit
einer Hure namens Rhodopis, ,der Rose'
564 dem alten Solon sind nurmehr Aphroditas Werke, Dionysos u nd die Musen
lieb
564 l bykos von Rhegion kommt nach Samos zum Tyrannen Aiakes und verspricht
seinem schönen Sohn Polykrates ewigen Ruhm
563 Peisistratos von Brauron steigt zum Tyrannen über Athen auf, baut seiner hei-
m ischen Artemis ein Haus auf dem Bu rgberg und stiftet das Fest aller Athener
562 t Sappho (nach Rückkehr ihres Bruders)
561 t Nebukadnezar
561 t Solon , an einer Sage von Atlantis schreibend
560 Taras erfindet den Frauen durchsichtige Sommersachen aus feinster Schafs­
wolle
560 Lokroi schlägt dank einem erscheinenden Gott Kroton an der Sagra. Götter
tragen die Kunde von der Schlacht noch selbigen Tages nach Olympia
560 Pherekydes schreibt den Griechen ihre Sagen auf
559 Pythagoras flieht mit einem Nachfahren des Kleophylos aus Samos zu loniens
Weisen
559 Kyros (Kurash) besteigt den Perserthron
558 der alte Thales schickt Pythagoras nach Ägypten , um Erdvermessung zu er­
lernen
557 * Simonides von lulis auf Keos
557 * Milan von Kroton

308
556 t Stesichoros in Katana
555 Kolophons Tyrann verbannt Xenophanes, weil er die Götter des Homeros
schmäht
554 t Phalaris gestürzt und getötet
553 die Phokaier von Kyrnos ( Korsika) schlägt eine vereinigte Flotte von Etruskern
und Karthagern so verlustreich, dass sie aus Korsika fliehen müssen und Elea
in Lukanien gründen. Bei Castel a Mare della Brucca bleiben nur Ruinen
550 Sybaris, Metapontion und Kroton schliessen einen achaischen Bund gegen
die Barbaren
550 Aisopos, Sklave des ladmon von Samos, dichtet den Griechen die Fabel und
wird in Delphoi erschlagen
550 der Architekt Eupalinos von Megara versorgt Samos m it Wasser aus einem
Kanal von 1 036 Metern Länge
550 Grossgriechenlands Städte prägen die schönsten Münzen von der Welt
549 * Lasos von Hermione
549 Kyros unterwirft die Meder, zieht in Ekbanata ein und gründet das Perserreich
548 ein Feuer zerstört das Haus, das die Brüder Trophonios und Agamedes von
Orchomenos Apollon zu Delphoi errichtet haben
547 t Thales
546 Anaximandros handelt ohne Versmass vom Kosmos: es gibt Prosa
546 Kyros II. erobert Lydien, begnadigt aber König Kroisos
545 Kyros unterwirft die griechischen Tochterstädte an Kleinasiens Küste n : das
Denken flieht ins Grosse G riechenland und nach Athen
545 Anakreon und andere Flüchtlinge aus Teos gründen die Tochterstadt Abdera
in Thrakien
545 dem Orphiker Brontinos von Kroton wird die Theano geboren
543 Thespis von lkaria stiftet Apollon und Dionysos erste gemeinsame Feste in
Attikas Nordosten
54 1 Elis baut den Olympischen Spielen eine Rennbahn aus Stein
540 Xenophanes flieht aus dem von Persern eroberten Phokaia nach Elea (heute
Castellamare di Veglia) und stiftet eine Philosophenschule
540 Peisistratos erobert Athen zurück und vertreibt die Alkmeoniden nach Myr­
rhinus südlich von Marathon, allwo Aristion von Paros einer als Jungfrau ver­
storbenen Alkmeonidin das erste attische Grabmal in Stoichedon-Schrift setzt
540 Milon siegt als Ephebe in Olympia
540 Sybaris, Kroton und Metapontion besiegen und zerstören Siris
539 Kyros II. erobert Babylon

309
539 Apollons Haus in Delphoi für 3000 Talente wieder erbaut
538 Polykrates erhebt sich mit Fleischermessern zum Tyrannen über Samos, das
technisch aufblüht
537 Peisistratos baut dem befreienden Dionysos der Thraker ein Haus auf der
Akropolis
536 Kambyses' Krieger verschleppen Pythagoras nach Babylon, wo er das Rech­
nen lernt
535 * Herakleitos von Ephesos, Sohn Blosons aus dem Priesterkönigsgeschlecht
der Basilidai
534 Peisistratos holt die Dionysosfeste nach Athen und heisst Thespis von l karia
die erste Tragödie aufführen
532 Milon von Kroton holt in Olympia fast alle Siegeskränze
530 Peisistratos' tyrannische Söhne heissen alle Gesänge des Homeros in Folge
vortragen und aufschreiben
530 Kroton prägt Münzen mit Delphois Dreifuss
530 * H ippasos von Metapontion oder Sybaris
530 Polykrates beruft lbykos von Rhegion u nd Anakreon nach Samos, u m die Kna-
benliebe zu rühmen und seinen Sohn das Singen beizubringen
529 t Kyros {im Gefecht)
528 * Parmenides von Elea
528 Kambyses II., König von Persien, u nterwirft Ägypten und verschleppt Pythago-
ras ins Babylon der Stern- und Zahlenkunde
527 t Peisistratos
526 * Themistokles von Athen
526 Demodekes von Kroton wandert nach Samos aus und wird Polykrates' Leib-
arzt
525 * Aischylos von Eleusis
525 t Anaximenes
525 Polykrates baut der Hera ein unvollendetes Tempellabyrinth
524 Korinthos und Sparta greifen Samos an
524 Pythagoras kehrt nach Samos zu rück und gewinnt einen einzigen Hörer na­
mens Pythagoras; als Sklave dient i h m der Thraker Anacharsis
523 Demodekes flieht zum König Aristophilides von Taras und kehrt nach Kroton
heim, wo er Milons Tochter heiratet
523 Pythagoras wandert nach Sybaris ins G rosse G riechenland aus
522 t Polykrates {von einem persischen Satrapen auf Asiens Festland gelockt und
gekreuzigt)

31 0
522 * Pindaros in Kynoskephalai , den , H undeköpfen'
521 Dareios 1. erhebt sich zum persischen Grosskönig und führt Aramäisch als
Reichssprache samt Goldmünzen mit seinem Bild ein
520 in Rom angeblich erster bezahlter Lehrer und Erfinder des G
520 Telys steigt zum Tyrannen über Sybaris auf
520 die Gamoroi von Syrakusai prägen in Sizilien erste Münzen
5 1 9 fliehen der reiche Adel und Pythagoras aus Sybaris nach Kroton
5 1 6 Milan verliert zum ersten und letzten Mal in Olympia
5 1 5 Pratinas von Phlious bringt Satyrspiele nach Athen
5 1 4 die Gephyraier Harmodios u nd Aristogeiton (einer Liebhaber des andern) er­
morden Hipparchos, den kunstsinnigen Bruder von Athens Tyrannen
5 1 3 die von Kroton befreien den flüchtigen Demokedes aus persischer Verskla-
vung, Milan schenkt ihm seine Tochter
5 1 2 Pythagoras bestattet seinen Lehrer Pherekydes i m heiligen Delos
5 1 1 Telys lässt Krotons Gesandte niedermetzeln
5 1 1 der Tragiker Phrynichos lässt Männer erstmals Frauen spielen
5 1 0 Herakleitos aus ehemaliger Königssippe lehrt in Ephesos
51 O mit einer musikalischen Kriegslist schlägt Kroton die Reiterei der Sybariten
am Grenzfluss Traeis (heute Trionto) : einziger Musikkrieg der Geschichte. Der
Athlet und Pythagorashörer Milan führt Krotons Heer
51 O die von Kroton ersäufen Sybaris 70 Tage lang unter seinem Fluss gleichen Na­
mens, fast niemand überlebt. Im fernen Miletos vergiessen sie Tränen, wäh­
rend die Ü berlebenden nach Laos und Kidros fliehen
5 1 0 Epicharmos kommt nach Megara auf Sizilien
509 mit Spartas Hilfe vertreiben die Alkmeoniden Hippias, Athens letzten Tyrannen
508 Kleisthenes macht den Ostrakismos zum Gesetz und beweist so, dass Athe-
ner schreiben können sollten
507 Xenophanes verhöhnt Pythagoras' Erbarmen mit geprügelten H u nden
502 Pythagoras nimmt den reichen Kylon nicht unter seine Hörer auf
501 Theano schenkt dem Pythagoras Telauges
500 * Anaxagoras von Klazomenai
500 Epicharmos trennt gerade und ungerade Zahlen
500 Alkmaion von Kroton zerlegt Tiere u nd entdeckt den Sehnerv
500 die von Poseidonia bauen i h rer Hera drei Häuser: in der Stadt, am Meer und
auf dem Berg
500 akrophone Ziffern auf Terrakotten aus Kaulonia bezeugt

31 1
500 Hekataios von Miletos, Umwanderung der Erde samt Karte
500 Kylons Verschwörung , an der Hippasos teilnimmt, vertreibt Pythagoras von
Kroton nach Metapontion
500 die Etrusker dringen bis Bologna vor
500 t Anakreon in Athen
500 Himilkar von Karthago erkundet Cornwalls Zinngruben

499 Simonides lehrt Pindaros den Gesang


498 H ippokrates steigt zum Tyrannen von Gela auf
497 Archytas von Taras hört auf Pythagoras
497 Themistokles nennt seine beiden Töchter Sybaris und ltalia: Athen begehrt
also das Grosse Griechenland
496 * Sophokles von Kolonos (dem Waffenfabrikanten Sophillos)
495 * Perikles (mütterlicherseits aus dem Geschlecht der Alkmeoniden)
495 Kleinias herrscht als Tyran über Kroton
494 auf Chios öffnet eine erste öffentliche Schule
494 G rosskönig Dareios stürmt Miletos und verschleppt freie Griechen an den Ti­
gris
494 t Pythagoras in Metapontion, Aristaios tritt an seine Stelle
494 Anaxilaos, Tyrann von Rhegion, erobert Zankle, das nun Messene/Messina
heisst
493 * Empedokles von Akragas
493 Themistokles als Archon verlegt Athens Kriegshafen in den sicheren Pei raieus
492 König Aristophilides herrscht über Taras
492 Astylos von Kroton siegt im olympischen Doppellauf
49 1 Parmenides hört Hörer des Pythagoras
490 Korinna (•Mädchen•) von Tanagra lernt von Pindaros singen und schlägt ihn
i m Sängerwettkampf
490 bei m •Fencheldorf• Marathon an Attikas Ostküste schlagen Athener und Pla­
taier unter Miltiades das persische Landungsheer; die Haine daselbst sehen
Aischylos' Waffenruhm (sagt seine G rabinschrift)
490 nach Aristaios' Tod übernimmt Pythagoras' Sohn Mnemarchos den Orden, die
Pythagoreer kommen wieder zur Macht
490 homerischer Hymnos an Pan
490 * Zenon von Elea
490 Taras schlägt die Messaper

31 2
490 Herakleitos nennt den toten Pythagoras Vielwisser, Schwarzkü nstler und Be-
trüger
490 das Dionysostheater am Südhang von Athens Akropolis erhält Holzbänke
489 H ippasos scheidet die Pythagoreer in Akusmatiker und Mathematiker
488 Astylos von Kroton siegt in Olympia i m Stadionlauf und Diaulos
487 Theron steigt zum Tyrannen von Akagras auf
486 Chionides bringt Siziliens Komödien nach Athen
486 Die städtischen Dionysien nehmen Komödien auf
485 Duris zeichnet einen Epheben beim Schreiben, Lesen, Spielen
485 * Aristophanes
485 die von Aigina bauen der Aphaia auf ihrem Berg ein Haus
485 Gelon, Tyrann von Gela, erobert Syrakusai und steigt zum Strategos Autokra-
tor Siziliens auf
484 * Herodotos von Halikarnassos
484 Aischylos gewinnt seinen ersten Tragödienwettkampf
484 Epicharmos kommt nach Syrakusai
483 Themistokles erschliesst in Laureion neue Silberadern zum Bau von Kriegs-
schiffen
480 t Pythagoras in Metapontion (kann noch Empedokles lehren)
480 die athenische Flotte hält am Kap Artemision die persische auf
480 Themistokles schlägt die persische Flotte vor Salamis, auch Kroton entsendet
ein Schiff. Zum Chorführer ihres Siegesfestes küren Attikas Bürger ob seiner
Schönheit und Sangesku nst den Sophokles, blutjung und nackt
480 Akragas erbaut dem Zeus ein Haus
480 * P H I LOLAOS von Kroton
480 Archytas von Taras nennt seinen Sohn Mnesagoras
480 Herakleitos hinterlegt seine Schrift im Haus der Artemis von Ephesos
480 t Xenophanes
480 Hamilkar, Karthagos Stratege, unterliegt den verbündeten Tyrannen Gelon
und Theron bei Himera; das erbeutete Gold stiftet Gelon dem olympischen
Zeus
480 * Euripides von Salamis oder Phlyai
480 Xerxes' Heer u mgeht und vernichtet Leonidas' 300 Spartaner bei den Heissen
Quellen. Simonides schreibt den Toten aufs Grabmal, Lykurgos' ungeschrie­
benem Geheiss gefallen zu sein
479 Mardonios zerstört Athen ein zweites Mal

31 3
479 die griechische Flotte schlägt die persische vor Samos und befreit die Städte
loniens
479 Terina gewinnt seine Münzhohheit (gegen Kroton) zurück
478 Hieran von Gela steigt zum Tyrannen über Syrakusai auf
478 Athens Alkmeoniden stiften dem Apollon von Delphoi ein neues Haus
476 Hieran bewirtet Simonides, dessen Neffen Bakchylides und Pindaros, der H ie-
rons Sieg im olympischen Wagenrennen besingt
476 Hieran hindert Anaxilaos von Rhegion an der Zerstörung von Lokroi
476 alle G riechen ehren Themistokles bei den olympischen Spielen
476 Pindaros' erste Olympische Ode prägt das Wort µouo1Kä
4 75 t Herakleitos
475 Pythagoreer herrschen wieder über Kroton
475 Epicharmos verschweigt Pythagoras' Philosophie vor Hieran von Syrakusai
und erfindet zu ihrer Maskierung Komödien ohne Chor, von denen eine die
zwei Sirenen wiederbringt
475 * Leukippos von Miletos
475 M nemarchos übergibt die Schule an Boulagoras, unter dessen Leitung Kroton
geplündert wird
475 Lokroi und Rhegion fügen Kroton eine Niederlage zu
475 in Elea schreiben sich erste Alphabetziffern
475 H ierons Gast Aischylos wird Pythagoreer
474 Kume und Syrakusai schlagen vor Pompeii eine etruskische Flotte zurück
473 t H ippasos (im Meer ertrunken)
473 20000 Messaper stürmen das benachbarte, vom Tyrannen Myketos von Rhe­
gion unterstützte Taras. So viele Adlige verbluten, dass statt Königtum nur
Demokratie bleibt

472 Perikles stattet den Chor für die Perser aus, Aischylos' ersten Sieg im Tragö-
dienwettkampf
473 Hieran lädt Pindaros erneut nach Syrakusai , der aber altershalber absagt
472 * Lysis
471 der Tyrann von Akragas flieht vor den Karthagern
470 Parmenides verführt seinen Schüler Zenon
4 70 * Theodoros von Kyrene
470 die von Selinus bauen der Hera ein Haus
470 * Kratylos

31 4
470 Hieron schlägt Thrasydaios von Akragas und dessen pythagoreische Bundes-
genossen
4 70 * H ippokrates von Chios
469 * Sokrates
469 Empedokles herrscht drei Jahre über Akragas
468 t Simonides in Akragas
468 Sparta schlägt die Arkader bei Tegea
467 t Hieron von Syrakusai , von seinem Bruder Thrasybulos ersetzt
467 Aischylos siegt mit der Thebais
466 Akragras weist Empedokles aus
465 die von Elis bauen in Olympia dem Zeus ein Haus, Libon ist Baumeister
465 * H ippokrates von Kos
465 die Athener unter Kimon schlagen die Perser zu Land und See bei Eurymedon;
aus der Beute bauen sie die Stoa Poikile und das Gymnasion des Akademos
465 Syrakusai vertreibt seinen Tyrannen
465 * Aspasia von Miletos
464 die von Sparta ermorden Heloten , die am Tainaron im Haus des Poseidon
Zuflucht gesucht haben
465 Libon baut in Olympia dem Zeus ein Haus
464 Taras nimmt an den lapygern Rache und lässt seine siegreichen Reiter zu
Delphoi in Erz giessen (und Gefangene, ein Werk des Ageladas von Argos)
464 ein Erdbeben entvölkert Sparta: Die Heloten erheben sich zum dritten messe­
nischen Krieg
461 Perikles lässt den Spartanerfreund Kimon durch Ostrakismos stürzen
461 Kallikrates baut den Athenern zwei lange Mauern zu den Häfen Phaleron und
Peiraieus, rüstet also auf
460 Hanno von Karthago segelt bis Westafrika
460 t Zenon, beim versuchten Tyrannensturz zu Tod gefoltert, weil er seine Mitver-
schwörer nicht verrät
460 * Demokritos von Abdera
460 das Dionysostheater zu Athen erhält eine Skene aus Holz und Stoffen
460 t Themistokles als persischer Satrap von Magnesia
458 Aischylos siegt i m Dionysostheater mit seiner Oresteia
457 Sophokles besiegt Aischylos i m Tragödienwettkampf, der vor Zorn ins sizili­
sche Gela auswandert
457 Rom erwählt erstmals zehn Volkstribunen

31 5
456 t Aischylos
456 Anaxogoras von Klazomenai flieht als erster Philosoph nach Athen
455 die athenische Flotte zerstört Spartas Schiffswerften in Gytheion und siedelt
befreite Messenier im ägyptischen Naukratis an
455 Syrakusai besetzt Korsika und Elba
455 Pheidias giesst die Athena Promachos in Erz
455 Aigina muss sich den Athenern unterwerfen
454 akrophone Ziffern auch in Athen (privat) bezeugt
454 Brand i m Haus des toten Milon: Ä lle Pythagoreer ausser in Metapontion wer­
den von ihren Feinden aus den Städten vertrieben", nur Lysis und Philolaos
entkommen
454 Brand im Haus des toten Milon: Alle Pythagoreer ausser in Metapontion wer­
den von ihren Feinden aus den Städten vertrieben, nur Lysis und Philolaos
entkommen
454 der Pythagoreer Damon unterweist Perikles u nd Sokrates i m Reden und Mu­
sizieren, warnt sie aber (in Gedanken an Kroton) vor der wahren, nämlich
musikalischen Revolution
454 tHippasos
453 Thessalos gründet ein neues Sybaris - Kroton muss darniederliegen
453 Syrakusai macht der etruskischen Seeherrschaft ein Ende
45 1 * Alkibiades (mütterlicherseits aus dem Geschlecht der Alkmeoniden)
450 i n Rom werden ßwecks Aufzeichnung des Rechts zehn Männer mit ausseror­
dentlichen Vollmachten eingesetzt, von denen je einer zehn Tage lang Recht
spricht und die dann zehn Tafeln mit Gesetzen publizieren- die musikalische
Tetraktys versteinert zur römischen /ex.
450 die von Athen, um Aischylos über den Tod hinaus zu hören, beschliessen sei-
ne Buchrollen zu speichern
450 Leukippos wandert nach Abdera aus
450 t Parmenides auf Besuch in Athen
450 erste Rechtsinschrift von Gortyn auf Kreta, heute zwischen grünem Schilf und
Marmormauerresten
450 erste silbische Inschriften auf Kypros
450 Sophokles bekleidet das Priestertum des Arztes Alkon
450 * E urytos von Taras
450 H i ppokrates von Chios kommt nach Athen
449 Rom erweitert die zehn Gesetze u m zwei und stellt auf dem Forum zwölf Bron­
zetafeln auf: Offenbar bringen fliehende Pythagoreer die heilige harmonische
Tektraktys, aus der blosses Recht wird , ius aus v6µoc;

31 6
449 * Timotheos von Miletos
448 Sybaris erneut zerstört
448 zweiter Heiliger Krieg : Sparta rettet Delphoi vor den Phokern
448 t Appius Claudius, Decemvir von Roma (nachdem er sich an Verginius' ( !)
Tochter Virginia ( !) vergriffen hat, durch Selbstmord im Kerker)
447 Perikles heisst lktinos und Kallikrates die von Persern zerstörte Akropolis
schöner aus Pentelischem Marmor bauen
447 Damon, ein Schüler des Agathokles, bringt Nikias' Sohn die Musik bei
446 Sybaris, von Perikles unterstützt, steht vergebens gegen Kroton auf. Die be­
siegten Einwoh ner werden vertrieben, die Stadt dem Erdboden gleichge­
macht. Flüchtlinge bitten Perikles u m H ilfe
445 Hippodamos von Miletos baut den Peiraieus zum Schachbrettmuster u m
445 Sophokles führt d i e verschollene Tragödie Palamedes auf
445 Perikles verlässt seine Gattin und eigene Gesetze, um die Hetäre Aspasia zu
heiraten
445 Herodotos übersiedelt von Samos nach Athen, um erste Teile seiner Historiai
vorzulesen
445 die Athener verbannen Damon, der nach der Tyrannis strebt, durch Scherben-
gericht
445 * Agathon von Athen
445 Empedokles führt Akragas zur Demokratie
444 Taras übernimmt Athens rotfigurige Vasen
443 Perikles heisst alle Griechen Thurioi bei Sybaris gründen. Hippodamos von
Miletos entwirft den Stadtplan als Schachbrett
442 Sophokles mit seiner Antigone verzückt das Volk, das ihn zum Dank unter die
Strategen wählt
441 Perikles und Sophokles strafen als Strategen den Abfall von Samos
440 das messapische Brundisiu m verbündet sich mit Thurioi - gegen Taras?
440 Delos baut dem Apollon ein neues Haus
440 t Epicharmos
440 in Abdera gibt ein Hörer auf Pythagoras sein Wissen an Demokritos weiter
440 Die Lenaien führen Komödien auf
440 Hippokrates von Chios zeigt den Athenern, dass die mittlere Proportionale
zwischen zwei Strecken das Diagonalenproblem geometrisch löst, und nimmt
für Rechnen Geld
440 Empedokles flieht nach Thurioi

31 7
440 die Pythagoreer ziehen sich nach Rhegion zurück
439 * ARCHYTAS von Taras
438 Kore erscheint Pindaros, um ihn in i h r Totenreich zu holen , da er sie als einzige
Göttin nicht besungen habe
438 die von Taras schlagen die von Thurioi und weihen dem Olympischen Zeus
drei Bronzelanzen. Damit fällt Siris an Taras
438 Pheidias feilt der Akropolis eine Athena Promachos aus Gold und Elfenbein
437 die Athener zeihen Anaxagoras feh lender Götterscheu ; Perikles verhilft ihm
zur Flucht
436 Pheidias feilt den olympischen Zeus aus Gold und Elfenbein
435 Perikles lässt dem Poseidon beim Kap Sunion ein Haus errichten
434 Taras und Thurioi führen Krieg u m Siris' fruchtbare Ebene
432 Athen und Sparta schlittern in den peloponnesischen Krieg
432 Empedokles springt in die U nterwelt des Aetna, um zum Himmel aufzufahren
431 Perikles bewahrt Aspasia vor dem Todesurteil, die Götter zu entweihen, und
vertreibt die Aigineten von ihrer I nsel
43 1 * Dionysios von Syrakusai (als Sohn eines Maultiertreibers)
43 1 Perikles preist den Schlachtentod für Athen als « Schule des G riechenlandes »
43 1 Sokrates schläft bei Alkibiades, aber nicht mit ihm
430 l ktinos baut den Arkadern von Phigaleia bei Bassai , im Hochtal am Lykaion,
dem Apollon ein heiliges Haus - und wir pilgern hin
430 * Xenophon
430 die Lukaner bedrohen Thurioi
430 Kritias lässt in seiner Komödie rpaµµaTIKri Se:wpia zwei dramatische Halbchöre
Selbstlaute und Mitlaute zu Silben paaren
430 * Simmias von Thebai
430 Polykleides von Sikyon steht im Ruhm und überträgt den Kanon von der Musik
auf Statuen
430 Oinopides von Chios beschränkt die Geometrie auf Richtscheit u nd Zirkel
430 die Pest gelangt von Lemnos über Delos nach Athen
430 die von Kroton rufen 60 Pythagoreer aus Achaia zurück
430 Apollons Orakel auf Delos heisst die Athener, das Volumen seines Widderhor-
naltars zu verdoppeln, um der Pest zu wehren
430 H ippokrates von Kos stiftet die Heilku nde als Eid und Orden
430 Abdera prägt dem göttlichen Pythagoras zwei Tetradrachmen
430 H ippokrates von Chios schreibt erste mathematische Elemente

31 8
429 t Perikles (an der Pest wie vieltausend andere Athener)
429 die Musen am honigreichen Hymettos verheissen dem Kodriden Ariston einen
Sohn, dem Bienen den Honig süsser Rede auf die Lippen senken werden
428 Sophokles führt im Dionysostheater Oidipus Tyrannos auf
428 Euripides siegt m it seinem Hippolytos zum ersten Mal im Tragödienwettkampf:
Athen am Ende
428 t Anaxagoras in Lampsakos
428 * Platon (von der altadligen Periktione dem Ariston geschenkt)
427 ein Bund der dorischen gegen die ionischen Städte U nteritaliens bewegt die
ionischen zum H ilferuf an Athen, daher . . .
427 . . . Gorgias als Gesandter in Athen mit «schönem Mann aus Herakleia»
426 Athen greift von Rhegion aus Lokroi an
425 t Herodotos in Thurioi
425 Thrasybulos von Chalkedon erfindet den Prosarhythmus
425 Zopyros von Taras erfindet das Geschützwesen , u m den Griechen von Kume
gegen italische Barbaren zu helfen
425 t Zenon (zu Tod gefoltert)
423 Heras Haus am Fuss des H ügels Euboia, mittwegs zwischen Argos und My­
kenai , geht in Flammen auf; im Neubau setzt Polykleides der Rindergöttin ein
Bild aus Gold und Elfenbein
423 Aristophanes greift in den Wolken Sokrates als Götterleugner an
420 Lukaner werden mächtiger als G riechenstädte
420 t Aspasia
420 die Pythagoreer stossen H ippokrates von Chios aus, weil er für Mathematik
Geld nimmt
4 1 9 Athens Seereich führt einheitliche Münzen ein
4 1 8 Sparta siegt bei Mantineia und widerlegt Alkibiades' peloponnesischen Kriegs-
plan
4 1 8 * Epameinondas von Thebai
4 1 7 * Phaidon von Elis
4 1 7 * Theaitetos
4 1 6 Agathen begiesst seinen Sieg im Tragödienwettkampf mit Sokrates und Freun-
den zwei Nächte lang
4 1 5 Alkibiades überredet Athen zum sizilischen Abenteuer
4 1 5 Euripides führt die verschollene Tragödie Palamedes auf
4 1 5 Metapontion verweigert den Athenern die Landung

31 9
41 4 Taras nimmt die Kriegssch iffe des Gylippos von Sparta gastlich auf
41 4 Die Athener verwüsten Sizilien, cc Demeters und Kores heilige I nsel »
41 3 Metapontion u nd die Messaper u nter König Artes kommen Thurioi u n d dem
Landungsheer Athens zu Hilfe
4 1 3 Hermokrates von Syrakusai schlägt Athens Landungsheer: 2 Feldherrn ster­
ben unterm Schwert, 7000 Gemeine in den Steinbrüchen, die Ü berlebenden
bringen Siziliens Kindern das Vokalalphabet bei
41 3 den Athenern geht das Silber im Bergwerk von Laurion aus
4 1 2 Philolaos kehrt nach Grossgriechenland zurück, nimmt Archytas zum Schüler
und schreibt in Herakleia das erste pythagoreische Buch
4 1 2 Kratylos führt Platon ins Denken ein
4 1 2 Euripides, Ion
4 1 1 Aristophanes' Frösche bringen Aischylos mit einer Buchrolle auf die Bühne
4 1 1 Aristophanes, Thesmophoriazousai
41 1 Syrakusais Flotte und Zopyros mit seinen Geschützen kommen Miletos zu
H ilfe, um die Stadt von den Athenern zu befreien
4 1 0 Karthago lernt Syrakusai schöne Münzen ab
4 1 0 die letzten Pythagoreer fliehen nach Kleingriechenland
41 O Zeuxis von Herakleia mischt für Krotons Heraion Helena aus fünf schönen
auserlesenen Bräuten
409 * Dion von Syrakusai
409 E uripides setzt sich aus dem untergehenden Athen zum makedonischen Kö­
nig Archelaos nach Arethusa ab
408 Athen gewährt Alkibiades den Befehl zu Land und See
408 im Traum fliegt dem Sokrates ein singender Schwan zu: tags drauf tritt Platon
seinem Hörerkreis bei
408 drei rhodische Städte gründen nach Hippodamos' Plänen Rhodos
408 * Eudoxos von Knidos
407 t Euripides in Arethusa von H unden zerrissen, von Sophokles und seinen
Chören i m Dionysostheater beklagt
406 Dionysios 1. als Strategos Autokrator rettet Syrakusai vor Karthago
406 Karthago erobert Akragas
405 t Sophokles
405 Lysandros öffnet den Belagerungsring um Athen, um Sophokles' Leicham zur
G rablegung nach Dekeleia zu lassen
405 Aristophanes, Die Frösche

320
405 Kratylos verzweifelt an den Worten, zeigt nur noch auf Dinge u nd verschwindet
405 Phaidon kommt als Sklave nach Athen , wird freier Mann und Sokrates' liebster
Schüler
405 t Philolaos
405 ein Neffe oder Sohn führt Euripides' nachgelassene Bakkhai auf
405 Lysandros, Flottenführer Spartas, schlägt Athens letzte Flotte bei den Ziegen­
flüssen
405 Archytas löst den Deliern doch noch Apollons Pestorake l : die dritte Wurzel
seines Altars lässt sich geometrisch ziehen
405 Karthago verteidigt Gela gegen Dionysos mit mächtigen Maschinen
405 der tote Euripides gewinnt mit seinen Bakchai seinen vierten Preis
404 Ende des peloponnesischen Krieges : Athen ergibt sich vor Durst und H u nger
Lysandros, der 30 Tyrannen über die Stadt und 700 Spartaner auf die Akropo­
lis setzt
404 t Alkibiades {in Phrygien von Athens Tyrannen ermordet)
404 Dionysos erscheint Lysandros und heisst ihn Sophokles als Sirene ehren
403 Athen stürzt Spartas 30 Tyrannen und erhebt unter dem Archonten Eukleides
Ostioniens Alphabet aus 24 Buchstaben zu Schrift Bild Zahl der Polis
402 t Agathon {am Königshof von Makedonien)
402 Kinesias <der Chorostöter• schafft Chöre und Chorführer ab
401 Sophokles von Kolonos heisst aus dem Hades Oidipus auf Kolonos aufführen
40 1 Lysis bildet Epameinondas
401 Artaxerxes schlägt und tötet seinen Bruder Kyros bei Kunaxa, Xenophon muss
1 0000 geschlagene Söldner zurück ans Meer führen
400 t Hippokrates von Chios
400 hört ein Schäfer Philolaos m ittags aus dem Grab i m Freien singen
400 ARCHYTAS, rlepi µaSriµaT1Kric; / Ü ber Zahlenwissen
400 lukanische Barbaren nehmen Poseidonia ein
400 das Reich der Mitte ersinnt Instrumente mit Seidensaiten

399 Athens Geschworene verurteilen Sokrates, als Sündenbock seines Schülers


Alkibiades der Götterentweihung überfüh rt, zum Schierlingsbechertod
399 Sokrates' letztes Kerkergespräch sucht Philolaos dessen Hörern Simmias und
Kebes auszureden und die Liebe zwischen Kadmos und Harmonia, Alphabet
und Musik zu scheiden
399 t Sokrates {sobald das heilige Schiff aus Delos vor Kap Sounion gesichtet ist,
unter Phaidons Beistand am Schierlingsbecher)

321
399 der tote Schwätzer hinterlässt den G riechen eine Sprache aus lauter Wenn-
Dann-Bedingungen : die Koine (•gemeine•)
399 Platon verlässt Athen und lernt bei Eukleides in Megara
399 Dionysios holt bei Archytas Rat über Kriegsmaschinen ein
398 die Lukaner erobern Kume
397 Karthago erobert Siziliens Süd- und Ostküste und gründet unter Aphroditas
heiligem Berg Eryx die Stadt Lilybaion
397 Dionysios vertreibt mit Belagerungstürmen und Torsionskatapulten die Kar-
thager aus Motya
396 * Speusippos
396 Platon lernt in Kyrene bei Theodoros rechnen
395 Dionysios 1. von Syrakusai erhebt sich zum Archonten über ganz Sizilien
395 E urytos hört von einem Hirten , dass Philolaos aus seinem Grab gesungen hat
395 Platon macht das Ö l seiner Olivenhaine zu Geld, um nach Ägypten zu rei-
sen. Auf der Rückfahrt stellen die von Delos ihre Frage nach dem delischen
Problem
395 Kroton schliesst mit Sybaris und Kaulonia einen achaiischen Bund gegen die
Barbaren
394 « Viele Jahre„ nach dem Brand ruft Kroton die letzten Pythagoreer zurück, die
dann alle i m Kampf gegen Thurioi fallen
394 Xenophon zieht verbannt ins von Sparta beherrschte Elis
392 in Tempel der Hera Lukinia schliesst der achaiische Bund mit Thourioi, Hippo-
nion, Metapontion und Rhegion einen panhellenischen gegen die Barbaren
392 Dionysios schliesst mit Karthago Frieden
391 Aristophanes, Ekklesiazousai
391 Archytas führt Taras aus Bürgerkriegen zur Demokratie
390 t Theodoros
389 Dionysios nimmt nach 1 1 Monaten Belagerung Kaulonia ein und schlägt die
ltalioten am Eleporos
389 Platon , von Archytas als Gastfreund aufgenommen, studiert die Pythagoreer
u nd kauft Philolaos' Erben fü r 40 M i nen (2000 €) dessen Buch ab
389 der siegreicher Dionysios schliesst mit dem ltaliotenbund Frieden
388 cc ein Daimon bringt Platon von Italien nach Syrakusai » (Plut. Vit. Dion, IV 1 )
387 * M nesarete von Thespiai alias Phryne (bleich wie eine ,Kröte')
387 Platon kränkt Dionysios, der ihn als Sklaven verkaufen will. Von Archytas frei­
gekauft, kann Platon einen Garten vor Athens Dipylontor kaufen, wo er seinen
Akademos m it Opfern an die Musen eröffnet

322
387 Herakleia wird zum Sitz des Italischen Bundes
387 Dionysios macht Ancona zur Hafenstadt
387 Gallier u nter Brennus, trunken vor unbekanntem Wei n , stürmen Rom; nur das
Schnattern heiliger Gänse auf dem Kapitol rettet die Wehrbauern
386 Archytas steigt zum Strategos Autokrator über ganz Grossgriechenland auf
und führt sieben lange Jahre i n Folge das Heer von Sieg zu Sieg gegen die
Barbaren
386 Dionysios zerstört Rhegion, weil die Stadt auf Bitten um eine Braut ihm nur
des Henkers Tochter bietet
385 die von Delos bitten Platon um kubische H ilfe, er weist sie an bessere Mathe­
matiker
385 t Aristophanes
384 * Aristoteles (als Sohn der Phaistis u nd des Hofarztes Nikomachos im make-
donischen Stageira)
384 Platon, Phaidon
384 Dionysios unterjocht Kroton
383 die von Athen errichten dem Sophokles ein Heroen-Heiligtum
383 Dionysios bekriegt verbündete Karthago und Italiker
382 Agesilaos von Sparta überfällt Thebai m itten im Frieden und legt eine tyranni­
sche Garnison auf die Kadmeia
381 Eudoxos studiert in Ägypten Mathematik
380 t Lysis (hochbetagt in Theben, von Epameinondas nach Pythagoras' gehei­
mer Sitte beigesetzt)
380 Archytas und Dionysios verabreden zwischen Taras und Syrakusai Bürgschaf­
ten u nd Gastrechte
380 t Eurytos
379 Dionysios von Syrakusai unterwirft den Städtebund von Kroton , Thurioi, Kau­
lonia, plündert das Haus der Hera Lukinia und treibt die Pythagoreer zurück
ins Altland
379 die von Thebai ermorden Spartas Statthalter und rächen derart Krotons Fall
378 Dionysios plündert Persephones Haus in Lokroi
378 Eudoxos versteht seinen Lehrer Archytas besser als der selbst und stiftet in
Kyzikos eine mathematische Schule
378 Gorgidas von Theben paart 300 Liebhaber und Geliebte zur heiligen Schar,
um Sparta mit dessen eigenen Waffen zu schlagen
378 Platon, Das Trinkgelage
377 t Hippokrates (im thessalischen Larissa)

323
375 die von Epidauros bauen dem Asklepios ein Theater
375 Dionysios erstürmt Motya mit Belagerungsmaschinen
373 Platons Politeia schreibt eine ,Schönstadt' herbei, die er nicht mathematisch
wie Archytas, sondern philosophisch leiten würde
371 * Theophrastos von Eresos auf Lesbos
371 Thebens heilige Schar siegt bei Leuktra in schräger Schlachtordnung über ihre
spartanischen Lehrmeister
370 * Aristoxenos von Taras
370 Epameinondas fällt in die Pelopon nesos ein, um Arkadern und Messenern
i h re alte Freiheit wiederzugeben
370 Phryne von Theben schenkt reichen Athenern ihre Leibesöffnungen
370 Archytas zwingt Metapontion i n den italischen Bund
369 t Theaitetos (an einer Schlachtenwunde)
368 Dionysios wieder im Krieg gegen Karthago
367 t Dionysios
367 Dion überredet Archytas, Platon wieder nach Syrakusai einzuladen. Platon
lehnt ab und verfeindet sich darob mit Dion
367 Aristoteles findet als Pflanzensammler i n Platons akademischen Musenhain
367 Archytas hinter Platons Rücken beim j u ngen Dionysios
367 Dion bittet Platon zum zweiten Mal nach Silizien, um den jungen Dionysios
zum Philosophen auf dem Thron zu bilden
367 ein Vierteljahr später vertreibt Philistos den Dion auf Pelops' Insel oder nach
Athen
366 Aristoxenos trifft in Phleius letzte Pythagoreer
366 Platon dichtet den Pythagoreer seinen Phaidon
366 Praxiteles von Athen giesst Braurons hölzerne Artemis in Bronze
366 Platon warnt Archytas vor Amtsmüdigkeit
365 t Antisthenes
365 Archytas schreibt Platon, Ablehnung würde sein « moralisch-politisches Re­
formwerk» verhindern
365 Platon erlaubt dem Aristoteles, in Attika allerlei Blumen zu lesen
364 P raxiteles haut die Aphrodita von Knidos in Marmor, um seine Geliebte Phryne
nackt zu feiern
364 Rom wendet eine Pest auf Verlangen der Götter dadurch ab, dass sie in
Schauspielen nicht mehr auftreten
363 Athens 501 Geschworene sprechen Phryne von der Anklage frei, Aphrodita
zu entweihe n : in der entborgenen Nacktheit ihres Leibes west die Göttin an

324
362 t Epameinondas siegt bei Mantineia über die vereinigten Athener und Sparta­
ner, erliegt aber einem Wurfspiess. Daheim in Thebai finden seine Mitbürger
als einzigen Reichtum einen eisernen Bratspiess
362 Dionysios überredet Archytas, Platon zur dritten Fahrt nach Syrakusai zu über­
reden
360 Helikon von Kyzikos sagt Dionysios die Sonnenfinsternis vom 1 2. Mai voraus
360 Archytas sendet eine Galeere mit 30 Ruderern von Taras nach Syrakusai, u m
seinen Gastfreund Platon a u s Dionysios' Kerker zu retten
359 t Archytas (und mit ihm die Technik)
358 t Timotheus in Makedonien
357 Dion mit Speusippos i m Gefolge vertreibt Dionysios, u m Syrakusai die Adels­
herrschaft wiederzugeben, der Flüchtling hurt in Lokroi
356 t Philistos
356 dritter heiliger Krieg : alle G riechen kämpfen um Delphoi , aber Philippos von
Makedonien entscheidet
356 die Bruttier vereinen sich zum Bund, um Süditaliens Griechen anzugreifen
356 * Alexandros, Königssohn von Makedonien
355 Dionysios II., aus Syrakusai vertrieben , wird Tyran n von Lokroi
355 t Eudoxos
350 Eudoxos lehrt in Platons Akademos
350 Taras verfällt dem Luxus
350 t Xenophon (in korinthischer Verbannung)
350 Kroton und Thurioi verlieren i h re Ländereien an die Samniter
349 t Dion (verbittert u nd menschenscheu, von Platons Freund Kallipos ermordet)
348 Platon erzählt Solons Geschichte von Troia-Atlantis weiter und schreibt Dions
Verwandten einen Trostbrief
34 7 t Eudoxos
347 t Platon (über Atlantis schreibend) wird auf dem Kerameikos bestattet. Speu­
sippos, Sohn seiner Schwester Potone, darf die Nachfolge antreten und Pla­
tons Akademie vom Reden zum Rechnen zurückführen
347 Phokis und Thebais, von Guerillakriegen erledigt, ergeben sich Philippos von
Makedonien
346 Aristoteles und Xenophanes verlassen aus Unlust am Rechnen den Akade­
mos. Aristoteles geht an den Hof seines Freundes, des Tyrannen Hermias von
Atarneos, dessen Nichte und Adoptivtochter er heiratet
346 Dionysios erobert Syrakusai wieder, Die von Lokroi nehmen Rache, verjagen
seine Garnison, verhuren und schlachten seine Töchter; ja sie greifen Taras
wegen U nterstützung des Dionysios an

325
345 Aristoteles forscht auf Lesbos allen Tieren Blumen Pflanzen nach
344 Timoleon von Korinthos vertreibt Dionysios I I . ein zweites Mal aus Syrakusai
nach Korinthos, woselbst der Tyran n Kindern die Buchstaben lehrt u nd Ari­
stoxenos von den Pythagoreern erzählt. Die Lokrer bringen, nachdem sie sie
geschändet haben, seine Frau und Töchter um
343 Philippos beruft Aristoteles, der in einem Nymphenhain bei Mieza dem Kö­
nigssohn Alexandras attische Tragödien und homerische Gesänge vorliest:
Der junge Held bewahrt Achilleus i m Herzen und legt die Aristotelische Re­
zension des Homeros in eine kostbar elfenbeinerne Kapsel für Medikamente,
die Achilleus' auf ihn überträgt
343 Roma errichtet dem Pythagoras ein Standbild
343 Taras stärkt Roma im ersten Samniterkrieg den Rücken
342 * Epikuros auf Samos
341 Aristoxenos, rle:pi nu9ayop1Koü ßiou / Über pythagoreischen Lebenswandel
341 Artaxerxes III. lässt Hermeias von Aterneus, Aristoteles' Schwiegervater, fol-
tern und ermorden
340 die Lukaner greifen Taras an
340 Timoleon wehrt die Karthager am Krimisos ab
340 Aristoxenos, rle:pi Äpxura ßi<i> I Über Archytas ' Leben
338 Archidamos I I I . von Sparta, von Taras zur H ilfe gerufen, fällt im Feldzug gegen
die Lukaner
338 Makedoniens König Philippos vernichtet bei Chaironeia das freie G riechen­
land
338 t lsokrates (zu Tod gehungert)
335 Aristoteles keh rt nach Athen zurück u nd lässt in einem Hai n , der Apollon Ly­
keios und den Musen heilig ist, halbwegs zwischen Lykabettos und lllisos eine
Halle bauen, unter deren Laubdächern er wandelnd denkt
335 Alexandras zerstört Theben und die Kadmeia
335 Roma prägt erstes Kupfergeld
334 Alexandras und sein Heer überqueren den Hellespontos
334 t Speusippos (an Lebensüberdruss)
333 Phryne bezahlt Thebens Neubau u nter der Bedingung einer Inschrift: Zerstört
habe die Stadt Alexandras, wieder aufgebaut die Hure
332 Alexandras gründet Alexandreia
330 Lykurgos schenkt dem Dionysostheater ein Zuschauerhalbrund aus Stein und
ord net an, von allen Tragödien des Aischylos, Sophokles, Euripides Buchrollen
i m Staatsarchiv Athens zu bergen

326
330 Aristoteles widmet den Pythagoreern und Archytas vier verschollene Schrift­
rollen
328 Lysippos giesst denen von Taras Zeus und einen sitzenden Herakles in über­
lebensgrosse Bronze
327 Taras kann Neapolis nicht, wie versprochen, vor den Römern schützen
326 Alexandros sucht die Ostgrenze der bewohnten Welt in Nordwestindien, wird
zwar vom eigenen Heer am Hyphasis zur Kehre gezwungen , aber bis heute
leben einiger Deserteure Kindeskinder daselbst nach griechischer Sitte
330 Alexandros von Epeiros als Söldnerführer von Taras schlägt die Lukaner und
fällt
323 Alexandros' Leichnam, in eine Badewanne voller Honig eingebettet, wird von
Babylon nach Alexandria überführt
323 Athen klagt Alexandros' Erzieher Aristoteles der Asebie an, der eher nach
Chalkis flieht, als Idioten cczweimal an der Philosophie freveln zu lassen»
322 t Aristoteles in Chalkis auf Euboia
322 Theophrastos, nicht wie erhofft Aristoxenos, beerbt Aristoteles' Lykeion
3 1 9 * Pyrrhos, König von Epiros
3 1 7 t Aristoxenos
3 1 5 ein Streit zwischen kriegerischem Adel und Fischern lähmt Taras
3 1 2 Der blinde Appius Claudius wird Censor und lässt die Via Appia nach Capua
bauen
31 O * Theokritos von Syrakusai
306 Epikuros öffnet seinen Garten vor Athen, u m Männern und Frauen philosophi-
sche Weltverborgenheit zu lehren
305 * Hieron I I . von Syrakusai
303 Kleomenes von Sparta bewahrt Taras vor den Lukanern
303 Taras und Rom schliessen Frieden und ziehen ihren Flotten bei Kap Lakinion
eine Grenze

298 Agathokles verteidigt Taras gegen Lukanier und Messaper


295 Agathokles gewinnt Kroton
290 Eukleides gibt seine Elemente im Museion von Alexandreia heraus
287 * Archimedes von Syrakusai
287 t Theophrastos (nachdem Aristoteles' Handschriftrollen vor der Nässe und
Pergamons buchräuberischen Königen gesichert sind)
285 Demetrios von Phaleron bewegt Ptolemaios Soter dazu, i m Musaion von Alex­
andreia 200000 Buchrollen zu sammeln

327
285 Thurioi sucht bei Roma gegen die Samniter H ilfe
284 * Livius Andronicus in Taras
283 Ptolemaios Philadelphos (•Liebhaber seiner Schwester> stiftet Alexandreia ein
Museion und eine Bibliothek
282 Taras erbeutet eine Kriegsflotte Romas, die vertragsbrüchig im schönsten aller
Häfen eingefahren ist
282 Fabricius Luscinius schlägt die Lukaner und besetzt Thurioi , Lokroi, Kroton
u nd Rhegion auf Dauer
282 Lucius Postumus Megellus verhandelt mit Taras auf Griechisch, wird beleidigt
u nd so Kriegsgrund
281 Pyrrhos lässt Milon die Burg von Taras sichern
280 Konon von Samos, Astronom, Mathematiker und dem Archimedes freund, er­
hebt Berenikes Haarlocke u nter die Sternbilder
280 * Apollonios Rhodios in Alexandreia
280 Pyrrhos kommt Taras über Meer gegen römische Angreifer zu H ilfe und erringt
mit 25000 Mann und 20 Elefanten bei Herakleia . . .
279 . . . u nd Asculum zwei Pyrrhussiege
275 * Eratosthenes von Kyrene
275 D u ris, Tyrann von Samos, sagt Penelopeia nach , sie habe mit allen 1 08 Freiern
geschlafen u nd so den Pan empfangen
275 Hieron wird Strategos von Syrakusai
273 Milon ergibt Taras den Römern, die die Festungsmauern schleifen
272 t Pyrrhos (beim Strassenkampf um Argos)
271 t Epikuros (zu seinen weltentrückten Göttern entrückt)
270 Ktesibios von Alexandreia erfindet die Wasserorgel
269 Rom prägt das erste Silbergeld
265 auf Paros schreiben sich die Jahrhu nderte des Griechenlandes in Marmor an
265 Messene fällt an Rom
262 * Apollonios von Perge
260 t Theokritos
260 Archimedes erfindet die Mechanik wieder, stellt sein Hebelgesetz auf u nd
schreibt an Eratosthenes, mathematische Funde zählten auch ohne Beweis
255 Hieron von Syrakusai bittet Archimedes, aus seinem hebelgesetzlichem Fla­
schenzug eine Kriegsmaschine gegen Romas Flotten zu schmieden ZU FR Ü H
248 Apollonios, Argonautika
247 * Hannibal

328
247 Kallimachos von Kyrene greift Apollonios an, ein grosses Epos gedichtet zu
haben; der Sänger flieht auf die einsame I nsel Rhodos
244 König Agis IV. sucht Sparta ein letztes Mal auf die Musik zu gründen
242 Livius Andronicus, als Sklave von Taras nach Rom verschleppt, übersetzt die
Odyssee in barbarische Saturnier
241 Karthagos Söldner fordern ihren Sold und greifen an
239 * Ennius in Rudiae bei Taras
238 Karthago wird vom eigenen Söldnerheer belagert und mit Katapu lten beschos­
sen
238 Rom baut der Flora einen Tempel
229 Hamilkar ertrinkt i m spanischen Feldzug
22 1 Hannibal erobert Spanien
220 in Dura-Europos am Euphrat taucht Pergament als Schreibstoff auf
2 1 8 Hannibal überquert mit 37 Schlachtelefanten die Westalpen
2 1 7 Hannibal schlägt Gaius Flaminius, den Volkstribun , am Trasimenischen See
2 1 6 Hannibal vernichtet 2 Legionen und 1 Consul bei Cannae in Apulien
2 1 5 t H ieron I I .
2 1 5 Rom weiht der Venus Victrix einen ersten Tempel
2 1 6 * Aristarchos von Samothrake
2 1 4 Hera Lakinia erscheint Hannibal im Traum und untersagt ihm, eine ihrer gol­
denen Säulen zu entführen
2 1 5 t Hieron I I . von Syrakusai
2 1 3 Taras und Herakleia gehen zu Hannibal über; nur die Akropolis von Taras kann
ein Römer halten
2 1 2 Hannibal nimmt Lokroi, Metapontion, Thurioi und wählt das halb entvölkerte
Kroton als Waffenplatz
2 1 1 Marcellus nimmt das von Artemis berauschte Syrakusai ein. Archimedes fällt
unter einem Römerschwert
209 Quintus Fabius Maximus (Cunctator) nimmt dank Verrätern Taras wieder ein,
verschleppt den kolossalen Herakles u nd 30000 Griechen als Sklaven nach
Rom
208 Hannibal ehrt unter zwei von seinem Heer zugleich erschlagenen Consu l n , die
Lokroi Epizephyrioi wiederzugewinnen suchen , nur Marcellus
207 Nearchos von Taras erzählt dem alten Cato von Pythagoras
204 Hannibal schlägt Rom ein letztes Mal bei Kroton
204 t Livius Andronicus, die Odusea ans Latein verratend

329
203 Hannibal nimmt die Bürger von Metapontion, das fortan verfällt, zum Schutz
vor röm ischer Sklaverei an Bord und setzt von Kroton nach Karthago über
202 Dionysos führt seine Feste aus Taras nach Roma ein
202 Apollonios Rhodios folgt Eratosthenes als Bibliothekar von Alexandreia
201 alle Verbündeten Hannibals verlieren wie Kroton ihr Land und werden römi­
sche Kolonien
200 Apollonios, Kov1K6 / Über Kegelschnitte

1 95 Lykophron, Alexandra
1 95 t Eratosthenes
1 93 Aristophanes von Byzantion streicht den 24. Gesang der Odyssee, so dass
die Sage wieder im Bett von Held u nd Heldin endet
1 9 1 Titus Maccius Plautus versaut Attikas neue Komödien auf Latein
1 90 t Apollonios von Perga in Pamphylien
1 90 * H ipparchos von Nikaia in Bithynien
1 90 Ptolemaios Epiphanes von Ägypten verhängt ein Embargo über Papyrusaus­
fuhren, um seinen Rivalen Eumenes I I. von Pergamon am Büchersammeln zu
h i ndern, worauf Pergamon (der Name sagt es) auf Pergament umstellt
1 87 Rom prägt Denare als X (römisch geschriebene) Asse, fugt also die Münze
als Bild Schrift Zahl
1 86 ein Senatus consultum de bacchanalibus untersagt ganz Italien, den Dionysos
zu feiern
1 84 Lucius Postumius, Praetor von Tarentu m , lässt alle Mysten des Dionysos hin-
richten
1 83 t Hannibal (trinkt Gift, um Roms Schergen zu entgehen)
1 83 Scipio Africanus liest nur noch Griechen und stirbt im Groll auf Rom
1 8 1 in N umas Grab gefundene pythagoreische Schriften werden auf Befehl des
Prätors verbrannt, weil sie die Religion bedrohen
1 79 Roms I ngenieure fügen aus Kreissegmenten und griechischer Mathematik die
erste Steinbrücke
1 79 t Aristophanes von Byzantion
1 7 1 Apellikos von Theos findet Aristoteles' Buchrollen wieder
1 70 t Apollonios
1 69 t Ennius
1 68 Krates von Malles trägt griechisches Wissen nach Rom
1 68 Aemilius Paullus, Sieger von Pydna, verschleppt die Hofbibliothek der Make­
donen von Pella nach Rom

330
1 6 1 H ipparchos schaut auf Rhodos zum Nachthimmel und tabelliert nebst 850
Sternen die Sehnen im Kreis
1 6 1 Roms Senat erlaubt dem Praetor, griechische Denker und Redner auszuwei­
sen
1 60 Aristarchos schreibt alten Sängen Vokalakzente ein und emendiert sie
1 55 Karneades zeigt dem Senat und Volk von Rom, was Philosophie ist
1 46 Lucius Mummius macht Korinthos dem Erdboden gleich , Scipio Karthago
1 45 Eudoxos von Kyzikos segelt im Auftrag des Ptolemaios Euergetes nach I ndien
und zurück, u m mit Tanzmädchen, Zimmerleuten, Ä rzten an Bord vor West­
afrikas Küste zu verschwinden
1 44 t Aristarchos
1 35 * Poseidonios von Apamea ( nicht blass „Ciceros Erzieher")
1 26 t H ipparchos
1 2 1 * M. Terentius Varro, einziger Wehrbauer, der denkt
1 06 * Marcus Tullius Cicero
1 02 * Gaius lulius Caesar
1 00 erste gallische I nschriften

99 * Titus Lucretius Carus, Roms einziger Dichterdenker


86 Sulla erobert und plündert Athen
84 Gaius Valerius Catullus
84 Sulla verschleppt Aristoteles' wiedergefundene Schriftrollen in Roms öffentli­
che Lesesäle
83 mit Romas Kapitol verbrennen auch die Palmbücher seiner Sibyllen
80 nach geglückter Verführung einer Pythia orakeln in Delphoi statt junger Bräute
geprüfte Jungfrauen über Fünfzig
74 Lucullus bringt die Kirsche nach Italien
70 * Publius Vergilius Maro bei Mantua
70 Lucullus erbeutet in Sinope die Hofbibliothek des 1 9-sprachigen Mithridates
65 * Quintus Horatius Flaccus in Venusia, nachmals Venosa
65 Lucretius dichtet De rerum natura, um Gaius Memmius, einem blöden itali-
schen Wehrbauern, das Wissen der G riechen zu schenken
63 * Gaius Octavianus (Augustus)
57 Memmius als Propraetor Bithyniens defloriert den Dichterling Catullus
55 t Lucretius (durch Selbstmord oder Liebestrank)
53 t Catullus

33 1
51 t Poseidonios
51 Ciceros Somnium Scipionis überliefert die Harmonie der Sphären
50 das Reich der Mitte ersinnt Papier
47 Ceasar heisst Varro von Reate eine öffentliche griechisch-lateinische Doppel-
bibliothek ergattern
44 t Caesar (unter 23 Dolchstichen)
43 * Publius Ovidius Naso in Sulmo
43 t Cicero (zu Tode proskribiert)
42 * Tiberius Claudius Nero
39 * lulia Maior, Augustus' einzige Tochter
31 Vitruvius widmet Augustus zehn Bücher De architectura
30 t Kleopatra von Ägypten und Marcus Antonius (durch Selbstmorde zu Alex-
andria)
28 t Varro
27 der Senat spricht Octavianus den Titel Augustus zu
21 Horatius lässt durchblicken, dass sich auf dem Palatin lauter griechische Buch-
rollen stapeln, während die lateinischen Regale vor leere strahlen
1 9 * lulia Minor, Tochter lulias von Agrippa
1 8 Augustus erlässt die /ex Julia de maritandis ordinibus
1 7 Augustus erlässt die /ex Julia de adulteribus coercendis
1 7 Horatius dichtet dem Augustus sein Carmen saeculare, Roms einziges Chor­
lied
2 Augustus verbannt seine ehebrechende Tochter lulia auf die I nsel Panderia
vor Neapel
PC

2 in Neapel stiftet Augustus vierjährige Augustalia zum Wettkampf in griechi-


schem Dichten
4 Augustus nimmt nach dem Tod beider Enkel den Tiberius zum Sohn
5 * Seneca in Cordoba
8 Augustus verbannt lulia Minor auf eine einsame I nsel und Ovidius nach To­
mis (Constanza) am Schwarzen Meer; die Ars amatoria verschwindet aus den
Büchereien
8 t Horatius in Rom
9 Augustus mildert mit der /ex Papia Poppaea die /ex Julia de maritandis ordini­
bus

332
9 Quintilius Varus und drei Legionen verrecken im waldigen Gemetzel bei Pa-
derborn

1 2 mit 25 Legionen (300 000 Mann) beherrscht Augustus den orbis terrarum
1 3 Augustus überträgt das imperium consulare auf Tiberius
1 4 t Augustus in Nola (vom Senat zum Gott erklärt)
1 4 t lulia Maiar (auf Tiberius' Befehl verhu ngert)
1 7 t Ovidius (in dakisch/ru mänischer Verbannung zu Pythagoras bekehrt)
1 7 Tiberius vom Senat zum I mperator ausgerufen
1 8 Tiberius verbannt Juden und Sekten überhaupt aus Rom
1 9 t Vergilius (aus Griechenland zurück im Hafen von Brundisium)
25 Ein Gerücht, der grosse Pan sei tot, kommt vor Tiberius, der seinen Philologen
den Satz entlockt, Pan sei Penelopes Sohn von Hermes
26 Tiberius zieht nach Spelunca („Sperlonga") , um Kirkes I nsel jeden Tag zu se­
hen
27 Tiberius verlegt das Imperi u m nach Capri, um in der Blauen G rotte jungem
Fleisch zu frönen und seine G rammatiker zu fragen, was die Sirenen auf den
Nachbarklippen einst gesungen haben
27 Agrippa lässt das Pantheon zu Roma als vollkommene Kuppel bauen
28 t lulia Minor (auf die I nsel Trimerus vor Apulien verbannt)
37 t Tiberius in Lucullus' kirschenreicher Villa. „In den Tiber mit Tiberius !"hat die
Plebs gut schreien"
37 * Lucius Domitius Nero in Antiu m
4 0 Pseudo-Longinos, rlepi üljJouc; I Über das Erhabene
46 * Plutarchos von Chaironeia in Boiotien
50 Apollodoros von Athen, B1ßA109riK11, ignoriert alles Römische
59 t l u l ia Agrippina (von Nero ermordet und samenbeschmutzt)
60 Paulas von Tarsos setzt Kretas ersten Bischof ein u nd verwechselt das Aufer-
stehen gesalbter Fleische und griechischer Götter
61 Petronius, Cena Trimalchionis
62 Heran von Alexandreia sagt eine Mondfinsternis voraus
64 Getaufte und/oder Sklaven (nicht Nero) setzen Roma aeterna in Brand
65 t Seneca (von Nero zum Selbstmord gezwungen)
67 t Petronius, Neros arbiter elegantiae (durch sanften Selbstmord)
68 t Nero (auf der Flucht von einem Freigelassenen wunschgemäss erdolcht)
70 * Gaius Suetonius Tranquillus

333
76 * Publius Aelius Hadrianus
79 ein Vesuvausbruch verschüttet Herculaneum und Pompeii
80 erste Codices von llias und Odyssee
85 * Klaudios Ptolemaios von Alexandreia
86 Martialis rät seinen Lesern Taschenbuchausgaben in Codexform an
95 Delphoi beruft Plutarchos zum Apollonpriester

1 00 N i komachos von Gerasa in Palaestina, 'Evxe1piö1ov apµOVIKr')c; / Handbuch der


Harmonik
115 * Aulus Gellius
1 1 7 Hadrianus folgt als Imperator seinem Adoptiwater Traianus
117 * Antinous
1 1 9 Gaius Suetonius Tranquillus steigt u nter Hadrianus zum magister a studiis, a
bibliothecis u nd schliesslich ab epistulis auf
1 20 Hadrianus ernennt Mesomedes von Kreta zum Hofsänger
1 21 * Marcus Aurelius Antoninus
1 22 Hadrianus entlässt den indiskreten Suetonius
1 23 * Apuleius von Madauros in Nordafrika
1 25 Hadrianus reist ins Griechenland, um es zu wiederholen , und errichtet Zeus
(nicht mehr Athene) den grössten aller Tempel von Athen
1 27 t Plutarchos
1 30 Antinous aus Klaudiopolis in Bithynien, Geliebter Hadrians, opfert sich auf
zweisamer Bootsfahrt dem Gott Nil
1 3 1 Hadrianus untersagt den Juden die Beschneidung
1 35 Hadranus stiftet Denkern u nd Rednern in Rom ein Athenaion, den ersten Vor­
schein unserer U niversitäten
1 36 H adrianus lässt in Aelia Capitolina (vormals Jerusalem) dem Jupiter Capitoli­
nus ein Haus errichten. Kein Kaiser war mehr Kaiser
1 38 t Hadrianus in Baiae bei Neapel, eigene Verse auf den Lippen:
animula vagula blandula
hospes comesque corporis
quae nunc abibis in locos
pallidos nudos frigidos
nec ut soles dabis iocos.
1 44 Markion von Sinope verwirft den Gott des Alten Testaments und kanonisiert
das Neue
1 48 Pausanias erwandert und beschreibt das Griechenland, wie es gewesen ist

334
1 50 Antoninus Pius setzt Denkern u nd Rednern Gehälter aus
1 50 Claudius Ptolemaios' Megale syntaxis tabelliert die Sehnen i m Kreis, u m auf
arabisch Almagest zu werden
1 60 Lukianos, Hetärengespräche
1 61 Marcus Aurelius steigt zum I mperator auf
1 62 Aulus Gellius, Noctes Atticae
1 65 Marcus Aurelius beruft Galenus zum Leibarzt
1 69 t Ptolemaios
1 75 Apuleius, De institutione Arithmetica, überträgt Nikomachos von Gerasa ins
Lateinische
1 76 Pausanias' rlepn'wrio1c; , unser alter Reiseführer durch das Griechenland, bricht
ab
1 78 I mperator Marcus Aurelius, TC e:ic; eaurov, An ihn selber
1 80 Apuleius, Me:raµ6pq>woe:1c; / Der goldene Esel
1 80 t Marcus Aurelius in Vindobona (Wien)
1 95 Athenaios von Naukratis versammelt in seinen Deipnosophistai griechische
Mahle, Räusche und Liebeskünste
1 97 Tertullianus, De spectaculis

200 t Galenus in Rom


200 das I mperium importiert Seidenkleider aus dem Reich der Mitte
203 * Varius Avitus Bassianus (im syrischen Sonnentempel von Emesa)
2 1 7 die Legionen rufen Bassianus zum I mperator und Heliogabalus zum (,Sonnen­
gott') aus
2 1 8 Kaiser Heliogabalus zieht in Rom ein, u m blöden Weltstädtern Syriens Lüste
und Musiken zu entbergen
220 Longos, Lesbisches Hirtengedicht von Daphnis und Ch/oe
222 t Heliogabalus (als verstümmelte Leiche von seinen Garden i n den Tiber ge-
worfen)
230 Heliodores von Emesa, Ai81on1Ka
234 * Porphyrios von Tyros
240 Diogenes von Laerte, Leben und Lehren der Philosophen
250 * lamblichos von Chalkis in Syrien
250 Diophantos von Alexandreia, Äp18µrinK6
270 Aurelianus gründet das Imperium auf Verehrung des unbesiegten Sonnengot­
tes (so/ invictus) und behütet Rom mit neuen weiten hohen Mauern

335
293 Gaius Aurelius Valerius Diocletianius aus Dalmatien nennt sich Gott zu Leb­
zeiten. Um das Imperiu m ein zweites Mal zu stiften, müssen Untertanen in
h ü ndisch-orientalische Kniee brechen
296 Diocletianus entfernt Getaufte aus Heer und Ä mtern
300 Origines gründet die Christenbücherei von Caesarea und lässt Buchrollen zu
blätterbaren Codices umschreiben
301 Diocletianus setzt im Edictum de pretiis rerum venalium Maximaltarife unter
anderem für Papyrus und Pergament fest
303 Diocletianus befiehlt, alle Kirchen der Christen niederzureissen , ihre heiligen
Schriften zu vernichten u nd jeden sogenannten Gottesdienst zu untersagen.
Kaiser wissen, was sie tun
305 t Porphyrios
3 1 2 Scharmützel an der Milvischen Brücke : cc ln hoc signo vinces»
31 1 * Wulfila
3 1 5 lamblichos ruft den Schatten des Pythagoras herauf
320 Pappos von Alexandreia, ruvayoyr'}
331 * Flavius Claudius Julianus in Konstantinopolis
333 t lamblichos
337 * Ambrosius als Sohn eines Praetorianerpräfekten
340 Julianus schwört den Christen heim lich ab
34 1 Wulfila, Missionsbischof der Arianer, übersetzt das Neue Testament ins Go­
tische, mischt griechisches, lateinisches, runisches Alphabet und wahrt die
griechischen Ziffernwerte der Buchstaben
354 * Augustinus
357 Julianus schlägt bei Strassburg die Alemannen und sichert dem Imperium die
Rheingrenze
361 die Legionen am Limes germanicus, nach germanisch-keltischem Brauch, er­
heben Julianus zum Augustus
362 Kalidasa besingt am Hof Samudraguptas die schöne Cakuntalä
362 Julianus bekämpft Getaufte ohne Blutvergiessen und untersagt i h nen, mit
Schülern die Dichter und Denker G riechenlands zu lesen
363 Julianus bannt die Persergefahr an Roms Ostgrenzen und zieht im Triumph zu
Ktesiphon ein, nur um beim Dorf Maronga einem vergifteten Pfeilstreifschuss
zu erliegen
368 Decius Magnus Ausonius holt ein junges blondes Schwabenbeutemädchen
als Geliebte nach Bordeaux
370 Theon von Alexandreia, letztes Mitglied des Museion, zieht Quadratwurzeln
durch Iteration

336
371 Augustinus verfällt in Karthago heidnischen Reden, Lüsten und Schauspielen
378 I mperator Valens fällt vor Adrianopolis gegen die Westgoten
383 t Wulfila
384 Augustinus ertappt Ambrosius, den Bischof von Mailand , beim leisen Bücher­
lesen
380 Ammanius Marcellinus schenkt dem toten Julianus Geschichte und Gedenken
386 Ambrosius ersinnt, u m das Volk von Mailand gegen Kaiserin lusti nas Belage­
rung zu stärken und von wüsten Sängen abzubringen, christliche Hymnen
387 t Ambrosius, nachdem er Augustinus u nd dessen natürlichen Sohn Adeoda-
tus (•von Gott gegeben •) am selben Tag getauft hat
390 Kaiser Theodosius heisst die Pythia im Namen seines einen Gottes schweigen
39 1 ein Christenbischof lässt die Bibliothek von Alexandreia vernichten
393 Olympia feiert letzte Wettkämpfe, bevor Theodosios alle heidnischen Kulte un­
tersagt
394 t Ausonius als frommer Christ (auf seinem Weingut im Medoc)
399 Theodosios verbietet, heidnische Schauspiele sonntags aufzuführen

400 Arianische Missionare bringen den Deutschen Teufel und Engel bei , als ob sie
nicht dasselbe wären
4 1 0 Alarichs Westgoten plü ndern Roma aeterna
4 1 O die Legionen müssen England räumen
41 0 * Proklos in Konstantipolis
4 1 3 die Weine von Burdigala/Bordeaux fallen an die Weissgoten
4 1 5 Hypatia, Theons Tochter und Alexandreias schönste Mathematikerin, wird von
einem bischöflich ferngesteuerten Christen mob gesteinigt
425 Theodosius I I . stiftet die Universität Konstantinopel
427 Anaradschapura wird Ceylons Königssitz
429 t Augustinus (während die Vandalen schon Hippo Regius belagern)
436 Westroms Heermeister metzelt die Burgunderkönigssippe zu Worms am
Rhein
445 Proklos, Kommentar zu Eukleides ' rro1xeTa
451 auf den katalaunischen Feldern vor Troyes stoppt das Abendland den Hun­
nensturm. Die Toten in den Lüften fechten mit
460 Nonnos von Panopolis in Ägypten singt in zweimal vierundzwanzig Gesängen
den Dionysos
473 * Anicius Manlius Torquatus Severinus Boethius

337
474 D h ätusena wird König von Ceylon u n d baut seiner Kreditwürdigkeit halber den
Göttern des H i malaya ein Simu lacrum auf dem Fels von Sigiria

485 t Proklos i n Athen


487 * Flavi us Magnus Aurel ius Cassiodorus Senator

490 * Tristan

495 * l solde von I rland

500 der Keltenkönig Artus sammelt zwölf R i tter rund u m seine Tafel
501 Boeth ius, De institutione musica
5 1 0 Äryabatha führt den Sinus als halbe Sehne e i n
51 3 Tristan tötet einen irischen Riese n , verg iftet s i c h an dessen Blut und wird von
l soldes Mutter lsolde geheilt

51 6 Artus sch lägt die Angelsachsen am Mons Badon icus


51 7 Tristan wi rbt für Kö nig Marke u m l solde und verfällt wie sie dem Liebestrank
520 vo n Sachsen vertrieben , fliehen Kelten i n die Bretag ne; Artus entschwebt zu
seiner Schwester Fee M u rgan auf die I nsel Aval u n

524 t Boeth ius {von Theoderich zu Tod g efoltert)


526 t Theoderich der Grosse, rex inliteratus von Ital ien
527 Tristan, von Kö nig Marke aus Cornwal l verbannt, erl iegt i n der Bretag ne einer
d ritten lsolde mit weissen Händen

529 Benedictus schändet einen Apollontempel zum Kloster Monte Cassino


529 Kaiser l usti nianus sch liesst mit der Akademie griech isches Denken u nd Rech­
nen ü berhaupt. Letzte Platonschüler fliehen nach Syrien oder zu den Persern

530 Tristan sucht den Wassertod , wei l l solde vergessen hat, weisse Segel statt
schwarzer zu setzen

532 Belisarius lässt in der Rennbahn von Konstanti nopel 30000 n iedermetzeln :
kleinere Glaubensfragen zwi schen Christen

552 zwei Mönche schmuggeln Eier der c h i nesischen Seidenraupe nach Ostrom
554 M arcus Aurel ius Cassiodorus ke h rt aus Byzanti u m nach Ital ien zu rück und
grü ndet das Kloster Vivari u m bei Squ i l l ace

570 * Mohammed Abul Käsim ibn Abdallah {in Mekka aus dem Geschlecht der
Häschim)

583 t Cassiodorus
594 l sidorus von Cartagena wird Bischof von H i spal is {Sevi lla) und erklärt seinem
Westgotenkönig Sisibud late i n ische Etymologiae

595 e rste indische Zehnerziffern auf einer Tempel inschrift, aber ohne N u l l

338
6 1 5 der Erzengel Gabriel heisst den Analphabeten Mohammed Allahs Qoran lesen
622 Mekkas Kaufherren zwingen Mohammed zur Flucht nach Medina
628 Mohammed , von Mekka nach Medina entflohen , heisst die dortigen Handels­
herren alle alten Götter in Mekkas Kaaba zerstören
630 Mohammed heiratet Aischa, Abu Bakrs zehnjährige Tochter, und stirbt zwei
Jahre später
633 t lsidorus
634 Abu Bakr lässt, was Mohammed hörte, als Qoran verschriften
640 Omar, der zweite Kalif, nulliert den islamischen Mondkalender auf Moham­
meds Flucht
642 Omar heisst General Amru Alexandria erobern und alle Reste der Bibliothek
verbrennen: « Entweder bestätigen die Bücher den Koran, dann sind sie über­
flüssig ; oder sie widersprechen ihm, dann um so schlimmer. »
672 * Beda in Northumberland
673 Kallinikos' griechisches Feuer rettet Byzantion vorm Ansturm der Muslime
690 Adhel m , Bischof von Shelbourn, beschreibt die Sirenen als Frauen mit Fisch-
schwanz
692 Die arabische Wähnungsreform stiftet Golddinar und Silberdrachme, Basis
von Taler, Mark und Euro
698 * Li-T'ai-po

700 eine persische Sammlung versam melt 1 000 Märchen


7 1 1 der muslimische Feldherr Tarik setzt nach Gibraltar (Dschebel al Tarik) über
und vernichtet das Westgoten reich
720 Merseburger Zaubersprüche
725 Bonifatius lässt Denars Eiche bei Geismar fällen
732 Abd el Rahmän plündert Bordeaux
735 t Beda Venerabilis
735 * Alkuin in der G rafschaft York
751 in der Schlacht am turkmenischen Fluss Talas erbeuten die Araber auch chi-
nesische Papiermacher
754 al-Mansür verlegt die Residenz der Abbasiden von Kula nach Bagdad
750 Windorgeln aus Byzantion ersetzen im Abendland die alten Wasserorgeln
762 t Li T'ai-po (im Weinrausch)
766 * Härün al- Raschid
780 * Mohammed Ibn Musa al-Chwarismi i n Choresm

339
78 1 Karl der Grosse trifft Alkuin in Italien
786 HärCm al- Raschid folgt al-MansOr auf den Kalifenthron
787 Paulus Diaconus schreibt im Kloster von Monte Cassini die Historia Langobar­
dorum
790 Alcui n ernennt Latein zur toten Sprache
797 HärOn gibt einer Gesandtschaft Karls des Grossen glänzenden Empfang

800 Die 1 000 Märchen und eine mehr übersetzen sich ins Arabische
800 Papst Leo I I I . krönt den Frankenkönig Karl zum I mperator
800 älteste griechische Papierhandschrift
804 t Alkuin
809 t HärOn al-Raschid (auf einem Feldzug gegen Chorasan)
8 1 0 der Abrogans übersetzt die vier elimenta (sie) ins alemannische kimahchitha,
den philosophus in unmzewizzo oder Unmässigwisser
8 1 3 Der Kalif Al-Ma'mun spricht im Traum m it Aristoteles und lädt Al-Chwarismi
nach Bagdad ein
8 1 3 die Synode von Tours erlaubt Predigten in romanischen und deutschen Mund­
arten
820 Al-Qwarizmi, Algebra
820 Al-Ma'mun, von Aristoteles im Trau m belehrt, schenkt Bagdad eine Bücherei
u nd Sternwarte
827 Al-Ma'mun verbietet den U lamas, die U ngeschaffenheit des Koran zu lehren
830 Al Haddadsch übersetzt Ptolemaios' Megale Syntaxis unterm wirkmächtigen
Titel Almagest
835 das Christenkloster Fulda schreibt einen heidnischen Kampf um Leben oder
Tod auf: Hildebrand und Hadubrand , Vater gegen Sohn
835 Sankt Petersburg schreibt die Frohe Botschaft erstmals in Minuskeln
842 Die Strassburger Eide unterscheiden Deutsch und Französisch
844 i m Reich der Mitte rottet Wu-tsung, Sohn des Himmels, Buddhas 250 000
Mönche und 4600 Klöster aus
850 t al-Chwarismi
850 Marcus Graecus gibt die Zusam mensetzung von Schiesspu lver an
858 Hofdamen in Kyoto erfinden Hiragana, eine schöne Silbenschrift für Liebes­
dinge
860 Methodios und Kyrillos erfinden dem Neuen Testament kirchenslavische
Zischlautzeichen

340
863 Otfrit von Weissenburg , Evangelienharmonie in deutschen Reimen, mit Kor­
rekturen von eigener Hand und grosser Sorge, ob unsere unsteten Stimmlaute
anschreibbar sind
874 blüht Samarkand unter den Samaniden
876 eine Steininschrift in Vishnas Vail labhatta-svamin-Tempel zu Gwalior (im heu­
tigen Madhya Pradesh) zeigt in einer Jahreszahl die erste Null
878 Al-Battäni legt die erste Cotangenstabelle an
886 König Alfred gründet in Oxford eine Musikschule

9 1 O i m Reich der Mitte wird Schiesspulver verpulvert


9 1 9 Heinrich 1 . stiftet das deutsche Kaisertum
9 1 9 Al-Battäni vollendet seine Cotangenstabelle
929 t Al-Battäni
933 * Gerbert von Aurillac
935 * Hrotsvit von Gandersheim
938 * Al-Mansur
940 * Abu'l-Wafä
950 * Notker der Stammler
96 1 der Kalif Hakim II. stiftet Cordoba eine Universität
967 Gerbert lernt in Barcelona die arabischen Ziffern kennen und überträgt sie
ohne Null auf seinen Abakus
970 Abu'l-Waifä tabelliert Tangens und Cotangens
974 t Hrotsvit von Gandersheim
980 * Ibn Sina (Avicenna)
984 Erik der Rote entdeckt und besiedelt G rönland
985 der Fatimide Asis gründet zu Kairo eine Madrasa ( · Ort zum Leh re n • )
991 * G U I DO VON AR EZZO
996 I ndiens Zucker gelangt über Alexandria nach Venedig
997 Gerbert besteigt als Sylvester I I . den Papstthron
998 t Abu'l-Waifä

1 002 t Al-Mansur
1 003 t Gerbert
1 0 1 4 Rajanaja der Grosse nimmt die Malediven ein
1 0 1 7 * Abu 'I Fatch Omar ibn lbrahi m el Chaüami in Nischapur

34 1
1 022 t Notker Labeo von St. Gallen
1 023 Guido zieht vom Kloster Pomposa nach Arezzo
1 026 Guido erfindet im Micrologus die Notenlinien
1 028 Guido lehrt Papst Johannes XIX. vom Blatt singen
1 030 Guido von Arezzo, Prologus in Antiphonarium
1 035 Al-Biruni dankt Griechen u nd I ndern für ihr Wissen
1 027 t Ibn Sina
1 038 Giovanni I I . , Herzog von Amalfi, lässt seinen thronräuberischen Bruder Manso
blenden und auf die Sireneninsel verbannen
1 065 Turoldus dichtet La Chanson de Roland
1 074 der Papst schreibt allen Geistlichen den Zölibat vor
1 07 1 * Wilhelm IX. von Aquitanien, Graf von Poitou
1 079 * Peter Abaelard
1 08 1 Hassan aus Rai , der Alte vom Berge, sammelt seine Haschischesser ( ·Assas-
sinen• oder Mörder)
1 090 * Cacciaguida
1 090 erster Schiffskompass i m Reich der Mitte
1 090 Hassans Assassinen stürmen die persische Bergfeste Alamut
1 094 Roderich Diaz, kastilischer Vasal l , raubt Valencia den Mauren, die ihn Cid, den
• Herren• nennen
1 098 * H ildegard von Bingen (zu Böckelheim in der Grafschaft Sponheim)

1 1 00 Omar Chaüäm, Algebra Datum


1 1 00 Angkor Vat
1 1 00 * Heloise
1 1 00 Orthodoxe Mönche vernichten Sapphos neun Bücher
1 1 05 erste Erwähnung der Windmühle
1 1 09 t Anselm von Canterbury
1 1 1 7 im Haus ihres Onkels, des Canonicus Fulbert, lernt Hel"iose Abaelard lesen
u nd lieben
1 1 1 8 Helo"ise schenkt Abaelard in der Bretagne einen Sohn , den sie Astrolabius
nennt
1 1 20 Robert von Chester übersetzt Al-Chwarizmis Namen ins lateinische algoris­
mus, unseren Algorithmus
1 1 22 * Eleonore von Aquitanien

342
1 1 23 t Omar Chajjäm
1 1 23 * Friedrich , Herzog von Schwaben
1 1 24 t Hassan
1 1 25 Adelhard von Bath, Algoritmi de numero lndorum
1 1 26 Abälard macht Helo"ise zur Äbtissin von Nogent und wird Abt von St. Gildas in
der Bretagne; sie will aber weiter mit ihm schlafen
1 1 26 * Ibn Ruschd (Averroes) in Cordoba
1 1 27 t Wilhelm von Aquitanien
1 1 28 * Alanus ab lnsulis ( • aus Lille•)
1 1 35 die Normannen verwüsten Amalfi
1 1 38 eine sizilische Münze weist Europas erste Null auf
1 1 38 * Saladin
1 1 40 * Chrestiens von Troyes
1 1 42 t Abaelard
1 1 42 Helo"ise bittet um Abaelards Leichnam und setzt ihn bei
1 1 47 Hildegard stiftet auf dem Rupertsberg bei Bingen der freien Musik ein Frau-
enkloster
1 1 47 t Cacciaguida (auf dem zweiten Kreuzzug)
1 1 50 Jaufre Rudel , Fürst von Blaye, erfährt den amor de longh
1 1 52 die Fürsten küren Herzog Friedrich Rotbart von Schwaben (• Barbarossa•) zum
deutschen Kaiser
1 1 52 Petrus Lombardus, Liber sententiarum
1 1 52 Eleonore von Aquitanien, von Frankreichs Ludwig V I I . geschieden , heiratet
Heinrich Plantagenet von England
1 1 55 * Herr Heinrich von Morungen
1 1 58 Barbarossa schenkt Bolognas kaisertreuen Juristen seine Privilegien und stif-
tet so die erste U niversität
1 1 60 * Magister Gottfried von Strassburg
1 1 60 t Petrus Lombardus, Bischof von Paris
1 1 63 t Helo"ise
1 1 64 Hassan 11. wirft den Qoran weg u nd verkündet seinen Assassinen , dass nichts
geheissen, nichts verboten ist
1 1 67 Barbarossa stürmt die brennende Peterskirche
1 1 68 Oxford führt ein Studium generale ein
1 1 69 Chrestien von Troyes singt Erec et Enide

343
1 1 70 am Almohadenhof Abu Jakub Jussufs legt Ibn Ruschd den Aristoteles aus
1 1 70 * Jordanus de Nemore
1 1 7 1 Gottfried ( 1 1 ) entdeckt die Liebesgrotte
1 1 72 Marie de France, Lais
1 1 73 Thomas von Britannien, Ti'istan und /so/de
1 1 78 * Snorri Sturluson
1 1 79 t H ildegard von Bingen
1 1 79 * Leonardo von Pisa, genannt FI BONACCI
1 1 80 lslands Skalden sammeln die Sagen zur Liederedda
1 1 84 die Schwertleite von Barbarossas Söhnen stiftet den deutschen Minnesang
1 1 85 Yoshitsune Minamoto siegt bei Dan-no-ura und wird Shogun
1 1 90 Hermann von Thüringen heisst Albrecht von Halberstadt Ovids Metamorpho-
sen verdeutschen
1 1 90 t Chrestiens
1 1 90 t Friedrich von Hausen, Minnesänger, i m Gefecht bei Philomelion
1 1 90 t Friedrich Barbarossa (auf seinem Kreuzzug beim kühlenden Mittagsbad im
Fluss Kalykadnos)
1 1 9 1 t Philipp von Flandern (auf dem Kreuzzug)
1 1 92 Fibonacci reist zu seinem Vater, Pisas Handelsvertreter im algerischen Bugia
1 1 92 t Ibn Ruschd
1 1 92 Eusthatios, Bischof von Thessalonike, kommentiert Homeros
1 1 93 t Saladin
1 1 94 * Friedrich II. von Hohenstaufen in Jesi, Mark Ancona
1 1 94 * Ezzelino da Romano
1 1 95 t Bertrand de Born, Graf von Hautefort
1 1 95 Berner Folie Tristan
1 1 98 t Ibn Ruschd (nach Marrakesch verban nt)

1 200 Aucassin et Nicolette


1 202 Fibonacci keh rt nach Pisa zurück u nd lehrt im Liber abaci mit arabischen Zif-
fern u nd der Null ( •zephirum>) zu rechnen
1 202 t Alanus in Citeaux
1 203 t Eleonore von Aquitanien als Königin von England im Kloster Fontevraud
1 204 Kreuzfahrer erobern Konstantinopel , verbrennen die Bücher und schleppen
den Rest nach Venedig

344
1 205 Oxforder Folie Tristan
1 206 Wolfram von Eschenbach , Heinrich von Afterdingen und der Tannhäuser tre-
ten zum Sängerkrieg auf der Wartburg an
1 207 * Mechthild von Magdeburg
1 208 Markgraf Azzo von Este erhebt sich zum Herrn über Ferrara
1 209 U niversität Cambridge gegründet
1 21 0 Magister Gottfried von Strassburg , Tristan und /so/de
1 2 1 0 Jordanus de Nemore, De numeris datis
1 2 1 2 Friedrich I I . , puer Apuliae, gewinnt „Breisach, den Schlüssel des Reiches"
1 2 1 2 Strassburg strengt den ersten deutschen Ketzerprozess an
1 21 4 * Roger Bacon in l lchester, Somerset
1 2 1 5 Wolfram von Eschenbach, Schionatulander und Sigüne
1 2 1 5 ein Papst verbietet Aristoteles
1 2 1 5 Dschingis Chan erobert Peking
1 220 Friedrich und sein Hof erfinden mit dem Sonett das Italienische
1 220 * Enzio, Friedrichs natürlicher Sohn
1 220 Fibonacci, Practica geometriae
1 222 t Heinrich von Morungen
1 224 Kaiser Friedrich stiftet in Melfi die Universität Neapel
1 225 Fibonacci widmet seinem Kaiser das Liber quadratorum
1 226 * Thomas Aquinas (als Baron Friedrichs auf Burg Roccasecca)
1 226 Friedrich disputiert im Pisaner Palast mit Fibonacci
1 228 Friedrich läuft in Brindisi zum Kreuzzug aus . . .
1 229 . . . hört aber, anders als US-Kreuzritter, Saladin zu
1 230 Michael Scotus überträgt Aristoteles vom Arabischen ins Mittellatein
1 230 Snorri schreibt alte Heldensagen als jüngere Edda ab
1 235 Guillaume de Lorris beginnt i n aller Sitte Le roman de la rose
1 237 Friedrich schlägt die Mailänder bei Cortenuova
1 237 t Jordanus de Nemore
1 238 Friedrich schenkt Ezzelino da Romano, dem Markgrafen von Verona, seine
wilde Tochter Selvaggia
1 239 Friedrich flüstert seinem Kanzler zu, alle Welt sei drei Betrügern zwar verfallen :
Moses, Jesus, Mohammed ; aber in Natur und Wahrheit komme nichts und
niemand ohne Liebe zwischen Frau und Mann zur Welt
1 240 Sumer is icomen in setzt sich als sechsstimmiger Kanon aus

345
1 24 1 Enzio, Generallegat in Italien, schlägt Genuas Flotte vor Elba u nd fängt päpst-
liche U ntäter die Menge
1 24 1 t Snorri durch feigen Mord
1 245 Friedrich I I . , De arte venandi cum avibus
1 250 t Fibonacci in Pisa
1 250 t Friedrich im apulischen Fiorentino
1 251 erste lateinische Aristoteles- Ü bersetzungen finden ins Pariser Studium gene­
rale
1 252 Florenz prägt erste Gulden
1 256 Kreuzritter und Dominikaner räuchern Montsegur aus, die letzte •sichere Fels­
burg • der Katharer
1 258 Hofkaplan Robert de Sorbon stiftet die Sorbonne als Armenbu rse für Studen-
ten
1 258 Türkenheere erobern Bagdad
1 259 Ezzelino fällt in der Schlacht bei Soncino
1 260 Roger Bacon wirft Thomas Aquinas vor, Aristoteles nicht griechisch zu lesen
1 260 Wilhelm von Moerbeke überträgt Aristoteles' Poetik ins Lateinische
1 265 * Dante Alighieri in Florenz, Porta San Piero
1 266 * Beatrice Portinari
1 268 t Kon radin von Hohenstaufen (auf Geheiss Karls von Anjou in Neapel ent-
hauptet)
1 272 t Enzio (im Palast des Potesta von Bologna gefangen)
1 274 Dante erblickt Beatrice : cc incipit vita nuova»
1 275 Jean de Meung setzt den Roman de Ja rose erotisch fort:
Toutes pour touz et touz pou r toutes.
Alle Frauen allen Männern, alle Männer allen Frauen.
1 276 t Thomas Aquinas im Kloster Fossanuova bei Terracina (auf Geheiss Karls
von Anjou vergiftet oder nicht)
1 277 Estienne Tempier, Bischof von Paris, verbietet Aristoteles
1 280 FRANCO VON KÖ LN , Ars cantus mensurabilis
1 280 Alessandro di Spina erfindet die Brille
1 282 t Mechthild von Mageburg in Helfta
1 286 Tou louse baut das ersten Hurenviertel Europas
1 286 t Wilhelm von Moerbeke
1 290 im Kloster Benediktbeuron kommen 300 Carmina burana beisammen
1 290 * Wilhelm von Ockham

346
1 29 1 t Beatrice Porti nari , verhei ratete Bardi . . .
1 292 . . . aber Dantes Vita nuova d'amore heisst sie leben
1 294 t Bacon i n Oxford
1 295 Dante hei ratet Gemma dei Donati

1 300 Florenz u ntersagt der U nfälschbarkeit zul iebe i ndische Ziffern in Bilanzen
1 30 1 Karl von Valois verjagt sel bst weisse Guelfen aus Florenz . . .
1 302 . . . Dante flieht dem drohenden Feuertod zu Bartolomeo della Scala, Herzog
von Vero na

1 302 Flavio Gioia von Amalfi verbi ndet Magnetnadel u nd H i m melsrosenscheibe


zum Kompass

1 304 t Ritter Rüdeger Manesse von Zürich ( n achdem er Lieder und Sänger deut-
scher Minne hat schreiben und abmalen lassen)

1 3 1 0 Heinrichs V I I . Romzug weckt i n Dante neue leere Hoffnung


1 31 3 * Giovan n i Boccaccio da Certaldo i n Paris

1 3 1 3 der Freiburger Mönch Bertold Schwarz , Namensgeber von Strasse und Brun­
nen, gibt die Zutaten des Schiesspu lvers an

1 32 1 t Dante (im Exil zu Ravenna, beim Neffen Francescas von R i m i n i , als « D ichter
und grosser P h i losop h » beg raben )

1 32 1 J e h a n d e s M u rs, Notitia artis musicae


1 329 der Kardinallegat Bertrand du Poyet heisst Dantes ketzerische Gebeine ver-
brennen

1 342 Boccaccio dichtet für N eapels Kronpri nzessin L'Amorosa Visione


1 345 Giovan n i de' Dondi erfi ndet die Räderu h r
1 346 Kanonen entscheiden b e i Crezy i n offener Feldschlacht
1 347 U n iversität Prag gegrü ndet
1 349 die schwarze Pest befällt Florenz und tötet Boccaccios unehel ichen Vater,
aber sieben Damen und drei J ü n g l i nge entkommen nach Fiesole u nd erzählen
ei nander zehn Tage lang je zehn Neuigkeiten Ua, Novellen") von der Liebe -
Boccaccios Decamerone. E i n Zeh ntagewerk macht das Werk der sieben Tage
gut

1 350 t Ockham ( i n M ü nchen an der Pest)


1 353 N i kolaos Sigeros schenkt Petrarca eine Handschrift von llias u n d Odyssee
1 355 N icolas d 'Oresme, De commensurabilitate vel incommensurabilitate motuum
caeli
1 360 Petrarca bittet Leonzio Pilato, Homeros ins Ital ien ische zu übertragen
1 360 Oresme liest an der Räderuhr den Lauf der Welt ab

347
1 363 * C h risti ne de Pisan

1 365 U n iversität Wien gegründet


1 365 das belagerte Einbeck verteidigt sich mit Kanonen
1 373 die Sig noria von Florenz bittet Boccaccio, Dantes dunkles Weltgedicht dem
Vol k zu deuten

1 375 t Boccaccio i n Certaldo


1 377 * Filippo Bru nelleschi i n Florenz

1 380 das Reich von Vijaynanagar (SSiegesstadt") i m Süden I ndiens setzt dem Islam
eine letzte H i nd u-Wahrheitsschrift entgegen

1 386 U n i versität Heidelberg gegrü ndet


1 389 t de' Dondi
1 389 t H afis
1 395 * Johann Gensfleisch zum Gutenberg (bei Mainz)

1 396 Manuel Chrysoloras bringt Florenti nern G riechisch bei


1 399 C h ristine de Pisan, Epitre au dieu d'amour

1 403 Korea entwickelt zum Druck statt teurer chi nesischer Holzplatten bewegliche
M etal lettern

1 404 * G i an ( Leon) Battista Alberti i n Genua

1 409 * U l u g h Begh

1 404 * G i l les de Laval, baron de Rais

1 409 deutsche Magister u nd Studenten verlassen das tschechische Prag und grün­
den die U n iversität Leipzig

1 4 1 5 englische Armbruster und Bogensch ützen vernichten bei Azincourt die ritterli­
che Bl üte Frankreichs

1 420 i m Hauptportal von Santa Maria del Fiore erfindet Brunel leschi auf einen
Streich Linearperspektive und Camera obscura

1 423 der erste Holzschn itt zeigt den Heiligen Christophoros


1 424 Alain C hartier, La belle dame sans merci
1 425 G h iyäth ad- Din Jamshid Mas'Od Al-Käshis Brief über die Sehne und den Sinus
berechnet den Sinus von 1 °

1 427 Sacco di Roma: Landsknechte u nter Georg Fru ndsberg plündern Roma ae­
terna

1 430 Ulugh Begh erfi ndet lauter astronomische I n stru mente


1 43 1 Gutenberg spielt und verliert zu Strassburg mit dem Druck von Heiligenbild­
chen

348
1 43 1 t Christi ne de Pisan
1 435 Alberti, Della pittura
1 436 * Johannes M ü l ler ( Regiomontanus)

1 440 i n Südwestdeutsch land entsteht der Kupferstich


1 440 t Gi l les de Rais (auf dem Scheiterhaufen)
1 445 * Sandro Botticel l i i n Florenz

1 446 t Brunel lesch i i n Florenz


1 44 7 ein vo n Koreas König Sejong berufenes Büro ersetzt alle chi nesischen Schrift­
zeichen d u rch • Standardlaute zur E rzieh u ng des Vol kes• ( H ang'gul) u nd gibt
sie in den E i nzelsilbend ruck - d u m merweise nur einer einzigen Staatsmono­
polpresse

1 449 t Ulugh Beg h , mathematischer Fü rst von Samarkand und Herat, h i ngerichtet
1 452 Alberti, De re aedificatoria
1 453 Mohammed I I . erstü rmt Konstantinopolis, das Griechenwissen flieht nach Ita-
lien

1 454 Johann Gensfleisch zum Gutenberg druckt i n Mainz die Bibel


1 456 Thüring von Ri ngolti ngen holt Melusine aus dem Altfranzösischen
1 46 1 Alberti lernt i n Rom Regiomontanus kennen
1 464 Regiomontanus gibt De triangulis omnimodis libri i n Druck
1 468 t Gutenberg i n Mainz
1 47 1 Regiomontanus übersiedelt n ach N ü rn berg und richtet eine Druckerei e i n
1 472 t Al berti , vo n Papst Pau l I I . namen los verscharrt
1 473 Fernando d i Brescia gibt Lucreti us i n Druck
1 475 * Cesare Borgia (von Vanozza de' Catanei dem Roderigo Borg i a geboren)

1 476 t Regiomontan us
1 4 78 * Angela Borgia

1 478 Luca Paciol i , Summa de Arithmetica, Geometria, Proportioni e Proportionalita


1 482 E rhart Ratdolt druckt in Venedig Eu kleides auf Latei n
1 488 Demetrios Chalkondyles, nach Florenz geflohen, gibt Homeros griechisch i n
Druck

1 489 Aldus Manutius eröffnet in Venedig eine Druckere i , deren Arbeiter nur G rie­
chisch sprechen d ü rfen, u m den Griechen i n klassischen Lettern Wiegen­
drucke schenken zu können

1 492 Roderigo Borgia besteigt als Alexander VI. den heiligen Stu h l
1 492 * Margarete v o n Navarra i n Angouleme

349
1 493 * P h i l i ppus Aureolus Paracelsus Bombastus von Hohenheim

1 494 Luca Pacioli, Summa de Arithmetica


1 495 M atteo Maria, Conte di Scandiano, Orlando inamorato

1 500 Papst Alexander V I . ernennt seinen Sohn Cesare zum Herzog der Romag n a
1 50 1 Ottaviano Petrucci gibt zu Venedig die ersten Noten i n Druck
1 507 t Cesare Borgia, Herzog von Valenti nois und Romagna (beim Sturm auf Via-
na)

1 508 * Andrea Pal ladio

1 51 0 t Botticel l i
1 5 1 1 Petrus Martyr fü h rt d e n Tabak i n E u ropa e i n
1 51 5 * Teresa von Avila

1 5 1 9 t Angela Borgia, Herzog i n von Ferrara


1 522 Michael Stifel ( 1 487- 1 567) entfl ieht als Lutheraner dem Augustinerkloster Es-
s l i ngen

1 523 * Gaspara Stampa i n Padua

1 524 Adam Ries, Die Cos


1 525 Al brecht Dü rer, Unterweisung der Messung mit Zirkel und Richtscheit
1 527 D ü rer, Etliche unterricht zu befestigung der stadt, schloss und Flecken
1 528 E rasmus von Rotterdam , Dialogus de recta latini graecique sermonis pronun-
tiatione
1 540 * Franc;ois Viete, Seigneur de la Bigotiere, in Fontenay-le-Comte

1 540 * Ludolf van Ceulen i n H i ldesheim

1 54 1 t Paracelsus
1 542 Louis Meigret und i n seiner Folge Petrus Ramus trennen i und u von j u nd v
1 544 M ichael Stifel, Arithmetica integra
1 545 Geronimo Cardanos Ars magna sive de regulis algebraicis liber unus löst Glei-
chu ngen 3. und 4. Grades

1 548 * Simon Stevin in Brügge

1 549 t M argarete (auf Schloss Orthez bei Bigorre)


1 550 R afael Bombellis Geometria rech net mit �
1 550 * J o h n Napier, Laird of Merchison, in Edinburgh

1 552 * Jost Bürg i i n Liechtenstei n

1 552 Pontus de Tyard , Solitaire premier ou prose des Muses et de la fureur poetique
1 553 * M argot von Frankreich im Schloss von Saint-Germain-en- Laye

350
1 554 t Gaspara Stampa (vor Gesang und Liebe zu Conte Collaltino di Collalto)
1 559 Jacques Amyot, von Margaretes G naden Professor, ü bersetzt Daphnis und
Chloe
1 559 Margarete von Navarra, Heptameron des nouvelles
1 559 t Adam Ries
1 56 1 * Francis Bacon

1 56 1 * Luis de G6ngora y Arg6te in Cordoba

1 566 * Don Carlo Gesualdo, Fü rst von Venosa, G raf von Conza

1 564 * Will iam Shakespeare i n Stratfo rd-upon-Avon

1 567 * Claudio Monteverdi in Cremona

1 574 Amyot übersetzt P l utarchos


1 574 Leyden widersteht einer span ischen Belagerung . . .
1 575 . . . zum Dank stiftet Wilhelm von Oran ien Leyden eine Universität

1 57 1 * Johannes Kepler

1 572 Bombel l i , Algebra parte maggiore de//' aritmetica divisa in tre libri
1 579 Vieta, Canon mathematicus
1 580 t Pal ladio
1 58 1 Vi ncenzo Galilei gibt die Hymnen des Mesomedes i n Druck
1 582 t Teresa von Avi l a im Kloster Alba de Liste
1 583 t Jakob Bernoulli (wegen Al bas Glaubenskrieg von Antwerpen nach Frankfurt
am Main geflohen)

1 584 Zhü Zai-Yu temperiert die Oktave mit Brüchen


1 585 Stevin, Vom Zehnten
1 588 * Marin Mersenne (auf dem Land im Maine)

1 590 Gesualdo bri ngt seine Frau u nd i h ren Liebsten in flagranti u m u nd stellt die
nackten Leiber aus

1 59 1 Vieta, Isagoge in artem analyticem


1 593 Stevin wird Generalquartiermeister der N i ederlande und des Pri nzen Moritz
von Oranien

1 594 Stev i n , Vom Festungsbau


1 596 * Rene Descartes

1 598 * Lorenzo Berni n i in N eapel

1 600 Tokugawa l eyasu siegt bei Sekigakara


1 60 1 * Pierre de Fermat in Beau mont de Lomagne

351
1 60 1 * Athanasius Kircher (zu Geisa im Fu ldischen)

1 60 1 M atteo R icci , S. J., darf i n Peking eine erste Kirche bauen


1 603 t Viete i n Paris
1 605 Stev i n , Vande Spiegheling der Singconst
1 605 Baco n , De dignitate et augmentis scientiarum
1 607 Monteverd i , Orfeo
1 608 Monteverd i , Arianna
1 6 1 0 t van Leulen in Leyden , sein Sch ü ler Wi l l ibrord Snell lässt auf den G rabstei n
Ludolfs Zahl n meissel n

1 6 1 O t Gesualdo
1 6 1 1 Mersenne tritt i n den M i n i menorden e i n
1 6 1 3 G6ngora, Soledades
1 6 1 3 Venedigs Signoria beruft Monteverdi z u m Kapellmeister von San Marco
1 6 1 5 t M argot von Frankreich , geschieden
1 6 1 5 an rol lenden Kugeln entbi rgt sich Pater Mersenne die Zykloide
1 6 1 6 t S hakespeare
1 6 1 7 N apiers Rhabdologiae verbreiten die Logarithmen
1 6 1 7 * C h ristian Hofmann von Hofman nswaldau i n Breslau
1 6 1 7 t Napier i n Edi nburgh
1 6 1 8 Kircher tritt i n den Jesuitenorden ein
1 6 1 8 Descartes tritt i n Moritz von Oran iens M i l itärschule Breda ein
1 6 1 8 Stevin gibt den Gesandten Gustav Adolfs von Schweden kriegstechn ischen
Rat

1 6 1 9 Mo nteverd i , La Lettera Amorosa


1 6 1 9 e i n Trau m erleuchtet Descartes im Wi nterquartier bei Neuenburg an der Do-
nau die analytische Geometrie

1 6 1 9 Johan nes Kepler, Harmonice mundi


1 620 das Elsass führt den Tabakanbau auch im Reich ein
1 620 i n Til lys kaiserlich-bayrisch-kathol ischem Heer sch lägt Descartes am Weissen
Berg bei Prag Ku rfü rst Fried rich von der Pfalz

1 620 Baco n , Novum organon


1 620 t Stevin im Haag
1 620 Jost Bürg i lässt Logarithmentafeln drucken
1 623 Wilhelm Schickards logarith mische Maschine löst alle vier Grundrechenarten
1 623 Giambattista Mari n i , Adonis

352
1 623 * Blaise Pascal in der Auverg n e
1 626 t Francis Baco n , Viscount o f S t . Albans und Baron von Verulam
1 627 t G6ngora
1 628 e i n namen loser Hauptmann m i sst am Kanonenfeuer der belagerten Hugenot-
tenfestung La Rochelle die Laufzeiten menschenerzeugter Bl itze u nd Donner

1 628 William Harvey, De motu cordis et sanguinis


1 628 Arngrim Jonson entdeckt Snorris j ü ngere Edda wieder
1 629 * Christiaan H uygens i m Haag
1 630 t Kepler
1 630 G rossmog u l Schajahn errichtet seiner toten Liebe das Tadsch Mahal
1 632 * Johannes Vermeer van Delft
1 632 * Antony van Leeuwen hoek
1 632 t Bürg i i n Kassel
1 633 * Jean- Baptiste Lulli
1 634 Richelieu verstaatlicht einen Freu ndeskreis zur Academie frarn;:aise
1 635 an der Zykloide entdeckt G i l les Perso nne de Roberval die S i nusku rve von 0
bis 7rl2

1 636 MAR I N M E R S E N N E , L'Harmonie universelle


1 636 die Harvard U n iversity in Boston , Massachusetts, spielt Oxbridge
1 636 Pierre Corneille, Le Cid:
Chi mene, q u i l 'eOt cru ?
Rod rigue, qui l'eOt dit?

1 637 Rene Descartes, La geometrie usw.


1 637 Fermat stel lt sein « l etztes Theore m „ auf:
an + bn =/ cn V a , b , c E N, n > 2 E N
1 639 * Jean Racine im Valois. ( Deshalb fah ren wir da h i n . )
1 640 Descartes i m holländischen E x i l macht seiner Haushälterin Helena e i n Kind
1 640 Bischof Brynjolfr Sveinsson entdeckt die Ältere Edda wieder
1 64 1 Monteverdi , Ulisse
1 64 1 * Anne Desmares, dame Champmesle
1 642 i m Pavillon des Hötel Conde tauschen Mersenne, Roberval, Gassend i , Eti­
enne und Blaise Pascal ihr Wissen aus

1 642 u m seinem Vater zu helfen, baut Pascal eine Rechenmasch ine zum Addieren
und Subtrah iere n . Pascal ine h eisst das Ding

1 643 t Monteverdi i n Venedig

353
1 645 die ital ien ische Oper kommt nach Paris
1 646 * Gottfried Wilhelm Leibniz i n Leipzig

1 647 Bonaventu ra Cavalieri , Exercitationes geometricae sex


1 648 t Mersenne
1 650 t Descartes i n Stockholm (an nordischer Eiseskälte oder G ift)
1 650 K i rchers Musurgia universalis bestiehlt Mersenne
1 65 1 H arveys De generatione anima/ium widerlegt die generatio aequivoca: omne
animal ex ovo
1 652 G rü nd u ng der deutschen Akademie der N aturforscher Leopoldina in Halle an
der Saale

1 653 * Joseph Sauveur

1 654 * Jakob Berno u l l i i n Basel

1 655 H uygens erfi ndet die Pendel u h r mit Ankerhemmung


1 658 Pascals Histoire de la roulette schenkt dem Sinus eine Geschichte und Frank­
reich die Priorität vor Ital ien

1 558 i m Pariser College d'Harcou rt l iest Raci ne die G riechen griech isch
1 660 zur Hochzeit Ludwigs X I V. mit der I nfantin Maria-Theresa lässt Racine /a Nym-
phe de la Seine a la Reine singen
1 660 Gründung der Royal Society
1 66 1 Boyle stellt den neuzeitlichen Begriff chem ischer Elemente auf
1 662 t Pascal
1 663 * Prinz Franz Eugen von Savoyen

1 665 t Fermat in Castres


1 666 Pierre de Bourdeil les, abbe et seig neur de Brantöme, Vie des dames galantes
1 666 Leibniz, Dissertatio de arte combinatoria
1 666 Colbert grü ndet zu Paris die Academie royale des sciences
1 666 die Universität Leipzig promoviert Leibniz mit einer Dissertatio de arte combi-
natoria
1 667 * Johann Bernou l l i , Jakobs fei ndlicher Bruder, i n Basel

1 668 t M arg uerite Duparc ( Raci nes Kindesm utter, auf dem Sch indanger verscharrt)
1 670 John Wal lis erkennt die Periode der S i nusfu nktion
1 670 * Aug ust der Starke, Ku rfü rst von Sachsen

1 670 Pierre- Daniel H uet streicht alle Liebe aus den Klassikern, damit sie Frank­
reichs Thronfolger ( Dauph i n ) ad u s u m delph i n i sind

1 672 H u ygens lehrt Leibniz i n Paris die neue Mathematik

354
1 672 Lulli übernimmt die Leitung der Academie royale de musique
1 67 4 die Sorbonne will Descartes verboten wissen
1 675 t Vermeer
1 675 Olaf Römer besti mmt die Lichtgeschwindigkeit
1 676 Newton , De quadratura curvarum
1 677 Raci ne, Phedre
1 678 H uygens, Undulationstheorie des Lichts
1 679 t Hofmannswaldau in Breslau
1 680 Antonio Strad ivari baut sein erstes Violoncello
1 680 t Kircher i n Rom
1 680 t Bern i n i i n Rom
1 68 1 Fran�ois Blondel , L'art de jetez /es bombes
1 683 t Georg Rimpler, Ingenieur aus Sachsen ( i n seinen Festu ngswe rke n , die Wien
u nd E u ropa vor den Tü rken retten )

1 683 P r i n z E u g e n vo n Savoyen gen iesst i n Mustapha Paschas v o r W i e n erbeute­


tem Zelt den verei nten Duft vo n Kaffee und Haschisch ; die Blech musik der
Jan itscharen erkli ngt dem Abendland

1 684 Leibniz ü bergibt den Leipziger Acta Eruditorum seine Nova Methodus pro ma­
ximis & minimis, itemque tangentibus, qua nec irrationales quantitate moratur,
& singulare pro illis calculi genus

1 685 * Johann Sebastian Bach in Eisenach


1 685 * Brook Taylor i n Edmonton
1 685 * Georg Fried rich Händel
1 687 * Johann Balthasar Neumann i n Eger
1 687 eine Bombe der Venezianer sprengt den halben Parthenon als P u lvermagazin
der Tü rken i n die Luft

1 687 t Lulli (von seinem eigenen Taktstock getötet)


1 69 1 Johann Bernou l l i , Lectiones mathematicae de methodo integra/ium
1 69 1 Leibniz ahnt die Verwandtschaft der indogermanischen Sprachen
1 695 t Christiaan Huygens i m Haag
1 695 Dom Perignon erfi ndet in Reims die Champagner-Gärung
1 697 * Antoine Francois Prevost d ' Exiles
1 697 Leibniz erfi ndet das binäre Zahlensystem
1 697 Polens Sej m wählt Ku rfürst Aug u st den Starken von Sachsen zum König
1 697 Marquis de ! ' H ospital , Analyse des infiniment petits

355
1 698 t Anne Desmares, dame Champmesle, in der fosse com mune verscharrt
1 698 Marie Catherine Le Jumel de Barnevi l l e , Comtesse d ' Au lnoy, Contes des Fees
1 699 t Raci ne ( i n Paris als Ch rist begraben )

1 700 Bartolomeo Cristofori baut d a s erste Klavier


1 700 aus der französischen Schal mei wird die moderne Klarinette
1 700 * Daniel Bernou l l i in Gro n i ngen

1 700 Kön i g i n Soph ie Charlotte von Preussen und Leibniz gründen die kön i g l ich
Preussische Akademie der Wissenschaften zu Berl i n

1 70 1 JOS E P H SAU V E U R , Principes d'acoustique


1 703 Leibniz' Explication de l'arithmetique binaire rech net im Binärziffernsystem
und sch lägt Hexadezimalziffern vor

1 705 t Jakob Bernou l l i in Basel


1 706 William Jones' Synopsis palmariorum matheseos führt das Symbol n e i n
1 707 * Leon hard Euler ( a l s Basler Pfarrersso h n )

1 707 Anto i n e Galland übersetzt Quita alif laila ul laila a d usum delph i n i i n die zwölf
entman nt-entweibten Bände von Mille et une nuits

1 707 * Carlo Gold i n i i n Venedig

1 709 * John Cleland

1 71 0 das Reich der M itte entdeckt das Opi u m rauchen


1 71 O Bauarbeiter des Pri nce d ' E l boeuf entdecken und plü ndern das Marmortheater
von Hercu laneum

1 7 1 1 Neumann tritt i n die Arti l leriedienste des Fü rstbischofs von Wü rzbu rg


1 7 1 1 Bartolo Cristofori beschreibt in Florenz die erste Ham mermechanik ei nes Pia-
noforte

1 71 2 * Francesco Conte Algorotti in Venedig

1 71 3 Jakob Berno u l l i , De arte coniecturandi


1 71 3 Richard Bentley entdeckt in scheinbar falschen Homeros-Versen das Digam­
ma wieder

1 71 4 * C h ristoph Willibald Gluck i m Fränkischen

1 71 4 * Johann Stamitz

1 71 5 Fran�ois Hedel i n Abbe d'Aubig nac, Conjectures academiques ou dissertation


sur l'lliade
1 71 6 das K'anghai Wörterbuch listet 40545 c h i nesische Zeichen auf
1 7 1 6 t Leibniz i n Han nover
1 71 6 t Sauveur

356
1 71 7 * Jean Le Rond d'Alembert
1 71 7 * Johann Joachim Wi nckelmann
1 7 1 7 Prinz Eugen nimmt den Tü rken Belg rad ab: der Fünfvierteltakt erreicht das
Abendland

1 7 1 7 Taylor, Linear Perspective


1 7 1 7 * Maria Theresia (nachmals röm i sch-deutsche Kaiseri n , Kön i g i n von U ngarn
und Böh m e n , Erzherzog i n von Österreich)

1 720 Neumann baut dem Bischof von Wü rzbu rg ein Schloss


1 722 J EAN P H I L I P P E RAM EAU , Traite de l'harmonie
1 723 t Leeuwen hoek
1 723 Johann Sebastian Bach, Johannespassion
1 724 * I m manuel Kant in Königsberg
1 725 Gründung der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu Sankt Peters-
bu rg

1 725 * Giacomo Casanova i n Venedig


1 725 Johann Joseph Fux, Gradus ad Parnassum
1 727 die Akademie der Wissenschaften zu St. Petersbu rg beruft Euler zum Adju n kt
für mathematische Wissenschaften

1 728 * Johann Hein rich Lambert in M ü h l hausen


1 728 Eu lers Meditatio in Experimenta explosione tormentorum nuper instituta führt
die Zahl e ein

1 730 Euler erhält St. Peterburgs P hysi kprofessur


1 730 Dufay scheidet positive und negative Elektrizität
1 73 1 Abbe Prevosts Histoire du chevalier des Grieux et de Manon Lescaut erscheint
zensu rbedi ngt i n Amsterdam

1 73 1 t Taylor in London
1 733 Euler erh ält Sankt Petersbu rgs Professu r der höheren Mathematik
1 733 t August der Starke i n Warschau
1 734 Bischof George Berkeley, The Analyst: A Discourse Addressed to an lnfidel
Mathematician
1 736 t Prinz Eugen i n seinem Wiener Belvedere
1 736 Leibarzt Van Swieten verrät der frisch getrauten Maria Theresia, Lust wohne
auch i m Kitzler. 14 Kinder sind die Folge

1 738 Euler verliert sein rechtes Auge


1 739 das vom Vesuv verschüttete Hercu laneum wird wiederentdeckt
1 739 E U L E R , Novum tentamen novae theoriae musicae

357
1 74 1 Fried rich I I . beruft Eu ler, der e i n Haus in Berl ins Behrenstrasse kauft, an die
kön i g liche Akademie der Wissenschaften

1 74 1 * Pierre Ambroise Franc;:ois C hoderlos de Laclos in Amiens


1 742 Händel, Der Messias
1 744 Euler leitet die mathematische Klasse der preussischen Akademie der Wis­
senschaften

1 744 E u ler, Methodus inveniendi lineas curvas maxime minimive proprietates gau-
dentes
1 745 * Alessandro Volta in Corno
1 745 Carlo Goldo n i , II servitore dei due patroni
1 745 Ewald Georg von Kleist entdeckt den Kondensator
1 745 Euler übersetzt Benjamin Robins als Neue Grundsätze der Artillerie
1 747 die Royal Society beruft Euler zum auswärtigen M itgl ied
1 747 M arggraff entdeckt in Zuckerrüben Zucke r ; Lust in Nordeu ropa wird bezahl bar
1 748 John Cleland sch reibt Fan ny H i l l Memoirs of a woman of pleasure auf den Leib
1 748 E u ler, lntroductio ad analysin infinitorum
1 748 Diderot, Les bijoux indiscrets
1 748 Maria Gaetana Agnesis lstituzioni Analitiche entbergen uns den Hexe n h ut
1 748 t Johann Berno u l l i
1 749 * Pierre-Simon Laplace i n Beaumont
1 750 t Bach i n Leipzig
1 75 1 Akademie der Wissenschaften zu Göttingen gegrü ndet
1 753 Carl P h i l ipp Emanuel Bach, Über die wahre Art, das Klavier zu spielen
1 753 * Lazare N icolas Carnot i n B u rg u nd
1 753 t Balthasar Neumann in Wü rzbu rg
1 755 Euler, lnstitutiones calculi integralis
1 755 Wi nckelmann, Gedancken über die Nachahmung der Griechischen Werke in
der Mahlerey und Bildhauer-Kunst
1 756 * Johan nes C h rysostomus Wolfgang Gottl ieb (Amadeus) Mozart in Salzbu rg
1 756 Casanova entkommt den Bleikammern seiner Seren issima
1 757 Ludwig XV. stiftet die erste Ecole m i l itai re
1 757 t Stam itz
1 757 Fried rich I I . vo n Preussen sch l ägt nach Epameinondas' schräger Schlachtord­
nung Maria-Theresias überlegenes Heer bei Leuthen. « N u n danket alle Gott ! »

1 757 Rousseau, Dictionnaire de musique

358
1 757 Robert Franc;ois Damiens sucht Ludwig XV. d u rch einen Messerstich zu töten
und wird dafür gevierteilt. Casanova sieht i h m und einem seiner Freunde z u ,
d e r die Geliebte derweil sodom isiert

1 759 t Händel
1 760 Simon Andre Tissot, Traite de l'onanisme verwechselt Onans Verhütung mit
g utem alten Mastu rbieren

1 76 1 * Jan G raf Potocki

1 762 G l uck, Orfeo ed Euridice


1 763 * Claude Chappe

1 763 t Abbe Prevost (auf der Landstrasse zwischen Sen lis u nd Saint- Firmin)
1 763 Benjamin Frankl i n erfi ndet die G l asharmonika
1 763 * Karoline Michaelis

1 764 t Algorotti i n Pisa


1 765 Joachim Bocher fi ndet Apollons Haus bei Bassai (den •Waldtälern • ) für u n s
Abend länder wieder

1 766 Euler flieht Sanssoucis Tyrannen zurück nach St. Petersbu rg und erbl i ndet
auch auf dem l i n ken Auge

1 766 Gasparo Conte Gozzi übersetzt Longos, Daphnis und Ch/oe


1 767 E u ler, Lettres a une princesse d'Allemagne sur divers sujets de physique et
de philosophie
1 768 * Joseph Fou rier in Auxerre

1 768 Euler prägt den Begriff Frequenz


1 768 t Wi nckelmann ( i n Triest erdolcht)
1 769 Jacques Diderot, Le Reve d'Alembert - i n Fieberträu men mastu rbiert die Wis­
senschaft

1 769 Maria- Letizia Ramol ino schenkt i h rem Gatten Carlo Bonaparte den zweiten
Sohn N apoleone

1 769 Robert Woods Essay on the Original Genius of Homer spricht Homeros das
Schreibenkönnen zu

1 770 * Fried rich Hölderl i n

1 770 * Georg Wilhelm Fried rich Hegel i n Stuttgart

1 772 Mozart komponiert zur Amtseinführung des E rzbischofs von Salzbu rg II sogno
di Scipione, auf deutsch Die Sphärenharmonie
1 772 * Fried rich von Hardenberg ( N oval is") bei Mansfeld

1 773 Eng lands East I ndian Company schmuggelt mehr und mehr Opium ins Reich
der Mitte

359
1 774 Christoph Will i bald Gl uck, lphigenie en Aulide
1 776 * Ernst Theodor Wilhelm (Ämadeus") H offmann i n Königsberg
1 776 Euler hei ratet Salome Abigail Gse l l , Halbschwester seiner toten Frau
1 777 * Carl Fried rich Gauss, Tagelöh nerso h n , bei Brau nschweig
1 777 t Lambert in Berl i n
1 778 * G i e m e n s Brentano a u f der Feste E h renbreitstei n
1 779 G l uck, Echo et Narcisse
1 780 t Maria Theresia, deutsche Kaiserin
1 780 Eulers Sohn Johann Albert stellt als Petersbu rger Preisfrage, was die fünf Vo-
kale seien

1 780 * Caroline von G ü nderode


1 78 1 Johann Hein rich Voss, Die Odyssee deutsch
1 782 Constanze Weber hei ratet Mozart
1 782 t Daniel Berno u l l i i n Basel
1 782 Choderlos de Laclos, Les liaisons dangereuses
1 783 t d'Alembert
1 783 t Euler in Sankt Petersburg
1 783 Carnot, Eloge de Vauban
1 784 * Friedrich Wilhelm Sessel in M i nden
1 784 Potocki reist d u rch die Tü rkei nach Ägypten
1 784 Carnot, Essai sur /es machines en general
1 785 Mozart, Le nozze di Figaro
1 786 * Marceline Desbordes-Val more
1 786 Sir William Jones entdeckt die U rverwandtschaft von G riech isch und Sanskrit
1 787 Goethes Sch iff wird südlich von Capri nach Osten abgetriebe n , l iegt vier Tage
lang vor den Sireneni nsel n , die er nur n icht erkennt, wi ndsti l l . Dann setzt vier
Tage lang ein Sturm ein, der Goethe seekrank macht. So geht es, wen n ei ner
G riechen land bloss mit der Seele sucht und nicht mit ganzem Herzen

1 787 * Jakob Grimm i n Hanau


1 787 Prags Opernbesucher bejubeln Mozarts Don Giovanni
1 787 t G l uck in Wien
1 787 * Georg Simon Ohm in Erlangen
1 788 * Bettina Brentano i n Fran kfu rt am Main
1 788 * George Noel Gordo n , Lord Byron
1 788 Mozart, Symphonie in G moll

360
1 789 t John Cleland in Petty France [sie)
1 790 Mozart, Cosi fan tutte, „So machens alle Frauen"
1 790 * Jean- Fram;ois Champol lion i n Figeac

1 79 1 Mozart, Die Zauberflöte


1 79 1 t Mozart i n Wien
1 792 * Percy Bysshe Shelley i n Sussex

1 792 Lazare Carnot eröffnet in Paris eine Ecole des poudres et des salpetres, wei l
seinen Armeen Schiesspulver u nd Schwefel ausgehen

1 792 * Charles Babbage i n Teignmount

1 792 C hoderlos de Laclos zum Brigadegeneral ernannt


1 793 Carnot organisiert die levee en masse
1 793 t Goldoni
1 793 Johann Hein rich Voss, Die llias deutsch
1 793 Artil lerieleutnant Buonaparte jagt die Eng länder aus Toulon
1 794 Carnots Ecole des poudres et des salpetres wird zur Ecole polytechnique
1 794 Joseph Lakanal setzt Chappes optische Telegraph ie als m i l itärisches Geheim-
nachrichtensystem d u rch

1 794 Volta widerlegt Galvan is tierische Elektrizität und beweist, dass beim Kontakt
zweier Metal le Strom fliesst

1 795 Fried rich August Wolfs Prolegomena ad Homerum zerlegen Homeros in viele
kleine Sänger

1 795 Marquis de Sade, La philosophie dans le boudoir


1 796 Hegel d ichtet {an Hölderl i n ) Eleusis
1 796 Josephine Tascher de la Pagerie, verwitwete Beau harnais, hei ratet den Briga­
degeneral Bonaparte

1 796 Karoline, geborene Michaelis, hei ratet August Wilhelm Schlegel


1 797 Hölderlins Empedokles springt i n den Aetna, damit die Lehre von den Elemen-
ten n icht vergehe

1 797 t Sophie von Kü h n , Novalis' Braut

1 997 Dresden raffin iert den Zucker


1 797 * Mary Shelley als Tochter Mary Wollstonecrafts, Eng lands erster Fem i n istin

1 798 G raf Potocki erforscht die Steppen Astrachans


1 798 General Bonaparte, Bürger Fourier u . a. brechen samt Soldaten und Matrosen
nach Ägypten auf

1 798 Caspar Wessel , Über die analytische Darstellung von Richtungen. Ein Versuch

361
1 798 Samuel Taylor Coleridge liest in Götti ngen Kant und deutsche Dichter
1 798 Hölderl i n fliegt als Ehebrecher aus S usette Gontards Frankfu rter Bankiers­
haus

1 798 t Casanova (als Seigneur de Seingalt auf Schloss Dux i m Böh m ischen)
1 799 Gauss' Helmstedter Dissertation beweist den Fundamentalsatz der Algebra
beinahe

1 799 Hölderi n , Hyperion oder der Eremit in Griechenland


1 799 Bonaparte lässt seine Armee im Wüstensand zu rück und landet bei Frej us
1 799 Fried rich Schlege l , Lucinde
1 799 Bonaparte heisst seinen älteren Bruder die fünf Di rektoren stü rze n , u m sich
selbst zum E rsten Konsul auszu rufen

1 800 H. G. Nägeli bringt Bachs Wohltemperiertes Klavier zum Druck


1 800 * H e l m uth Karl Bernhard von Moltke in Parchim

1 800 Samuel Taylor Coleridge ergibt sich der M use Opi u m


1 800 G raf Potocki beg i n nt a n einer silbernen Pistolenkugel zu feilen
1 800 Novalis erg i bt sich , vor Tbc-Schmerz oder überhaupt, der Muse Opium
1 801 Gauss' Disquisitiones arithmeticae erfinden die Modu lo-Arithmetik und Zah-
lentheorie als solche

1 80 1 t N oval is i n Weissenfels
1 80 1 Bonaparte stiftet seine E h ren legion
1 802 Novalis' Heinrich von Ofterdingen geht postum i n Druck
1 802 Hölderl i n kehrt aus Bordeaux heim, von Apollon sommerlich geschlagen
1 803 die geschiedene Karoline Schlegel hei ratet Schel ling
1 803 t Kant, leicht verwi rrt, i n Königsberg
1 803 Der Reichsdeputationshauptsch l uss löst in Napoleons Namen das Heilige Rö­
m ische Reich deutscher N ation auf. G anze Klosterbüchereien, so sie n icht
verrotten , fal len an die Universitäten

1 803 * H ector Berlioz

1 803 t C hoderlos de Laclos i n Archytas' Tarent


1 804 Napoleon krönt sich sel bst und Joseph i n e Beau harnais zum Kaiserpaar E u ro­
pas ; ein Papst darf grad noch salbe n . P u rvu que cela dure", radebrecht M u tter
Letizia i n rau hem Korsisch

1 804 * Wilhelm Eduard Weber in Wittenberg

1 805 Baron Joseph de FOU R I E R , Departementspräfekt von Grenoble, stellt bei 35 °


Celsius Zimmertemperatur seine analytische Theorie der Wärme auf

362
1 805 t Chappe (springt wegen Plagiatsvorwürfen in einen Brunnen)
1 805 u nter der Sonne von Austerl itz schiesst N apoleon zwei ältere Kaiser zusam­
men

1 806 Friedrich Creuzer, Dionysus


1 806 t Carol ine von G ü nderode (stösst sich i n Winke l , kn ietief im Rhei n , einen
Dolch i n den von Fried rich Creuzer versch mähten Busen)

1 806 Giemens Brentano und Ach i m von Arm i n , Des Knaben Wunderhorn
1 806 Bettina Brentano strömt in Liebesbriefen an Goethe i h re Seele aus, um einem
musikalisch tauben D ichter Beethoven und Hölderl i n zu offenbaren

1 807 Thomas Young setzt Licht und Wärme als Schwi ngu ngen gleich
1 808 Erfurt: N apoleon frühstückt mit einem Geheimen Rat des zum G rossherzog
erhobenen Herzog Carl-August von Sachsen-Weimar- Eisenach

1 809 Thomas Soemmering erfi ndet i n M ü nchen den Elektrotelegraphen und führt
i h n seinem Kaiser vor. Antwort: cc u n e idee german ique„

1 809 * Edgar Allan Poe i n Boston

1 809 t Karoline Schel l i ng


1 81 0 N apoleon verlässt Joseph ine kinderlos in Malmaison und hei ratet in Öster-
reichs Schwarm nubiler Erzherzog i n nen e i n

1 8 1 0 Hoffmann beweist die Mög l ichkeit „absol uter Musik" ohne Sänger
1 8 1 0 Potocki , Principes de Chronologie pour /es Temps anterieurs aux Olympiades
1 8 1 0 C h ristiane Goethe sch l ägt Bettina die Brille von der N ase
1 8 1 1 Byron d u rchschwi m mt in 70 M i n uten den Hel lespontos
1 8 1 1 Friedrich Heinrich Karl , Freiherr de la Motte-Fouque, Undine
1 81 1 * Franz Liszt bei Ödenburg

1 8 1 1 E rzherzog i n Marie-Louise schenkt N apoleon einen König von Rom


1 8 1 1 Brentano schreibt seine zur Gitarre gesungenen Märchen auf
1 81 1 * Evariste Galois

1 8 1 1 Bettina hei ratet denn doch von Arnim


1 8 1 2 Laplaces Theorie analytique des probabilites denkt aufs neue einen allwissen­
den Daimon

1 8 1 2 N apoleon siegt bei Borodi no, aber der Zar lässt mit dem heiligen Moskau alle
möglichen Wi nterquartiere n iederbrennen

1 8 1 2 Jakob und Wilhelm Grimm, Kinder- und Hausmärchen


1 8 1 2 Majestät l assen dero G rande Armee erfriere n , um mit Caulaincourt und des­
sen sch nellster Postkutsche nach Paris zu fah re n . «S. M. Gesu ndheit war nie
besser» , meldet Le Moniteur

363
1 8 1 3 alle 24 Bände von Vivant Denons u n d Fouriers Description de l'Egypte l iegen
vor

1 8 1 3 Jean-Franc;ois Poncelet ersinnt in russischer Gefangenschaft die projektive


Geometrie

1 8 1 3 Fried rich Wilhelm I I I . lügt An sein Volk u nd führt 1 9 1 8 herauf


1 8 1 3 * Richard Wag ner in Leipzig
1 8 1 3 die Völkerschlächter rund u m Leipzig übermannen N apoleon . . .
1 8 1 3 . . u n d Wag ners Vater, Pol izeiauktuarius von Leipzig, sti rbt a n einer Kriegsla­
.

zarettseuche

1 8 1 4 Sein eigener Senat setzt den Kaiser ab; N apoleon u nterschreibt i n Fontai-
nebleau die Abdankung

1 8 1 4 * Michail Alexand rowitsch Fü rst Baku n i n


1 8 1 4 Shel ley lebt m it Mary Wol l stonecraft u nehelich zusammen
1 8 1 4 Carnot verteid igt Antwerpen bis nach des Kaisers Sturz
1 8 1 5 Napoleon landet von Elba her am Golf Juan
1 8 1 5 * George Boole i n Linco l n
1 8 1 5 Fou rier räumt s e i n bourbon isches Departementspräfektenbüro, n icht ohne N a ­
poleon noch ein warmes Bett gemacht z u haben

1 8 1 5 Ludwig XVI I I . kann Chappes Telegramme vom Nahen des Kaisers n icht lesen
1 8 1 5 cc lch wollte, dass Nacht wäre oder die P reussen kämen » (We l l i ngton bei Wa­
terloo ) . Die u nbedarften Preussen kamen

1 8 1 5 * Aug u sta Ada Byro n , Byrons einzige Tochter, verhei ratete Cou ntess Lovel ace
1 8 1 5 Britan nien l ässt Ceylons l etzten Fü rsten beseitigen und n i m mt Sing halas „Lö­
wenwoh nort" e i n

1 8 1 5 t Potocki (sobald eine silberne Pistolenkugel n a c h 1 5 Jahren Feilen i n d e n


L a u f passt)

1 81 7 Sertürner stellt reines Morph i u m her


1 8 1 8 Karl , Frei herr von Stein zum Alten ste i n , beruft Hegel an die kön i g l iche
Friedrich-Wi lhelms-Universität zu Berl i n

1 8 1 8 Arth u r Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung


1 8 1 8 Mary Shelley, Frankenstein
1 8 1 8 Franz Grillparzer, Sappho
1 8 1 9 Charles, Baron Cag n iard de La Tou r, Sur Ja Sirene
1 820 * C h arles Baudelaire in Paris
1 820 Shelley, Ode to the Skylark
1 82 1 * ( S i r) Richard Francis Bu rton

364
1 82 1 t N apoleon (an Magenkrebs oder Arsen auf St. Helena)
1 82 1 * Hermann Ludwig Ferdi nand H e l m holtz i n Potsdam

1 82 1 Weber, Der Freischütz


1 82 1 * G ustave Flaubert i n Rouen

1 82 1 * Rudolf Vi rchow i n Pommern

1 822 Jean- Francois Champollions Brief an Dacier überführt (dank Bon apartes
Rosetta-Stei n ) Ägyptens heil iges „Alphabet" in eine zwar lesbare, aber u n ­
aussprechl iche Konsonantensch rift

1 822 Augusti n Jean Fresnel , Theorie ondulatoire de /a furniere


1 822 Stendhal , De /'amour
1 822 * Heinrich Sch liemann in Mecklenburg

1 822 t Hoffmann (an Knochensch merz u nd Lutter & Wegeners Wei n stube)
1 822 Babbage stellt seine Differential Engine vor
1 822 t Shelley (beim Segeln mit Sophoklesversen im Gewittersturm vo r La Spezia)
1 823 Gauss, Theoria combinationis observationum erroribus minimis obnoxiae
1 823 t Lazare G raf Carnot ( i m Magdeburger Exil)
1 824 Niels Henrik Abel, Memoire sur /es equations algebriques ou l'on demontre
l'impossibilite de la resolution de l'equation generale du cinquieme degre
1 824 t Byron (vor Erkältu ng i n Missol u n g h i beim Befreien Griechenlands)
1 825 Thomas Crofton Croker, Fairy legends and traditions of the South of lreland
1 826 * Bernhard Riemann in Breselenz bei Dannenberg , Königreich Han nover

1 826 Brockhaus gibt Casanovas verbotene Memoires ecrits par lui-meme in Druck
1 826 August Kopisch entdeckt als g uter Schwimmer Capris Grotta azzu ra wieder:
„Die reizende Lichtwirkung beruht darauf, dass das Licht d u rch eine große u n ­
terseische Öffnung a u f den Grund der Grotte fällt u nd dan n , durch d a s Wasser
reflektiert, die Wölbung mit blauem Licht ü berströmt. Alle i n das Wasser ge­
tauchten Gegenstände [und Leiber] glänzen wie Silber."

1 826 Englands Krone schaltet i h re Exchequer Tal l ies von Kerbhölzern auf Ziffern
u m ; die Rache ist ein grosser Brand

1 826 Brockhaus g ibt Casanovas verbotene Memoires ecrits par lui-meme i n Druck
1 827 Georg Ohm stellt das Gesetz U = R x I auf: Span nung ist gleich Widerstand
mal Stromstärke

1 827 t Marquis de Laplace


1 827 Seeschlacht vor Lepanto/Pylos
1 827 t Conte Volta i n Corno
1 827 Gauss, Disquisitiones generales circa superficies curvas

365
1 828 Martin Ohms Versuch eines vollkommen consequenten Systems der Mathe-
matik u ntersagt das Teilen d u rch N u l l
1 829 d e r Su ltan gibt G riechenland frei
1 830 t Joseph Baron de Fourier (bei geliebten 35 ° Celsius Zim merwärme)
1 830 Berlioz komponiert vor lauter Liebe und Opium seine Symphonie fantastique.
Episode de la vie d'un artiste
1 830 * Etienne-Jules Marey in Beau ne
1 830 dem Biologen Robert Brown enthü llt/verh ü l lt sich aller Molekü le weisses Rau-
schen als weltallweiter Sex

1 83 1 * James Clerk M axwell in Edinbu rg h


1 83 1 t Hegel i m damals grünen Kreuzberg
1 83 1 Auch der G itarre wachsen Metallsaiten
1 832 t Galois (im Duell nach einer weissen N acht, die uns die moderne Algebren
beschert hat und nur um eine H u re g i n g )

1 832 t Champollion
1 833 Gauss und Wilhelm Weber schalten zwischen Göttingens magnetische m Ob-
servatorium u nd Sternwarte den ersten l auffähigen E lektrotelegraphen

1 833 * Alfred Graf Sch lieffen i n Berl i n


1 835 Poe hei ratet seine vierzeh njährige Cousine
1 835 Moltke berät Su ltan Mahmut i n Dingen des Krieges, während er seiner Braut
von D i ngen der Liebe schreibt

1 835 Theoph ile Gautier, Mademoiselle de Maupin


1 835 Bettina von Arn i m , Goethes Briefwechsel mit einem Kinde
1 836 Samuel Morse, Maler aus New York, übersetzt Gauss' und Webers elektri-
schen Telegraphen i n dots and dashes

1 838 * Joseph ine Gallmeyer („eigentlich Tomaselli") i n Leipzig


1 838 * P h i l i ppe Auguste Mathias, Conte de V i l l iers de l ' lsle-Adam
1 838 Giemens Brentano, Gockel, Hinkel, Gackeleja
1 839 P h i l aletes, Kö nig von Sachse n , überträgt Dantes Divina Commedia i n deut-
sche Verse

1 840 Bettine Brentano, Die Günderode - ein Briefwechsel


1 840 Adolphe Sachs chromatisiert Klarinette u nd Bassklarinette
1 840 Babbage und Ada Lovelace suchen d i e Analytical Engine zu program m ieren
1 840 Baku n i n liest Hegel i n Berlin
1 84 1 Samuel Morse ergattert ein US-amerikan isches Telegraphenpatent
1 84 1 Moltke heiratet die Stieftochter seiner Schwester

366
1 842 t Brentano in Aschaffenbu rg
1 842 Adolphe Saxe erfi ndet alle Saxophone als Fam ilie
1 842 C h ristian Doppler hört den Dopplereffekt
1 842 * Stephane Mallarme in Paris
1 842 Britan nien siegt i m Opi u m krieg u nd zwingt dem Reich der Mitte I ndiens alte
Drogen auf

1 842 Aloysius Bertrand , Gaspard de /a nuit


1 843 t Hölderl i n im Tübinger Tu rm
1 843 Dr. med. Moreau de Tou rs setzt Baudelaire, Nerval, Gautier und andere Jung-
d ichter i m Hötel Pimodan , Tle Saint-Louis, u nter Hasch isch

1 844 Joseph Liouville beweist konstruktiv, dass transzendente Zah len sind
1 844 * Ludwig Boltzmann i n Wien
1 844 * Friedrich Nietzsche (auf dem Schlachtfeld von Lützen)
1 844 Berlioz, Traite d'instrumentation
1 844 t Beckford
1 845 * Georg Cantor
1 845 * König Ludwig I I . von Bayern auf Schloss Nymphenburg
1 846 t Sessel
1 847 t Virginia Poe
1 847 * Thomas Alva Edison
1 847 Helmholtz , Über die Erhaltung der Kraft
1 848 Franz Liszt, Les preludes
1 849 t Poe (betru nken i n Baltimore)
1 849 Flaubert bereist Ägypten und schläft mit brau nen H u ren
1 849 Wag ner, Baku n i n , Semper und andere bauen Barrikaden rund um Dresden
1 850 Helm holtz m isst die Nervenfortleitu ngsgeschwi ndigkeit
1 850 * Sonja Kowalewska
1 850 * Judith Gautier (Tochter des Schriftsteller Theophile Gautier)
1 850 ein Gesang lehrer namens Garcia erfi ndet den Keh l kopfspiegel
1 85 1 Flaubert sucht Sparta und die Pelopo n nesos
1 85 1 Helm holtz erfi ndet den Augenspiegel
1 85 1 * Arth u r Evans i n Nash-Mills/E ngland
1 85 1 Wag ner, Oper und Drama
1 85 1 t Mary Shel ley

367
1 852 t Lady Ada Lovelace u nter Schmerzen (vom Pentagon als Program mierspra­
che Ada verewigt)

1 852 Bettine Brentano, Gespräche mit Dämonen


1 853 Bu rton schleicht sich als Scheich Abclallah in Mekka ein und empfängt vor der
Ka'aba den Titel Hadsch

1 854 t Ohm in M ü nchen


1 854 Boole, An lnvestigation into the Laws of Thought
1 855 t Gauss in Götti ngen . Der König von Hannover prägt eine M ü nze mit der Auf­
schrift G EORG I U S V REX HANNOVE R A E MATH EMATICORUM P R I N C I P I

1 855 t N erval (an einem Pariser Laternenpfah l , rue d e l a Vieille-Lanterne, bau-


melnd)

1 856 * Oscar Wilde i n Dubl i n

1 856 Baudelaire übersetzt Poe


1 856 * And rej And rejewitsch Markow

1 857 Edou ard- Leon Scott de Marti nvi lle meldet seinen Phonautographen z u m Pa-
tent an

1 857 * J6zef Teodor Kon rad Korzeniowski (Joseph Conrad)

1 857 Wag ner, Tristan und lsolde


1 857 * H e i n rich Hertz i n Hamburg

1 857 Baudelaire, Les fleurs du mal


1 859 Tschebyschew gibt die nach i h m benan nten Polynome oder Fi lter an
1 859 t Bettine vo n Arnim in Berl i n
1 859 t M arceline Desbordes-Valmore
1 859 Riemann vermutet, dass alle n ichttrivialen N u l lstellen seiner Zetafu n ktion i n
der komplexen Ebene a u f e i n e r Geraden ( R (�) %) l iegen
=

1 860 * G u stav Mahler i n Kalischt/Böhmen

1 860 Scott n i m mt Au clair de la tune auf, 2008 erst wird die Tonspur ei ngespielt
1 86 1 Baudelaire, Richard Wagner et Tannhäuser a Paris
1 86 1 P h i l ipp Reis stel lt i n Frankfurt am Main erste Telephonversuche vor
1 862 Flauberts SalammbO beschwört Karthagos Götti nnen und Götter
1 862 H E R M A N N VON H ELMHOLTZ, Die Lehre von den Tonempfindungen
1 862 * David H i l bert in Königsberg

1 862 * C laude Debussy

1 862 Maria-Ch risti na Gerhard erhört Stephane Mailarme


1 862 Ludwig I I . besteigt Bayerns Thron u n d ü berhäuft Wag ner m it Geschenke n

368
1 864 * Richard Strauss in M ü nchen

1 864 t Boole i n Cork


1 864 James Clerk Maxwe l l stellt 4 elektromag netische Feldgleichungen auf
1 865 Hans von Bü low führt i n M ü nchen Tristan und /so/de auf, der Heldentenor sti rbt
an Stim mverausgabu ng

1 865 Vi rchow, Die Erziehung des Weibes


1 866 t Riemann am Lago Maggiore
1 866 Mahler hört zwei Regimentskapellen gleichzeitig d u rch lglau ziehen und ent-
deckt dabei den Rau m klang

1 867 t Baudelaire (in den Armen seiner M utter)


1 867 Rieman n , Über die Hypothesen, die der Geometrie zugrunde liegen
1 867 Alfred Nobel erfi ndet das Dynamit
1 868 * Stefan George (einem katho l ischen Winzerpaar zu Büdeshei m am Rhein)

1 869 t Berlioz i n Paris


1 869 D i m itrij l wanowitsch Mendelejew stellt das periodische System der modernen
Elemente auf

1 870 Vi rchow kämpft für Reinigung und Entwässerung Berlins: Fliessendes Wasser
u nd Badewannen sind die Wesensfolge

1 870 Heinrich Sch liemann ergräbt am Hügel H issarl ik auf eigene Kosten sieben
heilige Troias

1 870 Moltke, in den Grafenstand erhobe n , siegt bei Sedan u nd überhaupt


1 87 1 läuft R i mbaud d u rch Charlevi l le, schreit die Priester an und schreibt auf alle
Bänke cc Merde a Dieu ! »

1 87 1 t Babbage i n London
1 87 1 * Pau l Valery i n Sete am blauen M ittel meer

1 872 N ietzsche, Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik
1 872 Richard Dedeki nds Stetigkeit und irrationale Zahlen stellt die reellen Zah len
sicher

1 872 der Sozialistenkongress i m H aag sch l iesst Baku n i n aus


1 872 Fel i x Kleins E rlanger Antrittsvorlesung wagt Vergleichende Betrachtungen
über neuere geometrische Forschungen
1 873 Charles Herm ite beweist die Transzendenz von e
1 87 4 Cantor beweist mengentheoretisch ( n icht bloss konstruktiv) die Transzendenz
von Zah len

1 87 4 Johann Strauss, Die Fledermaus


1 87 4 Marey, La machine animale, /ocomotion terrestre et aerienne

369
1 874 Flaubert, La tentation de saint Antoine
1 874 * Arnold Schönberg
1 875 * H e n ri Lebesg ue in Beauvais
1 875 * Rainer Maria Rilke i n Prag
1 875 * Mau rice Ravel
1 876 WAG N E R mit dem Ring des Nibelungen eröffnet das Festspielhaus Bayreuth .
Alle, auch der u ralt deutsche Kaiser, fal len seiner Sound Light Show anhei m .
N u r N i etzsche ist zu philosophisch oder taub, u m zu hören

1 876 t Baku n i n i m Berner Exil


1 876 Alexander G raham Bell i n Salem, M assachusetts bri ngt das Telephon zum
Sprechen

1 876 Mallarme, L'apres-midi d'un Faune


1 876 Schliemann setzt in Mykene den Spaten an u nd entzündet „zu m erstenmal
seit 2344 Jahren" das Wachtfeuer auf der Burgmauer

1 877 C h arles G ros gibt die Prinzipschaltu ng aller möglichen Phonographen an


1 877 Thomas Alva Edison lässt seinen Schweizer Mechaniker den ersten Phono­
graphen bauen

1 877 Cantor erkennt Pu nktmengen versch i edener Di mension als gleichmächtig :


cc Je le vois, mais je ne le crois pas. »

1 878 Schliemann gräbt lthaka aus


1 878 Marey, La methode graphique dans /es sciences experimentales
1 878 David Edward Hug hes erfi ndet das Kohlem ikrophon
1 879 t M axwell i n Cambridge
1 880 t Flaubert (in seinem ei nst von Abbe Prevost bewoh nten Land haus bei C rois-
set)

1 880 H e l m holtz macht Dr. Hein rich Hertz z u m Assistenten


1 880 Gautiers Tochter Judith wird Wag ners letzte Liebe
1 880 * G u i l laume Apo l l i naire
1 88 1 Am Felsen vo n Surlei keh rt die Ewige Wiederku nft zu Nietzsche wieder
1 88 1 Schliemann gräbt i n Orchomenos
1 882 Lindemann beweist die Transzendenz von 7r

1 883 t Wag ner im Palazzo Ve ndram i n , heute Casino von Venedig


1 883 Johann Strauss, Eine Nacht in Venedig
1 883 Ramsay entdeckt i n Aidin bei Tralles G rabmal und G rablied des Seikilos
1 884 t Hertz

370
1 884 Debussy, Apparition
1 884 t Josephine Gall meyer i n Wien
1 884 Sch liemann gräbt i n Tiryns
1 884 N i etzsche vollendet Also sprach Zarathustra
1 885 i n Benares erscheinen Burtons One Thousand Nights and One mit allen • Stel­
len•

1 885 i n Paris erscheint La revue wagnerienne


1 886 Richard Frei herr von Krafft- Ebbi ng, Psychopathologia sexualis
1 886 t Ludwig I I . (samt seinem I rrenarzt i m Starnberger See ertru nken)
1 886 Vill iers de l ' lsle Adams L'Eve future setzt Edison ein Denkmal
1 886 t Liszt (im Festspielhaus Bayreuth)
1 887 Hertz weist an der TH Karlsruhe Maxwells elektromagnetische Feldg leichun­
gen expe rimentell nach

1 887 N ietzsche, Hymnus an das Leben, für gemischten Chor und Orchester com-
ponirt
1 887 N i etzsche, Die fröhliche Wissenschaft
1 888 Leipzigs Kapell meister Mahler vertont Wunderhorn-Lieder
1 888 Wilhelm von Siemens spendet Helm holtz eine Physikal isch-Tech n ische
Reichsanstalt, Kaiser Wilhelm I I . dazu den Adelstitel

1 889 Emile Berl iner aus Han nover entwickelt i n den USA das G rammophon
1 889 Giuseppe Peano, Arithmetices principia, nova methodo exposita
1 889 * Martin Heidegger (dem kathol ischen Messmerspaar von St. Martin zu Mes-
skirch geboren)

1 890 t Sch liemann i n Neapel


1 890 Stefan Georges Hymnen nennen erstmals seinen Eigen namen
1 890 Mahler vollendet die Wunderhorn- Lieder
1 89 1 t Wilhelm Weber
1 89 1 t Kowalewska
1 89 1 t Moltke (bei Wag nerakkorden vom Piano im Vorderzim mer)
1 89 1 H i lbert beweist, dass Linien Flächen füllen können
1 89 1 I n Frühlings Erwachen sch reibt Wedekind Krafft- Ebbing aus
1 89 1 Wilhelm I I . beruft G raf Schl ieffen zum C hef des Generalstabs der Armee
1 892 Stefan George, Algabal
1 892 In Genuas Nacht wird Valery ersch reckend klar, dass Dichten und Rechnen
das Selbe sind

371
1 893 Oscar Wilde, Salome auf französisch
1 893 Auf der Weltausstellung i n Ch icago schüttelt Helmholtz Edison die Hand
1 894 t H e l m holtz i n Charlottenburg
1 894 * Norbert Wiener

1 894 Les demi-vierges schenken Marcel P revost einen Bestseller


1 895 Der Trau m von l rmas I njektion «enth ü l lt Dr. Sigmund Freud das Gehei m n i s
d e s Traumes»

1 895 * Johan nes Loh mann

1 895 Carl R u nge, Über die numerische Auflösung von Differentialgleichungen


1 896 Richard Strauss, Also sprach Zarathustra
1 896 G u i lelmo Marco n i funkt Funken d u rch den sogenan nten Äther und m acht
H ertz techn isch wahr

1 897 Bram Stoker, Dracula


1 898 E u ropas G rossmächte zwingen den S u ltan , Kreta den Kretern zu überlassen
1 898 Joseph Conrad , The Lagoon
1 898 t Mallarme im Bl ick auf die Seine
1 898 Valdemar Pou lsen entdeckt i n Kopen hagen die elektromagnetische Speiche-
rung von Schall

1 899 David H i lbert, Geometrie


1 899 Robert Koldewey gräbt Babylon aus
1 899 t Weierstrass
1 899 * An ita Berber

1 899 * Jorge Francisco l sidoro Luis Borges Acevedo

1 899 Sigmund Freud, Die Traumdeutung, auf 1 900 vordatiert


1 899 * Vlad i m i r Nabokov i n St. Petersbu rg

1 900 Evans gräbt Knossos aus, vermengt m i noische M u m iensärge mit Queen Vic-
torias Badewannen und erstickt Knossos u nter Grü nderzeitbeton

1 900 t Wilde in Paris


1 900 t N i etzsche in Villa Silberblick, Weimar
1 900 H i l bert stellt der Mathematik 23 u ngelöste Probleme
1 90 1 Debussy, Les Sirenes
1 90 1 Mau rice Maeterli nck, La vie des abeilles
1 902 t V i rchow in Berl i n , wo sonst
1 902 E n rico Caruso kom mt als Operntenor d u rch Schal lplatten zu Weltru h m

372
1 903 * Johann von Neumann als Sohn reicher geadelter Bankiers in Budapest
1 903 der Handwerkersoh n Herrmann Diels widmet seine Fragmente der Vorsokra-
tiker ausgerechnet Wilhelm D i lthey
1 903 * Andreij And rejewitsch Kol mogorow
1 903 Debussy macht Maeterlincks Pelleas et Melisande zur grossen Oper
1 904 t Marey (als Präsident der Societe franr;:aise de photographie)
1 905 Die kön iglich sächsische Staatsoper führt Salome von R ichard Strauss auf
1 905 * Pierre Klossowski
1 905 Christian Morgenstern, Galgenlieder
1 905 Debussy, La mer
1 905 Oscar Wilde und Richard Strauss, Salome
1 906 Norbert von Hellingrath gibt Hölderl i n heraus
1 906 Josefine Mutzenbacher oder Die Geschichte einer Wienerischen Dirne von ihr
selbst erzählt in 1 000 ein maligen Privatd ruckexemplaren
1 906 * Albert Hofman n
1 907 die I nsel zu Leipzig druckt eine freie deutsche Nachdichtung Li-tai-pes
1 908 Preussen als letztes u nter E u ropas Ku lturländern gewährt auch Frauen Dok-
torh üte

1 908 der Diskos von Phaistos kom mt wieder ans Licht


1 909 Judith Gautier, Les princesses d'amour: courtisanes japonaises
1 909 Das Lied von der Erde vertont Li-tai-pe u nd Mah lers holden Abgesan g :
„ Die liebe Erde
allüberall
blüht auf i m Lenz
u nd grünt aufs neu !
Allüberall und ewig
blauen l icht die Fernen !
Ewig . . . ewig . . . "

1 9 1 0 Mahler, 1 0. Symphonie, Adagio


1 9 1 0 * Konrad Zuse
1 9 1 1 t Mahler (an gebrochenem Herzen)
1 9 1 1 Hugo von Hofman nsthal und Richard Strauss, Der Rosenkavalier
1 9 1 1 * Heinz von Foerster in Wien
1 9 1 1 Bertrand R ussen sucht Epimen ides von Kreta logisch zu widerlegen
1 9 1 1 Schönberg , Harmonielehre
1 9 1 2 * Alan M athison Tu ring

373
1 9 1 2 Schönberg , Dreimal sieben Gedichte aus Albert Girauds Pierrot lunaire
1 9 1 3 lgor Fü rst Strawinsky, Le sacre du printemps. Tableaux de la Russie paienne
1 9 1 3 And rej And rejewitsch Markow, aus der orthodoxen Kirche ausgetreten , wendet
seine Markowketten auf Vokale und Konsonanten i n Puschkins Eugen Onegin
an

1 9 1 3 Dr. Hermann Weyl gibt sei ne Vorlesung über Die Idee der Riemannschen Flä-
che in Druck
1 9 1 3 G u i llaume Apo l l i naire, Sous le pont Mirabeau
1 9 1 3 t Sch l i effen (nach einem Reitu nfall im Berliner Tiergarten)
1 9 1 5 Friedrich H rozny erkennt, dass die Hethiter „Brot essen u nd Wasser trinken",
also i ndogerman isch gesprochen und geschrieben haben

1 9 1 6 t Norbert v. Hellingrath (als Artil lerielauschoffizier vor Verdun)


1 91 6 * Claude Elwood Shannon

1 9 1 7 Valery, La jeune Parque


1 9 1 7 Schönberg , Verklärte Nacht
1 9 1 8 t Cantor
1 9 1 8 t Debussy
1 9 1 8 t Apo l l i naire an einer Schützengraben - Kopfschusswunde
1 9 1 8 Richard Feynman
1 920 Valery, Charmes: Charme/Zauber kom mt von Carmen/Lied
1 920 * Charlie Parker

1 922 t M arkow senior


1 922 Anita Berber zeigt sich tanzend nackt
1 922 * John Ventris

1 923 * György Ligeti

1 923 Schönberg , Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen


1 924 auf den Porphyrsarkophag Fried richs I I . im Dom zu Palermo kommt ein Kranz
zu liege n :

S E I N E N KA I S E R N U N D H E L D E N
DAS G E H E I M E D E UTSC H LAN D

1 924 t Joseph Conrad


1 925 * Cathy Berberian

1 925 Walter F. Otto tritt aus der Ch ristenheit aus


1 925 * Pierre Boulez

1 926 Respighis Pini di Roma lassen eine gram mophonverstärkte N achtigal l gegen
Toscan inis G rosses Orchester ansingen

374
1 926 * I ngeborg Bachmann in Klagenfurt

1 926 H i l bert fordert die Beweisbarkeit aller Mathematik


1 926 t Rilke i n Val Mont
1 926 * John Coltrane

1 927 H E I DEGG E R , Sein und Zeit. Erste Hälfte


1 927 * Harry Belafonte i n N ew York

1 928 Kurt Wei l l und Bert Brecht, Die Dreigroschenoper


1 928 * Karl heinz Stockhausen

1 928 Schönberg , Variationen für Orchester op. 3 1


1 928 M i l man Parrys L'epithete traditionnelle dans Homere beweist die M ündl ichkeit
der frühesten Sage

1 928 t An ita Berber (am Kokain)


1 928 * Ch rista Ludwig , die schönste Sti mme unseres Lebens

1 928 Ravel, Le Bolero, der schönste Porno u nseres Lebens


1 928 George, Das neue Reich
1 929 * Hans Magnus Enzensberger i n Kaufbe u ren

1 929 E rnesto Lecuona, Siboney


1 930 Lester You n g , Tenorsax, beg leitet Billie Hol iday
1 930 * Jacques Derrida bei Algier

1 93 1 E rnst Kantorowicz, Kaiser Friedrich der Zweite


1 93 1 t Edison
1 93 1 * Caterina Valente

1 93 1 Kurt Gödel übe rführt H i l berts P rogram m einer Metamathematik seiner U nvoll-
ständigkeit

1 933 t Stefan George i n Mi n u sio, zwei G rafen Stauffenberg halten Totenwache


1 933 Walter F. Otto, Dionysos. Mythos und Kultus
1 935 Auf Cambridges Grantchester Meadows geht Tu ring die u niversale diskrete
Masch ine auf

1 935 Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes


1 936 T U R I N G , On computable numbers with an application to the Entscheidungs­
problem ( D iss. p h i l . Cambridge ) , widerlegt H i l bert maschinell
1 936 Kon rad Zuse baut i n der Methfesselstrasse, Berl i n-Tempel hof, die erste dig ita­
le Rechenmaschine („Z 1 ) "

1 936 Leni Riefenstahl filmt Berl i n s Olympiakäm pfe nach aller G riechenku nst
und -nacktheit; Walter Bruch (AEG) dagegen richtet Zworyki ns russisch­
amerikan isches I konoskop auf eitle Trikots : Fernsehen als vorletzte Schwund­
stufe des Seyns kom mt auf

375
1 937 t Ravel
1 938 Shannon, A Symbolic Analysis of Switching Circuits
1 939 die S i rene wird elektrisch , u m vor Luftangriffen zu warnen
1 940 die AEG entdeckt durch Zufal l , dass Magnettonbänder n icht mehr unerträg lich
rau schen, wenn eine Hochfrequenz sie vormag neti siert

1 940 Charlie Parker, Altsaxophon, erfi ndet in Harlem/Manhattan den Be bop


1 940 General der Panzertruppe Heinz Guderian überquert mit U KW- Funk, I nfan­
teriereg i ment Deutschland sowie 1 . , 2 . u n d 1 0. Panzerdivision bei Sedan die
Maas : der „Sichelschn itt" (Winston C h u rc h i l l ) d u rch Frankreichs N orden ist ge­
l u ngen

1 940 von Trägerschiffen aus zerstört die Royal Air Force Ital iens drei Schlachtsch iffe
in Tarantos Mare piccolo

1 94 1 t Sir Arth u r Evans in Oxford


1 94 1 M ichael Ventris zieht als Radarnavigator u nd Decodierer für die Royal Air For­
ce in den Krieg

1 941 t Lebesgue i n Paris


1 94 1 britisch-ital ien ische Seeschlacht vor Kap Matapan (Tainaro n ) , Spartas E i n ­
g a n g z u m Hades

1 94 1 die 22. Wehrmachts-Division (laut Alexander Kluge die beste) schwebt über
Kreta n i eder und treibt die Briten ins Meer, obwohl die erste rechtzeitige
Enigma-Entzifferung General Freyberg vorgewarnt hat

1 942 * James M arshall („J i m i") Hendrix

1 942 * Pau l McCartney

1 943 * Janis Jopl i n

1 943 t H i l be rt (u nter d e r Grabinsch rift "Wir werden wissen")


1 943 am 1 2. Juni nehmen US-Marines Eu ropas erste I nsel ein : Lampedusa
1 943 Zuses Z 3 ersetzt die Hardware-Opt i m ierung von Luftwaffen-Fl ügel profilen
d u rch weit bill igere Software-Tests

1 943 * J i m Morrison

1 943 Heinz von Förster (fast ohne es zu verraten ) rü stet i n Berl i n - Lichtenberg die
Luftabweh r der Wehrmacht radartec h n i sch auf

1 943 Dr. Albert Hofmann entdeckt/erfährt das LSD


1 944 * . . .

1 945 « Auf den Boulevards» hier i n Berl i n h errscht « Steppenleben - lebhafte Bor­
delle u nd U n iformen . Das achte amurische Reg i ment - Friedensgarnison Lo­
scha-go - macht Platzmusik, die langen Posau nen dröhnen . „ (Benn)

1 945 John von Neuman n , First Draft of a Report on the EDVAC

376
1 945 t Valery
1 945 Claire von Neumann erfi ndet das Hardware-Programmieren
1 946 EMI ( • Electric and Musical l nd u stries > ) u nd John Cage entdecken an Weh r-
machtsbeutestücken die Vorzüge des Ton bandgeräts über Grammophone

1 946 * Syd Barrett

1 947 Yves Klei n , Symphonie monotone


1 947 Will iam Shockley, John Bardeen und Walter Brattain erfi nden den Transistor
1 948 Norbert Wiener, Cybernetics or Control and Communication in the Anima/ and
the Maschine
1 948 Richard Strauss, Vier letzte Lieder
1 948 Shannon, textitMathematical Theory of Commun ication
1 949 t Richard Strauss
1 950 Tu rings e i nzig popu lärer Aufsatz lässt Laplaces Daimon im Rauschen u nter-
gehen

1 95 1 t Schönberg
1 95 1 * . . .

1 952 Ventris' Work Note 20 entziffert M i noisch Li near B als griechische Silbenschrift
1 953 Heinz Rutishauser von der ETH Zürich erfi ndet den Compiler
1 953 * Richard M . Stal lman

1 954 t Tu ring ( i n einen Zyankal iapfel beissend)


1 954 Pau line Reage, Histoire d'O
1 954 Giorgio Buchner gräbt auf Ischia Nestors Becher aus
1 955 Stockhause n , Gesang der Jünglinge im Feuerofen
1 955 Bachman n , Die Zikaden
1 955 t Parker
1 955 N abokov, Lolita
1 956 t Ventris (bei morgendl ichem Autou nfall ohne Zeugen)
1 956 H arry Belafonte, Calypsos Island in the Sun
1 957 t Johnny von Neumann (an autogenem H - Bomben- Fallout-Knochenkrebs)
1 957 Leningrad (heute wieder St. Petersburg) ü be rfü hrt Eulers Überreste in seine
N ekropole

1 957 Timothy Leary, lnterpersonal Diagnosis of Personality


1 958 Sonny Rollins, Freedom Suite
1 958 i nternationaler Stereo-Standard , erste Hifi-Platten
1 958 Bachmann, Der gute Gott von Manhattan

377
1 959 Heidegger, Unterwegs zur Sprache . . .

1 959 . . . und Pau l i n e Reage, Retour a Roissy


1 959 John Desmond , Take Five: der Fü nfvierteltakt erreicht den Jazz
1 960 Stockhausen, Kontakte
1 96 1 Ligeti , Atmospheres
1 962 Elfride u nd Marti n Heidegger e rfahren das Griechenland
1 963 Brigitte Bardot in schöner Nacktheit verwandelt dank Fritz Lang und Carlo Pon ­
ti die Odyssee zum Film Le mepris

1 963 Stam itz' Klarinettenkonzert für dich u n d mich

1 964 t Norbert Wiener ( i m Stockholm seines verpassten N obelpreises an Herzfl i m ­


mern)

1 964 John Coltrane, A Love Supreme


1 964 Robert Moog stellt der Aud io Engineering Society seinen ersten Synthesizer
vor

1 965 Lampedusa, La sirena


1 967 Syd Barrett, The Piper at the Gates of Dawn
1 967 Ligeti , Lontano
1 967 t Coltrane (am Kokain)
1 967 Leon ard Cohen, The Songs of Leonard Cohen
1 968 Barrett taucht LSD-schwer bei seiner Mutter in Cambridge ab, Pink Floyd kü-
ren einen von Brig itte Bardots Liebhabern zur lead g u itar

1 968 Donald E. Knuth , The Art Of Computer Programming


1 969 N abokov, Ada or Ardor: A Family Chronicle
1 969 t Coltrane (am Kokain)
1 969 Susan takes you down
1 969 J i m Morrison bringt die Jugend Miamis dazu , sich zu seiner Musik auszuzie­
hen

1 969 Pink Floyd besingen Ummagumma - die heidn ischen Geister auf den G rant-
chester Meadows bei Cambridge

1 970 t Hendrix
1 970 t Jopl i n
1 970 Stockhause n , Mantra
1 970 Foucault legt seine Antrittsvorlesung am College de France auf den Tag von
N apoleons Kaiserkrönung

1 97 1 t Morrison als D ichter i n Paris bestattet

378
1 97 1 K. fern u nd nah
1 973 Thomas Pynchon , Gravity's Rainbow
1 973 t I ngeborg Bachmann {im Feuer ihrer Zigaretten und Nylonnachthemden)
1 973 K. nah und fern
1 975 Keith Jarrett, The Köln Concerto
1 975 Patti Smith, Horses
1 976 t in der Rötebuckstrasse 47, Freiburg-Zähringen, wird Heidegger als schöne
Leiche aufgebahrt
1 976 Julian Jaynes, The Origin of Consciousness in the Breakdown of the Bicameral
Mind
1 977 t Nabokov
1 979 Thompson/Ritchie/Kernighan, Plain C
1 979 Sony bringt den Walkman TPS-L2 auf den Markt
1 980 Ein namenloser baden-württembergischer Polizeierlass {nota bene: kein Ge­
setz) untersagt uralte alemannische Fastnachtsbräuche. Maskierte Männer­
bünde müssen fortan Eigennamen preisgeben, um die Früchte wie auch im­
mer namenlos Geschwängerter der Bundesrepublik Deutschland einzuverlei­
ben
1 982 Tränen , Wunden . . .
1 982 Herbert von Karayan stellt neben Sonys Akio Morita die Compact Disc vor
1 983 t Berberian
1 983 Roger Waters, The final cut. A requiem for the post war dream
1 983 t Lohmann
1 986 t Borges
1 987 t Kolmogorow
1 988 t Feynman
1 989 die deutsche Mauer fällt
1 99 1 Barry B. Powell fugt Vokalalphabet und Homeros wieder ineins
1 993 beim Verlegen von Wasserleitungsrohren aus EU-Geldern kommt auf der Kad-
meia Thebens grosses Linear B-Archiv zutage
1 994 Andrew Wiles beweist fast Fermats letztes Theorem
1 995 t Zuse
2000 Julia Bischoff schenkt Light in August
2000 du kehrst in Zauberwäldern wieder
200 1 t Shannon

379
2001 t Klossowski
2002 Roger Waters und wir zwei in Ostberli n
2003 t Blanchot
2003 Bush lässt Babylon und Bagdad schänden
2004 t Derrida
2004 wir fahren zu den drei Sireneni nseln nach Italien . . .
2005 . . . und durch die Zeit zurück i n Freiburgs Sigsteinstrasse
2006 Pynchon, Against the Day - for Philolaos
2007 t Ligeti
2007 und selbst die I nsel 1 2 keh rt wieder
2007 t Stockhausen
2008 t Albert Hofmann
2008 die Bande hört auf David Gilmours Themseflussboot, erstmals in Dolby 5 . 1
gemixt, The Dark Side o f the Moon. Es ist e i n grosses Schluchzen, The great
gig in the sky
2008 t Richard Wright

380
0.3 Lesehilfen

Bücher (ob antike Rollen oder neuzeitliche Bände) zitieren wir der Lesbarkeit zuliebe
neuphilologisch auf Latein. U nser Sirenenanruf •Od . X I I 1 84• widerspricht also so­
wohl der alten Sitte •µ 1 84• als auch dem schönen schlanken •Od. 1 2 : 1 84• heutiger
Gräzisten. Ausnahme bleibt Aristoteles, dessen Metaphysik ein Textsteinbruch ge­
wesen sein muss. Wir schreiben dies Buch und nur dies Buch daher griechisch an,
von A über a bis zum finalen N .

Die Fussnoten, solang sie auf denselben Autor referieren, lassen seinen Namen
weg .

Büchereingangsende ist der Mai 2009 gewesen .

0.4 Bücher Noten Karten Platten

Achilles Tatius, Leukippe und Kleitophon. Englisch i n : Reardon, 1 989.

Aelian, Historical Miscellany. Edited and translated by Nigel N . Wilson. Cam­


bridge/Massachusetts und London (= LCL 486).

Aelian, On Animals. Edited and translated by A. F. Scholfield. 3 Bände. Cam­


bridge/Massachusetts u nd London (= LCL 437-439) .

Aischyli septem quae supersunt tragoediae, recensuit Gilbertus Murray. zweite Auf­
lage, Oxford 1 955 (= OCT) .

Aischylos, Tragödien und Fragmente. Verdeutscht von Ludwig Wolde. Leipzig 1 938
(= Sammlung Dieterich , Band 1 7) .

Emmanuel Alloa, Metaxu . Figures d e la medialite chez Aristote. Revue d e metaphy­


sique et de morale. 1 06 (2009) , 247-262.

Bernard Andreae, Odysseus. Archäologie des europäischen Menschenbildes.


Frankfurt am Main 1 982.

Jean-Marie Andre, Griechische Feste, römische Spiele. Die Freizeitkultur der Anti­
ke. Aus dem Französischen übersetzt von Katharina Schmidt. Zweite Auflage,
Leipzig 2002.

Apollodoros von Athen, Die Bibliothek. Griechisch-englisch herausgegeben von Sir


James George Frazer. 4. Auflage, London und Cambridge/Massachusetts
1 967. 2 Bände (= LCL 1 2 1 f.) .

Apollonios von Rhodos, Argonautika. G riechisch-englisch herausgegeben von R.


C. Seaton . 1 0. Auflage, Cambridge/Massachusetts u nd London 1 999 (= LCL
1 ).

Archilochos, Gedichte. Herausgegeben u n d übersetzt von Rainer Nickel. Düsseldorf


u nd Zürich 2003.

Hannah Arendt, Martin Heidegger zum 80. Geburtstag . Merkur. Deutsche Zeitschrift
für europäisches Denken, 1 O ( 1 969) , 893-902.

38 1
Philippe Aries, Geschichte der Kindheit. Mit einem Vorwort von Hartmut von Hentig.
Aus dem Französischen von Caroline Neubaur und Karin Karsten . München
und Wien 2 1 976 (= Hanser Anthropologie) .
Aristophanes, Herausgegeben und übersetzt von Jeffrey Henderson. 4 Bände.
Cambridge/Massachusetts und London 1 998-2002 (= LCL 488, 495, 1 79-1 80) .
Aristotelis de anima. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit W. D. Ross.
Oxford 1 956 (= OCT) .
Aristoteles, The Categories. On I nterpretatio n . Edited and translated by Harold R .
Cooke. Cambridge/Massachusetts u n d London 1 938 ( = LCL 325) .
Aristoteles, History of Animals. Edited and translated by A. L. Peck. 3 Bände. Cam­
bridge/Massachusetts und London (= LCL 437-439) .
Aristotelis Metaphysica. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit W[erner]
Jaeger. Zweite Auflage, Oxford 1 960 (= OCT) .
Aristoteles, Metaphysik. Ü bersetzt von Hermann Bonitz . Mit Gliederungen Regi­
stern u nd Bibliographie herausgegeben von Hector Carvallo und Ernesto G ras­
si. Reinbek 1 966 (= rde, Griechische Literatur, Band 1 0) .
Aristoteles, N icomachean Ethics. Edited and translated by H . Rackham . Cam­
bridge/Massachusetts und London (= LCL 73) .
Aristoteles, nepi yevE:oewc; Kai cp0opäc; / On Coming-to-be and Passi ng-away (De
generatione et corruptione) . A revised text with i ntroduction and commenta­
ry by Harold H. Joachi m . Oxford 1 922 (Nachdruck Hildesheim u nd New York
1 970) .
Aristoteles, nepi �<t>wv yevE:oewc; I D e la generation des animaux. Texte etabli et
traduit par Pierre Louis. Paris 1 961 (= Collection des universites de France,
publiee sous le patronage de l'Association Guillaume Bude) .
Aristoteles, Posterior Analytics. Topica. Edited with an English Translation by Hugh
Tredennic and E . S. Forster. Cambridge/Massachusetts und London (= LCL
39 1 ) .
Aristoteles, The Physics. With an English Translation by Philip H . Wicksteed and
Francis M. Cornford. Zweite Auflage, London 1 957 (= LCL 228).
Aristotelis de arte poetica liber. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit Ru­
dolfus Kassel . Oxford 1 965 (= OCT) .
Aristoteles, Poetik. Ü bersetzung, Einleitung u nd Anmerkungen von Olof Gigon .
Stuttgart 1 96 1 .
Aristotelis Politica. Recognovit brevique adnotatione instruxit W. D. Ross. Oxford
1 957 (= OCT) .
Aristoteles, On the Heavens. With an English translation by W. K. C. Guthrie, M . A.
Sechste Auflage, Cambridge/Massachusetts und London 1 986 (= LCL 338).
Aristotelis de arte poetica liber. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit Ru­
dolfus Kassel . Oxford 1 965 (= OCT) .

382
Aristoteles, llE:pi no1rinK1)c; I Poetik. G riechisch/Deutsch. Ü bersetzt und herausgege­
ben von Manfred Fuhrmann. Zweite bibliographisch ergänzte Auflage, Stuttgart
1 994.
Aristoteles, The Art of Rhetoric. With an English translation by John Henry Freese.
Dritte Auflage 1 959, London u nd Cambridge/Massachusetts (= LCL.)
Aristoteles, Generation of Animals. With an English translation by A. L. Peck. 5.
Auflage, Cambridge/Massachusetts und London 1 990 (= LCL 336) .
Aristoxenos, Die harmonischen Fragmente / ÄplOTO�evou apµOVIKWV TC aw�6µe:­
va. Griechisch und deutsch mit kritischem u nd exegetischem Commentar und
einem Anhang die rhythmischen Fragmente des Aristoxenos enthaltend her­
ausgegeben von Paul Marquard . Berlin 1 868.
Aristoxenos, Äpµov1Ka aro1xe:Ta / The Harmonics of Aristoxenos. Edited with transla­
tion notes, introduction and i ndex of words by Henry S[tewart] Macran , M. A.
Oxford 1 902. Zweiter Nachdruck H i ldesheim , Zürich und New York 1 990.
Aristoxeni Elementa harmonica. Rosetta da Rios recensuit. Rom 1 954 ( = Scriptores
graeci et latini consilio academiae lynceorum editi) .
Aristoxeni Rhythmica. C o n traduzione di G . B. Pighi. Bologna 1 959.
Athenaios von Naukratis, �e:1nvoaoq>iara1 I The Deipnosophists. Griechisch­
englisch herausgegeben von Charles Burton Gulick. 7 Bände, London und
Cambridge/Massachusetts 1 927-4 1 (= LCL) .
Aurelius Augustinus, Vom Gottesstaat. Ü bersetzt von Wilhelm Thimme, eingeleitet
u nd erläutert von Carl Andresen. 2 Bände. Zweite vollständig überarbeitete
Auflage, Zürich und München 1 978.
Augustinus, Die christliche Bildung ( De doctrina christiana) . Ü bersetzung, Anmer­
kungen und Nachwort von Karla Pollmann. Stuttgart 2002 (= UB 1 8 1 65) .
Marcus Aurelius, Wege zu sich selbst. Griechisch-deutsch herausgegeben und
übersetzt von Rainer Nickel. Dritte Auflage, Düsseldorf und Zürich (= Tusculum
Studienausgaben) .

Francis Bacon, The New Atlantis. I n : The Harvard Classics, edited by Charles W.
Elliot, LL. D. With l ntroduction and Notes, Volume 3. 56. Auflage 1 965, 1 43-
1 81 .
Fran�oise Bader, La langue des dieux ou l'hermeneutique des poetes indoeu­
ropeens. Pisa 1 989 (= Testi linguistici, collana diretta da E[nrico] Campanile,
1 4) .
Ulrich Bahnsen, Erbgut in Auflösung. D i e Zeit, Nr. 25, 1 2. Juni 2008, 3 3 f.
Emanuele Banfi, ldeogrammi cinesi e dintorni: sistemi di scrittura nell' Estremo Gri­
ente e nel sud-est asiatico. I n : Bocchi/Ceruti , 2002, 1 75-224.
Andre Barbera ( Herausgeber) , The Euclidean Division of the Canon. G reek and La­
tin Sources. New critical texts and translations. Lincoln und London 1 99 1 (=
Greek and Latin Music Theory, Thomas J. Mathiesen , General Editor) .

383
Karl Barth , Dogmatik im Grundriß. I m Anschluß an das apostolische Glaubensbe­
kenntnis. Berlin 1 948.
Roland Barthes, Mythologies. Paris 1 957.
Roland Barthes, Das griechische Theater. I n : R . B . , Der entgegenkommende u nd
der stu mpfe Sinn. Kritische Essays I I I . Aus dem Französischen von Dieter Hor­
nig. Frankfurt am Main 1 990, 69-93.
Georges Bataille, Gilles de Rais. Leben und Prozeß eines Kindermörders. Hambu rg
1 967.
Richard C. Beacham, Spectacle Entertainments of Early Imperial Rome. New Ha­
ven u nd London 1 999.
Schalom Ben-Chorin , Paulus. Der Völkerapostel in jüdischer Sicht. Gütersloh 2006
(= Schalom Ben-Chorin , Werke. Herausgegeben von Verena Lenzen unter M it­
wirkung von Avital Ben-Chorin , Band 5 ) .
Oskar Becker (Herausgeber) , Z u r Geschichte d e r griechischen Mathematik. Darm­
stadt 1 965 (= Wege der Forschung, Band 33) .
Gottfried Benn , Gesammelte Werke in vier Bänden, herausgegeben von Dieter Wel­
lershoff. Wiesbaden 1 959-6 1 .
E mile Benveniste, Essais de linguistique generale. 2 Bände, Paris 1 966- 1 974 (= Bi­
bliotheque des sciences humaines) .
Gerd Berg (Produzent) , Cans6s de Trobairitz. Lyrik der Trobairitz, um 1 200. E M I
C D M 7 634 1 72, 1 978.
Peter Berz , Licht und Riss. Medien der Tempel. In: Friedrich Kittler und Ana Ofak
(Herausgeber) , Medien vor den Medien. München 2007, 1 23-1 59.
Erich Bethe, Die dorische Knabenliebe. I h re Ethik und ihre Idee. Rheinisches Mu­
seum für Philologie 62 ( 1 907) , 438-475.
Joseph Bidez, La vie de l'empereur Julien . Paris 1 930.
Ludwig Binswanger, Le reve et l'existence. Traduit de l'allemand par Jacqueline Ver­
deaux. l ntroduction et notes de Michel Foucault. Paris 1 954.
Ernst Bloch, Zu r Philosophie der Musik. Ausgewählt und herausgegeben von Karola
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