Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide
range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and
facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact support@jstor.org.
Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at
https://about.jstor.org/terms
Franz Steiner Verlag is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to
Zeitschrift für französische Sprache und Literatur
DIE REPERTOIRE-THEORIE
von Friedbich Gennrich, Frankfurt/M.
1 j · *
1 x ■ ■ * * ■ ι- 1 η "■ "■ Λ
^ ' tiu ^vSaK CuumeRveeaíuttkla η ^iir
0 C ' 'Λ ih'M ■ 1T» η :
{luíar^autiSòonieftreloLn^elaL geur
ir t η fr a»ê ■ ■ ■
r ι "* ι ι ^ ^ Ί ι ι ~
p c ^ ^ ■ *+« - * " ■ ■ ^ ft ^
ce meftaiiis cô eftre W<£ i)e la <5wcc
ce
c
ce itiefcamÇcoiîiiîbteloI^^elaLjgeKt
A Narbona, m
Sia · l prezens
Mos vers, e vu
• M sia guiren
Tornada : Mon Esteve, mas ieu ά,ο · i vau
Sia · l prezens
Mos vers e vuelh que d'aquest lau
Sia guirens. *■
In Lied Β. Gr. 262.2 von Jaufré Rudel finden wir:
Letzte Strophe: Ver ditz qui m'apella lechay
Ni deziron d'amor de lonh,
Car nulhs autres joys tan no · m play
Cum jauzimens d'amor de lonh.
Mas so qu'ieu vuelh m'es atahis.
Qu'enaissi · m fadet mos pairis
Qu'ieu ames e no fos amatz.
Tornada : Mas so quHeu vuoill m'es atahis.
Totz sia mauditz lo pairis
Que - m fadet qu'ieu non fos amatz ! 2
Bei Marcabru lauten die letzte Strophe und die Tornada in B. Gr. 293.8 :
Letzte Strophe : Guianna ! cridon en Peitau.
Valia dissend contr'avau !
E qui d'escaravaich fai guit
En avol luoc perpren ostau.
Tornada : Per so, son Angevin aunit,
E qui d'escarabot fai guit
En avol loc perpren ostau.
Auch bei Bernart von Ventadorn noch finden wir diese Technik ver-
treten, etwa in dem Lied B. Gr. 70.25:
Letzte Strophe : Ε vilania fai
Qui · η mou mo coratge
Ni d'aire · m met en plai,
Car melhor messatge
En tot lo mon no · η ai,
Ε man lo · lh ostatge
Entro qu'eu torn de sai.
Tornada: Domna, mo coratge,
• L melhor amie qu'eu ai,
Vos man en ostatge
Entro qu'eu torn de sai.
Bei Vorhandensein von 2 Tornaden beschränkt Bernar
wiederholung auf die Tornaden, bezieht also die letzte Stroph
ein.
1. Tornada: Lo vers es fis e naturaus
Ε bos celui qui be Venten;
Ε melhor es, qui · I joi aten.
2. Tornada: Bernartz de Ventadorn Venten
Ε · 1 di e · 1 fai, e · l joi n'aten.2
Sequenz -Typus
1 364.7 Baros de mon dan covit Peire Vidal 14
* Die zweite Tornada ist um 2 Verse kürzer als die erste.
Wohl würde ich, wenn ich einen Boten fände, es ihr melden, aber ich
fürchte, daß sie, wenn ich einen andern darin zum Vermittler mache,
es mir übernehme; denn es ist unangemessen, einen andern je davon
sprechen zu lassen, was man für sich allein geheim halten will2.
Was aber war die Aufgabe des Boten? Wir erfahren es aus dem
Frauendienst von Ulrich von Lichtenstein. Ulrich berichtet, daß ihm
seine Dame eine Liedmelodie durch einen Boten habe nach Bozen über-
bringen lassen mit dem Auftrag, auf diese in Deutschland unbekannte
Melodie ein Lied in deutscher Sprache zu dichten. Es heißt da:
Iu hat min vrouwe hergesant
Bî mir ein wîs diu unbekant
Ist in tiutschen landen gar
Warum lernte Ulrich diu wise an der stat ? Doch deshalb, weil sie nicht
aufgezeichnet war, sondern von dem „Boten" ihm vorgesungen wurde
und zwar so oft, bis er sie konnte.
Aufgabe des Boten war es also, ihm vorgesungene Lieder mündlich zu
überbringen. Diese Tatsache wird auch durch prov. Belege erhärtet. So
lesen wir in dem Lied B. Gr. 262.5 von Jaufré Rudel in der letzten
Strophe :
Senes breu de pergamina
Tramet lo vers, que chantam
En plana lengua romana
A · η Hugo Bru par Filhol. x
Ohne breu de pergamina, ohne Liederblatt übersende ich das Lied,
Herrn Hugo Bru durch Filhol, den messatger.
Bernart von Ventadorn erteilt in B. Gr. 70.33 seinem messatger den
Auftrag, sein Lied vor der Königin der Normandie zu singen :
Huguet, mos cortes messatgers,
Chantatz ma chanso volonters
A la rëina dels Normans.2
In Β. Gr. 70.18 gibt er dem Boten die Weisung, die Dame das Lied zu
lehren:
Messatger, mot me täina
Car tost non est lai.
Viatz ven e viatz vai
Mas la chanso lh' ensenha.8
Gröber ist der Ansicht, daß „die Verbreitung neuer Lieder nur an der
Hand von Niederschriften erfolgt sei", mit anderen Worten: er nimmt
eine kontinuierliche schriftliche Tradition an. Unter solcher Voraus-
setzung lassen sich wohl orthographische Divergenzen und Schreiberirr-
tümer erklären; es kann vorkommen, daß der Abschreiber Wörter, ja,
ganze Zeilen übersieht, oder daß er ζ. Β. die Reihenfolge von Wörtern
oder sogar Versen verändert - z. B. stellt die Hs. G (= Mailand, Bibl.
1 A. Jeanroy, Les Chansons de Jaufré Rudel, in „Les Classiques français
du Moyen âge" Nr. 15, Paris (1915) 5.
2 C. Appel, Bernart von Ventadorn, Halle (1915) 197.
3 ebenda 105.
der Erfolg nicht versagt bleibt, denn Durmar li Galois teilt mit :
9813 Et cil qui set dire beaz dis,
I est molt volontiers öis.
Wie sehr man auf Unterhaltung erpicht war, geht aus der „Naissance
du Chevalier au Cygne" hervor, wo es heißt:
3180 Et quant la nuis se prist un poi a esconser,
Cascuns fait devant lui un grant cierge alumer.
La Vie Saint Morise lor conta un jogler.
Ceste cansons dura dés ci qu'a l'aj orner,
Et il furent molt prest d'öir et d'escouter.
Uns interessiert vor allem das Repertoire des Berufssängers; es gab
Spielleute, die sich auf ein rein musikalisches Repertoire beschränkten.
Eine Stelle aus dem „Brut" von Wace:
10823 Mult ot a la cort juglëors,
Chantëors, estrumantëors ;
Mult poissiés öir chançons,
Rotruanges et noviaus sons.
Wir hören es auch aus dem Munde eines Autors selbst, von Jacque
de Cambrai in Rayn. 602 :
Rotrowange novele
Dirai, et bone et bele,
De la virge pucele.
daß er mit Neuem aufwarten will.
Aus all diesen Stellen geht hervor, daß die Zuhörer anspruchsvoll
waren, daß sie immer wieder neue Lieder hören wollten. Das berichtet
auch die „Chronique de Saint-Denis' ' :
II avaient aucune foiz que juglëor, enchantëor, goliardois et autres
manières de menesterieus s'assemblent aus corz des princes et des barons
et des riches homes, et sert chascuns de son mestier au mieuz et au plus
apertement que il puet, pour avoir dons ou robes ou autres joiaus, et
chantent et content noviaus motez et noviaus diz, et risies de diverses
guises.
Fassen wir zusammen, was sich über das Repertoire der Spielleute aus
den zitierten Stellen ergibt :
Das Spielmanns-Repertoire war keine abgeschlossene, sondern eine sich
fortwährend ändernde und erneuernde Sammlung von Liedern, Musik-
stücken, deren Grundstock behebte, immer wieder verlangte Stücke
umfaßte. Ungeeignete, veraltete, wenig begehrte Nummern wurden
ausgeschieden, während neue sich auf der Vortragsreise erst be-
währen mußten, um gegebenenfalls in den festen Bestand eingereiht zu
werden.
Ich möchte jemand finden, der mir mein Lied dorthin brächte und
nichts daran änderte.
Oder in dem Lied B. Gr. 242.79 Vers 53/54:
Vai donc, e si · t prec de chan
Que no · 1 peiurs.
So gehe denn, und was den Gesang anbetrifft, so bitte ich dich, ihn
nicht zu verderben.
Ähnlich sprechen sich Marcabru in B. Gr. 293.9 Vers 4 und Peire
d'Alvernhe in B. Gr. 323.10 Vers 6 aus.
Doch wie leicht konnten sich im Laufe der Zeit kleinere und auch
größere musikalische wie textliche Abweichungen einstellen, die sich all-
mählich aus dem häufigen Vortrag, vielleicht als Verbesserungen oder
als von den Zuhörern erwünschte Änderungen, ergaben.
Bei Rayn. 480 A la douçour des oiseaus
Dont refraignent li buisson
liegt ein solcher Fall vor. Der Ausdruck la douçour des oiseaus muß unge-
wöhnlich gewesen sein. Man verband douçour in der Lyrik gern mit der
Jahreszeit, la douce saison und ähnliche Ausdrücke begegnen unendlich
oft. Gelegentlich wird douçour auch bei Personen im Sinne von Milde,
Freundlichkeit oder Mitleid und Erbarmen angewendet. Aber von
Vögeln scheint der Ausdruck wenig gebräuchlich gewesen zu sein. Jeden-
falls zeigt die Hs. K, wie ein menestrel ihn sich auf seine Weise, wenn
auch nicht ganz glücklich, zurecht gemacht hat:
Die Lieblichkeit sieht er lieber auf die Jahreszeit als auf die Vögel
bezogen.
Hs. Ν stolpert ebenfalls über den Ausdruck douçour; sie schreibt
douconcor, was allerdings keinen Sinn ergibt, aber darauf hinweist, daß
auch in der Vorlage an dieser Stelle etwas nicht in Ordnung war.
Die Hs. Τ ersetzt den ungewöhnlichen Ausdruck douçour durch joie und
bringt die Lesart :
l ;trrfQ_'rff
ga I I l| I 1I IΙ[1f1μfΓμIM
ΙγΓΓΓγ
U I IIIM
I I Ul| II III i|Ire Iιr?''JI iBl| Ir I r? I 1 e ? ι 1 ''J ΓΓΤ^ iB
A la joi-e des oi - siaus Ke re - frai-gnent li buis- son
Mit joie paßt sich der Text weit besser der Melodie an als mit douçour,
denn nun fällt der Wortakzent auf einen betonten Taktteil, was bei dou-
çour nicht der Fall ist.
Das Repertoire, aus dem die Hs. Ο schöpft, findet einen anderen Aus-
weg aus der unbefriedigenden in Hs. Κ und Ν vorliegenden Fassung.
Hier wird den Hauptbegriffen des Verses, den Wörtern douçour und
oiseaus ihre natürliche Wortbetonung belassen und folgendermaßen
rhythmisiert :
Douçour im Sinne von Heiterkeit, Munterkeit der Vögel, von der der
Busch wiederhallt, dürfte wohl der Intention des Autors gemäß sein.
Die Verschiedenheit der Redaktionen, die wir hier beobachten und die
gewiß nicht vom Autor herrührt, kann nicht von einer schriftlichen Vor-
lage ausgegangen sein; es bliebe unersichtlich, warum die Abschreiber
von ihrer authentischen Vorlage hätten solchermaßen abweichen sollen.
Veränderungen dieser Art entstehen durch mündliche Tradition. So sehr
auch die Spielleute bestrebt gewesen sein mochten, die authentische
Fassung zu respektieren, in der Epoche der mündlichen Weitergabe
waren die Lieder Veränderungen aller Art ausgesetzt. Eine Unmenge von
Varianten lassen sich zwanglos auf diese Weise erklären. Sie sind Er-
scheinungen, wie sie J. Bédier für den «Lai de l'Ombre» festgestellt hat:
bessere und schlechtere Redaktionen desselben Liedes, Resultate der
mündlichen Überlieferung. Diese ist es - nicht die Liederblätter - ,
die am Anfang der weitaus größten Zahl der volkssprachigen literarischen
Denkmäler steht. Die Repertoire der Spielleute waren die Becken, in
denen die volkssprachige Liedproduktion des Mittelalters zusammenfloß.