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Anna-Konstantia Poberschin, 9/2

„Jeder Mensch sollte sich zumindest ein Mal im Leben mit dem Thema
Organspende auseinandersetzen.“ (Jens Spahn)
9200 Menschen warten momentan in Deutschland auf ein potentiell
lebensrettendes Spenderorgan. 2020 gab es im Kontrast zu dieser hohen Zahl
nur 913 Spender, deren Organe transplantiert werden konnten. In Spanien gab
es 2017 46,9 Spender pro eine Million Einwohner, während die Zahl in
Deutschland bei nur 9,3 lag. Die riesige Differenz der Statistiken zeigt auf: Wir
stehen vor einem großen, ethischen Problem. Das Lebensinteresse des
Organempfängers steht im Konflikt mit den fehlenden Organspendern. Wie
gehen andere Länder damit um, und sollte es zur Lösung dieses Problems eine
Pflicht für jeden Bürger geben, seine Organe zu spenden?
Zur Regelung der Organspende gibt es momentan in Europa vier Modelle:
Die erweiterte Zustimmungslösung, bis 2012 auch in Deutschland vertreten -
Eine Person muss sich ausdrücklich für eine Organspende entscheiden, sonst
ist sie kein Spender. Angehörige können nach dem Tod die Entscheidung für
den Toten treffen, wenn er es nicht selbst tat.
Die Entscheidungslösung - in Deutschland vertreten, der Staat unterstützt und
empfiehlt hier die Entscheidung der Bürger.
Die Widerspruchslösung ist Spaniens Erfolgsgeschichte. Sie ist die in Europa
am weitesten verbreitete Lösung, und wurde auch in Deutschland unter dem
Gesundheitsminister Jens Spahn diskutiert. Hier ist jeder automatisch
Organspender, wenn er nicht widerspricht.
Und letztlich gibt es die erweiterte Widerspruchslösung. Dasselbe Prinzip gilt,
nur können Angehörige nach dem Tod einer Organentnahme widersprechen.
Eine Pflicht der Organspende stand nie zur Wahl, und wurde nie diskutiert, doch
als von Deutschland die Widerspruchslösung eine Option war, wurden
verschiedene Meinungen geäußert:
"Das missachtet unseren gesellschaftlichen Konsens, dass Schweigen niemals
als Zustimmung gewertet werden kann."
Die FDP-Abgeordnete Christine Aschenberg-Dugnus spielt mit diesem Zitat
unter Anderem auf das Verfügen der Entscheidungsfreiheit über den eigenen
Körper an.
Anna-Konstantia Poberschin, 9/2

In diesem Kontext wird die Widerspruchslösung manchmal mit Abtreibung oder


gar Vergewaltigung verglichen und dadurch wird der Sachverhalt abgetan.
Begründet wird der Vergleich mit dem Slogan „my body, my choice“ (mein
Körper, meine Wahl). Hier muss man differenzieren: Wir vergleichen lebendige
Menschen mit einem Bewusstsein, Wünschen und Bedürfnissen sowie einer
Zukunft, dessen Zuwiderhandlungen zu Traumata, jahrelanger nötiger Therapie
aufgrund von Störungen wie der Posttraumatischen Belastungsstörung führen
könnten, und in keinster Weise einen Mehrwert bringen, mit klinisch toten
Menschen - Körper ohne Wünsche, Bedürfnisse oder Bewusstsein, aber mit der
Fähigkeit, Leben verlängern und retten zu können. Das implizieren der
Möglichkeit des Vergleichs zwischen diesen verschiedenen Situationen ist nicht
angemessen und sollte unterlassen werden.
Schweigen darf nicht als Zustimmung gewertet werden, das ist wahr und das
Zitat zeigt auf, dass eine Pflicht der Organspende für jeden Bürger undenkbar
ist. Diese These lässt sich allein mit dem Grundgesetz §2(2) belegen.
(2) „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit
der Person ist unverletzlich.“
Das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist durch das Grundgesetz nicht auf
die körperliche Unversehrtheit vor dem Tod beschränkt. Eine Pflicht zur
Organspende darf es nicht geben, da eine Demokratie durch
Entscheidungsfreiheit, Selbstbestimmung und Individualität gekennzeichnet ist.
Auch §4(2) widerspricht einer solchen Regelung.
(2) „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“
Schon die Alten Ägypter glaubten, das Herz sei der Sitz des Wissens, und
würde gebraucht werden, um im Jenseits vor dem Totengericht das Herz gegen
eine Feder zu wiegen, um zu beweisen, dass der Tote ein reines Herz habe und
nicht in die Verdammnis gehöre.
Dieses Beispiel zeigt die Unvereinbarung des Gesetzes mit der Pflicht zur
Organspende erneut auf. In der Antike sowie heutzutage gibt es Religionen, in
denen die Organspende nicht befürwortet wird oder nicht stattfinden darf. Ein
Beispiel ist der Shintoismus. Hauptsächlich in Japan vertreten, verbietet die
Religion mit dem Wert der Reinheit die Organspende, weil nur ein unversehrter
Anna-Konstantia Poberschin, 9/2

Leichnam eine Wiedergeburt ermöglichen würde. Ebenfalls muss der tote


Körper nach der Lehre des Konfuzius rein bleiben. Würde man die Anhänger
dieser Religionen zwingen, ihre Organe zu spenden, würde dies gegen das
Grundgesetz §4(2) verstoßen.
Die Praktiken der Alten Ägypter beweisen jedoch, dass auch sie also bereits
wussten, dass die Organe der Ort sind, wo der Verwesungsprozess beginnt.
Bakterien und Pilze befallen den Körper und zersetzen ihn.
Es gibt Gründe, warum Menschen keine Organspender sein möchten, und das
müssen wir tolerieren. Religion, Krankheiten und andere Bedenken spielen eine
Rolle. Viele Menschen haben Angst vor der Vorstellung, ihr Körper würde
instrumentalisiert und „aufgeschlitzt“ werden. Auch die Angst vor Nadeln,
Messern und ähnlichem bewegen viele dazu, keine Spender zu werden. Ängste
sind nicht rational, und nicht mit dem Verstand zu begreifen. Eine Pflicht ist also
außer Frage.
Allerdings gibt es andere Lösungsansätze. Wenn wir die Menschen dazu
bewegen könnten, sich nur zu entscheiden, wären die größten Probleme
beseitigt. Vielen Menschen trotzt ihr Komfort gegen eine Anteilnahme. Sie sind
nicht gezwungen, sich diesem Thema überhaupt zu widmen. Sie können es
einfach ignorieren - aus den Augen, aus dem Sinn.
Wären wir zu einer Entscheidung gezwungen, oder wenigstens ermutigt, würden
sich viel mehr Menschen, die dem Thema bis jetzt privilegiert aus dem Weg
gegangen sind, dafür entscheiden, Organspender zu werden.
Darum gibt es Stimmen, die sagen, die Entscheidung gehöre auf den
Personalausweis oder auf einen anderen amtlichen Identitätsnachweis. Dies ist
ab dem vollendeten 16. Lebensjahr Pflicht. Gegenstimmen werden laut, sagen,
dann wäre die Entscheidung kaum veränderbar. Also gibt es Vorschläge, sich
bei der Beantragung eines Ausweises erstmalig zu entscheiden, ob man
Spender sein möchte oder nicht. Das würde nicht auf dem Ausweis
festgehalten, sondern nur als Information, die jeden Moment änderbar wäre, im
System gespeichert werden. Die Entscheidung ist das, was den Unterschied
macht.
Anna-Konstantia Poberschin, 9/2

Würde man selbst, im Falle der Notwendigkeit aufgrund von Lebensgefahr, auf
das Organ eines Spenders zurückgreifen? Kann man es moralisch
verantworten, diesen Fall zu bejahen, aber dennoch kein Spender zu sein? Gilt
die Goldene Regel, die unsere Gemeinschaft zusammenhält, nicht auch im
Bezug auf Organspende? „Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg' auch
keinem andern zu.“- Wenn du nicht möchtest, dass dir im Notfall keine Hilfe
entgegengebracht werden kann, dann sorge dafür, dass Andere nicht in dieser
Lage sind.
Des Weiteren entlastet eine Entscheidung die Angehörigen. Hat man zu
Lebzeiten nirgendwo festgehalten, ob man Organspender ist oder nicht, dann
wird diese Last zusätzlich zur Planung der Bestattung, den Formalien und der
psychischen Belastung des Todes, den trauernden Angehörigen aufgetragen.
Mit einer Entscheidung macht man es Ihnen zumindest etwas einfacher.
Letztlich gibt es keinen Grund, keine Entscheidung zu treffen. Es gibt
verständliche Gründe, weshalb eine Organspende nicht erwünscht ist. Aber es
gibt keine verständlichen Gründe, warum eine Person keine Verantwortung
übernehmen kann und die Entscheidung nicht treffen kann, ob er Spender ist
oder nicht. Eine Entscheidung zu treffen braucht etwas Recherche, doch dann
reicht es aus, beispielsweise einen unterschriebenen Zettel in sein
Portemonnaie zu legen, auf dem der Wunsch steht. Oder es wird ein
Organspendeausweis einfach von zuhause ausgedruckt und unterschrieben.
Damit ist so gut wie kein Aufwand verbunden und die Daten werden nirgendwo
festgehalten, weswegen die Entscheidung jederzeit änderbar ist.
Zusammenfassend lässt sich sagen, wie bei vielen scheinbaren Aporien der
Menschheit hakt es noch immer an der Aufklärung. Wüssten die Menschen, wie
einfach es ist, an einen Organspendeausweis zu kommen oder einfach einmal
mit der Familie über das Thema zu sprechen, wären die 9200 Patienten auf der
Warteliste um ein Vielfaches weniger.
Wir brauchen Bildung an Schulen und Universitäten, die auf die Problematik
aufmerksam machen und sie diskutieren. Jeder Diskurs ist ein Schritt zur
Lösung des Problems der fehlenden Organe.
Anna-Konstantia Poberschin, 9/2

Ich selbst habe mich im Laufe meiner Recherche zu diesem Thema


entschieden, wie man mit mir nach meinem Tod verfahren sollte, und habe
meiner Familie diese Entscheidung mitgeteilt. Die Auseinandersetzung mit dem
eigenen Tod ist für viele beängstigend, doch damit andere nicht mehr mit dem
Wissen, dass sie ohne Spenderorgan bald tatsächlich sterben werden, über
ihren Tod nachdenken müssen, sind wir dafür verantwortlich, uns wenigstens
einmalig mit unserem Ende zu befassen. Dieses liegt für die meisten von uns
noch weit in der Zukunft, die andere aufgrund von unserer Trägheit nicht mehr
erleben werden. Die Veränderung liegt in unseren Händen und in unserem
Gewissen. Das Ziel sollte keine Verpflichtung zur Organspende sein, sondern
die Menschen dazu zu bewegen, aufgrund der eigenen Anteilnahme, der
eigenen Empathie und ihres Mitgefühls eine Entscheidung treffen zu wollen, und
in der Lage zu sein, diese vor sich selbst zu rechtfertigen. Letztlich lasse ich
noch einmal Jens Spahn für mich sprechen:
„Ich finde, dass das Recht auf Leben mehr wert ist, als das Recht, einer
Entscheidung aus dem Weg zu gehen.“
Anna-Konstantia Poberschin, 9/2

https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/geschichte/artikel/totengericht-und-
totenbuch#

https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/medizin/organverpflanzung/
pwiereligioesepositionenzurorganspende100.html

https://www.bpb.de/themen/medien-journalismus/netzdebatte/285361/
organspenderegelungen-in-europa/

https://www.sueddeutsche.de/politik/bundestag-zitate-in-der-debatte-zur-
organspende-im-bundestag-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200116-99-
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