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ISSN 2198-106X
2 LWF Wissen 81
Vorwort
Das Kuratorium »Baum des Jahres« hat für das Jahr 2018 die Edelkastanie zum
Baum des Jahres auserwählt. Aus meiner Sicht eine sehr gute Entscheidung,
denn die Edelkastanie verbindet aufgrund ihrer vielfältigen Facetten sehr ver-
schiedene Bereiche und ist für viele Nutzer besonders interessant. Wegen ih-
rer im Herbst reifenden Früchte war die Esskastanie lange Zeit eine wichtige
Nahrungsquelle der ländlichen Bevölkerung in den Alpentälern der südlichen
Schweiz und in Südtirol. Wegen ihres raschen Wachstums ist sie ein ernst
zu nehmender Waldbaum. Ihr dauerhaftes Holz macht sie zu einem wertvol-
len Rohstofflieferanten. Ihre jahreszeitlich späte, aber reiche Blüte macht sie
zu einer bedeutsamen Bienenweide. Und – da sie aus wärmeren Gebieten in
Südeuropa stammt, stellt sie auch eine interessante Alternativbaumart für den
klimatoleranten Waldumbau in mitteleuropäischen Lagen dar.
Olaf Schmidt
Präsident der Bayerischen Landesanstalt
für Wald und Forstwirtschaft
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Inhaltsverzeichnis
Impressum 2
Vorwort 3
Inhaltsverzeichnis 5
Kurzbeiträge
Der Brotbaum der Bergbauern 30
Edelkastanienhonig – ein besonderer Sortenhonig 54
Ausbreitung der Edelkastanie durch Eichelhäher 62/63
Die Esskastanie in der Volksheilkunde 80/81
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Die Esskastanie (Castanea sativa):
Verwandtschaft, Morphologie und Ökologie
Gregor Aas
Schlüsselwörter: Castanea sativa, Taxonomie, Morpholo- der kühlgemäßigten und subtropischen Zone der
gie, Verbreitung, Ökologie Nordhemisphäre, vom östlichen Nordamerika bis in
die südlichen USA (zwei oder drei Arten), von Süd-
Zusammenfassung: Die Ess- oder Edelkastanie (Castanea europa bis Westasien (nur C. sativa) und in Ostasien
sativa) ist die einzige in Europa heimische Art der Gattung (die restlichen Arten) verbreitet sind. Wichtigstes sys-
Castanea (Fagaceae). Wegen ihrer vielfältigen Nutzungs- tematisches Merkmal aller Esskastanien-Arten ist der
möglichkeiten wurde die Baumart bereits im Altertum zur Reife zwei- bis vierklappig aufspringende, weich
über ihr natürliches Areal (Südeuropa bis Südwestasien) bestachelte Fruchtbecher (die Cupula, Abbildung 12),
hinaus in weiten Teilen West- und Mitteleuropas kultiviert der je nach Art eine oder mehrere Nussfrüchte (Kas-
und ist hier als Archäophyt seit langem fest eingebürgert. tanien) umgibt.
In Deutschland finden sich größere Bestände vor allem in
klimatisch milden Lagen im Südwesten. Dargestellt wer- Castanea dentata, die von ihrer europäischen Verwand-
den wichtige morphologische und reproduktionsbiologi- ten nur sehr schwer zu unterscheidende Amerikani-
sche Eigenschaften sowie die Verbreitung und Ökologie sche Esskastanie (American chestnut, Abbildung 1),
der Art. war bis etwa 1930 als »Waldbaum allerersten Ranges«
(Schenck 1939) eine der wichtigsten und forstlich be-
deutendsten Baumarten im östlichen Nordamerika.
Die Gattung
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Die Esskastanie (Castanea sativa): Verwandtschaft, Morphologie und Ökologie
Morphologie
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Die Esskastanie (Castanea sativa): Verwandtschaft, Morphologie und Ökologie
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Die Esskastanie (Castanea sativa): Verwandtschaft, Morphologie und Ökologie
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Die Esskastanie (Castanea sativa): Verwandtschaft, Morphologie und Ökologie
Verbreitung
Die lange Kultur und die anthropogen geförderte Aus-
breitung von Castanea sativa (sativa bedeutet » an-
gebaute Kulturpflanze«) erschwert es, das natürliche
Areal abzugrenzen (Abbildung 13). Nachweise einer
Kastanienkultur reichen in Italien zurück bis ins Neo-
lithikum (ca. 4.000 v. Chr., Conedera et al. 2016).
Indigen kommt die Esskastanie von der nördlichen
Iberischen Halbinsel über Südfrankreich und weite Tei-
Abbildung 11 (oben): Sommeraspekt einer reichlich le Italiens bis nach Slowenien und vom südlichen Bal-
fruchttragenden Esskastanie Foto: G. Aas kan über das westliche und nördliche Kleinasien bis in
Abbildung 12 (unten): Fruchtstände zur Zeit der Reife den Kaukasus vor. Als Archäophyt fest eingebürgert ist
der Kastanien Foto: G. Aas sie darüber hinaus in Nordwestafrika (z. B. Marokko)
sowie in Süd-, Südost- (v. a. auf dem Balkan) und West-
europa von Frankreich und Belgien bis Südengland.
Früchte zu Boden (Barochorie), über weitere Dis- In Mitteleuropa kommt C. sativa in Teilen der Nord-
tanzen ausgebreitet werden sie zoochor durch Vögel und Westschweiz sowie vor allem entlang der Süd
und Kleinsäuger. Die Samen haben keine endogene alpen, von den Westalpen bis ins östliche Österreich
Keimhemmung und keimen hypogäisch, d. h. die vor. Auch in Deutschland ist die Esskastanie seit der
Keimblätter bleiben in der Frucht und ergrünen nicht. Römerzeit eingebürgert. Größere, sich regenerieren-
Erste sichtbare Assimilationsorgane sind dann die Pri- de Bestände gibt es in den wärmebegünstigten Lagen
märblätter. der Rheinebene, an den Hängen von Nahe, Saar und
Mosel, im westlichen Schwarzwald, im Odenwald und
im Taunus sowie am unteren Main. Umgerechnet auf
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Die Esskastanie (Castanea sativa): Verwandtschaft, Morphologie und Ökologie
Verbreitung
Abbildung 13: Verbreitung von Castanea sativa. Dargestellt ist das natürliche
Areal und die Gebiete mit fest eingebürgerten Vorkommen (verändert nach EUFORGEN)
Reinbestände wächst sie in Deutschland insgesamt C. sativa eine Halbschattbaumart, mit zunehmendem
auf etwa 9.000 ha und damit auf weniger als 0,1 % der Alter nimmt das Lichtbedürfnis zu.
Waldfläche, davon alleine in Baden-Württemberg auf
3.700 ha und in Rheinland-Pfalz auf 3.600 ha (BWI3,
https://bwi.info/). Nördlich und östlich davon kommen Literatur
Esskastanien nur selten und meist als Einzelbäume vor.
Aas, G. (2017): Bäume und Sträucher. Bestimmung wild wach-
sender Gehölze Mitteleuropas vorrangig nach vegetativen
Ökologie Merkmalen. Univ. Bayreuth, 243 S.
Wegen der weiten, anthropogen bedingten, Verbrei-
tung lässt sich die ökologische Nische der Edelkasta- Bartels, H. (1993): Gehölzkunde. Ulmer, 336 S.
nie nur vage beschreiben (Conedera et al. 2016; Gayer
Conedera, M.; Tinner, W.; Krebs, P.; de Rigo, D.; Caudullo, G.
1882; Mayer 1992; Oberdorfer 1994). Aufgrund ihres (2016): Castanea sativa in Europe: distribution, habitat, usage
submediterran-subatlantischen Klimacharakters bean- and threats. In: San-Miguel-Ayanz, J. et al. (eds.): European
sprucht sie ein warmes, wintermildes und vor allem in Atlas of Forest Tree Species. Publ. Off. EU, Luxembourg
der Vegetationszeit ausreichend niederschlagsreiches
Gayer, K. (1882): Der Waldbau. 2. Aufl. Parey, Berlin, 592 S.
Klima. Günstig sind Jahresmitteltemperaturen von
8 °– 14 °C mit einem monatlichen Mittel während der Mayer, H. (1992): Waldbau auf soziologisch-ökologischer
Vegetationszeit von über 10 °C und Jahresniederschlä- Grundlage. 4. Auflage, Fischer, Stuttgart, 522 S.
gen nicht unter 600 – 800 mm. Die Vertikalverbreitung
Oberdorfer, E. (1994): Pflanzensoziologische Exkursionsflora.
erstreckt sich je nach nördlicher Breite und Standort Ulmer, Stuttgart, 1050 S.
von 200 m bis 1.800 m ü. NN. Esskastanien bevorzugen
tiefgründige, gut drainierte, saure bis neutrale Böden Schenck, C. A. (1939): Fremdländische Wald- und Parkbäume.
und meiden kalkhaltige Substrate. Die Ansprüche an 3. Band: Die Laubhölzer. Berlin: Parey, 640 S.
die Nährstoffversorgung sind gering. In der Jugend ist
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Die Esskastanie (Castanea sativa): Verwandtschaft, Morphologie und Ökologie
Gestalt
Bis 35 m hoher, sommergrüner Laubbaum, Brusthöhen- chen in den Achseln von Laubblättern; jede Einzelblüte
durchmesser (BHD) bis 3 m (max. 4 m); im Freistand mit 6 blassgrünen Hüllblättern und ± 12 Staubblättern;
tief angesetzte, weit ausladende, starkastige Krone die weiblichen Blüten zu wenigen (meist 3) von einem
grünen Fruchtbecher umschlossen, nur die ± 6 aufrech-
Triebe ten Narbenäste jeder Blüte sichtbar; die weiblichen
Kräftig, kahl, olivgrün bis braun, v. a. im Bereich der Blütenstände oft am Grunde der männlichen Kätzchen
Knoten ± kantig, mit deutlichen, hellen, punktförmigen oder einzeln in Blattachseln; Bestäubung durch Insekten
Lentizellen oder den Wind
Knospen Früchte
Zweizeilig, an aufrechten Trieben spiralig; ± schief über Reife im Oktober; Nussfrucht (Kastanie) einsamig,
der großen Blattnarbe; ei- bis kegelförmig, mit wenigen 2 – 3 cm lang, mit ledriger, glänzend brauner Frucht
grünlichen bis rötlichen, matt fein behaarten Schuppen schale; bis zur Reife sind jeweils (1–) 3 (–5) Kastanien
vom Fruchtbecher umgeben, dieser kugelig, grün bis
Blätter braungelb, stachelig, etwa 6 – 7 cm groß, öffnet sich zur
Wechselständig, zweizeilig oder an aufrechten Trieben Reife mit 4 Klappen; zwischen den Fruchtständen oft
spiralig; Stiel 1 – 2,5 cm lang; Spreite derb, schmal el- noch die Reste der männlichen Blütenstände sichtbar;
liptisch bis lanzettlich, spitz, 10 – 30 cm lang, am Rand Ausbreitung durch Tiere
buchtig und grannenspitzig gezähnt
Bewurzelung
Rinde Tiefgehende, kräftige Pfahlwurzel mit senkerartigen
Anfangs glatt, olivbraun; Borke graubraun, im Alter tief Seitenwurzeln
längsrissig
Höchstalter
Blüten 400 bis 500 Jahre, in seltenen Fällen bis 1.000 Jahre
Mai und Juni, nach dem Laubaustrieb; einhäusig
verteilt; die männlichen zahlreich, perlschnurartig an Chromosomenzahl
10 – 25 cm langen, aufrechten bis abstehenden Kätz- 2n = 24
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Genetik und Vermehrungsgut der Esskastanie
Karolina Faust und Barbara Fussi
Schlüsselwörter: Esskastanie, Genetik, Anzucht, Saatgut mit geringer genetischer Nähe zur Wildform handelt.
Aufgrund der historischen Bedeutung der Nutzung der
Zusammenfassung: Die Ess- oder Edelkastanie als in histo- Früchte ist anzunehmen, dass in Deutschland haupt-
rischer Zeit in Deutschland eingeführte Baumart unterlag sächlich Zuchtformen verbreitet sind, die streng auf
stets einer starken forstlichen Nutzung. Die wenigen Vor- Merkmale der Fruchtbildung hin selektiert wurden.
kommen unterscheiden sich genetisch daher nur gering. Anders als früher steht heute jedoch die Eigenschaft
Heute steht vor allem die Eigenschaft als ökonomisch als ökonomisch wie ökologisch wertvoller Waldbaum
wie ökologisch wertvoller Waldbaum im Vordergrund. im Vordergrund. Es ist aufgrund der steigenden Be-
Aufgrund der steigenden Bedeutung der Edelkastanie deutung dieser Baumart für den Aufbau klimatoleran-
für den Aufbau klimatoleranter Mischwälder sollte si- ter Mischwälder dringend geboten, frühzeitig sicher-
chergestellt werden, dass das Vermehrungsgut eine hohe zustellen, dass das Vermehrungsgut über die nötige
genetische Diversität aufweist. In Süddeutschland befin- genetische Diversität verfügt.
den sich die meisten Erntebestände in Rheinland-Pfalz. In
Bayern gibt es nur zwei Erntebestände, der Bestand Klin- Auf europäischer Ebene haben die genetischen Unter-
genberg bei Aschaffenburg zeigt eine hohe genetische suchungen zur Edelkastanie in den letzten Jahren zu-
Vielfalt. Seit die Edelkastanie 2003 in das Forstliche Ver- genommen, nachdem die passenden Genmarker ent-
mehrungsgutgesetz aufgenommen und zwei Herkunfts- wickelt wurden. Die genetische Diversität nimmt von
gebiete ausgewiesen wurden, steigt die Erntemenge in Ost nach West kontinuierlich ab. Sie ist in türkischen
Deutschland stetig. Vor allem in Unter- und Mittelfranken und griechischen Vorkommen höher als in Italien und
wird die Edelkastanie derzeit kleinräumig in die Waldbe- Frankreich. Mütterlich vererbte Chloroplastenmarker
stände eingebracht. Das Saatgut der Edelkastanie kann deuten auf mehrere südliche Refugien während der
nicht lange gelagert werden. Saatgutprüfungen zeigten letzten Eiszeit hin. Anpassungsrelevante Merkmale
große Schwankungen bei der Lebensfähigkeit und dem wie Blattaustrieb und Triebabschluss weisen geografi-
Tausendkorngewicht, dementsprechend schwankt auch sche Differenzierungsmuster auf.
die Anzahl der lebenden Keime stark. Insektenbefall
oder Lagerschäden können den Auflauferfolg erheblich Wälder sind Ökosysteme mit großer genetischer Viel-
schmälern. falt. Die Anpassungsfähigkeit eines Waldbestands ist
umso höher, je mehr unterschiedliche Genotypen er
enthält. Aus dem vorhandenen Genpool setzen sich im
Laufe des Anpassungsprozesses diejenigen Genoty-
Genetik pen durch, die unter den jeweiligen Umweltbedingun-
gen überleben und sich erfolgreich fortpflanzen. Zum
Genetische Unterschiede zwischen Edelkastanien- Erhalt der genetischen Variation tragen natürliche Vor-
Herkünften sind bisher in Deutschland nicht be- gänge wie beispielsweise der Austausch von Genen
kannt (Bachmann et al. 2009). Schiffer et al. (2002) fan- innerhalb und zwischen Beständen (Genfluss) bei.
den in ihren Untersuchungen von südwestdeutschen Paarungssystem und Genfluss sind wichtige Faktoren,
Edelkastanien-Vorkommen nur geringe Unterschie- die die genetische Vielfalt einer Art und die räumliche
de zwischen den Beständen. Allerdings unterlag die Struktur dieser Vielfalt bestimmen. Durch Vermehrung
Edelkastanie einer starken historischen Verbreitung geben Waldbäume die in einer Generation vorhande-
und Nutzung über ihre Arealgrenzen hinaus sowie ne genetische Information an die Folgegeneration wei-
züchterischen Eingriffen für Holzerzeugung oder Ma- ter. Durch die Kombination der genetischen Informati-
ronenproduktion (Bottacci 1998). Da der Einfluss des on des Pollens mit der der Samenzelle entstehen neue
Menschen bei dieser Baumart sehr hoch war, wird Genotypen. Die Verbreitung des Pollens und somit der
vermutet, dass es sich bei den heute bestehenden Vor- genetischen Information erfolgt bei der Edelkastanie
kommen um genetisch wenig differenzierte Bestände durch Insekten und Wind. Auch bei der Samenver-
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Genetik und Vermehrungsgut der Esskastanie
breitung kommt es zu Genfluss. Einzelbäume und Be- Kern-DNA wurden 15 Mikrosatellitenmarker getestet,
stände sind daher über Pollen- und Samenausbreitung die alle polymorph waren, mit einem höheren Grad
»genetisch vernetzt«. Mittels Genmarkern kann nach- an Polymorphismus im Vergleich zu den cpSSRs-Mar-
gewiesen werden, ob in einer Population die geneti- kern. Insgesamt wurden 181 verschiedene Allele bei
sche Vielfalt über Generationen erhalten bleibt und 1.042 Individuen identifiziert. Die Anzahl der detektier-
man von einem intakten Genfluss mit Zufallspaarung ten Allele für jeden Genort variierte zwischen 4 und 42
ausgehen kann oder ob Störungen das Paarungsver- mit einem Mittelwert von 5,2 Allelen pro Genort.
halten negativ beeinflussen. Darüber hinaus haben
diese genetischen Untersuchungen hohe praktische In Abbildung 2 werden verschiedene Parameter der
Relevanz, da sie Entscheidungshilfen bieten z. B. bei genetischen Variabilität in süddeutschen Edelkastani-
der Zulassung von Saatguterntebeständen, für die enbeständen dargestellt. Die genetische Vielfalt (Na)
Durchführung von Saatguternten, die Anlage von Sa- reicht in den bayerischen Beständen von 2,4 in Salden-
menplantagen oder von Generhaltungsmaßnahmen burg (BY_SAL) bis 6,8 in Klingenberg (BY_KL). Die
bei seltenen Baumarten und Reliktpopulationen. allelische Vielfalt (A) gibt einen für die Probenanzahl
korrigierten Wert wieder und liegt zwischen 2,7 (BY_
Die Analyseergebnisse von genetischen Untersuchun- SAL) und 5,9 (BY_KL_M). Die genetische Diversität
gen an Edelkastanienbeständen aus Süddeutschland, (Ne) in die die Häufigkeiten der Allele miteinbezogen
Griechenland, Italien, Frankreich und Bosnien-Her- werden, liegt zwischen 2,0 (BY_SAL) und 3,2 (BY_KL).
zegowina mittels molekularer Marker der Chloro- In dem Bestand BW_OB_M wurde die größte Anzahl
plasten-DNA (cpSSRs) und der Kern-DNA (nSSRs) an Allelen die ausschließlich dort vorkommen (soge-
liegen vor. Die Chloroplasten werden, wie bei allen nannte private Allele) gefunden.
Laubbaumarten, mütterlich vererbt und stellen die
haploide Geninformation zur Verfügung. Alle sechs Die Heterozygotie (Gemischterbigkeit) war im Be-
getesteten Chloroplasten-Mikrosatellitenmarker waren stand Klingenberg (BY_KL) am höchsten. Die geneti-
polymorph. Die haploide Vielfalt variierte zwischen sche Variabilität ist dort im Vergleich zu den anderen
0,036 (Kostajnica / Bosnien) und 0,422 (Hortiatis / Grie- süddeutschen Edelkastanienbeständen hoch und liegt
chenland). Die Ergebnisse zeigten eine hohe geneti- im Bereich von Beständen in Bosnien-Herzegowina,
sche Differenzierung der griechischen Bestände im Frankreich und Italien. Im Bestand Klingenberg wur-
Vergleich zu den anderen Edelkastanienbeständen. de zusätzlich zu den Elternbäumen (BY_KL) auch das
Die Kern-DNA-Marker werden als diploid bezeichnet, Mischsaatgut (BY_KL_M) genetisch analysiert. Der ge-
weil sie über Mutter und Vater vererbt werden. Aus der netische Abstand zwischen diesen beiden Kollektiven
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Genetik und Vermehrungsgut der Esskastanie
Genetische Variabilität
genetische Vielfalt (Na) genetische Diversität (Ne) allelische Vielfalt (A) Private Allele Heterozygotie
8
5
Mittelwert
0
BW_OK_M BW_OB_M BY_KL BY_KL_M BY_SAL BY_UF RP_HA RP_AW_M RP_V RP_WT_M RP_WE TH_GR
Bestände
ist mit 3 % sehr gering. Die Werte der genetischen Vari- Reifezeitpunkt der männlichen und weiblichen Blüten
abilität liegen ebenfalls sehr eng beieinander und sind eine Selbstbefruchtung verhindert. Sowohl Wind- als
ein Hinweis auf ein funktionierendes Paarungssystem. auch Insektenbestäubung ist möglich. Dabei zeigt sich
Die genetische Variabilität wird in vollem Umfang auf deutlich ein Übergang zum Pollentransport durch den
die nächste Generation weitergegeben. Wind. Die weiblichen Blüten sind unscheinbarer und
befinden sich an der Basis der Kätzchen. Sie besitzen
Mit Hilfe der Software STRUCTRE wurden mögliche bereits in diesem Stadium ein stacheliges Aussehen.
genetische Gruppierungen der Bestände berechnet. Zur weiteren Samenentwicklung benötigt der Baum
Das Programm schlug zwei Cluster als die wahrschein- ausreichend Wärme und gelegentliche Niederschlä-
lichste Anzahl von Gruppen vor. Dabei umfasste eine ge. Mit der Reife im Oktober öffnet sich der igelartige
südliche Gruppe die Herkünfte aus Griechenland, Fruchtbecher (Cupula) und es fallen ein bis drei Nuss-
Bosnien-Herzegowina, Italien und Frankreich sowie früchte zu Boden. Unter der härteren braunen Samen-
die Herkunft aus Thüringen. Die zweite Gruppe um- schale finden sich zwei große, essbare Keimblätter
fasste alle anderen deutschen Herkünfte. Wird dem des Embryos. Sie sind zusätzlich von einer samtigen
Programm die Bildung mehrerer Cluster ermöglicht, Fruchtschale umgeben (Hahn 2004).
so zeigt sich, dass der Bestand in Thüringen der Her-
kunft »Bratunac« aus Bosnien-Herzegowina sehr ähn- Im Freistand fruktifizieren Edelkastanien erstmals im
lich ist. Alter von 20 bis 30 Jahren, im Waldbestand mit 40 bis
60 Jahren. Alle zwei bis drei Jahre ist mit einer Voll-
mast zu rechnen.
Fruktifikation und vegetative Ausbreitung
Die Zuchtform der Edelkastanie – die großfrüchtige
Während ihrer außergewöhnlich späten Blütezeit von leichter schälbare Maroni – wird hauptsächlich über
Mitte Mai bis Juni benötigt die Esskastanie warme Pfropfung vermehrt. Daneben existieren etliche Ess-
Temperaturen und Trockenheit für eine ausreichende kastanienbestände, die aus Stockausschlag während
Bestäubung. Die 25 – 30 cm langen hellgelben Kätz- der Niederwaldbewirtschaftung entstanden.
chen der männlichen Blüten stehen in auffälligen
Büscheln zusammen und verströmen einen starken
Duft. Zwar befinden sich beide Geschlechter auf dem-
selben Baum, doch wird durch den unterschiedlichen
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Genetik und Vermehrungsgut der Esskastanie
Ernteaufkommen
16.000
Sachsen
Rheinland-Pfalz
14.000
Sachsen-Anhalt
12.000 Hessen
Bayern
Erntemenge in kg
10.000
Baden-Württemberg
8.000 Brandenburg
HKG 808 01 gesamt
6.000
4.000
2.000
0
2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016
Abbildung 3: Ernteaufkommen bei Edelkastanie im Zeitraum 2004 bis 2016 in den Herkunftsgebieten 808 01 und 808 02
Quelle: BLE
Beerntung und Ernteaufkommen Nachdem in Bayern in den Jahren 2010 bis 2013 keine
Beerntung stattfand, steigt die Menge an geerntetem
Die Edelkastanie unterliegt seit 2003 dem Forstver- Saatgut seitdem wieder kontinuierlich an (Abbildung 3).
mehrungsgutgesetz (FoVG). Die Erzeugung und Ver- 2016 wurden in Unterfranken 1.050 kg gesammelt und
marktung von Saat- und Pflanzgut ist nur aus Material 2017 nochmals 1.304 kg.
von zugelassenen Erntebeständen oder Samenplan-
tagen erlaubt. Die deutschen Herkünfte werden nach Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sind die be-
zwei Gebieten unterteilt, dem Norddeutschen Tiefland deutendsten Lieferanten von Saatgut. Dies deckt sich
(808 01) und dem Übrigen Bundesgebiet (808 02). mit der klimatischen Begünstigung einiger Regionen
für den Weinbau. Daneben besitzt Rheinland-Pfalz
Eine Einteilung in nur zwei Herkunftsgebiete gilt als Erntebestände der Kategorie »Geprüft«, die aus Her-
ausreichend, da noch keine weitreichenden Anpas- kunftsversuchen hervorgingen.
sungsvorgänge dieser nicht autochthonen Art erfolg-
ten und die waldbauliche Bedeutung sich auf wenige Die Beerntung erfordert das Auslegen von Netzen,
Regionen beschränkt. Planen oder Tüchern. Sie beginnt mit dem Aufplatzen
der Cupula Anfang Oktober bis Mitte November. Auch
Die Mindestanforderungen für die Zulassung als Ernte- eine Handsammlung ist möglich. Das Eindringen von
bestand in der Kategorie »Ausgewählt« sind: Schwarzwild sollte verhindert werden.
• Mindestalter des Bestandes: 40 Jahre
• Mindestbaumzahl im Bestand: 40 Stück
• bei der Ernte müssen mindestens 20 Bäume Saatgutbehandlung und Anzucht
beerntet werden
• überdurchschnittliche Wipfelschäftigkeit, Gerad- Durch ihren hohen Stärke- und Wassergehalt sind die
schaftigkeit und geringe Wasserreiserbildung Kastanien empfindlich gegenüber Pilzebefall und In-
sektenfraß. Empfohlen wird die Langzeitwässerung
In Süddeutschland befinden sich die meisten Erntebe- zur Konservierung. Das Saatgut wird hierzu für neun
stände in Rheinland-Pfalz, in Bayern gibt es nur zwei Tage in kaltes Wasser getaucht (2 l Wasser für 1 kg
Erntebestände (Bachmann et al. 2009). Sie stehen im Kastanien). Mit Insekten befallene und taube Früch-
Eigentum der Gemeinde Klingenberg / Unterfranken. te werden ausgeschwemmt, da sie leichter sind und
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Genetik und Vermehrungsgut der Esskastanie
an der Oberfläche treiben. Dann dürfen die Kastanien Zukünftiger Bedarf an Vermehrungsgut
abtropfen und oberflächentrocken in perforierten Plas-
tiksäcken oder Sandkisten bei 0 ° bis 2 °C in der Kühl- In Unter- und Mittelfranken wird die Esskastanie in
zelle überwintern. Bei Aufbewahrung im Freien lagert kleinräumigem Umfang in die Waldbestände einge-
man das Saatgut – geschützt gegen Vögel und Mäuse – bracht. In Mittelfranken wurden im Privat- und Kör-
in Sand eingeschichtet an einem kühlen, ausreichend perschaftswald revierweise Pflanzzahlen von 1.000 bis
feuchten Ort. Bei wiederholten Kontrollen müssen fau- 2.000 Stück in den letzten zwei Jahren dokumentiert.
le oder wurmige Früchte aussortiert werden (Bazzigher In Unterfranken werden gelegentlich Kleinflächen bis
et. al 1982; Karopka 2017). 0,3 ha mit Esskastanie bestockt.
Bei der Saatgutprüfung ergibt sich in Abhängigkeit von Wegen der Neigung der Esskastanie zur Ringschäle
der Größe der Früchte ein Tausendkorngewicht von wird in der Regel keine Wertholzerzeugung angestrebt.
3.700 g bis 5.700 g. Ein Kilo Samen enthält 170 bis 270 Vorsichtige Durchforstungen sollen jedoch zumindest
Kastanien. Die Keimprozente betragen meist 65 bis Stammholz der Klasse B auf den Markt bringen. Da-
93 %. Insektenbefall oder Lagerschäden können den bei fällt automatisch Energieholz dieser, in der Jugend
Auflauferfolg aber erheblich schmälern. Aus einem raschwüchsigen Baumart an. Trotz Klimaerwärmung
Kilo Samen können 110 bis 250 Sämlinge entstehen bleiben Verluste durch Spätfröste in der Kulturphase
(Jenner 2018). ein Risiko. Dazu kommt eine latente Bedrohung durch
Schädlinge wie den Kastanienrindenkrebs und die
Esskastanien besitzen keine Keimhemmung. Herbst- Japanische Gallwespe. Der Anbau von Esskastanien
saat ist möglich, jedoch besteht während des Winters wird daher auch künftig nur im bemessenen Umfang
ein hohes Risiko von Fraßverlusten, vor allem durch auf wärmebegünstigten Standorten eine Rolle spielen.
Wildschweine und Mäuse. Aussaatzeitpunkt ist daher Beim Umbau von Kiefernbeständen auf basenarmen
im Regelfall April bis Mai. Empfohlen wird eine Sub Sandböden stellt sie jedoch eine interessante, schat-
stratmischung der Saatbeete aus je einem Drittel Torf, tentolerante Alternative dar. Engpässe bei der Pflan-
Erde und Kompost (Bazzigher et. al 1982). Kalkarme Bö- zenversorgung sind derzeit keine zu erwarten. Bei
den begünstigen die Aufzucht. In Reihensaat werden genügend Altbäumen kann örtlich auch die Naturver-
die Früchte mit der flachen Seite aufliegend 3 bis 5 cm jüngung durch Hähersaat eine Rolle spielen (Albrecht
tief in den Boden gebracht und abgedeckt. Entspre- und Ort 2018), siehe auch Kurzbeitrag Kutscher auf
chend dem Ergebnis der Saatgutprüfung ist mit einem Seite 62/63 in diesem Heft.
Bedarf von 1.000 g bis 1.500 g Samen pro Quadratme-
ter Beet zu rechnen. Nach circa vier bis fünf Wochen
folgt die Keimung. Fortgesetzte Unkraut- und Schäd- Literatur
lingsbekämpfung sichert den Erfolg der Anzucht. Üb-
Hahn, S. (2004): Die Esskastanien – Nahrungsquelle und be-
lich ist ein Verschulen der einjährigen Pflanzen, da die
drohte Naturressource. Books on Demand GmbH Norderstedt
Edelkastanie im ersten Jahr ihre Pfahlwurzel ausbildet.
Bazzigher G.; Lawrenz K. P.; Ritter F. (1982): Vermehrung und
Die Verkaufssortimente reichen von einjährigen Pflan- Aufzucht der Kastanie. Eidgenössische Anstalt für das forst
liche Versuchswesen, Bericht Nr. 240, S.18–19
zen ab einer Höhe von 15 bis 30 cm bis zu 120 bis
150 cm großen Heistern im Sortiment 1+2 (Tabelle 1). Karopka, M. (2017): Schriftliche Mitteilung zu Saatgutbehand-
lung und weiterer Verwendung. Forstliche Versuchsanstalt in
Freiburg, 7.12.2017
18 LWF Wissen 81
Genetik und Vermehrungsgut der Esskastanie
An vollen Büschelzweigen,
Keywords: Sweet Chestnut, genetics, cultivation, seed Geliebte, sieh’ nur hin!
Summary: Sweet chestnut was subject to strong historical
Laß dir die Früchte zeigen
use. The existing provenances in Germany have low ge- Umschalet stachlig grün.
netic differentiation. Today, the main focus is its quality as
a climate-tolerant, economically and ecologically valuable
forest tree. Due to the increasing importance of this tree Sie hängen längst geballet,
species for the development of climate-tolerant mixed Still, unbekannt mit sich,
forests, it should be ensured at an early stage that the
Ein Ast, der schaukelnd wallet
forest reproductive material has a high genetic diversity.
This is given in the Bavarian seed stand »Klingenberg«. Wiegt sie geduldiglich.
In southern Germany, most seed stands are in Rhine-
land-Palatinate, in Bavaria only two seed stands are situa
ted. In Lower and Middle Franconia, sweet chestnut is
Doch immer reift von Innen
currently introduced on a small scale into forest stands. Und schwillt der braune Kern,
Since sweet chestnut was added to the law for forest
Er möchte Luft gewinnen
reproductive material in 2003, the amount of harvested
seeds in Germany has steadily increased. This reflects the Und säh die Sonne gern.
importance of this tree species. The seed of sweet chest-
nut cannot be stored for very long. Seed testing showed
great variability in viability and thousand-seed weight,
Die Schale platzt und nieder
so the number of living germs varies accordingly. Insect Macht er sich freudig los;
infestation or storage damage can significantly reduce So fallen meine Lieder
germination success.
Gehäuft in deinen Schoß.
Foto: abcmedia / Fotolia.de
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Stätten und Facetten einer Kastanienkultur
in Deutschland
Volker André Bouffier
20 LWF Wissen 81
Stätten und Facetten einer Kastanienkultur in Deutschland
kastanie das Landschaftsbild prägt und eine mit ihr und bewährt, so dass er auf Saatgut /Jungpflanzen aus
einhergehende Kastanienkultur hervorgebracht hat dem Elsass zurückgreifen konnte.
(Kastanienwälder, teils terrassierte lichte Kastanien- Im Landesarchiv Speyer ist eine Kostenaufstellung
haine mit Baumveteranen, landschaftstypische Dörr- (paginierte Akte) von der Anlage eines kleinen Kas-
häuser, mit Granitplatten bedeckte »Bienenkörbe« tanienwalds (Abbildung 1) erhalten, die uns zudem
aus hohlen Kastanienstämmen etc.). Vor allem in den Aufschluss über die Lage gibt:
einst armen und unzugänglichen Gebirgsregionen der
französischen Cévennen, wo es an Getreide mangelte,
war sie Bestandteil des Lebens von der Wiege bis zur
Bahre. So ist es zu verstehen, dass einige Autoren wie
runeton-Governatori (1999), Sauvezon und Sunt (2000)
B
und Sauvezon (2003) für bestimmte Regionen in Süd
europa von einer Kastanienzivilisation sprechen.
LWF Wissen 81 21
Stätten und Facetten einer Kastanienkultur in Deutschland
Edelkastanien in großem Stil durch Hofgärtner (Es folgen die Paraphen von 7 Regierungsmitgliedern,
in Oranienstein vermehrt der erste v. Pr[euschen] ist der Regierungspräsident
Schloss Oranienstein bei Diez an der Lahn / Hessen der nassau-oranischen Landesregierung in Dillenburg),
wurde Ende des 17. Jahrhunderts durch Albertine HHStAW Abt. 172, Nr. 1752
Agnes von Nassau-Diez (1634 – 1696), einer Prinzes-
sin von Oranien, erbaut. Von 1815 bis 1888 diente das Die bereits zuvor erwähnten Baumarten Walnuss und
Schloss als Jagd- und Sommersitz der Herzöge von Edelkastanie finden sich heute in / um Oranienstein
Nassau. Eine Gedenktafel am Schloss erinnert an die nicht mehr, jedoch existieren im französichen Garten
Folgenutzung als Königlich-Preußisches Kadettenhaus in Formschnitt gehaltene Kugeln aus Hainbuchen und
Oranienstein von 1868 bis 1920. Heute hat eine Kom- Baumbestand aus Linden und Rosskastanien. Den lin-
mandostelle der Bundeswehr dort ihren Sitz. ken Schlossflügel flankiert eine alte und malerische
Oranienstein war ein Fokus der Gartenkultur für die gewachsene Säulen- oder Pyramiden-Eiche (Quercus
Region. So wurde der Oraniensteiner Hofgärtner ge- robur ›Fastigiata‹). Im englischen Landschaftspark
mäß der unten angefügten Regierungs-Acta beauftragt, fällt vor allem eine Schwarzkiefer (Pinus nigra) ins
»Welschnüsse und zahme Castanien« also Walnuss Auge. Das dendrologisch bemerkenswerteste Gehölz
(Juglans regia) und Edelkastanien (Castanea sativa) des Parks ist jedoch ein amerikanischer Tulpenbaum
zu kultivieren. (Liriodendron tulipifera), der bereits 200 Jahre alt sein
soll. Er befindet sich auf dem Weg vom Gartenkabi-
Regierungs-Acta. nett durch die mit Glyzinien berankten Pergolengänge
Die in hiesigen Landen einzuführende Anpflantzung der nahe dem Blumengarten zum Belvedere, von welchem
Kastanien-Bäume betr. 1781. aus sich ein schöner Blick ins Lahntal bietet.
22 LWF Wissen 81
Stätten und Facetten einer Kastanienkultur in Deutschland
LWF Wissen 81 23
Stätten und Facetten einer Kastanienkultur in Deutschland
24 LWF Wissen 81
Stätten und Facetten einer Kastanienkultur in Deutschland
Abbildung 5a: Edelkastanie (5 m StU) im ehemaligen Abbildung 5b: ... derselbe Baum (7,60 m StU, 2017)
Garten von Oberstleutnant Hübsch (1926), heute in Reimers Garten, Bad Homburg /Hessen
(Quelle: BA DDG II, E, 12) und ... Foto: 5a: BA DDG; 5b: V. A. Bouffier
Ein ehemals berühmter über 200-jähriger Kastanien- dem Herzog von Nassau, besucht. Er berichtet darü-
hain in der Nähe des Jagdschlosses Platte (bei Wiesba- ber in einem Brief vom 8. August 1814 an seine Frau
den), der durch große, weit ausladende Bäume mit tief Christiane: »Gestern war ich in Biebrich zur Tafel, die
ansetzenden Kronen gekennzeichnet war (wie Eichen Herrschaften sehr gnädig und freundlich. Der Gesell-
im Hutewald), ist nach Aufgabe der Bewirtschaftung schaftssaal eine Galerie, man sieht an einer Seite den
durch Pioniergehölze und aufkeimende Edelkastanien Rhein, an der andern den Lustgarten. Es ist völlig ein
schließlich durch seine eigene Verjüngung ausgedun- Märchen. ... Die Vegetation im Garten und Park sehr
kelt und zum Absterben gebracht worden. Die ehe- lebhaft. Platanen von großer Schönheit, so auch baby-
mals obstbauliche Nutzung der gesuchten Früchte ist lonische Weiden von außerordentlicher Größe«.
in eine waldbauliche Bewirtschaftung übergegangen. 1987 wurden dort Edelkastanien-Hochstämme in
Südlich von Wiesbaden, direkt an der Rheinprome- der »Dicken Allee« als Ersatz für die abgängigen Ross-
nade gelegen, erstreckt sich das dreiflügelige, Anfang kastanien gepflanzt. Leider konnte kein einheitlicher
des 18. Jahrhunderts im französischen Orangeriestil Alleencharakter mit Castanea sativa entstehen, da der
erbaute Barockschloss Biebrich. Zusammen mit dem Naturschutz den Erhalt ökologisch wertvoller Rosskas-
umgebenden Park nimmt es eine Fläche von circa tanien-Einzelbäume für wichtiger ansah. Die zwischen
35 ha ein. Das unter Maximilian von Welsch entstande- die Rosskastanien gepflanzten Edelkastanien entwi-
ne barocke Lustschloss mit einer zentralen Rotunde, ckeln sich schlechter, und die alten Rosskastanien
wurde 1734 – 1745 zu einer dreiflügeligen Schlossanla- wirken durch den Befall der Miniermotte wenig vital.
ge erweitert. Ursprünglich war es von einem Barock-
garten umgeben, der ab 1817 durch den Gartenkünst- Niedersachsen
ler F. L. v. Sckell in einen englischen Landschaftspark Die Edelkastanien-Allee im Schlosspark Lütetsburg
umgestaltet wurde. bei Norden wurde nach dem II. Weltkrieg angelegt
Johann Wolfgang von Goethe hat den Schlosspark und ist Teil eines ab dem Ende des 18. Jahrhunderts
vor über 200 Jahren als Gast von Friedrich August, entstandenen dendrologisch wertvollen Landschafts-
LWF Wissen 81 25
Stätten und Facetten einer Kastanienkultur in Deutschland
Abbildung 6: Nach dem II. Weltkrieg angelegte Allee aus Abbildung 7: 200 bis 250-jährige Edelkastanie mit
Edelkastanien, Schlosspark Lütetsburg /Niedersachsen 5,65 m StU (2015), oberhalb von Schloss Schwöbber /
Foto: V. A. Bouffier Niedersachsen Foto: V. A. Bouffier
parks, der für seine Rhododendron- und Azaleenblüte auf dem Weg zur Försterei im Bestand ein etwa 200
bekannt ist. So »hoch im Norden« gedeihen die Edel- bis 250-jähriges Exemplar mit 5,65 m Stammumfang
kastanien noch prächtig! (Abbildung 6). (2015, Abbildung 7).
Im Stadtforstamt Hameln, Revier Heisenküche / We-
serbergland besteht ein (2010) 155-jähriger Bestand Nordrhein-Westfalen
aus Edelkastanien. In Niedersachsen wurde sie spä- Nordrhein-Westfalen hat die größte Anzahl teils über
testens im frühen 17. Jahrhundert durch Otto I. von 200-jähriger Alleen aus Edelkastanien, z. B.
Münchhausen in den Schloss- und Gartenanlagen von • Schloss Dyck (Dreisvogt-Prause 2011),
Schwöbber kultiviert, wo auch eine gelbbunte, pana • bei Hamminkeln (Bouffier 2013a, S. 236),
schierte und heute sehr seltene Ziersorte bekannt war • Haus Roland, Grafenberg bei Düsseldorf,
(siehe Cover der Beiträge zur Gehölzkunde 2009, hrsg. • Bad Honnef bzw. auf dem Drachenfels bei
von der Gesellschaft Deutsches Arboretum e. V.). Königswinter (Bouffier 2014),
C. C. L. Hirschfeld schreibt 1788 im Handbuch der • Alleen in der Bönninghardt (Broecheler 2017),
Fruchtbaumzucht, Erster Theil, S. 95: »Der Kastanien- • mehrere Alleen in und um Aachen
wald bei Schwöbbern, zwischen Hameln und Pyrmont,
trägt reichlich Früchte.« Seite 104: … »sondern ist auch Rheinland-Pfalz
stark gegen die härtesten Winter, die er in den Jahren Viele pfälzische Kastanienhaine, die Julius Wilde (1936)
1709 und 1740 zu Schwöbbern glücklich ausgehalten noch in Wort und Bild beschrieb, gibt es heute nicht
hat, wo die Stämme alle gegen Norden und im schlech- mehr. Sie wurden spätestens nach dem II. Weltkrieg
ten trocknen Lande stehen « … gerodet und in landwirtschaftliche Flächen umgewan-
Vielleicht fanden die Edelkastanien ihren Weg über delt, z. B. der berühmte Kastanienhain in Weisenheim
Schwöbber nach Hameln, Rinteln, Hessisch Olden- am Berg in der damals noch bayerischen Pfalz (Rueß
dorf und Grohnde, wo sich noch heute eine Planta- 1922). Erhalten haben sich nur noch spärliche Rest-
ge befindet. Oberhalb von Schloss Schwöbber steht flächen wie die Kastanienhaine von Freinsheim und
26 LWF Wissen 81
Stätten und Facetten einer Kastanienkultur in Deutschland
Abbildung 8: Edelkastanie am Gläsgesberg bei Trier Abbildung 9: v.l. Castanea sativa (Zwiesel, 4,34 m StU, 2016)
(8,26 m StU, 18.02.2017) mit Martin Westenberger und Castanea dentata (2,61 m StU, bundesweiter Rekord-
Foto: V. A. Bouffier baum der Art), Forstbotanischer Garten, Tharandt /Sachsen
Foto: V. A. Bouffier
Dannenfels (Bouffier 2011a /b). Letzterer ist sicher einer An der Baumschule versammelten wir uns im Juni
der schönsten in Deutschland. 2009 während der Jahrestagung der IG Edelkastanie
Die stärkste Edelkastanie in Trier befindet sich am zu einem Gruppenfoto unter einer weiteren Castanea
Gläsgesberg, hat einen Stammumfang von 8,26 m. Auf sativa, die nach Fröhlich (1989) eine Höhe von 18 m, ei-
alten Fotos scheint sie als Tiefzwiesel zweistämmig nen Stammumfang von 4,50 m und eine Kronenbreite
(Busch 1943, Abbildung 8). von 24 m hatte. 2009 war sie dann 5,03 m stark, und
bei meinem letzten Besuch am 4. Februar 2016 hatte
Sachsen sie 5,17 m Stammumfang erreicht.
Im Forstbotanischen Garten Tharandt sind noch eini- Neben den Vorkommen im Elbtal zwischen Meißen
ge Bäume aus der Gründungszeit (um 1811) erhalten, und Dresden (Radebeul, Haus Kynast, Pillnitz, Gers-
als Johann Heinrich Cotta (1763 – 1844) einem Ruf des dorf etc.) und Miltitz befinden sich in Tharandt die
sächsischen Königs Friedrich August I. nach Tharandt ältesten Edelkastanien Sachsens.
folgte, um hier seine im thüringischen Zillbach ge- Während viele Edelkastanien mit Standorten im
gründete private Forstlehranstalt fortzuführen. sächsischen »Tiefland« den Polarfrösten von 1928 /29
Am Goebel-Weg (Nähe Haupteingang) stehen auf und 1956 /57 zum Opfer fielen, konnten sie sich im
gleicher Höhe nur etwa 8 m voneinander entfernt eine »Bergland« (weniger Kaltluftstau!) mit dem kontinental
Castanea sativa (Zwiesel, 4,34 m StU in 2016, Abbil- geprägten Klima (heiße Sommer, sehr kalte Winter)
dung 9) und ihre amerikanische Verwandte, Castanea »arrangieren«.
dentata (2,61 m StU, bundesweiter Rekordbaum der Art, Im Schlosspark Dresden-Pillnitz, in der Nähe des
drei weitere Exemplare unterhalb am Willkomm-Weg). Englischen Pavillons, sind außergewöhnlich alte Bäu-
Weitere starke Castanea sativa am Steilhang, da me erhalten. So eine Platanus × hispanica (7,96 m StU)
runter ein bewusst am Stammfuß eingesägter Baum. und Castanea sativa (4,62 m StU, 2016), beide um 1780
Danach folgt ein seltener Liriodendron tulipifera gepflanzt.
‚Integrifolia‘.
LWF Wissen 81 27
Stätten und Facetten einer Kastanienkultur in Deutschland
Bouffier, V. A. (2004): Die Edelkastanie (Castanea sativa P. Bouffier, V. A. (2018): Historische und rezente Bäume im Bo-
MILL.) in Hessen – Aspekte einer Kastanien-Kultur unter be- tanischen Garten, am westlichen und östlichen Najadenbrun-
sonderer Berücksichtigung der Vorkommen in Kronberg und nen/Schlossplatz und im Schlosspark in Karlsruhe. MDDG
Oberursel/Vordertaunus. Mitt. Dtsch. Dendrol. Ges. 89: 107–115 103: 9-44
Bouffier, V. A. (2006): Kastanienkultur in Vordertaunus. Ein Bouffier, V. A.; Maurer, W. D. (2009): Germany. In: Avanzato,
einzigartiges kulturhistorisches Erbe. Jahrbuch Hochtaunus D.; Bounous, G. (eds.): Following Chestnut Footprints (Casta-
kreis. Bad Homburg. S. 23–37 nea spp.). Cultivation and Culture, Folklore and History, Tra-
ditions and Uses. Scripta Horticulturae 9. ISHS (International
Society for Horticultural Science), Leuven, Belgium. Pp. 53–62
28 LWF Wissen 81
Stätten und Facetten einer Kastanienkultur in Deutschland
Bouffier, V. A.; Westenberger, M. (2015): 10 Jahre IG Edel Sauvezon, A.; Sauvezon, R. (2003): Les trésors du châtaignier.
kastanie. Exkursion durch die Kestenhaine im Vordertaunus. Pérégrinations à travers les Cévennes, l’Ardèche, la Corse et
In: Jahrbuch Hochtaunuskreis 2016, Bad Homburg, S. 175–179 autres lieux du sud de la France. Les Presses du Languedoc,
Montpellier. 158 pages.
Bouffier, V. A.; Schröder, R.; Roloff, D. (2017): Auf den Spuren
von Hans F. Kammeyer zu alten Bäumen im Schlosspark Dres- Scharff, M. (1995): Der Kammertbau. Zur Rekonstruktion ei-
den-Pillnitz. Mitt. Deutsch. Dendrol. Ges. (MDDG) 102: 301–316 ner historischen Reberziehungsweise in der Pfalz. Verlag der
pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften,
Broecheler, K. (2017): Die Edel-Kastanie – Haus- und Hofbaum Speyer, 234 S.
par excellence auf der Bönninghardt. Beiträge zur Gehölz
kunde 22: 6–18 Wegener, U.; Quitt, H. (1985): Das Kastanienwäldchen bei Wer-
nigerode in historischer und landeskultureller Sicht. Beiträge
Bruneton-Governatori, A. (1999): Le pain de bois. Ethnohistoi- zur Gehölzkunde, Berlin, S. 65–67
re de la châtaignie et du châtaignier. LACOUR-Verlag, Nimes.
533 S. Wilde, J. (1936): Kulturgeschichte der rheinpfälzischen Baum-
welt und ihrer Naturdenkmale, Thieme, Kaiserslautern.
Busch, P. J. (1943): Naturdenkmale. Ein Heimatbuch des Trierer
Raums. Verlag Aurel Bongers, Recklinghausen
Marschalck, M. Frhr. von (1914): Uralte Edelkastanie (mit Abbil- LA = Landesarchiv Speyer, Bestand: B 2, Nr. 408/2
dung S. 276). Kleine Mitteilungen. Mitt. Dtsch. Dendrol. Ges.
Nr. 23: 274
MDDG = Mitteilungen der Deutschen Dendrologischen Gesell- Keywords: Chestnut, chestnut-culture, occurence in
schaft Germany
LWF Wissen 81 29
Der Brotbaum der Bergbauern
Redaktion LWF Wissen
Im 6. Jahrhundert n. Chr. wurde die Kastanie in den wurden die geschlossenen Fruchthüllen zu Gärhaufen
südlichen Teilen der Schweiz die Hauptnahrungsquel- aufgesetzt und mit Stroh, Farnkraut oder Reisig abge-
le der heimischen Bevölkerung. Sie verdrängte sogar deckt (Käser 1932). Unter Sauerstoffmangel setzte der
den Getreide- und zum Teil auch den Weinanbau (Zoller Gärprozess ein, welcher die Haltbarkeit der Früchte
1961). Vor Einführung der Kartoffel und vor den tech- bis zum nächsten Frühling verlängerte (Giacalone und
nischen Fortschritten in der Landwirtschaft wurden Bounous 1993). Dies hatte den Vorteil, dass die frischen
auf den mageren Seitenhängen der Alpen mit der Kas- Früchte länger konserviert blieben, aber gleichzeitig
tanie zwei- bis dreimal mehr Kalorien produziert als die unproduktiven Feinäste abgeschlagen wurden
mit dem Getreideanbau (Pitte 1986). Vorteilhaft waren (Bruneton-Governatori 1984). Um die Kastanien bis im
auch die gute Haltbarkeit der Früchte und die späte darauffolgenden Herbst genießbar zu halten, gab es
Blüte Ende Juni, was die Kastanie vor Spätfrostschä- Sorten, die man in speziellen Dörrhäuschen 18 bis 24
den schützte. Die Kastanien boten somit eine sichere Tage gedörrt und noch warm geschält hat. Aus einem
Ernte und waren deshalb geschätzt. Teil der gedörrten Kastanien – meist aus kleinen oder
gebrochenen Früchten – wurde Mehl hergestellt.
30 LWF Wissen 81
Anbaueignung der Edelkastanie in Deutschland
Eric Andreas Thurm und Richard Heitz
Jahresmittel-Temperatur [°C]
Deutschland, im Vergleich zum mediterranen Raum, der- 15 95
Die Edelkastanie oder auch Esskastanie Castanea der Elbe in Meißen und bis weit hinauf nach Mecklen-
sativa MILL. ist ein typischer Baum des Mittelmeer- burg-Vorpommern (vgl. Abbildung 4 wie auch Bouffier
raums. Ihre Verbreitung erstreckt sich von der Iberi- und Maurer 2009).
schen Halbinsel bis in den Kaukasus. Insgesamt nimmt Die Edelkastanie besitzt trotz ihres mediterranen
die Art 2,5 Millionen Hektar in Europa ein (Conedera Fokus ein relativ großes Verbreitungsgebiet, hinein
2004). Der Schwerpunkt davon befindet sich in Italien auch in die kühleren Bereiche Deutschlands. Dies
(788.000 ha – INFC 2007) und Frankreich (750.000 ha lässt vermuten, dass sie im Klimawandel mit den stei-
– IGN 2016), gefolgt von Spanien (180.000 ha – Vallejo genden Temperaturen und vergleichsweise stabilen
und Sandoval 2013), Portugal (41.000 ha – ICNF) und Niederschlägen zu den Gewinnern gehören könnte.
der Schweiz (21.000 ha – Brändli 2010). Selbst in Groß Dabei könnte sie, wie Abbildung 1 zeigt, die Klima
britannien nehmen Edelkastanienwälder immerhin toleranz und -resilienz von Buchen und Eichenmisch-
noch 10.800 ha ein (Smith und Gilbert 2003). beständen erhöhen. Wie kann jedoch beurteilt wer-
den, ob die Art den erwarteten Ansprüchen überhaupt
Edelkastanie in Deutschland gerecht wird beziehungsweise, wie geeignet diese Art
Auch in Deutschland findet man die Edelkastanie als unter den Klimabedingungen außerhalb ihres Kern-
Waldbaum. Ihr Anteil an der Baumartenzusammenset- verbreitungsgebiets ist?
zung ist derzeit mit ca. 7.500 ha (Bouffier und Maurer
2009) vergleichsweise gering. Bedeutende Vorkom-
men der Edelkastanie befinden sich in der Region Die Herleitung von Anbaueignung
des Oberrheingrabens, am Ostabfall des Pfälzerwal-
des und an den Flüssen Mosel, Saar, Main und Nahe. Die Herleitung der Anbaueignung für eine bis dato
Verstreute Vorkommen von Edelkastanien in Wäldern nicht vorkommende Art oder wie im Fall der Edelkas-
sind jedoch in ganz Deutschland zu finden. So existie- tanie, einer sehr seltenen Art, kann über verschiedene
ren Einzelbestände in den Wäldern des Spessarts, an Ansätze erfolgen:
LWF Wissen 81 31
Anbaueignung der Edelkastanie in Deutschland
A) Häufig wird die Anbaueignung deskriptiv aus Be- Europaweite Artverbreitungsmodellierung der
obachtungen von Experten abgeleitet. Diese beschrei- Edelkastanie
ben zumeist die klimatischen Bedingungen einer Art
in ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet (z. B. Artverbreitungsmodelle – und wie sie funktionieren
Fernández-López und Alía 2003). Anhand der schriftli- Artverbreitungsmodelle versuchen, anhand von Vor-
chen Charakterisierung der Art können dann die ei- kommen und Nicht-Vorkommen einer Art deren Kli-
genen standörtlichen Bedingungen damit verglichen maansprüche abzuleiten. Grundannahme ist dabei
werden, um zu einer Einschätzung der Anbaueignung die Theorie der Ökologischen Nische. Dort wo die
zu kommen. (Schon Plinius der Älter beschreibt sinn- Edelkastanie sehr häufig zu finden ist, befindet sie
gemäß: »Die Edelkastanie meidet vernässte Standorte. sich somit innerhalb ihrer ökologischen Nische. Kli-
Sie braucht lockeren Boden, aber nicht zu sandig, viel- matische und bodenkundliche Gegebenheiten bieten
mehr ein frisches Substrat, einen vulkanaschedurch- ihr gute Bedingungen zur Existenz. Dort wo sie nicht
setzten Boden oder auch ein schluffiges Tuffsubstrat, zu finden ist, sind wahrscheinlich die Standortbedin-
vorzugsweise in schattiger, nordseitiger und recht gungen ungünstig – sie befindet sich außerhalb ihrer
kühler Lage, gerne auch am Hang. Verdichteten Bo- Nische. Dieser Zusammenhang aus Vorkommen und
den mit Grobkies, rote Tonerde, kalkig Substrate und Nicht-Vorkommen in Beziehung zu den standörtli-
jede Art von übermäßigem Nährstoffangebot lehnt sie chen Bedingungen wie z. B. Niederschlag und Tem-
ab.« Plinius der Ältere 77, Übersetzung A. Heitz). Inwieweit peratur kann mit Artverbreitungsmodellen modelliert
damit Aussagen zur Anbaueignung im Klimawandel werden. Die Ausgabegröße ist dann die sogenannte
gemacht werden können, hängt von dem betrachteten »Vorkommenswahrscheinlichkeit« – ein Wert, der sich
Vorkommensgebiet der Art ab. zwischen 0 und 1 befindet. Werte nahe 1 entsprechen
dabei einer sehr hohen Vorkommenswahrscheinlich-
B) Ein anderer Ansatz ist, die Artansprüche über Frei- keit und damit einer hohen Anbaueignung.
landversuche im Interessengebiet zu erproben. Durch Die tatsächlichen Vorkommen einer Art – beson-
die standörtliche Repräsentativität der Versuchsfläche ders bei der Edelkastanie – sind schon länger vom
können somit auch für größere Bereiche (zumeist Menschen geprägt. Besonders die bereits erwähnte
Wuchsgebiete) Anbaueignungen abgeleitet werden. Verbreitung der Edelkastanie in England, aber auch in
Durch die bis dato geringe wirtschaftliche Bedeutung Süddeutschland hängt stark mit der Ausdehnung des
der Edelkastanie in Deutschland finden sich hierzulan- Römischen Reiches zusammen (Conedera et al. 2004).
de nur wenige Versuchsanbauten. Diese sind vornehm- Die Römer griffen somit der natürlichen, nacheiszeit-
lich im süd- und im südwestdeutschen Raum verortet lichen Rückwanderung vor. Dennoch müssen die kli-
(Maurer und Fernández-López 2001) und decken somit matischen Bedingungen geeignet gewesen sein, damit
nicht den gesamten Standortgradienten Deutschlands sich die Edelkastanie etablieren konnte.
ab. Flächige Aussagen für Deutschland sind mit den Der Vorteil dieser vom Menschen beeinflussten
wenigen Versuchsflächen derzeit kaum möglich. Ausbreitung ist, dass die standörtliche Amplitude ei-
ner Art auch über ihr natürliches Verbreitungsgebiet
C) Eine weitere Möglichkeit ist die Modellierung bzw. hinaus ausgetestet wird. Durch Siedler gelangte die
Analyse der Standortansprüche anhand von bereits Edelkastanie beispielsweise auch nach Nord- und Süd-
existierenden Waldbeständen. Dieses Vorgehen hat amerika (Avanzato 2009) und zeigte dort unter verän-
gegenüber der Anlage von Versuchsflächen den Vor- derten Klimabedingungen ihr Potenzial (Unterschied
teil, dass die Standortansprüche einer Art relativ kos- von Real- und Fundamental-Nische).
tengünstig und zeitnah ermittelt werden können. Auf einer großräumigen Skala wie Europa lassen
sich die Standortansprüche durch die unterschiedli-
In diesem Beitrag wurde der zuletzt genannte Ansatz chen Vorkommen und Nicht-Vorkommen relativ gut
angewendet: Um die klimatische Anbaueignung für beschreiben. Auch ermöglichen es die Modelle in
Deutschland besser einschätzen zu können, wurden gewissem Masse das Vorkommen vorherzusagen,
zum einen auf europäischer Ebene das Vorkommen ohne zwingend ein reales Vorkommen zu benötigen.
der Edelkastanie klimatisch modelliert und zum ande- Kommt die Art beispielsweise im Klimabereich von
ren bestehende Vorkommen in Deutschland hinsicht- 7 – 8 °C und 10 – 11 °C sehr häufig vor, fehlt aber der
lich Verbreitung und Höhenwachstum untersucht. Klimabereich von 9 °C gänzlich (bei sonst vergleich-
Beide Ansätze und ihre Verschneidung werden im baren Umweltbedingungen) interpoliert das Modell
Folgenden beschrieben. in diesem Bereich und geht von einer ähnlich hohen
32 LWF Wissen 81
Anbaueignung der Edelkastanie in Deutschland
Vorkommenswahrscheinlichkeit
Abbildung 2: Artverbreitungsmodell der Edelkastanie, dargestellt für Europa mit Hilfe der Worldclim 2.0 Daten.
Die orangen Punkte repräsentieren die in das Vorkommensmodell eingeflossen Vorkommensdaten basierend auf
den Nationalen Inventurdaten der jeweiligen Länder Quelle: Thurm et al. 2018
Vorkommenswahrscheinlichkeit aus. Dieses Muster ist gen, die die Energiezufuhr, den Wasserbedarf und die
beispielsweise dort zu finden, wo Baumarten zuguns- Kälteverträglichkeit beschreiben und trotzdem das
ten der Landwirtschaft auf die wärmeren und kälteren Modell nicht mit unnötigen oder gar gegenläufigen Kli-
Randstandorte weichen mussten. mafaktoren zu überfrachten.
Die Modellierung des Vorkommens durch die Kli-
Das Verbreitungsmodell der Edelkastanie mavariablen erfolgt mit Hilfe eines generalisierten ad-
Das Artverbreitungsmodell, welches im Rahmen des ditiven Modells (abgekürzt GAM). Dieses bietet sich
vom StMELF geförderten Projekts »Seltene heimische an, da es in der Lage ist, biologisch plausible Abhän-
Baumarten und nicht-heimische Baumarten im Klima- gigkeit nachzubilden, wie beispielsweise einen glo-
wandel« an der LWF berechnet wurde, speist seine ckenkurvenartigen Zusammenhang ähnlich dem Ver-
Information über das Vor- und Nicht-Vorkommen der lauf der ökologischen Nische (Abbildung 3).
Edelkastanie aus den Inventurdaten nahezu aller euro- Im Fall der Edelkastanie, bestimmt vor allem die
päischen Länder (Abbildung 2, Thurm et al. 2018). Als maximale Temperatur im Sommer die Verbreitung.
klimatische Variablen zur Modellierung wurden die Gebiete mit zu kalten (< 22 °C) aber auch zu heißen
maximal Temperatur des wärmsten Monats, die Nie- Sommern (> 30 °C) meidet die Edelkastanie. Dabei er-
derschlagmenge im wärmsten Quartal des Jahres und gibt sich die Maximaltemperatur im Sommer aus dem
der Kontinentalitätsindex nach Conrad (1946) herange- 30-jährigen Mittel der durchschnittlichen Monatsmaxi-
zogen. Der Kontinentalitätsindex wurde mit einbezo- ma und ist nicht gleichzusetzen mit der »maximalen«
gen, um in einem gewissen Maße auch der Spätfrost- Maximaltemperatur. Der Niederschlag im wärmsten
gefahr Rechnung zu tragen, die mit der Kontinentalität Vierteljahr wirkt nur in geringem Umfang beschrän-
korreliert ist (vergleiche Winterhärtezonen für Gehölze kend auf die Verbreitung der Art. Niederschlagssum-
aus Roloff und Bärtels 2006). Hinter der Auswahl der men über 200 mm erhöhen hauptsächlich die Eignung:
drei Variablen steht der Gedanke, relevante klimati- je mehr Niederschlag, desto besser. Der Kontinentali-
sche Größen für die Artverbreitung zu berücksichti- tätsindex besitzt wieder einen stärkeren Erklärungs-
LWF Wissen 81 33
Anbaueignung der Edelkastanie in Deutschland
Vorkommenswahrscheinlichkeit
Niederschlag im wärmsten Quartal [mm] Max. Temp. im wärmsten Quartal [°C] Kontinentalität [%]
Vorkommen
BWI3
Einzelmeldungen
der Länder
34 LWF Wissen 81
Anbaueignung der Edelkastanie in Deutschland
Klimatische Anbaueignung der Edelkastanie in Deutsch- tens vieler Kollegen in den einzelnen Bundesländern
land – ein Blick auf’s Wachstum im heutigen Klima Daten aus Landesinventuren, Forsteinrichtung und Ein-
zelbeständen einbezogen und so das Verbreitungsbild
Der Ansatz und die Datengrundlage zur Edelkastanie in Deutsch-
Im Rahmen des laufenden Projekts C29 (Förderung land erheblich erweitert werden (Abbildung 4).
BMEL /FNR) stellen wir unter anderem Daten zu Vor- In einem ersten Schritt haben wir die Vorkommen
kommen, Standort und Wachstum der Edelkastanie in anhand von Alter und Höhe bonitiert und dadurch ei-
Deutschland zusammen und werten sie im Hinblick nen vergleichbaren, altersunabhängigen Wachstums
auf die Frage der Anbaueignung dieser Baumart aus. parameter gewonnen, mit dem wir die Standort- bzw.
Die derzeitigen Zwischenergebnisse möchten wir in Klimaeignung der Edelkastanie an ihrem derzeitigen
diesem Kontext vorstellen. Verbreitungsrand analysieren und besser einschätzen
Das Wachstum, genauer gesagt die (Oberhöhen-) möchten. Die Heterogenität der Daten erfordert dabei
Bonität der Edelkastanie, nutzen wir hier als Indikator einige Kompromisse: Beispielsweise wurde aus den
für ihre Vitalität und Klimatauglichkeit. Im Unterschied Daten der Bundeswaldinventur eine Oberhöhe an-
zur Häufigkeits- /Dichte-bezogenen Vorkommensmo- hand der Bäume der KRAFT’schen Klassen 1 und 2
dellierung gestattet dieser Ansatz, den Erfahrungs- angenähert, für Sachsen-Anhalt aus Mittelhöhen des
wert von Vorkommen mit gutem oder befriedigendem Oberstandes. Durch die Definition eines Mindestalters
Wachstum auch ohne derzeit große flächenhafte Ver- (hier 30 Jahre) haben wir ferner versucht, störende
breitung stärker zu berücksichtigen. Von Vorteil ist Einflüsse der unterschiedlichen Wuchsdynamik von
dabei ferner, dass die Bonität eine auch standortkund- Kernwüchsen und Stockausschlagbeständen zu be-
lich etablierte und gut interpretierbare Größe darstellt. grenzen, welche anhand der Daten nicht unterschie-
Insofern ergänzen sich die beiden in diesem Beitrag den werden konnten.
vorgestellten Herangehensweisen und bilden gemein-
sam eine bessere Beurteilungsgrundlage für die sehr Das (Höhen-)Wachstum der Edelkastanie im aktuellen
vielschichtige Frage der Anbaueignung. Klima der BRD
Im Sinne eines klimatischen Wuchspotenzials zeigt
Die Datenbasis Abbildung 5 die potenzielle Oberhöhe (Maximalwert)
Ergänzend zu den Daten der dritten Bundeswaldinven- der Edelkastanie im Alter von 50 Jahren im Klima
tur (BWI3) konnten mit freundlicher Unterstützung sei- rahmen aus Temperatur und Niederschlag – Klima
9,5 – 9,75
9,25 – 9,5 25
9 – 9,25 20
8,75 – 9 15
8,5 – 8,75 10
8,25 – 8,5
8 – 8,25
7,75 – 8
7,5 – 7,75
7 – 7,25 Abbildung 5:
6,75 – 7 Potenzielle Oberhöhe
im Alter 50 (Ho 50) der
Edelkastanie im Klima-
0– 0
0– 0
0– 0
0– 0
0– 0
85 850
0 0
0 50
0
50 50
00 00
0
00 00
50 50
00 00
50 50
00 00
50 50
00 00
50 50
0
50 50
0
60
65
70 70
75 75
80 80
90 90
00 0
50 5
00 0
70
11 – 11
11 11
95 – 9
10 – 10
10 – 10
12 – 12
12 – 12
13 – 13
13 – 13
14 – 14
14 – 14
15 – 15
15 – 15
16 – 16
16 – 16
–1
0–
0–
LWF Wissen 81 35
Anbaueignung der Edelkastanie in Deutschland
2 2
0 0
Abhängigkeit der Oberhöhe [m]
–4 –4
–6 –6
–8 –8
–10 –10
Abbildung 6: Partieller Einfluss von Temperatur und Niederschlag auf die Oberhöhenbonität der Edelkastanie
in Deutschland (Temperatur ***, Niederschlag **, R² = 0.253)
daten hier jeweils im langjährigen Mittel des Zeitraums Auf dem Weg zur klimatischen Anbaueignungskarte
1981 – 2010 (DWD). »Bessere« Bonitäten finden wir in anhand der Bonität
einem weiten Klimabereich, hinsichtlich der Jahres- Die Bonitätskarte (Abbildung 7) zeigt im Einklang
mitteltemperatur ab etwa 8 °C, hinsichtlich des Jahres- mit der oben bereits vorgestellten Vorkommenskarte
niederschlags vereinzelt bereits ab 550 mm, vermehrt (Abbildung 4), dass die Edelkastanie in weiten Berei-
ab 700 mm bis über 1.400 mm. Beide Befunde stehen chen Deutschlands mit Ausnahme höherer Berglagen
im Einklang mit Literaturangaben (z. B.: Bourgeois et al. potenziell wachsen kann. Als sinnvolle »absolute«
2004; Conedera et al. 2016). Untergrenze der Anbaueignung (orange) erscheint
Mit Hilfe eines GAM (Generalisiertes Additives Mo- im Anhalt an die Hochwald-Ertragstafel nach Bondor
dell) lässt sich diese Beziehung zwischen Temperatur, (1986) deren unterer Bonitätsrahmen von 14 m Ober-
Niederschlag und Bonität modellieren und schließlich höhe im Alter von 50 Jahren. Der gelbe Bereich (Ho 50
in die Fläche übertragen: 14 – 18 m) kann als »Grauzone« gelten, die grün gefärb-
Höhere Jahresmitteltemperaturen wirken sich dem- ten Flächen als klimatisch im Grundsatz geeignet. Re-
nach im aktuellen Klimarahmen der BRD im Wesent- lativ günstige Bedingungen scheint die Edelkastanie
lichen positiv auf das Wachstum der Edelkastanie aus in Deutschland besonders in der atlantisch geprägten
(Abbildung 6 links). In puncto Niederschlag zeich- Westhälfte in wärmebegünstigten Lagen vorzufinden.
net sich ein Optimum bei etwa 800 bis 1.200 mm ab Im Nordostdeutschen Tiefland scheinen sich dagegen
(Abbildung 6 rechts). Auch die als vergleichsweise die geringeren Niederschläge – vermutlich in Verbin-
trocknisertragend eingestufte Edelkastanie scheint dung mit zunehmender Kontinentalität – wachstums-
komfortablere Niederschlagsverhältnisse durchaus zu begrenzend auszuwirken.
schätzen und zu honorieren. Die Varianzerklärung des
Modells ist mit rund 25 % nicht sehr hoch, was aber Und der Boden? – Ein Ausblick
für dieses erste, mit Jahresmitteln für Temperatur und Für die Frage der standörtlichen Anbaueignung der
Niederschlag bewusst »schlicht« gehaltene, rein klima- Baumart Edelkastanie sind neben dem Klima selbst-
tische Modell nicht überrascht und vor dem Hinter- verständlich auch Bodeneigenschaften von Bedeu-
grund der hohen Signifikanzen der beiden Klimafakto- tung. Teilweise schließen edaphische Faktoren den
ren vorerst akzeptabel erscheint. Anbau der Edelkastanie auch aus oder schränken ihn
zumindest stark ein. Gestützt auf Literaturangaben und
Erfahrungswerte, die im Rahmen des Projekts analy-
36 LWF Wissen 81
Anbaueignung der Edelkastanie in Deutschland
22 – 24 (Klasse 1)
20 – 22 (Klasse 2)
18 – 20 (Klasse 3)
14 – 18 (Klasse 4)
– 14 (Klasse 5)
siert wurden, müssen folgende Aspekte bei der Herlei- Verschneidung von Vorkommen und
tung der Anbaueignung unbedingt mit berücksichtigt Wachstum
werden:
• die Empfindlichkeit der Edelkastanie gegenüber Im Folgenden wurden die Informationen aus der euro-
freiem Kalk im Oberboden paweiten Vorkommensmodellierung und der Wachs-
• das erhebliche Anbaurisiko durch Phytophthora- tumsanalyse für Deutschland im gegenwärtigen Klima
Befall (Tintenkrankheit) auf Grund- und Stauwas- zusammengefasst (siehe Abbildung 8). Dabei wurde be-
ser-beeinflussten Böden. wusst eine konservative Einschätzung gewählt. Geringe
Einwertungen der untersten Klassen 5 und 4 erhalten
Ein Ziel für die Schlussphase des Projekts C 29 wäre daher stets den Vorrang vor günstigeren Bewertungen.
es daher, unsere bisherige Analyse durch die diffe- Das bedeutet: Kommt die Edelkastanie europaweit un-
renziertere Anwendung von Klimafaktoren – wie zum ter einer bestimmten Klimakonstellation nur in geringer
Beispiel einen Spätfrostindikator (Lüpke unveröff.), Häufigkeit vor (Klasse 4), so wird die entsprechende
aber auch durch Einbeziehen des Faktors Boden zu Region auch in Deutschland der Klasse 4 zugeordnet,
erweitern. Dies setzt allerdings voraus, dass die Har- selbst wenn das Wachstumsmodell für die bestehenden
monisierung der bodenbezogenen Daten, welche wir Vorkommen ein gutes Wachstumspotenzial ausweist.
zu den bundesdeutschen Vorkommen der Edelkasta- Dadurch soll berücksichtigt werden, dass dem Erfah-
nie zusammentragen konnten, auf einen verwertbaren rungswert von kleinflächigen, wenn auch wuchskräfti-
gemeinsamen Nenner gelingt. gen Vorkommen dennoch eine größere Unsicherheit
anhaftet als bei großräumiger Anbauerfahrung.
LWF Wissen 81 37
Anbaueignung der Edelkastanie in Deutschland
Klimatische Anbaueignung
Oberhalb des »kritischen Bereichs« der Klassen 5 und rung stellt insofern einen Kompromiss mit gewissen
4 werden die Klassenzuordnungen durch Mittelung Informationsverlusten dar. In Gebieten der Überein-
einander angenähert: Klimaregionen mit europawei- stimmung bringen die beiden unterschiedlichen An-
ter, mittlerer Vorkommenswahrscheinlichkeit, aber sätze aber auch eine höhere Aussagekraft.
ersten guten oder sehr guten Wachstumserfahrungen
in Deutschland, werden aufgewertet, gute oder sehr Auf der Landschaftsebene tragen die klimatischen
gute Wachstumserwartungen bei begrenzter Vorkom- Bedingungen zum Großteil zur Etablierung und zum
mensbasis umgekehrt etwas relativiert. Ursachen für Wachstum einer Baumart bei. Dabei bestehen hin-
eine mäßige Vorkommensdichte trotz guter Wachs- sichtlich des Einflusses von Klimaextremen noch
tumserwartung können beispielsweise historische Unsicherheiten: Sie sind derzeit allenfalls indirekt in
Nutzungspräferenzen, die sporadische Ausbringung den Modellierungen enthalten und können zudem
einer Art außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsge- nur schwerlich im Klimawandel prognostiziert wer-
bietes oder die überlegene Konkurrenzkraft anderer den. Darüber hinaus müssen für die Einschätzung der
Baumarten (z. B. der Buche) unter diesen Vorzugsbe- standörtlichen Eignung der Edelkastanie auf Bestan-
dingungen sein. desebene stets weitere lokale Aspekte berücksichtigt
werden wie beispielweise die Bodenverhältnisse. Be-
Vorkommensmodellierung und Wachstumsanalyse ge- sonders kritisch sollte gerade im Fall der Edelkastanie
ben zwei unterschiedliche Perspektiven auf die Frage die Waldschutzsituation und ihre weitere Entwicklung
der klimatischen Anbaueignung. Deren Harmonisie- gewürdigt und beobachtet werden.
38 LWF Wissen 81
Anbaueignung der Edelkastanie in Deutschland
Ausblick: Zukünftige Klimabedingungen Conedera, M.; Krebs, P.; Tinner, W.; Pradella, M.; Torriani, D.
(2004): The cultivation of Castanea sativa (Mill.) in Europe,
from its origin to its diffusion on a continental scale. In: Veget
Die Edelkastanie findet schon heute in vielen Gebieten Hist Archaeobot 13 (3). DOI: 10.1007/s00334-004-0038-7
Deutschlands klimatische Bedingungen vor, die sie
zur Etablierung und zum Wachstum grundsätzlich be- Conedera, M.; Tinner, W.; Krebs, P.; de Rigo, D.; Caudullo, G.
nötigt. Dies belegen auch die vielen vereinzelten Vor- (2016): Castanea sativa in Europe: distribution, habitat, usage
and threats. In: San-Miguel-Ayanz, J., de Rigo, D., Caudullo, G.,
kommen der Art, weit nördlich ihres angenommenen Houston Durrant, T., Mauri, A. (Eds.), European Atlas of Forest
Verbreitungsrandes. Aus den vorgestellten Klimabe- Tree Species. Publ. Off. EU, Luxembourg
ziehungen kann unter Einbeziehung entsprechender
Klimaszenarien auch die künftige Anbaueignung der Conrad, V. (1946): Usual formulas of continentality and their
limits of validity. In: Eos T Am Geophys Un 27 (5), S. 663. DOI:
Edelkastanie unter veränderten Klimabedingungen 10.1029/TR027i005p00663
abgeleitet werden. Bereits die Klimahülle zeigt, dass
die Klimaeignung der Edelkastanie in Deutschland in Fernández-López, J.; Alía, R. (2003): EUFORGEN technical
Zukunft noch zunehmen wird. Dies weiter zu konkreti- guidelines for genetic conservation and use for chestnut
(Castanea sativa): Bioversity International
sieren ist noch Gegenstand beider Projekte.
ICNF: 6. Invetário forestral nacional. Áreas dos usos do solo
Auf geeigneten Standorten kann daher eine Beteili- e das espécies florestais de Portugal continental. Resultados
gung der Edelkastanie am Waldaufbau in bemessen- provisórios
dem Umfang zu einer Anpassung und Risikostreuung
IGN (2016): La foret en chiffres et en cartes. Le Mémento Edi-
im Klimawandel beitragen. Generell sollten dabei aber tion 2016
auch für diese bereits regional etablierte Gastbaumart
aus unserer Sicht strenge Maßstäbe angelegt werden. INFC (2007): Le Stime di Superficie 2005. prima parte (Inven-
tario Nazionale delle Foreste e dei Serbatoi Forestali di Carbo-
Das Kuratoriumsprojekt B76 wurde gefördert durch das Baye- nio). Ministero delle Politiche Agricole, Alimentari e Forestali
rische Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Maurer, W. D.; Fernández-López, J. (2001): Establishing an in-
Forsten. Das Projekt C29 wurde mit Mitteln des Bundesminis-
teriums für Ernährung und Landwirtschaft unter dem Förder- ternational sweet chestnut (Castanea sativa Mill.) provenance
kennzeichen 22028614 gefördert. test. Preliminary steps. In: Forest Snow and Landscape Re
search 76 (3), S. 452–486
Bouffier, V. A.; Maurer, W. D. (2009): Germany. In: D. Avanzato Roloff, A.; Bärtels, A. (2006): Flora der Gehölze. Auflage (in
(Hg.): Following chestnut footprints (Castanea spp.). Cultivati- German). Stuttgart: Eugen Ulmer KG
on and culture, folklore and history, tradition and uses = Sulle
orme del castagno (Castanea spp.): Coltura e cultura, folclore Smith, S.; Gilbert, J. (2003): National inventory of woodland
e storia, tradizioni e usi. Leuven: International Society for Hor- and trees. Great Britain. Edinburgh: Forestry Commission
ticultural Science (Scripta horticulturae, 9), S. 53–62
Thurm, E. A.; Hernández, L.; Baltensweiler, A.; Ayan, S.; Raszto-
Bondor, A. (1986): The timber yield of sweet chestnut (Casta- vits, E.; Bielak, K. et al. (2018): Alternative tree species under
nea sativa). Erdeszeti-Kutatasok 76-77 p. 133–149 climate warming in managed European forests. In: Forest Ecol
Manag
Bourgeois, C.; Severin, E.; Lemaire, J. (2004): Le chataignier un
abrbre un bois. Institut pour le developpement forestier Vallejo, R.; Sandoval, V. J. (2013): El Inventario Forestal Nacio-
nal. In Foresta 57, S. 16–25
Brändli, U.-B. (2010): Schweizerisches Landesforstinventar. Er-
gebnisse der dritten Erhebung 2004–2006. Birmensdorf, Bern:
Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald Schnee und Land-
schaft WSL; Bundesamt für Umwelt BAFU
LWF Wissen 81 39
Anbaueignung der Edelkastanie in Deutschland
40 LWF Wissen 81
Der Esskastanienbohrer entwickelt sich
in Maronen
Literatur
Esskastanienbohrer auf dem stacheligen Frucht- Rheinheimer, J.; Hassler, M. (2013 b): Curculio vicetinus Cus-
becher einer Esskastanie; die Weibchen (unten) haben sigh, 1989 neu für Mitteleuropa (Coleoptera: Curculionoidea)
deutlich längere Rüssel als die Männchen (oben). sowie C. elephas aus der Pfalz. Mitt. ent. V. Stuttgart, Jg. 48,
Foto: J. Laimer, koesti.it S. 5–6
LWF Wissen 81 41
Die Edelkastanie in Bayern –
Erkenntnisse aus einem Projekt der LWF
Marvin Lüpke, Richard Heitz, Enno Uhl und Christoph Hübner
Schlüsselwörter: Edelkastanie, Esskastanie, Klimawandel, hat, wurde an der LWF die Idee eines thematisch weit
Baumartenwahl gesteckten Projekts zum Potenzial dieser vielseitigen
Baumart, insbesondere in Bayern, entwickelt. Im Un-
Zusammenfassung: Die klimatischen Veränderungen terschied zum INTERREG-Projekt sollte hier als Er-
mit steigenden Temperaturen stellen unsere Wälder vor gänzung zu den umfassenden Untersuchungen der
große Herausforderungen. Daher kommt wärmetole- Schwerpunkt zum einen bei der Eignung dieser Baum
ranten Baumarten künftig eine hohe Bedeutung zur art unter bayerischen Standortverhältnissen und als
Stabilisierung der Bestände zu. Eine dieser Baumarten Mischbaumart liegen, zum anderen sollten erstmals
könnte die Edelkastanie sein. Inwieweit sie als stabilisie- genetische Untersuchungen der Edelkastanie erfol-
rende Bereicherung der bayerischen Wälder fungieren gen, um Herkunft und Diversität der Bestände einord-
könnte, sollte in einem breit angelegten Projekt an der nen zu können. Somit sollten im Rahmen des Projekts
Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft die bisherige Verbreitung der Edelkastanie in Bayern
untersucht werden. Im Zuge dieses Projekts wurden bay- erfasst und die standörtlichen Voraussetzungen für
erische Vorkommen erfasst, auf Schaderreger untersucht, einen erfolgreichen Anbau herausgearbeitet werden.
mit anderen Vorkommen in Deutschland verglichen, Im Hinblick auf eine mögliche stärkere Beteiligung
potenzielle Anbaugebiete eruiert, genetische und wald der Edelkastanie am Waldaufbau im Zuge der Klima-
wachstumskundliche Untersuchungen unternommen und anpassung sollte auch ihre waldbauliche Behandlung,
vieles mehr. Die gewonnenen Erkenntnisse wurden – so insbesondere die Wertholzproduktion und die Ein-
weit möglich – mit dem bereits dokumentierten Wissen bringung im Mischbestand, diskutiert und abgewogen
in Rahmen einer umfangreichen Literaturrecherche ab werden. Um die Ausfallrisiken besser abschätzen zu
geglichen und eingewertet. Die Ergebnisse des Projektes können, war auch ein intensiviertes Waldschutzmo-
lassen die Edelkastanie durchaus auch in Bayern als ge- nitoring der bestehenden Edelkastanienvorkommen
eignet für den Wald der Zukunft erscheinen, jedoch nicht in Bayern Gegenstand des Projekts, mit besonderem
ohne Vorbehalte. Augenmerk auf den Kastanien-Rindenkrebs. Schließ-
lich sollte auch der Bogen bis hin zu den Verwen-
dungsmöglichkeiten und Nutzungspotenzialen des
Edelkastanienholzes gespannt werden. Dies alles ba-
Der Sommer 2015 hat vielerorts zu zahlreichen Schäden sierend auf der Auswertung von Inventurdaten, Litera
insbesondere an Verjüngungsflächen geführt. Klima tur und ergänzenden Untersuchungen an erfassten
prognosen lassen eine weitere Zunahme trocken-war- Vorkommen. Einen eigenen Projektteil umfasste die
mer Perioden erwarten. Trocken- und wärmetolerante genetische Analyse der Edelkastanienbestände. Die-
Baumarten werden daher sehr wahrscheinlich im Wald ser wurde vom Bayerischen Amt für Forstliche Saat-
und in der Forstwirtschaft zukünftig an Bedeutung ge- und Pflanzenzucht (ASP) bearbeitet.
winnen. Dabei ist insbesondere auf sauren, nährstoff
armen Standorten die Auswahl geeigneter Baumarten Das Projekt wurde zur Förderung durch das Bun-
eingeschränkt. Hier könnte die Edelkastanie eine wert- desministerium für Ernährung und Landwirtschaft
volle Rolle als alternative Baumart im Klimawandel (BMEL) bei der Fachagentur für nachwachsende Roh-
spielen. Dies wurde schon vor einigen Jahren erkannt stoffe (FNR) eingereicht und zum Herbst 2015 geneh-
und führte bis in den Bayerischen Landtag hinein zu migt. Das Projekt endete im Juli 2018.
Diskussionen.
42 LWF Wissen 81
Die Edelkastanie in Bayern – Erkenntnisse aus einem Projekt der LWF
Vorkommen in Bayern
Hof
Würzburg
Bamberg
Weiden
LWF Wissen 81 43
Die Edelkastanie in Bayern – Erkenntnisse aus einem Projekt der LWF
Hinsichtlich der Bestandesstruktur überwiegen Misch- Die Auswertung hinsichtlich der Baumartenzusam-
bestände. Nur bei elf Meldungen hatten die Bestände mensetzung für die Edelkastanie zeigt auch auf
einen Edelkastanienanteil von über 75 %. Unter den Bundesebene eine Vielzahl an Mischungsvarianten,
Mischbaumarten dominieren Buche, Eiche und Kie- wiederum vorrangig in Kombination mit Buche, Eiche,
fer, aber auch Mischungen mit Kirsche oder Roteiche Kiefer und anderen Laubhölzern mit höherer Lebens-
kommen vor. Darüber hinaus ist ein erfolgreiches erwartung. Allerdings finden sich deutschlandweit
Naturverjüngungspotenzial in allen bayerischen Vor- auch 11 % Reinbestände. Die Analyse des Zuwachses
kommen festzustellen. Die Altersverteilung (Tabelle 1) bescheinigt der Edelkastanie eine hohe Zuwachs-
lässt einen verstärkten Anbau in den letzten zehn Jah- leistung in den ersten 40 Jahren, welche die der Bu-
ren erkennen, was auf erhöhte Bemühungen im Wald- che klar übersteigt und teilweise mit der Douglasie
umbau mit dem Ziel einer vermehrten Diversifikation mithalten kann. Somit kann es die Edelkastanie bei
und Risikostreuung hindeutet. kurz gewählten Umtriebszeiten von 60 Jahren schaf-
fen, ausreichend große Vorräte zu erzeugen (Abbil-
dung 3). Methodisch ist anzumerken: Um Fehler beim
Auswertung von Inventurdaten Hochrechnen auf den ideellen Reinbestand zu verrin-
gern, wurden nur Bestände mit einem Mindestanteil
Die Bundeswaldinventur (BWI) ist mit ihrem Stichpro- der jeweiligen Baumart von 30 % berücksichtigt. Der
bennetz und ihren Aufnahmeverfahren an sich nicht Baumartenvergleich erfolgt hier über unterschiedliche
dafür konzipiert, repräsentative Aussagen zu eher sel- Bestandes- und Standortkollektive hinweg und dient in
tenen Baumarten wie der Edelkastanie zu treffen. Den- dieser Form nur der groben Einordnung.
noch wurde der Versuch unternommen, dem Bedarf
entsprechend einige grundsätzliche Informationen Abbildung 4 zeigt einen anhand der BWI-Daten be-
herauszuarbeiten. Unsere Berechnung der Vorkom- rechneten Oberhöhenfächer mit einer Bandbreite
mensfläche für Deutschland auf Basis der BWI3 liegen von etwa 16 bis 37 Meter im Alter von 100 Jahren. Im
mit 9.180 ha etwas über den 7.500 ha nach Bouffier bundesweiten Vergleich liegen die Bonitäten der bay-
und Maurer (2009). Sie ist jedoch mit einem zu großen erischen Bestände (violette Punkte) im Mittelfeld. Da-
Fehler behaftet, als dass man die BWI-Werte als abge von wächst ein Großteil auf Buntsandstein-Standorten.
sichert bezeichnen könnte. Das Schlusslicht bilden zwei Bestände auf Flugsand
im Raum Nürnberg und Bamberg (Altenfurth, Strullen-
30
Zuwachs [VFm m. R. / ha a]
Baumart
20 BU
DGL
EKA
10
1321
1413
1578
1480
401
210
772
632
475
0
10
19
74
19
69
16
25
8
BU DGL EKA BU DGL EKA BU DGL EKA BU DGL EKA BU DGL EKA BU DGL EKA
Abbildung 3: Volumenzuwachs der Edelkastanie (EKA) vgl. mit Buche (BU) und Douglasie (DGL). Oberer und unterer
Bereich entspricht dem 25 bzw. 75 % Quantil und die Mitte dem Median bzw. der Punkt dem arithmetischem Mittel
44 LWF Wissen 81
Die Edelkastanie in Bayern – Erkenntnisse aus einem Projekt der LWF
40
OH100: 37.2 m
35
OH100: 31.8 m
30
Klingenberg Roth
25 Klingenberg Neustadt /Aisch OH100: 26.5 m
Höhe [m]
Klingenberg Stangenroth
Winkelhaid Stadtwald Lohr
Weibersbrunn
20 Bürgstadt OH100: 21.2 m
Strullendorf
15 Lindau OH100: 15.9 m
Altenfurt
10
Alter
dorf) mit sehr schwacher Nährstoffausstattung und in Nach den Daten der BWI3 weist die Edelkastanie im
einem Fall zudem sehr ungünstigem Stauwasserein- Vergleich mit anderen Baumarten einen hohen Anteil
fluss. Spitzenreiter dagegen sind die Bestände mit Bö- an Stammschäden und Kronentotholz (vermutlich an-
den aus Löss (Weibersbrunn) bzw. auf silikatreicher teilig durch Rindenkrebs), aber auch von Biotop- und
Jungmoräne (Lindau), hier zudem mit üppigen Nie- Habitatmerkmalen auf. Nach den Arbeiten von Segatz
derschlägen. et al. (2015) ein weiterer Beleg, dass die Edelkastanie
als zusätzliche Mischbaumart eine ökologische Berei-
Die Oberhöhe wurde darüber hinaus für Auswertun- cherung darstellen kann.
gen zur Einschätzung der klimatischen Anbaueignung
verwendet. Da jedoch der Stichprobenumfang aus der Die Verschneidung mit den Standortdaten aus dem
BWI mit repräsentativen Beständen für die Edelkasta- WP-KS-KW-Projekt (Waldproduktivität-Kohlenstoff-
nie relativ gering ist, wurde dieser mit Daten aus den speicherung-Klimawandel) zeigt erwartungsgemäß,
Landesinventuren erweitert, um hierfür eine robustere dass der Vorkommensschwerpunkt der Edelkastanien
Aussage treffen zu können (siehe Beitrag Thurm und bestände auf Braunerden und Parabraunerden liegt
Heitz in diesem Heft). (Tabelle 2).
LWF Wissen 81 45
Die Edelkastanie in Bayern – Erkenntnisse aus einem Projekt der LWF
Baum 1 Baum 2 Baum 3 Baum 4 Baum 5 Baum 6 Baum 7 Baum 8 Baum 9 Baum 10 Baum 11 Baum 12 Baum 13 Baum 14
Baum 15 Baum 16 Baum 17 Baum 18 Baum 19 Baum 20 Baum 21 Baum 22 Baum 23 Baum 24 Baum 25 Baum 26 Baum 27 Baum 28
Baum 29 Baum 30 Baum 31 Baum 32 Baum 33 Baum 34 Baum 35 Baum 36 Baum 37 Baum 38 Baum 39 Baum 40 Baum 41 Baum 42
Im Stadtwald Klingenberg wurde ein ca. 60-jähriger Zur Erforschung der Widerstandsfähigkeit (Resistenz)
Edelkastanien-Roteichen-Mischbestand von fünf Auf- und Erholungsfähigkeit (Resilienz) der Edelkastanie
stellungspunkten aus mit einem terrestrischen Laser nach Trocknisereignissen wurden in Bayern 13 aus ei-
scanner vermessen und erfasst (Abbildung 5). Ziel war nem möglichst breiten Standortspektrum ausgewählte
insbesondere, Formzahlen für die Edelkastanie zu er- Bestände wachstumskundlich für die Jahrringanalyse
mitteln. Zwiesel, Mehrstämmigkeit und Verschattungen beprobt. Neben Edelkastanien wurden zu Vergleichs-
beeinflussen die Qualität der Stammerkennung und zwecken jeweils auch heimische Mischbaumarten
-anpassung. Der Kreiserkennungsalgorithmus erbrach- erfasst. Diese wurden vom Lehrstuhl für Waldwachs-
te aber selbst für sehr unvollständige Halbschalen der tumskunde bearbeitet und ausgewertet. Grundsätzlich
Stammoberfläche größtenteils noch brauchbare Ergeb- erreicht die Edelkastanie auf bayerischen Standorten
nisse: Für 44 % der Stämme liegt die Abweichung zwi- eine geringere Endhöhe gegenüber Buche, Eiche und
schen modelliertem und gemessenem BHD unter 2 cm. Kiefer. Sie zeigt jedoch in den meisten Fällen ein rasche-
Im Fall von Abweichungen über 2 cm liegen die model- res Dickenwachstum. Trockenstressreaktionen wurden
lierten Werte ausnahmslos über den gemessenen. Eine für die Jahre 1976 und 2003 ausgewertet. Beide Jahre
systematische Überschätzung des BHD wäre plausibel gelten für den bayerischen Raum in den vergangenen
aufgrund der auf Minimumwerten eines Rasters basie- Jahrzehnten als extreme Dürrejahre. In den Bestän-
renden Geländemodellierung der Stammfußniveaus den, in denen Edelkastanie und Buche gemeinsam
mit tendenziell zu niedrigen BHD-Bezugshöhen. Aus vorkommen, zeigen beide Baumarten ein sehr ähnli-
den modellierten Stammkurven wurden segmentweise ches Verhalten. Beide verlieren etwa 25 % an Zuwachs
Baumvolumina berechnet. Die Formzahl für herrschen- im Trockenjahr und erreichen nach etwa zweieinhalb
de Bäume (Kraft’sche Klassen 1 und 2) liegt plausibel Jahren wieder das Zuwachsniveau vor dem Trocken-
im Bereich 0,5 bis 0,6 mit Median bei etwa 0,55. jahr. Im Vergleich zur Eiche und zur Kiefer reagiert
46 LWF Wissen 81
Die Edelkastanie in Bayern – Erkenntnisse aus einem Projekt der LWF
die Edelkastanie mit stärkerem Zuwachsrückgang Zusammenfassend kann man sagen, die Edelkastanie
(bis –12,5 %). Auf diesen Standorten ist die Resistenz reagiert auf Trockenstress mit deutlichem Zuwachs-
der Edelkastanie auch insgesamt geringer als auf den rückgang und ihre Resistenz, Resilienz und Erholungs-
Standorten mit Buchenbeimischung. Jedoch erholt zeit liegen auf einem vergleichbaren Niveau wie dem
sich die Edelkastanie im Schnitt etwas schneller als der heimischen Baumarten.
Eiche und Kiefer, wobei auf den Standorten mit Ei-
chenbeimischung die längste Erholungszeit und auf
den Standorten mit Kiefernbeimischung die kürzeste Standörtliche Eignung
Erholungszeit zu verzeichnen ist. Statistisch sind die
beschriebenen Unterschiede aber nur in wenigen Fäl- Zur Frage der standörtlichen Eignung wurden im Rah-
len signifikant. men der Literaturrecherche zahlreiche Informationen
gesammelt und zum Teil mit eigenen Ergebnissen er-
Die mittleren Werte für die Resilienz liegen bei Edel- gänzt.
kastanie bei 97 %, bei Buche bei 88 % und bei Eiche
und Kiefer jeweils bei 90 % des Ausgangsniveaus. Die Demnach kommt die Edelkastanie in einem weiten
Resistenz der Edelkastanie nimmt mit dem Alter sig- Niederschlagsbereich ab ca. 500 mm (Peterken und
nifikant zu, bei der Buche ist dieser Effekt noch stär- Evans 1985) bzw. 600 mm /Jahr (Bottacci 1998) vor,
ker ausgeprägt. Im Gegensatz dazu nimmt der Grad produktivere Bestände ab 800 mm /Jahr (Bourgeois et
der Resilienz mit zunehmendem Alter der Bäume ab al. 2004). Im Allgemeinen wird sie als relativ trocken-
(nicht signifikant) und die benötigte Erholungszeit für heitstolerant beschrieben, laut Niinemets und Valladares
die Baumarten Edelkastanie (signifikant), Buche und (2006) liegt sie hierbei zwischen der Traubeneiche
Kiefer (nicht signifikant) zu, bei der Eiche hingegen und der Kiefer. Dagegen können lang anhaltende
leicht ab (nicht signifikant). Niederschläge während der Blütezeit (Juni–Juli) eine
Abbildung 6: Verschiedene Blühstadien der Edelkastanie: Mittig bräunlich bereits verblühend, links daneben im
Hintergrund weiß in der Hochblüte, links davon schwach grünlich-weiß kurz vor der Blüte; dazwischen immer wieder
durch Rindenkrebs abgestorbene Äste und Kronenpartien Foto: Chr. Hübner, LWF
LWF Wissen 81 47
Die Edelkastanie in Bayern – Erkenntnisse aus einem Projekt der LWF
erfolgreiche Fruktifikation behindern. Sie ist eine wär- der Konkurrenzkraft der Mischbaumarten kann hier
meliebende bzw. wärmetolerante Baumart, für die auch ein dichterer Pflanzverband verwendet werden.
ein Temperaturbereich von 8 bis 15 °C als günstig be- Die besten Wuchsleistungen werden im Reinbestand
schrieben wird (Conedera et al. 2016). Dabei gilt sie als erzielt. Aufgrund der frühen Zuwachskulmination und
spätfrostempfindlich. der Lichtbedürftigkeit ist die Mischung mit anderen
Baumarten waldbaulich anspruchsvoll. Abgeleitet von
Die Edelkastanie ist prinzipiell eine Lichtbaumart, den spezifischen Eigenschaften der Edelkastanie und
welche sich jedoch auch im Halbschatten noch gut bisherigen Erkenntnissen (siehe Tokár und Kukla 2006;
verjüngt. Niinemets und Valladares (2006) werten sie Conedera et. al 2016) erscheint jedoch ein dienender
hier zwischen Douglasie und Bergahorn ein. Generell Nebenbestand aus Schattlaubhölzern sinnvoll, welcher
scheint ihr Lichtbedarf mit nördlicheren Breitengra- zum einen bei der Astreinigung, zum anderen bei der
den zu steigen. Kontrolle des Stockaustriebsverhaltens nützlich sein
kann. Dazu sollten unbedingt noch Feldversuche
Bevorzugt wächst sie auf mäßig sauren Böden mit ho- durchgeführt werden.
hem Kalium- und Phosphorgehalt. Ist der Phosphor
gehalt hoch genug, gedeiht sie auch sehr gut auf vulka- Die Begründung mittels Saat empfiehlt sich nur, wenn
nischen Standorten. Ihr Optimum hat sie auf lockeren, ausreichend Schutz (v. a. Zaun) gegenüber Schwarz
frischen und tiefgründigen Böden (Bourgeois et al. wild gegeben ist. Ein mögliches Verfahren ist, drei bis
2004). Nicht zu empfehlen ist die Pflanzung auf Stand- vier Samen in ein circa 4 – 5 cm tiefes Pflanzloch im
orten mit freiem Kalk im Oberboden, ebenso wenig Boden mit der flachen Seite nach unten einzugraben
auf schweren Tonen und Böden mit Stau- oder Grund- und mit Humus zu bedecken (Bottaci 1998). Die Saat
wassereinfluss in den obersten 50 – 60 cm (Bourgeois erfolgt zwischen April bis Anfang Mai oder alternativ
et al. 2004). auch im Herbst direkt nach der Ernte.
48 LWF Wissen 81
Die Edelkastanie in Bayern – Erkenntnisse aus einem Projekt der LWF
konsequent freigestellt werden. Jungbestände sind be- die Kastanie ähnlich der Eiche mit Schattlaubholz zu
reits wenige Jahre nach dem Eingriff wieder komplett mischen und bei der Verjüngung auf die Naturverjün-
geschlossen. Daher sind Folgeeingriffe in kurzen Ab- gung durch Ansamung zu setzen.
ständen sinnvoll und notwendig.
Konsequente Erziehung und regelmäßige Freistel- Verjüngung
lung sind Voraussetzung für verwertbare Stammholz- Das häufigste Verjüngungsverfahren auf europäischer
sortimente. Dies zeigte auch eine Sortimentsstudie Ebene ist der Stockhieb. In Bayern spielt er in der bis-
aus dem Stadtwald Klingenberg, wo die Baumart lang ersten Hochwaldgeneration freilich nur eine sehr
vorwiegend unter landschaftsästhetischen Gesichts- untergeordnete Rolle. Die möglicherweise erhöhte
punkten eingebracht wurde. Hier wurde die Kastanie Disposition der Bestände aus Stockausschlag für den
in der Vergangenheit nicht gezielt freigestellt, sondern Befall mit Rindenkrebs (vgl. Zlatanov et al. 2013) könnte
nur im Rahmen der normalen Durchforstungen der zudem auch ein eher kritisches Licht auf dieses Ver-
Eichen-Buchen-Kastanien-Mischbestände mitbehan- jüngungsverfahren werfen. Nach Möglichkeit wäre
delt. Die Auswertung eines Stockhiebes in einem unter diesem Gesichtspunkt der Naturverjüngung aus
120-jährigen Bestand (2,9 ha) zeigte, dass ein Großteil Kernwüchsen der Vorzug zu geben. Allerdings setzt
der geernteten Stämme (88 %) in das Sortiment IL FK dies wiederum eine effektive waldbauliche Kontrolle
(Industrieholz, fehlerhaft krank) fiel. Die übrigen 12 % der bei Verjüngungshieben entstehenden hochvitalen
Stammholz teilen sich auf in 4 % mit Ringschäle und Stockausschläge durch entsprechende Lichtsteuerung
8 % normaler bis mittlerer Qualitäten ohne Ringschäle voraus.
(Abbildung 7).
Ringschäle
IL FK
Besonders problematisch bei der Produktion hoch-
Stammholz C
wertiger Stämme ist die Ringschäle. Hier erfolgt eine
Stammholz BC mit Ringschäle
Trennung / Ablösung entlang der Jahrringgrenze oder
Stammholz BC ohne Ringschäle
ein Bruch im Frühholz (Fonti 2002). Das Phänomen
tritt besonders auf, wenn starke Spannungen zwi-
4%
schen den Jahrringen bzw. im Holz durch Wachstums-
4%
4% 88 % schwankungen oder Störereignisse im Stamm entste-
hen. Dabei steigt das Risiko mit zunehmendem Alter
(Husmann et al. 2013). Die Ringschäle entsteht aber oft
erst durch die Entspannung des Stammes bei bzw.
nach der Ernte und / oder Trocknung (Fonti et al. 2002)
und ist somit am stehenden Stamm nur unter hohem
Aufwand detektierbar. Sie führt meist zur starken Ent-
wertung des Holzes (Abbildung 8).
Es gibt jedoch einige Ansätze, die das Auftreten
reduzieren können: Eine effektive Wachstumssteue-
LWF Wissen 81 49
Die Edelkastanie in Bayern – Erkenntnisse aus einem Projekt der LWF
rung mit frühzeitigen (< 13 Jahre) und regelmäßigen lich und muss weiter beobachtet werden. Bei unserem
Durchforstungsmaßnahmen soll ein möglichst gleich- Rindenkrebsfund handelt es sich um den aggressiven
mäßiges und hohes Dickenwachstum garantieren Erreger ohne Hypovirulenzbefall, der starke Schäden
(Husmann et al 2013). Jahrringbreiten von mindestens bis hin zum Absterben verursacht (Abbildung 6) und
4 mm pro Jahr werden angestrebt, um das Aufkom- eine Wertholzproduktion unmöglich macht. Diese
men der Ringschäle zu reduzieren (Fonti et al. 2005). Krankheit muss als ein Hauptrisikofaktor für den An-
Dies setzt die Auswahl passender Standorte für ein op- bau der Edelkastanie aus unserer Sicht sehr kritisch
timales Wachstum voraus. gewürdigt werden. Zumindest sollte daher bei Neube-
gründung bzw. Umbaumaßnahmen unbedingt darauf
geachtet werden, dass erregerfreies Saatgut / Pflanzgut
Waldschutz verwendet wird.
Durch die Begehung ausgewählter, über das baye- Die forstliche Bedeutung der Gallwespe (Abbildung 10)
rische Vorkommensgebiet verteilter Edelkastanien- besteht vorrangig darin, dass sie z. B. mit ihren Aus-
flächen konnte ein Istzustand hinsichtlich der Wald- bohrlöchern Eintrittspforten für den Rindenkrebs
schutzsituation erhoben und dabei eine Vielzahl von schafft und so seine Ausbreitung fördert (Prospero und
Organismen – darunter einige Schadorganismen – Forster 2011). Derzeit konnte sie von uns nur in den
dokumentiert werden. Dabei wurden für Bayern ins- westlichsten Regionen Bayerns (Lindau, Mainschleife
besondere die Erstnachweise für die beiden Qua- flussaufwärts bis Miltenberg) nachgewiesen werden.
rantäneerreger Kastanienrindenkrebs (Abbildung 9) Bemerkenswert ist, dass im Jahr 2017 gegenüber dem
mit Einzelnachweis im Stadtwald Klingenberg und Vorjahr der Befall durch Gallwespe deutlich geringer
Edelkastanien-Gallwespe mit mehreren Nachweisen ausfiel. So war im Raum Lindau und Miltenberg kein
in Kastanienvorkommen am Untermain und im Bo- Befall mehr festzustellen, im Bereich Klingenberg fan-
denseegebiet bei Lindau erbracht. Eine weitere Aus- den sich nur mehr sehr vereinzelt Gallen. Die Ursa-
breitung beider Schaderreger ist derzeit wahrschein- chen sind unklar, in Betracht kommen als Faktoren die
Abbildung 9: Orange Pyknidien (vglb. Fruchtkörperchen) Abbildung 10: Galle der Edelkastanien-Gallwespe
des Rindenkrebses Cryphonectria parasitica Foto: R. Heitz, LWF Foto: Chr. Hübner, LWF
50 LWF Wissen 81
Die Edelkastanie in Bayern – Erkenntnisse aus einem Projekt der LWF
Spätfröste im April, vielleicht aber auch bereits eine Die Nachfrage nach Edelkastanienholz in Bayern wird
beginnende Parasitierung der Gallwespe. Hinsichtlich laut der Befragung derzeit als sehr gering bewertet
der Holzqualität spielt die Gallwespe keine Rolle. Sie und ein mäßiges Entwicklungspotenzial in den letz-
kann aber bei starkem Befall zu Vitalitäts- bzw. Zu- ten 20 Jahren als auch für die Zukunft gesehen. Die
wachseinbußen führen. Die Ausbreitung muss des- Verfügbarkeit von entsprechendem Holz wird derzeit
halb weiter beobachtet werden – auch wenn langfris- als schlecht bezeichnet, wobei sich die preisliche Ent-
tig wahrscheinlich die Schlupfwespe Torymus sinensis wicklung als moderat erwies. So planen die befragten
einwandern wird und somit ein natürlicher Antagonist Betriebe auch bei zunehmend besserer Verfügbarkeit
aus dem Herkunftsgebiet der Gallwespe vorhanden wohl aufgrund des momentan geringen Kundeninteres
wäre. ses keine Produktionssteigerung. In der Marktanalyse
von Wambsganß (2013) wurden ähnliche Aussagen ge-
Daneben hat auch die Tintenkrankheit an der Edelkas- troffen, wobei hier v. a. das geringe Kundeninteresse,
tanie große Bedeutung (Vannini et al. 2001). Ihr kann relativ hohe Preise und fehlende Nachfrage genannt
aber durch geeignete Standortswahl unter Vermei- wurden. Hierbei sollte jedoch beachtet werden, dass
dung von stau- und grundwasserbeeinflussten Stand- beide Befragungen vor der Nennung der Edelkastanie
orten gut begegnet werden. zum »Baum des Jahres 2018« durchgeführt wurden und
die Baumart so ab 2018 mehr mediale Aufmerksamkeit
bekommt bzw. bekommen wird. Ob diese Ernennung
Holzverwertung die Nachfrage nach Edelkastanienholz nachhaltig er-
höhen kann, wird sich erst in einigen Jahren zeigen.
Für das Projekt wurde im Rahmen einer Masterarbeit Dafür spricht, dass laut Befragung zahlreiche Kunden
eine Befragung holzverarbeitender Betriebe durch- das ihnen zunächst unbekannte Holz der Edelkastanie
geführt. Hier gab es eine positive Rücklaufquote von attraktiv fanden. Darüber hinaus würde ein vermehr-
20 % (bei 50 angeschriebenen Firmen), wovon sechs ter Anbau im Zuge des Klimawandels die Verfügbar-
Firmen Edelkastanienholz verarbeiten. Diese stellen keit / Präsenz am Markt wahrscheinlich erhöhen. Im
vor allem Waren für den Außenbereich von Garten Hinblick auf Angebot und Nachfrage sollten auch die
möbeln über Terrassendielen bis hin zu Zäunen her. verstärkten Bemühungen in den Ländern mit großen
Zwei weitere Firmen produzieren Lawinenverbauun- Vorkommen (z. B. Italien, Frankreich, Spanien), Wald-
gen bzw. Parkettböden. Für den Großteil dieser Pro- bausysteme für höherwertige Holzproduktion zu im-
dukte eignet sich Palisadenholz, welches bereits nach plementieren, berücksichtigt werden (z. B. Manetti et al.
25 – 30 Jahren Umtriebszeit zur Verfügung steht. Die 2017; Molina Rodríguez 2014), wodurch auch aus diesen
Wertschöpfung dieser Produkte ist als sehr gut zu Ländern entsprechende Sortimente / Halbprodukte
bewerten (Tabelle 3 Klasse 1a/b). Im Rahmen der die zukünftige Marktverfügbarkeit auch an hochwerti-
Wertholzproduktion kann das Holz der Edelkastanie gem Holz verbessern sollten.
sowohl für hochwertige Möbelprodukte als auch als
Furnierware verwendet werden.
Zusammenfassung
Stärkenklasse Holzpreis / fm [€]
0b 74 Die Ess- oder auch Edelkastanie zeigt in weiten Teilen
1a 81 Bayerns gute Wuchseigenschaften, insbesondere auf
1b1 69
tiefgründigen, gut wasserversorgten Böden in wärme-
begünstigten Lagen. Durch die zu erwartenden klima-
1b2 58
tischen Veränderungen mit steigenden Temperaturen
2a 49
und eher gleichbleibenden Niederschlägen wird sich
2b 86
hierbei die Fläche der für sie geeigneten Standorte
3a 90
aller Erwartung nach vergrößern. Die Edelkastanie
3b 99
fügt sich gut in die heimischen Ökosysteme ein und
4 112
liefert zahlreichen Arten Lebensraum und Nahrung
5 86 (Segatz et al. 2015). Sie hat ein festes, dauerhaftes Holz
6 87 und kann bei entsprechender Pflege in kurzer Zeit
Tabelle 3: Holzpreis je Festmeter für unterschiedliche wertholzhaltige Stämme produzieren. Aufgrund des
Sortimente (Forstamt Haardt 2009 – 2013) (Louen 2016) geringen Angebots ist der Markt für Edelkastanienholz
LWF Wissen 81 51
Die Edelkastanie in Bayern – Erkenntnisse aus einem Projekt der LWF
in Deutschland allerdings sehr klein. Jedoch können Ninemets, Ü.; Valladares, F. (2006): Tolerance to Shade,
bereits für schwache Palisaden-Sortimente gute bis Drought, and Waterlogging of Temperate Northern Hemi-
sphere Trees and Shrubs. In: Ecological Monographs 76 (4),
sehr gute Preise erzielt werden. Das rasche Jugend- S. 521–547. Online verfügbar unter http://www.jstor.org.jstor.
wachstums und die hohe Stockausschlagfähigkeit emedia1.bsb-muenchen.de/stable/pdf/27646060.pdf, zuletzt
machen die Edelkastanie interessant für den Anbau geprüft am 01.02.2017
in Energieholzplantagen. Mit dem Rindenkrebs hat
Peterken, G. F.; Evans, J. (1985): Silviculture of Broadleaved
sie jedoch einen hochgefährlichen Widersacher, wel- Woodland. In: The Journal of Applied Ecology 22 (2), S. 610.
cher durchaus bestandsbedrohend werden kann. Dies DOI: 10.2307/2403204
spricht in jedem Fall gegen großflächige Anbauten
dieser Art. Kleinflächiges Einbringen auf geeigneten Prospero, S.; Forster, B. (2011): Chestnut gall wasp (Dryocos-
mus kuriphilus ) infestations. New opportunities for the chest-
Standorten kann dagegen eine ökologische Bereiche-
nut blight fungus Cryphonectria parasitica ? In: New Dis. Rep.
rung der heimischen Wälder mit sich bringen. Je nach 23, S. 35. DOI: 10.5197/j.2044-0588.2011.023.035
waldbaulicher Zielsetzung erfordert die Edelkastanie
eine spezifische und anspruchsvolle Bewirtschaftung. Segatz, E. (Hg.) (2015): Die Edelkastanie am Oberrhein – As-
pekte ihrer Ökologie, Nutzung und Gefährdung – Ergebnisse
aus EU Interreg IV A Oberrhein-Projekt. Zentralstelle der Forst-
verwaltung Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirt-
Literatur schaft Rheinland-Pfalz (FAWF). Trippstadt (Mitteilungen aus
der Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft
Bouffier V. A.; Maurer W. D. (2009): Following Chestnut Foot- Rheinland-Pfalz, 74/15)
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heat-tolerant tree species will be of great importance for
Freising
the stabilization of the stocks in the future. One of these
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ISBN: 9788899595579 at the Bavarian State Research Center for Forest and For-
estry. As part of this, Bavarian deposits were recorded,
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madera de alto valor El castaño Castanea sativa Mill. Asocia- in Germany, potential cultivation areas were determined,
ción Forestal de Galicia
52 LWF Wissen 81
Die Edelkastanie in Bayern – Erkenntnisse aus einem Projekt der LWF
54 LWF Wissen 81
Multitalent Edelkastanie – Erkenntnisse und
Erfahrungen aus dem Pfälzerwald
Wolfgang Wambsganß und Hans-Peter Ehrhart
Abbildung 1: Kastanienblüte an der Haardt (vom Slevogthof nach Süden zur Madenburg) Foto: W. Wambsganß
LWF Wissen 81 55
Multitalent Edelkastanie – Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Pfälzerwald
56 LWF Wissen 81
Multitalent Edelkastanie – Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Pfälzerwald
Alpen auf die Edelkastanie aufmerksam geworden. Bis Weinrebe ein Symbol für ein mediterran geprägtes Kli-
zu diesem Zeitpunkt hatte man in den deutschen Al- ma. Schon der Bayernkönig Ludwig I. ließ um seine
pen Hangschutzverbauungen mit kesseldruckimpräg- in der Mitte des 19. Jahrhunderts errichtete Sommer
nierten Nadelhölzern errichtet. Schutzbauten aus unbe- residenz Villa Ludwigshöhe, oberhalb von Edenkoben,
handeltem Kastanienholz, die im Tessin 20 Jahre und Tausende von Edelkastanien pflanzen, um auf die Kli-
länger ihre Funktion erfüllten, wurden als umweltscho- magunst seines Herrschaftsbereiches hinzuweisen.
nende Alternative den schadstoffbelasteten Hölzern in
dem sensiblen Ökosystem vorgezogen (Abbildung 2). Seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts setzt
der Tourismus zunehmend auf die Edelkastanie als
Seit dieser Zeit fließen große Mengen des im Pfälzer- Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Regionen.
wald produzierten Edelkastanienholzes in den alpinen Die Verbindung Wein, Edelkastanienwald und mildes
Hangschutzverbau sowie zunehmend in den ökolo- Klima wurde ein Markenzeichen insbesondere für die
gisch orientierten Garten- und Landschaftsbau. Die Südpfalz. Seit einigen Jahren werden auf sogenann-
Edelkastanie erlebt seitdem in der Pfalz einen neuen ten Kastanienmärkten im Oktober zur Reifezeit der
Boom. Gerade, junge Triebe aus Stockausschlag mit »Keschdefrucht« kulinarische Leckereien aus Kastani-
Durchmessern zwischen 10 und 20 cm haben eine en in fester und flüssiger Form angeboten.
besondere Nachfrage, denn diese Dimension ist ideal
für den Rundholzverbau (Abbildung 3). Die Erlöse für Der Erlebniswert in dem an vielen Stellen sehr ge-
dieses Sortiment liegen je nach Qualität bei bis zu schlossenen Pfälzerwald wird für die Wanderer durch
90 € pro Festmeter. Angesichts einer Produktionszeit die typische waldbauliche Behandlung der Edelkasta-
von 30 Jahren im Stockausschlagsbetrieb ist das für nienbestände bereichert. Die Stockhiebe zur Verjün-
die Waldbesitzenden ein betriebswirtschaftlich äußerst gung der lichtbedürftigen Edelkastanie führen zu zahl-
rentables Produktionsziel. reichen reizvollen Ausblicken in die Waldlandschaft.
Der »Keschdeweg« zwischen Hauenstein und Neu-
Aber auch starkes, ringschälefreies Kastanienstamm- stadt macht die Kastanienwälder zu einem beliebten
holz guter Qualität ist ab 30 cm Mittendurchmesser Wanderziel.
sehr gefragt und erzielt auf Submissionen 400 bis
800 € pro Festmeter (Abbildung 4) (Mettendorf 2007). Im Herbst sind die Edelkastanienwälder ein besonde-
rer Anziehungspunkt für Familien, die die gefallenen
Infolge der gestiegenen Preise für die fossilen Energie- Früchte sammeln. Pro Hektar fallen zwischen 500 und
träger ist inzwischen auch die Verwendung als Ener- 1.000 kg Kastanienfrüchte, genug für die Menschen
gieholz, insbesondere für die Privatwaldbesitzenden, sowie das Schwarzwild, das zu dieser Zeit aus dem in-
wieder bedeutend geworden. neren Pfälzerwald an die Haardt wechselt (Schabacker
2015). Und der Tourismus entlang der Weinstraße pro-
Die Edelkastanie ist heute in der Pfalz nicht nur wegen fitiert von den einkehrenden Wanderern, denen der
ihres Holzes bedeutsam und beliebt. Sie ist neben der Wildschweinbraten besonders schmeckt.
LWF Wissen 81 57
Multitalent Edelkastanie – Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Pfälzerwald
Zur Kastanienblüte im Juni, die dann das Landschafts- nem Alter von 10 bis 15 Jahren schlagartig absinkt.
bild des aus der Rheinebene emporsteigenden Haardt Die dann herrschende Konkurrenzsituation führt zu
randes eindrucksvoll prägt, kommen viele Wanderim- einer hohen Mortalität der Schösslinge. Benner (2010)
ker an die Haardt, um den begehrten Kastanienhonig zu fand in dichten Jungbeständen im Alter 20 bis zu
erzeugen. Er hat einen aromatisch-herben Geschmack 2.000 abgestorbene, stehende Stockausschläge pro
und soll antibakterielle Wirkungen haben, weswegen Hektar. Die Grundflächen erreichen hektarbezogen
er besonders begehrt ist. Circa 10.000 Bienenvölker schon mit 20 Jahren 30 m² und mehr, die Vorräte bis
produzieren jährlich je nach Witterungsverlauf bis zu 200 Vorratsfestmeter. Aufgrund der abflachenden
zu 50.000 kg Honig, was nach einer Szenarienanalyse Durchmesser- und Höhenentwicklung sowie der ho-
von Schabacker (2015) einem potenziellen Erlös von hen Absterberate steigen diese Werte mit zunehmen-
500.000 € entspricht. Dieser Wert würde aktuell sogar dem Alter jedoch nur noch verhalten. Die Edelkasta-
den Gesamterlös des Kastanienholzes übertreffen, der nie ist somit ein ausgesprochener Frühdynamiker, die
in den letzten Jahren bei ca. 300.000 € lag (Wambsganß Steuerung der Produktion kann daher nur in jungen
2014). Jahren erfolgen.
Frühdynamische Baumart
Die enorme Wuchsdynamik der Stockausschläge
führt auch heute dazu, dass die Edelkastanie in traditi-
oneller Weise überwiegend über Stockhiebe verjüngt
wird. Diese dunkeln in den ersten zehn Jahren mit ei-
nem jährlichen Höhenwachstum von einem Meter und
mehr Konkurrenzbaumarten oder auch ankommende
Edelkastanienkernwüchse meist komplett aus. Da die
Wurzelsysteme der alten Stöcke große Nährstoff- und
Wasserpotenziale erschließen, werden je nach Stand-
ort im Alter 20 Baumhöhen zwischen 13 m und 24 m
erreicht. Die Triebe der Stockausschläge weisen zu-
nächst ein enormes Durchmesserwachstum (bis zu Abbildung 5: Edelkastanienstammholz mit Ringschäle
1,4 cm /Jahr) auf, das mit dem Kronenschluss ab ei- Foto: W. Wambsganß
58 LWF Wissen 81
Multitalent Edelkastanie – Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Pfälzerwald
werden. Weder Schalltomografie noch elektrische ausbreiten kann, da die Übertragung nur durch My-
Widerstandstomografie können zuverlässige Hinweise zelverwachsungen erfolgt. Optimistisch stimmt aber,
auf den Grad der Ringschäle geben (Happe 2012 /2013). dass in der Ortenau in Baden die Hypovirulenz schon
Somit kann erst nach dem Hieb eingeschätzt werden, in vielen Beständen festgestellt wurde.
ob ein Stamm auf den Wertholzplatz kommt oder mit
großen Erlöseinbußen nur noch als Energieholz ver- Frühe Festlegung auf Produktionsziele
marktet werden kann. Beim Produktionsziel Wertholz steht die Minimierung
der Ringschäle im Vordergrund. Daher müssen die Zu-
Kastanienrindenkrebs kunftsbäume der frühdynamischen Edelkastanie auch
Seit 2004 tritt in der Pfalz der Pilz Cryphonectria para- sehr früh und konstant freigestellt werden, damit brei-
sitica als Verursacher des Kastanienrindenkrebses auf te, möglichst gleichmäßige Jahrringe entstehen.
(Delb et al. 2018). Sein Myzel wächst zwischen Rinde In den Jungbeständen sind beim beginnenden
und Kambium und führt im Endstadium zu einer stam- Kronenschluss, also vor dem Absinken des Durch-
mumfassenden Ringelung, die zum Absterben von messerzuwachses (Alter ca. 10 bis 15 Jahre), bei ei-
Krone und Ästen oder des ganzen Stamms führt. Da ner Oberhöhe von ca. 12 m, 60 bis 80 Zukunftsbäume
sich die Krankheit immer mehr ausbreitet, stellt sich auszuwählen und wiederholt konsequent freizustellen
zunehmend in vielen Beständen die Frage, ob das (Abbildung 6). Dadurch werden sowohl ein maxima-
Risiko für eine Wertholzproduktion nicht zu groß ist. les Dickenwachstum als auch geringe Schwankungen
Entscheidend für die Antwort wird die Ausbreitung der Jahrringbreiten erreicht (Abbildung 7). Im Alter 60
von hypovirulentem Myzel sein, da dieses die Patho- kann der Zieldurchmesser von 60 cm mit einer mög-
genität und Reproduktivität des Pilzes mindert (Peters lichst geringen Ringschälewahrscheinlichkeit erreicht
2016). Der Pilz wird durch Virenbefall so geschwächt, werden (Hein 2013). Die Standorte sollten gut wasser-
dass die Edelkastanie ihn erfolgreich abwehren kann. versorgt sein, um die Gefahr des Stresses in Trocken-
Im Rahmen des INTERREG-Projekts wurde hypovirul- jahren möglichst gering zu halten. Beispiele aktuell
entes Myzel ausgebracht, was sich aber nur langsam genutzter, ohne Kronenkonkurrenz aufgewachsener
LWF Wissen 81 59
Multitalent Edelkastanie – Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Pfälzerwald
Edelkastanien zeigen, dass dieses Ziel realistisch er- und als »Keschde« je nach persönlichem Gusto zube-
reicht werden kann. reitet und genossen werden können. Ihr Waldbau hat
Bei merklichem Auftreten von Kastanienrinden- eine große Variationsbreite und bietet späteren Genera-
krebs oder auf schlechteren Standorten birgt das Pro- tionen viele Optionen, was angesichts der Risiken des
duktionsziel Wertholz ein zu hohes Risiko. Hier ist das Klimawandels besonders wichtig ist. Die Risikofakto-
Produktionsziel Palisadenholz eine gute Alternative. In ren Rindenkrebs und Japanische Esskastaniengallwe-
einem 30-jährigen Umtrieb kann das begehrte Kasta- spe müssen in ihrer weiteren Entwicklung im Auge
nienschwachholz erzeugt werden, die Pflegeeingriffe behalten werden.
begrenzen sich auf die Entnahme schlechtformiger
Stockausschläge.
Das Produktionsziel Energieholz, das der klassi- Literatur
schen Niederwaldwirtschaft entspricht und maximale
Benner, S. (2010): Edelkastanien-Niederwälder am Haardtrand
Holzmasse ohne Qualitätsmerkmale in 20 Jahren er-
– Struktur, Zustand und Entwicklungsmöglichkeiten für die
zeugt, ist insbesondere im Privatwald eine Möglich- Energieholznutzung. Masterarbeit beim Institut für Landespfle-
keit, die sich aufgrund des enormen Jugendwachs- ge der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
tums der Edelkastanie anbietet.
Bronner, J. P. (1833): Der Weinbau am Haardtgebirge von Land-
Die waldbaulichen Möglichkeiten sind im Rahmen
au bis Worms. Universitätsbuchhandlung E,F, Winter, Heidel-
des oben genannten EU-INTERREG-Projekts in einem berg, 164 S.
auf Französisch und Deutsch herausgegebenen Merk-
blatt »Die Edelkastanie, vom Brennholz zum Wertholz« Cousseau, G.; Lemaire, J. (2008): Detecter la presence de rou-
in einer für Privatwaldbesitzende ohne forstliche Aus- lures dans un arbre sans l’abattre. Forêt-Entreprise Nr. 179,
S. 45–48
bildung verständlichen Form dargestellt (Tabelle 1).
Neben den spezifischen Eigentümerinteressen wie Delb, H.; Grüner, J.; John, R.; Seitz, G.; Wußler, J. (2018): Wald-
Finanzzielen, Risikobereitschaft und mögliche Intensi- schutzsituation 2017/2018 in Rheinland-Pfalz und Saarland.
tät der Bewirtschaftung sind für die Wahl des Modells AFZ-Der Wald 7, S. 22–25
das Alter und die Qualität des Ausgangsbestands sowie Ehrhart, H.-P.; Segatz, E. (2013): Potenziale und Gefährdungen
das eventuelle Ausmaß des Krebsbefalls entscheidend. der Edelkastanie am Oberrhein. AFZ-Der Wald 16, S. 4–5
Insbesondere zur Zeit der Weinlese im Herbst wird sie Hussmann, K. et al. (2013): Ursachenanalyse der Ringschäle bei
von den Menschen der Region und darüber hinaus Edelkastanie in Rheinland-Pfalz. Forstarchiv 84: (4) S. 107–118
wahrgenommen, wenn Kastanienfrüchte gesammelt
60 LWF Wissen 81
Multitalent Edelkastanie – Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Pfälzerwald
LWF Wissen 81 61
Ausbreitung der Edelkastanie durch Eichelhäher
Simone Kutscher
Saldenburg ist ein kleiner Ort im niederbayerischen fluss zu beantworten, wurde im Juli und August 2017
Landkreis Freyung-Grafenau. Spontan würde man ein ca. 250 ha großes Gebiet um Saldenburg intensiv
die Edelkastanie nicht mit Niederbayern bzw. dem untersucht. An sämtlichen Wegen (Forstwege, Wan-
Bayerischen Wald in Verbindung bringen. Aber dank derwege, Straßen im Ort) wurde im Abstand von etwa
eines »Liebesbeweises« vor gut 100 Jahren wurden 20 m der Waldbestand in einer Tiefe von mindestens
zwei Edelkastanien auf einem Gutshof in Saldenburg 10 m nach Edelkastanien abgesucht. Dabei wurden
gepflanzt. Seitdem gibt es in und um den Ort diese insgesamt 205 Edelkastanien gefunden (Abbildung 2
nicht-heimische Baumart (Abbildung 1). und 3). Der weiteste Fundpunkt ist 812 m von der Ur-
sprungskastanie am Gutshof entfernt.
Inwieweit der Eichelhäher die Ausbreitung der Edel-
kastanie im Raum Saldenburg begünstigt, ist die Aufgrund der weiträumigen Verteilung der Kastanien
Fragestellung meiner Bachelorarbeit, welcher ich im war eine Verwandtschaftsanalyse in Zusammenarbeit
Rahmen des LWF-Projekts C29 »Untersuchung zu Vor- mit dem Bayerischen Amt für forstliche Saat- und
kommen, Genetik und Anbaueignung der Edelkasta- Pflanzenzucht (ASP) von großem Interesse. 37 Edel-
nie in Süddeutschland unter der Berücksichtigung von
waldbaulichen und waldschutzrelevanten Aspekten«
Abbildung 2: Fundorte der Edelkastanien-Verjüngung
nachgehe. Um die Frage nach dem Eichelhäher-Ein- Karte: S. Kutscher
Aufgenommen 2016
Aufgenommen 2017
Aufnahmegebiet
7 18 76
6 5051 7475 115
19
^
3 5 2 1 49 73
Edelkastanien Fundpunkte
4
48 114
607172
8 61 95
9394
149
Fundpunkte
10 11 64
9 148 65
66
147 67
13 113
12
47
62
63
68 Ursprungsbaum
24 70 69
23 144
127
128
131
130 132
25 120 129
22 26
125126 96
27
135
123 124 134
31 142 138
28 136 139
141
32 3334 29 30 143 137
140
38 104
103 121 133
122
43
105
106107
110111
145 101
102 100
146
99
98
0 60 120 240 m
Hähersaat-Saldenburg
108
Abbildung 1: Edelkastanien auf einem Gutshof Abbildung 3: Lokales Etablierungsmuster der Häher-
in Saldenburg Foto: Chr. Hübner, LWF Kastanien Karte S. Kutscher
62 LWF Wissen 81
Ausbreitung der Edelkastanie durch Eichelhäher
LWF Wissen 81 63
Das Holz der Edelkastanie –
Eigenschaften und Verwendung
Klaus Richter und Gabriele Ehmcke
Schlüsselwörter: Edelkastanie, Esskastanie (Castanea sa- dunkelbraunen Farbton nach (Grosser und Teetz 1998).
tiva Mill.), Fagaceae, Holzbeschreibung, Holzeigenschaf- Mit dem geschlossenen Frühholzporenring und den
ten, Holzverwendung ungleich kleineren Spätholzgefäßen zählt das Holz der
Esskastanie zu den ringporigen Holzarten, wie Ulme,
Zusammenfassung: Beschrieben werden der anatomi- Robine und Eiche. Die Gemeinsamkeiten in Farbe und
sche Aufbau sowie die Eigenschaften und Verwendungs- Textur von Esskastanien- und Eichenholz führen leicht
bereiche vom Holz der Edelkastanie. Im Erscheinungsbild zu Verwechselungen. Auf dem Querschnitt lassen sich
ist es auf den ersten Blick leicht mit dem der Eiche zu ver- jedoch die holzanatomischen Unterschiede gut erken-
wechseln, bei detaillierter Betrachtung des Querschnitts nen. Eine zartere Flammung und die sehr schmalen,
sind aber die feine Flammung und die vorwiegend nur erst durch die Lupe erkennbaren, in der Regel einrei-
einreihigen Holzstrahlen der Edelkastanie ein sicheres higen Holzstrahlen sind Merkmale der Esskastanie
Unterscheidungsmerkmal. Das obligatorisch verkernen- (Abbildung 1).
de, regelmäßig verthyllende mittelschwere Holz liegt bei
den mechanisch-technologischen Kennwerten leicht un- Die auf den radialen Längsflächen als Porenrillen und
terhalb dem von Trauben- und Stieleiche, zeigt aber ein auf tangentialen Flächen als Fladern (Abbildung 2)
besseres Stehvermögen, d. h. eine gute Dimensions- und bildbestimmenden Frühholzporen sind sehr groß (bis
Formstabilität. Das Holz ist anspruchsvoll beim Trock- zu 300 µm Durchmesser in tangentialer Richtung),
nungsprozess, und neigt trotz einer an sich guten Bear- mit reichlich Thyllen und erscheinen unter dem Mik-
beitbarkeit zum Reißen. Die hohen Anteile an Gerbstoffen roskop auffällig oval (Abbildung 3). Im Gegensatz zu
und anderen Extrakten sind bei der Auswahl der Produk- den Gefäßen des Frühholzes sind die Spätholzgefäße
te zur Oberflächenbearbeitung und bei der Verklebung sehr klein (30 – 40 µm) und in schmalen, radialen bis
zu beachten. Diese Eigenschaft könnte zukünftig aber be- schrägen und sich oft gabelnden Reihen angeordnet.
sondere Beachtung im Rahmen der Bioraffinerieprozesse Axialparenchym ist nur spärlich im Fasergrundgewe-
finden und damit eine weitere Verwendungsmöglichkeit be vorhanden (apotracheal-diffus, diffus-zoniert) und
für Waldrestholz und Sägenebenprodukte bieten. Die auf dem Radialschnitt als strangförmig mit 2 – 5 Zellen
häufige Ausprägung von Ringschäle und die oft krumm- pro Strang erkennbar (Abbildung 3). Die Holzstrahlen
schäftigen und exzentrischen Stammformen schränken sind ausschließlich einreihig (eine Zelle breit) und da-
die vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten des Esskas- mit makroskopisch nicht erkennbar (Abbildungen 1
tanienholzes etwas ein. Aufgrund der guten natürlichen und 2) (Grosser 1977).
Dauerhaftigkeit von Kastanienholz finden die oft gering
dimensionierten Sortimente der Kastanie ihren Einsatz in Gesamtcharakter des Esskastanienholzes
der Lawinenverbauung, im Landschafts- und Gartenbau • dekoratives, ringporiges Laubholz mit farblich
und bei Spielplatzgeräten. deutlich voneinander unterscheidbarem Splint-
und Kernholz
• Kernholz von gelblich- bis hellbrauner Holzfarbe
und im Gebrauch bis dunkelbraun nachdunkelnd
Holzbeschreibung • Jahrringgrenzen deutlich erkennbar
• ringförmige Anordnung der grobporigen Früh-
Die Esskastanie zählt zu den Bäumen mit regelmä- holzgefäße, die auf den Längsflächen je nach
ßiger Farbkernbildung (Kernholzbaum) und einem Schnittführung deutliche Fladern und Streifen
deutlichen Farbunterschied zwischen Splint- und Kern- bilden
holz. Der schmale Splint (1 – 1,5 cm) ist von schmutzig • dem Eichenholz sehr ähnlich, aber insbesondere
weißer bis gelblich weißer Farbe. Das Kernholz ist in durch die sehr schmalen, erst durch die Lupe
frischem Zustand gelblich braun oder hellbraun ge- erkennbaren Holzstrahlen gut zu unterscheiden
färbt. Unter Lichteinfluss dunkelt es zu einem hell- bis
64 LWF Wissen 81
Das Holz der Edelkastanie – Eigenschaften und Verwendung
LWF Wissen 81 65
Das Holz der Edelkastanie – Eigenschaften und Verwendung
50 µm 50 µm
50 µm
66 LWF Wissen 81
Das Holz der Edelkastanie – Eigenschaften und Verwendung
LWF Wissen 81 67
Das Holz der Edelkastanie – Eigenschaften und Verwendung
Holzarten Schwindmaß vom frischen bis zum gedarrten Differentielles Schwind- /Quellmaß
Zustand bezogen auf die Abmessungen im [%] je 1 % Holzfeuchteänderung
frischen Zustand [%] im Bereich von u = 5 % bis u = 20 %
β l β r β t β V radial tangential t /r
Laubhölzer
Edelkastanie (CTST) 0,6 4,3 6,4 11,3 – 11,6 0,14 0,21 – 0,26 ~ 1,7
Eiche (QCXE) 0,4 4,0 – 4,6 7,8 – 10,0 12,6 – 15,6 0,16 0,36 2,2
Buche (FASY) 0,3 5,8 11,8 17,5 – 17,9 0,20 0,41 2,1
Esche (FXEX) 0,2 5,0 8,0 13,2 – 13,6 0,21 0,38 1,8
Ahorn (ACPS) 0,4 /0,5 3,3 – 4,4 8,0 – 8,5 11,2 – 12,8 0,10 – 0,20 0,22 – 0,30 ~ 1,8
Nadelhölzer
Fichte (PCAB) 0,3 3,6 7,8 11,9 – 12,0 0,19 0,39 2,1
Kiefer (PNSY) 0,4 4,0 7,7 12,1 – 12,4 0,19 0,36 1,9
Tabelle 3: Schwindmaße der Edelkastanie im Vergleich zu ausgewählten einheimischen Nutzhölzern.
Werte nach DIN 68100 (Ausgabe 09.2008); Nomenklatur nach DIN EN 13556 (Ausgabe 10.2003); Grosser und Teetz (1998); Grosser und Zimmer (1998)
(Militz et al. 2003) weisen auf eine hohe Variabilität in breite ausgegangen werden. Neben den an kleinen,
der Dauerhaftigkeit hin, die aber in jüngeren Arbeiten fehlerfreien Holzproben ermittelten Kennwerten sind
nicht bestätigt wurde (Thaler et al. 2014), bei denen für die Einsatzabschätzung und die Verwendung des
sich auch an historischen Hölzern noch gute Wider- Kastanienholzes vor allem die waldseitig verfügbaren
standsfestigkeiten zeigten. Wie bei anderen ringpori- Rundholzeigenschaften heranzuziehen. Diese können
gen Holzarten kann auch bei der Kastanie von einer bei der Esskastanie maßgeblich durch das Auftreten
positiven Korrelation der Holzdichte (und damit den von Ringschäle beeinträchtigt sein. Ringschäle ist das
Festigkeits- und Steifigkeitswerten) und der Jahrring- Resultat aus einer inhomogenen Spannungsverteilung
im Stamm über unterschiedlich spannungsresistenten
Stammbereichen. Die ringförmigen Risse entstehen,
wenn die Holzspannungen sich entlang der Frühholz-
gefäße eines Jahresringes entladen. Damit werden
große Anteile des Stammes, insbesondere im wertvol-
len Erdstammbereich, für die Schnittholzgewinnung
entwertet (Abbildung 4). Die Wertholzproduktion der
Edelkastanie muss daher konsequent durch Behand-
lungskonzepte, die an die Standort- und Klimabedin-
gungen angepasst sind, sicherstellen, dass abrupte Zu-
wachsschwankungen, insbesondere in der juvenilen
Wachstumsphase, vermieden werden.
68 LWF Wissen 81
Das Holz der Edelkastanie – Eigenschaften und Verwendung
aus den kleinformatigen Rohholzteilen großformatige wird abgefräst und die schlanken Holzdimensionen
Halbelemente zu fertigen. Hier zeigt das Kastanienholz werden in runder Form weiterverarbeitet und können
trotz der reichlichen Ausstattung mit Extrakten sowohl ohne chemischen Schutz oder Modifikationsbehand-
in der Flächen- als auch in der Keilzinkenverklebung lungen im Erdkontakt (z. B. Zäune, Rebpfähle) und
ein befriedigendes bis gutes Verhalten, so dass auch Wasserbau eingesetzt werden. Die gute Anstrichver-
die für die konstruktive Verklebung notwendigen Ziel- träglichkeit des Holzes wird von gestaltenden Künst-
werte bei Feuchtebelastung der Prüfkörper eingehal- lern geschätzt (Abbildung 5). Für die Gleitschnee- und
ten werden können. Aus dem niedrigen E-Modul und Lawinenschutzverbauung wird die Kastanie neben
der guten Formstabilität des Kastanienholzes lässt sich dem Robinienholz in Form von Dreibeinböcken unbe-
diese positive Eigenschaftsausprägung ableiten. handelt verwendet, bei Haltbarkeitserwartungen von
Verwendung
LWF Wissen 81 69
Das Holz der Edelkastanie – Eigenschaften und Verwendung
Abbildung 6: Lawinenschutzverbauung aus unbehandelter Keywords: Sweet chestnut, wood, anatomical structure,
Kastanie. Foto: Holzforschung München properties, utilization
mindestens 30 Jahren (Abbildung 6). Entscheidende Summary: The wood of sweet chestnut has a ring-porous
Wettbewerbsvorteile dieser Nischenanwendungen tree ring structure and macroscopically, it is very similar in
sind, neben der Dauerhaftigkeit, die Gewichtsvorteile appearance to oak wood. However, the fine, in short ra-
und der rückstandsfreie natürliche Abbau der Biomas- dial rows or in clusters arranged latewood vessels and the
se am Ende der Materiallebensdauer. uniseriate wood rays are distinct features for the differen-
tiation at the microscopic level. The mechanical properties
In der Holzwerkstoffindustrie kann das Esskastanien- of chestnut are described as elastic and strong. The wood
holz prinzipiell zur Spanplatten- und Faserplattenher- has positive wood-water relations with low shrinking
stellung eingesetzt werden. Der Versuch zur Nutzung values and thus, good dimensional stability under varying
ihrer guten natürlichen Dauerhaftigkeit für die kon- ambient moisture regimes. The chestnut tree forms a re-
struktiv eingesetzten OSB-Platten war, wie oben be- gular hardwood (and a small sapwood) zone and has a
schreiben, jedoch nicht erfolgreich. Es ist zu erwarten, high amount of extractives, thus the biological durabili-
dass die mengenmäßig hohe Ausstattung des Holzes ty is superior and entails many application potentials of
mit Gerbstoffen und anderen Extrakten im Rahmen the timber. The high amount of tannin and other extrac-
der Bioraffinerieprozesse zukünftig besondere Beach- tives could be an interesting value for future processes
tung erfährt und zu einer weiteren Verwendungsroute in the biorefinery, leading to new applications of forest
für Waldrestholz und Sägenebenprodukten der Edel- residues and sawmill by-products. A specific feature of
kastanie führt. sweet chestnut forestry is that middle-aged and mature
trees may show the defect of ring shakes, which signifi-
cantly devalue the roundwood quality. From the wood
Literatur technological point of view, chestnut is easy to process,
despite the drying process needing special caution due
Dieste A.; Rodrıguez K.; Bano V. (2013): Wood – water relations to the risk of twisting or checking. Wood adhesion does
of chestnut wood used for structural Purposes. Eur. J. Wood
not cause any technological problems, thus fingerjointing
Prod. 71: S. 133–134
and lamellation may be key technologies to increase the
Eichhorn, S.; Losemann, F.; Hapla, F. (2015): Analyse unter- economic value of chestnut wood production. Actually,
schiedlicher Produktlinien des Edelkastanienholzes, 120 S., defect-free mature roundwood is transformed into sliced
Göttingen. Abschlussbericht erstellt im Auftrag der FAWF
veneers and sawnwood for furniture production and
Rheinland-Pfalz
building construction elements to be exposed indoor and
Grosser, D. (1977): Die Hölzer Mitteleuropas. Springer-Verlag, outdoor. Low diameter stems are used as palisades and
208 S. round elements in landscape and gardening constructi-
on, and outdoor furniture. A niche market is the fabricati-
Grosser, D.; Teetz, W. (1998): Loseblattsammlung: Einheimi-
sche Nutzhölzer – Vorkommen, Baum- und Stammform, Holz- on of snowslide and avalanche protection systems.
beschreibung, Eigenschaften, Verwendung. Blatt 26: Edel
kastanie. Hrsg: Holzabsatzfonds – Absatzförderungsfonds der
deutschen Forstwirtschaft, Bonn
70 LWF Wissen 81
Die wichtigsten Krankheiten und Schädlinge
der Edelkastanie
Marco Conedera, Jörg Grüner, Horst Delb, Eric Gehring und Simone Prospero
Schlüsselwörter: Castanea sativa, Dryocosmus kuriphilus, gen. Nach Lang et al. (2007) liegt das ursprüngliche
Phythophthora spp., Cryphonectria parasitica, biologische Zentrum der Kastanienarten in Asien (China und Ja-
Kontrolle pan). Von dort ist die Gattung zunächst über Europa
und dann weiter nach Nordamerika divergiert. Die so
Zusammenfassung: Die Edelkastanie entstammt phylo entstandenen europäischen und amerikanischen Kas-
genetisch aus asiatischen Kastanienarten und hat sich tanienarten haben sich in der neuen geografischen
ohne den selektiven Druck durch gewisse spezifische Umgebung somit ohne den selektiven Druck durch
Krankheiten und Schädlinge wie den Kastanienrinden- gewisse spezifische Krankheiten und Schädlinge wie
krebs und der aus Asien stammenden Kastaniengall den Kastanienrindenkrebs und der Asiatischen Edel-
wespe weiterentwickelt. In diesem Beitrag präsentieren kastaniengallwespe weiterentwickelt.
wir den historischen Verlauf und den aktuellen Stand der
drei importierten Hauptgegenspieler der Edelkastanie: Die hohe Krankheits- und Schädlingsanfälligkeit der
die Asiatische Edelkastaniengallwespe (erstmals gemel- extra-asiatischen Kastanienarten wurde offensichtlich,
det in Europa im Jahr 2002), den Kastanienrindenkrebs als der Kastanienrindenkrebs und die Asiatische Edel-
(Erstmeldung in Europa im Jahr 1938) und die Tinten- kastaniengallwespe unbeabsichtigt in die entsprechen-
krankheit, eine Kastanienkrankheit, deren Ursprung und den Areale eingeschleppt wurden.
Erstmeldung für Europa nicht vollständig geklärt ist. Da-
bei veranschaulichen wir, wie die Edelkastanie bedingt In Europa hat die große kulturelle und wirtschaftliche
durch ihren Ursprung und aufgrund ihrer Kultivierungs- Bedeutung der Edelkastanie, die oft in Reinbestän-
geschichte sehr anfällig auf diese spezifischen Schädlinge den kultiviert wurde – und zum Teil immer noch wird
und Krankheiten ist. Für die Zukunft ist es deshalb beson- (Conedera und Krebs 2008) – die Empfindlichkeit des
ders wichtig, dass diese Baumart möglichst unter idealen Systems weiter verschärft. Neben der Baumart selbst
Standort- und Umweltverhältnissen kultiviert wird. Ideale haben neue, pandemische Ereignisse und auch die
Wuchsbedingungen minimieren krankheitsbedingte Risi- Art der Bewirtschaftung und die damit verbundenen
ken und leisten ebenfalls einen entscheidenden Beitrag ökosystemischen Dienstleistungen im weiteren Sinne
zur Minimierung der Auswirkungen von allfälligen Schäd- stark darunter gelitten.
lingsbefällen für diese Baumart.
In diesem Beitrag präsentieren wir den historischen
Verlauf und den aktuellen Stand der drei Hauptgegen-
spieler der Edelkastanie: die Asiatische Edelkastanien
Die Edelkastanie: eine anfällige Baumart gallwespe (erstmals gemeldet in Europa im Jahr 2002),
den Kastanienrindenkrebs (Erstmeldung in Europa im
Die Edelkastanie (Castanea sativa Mill.) ist die einzi- Jahr 1938) und die Tintenkrankheit, eine Kastanien-
ge europäische Kastanienart. Nach Dode (1908) gehört krankheit, deren Ursprung und Erstmeldung für Euro-
sie, zusammen mit den asiatischen Arten C. mollissima pa noch unsicher sind.
(Chinesische Kastanie), C. crenata (Japanische Kasta-
nie), C. seguinii, und der amerikanischen C. dentata,
zur Sektion Eucastanon, d. h. zu den Kastanienarten, Die Asiatische Edelkastaniengallwespe
die normalerweise drei Früchte pro stacheliger Frucht-
hülle (Cupula) aufweisen. Alle diese Arten sind prin- Biologie und Lebenszyklus
zipiell interfertil, d. h. sie sind untereinander kreuzbar Die Asiatische Edelkastaniengallwespe (Dryocosmus
und das daraus entstehende Geschlecht ist auch fertil. kuriphilus) lebt ausschließlich auf Baumarten der
Da die Arten aber schon sehr früh aufgrund der geo- Gattung Castanea und stammt ursprünglich aus dem
grafischen Gegebenheiten getrennt wurden, haben sie Süden Chinas. Von dort wurde sie bereits 1941 nach
somit auch separate evolutionäre Wege eingeschla- Japan, 1963 nach Korea, 1974 in die USA und kurz vor
LWF Wissen 81 71
Die wichtigsten Krankheiten und Schädlinge der Edelkastanie
A B C D E
F G H I J
der Jahrtausendwende wahrscheinlich mit infiziertem Im Innern der Gallen bilden die Larven je eine Kammer
japanischem Kastanienmaterial nach Italien einge- (Abbildung 1G), in der sie sich nach wenigen Wochen
schleppt, wo sie 2002 erstmals nachgewiesen wurde Fraß auch verpuppen. Die Puppen sind anfangs weiß
(Brussino et al. 2002). und gehen mit der Zeit in eine dunkelbraune Färbung
Es kommen nur Weibchen vor, die sich partheno- über (Abbildung 1H). Von Juni bis Juli schlüpfen die
genetisch (ungeschlechtlich) vermehren können. Die erwachsenen Gallwespen der nächsten Generation
erwachsenen Insekten mit einer Größe von 2,5 bis und schwärmen auf der Suche nach geeigneten Kasta-
3,0 mm sind univoltin (eine Generation pro Jahr her- nienknospen für die nächste Eiablage aus (Abbildung
vorbringend) und fliegen zwischen Juni und August 1I). Dabei werden sie durch den Wind unterstützt und
(Abbildung 1). In ihrem kurzen Leben als flugfähiges können 20 km oder auch weiter fliegen.
Insekt von lediglich bis zu zehn Tagen legen die Gall-
wespenweibchen etwa einhundert 0,1 mm kleine Eier Befallssymptome
in neu gebildete Kastanienknospen (Abbildung 1I). Die Gallen können sowohl an Blättern als auch an Trie-
Pro Knospe werden bis zu zwölf Eier gelegt (Abbil- ben und Blütenständen entstehen. Je nach Anordnung
dung 1J), ohne zunächst auffällige Symptome an den und Größe der Gallen wachsen die betroffenen Orga-
Wirtsbäumen hervorzurufen (Abbildung 1A). Aus den ne der Pflanze kaum oder unvollständig aus. Sobald
Eiern schlüpfen im Spätsommer oder Herbst weißliche die adulten Wespen aus den Gallen schlüpfen (Abbil-
Larven, die im ersten Larvenstadium ohne zu fressen dung 1D), trocknen die mit der Galle verbundenen
oder zu wachsen in den Knospen überwintern (Ab- Pflanzengewebe ein (Abbildung 1E). Die so geschä-
bildung 1F). Im Moment des Austriebs im Folgejahr digten Pflanzenteile stellen ideale Eintrittspforten und
werden die Larven aktiv und stimulieren die Kastanie Wachstumssubstrate für weitere Krankheitserreger wie
zur Bildung von 0,5 bis 2,5 cm großen, glattwandigen, zum Beispiel den Kastanienrindenkrebs dar (Meyer et
hellgrünen (Abbildung 1B) bis rosaroten Gallen (Ab- al. 2015). Der Baum versucht zu reagieren, indem er
bildung 1C). die schlafenden Knospen aktiviert und Ersatztriebe
ausbildet. Solche Ersatztriebe bleiben im ersten Jahr
der Ausbildung noch gesund und befallsfrei, da sie
72 LWF Wissen 81
Die wichtigsten Krankheiten und Schädlinge der Edelkastanie
Gallwespe-Schäden
welche sich vermehrt ab dem dritten Befallsjahr als 50
Reaktion auf die Baumschwächung bilden. Mit den
(%)
Jahren verursacht das Absterben von befallenen Be- 25
reichen, vor allem durch mit Gallen besetzte Triebe,
eine Beeinträchtigung der normalen Astarchitektur 0
sowie eine fortschreitende Verlichtung der Krone und
Kastanienkomponente im Honig
das Verkümmern der Bäume (Abbildung 2), die bis zu
–25
70 % ihrer ursprünglichen Blattfläche verlieren können
(Verlust in %)
(Gehring et al. 2018a). Zur Bildung von Ersatzkronen
–50
mobilisieren die Bäume ihre Reserven und verbrau-
chen diese dabei weitgehend.
–75
LWF Wissen 81 73
Die wichtigsten Krankheiten und Schädlinge der Edelkastanie
74 LWF Wissen 81
Die wichtigsten Krankheiten und Schädlinge der Edelkastanie
sucht, das erkrankte Gewebe zu überwallen. Dadurch orangenen Fruchtkörper des Pilzes, in denen sich die
entwickeln sich die typischen Rindenkrebse (Abbil- Sporen entwickeln (Abbildung 5F).
dung 5C). Im weiteren Verlauf der Krankheitsentwick-
lung wächst der Pilz durch die Rinde und tötet das Die Hypovirulenz
Kambium ab. Transport- und Wachstumsgewebe wer- Trotz der relativ hohen Anfälligkeit der Edelkastanie
den dadurch ebenfalls zerstört. Sobald ein sich aus- auf C. parasitica hatte die Epidemie des Kastanien-
breitender Rindenkrebs den ganzen Ast oder Stamm rindenkrebses in Europa weniger dramatische Folgen
umfasst, sterben die Pflanzenteile oberhalb der Infek- als in den USA. Nach einer virulenten Initialphase mit
tionsstelle ab (Abbildung 5A). Welkende Blätter wäh- hoher Mortalitätsrate infizierter Edelkastanien wurden
rend der Vegetationsperiode oder braune, hängende schon in den 1950er Jahren in Italien und Frankreich
Blätter an einzelnen Ästen im Winter sind neben Rin- nicht letal verlaufende, ausgeheilte Rindenkrebse
denkrebsen typische Anzeichen eines Befalls durch beobachtet (Abbildung 5D). Aus diesen wurden aty-
den Krankheitserreger (Abbildung 5B). Unterhalb der pische C. parasitica-Stämme isoliert, die, wie sich
Infektionsstelle entstehen zahlreiche Wasserreiser. In herausstellte, von einem Virus befallen waren. Die-
der Rinde und im Kambiumbereich bildet Cryphonec- ses sogenannte Cryphonectria Hypovirus 1 (CHV-1)
tria parasitica typische gelbliche Myzelfächer, mit de- wurde vermutlich zusammen mit dem Pathogen aus
nen er im Wirtsgewebe vordringt (Abbildung 5E). Auf Asien eingeschleppt. Seine Präsenz verlangsamt nicht
der befallenen Rinde entstehen hingegen die kleinen nur das Wachstum von C. parasitica im Rindengewebe
Abbildung 5: Symptome und Zeichen des Kastanienrindenkrebses. A) Bäume mit starkem Krebsbefall in der Krone;
B) befallene Jungpflanze mit welkenden Blättern; C) virulenter, aktiver Rindenkrebs; D) ausgeheilter, Hypovirus-infizierter
Rindenkrebs; E) gelbliche Myzelfächer von Cryphonectria parasitica; F) orange Fruchtkörper des Pilzes auf frisch
abgestorbener Rinde. Fotos: Phytopathologie, WSL (CH)
A B
C D E F
LWF Wissen 81 75
Die wichtigsten Krankheiten und Schädlinge der Edelkastanie
76 LWF Wissen 81
Die wichtigsten Krankheiten und Schädlinge der Edelkastanie
sind von den Wurzeln aufsteigend unter der Rinde im wässrigen Milieu ausbreiten. Wenn diese Sporen
flammenartig schwarz verfärbte Läsionen vorhanden auf Wurzeln einer anfälligen Pflanze treffen, keimen
(7A und B). An infizierten jungen Bäumen zeigen sich sie aus und starten eine Infektion. Bei für den Erreger
solche Läsionen oberflächlich durch eingesunkene ungünstigen Bedingungen kann P. cinnamomi auch
Rindenpartien. Sie sind auch ohne die Rinde zu ent- asexuelle, dickwandige Chlamydosporen bilden, wel-
fernen sichtbar. Der Name »Tintenkrankheit« nimmt che der Überdauerung (z. B. Trockenperioden) die-
Bezug auf das Phänomen austretender schwarzer nen. Beide Arten besitzen ebenfalls zwei Kreuzungs-
Rindenexsudate, welche häufig mit den Läsionen as- typen. Wenn beide Typen vorhanden sind, kann die
soziiert sind. Eine Infektion kann innerhalb von zwei sexuelle Fortpflanzung mit der Produktion von sexuel-
bis drei Jahren zum Absterben eines Baumes führen len Oosporen theoretisch auch stattfinden.
(Černy et al. 2008; Vettraino et al. 2005). Da die Tinten- Beide Arten sind in Europa nicht heimisch: Phyto-
krankheit das Wurzelsystem schädigt, unterbleibt eine phthora cinnamomi stammt vermutlich aus Papua-Neu-
Ausbildung von Stockausschlägen an der Basis befal- guinea, während für P. cambivora die genaue Herkunft
lener Bäume (Abbildung 7D). noch nicht zweifelsfrei geklärt ist. Beide Arten besitzen
ein außergewöhnlich breites Wirtsspektrum. Mit mehr
Biologie und Lebenszyklus der Krankheitserreger als 4.000 potenziellen Wirtspflanzenarten gilt das be-
Als hauptverantwortliche Erreger für die Tintenkrank- sonders für P. cinnamomi und erklärt auch ihr stark
heit treten gleich zwei bodenbürtige Arten der Gattung erhöhtes Schadpotenzial (Hardman und Blackman 2018).
Phytophthora (Oomyzeten) in Erscheinung, nämlich Der wichtigste limitierende Faktor für ein weiter ver-
P. cinnamomi und P. cambivora. Oomyzeten sind breitetes Vorkommen dieser zwei Krankheitserreger in
pilzähnliche Mikroorganismen, die mit Braun- und Europa scheint die Temperatur zu sein. Insbesondere
Kieselalgen nahe verwandt sind. Wie die Echten Pil- P. cinnamomi ist sehr kälteempfindlich und kommt
ze bilden sie im Substrat ein zusammenhängendes bisher nicht in Regionen vor, in denen die Minimaltem-
Myzel aus fadenförmig wachsenden Zellen (Hyphen) peraturen unterhalb von 1,4 °C liegen.
aus. Außerdem können sie auch begeißelte, asexuelle Untersuchungen in Baden-Württemberg belegen
Zoosporen (vergleichbar den Konidien) produzieren, für den südlichen Oberrhein das Vorkommen für
die im Wasser beweglich sind und sich vornehmlich P. cinnamomi im Zusammenhang mit der Mortalität
Abbildung 7: Symptome der Tintenkrankheit der Edelkastanie. Von den Wurzeln aufsteigend, schwarz verfärbte Läsion
an der Stammbasis eines alten (A) und eines jungen (B) Baumes; C) schüttere Belaubung der ganzen Kronen von befallenen
Bäumen; D) wegen Tintenkrankheit abgestorbener Baum. Fotos: Phytopathologie, nach WSL (CH)
A C D
LWF Wissen 81 77
Die wichtigsten Krankheiten und Schädlinge der Edelkastanie
bei Edelkastanien. Entscheidend für das Vorkommen Empfehlenswert ist es außerdem, Kastanienbäume
von P. cinnamomi in der Rhizosphäre waren vor allem regelmäßig auf Schädlinge und Pathogene hin zu in-
die Niederschlagshöhe und die Bodenfeuchte (Wun- spizieren, und falls diese auftreten, das befallene Pflan-
derlich 2011). zenmaterial umgehend zu vernichten. Jungpflanzen
sollten nur aus nachweislich infektionsfreien Baum-
Regulierungsmaßnahmen und aktuelle Situation schulen bezogen werden.
Ein großes Problem für eine Behandlung oder Gegen-
maßnahmen stellt die Durchseuchung der Böden mit
den Krankheitserregern dar, wenn ein Edelkastanien- Literatur
bestand von der Tintenkrankheit betroffen ist. Eine
komplette Ausrottung der Krankheit ist somit unrea- Brussino, G.; Bosio, G.; Baudino, M.; Giordano, R.; Ramello, F.;
Melika, G. (2002): Pericoloso insetto esotico per il castagno
listisch und Strategien zur Bekämpfung zielen darauf
europeo. L’Informatore Agrario. 37: 59–62
ab, die Befallsherde einzudämmen und eine weitere
Ausbreitung zu verhindern. Eine relativ einfache Maß- Ćerný, K.; Gregorová, B.; Strnadova, V.; Tomšovský, M.; Holub,
nahme ist, die Bodenentwässerung zu verbessern. V.; Gabrielová S. (2008): Phytophthora cambivora causing ink
isease of sweet chestnut recorded in the Czech Republic.
d
Feuchte Böden fördern die Bildung und Ausbreitung
Czech Mycology 60: 265–274
der Zoosporen, die sich aktiv im Wasser bewegen kön-
nen. Vor allem nach starken Regenfällen werden mas- Conedera, M.; Krebs, P. (2008): History, present situation and
senweise Sporen gebildet und mit dem Regenwasser perspective of chestnut cultivation in Europe. Proceedings of
flächig verbreitet. Entwässerungsgräben, in denen das the II Iberian Congress on Chestnut, Vila Real, Portugal. Acta
Horticulturae 784: 23–27
Oberflächenwasser abfließen kann, könnten helfen,
die Sporenausbreitung zu reduzieren. Da P. cinnamo- Conedera, M.; Barthold, F.; Torriani, D.; Pezzatti, G. B. (2010):
mi und P. cambivora bodenbürtige Pathogene sind, Drought sensitivity of Castanea sativa: case study of summer
sollte die Verschleppung infizierter Erde (z. B. mittels 2003 in the southern Alps. Acta Hortic. 866, 297–302
Schuhe, Werkzeuge oder Fahrzeuge) in noch nicht be- Delb, H.; Grüner, J.; John, R.; Seitz, G.; Wußler, J. (2018a): Wald-
troffene Gebiete absolut verhindert werden. Asiatische schutzsituation 2017/2018 in Baden-Württemberg. AFZ-Der
Kastanienarten sind weniger anfällig gegenüber der Wald, 73 (7), 14–17
Tintenkrankheit. Hybriden aus Kreuzungen dieser Ar-
Delb, H.; Grüner, J.; John, R.; Seitz, G.; Wußler, J. (2018b): Wald-
ten mit der Edelkastanie sind auf dem Markt erhältlich schutzsituation 2017/2018 in Rheinland-Pfalz und Saarland.
und könnten angepflanzt werden. AFZ-Der Wald, 73 (7), 22–25
78 LWF Wissen 81
Die wichtigsten Krankheiten und Schädlinge der Edelkastanie
Gehring, E.; Bellosi, B.; Quacchia, A.; Conedera, M. (2018a): Vannini, A.; Vettraino, A. M. (2001): Ink disease in chestnuts:
Assessing the impact of Dryocosmus kuriphilus on the chest- impact on the European chestnut. Forest Snow and Land-
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Vettraino, A. M.; Morel, O.; Perlerou, C.; Robin, C.; Diamandis, S.;
Gehring, E.; Kast, C.; Kilchenmann, V.; Bieri, K.; Gehrig, R.; Vannini A. (2005): Occurrence and distribution of Phytophtho-
Pezzatti, G.B.; Conedera, M. (2018b): Impact of the Asian chest- ra species in European chestnut stands, and their association
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idae), on the chestnut component of honey in the southern Pathology 111: 169–180
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Moriya, S.; Inoue, K.; Ôtake, A.; Shiga, M.; Mabuchi, M. (1989): without the selective pressure of specific pathogens and
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kuriphilus Yasumatsu (Hymenoptera: Cynipidae) after the chestnut gallwasp. Here we present history, biology and
establishment of Torymus sinensis Kamijo (Hymenoptera: current European situation of the three main historic en-
Torymidae). Appl Entomol Zool 24: 231–233
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in Europe). We show how susceptible the chestnut tree
Prospero, S.; Lutz, A.; Tavadze, B.; Supatashvili, A.; Rigling, D. is to these specific enemies due to its phylogenetic back-
(2013): Discovery of a new gene pool and a high genetic diver- ground and its cultivation history. To reduce the impact
sity of the chestnut blight fungus Cryphonectria parasitica in pests and pathogens we recommend to grow the chest-
Caucasian Georgia. Infect. Genet. Evol. 20: 131–139
nut tree on suitable sites and environmental conditions
Prospero, S.; Vettraino, A. M.; Vannini, A. (2012): Phytophthora only.
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Quacchia, A.; Moriya, S.; Bosio, G.; Scapin, I.; Alma, A. (2008):
Rearing, release and settlement prospect in Italy of Torymus
sinensis, the biological control agent of the chestnut gall wasp
Dryocosmus kuriphilus. BioControl 53: 829–839
LWF Wissen 81 79
Die Esskastanie in der Volksheilkunde
Norbert Lagoni
Drogengewinnung
80 LWF Wissen 81
Die Esskastanie in der Volksheilkunde
Foto: O. Kipfer
pflegten Beständen für Unternehmen sowohl der phar- In der Homöopathie werden unterschiedliche Tees
mazeutischen Industrie als auch der konservierenden aus frischen Esskastanienblättern als hustenstillendes,
Nahrungsmittelindustrie bereitgestellt. Getrocknete antiseptisch wirksames Therapiemittel, insbesondere
Esskastanienblätter zeichnen sich durch einen hohen in der Kinderheilkunde, bei Krampf- und Keuchhusten
Anteil (6 – 9 %) an Gerbstoffen (Gallussäure, Ellagita- verabreicht.
nine) aus. Weiterhin sind getrocknete Blätter reich an
Pektin, Inosit, Flavonylglykoside, Rutin, Qercitrin so-
wie Myricetin. Insbesondere für die Heilmittelherstel- Literatur
lung sind Kastanienblätter eine stabile und günstige
Berger, M. (2003): Von der Heilkraft der Bäume, Grohe Verlag
Bezugsquelle zur Extraktion pflanzlicher Fette, Harze
GmbH, Saarbrücken, S. 61–68
sowie Kohlenhydrate. Bestimmte pharmazeutische Zu-
bereitungen werden unter Einsatz von Extrakten aus Ennet, D.; Reuter, H. D. (2004): Lexikon der Heilpflanzen
den Blättern der Esskastanien hergestellt. In der tradi- 3. Aufl. Nikol. Verlag, Hippokrates Verlag, S. 108–109
tionellen Medizin sind nach heutigen Erfahrungswer-
Hager, H. et al. (1994): Hagers Enzyklopädie der Arzneistoffe
ten bei Erkrankungen der Atemwege, wie u. a. Keuch- und Drogen, 6. Auflage, 2007, Bd. 13, Stuttgart, S. 946–947
husten, Katarrh und Bronchitis bei therapeutischer
Dosis keine unerwünschten Wirkungen zu erwarten. Jänicke, C.; Grünwald, J.; Brendler, T. (2003): Handbuch der
hytotherapie 1, Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesell-
P
schaft mbH Stuttgart S. 141 ff.
Die reifen Samen (Maronen) der Edelkastanien enthal-
ten ca. 50 % Stärke und ca. 20 – 30 % Saccharose, 6 % Schütt, P.; Schuck, J.; Stimm, B. (2007): Lexikon der Baum- und
Proteine sowie 3 % Gerbstoffe; Maronenmehl gilt als Straucharten, NIKOL Verlag, Lizenzausgabe 2007
wirksames, sättigendes, allergiefreies Nahrungsmittel
mit mehlig, süßlichem Geschmack.
Foto: photocrew / Fotolia.de
LWF Wissen 81 81
Biodiversität und waldbauliche Behandlung
von Edelkastanienwäldern
Ernst Segatz
Schlüsselwörter: Edelkastanie, Biodiversität, Tiefwurzler, Ein im September 2017 im pfälzischen Bad Bergzabern
Niederwald, Mittelwald, Altbestände, Biotopstrukturen, durchgeführter internationaler Workshop mit dem
Totholzstrategie, Höhlenbäume, ökologische Einnischung, Titel »Natura 2000 Forest habitat types on secondary
Pilze, Flechten, Moose, Totholzkäfer sites – conservation and management strategies« deu-
tet jedoch auf ein Umdenken hin, in dem auch nicht
Zusammenfassung: In der vorliegenden Abhandlung autochthonen Baumarten naturschutzfachliche Werte
wird der Versuch unternommen, sich den objektiven Ge- zugesprochen werden. Edelkastanienbestände wurden
gebenheiten bezüglich des Beitrags der Edelkastanie zur als schützenswerte Habitattypen diskutiert.
Biodiversität in unseren Wäldern und in der Landschaft
anhand von Erkenntnissen und Untersuchungsergeb-
nissen aus dem INTERREG-Projekt »Die Edelkastanie am Biodiversität des Bodenlebens
Oberrhein« anzunähern. Neben der Beschreibung von
Aspekten der Beeinflussung des Standorts durch den Der Einfluss der Edelkastanie auf die Biodiversität be-
Baum und von Besonderheiten der Fortpflanzungsökolo- ginnt mit ihrer Einwirkung auf Boden und Standort in
gie in Bezug auf die Insekten wird zudem versucht, die Form ihrer spezifischen Art der Durchwurzelung, des
ökologischen Auswirkungen unterschiedlicher waldbau- typischen Nährstoffbedarfs sowie der Besonderheiten
licher Behandlungsmodelle grob zu skizzieren. Die Mög- hinsichtlich der Streu aus abgeworfenen männlichen
lichkeiten, die die Edelkastanie für die Umsetzung eines Blütenkätzchen nach der Blüte, Laubblättern sowie
Biotopholz-, Altholz- und Totholzprojekts bietet, werden Früchten im Herbst. Sie wächst optimal auf durchlässi-
anhand der dafür geschaffenen Elemente diskutiert. Aus- gen, sehr gut durchlüfteten Böden und als Säurezeiger
führlich werden Organismengruppen wie Pilze, Flechten in einem Bereich von pH 3,5 bis 5,5. Auf staunassen
und Moose sowie Totholzkäfer behandelt, die Hinweise Böden reagiert die Edelkastanie empfindlich bezüg-
auf das Einfügungsvermögen der Baumart in bestehende lich des Wurzelwachstums und leidet dort häufig un-
Waldökosysteme geben können. ter Befall mit Phytophthora-Pilzen, die die sogenannte
Tintenkrankheit hervorrufen. Deren mit Geißeln aus-
gestattete Sporen benötigen für die Fortbewegung
im Boden freies Bodenwasser. Die Edelkastanie wird
Ist von der Baumart Edelkastanie die Rede, denkt man als Tiefwurzler bezeichnet, ihre Wurzeltracht soll am
in Deutschland wohl zuerst an einen mehr oder weni- ehesten jener der Eichen entsprechen (Kutschera und
ger exotischen Baum des Weinbauklimas im Südwes- Lichtenegger 2002). Dies wäre eine weitere Parallele
ten, an den herben Geruch und die weiße Pracht zur zu den Quercus-Arten. Typisch sind, wie bei der Stiel
Zeit der Blüte im Frühsommer sowie an Maronen als eiche, die Vorwüchsigkeit einer Polwurzel (Abbil-
herbstlichen Genuss zum neuen Wein. dung 1) und ein anfängliches Zurückbleiben der Sei-
tenwurzeln (Kutschera und Lichtenegger 2002).
Schon die Eigenschaften und die Verwendung des
Holzes sind nur wenigen bekannt und das Wissen da- Auf tief zu durchwurzelnden Böden dringt sie bis zu
rüber ist meist auf das Ortstypische und Ortsübliche den gleichmäßiger feuchten und gleichmäßiger tempe-
beschränkt. Auch stellt sich bei einer ursprünglich in rierten Bodenschichten vor (Kutschera und Lichtenegger
Mitteleuropa nicht heimischen Art eher weniger die 2002). »Nach der bisher gebräuchlichen Typisierung
Frage nach ihrem Beitrag zur Biodiversität. So fehlen würde das Wurzelsystem älterer Edelkastanien unter
in der Folge im Natura 2000-Netzwerk für Deutschland Vernachlässigung der über den Kronenrand hinaus-
Edelkastanien-Lebensraumtypen (LRT). ragenden Wurzeln am ehesten einem ›Herzwurzelsys-
tem‹ entsprechen« (Kutschera und Lichtenegger 2002).
82 LWF Wissen 81
Biodiversität und waldbauliche Behandlung von Edelkastanienwäldern
Hor.
cm
A
ABv
80
Bv1
160
Bv2
BvC
240
C1
Abbildung 1: Wurzelbild einer jungen Edelkastanie auf Abbildung 3: Blattstreu und Fruchtkapsel auf Sandstandort
Braunerde über Bozener Quarzporphyr, lehmiger Sand, gut der Haardt, deutlich erkennbar der bereits starke Zersatz
durchwurzelbares Substrat; die Ausbildung der Polwurzel der Vorjahresstreu Foto: E. Segatz
und eines Herzwurzelsystems ist deutlich erkennbar.
Quelle: Kutschera und Lichtenegger 2002 Abbildung 4: Streu von Edelkastanien-Blättern auf Grund-
gestein in den Vogesen Foto: E. Segatz
LWF Wissen 81 83
Biodiversität und waldbauliche Behandlung von Edelkastanienwäldern
84 LWF Wissen 81
Biodiversität und waldbauliche Behandlung von Edelkastanienwäldern
Niederwälder gelten als eher naturferne Standorte. Hinsichtlich der Alterungs-, Absterbe- und Erneue-
Die nutzungsbedingten Eingriffe bei der Niederwald- rungsprozesse am Edelkastanienwurzelstock und de-
bewirtschaftung führen jedoch zu katastrophenarti- ren Bedeutung für viele Organismengruppen besteht
gen Störungen innerhalb des Waldökosystems, wie noch Forschungsbedarf.
sie auch in überalterten und durch natürliche Kata
strophen gestörten Naturwäldern auftreten (Scherzinger Überalterter Niederwald, mit und ohne Eingriffe
1996; Kaule 1991). Mit zunehmendem Alter und Dichtschluss ändert
Die daraus resultierenden ökologischen Besonder- sich das Artenspektrum, die Vielfalt der Freilandarten
heiten des Niederwalds (hoher Wärme- und Lichtge- nimmt ab. Greift der Mensch nicht ein, scheiden viele
nuss, kleinklimatische Extreme, Erosionsanfälligkeit Stockausschläge durch die starke, meist innerartliche
des Standorts mit Entstehung besonderer Kleinstruk- Konkurrenz aus und allmählich baut sich ein Vorrat
turen u. a.) und dessen damit zusammenhängende an schwachem, dann allmählich stärker werdendem,
Bedeutung für die Artenvielfalt treffen natürlich auch stehendem Totholz auf.
für den Edelkastanien-Niederwald zu. Da die ein- Benner (2010) zählte rund 4.230 Stämme in einem
zelne Teilfläche in sich sehr homogen sein kann, ist 27 Jahre alten Edelkastanien-Bestand, davon waren
eine mosaikartige Verteilung, wie dies früher beim 1.950 Stämme (etwas mehr als 45 %) bereits abgestor-
Flächenfachwerk der Fall war, besonders günstig zu ben.
beurteilen. Auch diese Strukturen liefern einen positiven Bei-
Durch das sehr stark ausgeprägte Stockausschlag- trag zur Biodiversität. Waldbaulich und ertragskund-
vermögen und das üppige Austreiben großblättriger lich begründete steuernde Eingriffe zur Vereinzelung
Reiser währt die hinsichtlich der Artenvielfalt wichtigs- und Förderung der Wertträger wirken logischerweise
te Lichtwald-Phase mit stärkerer Besonnung auch des diesem Prozess entgegen.
Waldbodens jedoch nur wenige Jahre. Selbst starker
Wildverbiss hindert in der Regel die intensive Wieder- Mittelwald
bestockung und das Dunkelwerden der Jungbestände In Deutschland ist kein Mittelwaldbetrieb mit Edelkasta-
nicht entscheidend. nie bekannt. Denkbar ist jedoch, dass man aus Grün-
Große Bedeutung, insbesondere in Niederwäl- den des Landschaftsbildes und der Strukturvielfalt eine
dern, die bereits mehrfach auf den Stock gesetzt gewisse Zahl an Überhältern belässt (Abbildung 7).
wurden, kommt den häufig voluminösen Stöcken zu. Die starke Wasserreiserbildung der Edelkastanie nach
Sie bilden einen großen Vorrat an ober- und unter- Freistellung erschwert jedoch die Erzeugung astfreien
irdischem Totholz in Verbindung mit der Entstehung Wertholzes und setzt eine langfristige Erziehung geeig-
neuen Wurzelgewebes (siehe Abbildungen 2 und 6). neter Überhälter aus jungen Edelkastanien voraus.
Der Wechsel von feucht und trocken, absterbenden Mittelwaldstrukturen verbinden Elemente des Nie-
Teilen und Neubildung in Kontakt mit dem Mineral- derwalds mit den Eigenschaften solitärer Altbäume.
boden bieten optimale Lebensbedingungen für viele Ein Nutzungsverzicht einzelner alter Bäume würde ei-
Pilze und Insekten. nen wesentlichen Beitrag zur Biodiversität liefern.
LWF Wissen 81 85
Biodiversität und waldbauliche Behandlung von Edelkastanienwäldern
Erhalt von Altbeständen und Biotopstrukturen Waldrandnähe zimmert sich der Grünspecht gerne sei-
ne Bruthöhlen in reife Edelkastanien. Alte Edelkastani-
Die wenigen Edelkastanien-Altbestände, in denen en weisen zudem durch das Ausfaulen stärkerer Äste
die höchsten Artenzahlen aller Organismengruppen entstandene, geräumigere Höhlen auf, die sehr gern
dokumentiert wurden, sollten möglichst lange erhal- vom Waldkauz angenommen werden. In den »Selven«
ten werden. Die Elemente des rheinland-pfälzischen des Mittelmeerraums brütet häufig der Wiedehopf in
»Biotop-Altholz-Totholz- (BAT-)Konzepts« – Waldrefu- solchen Strukturen.
gien, Biotopbaumgruppen und einzelne Biotopbäu-
men (MUEEF 2011) – lassen sich bei der Edelkastanie Totholz
besonders gut umsetzen, da sie schon relativ früh zur Alte Edelkastanien besitzen oft erhebliche Anteile von
Ausbildung besonderer Biotopstrukturen neigt. Ande- Kronen-Totholz. Stehendes starkes Totholz entsteht, in
re Landesforstverwaltungen haben ähnliche Vorgaben den letzten Jahrzehnten gehäuft, als Folge des Befalls
zur Erhöhung des Struktur- und Totholzreichtums in mit Edelkastanienrindenkrebs. Dabei lebt unterhalb
Wirtschaftswäldern gemacht. Als Biotopbaum wird ein der Stelle des stammumgreifenden Befalls das Stamm-
Baum bezeichnet, der eine Biotop-Funktion in beson- stück unter Bildung sogenannter »Angst- oder Wasser-
derer Weise erfüllt. Als wertbestimmende Merkmale reiser« weiter. Bei Phytophthora-Befall stirbt meist der
werden unter anderem aufgeführt: Höhlenbäume, Tot ganze Stamm innerhalb kurzer Zeit ab, in der Regel
holz, Altbäume, Bäume mit besonderen Merkmalen, truppweise auf staunassen Standorten.
Bäume mit sich lösender Rinde oder Rindentaschen.
Altbäume (»Methusalembäume«)
Höhlenbäume Dabei handelt es sich meist um sehr alte Bäume, die
Edelkastanien weisen relativ früh und bereits bei ge- ihre wirtschaftliche Zieldimension weit überschritten
ringem Stammumfang Buntspechthöhlen auf (Abbil- haben und /oder bei denen Entwertung eingesetzt hat.
dung 8). Besonders gern legt der Buntspecht seine In den rheinland-pfälzischen Wäldern sind leider als
Höhlen im Bereich abgestorbener Äste an, die als Folge der langen Niederwaldbewirtschaftung so gut
Folge der natürlichen Astreinigung entstanden sind. In wie keine solcher Altbäume anzutreffen. Ausnahmen
86 LWF Wissen 81
Biodiversität und waldbauliche Behandlung von Edelkastanienwäldern
»Obligatorische Biotopbäume«
Abbildung 9: Großhöhle am Stammfuß einer älteren
Bäume mit Großhöhlen Edelkastanie infolge der Entstehung aus Stockausschlag
Foto: E. Segatz
Edelkastanien sind, auch im Verhältnis zu den Eichen,
überproportional stark hinsichtlich Großhöhlen aus-
gestattet, was sehr gut mit dem Entstehen der Bäume
aus Stockausschlag und den damit verbundenen frü-
heren Stammverletzungen sowie mit den Folgen von
Ringschäle zu erklären ist (Abbildungen 9 und 10).
Einzelne Edelkastanien mit Großhöhlen sind legendär,
so wie die »Kastanie der 100 Pferde« auf Sizilien, ein
Baum, in dessen Höhlung Vieh eingetrieben werden
konnte. Es ist jedoch unklar, ob es sich nicht ursprüng-
lich um mehrere zusammengewachsene Bäume ge-
handelt hat.
Besiedelte Horstbäume
Wegen des Mangels an Altbäumen leider kaum zu be- Abbildung 10: Inneres einer hohlen, ca. 150-jährigen
obachten! Edelkastanie, begünstigt durch das Auftreten von Ring
schäle Foto: E. Segatz
Bäume mit bekannten Fortpflanzungs- und Ruhestät-
ten von FFH-Anhang-IV-Arten (z. B. Eremit, Heldbock)
und in FFH-Gebieten Anhang II Arten mit geringem punkt rund 200 Jahre alt), erstmals das Vorkommen
Aktionsradius (z. B Veilchenblauer Wurzelhalsschnell- des Eremits an Edelkastanien belegt. Köhler (2016) be-
käfer). obachtete bei seiner Untersuchung in der Pfalz zwar
Sehr alte und dicke Edelkastanien besitzen das keine FFH-Arten, fand am ältesten Standort jedoch
Potenzial zu Fortpflanzungs- und Ruhestätten sehr sel- Fraßspuren des Heldbocks (Cerambyx cerdo). Er geht
tener Arten. Am Niederrhein in Nordrhein-Westfalen davon aus, dass sich auch die anderen aus Rhein-
wurde in der Edelkastanienallee bei Schloss Dyck, land-Pfalz bekannten FFH-Totholzkäferarten an Edel-
wahrscheinlich im Jahr 1811 gepflanzt (zum Fundzeit- kastanie entwickeln können.
LWF Wissen 81 87
Biodiversität und waldbauliche Behandlung von Edelkastanienwäldern
Edelkastanienstöcke sind als Substrat für die Larven Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage
des Hirschkäfers geeignet (Rinck 2018, mdl. Mitt.). nach den Affinitäten (Schmitt 1987a) der holzabbauen-
Über den Schutz von Einzelbäumen hinaus geht den Pilze zu Castanea im Vergleich zu den Affinitäten
die Ausweisung von Biotopbaumgruppen und flächig zur nahe verwandten Gattung Quercus im Saarland
definierter Elemente sogenannter Waldrefugien. Infol- (Schmitt et al. 2013). Es zeigte sich, dass die aufgeführ-
ge von Rindenkrebs oder Phytophthora abgestorbene ten Pilzarten deutlich höhere Affinitäten zu der Edel-
Baumgruppen könnten unter Berücksichtigung der kastanie aufwiesen, diese also deutlich bevorzugt
Verkehrssicherungspflicht als ökologisch wertvolle besiedelt wird, als die heimischen Eichen. Möglicher-
Kleinflächen erhalten werden, insbesondere auf un- weise hängt dies mit einer geringeren Pilz-Resistenz
günstigeren Standorten wie Kuppenlagen, im Steil- der Edelkastanie im Vergleich zu den Eichen zusam-
hang usw. men. Eichen konnten wohl als autochthone Baumar-
ten im Laufe der Evolution eine effektivere Pilzabwehr
entwickeln als die Edelkastanie.
Organismengruppen als Zeiger für Geht man von einer aus menschlicher, ökonomisch
ökologische Einnischung ausgerichteter Sicht »schädigenden« Pilzwirkung aus,
können rund 82 % als harmlos eingestuft werden. Rund
Pilze an Edelkastanie 14 % verursachen »geringe Schäden«.
Pilze treten natürlicherweise erst mit höherem Alter, Für »erhebliche Schäden« sind 13 Pilzarten, das
stärkeren Dimensionen und größerem Totholzanteil sind rund 3 % aller dokumentierten Pilze, verantwort-
der Edelkastanie in zunehmendem Maße auf. Sie sind lich, darunter die bekannteren Arten Armillaria mellea
ähnlich wie die mit ihnen in synökologischem Zusam- (Hallimasch), Fistulina hepatica (Ochsenzunge) und
menhang stehenden Totholzinsekten als Organismen- Fomes fomentarius (Echter Zunderschwamm).
gruppe sehr gut geeignet, die von der Edelkastanie »Starke Schäden«, die oft zum Absterben des Bau-
eingenommene ökologische Nische zu beschreiben mes führen, bewirken nur drei Arten (rund 0,6 % aller
und zu bewerten.
2016 erschien eine zusammenfassende Arbeit über
»Pilze an Castanea sativa« von J. A. Schmitt, der auch
im Projekt »Die Edelkastanie am Oberrhein« verschie-
dene Standorte an der Haardt untersucht hat. Die fol-
genden Ergebnisse sind dieser verdienstvollen und
in ihrer Gesamtdarstellung bisher einmaligen Arbeit
entnommen. Ausgewertet wurden die eigenen Erhe-
bungen von J. A. Schmitt sowie eine Vielzahl myko-
logischer Publikationen. Ziel war es, möglichst viele
der mit Castanea sativa assoziierten Pilztaxa sowohl
der Mykorrhiza bildenden, als auch saprobiotischen
und parasitischen Arten, Varietäten und Formen zu
erfassen. Letztere kommen an Holz, Wurzeln, Rinde
bzw. Borke, Blütenständen, Früchten, Fruchtschalen,
Blättern und Streu vor. Nicht aufgenommen wurden
von ihm Flechten und Flechten begleitende Pilzarten
an der Borke lebender Edelkastanien.
Insgesamt wurden 805 Pilztaxa an Castanea sativa
dokumentiert. Alle Pilztaxa wurden hinsichtlich ihrer
systematischen Zugehörigkeit und ihrer Ökologie auf-
geschlüsselt. J. A. Schmitt beschreibt sieben neue Pilz-
arten bzw. -varietäten an Castanea sativa.
523 Pilzarten gehören zu saprobiotischen bzw. pa-
rasitischen Sippen. 41 % dieser Pilze sind Nichtblätter-
pilze, 23 % Schlauchpilze und 17 % Blätter- und Röhren- Abbildung 11: Schwefelporling (Laetiporus sulphureus)
pilze. an Buche, eine der Pilzarten mit starkem Einfluss auf die
Edelkastanie Foto: E. Segatz
88 LWF Wissen 81
Biodiversität und waldbauliche Behandlung von Edelkastanienwäldern
festgestellten Pilze), an erster Stelle Cryphonectria logischer Bedingungen auf 15 älteren Bäumen dreier
parasitica (Edelkastanien-Rindenkrebs), dann Phyto- unterschiedlicher Standorte untersucht. Der Baum
phthora cambivora, ein Erreger der Tintenkrankheit. wurde von der Aufnahmemethodik her dreigeteilt in
Beide führen auch am Oberrhein zu flächenmäßig be- den unteren Stammbereich bis 2 m, in den darüber
deutenden Ausfällen. Als weiterer Pilz dieser Gruppe anschließenden Bereich bis zum Kronenansatz und in
wird Laetiporus sulphureus (Schwefelporling) genannt den Kronenraum selbst.
(Abbildung 11). Insgesamt wurden 108 Taxa bestimmt, davon 99
Erstmals berichtet J. A. Schmitt auch über Mykor eigentliche Flechten und neun lichenicole, also flech-
rhiza-Pilze, die mit der Edelkastanie in Symbiose le- tenbewohnende Pilze, die von Flechtenkundlern mit
ben. Da in der Literatur zu diesem Thema oft Daten aufgenommen werden. Die höchste an einer einzelnen
aus Mischwäldern mit Edelkastanie vorliegen, können Edelkastanie festgestellte Artenzahl betrug 55, im Mit-
daraus nicht immer sichere Aussagen über die Mykor tel fanden sich 40 Flechtenarten pro Baum (Cezanne
rhiza-Bindung von Pilzen an Castanea sativa gemacht und Eichler 2012).
werden, weshalb in der Arbeit nur solche Pilztaxa auf- Nach Wuchsformen konnten 60 % den Krusten-
genommen wurden, die dezidiert Castanea sativa als flechten, 33 % den Blattflechten (Abbildung 12) und
Mykorrhizabiont angeben. 7 % den Strauchflechten zugeordnet werden. In der
Bei den 287 Mykorrhizabionten dominieren die Krone wuchsen meist mehr Arten als am Stamm,
Blätter- und Röhrenpilze mit 93 %. Diese sind nicht 23 Arten ausschließlich in der Krone. 31 Arten lebten
ausschließlich an Castanea gebunden, sondern ganz auf Totholz, davon jedoch nur zwei Arten ausschließ-
überwiegend an Arten der Fagales, hier vor allem an lich.
nahe verwandte Quercus-Arten, insbesondere die hei- Unter den Flechten fanden sich auch seltene Ar-
mischen Arten Quercus robur und Quercus petraea. ten, zwölf Arten der Roten Liste für Deutschland und
Mykorrhiza-Pilze sind von essenzieller Bedeutung 27 Arten der Roten Liste für Rheinland-Pfalz. Fünf bis-
für die Ernährung und die Wasserversorgung vie- her in RLP unbekannte Arten wurden entdeckt, zwei
ler Laubbäume und für die Stabilität entsprechender Arten der Kategorie »ausgestorben oder verschollen«
Waldökosysteme. wiederentdeckt.
Dietrich und Bürgi-Meyer (2011) kommen für die
Flechten auf Edelkastanien »Chestenenweid« am Vierwaldstätter See im Kanton
Flechten als Lebensgemeinschaften von Algen und Pil- Luzern zu ähnlich reichhaltigen Befunden und äu-
zen wurden im Edelkastanienprojekt wegen ihrer gro- ßern: »Die Edelkastanie stellt das wertvollste Substrat
ßen Aussagekraft hinsichtlich unterschiedlicher öko- für baumbewohnende Flechten dar«.
LWF Wissen 81 89
Biodiversität und waldbauliche Behandlung von Edelkastanienwäldern
Moose auf Edelkastanien 131 Proben enthielten 29.076 vollständig bis auf Artni-
Moose können ebenfalls als sehr gute Indikatoren un- veau bestimmte Käfer. An den vier Standorten wurden
terschiedlicher Umwelteinflüsse dienen. Hinsichtlich zwischen 278 und 571 Käferarten gefunden, insgesamt
des Moosarten-Inventars wurden an den 15 untersuch- 1.002 Käferarten (Abbildungen 14, 15 und 16).
ten Altbäumen dreier verschiedener Standorte 30 Taxa Köhler (2016) wies neben neun sogenannten Ur-
bestimmt, davon 26 Laubmoose und vier Lebermoose wald-Reliktarten an Edelkastanie 182 Vertreter der Ro-
(Röller 2012). ten Liste Deutschlands nach, darunter viele hochgradig
Weitere elf Arten an Edelkastanie wurden bei einer gefährdete Baummulm- und Baumhöhlenbewohner.
erweiterten Suche auf feuchteren Standorten dokumen- Lediglich rund 45 % der Käferarten sind an Waldbio-
tiert. Die höchste Artenzahl an einem Einzelbaum be- tope gebunden, wobei ein auffällig hoher Anteil lichte
trug 17, im Mittel zehn. Auch bei den Moosen fanden Gehölzstrukturen bevorzugt (Köhler 2016) ein Hinweis
sich seltenere Arten, z. B. neun Arten der Roten Liste auf die Behandlung alter Bestände unter dem Aspekt
Rheinland-Pfalz und mit Rogers Goldhaarmoos (Ortho der Artenvielfalt.
trichium rogeri) eine seltene, neue Art (Abbildung 13). 200 Offenlandbewohner hängen mit der starken Auf-
lichtung dreier Untersuchungsbestände zusammen.
Mit Edelkastanie zusammenlebende Käfer 329 Arten sind an Totholz gebunden, 103 Arten davon
An vier Edelkastanienstandorten in der nördlichen
Oberrheinebene bei Freinsheim und am Haardtrand
bei Edenkoben führte F. Köhler im Jahr 2012 im Auftrag
der FAWF Rheinland-Pfalz eine Bestandserfassung der
Totholzkäfer (Coleoptera) durch. Die Altersspanne der
untersuchten Bäume reichte von einem ca. 50-jährigen
Jungbestand bis zu über 300-jährigen Edelkastanien in
einem Edelkastanienhain mit ca. 24 Altbäumen (Köhler
2016).
Zur Untersuchung wurde das Standardmethoden-
programm der rheinland-pfälzischen Naturwaldfor-
schung aus Flugfallen, Leimringen, Totholzgesiebe
und Klopstockfängen eingesetzt, lokal ergänzt um
weitere Techniken wie Baumhöhleneklektoren, Licht- Abbildung 14: Cardiophorus gramineus, mit Ameisen
fallen, Flugköderfallen, Bodenfallen und Autokescher. zusammenlebend Foto: F. Köhler
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Biodiversität und waldbauliche Behandlung von Edelkastanienwäldern
Resumée
Literatur
Abbildung 16: Hedobia regalis (Poch-, Klopf-, Bohr- oder MUEEF (2011): BAT-Konzept / Konzept zum Umgang mit Bio-
Nagekäfer im Holz, wärmeliebend) Foto: F. Köhler topbäumen, Altbäumen und Totholz bei Landesforsten Rhein-
land-Pfalz. – Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernäh-
rung, Weinbau und Forsten, Mainz (2011)
leben lignicol (Holzkäfer), 100 corticol (Rindenkäfer)
Benner, S. (2010): Edelkastanien-Niederwälder am Haardtrand
oder succicol (Saftkäfer) und 55 Arten polyporicol – Struktur, Zustand und Entwicklungsmöglichkeiten für die
(Pilzkäfer), 71 Arten sind xylodetriticol (Mulmkäfer) Energieholznutzung. Masterarbeit an der Fakultät für Forst-
oder xylonidicol (Nestkäfer) (Köhler 2016). und Umweltwissenschaften, Albert-Ludwigs-Universität Frei-
Sowohl für die wenigen in der Literatur genannten burg im Breisgau
als auch beobachteten 329 Xylobionten ergibt sich Cezanne, R.; Eichler, M. (2012): Untersuchung epiphytischer
eine hohe Übereinstimmung mit der an Eiche (Quer- Flechten auf 15 ausgewählten Edelkastanien in Rheinland-Pfalz
cus) bekannten Totholzkäferfauna. Im standardisierten im Rahmen des INTERREG IV A - Projektes »Die Edelkastanie
Vergleich mit der Totholzkäferfauna rheinland-pfälzi- am Oberrhein«. Zentralstelle der Forstverwaltung, Forschungs-
anstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft Rheinland-Pfalz,
scher Naturwaldreservate erweisen sich die älteren Trippstadt. Gehölzkunde, Hemmingen
Edelkastanienstandorte als ähnlich artenreich wie die
international bedeutsamen Reservate im Bienwald Conedera, M. (2007): Blütenphänologie und Biologie der Edel-
(Köhler 2016). kastanie. Schweizer phänologischer Rundbrief Nr. 7, Phänolo-
gie-Kreis Schweiz
LWF Wissen 81 91
Biodiversität und waldbauliche Behandlung von Edelkastanienwäldern
Köhler, F. (2016): Vergleichende Untersuchungen zu Totholz Keywords: Sweet Chestnut, biodiversity, deep-rooting,
käfern (Coleoptera) in rheinland-pfälzischen Edelkastanien- coppice, coppice with standards, mature stands, biotope
Beständen (Castanea sativa Miller, 1768). – Mainzer naturwiss.
Archiv (Mainz) 53: S. 179-235 structures, deadwood strategies, hollow trees, ecological
niche, fungi, lichen, mosses, saproxylic beetles
Kaule, G. (1991): Arten- und Biotopschutz. Verlag Eugen Ulmer,
Stuttgart, 2. Auflage: 519 S. Summary: The present paper is an attempt to approach
to the contribution of the Sweet Chestnut tree on bio
Kutschera, L.; Lichtenberger, E. (2002): Wurzelatlas mitteleuro-
päischer Waldbäume und Sträucher, 6. Band der Wurzelatlas- diversity in our forests and landscapes on the base of
Reihe. Leopold-Stocker-Verlag, Graz-Stuttgart results from survey in the INTERREG-project »The Sweet
Chestnut at the Upper Rhine valley«. Besides the descrip-
Mitteilungen aus der Forschungsanstalt für Waldökologie und
tion of aspects of impact on the site by the tree and besi-
Forstwirtschaft Rheinland-Pfalz 74/15 (Autorenkollektiv); Ernst
Segatz (Hrsg.) (2015): Die Edelkastanie am Oberrhein – Aspek- des the special features of reproduction ecology concer-
te ihrer Ökologie, Nutzung und Gefährdung – Ergebnisse aus ning insects, moreover it is the rough attempt to describe
dem EU Interreg IV a Oberrhein-Projekt (PDF). the ecological effects of different silvicultural manage-
ment models. The opportunities of the Sweet Chestnut
Pritsch, G. (2007): Bienenweide. Frankh-Kosmos-Verlags-GmbH
& CoKG, Stuttgart for the implementation of biotope wood, old wood or
deadwood projects are discussed by means of specifically
Rink, N. (2018): (Projekt »Hirschkäfer-Suche«): mündliche Mit- created elements. Groups of organisms like fungi, lichens
teilung and mosses as well as saproxylic beetles which can refer to
Röller, O. (2012): Untersuchung epiphytischer Moose auf 15 the integration capability of the tree species into existing
ausgewählten Edelkastanien in Rheinland-Pfalz im Rahmen forest ecosystems, are described in detail.
des INTERREG-IV A - Projektes »Die Edelkastanie am Ober
rhein« Zentralstelle der Forstverwaltung, Forschungsanstalt für
Waldökologie und Forstwirtschaft Rheinland-Pfalz, Trippstadt
(unveröffentlicht)
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Die Edelkastanie
Castanea vulgaris Lam.
Die Edelkastanie steht zwischen der Buche und den Ei- Die forstliche Bedeutung der Edelkastanie ist für die Ge-
chen, jedoch letzterer näher, indem sie den Eichen nicht genden, wo sie als bestandsbildender Waldbaum gedeiht,
allein bezüglich der Keimung, sondern auch hinsichtlich keine geringe. Ihr dem Eichenholz sehr ähnliches Holz
der Zusammensetzung des Holzes und der Rinde ähnelt. eignet sich ganz vorzüglich zu Faßdauben, angeblich noch
Mit der Buche hat sie eigentlich nur die Entwicklung besser, als das Eichenholz. Thatsache ist, daß die portu-
und Gestaltung der Frucht gemein. Die an Aesten und giesischen, spanischen, sizilianischen, und süditalischen
jungen Stämmen glatte, durch Krustenflechtenentwick- Weine fast ausnahmslos in Fässer aus Kastanienholz
lung bald weißfleckig werdende Rinde verwandelt sich gefüllt werden und daß in neuester Zeit die preußische
allmälig in eine eichenähnliche rissige dunkelbraune Bor- Regierung den Anbau der Kastanie im Großen in den
ke. Auch das Holz ähnelt dem Eichenholz sehr, entbehrt Rheinprovinzen zu Gewinnung von Faßdauben und
aber der sichtbaren Markstrahlen. Weinpfählen empfohlen und angeordnet hat. Weinpfähle
und Reisstäbe liefern namentlich die Kastanien-Nieder
Der in der Jugend stets schlanke Stamm wird im Schlus- wälder in großer Menge und von vorzüglicher Güte.
se langschäftig, gerade und vollholzig, bei freiem Stande Hinsichtlich der Ausschlagsfähigkeit übertrifft die Edel-
dagegen kurzschäftig und dick, erreicht übrigens auch in kastanie fast alle übrigen Laubholzarten Europas. Noch
geschlossenen Beständen selten über 20 Met. Höhe. Die hundertjährige Bäume auf den Stock gesetzt, entwickeln
bei im Schlusse erwachsenen Bäumen kleine und hoch unzählbare Stocklohden, welche schon im ersten Jahre
angesetzte Krone reicht bei freistehenden, deren Stamm bis 1 Met. Länge erreichen. Wenn solche Stocklohden
sich meist in mehrere Starke Aeste zertheilt, tief hinab im zweiten oder einem späteren Jahre nach Art der
und erreicht dann zugleich oft einen bedeutenden Umfang. Weinreben in den Boden niedergebeugt (»abgegrubt«
Nach dem Abhiebe entwickeln selbst noch alte Stämme sagt man in Krain) werden, so bewurzeln sie sich bin-
sehr reichlichen und rasch wachsenden Stockausschlag, nen einem oder zwei Jahren so vollständig, daß sie vom
weshalb sich die Edelsastanie ebenso gut, ja fast noch Mutterstock abgetrennt und als selbständige Pflanzen
besser zum Niederwaldbetrieb eignet, wie die Eichen. versetzt werden können. Hinsichtlich der Dauerhaftigkeit
steht das Kastanienholz dem Eichenholze wenig nach, ja
An den Boden macht die Edelkastanie ähnliche Ansprü- als Zaun- und Bedachungsholz übertrifft es sogar dieses.
che, wie die Buche, in deren Gesellschaft sie häufig vor- Dagegen ist es als Brennholz kaum zu gebrauchen, da es
kommt. Sie liebt einen lockern, tiefgründigen frischen bis nur zu glühen pflegt und dabei sehr spritzt und sprüht.
mäßig feuchten Verwitterungsboden, wobei die unterlie- Wohl aber liefert es eine vorzügliche, große Hitzkraft be-
gende Gesteinsart von geringem Einfluß zu sein scheint. sitzende Kohle.
Gleich der Rothbuche läßt sie unter ihren tiefschattenen
Kronen nicht leicht eine andere Holzart aufkommen, wes- Obwohl die Edelkastanie eine raschwüchsige Holzart ist,
halb sie vorherrschend in reinen, geschlossenen Bestän- wenigstens in ihrer Jugend, so vermag sie doch ein sehr
den auftritt, deren Boden wie im Buchenhochwald fast hohes Alter und dann eine sehr bedeutende Stammstärke
nur mit Laubstreu bedeckt ist. Ihre natürliche geogra- und Kronenumfang zu erreichen. Der älteste und stärkste
phische Verbreitung beweist, daß die Edelkastanie lang Kastanienbaum in Europa ist der seit Jahrhunderten
andauernde Winterkälte nicht zu ertragen vermag, ob- berühmte Castagno dei cento cavalli am Aetna, dessen
wohl sie, wenigstens als erwachsener Baum, vom Frost seit Menschengedenken hohler, in 5 Stücke getheilter
weniger leidet als der Wallnußbaum. Stamm einen Umfang von 64 Met. besitzt.
Wegen ihrer eßbaren und wohlschmeckenden Früchte Erschienen in: E.A. Roßmäßler: Der Wald (1881)
spielt die Edelkastanie zugleich die Rolle eines Obstbau-
mes. In den Heimatländern dieses schönen Baumes die-
nen seine Früchte nicht allein dem Menschen als tägliche
Speise, sondern auch zur Mästung der Schweine.
Jahr Baum des Jahres Tagung Deutschland Tagung Bayern LWF Wissen Nr.
1989 Stieleiche
1990 Rotbuche
1991 Sommerlinde
1992 Bergulme Hann. Münden
1993 Speierling
1994 Eibe Ebermannstadt 10 (vergriffen)
1995 Spitzahorn
1996 Hainbuche Arnstein 12 (vergriffen)
1997 Vogelbeere Tharandt Hohenberg an der Eger 17 (vergriffen)
1998 Wildbirne Göttingen Ulsenheim 23 (vergriffen)
1999 Silberweide Schwendt /Oder Michelau /Oberfranken 24 (vergriffen)
2000 Sandbirke Tharandt Waldsassen 28
2001 Esche Hann. Münden Schernfeld (WEZ) 34
2002 Wacholder (Schneverdingen, Kloster Ettal 41
abgesagt)
2003 Schwarzerle Burg /Spreewald Rott am Inn 42
2004 Weißtanne Wolfach /Schwarzwald Gunzenhausen 45
2005 Rosskastanie München 48
2006 Schwarzpappel Eberswalde mit Oder Essenbach 52
und Rees am Rhein
2007 Waldkiefer Gartow Walderbach 57
2008 Walnuss Bernkastel Veitshöchheim 60
2009 Bergahorn Garmisch-Partenkirchen 62
2010 Vogelkirsche (abgesagt) Veitshöchheim 65
2011 Elsbeere Nettersheim Haßfurt 67
2012 Europäische Lärche Hünfeld Kelheim 69
2013 Wildapfel Tharandt und Bayreuth 73
Osterzgebirge
2014 Traubeneiche Bad Colberg-Heldburg Lohr am Main 75
2015 Feldahorn Enningerloh München 77
2016 Winterlinde Berchtesgaden 78
2017 Fichte Gotha Bad Steben 80
2018 Edelkastanie Eichstätt 81
94 LWF Wissen 81
Anschriften der Autoren
LWF Wissen 81 95
Dr. Norbert Lagoni Enno Uhl
Falkenhorstweg 4 Technische Universität München
81476 München Lehrstuhl für Waldwachstumskunde
E-Mail: n.lagoni@t-online.de Hans-Carl-von-Carlowitz-Platz 2
85354 Freising
Dr. Marvin Lüpke E-Mail: enno.uhl@lrz.tum.de
Technische Universität München
Professur für Ökoklimatologie Wolfgang Wambsganß
Hans-Carl-von-Carlowitz-Platz 2 Landesforsten Rheinland-Pfalz
85354 Freising Zentralstelle der Forstverwaltung
E-Mail: luepke@wzw.tum.de Le Quartier-Hornbach 9
67423 Neustadt/Weinstraße
Dr. Simone Prospero E-Mail: wolfgang.wambsganss@wald-rlp.de
Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und
Landschaft WSL
Waldgesundheit und biotische Interaktionen
CH-8903 Birmensdorf
E-Mail: simone.prospero@wsl.ch
Olaf Schmidt
Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft
Hans-Carl-von-Carlowitz-Platz 1
85354 Freising
E-Mail: olaf.schmidt@lwf.bayern.de
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