Sie sind auf Seite 1von 7

Panzer

Vorwärts zum Panzer! Das ist hier natürlich nur literarisch gemeint. Ich
bin mir allerdings ziemlich sicher, dass eine deutliche Mehrheit der
Bevölkerung Deutschlands sich binnen rekordverdächtig kurzer Zeit zu
beeindruckender Sachkunde in Sachen Panzerschlacht emporheben wird,
jedenfalls solange diese in den sozialen Medien, Foren und Talkshows
stattfindet. Schlachtentscheidend waren bisher schon die Stinger-Raketen,
die Panzerhaubitzen, die Flugabwehrpanzer und die Raketenwerfer mit 20,
40 und 80 Kilometern Reichweite, inzwischen auch gern mit 300.

Das deutsche Volk hat einen beeindruckenden Erfahrungsschatz im fiktiv-


retrospektiven Siegen, also der Expertise, wie man Schlachten hätte
gewinnen können, ja müssen, wenn es anders gekommen wäre, als es
gekommen ist. Also wenn man selbst im Generalstab etwas zu sagen
gehabt hätte. Das ist die »Guter Soldat«-Geschichte, die mehreren
Generationen deutscher Männer durch ein Jahrhundert geholfen hat. Man
tut halt seine Pflicht.

Umso erstaunlicher, dass die Kinder und Enkel derjenigen, die für ein
verbrecherisches Unrechtsregime ab 1939 in völkerrechtswidrige Angriffs-
und Vernichtungskriege zogen, über deren Einzelheiten sie anschließend
lebenslang schwiegen, heute freudige Posts über jeden toten oder
verstümmelten russischen Soldaten schreiben. 400 im Schlaf getötete
ukrainische Soldaten in einer umgewidmeten Schule? Das können wir
besser: 600 im Schlaf getötete Russen sind ein stolz vermeldetes Plus von
50 Prozent!
Ich, Kolumnist, habe zugegebenermaßen wenig Spezialwissen
beizusteuern, obgleich ich im Rat der Stammtischgeneralität einige
Monate eigenes Panzerjägertum in Homberg/Ohm vorzuweisen habe.
Außer im Matsch von Bergen-Hohne habe ich noch keine Panzerschlacht
gewonnen oder verloren und wüsste auch nicht, wie man das macht.

Ertüchtigung

»Der Druck nimmt zu«, lautet die Botschaft. Gemeint ist eine Lage, in
welcher die Bundesregierung angeblich täglich »immer mehr« gezwungen
sei, möglichst viele Kampfpanzer des Typs Leopard (1 oder 2, je nach
Anspruchsniveau) an die Ukraine zu verschenken, damit diese die
angekündigten militärischen Offensiven erfolgversprechender ausführen,
also die von Russland besetzten Teile der Ostukraine sowie die Halbinsel
Krim zurückerobern kann.

Geld spielt offenbar keine Rolle. Der Vorsitzende einer 1914 berühmten
Friedenspartei fordert den beschleunigten Aufbau eines
planwirtschaftlichen Rüstungskomplexes. Die Strategie-Kommentatoren
der medialen Vielfalt halten es für unzumutbar, »der Rüstungsindustrie«
nicht vorab eine Regierungsgarantie zu geben, dass jede Patrone, die
zukünftig produziert wird, vom Staat gekauft und in einen
antiputinistischen Schutzwall investiert wird, wie ihn die Welt noch nicht
gesehen hat.
Eine der ersten Fragen ist, woher und wodurch dieser »zunehmende
Druck« eigentlich kommt. Wer »drückt« denn da, der vor sechs Monaten
nicht gedrückt hat?

Genau weiß man es als Staatsbürger nicht. Doch solange es in der Zeitung
steht und im Fernsehen kommt, wird es sicher stimmen. Wenn in der
Berichterstattung »der Druck wächst«, steht nach einhelliger Hoffnung
Großes bevor.

In dieser Woche beschimpfte der Präsident der Ukraine einmal mehr die
deutsche Regierung; verschiedene Presseorgane teilten mit, sie hätten sich
von des Bundeskanzlers Rede in Davos mehr Panzer versprochen; Herr
Biden ließ ausrichten, er wolle sich von niemandem drängen lassen, auch
nicht vom deutschen Bundeskanzler.

Nun muss man sagen: So ein Leo 2 macht schon was her! Wie er in der
Tagesschau immer wieder durch den Wassergraben fährt, anschließend
einen kleinen Sprunghügel nimmt und dabei den Turm hin- und herdreht:
Wunderbar!

Der Russe kriegt diese Kettenkampfkraft nicht hin, höchstens noch der
Amerikaner. Anders gesagt: Selbst wenn das Sturmgewehr G36, Modell
»Ursula von der Leyen«, vorbeischießen sollte, bringt uns der Leo 2 wieder
nach vorne, wo wir, seien wir ehrlich, seit Bern 1954 einfach hingehören.

Es wird vielleicht stimmen, was die kampferfahrenen Twitter-Nutzer,


Reservisten, Betroffenheitsanalytiker und Abgeordneten schreiben:
Würden nur genügend Leopard 2, im Verband mit Puma (na ja: Marder)
und Gepard, im Schatten der Panzerhaubitze 2000 bereitstehen, wäre die
Sache fast so erfolgversprechend wie damals (1942) in El Alamein, also
schon so gut wie gewonnen. Man muss allerdings anmerken, dass die
Produktion, TÜV-Abnahme und Nachbesserung der Panzer, die das
stählerne Statement des Made in Germany mindestens bis an die Küsten
der Krim tragen sollen, noch dauern wird, jedenfalls wenn die
Bundesrepublik nicht zügig und vollständig auf den Geländegang
»Kriegswirtschaft« umstellt.

Da schauen wir dann, was Ver.di und Paritätische Wohlfahrtsverband dazu


sagen. Nebenbei: Könnte man eigentlich, unter großzügiger Auslegung
von Art. 12 Abs. 3 Grundgesetz, ein paar zehntausend zwangsverwahrte
Asylbewerber für die Granatenproduktion verwenden?

Führung

Dr. Markus Kaim, Stiftung Wissenschaft und Politik, hat hier auf
SPIEGEL.de in einem Gastkommentar geschrieben: »Das Hauptproblem
der deutschen Ukrainepolitik ist nicht ihre Zögerlichkeit, sondern ihre
strategische Unbestimmtheit.« Dieser Satz ist ausgesprochen richtig, und
dies wiederum sollte als beunruhigend wahrgenommen werden. Er ist es,
der die öffentliche Diskussion bestimmen müsste, nicht nervtötende
parteipolitische und mediale Überbietungswettbewerbe in den Disziplinen
Abscheu, Empörung und eilfertiger Taktik.

Mehr zum Thema


Maßlose deutsche Ukrainepolitik: Warum nicht gleich Nuklearwaffen?Ein
Gastkommentar von Markus Kaim, Stiftung Wissenschaft und Politik

Dahinter steht das strategische Problem, was die nebulöse Zielvorstellung


einer »Führungsrolle« der Bundesrepublik für die nächsten 30 Jahre
bedeuten soll. Führung in was? Ist Deutschland wieder Frontstaat?
Brauchen wir wieder mehr Nato-Truppen in Deutschland? Wen »führen«
wir?

Deutschland ist, soweit ich sehe, vorerst mehrheitlich begeistert darüber,


dass es wieder einen Verteidigungsminister mit Seitenscheitel hat. Er war
lange zuständig für die Polizei eines Bundeslandes, kennt sich also aus mit
Spezialoperationen. Ob das für die Führung eines Kriegs unter
Vermeidung eines Weltkriegs reicht, wird sich zeigen; möglicherweise
hängt die Frage des Weltfriedens auch weniger von der Performance
einzelner Personen ab, als die Kommentarschreiber meinen.

Selbstverständlich werden wir die »Y«-Nummernschilder von den


deutschen Panzern abschrauben, bevor sie zunächst Mariupol und dann
Sewastopol zurückerobern. Und angeblich ist es kein Kriegseintritt, wenn
die Schnellkurse für die ukrainischen Besatzungen in Munster stattfinden.
Vor drei, sechs und zwölf Monaten klang die Rechtsauskunft noch anders.
Wenn eine russische Rakete den Panzerausbildungskurs in der Lüneburger
Heide treffen würde, wäre das jedenfalls ein kriegs- und völkerrechtlich
interessanter Fall.

Dennoch darf man überlegen, ob deutsche Kampfpanzer an der Spitze der


Guten in Panzerschlachten gen Osten ziehen sollten. Diese unpopuläre
Frage hat nichts damit zu tun, dass die russische Ukraineinvasion
völkerrechtswidrig ist und der souveräne Staat Ukraine ein Recht zur
militärischen Selbstverteidigung hat.

ANZEIGE

Thomas Fischer

Recht haben
Vermischtes aus der Welt des Strafrechts: Die besten SPIEGEL-Kolumnen des Ex-Bundesrichters
Verlag: Droemer HC
Seitenzahl: 304
Für 20,00 € kaufen

Bei Amazon bestellen

Bei Thalia bestellen

Bei Yourbook bestellen

Produktbesprechungen erfolgen rein redaktionell und unabhängig. Über die sogenannten Affiliate-Links
oben erhalten wir beim Kauf in der Regel eine Provision vom Händler. Mehr Informationen dazu hier
Das ändert nichts an der Notwendigkeit zu überlegen, zu welchem Ende
der deutsche Weg von 5000 Helmen zu 20 oder 200 Leopard-Panzern
begangen wird, was der nächste und übernächste Schritt und der nächste
Krieg bringen sollen.

Wenn Kampfpanzer, warum nicht Kampfflugzeuge? Wo ist die Grenze?


Schlau, wie wir Strategen sind, sagen wir das dem Feind natürlich nicht;
das ist ja das Überzeugende an der Abschreckung. Aber wir selbst sollten
es doch vielleicht wissen oder jedenfalls ahnen.

Die repetitive Antwort, Russland müsse besiegt werden, ist keine


Perspektive, solange man nicht weiß, was mit »Besiegen« gemeint ist. Mir
scheint, dass viele der Ansicht sind, Russland solle mithilfe deutscher
Panzer zu einem Regime-Change gebracht werden, also ein Rechtsstaat
werden wie die Ukraine. Da haben sie sich viel vorgenommen.

Die ernsthafte Frage ans deutsche Volk müsste also vielleicht lauten: Seid
ihr bereit für Whatever it takes? Für drei, fünf oder sieben Jahre Krieg,
Kriegs-Planwirtschaft und Menschenverschleiß?

Alle drei Monate zu verkünden, gerade jetzt oder nächste Woche finde die
Entscheidungsschlacht statt, und es bedürfe zum Sieg nur noch der
raschen Lieferung von drei oder zehn oder einhundert Stück hiervon oder
davon sowie von fünfhundert oder tausend Milliarden Euro an die
Verteidiger unserer Werte, erscheint mir nicht als überzeugende Strategie.

Das könnte Ihnen auch gefallen