Sie sind auf Seite 1von 3

PRESSEMITTEILUNG | DEUTSCHE KINDERHILFE - DIE STÄNDIGE KINDERVERTRETUNG

E.V.

03.03.2023 09:52

Die Bestimmungen der Istanbul- Konvention dürfen in familienrechtlichen Verfahren nicht ignoriert
werden

(Berlin) – Die Istanbul-Konvention enthält das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und
Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, sie schützt Frauen und Mädchen vor
jeglicher Form von Gewalt. Was immer noch vielfach vergessen wird, sie dient auch dem Schutz
unserer Kinder.

Deutschland hat diesen völkerrechtlichen Vertrag ratifiziert, seit dem 1. Februar 2018 ist es damit an
seine Bestimmungen rechtlich gebunden. „Doch obwohl dieser Zeitpunkt inzwischen mehr als fünf
Jahre zurückliegt, ist die Bundesrepublik von einer Umsetzung weit entfernt“, resümiert der
Ehrenvorsitzende der Deutschen Kinderhilfe Rainer Becker. „Dabei hat sie den Status eines
Bundesgesetzes, dass von Politik, Verwaltung und Richterschaft verbindlich zu beachten ist“, so
Becker weiter.

Entgegen den Bestimmungen der Konvention werden Fälle von häuslicher Gewalt von Jugendämtern
und Familiengerichten viel zu oft als Partnerschaftskonflikt betrachtet. Viel zu selten wird in solchen
Fällen die Erziehungsfähigkeit übergriffig gewordener Eltern-(Teile) hinterfragt. Das Recht der Eltern
auf Pflege und Erziehung steht im Vordergrund.

Dabei macht Artikel 21 der Istanbul-Konvention klare Vorgaben. Darin heißt es : „Die
Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um
sicherzustellen, dass in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallende gewalttätige Vorfälle
bei Entscheidungen über das Besuchs- und Sorgerecht betreffend Kinder berücksichtigt werden“.
Und weiter in Absatz zwei: „Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder
sonstigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Ausübung des Besuchs- oder Sorgerechts nicht
die Rechte und die Sicherheit des Opfers oder der Kinder gefährdet“.

„Doch davon sind wir in der deutschen Familienrechtssprechung noch weit entfernt“, erklärt Rainer
Becker. „Noch immer müssen wir feststellen, dass Gerichte keine Probleme mit Umgängen haben,
weil ja nicht das Kind, sondern ‚nur‘ der andere Elternteil geschlagen wurde und dass Jugendämter
und Gerichte Umgänge verlangen, obwohl noch Ermittlungen anhängig sind“, konstatiert der
Ehrenvorsitzende der Deutschen Kinderhilfe.

Es kommt noch schlimmer: Wenn ein Elternteil seine Fürsorgepflicht gegenüber seinem Kind erfüllt
und zu verhindern versucht, dass sein Kind den Risiken von Gewalt und sexualisierter Gewalt
ausgesetzt wird, wird ihm das vielfach als Bindungsintoleranz und Eltern-Kind-Entfremdung ausgelegt
und ihm droht ein Entzug der elterlichen Sorge.
In der Mehrzahl und nicht nachvollziehbar, scheinen Frauen hiervon betroffen zu sein.

Welche Gefahren Kindern durch Trennungssituationen drohen, belegt ein Blick auf aktuelle Zahlen.

Danach gab es 2021 rund 143.604 Fälle häuslicher Gewalt in Deutschland, bei denen 108 Frauen und
12 Männer gewaltsam zu Tode kamen. Rund ein Drittel der Taten erfolgt nach einer Trennung.
Mindestens in jedem zweiten Fall häuslicher Gewalt gehören Kinder zum Haushalt, die die Gewalt
miterleben mussten.

2021 starben 145 Kinder durch Gewalt, 118 von ihnen waren unter 6 Jahre alt.

Untersuchungen zufolge starb mindestens jedes vierte Kind, das durch Gewalt zu Tode kam, in
Zusammenhang mit einer Trennung der Erziehungspersonen bzw. einem Streit um das Sorge- oder
Umgangsrecht (vgl. hierzu u. a. Haug, M. & Zähringer, U., Tötungsdelikte an 6- bis 13-jährigen
Kindern in Deutschland. Eine kriminologische Untersuchung anhand von Strafverfahrensakten (1997
bis 2012), KFN-Forschungsbericht No. 134, KFN Hannover 2017).

Die Deutsche Kinderhilfe fordert daher, bei Vorliegen von häuslicher Gewalt den Ausschluss des
Umgangs mit dem gewaltausübenden Elternteil in Betracht zu ziehen, um eine konkrete, gegenwärtig
bestehende Gefährdung der

Körperlichen, geistigen oder seelischen Entwicklung des Kindes abzuwenden. Das Wohl des Kindes
muss im Mittelpunkt stehen.

Der gewaltausübende Elternteil muss beweisen, dass durch den Umgang keine Gefahr für das
Kindeswohl besteht. Der Konflikt zwischen Elternrecht und Kindeswohl muss stets abgewogen
werden zwischen dem Risiko einer Eltern-Kind-Entfremdung und dem Risiko einer (Re-)
Traumatisierung des Kindes.

Dabei müssen der Schutz und die Bedürfnisse der Kinder stets Vorrang haben. Aus diesem Grund ist
es erforderlich, dass der Kindeswille berücksichtigt wird. „Beides nehme ich derzeit bei einer Vielzahl
familienrechtlicher Verfahren nicht als nicht umgesetzt wahr“, sagte Becker in seiner Rede anlässlich
der Demonstration für die Umsetzung der Istanbul- Konvention am 2. März in Berlin.

Dafür müssen die Jugendämter und Familiengerichte die Istanbul Konvention uneingeschränkt
umsetzen. Dazu gehört das Bewusstsein, dass es bei ihren Entscheidungen, um das Kindeswohl zu
gehen hat und nachrangig um das Wohl betroffener Eltern. In diesem Zusammenhang ist es nicht
tolerierbar, dass vielfach ein (auch nur zeitweiliger) Kontaktabbruch zum gewalttätigen Elternteil als
schwerwiegendere Kindeswohlgefährdung gilt als die potentielle Gefahr von Gewalt gegen ein Kind.
Darin liegt ein klarer Verstoß gegen die Bestimmungen der Istanbul- Konvention. Stattdessen müssen
familienrechtliche Entscheidungen und sozialpädagogische Arbeit die Gefahrenabwehr und
Strafverfolgung prioritär einbeziehen und damit den Schutz des Kindes gewährleisten, in allen
Bereichen müssen endlich dieselben Kriterien gelten.

Der Umgang mit dem Umgang ist ausnahmslos zwischen Familiengericht, Staatsanwaltschaft,
Jugendamt und Polizei abzustimmen.

Zwischen dem (die Mutter) schlagendem Elternteil und dem betroffenen Kind darf es keinen Umgang
geben, solange die strafrechtlichen Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind.

Mütter, die ihr Kind schützen, darf die dann häufig von Amts wegen attestierte vermeintliche
Bindungsintoleranz bei Sorge- und Umgangsrechtsfragen nicht benachteiligen, wie es derzeit in einer
Vielzahl von Fällen geschieht.

Das gilt umso mehr in Fällen von angezeigter sexualisierter Gewalt an Kindern.

Mehr zum Thema Umgang und Sorgerecht nach sexueller Gewalt an Kindern erfahren Sie in unserem
Interview mit Christine Habetha, Dozentin und Rechtsanwältin mit den Schwerpunkten Strafrecht
und Opferrecht und dem Ehrenvorsitzenden der Deutschen Kinderhilfe, Rainer Becker.

Video-Interview: https://youtu.be/1MPrY5wvmjw

Podcast: https://youtu.be/dSutr28UTYw

Quelle und Kontaktadresse:

Deutsche Kinderhilfe – Die ständige Kindervertretung e.V. Rainer Becker, geschäftsführender


Vorstandsvorsitzender Schiffbauerdamm 40, 10117 Berlin Telefon: (030) 24342940, Fax: (030)
24342949

(jg)

Weitere Pressemitteilungen dieses Verbands

09.01.2023 15:42

Schnelles Handeln beim Wohngeld-Plus nötig

16.12.2022 17:42

BKA gelingt Schlag gegen Darknet-Plattformen / Ein Erfolg, der die Politik einmal mehr zum Handeln
auffordert

24.11.2022 13:21

Häusliche Gewalt in Partnerschaften – und die vergessenen Kinder I

Das könnte Ihnen auch gefallen