Sie sind auf Seite 1von 29

DIE REPERTOIRE-THEORIE

Author(s): Friedrich Gennrich


Source: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur , 1956, Bd. 66 (1956), pp. 81-
108
Published by: Franz Steiner Verlag

Stable URL: https://www.jstor.org/stable/40615837

JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide
range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and
facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact support@jstor.org.

Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at
https://about.jstor.org/terms

Franz Steiner Verlag is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to
Zeitschrift für französische Sprache und Literatur

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
LITERATUR- UND KULTURGESCHICHTE

DIE REPERTOIRE-THEORIE
von Friedbich Gennrich, Frankfurt/M.

I. Hält die „Liederblätter-Theorie"


einer sachlichen Kritik stand?

Seit vielen Jahren ist es der Ehrgeiz der Philologen, kritische


authentischen Konzeption möglichst nahe kommende Texte a
uns überkommenen handschriftlichen Überlieferung des Mittel
herzustellen. Der Anreiz hierzu ist besonders stark, wenn ein D
mal in mehreren Fassungen mit voneinander abweichenden Lesa
vorliegt.
Es erübrigt sich, auf die Schwierigkeiten eines solchen Unterfangens
hinzuweisen; sie treten geradezu massiert hervor in dem bekannten Ver-
such E. Stengels einer kritischen Ausgabe des altfranzösischen Rolands-
liedes1.

Man hat die unbefriedigenden Resultate auf methodischem Wege zu


überwinden gesucht, indem man die gewöhnlich angewandte, unter dem
Namen von Karl Lachmann bekannte Methode durch neuartige Verfah-
ren ersetzte. In dieser Hinsicht trat 1922 Dom H. Quentin mit einem auf
statistischer Erhebung beruhenden Vergleichsverfahren hervor, das für
die Neubearbeitung der Vulgata zur Anwendung kam2.
J. Bédier unterzog dieses Verfahren einer eingehenden Prüfung3 und
kam dabei zu dem Ergebnis, daß auch diese Methode nicht in allen
Stücken befriedigen könne, da durch rein statistische Aussonderung
manche Lesart entfiele, die vom Standpunkt der „Ratio" aus als ein-
wandfrei anzusprechen sei.

1 E. Stengel, Das altfranzösische Rolandslied, Bd. I. Text, Varianten-


apparat und vollständiges Namensverzeichnis, Leipzig (1900).
2 Dom H. Quentin, Mémoire sur l'établissement du texte de la Vulgata,
Paris (1922).
8 J. Bédier, La Tradition Manuscrite du Lai de l'Ombre, Paris (1929).
Ztschr. f. frz. Sprache u. Literatur LXVI ß

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
82 Friedrich Gennrich

Noch wichtiger als diese Feststellung


die handschriftliche Überlieferung des
schiedene Redaktionen erkennen lasse, v
der Hs. Ε (= Paris, Bibl. nat. nouv. acq
als die beste anzusehen sei. Man müsse
diese Redaktion entscheiden und deren offensichtlich verderbte Stellen
korrigieren ohne Rücksicht auf die anderen Redaktionen. Bédier ist der
Ansicht, daß die drei Redaktionen - sehr wahrscheinlich vom Autor des
Lai, Jehan Renart, selbst vorgenommene - überarbeitete Editionen in
drei Stadien der Überarbeitung darstellen, denen man nur einzeln, aber
nicht in der Gesamtheit mit einer Textkritik beikommen könne.
Wir können darauf verzichten, auf weitere Methoden der kritischen
Textgestaltung einzugehen, da P. Collomp in einer Zusammenstellung
bereits einen Überblick über dieses Gebiet gegeben hat1. Seine Critique
des Textes behandelt allerdings nur rein literarische Texte, daher erhebt
sich die Frage : wie mögen sich jene Denkmäler verhalten, bei denen zu
einem literarischen Text eine mit ihm untrennbar verbundene musikali-
sche Ausdeutung hinzutritt, wie das bei dem mittelalterlichen Lied der
Fall ist ? Und wie weit vermögen wir überhaupt auf Grund der uns zu-
gänglichen Überlieferung uns der authentischen Konzeption zu nähern ?
Diese Probleme haben schon meinen hochverehrten Lehrer G. Gröber
beschäftigt, als er die Liedersammlungen der Troubadours2 untersuchte.
Er hatte sich die Frage vorgelegt, welches der Ausgangspunkt für die
Lied-Überlieferung sein müsse, und beantwortete diese Frage mit der
sogen. „Liederblätter-Theorie* ', die sich wie folgt zusammenfassen läßt.
Gröber knüpft an die Biographie Arnaut Daniels an, um darzutun, wie die
Troubadours Text und Melodie ihrer Lieder konzipierten: sie werden
Griffel und Pergament zu Hilfe genommen haben, um ihre dichterischen
und musikalischen Gedanken zu fixieren. Auch eine prov. Strophe, in der
der zur Nachbildung dieser Strophe aufgeforderte Joglar auf das Blatt,
das der zweite Dichter ihm liniieren werde, die Nachbildung nieder-
schreiben sollte, lasse Pergament und Griffel als willkommene Hilfsmittel
bei Fixierung ihrer Gedanken erscheinen. Zwar sei nicht so zweifellos
anerkannt, daß das Schreiben eine unter den Kunstdichtern . . . ver-
breitete Kunst gewesen sei, denn Fr. Diez3 bemerke, daß ohne Zweifel
nur wenige Troubadours im Besitze dieser Fähigkeiten gewesen seien, und

1 P. Collomp, La Critique des Textes, in „Pub!, de la Faculté des Lettres de


l'Université de Strasbourg", Fase. 6 Paris (1931).
2 G. Gröber, Die Liedersammlungen der Troubadours, in „Romanische
Studien", II (1877) 337-670.
8 Fr. Diez, Die Poesie der Troubadours, zweite Auflage von K. Bartsch,
Leipzig (1883) 34.

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Die Repertoire- Theorie 83

auch H. W. ν. Schlegel sei dieser Meinung, und die


Dichtungen der Troubadours vorwiegend auf mündli
pflanzt worden seien, sei eine verbreitete, zumal für di
noch insbesondere der Ausdruck apprendre angeführ
er sich als ein Einlernen durch Vorsagen oder Vors
Gröber selber beharrt auf der Ansicht, daß das Nicht
die Ausnahme gewesen sei. Er stützt sie insbesondere au
der Troubadours und auf das Pergamentblatt, das m
Instrument auf den Miniaturen der mittelalterlichen Liederhandschriften
als Attribut und Anzeige der Kunstübung der Sänger antreffe, eine Hin-
deutung auf Vertrautheit der Liederdichter mit dem Griffel.
Gröber stellt nicht in Abrede, daß die Zeugnisse für die mündliche Ver-
breitung der Troubadour-Dichtungen sehr zahlreich sind. Bekannt sei,
daß sie auswendig gelernt und so von Jogiars vorgetragen wurden; die
Verbreitung von neuen Liedern sei aber an Hand der Niederschrift er-
folgt. Durch zahlreiche Geleite, in denen von einem Überbringen (portar)
des Liedes durch den Boten gesprochen wird, könne die Üblichkeit der
Niederschrift der Lieder für den Adressaten erhärtet werden, wenn das
Selbstverständliche der Ansicht dies noch erfordern sollte.
In diesen Niederschriften aber seien die Originale der Troubadour-
Lieder zu erkennen, gleichviel, ob sie von den Dichtern selbst oder in
ihrem Auftrage von Clercs hergestellt wurden. Meist enthielten sie wohl
nur den Text, nicht auch die Melodie, da ja deren Bezeichnung den
meisten Empfängern von Liedern unverständlich war, deren lebendige
Träger vielmehr die singenden Boten waren.
Bei dieser einen Niederschrift aber hätte es keineswegs schon sein Be-
wenden gehabt. An Vervielfältigung hätte man bereits bei solchen
Liedern zu denken, die mehr als ein Geleit enthalten und an mehrere
Personen adressiert sind ; vermutlich seien auch diese noch abschriftlich
vervielfältigt worden. Von diesen Niederschriften, diesen breus de per-
gamina, die fernerhin als Liederblätter bezeichnet werden, sei begreif-
licherweise nichts auf uns gekommen, aber wir müßten sie nichtsdesto-
weniger als Grundlagen eines Teiles der uns erhaltenen Liederhandschrif-
ten der Troubadours und als deren Quellen ansehen.
Damit hat Gröber die sogen. „Liederblätter-Theorie" aufgestellt.
9 Jahre später bemerkte dazu E. Schwan: ,,im Anschluß an die Arbeit
Gröbers über die Liedersammlungen der Troubadours, daß »Lieder-
blätter', welche Gröber für die letzten Quellen der Liedersammlungen
ansieht, sich in der Trouvère-Kunst nicht haben nachweisen lassen. Doch
haben solche Liederblätter jeweils auch in Frankreich existiert1."

1 E. Schwan, Die altfranzösischen Liederhandschriften, Berlin (1886) 263.


6*

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
84 Friedrich Gennrich

Die Autorität Gröbere im Verein mit den im Bereich der Troubadour-


Kunst als dem Vorbild für den gesamten europäischen Minnesang fest-
gestellten Tatsachen haben schließlich dazu geführt, der „Liederblätter-
Theorie" allgemeine Gültigkeit zu verschaffen.
1925 schreibt H. Spanke: „Die Dichter selbst schrieben ihre Lieder,
einzeln oder in geringer Zahl, auf Pergamentblätter, deren Format wir
uns, wie verschiedene Miniaturen zeigen, nicht allzu klein vorstellen
dürfen. Diese in Rollenform aufbewahrten Blätter hatten die Dichter
beim Vortrag ihrer Lieder in der Hand; von ihnen wurden die ersten Ab-
schriften genommen und, oft von einem Envoi beschlossen, an Freunde
und Gönner gesandt ; manche Lieder wurden, wie ihre doppelten Envois
zeigen, gleichzeitig mehreren Personen gewidmet. Auch die ersten Lieder-
sammler erhielten und verbreiteten ihr Material sicher auf fliegenden
Blättern1." Schon vor Gröber hatte W. Wilmanns sich wie folgt ge-
äußert: „Die Lieder wurden zunächst einzeln aufgezeichnet und wie in
der späteren Zeit als fliegende Blätter verbreitet. Sie trugen
fast immer
den Namen des Dichters, wie er noch unnötiger Weise in einzelnen
Sammelhandschriften vor jedem Liede wiederholt wird . . . Gleichzeitig
fingen Liebhaber der Poesie an, die einzelnen Blätter zu sammeln und zu
Liederbüchlein zu vereinen2."
1935 lesen wir bei Ehrismann: „Auch mochten zunächst nur einzelne
Pergamentblätter mit einem oder nur wenigen Liedern desselben Ver-
fassers als ,fliegende Blätter* in Umlauf gegangen sein, die dann zu
Liederbüchern gesammelt wurden3."
Die Stellen, in denen Bezug auf die „Liederblätter-Theorie" genommen
wird, ließen sich noch vermehren. Aus ihnen geht immer wieder hervor,
daß die auf uns gekommenen Lieddenkmäler eine kontinuierliche Reihe
von auf Liederblätter zurückgehenden Abschriften bilden, also Ab-
schriften von Liedern darstellen, die einst vom Autor selbst oder unter
seinen Augen aufgezeichnet worden sind.
Das alles wäre klar und einleuchtend, wenn nur die Befunde in den
Hss. selbst mit dieser These in Einklang zu bringen wären. Das trifft
leider in den meisten Fällen nicht zu. Ich greife nur eines von vielen Bei-
spielen heraus: das Lied Rayn. 738 Bien font Amours lor talent. Das Lied
wird von den Hss. nicht weniger als vier verschiedenen Autoren zuge-

1 H. Spanke, Eine altfranzösische Liedersammlung, in „Romanische


Bibliothek" Nr. 22, Halle (1925) 274.
2 W. Wilmanns, Zu Walther von der Vogelweide, in „Zeitschrift für
deutsches Altertum" 13 (1867) 224.
8 G. Ehrismann, Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang
des Mittelalters, 2. Teil: Die mittelhochdeutsche Literatur. München (1935)
207.

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Die Repertoire-TJieorie 85

schrieben: von Hs. C. Cherdon de Croisilles, vom alte


D Raoul de Soissons, von den Hss. M und Τ Thibaut d
der Hss-Gruppe KNPX Gautier de Dargiés. Wie wä
genzen möglich, wenn die handschriftliche Überlief
bestimmten Liederblatt herrührte ?
Aber weiter. V. 6 und 7 dieses Liedes lauten in den Hss., die diese
Strophe überliefern, wie folgt :

1 j · *

ttfa/penftfka efcre ΙοιττΕ VU qen-τ

1 x ■ ■ * * ■ ι- 1 η "■ "■ Λ
^ ' tiu ^vSaK CuumeRveeaíuttkla η ^iir
0 C ' 'Λ ih'M ■ 1T» η :
{luíar^autiSòonieftreloLn^elaL geur
ir t η fr a»ê ■ ■ ■

ce ttteí^us cottme efòreloij be la

r ι "* ι ι ^ ^ Ί ι ι ~

p c ^ ^ ■ *+« - * " ■ ■ ^ ft ^
ce meftaiiis cô eftre W<£ i)e la <5wcc

ca«ieltaw.LS come elbeloi^aVta ú^en.t


υ -

ce
c

ce itiefcamÇcoiîiiîbteloI^^elaLjgeKt

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
86 Friedrich Oennrich

Nicht nur die textliche Gestaltung z


Melodiebildung treten Veränderungen
unmöglich als Kopierfehler angesehen
lassen sich mit der „Liederblätter-The
Wir müssen darum die von Gröber au
darüber hinaus die Frage der Überliefer
inzwischen erfolgten Forschungsarbe
Sprach- und Literatur-, sondern auch de
Gröber hat sich bei der Aufstellung
prov. Material gestützt. Es liegt auf
im nordfranzösischen Raum dieselben w
vergleichlich größerem Umfang Literatu
der prov. Literatur. Zudem können wi
mehr Melodien zu Rate ziehen als die
Nicht so leicht, wie Gröberes tut, könn
zu suchen, uns mit der Tatsache abfin
kein einziges erhalten geblieben ist,
Gröber für die Troubadour-Lieder annim
gen volkssprachigen mittelalterlichen Li
die Trouvere-Lieder, den mittelhochde
nischen Lieder und die spanisch-portugi
sprachigen mittelalterlichen Liedkunst
zahl von Liedern, die mit 10000 eher z
ist. Von diesen 10000 Pergamentblätt
nigstens die Spur eines solchen erhalt
doch um einen Schreibstoff, der infolge
Wertes, wenn auch nicht mehr als Tr
doch als Träger eines andersgearteten
radierten Liedtextes gedient haben w
16. Jahrhundert auf viel weniger wider
ten und wohl weniger zahlreichen Fl
geblieben.
Wir sind der Meinung, daß diese Liederblätter gar nicht oder nur in ver-
schwindender Zahl existiert haben.
Die Ansicht, daß das Nichtschreiben-Können der Kunstdichter die
Ausnahme gewesen sei, dürfte sich nicht halten lassen. Gröber zieht als
Beweismaterial die Biographien der Troubadours heran. Diese haben
jedoch - was man damals (1879) noch nicht wußte, was aber inzwischen
erwiesen worden ist, - nur beschränkten dokumentarischen Wert, da sie
viel später entstanden, also kein Zeitdokument sind, sondern auf Legen-
den und Ausdeutung der Troubadour-Lieder beruhen. Besonders auffällig
ist der Umstand, daß sie nach einem gewissen Schema abgefaßt worden

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Die Repertoire· Theorie 87

sind. Da heißt es z. B. von Arnaut Daniel: amparet b


Uc Brunet genauso : amparet ben letras. Von Gausber
berichtet : saup ben letras, von Peire Cardinal saup ben l
Uc Brunet wird behauptet : fo sotils hom de letras, wie au
Bornelh : fo savis hom de letras.
Ebenso formelhaft wie diese Aussagen sind die Angaben
kalische Bildung. Wilhelm IX. saup ben trobar e can
Poicibot saup ben cantar e trobar, Peire Rogier saup ben
allen diesen Mitteilungen liegt keine individuelle Char
sondern nur Schablone, die wenig Zuverlässiges aussag
Wir werden also, wollen wir nicht von vornherein fehl
weise aus den Werken der Autoren selbst berücksicht
aber schrumpfen die Beweisstücke auf einige wenige
von denen manche eher gegen als für die Ansicht Grö
etwa die Stelle aus dem Ende von B. Gr. 34.2
Ben es lo vers o · 1 chantador
Ε volgra ben ententedor
Per Dieu, belhs clercx, tu lo m'escriu.
wo Arnaut de Cotignac einen clerc, also einen Schreibkundigen bittet,
ihm das Lied aufzuschreiben. Hätte Arnaut selber schreiben können,
dann brauchte er keinen clerc darum zu bitten!
Es soll keineswegs bestritten werden, daß einige der Kunstdichter in
der Lage waren, ihre Lieder selber aufzuzeichnen. So soll der letzte der
Troubadours, Guiraut Riquier, seine Lieder eigenhändig in chronolo-
gischer Reihenfolge mit Angabe des Abfassungsdatums aufgeschrieben
haben. Wir besitzen dieses Liederbuch aber nur in zwei Abschriften aus
dem Beginn des 14. Jahrhunderts, in denen die Rubrik steht: Aissi
comensan los cans d'En Guiraut Riquier de Narbona, en aissi cum es de
canzos e de verses e de pastorellas, de retroenchas e de descortz e d'albas e
d'autres déversas obras, en aissi abordena damens cum era abordenat en la
sieu libre, dei qual libre escrig per la sua man fon aissi tot translatât. In
diesem Fall dürfte ein eigenhändig geschriebenes Liederbuch vorhanden
gewesen sein, von dem man allerdings nicht weiß, ob es auch die Melodien
enthielt.
Wohl waren manche der Troubadours und Trouvères aus dem Kleriker-
stand hervorgegangen, wie etwa Folquet de Marseille, der Sohn einer
reichen Kaufmannsfamilie, der von 1205 - 1231 Bischof von Toulouse
war, oder Maistre Richart de Fournival, der Sohn des Leibarztes von
Philippe Auguste, Halbbruder des Bischofs Arnoul von Reims (1236 bis
1246), Gründer einer reichen Bibliothek, für die er einen lateinischen
Katalog anfertigte. Ihnen und manchem anderen magister wird man die
Fähigkeit, einen Liedtext niederzuschreiben, ohne weiteres einräumen,

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
88 Friedrich Gennrich

das Aufzeichnen der Melodie jedoch e


die man auch bei einem Kleriker nich
handelt es sich hierbei doch um die
musikalisch-akustischen Eindruckes;
heute - eine gründliche fachliche Aus
Von der Hs. des Anticlaudian des Ad
Lille, Bibl. munie. 397 (olim 95) nimm
händige Niederschrift des Autors sei1
aber ausschließlich um Kontrafakta h
lieferung der Melodien auch nur den W
solchen von besonderer Bedeutung.
Guillaume de Machaut ζ. Β., dessen m
in einer stattlichen Reihe von Hss. erh
lungen „unter den Augen Machauts selb
künstlerischen Schaffens geschrieben od
abgeschrieben wurden2", war ganz g
sitionen selbst aufzuschreiben. Aber keine der erhaltenen Hss. enthält
eigenhändige Niederschriften, ja, wir besitzen nicht einmal ein Exemplar,
von dem mit Sicherheit behauptet werden könnte, daß es der Autor
selbst auf seine Richtigkeit hin durchgesehen oder überprüft hätte.
Philippe de Vitry, der Freund Petrarcas, der von 1350 - 1361 Bischof
von Meaux war, wird in den Règles de la Seconde Rhétorique als der
Erfinder der quatre prolations et les notes rouges et la nouvelletê des pro-
portions bezeichnet. Ohne Zweifel war er des Schreibens mächtig, trotz-
dem besitzen wir von seiner Hand geschrieben nichts, mehr noch, seine
Werke sind uns kaum bekannt, da sie zumeist gar nicht unter seinem
Namen überliefert sind.
Thibaut de Champagne, Roi de Navarre (1201 - 1253), hat eine statt-
liche Liedersammlung hinterlassen; aber auch dieses Liederbuch be-
sitzen wir nicht, sondern nur Abschriften, die ζ. Τ. auf dieses originale
Sammelwerk zurückgehen mögen. Auch die Angabe der „Chronique de
Saint Denis4 * unter dem Jahr 1234 : , ,Et ces fist escripre en sa sale a Provins
et en celle de Troyes. Et sont appellees les chansons au roi de Navarre"
hat sich als unzutreffend erwiesen3.
Ähnlich verhält es sich mit den Liederbüchern von Adam de la Halle
und Jehan de Renti. In keinem dieser Fälle läßt sich nachweisen, daß die
Liederbücher auf die Initiative der betreffenden Autoren selbst zurück-

1 F. Ludwig, Die Quellen der Motetten ältesten Stils, in „Archiv für


Musikwissenschaft" 5 (1923) 215.
8 F. Ludwig, Die musikalischen Werke von Guillaume Machaut, in
„Publikationen älterer Musik", β. Bd. der Reihe, Leipzig (1928) 7.
8 E. Schwan, Die altfranzösischen Liederhandschriften, Berlin (1886) 271·

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Die Repertoire-Theorie 89

gehen, oder daß es sich um Sammlungen handelt, die


gen Liedersammlungen zustandegekommen wären.
Besitzen nun die Miniaturen die Beweiskraft, die ih
schreibt ?
So wenig, wie die oben zitierten Aussagen der Bio
Miniaturen Zeitdokumente; wir kennen sie nur aus den Liederhand-
schriften, die z. T. mehr als 100 Jahre nach der Entstehung der Lieder
hergestellt worden sind. Dieser Umstand an und für sich wäre kein Grund,
ihnen jeden dokumentarischen Wert abzusprechen, wüßten wir nicht,
wie ein großer Teil von ihnen entstanden ist. Wenn wir z. B. die Trou-
badour-Hs. A (= Rom, Bibl. vatic. 5232) aufschlagen, finden wir auf dem
Rande der Hs. jeweils die Angabe für den Miniaturenmaler vermerkt. Da
heißt es z. B. bei Marcabru: un home )uglar senza strumento; bei Elias
Cairel lautet die Anweisung: joglar cum una viola ; bei Perdigon: un
joglar cum viola usw. Dasselbe gilt auch für nordfranzösische Hss.; so
lesen wir z. B. in der Hs. Paris, Bibl. nat. fr. 12562 fol. 26: Faites -ψ
compengnons chevauchant dont li uns porte unne malete et Vautre unne
viele pendant a le celle de son cheval. Oder fol. 42 lautet die Anweisung:
Faites une dansse de dames et de chevaliers usw. Diese Anweisungen lassen
dem Miniaturen-Maler völlig freie Hand in der Ausführung der Bilder.
In Wirklichkeit wußte der italienische Miniaturen-Maler der prov.
Liederhandschrift A von der Persönlichkeit Marcabrus oder Caireis oder
Perdigons nicht mehr, als was er über die betreffenden Autoren auf dem
Rande der Hs. vermerkt fand, und das war nur Schablone.
Es wäre also durchaus abwegig, aus der Miniatur Schlüsse auf die Per-
sönlichkeit des dargestellten Autors ziehen zu wollen, die über reine
Äußerlichkeiten hinausgehen.
Man hatte z. B. in der Miniatur Walthers von der Vogelweide in der
großen Heidelberger Minnesänger-Hs. (= Hs. C), der Manessischen Hs.,
ein Porträt Walthers sehen wollen, und zwar deshalb, weil die Haltung
auf der Miniatur mit dem Anfang des Walther-Liedes :

Ich saz uf eime steine


Und dahte bein mit beine :
Dar ûf satzt ich den eilenbogen :
Ich hete in mine hant gesmogen
Das kinne und ein min wange.

in Verbindung gebracht wird. Wer in der Manessischen Hs. weiterblättert,


wird Heinrich von Veldecke in der gleichen Haltung, ebenfalls die linke
Wange in die Unke Hand gelegt, mit auf dem Knie aufgestütztem Ellen-
bogen abgebildet sehen, obwohl hier kein entsprechendes Lied Anlaß zu
dieser Pose gegeben haben kann.

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
90 Friedrich Gennrich

Mit Staunen aber findet man dieselbe


miniatur der französischen Trouvere-H
0) fol. 106v. in dem Buchstaben Q1.
Diese Tatsachen zwingen zu der An
Miniaturen eine internationale Schablo
immer es gilt, das Nachdenken, das Üb
Miniaturen in den Hss. bis gegen Ende
Buchschmuck sein, und als solche müss
Wenn daher ein Autor mit einer Perg
Miniatur dargestellt wird, folgt daraus d
Autor auch schreiben konnte. Die Perg
but des Autors.
Es läßt sich also kein Nachweis dafür erbringen, daß die Kunstdichter
unbedingt schreiben, daß sie ihre Lieder selber aufzeichnen konnten.
Wenn trotzdem ,, Liederblätter" vorhanden gewesen sein sollten, müssen
die Autoren sich Schreibkundiger bedient haben. Die Verwendung von
Schreibern in dem Ausmaß, wie Gröber sie seiner „Liederblätter-Theo-
rie* ' entsprechend annehmen muß, ist unwahrscheinlich. Hätte es der-
artige Schreiber in solcher Menge gegeben, so müßte sich doch wohl
irgendwo eine Erwähnung dieses Standes oder wenigstens irgend eine
Andeutung finden lassen. Die hohen Herren, die die Möglichkeit hatten,
ihre Lieder durch einen am Hofe tätigen Notarius oder den Hauskaplan
aufschreiben zu lassen - ich erinnere in dieser Beziehung an Hugo von
Montfort (f 1423), der seine Lieder 1401 von seinem Schreiber aufzeichnen
und die wisen von seinem getrüwen knecht Bürk Mangelt machen ließ2 -
waren unter den uns heute noch bekannten Liederdichtern nicht stark ver-
treten. Wer aber sollte die Herstellung der sehr viel größeren Anzahl von
„Liederblättern" von Autoren bestritten haben, die nachweislich kaum
in der Lage waren, die Kosten für ihren Lebensunterhalt aufzubringen ?
Wenn das Vorhandensein von Liedern dieser Autoren von der Fixierung
auf „Liederblättern" abhängig wäre, wüßten wir von ihnen heute be-
stimmt nichts mehr.
Wenn ein Autor nicht nur des Schreibens, sondern darüber hinaus
auch des Lesens unkundig war - von Hartmann von Aue wissen wir, daß
auch das Lesenkönnen als große Gelehrsamkeit galt, heißt es doch im
„Armen Heinrich"
Ein rîter so geleret was
Daz er in den buochen las . . .

1 J. Beck, Les Chansonniers des Troubadours et des Trouvères; Bd. I.


Reproduction phototypique du Chansonnier Cangé, Paris (1927).
2 J. E. Wackerneil, Hugo von Montfort, Innsbruck (1881).

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Die Repertoire· Theorie 91

so konnte er ein in seinem Auftrag angefertigtes ,


nicht einmal auf seine Richtigkeit hin prüfen, so d
nungen streng genommen nur der Wert von Abschrif
authentischen Fassungen zugesprochen werden kann
Nach Gröbere Ansicht sind die Lieder an eine oder mehrere Personen
gerichtet, deren Name aus der Tornada hervorgeht, und seien eben zu dem
Zweck auf Liederblätter aufgezeichnet und dann dem oder den Adres-
saten überbracht worden. An Vervielfältigungen hätte man bereits bei
solchen Liedern zu denken, die mehr als ein Geleit enthalten und an meh-
rere Personen adressiert sind.
Wieviel Wahrscheinlichkeit hat diese Ansicht Gröbers für sich ?
Nach den Ausführungen Gröbers müßte die Tornada ausschließlich
dazu bestimmt gewesen sein, die Adresse des Liedempfängers aufzu-
nehmen, so daß Bartholomaeis die groteske Ansicht äußern konnte,
tornar bedeute in diesem Zusammenhang l 'opération de rouler le parche-
min, après y avoir écrit et par conséquent, la tornada était V action de rouler,
c'est à dire de clore la pièce à expédier1.
Die Tornada wäre demnach die Fragmentstrophe, die die auf der
Außenseite des zusammengerollten Pergamentes aufgeschriebene Adresse
des Empfängers enthält.
Nun sind aber die Tornaden inhaltlich gar nicht einheitlich orientiert,
denn neben den Adressen-Tornaden begegnen ebenso häufig Epilog-
Tornaden, daneben auch Signier-Tornaden, in denen der Autor die
Gelegenheit benützt, seinen Namen in den Text der Fragmentstrophe
einzufügen.
Von 11 Liedern Wilhelms IX. haben 7 Tornaden: nur eines hat eine
Doppeltornada mit Adressenangabe, die übrigen 6 Lieder haben je eine
Epilog-Tornada, 4 Lieder sind ohne eine solche.
Unter den 7 Liedern Cercalmons hat nur ein Lied eine Adressen-
Tornada, 3 Lieder haben je eine Epilog-Tornada, 3 Lieder sind ohne.
Von 6 Liedern Jaufré Rudels haben nur 2 Lieder eine einfache Tornada
ohne Adressenangabe, 4 Lieder haben keine.
Unter den 44 Liedern Marcabrus haben nur 4 Lieder eine Adressen-
Tornada. Zusammenfassend ergibt sich bei den ältesten Troubadours
folgende Situation: unter 68 Liedern sind uns nur 6 Adressen-Tornaden
erhalten, 11 Tornaden haben keine Adressenangabe, und die übrigen
haben keine Tornada.
Es fällt also auf die große Zahl der Lieder ohne Tornada. Man hat nach
einer Begründung dieses Fehlens gesucht. E. Schwan meinte, es ließe sich

1 Bartholomaeis, Du Rôle et des Origines de Ia Tornada, in „Annales du


Midi", 19 (1907) 461.

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
92 Friedrich Oennrich

daraus erklären, daß „sie von dem Kopiste


einer der Vorlagen ausgelassen wurden, w
schreibens nicht für wert hielten1".
C. Appel vertritt die Meinung, daß die Tornada zu ganz anderer Zeit
entstanden sein könne als das Gedicht, und daß hieraus sich auch z. T.
erklären würde, daß die Hss. in der Überlieferung der Tornaden so stark
abweichen2.
Beide Forscher machen sekundäre Ursachen für das Fehlen der Tor-
naden verantwortlich ; sie versäumen es, die Frage aufzuwerfen, ob denn
alle Lieder eine Tornada haben mußten; ob es nicht auch Liedgattungen
ohne Tornaden gegeben haben könnte.
Ehe wir diese Frage beantworten, müssen wir uns mit der formalen
Beschaffenheit der Tornada auseinandersetzen. Wir haben gesehen, daß
die Tornaden inhaltlich nicht einheitlich orientiert sind, formal aber
weisen alle, ohne Ausnahme, dieselbe Anlage auf: rhythmisch wie me-
trisch und zumeist auch in bezug auf den Reim, ja sogar mitunter im
Wortlaut, stimmen sie immer mit dem Ende der letzten Strophe des
Liedes überein. Der Grund für diese Übereinstimmung kann nur im
Musikalischen liegen, und darauf weist auch die Bezeichnung tornar als
einfache Form des Verbs retornar hin, als geläufiger terminus technicus
der Musik. Es wird damit das Zurückkehren der Melodie, also eine Wie-
derholung bezeichnet. Noch Dante kennt keine andere Erklärung für die
Tornada; er schreibt im Convívio 11,12: Bico ehe generalmente si chiama
in eiaseuna canzone Tornata, perocche li dicitori ehe in prima usarono di
farla, fenno quella, perche cantata la canzone, con certa parte del canto ad
esse si ritornasse3.
Es findet also in der Tornada eine Wiederholung des Abschlusses der
Strophenmelodie statt, der sich - jedenfalls in der älteren Zeit - der
Textdichter anschloß, indem er die letzten Worte der letzten Strophe
wörtlich wiederholte. So lesen wir bei Wilhelm IX. in B. Gr. 183.7

Letzte Strophe : Tant las fotei com auzirets :


Cen θ quatre vint et ueit vetz,
Q'a pauc no · i rompeimos coretz
Ε mos arnes;
Ε no · us puesc dir lo malaveg,
Tan gran m'en près.

Tornada : Ges no · us sai dir la malaveg,


Tan gran m'en près.

1 Ε. Schwan, Die altfranzösischen Liederhandschriften, Berlin (1886) 265.


a U. Appel, .Bernart von Ventadorn, Malle (ltfiö) ääa.
3 P. Fraticelli, Opere Minori di Dante Alighieri, Firenze (1900) III, 147.

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Die Repertoire-Theorie 93
Oder in Β. Gr. 183.4
Letzte Strophe: Non i a negu de vos la · m desautrei:
S'om li vedava vi fort per malavei,
Non bègues enanz de Vaiga que · 8 laisses morir de sei?
Tornada : Chascus beuri'ans de Vaiga que · s laisses morir de sei.
Es fallt auf, daß in dem Lied Wilhelms B. Gr. 183.11 Pus vezem de
novelh florir, die 8. Strophe um 2 Verse kürzer ist als alle übrigen Stro-
phen, und wir vermuten, daß Strophe 8 unvollständig ist, daß die beiden
ersten Verse der Strophe fehlen:
Letzte Strophe :

A Narbona, m
Sia · l prezens
Mos vers, e vu
• M sia guiren
Tornada : Mon Esteve, mas ieu ά,ο · i vau
Sia · l prezens
Mos vers e vuelh que d'aquest lau
Sia guirens. *■
In Lied Β. Gr. 262.2 von Jaufré Rudel finden wir:
Letzte Strophe: Ver ditz qui m'apella lechay
Ni deziron d'amor de lonh,
Car nulhs autres joys tan no · m play
Cum jauzimens d'amor de lonh.
Mas so qu'ieu vuelh m'es atahis.
Qu'enaissi · m fadet mos pairis
Qu'ieu ames e no fos amatz.
Tornada : Mas so quHeu vuoill m'es atahis.
Totz sia mauditz lo pairis
Que - m fadet qu'ieu non fos amatz ! 2
Bei Marcabru lauten die letzte Strophe und die Tornada in B. Gr. 293.8 :
Letzte Strophe : Guianna ! cridon en Peitau.
Valia dissend contr'avau !
E qui d'escaravaich fai guit
En avol luoc perpren ostau.
Tornada : Per so, son Angevin aunit,
E qui d'escarabot fai guit
En avol loc perpren ostau.

1 A. Jeanroy, Les Chansons de Guillaume IX. Duc d'Aquitaine, in „Les


Classiques français du Moyen âge" Nr. 9, Paris (1913) 12, 4, 19.
2 A. Jeanroy, Les Chansons de Jaufré Rudel, in, „Les Classiques français
du Moyen âge" Nr. 15, Paris (1915) 15.

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
94 Friedrich Gennrich

Β. Gr. 293.17 zeigt dasselbe Verhalten:


Letzte Strophe : Re no · m val s'ieu los cha
Cades retornan aqui,
Ε pois un non vei estraire
Marcabrus d'aquel trahi,
An lo tondres contra · l raire,
Moillerat, del joe coni.
Tornada: An lo tondres contra · l raire,
Moitterat, del joe coni.
Auch in B. Gr. 293.37 sind Anklänge an die alte Art der Tornaden zu
finden:
Letzte Strophe : La defenida balanssa
D'aquest vers e revolina
Sobr'un' avol gen canina
Cui malvatz astres ombreia,
Cab folia cuida bobanssa
Ses faich de bon aventura.

Tornada: La cuida perqu'el bobanssa


Li sia malaventura1

Auch bei Bernart von Ventadorn noch finden wir diese Technik ver-
treten, etwa in dem Lied B. Gr. 70.25:
Letzte Strophe : Ε vilania fai
Qui · η mou mo coratge
Ni d'aire · m met en plai,
Car melhor messatge
En tot lo mon no · η ai,
Ε man lo · lh ostatge
Entro qu'eu torn de sai.
Tornada: Domna, mo coratge,
• L melhor amie qu'eu ai,
Vos man en ostatge
Entro qu'eu torn de sai.
Bei Vorhandensein von 2 Tornaden beschränkt Bernar
wiederholung auf die Tornaden, bezieht also die letzte Stroph
ein.
1. Tornada: Lo vers es fis e naturaus
Ε bos celui qui be Venten;
Ε melhor es, qui · I joi aten.
2. Tornada: Bernartz de Ventadorn Venten
Ε · 1 di e · 1 fai, e · l joi n'aten.2

1 J. M. L. Dejeanne, Poésies complètes du Troubadour Marcabru, ir


„Bibliothèque Méridionale", 1™ série, Tome XII, Toulouse (1909) 35, 73, 181
2 C. Appel, Bernart von Ventadorn, Halle (1915) 149, 87.

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Die Repertoire- Theorie 95

Es liegt auf der Hand, daß eine Unterstützung


Wiederholung durch eine solche des Textes eine au
kungsvolle Kadenz zustande bringt.
Der Tornada liegt also ein musikalisches Prinzip zug
das auch sonst begegnet, das dazu dient, einen wirku
herbeizuführen.
Als leicht zugängliche Beispiele verweise ich auf folgende Lieder meiner
Sammlung: Troubadours, Trouvères, Minne- und Meistergesang, bei
denen die Tornada jeweils dem betreffenden Melodieabschnitt unterlegt
wurde1.
Wir sagten, daß die Tornada dazu diene, einen wirkungsvollen Ab-
schluß eines Liedes herbeizuführen.
Besteht nun aber andererseits der musikalische Aufbau eines Liedes
an sich schon aus Wiederholungen, wie dies beim Litanei- und Rondel-
Typus der Fall ist2, dann wird jede weitere Wiederholung als Abschluß

1 F. Gennrich, „Troubadours, Trouvères, Minne- und Meistergesang, in


„Das Musikwerk", Köln (1951).
2 Vgl. F. Gennrich, Grundriß einer Formenlehre des mittelalterlichen
Liedes, Halle (1932).

Tor- Oda continua sine


nada B" Gr· iteratione Autor: Seite
1 29.15 Lo ferm voler qu'el cor m'intra Arnaut Daniel 16
1 167.22 Fortz chauza es que tot lo
major dan Gaucelm Faidit 17
2 366.29 Quant Amors trobet partit Peirol 18
2 406.40 Si tot s'es ma domn' esquiva Raimon de Miraval 18
2 10.41 Per solatz d'autrui chant soven Aimeric de Peguilham 19
2* 155.27 Us volers outracujatz Folquet de Marseille 15
Rayn. Kanzonen
1 1227 Quant je plus sui en paour
de ma vie Blondel de Nesle 23
2 857 Contre tens que voi frimer Gace Brûlé 27
1 460 Quant voi le felon tens fine Perin d'Angicourt 35
B. Gr. Rundkanzonen

1 262.2 Lanquan li jorn son lone en mai Jaufré Rudel 12


1 70.12 Be m'an perdut lai enves
Ventadorn Bernart v.Ventadorn 13

Sequenz -Typus
1 364.7 Baros de mon dan covit Peire Vidal 14
* Die zweite Tornada ist um 2 Verse kürzer als die erste.

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
96 Friedrich Qennrich

wirkungslos. So wird verständlich, daß


der der wohl ältesten Schicht der Trou
weisen; seine Lieder gehören zum großen
gen, also dem Litanei-Typus an, dem e
kadenz keine Wirkung zu verleihen ver
Das Fehlen einer Tornada ist also bei weitem nicht ohne weiteres als
Unzulänglichkeit der Überlieferung zu deuten.
Es soll nicht bestritten werden, daß die Tornada für die Namens-
nennung des Adressaten recht geeignet war. Bernart von Ventadorn
macht ausgiebig Gebrauch davon, indem er 31 seiner Lieder mit einer
Adressen-Tornada versieht, während ihrer 26 in der Tornada keine
Adressenangabe aufweisen. In formaler Beziehung hat sich aber an
Bernarts Tornaden nichts geändert. Bei 31 seiner Lieder ließen sich dem-
nach - nach Gröbere Ansicht - Liederblätter vermuten, bei 26 dann
aber nicht; d. h. die Zahl der Liederblätter wäre bei Bernart nur auf
etwas über die Hälfte der Lieder zu veranschlagen.
Aber diese Zahl müßte noch wesentlich eingeschränkt werden infolge
der Tatsache, daß man Lieder nur dann abzuschreiben pflegte, wenn
kein Bote zur Verfügung stand. Bernart spricht sich eindeutig hierüber
aus in der 7. Strophe seines Liedes B. Gr. 70.17
Pois messatger no · lh trametrai
Ni a me dire no · s cove,
Negu cosselh de me no sai;
Mas d'una re me conort be :
Ela sap letras et enten,
Et agrada · m, qu'eu escria
Los motz, e s'a leis plazia,
Legis los al meu sauvamen.
„Da ich ihr keinen Boten schicken werde und mir zu reden nicht zu-
kommt, weiß ich keinen Rat mir. Aber mit einem tröste ich mich: sie
kennt und versteht Schrift ; und so mag ich ihr gern die Worte schreiben,
und wenn es ihr gefällt, lese sie sie zu meinem Heil1."
Gontier de Soignies läßt ein von ihm aufgezeichnetes Lied überbringen ;
in der 6. Strophe von Rayn. 480 erklärt er:
Ki k'ait les mos ajostés,
Gontiers les mist en escrit,
Si sera li briés portés
A ma dame a cort respit.
Dieus, de bone eure fui nés,
S 'ele mon message lit.2

1 C. Appel, Bernart von Ventadorn, Halle (1915) 101 u. 103.


2 A. Scheler, Trouvères Belges (Nouvelle Série) Louvam (1879) 3.

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Die Repertoire· Theorie 97

Thibaut de Champagne beschließt sein von Dan


Rayn, 407 mit dem Envoi :
Dame, vers vous n'ai autre messagier
Par qui vous os mon corage envoier
Fors ma chançon, se la volés chanter.1

Alle drei Dichter sagen, daß sie keinen Boten zu


keinen messagier, der Dame ihre Gesinnung mitzut
sendeten sie das aufgezeichnete Lied, daß sie es lese
Die angeführten Stellen lassen erkennen, wann u
aufgeschrieben wurden: wenn kein Bote zur Verfü
wohlverstanden, Bote nicht gleichbedeutend ist mit
Der Überbringer „kannte und verstand Schrift"
also nichts vom Inhalt der ihm anvertrauten Botsch
gegen war ein Vertrauter des Dichters; ihm konnte
mündlich anvertrauen.
Ganz eindeutig spricht sich in dieser Hinsicht Guiraut de Bornelh in
der 5. Strophe seines Liedes B. Gr. 242.11 aus:
29. Be lo · i volria mandar,
Si trobava messatger,
Mas si · η fatz altrui parler,
Eu tern qu'ilh me n'ochaizo ;
Car non es ensenhamens
Com ja fass' altrui parlar
D'aisso que sols vol celar.

Wohl würde ich, wenn ich einen Boten fände, es ihr melden, aber ich
fürchte, daß sie, wenn ich einen andern darin zum Vermittler mache,
es mir übernehme; denn es ist unangemessen, einen andern je davon
sprechen zu lassen, was man für sich allein geheim halten will2.
Was aber war die Aufgabe des Boten? Wir erfahren es aus dem
Frauendienst von Ulrich von Lichtenstein. Ulrich berichtet, daß ihm
seine Dame eine Liedmelodie durch einen Boten habe nach Bozen über-
bringen lassen mit dem Auftrag, auf diese in Deutschland unbekannte
Melodie ein Lied in deutscher Sprache zu dichten. Es heißt da:
Iu hat min vrouwe hergesant
Bî mir ein wîs diu unbekant
Ist in tiutschen landen gar

1 A. Wallensköld, Les Chansons de Thibaut de Champagne, Roi de Na-


varre, in „Société des anciens textes français", Paris (1925) 19.
2 Α. Kolsen, Sämtliche Lieder des Trobadors Giraut de Bornelh, Halle
(1910) I, 16.
Ztschr. f. frz. Sprache u. Literatur LXVI 7

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
98 Friedrich Oennrich

(Daz suit gelouben ir für war)


Da suit ir tiutsch singen in :
Des bîtet si, der bot ich bin.
Ulrich berichtet dann weiter:
Diu wise ich lernte an der stat
Und sanc drin reht
als si mich bat.

Warum lernte Ulrich diu wise an der stat ? Doch deshalb, weil sie nicht
aufgezeichnet war, sondern von dem „Boten" ihm vorgesungen wurde
und zwar so oft, bis er sie konnte.
Aufgabe des Boten war es also, ihm vorgesungene Lieder mündlich zu
überbringen. Diese Tatsache wird auch durch prov. Belege erhärtet. So
lesen wir in dem Lied B. Gr. 262.5 von Jaufré Rudel in der letzten
Strophe :
Senes breu de pergamina
Tramet lo vers, que chantam
En plana lengua romana
A · η Hugo Bru par Filhol. x
Ohne breu de pergamina, ohne Liederblatt übersende ich das Lied,
Herrn Hugo Bru durch Filhol, den messatger.
Bernart von Ventadorn erteilt in B. Gr. 70.33 seinem messatger den
Auftrag, sein Lied vor der Königin der Normandie zu singen :
Huguet, mos cortes messatgers,
Chantatz ma chanso volonters
A la rëina dels Normans.2

In Β. Gr. 70.18 gibt er dem Boten die Weisung, die Dame das Lied zu
lehren:
Messatger, mot me täina
Car tost non est lai.
Viatz ven e viatz vai
Mas la chanso lh' ensenha.8

Gröber ist der Ansicht, daß „die Verbreitung neuer Lieder nur an der
Hand von Niederschriften erfolgt sei", mit anderen Worten: er nimmt
eine kontinuierliche schriftliche Tradition an. Unter solcher Voraus-
setzung lassen sich wohl orthographische Divergenzen und Schreiberirr-
tümer erklären; es kann vorkommen, daß der Abschreiber Wörter, ja,
ganze Zeilen übersieht, oder daß er ζ. Β. die Reihenfolge von Wörtern
oder sogar Versen verändert - z. B. stellt die Hs. G (= Mailand, Bibl.
1 A. Jeanroy, Les Chansons de Jaufré Rudel, in „Les Classiques français
du Moyen âge" Nr. 15, Paris (1915) 5.
2 C. Appel, Bernart von Ventadorn, Halle (1915) 197.
3 ebenda 105.

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Die Repertoire- Theorie 99

Ambrosiana R 71 sup.) die Reihenfolge von V. 3 und 4 d


Bernart von Ventadorns Lerchenlied um - ; daß aber
ein gegenüber den anderen Hss. völlig veränderter
sich keinesfalls durch bloßes Verschreiben, also durc
durch Versehen erklären. In der 5. Strophe des Lied
von Gace Brûlé tritt die Hs. R allen anderen Hss. geg
dem, ganz abweichenden Wortlaut :
Hs. R die übrigen Hss.
Hé Dieus ! je proi et demant Ha las ! je pri et reblant
Ce que tant mi fait languir, Ce qui me fera morir.
Et bien sai prochainement Qu'Amours n'aloit el querant
Qu'elle mi fera mourir. Maiz que me pëust trahir;
Amours n'aloit el querant, Mal bailli sont li amant
Mais que moi pëust honnir; Qu'en sa merci puet tenir!
En moi ne voi nul semblant De moi ne voi nul semblant
Comment je em puisse issir, Comment je m'en puisse issir,
Se mercis ne m'en aie. Se pitiez ne m'en deslie.1

Ein weiteres Beispiel möge die vorkommenden Divergenzen vera


schaulichen: in Rayn. 738 stellt die Berner Liederhs. C die Strophe
und 5 um und gibt sie fast ganz verändert wieder.
Hs. C die übrigen Hss.
Ma dame est si connoissant
S'avoit enquis
Corn je la sert coraument,
Ja ne m'en seroit pls.
Ancore me vont gaibant Mes felon m'i vont nuissant
Ki ont pris Qui ont apris
Mon morteil destrucement Mon mortel destruiement
Et ma poine a tousdis. Et ma paine a tousdis.
Que Certez meuz aim a morir
Hastivement Prouchainement
Ne preisse vengement Que n'en prengne vengement
De cals por cui seux faidis. De ceus qui ont quis
Mon mortel encombrement.

So weit gehende Abweichungen und Unstimmigkeiten, wie sie hier vor-


liegen, entstehen nicht beim Abschreiben von einer Vorlage, sind bei
kontinuierlicher schriftlicher Tradition nicht möglich. Ähnliche Fälle
ließen sich aber in Menge anführen.
Nicht anders verhält es sich mit den Abweichungen der Melodien : auch
sie bleiben unerklärlich bei schriftlicher Überlieferungskette vom Autor
bis in die Sammelhs.

1 H. Petersen Dyggve, Gace Brûlé, Helsinki (1951) 195.


7*

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
100 Friedrich Gennrich

Gröber selber scheinen Zweifel an der


Theorie* ' aufgestiegen zu sein, denn er
man anzunehmen hat, daß Liederblätter al
lichen Überlieferung der Troubadour-D
nicht auch liederkundige Jogiars Liede
schrieben und zusammenstellten, und nich
lage beruhende Sammlungen als die Qu
Liederbücher zu betrachten sind" (S. 34
Gröber entkräftet diesen Einwand abe
einer gedächtnismäßigen Aufzeichnung
Namen der Verfasser so vieler Lieder . . .
rend man erwarten müßte, daß die Poes
sal des Volksliedes und so vieler erzählend
Deutschlands usw. erfahren hätten, namen
Gröber übersieht hierbei, daß es sich be
alterlichen Liedes und der des Volkslied
der Überlieferung handelt. Im ersten Fa
bewußten Berufssängern des Mittelalt
die einer Tradition verhaftet waren und
alterlichen volkssprachigen Literatur un
den müssen. Im anderen Fall steht ein an
freudiger Laie vor uns, der das eine oder
und recht, so gut er kann, nachsingt.
Den ersteren darf man wohl zutrauen,
der von ihnen vorgetragenen Lieder kann
des Dichters schwerlich zu Gehör gekom
Wenn aber Gröber die Differenzen der
Verfassernamen in den Hss. „nur unte
Entstehung aus schriftlichen Quellen"
hält, so muß demgegenüber betont wer
namen - auch heute noch - viel leichter
Zustandekommen als durch Versehen beim Abschreiben von schriftlicher
Vorlage.
Wie sollte durch Verschreiben oder Verlesen aus dem Namen Uc
Brunet - Uc de St. Circ geworden sein ? Wie könnte man sich in dem
oben zitierten Lied Rayn. 738 Cherdon de Croisilles aus Thibaut de
Blazon durch Versehen entstanden denken, wie Raoul de Soissons aus
Gautier de Dargiés ? Viel leichter und einleuchtender wird man als Grund
derartiger Vertauschungen das Versagen der Erinnerung bei mündlicher
Überlieferung annehmen können.
Auch die weitere Ansicht Gröbers, daß „wohl nicht zu leugnen" sei,
„daß den Veranstaltern von Liederbüchern und Liedersammlern der

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Die Repertoire-Theorie 101

Troubadours die geschriebenen Liederblätter als ein


und zuverlässigere Form der Liedüberlieferung ersc
zu der sie daher lieber griffen, - als die gedächtnism
(S. 343), ist anfechtbar.
Ohne Zweifel wären Liedersammler bemüht gew
authentische Versionen aufzunehmen ; jedoch wann ü
von einer Sammlertätigkeit gesprochen werden? Die
wurde nicht durch den Seltenheitswert einer Sache
Anreiz zum Sammeln wurde vielmehr durch das Bestreben interessierter
Kreise gegeben, eine Kunst, die ihre Blüte bereits überschritten hatte,
in ihrer Gesamtheit überblicken zu können. Das geht unzweideutig aus
den Liedersammlungen selbst hervor. Ein „Überblicken* ' ist aber erst
dann möglich, wenn bereits Lieder in größerer Menge vorhanden sind,
und das setzt wieder ein Bekanntwerden der Lieder, also größere Ver-
breitung voraus, die auf Grund einzelner Liederblätter, die da und dort
bei den Empfängern von Liedern wohl vorhanden sein mochten, nicht
denkbar ist. Damit stoßen wir in den Kern des Problems vor: die Ver-
breitung der Liedkunst des Mittelalters.

II. Woher stammen die uns heute noch zugänglichen Lieder?


Hätten Beethoven, Mozart oder auch die neueren Komponisten ihre
Werke durch eigenen Vortrag, allein auf sich gestellt, und selbst mit
Hilfe des Buchdruckes zu verbreiten unternommen, so wüßten weite
Kreise heute nicht viel davon. So aber wurden und werden sie noch und
noch durch eine Legion ausübender Musiker, die sich für sie einsetzen,
dabei unterstützt. Dieser Unterstützung verdanken Kompositionen ihre
weltweite Verbreitung.
Erst als sich ausübende Musiker mit den Werken Bachs zu beschäftigen
begannen, wuchsen das Verständnis und die Verehrung für den Meister
und damit die Weltgeltung seiner Werke.
Im Mittelalter lagen die Verhältnisse nicht anders, im Gegenteil, die
Autoren waren ausschließlich auf die ausübenden Musiker, auf die Spiel-
leute, angewiesen, wenn ihre Lieder Verbreitung finden sollten. Die ein-
zelnen Autoren hätten von sich aus niemals die Breitenwirkung er-
zielen können, die einzig und allein die Voraussetzung ist für das spätere
Einsetzen einer Sammeltätigkeit.
Dessen waren sich die Autoren auch im Mittelalter bewußt; Bernart
von Ventadorn ζ. Β. wendet sich in den Tornaden von 11 seiner Lieder
ausdrücklich an Spielleute, an die Leute vom Fach, denen er neben den
Texten auch deren Melodien anvertrauen konnte.
Im allgemeinen gelten Troubadours, Trouvères und Minnesänger als
Autoren, die Spielleute als Ausführende; doch läßt sich eine scharfe

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
102 Friedrich Gennrich

Trennung nicht durchführen. Es gab Auto


trugen und Spielleute, die als Autoren sic
Dem Heer der Spielleute, die landauf, la
Schloß zu Schloß, von Markt zu Markt zoge
zu unterhalten, diesem Heer oft verkan
volkssprachige mittelalterliche Liedkuns
als solche, ihre große, ja, z. T. internatio
Leute, von denen die „Vie des Anciens P
Une gent ki vont contant
De cort a autre et vont trouvant
Chançonetes, mos et fabliaus
Por gaaignier les biaus morsiaus.
Hier werden wir auch mit dem Repertoire der Spielleute bekannt ge-
macht ; es enthält nicht nur Lieder (chançonetes) sondern auch Spaße und
Schwanke (mos et fabliaus). Der Spielmann war also auf jeden Geschmack
eingestellt und wandte sich der Gattung zu, die den größten Gewinn
(biaus morsiaus) erwarten ließ.
Zahlreich sind die Belege in der zeitgenössischen Literatur, die uns
Auskunft über die Repertoire der Spielleute geben. Da berichtet Raimon
Vidai aus Bezaundun in seiner Versnovelle: „Abril issi' e mays intrava"
Senher, yeu soy us hom aclis
A joglaria de cantar
Ε asy romans dir e contar,
Ε novas motas e salutz
Et autres comtes espandutz
Vas totas partz azautz e bos
E d 'En Guiraut vers e chansos
E d'En Arnaut de Maruelh mays
E d'autres vers e d'autres lays.

Hier besteht das Repertoire aus Romanen, Novellen, Spaßen, Salutz


{d'Amours) neben Liedern von Guiraut de Bornelh und solchen von
Arnaut de Maruelh, sowie Versen und Lais anderer Autoren; wie man
sieht, ein recht ansehnliches Programm.
Im „Roman de Renart" preist ein Spielmann sein Repertoire wie folg
an:

„Sire, ge fot un bon juglere,


Et saver moi molt bon chançon
Que je fot pris a Besençon;
Encore mult de bons lai savrai.
Nul plus cortois jogler arai.
Ge fot molt bon jogler a toz,
Bien sai dire et chanter bon moz."

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Die Repertoire- Theorie 103

Ähnlich lobt ein anderer seine Kunst im „Eustache le


2187 Je suis jouglere et menestreus,
Petit en trouveriés d'iteus,
Je sai trestoutes les chançons.
oder II n'a el mont nule chançon
Dont n'aie oie ou note ou son.

wobei einige Überheblichkeit unterlaufen sein dürfte.


Wie so oft im Leben zwingt auch hier die Fülle des Stoffes den Spie
mann zur Spezialisierung. Im „Roman de Guillaume de Dole" heißt e
von Jouglés :
1757 Jouglés lor a dit chançons
Et fabliaus, ne sai · ii' · ou · itij ·.
Und Joufrois berichtet :

1159 Li uns note, li autres conte,


Li autres chante chançons antives.
Der Gewährsmann berichtet, daß der eine sich aufs Singen, der andere
mehr aufs Rezitieren verlegt :
Cil chante bien, c'est un jougleur,
Cil dit beaus mots, c'est un troveur
wobei dem Rezitator, vor allem wenn er Schwanke vorträgt :
Aucuns i a qui fabliaus conte
Ou il ot mainte gaberie,
Et li autres dit l'Erberie
La ou il ot mainte risée.

der Erfolg nicht versagt bleibt, denn Durmar li Galois teilt mit :
9813 Et cil qui set dire beaz dis,
I est molt volontiers öis.

Wie sehr man auf Unterhaltung erpicht war, geht aus der „Naissance
du Chevalier au Cygne" hervor, wo es heißt:
3180 Et quant la nuis se prist un poi a esconser,
Cascuns fait devant lui un grant cierge alumer.
La Vie Saint Morise lor conta un jogler.
Ceste cansons dura dés ci qu'a l'aj orner,
Et il furent molt prest d'öir et d'escouter.
Uns interessiert vor allem das Repertoire des Berufssängers; es gab
Spielleute, die sich auf ein rein musikalisches Repertoire beschränkten.
Eine Stelle aus dem „Brut" von Wace:
10823 Mult ot a la cort juglëors,
Chantëors, estrumantëors ;
Mult poissiés öir chançons,
Rotruanges et noviaus sons.

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
104 Friedrich Gennrich

berichtet von einem solchen Programm


von einer ähnlichen Aufführung :
Si en ot l'en chançons et notes
De jouglëors assez sovent.
Auf ein rein musikalisches Repertoire
mar li Gallois' ' hin:
6153 Chans et notes et sons et lais
Ot on sovent en lor palais.
Aus dem ,, Tournoiement d'Antéchrist" erfahren wir, daß:
Cil juglëor en pies esturent :
S'ont vieles et harpes prises.
Chançons, sons, lais, vers et reprises
Et de gestes chantés nos ont.
Hier besteht das Repertoire aus Liedern und Weisen, aus Lais, Versen
und Refrains, sowie aus Teilen von Chansons de Geste.
Im ,, Roman de Guillaume de Dole" finden sich Spielleute aus den ver-
schiedensten Landschaften ein und singen : sons et lais :
4553 Lors i chantent et sons et lais
Li menestrel de mainte terre

Qui erent venu por aquerre.


und noch 1316 meldet Jehan Maillart in seinem „Comte d'Anjou" von
einem ausgedehnten Programm :
Li auquant chantent pastourelles,
Li autre dient en vielles
Chançons royaus et estampies,
Dances, notes et baleries,
En leut, en psalterion,
Chascun selons s'entancion
Lais d'Amours, descors et balades
Pour esbatre ces gens malades.
Daß der Berufssänger die Stücke seines Repertoires aus dem Gedächt-
nis vortrug, verstand sich von selbst. In dem „Fabliau des deux Tro-
vëors ribauz" lesen wir:

De totes les chançons de geste


Que tu savroies aconter,
Sai ge par euer dire et conter.
daß er sein Repertoire stets auf dem Laufenden halten mußte, gebot ihm
das eigene Interesse. Wir finden daher immer wieder Stellen, wie die aus
dem „Roman de la Poire" :
1140 Cil jouglëor en leur vieles
Vont chantant ces chançons no veles.

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Die Repertoire-Theorie 105

oder aus dem „Dit des deux Bordëors ribauz" :


Ge sai conter beauz diz noveaus
Rotruenges viez et noveles
Et sirventois et pastoreies.

Wir hören es auch aus dem Munde eines Autors selbst, von Jacque
de Cambrai in Rayn. 602 :
Rotrowange novele
Dirai, et bone et bele,
De la virge pucele.
daß er mit Neuem aufwarten will.

Aus all diesen Stellen geht hervor, daß die Zuhörer anspruchsvoll
waren, daß sie immer wieder neue Lieder hören wollten. Das berichtet
auch die „Chronique de Saint-Denis' ' :
II avaient aucune foiz que juglëor, enchantëor, goliardois et autres
manières de menesterieus s'assemblent aus corz des princes et des barons
et des riches homes, et sert chascuns de son mestier au mieuz et au plus
apertement que il puet, pour avoir dons ou robes ou autres joiaus, et
chantent et content noviaus motez et noviaus diz, et risies de diverses
guises.
Fassen wir zusammen, was sich über das Repertoire der Spielleute aus
den zitierten Stellen ergibt :
Das Spielmanns-Repertoire war keine abgeschlossene, sondern eine sich
fortwährend ändernde und erneuernde Sammlung von Liedern, Musik-
stücken, deren Grundstock behebte, immer wieder verlangte Stücke
umfaßte. Ungeeignete, veraltete, wenig begehrte Nummern wurden
ausgeschieden, während neue sich auf der Vortragsreise erst be-
währen mußten, um gegebenenfalls in den festen Bestand eingereiht zu
werden.

Das Mittelalter kannte keinen Schutz geistigen Eigentums, die Lieder


blieben daher auch nicht auf das Repertoire eines Spielmanns beschränkt.
Gegenseitiger Austausch neuer Stücke unter befreundeten Spielleuten,
aber auch unerwünschte Aneignung durch rivalisierende dienten der Er-
neuerung und Erweiterung des eigenen Programms, waren aber auch der
Verbreitung der Lieder selbst außerordentlich günstig.
Veranlagung und Begabung, eigener Geschmack und Laune, aber auch
die der Zuhörer bestimmten in weitem Maße das Repertoire eines jeden
Spielmanns, mußte er doch nicht nur bei Hoffesten mit Liedern der
„Hohen Minne" aufwarten, sondern hatte auch die Aufgabe, Ritter und
Fürsten im engeren Kreis mit Teilen aus Chansons de Geste zu ergötzen,
oder aber die Gesellschaft bei feuchtfröhlicher Tafelrunde mit Pastou-
rellen und leichter Muse zu unterhalten. Das erforderte ein Repertoire,

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
106 Friedrich Gennrich

das nicht nur ausgewählte Einzellieder,


umfassen mußte.
Wenn auch die Spielleute die „Weltreisenden des Mittelalters" waren:
- prov. Jogiars ließen ihre Kanzonen in den Schlössern Oberitaliens er-
tönen, französische Jonglëors hielten das Volk in Venetien mit ihren
Chançons de Geste in Spannung, in Katalonien weisen Urkunden
deutsche neben flämischen Spielleuten nach, die französischen Romane
des 13. Jahrhunderts kennen ebenfalls ausländische Spielleute - so
dürfte doch der Durchschnitt der Fahrenden ihre Tätigkeit auf ein enger
begrenztes Gebiet abgestellt haben. Colin Muset ζ. Β. scheint seine Vor-
tragsreise nicht weit über das Gebiet von Bassigny (Umgebung von
Chaumont) ausgedehnt zu haben. Er mußte neben der allgemeinen Lite-
ratur auch die lokalen Wünsche in seinem Repertoire berücksichtigen.
Doch dürften Lieder von lokalem Interesse wie etwa Rayn. 1881 De la
procession Au bon abbé Poinçon. . . im Gegensatz zu solchen der „Hohen
Minne* * weit geringere Verbreitung gefunden haben.
Kein Zweig der Kunst als Ausdrucksform des Lebens ist unwandelbar,
zeitlos; alle Kunst ist Veränderungen durch den Zeitgeschmack, aber
auch dem gesellschaftlichen Wandel unterworfen, auch die Liedkunst
des Mittelalters: auch sie macht die Entwicklung der Gesellschaft im
Laufe der Zeit mit. Wenn auch der Umbruch lange nicht mit der Schnel-
ligkeit vor sich geht, wie das in späteren Jahrhunderten der Fall ist, so
ist er doch spürbar. Zunächst bestand unter den Spielleuten kaum ein
Unterschied; die einen unterhielten die Gesellschaft auf Burgen und
Schlössern, die anderen belustigten die Menge auf Jahrmärkten, Pilger-
straßen und an Wallfahrtsorten. Der Niedergang des Rittertums, das
Emporblühen der Städte, das Verarmen der Schloßherren und der auf-
blühende Wohlstand des Bürgertums veränderten dann aber, wenngleich
langsam, so doch unaufhaltsam die Situation für Autor wie für Spiel-
mann. Damit veränderte sich auch das Repertoire : die Minnelieder wer-
den seltener, die „Jeux partis" nehmen an Zahl zu.
Während die Kirche den Spielleuten im allgemeinen nicht gewogen war,
duldete sie doch gern diejenigen joculatores qui cantant gesta principium
et vitas sanctorum. Bene possunt sustineri taies. Es gab demnach Fahrende,
die sich auf Epen, Heiligenlegenden und Heiligenleben spezialisiert und
dementsprechend ihr Repertoire eingerichtet hatten.
Die mündliche Überlieferung war ebenso labil wie das Repertoire
selbst. Wohl war der Spielmann bestrebt, das Lied so vorzutragen, wie er
es von dem Autor mündlich empfangen hatte.
Die Autoren verwahren sich gegen die ungenaue und entstellte Wieder-
gabe ihrer Lieder; so erklärt Guiraut de Bornelh in seinem Lied B. Gr.
242.4 Vers 51/52:

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Die Repertoire- Theorie 107

Volgra trobar qui · m portes


Mo sonet e no · m mudes.

Ich möchte jemand finden, der mir mein Lied dorthin brächte und
nichts daran änderte.
Oder in dem Lied B. Gr. 242.79 Vers 53/54:
Vai donc, e si · t prec de chan
Que no · 1 peiurs.
So gehe denn, und was den Gesang anbetrifft, so bitte ich dich, ihn
nicht zu verderben.
Ähnlich sprechen sich Marcabru in B. Gr. 293.9 Vers 4 und Peire
d'Alvernhe in B. Gr. 323.10 Vers 6 aus.
Doch wie leicht konnten sich im Laufe der Zeit kleinere und auch
größere musikalische wie textliche Abweichungen einstellen, die sich all-
mählich aus dem häufigen Vortrag, vielleicht als Verbesserungen oder
als von den Zuhörern erwünschte Änderungen, ergaben.
Bei Rayn. 480 A la douçour des oiseaus
Dont refraignent li buisson
liegt ein solcher Fall vor. Der Ausdruck la douçour des oiseaus muß unge-
wöhnlich gewesen sein. Man verband douçour in der Lyrik gern mit der
Jahreszeit, la douce saison und ähnliche Ausdrücke begegnen unendlich
oft. Gelegentlich wird douçour auch bei Personen im Sinne von Milde,
Freundlichkeit oder Mitleid und Erbarmen angewendet. Aber von
Vögeln scheint der Ausdruck wenig gebräuchlich gewesen zu sein. Jeden-
falls zeigt die Hs. K, wie ein menestrel ihn sich auf seine Weise, wenn
auch nicht ganz glücklich, zurecht gemacht hat:

forftirr?! irr ifffîirMii Prir irrer? ι


Α ία dou-çour dont li oi - seaus Re-fnai-gnentd lî buis -son

Die Lieblichkeit sieht er lieber auf die Jahreszeit als auf die Vögel
bezogen.
Hs. Ν stolpert ebenfalls über den Ausdruck douçour; sie schreibt
douconcor, was allerdings keinen Sinn ergibt, aber darauf hinweist, daß
auch in der Vorlage an dieser Stelle etwas nicht in Ordnung war.
Die Hs. Τ ersetzt den ungewöhnlichen Ausdruck douçour durch joie und
bringt die Lesart :

l ;trrfQ_'rff
ga I I l| I 1I IΙ[1f1μfΓμIM
ΙγΓΓΓγ
U I IIIM
I I Ul| II III i|Ire Iιr?''JI iBl| Ir I r? I 1 e ? ι 1 ''J ΓΓΤ^ iB
A la joi-e des oi - siaus Ke re - frai-gnent li buis- son

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
108 Friedrich Gennrich: Die Repertoire- Theorie

Mit joie paßt sich der Text weit besser der Melodie an als mit douçour,
denn nun fällt der Wortakzent auf einen betonten Taktteil, was bei dou-
çour nicht der Fall ist.
Das Repertoire, aus dem die Hs. Ο schöpft, findet einen anderen Aus-
weg aus der unbefriedigenden in Hs. Κ und Ν vorliegenden Fassung.
Hier wird den Hauptbegriffen des Verses, den Wörtern douçour und
oiseaus ihre natürliche Wortbetonung belassen und folgendermaßen
rhythmisiert :

Α Ια dou -cour des oi - seaus Dontre-frai-gnent li bois- son

Die Melodie ist durch kleine Erweiterungen (ΓΊ) geschickt zurecht-


gemacht, sie hat sogar insofern gewonnen, als die nicht gerade glückliche
Wiederholung der Töne über joie bzw. fraignent in den anderen Hss. ver-
mieden wird.
Trotzdem scheint in Hs. X die der authentischen Fassung am nächsten
kommende Version vorzuliegen:

ftirfr iffrirr ifffriirPrir fr irr iH£


β

A La dou-çour des ol - seaus Dont re-frai-gnent u buis-son

Douçour im Sinne von Heiterkeit, Munterkeit der Vögel, von der der
Busch wiederhallt, dürfte wohl der Intention des Autors gemäß sein.
Die Verschiedenheit der Redaktionen, die wir hier beobachten und die
gewiß nicht vom Autor herrührt, kann nicht von einer schriftlichen Vor-
lage ausgegangen sein; es bliebe unersichtlich, warum die Abschreiber
von ihrer authentischen Vorlage hätten solchermaßen abweichen sollen.
Veränderungen dieser Art entstehen durch mündliche Tradition. So sehr
auch die Spielleute bestrebt gewesen sein mochten, die authentische
Fassung zu respektieren, in der Epoche der mündlichen Weitergabe
waren die Lieder Veränderungen aller Art ausgesetzt. Eine Unmenge von
Varianten lassen sich zwanglos auf diese Weise erklären. Sie sind Er-
scheinungen, wie sie J. Bédier für den «Lai de l'Ombre» festgestellt hat:
bessere und schlechtere Redaktionen desselben Liedes, Resultate der
mündlichen Überlieferung. Diese ist es - nicht die Liederblätter - ,
die am Anfang der weitaus größten Zahl der volkssprachigen literarischen
Denkmäler steht. Die Repertoire der Spielleute waren die Becken, in
denen die volkssprachige Liedproduktion des Mittelalters zusammenfloß.

This content downloaded from


5.170.241.170 on Sun, 22 May 2022 13:04:46 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms

Das könnte Ihnen auch gefallen