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Mittelbadische Presse B R E N NPU N KT Samstag/Sonntag, 26./27.

Mai 2001

Eröffnung mit Böllern und Militärmusik


Vor 125 Jahren wurde die Renchtalbahn in Betrieb genommen / Durch Oberkirch sollte einst der Orientexpress rollen / Gemeinden trugen die Hauptlast
VON H EINZ G. H UBER Straßburger. Beliebt war das
vom Bahnhof Hubacker aus
m morgigen Sonntag leicht erreichbare »Fressbädle«

A wird das 125-jährige Be-


stehen der Renchtal-
Bahn gefeiert. Am 31. Mai 1876
Sulzbach, wo man zu den Klän-
gen von Militärmusik rustikale
Speisen genoss. In Sulzbach tra-
erfolgte die feierliche Eröff- fen sich im Unterschied zu den
nung. aristokratischen Bädern Pe-
Der Spekulationsboom nach terstal und Griesbach die »klei-
der Gründung des Deutsches nen Leute«, hierher kam der Of-
Kaiserreiches 1871 führte auch fenburger SPD-Politiker Adolf
im Eisenbahnwesen zu kühnen Geck mit seinen Genossen und
Projekten. Nachdem Straßburg Genossinnen, zu denen Rosa
deutsch geworden war und die Luxemburg zählte. Nach der
Kleinstaaterei zwischen Würt- Jahrhundertwende begann der
temberg und Baden überwun- Wintersporttourismus; bei ent-
den schien, war es naheliegend, sprechenden Schneeverhältnis-
durch das Renchtal eine Fern- sen waren die Bahnabteile voll
bahn zu bauen, die als europäi- mit Schneeschuh-, Schlitten-
sche Transversale auf kürzes- und Skifahrern, die vom Bahn-
tem Weg Paris, Wien und den hof Oppenau zur »Zuflucht«
Orient miteinander verband. aufstiegen.
Das Renchtäler »Eisenbahnko- Ohne die Bahn hätten die Be-
mitee« knüpfte Verbindungen triebe des Tals sich nicht be-
zu potenten Financiers, darun- haupten können. Im Renchtal
ter zu Direktor Kusenberg vom gab es 1893 insgesamt 54 Sägen,
Frankfurter Bankverein und die auf Holzzufuhr angewiesen
zum von Berlin aus operieren- waren, da das Holz im Tal für
den Eisenbahnkönig Bethel ihrem Betrieb nicht ausreichte.
Henry Strousberg. Anfang 1872 Traditionelle Firmen wie der
legte Eisenbahninspektor Mög- Papierhersteller Koehler in
lich dem Konsortium konkrete Ankunft des ersten Zuges in Bad Griesbach 1933: Damals wurde das letzte Teilstück der Renchtalbahn eröffnet. Oberkirch oder die Ruß- und
Pläne vor: Demnach sollte die Harzfabrik André vollzogen
Bahn über Appenweier durch den Schritt zur industriellen
das Renchtal nach Freuden- en zu 300 Mark kauften, also Wochenend-Tipp rische Trasse, im Juni 1923 war Produktion. Neue Unterneh-
stadt führen. insgesamt 342 600 Mark inves- das Renchtal wieder an die men wie die Nagelfabrik Schel-
tierten. »große Welt« angeschlossen. ler und Ruch (1881) oder Pro-
Nicht in allen Gemeinden orgen, Sonntag, wird die Gelegenheit geboten, die Die NS-Machthaber nutzten die gress in Stadelhofen (1919) sie-
Der Börsenkrach
sorgte für
eine schnelle
unterstützte die Bürgerschaft
das finanzielle Engagement für
die Bahn. In der Badgemeinde
M Renchtalbahn kostenlos zu benutzen. Abfahrt ab
Offenburg: 7.08, 8.57, 9.40, 10.57, 11.40, 12.57,
13.40, 14.57, 15.41, 16.57, 17.40, 18.57; 19.42, 20.57
fertiggestellte Strecke für zahl-
reiche KdF-Sonderzüge, die
dem Ziel dienten, Volksgemein-
delten sich an. In Hubacker
wurde der Porphyr-Schotter
verladen, der im Lierbach ge-
Ernüchterung. Peterstal hatten die Gegner Uhr. Ab Bad Griesbach gibt es Rückfahrmöglichkeiten schaft zwischen Gästen und brochen wurde und über eine
zunächst die Oberhand. Als 7.59, 9.13 (bis Oberkirch), 9.59, 10.40, 11.59, 12.40, Gastgebern zu demonstrieren. 3,2 Kilometer lange Seilbahn
sich am 5. Mai 1877 der Bürger- 13.59, 14.40, 15.59, 16.40, 17.59, 18.40, 19.59 und Im Jahr 1938 wurde am Kugel- herangeschafft wurde.
Durch sechs Tunnels, darun- ausschuss für eine nachträgli- 20.40 Uhr. Im Heimat- und Grimmelshausen-Museum eck, wo 500 Arbeiter mit dem
ter einen großen Kehrentunnel che Beteiligung von 100 000 Oberkirch zeigt eine Sonderausstellung mit zahlreichen Bau von Westwallbunkern be-
oberhalb von Griesbach, sollte Mark aussprach, inszenierten Dokumenten und Modellen die 125-jährige Bahnge- schäftigt waren, eigens eine Ein beispielloser
die Kniebishöhe überwunden die Gegner vor dem Rathaus ei- schichte. Die Renchtalgemeinden bieten darüber hinaus Haltestelle eingerichtet. Nach Proteststurm erhob sich, als
werden. Die Baukosten waren nen Krawall. Dreizehn Peters- zahlreiche kostenlose Besichtigungs- und Besuchsmög- Kriegsausbruch wurde von 1966 die Schließung der
auf 5,9 Millionen Gulden veran- taler Bürger mussten sich vor lichkeiten: Schwimmbadbesuche in Bad Peterstal und Op- Oberkirch über Zusenhofen bis Linie erwogen wurde.
schlagt. Die Pläne waren jedoch Gericht »wegen groben Unfugs penau, Kirchenführungen in Lautenbach, Stellwerksbe- nach Appenweier eine Feld-
unrealistisch: Mit der 1873 fer- und Schmähungen« verantwor- sichtigungen in Appenweier. In der Oberkircher Innenstadt bahn verlegt, um bei einer even-
tiggestellten Schwarzwaldbahn ten. Sie gehörten überwiegend findet das große Erdbeerfest statt. tuellen Zerstörung der 1966 schien es, als sollte die
gab es bereits eine leistungs- der ärmeren Schicht an. Da die Renchtalbahn die Transportlo- Renchtalbahn ihr hundert-
fähige Ost-West-Verbindung. Summe durch einen außeror- gistik weiterhin zu gewährleis- jähriges Bestehen nicht mehr
Der Börsenkrach, dem auch dentlichen Holzhieb aufge- ten. Der Panzerzug Hitlers pas- erleben. Zum Abbau des Bahn-
Strousbergs Imperium zum Op- bracht werden sollte, befürchte- Bahnhöfe und 14 Bahnwarts- tes verkauft. Griesbach machte sierte 1940 auf dem Weg zu den defizits sollte sich die Bahn aus
fer fiel, sorgte für eine schnelle ten sie die Abschaffung des häuser an Übergängen waren an diesem Tag Hitler und Gau- Befestigungsanlagen auf dem der Fläche zurückziehen. Unter
Ernüchterung. So blieb den Bürgerholzes. Ebenso hatten gebaut worden. Die Kosten be- leiter Wagner zu Ehrenbür- Kniebis das Renchtal. Zu den unrentablen Bahnlinien
Renchtälern nichts anderes die Bahngegner in Ramsbach liefen sich auf 1,96 Millionen gern. Der 7,5 Kilometer lange Kriegsende wurden Schanzer war auch die Renchtalbahn auf-
übrig, als wenigstens den Bau die Mehrheit; deswegen gab es Mark und überschritten erheb- Abschnitt von Oppenau nach mit der Bahn in den Raum Kehl geführt. Ein beispielloser Pro-
einer Stich- oder Sekundär- dort zunächst keinen Bahnhof. lich die Voranschläge. Der Peterstal wurde am 27. Novem- gebracht, dabei wurde bei ei- teststurm erhob sich: »Wirt-
bahn zu betreiben. Mit den Bauarbeiten wurde Grundstückserwerb in Urloffen ber 1926 in Betrieb genommen. nem Tieffliegerangriff bei Zu- schaftliche Existenz des
Schon 1864 hatten die im März 1875 begonnen, am 24. und Zusenhofen war teuerer Damals hatten der Erste Welt- senhofen am 29. September 1944 Renchtals ist bedroht« und
Renchtalgemeinden in einer Pe- April 1876 konnte ein Material- als erwartet, für Militärzüge krieg und die Hyperinflation eine Lok zerstört. Abrückende »Bahnlinie – Lebensnerv für
tition an das großherzogliche transport zum ersten Mal die mussten umfangreiche Gleis- den 1914 beschlossenen Weiter- deutsche Truppen sprengten in das Renchtal« lauteten die
Handelsministerium um einen gesamte Neubaustrecke bis zur anlagen in den Bahnhöfen ver- bau verzögert. Mit der Verstaat- Oberkirch die Eisenbahn- Schlagzeilen. 1968 war auf kal-
Bahnanschluss auf Staatskos- Endstation Oppenau passieren. legt werden. Auch den An- lichung der Bahn 1909 war die brücke, erst zum 1. Februar tem Weg versucht worden, den
ten gebeten, waren aber ab- Am 31. Mai 1876 wurde die Bahn schluss an die Hauptbahn in entscheidende Voraussetzung 1946 konnte der Betrieb wieder Bahnverkehr zwischen Oppen-
schlägig beschieden worden, da eingeweiht. Ein Sonderzug mit Appenweier musste die für den Weiterbau der Bahn ge- aufgenommen werden. au und Bad Griesbach einzu-
es sich dabei nur um »lokale« Ehrengästen setzten sich um Renchtaleisenbahngesellschaft schaffen worden. Für die klassischen stellen. Der Sekretär der Eisen-
Interessen handelte. 9.30 Uhr in Bewegung. Auf je- bezahlen. Die Mehrkosten in Die politischen Zeitläufte be- Renchtalbäder war der bahnergewerkschaft, Rudolf
Immerhin wurde am 16. dem Bahnhof wurde der Zug Höhe von 660 000 Mark mussten einflussten nicht nur die Bau- Bahnanschluss eine Lebensnot- Vallendor, alarmierte den
April 1870 ein Gesetz verab- von den Gemeindebehörden, die Gemeinden Oberkirch und geschichte, sondern auch den wendigkeit, da die Gäste eine Wahlkreisabgeordneten Prof.
schiedet, das den Bau der Bahn Vereinen und der Schuljugend Oppenau durch einen Kredit fi- Betrieb der Bahn. Am 4. Febru- bequeme Anreise wünschten. Hans Furler, der sich heftig bei
bei privater Finanzierung er- empfangen. In Oppenau geleite- nanzieren und Jahr für Jahr die ar 1923 waren die Bahnknoten- Der Mineralwasserversand Verkehrsminister Leber be-
möglichte. Die badische Staats- ten Feuerwehr, Militärmusik, Zinslasten tragen. punkte Appenweier und Offen- konnte jetzt per Bahn vorge- schwerte. Doch die Pläne ka-
bahn sollte den Betrieb gegen Kriegerverein und Gesangver- Erst am 22. Mai 1933 wurde burg von französischen Trup- nommen werden. Eine noch men 1969, 1975 und 1979 wieder
55 Prozent der Roheinnahmen eine zum Festfrühstück in die der letzte, 3,33 Kilometer lange pen besetzt worden. Nicht nur größere Rolle spielte für das auf den Tisch.
übernehmen; 1874 wurde dieser Lokale. Dann fuhr der Zug nach Streckenabschnitt von Peters- die Hauptbahn, auch die Renchtal eine neue Form des Seit 1998 betreibt die landes-
Anteil auf 50 Prozent ermäßigt. Oberkirch, wo die Festgäste in tal nach Griesbach vollendet. Renchtalbahn wurde unterbro- Tourismus, die Sommerfrische. eigene SWEG die Renchtal-
Gemeinden und Privatleute des der »Oberen Linde« zu den Ein Bergrutsch und die herein- chen. Auf dem Straßenweg Allerheiligen war ein beliebtes bahn. Sie setzte neue Nieder-
Renchtals gründeten zur Kapi- Klängen einer württembergi- brechende Weltwirtschaftskri- schaffte man eine Lokomotive Urlaubsziel; ein Blick in die flurfahrzeuge ein. Die Bedeu-
talbeschaffung eine Aktienge- schen Militärkapelle ein exqui- se hatten den 1928 begonnenen herbei und nahm die Strecke Gästebücher zeigt, dass Aristo- tung der Bahn wurde im Zei-
sellschaft. Den Löwenanteil der sites Mahl zu sich nahmen. Für Bau um Jahre verzögert. Die Zusenhofen – Oppenau wieder kraten, Professoren, Studenten, chen der Umweltdiskussion
Finanzierung übernahmen je- die 18,41 Kilometer lange Bahneröffnung wurde von den in Betrieb. Schließlich baute Geschäftsleute hier übernach- wieder erkannt. Sie besitzt heu-
weils die Städte Oberkirch und Strecke mussten drei Eisen- neuen Machthabern propagan- man über Felder und Wiesen teten. Bis 1918 war das Renchtal te eine zentrale Rolle für die
Oppenau, die jeweils 1 142 Akti- brücken errichtet werden; fünf distisch als Erfolg des NS-Staa- bis nach Renchen eine proviso- auch Nahausflugsgebiet für die Schülerbeförderung.

Am Bahnhof Hubacker bei Lautenbach wurde früher Porphyr- Der Dorfbahnhof von Zusenhofen mit dem Stationsvorsteher und Bau einer Wasserdurchleitung unter der Rechntalbahn. Das Foto
Schotter auf die Bahn verladen. seiner Familie um 1920. mit den Bahnarbeitern stammt aus der Zeit um 1890.

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