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Ein gutes Omen

Ein gutes Omen


Warnung:
Kinder! Es kann gefährlich sein,
mit dem Weltuntergang zu spielen.
Dir solltet ihn besser nicht
im eigenen Heim heraufbeschwören.

WIDMUNG
Die Autoren möchten dem Wunsch
des Dämonen Crowley
entsprechen und dieses Buch
G. K. Chesterton
widmen - einem Mann, der wußte,
was Sache war.

Am Anfang...
Ein sonniger Tag.
Inzwischen waren mehr als nur sieben Tage vergan-
gen, und ständig herrschte prächtiges Wetter - den
Regen hatte man noch nicht errunden. Aber jenseits
von Eden ballten sich dunkle Wolken zusammen und
kündigten ein Unwetter an, das erste in der Klima-
geschichte des Paradieses. Es handelte sich um eins
jener Gewitter, die nicht zum Scherzen aufgelegt sind.
Der Engel am Osttor hob die Flügel über den Kopf,
um sich vor den ersten Regentropfen zu schützen.
»Entschuldige bitte«, meinte er höflich, »was hast du
gerade gesagt?«
»Ich sagte: Der Typ fiel wie eine bleierne Ente«, erwi-
derte die Schlange.
»O ja«, murmelte der Engel, dessen Name Erzira-
phael lautete.
»Um ganz ehrlich zu sein«, fuhr die Schlange fort,
»ich halte die Reaktion für etwas übertrieben. Ich
meine, gleich beim ersten Vergehen und so. Er war
nicht mal vorbestraft. Außerdem: Warum ist es so
schlimm, den Unterschied zwischen Gut und Böse zu
kennen?«
»Es muß schlimm sein«, entgegnete Erziraphael im
besorgten Tonfall eines Mannes (nun, eines Engels), der
eigentlich gar keine Antwort auf diese Frage wußte -
was verständliches Unbehagen in ihm weckte. »An-
dernfalls wärst du nicht daran beteiligt.«
»Man sagte mir nur: >Geh nach oben und mach ein
bißchen Ärger<«, erklärte die Schlange. Sie hieß Krie-
cher, spielte jedoch mit dem Gedanken, sich einen an-
deren Namen zuzulegen. >Kriecher<, so beschloß sie,
paßte nicht recht zu ihr.

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Ein gutes Omen

»Ja, aber du bist ein Dämon«, wandte Erziraphael ein.


»Vermutlich ist es dir gar nicht möglich. Gutes zu be-
wirken. Ich meine, es liegt an deiner, äh, Natur. Womit
ich dir keineswegs zu nahe treten möchte.«
»Du mußt allerdings zugeben, daß es ein wirklich
dickes Ding ist«, sagte Kriecher. »Ich meine, auf Den
Baum zu zeigen und dann fettgedruckt zu verkünden:
Rührt seine Früchte nicht an! Von Taktgefühl keine
Spur. Ich meine, warum hat Er ihn nicht auf irgend-
einem weit entfernten, hohen Berg angepflanzt? So
etwas stimmt einen doch nachdenklich. Man fragt sich,
was Er plant.«
»Es ist bestimmt besser, nicht darüber zu spekulie-
ren«, gab Erziraphael zurück. »Wie ich immer sage: Es
hat keinen Sinn, Vermutungen darüber anzustellen, was
Seine Erhabenheit bezweckt. Auf der einen Seite steht
das Richtige, auf der anderen das Falsche. Wenn man
sich für etwas Falsches entscheidet, obwohl man aufge-
fordert wurde, sich ans Richtige zu halten, so hat man
Strafe verdient. Ah.«
Engel und Schlange schwiegen verlegen und beob-
achteten, wie Regentropfen auf die ersten Blumen her-
abprasselten.
Nach einer Weile fragte Kriecher: »Hattest du nicht
ein Flammenschwert?«
»Äh«, machte Erziraphael. Ein Schatten von Schuld
huschte ihm über die Züge, kehrte zurück und klam-
merte sich im Gesicht des Engels fest.
»Das stimmt doch, oder?« fügte Kriecher hinzu. »Die
Flammen sahen toll aus.«
»Äh, nun...«
»Ich war echt davon beeindruckt.«
»Ja, äh, nun...«
»Du hast es verloren, hm?«
»O nein! Nein, nicht wirklich verloren, eher ...«
»Nun?«
Erziraphael wirkte zerknirscht. »Wenn du's unbe-
dingt wissen willst«, sagte er ein wenig trotzig, »ich
hab's verschenkt.«
Kriecher starrte ihn groß an.
»Nun, eigentlich blieb mir gar nichts anderes übrig«,
fuhr der Engel fort und rieb sich geistesabwesend die
Hände. »Ach, sie froren so, die Armen, und sie ist schon
in anderen Umständen, und ich dachte an die bösartigen
Tiere dort draußen, und außerdem zog das Gewitter
herauf und so, ja, und ich hatte einfach Mitleid, was
kann's schaden? fragte ich mich. Und deshalb sagte ich
ihnen: Hört mal, wenn ihr zurückkehrt, geht's hier
drunter und drüber, ihr wißt schon, der Zorn des All-

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mächtigen kann ziemlich allmächtig sein, nehmt das


Schwert, und bedankt euch nicht groß dafür, tut mir
und den anderen im Garten Eden bloß den Gefallen
und verschwindet so schnell wie möglich.«
Erziraphael sah Kriecher an und lächelte schief.
»Das war doch Richtig, oder?« fragte er zaghaft.
»Vermutlich bringst du es gar nicht fertig. Böses zu
bewirken«, erwiderte Kriecher. Der Engel überhörte die
Ironie.
»Oh, ich hoffe, du hast recht«, sagte er. »Ja, das hoffe
ich wirklich. Den ganzen Nachmittag über habe ich mir
Sorgen gemacht.«
Eine Zeitlang sahen sie dem Regen zu.
»Seltsam«, brummte Kriecher schließlich, »ich frage
mich immer wieder, ob das mit dem Apfel Falsch genug
war. Ich meine, ein Dämon kann in Schwierigkeiten ge-
raten, wenn er das Richtige anstellt.« Er stieß den Engel
freundschaftlich in die Rippen. »Und wenn wir uns
beide irrten, hm? Stell dir nur mal vor, ich hätte mich
Richtig verhalten und du Falsch. Komisch, was?«
»Nein, eigentlich nicht«, sagte Erziraphael.
Kriecher blickte ins Paradies und wurde wieder ernst.
»Wahrscheinlich hast du recht.«
Ein schiefergrauer Regenschleier umhüllte Eden.
Donner grollte über den Hügeln. Die Tiere - sie hat-
ten gerade erst ihre Namen erhalten - verkrochen sich
irgendwo.
Weit entfernt im nassen Wald glühte und schimmerte
es zwischen den Bäumen.
Eine dunkle und stürmische Nacht zog herauf.

EIN GUTES
OMEN
Eine Erzählung, die Gewisse Ereignisse
während der letzten elf Jahre
der menschlichen Geschichte schildert.
In völliger Übereinstimmung
(wie sich herausstellen wird)
mit dem prophetischen Werk
Die freundlichen und zutreffenden
Prophezeiungen
der Hexe Agnes Spinner
Zusammengestellt, redigiert, mit Der Bildung

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Ein gutes Omen

Förderlichen Fußnoten und Lehren


Für Die Klugen versehen von
Terry Pratchett und Neil Gaiman

Dramatis Personae
ÜBERNATÜRLICHE WESEN
Gott (Gott)
Metatron (die Stimme Gottes)
Erziraphael (Hauptberuf: Engel. Nebenjob:
das Sammeln und sowohl gelegentliche als auch
widerstrebende Verkaufen seltener Bücher)
Satan (ein Gefallener Engel; der Widersacher)
Beelzebub (ebenfalls ein Gefallener Engel; außerdem
ein Höllenfürst)
Hastur (Gefallener Engel und Höllenfürst)
Ligur (Gefallener Engel und Höllenfürst)
Crowley (ein Engel, der nicht etwa gefallen ist,
sondern eher gemütlich nach unten schlenderte)
APOKALYPTISCHE REITER
TOD (Tod)
Krieg (Krieg)
Hunger (Hunger)
Umweltverschmutzung (Umweltverschmutzung)
MENSCHEN
Du-sollst-nicht-ehebrechen Läuterer
(ein Hexensucher)
Agnes Spinner (eine Prophetin)
Newton Läuterer (Lohnbuchhalter und Hexensucher-
Gefreiter)
Anathema Apparat (praktizierende Okkultistin und
Nachfahrin von Berufs wegen)
Shadwell (Hexensucher-Feldwebel)
Madame Tracy (lasterhafte Isebel [nur morgens;
donnerstags nach Vereinbarung] und Medium)
Schwester Maria Redeviel (eine satanische Nonne vom
Schwatzhaften Orden der Heiligen Beryll)
Mr. Young (ein Vater)
Mr. Tyler (Vorsitzender eines Bürgervereins)
Ein Postbote
SIE
ADAM (der Antichrist)
Pepper (ein Mädchen)
Wensleydale (ein Junge)
Brian (ein Junge) Außerdem viele Tibetaner, Aliens, Amerikaner,
Atlanter und andere sonderbare Geschöpfe der

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Ein gutes Omen

Jüngsten Tage. Und:


Hund (satanischer Höllenhund und Beunruhiger von
Katzen)
Die aktuellen Theorien über die Erschaffung des Uni-
versums laufen auf folgendes hinaus: Wenn der
Kosmos überhaupt erschaffen wurde und nicht einfach
entstand, wie man inoffiziell annimmt, so ist er derzeit
zwischen zehn und zwanzig Milliarden Jahre alt.
Demnach müßte das Alter der Erde etwa viereinhalb
Milliarden Jahre betragen.
Diese Angaben sind nicht korrekt.
Im Mittelalter stellten jüdische Gelehrte umfangreiche
Berechnungen an und gelangten zu dem Schluß, die
Schöpfung sei im Jahr 3760 vor Christi Geburt erfolgt.
Griechisch-orthodoxe Theologen sind etwas großzügi-
ger und glauben, die Welt habe 5508 v. Chr. Gestalt an-
genommen.
Auch das stimmt nicht.
1654 veröffentlichte Erzbischof James Usher (1580 bis
1656) die Annales Veteris et Novi Testament!, und darin
rührte er aus, die Schöpfung habe im Jahre 4004 v. Chr.
Himmel und Erde entstehen lassen. Einer seiner Mitar-
beiter wollte es noch genauer wissen und verkündete
schließlich triumphierend, die Erde sei am Sonntag, dem
21. Oktober 4004 v. Chr., um genau neun Uhr erschaffen
worden - offenbar pflegte Gott seine Arbeit morgens zu
erledigen, wenn er sich noch frisch fühlte.
Der Assistent des Erzbischofs irrte sich. Um fast eine
Viertelstunde.
Die Sache mit den Fossilien und Dinosaurierknochen
ist ein Witz, den die Paläontologen nur noch nicht ver-
standen haben.
Was zwei Dinge beweist.
Erstens: Gottes Wege sind nicht nur unerfindlich, son-
dern führen durch ein Labyrinth, in dem selbst Er sich
zu verirren droht. Gott würfelt nicht etwa mit dem Uni-
versum. Nein, Er hat ein ganz neues Spiel erfunden, und
wenn man es aus dem Blickwinkel seiner Mitspieler* be-
trachtet, so läßt es sich mit einer besonders verzinkten
Pokerpartie vergleichen. Das Spiel findet in einem fin-
steren Zimmer statt, und man benutzt Karten, die weder
Zahlen noch irgendwelche Symbole aufweisen. Alle
Einsätze sind unbegrenzt hoch, und was den Geber be-
trifft ... Er weigert sich hartnäckig, die Regeln zu er-
klären - und lächelt die ganze Zeit über.
Zweitens: Die Erde ist eine Waage.
Als diese Geschichte beginnt, enthält die IHRE
STERNE HEUTE-Rubrik im Tadfield-Kurier folgende

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Ein gutes Omen

astrologische Botschaft:
WAAGE - 24. September bis 23. Oktober.
Sie fühlen sich erschöpft und im täglichen Trott gefangen.
Häusliche und familiäre Angelegenheiten gewinnen eine be-
sondere Bedeutung und führen zu diversen Schwierigkeiten.
Vermeiden Sie unnötige Risiken. Ein Freund erweist sich als
hilfreich. Warten Sie mit wichtigen Entscheidungen, bis Sie
die Folgen überblicken können. Heute besteht die Gefahr einer
Magenverstimmung; verzichten Sie auf Salat. Vielleicht er-
halten Sie Hilfe von unerwarteter Seite.
Das Horoskop gibt genau die richtige Auskunft -
sieht man einmal von der Sache mit dem Salat ab.
Es war keine dunkle und stürmische Nacht.
Eigentlich sollte es eine dunkle und stürmische Nacht
sein, aber auf das Wetter ist eben kein Verlaß. Für jeden
wahnsinnigen Wissenschaftler, der sein großes Werk fer-
tigstellt, während draußen Blitze zucken, gibt es ein
Dutzend andere, die ziellos unter friedlichen Sternen
umherwandern, während Igor Überstunden macht.
Aber lassen Sie sich von dem Nebel (später soll es reg-
nen, und außerdem hat die Wettervorhersage einen
Womit alle lebenden Wesen gemeint sind.
Temperatursturz angekündigt) nicht in Sicherheit wie-
gen - Sie könnten eine ziemliche Überraschung erleben.
Eine ruhige Nacht bedeutet keineswegs, daß die Mächte
des Bösen gemütlich vor den Kaminfeuern der Hölle sit-
zen. Sie sind stets und ständig gegenwärtig, und zwar
überall.
Das Böse ist allgegenwärtig. Das liegt in der Natur der
Sache.
Zwei seiner Repräsentanten lauerten auf dem alten
Friedhof. Schattenhafte Gestalten, die eine bucklig und
gedrungen, die andere hoch gewachsen, schlank und
drohend - wäre Lauem eine olympische Disziplin gewe-
sen, hätten sie echte Chancen auf eine Goldmedaille ge-
habt. Wenn Bruce Springsteen jemals auf die Idee ge-
kommen wäre, sein neues Album Geboren, um zu lauem
zu nennen, so hätte das Cover diese beiden Gestalten
gezeigt. Schon seit einer Stunde warteten sie im Nebel.
Eine Zeitlang belauerten sie sich gegenseitig, um nicht
aus der Übung zu kommen. Sie waren durchaus im-
stande, die ganze Nacht über zu lauem und sich genug
Düsternis zu bewahren, um am Morgen einen Lauer-
Spurt einzulegen.
Nach weiteren zwanzig Minuten erklang eine unge-
duldige Stimme. »Verdammter Mistkerl. Er hätte schon
vor Stunden eintreffen müssen.«
Die Worte stammten von Hastur, seines Zeichens Höl-
lenfürst.

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Ein gutes Omen

Viele Phänomene - Kriege, Seuchen, unangekündigte


Steuerprüfungen - werden darauf zurückgeführt, daß
sich Satan in die Angelegenheiten der Menschen ein-
mischt und maßgeblichen Einfluß darauf nimmt. Aber
wenn sich irgendwo Studenten der Dämonologie ver-
sammeln, so kommen sie schon nach kurzer Diskussion
überein, daß die Londoner Autobahn M25 ganz oben
auf der Liste der Existenzbeweise Satans stehen müßte.
Sie irren sich natürlich mit ihrer Annahme, die betref-
fende Straße sei nur deshalb Teil des Bösen auf Erden,
weil sie jeden Tag einen hohen Blutzoll verlangt und bei
Tausenden von Autofahrern Wutanfälle bewirkt.
Nur sehr wenige Menschen wissen, daß die Form der
M25 dem Zeichen Odegra entspricht. Jenes Symbol
stammt aus der Sprache der Schwarzen Priesterschaft
des Uralten Mu und bedeutet >Gruß dem Erbarmungs-
losen Tier und Weltenverschlinger<. Tag für Tag kriechen
Myriaden qualmender Wagen über die Autobahn, und
sie haben die gleiche Wirkung wie Wasser auf eine Ge-
betsmühle, mahlen einen endlosen Nebel aus hochgra-
dig Bösem, der die metaphysische Atmosphäre im Um-
kreis von vielen Meilen verseucht.
Die M25 war eins der größten Verdienste Crowleys. Er
brauchte Jahre, um diese Leistung zu vollbringen, und
die Vorbereitungen umfaßten: Datenmanipulationen in
drei verschiedenen Computern, zwei Einbrüche und eine
Bestechung (für die er allerdings nur einen bescheidenen
Betrag verwendete). Als trotzdem der erhoffte Erfolg
ausblieb, entschloß er sich zu drastischeren Maßnahmen.
m einer regnerischen Nacht stapfte er durch den Matsch
eines halb überschwemmten Felds, griff nach Absteck-
pflöcken und versetzte sie um einige in okkulter Hinsicht
geradezu unglaublich bedeutende Meter. Als Crowley
den ersten dreißig Meilen langen Stau beobachtete, ge-
noß er das überaus angenehme Gefühl, schlechte Arbeit
außerordentlich gut geleistet zu haben.
Er bekam eine Belobigung dafür.
Derzeit befand sich Crowley östlich von Slough, und
seine Geschwindigkeit betrug hundertzehn Meilen pro
Stunde. Wenn man klassische Maßstäbe anlegte, sah er
eigentlich gar nicht wie ein Dämon aus. Ihm fehlten
Homer und Flügel. Zugegeben, er hörte sich eine Best of
Queen-Kassette an, aber daraus lassen sich keine Schluß-
folgerungen ziehen - alle Musikkassetten, die länger als
zwei Wochen in einem Wagen liegen, verwandeln sich
auf geheimnisvolle Weise in Best of Queen-Alben. Im
Augenblick gingen Crowley keine besonders dämoni-
schen Gedanken durch den Kopf. Er fragte sich gerade,
ob es nicht angebracht sei, den Weltuntergang mit hun-

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Ein gutes Omen

derttausend Watt starken Heavy Metal-Klängen einzu-


leiten. Das größte Festival aller Zeiten. Und gleichzeitig
das letzte.
Crowley hatte dunkles Haar und hohe Jochbeine. Er
trug Schuhe aus Schlangenleder - oder zumindest lag
die Vermutung nahe, daß er Schuhe trug -, und mit der
Zunge konnte er einige recht seltsame Dinge anstellen.
Manchmal, wenn er zerstreut war, zischte er leise.
Außerdem zwinkerte er nur selten.
Er fuhr einen schwarzen Bentley Baujahr 1926, den er
von sich selbst gekauft und gut gepflegt hatte.
Für seine Verspätung gab es einen schlichten Grund:
Crowley fand enormen Gefallen am zwanzigsten Jahrhun-
dert. Er hielt es für besser als das siebzehnte und für viel
angenehmer als das vierzehnte. Crowley betonte häufig,
die Zeit habe unter anderem den Vorteil, daß sie ihn
immer weiter vom vierzehnten Jahrhundert forttrug, den
langweiligsten hundert Jahren auf Gottes - Verzeihung -
Erde. Das zwanzigste Jahrhundert hingegen war alles an-
dere als langweilig. Um nur ein Beispiel zu nennen: Schon
seit fünfzig Sekunden beobachtete er ein blaues Blinklicht
im Rückspiegel; es wies ihn auf zwei uniformierte Männer
hin, deren Absicht zweifellos darin bestand, ein höchst in-
teressantes Gespräch mit ihm zu führen.
Crowley warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es
handelte sich um eine jener Armbanduhren, die Tiefsee-
taucher benutzen, um immer genau zu wissen, wie spät
es in einundzwanzig Städten der Welt ist, während sie
sich unter Wasser aufhalten.*
* Crowley besaß ein spezielles Modell. Es verfügte über eine zusätzli-
che Funktion, die ziemlich viel Geld gekostet hatte, aber der Dämon
konnte es sich leisten, einen hohen Preis zu bezahlen. Diese Uhr gab
Auskunft über die Zeit in zwanzig Städten der Erde und an einem
anderen Ort, wo es immer zu spät war.
Der Bentley raste auf die Ausfahrt zu, jagte auf zwei
Rädern durch die Kurve und erreichte eine laubbe-
deckte Straße. Die blauen Lichter folgten.
Crowley seufzte, löste die eine Hand vom Lenkrad,
drehte den Kopf und vollführte eine komplizierte Geste.
Das Blinklicht verblaßte in der Feme, als der Streifen-
wagen ausrollte - sehr zum Erstaunen der beiden Polizi-
sten. Ihre Verblüffung nahm schlagartig zu, als sie die
Kühlerhaube öffneten und feststellten, wozu sich der
Motor verwandelt hatte.
Hastur, der größere Dämon, marschierte über den Fried-
hof, blieb stehen und reichte seinem Kollegen Ligur -
dem kleineren und erfahreneren Lauerer - einen Ziga-
rettenstummel.
»Ich sehe Licht«, sagte er. »Da kommt er endlich. Hat

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Ein gutes Omen

sich verdammt viel Zeit gelassen.«


»Welches Transportmittel benutzt er?« fragte Ligur.
»Ein Auto - eine Art Kutsche ohne Roß«, erklärte
Hastur. »Autos gab es wahrscheinlich noch nicht, als du
das letzte Mal hier warst. Wenigstens nicht für den all-
gemeinen Gebrauch.«
»Ich erinnere mich an Leute, die am Straßenrand war-
teten, um Pferdeäpfel einzusammeln«, sagte Ligur.
»Heute tragen diese Leute weiße Kittel und fahren
Unfallopfer weg. Das ist der Fortschritt.«
»Und was ist mit Crowley?« fragte Ligur.
Hastur spuckte aus. »Er ist schon zu lange hier oben«,
erwiderte er. »Von Anfang an. Meiner Ansicht nach hat
er sich viel zu sehr an diese Welt gewöhnt. Er hat sogar
ein Autotelefon.«
Ligur dachte nach. Wie die meisten Dämonen ver-
stand er nicht viel von Technik, und deshalb wollte er
antworten: >Da stecken sicher viele Drähte drin.< Er
schwieg jedoch, als der Bentley vor dem Friedhofstor
hielt.
»Und er trägt eine Sonnenbrille.« Hastur schnaubte
verächtlich. »Selbst wenn er keine braucht.« Lauter rüg-
te er hinzu: »Gepriesen sei Satan.«
»Gepriesen sei Satan«, wiederholte Ligur.
»Hallo, Jungs!« rief Crowley und winkte. »Entschul-
digt die Verspätung. Ihr wißt sicher, wie es auf der A40
bei Denham zugeht, tja, und als ich die Abkürzung nach
Chorley Wood fuhr...«
»Jetzt sind wir alle hier«, warf Hastur bedeutungsvoll
ein. »Wir werden nun von den Taten des Tages berich-
ten.«
»Ja, äh. Taten«, sagte Crowley im Tonfall eines Man-
nes, der zum erstenmal seit Jahren die Kirche besucht
und sich nicht mehr genau daran erinnert, wann man
aufsteht.
Hastur räusperte sich.
»Ich habe einen Priester in Versuchung geführt«, be-
gann er. »Als er den Bürgersteig entlangging und die
hübschen jungen Frauen im Sonnenschein sah, säte ich
Zweifel in ihm. Er hätte ein Heiliger werden können,
aber in zehn Jahren gehört er uns.«
»Nicht übel«, kommentierte Crowley und gab sich be-
eindruckt.
»Ich habe einen Politiker verderbt«, berichtete Ligur,
»indem ich ihn davon überzeugte, daß er sich ruhig be-
stechen lassen kann. In einem Jahr gehört er uns.«
Die beiden Dämonen richteten erwartungsvolle Bücke
auf Crowley, der von einem Ohr bis zum anderen grin-
ste.

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Ein gutes Omen

»Ich habe zur Mittagszeit alle Funktelefone im Zen-


trum von London gestört«, verkündete er. »Und zwar
fünfundvierzig Minuten lang.«
Stille folgte, nur unterbrochen vom fernen Motor-
brummen auf den Straßen.
»Ja?« fragte Hastur. »Und dann?«
»Es war nicht gerade einfach«, entgegnete Crowley.
»Ist das alles?« erkundigte sich Ligur.
»Hört mal, die Menschen...«
»Was genau hast du getan, um unserem Gebieter See-
len zu bringen?« knurrte Hastur.
Crowley seufzte innerlich.
Was sollte er den beiden Gesandten der Finsternis er-
zählen? Daß zwanzigtausend Personen völlig aus dem
Häuschen geraten waren? Daß man in der ganzen Stadt
hören konnte, wie Zornesadern anschwollen? Daß Mana-
ger, Geschäftsführer und Abteilungsleiter ihren Ärger an
Sekretärinnen, Politessen und so weiter ausließen - und
daß deren schlechte Laune daraufhin nach anderen
menschlichen Zielscheiben suchte? Dadurch kam eine
regelrechte emotionale Lawine ins Rollen. Tausende von
Gehirnen, die nur an Rache dachten - für den Rest des
Tages. Und das Schönste war: Sie ließen sich die Metho-
den der Vergeltung von ganz allein einfallen. Zahllose
Seelen, deren heller reiner Glanz sich langsam trübte -
und man brauchte kaum einen Finger zu rühren.
Aber so etwas konnten Hastur und Ligur nicht verste-
hen. Dämonen wie sie dachten noch immer in Begriffen
des vierzehnten Jahrhunderts - manchmal investierten
sie Jahre, um Gott eine einzelne Seele zu stehlen. Nun,
sie waren echte Künstler, aber die moderne Zeit erfor-
derte eine moderne Strategie. Man mußte sich der ver-
änderten demographischen Situation anpassen. Inzwi-
schen gab es mehr als fünf Milliarden Menschen auf der
Erde, und demnach hatte es keinen Sin, sich auf einzelne
Individuen zu beschränken. Man erzielte weitaus grö-
ßere Erfolge, wenn man sich bei den seelenfängerischen
Bemühungen auf die breite Masse konzentrierte. Diese
Erkenntnis blieb Hastur und Ligur nach wie vor fremd.
Zum Beispiel wäre es ihnen nie in den Sinn gekommen,
Fernsehprogramme in Walisisch zu senden. Vermutlich
hätten sie nicht einmal genügend teuflische Phantasie
aufgebracht, um die Mehrwertsteuer zu erfinden. Oder
eine Stadt wie Manchester.
Auf Manchester war Crowley besonders stolz.
»Bisher scheinen die Verantwortlichen in der Hölle
zufrieden zu sein«, sagte er. »Die Zeiten ändern sich
eben. Nun, was liegt an?«
Hastur griff hinter einen Grabstein.

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Ein gutes Omen

»Das hier«, antwortete er.


Crowley starrte auf den Korb hinab.
»Oh«, machte er. »Nein.«
»Doch«, erwiderte Hastur und lächelte.
»Schon?«
»Ja.«
»Und, äh, ich bin damit beauftragt...?«
»Ja.« Hasturs Lächeln wuchs in die Breite.
»Warum ausgerechnet ich?« klagte Crowley. »Du
kennst mich, Hastur. Ich meine, ich spiele mich nicht gern
in den Vordergrund. Um ganz ehrlich zu sein: Ich be-
gnüge mich mit einer Statistenrolle.«
»Diesmal nicht«, widersprach Hastur. »Diesmal be-
kommst du die Hauptrolle. Die Zeiten ändern sich eben.«
»Ja«, bestätigte Ligur und grinste. »Bald hören sie auf.
Eine nette Abwechslung.«
»Warum ich?«
»Offenbar hast du dort unten irgendeinen Gönner«,
lächelte Hastur boshaft. »Ich bin sicher, Ligur gäbe den
rechten Arm für eine solche Chance.«
»Und ob«, pflichtete ihm Ligur bei. Zumindest war
er bereit, irgendeinen rechten Arm zu geben. An rechten
Armen herrschte kein Mangel - warum den eigenen
verschwenden?
Hastur griff unter seinen feuchten, schmierigen Re-
genmantel und holte ein Klemmbrett hervor.
»Unterschreib mal eben. Hier«, sagte er und trennte
die beiden letzten Worte mit einer unheilvollen Pause.
Crowley tastete unsicher in die Innentasche seiner
Jacke, und kurz darauf kehrte die rechte Hand mit
einem dünnen matt-schwarzen Kugelschreiber zunick.
Er schien bereit zu sein, jede Geschwindigkeitsbeschrän-
kung zu überschreiten.
»Tolles Ding«, brummte Ligur.
»Schreibt sogar unter Wasser«, murmelte Crowley.
»Ach, was mag den Menschen wohl als nächstes ein-
fallen?« überlegte Ligur laut.
»Nun, wenn sie noch was erfinden möchten, sollten
sie sich besser beeilen«, sagte Hastur. Und: »Nein! >A. J.
Crowley< genügt nicht. Unterzeichne mit deinem richti-
gen Namen.«
Crowley nickte kummervoll und malte mehrere
Schlangenlinien aufs Papier. Ein oder zwei Sekunden
lang glühten sie in einem düsteren Rot - und lösten sich
dann auf.
»Was fange ich damit bloß an?« fragte Crowley und
deutete auf den Korb.
»Du bekommst noch Anweisungen.« Hastur runzelte
die Stirn. »Warum machst du dir Gedanken? Jahrhun-

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Ein gutes Omen

dertelang haben wir auf das Ziel hingearbeitet, und jetzt


ist es fast erreicht.«
»Ja. Genau. Stimmt.« Crowley sah nun nicht mehr aus
wie der geschmeidige Mann, der vor einigen Minuten
mit geschmeidiger Geschmeidigkeit aus dem Bentley ge-
sprungen war. Er wirkte niedergeschlagen und betrübt.
»Der Zeitpunkt unseres ewigen Triumphes rückt
näher!«
»Ewig, ja«, murmelte Crowley.
»Und du bist das Werkzeug eines ruhmreichen
Schicksals!«
»Werkzeug«, wiederholte Crowley. »Ja.« Er hob den
Korb so vorsichtig hoch, als sei er hochexplosiv. Sein In-
halt sollte tatsächlich dazu dienen, eine in jeder Hinsicht
verheerende Wirkung zu entfalten.
»Ah, in Ordnung«, sagte er. »Ich gehe jetzt. Nicht
wahr? Ich meine, ich möchte das hier so schnell wie
möglich loswerden. Ich meine, ich möchte es nicht los-
werden, meine ich«, fügte Crowley rasch hinzu, als er
daran dachte, was geschehen könnte, wenn Hastur
einen ungünstigen Bericht für ihn verfaßte. »Aber ihr
kennt mich ja: Ich bin immer voll dabei.«
Die beiden dienstälteren Dämonen schwiegen.
»Also gut, ab geht die Post«, fuhr Crowley nervös
fort. »Bis später, Jungs! Ich meine, wir sehen uns be-
stimmt wieder. Äh. Bis dann. Tja. Na schön. Ah. Tschüs.
Ciao.«
Der schwarze Bentley rollte durch die Nebelschwaden
davon und schien mit der Finsternis zu verschmelzen.
»Das letzte Wort klang irgendwie komisch«, sagte
Ligur. »Hast du es verstanden?«
»Ist italienisch«, erwiderte Hastur. »Bedeutet >Essen<,
glaube ich.«
»Was für ein komischer Abschiedsgruß.« Ligur sah
dem Wagen nach und beobachtete in der Feme verblas-
sende Rücklichter.
»Traust du ihm?« fragte er.
»Nein«, antwortete Hastur.
»Gut.« Ligur nickte. Die Welt wäre wirklich ein Toll-
haus, wenn Dämonen plötzlich Vertrauen zueinander hätten,
dachte er.
Crowley raste irgendwo westlich von Amersham durch
die Nacht, griff nach einer Kassette und versuchte, sie
aus der Kunststoffhülle zu lösen, ohne von der Straße
abzukommen. Im Scheinwerferlicht eines anderen Wa-
gens las er den Titel: >Vier Jahreszeiten< von Vivaldi. Ru-
hige, tröstende Musik - genau das brauchte er jetzt.
Mit einem entschlossenen Ruck schob er die Kassette
in den Recorder.

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Ein gutes Omen

»Ohmistmistmistmistmist!« zischte er. »Warum jetzt?


Warum ich?«
Vertraute Queen-Klänge dröhnten aus dem Lautspre-
cher.
Und plötzlich sprach Freddy Mercury zu ihm.
WEIL DU ES VERDIENT HAST, CROWLEY.
Der Dämon fluchte lautlos. Es war seine Idee, die
Elektronik als Kommunikationsmittel zu verwenden,
und erstaunlicherweise ging man Unten sofort auf
seinen Vorschlag ein. Crowley hatte gehofft, daß sich
die Höllenfürsten zunächst anhand von Fachzeitschrif-
ten informieren würden (er dachte in diesem Zu-
sammenhang an Artikel wie >So richtet man eine häus-
liche Funkstation ein< und >Akustische Spezialeffekte
leichtgemacht<), aber statt dessen gingen sie einfach
auf Sendung, wann und wie es ihnen gefiel. Dabei
spielte es keine Rolle, was er sich gerade anhörte; Satan
und sein Mitarbeiterstab sahen in der Akustik eine
weiche Knetmasse, die sich ganz nach Belieben formen
ließ.
Crowley schluckte.
»Vielen Dank, Gebieter«, sagte er.
WIR SETZEN GROSSES VERTRAUEN IN DICH, CROWLEY.
»Danke, Gebieter.«
DIESE SACHE IST SEHR WICHTIG, CROWLEY.
»Ich weiß, ich weiß.«
ES GIBT NICHTS WICHTIGERES, CROWLEY.
»Überlaßt alles mir.«
GENAU DAS HABEN WIR VOR, CROWLEY LIND WENN IRGEND
ETWAS SCHIEFGEHT, SO WERDEN DIE SCHULDIGEN HART BE-
STRAFT. DAS GILT AUCH FÜR DICH, CROWLEY. GERADE FÜR DICH.
»Ich verstehe, Gebieter.«
HIER SIND DEINE ANWEISUNGEN, CROWLEY.
Und plötzlich wußte Crowley Bescheid.
Er haßte so etwas.
Die Höllenfürsten hätten es ihm einfach sagen kön-
nen; sie hätten ihm das Wissen, das ihn erschauern ließ,
nicht unbedingt ins Gehirn pflanzen müssen. Das Ziel
war ein ganz bestimmtes Krankenhaus.
»Ich bin in fünf Minuten dort, Gebieter. Kein Pro-
blem.«
GUT. Woraufhin Freddy Mercury seinen Gesang fort-
setzte.
Crowley trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad.
Während der vergangenen Jahrhunderte war alles
wie am Schnürchen gelaufen; es gab überhaupt keine
Schwierigkeiten. Typisch: Im einen Augenblick ist man
munter und fidel, und im nächsten muß man den Weltunter-
gang einleiten, dachte der Dämon verbittert. Der Große

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Ein gutes Omen

Krieg. Die Letzte Schlacht. Himmel gegen Hölle, drei


Runden, auf jeden Fall eine Entscheidung - keine Ver-
handlungen. Es gibt die Welt nicht mehr. Das allein bedeu-
tet der Satz vom Ende der Welt. Anschließend gab es nur
noch ewigen Himmel oder ewige Hölle - es kam ganz
darauf an, wer sich durchsetzte. Crowley wußte nicht,
was schlimmer war.*
*Rein definitionsgemäß sollte die Hölle schlimmer sein.
Aber Crowley erinnerte sich auch an den Himmel, und
seiner Ansicht nach hatten die beiden Orte gewisse
Dinge gemeinsam. Weder Oben noch Unten bekam man
einen ordentlichen Drink. Und die Langeweile im Him-
mel konnte fast ebenso unerträglich sein wie die Aufre-
gungen in der Hölle.
Es gab keinen Ausweg. Man konnte nicht Dämon sein
und sich gleichzeitig den freien Willen bewahren.
Nun, wenigstens passierte es nicht sofort. Es dauerte
noch eine Weile bis zum Weltuntergang. Es blieb Crow-
ley genügend Zeit, ein paar Dinge zu erledigen. Zum
Beispiel konnte er seine Aktien und langfristigen Obli-
gationen verkaufen. Es hatte keinen großen Sinn mehr,
finanziell für die Zukunft zu planen.
Queen-Chef Mercury sang noch immer, und Crowley
hörte geistesabwesend zu.
... I will not let you go (let him go)...
Warum nicht?
Was mochte geschehen, wenn er auf dieser dunklen,
feuchten und leeren Straße anhielt, den Korb nahm, weit
ausholte, das Ding fortwarf und ...
Vermutlich irgend etwas Schreckliches.
Einst war er ein Engel gewesen. Er hatte nicht fallen
wollen. Er fiel nur deshalb, weil er Umgang mit den
falschen Leuten pflegte.
Der Motor des Bentley brummte wie ein zufriedener
Hornissenschwarm, und die Benzinuhr zeigte weiterhin
einen leeren Tank an. Nun, inzwischen war der Tank
schon seit sechzig Jahren leer - es hatte nicht nur Nach-
teile, wenn man ein Dämon war. Zum letztenmal hatte
Crowley im Jahr 1967 getankt, um eins der James-Bond-
Einschußloch-in-der-Windschutzscheibe-Abziehbilder
zu bekommen, die damals als letzter Schrei für den mo-
dernen Autofahrer galten.
Im Fond wackelte der Korb, und das Wesen darin
begann zu weinen. Crowley lauschte der Stimme des
Neugeborenen. Sie klang wie das Heulen einer Flieger-
alarm-Sirene und war schrill und wortlos und alt.
In einem solchen Krankenhaus konnte man sich wohl
fühlen, fand Mr. Young. Es gab nur einen Haken: Es
fehlte jene Art von angenehmer Stille, die es Patienten

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Ein gutes Omen

und Besuchern ermöglichte, sich zu entspannen.


Der Grund dafür: die Nonnen.
Mr. Young mochte Nonnen. Um falschen Schlüssen
des Lesers vorzubeugen: Nein, er war nicht sonderlich
religiös. Wenn es darum ging, Kirchen auszuweichen, so
konzentrierte er seine entsprechenden Bemühungen in
erster Linie auf gewisse anglikanische Institute, die
Demut und Frömmigkeit viel zu ernst nahmen. Anderen
heiligen Stätten ging er aus reiner Angewohnheit aus
dem Weg. In manchen von ihnen roch es nach Bohner-
wachs, während man in anderen höchst verdächtige
Kräuter verbrannte. Tief im Ledersessel seiner Seele
fragte sich Mr. Young, was Gott davon hielt. Wahr-
scheinlich nicht viel.
Was Nonnen betraf... Ihre Gesellschaft gefiel ihm
ebenso wie die Gegenwart der Heilsarmee. Wenn er sie
beobachtete, hatte er das Gefühl, daß alles in Ordnung
war und man sich keine Sorgen zu machen brauchte -
irgend jemand achtete darauf, daß die Welt nicht aus
den Fugen geriet.
Dies war seine erste Erfahrung mit dem Schwatzhaf-
ten Orden der Heiligen Beryll.* Deirdre hatte bereits Ge-
legenheit gefunden, ihn kennenzulernen, vermutlich bei
einem ihrer politischen Kreuzzüge - sie betrafen mei-
stens irgendwelche unfreundlichen Südamerikaner, die
gegen andere unfreundliche Südamerikaner kämpf-
ten und von Priestern angestachelt wurden, anstatt sich
auf ihre priesterlichen Aktivitäten zu konzentrieren, die
darin bestanden, Reinigungs-Dienstpläne für ihre Kir-
chen aufzustellen.
Nonnen sollten eigentlich still sein, meinte Mr. Young.
Sie hatten genau die Form wie jene spitzen Dinger, die
Mr. Young irgendwie aus Hi-Fi-Testkammern kannte.
Diese Nonnen aber schnatterten dauernd.
Er stopfte sich Tabak in die Pfeife - soweit man das als
Tabak bezeichnen konnte; unter >Tabak< stellte man sich
normalerweise etwas anderes vor - und überlegte, was
geschehen mochte, wenn er sich nach der Herrentoilette
erkundigte. Vielleicht bekam man kurze Zeit später
* Der Name des Ordens bezieht sich auf die Heilige Beryll Articulatus
von Krahakau, die angeblich im fünften Jahrhundert als Märtyrerin
starb. Legenden beschreiben Beryll als junge Frau, die man gegen
ihren Willen mit einem Heiden verheiratete, Prinz Kasimir. In der
Hochzeitsnacht betete sie zum Herrn und hoffte auf ein Wunder. Sie
wußte nicht genau, was es zu erwarten galt, rechnete aber irgendwie
damit, daß ihr ein wundersamer Bart wachse. Um vorbereitet zu sein,
hatte sie sich ein kleines Rasiermesser mit Elfenbeingriff (Sonderanfer-
tigung für Damen) besorgt. Doch der Allmächtige beschloß statt des-
sen, Beryll mit der erstaunlichen Fähigkeit auszustatten, pausenlos zu

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Ein gutes Omen

reden und alles auszusprechen, was ihr in den Sinn kam - ohne zwi-
schendurch Luft holen oder etwas essen zu müssen.
In einer Überlieferung heißt es, Prinz Kasimir habe Beryll drei Wo-
chen nach der Hochzeit erwürgt, ohne die Ehe vollzogen zu haben.
Demnach starb seine Angetraute als Jungfrau und Märtyrerin - und
redete bis zum Tod.
Eine andere Version behauptet folgendes: Kasimir kaufte sich Ohr-
watte, und Beryll starb zusammen mit ihrem Mann im Bett, als Zwei-
undsechzigjährige.
Die Angehörigen des Schwatzhaften Ordens sind verpflichtet, stän-
dig dem Beispiel der Heiligen Beryll zu folgen. Es gibt nur eine Aus-
nahme: Am Dienstagnachmittag dürfen die Nonnen eine halbe Stunde
lang schweigen und Tischtennis spielen.
einen bitterbösen Brief vom Papst. Er seufzte hinge-
bungsvoll und warf einen Blick auf die Uhr.
Wenigstens hatten ihm die Nonnen verboten, bei der
Geburt zugegen zu sein - in dieser Hinsicht vertraten sie
einen unerschütterlich festen Standpunkt. Deirdre war
bestimmt enttäuscht. Sie hat wieder angefangen, irgendwel-
ches Zeug zu lesen, dachte Mr. Young. Wir haben bereits ein
Kind, aber ganz plötzlich erklärt sie, diese Entbindung solle
die glücklichste aller glücklichen gemeinsamen Erfahrungen
für zwei Menschen werden. Das kam davon, wenn man
der Ehefrau individuelle Lektüre gestattete. Mr. Young
mißtraute Zeitungen und Magazinen, die Worte wie
>Lebensstil<, >Harmonie< und >eheliche Selbstverwirk-
lichung< enthielten.
Nun, er hatte nichts gegen glückliche gemeinsame
Erfahrungen. Seiner Meinung nach gab es an glückli-
chen gemeinsamen Erfahrungen kaum etwas auszuset-
zen. Die Welt brauchte wahrscheinlich mehr glückliche
gemeinsame Erfahrungen. Aber diese spezielle glückli-
che gemeinsame Erfahrung konnte Deirdre ganz für sich
allein behalten.
Die Nonnen stimmten ihm zu. Sie sahen keinen
Grund dafür, den Vater an der Geburt zu beteiligen.
Wenn es nach ihnen gegangen wäre, so argwöhnte
Mr. Young, hätten sie sogar die väterliche Teilnahme am
Zeugungsakt abgeschafft.
Er drückte den sogenannten Tabak fest und sah auf
das Schild an der Wand des Wartezimmers. Es wies zu
seinem eigenen Besten darauf hin, daß er nicht rauchen
solle. Zu seinem eigenen Besten entschied er, den Raum
zu verlassen und nach draußen zu gehen. Er dachte an
seine Blase - vielleicht fand er irgendwo einen geeigne-
ten Busch, der es ihm erlaubte, auf ein päpstliches
Mahnschreiben zu verzichten.
Mr. Young wanderte durch leere Korridore, fand
eine Tür und trat auf den regennassen Hof. Von Bü-

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Ein gutes Omen

schen und Sträuchern keine Spur. Auf der einen Seite


standen nur einige sorgfältig aufgereihte Mülltonnen.
Nun gut.
Er fröstelte und zündete die Pfeife an.
Frauen! Es ereilt sie in einem bestimmten Alter. Fünfund-
zwanzig untadelige Jahre - dann plötzlich machen sie sich auf
und ergehen sich in diesen roboterhaften Freiübungen, wobei
sie rosafarbene Socken ohne Fußteil tragen, und dann werfen
sie ihren Ehemännern vor, daß sie ihren Lebensunterhalt nie
selbst verdienen mußten. Es sind die Hormone oder so was
ähnliches.
Ein großer schwarzer Wagen hielt bei den Müllton-
nen. Der Fahrer, ein junger Mann mit dunkler Sonnen-
brille, stieg aus, griff nach einer Säuglings-Tragetasche
und schlängelte sich durch den Nieselregen.
Mr. Young nahm die Pfeife aus dem Mund.
»Sie haben vergessen, das Licht auszuschalten«, sagte
er freundlich.
Der junge Mann erweckte den Eindruck, als stehe die
Batterie des schwarzen Wagens ganz unten auf der Uste
seiner Sorgen. Er hob die Hand, blickte zum Bentley zu-
rück und winkte kurz. Das Scheinwerferlicht verblaßte.
»Nicht übel«, sagte Mr. Young. »Ein Infrarotsignal?«
Die Feststellung, daß der junge Mann überhaupt nicht
naß wurde, überraschte ihn ein wenig. Und die Trage-
tasche schien keineswegs leer zu sein.
»Hat es schon begonnen?« fragte Mr. Sonnenbrille.
Es erfüllte Mr. Young mit Stolz, daß man ihn sofort als
werdenden Vater erkannte.
»Ja«, erwiderte er. »Die Nonnen haben mich fortge-
schickt«, fügte er dankbar hinzu.
»Schon? Wieviel Zeit haben wir noch?«
Das wir entging Mr. Young nicht. Offenbar war der
junge Mann ein Arzt, der väterliche Gefühle teilte.
»Ich glaube, wir, äh, sind bereits voll bei der Sache«,
sagte er.
»In welchem Zimmer liegt sie?« fragte Mr. Sonnen-
brille aufgeregt.
»Wir sind in Raum Drei«, antwortete Mr. Young. Er
klopfte auf die Taschen seiner Jacke und fühlte das
ebenso zerknitterte wie gewohnte Päckchen.
»Möchten Sie eine glückliche gemeinsame Raucher-
fahrung mit mir teilen?«
Aber Mr. Sonnenbrille war bereits im Krankenhaus.
Mr. Young steckte das Päckchen wieder ein und
blickte nachdenklich auf seine Pfeife hinab. Ärzte haben
es immer eilig, dachte er. Sie nutzen die von Gott gegebene
Zeit, um ihren Mitmenschen zu helfen. Bewundernswert.
Sie kennen doch den Trick, den man mit einer Erbse und

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Ein gutes Omen

drei schnell bewegten Tassen ausführen kann. Nun,


etwas in der Art findet jetzt im Krankenhaus statt, und
es geht dabei um mehr als nur eine Handvoll Kleingeld.
Die Autoren schreiben hier etwas langsamer, da-
mit man dem Bewegungsmuster der drei - metaphori-
schen - Tassen besser folgen kann.
Mrs. Deirdre Young befindet sich in Kreißsaal Drei.
Sie bringt einen blonden Jungen zur Welt, den wir
Baby A nennen wollen.
Die Frau des amerikanischen Kulturattaches, Mrs.
Harnet Dowling, liegt im Kreißsaal Vier. Sie bringt einen
blonden Jungen zur Welt, den wir Baby B nennen.
Schwester Maria Redeviel ist fromme Satanistin, und
zwar seit ihrer Geburt. Als Kind besuchte sie die Sabbat-
Schule und wurde für Handschrift und gutes Betragen
mit schwarzen Sternchen ausgezeichnet. Sie gehorchte
sofort, als man sie aufforderte, dem Schwatzhaften
Orden beizutreten - was dauerhaftes Schwatzen angeht,
ist Maria Redeviel ein echtes Naturtalent, und außerdem
wußte sie, daß sie sich einer Gemeinschaft von Gleich-
gesinnten anschloß. Sie kann recht intelligent sein, wenn
sie Gelegenheit dazu findet, aber schon früh wurde ihr
klar, daß man als Schussel wesentlich besser durchs
Leben kommt. Sie erhält gerade einen blonden Jungen,
der einen ziemlich langen Namen hat. Er heißt: der Wi-
dersacher, Zerstörer von Königreichen, Engel der Dun-
kelheit, Großes Tier-das-man-Drachen nennt, Herr die-
ser Welt, Vater aller Lügen, Satansbrut und Fürst der
Finsternis.
Achtung, es geht los. Die Tassen bewegen sich...
»Ist er das?« fragte Schwester Maria und betrachtete
das Baby aufmerksam. »Ich hätte andere Augen erwar-
tet. Rot oder grün, wissen Sie. Vielleicht auch etwas
schlitzförmig. Außerdem hat er gar keine winzig-klitzi-
kleinigen Hufilein. Und ein Ringelschwänzchen fehlt
ebenfalls.« Die Nonne drehte den Knaben um und hielt
vergeblich nach Hörnern Ausschau. Das Kind des Teu-
fels wirkte geradezu verblüffend normal.
»Ja, das ist er«, bestätigte Crowley.
»Kaum zu glauben«, staunte Schwester Maria. »Ich
halte den Antichristen in den Armen. Und ich zähle
seine kleinen süßen Zehilein...«
Sie sprach nun direkt zu dem Kind, und ihre Gedan-
ken verloren sich in einer privaten Welt. Crowley hob
die Hand und wedelte vor dem Nonnenschleier hin und
her. »Hallo? Hallo? Schwester Maria?«
»Oh, entschuldigen Sie! Aber er ist wirklich ein
Schatz. Sieht er nicht wie sein Papi aus? Oh, ich finde
schon. Na, sieht er nicht wie sein liebes Papilein aus...?«

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Ein gutes Omen

»Nein«, erwiderte Crowley fest, »das finde ich nicht.


Es wird Zeit, zu den Kreißsälen zu gehen.«
»Was meinen Sie - wird er sich an mich erinnern,
wenn er aufwächst?« fragte Schwester Maria wehmütig
und betrat den Flur.
»Hoffen Sie, daß ihn sein Gedächtnis im Stich läßt«,
entgegnete Crowley und floh.
Die Nonne schritt durchs nächtliche Krankenhaus, in
ihren Armen der Widersacher, Zerstörer von König-
reichen, Engel der Dunkelheit, Großes Tier-das-man-
Drachen-nennt, Herr dieser Welt, Vater aller Lügen, Sa-
tansbrut und Fürst der Finsternis. Sie fand eine kleine
Korbwiege und legte den Knaben hinein.
Er gluckste leise. Schwester Maria kitzelte ihn.
Ein matronenhaftes Gesicht blickte in den Korridor.
»Was tun Sie da, Schwester Maria?« fragte es. »Sollten
Sie nicht im Entbindungsraum Vier sein?«
»Meister Crowley sagte...«
»Seien Sie eine brave Nonne und helfen Sie im Kreiß-
saal. Übrigens: Wissen Sie, wo der Ehemann steckt? Er
sitzt nicht im Wartezimmer.«
»Ich habe mit Meister Crowley gesprochen, und er
meint...«
»Da bin ich ganz sicher«, erwiderte Schwester Lieb-
reiz Redegewandt fest. »Nun, ich suche besser nach dem
verflixten Mann. Kommen Sie herein und kümmern Sie
sich um Mrs. Young. Die Mutter ist ein wenig benom-
men, aber dem Kind geht es prächtig.« Schwester Lieb-
reiz zögerte kurz. »Warum blinzeln Sie? Haben Sie Pro-
bleme mit den Augen?«
»Sie wissen schon«, hauchte Schwester Maria unter-
würfig. Ihre Brauen tanzten mehrmals auf und nieder.
»Die Neugeborenen. Der Austausch..,«
»Oh, natürlich, natürlich«, sagte Schwester Liebreiz.
»Alles zu seiner Zeit. Wir dürfen doch nicht zulassen,
daß der Vater überall im Krankenhaus umherwandert,
oder? Er könnte gewisse Dinge sehen und Verdacht
schöpfen. Deshalb schlage ich vor. Sie warten hier und
behalten das Baby im Auge, bitte seien Sie so lieb.«
Die Oberin rauschte über den frisch gebohnerten Hur.
Schwester Maria betrat, den Korbkinderwagen vor sich
her schiebend, den Kreißsaal.
Mrs. Young war nicht nur benommen. Sie schlief tief
und fest, mit der tiefen Zufriedenheit einer Frau, die
weiß, daß sie die Lauferei endlich einmal anderen Leu-
ten überlassen kann. Baby A schlummerte neben ihr, ge-
wogen und mit einem kleinen Namensschild versehen.
Schwester Maria hatte die Angewohnheit, sich ständig
nützlich zu machen, und auch diesmal wollte sie sich

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Ein gutes Omen

nicht damit begnügen, einfach nur zu warten. Sie nahm


das Namensschild, kopierte es und stattete den Knaben
in ihrer Obhut mit dem Duplikat aus. Die beiden Kinder
sahen sich sehr ähnlich: Sie waren klein, fleckig und
wirkten wie Miniaturausgaben von Winston Churchill.
Jetzt könnte ich eine Tasse Tee vertragen, dachte Schwe-
ster Maria.
Bei den meisten Angehörigen des Schwatzhaften Or-
dens handelte es sich um eher altmodische Satanisten,
so wie ihre Eltern und Großeltern. Sie wuchsen mit
dem Satanismus auf, und eigentlich konnte man sie
nicht als sonderlich böse bezeichnen. Es gibt nur wenige
Menschen, die durch und durch böse sind. Allerdings
lassen sich viele von neuen Ideen anstecken: Sie ziehen
Schaftstiefel an und erschießen Leute; sie hüllen sich in
weiße Laken und lynchen Leute; oder sie zwängen sich
in hautenge ausgewaschene Jeans und foltern Leute mit
elektrischen Gitarren. Wenn man Menschen eine Philo-
sophie und die dazu passende Kleidung gibt, gewinnt
man mit Sicherheit viele Anhänger. Außerdem: Wenn
man als Satanist aufwächst, ist alles halb so schlimm. Der
Satanismus wird dadurch zu einer Art Samstagabend-
vergnügen. Während der übrigen Zeit führt man ein
ganz normales Leben wie alle anderen. Hinzu kam, daß
Schwester Maria als Krankenschwester arbeitete, und
Krankenschwestern sind in erster Linie Krankenschwe-
stern, ganz gleich, woran sie glauben. Sie neigen dazu,
ihre Armbanduhren andersherum zu tragen, bei Notfäl-
len die Ruhe zu bewahren - und sich nach einer Tasse
Tee zu sehnen. Schwester Maria Redeviel hoffte, daß
man sie möglichst bald ablösen werde. Sie hatte ihre
Pflicht erfüllt, und nun wollte sie eine Tasse Tee trinken.
Man kann menschliche Angelegenheiten weitaus bes-
ser verstehen, wenn man sich folgender Erkenntnis
stellt: Die größten Triumphe und Tragödien in der Ge-
schichte gehen nicht etwa auf Menschen zurück, die
vollkommen gut oder vollkommen böse sind, sondern
darauf, daß Menschen einfach Menschen sind.
Jemand klopfte an die Tür. Schwester Maria öffnete.
»Ist es schon passiert?« fragte Mr. Young. »Ich bin der
Vater. Der Ehemann. Ich meine, beides.«
Die Nonne hatte damit gerechnet, daß der amerikani-
sche Kulturattache wie Blake Carrington oder J.R.
Ewing aussah. Mr. Young wies nicht die geringste Ähn-
lichkeit mit den Amerikanern im Fernsehen auf - ließ
man den onkelhaften Sheriff in besseren Kriminalfilmen
unberücksichtigt.* Er stellte eine Enttäuschung dar. Und
von seiner Strickjacke hielt Schwester Maria ebenfalls
nicht viel.

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Ein gutes Omen

Schade, dachte die Nonne und versuchte, sich nichts


anmerken zu lassen.
»O ja«, antwortete sie. »Herzlichen Glückwunsch. Ihre
Frau schläft. Armes Ding.«
Mr. Young blickte ihr über die Schulter. »Zwillinge?«
brachte er hervor. Er griff nach seiner Pfeife. Er schob sie
wieder in die Tasche. Er holte sie erneut hervor. »Zwil-
linge? Niemand hat etwas von Zwillingen gesagt.«
»O nein!« entfuhr es Schwester Maria. »Dies ist Ihr
Sohn. Das andere Baby hat, äh, andere Eltern. Ich küm-
mere mich nur um ihn, bis Schwester Liebreiz zurück-
kehrt.« Sie deutete auf Widersacher, Zerstörer von Kö-
nigreichen, Engel der Dunkelheit, Großes Tier-das-man-
Drachen-nennt, Herr dieser Welt, Vater aller Lügen,
Satansbrut und Fürst der Finsternis. »Dieser Junge sieht
Ihnen auch viel ähnlicher. Er ist geradezu Ihr Ebenbild,
vom Kopf bis zu den winzig-klitzikleinigen Hufilein -
die er nicht hat«, fügte sie rasch hinzu.
Mr. Young beugte sich vor.
»Äh, ja«, erwiderte er skeptisch. »Scheint mir tatsäch-
lich aus dem Gesicht geschnitten zu sein. Es ist doch, äh,
alles in Ordnung mit ihm, oder?«
* Hier sind jene Filme gemeint, die eine ältere Dame als Detektivin er-
mitteln lassen und nur dann eine Verfolgungsjagd zeigen, wenn sie in
aller Gemütsruhe stattfindet.
»O ja«, versicherte Schwester Maria. »Ein ganz nor-
males Kind«, betonte sie. »Ganz, ganz normal.«
Kurze Stille schloß sich an. Nonne und Vater blickten
auf den schlafenden Knaben hinab.
»Sie haben überhaupt keinen Akzent«, sagte Schwester
Maria nach einer Weile. »Wohnen Sie schon lange hier?«
»Seit ungefähr zehn Jahren«, sagte Mr. Young ein
wenig verwirrt. »Ich bin hierherversetzt worden.«
»Ihre Arbeit ist bestimmt sehr interessant«, vermutete
Schwester Maria. Mr. Young lächelte erfreut. Nur we-
nige Leute wußten die faszinierenden Aspekte des be-
trieblichen Rechnungswesens zu schätzen.
»Wahrscheinlich dauerte es eine Weile, bis Sie sich
eingewöhnten«, fuhr Schwester Maria fort.
»Wie man's nimmt«, erwiderte Mr. Young auswei-
chend. Soweit er sich erinnern konnte, gab es zwischen
Luton und Tadfield kaum Unterschiede. Die gleichen
Leute. Die gleichen Hecken zwischen den Häusern und
der Eisenbahnstrecke.
»Ich nehme an, dort, wo Sie früher tätig waren, sind
die Gebäude größer«, hakte Schwester Maria nach. Es
klang fast verzweifelt. »Und höher.«
Mr. Young musterte die Nonne unsicher. Meinte sie
vielleicht die Niederlassungen der Banken und Versiche-

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Ein gutes Omen

rungsgesellschaften?
»Sicher veranstalten Sie häufig Gartenparties«, mut-
maßte Schwester Maria.
Ah, dies war vertrauteres Terrain. Deirdre fand gro-
ßen Gefallen an Gartenfesten.
»Ja«, bestätigte er erleichtert, »meine Frau läßt unsere
Gäste von ihrer selbstgemachten Marmelade kosten,
und ich muß mich um die Bratwürstchen und den Kar-
toffelsalat kümmern.«
Schwester Maria Redeviel runzelte überrascht die
Stirn. Sie hörte nun zum erstenmal, daß im Buckingham
Palace auch derart bürgerliche Speisen auf den Tisch
kamen. Nun, die Königin ist auch nur ein Mensch.
»Nun, mit bestimmten Dingen muß man sich eben ab-
finden«, kommentierte sie. »Ich habe gelesen, daß sie stän-
dig Geschenke von ausländischen Würdenträgem erhält.«
»Wie bitte?«
»Wissen Sie, ich bin ein großer Fan der königlichen
Familie.«
»Oh, ich auch«, sagte Mr. Young und sprang damit
auf eine neue Eisscholle im verwirrenden Strom ihrer
Gedanken. Ja, mit der königlichen Familie kannte er
sich aus; sie bot festen thematischen Halt. Natürlich galt
Mr. Youngs Sympathie nur den richtigen Prinzen und
Prinzessinnen, die ihrem Volk zuwinkten und neue
Brücken einweihten. Von den anderen, die sich nächte-
lang in Diskotheken herumtrieben und auf die Papa-
razzi* spuckten, hielt er nicht viel.
»Das freut mich«, sagte Schwester Maria. »Ich dachte
immer. Sie und Ihre Landsleute halten nicht viel von Kö-
niginnen und Adel. Und was hat es mit der Revolution
auf sich und damit, daß Sie die ganzen Teeservice in den
Ruß geworfen haben?«
Die Nonne plauderte weiter und achtete damit das
Gebot des Schwatzharten Ordens, stets das zu sagen,
was ihr gerade in den Sinn kam. Die meisten Worte blie-
ben für Mr. Young völlig rätselhaft, und er war viel zu
müde, um sich Gedanken darüber zu machen. Vermut-
lich führte das religiöse Leben dazu, daß man irgend-
wann ein wenig seltsam wurde. Mrs. Young schlief noch
immer, was er sehr bedauerte. Er wünschte sich, daß sie
bald erwachte.
Mehrere von Schwester Maria aneinandergereihte Sil-
ben weckten vage Hoffnung in Mr. Young.
»Gibt es vielleicht die Möglichkeit, daß ich möglicher-
weise eine Tasse Tee bekommen könnte, bitte?« wagte er
zu fragen.
* Vielleicht sollte an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß
Mr. Young unter >Paparazzi< italienische Fliesen verstand.

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Ein gutes Omen

»Ach, du meine Güte!« platzte es aus Schwester Maria


heraus. »Warum habe ich nicht längst daran gedacht?
Was werden Sie jetzt von mir denken...«
Mr. Young verzichtete auf eine Antwort.
Die Nonne eilte zur Tür. »Ich bin gleich wieder da«,
versprach sie. Mr. Young verstand es als Drohung.
»Mögen Sie vielleicht lieber einen Kaffee? Im Flur steht
ein Automat.«
»Nein, Tee ist mir lieber«, erwiderte Mr. Young.
»Sie haben sich wirklich eingelebt, wie?« meinte
Schwester Maria fröhlich und verließ das Zimmer.
Mr. Young blieb allein mit einer schlafenden Frau und
zwei schlafenden Säuglingen zurück, seufzte und nahm
in einem Sessel Platz. Ja, sicher lag es am frühen Aufste-
hen, dem häufigen Niederknien und ständigen Beten. So
etwas konnte nicht ohne Folgen bleiben. Leute wie
Schwester Maria meinten es natürlich gut, tief in ihrem
Herzen, aber wenn man längere Zeit mit ihnen zu tun
hatte...
Mr. Young entsann sich an einen Ken Rüssel-Film, in
dem auch Nonnen vorkamen. Nun, solche Dinge schie-
nen hier nicht zu geschehen. Doch wie hieß es so schön?
Kein Rauch ohne Ramme...
Er seufzte erneut.
Eine Sekunde später erwachte Baby A und beschloß,
seine Stimmbänder zu testen.
Es war schon viele Jahre her, seit Mr. Young zum letz-
tenmal versucht hatte, einen schreienden Säugling zu
beruhigen. In dieser Hinsicht ließ sein Geschick ohne-
hin zu wünschen übrig. Er hatte Sir Winston Churchill
immer große Verehrung entgegengebracht, und daher
widerstrebte es ihm, kleineren Versionen des berühmten
Politikers auf den Po zu klopfen.
»Willkommen auf der Welt«, sagte er schlicht. »Früher
oder später wirst du dich an sie gewöhnen.«
Das Baby klappte den Mund zu und sah Mr. Young so
an, als wäre er ein unbotmäßiger General.
Schwester Maria wählte genau diesen Augenblick,
um mit dem Tee zurückzukehren. Satanistin oder nicht:
Sie brachte sogar einen Teller Kekse mit. Normalerweise
wurden solche Leckereien serviert, wenn man Teatime-
Gäste diskret darauf hinweisen wollte, daß sie schon seit
zwei Stunden am Tisch saßen und besser gehen soll-
ten. Mr. Young betrachtete sie mit mäßigem Interesse.
Die rosarote Tönung erinnerte ihn an Chirurgen-Hand-
schuhe, und der Zuckerguß sah aus, als hätten sich
kleine Schneemänner in den Backofen verirrt.
»Wahrscheinlich kennen Sie so etwas nicht«, sagte
Schwester Maria Redeviel. »In Ihrer Heimat nennt man

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Ein gutes Omen

sie Plätzchen. Wir hingegen sprechen von Bis-kuits.«


Mr. Young wollte antworten, daß er durchaus mit
dem englischen Vokabular vertraut sei und häufig Bis-
kuits gegessen habe, wie alle anderen Leute in Luton.
Aber er kam nicht dazu, auch nur einen Ton von sich zu
geben. Eine andere Nonne eilte atemlos ins Zimmer.
Sie sah Schwester Maria an und begriff, daß Mr.
Young nie im Innern eines Pentagramms gestanden
hatte. Stumm deutete sie auf Baby A und zwinkerte.
Schwester Maria nickte und zwinkerte ebenfalls.
Die zweite Nonne griff nach einem der beiden Säug-
linge und trug ihn fort.
Die menschliche Kommunikation läßt für gewöhnlich
einen breiten Interpretationsspielraum, was insbeson-
dere auf das Zwinkern zutrifft. Aus einem Zwinkern
kann man viel herauslesen. Die zweite Nonne teilte da-
mit folgendes mit:
Wo zur Hölle sind Sie gewesen? Baby B ist geboren, und
wir müssen den Austausch vornehmen. Aber Sie sitzen hier
im falschen Zimmer bei Widersacher, Zerstörer von König-
reichen, Engel der Dunkelheit, Großes Tier-das-man-Dra-
chen-nennt, Herr dieser Welt, Vater aller Lügen, Satansbrut
und Fürst der Finsternis - und trinken Tee. Ist Ihnen eigent-
lich bekannt, daß man mich fast erschossen hätte?
Nonne Nummer Zwei glaubte, in Schwester Marias
gezwinkerter Antwort folgende Botschaft zu erkennen:
Hier ist der Widersacher, Zerstörer von Königreichen, Engel
der Dunkelheit, das große Tier-das-man-Drachen-nennt, Herr
Dieser Welt, Vater aller laugen, Satansbrut und Fürst der
Finsternis. Ich kann nicht sprechen, weil ein Außenstehender
zugegen ist.
Im Gegensatz dazu hatte Maria Redeviel das Zwin-
kern der anderen Krankenschwester folgendermaßen
interpretiert:
Gut gemacht, Schwester Maria - Sie haben den Austausch
ganz allein vorgenommen. Zeigen Sie mir jetzt das andere
Kind, damit ich es fortbringen und Sie Ihrem Gespräch mit
Seiner Königlichen Exzellenz der amerikanischen Kultur
überlassen kann.
Und deshalb bedeutete ihr eigenes Zwinkern:
Sie haben völlig recht. Teuerste, es ist bereits alles erledigt.
Baby B liegt dort. Nehmen Sie es und lassen Sie mich mit
Seiner Exzellenz allein. Endlich habe ich Gelegenheit, ihn zu
fragen, warum die Häuser in Amerika so hoch sind und aus
lauter Spiegeln bestehen.
Die Feinheiten dieses Nachrichtenaustauschs entgin-
gen Mr. Young, der recht verlegen war, weil er das
Zwinkern für ein Zeichen geheimer Zuneigung hielt
und zu dem messerscharfen Schluß gelangte, daß Ken

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Ein gutes Omen

Rüssel genau Bescheid gewußt hatte, als er seinen Non-


nen-Film drehte.
Vielleicht wäre die andere Satanistin auf Schwester
Marias Fehler aufmerksam geworden, wenn sie nicht
durch die Anwesenheit der Geheimdienstmänner in
Mrs. Dowlings Zimmer überaus verstört gewesen wäre.
Ihre Ausbildung verlangte ein gewisses Reaktionsmu-
ster von ihnen, wenn ihnen Gestalten begegneten, die
lange Umhänge und Tücher vor den Gesichtern trugen.
Derzeit sahen sie sich mit widersprüchlichen Signalen
konfrontiert, woraus sich ein höchst problematischer
innerer Konflikt ergab. Menschen, die sich mit wider-
sprüchlichen Signalen konfrontiert sehen und an höchst
problematischen inneren Konflikten leiden, sollten keine
geladene und entsicherte Waffe in der Hand halten. So
etwas ist noch weitaus weniger ratsam, wenn sie gerade
eine natürliche Geburt gesehen haben - was eine völlig
unamerikanische Methode zu sein schien, neue Bürger
zur Welt zu bringen. Außerdem hatten sie gehört, es
gebe Gebetbücher in dem Gebäude.
Mrs. Young bewegte sich.
»Haben Sie sich schon für einen Namen entschieden?«
fragte Schwester Maria schelmisch.
»Hmm?« erwiderte Mr. Young. »Oh. Nein, eigentlich
nicht. Ein Mädchen hätten wir Lucinda genannt, nach
meiner Mutter. Allerdings meinte Deirdre, Germaine
klinge viel besser.«
Die Nonne erinnerte sich an ihre satanistischen Pflich-
ten. »Wie wär's mit Wormwood?« schlug sie vor. »Oder
Damien. Ja, Damien ist derzeit sehr beliebt.«
Die achteinhalbjährige Anathema Apparat - ihre Mutter
hatte sich nie sehr eingehend mit religiösen Angele-
genheiten beschäftigt; sie las das Wort eines Tages und
meinte, es sei ein hübscher Mädchenname - zog sich
mehrere Bettdecken über den Kopf, schaltete ihre Ta-
schenlampe ein und las Im Buch.
Andere Kinder lernten das Lesen mit Hilfe von Fibeln,
in denen es bunte Bilder von Äpfeln, Bällen, Kakerlaken
und anderen Dingen gab. Bei den Sprößlingen der Ap-
parat-Familie lag der Fall völlig anders. Anathema hatte
das Lesen mit Dem Buch gelernt.
Darin fehlten Abbildungen von Äpfeln und Bällen. In-
sekten blieben ebenfalls unberücksichtigt. Statt dessen
wartete Das Buch mit einem sehr eindrucksvollen Holz-
schnitt aus dem achtzehnten Jahrhundert auf: Er zeigte
Agnes Spinner, die auf einem Scheiterhaufen brannte
und offenbar große Freude daran fand.
Das erste Wort, das Anathema entziffern konnte,
lautete freundlich. Nur sehr wenige achteinhalb Jahre alte

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Ein gutes Omen

Kinder wissen, daß nicht nur Menschen freundlich sein


können, aber Anathema gehörte zu ihnen.
Das zweite Wort hieß zutreffend.
Und hier sind die ersten Sätze, die sie laut las:
»Ich saget diesiges, unt man möget ghut auf meinige
Worte achten. Vier wärden reitigen, unt Vier wärden
ebensolchiges reitigen, unt Drei wärden über den Him-
mel reitigen, wie durch Magieh, und Einer reitiget in
Flammen. Unt nichts kann sie aufhaltigen: weder Fisch
noch Rehgen noch Schtraße, weder Toifel noch Engel.
Unt du wirstet dabei sain, Anathema.«
Es gefiel Anathema, über sich selbst zu lesen.
(Manche Eltern - gemeint sind hier insbesondere
Väter und Mütter, die nur gewisse Sonntagszeitungen
kaufen - schenken ihren Kindern Bücher, deren Helden
oder Heldinnen ebenso heißen wie die betreffenden
Söhne und Töchter. [Ein Wunder der modernen Druck-
technik.] Auf diese Weise wollen sie Interesse am Lesen
wecken. Aber Dieses Buch schilderte nicht nur das Leben
Anathemas - bisher stimmten alle Einzelheiten -, son-
dern auch die Schicksale der Eltern, Großeltern, Ur-
großeltern und so weiter, bis zurück zum siebzehnten
Jahrhundert. Das Mädchen war noch zu jung und zu
ichbezogen, um darauf zu achten, daß weder eigene
Kinder noch irgendwelche Ereignisse erwähnt wurden,
die mehr als elf Jahre in der Zukunft lagen. Wenn man
achteinhalb ist, erscheinen einem elf Jahre wie ein
ganzes Leben, und genau darauf lief es auch hinaus,
wenn man Dem Buch Glauben schenken konnte.)
Anathema war ein intelligentes, aufgewecktes Kind
mit blassen Wangen, dunklen Augen und schwarzem
Haar. Häufig weckte sie Unbehagen in anderen Leuten,
und außerdem besaß sie mehr übersinnliche Fähigkei-
ten, als für sie gut sein mochte, Eigenschaften, die sie
von ihrer Urururururgroßmutter geerbt hatte.
Sie galt als frühreif und beherrscht. Die Lehrer hatten
nichts an ihr auszusetzen - abgesehen von einer Ortho-
graphie, die nicht etwa entsetzlich, sondern seit drei-
hundert Jahren überholt war.
Die Nonnen nahmen Baby A und vertauschten es vor
der Nase der Frau des Kulturattaches und der Geheim-
dienstmänner mit Baby B. Dazu setzten sie eine zweck-
mäßige List ein, indem sie behaupteten, das Baby wie-
gen zu müssen, wobei sie erklärten, es sei Vorschrift. Sie
schoben das eine Kind auf einem Wagen hinaus und
kamen mit dem anderen Säugung etwas später zurück.
Der Kulturattache Thaddäus J. Dowling war vor eini-
gen Tagen überraschend nach Washington zurückbe-
ordert worden, aber während der Geburt stand er in

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Ein gutes Omen

telefonischer Verbindung mit seiner Frau, um ihr beim


Atmen zu helfen.
Es war nicht gerade hilfreich, daß er über eine andere
Leitung mit seinem Anlageberater sprach. An einem be-
stimmten Punkt blieb ihm nichts anderes übrig, als seine
Frau zwanzig Minuten lang warten zu lassen. Doch das
war schon in Ordnung.
Der Attache wußte natürlich, daß eine Geburt die
glücklichste aller glücklichen gemeinsamen Erfahrun-
gen für zwei Menschen ist, und er wollte keine einzige
Sekunde verpassen.
Aus diesem Grund hatte er einem der Männer vom
Geheimdienst die Anweisung gegeben, alles mit einer
Videokamera zu filmen.
Das Böse im allgemeinen schläft nicht, und deshalb sah
es auch nicht ein, daß jemand anders schlafen sollte.
Doch Crowley gefiel es, ein Nickerchen zu machen; er
sah darin einen der angenehmen Aspekte des weltlichen
Daseins. Besonders nach einem schweren Essen. Zum
Beispiel hatte er den größten Teil des neunzehnten Jahr-
hunderts im Schlaf verbracht.* Es war nicht nötig, daß er
* Allerdings stand er im Jahr 1832 auf, um zur Toilette zu gehen.
seine Kräfte erneuerte; er fand einfach Spaß daran, sich
hinzulegen und die Augen zu schließen.
Die angenehmen Aspekte des weltlichen Daseins.
Nun, er sollte sich beeilen, sie in vollen Zügen zu ge-
nießen - solange noch Zeit dazu war.
Der Bentley raste durch die Nacht, in Richtung Osten.
Natürlich begrüßte Crowley den Weltuntergang im
allgemeinen. Wenn er gefragt worden wäre, warum er
sich seit vielen Jahrhunderten in die Angelegenheiten
der Menschheit einmischte, so hätte er geantwortet: >0h,
um das Armageddon und den Triumph der Hölle zu er-
möglichen<. Aber es war eine Sache, darauf hinzuarbei-
ten - und eine ganz andere, die Letzte Schlacht tatsäch-
lich stattfinden zu lassen.
Crowley hatte immer gewußt, daß er den Weltunter-
gang erleben würde. Schließlich war er unsterblich, und
daher blieb ihm kaum eine Wahl. Aber er hatte gehofft,
es würde noch lange dauern.
Der Grund: Er mochte die Menschen. Bei Dämonen
kamen derartige Einstellungen einem schweren Charak-
terfehler gleich.
In dieser Hinsicht konnte Crowley einfach nicht über
den eigenen Schatten springen. Oh, er gab sich alle
Mühe, das kurze Leben der Menschen mit möglichst
viel Elend zu erfüllen - das war schließlich sein Job.
Doch sein diesbezüglicher Ideenreichtum wurde weit
davon übertroffen, was sich die Menschen selbst anta-

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Ein gutes Omen

ten. Die Gattung Homo sapiens schien da eine natürli-


che Begabung zu haben; vielleicht hatte es irgend etwas
mit den Genen zu tun. Die Menschen wurden in eine
Welt hineingeboren, die Tausende von Problemen für sie
bereithielt, und den größten Teil ihrer Energie verwen-
deten sie darauf, alles noch schlimmer zu machen. Im
Lauf der Jahre fiel es Crowley zunehmend schwerer,
sich etwas Dämonisches einfallen zu lassen, das aus der
Masse der allgemeinen Gemeinheiten herausstach. Wäh-
rend des letzten Jahrtausends hatte er mehrmals mit
dem Gedanken gespielt, eine folgendermaßen formu-
lierte Botschaft nach Unten zu schicken: He, Jungs, wir
brauchen uns überhaupt nicht mehr anzustrengen. Wir
sollten die Unterwelt und das Pandämonium schließen,
um uns hier oben niederzulassen. Die Menschen neh-
men uns die Arbeit ab und sind fest entschlossen, alle
Möglichkeiten von Leid, Grauen und Entsetzen zu nut-
zen. Ihrem Einfallsreichtum sind keinerlei Grenzen
gesetzt, und sie verwenden Dinge, die wir überhaupt
nicht kennen, zum Beispiel Elektroden. Die Menschen
besitzen das, was uns fehlt. Sie haben Vorstellungskraft.
Und natürlich Elektrizität.
Ein Sterblicher hatte irgendwann und irgendwo ge-
schrieben: >Die Hölle ist leer. Alle Teufel befinden sich
hier.<
Wie wahr, wie wahr.
Crowley dachte an seine Auszeichnung für die spani-
sche Inquisition. Oh, er hatte sich damals in Spanien auf-
gehalten (er lächelte unwillkürlich, als er sich an seine
Streifzüge durch die Tavernen und Schenken erinnerte,
an hübsche junge Damen mit Kastagnetten und einer
gehörigen Portion Temperament), aber von der Inquisi-
tion erfuhr er erst, als er die Belobigung bekam. Worauf-
hin er beschloß, sich die Sache aus der Nähe anzusehen.
Kurze Zeit später nahm er sich vor, mindestens eine
Woche lang betrunken zu sein.
Man denke nur an die Bilder eines gewissen Hiero-
nymus Bosch. Wie schrecklich.
Und wenn man endlich daran glaubte, daß Menschen
zu mehr Bosheit fähig waren als die Mächte der Finster-
nis, da zeigten sie plötzlich eine Güte, die der Güte des
Himmels in nichts nachstand. Manchmal betraf dieses
Phänomen sogar ein und dasselbe Individuum. Freier
Wille und so. Beim Satan höchstpersönlich: Das mensch-
liche Verhalten war immer für eine Überraschung gut.
Es war schon eine Plage.
Erziraphael hatte einmal versucht, es zu erklä-
ren. Wenn Menschen gut oder böse waren, rührte er
aus - das Gespräch fand im Jahr 1020 statt, kurz nach

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Ein gutes Omen

Der Übereinkunft zwischen Dämon und Engel -, so


ging das entsprechende Gebaren auf eine eigene Ent-
scheidung zurück. Mit anderen Worten: Sie wollten gut
oder böse sein. Wohingegen Leute wie Crowley (und
Erziraphael selbst) einem vorbestimmten Weg folgen
mußten. Die Sterblichen, so fügte der Engel hinzu,
konnten nur dann zu Heiligen werden, wenn 'man
ihnen die Möglichkeit gab, ausgesprochen lasterhart
zu sein.
Crowley dachte eine Zeitlang darüber nach, und im
Jahr 1023 erwiderte er: He, wart mal, das funktioniert
doch nur, wenn alle die gleichen Startchancen bekom-
men. Wer in einem armseligen Schuppen während eines
grausamen Krieges geboren wird, hat wohl kaum die
gleichen Chancen wie jemand, der in einem Schloß das
Licht der Welt erblickt.
Ah, sagte Erziraphael, das ist ja gerade das Tolle
daran. Je weiter unten du beginnst, desto mehr Möglich-
keiten stehen dir offen.
Total bescheuerte Spielregem, brummte Crowley.
Nein, widersprach Erziraphael. Typisches Beispiel für
Unerfindlichkeit.
Erziraphael. Zweifellos Der Feind. Aber wenn man es
sechstausend Jahre lang mit dem gleichen Feind zu tun
hatte, wurde er schließlich zum Freund.
Crowley ließ die rechte Hand sinken und griff nach
dem Autotelefon.
Von einem Gesandten der Hölle erwartete man, daß
er keinen freien Willen entwickelte. Doch ein Dämon,
der sich lange genug unter Menschen befand, lernte das
eine oder andere.
Mr. Young hielt nicht viel von Damien oder Wormwood.
Ebensowenig von den anderen Vorschlägen Schwester
Maria Redeviels, die alle satanischen Namenslisten
durchging und sich anschließend auf die goldenen Jahre
Hollywoods besann.
»Nun...«, sagte sie. Es klang ein wenig gekränkt. »Mit
Errol dürfte alles in Ordnung sein. Oder Cary. Es sind
hübsche amerikanische Namen.«
»Ich dachte eigentlich an etwas, äh. Traditionelleres«,
erwiderte Mr. Young. »In meiner Familie haben wir
immer einfache Namen gewählt.«
Schwester Maria strahlte. »Ja, da bin ich ganz Ihrer
Meinung. Die alten Namen sind immer die besten.«
»Ein anständiger biblischer Name«, sagte Mr. Young.
»Matthäus, Markus, Lukas oder Johannes«, fügte er
hinzu. Die Nonne zuckte unwillkürlich zusammen.
»Allerdings klingen sie nicht wie richtige biblische
Namen. Wenn man sie hört, stellt man sich Cowboys

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Ein gutes Omen

und Fußballspieler vor.«


»Saul wäre nicht schlecht«, warf Schwester Maria
hoffnungsvoll ein.
»Jetzt werden wir, äh, zu traditionell«, antwortete er.
»Oder Kain.« Die Nonne war der Verzweiflung nahe.
»Kain ist viel moderner als Saul.«
»Hmm.« Mr. Young wirkte skeptisch.
»Natürlich bleibt immer noch die Möglichkeit, den
Jungen - Adam zu nennen«, sagte Schwester Maria.
Dagegen dürfte es eigentlich keine Einwände geben.
»Adam?« wiederholte Mr. Young.
Die Vorstellung, daß die satanischen Nonnen den zwei-
ten Knaben - Baby B - mit der gebotenen Diskretion
adoptierten, wäre sicher recht nett. Daß er zu einem
normalen, glücklichen, lachenden Kind heranwuchs.
Daß er mit kleinen Autos spielte, brav zur Schule ging
und darauf verzichtete. Fliegen die Beine auszureißen.
Daß er noch mehr wuchs und zu einem normalen, mehr
oder weniger zufriedenen Mann wurde.
Nun, vielleicht ist das tatsächlich geschehen.
Denken Sie nur an die Auszeichnungen, die er wäh-
rend der ersten Grundschuljahre für gute Orthographie
bekommt. An seine ereignislose, aber angenehme Stu-
dienzeit. An seinen Job im Lohnbüro des Tadfield und
Norton Bauunternehmens und an seine sympathische
Frau. Vielleicht möchten Sie diesem Szenarium auch
noch einige Kinder und ein Hobby hinzufügen, etwa die
Restaurierung alter Motorräder oder das Züchten tropi-
scher Fische.
Vermutlich wollen Sie nicht wissen, was mit Baby B
passieren könnte.
Nun, Ihre Version gefällt den Autoren ohnehin besser.
Wahrscheinlich gewinnt Baby B als Mann sogar Preise
für seine tropischen Fische.
Licht brannte im Schlafzimmer eines kleinen Hauses in
Dorking, Surrey.
Newton Läuterer war zwölf und dünn. Er trug eine
Sonnenbrille mit dicken Gläsern und sollte eigentlich
schon seit Stunden schlafen.
Mutter Läuterer war vom Genie ihres Sohns über-
zeugt und bestand erst gar nicht darauf, daß er früh zu
Bett ging. Sie erlaubte es ihm, >Experimente< durchzu-
führen.
Beim gegenwärtigen wissenschaftlichen Versuch ging
es darum, den Stecker eines uralten Röhrenradios zu
wechseln, das Newton von seiner Mom bekommen
hatte. Der Junge saß an einem zerkratzten Tisch, den er
stolz als >Werkbank< bezeichnete, betrachtete ein Durch-
einander aus Drähten, Batterien, Glühlampen und einen

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Ein gutes Omen

selbst hergestellten kleinen Detektorempfänger, der je-


doch nicht funktionierte. Was auch für das Röhrenradio
galt. Irgend etwas - wahrscheinlich das Schicksal - hin-
derte Newton daran, einen technischen Erfolg zu erzie-
len. Aber er gab nicht auf.
Drei ziemlich schiefe Modellflugzeuge baumelten an
Wollfäden von der Decke herab. Selbst ein flüchtiger Be-
obachter hätte auf den ersten Blick erkannt, daß sie je-
mand gebastelt hatte, der sorgfältig, gewissenhart und
nicht besonders gut im Zusammenbauen von Modell-
flugzeugen war. Newton hatte sie voller Stolz ins Herz
geschlossen, selbst die Spitfire, deren Tragflächen eine
einzige Katastrophe waren.
Er rückte sich die Brille zurecht, schielte auf den
Stecker und setzte den Schraubenzieher an.
Diesmal gab sich Newton großen Hoffnungen hin. Er
hatte das >Handbuch für experimentierfreudige Jun-
gen, die mehr über Elektronik wissen wollen. Hunder-
tundeins sichere und lehrreiche Dinge, die man mit
Elektrizität anstellen kann< auf Seite 5 aufgeschlagen
und alle Hinweise auf Steckerwechsel gelesen. Er hatte
die richtigen farbigen Drähte mit den richtigen An-
schlüssen verbunden. Er hatte sogar eine Sicherung mit
der richtigen Amperezahl verwendet und dann alles
ordnungsgemäß verschraubt. Bisher ergaben sich keine
Probleme.
Newton schob den Stecker in die Steckdose. Er schal-
tete das Radio ein.
Von einem Augenblick zum anderen war es dunkel
im Haus.
Der Junge lächelte zufrieden. Er machte Fortschritte.
Sein letztes Experiment hatte dazu geführt, daß ganz
Dorking ohne Strom blieb und ein Mann vom Elektrizi-
tätswerk kam, der mit seiner Mutter ein paar ernste
Worte wechselte.
Newton begegnete allen elektrischen Dingen mit
ebenso hingebungsvoller wie unerwiderter liebe. In der
Schule hatten sie einen Computer, und sechs lernbegie-
rige Schüler blieben nach dem Unterricht noch da und
beschäftigten sich mit den Lochkarten. Newton bat
darum, sich der Informatikgruppe anschließen zu dür-
fen, und der für den Computer zuständige Lehrer ging
das Risiko ein, seinem Wunsch zu entsprechen. Er sollte
es schon bald bereuen. Als Newton die erste kleine
Karte im Eingabeschlitz verschwinden ließ, verschluckte
sich der Rechner daran und gab den elektronischen
Geist auf.
Newton zweifelte nicht daran, daß Computer eine
große Rolle in der Zukunft spielen würden. Wenn die

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Ein gutes Omen

Zukunft begann, wollte er vorbereitet sein und zur tech-


nologischen Avantgarde gehören.
Aber die Zukunft hatte eigene Pläne mit ihm. Es stand
alles Im Buch.
Adam, dachte Mr. Young. Er sprach den Namen laut aus,
um zu hören, wie er klang: »Adam.« Hmm ...
Er blickte auf die goldenen Locken des Knaben hinab,
der bereits einen - geheimen - Namen erhalten hatte:
der Widersacher, Zerstörer von Königreichen, Engel der
Dunkelheit, Großes Tier-das-man-Drachen-nennt, Herr
dieser Welt, Vater aller Lügen, Satansbrut und Fürst der
Finsternis.
»Wissen Sie«, sagte er nach einer Weile, »ich glaube, er
sieht wirklich wie ein Adam aus.«
Es war keine dunkle und stürmische Nacht gewe-
sen.
Die dunkle und stürmische Nacht begann zwei Tage
später, etwa vier Stunden nachdem Mrs. Dowling,
Mrs. Young und ihre Kinder das Krankenhaus verlassen
hatten.
Sie erwies sich als besonders dunkel und stürmisch,
und kurz nach Mittemacht, als der Sturm noch lauter
heulte, zuckte ein gut gezielter Blitz vom schwarzen
Himmel, traf das Kloster des Schwatzhaften Ordens und
setzte das Dach der Sakristei in Brand.
Das Feuer brachte niemanden in Gefahr, aber es
wütete bis zum Morgen und richtete großen Schaden
an.
Der Blitzeschleuderer lauerte auf einem nahen Hügel
und beobachtete die lodernden Flammen. Er war hoch-
gewachsen und schlank und ein Höllenfürst. Das Feuer
stand als letzter Punkt auf seiner Aufgabenliste, und
jetzt konnte er in die Unterwelt zurückkehren.
Der Rest fiel in Crowleys Zuständigkeitsbereich.
Hastur begab sich auf den Heimweg.
Rein technisch gesehen war Erziraphael ein Erzengel,
doch in der heutigen Zeit machten die Leute ihre Witze
über so etwas.
Unter normalen Umständen hätten Crowley und er
sicher nicht Freundschaft geschlossen, aber sie waren
Männer von Welt (zumindest sahen sie in ihrer gegen-
wärtigen Erscheinungsform wie Männer aus), und Die
Übereinkunft gereichte ihnen beiden zum Vorteil. Außer-
dem gewöhnte man sich schließlich an das einzige an-
dere Wesen, das seit sechstausend Jahren auf Erden
wandelte.
Eigentlich hatte es gar nicht viel mit Der Übereinkunft
auf sich. Sie war so einfach und schlicht, daß es sich
nicht lohnte, viel Aufhebens darum zu machen. Nun,

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Ein gutes Omen

derart vernünftige Übereinkünfte werden für gewöhn-


lich von einsamen Geheimagenten getroffen, die unter
schwierigen Bedingungen und in sicherer Entfernung
von ihren Vorgesetzten arbeiten. Irgendwann stellen sie
fest, daß sie mit den unmittelbaren Gegnern mehr
gemeinsam haben als mit ihren weit entfernten Verbün-
deten. Es handelt sich um die stillschweigende Verein-
barung, die gegenseitigen Aktivitäten so wenig wie
möglich zu stören. Sie sorgt dafür, daß niemand ge-
winnt - aber auch niemand verliert. Was alle Beteiligten
in die Lage versetzt, ihren jeweiligen Vorgesetzten auf
>wichtige Erfolge im Kampf gegen einen schlauen und
gut informierten Feind< hinzuweisen.
m diesem besonderen Fall lief Die Übereinkunft auf fol-
gendes hinaus: Crowley durfte Manchester entwickeln,
während Erziraphael freie Hand in ganz Shropshire
bekam. Crowley nahm sich Glasgow, und Erziraphael
erweiterte seinen Tätigkeitsbereich auf Edinburgh. (We-
der Dänion noch Engel erhoben Anspruch auf Milton
Keynes*, aber beide meldeten den Ort als persönlichen
Triumph.)
Darüber hinaus erschien es ihnen nur vernünftig, sich
gegenseitig zu helfen, wenn es die Umstände verlang-
ten. Immerhin stammten sie beide aus dem Geschlecht
der Engel. Wenn sich der eine nicht länger beherrschen
konnte und loszog, um jemanden in Versuchung zu
führen, sorgte der andere mit einem Standardhauch
göttlicher Ekstase dafür, daß die Balance zwischen Gut
und Böse gewahrt blieb. Solange sich die Dinge im
Gleichgewicht befanden, war alles in bester Ordnung.
Es reduzierte die höllischen und himmlischen Kosten
für den Einsatz ihrer Gesandten, und außerdem hatte
man dadurch mehr Freizeit.
Gelegentlich bereitete dies Erziraphael Schuldgefühle,
doch die jahrhundertelange Nähe zu den Menschen
hatte den gleichen Effekt auf ihn wie auf Crowley, nur
umgekehrt.
Außerdem kümmerten sich die Verantwortlichen
nicht darum, wer was anstellte. Für sie war nur wichtig,
daß die Arbeit erledigt wurde.
Derzeit standen Erziraphael und Crowley am Teich
im St. James Park. Sie fütterten die Enten.
Die Enten im St. James Park sind so sehr daran ge-
wöhnt, von Geheimagenten gefüttert zu werden, daß
sie eine eigene Pawlowsche Reaktion entwickelt haben.
Man stecke eine St. James Park-Ente in einen Laborkä-
fig und zeige ihr Bilder von zwei Männern, von denen
einer für gewöhnlich einen Mantel mit Pelzkragen, der
andere etwas Dunkles mit einem Schal trägt, und das

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Ein gutes Omen

Tier wird erwartungsvoll nach oben schauen. Viele


* Anmerkung für Amerikaner und andere Fremde: Milton Keynes ist
eine neue Stadt auf halbem Weg zwischen London, England, und Bir-
mingham, England. Sie sollte modern sein, eine gute Infrastruktur
haben und ein gesundes und angenehmes Leben ermöglichen. Viele
Briten finden diese Vorstellung sehr amüsant.
St. James Park-Enten bevorzugen das Schwarzbrot
des russischen Kulturattaches, während wirkliche Fein-
schmecker das Rosinengebäck des M19-Leiters zu
schätzen wissen. Erziraphael sah einen heruntergekom-
men wirkenden Erpel und warf ihm eine Brotkruste
zu - das Tier sank sofort.
Der Engel wandte sich an Crowley.
»Ist das unbedingt nötig?« murmelte er.
»Entschuldige«, erwiderte der Dämon. »Ich war ganz
in Gedanken.« Wütend erschien die Ente wieder an der
Oberfläche.
»Wir wußten natürlich, daß sich etwas anbahnt«,
sagte Erziraphael. »Normalerweise spielt sich so etwas
nur in Amerika ab. Dort drüben stehen sie auf solche
Sachen.«
»Was nicht ist, kann noch werden«, verkündete Crow-
ley düster. Nachdenklich ließ er den Blick durch den
Park schweifen und beobachtete, wie zwei Polizisten ein
Hinterrad des Bentleys mit Parkkrallen blockierten. Sie
wirkten ziemlich stabil.
»O ja, der amerikanische Diplomat«, entgegnete
Erziraphael. »Reine Effekthascherei, wenn du mich
fragst. Als sei das Armageddon ein sündhaft teurer
Kinofilm, der in möglichst viele Länder verkauft wer-
den soll.«
»In jedes Land«, sagte Crowley. »Wie heißt es so
schön? >Die Erde und alle Königreiche. <«
Erziraphael warf die letzten Brotstücke in den Teich.
Einige Enten schnappten danach und schwammen
fort, um jemand anderen zu belästigen. Sie entschie-
den sich für den bulgarischen Marineattache und
einen Mann, der sich immer wieder mißtrauisch
umsah und eine hellblaue Krawatte trug. Der Engel
seufzte und warf die leere Papiertüte in einen nahen
Abfallkorb.
Dann drehte er sich um und sah Crowley an.
»Wir gewinnen natürlich«, sagte er.
»Du möchtest gar nicht, daß ihr gewinnt«, erwiderte
der Dämon.
»Und warum nicht?«
»Jetzt hör mir mal gut zu«, sagte Crowley verzwei-
felt. »Wie viele Musiker habt ihr? Wirklich gute, meine
ich.«

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Ein gutes Omen

Erziraphael runzelte verwirrt die Stirn.


»Zwei«, fügte Crowley hinzu. »Elgar und Liszt. Und
mehr nicht. Wir haben den Rest. Beethoven, Brahms,
die ganzen Bachs und Mozarts und alle anderen.
Kannst du dir vorstellen, die Ewigkeit mit Elgar zu
verbringen?«
Der Engel schloß die Augen. »Und ob!« seufzte er.
»Darauf läuft es hinaus«, fuhr Crowley triumphie-
rend fort. Er kannte Erziraphaels schwache Stelle.
»Keine CDs. Keine guterhaltenen Stereoplatten. Keine
Albert Hall mehr, keine Konzerte. Nur noch himmli-
sche Klänge, den ganzen Tag lang.«
»Unerfindlichkeit«, ächzte Erziraphael leise.
»Wie Eier ohne Salz, um eine deiner Redewendun-
gen zu benutzen. Was mich an etwas erinnert. Kein
Salz, keine Eier. Kein Lachs mit Dillsoße mehr. Keine
netten, gemütlichen Restaurants, wo man dich kennt.
Äh. Keine Kreuzworträtsel im Daily Telegraph. Keine
kleinen Antiquitätenläden. Keine Buchhandlung. Keine
interessanten alten Ausgaben. Keine...« Crowley zog
die unterste Schublade von Erziraphaels Interessen
auf. »Keine silbernen Tabaksdosen aus der Zeit von
George IV.«
»Aber nach unserem Sieg ist das Leben weitaus bes-
ser«, krächzte der Engel.
»Aber es wäre nicht mehr so interessant. Du weißt,
daß ich recht habe. Mit einer Harfe wärst du so glück-
lich wie ich mit einer Heugabel.«
»Wir spielen nicht auf Harfen.«
»Und wir benutzen keine Heugabeln. Es war nur eine
rhetorische Bemerkung.«
Sie musterten sich gegenseitig.
Erziraphael hob sorgfältig manikürte Hände.
»Im Himmel freut man sich schon darauf. Meine
Kollegen dort Oben können es gar nicht abwarten, daß
es endlich losgeht. Seit sechstausend Jahren arbeiten
wir auf Das Ziel hin. Der letzte Test. Flammenschwer-
ter, die vier Apokalyptischen Reiter, Meere aus Blut.
Und so weiter und so fort.« Der Engel hob die Schul-
tern.
»Und dann >Spiel zu Ende. Werfen Sie eine Münze
ein<?«
»Manchmal fällt es mir schwer, deiner Ausdrucks-
weise zu folgen.«
»Mir gefallen die Meere so, wie sie sind. Warum soll
die Welt unbedingt untergehen? Man muß doch nichts
zerstören, als Beweis dafür, daß man gute Arbeit lei-
stet.«
Erziraphaels Schultern hoben und senkten sich noch

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Ein gutes Omen

einmal.
»Ich fürchte, das ist typische Unerfindlichkeit.« Der
Engel fröstelte ziemlich und schlug sich den Mantel-
kragen hoch. Schiefergraue Wolken zogen über die
Stadt.
»Ich schlage vor, wir suchen einen wannen Ort auf«,
sagte er.
»Was hältst du von der Hölle?« erwiderte Crowley
spöttisch. »Dort ist es warm genug.«
Eine Zeitlang gingen sie schweigend dahin.
»Ich bin durchaus deiner Meinung«, sagte Erzira-
phael, während er übers Gras stapfte. »Ich darf nur nicht
ungehorsam sein. Das weißt du ja.«
»Mir geht es genauso«, brummte Crowley.
Der Engel warf ihm einen kurzen Blick zu. »Ach,
komm schon! Du bist doch ein Dämon.«
»Ja, aber meine Vorgesetzten begrüßen den Ungehor-
sam nur im allgemeinen, während sie ihn im besonderen
ablehnen.«
»Ich nehme an, sie haben was gegen ungehorsame
Untergebene wie?«
»Du hast es erfaßt. Du wärst erstaunt - oder auch
nicht. Du wärst echt baff. Nun, vielleicht auch nicht.
Wieviel Zeit haben wir noch?« Crowley winkte, und
daraufhin entriegelte der Bentley seine Türen.
»Die Prophezeiungen unterscheiden sich voneinan-
der«, sagte Erziraphael und nahm auf dem Beifahrersitz
Platz. »Aber mit Sicherheit bis zum Ende des Jahrhun-
derts. Obgleich wir vorher mit gewissen Phänomenen
rechnen müssen. Leider war den meisten Propheten des
vergangenen Jahrtausends das Versmaß wichtiger als
die Genauigkeit.«
Crowley deutete auf den Zündschlüssel. Der Motor
sprang an.
»Wie meinst du das?« fragte er.
Der Engel machte eine vage Geste. »Oh, du weißt
schon. »Und die Welt soll endigen hier, im Jahre Duppti-
duppti-vier.< Oder fünf. Oder sechs. Es gibt nicht viel,
das sich auf sechs reimt, deshalb sind solche Jahre ziem-
lich sicher.«
»Und die Phänomene?« erkundigte sich Crowley.
»Zweiköpfige Kälber, Zeichen am Himmel, rückwärts
fliegende Gänse, Fische, die aus dunklen Wolken fallen
und sich plötzlich auf Hausdächerrn wiederfinden - sol-
che Sachen. Die Anwesenheit des Antichristen stört das
Gefüge normaler Kausalität.«
»Hmm.«
Crowley legte den ersten Gang ein. Plötzlich fiel ihm
etwas ein, und er schnippte kurz mit den Fingern. Die

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Ein gutes Omen

Parkkralle am Hinterrad verschwand.


»Laß uns essen gehen«, schlug er vor. »Wenn ich mich
recht entsinne, bin ich dir noch einen Lunch schuldig.
Wann...«
»Paris, 1793«, murmelte Erziraphael.
»Ah, ja. Die Schreckensherrschaft. Seid ihr dafür ver-
antwortlich gewesen?«
»Ich dachte, das ging auf euer Konto.«
»Es ist mir entfallen. Nun, an dem Restaurant gab es
jedenfalls nichts auszusetzen.«
Crowley fuhr an einem verblüfften Verkehrspolizi-
sten vorbei und beobachtete, wie der Strafzettelblock
des Uniformierten Feuer fing. Erstaunt hob er die
Brauen.
»Das ist von ganz allein geschehen«, verteidigte er
sich. »Mich trifft nicht die geringste Schuld.«
Erziraphael errötete. »Ich bin's gewesen«, sagte
er. »Ich dachte, ihr hättet die Verkehrspolizei erfun-
den.«
»Im Ernst? Und wir waren völlig sicher, daß ihr da-
hintersteckt.«
Crowley blickte in den Rückspiegel und beobachtete
eine dünne Rauchfahne.
»Na schön«, sagte er. »Fahren wir zum Ritz.«
Der Dämon hatte sich nicht die Mühe gemacht, reser-
vieren zu lassen. Seiner Ansicht nach gehörten Tisch-
reservierungen zu den Problemen, mit denen sich nur
die Normalsterblichen auseinandersetzen mußten.
Erziraphael sammelte Bücher. Wenn er ganz ehrlich war,
mußte er sich eingestehen, daß sein Laden nur als geeig-
neter Aufbewahrungsort für seine Bücher diente. Womit
er keineswegs aus der Rolle fiel. Um seine Tarnidentität
als Antiquar zu wahren, nutzte er alle Möglichkeiten -
mit Ausnahme von körperlicher Gewalt -, um seine
Kunden an einem Kauf zu hindern. Muffige Feuchtig-
keit, unangenehme Gerüche, finstere Blicke und starken
Unregelmäßigkeiten unterworfene Öffnungszeiten er-
wiesen ihm einen guten Dienst.
Der Engel sammelte schon seit vielen Jahren, und wie
alle anderen Sammler hatte er sich spezialisiert.
Er besaß mehr als sechzig Bücher, deren Prophezeiun-
gen die Ereignisse in den letzten Jahrhunderten des
zweiten Jahrtausends betrafen. Er hatte eine Vorliebe für
Wilde-Erstausgaben. Sein besonderer Stolz galt einer
kompletten Sammlung Berüchtigter Bibeln, die ihre Na-
men bestimmten Druckfehlem verdankten.
Zum Beispiel die Ungerechte Bibel. Im zweiten Brief
des Paulus an die Korinther (Kapitel 6,9) hieß es fälsch-
licherweise: >Wisset ihr nicht, daß die Ungerechten wer-

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Ein gutes Omen

den das Reich Gottes ererben?< Oder die von Barker


und Lucas im Jahre 1632 herausgegebene Wicked Bible, in
der das siebte Gebot lautete: >Du sollst ehebrechen. <
Man achte auf die bedeutungsvolle Abwesenheit des
Wörtchens nicht. Hinzu kamen: die Am Anfang schuf Gott
Himmel und Hölle-Bibel, die Seid fruchtbar und mehret
euch-Bibel, die Auge um Auge, Ohr um Ohr-Bibel, die Und
so ward der Mensch, ein teuflisches Wesen-Bibel und so wei-
ter. Erziraphael besaß sie alle. Selbst die seltenste fehler-
hatte Bibel, im Jahre 1651 von Bilton und Scaggs verlegt.
Sie war die erste ihrer drei Publikations-Katastrophen.
Jenes Buch nannte man Verdammter Mist-Bibel. Der
längste Satzfehler (sofern er diese Bezeichnung verdient)
erscheint bei Hesekiel, Kapitel achtundvierzig, Vers
fünf.
2. Neben Dan soll Asser seinen Anteil haben von Osten bis
nach Westen.
3. Neben Asser soll Naphtali seinen Anteil haben von
Osten bis nach Westen.
4. Neben Naphtali soll Manasse seinen Anteil haben von
Osten bis nach Westen.
5. Verdammter Mist. Ich habet diese verdammtige Setzerei
endgültig satt. Meister Bilton isset alles andere als einfroind-
licher, verschtändnisvolliger Herr, und Meister Scaggs isset
ein verflüchtigter Sklaventreiber, der es außerdemig ablehnt,
Ühberstunden zu bezahlen. Ich sage oich: Eines Tages machet
jeder, der auch nur aine halbige Unze Verstand im Kopf habet,
einen nettigen Ausflug, wenn draußen die Sonne scheinet.
Darin isset niemand mehr so doof, in einer kleinigen, sticki-
gen Kammer herumzuhocken und blödige Bleibuchstaben an-
einanderzureihen.® l/•l l/4 *»©;/•*•
6. Neben Ephraim soll Rüben seinen Anteil haben von
Osten bis nach Westen.*
Zu Bilton und Scaggs' zweiter Publikations-Katastro-
phe kam es im Jahr 1653. Durch einen wahrhart bemer-
kenswerten Glücksfall erhielten die beiden Verleger
eine zwar abgegriffene, aber literarisch außerordentlich
wertvolle Broschüre, Sie enthielt eins der drei noch
nicht in Foliantform veröffentlichten Lustspiele Shake-
speares, die den heutigen Gelehrten und Theaterbesu-
chern völlig unbekannt sind. Nur wenige Eingeweihte
kennen ihre Namen. Dies war das erste Werk des gro-
ßen Meisters, und es hieß Robin Hoode, oder: Dher Vfald
fön Shenmode.**
Bilton hatte fast sechs Guineen für die Broschüre be-
zahlt und hoffte, mit der Hardcover-Version das Dop-
pelte zu verdienen.
Dann verlor er das Heft - was der Grund dafür ist,
daß die drei ersten Stücke Shakespeares heute nicht

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Ein gutes Omen

mehr aufgeführt werden können.


* Die Verdammter Mist-Bibel war auch dafür bekannt, daß sie im drit-
ten Kapitel des Ersten Buch Mose siebenundzwanzig anstatt der übli-
chen vierundzwanzig Verse anbot. Die entsprechende Stelle lautete:
24. Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Gar-
ten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu
bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens.
25. Und der Herr sprach zu dem Engel, der wachte vor dem Osttor:
»Wo ist das flammende Schwert, das dir gegeben ward?«
26. Und der Engel sagte: »Eben hatte ich es noch. Muß es irgendwo
verlegt haben. Meine Güte, ich vergesse noch meinen eigenen Kopf.«
27. Und der Herr fragte ihn nicht noch einmal.
Offenbar fügte man jene Verse während der Korrekturphase hinzu.
Damals hatten Druckereichefs die Angewohnheit, Probedrucke an die
Balken vor dem Haus zu hängen, zur Erbauung des Volkes und gleich-
zeitig zum kostenlosen Korrekturlesen. Da kurze Zeit später alle Fah-
nen verbrannten, machte sich niemand die Mühe, den netten Herrn
Erzi Raphael zu konsultieren, der auf der anderen Straßenseite einen
Buchladen führte. Er half bei Übersetzungen, und seine Handschrift
war auf den ersten Blick wiederzuerkennen.
** Falls Sie sich für die Titel der beiden anderen interessieren: Das Fan-
gen dher Maus und Goldgrabiger von 1589.
Bilton und Scaggs' dritte Publikations-Katastrophe
blieb beiden Verlegern ein Rätsel. Wohin man auch
blickte: Überall verkauften sich prophetische Bücher wie
warme Semmeln. Die englische Ausgabe der Jahrhun-
derte von Nostradamus wurde gerade zum drittenmal
aufgelegt; vier Nostradamusse - natürlich behauptete
jeder, der echte zu sein - zogen triumphierend durchs
Land und gaben Autogramme. Mutter Shiptons Gesam-
melte Prophezeiungen konnten gar nicht so schnell ge-
druckt werden, wie sie Käufer fanden.
Jeder große Londoner Verlag (es gab insgesamt acht)
hatte zumindest ein Prophezeiungsbuch im Programm.
Die betreffenden Autoren wählten recht vage Formulie-
rungen, um zukünftige Ereignisse zu beschreiben, aber
dadurch schufen sie eine höchst populäre Aura mysti-
scher Allmacht. Sie brachten Tausende, sogar Zigtau-
sende von Exemplaren unter die Leute.
»Genausogut könnte man Gelt druckigen!«* wandte
sich Bilton eines Tages an seinen Kompagnon Scaggs.
»Das Volk verlanget nach solchigem Unsinn! Wir müsset
sofort irgenteinen Blödmann finden, dher uns ein profe-
tisches Buch schreibet!«
Am nächsten Morgen lag das Manuskript vor der
Tür. Wie üblich bewies der Autor ein gutes Gefühl fürs
Timing.
Bilton und Scaggs wußten es natürlich nicht: Sie kauf-
ten das einzige prophetische Werk in der ganzen

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Ein gutes Omen

Menschheitsgeschichte, das ausschließlich aus genauen


Voraussagen für die nächsten gut dreihundertvierzig
Jahre bestand. Völlig präzise und zutreffend beschrieb
es die Ereignisse, die ihren Höhepunkt schließlich im
Weltuntergang erreichen sollten. Jede Einzelheit ent-
sprach der - zukünftigen - Wahrheit.
* Bilton hatte schon vorher mit diesem Gedanken gespielt und unter-
nahm schließlich einen entsprechenden Versuch. Kurz darauf lieferte
man ihn ins Newgate-Gefängnis ein, und dort verbrachte er den Rest
seines Lebens.
Das Buch wurde im September 1655 veröffentlicht,
rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft.*
Es verkaufte sich nicht.
Sogar die Ausgabe im Schaufenster blieb liegen, ob-
wohl ein kleines Pappschild darauf hinwies, das Buch
stamme von einem >ortsansähßigen Author.
Die Autorin, eine gewisse Agnes Spinner, war keines-
wegs überrascht. Nun, es war praktisch kaum möglich,
Agnes Spinner zu überraschen.
Sie hafte das Buch nicht geschrieben, um Ruhm zu er-
werben oder Geld zu verdienen. Nein, sie verfaßte es,
um das ihr zustehende Belegexemplar zu bekommen.
Niemand weiß, was aus den vielen unverkauften Fo-
lianten geworden ist. Kein einziger fand den Weg in
Museen oder private Sammlungen. Selbst Erziraphael
besaß keine Ausgabe - ihm wurden die Knie weich,
wenn er daran dachte, ein solches Buch in die prächtig
manikürten Finger zu bekommen.
Auf der ganzen Welt gab es nur noch ein Exemplar
von Agnes Spinners Prophezeiungen.
Es stand in einem Regal, etwa vierzig Meilen von dem
Ort entfernt, an dem Crowley und Erziraphael ein ziem-
lich gutes Mittagessen genossen. Und es begann gerade
zu ticken, bildlich gesprochen.
Jetzt war es drei Uhr. Der Antichrist befand sich schon
seit fünfzehn Stunden auf der Erde, und ein Engel und
ein Dämon waren drei von den fünfzehn Stunden damit
beschäftigt, exzessiv zu trinken.
Sie saßen sich im Hinterzimmer von Erziraphaels
altem Buchladen in Soho gegenüber.
Die meisten Buchläden in Soho haben Hinterzimmer,
* Ein wahrer Geniestreich verlegerischer Intelligenz: Oliver Cromwells
puritanisches Parlament hatte Weihnachten im Jahre 1654 für illegal
erklärt, und somit brachten Bilton und Scaggs das erste Buch in Eng-
land heraus, das remittiert werden mußte.
und fast alle dienen zur Lagerung seltener -oder zumin-
dest sehr teurer - Bücher. Erziraphaels Bücher enthielten
allerdings keine Illustrationen. Sie haften braune Um-
schläge und eingerissene Seiten. Manchmal, wenn dem

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Ein gutes Omen

Engel keine andere Wahl blieb, verkaufte er einen Band.


Hin und wieder kamen sehr ernst wirkende, in dunk-
le Anzüge gekleidete Männer und gaben höflich zu ver-
stehen, Erziraphael solle seinen Laden verkaufen, damit
er in ein Geschäft verwandelt werden könne, das besser
in die Gegend passe. Manchmal boten sie Bargeld an:
dicke, schmuddelige Bündel aus Fünfzig-Pfund-Noten.
Dann und wann gesellten sich andere Männer hinzu
(ihre dunklen Sonnenbrillen erinnerten den Engel an
Crowley), wanderten durch den Raum, schüttelten be-
deutungsvoll den Kopf und sprachen Sätze wie: »Tja,
Papier brennt leicht. Wenn hier ein Feuer ausbräche,
wären Sie arm dran.«
Bei solchen Gelegenheiten nickte Erziraphael, lächelte
und versprach, darüber nachzudenken. Woraufhin die
Männer gingen - und nie zurückkehrten.
Als Engel brauchte man nicht unbedingt ein Narr zu
sein.
Mehrere Flaschen standen auf dem Tisch.
»Ich meine«, sagte Crowley. »loh meine. Ich meine.«
Er versuchte, seinen Blick auf Erziraphael zu richten.
»Ich meine«, wiederholte er und überlegte, was er
meinte.
Schließlich erhellte sich seine Miene. »Ich will auf fol-
gendes hinaus«, verkündete er. »Auf Delphine. Ja, das
meine ich.«
»Eine Art Fisch«, erwiderte Erziraphael.
»Neinneinnein«, widersprach Crowley und schüttelte
den Zeigefinger. »Es sin' Säugetiere. Ja, echte Säugetiere.
Der Unterschied ...« Crowley watete durch den Sumpf
seiner Benommenheit und suchte nach den richtigen
Worten. »Der Unterschied zwischen Fischen und Säuge-
tieren...«
»Letztere vermehren sich außerhalb des Wassers?«
vermutete Erziraphael.
Crowley runzelte die Stirn. »Nein, ich glaube nich'.
Ich bin ziemlich sicher, esch gibt einen anderen wichti-
gen Unterschied. Hat irgend etwas mit den Nachkom-
men zu tun. Mit den Jungen. Den Kindern. Was auch
immer.« Er holte tief Luft. »Ich meine. Ich meine. Die
Gehirne.«
Er griff nach einer Flasche.
»Was ist damit?« fragte der Engel.
»Delphine haben große Gehirne. Das meine ich. Sind
so groß wie. So groß wie. Sin' ziemlich groß. Und dann
die Wale. Haben Gehirne wie Städte, kannst mir's ruhig
glauben. Das ganze verdammte Meer ist voll von Gehir-
nen.«
»Der Krake«, sagte Erziraphael und starrte verdrossen

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Ein gutes Omen

in sein Glas.
Crowley schaute ihn mit dem langen kalten Blick von
jemandem an, vor dessen Gedankenstrom sich gerade
ein Schleusentor geschlossen hatte.
»Wie?«
»Der Krake«, brummte Erziraphael. »Ein riesiges Tier.
Echt gewaltig. Schlafet in den Tiefen des Meeres, unter
viel, äh, Wasser. Und unter vielen - wie heißen die Din-
ger? - Algen und so. Esch heißt, er komme an die Ober-
fläche, wenn das Meer zu kochen beginnt.«
»Wirklich?«
»Tatsache.«
»Nun, so weit ist es gekommen«, kommentierte Crow-
ley und lehnte sich zurück. »Da kann man mal sehen.
Wenn die Meere kochen... Arme Delphine. Sie halten
beschtimmt nicht viel davon. Und dann die Muscheln
und Calamari und... und Algen. Alles zum Teufel. Äh. Ich
meine. Alles hin. Und niemanden kümmert's. Ahnlich
isses mit den Gorillas. Donnerwetter, sagen sie. Der Him-
mel isch ganz rot, und Sterne fallen herunter, und mit was
sie heutzutage die Bananen spritzen. Und dann...«
»Sie bauen Nester, die Gorillas«, warf der Engel ein
und wollte sich einen neuen Drink einschenken, wobei
es ihm beim dritten Mal gelang, das Glas zu treffen.
»Nee.«
»Bei Gott, esch is' die Wahrheit. Hab einen Film gese-
hen. Gorillas bauen Nester.«
»Du meinst Vögel«, sagte Crowley.
»Nester«, beharrte Erziraphael.
Crowley beschloß, es dabei zu belassen.
»Wie dem auch sei«, brummte er, »alle Geschöp-
fe, groß und gemein. Ich meine klein. Alle Geschöpfe,
groß und klein. Viele von ihnen haben Gehirne. Und
plötzlich - zack. Aus und Ende.«
»Du bis' daran beteiligt«, sagte Erziraphael vor-
wurfsvoll. »Du bringst Leute in Versuchung. Und du
verschtehst dein Handwerk.«
Crowley knallte sein Glas auf den Tisch. »Das isch
nich' fair. Ich meine, die Leute brauchen ja nicht einver-
standen zu sein. Hier kommt Seine Erhabenheit ins
Schpiel. Euer Beitrag. Außerdem: Es is' gar nich'
schlimm, Leute in Versuchung zu führen und ihre mora-
lische Schtandfestigkeit zu prüfen. Ja, damit hat alles
seine Ordnung. Aber der Weltuntergang... Ich meine,
alles einfach zu zerschtören ...«
»Na schön. Mir gefällt esch ebensowenig wie dir, aber
ich hab's dir doch schon gesagt. Ich kann nich' un...
ungeh... ungehorsch... Ich meine, ich muß mich an
meine Anweisungen halten. Immerhin bin ich 'n Engel.«

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Ein gutes Omen

»Im Himmel gibt'sch keine Theater«, sagte Crowley.


»Und es werden nur selten Filme gezeigt.«
»Du verschwendest nur deine Zeit, wenn du mich
in Verschuchung führen willst«, entgegnete Erzira-
phael und lachte humorlos. »Ich kenne dich, du alte
Schlange.«
»Denk nur mal darüber nach«, fuhr Crowley erbar-
mungslos fort. »Weißt du eigentlich, wasch die Ewigkeit
bedeutet? Weißt du wirklich, wasch sie bedeutet? Ich
meine, hast du eine Vorstellung davon, wasch die Ewig-
keit is'? Nun, am Ende des Universums gibt es einen
Berg, mehr alsch eine Meile hoch. Und einmal in tau-
send Jahren kommt da dieser kleine Vogel...«
»Was für'n kleiner Vogel?« fragte Erziraphael argwöh-
nisch.
»Der kleine Vogel, von dem ich schpreche. Jeweils ein-
mal in tausend Jahren fliegt er zum Berg und...«
»Meins' du den gleichen Vogel?«
Crowley zögerte. »Ja, ich glaube schon«, bestätigte
er.
»Muß ein ziemlich alter Vogel sein«, murmelte der
Engel.
»Jeweils einmal in tausend Jahren fliegt...«
»...humpelt...«
»...fliegt er zum Berg und schärft dort seinen Schna-
bel...«
»He, einen Augenblick mal! Das is' völlig unmöglich.
Zwischen hier und dem Ende des Universums gibt's
jede Menge...« Der Engel gestikulierte ausladend und
ein wenig unsicher. »Gibt's jede Menge... Ah, die Ent-
fernung isses ziemlich groß.«
»Trotzdem erreicht der kleine Vogel sein Ziel«, be-
hauptete Crowley.
»Wie?«
»Darauf kommt es doch gar nich' an!«
»Vielleicht benutzt er ein Raumschiff«, überlegte Erzi-
raphael laut.
Crowley seufzte. »Meinetwegen«, sagte er. »Wenn du
unbedingt willst. Nun, der kleine Vogel...«
»Allerdings schprechen wir hier vom Ende des Uni-
versums«, wandte der Engel ein. »Also müsset es eins
von den Raumschiffen sein, in denen eine Genera-
tion auf die andere folgt und irgendwelche Nachkom-
men am Ziel eintreffen. Es bleibet einem also gar nichts
anderes übrig, als die Söhne und Töchter zu ins... zu
inschtr... als ihnen zu schagen: He, hört mal, wenn ihr
beim Berge seid ...« Erziraphael zögerte. »Was sollen sie
am Berg machen?«
»Der Vogel schärft seinen Schnabel an dem Berg«, er-

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Ein gutes Omen

klärte Crowley. »Und anschließend fliegt er zurück...«


»Mit dem Raumschiff.«
»Nach tausend Jahren macht es sich erneut auf den
Weg«, fuhr Corley fort. »Und nach zweitausend Jahren
noch einmal. Und so weiter.«
Einige Sekunden lang herrschte trunkene Stille.
»Scheint mir ziemlich viel Mühe zu sein.« Erziraphael
schürzte skeptisch die Lippen. »Nur um einen Schnabel
zu schärfen...«
»Hör mal«, brummte Crowley, »es isch eine Metaffer.
Wenn der kleine Vogel den ganzen Berg abgewetzt hat,
nun, äh...«
Erziraphael öffnete den Mund. Crowley wußte, daß
ihn der Engel auf die unterschiedliche Härte zwischen
Vogelschnäbeln und dem ordentlich festen Granit eines
Berges hinweisen wollte, und deshalb brachte er seinen
Satz hastig zu Ende.
»... dann ist für dich die Zeit immer noch nicht vorbei,
daß du den Sphärenklängen lauschen mußt.«
Erziraphael erstarrte.
»Und du wirst es genießen«, fuhr Crowley gnadenlos
fort. »Das wirst du wirklich...«
»Mein lieber Junge...«
»Du hast gar keine andere Wahl.«
»Hör zu...«
»Der Himmel hat keinen guten Geschmack.«
»Nun ja...«
»Nicht ein einziges Sushi-Restaurant.«
Ein schmerzhafter Ausdruck huschte über das plötz-
lich sehr ernste Gesicht des Engels.
»Solche Diskussionen kann ich nicht in betrunkenem
Zustand führen«, sagte er. »Ich werde jetzt wieder nüch-
tern.«
»Ich auch.«
Engel und Dämon zuckten zusammen, als der Alko-
hol aus ihrem Blutkreislauf verschwand. Sie strafften die
Schultern, und Erziraphael rückte seine Krawatte zu-
recht.
»Es steht mir nicht zu, die göttlichen Pläne zu verän-
dern«, stöhnte er.
Crowley blickte nachdenklich in sein Glas und füllte
es.
»Was ist mit diabolischen?« fragte er.
»Wie bitte?«
»Nun, vermutlich ist es ein diabolischer Plan, nicht
wahr? Wir sind dafür verantwortlich. Meine Seite.«
»Ja, mag sein, aber es gehört alles zur göttlichen Vorse-
hung«, erwiderte Erziraphael. »Selbst die höllischsten
Pläne der Hölle werden sofort Teil der Unerfindlich-

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Ein gutes Omen

keit.« Es klang fast zufrieden.


»Das hättest du wohl gern, wie?«
»Nein, so...« Erziraphael schnippte ungeduldig mit
den Fingern. »So ist es nun mal. Wie würdest du es in
deiner blumenreichen Sprache nennen? Die Fahne an
der Endstange.«
»Das Ende der Fahnenstange.«
»Genau das ist es.«
»Nun, wenn du so sicher bist...«, sagte Crowley.
»Da gibt es keinen Zweifel.«
Crowley blickte verschlagen auf.
»Nun, dann gehe ich sicher recht in der Annahme,
daß die Vereitelung von Plänen ebenfalls zur göttlichen
Vorsehung gehört. Ich meine, deine Pflicht besteht doch
darin, dem Bösen bei jeder Gelegenheit einen Strich
durch die Rechnung zu machen, stimmt's?«
Erziraphael zögerte.
»Da kann ich dir, äh, nicht widersprechen.«
»Du siehst ein Zeichen teuflischer Heimtücke, und
schon ergreifst du Gegenmaßnahmen. Habe ich recht?«
»Im großen und ganzen schon. Normalerweise be-
schränke ich mich darauf, die Menschen zu ermutigen,
den Kampf gegen höllische List und Schläue zu führen.
Wegen der Unerfindlichkeit, weißt du.«
»Nun gut. In Ordnung.« Crowley nickte langsam. »Es
genügt also eine Prise Vereitelung. Soweit ich weiß, ist
die Geburt nur der Anfang. Es kommt in erster Linie auf
das Milieu an. Auf die Einflüsse. Wenn bestimmte Sti-
mulationen ausbleiben, lernt das Kind nie, seine Fähig-
keiten zu nutzen.« Er legte eine kurze Pause ein. »Zu-
mindest weiß es nicht, wie es seine Fähigkeiten einsetzen
soll.«
»Meine Seite hätte sicher nichts dagegen, wenn ich
eure Pläne durchkreuze«, erwiderte Erziraphael nach-
denklich. »Ganz im Gegenteil.«
»Das brächte dir eine weitere Feder für deine Flügel
ein«, bestätigte Crowley und lächelte zuversichtlich.
»Ich meine...«
»Ich weiß, was du meinst. Eine Auszeichnung. Eine
offizielle Belobigung.« Der Engel starrte eine Zeitlang
ins Leere. »Was geschieht mit dem Kind, wenn es keine
satanische Ausbildung bekommt?«
»Wahrscheinlich gar nichts. In dem Fall erfährt es nie,
worin seine Aufgabe besteht.«
»Aber die Gene...«
»Hör mir bloß mit Genen auf!« brummte Crowley.
»Gene haben damit überhaupt nichts zu tun. Nimm
Satan als Beispiel. Man schuf ihn als Engel, und schließ-
lich wurde er zum Großen Widersacher. He, wenn es

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Ein gutes Omen

allein von den Genen abhinge, könnte das Kind sogar zu


einem Engel heranwachsen. Immerhin war sein Vater
damals ein hohes Tier im Himmel. Welch ein Unsinn an-
zunehmen, es müsse durch und durch dämonisch sein,
nur weil sein Papi zum Teufel geworden ist. Meine Güte,
wenn man einer Maus den Schwanz abschneidet, dann
rechnet man doch nicht damit, daß sie später schwanz-
lose Mäuse zur Welt bringt. Nein, die Umstände sind
der entscheidende Faktor. Die Erziehung. Glaub mir, ich
weiß Bescheid.«
»Wenn es zu keinen unmittelbaren satanischen Ein-
flüssen kommt...«, begann Erziraphael.
»Dann muß die Hölle schlimmstenfalls noch einmal
von vom anfangen«, erklärte Crowley. »Und die Erde
erhält elf zusätzliche Jahre. Das ist doch besser als gar
nichts, oder?«
Erziraphaels Blick wurde noch nachdenklicher.
»Du meinst also, das Kind sei nicht von Natur aus
böse?« fragte er langsam.
»Es kann ebenso böse wie gut sein«, antwortete Crow-
ley. »Es ist ein Potential, das darauf wartet, geformt zu
werden.« Er hob die Schultern. »Warum reden wir über-
haupt von Gut und Böse? Es sind doch nur Namen für
unsere beiden Seiten. Wir wissen das.«
»Nun, es dürfte sicher einen Versuch wert sein«, mur-
melte der Engel.
Crowley nickte umgehend.
»Abgemacht?« Der Dämon streckte die Hand aus.
Erziraphael griff vorsichtig danach und schüttelte sie
behutsam.
»Eins steht fest«, sagte er, »diese Angelegenheit wird
bestimmt hochinteressant. Um ganz ehrlich zu sein: Ich
habe es satt, mich dauernd mit irgendwelchen Heiligen
zu beschäftigen.«
»Darüber hinaus ist es nur zum Besten des Kin-
des«, erwiderte Crowley. »Auf lange Sicht, meine ich.
In gewisser Weise sind wir seine Paten. Wir küm-
mern uns sozusagen um die richtige religiöse Erzie-
hung.«
Erziraphael strahlte.
»Daran habe ich noch gar nicht gedacht«, sagte er.
»Paten. Ein Dämon und ein Engel. Da soll ich doch ver-
dammt sein.«
Crowley hob die Brauen. »Das ist nicht mal so
schlimm«, gab Crowley zu bedenken, »wenn man sich
daran gewöhnt hat.«
Man nannte sie Scarlett. Derzeit verkaufte sie Waffen,
obwohl sie allmählich den Spaß daran verlor. Sie blieb
nie sehr lange bei einem Job. Höchstens drei- oder vier-

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Ein gutes Omen

hundert Jahre. Man will ja nicht in einen Alltagstrott ge-


raten!
Ihr kastanienfarbenes Haar - weder rot noch braun -
glänzte wie poliertes Kupfer. Es reichte bis zu den Hüf-
ten hinab, in langen Zöpfen, für die sich Männer um-
brachten (dies ist keine Metapher). Die Augen glühten in
einem seltsamen orangefarbenen Ton. Scarlett sah wie
eine fünfundzwanzigjährige Frau aus. Und zwar schon
seit Jahrhunderten.
Sie fuhr einen staubigen ziegelroten Lastwagen voller
Kriegsgerät und offenbarte ein geradezu unglaubliches
Geschick, wenn es darum ging, Grenzen zu überschrei-
ten, ohne von mißtrauischen Zollbeamten kontrolliert
zu werden. Scarlett war auf dem Weg in ein westafrika-
nisches Land, wo gerade ein kleiner Bürgerkrieg statt-
fand. Sie wollte dort Watten verkaufen und (mit etwas
Glück) den kleinen Bürgerkrieg meinen großen Bürger-
krieg verwandeln. Aber leider blieb ihr Lkw mit einem
Motorschaden liegen, den sie nicht selbst reparieren
konnte.
Obwohl sich Scarlett inzwischen in technischen Din-
gen recht gut auskannte.
Zu jenem Zeitpunkt befand sie sich in einer Stadt.*
Um ganz genau zu sein: Es handelte sich um die Haupt-
stadt von Kumbolaland, einer afrikanischen Nation, in
der schon seit dreitausend Jahren Frieden herrschte.
Dreißig Jahre lang hieß der Staat Sir Humphrey
Clarkson-Land, aber da er überhaupt keine verwertba-
ren Rohstoffe aufwies und die strategische Bedeutung
einer Banane hatte, entließ man ihn mit auffallender
* Selbst Städte sind relativ. Diese Stadt war so groß wie ein verschlafe-
ner Ort in der englischen Provinz. Für Amerikaner übersetzt heißt das:
Ihre Ausmaße entsprachen einem kleinen Supermarkt.
Hast in die Unabhängigkeit. Kumbolaland mochte arm
und langweilig sein, aber wenigstens fanden dort keine
Kämpfe statt. Die verschiedenen Stämme kamen bestens
miteinander aus und hatten ihre Schwerter längst in
Pflugschare verwandelt. Im Jahre 1952 kam es zu einem
Zwischenfall: Auf dem Marktplatz stritt sich ein betrun-
kener Viehtreiber mit einem ebenfalls betrunkenen Vieh-
dieb. Die Leute sprachen noch immer darüber.
Scarlett gähnte in der Hitze, fächelte sich mit dem
breiten Hut Luft zu, ließ den nutzlosen Lastwagen auf
der staubigen Straße zurück und betrat ein Lokal.
Sie bestellte ein Bier, leerte die Dose, sah den Mann
hinter der Theke an und lächelte. »Ich brauche jeman-
den, der meinen Laster in Ordnung bringt«, sagte sie.
»Gibt's hier irgendwo einen Mechaniker?«
Der Barkeeper grinste von einem Ohr zum anderen

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Ein gutes Omen

und zeigte perlweiße Zähne. Die Art, wie Scarlett ihr


Bier trank, beeindruckte ihn. »Nur Nathan, Miß. Aber er
ist nach Kaounda gefahren, sieht auf der Farm seines
Schwiegervaters nach dem Rechten.«
Scarlett nahm eine zweite Dose. »Hm, Nathan. Haben
Sie eine Ahnung, wann er zurückkehrt?«
»Vielleicht nächste Woche. Oder in zwei Wochen,
Teuerste. He, Nathan ist ein echter Halunke. Läßt nichts
anbrennen. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Der Barkeeper beugte sich vor.
»Sind Sie allein unterwegs. Miß?« fragte er.
»Ja.«
»Könnte gefährlich sein. Heutzutage treiben sich
komische Typen auf den Straßen herum. Schlechte Men-
schen. Sie sind natürlich nicht von hier«, fügte der
Barkeeper hastig hinzu.
Scarlett hob eine prächtig geschwungene Braue.
Dem Mann hinter dem Tresen schauderte, obgleich
ihm der Schweiß auf der Stirn perlte.
»Danke für die Warnung«, schnurrte Scarlett. Ihre
Stimme klang wie ein Wesen, das im hohen Gras lauert
und nur an den zuckenden Ohren zu erkennen ist -bis
etwas Junges und Zartes vorbeikommt.
Sie nickte dem Barkeeper kurz zu und schlenderte
nach draußen.
Die heiße afrikanische Sonne brannte auf sie herab.
Der Lastwagen stand auf der anderen Straßenseite, be-
laden mit Gewehren, Munition und Landminen. Ohne
Reparatur würde er sich nicht von der Stelle rühren.
Scarlett beobachtete ihren Laster.
Ein Geier saß auf dem Verdeck. Er hatte Scarlett drei-
hundert Meilen weit begleitet und rülpste leise.
Sie sah sich auf der Straße um. Zwei Frauen unterhiel-
ten sich an der Straßenecke; ein gelangweilter Händler
saß vor einigen Kürbissen und versuchte, die Fliegen zu
verscheuchen; mehrere Kinder spielten ohne große Be-
geisterung im Staub.
»Zum Teufel auch«, sagte Scarlett leise. »Ich kann so-
wieso mal wieder einen Urlaub gebrauchen.«
Diese Worte sprach sie am Mittwoch.
Am Freitag war die Stadt Sperrgebiet.
Bis zum nächsten Dienstag erlitt die Volkswirtschaft
Kumbolalands den totalen Zusammenbruch. Zwanzig-
tausend Menschen starben (zu ihnen gehörte auch der
Barkeeper; er wurde von Rebellen erschossen, als sie die
Barrikaden am Marktplatz stürmten); hunderttausend
weitere erlitten schwere Verletzungen. Scarletts Waffen
hatten ihren Zweck erfüllt, und der Geier starb an Über-
fettung.

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Ein gutes Omen

Scarlett saß im letzten Zug, der das Land verließ. Es


wurde Zeit, die Stellung zu wechseln. Und zwar in jeder
Hinsicht. Schon viel zu lange verkaufte sie Kriegsgerät.
Sie sehnte sich danach, ihre besonderen Talente in einem
neuen Metier zu erproben. Eine Herausforderung, ja.
Ein neuer Beruf mit neuen Möglichkeiten. Scarlett fragte
sich, ob sie es mit dem Journalismus versuchen sollte.
Warum nicht? Sie fächelte mit ihrem Hut und schlug die
Beine übereinander.
Einige Abteile hinter ihr begann eine Schlägerei. Scar-
lett lächelte. Wo immer sie sich aufhielt, kam es immer
wieder zu handgreiflichen Auseinandersetzungen, Mes-
serstechereien und Duellen. Sie verstand das als Kom-
pliment.
Sable hatte schwarzes Haar, einen sorgfältig gepflegten
schwarzen Bart und gerade beschlossen, eine Aktienge-
sellschaft zu gründen.
Er stieß mit seiner Buchhalterin an.
»Wie läuft's, Frannie?« fragte er sie.
»Bestens. Bisher haben wir zwölf Millionen Exem-
plare verkauft. Ist das zu fassen?«
Sie saßen in einem Restaurant namens >Die Dreifache
Sechs<. Es befand sich im obersten Stock eines Gebäu-
des, dessen Adresse 666 Fifth Avenue, New York,
lautete. Dieser Umstand amüsierte Sable ein wenig.
Durch die Fenster überblickte man die ganze Stadt. Des
Nachts sah der Rest von New York ein großes rotes
>666<, das auf allen Seiten des Wolkenkratzers leuchtete.
Natürlich handelte es sich nur um eine Hausnummer.
Wenn man zu zählen begann und nicht die Geduld ver-
lor, kam man unweigerlich zur Zahl sechshundertsechs-
undsechzig. Trotzdem: Manche Zufälle waren recht son-
derbar.
Sable und seine Buchhalterin hatten gerade ein klei-
nes, teures und ausgesprochen exklusives Restaurant in
Greenwich Village besucht, dessen Cuisine wirklich nou-
velle war: eine grüne Bohne, eine Erbse und ein (dünner)
Streifen Hühnerbrust, auf dem viereckigen Porzellantel-
ler zu einem hübschen Muster angeordnet.
Sable hatte derartige Mahlzeiten während seines letz-
ten Aufenthalts in Paris erfunden.
Seine Buchhalterin brauchte weniger als fünfzig Se-
kunden, um das Fleisch und die beiden Gemüsestücke
zu essen. Den Rest der Zeit verbrachte sie damit, auf
den Teller zu starren, das Besteck zu betrachten und an-
schließend die übrigen Gäste zu mustern. Sie schien sich
zu fragen, wie sie schmecken mochten, und dieser Ein-
druck täuschte nicht: Es gingen ihr tatsächlich solche
Gedanken durch den Kopf.

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Ein gutes Omen

Sable kehrte geistig in die Gegenwart zurück, drehte


das Glas Mineralwasser hin und her.
»Zwölf Millionen? Hm. Das ist ziemlich gut.«
»Himmel, es könnte kaum besser sein.«
»Und deshalb gründen wir eine Aktiengesellschaft. Es
wird Zeit, ganz groß ins Geschäft einzusteigen, nicht
wahr? Kalifornien bietet sich an. Ich stelle mir Fabriken,
Restaurants und so weiter vor. Wir behalten den Verlag,
aber wir sollten unser Kapital möglichst breit anlegen.
Einverstanden?«
Frannie nickte. »Klingt gut. Sable. Wir brauchen ...«
Ein Skelett unterbrach sie. Aber es war kein gewöhn-
liches Skelett. Dieses Skelett trug ein Dior-Kleid, und
sonnengebräunte Haut spannte sich fast bis zum Zer-
reißen straff über die Knochen des Schädels. Es hatte
langes blondes Haar und perfekt geschminkte Lippen.
Ja, Sie haben richtig getippt: eine Frau. Sie sah aus wie
eine jener Personen, auf die Mütter zeigen, um ihre
Sprößlinge zu warnen: >Das passiert mit dir, wenn du
dein Gemüse nicht ißt.< Kennen Sie die Plakate, die auf
Hungersnöte in Afrika hinweisen und um Spenden bit-
ten? Diese Frau hätte dafür sorgen können, daß sich die
Kassen der verschiedenen Hilfsorganisationen innerhalb
weniger Tagen füllten.
Sie war das berühmteste Fotomodell New Yorks -
und sie hielt ein Buch in der Hand. Ȁh, bitte entschul-
digen Sie, Mister Sable. Ich möchte Sie nicht stören, son-
dern mich nur bei Ihnen bedanken, weil Sie mein Leben
geändert haben. Wären Sie vielleicht so nett. Ihr Werk
für mich zu signieren?« Ihre tief in den Höhlen liegen-
den, üppig mit Lidschatten bemalten Augen starrten
Sable flehentlich an.
Er nickte großzügig und nahm das Buch entgegen.
Es überraschte ihn nicht, daß ihn die Frau erkannt
hatte: die silberne Rückseite des Covers zeigte sein Foto.
D-Plan Diät: Wie man schlank und attraktiv wird, lautete
der Titel. Und: Das Diät-Buch des Jahrhunderts!
»Wie heißen Sie?« fragte Sable.
»Sherryl. Zwei Rs, ein Y, ein L.«
»Sie erinnern mich an eine alte, alte Freundin«, sagte
Sable und schrieb einige Worte auf die Titelseite. »Das
war's. Freut mich, daß es ihnen gefallen hat. Ich lege
großen Wert auf zufriedene Leser.«
Er hatte folgendes geschrieben:
Für Sherryl
Ein Pfund Weizen um ein Silberstück und drei Pfund Ger-
ste um ein Silberstück; aber Öl und Wein taste nicht an!
Offb., Kap. 6, Vers 6
Dr. Raven Sable

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Ein gutes Omen

»Ein Zitat aus der Bibel«, erklärte er.


Die Frau schloß demütig das Buch, wich vom Tisch
zurück und dankte Sable: »Oh, Sie ahnen gar nicht, wie-
viel mir das bedeutet. Sie haben mein Leben geändert, ja
von Grund auf...«
Raven Sable besaß gar keinen Doktortitel (damals
hatte es noch keine Universitäten gegeben), aber er er-
kannte deutlich, daß sich die Frau zu Tode hungerte. Er
gab ihr noch höchstens zwei Monate. D-Plan. Lösen Sie
Ihr Gewichtsproblem. Für immer.
Frannie hämmerte fleißig auf die Tasten ihres Laptop-
Computers und bereitete die nächste Phase des ökono-
mischen Feldzugs vor, der die Eßgewohnheiten in der
westlichen Welt den Vorstellungen Sables anpassen
sollte. Raven hatte ihr das Gerät geschenkt - es war sehr
teuer, sehr leistungsfähig und sehr dünn. Er mochte
dünne Dinge.
»In Europa steht ein Unternehmen zum Verkauf, das
uns als Ausgangsbasis dienen könnte: Holdings (Hol-
dings) Incorporated. Dadurch bekommen wir eine Steu-
eradresse in Liechtenstein. Nun, wenn wir die Gelder
erst auf die Cayman-Inseln überweisen, dann nach Lu-
xemburg weiterleiten und von dort aus in die Schweiz
transferieren, ist die Bezahlung der Fabriken...«
Sable hörte gar nicht mehr zu. Er erinnerte sich an das
kleine exklusive Restaurant. Nie zuvor hatte er so viele
reiche Leute so hungrig gesehen.
Raven lächelte das ehrliche, offene und reine Lächeln
eines Mannes, der mit seiner Arbeit vollkommen zufrie-
den ist. Eigentlich vertrieb er sich nur die Zeit, bis es
richtig losging. Aber er vertrieb sie sich auf eine höchst
angenehme Art und Weise. Sie gab ihm (und auch eini-
gen Menschen) einen herrlichen Vorgeschmack darauf,
was Schicksal und Zukunft für den Planeten Erde be-
reithielten.
Manchmal nannte man ihn White. Oder Blanc. Oder
Albus. Oder Chalky. Oder Weiss. Oder Snowy. Es gab
noch Dutzende von ähnlichen Namen. Er hatte blasse
Haut, blaßblondes Haar und blaßgraue Augen. Wer
ihm einen beiläufigen Blick zuwarf, schätzte ihn auf
gut zwanzig - und er bekam immer nur beiläufige
Blicke.
Er war unscheinbar. Kaum jemand erinnerte sich an
ihn.
Im Gegensatz zu seinen beiden Kollegen konnte er
sich nie lange auf eine bestimmte Arbeit konzentrieren.
An vielen interessanten Orten erwarteten ihn viele in-
teressante Aufgaben.
(Er hatte in verschiedenen Atomkraftwerken gearbei-

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Ein gutes Omen

tet: Tschernobyl, Windscale, Three Mile Island. Und


dabei beschränkte er sich immer auf Nebentätigkeiten,
die nicht als besonders wichtig galten.)
Er hatte als eher unwichtiger, aber geschätzter Assi-
stent bei mehreren Forschungsprojekten mitgewirkt.
(Er hatte dabei geholfen, den Benzinmotor, Kunststoff
und Aluminiumdosen mit abziehbarer Lasche zu erfin-
den.)
Seine Begabungen kannten keine Grenzen.
Niemand schenkte ihm mehr als nur flüchtige Auf-
merksamkeit. Er war unauffällig, und seine Gegenwart
machte sich erst nach gehäufter Anwesenheit bemerk-
bar. Wer längere Zeit mit ihm zu tun hatte, dachte fol-
gendes: Himmel, der Bursche muß doch irgendwo mit
irgend etwas beschäftigt gewesen sein. Vielleicht habe
ich sogar mit ihm gesprochen.
Aber es fiel sehr leicht, Mr. White zu vergessen.
Derzeit arbeitete er als Seemann an Bord eines Erdöl-
tankers, der Tokio anlief.
Der Kapitän lag betrunken in seiner Kajüte. Der Erste
Maat schlief noch immer den Rausch vom vergangenen
Abend aus, und der Zweite Maat war in der Kombüse.
Weitere Besatzungsmitglieder gab es nicht. Das Schiff
war weitgehend automatisiert; die Crew hatte nur
wenig zu tun.
Aber wenn jemand rein zufällig eine bestimmte Taste
auf der Brücke betätigte (unter ihr stand der Hinweis:
ABLASSVENTILE DER TANKS - FÜR DEN NOTFALL), SO sorgten
die automatischen Systeme dafür, daß Millionen von
Tonnen Rohöl ins Meer flössen. Mit verheerenden Fol-
gen für Vögel, Fische, Vegetation, Tiere und Menschen
im umliegenden Gebiet.
Natürlich existierten Schutzvorrichtungen und elek-
tronische Sicherheitsschranken, aber das war bei derart
komplexen technischen Anlagen immer der Fall.
Nachher fand eine lange und sorgfältige Ermittlung
statt, um festzustellen, wer die Verantwortung trug. Die
Untersuchung führte zu keinem eindeutigen Ergebnis,
und deshalb verteilte man die Schuld gleichmäßig auf
den Kapitän und seine beiden Maate. Sie fanden nie
wieder Arbeit auf einem Schiff. Niemand kam auf den
Gedanken, den Matrosen White zu verhören, der bereits
auf halbem Wege nach Indonesien war. Er befand sich
an Bord eines Frachtdampfers, der rostige Fässer mit
hochgiftigen Unkrautvernichtungsmitteln geladen hatte.
Und es gab noch einen anderen. Er stand auf dem
Marktplatz in der Hauptstadt Kumbolalands. Und er
saß in den Restaurants. Und er befand sich in den Fi-
schen und in der Luft und in den mit Herbiziden gefüll-

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Ein gutes Omen

ten Fässern. Er ging auf Straßen und war in Häusern,


Palästen und Hütten.
Nirgends war er fremd, und nichts konnte ihm ent-
kommen. Er wurde seiner Natur gerecht und blieb
immer aktiv. Er wartete nicht, sondern arbeitete. Rund
um die Uhr.
Harriet Dowling kehrte mit ihrem Baby heim. Sie hielt
sich an den Rat der Schwester Treu Weitschweifig, die
mehr Überzeugungskraft hatte als Schwester Maria
Redeviel, und nannte - nach telefonischer Rücksprache
mit Mr. Dowling - ihren Sohn Warlock.
Der Kulturattache traf eine Woche später ein und
meinte sofort, das Kind sei ihm wie aus dem Gesicht ge-
schnitten. Er beauftragte seine Sekretärin, eine Annonce
in Tize Lady aufzugeben. Die Familie brauchte eine Kin-
derschwester.
Einmal zu Weihnachten hatte Crowley Mary Poppins
im Fernsehen gesehen (Crowley hielt das Fernsehen für
eine gute Möglichkeit, seinem dämonischen Auftrag ge-
recht zu werden, und nahm daher geschickt Einfluß auf
die Programmgestaltung. Mit vielen Wiederholungen -
wobei er Filme aus den dreißiger und vierziger Jahren
vorzog - erweckte er den Ärger der Zuschauer. Außer-
dem erfand er Quizsendungen und Talkshows). Er
fragte sich, ob er einen ebenso wirkungs- wie stilvollen
Orkan verwenden sollte, um das zu erwartende Chaos
vor der im Regent's Park gelegenen Residenz des Kul-
turattaches zu verhindern. Er dachte an Dutzende, viel-
leicht sogar Hunderte von Kindermädchen, die eine
lange Schlange vor dem Eingang der Villa bildeten und
abends Zelte aufschlugen.
Schließlich begnügte sich Crowley mit einem wil-
den Streik des U-Bahn-Personals, was dazu führte, daß
am entscheidenden Tag nur ein Kindermädchen er-
schien.
Die Frau trug ein dezentes Tweedkostüm und un-
auffällige Ohrringe. Irgend etwas in ihrem Erschei-
nungsbild sagte: Ich bin ein Kindermädchen. Aber die
Stimme war so vornehm und würdevoll wie die briti-
schen Butler in bestimmten amerikanischen Filmen.
Diese Stimme räusperte sich diskret und fügte leise
hinzu, daß es sich vielleicht um eins von den Kinder-
mädchen handele, die in gewissen Magazinen nicht
näher beschriebene, aber trotzdem erstaunlich weitrei-
chende Dienste anbieten.
Die flachen Schuhe der Frau knirschten über den
Kies der Zufahrt, als sie sich dem Gebäude näherte. Ein
großer grauer Hund folgte ihr wie ein Schatten. Weiße
Schaumflocken klebten ihm am Maul, und die Augen

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Ein gutes Omen

glühten scharlachrot. Er drehte immer wieder den


Kopf von einer Seite zur anderen und sah sich hungrig
um.
Die - noch - Namenlose erreichte das aus massi-
vem Holz bestehende Portal, lächelte, erlaubte sich
einen Sekundenbruchteil der Zufriedenheit und läutete.
Irgendwo erklang ein dumpfes, düsteres Bong.
Ein Butler der alten Schule* öffnete.
»Ich bin Tante Ashtoreth, Kindermädchen«, stellte
sich die Frau vor. »Und dies«, - sie deutete auf ihren
grauen Hund, der den Butler interessiert musterte und
sich vielleicht schon fragte, wo er anschließend die Kno-
chen vergraben sollte -, »ist Wanderer.«
* Eine private Abendschule unweit der Tottenham Court Road. Gelei-
tet wurde sie von einem in die Jahre gekommenen Schauspieler, der
seit den zwanziger Jahren (dieses Jahrhunderts) Butler und Diener
spielte, sowohl in Film und Fernsehen als auch im Theater.
Sie ließ den Hund im Garten, und es gelang ihr mühe-
los, beim Einstellungsgespräch den richtigen Eindruck
zu erwecken. Kurze Zeit später führte Mrs. Dowling das
Kindermädchen zu seiner neuen Aufgabe.
Tante Ashtoreth lächelte gequält. »Was für ein ent-
zückender Junge!« behauptete sie. »Sicher möchte er
bald ein Dreirad haben.«
Der Zufall wollte es, daß am gleichen Tag noch je-
mand anders seine Arbeit antrat: der Gärtner. Er erwies
sich als außerordentlich tüchtig, was bei dem übrigen
Personal ein wenig Verwirrung stiftete. Er schien nie
einen Spaten zur Hand zu nehmen und unternahm
nichts gegen die vielen Vögel, die plötzlich den Park
heimsuchten, ihn fröhlich umschwirrten und manchmal
sogar auf seinen Schultern landeten. Die meiste Zeit
über saß er einfach nur im Schatten und beobachtete,
wie es um ihn herum blühte. Seltsamerweise blieben
die Hecken immer in Form, und nirgends wuchs Un-
kraut.
Als Warlock laufen lernte, besuchte er den Gärtner
häufig, allerdings nur an den freien Nachmittagen Tante
Ashtoreths.
»Dies hier ist Schwester Schnecke«, sagte der Mann.
»Und das ist Bruder Kartoffelkäfer. Denk immer daran
auf deinem kurvenreichen, mit vielen Hindernissen ge-
pflasterten und von Umleitungen unterbrochenen Pfad
des Lebens: Liebe und achte die ganze Vielfalt der
Schöpfung.«
»Tante Aftorett meint, Käfer und Würmer und folche
Fachen foll ich mit den Stiefeln zermatschen, Mr. Fran-
cif«, erwiderte Warlock. Er streichelte Schwester
Schnecke, wischte sich dann pflichtbewußt die Hand an

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Ein gutes Omen

seinem Muppet-Overall ab.


»Hör nicht auf diese Frau!« sagte Francis. »Hör auf
mich!«
Abends sang Tante Ashtoreth dem Knaben seltsame
Schlaflieder vor.
»Oh, der große alte Herzog von York,
Er hatte zehntausend Männer.
Er führte sie auf die Kuppe des Hügels
Und eroberte alle Länder der Erde
Und brachte sie unter die Herrschaft Satans,
Unseres Gebieters.«
Oder:
»Dieses Schweinchen lief in den Hades.
Dieses Schweinchen blieb zu Haus. Dieses Schweinchen aß
rohes, dampfendes Menschenfleisch.
Dieses Schweinchen tat Jungfrauen Gewalt an.
Und dieses Schweinchen erkletterte einen Leichenberg und
gelangte nach oben.«
»Bruder Francif der Gärtner fagt, ich foll tugendhart fein
und Achtung vor dem Leben haben, auch vor Fnecken
und Kartoffelkäfern«, sagte Warlock.
»Hör nicht auf den Mann!« flüsterte das Kinder-
mädchen und legte den Knaben in sein kleines Bett.
»Hör auf mich!«
Und so ging es weiter.
Die Übereinkunft ließ sich großartig an. Keine Seite
setzte sich durch. Tante Ashtoreth kaufte dem Jungen
ein Dreirad, aber sie konnte ihn nicht dazu überreden,
im Haus zu fahren. Außerdem fürchtete er sich vor
Wanderer.
Im Hintergrund trafen sich Crowley und Erziraphael
in Bussen, Kunstgalerien und bei Konzerten, verglichen
ihre Notizen und schmunzelten.
Als Warlock sechs wurde, verließ das Kindermädchen
die Villa (sie nahm Wanderer mit). Der Gärtner kündigte
am gleichen Tag. Keiner von beiden verließ das Haus
mit dem gleichen forschen Schritt, mit dem sie es betre-
ten hatten.
Kurz darauf wurde Warlock von zwei Privatlehrern
unterrichtet.
Mr. Harrison berichtete ihm vom Hunnen Attila, von
Vlad Dracul und den besonders dunklen und finsteren
Aspekten der menschlichen Seele.* Er versuchte, dem
Jungen beizubringen, wie man aufrührerische Reden
hielt, um die breite Masse des Volkes zu begeistern und
zu beeinflussen.
Mr. Cortese erzählte von Florence Nightingale* und
Abraham Lincoln. Er wies auf die ästhetische Bedeu-
tung der Kunst hin und erklärte dem Knaben, was es

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Ein gutes Omen

mit freiem Willen, Selbstverleugnung und dem Prinzip


>Behandle andere so, wie du selbst behandelt werden
möchtest auf sich hatte.
Beide lasen dem Kind immer wieder aus der Offen-
barung des Johannes vor.
Warlock entwickelte sich nicht so, wie es die Lehrer
von ihm erhofften. Trotz ihrer Bemühungen zeigte er die
bedauerliche Tendenz, in Mathematik gute Leistungen
zu erbringen. Weder Mr. Harrison noch Mr. Cortese
waren mit den Fortschritten des Jungen zufrieden.
Als Warlock zehn war, interessierte er sich für Base-
ball. Er liebte Plastikspielzeug, das sich in völlig anderes
Plastikspielzeug verwandelte (nur ein gut geübtes Auge
konnte gewisse Ähnlichkeiten zwischen beiden erken-
nen). Er liebte seine Briefmarkensammlung. Er mochte
Kaugummi mit Bananengeschmack. Er mochte Comics
und Zeichentrickfilme und sein BMX-Rad.
Crowley machte sich Sorgen.
Zusammen mit Erziraphael saß er im Restaurant des
Britischen Museums, einem weiteren Refugium für die
müden Infanteristen des Kalten Krieges. An einem Tisch
zu ihrer Linken saßen zwei Amerikaner in Anzügen,
steif, als hätten sie einen Ladestock verschluckt, und
versuchten verstohlen, einen Aktenkoffer mit hinterzo-
* Er erwähnte allerdings nicht, daß Attila freundlich zu seiner Mutter
war und Vlad Dracul nie sein tägliches Gebet vergaß.
** Allerdings hütete er sich davor, über Syphilis zu sprechen.
genen Dollars einer dunkelhaarigen kleinen Frau mit
Sonnenbrille zu übergeben. An dem Tisch zur Rechten
stritten sich der Leiter der M17 und der Offizier der ört-
lichen KGB-Abteilung, wer die Quittung für den Tee
und die Brötchen behalten durfte.
Crowley holte tief Luft und sprach das aus, was er
während der letzten zehn Minuten nicht einmal zu den-
ken gewagt hatte.
»Wenn du mich fragst... Er ist viel zu normal.«
Erziraphael steckte sich ein weiteres Solei in den
Mund und beförderte es mit einem Schluck Kaffee nach
unten. Mit einer Papierserviette betupfte er sich den
Mund.
»Es liegt an meinem guten Einfluß«, verkündete er
stolz. »Besser gesagt: an dem positiven Wirken meiner
Gruppe. Lob, wem Lob gebührt.«
Crowley schüttelte den Kopf. »Das ziehe ich in Be-
tracht. Hör mal, Erzi... Inzwischen sollte er eigentlich
versuchen, die Welt um sich herum zu krümmen, wie
ein Schwarzes Loch die Raum-Zeit in seiner unmittel-
baren Umgebung krümmt. Er müßte doch darauf aus
sein, alles seinen Wünschen anzupassen und so weiter.

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Ein gutes Omen

Nun, ich meine, es steckt natürlich keine bewußte Ab-


sicht dahinter. Es ist ein rein instinktives Verhalten. Aber
hast du irgend etwas beobachtet, das auf entsprechende
Ereignisse hindeutet?«
»Ah, nein...«
»Man sollte annehmen, daß er bereits vor teuflischer
Kraft nur so strotzt. Aber hat er irgendwelche infernali-
schen Streiche begangen?«
»Nicht daß ich wüßte.«
»Er ist zu normal.« Crowley trommelte mit den Fin-
gern auf den Tisch. »Irgend etwas geht nicht mit rechten
Dingen zu. Ich frage mich immer wieder, was wir falsch
gemacht haben. Vielleicht handelt es sich um ein Erzie-
hungsproblem.«
Erziraphael nahm sich ein Stück Kuchen von Crow-
leys Teller. »Nun, er ist kein kleines Kind mehr. Er
wächst heran. Hinzu kommt der himmlische Einfluß in
seinem Leben.«
Der Dämon seufzte. »Ich hoffe nur, er kommt mit dem
Höllenhund zurecht.«
Der Engel wölbte eine Braue. »Höllenhund?« wieder-
holte er.
»An seinem elften Geburtstag. Gestern abend hat sich
die Hölle mit mir in Verbindung gesetzt.« Die Nachricht
traf ein, als Crowleys Lieblingssendung im Fernsehen
lief: Golden Girls. Eine gewisse Rose brauchte zehn Mi-
nuten, um den Zuschauern etwas mitzuteilen, das man
in ein paar Worten hätte sagen können, und als die teuf-
lische Botschaft endete und der Bildschirm wieder das
TV-Studio zeigte, hatte Crowley den Faden verloren.
»Die Fürsten der Finsternis schicken ihm einen Höllen-
hund, der ihm nicht von der Seite weichen und ihn vor
allem Guten bewahren soll. Das größte Exemplar, das
sie vorrätig haben.«
»Könnte nicht jemand Verdacht schöpfen, wenn plötz-
lich ein großer schwarzer Hund auftaucht? Ich denke da
nur an die Eltern des Jungen.«
Crowley erhob sich plötzlich und trat dem bulgari-
schen Kulturattache auf den Fuß, der gerade ein an-
geregtes Gespräch mit dem Bewahrer der Königlichen
Antiquitäten führte. »Niemand wird irgend etwas Außer-
gewöhnliches bemerken. Die Realität, Engel. Warlock
kann ganz nach Belieben damit verfahren. Für ihn ist die
Wirklichkeit wie Knetgummi.«
»Na schön«, murmelte Erziraphael. »Wann erscheint
er? Der Hund, meine ich. Hat er einen Namen?«
»Wie ich schon sagte: Warlock bekommt ihn an sei-
nem elften Geburtstag. Um drei Uhr nachmittags. Das
Tier findet den Jungen von ganz allein. Es, äh, peilt ihn

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Ein gutes Omen

an. Und er soll ihm selbst einen Namen geben. Dieser


Punkt ist sehr wichtig. Warlock wählt einen Namen und
verleiht der Existenz des Höllenhundes damit Den Sinn.
Wahrscheinlich entscheidet er sich für Killer, Mörder,
Totschläger, Terror, Nachtschleicher oder etwas in dieser
Richtung.«
»Hast du vor, dabei zu sein?« fragte der Engel wie
beiläufig.
»Klar doch«, erwiderte Crowley. »Ich möchte den gro-
ßen Augenblick um nichts in der Welt verpassen. Hof-
fentlich ist mit dem Jungen wenigstens in dieser Hinsicht
alles in Ordnung. Nun, mal sehen, wie er auf den Hund
reagiert. Das gibt uns sicher Aufschluß. Vielleicht haben
wir Glück, und er schickt ihn zurück. Möglicherweise
fürchtet er sich sogar vor dem Tier. Wenn er ihm wirk-
lich einen Namen gibt, können wir das Handtuch wer-
fen. Dann besitzt er seine ganze Macht, und der Weltun-
tergang klopft an die Tür.«
»Ich glaube...«, sagte Erziraphael langsam und trank
einen Schluck Wein (der sich gerade von einem etwas
säuerlichen Beaujolais in einen ebenso guten wie über-
raschten Chateau-Lafitte, Jahrgang 1875, verwandelt
hatte). »Ich denke, ich werde dich dort treffen.«
Es war ein smoggeschwängerter heißer Augusttag in
London.
Warlock empfing viele Gäste zu seinem elften Ge-
burtstag.
Im Saal befanden sich nicht nur zwanzig Jungen und
siebzehn Mädchen. Hinzu kam eine Reihe von blon-
den Männern, alle mit dem gleichen Kurzhaarschnitt,
blauen Anzügen und Schulterhalftern ausgestattet. Ein
Heer von Lieferanten brachte Wackelpudding, Ku-
chen und Schüsseln mit Kartoffelchips. Die Karawane
von Lieferwagen wurde von einem alten Bentley ange-
führt.
Das Unterhaltungs-Duo »Der tolle Harvey und die
noch viel tollere Wanda - Experten für Kinderparties<
fiel auf der Fahrt zur Residenz des Kulturattaches einem
höllisch-himmlischen Grippevirus zum Opfer und muß-
te mit Fieber, laufender Nase und tränenden Augen
nach Hause zurückkehren. Durch eine glückliche Fü-
gung des Schicksals fand sich Ersatz: Ein Zauberkünst-
ler erklärte sich bereit, Harvey und Wanda zu vertreten.
Jeder hat sein kleines Hobby. Und Erziraphael be-
schloß, seins für einen guten Zweck zu verwenden - ob-
wohl Crowley dringend davon abriet.
Der Engel war sehr stolz auf seine magischen Fähig-
keiten. Im Jahre 1870 hatte er an einem von John Maske-
lyne veranstalteten Kurs teilgenommen und fast zwölf

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Ein gutes Omen

Monate lang geübt, wie man bunte Tücher aus den Är-
meln zog. Münzen verschwinden und Kaninchen aus
Hüten springen ließ. Er glaubte, damals ein durchaus
professionelles Geschick entwickelt zu haben. Nun, an
dieser Stelle soll auf folgendes hingewiesen werden:
Erziraphael konnte Dinge bewerkstelligen, die alle Mit-
glieder der Magischen Gilde dazu veranlaßt hätten, ihre
Zauberstäbe wegzuwerfen und sich nach einem anderen
Beruf umzusehen. Schließlich war er ein Engel, und
Engel sind nicht an die normalen Beziehungen zwischen
Ursache und Wirkung gebunden. Um es anders auszu-
drücken: Himmlische Wesen kleiden sich in ein ganz an-
deres Gewand der Kausalität. Aber Erziraphael hatte es
sich zur Angewohnheit gemacht, die ihm innewohnen-
den wunderbaren Fähigkeiten so wenig wie möglich zu
benutzen. Woraus sich jetzt ein Nachteil ergab. Er be-
dauerte es, nicht auch an Maskelynes Kurs für Fortge-
schrittene teilgenommen zu haben.
Trotzdem: Er verglich diese Angelegenheit damit, auf
einem Fahrrad zu fahren. Man vergaß nie, worauf es
dabei ankam. Der Zaubermantel war ein wenig ver-
staubt, aber er fühlte sich gut an, als er ihn über die
Schultern streifte. Erziraphael entsann sich sogar an den
richtigen Fachjargon.
Die Kinder beobachteten ihn gelangweilt, und einige
von ihnen schnitten verächtliche Mienen. Crowley stand
hinter dem Büfett, trug die Uniform eines Kellners und
versuchte, sich seine Verlegenheit nicht allzu deutlich
anmerken zu lassen.
»Nun, ihr jungen Damen und Herren«, begann Erzi-
raphael. »Seht ihr meinen alten zerbeulten Hut? Was für
ein alter und zerbeulter Hut! denkt ihr sicher. Ein alter,
zerbeulter und völlig leerer Hut. Aber ach! Was hat die-
ser Bursche darin zu suchen? Oh, es ist unser pelziger
Freund, Karl Kaninchen!«
»Sie hatten es in der Tasche«, sagte Warlock. Die an-
deren Kinder nickten zustimmend. Wofür hielt sie der
Narr? Für Kinder?
Erziraphael erinnerte sich an Maskelynes Hinweise in
bezug auf Zwischenrufer. >Macht einen Witz daraus, ihr
Knallköppe - und damit meine ich Sie, Mister Eden.<
(Diesen Namen benutzte der Engel damals.) >Bringen
Sie das Publikum zum Lachen. Dann verzeiht es Ihnen
alles.<
»Oh-ho, ihr habt meinen Huttrick durchschaut«, er-
widerte Erziraphael und lachte. Die Kinder musterten
ihn verdrießlich.
»Sie sind ein Idiot«, brummte Warlock. »Zeichentrick-
filme sind mir viel lieber.«

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Ein gutes Omen

»Er hat recht«, pflichtete ihm ein kleines Mädchen mit


Pferdeschwanz bei. »Sie sind ein Idiot. Und wahrschein-
lich auch ein Blödmann.«
Erziraphael bedachte Crowley mit einem verzweifel-
ten Blick. Seiner Ansicht nach bestand nicht mehr der
geringste Zweifel daran, daß Warlock höllischen Ein-
flüssen erlag. Je eher der schwarze Hund eintraf und sie
diesen unfreundlichen Ort verlassen konnten, desto bes-
ser.
»Nun«, fuhr er fort, »hat jemand von euch zufälliger-
weise ein Klingelbingel dabei, vielleicht auch ein kleines
Kettilein? Nicht einmal du, junger Herr? Und was ist
das hier, hinter deinem Ohr...?«
»Bei meinem Geburtstag habe ich mir >Roadrunner<
und >Coyote< angesehen«, verkündete das Mädchen.
»Und ich habe sogar ein ACME-Paket mit Dynamit für
Kinder, Raketenrollschuhen, mit Batman-Flügeln, Atom-
kleber, mit Laserpistolen und einer Startrampe für Rake-
ten gekriegt...«
Crowley stöhnte innerlich auf. Offenbar ging es bei
Kindergeburtstagen immer ziemlich hektisch zu, fand
er. Jeder Engel mit gesundem Menschen ver... Jeder
Engel mit gesundem Engelverstand sollte derartige Ver-
anstaltungen meiden.
Helle Stimmen quietschten voller Schadenfreude, als
Erziraphael drei miteinander verbundene Metallringe
fallenließ.
Crowley wandte sich von der improvisierten Bühne
ab, und sein Blick fiel auf einen Tisch mit Dutzenden
von Geschenken. Zwei Knopfaugen glühten in einem
kleinen Kunststoffkasten.
Der Dämon beobachtete sie aufmerksam und rechnete
fast damit, ein rötliches Schimmern zu sehen. Man
mußte auf Überraschungen gefaßt sein, wenn man es
mit den Bürokraten der Hölle zu tun hatte. Sie waren
sogar imstande. Höllenhunde mit Springmäusen zu ver-
wechseln.
Nein, es handelte sich um eine ganz normale Spring-
maus. Sie wohnte in einer komplizierten Anordnung
aus Zylindern, offenen Kugeln und Tretmühlen. Ver-
mutlich hätte man so etwas während der spanischen
Inquisition erfunden - wenn den Inquisitoren die uner-
hörte Vielseitigkeit des Werkstoffs Plastik bekannt gewe-
sen wäre.
Crowley sah auf seine Armbanduhr. Die Batterie hatte
schon vor drei Jahren den elektrischen Geist aufgege-
ben, und es war dem Dämon nie in den Sinn gekom-
men, sie zu wechseln. Warum auch? Die Uhr funktio-
nierte bestens, zeigte gerade zwei Minuten vor drei an.

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Ein gutes Omen

Erziraphael wurde immer nervöser.


»Hat irgend jemand aus dem Publikum vielleicht ein
Taschentuch dabei? Nein?« In der viktorianischen Epo-
ehe gehörte es sich einfach nicht, kein Taschentuch da-
bei zu haben. Der Engel spürte ein hartnäckiges Picken
am Handgelenk, was ihn sehr deutlich an die Taube in
seinem Ärmel erinnerte. Um sie hervorzuzaubern,
brauchte er unbedingt ein geeignetes Tuch. Er versuchte
vergeblich, Crowleys Aufmerksamkeit zu erwecken,
und wandte sich schließlich an einen Wächter, der voller
Unbehagen von einem Bein aufs andere trat.
»Sie, mein lieber Herr. Bitte kommen Sie zu mir. Nun,
äh, wenn Sie in Ihrer Brusttasche nachsehen... Ich
glaube, dort finden Sie ein hübsches seidenes Taschen-
tuch.«
»Neinsir, tutmirleidsir«, erwiderte der Sicherheitsbe-
amte und blickte starr geradeaus.
Erziraphael zwinkerte verzweifelt. »Vielleicht sind Sie
so freundlich und sehen trotzdem nach. Damit erwiesen
Sie mir einen großen Gefallen. Bitte!«
Der Mann griff in die Innentasche seiner Jacke, hob
verblüfft die Brauen und holte ein spitzenbesetztes Ta-
schentuch aus kobaltblauer Seide hervor. Erziraphael
begriff sofort, daß er besser auf die Spitzen verzichtet
hätte. Sie verfingen sich an der im Halfter steckenden
Waffe und schleuderten sie quer durchs Zimmer. Ein lei-
ses Plopp erklang, als der Revolver in eine Schüssel fiel,
die besonders wackligen Wackelpudding enthielt.
Die Kinder klatschten zurückhaltend. »He, nicht
übel!« bemerkte das Mädchen mit dem Pferdeschwanz.
Warlock lief zum Tisch und griff nach der Waffe.
»Hände hoch, ihr verdammten Mistkerle!« rief er fröh-
lich.
Was die Wächter in eine verzwickte Lage brachte.
Einige von ihnen hielten es für angebracht, die eige-
nen Revolver zu ziehen, während die anderen vorsichtig
auf den Jungen zutraten - oder sich vorsichtig von ihm
entfernten. Die übrigen Kinder fanden Spaß an der
Sache und verlangten ebenfalls nach einer Waffe. Meh-
rere von ihnen, die ziemlich nahe bei den Wächtern
standen, bemächtigen sich der Pistolen der Männer, die
so unvorsichtig gewesen waren, ihre Waffen zu ziehen.
Irgend jemand warf Pudding auf Warlock.
Der Junge quiekte, und sein Zeigefinger krümmte sich
um den Abzug einer Magnum, Kaliber 32, CIA-Stan-
dardmodell. Diese üble und schwere graue Waffe war in
der Lage, einen Mann auf dreißig Schritt Entfernung
umzublasen und dabei nicht mehr zurückzulassen als
eine rote Wolke, eine schreckliche Schweinerei und eine

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Ein gutes Omen

erkleckliche Menge Papierkram.


Erziraphael zwinkerte.
Ein dünner Wasserstrahl zischte aus dem Lauf und
bespritzte Crowley, der aus dem Fenster sah und nach
einem großen schwarzen Hund Ausschau hielt.
Erziraphael seufzte verlegen.
Dann klatschte ihm eine Torte ins Gesicht.
Inzwischen war es fast fünf Minuten nach drei.
Der Engel winkte kurz, verwandelte auch die restli-
chen Waffen in Wasserpistolen und verließ den Saal.
Crowley folgte ihm nach draußen und beobachtete,
wie Erziraphael versuchte, eine zerdrückte Taube aus
dem linken Ärmel seines Gehrocks zu ziehen.
»Es ist bereits zu spät«, sagte der Engel.
»Das weiß ich«, erwiderte Crowley. »Du hättest sie
nicht in den Ärmel stopfen sollen.« Er griff nach der
schlaffen Taube und hauchte das Leben in den toten
Leib zurück. Der Vogel gurrte dankbar und flog ein
wenig unsicher davon.
»Es geht mir nicht um den Vogel«, sagte Erziraphael.
»Ich meine den Hund. Er ist spät dran.«
Crowley nickte nachdenklich. »Vielleicht hat ihn ir-
gend etwas aufgehalten.«
Er öffnete die Türe seines Wagens und schaltete das
Radio ein. »I-should-be-so-lucky, lucky-lucky-lucky-lucky,
I-should-be-so-lucky... HALLO, CROWLEY.«
»Ah, hallo! Hm. Wer spricht dort?«
»DAGON, BEWAHRER DER AKTEN, MEISTER DES WAHNSINNS, UNTERFÜRST DER SIEBTEN
QUAL. WAS KANN ICH FÜR DICH
TUN?«
»Es geht um den Höllenhund. Ich, äh, wollte mich nur
erkundigen, ob man ihn rechtzeitig losgeschickt hat.«
»ER BRACH VOR ZEHN MINUTEN AUF. ER MUSSTE INZWISCHEN
EINGETROFFEN SEIN. WARUM FRAGST DU? STIMMT WAS NICHT?«
»Oh, nein. Es ist alles in Ordnung. Alles in bester
Ordnung. Äh, ich sehe ihn jetzt. Ja. Guter Hund. Ein
prächtiges Tier. Wirklich beeindruckend. Ich meine, er ist
so groß. Richtig höllisch. Äh. Dir Jungs habt echt gute
Arbeit geleistet. Ja. Nun. War nett, mit dir gesprochen zu
haben, Dagon. Bis bald. Äh.«
Crowley schaltete das Radio aus.
Dämon und Engel starrten sich an. Im Haus knallte
etwas, und ein Fenster splitterte.
»Lieber Himmel«, murmelte Erziraphael. Richtiges Flu-
chen fiel ihm schwer. Er hatte sechstausend Jahre damit
verbracht, nicht zu fluchen, und er sah keinen Grund,
etwas an dieser persönlichen Tradition zu ändern. »Of-
fenbar habe ich eine Waffe übersehen.«
»Kein Hund«, sagte Crowley.

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Ein gutes Omen

»Kein Hund«, bestätigte Erziraphael.


Der Dämon seufzte. »Steig ein. Ich glaube, wir sollten
einige Dinge besprechen. Oh, und noch etwas, Erzi...«
»Ja?«
»Wisch dir die blöde Torte aus dem Gesicht, bevor du
einsteigst.«
Es war ein heißer ruhiger Augusttag fern von London.
Am Rand der Tadfieldstraße lastete der Staub schwer
auf den Blättern von Bärenklau und Schafgarbe. Bienen
summten über Büschen und Sträuchern. Die Luft roch
so, als habe man sie gerade aus der Abstellkammer ge-
holt und im Backofen erhitzt.
Ein seltsames Geräusch erklang. Es hörte sich an, als
riefen tausend metallene Stimmen: >Gepriesen sei Sa-
tan!< Plötzliche Stille folgte.
Ein schwarzer Hund stand auf der Straße.
Das Geschöpf mußte ein Hund sein. Es sah aus wie
ein Hund.
Manchmal begegnet man Hunden, die einen deutlich
daran erinnern, daß jeden Hund - trotz einer von Men-
schen bestimmten Evolution - nur zwei Mahlzeiten vom
Wolf trennen. Derartige Hunde kommen ebenso zielstre-
big wie entschlossen näher, blecken lange gelbe Zähne,
während ihr Herrchen von weither ruft: >Ach, Sie brau-
chen keine Angst zu haben. Er ist völlig harmlos. Geben
Sie ihm einfach einen Klaps auf die Schnauze, wenn er
Sie belästigte Aber Sie zögern, diesen Rat zu beherzigen,
denn in den Augen des inzwischen herangekommenen
Tiers sehen Sie das flackernde rote Licht pleistozäner La-
gerfeuer ...
Dieser spezielle Hund hätte selbst seinen hungrigsten
und temperamentvollsten Artgenossen dazu veranlaßt,
brav hinters Sofa zu kriechen und den Anschein zu er-
wecken, ausschließlich auf den Gummiknochen konzen-
triert zu sein.
Er knurrte bereits, und es handelte sich um jenes
Knurren, das auf starke Kiefermuskeln hinweist, in einer
Kehle beginnt und an einer anderen endet.
Speichel tropfte auf den Asphalt und zischte.
Der Hund bewegte sich und schnüffelte.
Die Ohren stellten sich ihm auf.
Stimmen ertönten in der Feme, darunter eine beson-
dere Stimme. Die Stimme eines Jungen, dem er gehor-
chen mußte. Es blieb ihm gar keine andere Wahl. Wenn
diese Stimme >Folg mir!< sagte, dann würde der Hund
folgen. Wenn sie >Töte!< zischte, dann würde er töten. Es
war die Stimme seines Herrn.
Der Hund sprang über die Hecke und trottete über
das darunterliegende Feld. Ein grasender Bulle warf

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Ein gutes Omen

einen Blick auf ihn, schätzte seine Chancen ab und be-


wegte sich dann schnell auf die gegenüberliegende
Hecke zu.
Die Stimmen kamen aus der Richtung einiger verein-
zelt stehender Bäume. Der schwarze Hund näherte sich;
Speichel tropfte ihm aus dem Maul.
Eine der Stimmen sagte: »Das glaube ich nicht. Das
sagst du immer, aber dann schenkt er dir was ganz
anderes. Ein interessantes Haustier - hach! Wenn es um
>interessante Haustiere< geht, denkt dein Vater wahr-
scheinlich an Gespenstheuschrecken oder so.«
Der Hund hob und senkte massige Schultern - es sah
fast wie ein menschliches Achselzucken aus - und ver-
lor sofort das Interesse an der ersten Stimme, als er Den
Herrn hörte, das Zentrum seines Universums.
»Diesmal bekomme ich einen Hund«, brummte je-
mand.
»Hm. Du kannst doch gar nicht wissen, ob es ein
Hund ist. Niemand hat dir einen Hund versprochen.
Woher willst du wissen, daß du einen Hund kriegst,
wenn dir niemand was gesagt hat, hm? Dein Vater
würde bloß dauernd schimpfen, daß er zuviel frißt.«
»Liguster.« Im Gegensatz zu den ersten beiden Stim-
men klang die dritte steif und gedrechselt. Unter dem
Inhaber dieser Stimme stelle man sich folgende Person
vor: Wenn sie einen Plastik-Bausatz bekommt, zählt sie
zunächst alle Einzelteile, bemalt sie und läßt sie vor dem
Zusammenbau trocknen. Nur Zeit trennte diese Stimme
von Statistik und Buchhaltung.
»Hunde mögen keinen Liguster, Wensley. Ich habe
noch nie einen Hund gesehen, der Liguster frißt.«
»Ich meine Gespenstheuschrecken. Die sind wirklich
putzig. Bei der Paarung fressen sie sich gegenseitig.«
Nachdenkliches Schweigen folgte. Der Hund schlich
noch etwas näher heran und stellte fest, daß die Stim-
men aus einem Loch im Boden ertönten.
Nun, die Bäume verwehrten den Blick auf einen alten
Steinbruch, in dem Dombüsche und niedriges Gestrüpp
wuchsen. Ein alter Steinbruch, ja - aber offenbar wurde
er noch immer benutzt. Überall zeigten sich Reifenspu-
ren. Glatte Bereiche an den Hängen deuteten auf Skate-
boards und Motorradfahrer hin, die Todes- oder (wie in
diesem Fall) Hart-angeschlagene-Knie-Wände liebten.
Zerfranste Seile hingen von niedrigen Ästen. Hier und
dort bildeten Wellbleche oder Holzlatten Stege zwischen
den Zweigen. Auf der einen Seite stand ein ausgebrann-
ter, verrosteter und von Nesseln überwucherter Triumph
Herald-Kombi.
Ein Haufen aus Rädern und verbogenen Drähten

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Ein gutes Omen

kennzeichnete den berühmten vergessenen Priedhof, auf


dem man die Einkaufswagen von Supermärkten bestat-
tete.
Für Kinder war der alte Steinbruch ein Paradies. Die
Erwachsenen bezeichneten ihn schlicht als Die Grube.
Der Hund spähte durchs Dickicht und sah vier Ge-
stalten. Sie hockten am Fuß des Hangs, saßen auf Kisten,
die einst Apfelsinen enthalten hatten und zur Einrich-
tung jeder anständigen Kinderbude gehören.
»Das stimmt nicht.«
»Und es stimmt doch!«
»Ich kann es mir nicht vorstellen«, erklang wieder die
erste Stimme. Ihr Timbre identifizierte sie als jung und
weiblich, brachte so etwas wie entsetzte Faszination
zum Ausdruck.
»Es ist wirklich wahr. Ich hatte sechs kleine Ge-
spenstheuschrecken, und wir fuhren in Urlaub. Da habe
ich vergessen, ihnen genug Liguster hinzulegen. Als wir
zurückkamen, waren in dem Käfig nicht mehr sechs
kleine Heuschrecken, sondern nur eine große.«
»Unsinn. Du meinst keine Gespenstheuschrecken,
sondern Gottesanbeterinnen. Ich hab einen Film im
Fernsehen gesehen. Ein großes Weibchen fraß ganz ge-
mütlich einen Artgenossen.«
Erneut schloß sich Stille an.
»Warum betete sie zu Gott?« fragte Der Herr.
»Keine Ahnung. Vielleicht betet sie, daß sie nicht hei-
raten muß oder so.«
Der Hund starrte mit einem Auge durch ein Astloch
im Zaun des alten Steinbruchs und blickte nach unten.
»Egal«, sagte der erste Sprecher in energischem Ton-
fall. »Es ist wie mit Fahrrädern. Ich habe mir zum Ge-
burtstag ein Rad mit sieben Gängen, Sportsattel, Pur-
purlack und allem Drum und Dran gewünscht. Und
was kriege ich? Ein blaues Rad. Mit Korb. Ein Mädchen-
Rad.«
»Na, du bist ja auch ein Mädchen«, kommentierte je-
mand.
»Das ist Sexismus, jawohl. Warum muß ein Mädchen
immer Mädchendinge bekommen, hm?«
»Ich bekomme einen Hund«, sagte Der Herr fest. Er
saß mit dem Rücken zum Hang; sein Gesicht blieb dem
animalischen Gesandten der Hölle verborgen.
»O ja, klar, bestimmt einen großen Rottweiler, schätze
ich«, spottete das Mädchen mit unüberhörbarem Sarkas-
mus.
»Nein«, erwiderte Der Herr. »Es wird ein Hund sein,
mit dem man viel unternehmen kann. Kein besonders
großes Tier...«

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Ein gutes Omen

Das Auge hinter dem Astloch sank jäh nach unten.


»Ich wünsche mir einen Hund, der ganz intelligent ist
und in Kaninchenbaue kriecht und bei dem ein Ohr wie
umgestülpt aussieht. Ein Mischling. Eine reinrassige Pro-
menadenmischung.«
Die Kinder hörten nichts von dem leisen Knall am
Rand des Steinbruchs. Vielleicht wurde er von einem
plötzlich entstehenden Vakuum verursacht, als sich ein
sehr großer Hund in einen sehr kleinen verwandelte.
Das kurz darauf ertönende leise Plopp mochte von
einem sich umstülpenden Ohr stammen.
»Und ich nenne ihn...«, sagte Der Herr. »Ich nenne
ihn...«
»Ja?« fragte das Mädchen gespannt. »Wie soll er
heißen?«
Der Hund wartete. Dies war der entscheidende Au-
genblick. Die Namensgebung. Dadurch erhielt seine Exi-
stenz einen Sinn; dadurch bekam er Identität. Die
Augen - sie befanden sich jetzt nicht mehr ganz so hoch
über dem Boden - glühten in einem düsteren Rot, und
erneut tropfte Speichel von einer wesentlich kleineren
Schnauze.
»Ich nenne ihn Hund«, verkündete Der Herr. »Das ist
am einfachsten.«
Der Höllenhund neigte verwirrt den Kopf zur Seite.
Tief in seiner teuflischen Seele ahnte er, daß irgend
etwas nicht stimmte, doch das Gebot der Gehorsamkeit
und jähe Liebe zum Herrn verdrängten das Unbehagen.
Konnte er doch nicht einmal die eigene Größe bestim-
men!
Er trippelte den Hang hinab, um sich dem Schicksal
zu stellen.
Seltsame Empfindungen regten sich in ihm. Er hatte
immer den Wunsch verspürt, Menschen anzuspringen
und ordentlich zu knurren, aber jetzt fühlte er sich
gleichzeitig versucht, auch mit dem Schwanz zu we-
deln.
»Du hast gesagt, er sei der Sohn des Teufels!« stöhnte
Erziraphael, strich geistesabwesend Schlagsahne vom
Kragen und leckte sich die Finger ab.
»Er war es«, erwiderte Crowley. »Ich meine, er sollte
es sein.«
»Vielleicht hat sich irgend jemand in unsere Ange-
legenheiten eingemischt.«
»Wer denn? Es gibt doch nur uns. Gut und Böse. Ent-
weder das eine oder das andere.«
Der Dämon klopfte aufs Lenkrad.
»Du wärst sicher erstaunt, wenn ich dir erzählen
würde, auf welche Art und Weise man Unten zur Re-

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Ein gutes Omen

chenschaft gezogen wird, wenn irgend etwas nicht


klappt«, sagte er leise.
»Ich nehme an, die disziplinarischen Maßnahmen un-
terscheiden sich nicht sonderlich von denen im Him-
mel«, entgegnete Erziraphael.
Crowley winkte ab. »Ach, komm schon! Bei euch
gibt's erhabene Bannherzigkeit.«
»Glaubst du? Und was ist mit Gomorrha?«
»O ja«, sagte der Dämon. »Ich erinnere mich an eine
kleine gemütliche Taverne, wo spärlich bekleidete Kell-
nerinnen leckere Cocktails aus fermentierten Datteln,
Muskatnuß und einem Schuß Zitronensaft servier-
ten...«
»Ich meine nachher.«
»Oh!«
Erziraphael schürzte die Lippen. »Vielleicht passierte
etwas im Krankenhaus.«
»Unmöglich. Dort wimmelte es von unseren Leuten!«
»Von wessen Leuten?« fragte der Engel kühl.
»Von meinen«, berichtigte sich Crowley. »Nun, nicht
unbedingt von meinen. Es waren, äh, Satanisten. Du
weißt schon.«
Er versuchte, die letzten Worte wie eine beiläufige Be-
merkung klingen zu lassen, doch es gelang ihm nicht
recht. Crowley und Erziraphael fanden Gefallen an den
weltlichen Dingen und wollten sie so lange wie möglich
genießen, aber abgesehen davon gab es zwischen ihren
Meinungen erhebliche Unterschiede. In einem Punkt
allerdings vertraten sie den gleichen Standpunkt: Sie
fanden Menschen, die aus irgendwelchen Gründen den
Fürsten der Finsternis verehrten, nicht sonderlich sym-
pathisch. Derartige Leute weckten Verlegenheit in Crow-
ley. Er konnte sich nicht dazu durchringen, unfreundlich
zu ihnen zu sein, doch er begegnete ihnen mit den glei-
chen Empfindungen, die ein Vietnam-Veteran hätte,
wenn er bei einem Treffen des Nachbarschaftsschutzver-
eins jemanden im Kampfanzug sähe.
Außerdem offenbarten Satanisten häufig einen gera-
dezu niederschmetternden Enthusiasmus. Man denke
nur daran, was sie mit umgedrehten Kreuzen, Penta-
grammen und Hähnen alles anstellten. Entsprechende
Zeremonien und Rituale verblüfften die meisten Dämo-
nen. Sie waren überhaupt nicht notwendig. Es genügte
reine Willenskraft, um zu einem Satanisten zu werden.
Man konnte sein Leben lang Satanist sein, ohne jemals
zu wissen, was ein Pentagramm war, und ohne einen
toten Hahn anders als in Form eines Grillhähnchens ge-
sehen zu haben.
Außerdem: Manche der klassischen Satanisten erwie-

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Ein gutes Omen

sen sich als recht nett. Sie formulierten die üblichen Be-
schwörungen, rügten angemessene Gesten hinzu und
zeigten damit das gleiche Verhaltensmuster wie ihre re-
ligiösen Gegner. Anschließend gingen sie zufrieden
nach Hause und führten für den Rest der Woche ein
Leben anspruchsloser Mittelmäßigkeit, ohne an irgend
etwas Höllisches zu denken.
Aber es gab auch andere Satanisten.
Wenn Crowley an sie dachte, lief es ihm kalt über den
Rücken. Es lag nicht in erster Linie an ihrem Handeln,
sondern daran, daß sie für alles die Hölle verantwortlich
machten. Sie ließen sich irgend etwas Schauderhaftes
einfallen, das selbst dem phantasievollsten Dämon nie
in den Sinn gekommen wäre (gemeint sind Dinge, die
nur ein voll funktionsfähiges menschliches Gehirn kon-
zipieren kann), und dann riefen sie: >Der Teufel hat mich
dazu gezwungene Was ihnen das Mitleid des Gerichts
einbrachte - obwohl der Teufel nur selten jemanden zu
etwas zwang. Warum auch? Die Menschen begriffen
einfach nicht, daß die Hölle keineswegs ein Reservoir
des Bösen darstellte und daß der Himmel, wie Crow-
ley glaubte, alles andere war als ein Quell des Guten.
Es handelte sich nur um die beiden Seiten beim kosmi-
schen Schachspiel. Wahrhaftiges Unheil und echte
Gnade fanden sich einzig und allein im menschlichen
Bewußtsein.
»Hmm«, brummte Erziraphael. »Satanisten.«
»Ich halte es für ausgeschlossen, daß ihnen irgendein
Fehler unterlief«, entschied Crowley. »Ich meine, es ist
doch ganz einfach, zwei Säuglinge zu vertauschen.
Dabei verliert man kaum die Übersicht. Man muß nur
ein wenig aufpassen...« Der Dämon schwieg plötzlich.
Im Nebel seines Gedächtnisses formten sich die Kontu-
ren einer kleinen Nonne, die ihm damals recht zerstreut
erschienen war, selbst für eine Satanistin. Und die Erin-
nerungsbilder zeigten ihm noch etwas anderes: eine
Pfeife und eine Strickjacke, die schon im Jahr 1938 als
altmodisch galt. Er erinnerte sich an einen Mann, der ein
imaginäres Schild mit der Aufschrift >Werdender Vater<
hielt.
Es mußte noch ein drittes Baby gegeben haben.
Er erzählte Erziraphael davon.
»Das bringt uns nicht viel weiter«, erwiderte der
Engel.
»Eins steht fest: Das Kind existiert«, sagte Crowley.
»Woraus folgt...«
»Woher willst du das wissen?«
»Wenn es nach Unten zurückgekehrt wäre, meinst du,
dann wären wir noch hier?«

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Ein gutes Omen

»Klingt logisch.«
»Wir brauchen es also nur zu finden«, fuhr Crowley
fort. »Ich schlage vor, wir sehen uns die Akten im Kran-
kenhaus an.« Der Motor des Bentley hustete, räusperte
sich und grollte hingebungsvoll. Der Wagen raste los,
und Erziraphael wurde in den Sitz gepreßt.
»Und dann?« fragte er.
»Dann finden wir das Kind.«
»Und dann?« Erziraphael schloß die Augen, als der
Bentley um eine Ecke schoß.
»Keine Ahnung.«
»Bei allen Heiligen...«
»Ich nehme an - verschwinde von der Straße, du
Clown -, deine Kollegen im Himmel - guck sich einer den
blöden Motorroller an - sind nicht bereit, mir Asyl zu ge-
währen, oder?«
»Ich wollte gerade eine ähnliche Frage an dich rich-
ten... Achtung, der Fußgänger!«
»Er steht auf der Straße und weiß, welches Risiko er
damit eingeht«, antwortete Crowley. Er steuerte den
immer schneller werdenden Bentley zwischen einem ge-
parkten Wagen und einem Taxi hindurch. Der Platz
rechts und links hätte nicht einmal für eine Kreditkarte
genügt.
»Die Straße! Bleib auf der Straße! Übrigens, wo befin-
det sich das Krankenhaus?«
»Irgendwo südlich von Oxford.«
Erziraphael hielt sich am Armaturenbrett fest. »Um
diese Zeit kannst du in Central London unmöglich mit
neunzig Meilen die Stunde fahren!«
Crowley blickte auf den Tacho. »Warum nicht?«
»Du bringst uns um!« Der Engel zögerte kurz. »Ich
meine, du verursachst eine vorübergehende Entkörper-
lichung«, fügte er unsicher hinzu und entspannte sich
ein wenig. »Und du könntest Menschen töten.«
Crowley hob die Schultern. Erziraphael mußte sich
erst noch ans zwanzigste Jahrhundert gewöhnen. Er
wußte nicht, daß es durchaus möglich war, mit neunzig
Meilen in der Stunde über die Oxford Street zu fahren -
vorausgesetzt, man traf die notwendigen Vorbereitun-
gen und sorgte dafür, daß keine Hindernisse auftauch-
ten. Und da jedermann wußte, daß es unmöglich war,
auf der Oxford Street eine Geschwindigkeit von neunzig
Meilen in der Stunde zu erreichen, achtete niemand auf
den schwarzen Bentley.
Und schließlich waren Autos eine wesentlich bessere
Sache als Pferde. Den Verbrennungsmotor hielt Crowley
für ein gottge... für ein gesegn... für einen unverhoff-
ten Glücksfall. Wenigstens brauchte er jetzt im Dienst

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Ein gutes Omen

keine großen schwarzen Rösser mehr zu benutzen. Er


verzog das Gesicht, als er sich an glühende Augen und
Hufe erinnerte, von denen dauernd Funken stoben - so
etwas war unerläßlich für einen Dämonen. Außerdem
neigte er dazu, immer wieder auf harten Boden zu fal-
len. Nein, mit Tieren kam er einfach nicht zurecht.
In der Nähe von Chiswick öffnete Erziraphael das
Handschuhfach und sah sich die Kassetten an.
»Was ist Velvet Underground?« fragte er.
»Gefällt dir bestimmt nicht«, antwortete Crowley.
»Oh«, seufzte der Engel. »Bebop.«
Der Dämon schnitt eine Grimasse. »Weißt du, Erzira-
phael: Wenn man eine Million Menschen bäte, moderne
Musik zu beschreiben... Ich bezweifle, ob auch nur ein
einziger den Ausdruck >Bebop< verwenden würde.«
»Ah, Tschaikowski«, murmelte der Engel zufrieden.
»Schon besser.«
Er nahm die Kassette aus dem Kästchen und schob sie
in den Recorder.
»Wahrscheinlich steht dir eine Überraschung bevor«,
sagte Crowley. »Das Ding liegt schon seit mehr als zwei
Wochen im Wagen.«
Dumpfe Baßklänge dröhnten aus den Lautsprechern,
als der Bentley an Heathrow vorbeiraste.
Erziraphael runzelte die Stirn.
»Das höre ich zum erstenmal«, gestand er ein. »Wie
heißt das Stück?«
»Das ist Tschaikowskis Another One Bites the Dust«, er-
widerte Crowley und schloß die Augen, als sie durch
Slough fuhren.
Im Bereich der Chiltern Hills vertrieben sie sich die
Zeit, indem sie den Melodien von Williams Byrds We are
the Champions und Beethovens Want To Break Free
lauschten.
Vaughan Williams' Fat-Bottomed Girls war noch weit-
aus besser.
Es heißt, die Musik des Teufels sei besonders ver-
lockend.
Das stimmt im großen und ganzen. Aber dafür hat
der Himmel die besseren Choreographen.
Im Westen erstreckte sich die Ebene von Oxfordshire.
Hier und dort deuteten Lichter auf schlummernde Orte
hin, in denen ehrbare Freibauern nach einem anstren-
genden Tag als Redakteur, Finanzberater oder Software-
Entwickler zu Bett gingen.
Über den Hügelhängen blinkten die ersten Glüh-
würmchen.
Der Landvermessungs-Theodolit gehört zu den un-
heilvolleren Symbolen des zwanzigsten Jahrhunderts.

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Ein gutes Omen

Wenn er irgendwo in freiem Gelände steht, lautet die


Botschaft folgendermaßen: Hier wird die Straße verbrei-
tert, fürwahr, und hinzu kommen Apartmenthäuser mit
insgesamt zweitausend Wohnungen, wobei sich die Ar-
chitekten natürlich an der allgemein-rustikalen Atmo-
sphäre des Dorfes orientieren. Und siehe: Es sind auch
Villen für Manager, Geschäftsführer und leitende Ange-
stellte mit dicker Brieftasche geplant.
Aber selbst die fleißigsten Landvermesser machen
lange vor Mittemacht Feierabend. Trotzdem stand hier
ein Theodolit, die drei Beine fest im Boden. Nur wenige
Theodoliten sind mit Haselnußzweigen, Kristallpendeln
und keltischen Runen ausgestattet.
Die leichte Brise zupfte am Mantel der schlanken Ge-
stalt, die gerade ihr Instrument justierte. Der Mantel war
dick, wasserdicht und mit warmem Pelz gefüttert.
Die meisten Bücher über Hexerei behaupten, Hexen
gingen ihrem Beruf völlig nackt nach. Der Grund: Fast
alle entsprechenden Bücher sind von Männern verfaßt.
Die junge Frau hieß Anathema Apparat. Wer sie als
>hinreißend und atemberaubend schön< beschrieb, sah
die Wirklichkeit aus einer sehr individuellen Perspek-
tive. Die einzelnen Aspekte ihres Gesichts verdienten es,
als sehr hübsch bezeichnet zu werden, doch in seiner
Gesamtheit erweckte es eher den Eindruck, als habe
man es hastig und ohne einen Plan aus Standardteilen
vom Lager zusammengesetzt. Der passende Ausdruck
lautet vermutlich >attraktiv<. Vielleicht hätten Leute, die
dieses Wort kennen und auch wissen, wie es geschrie-
ben wird, Adjektive wie >lebhaft< und »temperament-
voll< hinzugefügt. Vielleicht auch nicht. Solche Begriffe
scheinen aus den fünfziger Jahren zu stammen und klin-
gen irgendwie überholt.
Es ist traurig, aber wahr: Sogar in Oxfordshire sollten
junge Frauen in einer dunklen Nacht nicht allein unter-
wegs sein. Doch jeder umherstreifende Verrückte hätte
mehr als nur seinen Mut verloren, wäre er auf die Idee
gekommen, Anathema Apparat begehrlich anzusehen.
Immerhin war sie eine Hexe. Mehr noch: Sie war eine
vernünftige Hexe, hatte daher auf Schutzamulette und
ähnliche Gegenstände verzichtet. Mit dem langen Brot-
messer unter ihrem Gürtel fühlte sie sich weitaus siche-
rer.
i.
Anathema blickte durchs Okular und drehte die Ein-
stellrädchen.
Sie murmelte etwas, leise und bedeutungsvoll.
Alle Landvermesser murmeln leise und bedeutungs-
voll. Ihre Bemerkungen lauten >Hier bauen wir eine

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Ein gutes Omen

hübsche Umgehungsstraße, und sie wird vorgestern fer-


tig< oder >Das sind drei Komma fünf Meter, plusminus
eine Haaresbreiten
Doch Anathema Apparat murmelte etwas anderes.
»Finstere Nacht / Und glänzender Mond«, hauchte
sie. »Ost und Südost / West und, ja. Südwest... West-
südwest ... Hab dich...«
Sie griff nach einer amtlichen topographischen Karte
und hielt sie ins Licht der Taschenlampe. Dann nahm sie
Lineal und Bleistift, zog vorsichtig einen Strich quer
über die Karte. Er kreuzte eine zweite Linie.
Die junge Frau lächelte. Es war kein humorvolles,
eher ein zufriedenes Lächeln - sie hatte gerade eine
schwierige Arbeit mit Erfolg beendet.
Anathema klappte den Theodolit zusammen und be-
festigte ihn an einem prähistorischen Fahrrad, das an
der Hecke lehnte. Sie vergewisserte sich, daß Das Buch
im Korb lag, bevor sie sich auf den Sattel schwang und
über die dunkle, von Dunstschwaden umwogte Straße
radelte.
Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß es sich um
ein sehr altes Fahrrad handelte. Der Rahmen bestand
aus Abflußrohren. Es war lange Zeit vor der Entwick-
lung der Dreigangschaltung gebaut worden - und ver-
mutlich nur wenige Stunden nach der Erfindung des
Rads.
Aber bis zum Ort ging es praktisch nur bergab. Ana-
themas Haar wehte ihm Fahrtwind, und der Mantel
blähte sich wie ein Segel auf. Unbekümmert ließ sie den
zweirädrigen Moloch durch die Nacht rollen - um diese
Zeit herrschte überhaupt kein Verkehr.
Es knisterte und knackte leise, als der Motor des Bent-
ley abkühlte - während Crowleys Ärger immer heißer
brannte.
»Du hast gesagt, du hättest ein Schild gesehen«,
brummte er.
»Nun, wir sind ziemlich schnell daran vorbeigefah-
ren. Außerdem habe ich das Dorf schon einmal be-
sucht.«
»Vor elf Jahren!«
Der Dämon legt die Straßenkarte beiseite und startete
den Motor.
»Vielleicht sollten wir jemanden fragen«, schlug Erzi-
raphael vor.
»Oh, sicher«, erwiderte Crowley. »Wir halten an und
fragen den ersten Passanten, der diesen... diesen Pfad
mitten in der Nacht beschreitet, nicht wahr?«
Er beschleunigte und lenkte den Wagen über die von
Buchen gesäumte Straße.

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Ein gutes Omen

»Hier ist irgend etwas seltsam«, sagte Erziraphael.


»Spürst du's?«
»Was denn?«
»Fahr nicht so schnell!«
Der Bentley wurde wieder langsamer.
»Ja, wirklich sonderbar«, fügte der Engel hinzu. »Ich
empfange Emanationen, die...«
Er rieb sich die Schläfen.
»Ja?« fragte Crowley. »Welche Emanationen?«
Erziraphael starrte ihn groß an.
»Sie berichten von Liebe«, sagte er. »Jemand Hebt die-
sen Ort, und zwar von ganzem Herzen.«
»Bitte?«
»Ja, ich fühle es ganz deutlich: Liebe. Tut mir leid, ich
kann es nicht besser erklären. Gerade für dich müssen
solche Dinge unverständlich bleiben.«
»Soll das heißen...«, begann Crowley.
Ein Quietschen, ein Schrei und danach ein Aufprall.
Der Bentley hielt an.
Erziraphael blinzelte, ließ die Hände sinken und öff-
nete langsam die Tür.
»Du hast jemanden überfahren«, warf er dem Dämon
vor.
»Nein«, widersprach Crowley, »jemand ist von hinten
auf den Wagen geprallt.«
Sie stiegen aus, und einige Sekunden später stellte
Erziraphael fest, daß Crowley recht hatte. Hinter dem
Bentley lag ein Fahrrad: Das vordere Rad bildete eine
passable Möbiusschleife, und das andere kam mit einem
leisen, unheilvollen Klicken zum Stillstand.
»Es werde Licht«, sprach der Engel. Und es ward
Licht: Blaues Glühen erhellte die unmittelbare Umge-
bung.
Im Straßengraben ertönte eine Stimme. »He, wie
haben Sie das angestellt?«
Sofort verblaßte das Licht.
»Was meinen Sie?« fragte Erziraphael schuldbewußt.
»Ah.« Die Stimme klang nun benommen und ver-
wirrt. »Ich glaube, ich bin irgendwo mit dem Kopf an-
gestoßen...«
Crowley starrte auf den langen Kratzer im Lack des
Bentley, betrachtete auch die Beule im Kotflügel. Er
winkte kurz. Die Beule verschwand, und die Wunde in
der schwarzen Haut des Wagens heilte.
»Kommen Sie, junge Dame, ich helfe Ihnen«, sagte Er-
ziraphael, stützte Anathema und führte sie auf die Straße
zurück. »Nichts gebrochen.« Es war eine Feststellung,
keine Frage. Der Engel hatte eine kleine Fraktur festge-
stellt und sofort die Gelegenheit genutzt. Gutes zu tun.

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Ein gutes Omen

»Ihr Licht brannte nicht«, klagte Anathema.


»So wenig wie die Lampe Ihres Fahrrads«, erwiderte
Crowley zerknirscht. »Damit sind wir quitt.«
»Wir haben vermutlich die Sterne beobachtet,
stimmt's?« erkundigte sich Erziraphael und richtete das
Fahrrad auf. Verschiedene Dinge fielen aus dem Korb.
Der Engel deutete auf die Reste des zerbrochenen Theo-
doliten.
»Nein«, sagte Anathema. »Ich meine, ja. Und sehen
Sie nur, was Sie mit meinem armen alten Phaeton ge-
macht haben.«
»Wie bitte?« entgegnete Erziraphael.
»Mein Fahrrad. Alles ist völlig verbogen und...«
»Tja, diese alten Modelle sind erstaunlich wider-
standsfähig, nicht wahr?« sagte der Engel fröhlich und
deutete nach unten. Das Vorderrad glänzte im Mond-
schein und war so rund wie die Kreise der Hölle.
Anathema hob verwundert die Brauen.
Crowley räusperte sich. »Nun, es scheint alles in be-
ster Ordnung zu sein. Mit anderen Worten: Wir können
die Fahrt nach äh. Äh. Sie kennen nicht zufällig den Weg
nach Lower Tadfield, oder?«
Anathemas Blick galt weiterhin ihrem Fahrrad. Sie
konnte sich nicht an die kleine Satteltasche mit dem
Flickzeug erinnern.
»Lower Tadfield?« wiederholte sie. »Folgen Sie ein-
fach der Straße. Ist dies wirklich mein Fahrrad?«
»Oh, natürlich«, antwortete Erziraphael und fragte
sich, ob er vielleicht ein wenig übertrieben hatte.
»Ich bin allerdings sicher, daß Phaeton nie eine Luft-
pumpe hatte.«
Der Engel senkte verlegen den Blick.
»Aber eine Stelle ist dafür vorgesehen«, entgegnete er
hilflos. »Die beiden Haken dort...«
»Diese Straße führt nach Lower Tadfield?« Crowley
stieß den Engel unauffällig in die Rippen.
»Ich glaube, ich habe eine Gehirnerschütterung oder
so was.« Anathema blickte auf Phaeton hinab und
schüttelte den Kopf.
»Wir nähmen Sie natürlich mit«, sagte der Dämon
rasch, »aber leider haben wir keinen Platz für Ihr Fahr-
rad.«
»Abgesehen vom Dachgepäckträger«, warf Erzira-
phael ein.
»Ein Bentley ist mit keinem... Oh! Hmm.«
Erziraphael sammelte die aus dem Korb gefallenen
Gegenstände ein, legte sie in den Fond des Wagens und
half der jungen Frau beim Einsteigen.
»Wir sind zur Nächstenliebe verpflichtet«, wandte er

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Ein gutes Omen

sich an Crowley.
»Du schon. Ich nicht. Außerdem müssen wir uns um
einige wichtige Dinge kümmern.« Der Dämon betrachtete
den neuen Dachgepäckträger und seufzte leise, als er
die Befestigungsriemen mit dem Schottenkaro sah.
Das Fahrrad stieg auf und befestigte sich von ganz
allein. Anschließend nahm Crowley am Steuer Platz.
»Wo wohnen Sie, Teuerste?« fragte Erziraphael betont
freundlich.
»Eigentlich hatte mein Rad gar keine Lampe«, sagte
Anathema. »Ich meine, es hatte eine. Aber sie funktio-
nierte mit zwei Batterien, die schon nach kurzem leer
waren, und deshalb habe ich sie herausgenommen.« Sie
maß Crowley mit einem durchdringenden Blick. »Wis-
sen Sie, ich bin mit einem Brotmesser bewaffnet. Glaube
ich.«
Erziraphael wirkte schockiert.
»Madame, ich versichere Ihnen...«
Crowley schaltete die Scheinwerfer ein. Er brauchte
kein Licht, um zu sehen, aber es sorgte dafür, daß die
Menschen auf den Straßen weniger nervös wurden. Der
Dämon bewegte den Schaltknüppel, ließ vorsichtig die
Kupplung kommen und fuhr an, ohne daß die Räder
durchdrehten. Ein langer Asphaltstreifen schob sich
unter den Bäumen hervor, und nach einigen hundert
Metern erreichten sie Ausläufer eines mittelgroßen Dor-
fes.
Es wirkte irgendwie vertraut. Inzwischen waren elf
Jahre vergangen, aber erste Einzelheiten krochen in
Crowleys Erinnerung zurück.
»Gibt es hier irgendwo ein Krankenhaus, das von
Nonnen geleitet wird?« fragte er.
Anathema zuckte mit den Achseln. »Ich glaube
nicht«, antwortete sie. »Das einzige größere Gebäude
steht auf dem Tadfield Gut. Wer weiß, wozu es dient.«
»Die göttliche Vorsehung«, flüsterte Crowley.
»Und die Gangschaltung«, sagte Anathema. »Mein
Fahrrad hatte keine Gangschaltung. Ja, eine Gangschal-
tung gab es nicht.«
Crowley beugte sich zum Beifahrersitz hinüber.
»O Herr, heil das Rad!« raunte er sarkastisch.
»Tut mir leid«, wisperte Erziraphael. »Es kam einfach
über mich.«
»Mußten es unbedingt Riemen mit Schottenkaro
sein?«
»Schottenkaro ist hübsch. Und modisch.«
Crowley ächzte leise. Wenn sich der Engel aufs zwan-
zigste Jahrhundert besann, blieb er immer in den fünf-
ziger Jahren.

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Ein gutes Omen

»Sie können mich hier absetzen«, sagte Anathema.


»Wie Sie wünschen, werte Dame«, sagte Erziraphael.
Als der Bentley hielt, stieg er sofort aus, öffnete die Hin-
tertür und verbeugte sich so tief, als wollte er den Boden
küssen.
Anathema sammelte ihre Sachen ein und gab sich
möglichst würdevoll.
Ehr Fahrrad stand am Tor - obwohl sie ganz sicher
war, daß niemand am Dachgepäckträger herumhantiert
hatte.
Es waren zwei höchst sonderbare Männer, fand sie.
Erziraphael verneigte sich erneut. »Es freut mich, daß
wir Ihnen behilflich sein konnten«, sagte er.
»Danke«, erwiderte Anathema kühl.
»Können wir jetzt weiter?« drängte Crowley. »Gute
Nacht, Miß. Steig ein, Engel!«
Oh, das erklärt alles, dachte die junge Hexe. Es drohte
mir also überhaupt keine Gefahr.
Sie sah dem Bentley nach, der in Richtung Ortsmitte
fuhr, und schob das Rad den Pfad zum Haus hinauf. Die
Tür war nicht abgeschlossen. Agnes Spinner erwähnte
keinen Einbruch, und ihre Prophezeiungen hatten sich
stets als zutreffend erwiesen, wenn es um persönliche
Dinge ging.
Anathema hatte das Haus möbliert gemietet. Anders
ausgedrückt: Die Einrichtung bestand aus jenen Gegen-
ständen, die man normalerweise nur im Sperrmüll fand.
Nun, das spielte keine Rolle. Die junge Hexe rechnete
nicht damit, sich längere Zeit an diesem Ort aufzuhal-
ten. Sie erwartete gewisse Veränderungen.
Wenn Agnes recht behielt - und daran zweifelte sie
nicht -, standen allen Menschen Veränderungen bevor.
Anathema legte ihre Habseligkeiten auf den wackli-
gen Tisch, breitete die Karte aus und betrachtete sie im
Licht einer nackten Glühbirne.
Was hatte sie in Erfahrung gebracht? Nun, eigentlich
nicht viel. Wahrscheinlich weilte ES im nördlichen Be-
reich des Dorfes - womit sich eine frühere Vermutung
bestätigte. Wenn man zu nahe kam, bewirkte das Signal
störende Interferenzen; wenn man sich zu weit davon
entfernte, konnte man keine Anpeilung mehr vorneh-
men.
Anathema runzelte unwillig die Stirn. Die Antwort
verbarg sich bestimmt irgendwo Im Buch. Allerdings
gab es in diesem Zusammenhang ein nicht unerhebli-
ches Problem: Um die Prophezeiungen zu verstehen,
mußte man wie eine halbverrückte, hochintelligente
Hexe aus dem siebzehnten Jahrhundert denken, deren
Verstand sich am besten mit einem Kreuzworträtsellexi-

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Ein gutes Omen

kon vergleichen ließ. Andere Mitglieder der Familie hat-


ten behauptet, Agnes drücke sich deshalb vage aus,
damit Außenstehende nicht erfuhren, worum es ging.
Nun, Anathema argwöhnte, daß es ihr manchmal ge-
lang, die Denkweise der Prophetin nachzuvollziehen,
und sie kam zu folgendem Schluß: Agnes war eine sture
alte Hexe mit einem besonders verschrobenen Sinn für
Humor.
Sie würde noch nicht einmal...
Das Buch fehlte.
Anathema starrte entsetzt auf den Tisch. Die Karten.
Das divinatorische Meßgerät für Übernatürliches (in ge-
duldiger Arbeit an der thaumaturgischen Werkbank ent-
standen). Die Thermosflasche mit der (recht schmack-
haften) Ich-finde-das-Böse-Brühe. Die Taschenlampe.
Und ein Rechteck aus leerer Luft dort, wo Das Buch
liegen sollte.
Ich habe es verloren! dachte die junge Hexe.
Welch lächerliche Vorstellung! Gerade in Hinsicht auf
Das Buch hatte Agnes immer exakt Auskunft gegeben.
Anathema nahm ihre Taschenlampe und lief nach
draußen.
»Wie soll ich das Gefühl beschreiben?« überlegte Erzira-
phael laut. »Es ist, äh, das Gegenteil von den Emotionen,
die sich in dir regen, wenn du >Hier geht's unheimlich
zu< sagst. Ja. Ah.«
»Ich sage nie >Hier geht's unheimlich zu<«, erwiderte
Crowley. »Ich sage höchstens: >Mann, hier geht's un-
heimlich rund.< Außerdem bin ich fürs Unheimliche.«
»Es ist... es ist...« Der Engel suchte nach einer geeig-
neten Metapher. »Es ist wie ein Leuchtturm, in dem kein
Licht brennt, sondern das Feuer der Liebe. Spürst du
nichts?«
»Du meinst wohl: Siehst du nichts?« Crowley gab
sich fröhlich und gluckste. Es klang nicht sonderlich
überzeugend. »Und die Antwort lautet: Nein, ich sehe
nichts. Vielleicht sollten wir uns ein Schiff besorgen;
dann wiese uns dein Leuchtturm die Richtung.« Er
wurde wieder verdrießlich, was ihm wesentlich leichter
fiel. »Du bist einfach überempfindlich.«
»Das ist mein Job«, sagte Erziraphael. »Engel können
nicht überempfindlich sein.«
»Ich schätze, die Leute in diesem Ort lieben ihre Hei-
mat. Du empfängst nur ihre - wie hast du es vorhin
genannt? - Emanationen.«
»In London habe ich so etwas nie gefühlt«, gab Erzi-
raphael zu bedenken.
»Eben«, sagte Crowley. »Genau darauf wollte ich hin-
aus.« Er hob den Kopf. »He, wir sind am Ziel! Ich erin-

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Ein gutes Omen

nere mich an die steinernen Löwen neben dem Tor.«


Das Scheinwerferlicht des Bentley fiel auf hohe Rho-
dodendronbüsche neben der Zufahrt. Kies knirschte
unter den Reifen.
»Es ist ein bißchen früh, um Nonnen zu besuchen«,
bemerkte Erziraphael skeptisch.
»Unsinn.« Crowley schüttelte den Kopf. »Nonnen
sind dauernd auf den Beinen. Vermutlich liegt's am
Abendgebet. Außerdem bewahren sie sich dadurch die
schlanke Linie. Wer nicht rastet, der nicht dick wird.
Oder so.«
»Das war billig von dir, wirklich billig«, entgegnete
der Engel. »Es gibt keinerlei Grund für diese böswillige
Bemerkung.«
»Jetzt fühl dich doch nicht gleich auf den Schlips ge-
treten! Ich habe dir doch gesagt, das sind welche von
unseren. Nonnen des Satans. Wir brauchten ein Kran-
kenhaus in der Nähe des Luftwaffenstützpunkts, ver-
stehst du?«
»Nicht ganz...«
»Glaubst du etwa, die Frauen amerikanischer Diplo-
maten entscheiden sich für irgendwelche Provinzho-
spitäler mitten im Nichts, um ihre Kinder zur Welt zu
bringen? Oh, es lief alles wie am Schnürchen; niemand
schöpfte Verdacht. Bei Lower Tadfield gibt's einen Luft-
waffenstützpunkt, und die Gattin des Kulturattaches
nahm dort an einem offiziellen Empfang teil. Sie sah
sich die Parade an und spürte, wie die Wehen einsetzen.
Das Lazarett der Basis war natürlich nicht vorbereitet,
und unser Mann sagte: >Ich kann Sie zu einem guten
Krankenhaus fahren; ist nicht weit von hier.< Tja, gute
Organisation.«
»Aber trotzdem lief etwas schief«, warf Erziraphael
selbstgefällig ein. »Die Sache hatte einen Haken. Besser
gesagt: gleich zwei.«
»Es hätte fast geklappt«, entgegnete Crowley scharf
und fühlte sich in seinem höllischen Stolz verletzt.
»Weißt du, das Böse enthält den Keim für die eigene
Zerstörung«, dozierte der Engel. »Es ist letztendlich
negativ, und daher bringt es sich früher oder später
selbst zu Fall, auch dann, wenn es den Sieg zu erringen
scheint. Ganz gleich, wie großartig und gut - bezie-
hungsweise böse - durchdacht und narrensicher der
teuflische Plan ist: Die ihm innewohnende Sündigkeit
muß Satan zwangsläufig einen Strich durch die diaboli-
sche Rechnung machen. Ganz gleich, welche Erfolge die
Hölle zunächst erringt - zum Schluß legt sie sich selbst
unüberwindliche Hindernisse in den Weg. Vorhin hast
du von einem Schiff gesprochen, nicht wahr? Nun gut:

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Ein gutes Omen

Die Flotte der Heimtücke und durchtriebenen Gemein-


heit wird an den Klippen der eigenen Greueltaten zer-
schellen und für immer dem Meer des Vergessens an-
heimfallen.«
Crowley dachte darüber nach. »Nuuhn...«, sagte er
schließlich, von der Rhetorik des Engels beeindruckt.
»In diesem Fall haben wir es nicht mit selbst ausgehobe-
nen Fallgruben zu tun, sondern nur mit durchschnittli-
cher Unfähigkeit. He...«
Der Dämon pfiff leise durch die Zähne.
Vor dem Gutshaus standen Dutzende von Autos, und
es handelte sich nicht um Wagen, wie sie normalerweise
von Nonnen benutzt wurden. Der Bentley war ganz klar
eine Klasse zu niedrig. Die meisten rührten Typenbe-
zeichnungen wie GT oder Turbo in ihren Namen und
hatten Autotelefonantennen auf dem Dach. Kein einzi-
ger schien älter als ein Jahr zu sein.
Crowleys Finger zuckten. Erziraphael heilte Fahrräder
und gebrochene Knochen, und der Dämon sehnte sich
danach, Autoradios zu stehlen und Reifen zu zerste-
chen. Nur mit Mühe widerstand er der Versuchung.
»Sieh mal einer an«, sagte er. »Zu meiner Zeit zwäng-
ten sich die Nonnen zu viert in einen fünfhunderter
Fiat.«
»Hier stimmt was nicht«, kommentierte Erziraphael.
»Vielleicht nehmen sie nur noch Privatpatienten auf«,
bemerkte Crowley.
»Oder dies ist der falsche Ort.«
»Nein, wir sind hier richtig. Ganz bestimmt. Komm!«
Sie stiegen aus. Dreißig Sekunden später schoß je-
mand auf sie. Und traf.
Mary Hodges (früher Maria Redeviel) offenbarte ein er-
staunliches Talent, wenn es darum ging, Anweisungen
entgegenzunehmen und auszuführen. Sie mochte Be-
fehle. Ihrer Meinung nach gestalteten sie die Welt weit-
aus einfacher und übersichtlicher.
Veränderungen gefielen ihr weitaus weniger. Im
Schwatzhaften Orden der Heiligen Beryll hatte sie sich
sehr wohl gefühlt. Zum erstenmal in ihrem Leben fand
sie Gelegenheit, Freundschaften zu schließen. Zum er-
stenmal in ihrem Leben bekam sie ein eigenes Zimmer.
Sie wußte natürlich, daß sich der Orden mit Dingen be-
schäftigte, die man böse und schlimm nennen konnte,
wenn man sie aus einem bestimmten Blickwinkel be-
trachtete. Aber in dreißig Jahren hatte Mary Hodges
viele einschlägige Erfahrungen gesammelt und machte
sich keine Illusionen mehr darüber, wie es ein großer
Teil der Menschheit von dieser Woche bis zur nächsten
schaffte. Außerdem: Das Essen war in Ordnung, und es

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Ein gutes Omen

ergaben sich immer Möglichkeiten, interessante Leute


kennenzulernen.
Nach dem Feuer verließen die Nonnen ihr Heim in
Lower Tadfield - sie hatten ihre Aufgabe erfüllt und gin-
gen getrennte Wege. Bis auf eine.
Mary Hodges war noch nicht gegangen. Sie meinte,
jemand müsse bleiben und die Instandsetzungsarbeiten
beaufsichtigen. Heutzutage könne man Handwerker
nicht mehr alleinlassen, führte sie aus und wies darauf
hin, die faulen Burschen würden nur dann arbeiten,
wenn man ihnen (um eine geläufige Redensart zu be-
nutzen) ständig auf den Pelz rücke. Es bedeutete natür-
lich, daß sie ihren Eid brechen mußte, aber Mutter Obe-
rin meinte, das sei völlig in Ordnung und sie brauche
sich deshalb keine Sorgen zu machen. In einer schwar-
zen Schwesternschaft gebe es nichts dagegen einzuwen-
den, sich über Gelöbnisse hinwegzusetzen. In hundert
Jahren - besser gesagt: in elf Jahren - spiele das alles
ohnehin keine Rolle mehr. Die Oberin wünschte Mary
Hodges viel Glück und gab ihr sowohl die Übertra-
gungsurkunde für das Anwesen als auch eine Adresse,
zu der die Post geschickt werden sollte, außer wenn es
Briefe vom Finanzamt wären.
Dann passierte etwas Seltsames. Als sie allein im
Hauptgebäude weilte, nur umgeben von nackten Wän-
den und verstaubten Männern, die Meißel und Hämmer
schwangen oder an Betonmischmaschinen warteten, die
sich Zigarettenstummel hinter die Ohren klemmten und
höchst eigentümliche Taschenrechner handhabten, die
zu ganz anderen Ergebnissen kamen, wenn das Geld auf
die Hand gezahlt wurde - als dies alles geschah, machte
die ehemalige Schwester Maria Redeviel eine bemer-
kenswerte Entdeckung.
Unter der dicken Patina aus Naivität, Routine und
Gefallsucht fand sie eine Person namens Mary Hodges.
Es fiel ihr überraschend leicht. Kostenvoranschläge
von Architekten zu interpretieren und die Mehrwert-
steuer zu berechnen. Sie besorgte sich einige Bücher aus
der Bibliothek, befaßte sich mit dem Finanzwesen und
stellte fest, daß es sowohl faszinierend als auch unkom-
pliziert war. Sie las keine Frauenmagazine mehr, die von
Liebe, Romantik und Stricken berichteten. Statt dessen
las sie Frauenmagazine, in denen es um Orgasmen ging.
Mary Hodges nahm sich vor, irgendwann einmal einen
Orgasmus zu haben, falls sich eine entsprechende Ge-
legenheit bieten sollte, aber abgesehen davon erachtete
sie die neue Lektüre als Liebe, Romantik und Stricken in
einer anderen Form. Woraufhin sie sich mit Fachzeit-
schriften beschäftigte, die detaillierte Auskunft über Fu-

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Ein gutes Omen

sionen, Inflationsraten und tendenzielles Wirtschafts-


wachstum gaben.
Nach gründlichem Überlegen betrat sie ein Geschäft
in Norton, sprach mit einem amüsierten jungen Verkäu-
fer und entschied sich für einen leistungsfähigen kleinen
Computer. Drei arbeitsreiche Tage später brachte sie ihn
zurück. Der junge Mann rechnete mit Beschwerden wie
>Das Ding funktioniert überhaupt nichts und er hatte
sich bereits eine passende Antwort zurechtgelegt: >0h,
wissen Sie, dieser Stecker hier gehört in die nächste
Steckdose, und außerdem müssen Sie das Gerät ein-
schalten. < Doch Mary Hodges beklagte das Fehlen eines
mathematischen 80387-Coprozessors. Diesen Begriff
verstand der Verkäufer noch (er hielt sich für einen Ex-
perten und war mit langen Worten vertraut), aber an-
schließend wurden die Bemerkungen der Kundin
immer rätselhafter. Mary Hodges zeigte ihm andere Ma-
gazine. Fast alle Titel enthielten irgendwo die beiden
Buchstaben >PC<, und viele Artikel waren mit rotem
Filzstift markiert.
Mary Hodges las über Neue Frauen. Bisher hatte sie
gar nicht gewußt, daß sie zu der Kategorie Alte Frauen
gehörte, und nach einer Weile gelangte sie zu einer zu-
sätzlichen Erkenntnis: Selbst wer Neue von Alten Frauen
unterschied, kam irgendwann auf Liebe, Romantik,
Stricken und Orgasmus zu sprechen. Es kam schlicht
und einfach darauf an, das eigene Ich zu entfalten und
mit aller Seelenkraft die sogenannte Selbstverwirkli-
chung anzustreben. Nun, Mary Hodges hatte immer
den Wunsch verspürt, sich in Schwarz und Weiß zu klei-
den, und es schien überhaupt nicht problematisch zu
sein, ihrer neuen Rolle gerecht zu werden. Sie brauchte
nur den Saum des Kleides zu heben, Schuhe mit höhe-
ren Absätzen zu wählen und auf den Nonnenschleier zu
verzichten.
Als sie eines Tages in mehreren Fachzeitschriften blät-
terte, die moderne Psychologie mit modernen Wirt-
schaftswissenschaften und modernen Methoden zur
Steigerung individueller Effizienz verbanden, erfuhr sie
von einer Marktlücke: Das Management im ganzen
Land suchte ständig nach großen Gebäuden und noch
größeren Anwesen, die sich für Schulungskurse eigne-
ten. Mary Hodges nutzte die Gunst der Stunde. Im
Namen des neugegründeten Unternehmens >Konferenz-
und Ausbildungszentrum für Führungskräfte< bestellte
sie Briefpapier und Prospekte. Sie war fest davon über-
zeugt, sich das notwendige Wissen aneignen zu können,
bis die Druckerei lieferte.
Eine Woche später gab sie die ersten Anzeigen und In-

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Ein gutes Omen

serate auf.
Sie erzielte einen überwältigenden Erfolg. In ihrer
neuen Karriere als Sie Selbst begriff Mary Hodges schon
nach kurzer Zeit, daß die Schulung von Managern und
Geschäftsführern keineswegs bedeutete, langweilige
Vorträge mit Hilfe von unzuverlässigen Diaprojektoren
zu halten. Nein, heutzutage verlangten die Finnen weit-
aus mehr.
Die ehemalige Satanistin erfüllte ihre Erwartungen.
Crowley sank zu Boden und lehnte sich an eine Statue.
Erziraphael stolperte rückwärts und fiel in einen Rhodo-
dendronbusch. Ein dunkler Fleck zeigte sich auf seiner
Jacke.
Der Dämon spürte klebrige Nässe am Hemd.
Das ist doch absurd, fuhr es ihm durch den Sinn. Ge-
rade unter den derzeitigen Umständen lag ihm nichts
daran, erschossen zu werden. Er fragte sich, wie er sein
Ableben erklären sollte. Die Hölle gab einem nicht ein-
fach einen neuen Körper; sie wollte genau wissen, was
man mit dem alten angestellt hatte. Haben Sie schon
einmal versucht, sich einen Kugelschreiber aus der Ab-
teilung für Büromaterial zu besorgen? Kennen Sie die
Formulare zur Beantragung von Schreibutensilien (drei-
fache Ausfertigung)? Nun, dann wissen Sie Bescheid.
Ungläubig starrte er auf seine Hand herab.
Dämonen können natürlich selbst bei völliger Finster-
nis sehen. So etwas gehört zu ihrer Ausstattung mit
teuflischen Gaben. Crowley betrachtete gelbe Finger.
Aha, dachte er. Gelbes Blut.
Vorsichtig leckte er einen Finger ab.
Dann kroch er zu Erziraphael hinüber und besah sich
Jacke und Hemd des Engels. Wenn die Flecken von Blut
stammten, spielte die Biologie verrückt.
»Oh, das tat weh«, stöhnte Erziraphael. »Es hat mich
direkt unter den Rippen erwischt.«
»Ja, aber was ich wissen möchte: Fließt in deinen
Adern blaues Blut?«
Erziraphael öffnete die Augen. Er klopfte sich mit der
rechten Hand auf die Brust. Er richtete sich auf. Er
führte die gleiche gerichtsmedizinische Untersuchung
durch wie zuvor Crowley.
»Farbe?« fragte er.
Der Dämon nickte.
»Was geht hier vor?« murmelte der Engel.
»Keine Ahnung«, brummte Crowley. »Wahrscheinlich
ist es irgendein Spiel. Und es heißt vermutlich >Ihr Blö-
den Narren<.« Crowleys Tonfall machte deutlich, daß er
ebenfalls spielen und es mühelos mit allen anderen Teil-
nehmern aufnehmen konnte.

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Ein gutes Omen

Ein Spiel, ja. Und es machte einen Riesenspaß. Nigel


Tompkins, Abteilungsleiter (Einkauf) schob sich vor-
sichtig durchs Dickicht. Voller Begeisterung dachte er an
die besten Szenen der besseren Clint Eastwood-Filme.
Und ich habe geglaubt, Managementschulungen seien lang-
weilig ...
Zuerst fand tatsächlich ein Vortrag statt, aber da-
bei ging es um Farbpistolen und gewisse Dinge, die
man nicht damit anstellen sollte. Tompkins musterte
seine erwartungsvollen Kollegen und erahnte ihre Ent-
schlossenheit, alle Möglichkeiten der Dies-ist-verboten-
Liste zu nutzen. Er teilte ihre Einstellung. Wenn man
immer wieder zu hören bekam, im Geschäftswesen
gehe es zu wie in einem Dschungel, und wenn einem
dann jemand eine Pistole in die Hand drückte... Wer
begnügte sich damit, auf Hemden oder Hosenbeine zu
zielen? Viel angenehmer war die Vorstellung, den Kopf
des Chefs als Trophäe über dem heimischen Kamin
aufzuhängen.
Außerdem kursierten einige aufregende Gerüchte.
Um nur ein Beispiel zu nennen: Jemand von United
Consolidated hatte einige hohe Hindernisse aus dem
Pfad seiner Beförderung geräumt, indem er aus dem
Hinterhalt auf seinen unmittelbaren Vorgesetzten an-
legte und ihm einen Farbklecks auf das linke Ohr
knallte. Anschließend klagte der entsprechende Mann
bei wichtigen Besprechungen darüber, ständig von
einem seltsamen Piepen gestört zu werden. Es dauerte
nicht lange, bis man Rücksicht auf seine angeschlagene
Gesundheit nahm und ihn mit weniger anstrengenden
Aufgaben betraute.
Tompkins dachte an seine Schulungskollegen. Sie alle
kämpften mit der Gewißheit, daß nur einer von ihnen
der Chef von Industrial Holdings (Holding) PLC wer-
den konnte und daß dieser Job wahrscheinlich an den
härtesten Mann gehen würde.
Die junge Frau aus der Personalabteilung (sie hielt
ständig ein Klemmbrett in der Hand und machte sich
Notizen) wies natürlich immer wieder darauf hin, die
Schulung diene dazu. Führungspotential herauszubil-
den sowie Eigeninitiative und Zusammenarbeit in
Gruppen zu fördern. Ihre Zuhörer nickten und vermie-
den es, sich anzusehen.
Bisher lief alles bestens. Das Kanufahren in Strom-
schnellen hatte Johnstone aus dem Rennen gewor-
fen (gerissenes Trommelfell), und das Bergsteigen in
Wales genügte, um Whittaker zu eliminieren (Leisten-
bruch).
Tompkins lud seine Waffe mit einem weiteren Farbge-

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Ein gutes Omen

schoß und murmelte die Weisheiten des Managements:


»Füg es den anderen zu, bevor sie es dir zufügen. Töte
oder werde getötet. Jetzt oder nie. Der Sieg der Besten.
Bring mir Glück.«
Lautlos näherte er sich den beiden Gestalten vor der
Statue. Sie schienen ihn nicht zu bemerken.
Als er den letzten Busch erreichte, holte Tompkins tief
Luft und sprang hinter der Deckung hervor.
»Na schön, ihr Mistkerle, jetzt geht es euch an den
aaaahhhh...«
Wo eben noch einer der beiden Männer gestanden
hatte, bewegte sich jetzt etwas Grauenhaftes. Tompkins
fiel ihn Ohnmacht.
Crowley wurde wieder zu einem ganz normalen
menschlichen Dämon.
»Eigentlich verabscheue ich so etwas«, sagte er. »Ich
habe immer Angst, mich nicht zurückverwandeln zu
können. Außerdem kann man dadurch einen guten
Anzug ruinieren.«
»Ich glaube, das mit den Maden war ein wenig über-
trieben«, erwiderte Erziraphael, aber es klang nicht
sehr vorwurfsvoll. Engel mußten gewisse moralische
Grundsätze achten, und aus diesem Grund zog er es
vor, Kleidung zu kaufen, anstatt sie (wie Crowley) ein-
fach herbeizuzaubern. Sein Hemd war recht teuer gewe-
sen.
»Ich meine, sieh es dir nur an«, fügte er hinzu. »Die-
sen Fleck kriegt man auch nicht mit dem besten Wasch-
mittel weg.«
»Laß ihn mit einem kleinen Wunder verschwinden«,
schlug Crowley vor, blickte sich argwöhnisch um und
hielt nach weiteren ehrgeizigen Managern Ausschau.
»Aber tief in meinem Innern wüßte ich die ganze Zeit
über, daß mein Hemd einen Heck hatte.« Der Engel
nahm die Pistole, drehte sie hin und her.
»Ein solches Modell habe ich noch nie zuvor gese-
hen«, sagte er.
Irgend etwas zischte leise, und die Statue neben ihnen
verlor ein Ohr.
»Wir sollten den Garten verlassen«, brummte Crow-
ley. »Hier treiben sich noch andere Burschen herum.«
»Das ist ja eine seltsame Pistole. Höchst sonderbar.«
»Ich dachte immer, du hältst nichts von derartigen
Dingen«, sagte Crowley. Er nahm die Waffe entgegen
und blickte am kurzen Lauf entlang.
»Nun, inzwischen neigt der Himmel dazu, sie nicht
mehr aus prinzipiellen Gründen zu verurteilen«, erwi-
derte Erziraphael. »Sie können moralischen Argumen-
ten den nötigen Nachdruck verleihen. Wenn sie sich in

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Ein gutes Omen

der richtigen Hand befinden.«


»Ach, tatsächlich?« Die Finger des Dämons tasteten
schlangenartig übers Metall. »Na schön. Dann komm
jetzt.«
Er ließ die Pistole auf den immer noch ohnmächtigen
Tompkins fallen und marschierte über den feuchten
Rasen.
Die breite Eingangstür des großen Gebäudes war
nicht verschlossen. Crowley und Erziraphael betraten
den Flur und entdeckten einige untersetzte junge Män-
ner. Sie saßen im einstigen Refektorium des Schwatz-
haften Ordens, trugen militärische Overalls (mit Farb-
flecken) und tranken Kakao. Einige winkten den beiden
Neuankömmlingen fröhlich zu.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Saals stand nun
ein recht beeindruckend und geschäftsmäßig wirken-
der Empfangstresen. Daneben bemerkte Erziraphael ein
Aluminiumgestell, das ein großes Schild trug.
Kleine Plastikbuchstaben bildeten folgende Worte:
20. und 21. August - Holdings [Holdings]; einführende
Kampfschulung.
Crowley griff unterdessen nach einem Werbepro-
spekt. Es enthielt bunte Bilder des Anwesens, pries die
Sauna und den überdachten, beheizten Swimmingpool.
Die Rückseite bot dem aufmerksamen Betrachter eine
für jedes Konferenzzentrum typische Karte dar. Sie
wissen schon: Der Maßstab ist auf raffinierte Art und
Weise falsch, um darauf hinzuweisen, daß man den Ort
von jeder Autobahnausfahrt in Großbritannien erreichen
kann. Das Labyrinth aus schmalen, kurvenreichen Land-
straßen auf allen Seiten wird taktvoll verschwiegen.
»Das falsche Haus?« fragte Erziraphael.
»Nein.«
»Die falsche Zeit?«
»Ja.« Crowley blätterte in der Broschüre und hoffte
entgegen aller teuflischen Vernunft, irgendeinen Hin-
weis auf den Schwatzhaften Orden der Heiligen Beryll
zu finden. Wahrscheinlich waren die Nonnen unmittel-
bar nach dem Austausch der Babys aufgebrochen, um
sich an einem anderen Ort niederzulassen - immerhin
hatten sie ihre Pflicht erfüllt. Crowley zischte leise und
stellte sich vor, wie Mutter Oberin und ihre Gefährtin-
nen durch Südamerika zogen und versuchten, Christen
zu bekehren. Wie dem auch sei... Manchmal gab es in
solchen Werbeprospekten eine kurze historische Über-
sicht. Wer Konferenz- und Schulungszentrum für ein
Wochenende mietete, um dort Interaktive Personalana-
lysen und Strategische Marketing-Planungen stattfinden
zu lassen, fand Gefallen an der Vorstellung, daß sich

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Ein gutes Omen

genau das gleiche Gebäude (sah man von mehreren


Totalrenovierungen, einem Bürgerkrieg und zwei mittel-
schweren Feuersbrünsten ab) im Besitz eines elisabetha-
nischen Finanziers befunden hatte, der es in einem aku-
ten Anfall von Großzügigkeit stiftete, woraufhin es zu
einem Seuchenlazarett umfunktioniert wurde.
Sätze wie >Bis vor elf Jahren diente das Gut als Kloster
für einen Orden satanischer Nonnen, die eigentlich gar
nicht so böse waren und sich nur darauf beschränkten,
ein neugeborenes Kind gegen den Antichristen auszu-
tauschen fehlten in der Werbeschrift.
Ein dicklicher Mann - er trug einen beigefarbenen
Tamanzug, wie er sich für Wüsten eignete - näherte sich
Erziraphael und Crowley.
»Wer gewinnt?« fragte er kameradschaftlich und
trank Kaffee aus einem Plastikbecher. »Wissen Sie, der
junge Evanson von Entwurf und Entwicklung hat mir
ein Ding am Ellbogen verpaßt.«
»Wir verlieren alle«, erwiderte Crowley geistesabwe-
send.
Draußen knallte es, und es klang überhaupt nicht
nach Hochgeschwindigkeitsfarbklecksen. Es war viel-
mehr das unheilverkündende Donnern von aerodyna-
misch geformtem Blei, das sich extrem schnell bewegte.
Kurz darauf ertönte ein neuerliches Peng-peng.
Die ausgeschiedenen Soldaten starrten sich groß an.
Einmal mehr krachte es, und ein ziemlich häßliches vik-
torianisches Fenster neben der Tür splitterte. Dicht über
Crowleys Kopf bildete sich ein Loch in der Wand. Mör-
tel rieselte herab.
Erziraphael griff nach dem Arm des Dämonen.
»Was zum Teufel bedeutet das?« fragte er scharf.
Crowley grinste wie eine Schlange.
Nigel Tompkins kam mit leichten Kopfschmerzen und
einer Gedächtnislücke zu sich. Was er nicht wußte:
Wenn ein bestimmter Anblick so schrecklich ist, daß der
Mensch ihn nicht ertragen kann, entwickelt das Gehirn
die erstaunlich gute Fähigkeit des schnellen Vergessens.
Also schob er es auf einen Kopftreffer durch ein Farbge-
schoß.
Er spürte, daß seine Waffe ein wenig schwerer war als
vorher, aber er machte sich keine Gedanken darüber -
bis er auf Norman Wethered (Innenrevision) anlegte
und abdrückte.
»Ich begreife gar nicht, warum du so schockiert bist«,
sagte Crowley. »Er wollte eine echte Knarre. Er wünschte
sie sich von ganzem Herzen.«
»Aber er stellt eine enorme Gefahr für all die hilflosen
Leute im Garten dar!« protestierte Erziraphael.

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Ein gutes Omen

»Oh, ich glaube, da irrst du dich«, erwiderte der


Dämon. »Die übrigen Kursus-Teilnehmer sind keines-
wegs hilflos ...«
Das Kontingent von Kalkulation und Kostenrechnung
lag flach auf dem Bauch. Die Männer lächelten - aber
nicht mehr ganz so fröhlich wie vorher.
»Ich habe immer gesagt, daß man den Typen vom
Einkauf nicht trauen kann«, knurrte der stellvertretende
Abteilungsleiter. »Es sind verdammte Hurensöhne, ja-
wohl.«
Eine Kugel prallte von der Wand über ihm ab.
Rasch kroch er zu der kleinen Gruppe, die sich vor
dem reglosen Wethered eingefunden hatte.
»Wie sieht's aus?« fragte er.
Der stellvertretende Leiter der Lohnbuchhaltung
schürzte besorgt die Lippen. »Nicht sehr gut«, entgeg-
nete er. »Das Geschoß hat fast alle durchschlagen:
Access, Barclaycard, Diners Club und so weiter.«
»Ich verdanke mein Leben der American Express
Gold«, fügte Wethered hinzu.
Stumm und erschrocken starrten sie auf die traurigen
Reste einer mit Kreditkarten gefüllten Brieftasche herab.
Die Kugel hatte sie fast völlig zerfetzt.
»Was hat der Einkauf gegen uns?« jammerte ein
Lohnbuchhalter.
Norman Wethered, Leiter der Innenrevision, setzte zu
einer vernünftigen Antwort an, überlegte es sich dann
aber anders und klappte den Mund wieder zu. Jeder
Mensch rastet aus, wenn man ihn zu sehr belastet, und
bei diesem Mann war es gerade soweit. Zwanzig Jahre
in einem langweiligen Job. Er hatte Produktdesigner
werden wollen, doch von einem solchen Beruf hatte
man damals noch nichts gehört. Seit zwanzig Jahren
verbrachte er acht Stunden am Tag damit, BF 18-Formu-
lare auf fehlerhafte Einträge zu prüfen. Seit zwanzig Jah-
ren mußte er sich mit einem Taschenrechner begnügen,
obgleich man selbst in der Abteilung Entwurf und Ent-
wicklung Computer verwendete. Und jetzt schoß man
auf ihn - wahrscheinlich hatte es irgend etwas mit Reor-
ganisation, Rationalisierung und Einsparung der Kosten
für vorzeitige Pensionierung zu tun.
Hinter seinen Augen marschierten die Truppen der
Paranoia auf.
Er betrachtete seine eigene Waffe. Durch einen Ne-
bel aus Zorn und Verwunderung sah er, daß sie größer
und dunkler war als jenes Exemplar, das er zu Beginn
des Kampfkurses erhalten hatte. Außerdem schien sie
schwerer zu sein.
Er zielte auf einen nahen Busch und beobachtete, wie

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Ein gutes Omen

ein Kugelhagel Blätter und Zweige zerfetzte.


Nun gut. Die Spielregeln hatten sich geändert. Und
irgend jemand mußte gewinnen.
Er rückte seinen Leuten zu.
»In Ordnung, Jungs«, sagte er. »Der Einkauf wird sein
blaues Wunder erleben.«
Kugeln flogen durch die Nacht.
Jonathan Parker (Einkauf) kroch durch die Büsche, als
sich ihm plötzlich ein Arm um den Hals schlang.
Nigel Tompkins spuckte einige Rhododendronblätter.
»Die üblichen Vorschriften gelten nicht mehr«, sagte
er und lächelte, wodurch sich dünne Falten in den
Schlammkrusten auf seinen Wangen bildeten. »Ich habe
sie gerade außer Kraft gesetzt. Hiermit.«
Er hob die Waffe.
»Das war ziemlich gemein von dir«, sagte Erziraphael,
als sie durch den leeren Flur gingen.
»Was habe ich denn getan?« erwiderte Crowley und
stieß Türen auf. »Na, was schon?«
»Dort draußen schießen Menschen aufeinander!«
»Na und? Sie brauchen keine Hilfe dabei. Sie kommen
bestens allein zurecht. Sie wollen aufeinander schießen.
Ich habe ihnen nur die Möglichkeit dazu gegeben. Stell
dir den Garten als einen Mikrokosmos vor, in dem jeder
einen freien Willen hat. Du legst doch solchen Wert auf
Unerfindlichkeit.«
Erziraphael bedachte ihn mit einem durchdringenden
Blick.
»Schon gut, schon gut.« Crowley seufzte. »Es stirbt
niemand. Das verspreche ich dir. Jeder kommt durch ein
kleines Wunder mit dem Leben davon. Andernfalls
würde die Sache gar keinen Spaß machen.«
Erziraphael entspannte sich und strahlte. »Weißt du,
Crowley, ich habe immer gewußt, daß du tief in deinem
Innern überhaupt nicht richtig bö...«
»Schon gut, schon gut!« entfuhr es Crowley. »Warum
brüllst du es nicht gleich in die ganze Welt hinaus?«
Nach einer Weile bildeten sich erste Bündnisse. Die mei-
sten Abteilungen, die irgend etwas mit Geld zu tun hat-
ten, stellten gemeinsame Interessen fest und rückten
gegen die Männer von Entwurf und Entwicklung vor.
Als der erste Streifenwagen eintraf, jagten sechzehn
Kugeln aus verschiedenen Richtungen heran und trafen
die Kühlerhaube, bevor das Auto die Zufahrt erreichte.
Zwei weitere Geschosse rissen die Funkantenne vom
Dach. Aber es war bereits zu spät...
Mary Hodges legte gerade den Telefonhörer auf, als
Crowley und Erziraphael ihr Büro betraten.

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Ein gutes Omen

»Bestimmt Terroristen«, entfuhr es der ehemaligen


Satanistin. »Oder Wilderer.« Sie musterte die beiden
Männer. »Sie sind von der Polizei, nicht wahr?«
Crowley beobachtete, wie sich ihre Augen langsam
weiteten.
Wie alle Dämonen hatte Crowley ein gutes Personen-
gedächtnis. Inzwischen waren elf Jahre vergangen, aber
er kannte die frühere Maria Redeviel sofort wieder - ob-
gleich sie inzwischen keinen Nonnenschleier mehr trug
und dezentes Make-up aufgetragen hatte. Er schnippte
mit den Fingern, und Mary Hodges entspannte sich. Sie
lehnte sich zurück und lächelte freundlich.
»Das war nicht nötig«, sagte Erziraphael.
»Guten«, - Crowley warf einen Blick auf seine Arm-
banduhr -, »Morgen, Ma'am«, sagte er in einem melodi-
schen Singsang. »Wir sind zwei übernatürliche Wesen
und möchten gern wissen, wo sich der Antichrist berin-
det.« Er wandte sich an den Engel. »Soll ich sie aus der
Trance wecken, damit du sie fragen kannst?«
»Nun, da du schon einmal begonnen hast...«, erwi-
derte Erziraphael langsam.
»Manchmal sind die alten Methoden die besten«, be-
hauptete Crowley. Er sah die geduldig wartende Frau an.
»Waren Sie hier vor elf Jahren als Nonne tätig?« fragte
er.
»Ja«, sagte Mary.
»Na bitte!« triumphierte der Dämon. »Siehst du, Erzi?
Wir sind am richtigen Ort.«
»Ein reiner Glückfall«, murmelte der Engel.
»Damals nannten Sie sich Schwester Geschwätzig
oder so, stimmt's?«
»Redeviel«, erwiderte Mary Hodges mit hohl klingen-
der Stimme.
»Erinnern Sie sich an einen Zwischenfall, der den, äh,
Austausch von zwei Neugeborenen betraf?« erkundigte
sich Crowley.
Mary Hodges zögerte. Sie öffnete die verstaubten Ak-
tenschränke in ihrem Gedächtnis, griff mit mentalen
Händen nach vergilbten Schnellheftern und begann zu
blättern.
»Ja«, sagte sie schließlich.
»Besteht die Möglichkeit, daß beim Austausch irgend
etwas schiefging?«
»Ich weiß es nicht.«
Crowley überlegte.
»Sicher gibt es Aufzeichnungen«, fuhr er fort. »Proto-
kolle und Dokumente. Etwas in dieser Richtung. Heute

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Ein gutes Omen

findet nichts statt, ohne daß Aufzeichnungen angefertigt


werden.« Er sah Erziraphael an und hob stolz den Kopf.
»Eine meiner besten Ideen.«
»O ja«, bestätigte Mary Hodges.
»Und wo sind sie?« fragte der Engel zuckersüß.
»Kurz nach dem Tausch der beiden Kinder brach ein
Feuer aus.«
Crowley stöhnte auf, hob die Arme und ließ sie wie-
der sinken. »Hasturs Werk, nehme ich an«, brummte er.
»Entspricht ganz seinem Stil. Was soll man von solchen
Typen halten? Vermutlich glaubt er sogar, unerhört de-
ver gewesen zu sein.«
»Erinnern Sie sich an irgendwelche Einzelheiten in
bezug auf den anderen Jungen?« fragte Erziraphael.
»Ja.«
»Erzählen Sie mir davon.«
»Er hatte hübsche kleine Zehilein.«
»Oh.«
»Und er war wirklich bezaubernd«, fügte Mary Hod-
ges verträumt hinzu.
Draußen heulte eine Sirene und verstummte jäh, als
sie von einer Kugel getroffen wurde. Erziraphael gab
Crowley einen Stoß.
»Beeil dich!« raunte er. »Gleich wimmelt's hier von
Polizisten, und ich bin natürlich moralisch verpflichtet,
ihnen bei den Ermittlungen zu helfen.« Er dachte kurz
nach. »Vielleicht kann sie uns mitteilen, ob in jener
Nacht noch ein anderes Kind zur Welt kam und...«
Im Erdgeschoß erklang das Geräusch hastiger
Schritte.
»Halt sie auf!« bat Crowley. »Wir brauchen mehr
Zeit!«
»Mit einem weiteren Wunder laufen wir Gefahr, die
Aufmerksamkeit des Himmels zu wecken«, wandte Er-
ziraphael ein. »Wenn du unbedingt möchtest, daß sich
Gabriel oder sonst jemand fragt, warum vierzig Polizi-
sten von einem Augenblick zum anderen eingeschlafen
sind...«
»Na schön«, entgegnete Crowley. »Machen wir
Schluß. Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als von
hier zu verschwinden.«
Erziraphael trat an die ins Leere starrende Nonne
heran. »Sie erwachen in dreißig Sekunden und erinnern
sich dann an einen angenehmen Traum Ihrer Wahl.
Sie ...«
»Ja, ja, in Ordnung«, drängte Crowley. »Können wir
jetzt gehen?«
Niemand schenkte ihnen Beachtung, als sie das Ge-
bäude verließen. Die Polizei war viel zu sehr damit

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Ein gutes Omen

beschäftigt, vierzig adrenalintrunkene und kampfbegei-


sterte Abteilungsleiter, Geschäftsführer und Manager zu
verhaften. Drei Transportwagen hatten tiefe Reifen-
spuren im Rasen hinterlassen, und Erziraphael forderte
Crowley auf, dem ersten Ambulanzwagen Vorfahrt zu
gewähren. Kurz darauf verschwand der schwarze Bent-
ley in der Nacht. Hinter ihm blieben das in Rammen
stehende Gartenhaus und der brennende Aussichtsturm
zurück.
»Wir haben die arme Frau einer schrecklichen Situa-
tion überlassen«, sagte der Engel.
»Glaubst du?« fragte Crowley und versuchte vergeb-
lich, einen Igel zu überfahren. »Ich wette, von jetzt an
hat sie praktisch ständig ein volles Haus. Wenn sie die
Werbetrommel rührt, alle notwendigen Verzichtserklä-
rungen bekommt und sich auch ansonsten rechtlich ab-
sichert. Initiative-Training mit echten Waffen? Meine
Güte, die Manager werden bei ihr Schlange stehen.«
»Warum bist du immer so zynisch?«
»Das weißt du doch - es ist mein Job.«
Eine Zeitlang fuhren sie schweigend. »Eigentlich
sollte sich Satans Sohn irgendwie zu erkennen geben«,
sagte Erziraphael nach einer Weile. »Sicher gibt es eine
Möglichkeit, ihn zu orten.«
»Mag sein. Aber nicht für uns. Er tarnt sich. Vielleicht
weiß er es nicht einmal, aber seine Macht schützt ihn
vor neugierigen okkulten Kräften.«
»Vor okkulten Kräften?«
»Damit meine ich uns beide«, erklärte Crowley.
»Ich bin nicht okkult«, sagte Erziraphael. »Es gibt
keine okkulten Engel. Wir sind ätherisch.«
»Was auch immer«, erwiderte Crowley, zu besorgt,
um sich zu streiten.
»Wie können wir ihn finden?« fragte der Engel.
Der Dämon hob die Schultern. »Keine Ahnung.
Glaubst du vielleicht, in dieser Hinsicht hätte ich große
Erfahrung? Der Weltuntergang geschieht nur einmal.
Man bekommt kaum Gelegenheit, vorher zu üben,
damit keine Pannen passieren.«
Erziraphael beobachtete die vorbeihuschenden Hek-
ken.
»Alles wirkt so friedlich«, sagte er. »Wie stellst du dir
das Ende vor?«
»Nun, ein weltweiter Atomkrieg schien zu den belieb-
testen Möglichkeiten zu gehören. Aber derzeit sind die
hohen Tiere in Osten und Westen bemerkenswert nett
zueinander.«
»Vielleicht stürzt ein großer Asteroid auf die Erde«,
überlegte Erziraphael laut. »Es wäre eine recht moderne

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Ein gutes Omen

Version des Jüngsten Tages. Man lasse ihn in den Indi-


schen Ozean fallen... Wasserdampf und Staub bilden
einen dichten Mantel um den Planeten, und die höheren
Lebensformen haben überhaupt keine Chance.«
»Donnerwetter«, murmelte Crowley und achtete dar-
auf, die Geschwindigkeitsbegrenzung zu überschreiten.
Selbst die kleinsten Sünden halfen dem Bösen.
»Ziemlich üble Sache, nicht wahr?« Erziraphael
stöhnte leise.
»Alle höheren Lebensformen?«
»Ja.«
»Einfach so zum Teufel?« vergewisserte sich Crowley.
»Ich schätze, ein Teil kommt in den Himmel.«
»Schrecklich.«
»Ja.«
»Anschließend gibt's nur noch Staub und Fundamen-
talisten«, sagte der Dämon.
»Das finde ich keineswegs lustig.«
»Tut mir leid. Konnte der Versuchung nicht widerste-
hen.« Sie blickten auf die Straße.
»Vielleicht irgendwelche Terroristen ...?« begann Erzi-
raphael.
»Keine von unseren«, sagte Crowley.
»Unsere kommen ebensowenig in Frage.« Erziraphael
fügte hinzu: »Wobei natürlich festgestellt werden muß,
daß unsere Terroristen nicht etwa Terroristen sind, son-
dern Freiheitskämpfer.«
»Ich mache dir einen Vorschlag«, brummte Crowley,
gab Gas und zierte die Umgehungsstraße von Tadfield
mit zwei schwarzen Streifen aus abgeriebenem Gummi.
»Wird Zeit, daß wir die Karten offen auf den Tisch
legen. Ich nenne dir die Namen unserer Einsatzagenten,
wenn du mir sagst, wer für euch arbeitet.«
»Einverstanden. Du zuerst.«
»Nein. Zuerst du.«
»Aber du bist ein Dämon.«
»Ja, ein Dämon, der dir gerade sein Ehrenwort gibt.«
Erziraphael nannte fünf bekannte Politiker, Crowley
sogar sechs. Drei Namen erschienen auf beiden Listen.
Crowley schnitt eine Grimasse. »Na, siehst du? Hab
ich's nicht immer wieder gesagt? Die Menschen sind
schlau und gerissen. Man kann ihnen nicht einen Milli-
meter weit trauen.«
»Soweit ich weiß, entwickeln unsere Leute derzeit
keine großen Projekte«, meinte Erziraphael. »Sie planen
nur lokal begrenzte terro..., politische Protestaktionen.«
»Aha«, kommentierte der Dämon bitter. »Mit anderen
Worten: Nirgends sollen Bomben explodieren, die mehr
als hundert unschuldige Menschen umbringen. Vorgese-

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Ein gutes Omen

hen ist nur ein ganz persönlicher Service - jede Kugel


wird von einem bestens ausgebildeten Scharfschützen
abgefeuert.«
Der Engel ging nicht darauf ein. »Was unternehmen
wir jetzt?«
»Wir legen eine Pause ein und schlafen uns die Mü-
digkeit aus den Knochen.«
»Du brauchst keinen Schlaf. Und ich ebensowenig.
Das Böse ruht nie, und deshalb muß das Gute immer
wachen.«
»Vielleicht hast du recht, soweit es das Böse im allge-
meinen betrifft. Aber meine Wenigkeit hat es sich zur
Gewohnheit gemacht, dann und wann an der Matratze
zu horchen.« Crowley runzelte die Stirn. Vielleicht
konnte er sich den Luxus des Schlafs bald nicht mehr
leisten. Wenn man Unten herausfand, daß er den An-
tichristen verloren hatte... Wahrscheinlich holten die
Fürsten der Finsternis alle Berichte über die spanische
Inquisition hervor, um die Foltermethoden erst einzeln
und dann alle gleichzeitig an ihm auszuprobieren.
Er öffnete das Handschuhfach, griff nach einer Kas-
sette und schob sie in den Recorder. Ein bißchen Mu-
sik...
... Bee-elzebub has a devil put aside for me, for me...
»For me«, wiederholte Crowley. »Für mich.« Einige
Sekunden lang blieb sein Gesicht völlig ausdruckslos.
Dann gab er plötzlich einen erstickten Schrei von sich
und drehte den Ein-Aus-Knopf.
»Vielleicht kann uns ein Mensch bei der Suche nach
dem Sohn des Satans helfen«, sagte Erziraphael nach-
denklich.
»Wie?« fragte Crowley geistesabwesend.
»Menschen verstehen sich darauf, andere Menschen
zu finden. Mit derartigen Dingen beschäftigen sie sich
schon seit vielen tausend Jahren. Und der Knabe ist
menschlich. Eben menschlich wie... Du weißt schon. Er
mag uns verborgen bleiben, aber andere Menschen sind
vielleicht in der Lage, ihn zu, äh, spüren. Oder sie be-
merken irgend etwas, das unserer Aufmerksamkeit ent-
geht.«
»Das klappt nicht«, erwiderte Crowley. »Bei allen Dä-
monen der Hölle, er ist der Antichrist! Er hat eine Art au-
tomatisches Verteidigungssystem, und es funktioniert,
ohne sein Bewußtsein zu bemühen. Es läßt nicht einmal
zu, daß irgend jemand Verdacht schöpft. Jedenfalls noch
nicht. Er offenbart sich erst, wenn er bereit ist. Bis dahin
perlt der Argwohn von ihm wie Wasser von... von...
von irgendwelchen Gegenständen«, fügte Crowley unsi-
cher hinzu.

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Ein gutes Omen

»Hast du bessere Vorschläge?« fragte Erziraphael.


»Hast du auch nur eine einzige bessere Idee?«
»Nein.«
»Na also. Vielleicht haben wir tatsächlich Erfolg. Be-
haupte nur nicht, daß du keine Organisationen hast, die
dir helfen können. Ich kenne Personen, die sofort bereit
wären, mit Ermittlungen zu beginnen. Möglicherweise
finden sie eine Spur.«
»Was erhoffst du dir von solchen Leuten?«
»Nun, ich bin sicher, daß sie niemanden dazu bringen,
auf andere Menschen zu schießen. Außerdem neigen sie
nicht dazu, hilflose Frauen zu hypnotisieren. Sie...«
»Schon gut, ich verstehe. Aber die Chancen, daß sie
den Antichristen finden... Genausogut könnte man er-
warten, daß ein Schneeball die Höllenfeuer übersteht,
ohne sich zuerst in Wasser und dann in Dampf zu ver-
wandeln. Glaub mir, ich weiß Bescheid. Aber leider fallt
mir nichts Besseres ein.«
Crowley lenkte den Bentley auf die Autobahn und
fuhr in Richtung London.
»Mir steht ein, äh. Agentennetz zur Verfügung«, sagte
Erziraphael zögernd. »Meine Mitarbeiter leben in jeder
größeren Stadt und sogar auf dem Land. Eine ausge-
sprochen disziplinierte Gruppe. Ich könnte sie anwei-
sen, mit der Suche zu beginnen.«
»Ich, äh, habe ähnliche Assistenten«, gestand Crowley
ein. »Du weißt ja, wie das ist. Man denkt immer wieder:
Irgendwann erweisen sie sich bestimmt als nützlich...«
»Wir sollten unsere Leute alarmieren. Wie war's,
wenn sie zusammenarbeiten?«
Der Dämon schüttelte den Kopf.
»Davon rate ich ab«, entgegnete er. »Die plötzliche
Konfrontation mit dem Guten brächte meine Agenten
vielleicht in, äh, Versuchung. Und deinen könnte es
ebenso ergehen.«
»Na schön.« Erziraphael seufzte. »Jeder setzt sich mit
seinen eigenen Mitarbeitern und Assistenten in Verbin-
düng. Der Auftrag ist klar: Sie sollen nach ungewöhnli-
chen Dingen Ausschau halten.«
»Dürfte den Versuch wert sein«, sagte Crowley. »Der- zeit gibt es ohnehin nichts anderes für mich zu
tun, bei
Gott.«
Dünne Falten formten sich in seiner Stirn, und plötz-
lich schlug er triumphierend aufs Lenkrad.
»Enten!« platzte es aus ihm heraus.
»Wie bitte?«
»Das Wasser. Es perlt von Enten ab!«
Erziraphael holte tief Luft.
»Bitte achte auf die Straße und sei still!« tadelte er

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Ein gutes Omen

schlicht.
Sie fuhren ins Morgengrauen, während angeblich von
Bach komponierte h-Moll-Klänge aus den Lautspre-
chern tönten. Die Stimme des Sängers gehörte zweifellos
einem gewissen F. Mercury.
Crowley mochte die Londoner City am frühen Mor-
gen. Die Bevölkerung außerhalb der Häuser hatte durch
ordentliche Berufe festgelegte Pflichten zu erfüllen und
somit das Recht, auf den Bürgersteigen und Straßen un-
terwegs zu sein - im Gegensatz zu den Millionen ande-
ren, die nach acht Uhr für Verkehrsstauungen sorgten.
Ampeln blinkten mit phlegmatischer Gelassenheit. Auf
dem schmalen Asphaltstreifen vor Erziraphaels Buchla-
den verboten zwei gelbe Linien das Parken, aber sie kro-
chen gehorsam davon, als der Bentley hielt.
Erziraphael nahm seinen Mantel vom Rücksitz.
»Nun, tja«, sagte Crowley. »Äh, wir hören voneinan-
der, wie?«
»Was ist das hier?« fragte der Engel und griff nach
einem braunen rechteckigen Gegenstand.
Der Dämon betrachtete ihn. »Ein Buch?« vermutete er.
»Sehe es jetzt zum erstenmal.«
Erziraphael öffnete es, starrte auf vergilbte Blätter und
überflog einige Zeilen. Hinter seiner Stirn läuteten win-
zige bibliographische Glocken.
»Ich nehme an, es gehört der jungen Dame«, sagte er
langsam. »Leider haben wir sie nicht nach ihrer Adresse
gefragt...«
Crowley ächzte leise. »Hör mal, Erzi: Wir haben be-
reits genug Probleme. Wenn in der Hölle bekannt wird,
daß ich Zeit dafür erübrige, irgendwelchen Leuten ihre
Besitztümer zurückzubringen, versetzt man mich in die
Schwefelgrube.«
Erziraphael las den Titel, und es kostete ihn enorm
viel Mühe, sich nichts anmerken zu lassen.
»Wenn du's nicht über dich bringst, das Buch einfach
zu behalten... Schick es zum Postamt in Lower Tad-
field«, schlug der Dämon vor. »Adressier es einfach an
>Die verrückte Frau mit dem Fahrrad<. Man traue nie-
mals einer Frau, die Transportmitteln seltsame Namen
gibt...«
»Ja, ja, natürlich«, erwiderte der Engel. Er stieg aus,
tastete nach den Schlüsseln, ließ sie aufs Pflaster fallen,
hob sie auf, hantierte nervös mit ihnen herum und eilte
zur Tür des Ladens.
»Wir bleiben in Verbindung, ja?« rief ihm Crowley
nach.
»Wie?« Erziraphael drehte sich kurz um. »Oh. Oh. Ja.

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Ein gutes Omen

Klar. Sicher. Wie du meinst.« Er schloß auf, trat ein und


schloß wieder ab.
»In Ordnung«, murmelte Crowley und fühlte sich
plötzlich sehr allein.
Das Licht einer Taschenlampe strich über die dunk-
le Landschaft. Wenn man im braunen (vielleicht auch
ein wenig grauen) Licht der Morgendämmerung zwi-
schen braunen Blättern, auf brauner Erde und in einem
mit braunem Wasser gefüllten Graben nach einem
braunen Buch sucht, muß man mit Enttäuschungen
rechnen,
Es war und blieb verschwunden.
Anathema probierte jede Methode des Suchens aus.
Sie ging mit System vor und teilte den Boden in einzelne
Planquadrate ein. Sie griff nach einem Stock und sto-
cherte in den Büschen am Straßenrand herum. Sie
schlenderte wie beiläufig umher und beobachtete ihre
Umgebung aus den Augenwinkeln. Sie nahm sogar
Platz und gab sich der romantischen Hoffnung hin, daß
ihr Blick ganz von selbst auf die Stelle fiele, wo das Buch
lag, wenn sie theatralisch aufgeben und sich hinsetzen
würde. Doch so etwas passiert nur in schlechten Roma-
nen.
Diesmal nicht.
Was bedeutete (wie sie schon die ganze Zeit befürch-
tet hatte), daß sich das Buch aller Wahrscheinlichkeit
nach auf dem Rücksitz eines Autos befand, das zwei
hilfsbereiten Fahrradmonteuren gehörte.
Die junge Hexe glaubte zu sehen, wie die vorwurfs-
vollen Zeigefinger aller ihrer Vorfahren (bis hin zu
Agnes) auf sie deuteten. Im thaumaturgischen Äther er-
klangen spöttisch lachende Stimmen.
Selbst wenn die beiden freundlichen, zuvorkommen-
den Fahrrad-Reparateure ehrlich genug waren, um zu-
mindest die Absicht zu haben, das Buch zurückzubrin-
gen - würden sie sich die Mühe machen, ein kleines
Haus zu suchen, das sie in der Dunkelheit kaum gese-
hen hatten?
Die Antwort lautete: nein.
Anathema hoffte nur, daß sie nicht herausfanden, wel-
chen prophetischen Schatz sie besaßen.
In Erziraphaels Laden gab es ein Hinterzimmer, wie in
vielen anderen Geschäften von Soho, in denen seltene
Bücher für den anspruchsvollen Kenner auf Käufer war-
teten. Doch dieses spezielle Hinterzimmer enthielt weit-
aus esoterischere Dinge, als man sie normalerweise in
den Papier- oder Plastiktüten der Kunden-die-wissen-
was-sie-wollen fand.
Die prophetischen Bücher erfüllten den Engel mit be-

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Ein gutes Omen

sonderem Stolz.
Natürlich handelte es sich nur um Erstausgaben.
Und jede einzelne war signiert.
Erziraphael besaß Richard Nixon*, Martha die Zigeu-
nerin, Ignazius Sybilla und Old Ottwell Binns. Nostra-
damus hatte geschrieben. >Führ mainen alten Froind
Ahrziraffel, mit basten Grühßen.< Die Flecken darunter
stammten von Mutter Shiptons verschüttetem Tee. In
einem besonders trockenen, keimfreien und kühlen
Schrank lag eine Pergamentrolle mit der zittrigen Hand-
schritt eines gewissen Johannes von Patma. Seine >0f-
fenbarung< war der prophetische Bestseller aller Zeiten.
Erziraphael hatte den Autor als recht netten (damaligen)
Zeitgenossen kennengelernt, obgleich ihm seine Vor-
liebe für eigentümliche Pilze seltsam erschienen war.
In der Sammlung des Engels fehlte ein Exemplar der
Freundlichen Zutreffenden Prophezeiungen von Agnes
Spinner. Als Erziraphael sein Hinterzimmer betrat, hielt
er Das Buch mit der behutsamen Vorsicht eines Philateli-
sten, der gerade eine Postkarte von seiner Tante erhalten
hat und feststellt, daß eine blaue Mauritius darauf klebt.
Voller Ehrfurcht starrte er auf den braunen Band
herab. Er hatte natürlich von diesem Buch gehört. Alle
seine Geschäftskollegen (etwa ein Dutzend; immerhin
erforderte dieser spezielle Beruf eine spezielle Spezia-
lisierung) wußten von der Existenz eines solchen Bu-
ches. Man vergleiche sie mit einem Vakuum, das seit
Jahrhunderten von höchst sonderbaren Geschichten um-
kreist wurde. Nun, Erziraphael war nicht ganz sicher, ob
irgend etwas ein Vakuum umkreisen konnte, aber seiner
Ansicht nach spielte es auch gar keine Rolle. Neben den
Freundlichen und Zutreffenden Prophezeiungen wirk-
ten Hitlers Tagebücher wie... wie Fälschungen.
Die Hände zitterten ihm ein wenig, als er Agnes Spin-
ners Werk auf den Tisch legte, sich die Gummihandschuhe
eines Chirurgen überstreifte und es vorsichtig öffnete. Er-
ziraphael war ein Engel, aber er liebte auch Bücher.
* Gemeint ist nicht etwa der frühere US-Präsident, sondern ein
Schwachkopf aus dem sechzehnten Jahrhundert.
Auf der Titelseite stand:
Die Freundlichen und Futreffenden Prophefeiungen
der Agnef Fpinner
In etwas kleineren Buchstaben:
Aine genau Überficht dher Ereigniffe
von heute bif fum Endige dher Welt
In etwas größeren Buchstaben:
Ef werden Viele Verfiedene Wunder gerudert.
Hinfu kommen Lehren für den Kluhgen.
In einer anderen Schriftart:

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Ein gutes Omen

Daf vollftändigfte prophetiffe Werk,


daf jemalf veröffentlich wurdet.
Etwas kleiner, dafür aber in Großbuchstaben:
EFFACKTE ANGABEN ÜBER AINE FELTFAME FUKUNFT
In verzweifelt anmutendem Kursiv:
Der Lefer wird ftaunen und ziemlich
überrafft sein.
Und wieder etwas größer:
Diefef Buch erinnert an Noftradamuf
in feiner heften prophetiffen Form. - Ursula Shipton
Die Prophezeiungen waren numeriert, und der Band
enthielt insgesamt mehr als viertausend.
»Ruhig, ganz ruhig!« murmelte Erziraphael. Er betrat
die kleine Kochnische, nahm Milch und Kakaopulver.
An dem schmalen Tresen blieb er stehen und atmete
mehrmals tief durch.
Dann kehrte er zurück und las die ersten Ab-
schnitte.
Vierzig Minuten später hatte er den Kakao noch
immer nicht angerührt.
Die rothaarige Frau in einer Ecke der Hotelbar galt als
erfolgreichste Korrespondentin auf der ganzen Welt. Sie
besaß einen Paß, der auf den Namen Carmine Zuigiber
lautete - und sie ging immer dorthin, wo ein Krieg statt-
fand.
Nun, das stimmte nicht ganz.
Eigentlich ging sie dorthin, wo kein Krieg stattfand.
Sie hatte bereits alle Kriegsschauplätze besucht.
Eigentlich kannte man sie nur in eingeweihten Krei-
sen. Mit anderen Worten: Bei den Leuten, auf die es
ankam, genoß sie einen bemerkenswerten Ruf.
Wenn sich fünf oder sechs Kriegskorrespondenten
in einer Flughafenbar treffen, verhalten sich ihre Ge-
spräche wie eine Kompaßnadel, die immer wieder
nach Norden schwingt. Früher oder später geht es
bei der Konversation um Murchison von der New York
Times, Van Hörne von Newsweek und Anforth von
den ITN News - die besten aller Kriegskorresponden-
ten.
Aber wenn sich Murchison, Van Home und Anforth
in einem ausgebrannten Schuppen in Beirut oder auf
den Schlachtfeldern Afghanistans und des Sudans be-
gegnen, bewundem sie zunächst ihre Narben, gießen
sich einen hinter die Binde und tauschen dann Anek-
doten aus, bei denen es um >Red< Zuigiber von National
World Weekly geht.
»Das blöde Schmierblatt«, sagte Murchison bei sol- chen Gelegenheiten. »Die verdammten Idioten in
den
verdammten Redaktionsräumen wissen verdammt noch

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Ein gutes Omen

mal nicht, was sie an Red haben.«


Nun, die Leute von National World Weekly wußten
ganz genau, was sie hatten: eine Kriegskorresponden-
tin. Sie wußten nur nicht, was sie damit anfangen soll-
ten.
Eine typische Ausgabe von National World Weekly be-
richtete zum Beispiel davon, jemand in Des Moines habe
Jesus auf einem Big Mac gesehen (als er gerade hinein-
beißen wollte - man stelle sich die Verblüffung der be-
treffenden Person vor); Elvis Presley würde seit einiger
Zeit in einem Burger King in Des Meines arbeiten; eine
an Krebs erkrankte Hausfrau in Des Moines habe sich
alte Elvis-Platten angehört, wodurch der Tumor aus
ihrem Leib verschwand; die vielen Werwölfe, die sich
derzeit im Mittelwesten herumtrieben, seien Nachkom-
men tapferer (und von Bigfoot entführter) Pioniers-
frauen; angeblich war Elvis im Jahre 1976 von Außer-
irdischen entführt worden, weil er zu gut für diese Welt
gewesen sei.*
Haben Sie jetzt eine Vorstellung von National World
Weekly gewonnen? Gut. Pro Woche fanden vier Millio-
nen Exemplare interessierte Käufer, und die Redaktion
brauchte einen Kriegskorrespondenten ebenso dringend
wie ein Interview mit dem Generalsekretär der Verein-
ten Nationen. **
Man bezahlte Red Zuigiber eine Menge Geld dafür,
kreuz und quer durch die Welt zu reisen, neue Kriege zu
finden und darüber zu schreiben. Ab und zu schickte sie
dicke Umschläge, denen sie (fast immer gerechtfertigte)
Spesenrechnungen beilegte. Sie wurden prompt bezahlt,
aber die Manuskripte und Fotos verschwanden in der
Ablage.
Der Chefredakteur hatte deshalb keine Gewissens-
bisse. Er hielt Red Zuigiber nicht für eine besonders
gute Kriegskorrespondentin, aber zweifellos war sie die
* An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, daß eine der Geschich-
ten wahr ist.
** Ein solches Interview fand tatsächlich statt, und zwar im Jahr 1983.
Es lautete:
F: Sie sind also der Generalsekretär der Vereinten Nationen.
A:Si.
F: Ist Ihnen Elvis jemals erschienen?
attraktivste - womit sie allen Erfordernissen von Natio-
nalWorl Weekly genügte. Leider ging es bei ihren
Kriegsberichten immer nur um irgendwelche Leute, die
auf andere schössen. Die politischen Hintergründe blie-
ben vage, und bedauerlicherweise kam nie die mensch-

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Ein gutes Omen

liche Seite zur Sprache.


Gelegentlich gab man ihre Artikel einem Mitarbeiter,
der sie umschrieb und in ein passendes stilistisch-the-
matisches Gewand kleidete. (Während einer erbitterten
Schlacht am Rio Concorsa erschien Jesus dem neunjäh-
rigen Manuel Gonzalez und sagte ihm, er solle nach
Hause zurückkehren, weil sich seine Mutter Sorgen um
ihn mache. >Ich wußte, daß es Jesus war<, sagte der
brave Junge. >Er sah genau wie Jesus aus, als sich sein
Abbild auf meinem Butterbrot zeigte.<)
National Worl Weekly ignorierte Red die meiste Zeit über, und ihre Geschichten wanderten mit
routinierter
Regelmäßigkeit in den Papierkorb.
Murchison, Van Hone und Anforth nahmen Reds
eher seltene Publikationen mit einem Achselzucken
zur Kenntnis. Sie wußten nur eins: Wenn irgendwo ein
Krieg ausbrach, war Miß Zuigiber als erste Korrespon-
dentin zur Stelle. Sie traf praktisch vorher ein.
»Wie stellt sie das an?« fragten sie sich ungläubig und ;
verwirrt. »Wie bringt sie das fertig, zum Teufel?« Und
dann trafen sich ihre Blicke und sprachen: Wenn sie ein Wagen wäre, hieße sie Ferrari; sie ist genau
jene Art von
Frau, die man sich als schöne Gemahlin des korrupten Generalissimo eines Staates der Dritten Welt
vorstellt; trotzdem treibt sie sich mit Kerlen wie uns herum; he,
Jungs, wir haben echt Schwein!
Miß Zuigiber lächelte nur und gab eine neue Runde
aus (die sie später National Worl Weekly in Rechnung
stellte). Sie beobachtete, wie um sie herum Kämpfe aus-
brachen. Und sie schmunzelte erneut.
Sie hatte sich nicht geirrt. Der Journalismus erwies
sich wirklich als sehr interessant.
Und trotzdem: Jeder braucht mal Urlaub. Und Red
Zuigiber machte zum erstenmal seit elf Jahren Fe-
rien.
Sie befand sich auf einer kleinen Insel im Mittelmeer,
deren Bewohner vom Tourismus lebten - allein das war
schon seltsam genug. Red sah wie eine Frau aus, die nur
dann auf einer kleineren Insel als Australien Urlaub
machte, wenn sie ihren Eigentümer kannte.
Noch vor vier Wochen wäre es völlig sinnlos gewesen,
die Einheimischen vor einem drohenden Krieg zu war-
nen. Sie hätten nur gelacht und versucht. Ihnen Bast-
körbe oder ein aus Muscheln bestehendes Panorama der
Bucht zu verkaufen. Nun, das war damals.
Inzwischen hat sich die Situation verändert.
Eine religiös-politische Kontroverse, die vier kleine
und eigentlich völlig unbeteiligte Festlandstaaten betra-
fen, sorgte dafür, daß unter den Inselbewohnern drei

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Ein gutes Omen

untereinander verfeindete Gruppen entstanden. Dem


Konflikt fielen schon nach kurzer Zeit die Statue der
Jungfrau Maria (auf dem Marktplatz der größten Ort-
schaft) und der Tourismus zum Opfer.
Red Zuigiber saß in der Bar des Hotel de Palomar del
Sol und nippte an einem Cocktail. In der einen Ecke
spielte ein müder Pianist, und ein Kellner mit Toupet
krähte ins Mikrofon:
»AAAAAAAhhs war-'n-mal-'n-kleines
Waaaiiißes Pfärdchen.
UUUUUUUhhnd jeder saaagte
DAAAAAAhhs ist aber ein hüüüüübsches
Waaaüißeds Pfärdchen ...«
Jemand sprang durchs Fenster. Ein Messer steckte ihm
zwischen den Zähnen; in der rechten Hand hielt er eine
Kalaschnikow, in der linken eine Granate.
»Ik beschaahe dieded Hoel...« Der Mann zögerte,
nahm das Messer aus dem Mund und begann noch ein-
mal von vorn. »Ich beschlagnahme dieses Hotel im
Namen der protürkischen Befreiungsfront!«
Die beiden letzten Touristen* auf der Insel krochen
unter den Tisch.
Red nahm unbekümmert die Maraschinokirsche aus
dem Glas, hob sie an scharlachrote Lippen und saugte
sie langsam vom Stäbchen. Einigen Männern, die sie
dabei beobachteten, brach der kalte Schweiß aus.
Der Pianist stand auf, griff ins Klavier und holte eine
mindestens zwanzig Jahre alte Maschinenpistole hervor.
»Dieses Hotel ist bereits von der progriechischen Terri-
torial-Brigade übernommen worden!« schrie er. »Eine
falsche Bewegung, und ich knalle dir die Grütze aus
dem Hirn!«
An der Tür bewegte sich etwas. Ein großes Indivi-
duum mit schwarzem Bart, goldenem Lächeln und einer
antiquierten Gatling stand dort, begleitet von mehreren
ebenso hünenhaften, wenn auch weniger eindrucksvoll
bewaffneten Männern.
»Dieses strategisch wichtige Hotel, seit Jahren ein
Symbol für das faschistisch-imperialistische, türkisch-
griechische und dreimal verfluchte Fremdenverkehrs-
gewerbe, gehört nun den italo-maltesischen Freiheits-
kämpfern!« donnerte der Riese freundlich. »Und jetzt
bringen wir alle Anwesenden um!«
»Welch ein Unsinn!« erwiderte der Pianist. »Dieses
Hotel ist keineswegs strategisch wichtig. Es hat nur
einen gut bestückten Weinkeller!«
»Das stimmt, Pedro«, sagte der Mann mit der Ka-
laschnikow. »Darum sind meine Leute so scharf dar-
* Mr. und Mrs. Thomas Threlfall, Paignton, Ulmenstraße 9. Sie vertra-

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Ein gutes Omen

ten die Ansicht, einer der großen Vorteile des Urlaubs bestehe darin,
daß man sich weder Nachrichtensendungen im Radio anhören noch
die Zeitung lesen mußte. Während der ersten Tage übertrieben es
Mr. und Mrs. Threlfall mit dem Sonnenbaden, und daraufhin blieben
sie anderthalb Wochen lang in ihrem Zimmer. Sie hatten einen recht
ungünstigen Zeitpunkt gewählt, um die Bar aufzusuchen.
auf. II General Ernesto de Montoya sagte zu mir: Fer-
nando, sagte er, der Krieg dauert höchstens bis Sams-
tag, und dann wollen die Jungs sicher ein wenig Spaß
haben. Geh mal kurz zum Hotel de Palomar del Sol
und erheb offiziellen Beuteanspruch darauf, in Ord-
nung?«
Der Bärtige lief rot an. »An der verdammten strategi-
schen Wichtigkeit kann überhaupt kein Zweifel beste-
hen, Femando Chianti! Ich habe eine Karte von der Insel
gezeichnet, und das Hotel befindet sich genau in der
Mitte. Dadurch bekommt es eine enorme strategische Be-
deutung, das versichere ich dir.«
»Ha!« entgegnete Fernando. »Genausogut könntest
du behaupten, daß Little Diegos Haus strategisch wich-
tig ist, nur weil man von dort aus auf den dekadent-ka-
pitalistischen Oben-ohne-Strand blicken kann!«
Der Pianist senkte verlegen den Kopf. »In jenem Ge-
bäude hat unsere Gruppe heute morgen einen Stütz-
punkt eingerichtet«, sagte er.
Stille folgte. Seide knisterte leise. Red hatte gerade die
Beine übereinandergeschlagen.
Der Adamsapfel des Pianisten hüpfte auf und ab.
»Nun, das Haus hat eine große strategische Bedeutung«,
brachte er hervor und versuchte der Frau auf dem Bar-
hocker keine Beachtung zu schenken. »Ich meine, wenn
irgendwelche U-Boote den Strand ansteuern, kann man
sie rechtzeitig sehen.«
Schweigen.
»Es ist strategisch weitaus wichtiger als dieses Hotel«,
fügte der Pianist hinzu.
Pedro hüstelte. Es klang unheilverkündend. »Wer
jetzt noch etwas sagt. Und damit meine ich irgend etwas.
Ist tot.« Er grinste. Hob die Waffe. »Na schön. Und jetzt.
Alle an die Wand.« Niemand rührte sich von der Stelle.
Niemand hörte ihm zu. Die akustische Aufmerksamkeit
der Anwesenden galt einem leisen monotonen Brum-
men im Flur hinter Pedro.
Eine gewisse Unruhe erfaßte die Begleiter des Bärti-
gen. Die Männer gaben sich alle Mühe, nicht zur Seite
zu weichen, aber das Brummen war wie ein Keil, der
sich mit hartnäckiger Beharrlichkeit zwischen sie schob.
Kurz darauf erklangen erste verständliche Worte. »Ent-
schuldigt bitte, Jungs, toller Abend, was? Meine Güte,

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Ein gutes Omen

bin dreimal rund um die Insel gefahren, ständig auf der


Suche nach dem Hotel, hier hält man wohl nicht viel
von Wegweisern, wie? Na, jetzt hab ich's ja gefunden.
Mußte viermal anhalten und fragen, schließlich dachte
ich mir, warum versuchst du's nicht im Postamt?, die
Leute im Postamt wissen immer Bescheid, sie malten ei-
nige Striche auf ein Blatt Papier, sollen wohl Straßen
sein, tja, und nun bin ich hier...«
Die Stimme bekam einen Körper, der sich mit der Ge-
schmeidigkeit eines Aals durch die Masse aus Bewaffne-
ten wand. In der Bar erschien ein kleiner Mann mit
Brille, blauer Uniform und einem schmalen, recht lan-
gen und sorgfältig verschnürten Paket. Sein einziges Zu-
geständnis ans Klima bestand in braunen Plastiksanda-
len, doch dicke grüne Wollsocken deuteten darauf hin,
daß er ausländischem Wetter mit tief empfundenem
Mißtrauen begegnete.
An seiner spitzen Mütze bildeten große weiße Buch-
staben folgende Worte: Internationaler Expreßdienst.
Der kleine Mann hatte weder Pistolen noch Messer,
aber niemand stellte sich ihm in den Weg. Pedro, Fer-
nando und der Pianist richteten nicht einmal ihre Waf-
fen auf den Postboten, starrten ihn nur groß an.
Der Zwerg sah sich im Zimmer um, musterte die An-
wesenden der Reihe nach und blickte auf ein Klemm-
brett. Dann näherte er sich Red, die noch immer an der
Theke saß. »Ein Päckchen für Sie, Miß«, sagte er.
Red nahm es entgegen und begann damit, die
Schnüre zu lösen.
Der Kurier vom Internationalen Expreßdienst hustete
diskret und reichte der Journalistin sowohl einen abge-
griffenen Quittungsblock als auch seinen gelben Kugel-
schreiber. »Sie müssen dafür unterschreiben. Miß. Hier.
Ihren vollen Namen in Blockbuchstaben. Und dort die
Unterschrift.«
»Wie Sie wünschen.« Red kritzelte etwas Unleserli-
ches auf den Block und fügte anschließend ihren Namen
hinzu. Sie schrieb nicht etwa Carmine Zuigiber, sondern
ein wesentlich kürzeres Wort.
Der Bote bedankte sich höflich und kehrte nach drau-
ßen zurück. Dies ist wirklich eine hübsche Insel, sagte er
sich unterwegs, ja, wirklich nicht übel, wollte hier
immer mal Urlaub machen, entschuldigt bitte, will nicht
länger stören ...
Er verschwand mit dem gleichen undeutlichen Brum-
men, das sein Eintreffen angekündigt hatte.
Red streifte die letzten Schnüre beiseite. Einige Män-
ner kamen langsam näher, um festzustellen, was sich in
dem Paket befand.

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Ein gutes Omen

Es enthielt ein großes Schwert.


Die Journalistin betrachtete es. Es schien sich um ein
ganz normales Schwert mit langer scharfer Klinge zu
handeln, und es wirkte nicht nur alt, sondern auch
unbenutzt. Eindrucksvolle Verzierungen und ähnliche
Dinge fehlten. Es war kein magisches Schwert, vielmehr
eine mystische Waffe, die Kraft und Macht verkörperte.
Der Zweck dieses Schwerts bestand ganz offensichtlich
darin, von energischer Hand geschwungen und in wei-
ches Fleisch gebohrt zu werden: um möglichst viele
Menschen zu töten oder wenigstens zu verstümmeln. Es
strahlte Haß und Gefahr aus.
Red schloß eine perfekt manikürte Hand ums Heft
und hob das Schwert. Die Klinge glitzerte.
»Na schön!« sagte sie und rutschte elegant vom
Hocker. »Endlich.«
Sie trank ihr Glas aus, stützte das Schwert an die
Schulter und sah die verdutzten Gesichter unmittelbar
vor ihr. »Tut mir leid, daß ich euch verlassen muß«,
gurrte sie. »Ich würde gern noch etwas bleiben, um euch
besser kennenzulernen.«
Die Männer in der Bar begriffen plötzlich, daß sie
nicht den geringsten Wunsch verspürten, nähere Be-
kanntschaft mit der Journalistin zu schließen. Sie war
schön, ja. Aber ihre Schönheit ließ sich am besten mit
der eines Waldbrandes vergleichen - wer keinen siche-
ren Abstand wahrte, konnte sich mehr verbrennen als
nur die Finger.
Red hielt ihr Schwert und lächelte wie ein Messer.
Im Zimmer waren mehrere Schußwaffen vorhanden.
Sie zitterten leicht, als sie wie in Zeitlupe auf Reds Brust,
Rücken und Kopf zielten.
Die Männer bildeten einen Kreis um sie.
»Bleib stehen!« grollte Pedro.
Die anderen nickten.
Red hob die Schultern. Und trat einen Schritt vor.
Alle rechten Zeigefinger entwickelten ein seltsames
Eigenleben und krümmten sich um die gleiche Anzahl
von Abzügen. Die Luft enthielt plötzlich mehr Blei als
Sauerstoff, und es stank nach Kordit. Reds Cocktailglas
splitterte in ihrer Hand. Die letzten heil geblichenen
Spiegel in der Bar platzten mit einem lauten Krachen
auseinander. Ein Teil der Decke stürzte ein.
Und dann war alles vorbei.
Carmine Zuigiber sah sich so erstaunt um, als habe sie
überhaupt keine Ahnung, woher die vielen Leichen
kamen.
Mit einer scharlachfarbenen katzenartigen Zunge
leckte sie sich Blut - nicht ihr eigenes - vom Hand-

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Ein gutes Omen

rücken. Und sie lächelte.


Als sie den Raum verließ, klang das Klacken ihrer
Schuhe wie ferner Trommelschlag.
Die beiden letzten Touristen auf der Insel krochen
unter ihrem Tisch hervor und ließen verblüffte Blicke
durch eine Bar schweifen, die sich in einen Friedhof ver-
wandelt hatte. Es fehlten nur die Grabsteine.
»Dies wäre nicht geschehen, wenn wir wie üblich in
Torremolinos Urlaub gemacht hätten«, klagte Mrs.
Threlfall.
»Ausländer.« Mr. Threlfall seufzte. »Sie sind eben
nicht wie wir.«
»Dann ist ja alles klar.« Mrs. Threlfall schob trotzig
das Kinn vor. »Im nächsten Jahr fahren wir nach
Brighton.« Es gelang ihr mit geübtem Geschick, die Be-
deutung der jüngsten Ereignisse zu übersehen.
Sie bedeuteten, daß es kein nächstes Jahr geben
würde.
Es bestand sogar eine große Wahrscheinlichkeit dafür,
daß dem nächsten Wochenende kein Montag folgte.
In dem Dorf war ein neuer Bewohner eingetroffen.
Unbekannte Personen im Ort waren immer eine
Quelle des Interesses und der Gerüchte für die Alteinge-
sessenen, insbesondere für die Sie.* Diesmal brachte
Pepper höchst interessante Nachrichten.
»Sie wohnt im Jasmine Cottage und ist eine Hexe«,
sagte sie. »Woher ich das weiß? Mrs. Henderson macht
dort sauber, und sie hat meiner Mutter erzählt, daß die
Neue nicht nur viele normale Zeitungen bekommt, son-
dern auch ein Hexen-Blatt.«
»Mein Vater sagt, es gibt überhaupt keine Hexen«, er-
widerte Wensleydale. Er hatte lockiges blondes Haar
und betrachtete die Welt durch dicke Brillengläser, die
in einem schwarzen Rahmen steckten. Es ging das
* Im Laufe der Jahre änderten die vier Kinder häufig den Namen ihrer
Bande, und die neuen Bezeichnungen hingen ganz davon ab, welches
Buch Adam am vergangenen Abend gelesen oder was für einen Film
er gesehen hatte: die Adam Young-Gruppe; Adam und Co.; die Loch-
im-Steinbruch-Gang; die Allseits Bekannten Vier; die Legion Wirklich
Supiger Superhelden; der Viererschreck; die Geheimen Vier; die Ge-
rechtigkeits-Gesellschaft von Tadfield; die Galaxatrons; die Vier
Rächer und Vergelter; die Rebellen. Aber was auch immer sie sich ein-
fallen ließen: Alle anderen nannten sie einfach nur Sie, und schließlich
identifizierten sich Adam und seine Getreuen mit diesem Namen.
Gerücht, er sei einst auf den Namen Jeremy getauft wor-
den, aber niemand nannte ihn so, nicht einmal seine El-
tern, für die er einfacher >Kleiner< war. Vielleicht hofften
sie, daß er den zarten Hinweis verstand: Wensleydale
erweckte den Eindruck, als sei er mit einem geistigen

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Ein gutes Omen

Alter von siebenundvierzig Jahren geboren.


»Die typische Skepsis der Erwachsenen«, sagte Brian.
Unter dem für ihn völlig normalen Schmutz verbarg
sich ein offenes, fröhliches Gesicht. »Warum sollten
Hexen keine eigene Zeitung haben? Mit Artikeln über
die neuesten Zaubersprüche und Beschwörungsfor-
meln. Mein Vater bekommt >Der Moderne Anglers und
bestimmt gibt es mehr Hexen als Angler.«
»Sie heißt >Übernatürliche Nachrichten<«, verkündete
Pepper.
»Wer? Die Hexe?«
»Nein. Die Zeitung.«
»Dann kann sie keine richtige Hexe sein«, sagte Wens-
leydale. »Meine Tante liest die gleiche Zeitschrift. Es
geht darin um krumme Löffel und Hellseherei und
Leute, die glauben, in einem früheren Leben Kömgin
Elisabeth I. gewesen zu sein. Richtige Hexen sind sehr
selten geworden. Irgendwer hat Arzneien erfunden und
meinte dann, man könne auf Magie verzichten. Und
dann begannen die Leute damit, Scheiterhaufen zu er-
richten.«
»Für die Arzneien?«
Wensleydale seufzte. »Für die Hexen.«
Brian nickte langsam. »Ich glaube, ich habe ir-
gendwo Bilder von Fröschen und so.« Er fand allmäh-
lich Gefallen an der Vorstellung, daß eine Hexe in Tad-
neid wohnte. Sie war wie das Salz in der Suppe seiner
Phantasie. »Und von aufgespießten Krötenköpfen und
so. Und von mehreren Katzen, die aufeinander ste-
hen.«
»Nun, deine Tante könnte durchaus eine Hexe sein«,
murmelte Pepper nachdenklich. »Insgeheim, meine ich.
Vielleicht ist sie tagsüber deine Tante und reitet des
Nachts auf Besenstielen.«
»Nicht meine Tante«, entgegnete Wensleydale finster.
»Und große Kochtöpfe«, sagte Brian. »Hexen rühren
immer in irgendwelchen Kesseln und brauen etwas zu-
sammen. Krötensuppe oder so.«
»Ach, halt die Klappe!« zischte Pepper.
Brian schnaubte leise. Wenn Wensley eine solche Be-
merkung an ihn gerichtet hätte, wäre es bestimmt zu
einer freundschaftlichen Rauferei gekommen. Aber die
anderen hatten schon vor einer ganzen Weile begriffen,
daß Pepper dazu neigte, die ungeschriebenen Gesetze
freundschaftlicher Raufereien vollständig zu mißachten.
Für ein elfjähriges Mädchen trat und biß sie mit erstaun-
licher körperlicher Zielsicherheit. Außerdem waren die
Jungen inzwischen alt genug, um folgende Feststellung
zu machen: Wenn sie Pep berührten, sahen sie be-

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Ein gutes Omen

stimmte Dinge plötzlich aus einem ganz anderen Blick-


winkel, und dann regten sich ebenso sonderbare wie
verwirrende Empfindungen in ihnen - ganz abgesehen
davon, daß man mit einem blitzartigen Fausthieb rech-
nen mußte, der selbst Karate Kid zu Boden geschickt
hätte.
Trotzdem war sie ein geschätztes und nützliches Ban-
denmitglied. Als Greasy Johnson und seine Gang dar-
über spotteten, daß Adam, Brian und Wensleydale mit
einem Mädchen spielten, reagierte Pepper mit solchem
Zorn, daß am Abend Greasys Mutter kam und sich be-
schwerte.
Sie hatte kurzes rotes Haar, und ihr Gesicht schien
eine einzige große Sommersprosse zu sein, in der sich
nur hier und dort Haut zeigte.
Peppers Vornamen lauteten Pippin Galadriel Mond-
kind. Die Namensgebung fand in einem schlammigen
Tal statt, das drei kranke Schafe und einige undichte Pla-
stiktipis enthielt. Ihre Mutter hatte das walisische Tal
Pant-y-Gyrdle (man nannte es auch >Schnall-den-Gürtel-
enger-und-hoffentlich-hast-du-genug-Penizillin-dabei<)
gewählt, um zur Natur zurückzukehren. (Sechs Monate
später hatte sie verschiedene Dinge satt: Regen, Mücken,
Männer und Schafe, die nur wenig Respekt vor Zelten
zeigten, erst die Marihuanapflanzen der Aussteiger-
gemeinschaft fraßen und sich dann den Kleinbus vor-
nahmen. Als sie allmählich begriff, warum die ganze
menschliche Geschichte dem Versuch gleichkommt, sich
möglichst weit von der Natur zu entfernen, kehrte
Peppers Mutter zu ihren überraschten Eltern in Tadfield
zurück, kaufte sich einen Büstenhalter und belegte
voller Erleichterung einen Soziologiekurs.)
Wenn ein Mädchen Pippin Galadriel Mondkind heißt,
so hat es nur zwei Möglichkeiten, dem unausweichli-
chen Spott der restlichen Menschheit zu begegnen.
Pepper entschied sich für die zweite. Die drei männli-
chen Sie erfuhren im Alter von vier Jahren davon, als sie
den Kindergarten besuchten.
Sie fragten Pepper nach ihrem Namen, und voller Un-
schuld gab sie die gewünschte Auskunft.
Kurz darauf war ein Eimer Wasser nötig, um Pippin
Galadriel Mondkinds Zähne aus Adams Schuh zu lösen.
Wensleydale brauchte eine neue Brille, und Brians
Hemd wies fünf Löcher auf.
Von jenem Tag an blieben sie zusammen, und Pepper
hieß für alle Pepper. Es gab nur wenige Ausnahmen:
Mutter Mondkind sowie die Angehörigen der einzigen
anderen Bande im Ort. Wenn sich Greasy Johnson und
die Johnsoniten besonders mutig fühlten (und wenn die

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Ein gutes Omen

Sie fast außer Hörweite waren), murmelten sie manch-


mal ein vorsichtig-herausforderndes >Pippin Galadriel.
Oft bezahlten sie diesen Frevel mit einigen recht
schmerzhaften blauen Flecken.
Adam saß auf einer Apfelsinenkiste, die ihm als Stuhl
diente, und lauschte dem Gezänk mit der Gelassenheit
eines Königs, der sich das Geschwätz seiner Höflinge
anhört.
Gedankenverloren schob er sich einen Grashalm zwi-
schen die Lippen. Es war Donnerstagmorgen, und die
Ferien reichten bis in die Ewigkeit, rein und unbefleckt.
Und leer. Sie mußten irgendwie gefüllt werden.
Er ließ seine Phantasie auf dem Gesprächsstrom trei-
ben. Um eine andere Metapher zu benutzen: Er verhielt
sich wie ein Prospektor, der in Kies und Sand nach dem
Funkeln von Gold Ausschau hält.
»In unserer Sonntagszeitung stand, daß es überall im
Land Tausende von Hexen gab«, sagte Brian. »Sie ver-
ehrten die Natur und aßen Reformkost und so. Warum
sollte es bei uns keine Hexen geben? He, angeblich über-
schwemmten sie das ganze Land mit Unheil und Ver-
derben.«
»Weil sie die Natur verehrten und Reformkost aßen?«
fragte Wensleydale.
»So stand's in der Zeitung.«
Die Sie dachten gründlich darüber nach. Auf Adams
Vorschlag hin hatten sie sich einmal einen ganzen Nach-
mittag lang nur von Reformkost ernährt. Gegen abend
kamen sie zu dem Schluß, daß man durchaus von Re-
formkost leben konnte - vorausgesetzt, man bekam vor-
her ein ordentliches Mittagessen.
Brian beugte sich vor und machte eine verschwöreri-
sche Miene.
»Der Artikel erwähnte auch, daß Hexen völlig nackt
tanzen«, fügte er hinzu. »Sie klettern auf Hügel und die
Steine von Stonehenge und so. Und dann tanzen sie
splitterfasernackt. Sie haben dabei überhaupt nichts an.«
Es folgte ein noch etwas nachdenklicheres Schweigen.
Auf der Achterbahn des Lebens hatten die Sie gerade
eine lange Rampe hinter sich gebracht, und hinter der
ersten Hügelkuppe der Pubertät erstreckte sich ein tiefes
Tal, das viele Geheimnisse, Schrecken und aufregende
Kurven bereithielt.
»Hm«, ließ sich Pepper vernehmen. Es klang skep-
tisch.
»Nicht meine Tante«, wiederholte Wensleydale und
brach den Bann. »Nein, meine Tante kommt für so was
nicht in Frage. Sie versucht nur, mit meinem Onkel zu
reden.«

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Ein gutes Omen

»Dein Onkel ist tot«, sagte Pepper.


»Sie meint, er bewegt immer noch das eine oder an-
dere Glas«, fuhr Wensleydale fort.« Mein Vater behaup-
tet, er sei gestorben, weil er zu viele Gläser bewegt hat.
Ich weiß überhaupt nicht, warum Tante mit ihm reden
will. Zu seinen Lebzeiten haben sie kaum miteinander
gesprochen.«
»Das ist Nekromantie, jawohl«, warf Brian ein. »Es
steht in der Bibel. Deine Tante sollte damit aufhören.
Gott mag keine Nekromantie. Und Hexen gefallen ihm
ebenfalls nicht. Er schickt sie in die Hölle.«
Die Apfelsinenkiste - der Thron - knarrte leise. Adam
schickte sich an, etwas zu sagen.
Die Sie warteten gespannt. Adams Diskussionsbei-
träge waren immer interessant. Tief in ihren Herzen
wußten die Sie, daß ihre Bande gar nicht aus vier Kin-
dern bestand. Es handelte sich um eine Dreier-Gang, die
Adam gehörte. Aber wer Aufregung und Abenteuer
wollte, hätte sich jederzeit mit einer untergeordneten
Position in Adams Gruppe begnügt und sogar darauf
verzichtet, irgendeine andere Bande anzuführen.
»Ich verstehe nicht, was die Leute gegen Hexen
haben«, sagte Adam.
Das klang vielversprechend, fanden sie. Zwei Jun-
gen und ein Mädchen wechselten bedeutungsvolle
Blicke.
»Nun, sie lassen das Getreide auf den Feldern verfau-
len«, erwiderte Pepper. »Sie versenken Schiffe. Sie sagen
einem, ob man König wird oder so. Und sie brauen
etwas aus Kräutern zusammen.«
»Meine Mutter verwendet Kräuter«, sagte Adam.
»Und deine ebenfalls.«
»Ach, mit den Kräutern ist alles in Ordnung«, erklärte
Brian, dazu entschlossen, seiner neuen Rolle als okkul-
ter Experte gerecht zu werden. »Gott hat bestimmt
nichts dagegen, daß man Pfefferminze und Salbei und
so benutzt. Ja, Pfefferminze und Salbei sind völlig
harmlos.«
»Außerdem können Hexen dafür sorgen, daß man
krank wird«, sagte Pepper. »Sie brauchen einen nur an-
zusehen. Sie haben den Bösen Blick. Sie starren einen an,
und plötzlich geht's einem schlecht, ohne daß man den
Grund dafür herausfindet. Oder sie stellen kleine Pup-
pen her und stechen Nadeln rein und dann bekommt
man Bauchschmerzen und Seitenstiche und so«, fügte
das Mädchen fröhlich hinzu.
»So etwas ist heute nicht mehr möglich«, erklang die
Stimme der Vernunft. Sie gehörte Wensleydale. »Inzwi-
schen wurde die Wissenschart erfunden, und die Pfarrer

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Ein gutes Omen

haben alle Hexen verbrannt, zu ihrem eigenen Besten.


Es geschah während der spanischen Inquisition.«
»Dann sollten wir Nachforschungen anstellen«, schlug
Brian vor. »Und wenn die Neue im Jasmine Cottage
wirklich eine Hexe ist, geben wir Mr. Pickersgill Be-
scheid.« Mr. Pickersgill war der Pfarrer von Tadfield.
Derzeit gab es zwischen ihm und den Sie einige Mei-
nungsverschiedenheiten, die verschiedene Dinge betra-
fen. Unter anderem ging es dabei ums Erklettern der
Bäume auf dem Kirchhof und das unerlaubte Läuten der
Glocken mit anschließendem Weglaufen.
»Wahrscheinlich ist es nicht erlaubt, einfach so Leute
zu verbrennen«, sagte Adam. »Sonst würde man überall
Flammen sehen.«
»Wenn es aus religiösen Gründen geschieht, hat alles
seine Richtigkeit«, versicherte Brian. »Es bewahrt die
Hexen vor der Hölle. Eigentlich müßten sie noch dank-
bar dafür sein, verbrannt zu werden.«
»Ich kann mir kaum vorstellen, daß Picky jemanden
in Brand setzt«, sagte Pepper.
»Oh, ich schon«, entgegnete Brian dumpf.
»Im übertragenen Sinne, ja«, räumte Pepper ein. »Ich
meine, er geht zu den Eltern und überläßt es ihnen, ob
sie jemanden verbrennen oder nicht.«
Die Sie schüttelten den Kopf, empört von dem niedri-
gen Niveau ekklesiastischer Verantwortung. Dann rich-
teten sich drei erwartungsvolle Blicke auf Adam.
Pepper, Brian und Wensleydale warteten. Adam hatte
die Ideen.
»Vielleicht sollten wir uns selbst drum kümmern«,
sagte er. »Irgend jemand muß irgend etwas unternehmen,
wenn sich überall Hexen rumtreiben. Es ist wie... mit
den Nachbarschafts-Selbstschutzvereinen.«
»Hexenpatrouille?« fragte Pepper hoffnungsvoll.
»Nein«, erwiderte Adam kühl.
»Aber wir können nicht die spanische Inquisition
sein«, sagte Wensleydale. »Wir sind keine Spanier.«
»Man muß nicht unbedingt aus Spanien stammen, um
eine spanische Inquisition zu veranstalten«, stellte Adam
fest. »Wißt ihr, es ist wie mit amerikanischen Hambur-
gern und deutschem Sauerkraut. Es muß nur spanisch
wirken, das genügt. Dann wissen alle, daß es sich um die
spanische Inquisition handelt.«
Stille.
Nach einigen Sekunden knisterte etwas - eine der
Kartoffelchips-Tüten, die sich überall dort ansammelten,
wo Brian saß. Die anderen Sie sahen ihn an.
»Ich habe ein Stierkampfplakat mit meinem Namen
drauf«, sagte er langsam.

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Ein gutes Omen

Mittag kam und ging. Die Mitglieder der neuen spani-


schen Inquisition versammelten sich wieder.
Der Oberste Inquisitor begann mit einer kritischen
Prüfung.
»Was sind das für Dinger?« fragte er.
»Man klickt sie beim Tanz aneinander«, erwiderte
Wensleydale ein wenig zurückhaltend. »Meine Tante hat
sie vor Jahren aus Spanien mitgebracht. Sie heißen Ma-
racas oder so. Sieh nur, jede zeigt das Bild eines spani-
schen Tänzers.«
»Wir wollen nicht mit Hexen tanzen, sondern sie ver-
hören und anschließend verbrennen«, sagte Adam.
»Aber du hast doch selbst drauf hingewiesen, wie
wichtig es ist, einen spanischen Eindruck zu erwecken«,
klagte Wensleydale. Adam seufzte lautlos und nickte
widerstrebend.
Brian hatte nur ein Stierkampfplakat versprochen,
und mehr bot er auch nicht an.
Pepper zeigte eine Soßenschüssel aus Bast.
»Man legt Weinflaschen hinein«, sagte sie scharf.
»Meine Mutter hat sie in Spanien gekauft.«
»Es sind nirgends Stiere abgebildet«, wandte Adam
ein.
»Das ist auch gar nicht nötig«, hielt ihm Pepper ent-
gegen und ballte drohend die Fäuste.
Adam zögerte. Seine Schwester Sarah und ihr Freund
waren ebenfalls in Spanien gewesen, und Sarah hatte
einen großen rosafarbenen Spielzeugesel mitgebracht.
Zwar handelte es sich zweifellos um ein Produkt spani-
scher Handwerkskunst, aber Adam spürte instinktiv,
daß es sich nicht für die Verwendung bei der spanischen
Inquisition eignete. Ganz anders lag der Fall beim Sou-
venir des Freundes. Nach dem Urlaub zeigte er stolz
einen verzierten Degen, der sich zwar unter seinem
eigenen Gewicht krümmte und es hartnäckig ablehnte,
Papier zu schneiden, jedoch eindeutig aus Toledostahl
bestand. Adam hatte dreißig lehrreiche Minuten ins
Studium des Lexikons investiert und gelangte zu der
Ansicht, daß die Inquisition ein solches Instrument drin-
gend benötigte. Allerdings blieben seine taktvollen An-
fragen ohne die erhoffte Wirkung.
Schließlich holte er einige Zwiebeln aus der Küche. Es
mochten durchaus spanische Zwiebeln sein, aber selbst
Adam mußte zugeben, daß es ihnen als inquisitorische
Ziergegenstände am gewissen Etwas mangelte. Aus die-
sem Grund konnte er kaum Einwände gegen soßen-
schüsselartige Weinflaschenhalter aus Bast erheben.
»Ausgezeichnet«, sagte er.
»Bist du sicher, daß es spanische Zwiebeln sind?«

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Ein gutes Omen

fragte Pepper und entspannte sich.


Adam nickte. »Na klar. Spanische Zwiebeln. Das weiß
doch jeder.«
»Es könnten auch französische sein«, beharrte Pepper.
»Frankreich ist berühmt für Zwiebeln.«
»Spielt keine Rolle«, erwiderte Adam mürrisch. Er
hatte langsam genug von Zwiebeln. »Frankreich ist
fast Spanien, und Hexen kennen bestimmt nicht den
Unterschied. Immerhin reiten sie dauernd auf Besen
durch die Nacht, und in der Nacht sieht alles gleich
aus. Ach, egal - wenn dir die Zwiebeln nicht gefallen,
kannst du von mir aus mit deiner eigenen Inquisition
anfangen.«
Wenigstens dieses eine Mal widersprach Pepper nicht.
Man hatte ihr den Posten des Ersten Folterers verspro-
chen. Niemand zweifelte daran, wer die Pflichten des
Obersten Inquisitors wahrnehmen würde. Wensleydale
und Brian waren mit ihren Beförderungen zu Inquisi-
tionswächtern weniger zufrieden.
»Nun, ihr sprecht kein Spanisch«, sagte Adam und er-
innerte sich an das dünne Wörterbuch, das Sarah in
einem Anflug verklärter Romantik in Alicante gekauft
hatte.
»Das ist auch gar nicht weiter wichtig, weil man näm-
lich auf Latein sprechen muß«, gab Wensleydale zurück,
der die Mittagspause ebenfalls genutzt hatte, um im Le-
xikon zu blättern.
»Und auf Spanisch«, sagte Adam fest. »Darum heißt
es ja Spanische Inquisition.«
»Warum soll es eigentlich keine Britische Inquisition
sein?« fragte Brian. »Ich verstehe nicht, warum wir die
Armada besiegt haben und trotzdem die blöden spani-
schen Inquisitionen übernehmen müssen.«
Dieser Punkt nagte auch an Adams patriotischer
Seele.
»Nun«, antwortete er, »wir fangen am besten mal mit
der Spanischen an und verwandeln sie dann allmählich
in die Britische Inquisition, wenn wir den Dreh raus
haben. Und jetzt ...«Er atmete tief durch. »Inquisitions-
wächter, holt die erste Hexe, pohrfavoor.«
Die neue Mieterin des Jasmine Cottage mußte warten,
hatten Sie beschlossen. Es ging zunächst einmal darum,
inquisitorische Erfahrungen zu sammeln.
»Seid Ihr eine Hexe, o leh?« fragte der Oberste Inquisitor.
»Ja«, bestätigte Peppers kleine Schwester. Sie war
sechs und sah aus wie ein Fußball mit blonden Haaren.
»Du sollst nicht >ja< sagen«, zischte der Erste Folterer
und gab der Verdächtigen einen Stoß in die Rippen. »Du
mußt mit >nein< antworten.«

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Ein gutes Omen

»Und dann?« erkundigte sich die mutmaßliche Hexe.


»Dann foltern wir dich, damit du zugibst, mit dem
Teufel im Bunde zu stehen«, sagte der Erste Folterer.
»Ich hab dir doch alles erklärt. Folterungen machen
Spaß. Sie tun überhaupt nicht weh. Hastar lar visa«, fügte
Pepper hastig hinzu.
Die kleine Verdächtige bedachte- das Dekor des inqui-
sitorischen Hauptquartiers mit einem geringschätzigen
Blick. Es roch ziemlich stark nach Zwiebeln.
»Hm«, sagte sie, »ich möchte eine Hexe sein, mit 'ner
Warze auf der Nase und grüner Haut und 'ner hübschen
Katze, die ich Blackie nenne, und mit einem großen
Hexenkessel und...«
Der Erste Folterer nickte dem Obersten Inquisitor zu.
»Hör mal«, begann Pepper im Tonfall der Verzweif-
lung, »niemand verbietet dir, eine Hexe zu werden. Du
sollst nur >nein< sagen, wenn man dich fragt, ob du eine
Hexe bist.« Sie maß ihre Schwester mit einem strengen
Blick. »Warum geben wir uns solche Mühe, wenn du so-
gleich ein Geständnis ablegst?«
Die Verdächtige überlegte.
»Aber ich möchte eine Hexe sein«, schniefte das kleine
Mädchen. Die männlichen Sie sahen sich stumm und
verwirrt an, zuckten hilflos mit den Achseln.
»Wenn du nein sagst«, begann Pepper, »dann be-
kommst du meine Puppenstube. Ich habe nie damit
gespielt«, fügte sie rasch hinzu und bedachte die drei
anderen Sie mit einem warnenden Blick.
»Das ist nicht wahr«, widersprach das kleine Mäd-
chen. »Du hast damit gespielt, ich hab's selbst gesehen.
Deine Puppenstube ist überhaupt nicht mehr neu, son-
dern ganz alt und abgenutzt. Dem Tischchen in der
Küche fehlt ein Bein, und...«
Adam räusperte sich würdevoll.
»Seid Ihr eine Hexe, viva Espania?« fragte er.
Die Verdächtige sah Pepper an und beschloß, kein
Risiko einzugehen.
»Nein«, erwiderte sie.
Mit der Folter lief alles bestens. Niemand erhob Ein-
wände dagegen, schon gar nicht die mutmaßliche Hexe.
Es war ein heißer Nachmittag, und die beiden Inquisi-1
tionswächter fühlten sich mißbraucht. !
»Ich begreife nicht, warum Bruder Brian und ich die
ganze Arbeit erledigen müssen«, sagte Bruder Wensley-
dale und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ich<
meine, es wird höchste Zeit, daß wir selbst mal an die
Reihe kommen. Benedictine ina decanter.« ;
»Warum hört ihr auf?« fragte die Verdächtige. Wasset;
strömte ihr aus den Schuhen. ;¦

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Ein gutes Omen

Während seiner Ermittlungen gewann der Oberste


Inquisitor den Eindruck, daß die Britische Inquisition
noch nicht für die Wiedereinführung der Eiserner
Jungfrau und des Streckbretts bereit war. Doch die Hin
stration eines mittelalterlichen Tauchstuhls wies daran
hin, daß sich jene Vorrichtung bestens für ein mode)
nes Hexenverhör eignete. Man brauchte nur eine
Teich, mehrere Bretter und einen Strick. Es fiel den Sie
nie besonders schwer, derartige Kombinationen zu fin-
den.
Die Verdächtige war nun bis zur Taille grün.
»Es ist wie mit einer Wippe«, sagte sie und strahlte.
»Huiieehh!«
»Wenn ich nicht auf dem Ding festgebunden werden
darf, gehe ich nach Hause«, brummte Bruder Brian.
»Warum sollen nur böse Hexen Spaß haben?«
»Inquisitoren ist es nicht erlaubt, ebenfalls gefoltert zu
werden«, sagte der Oberste Inquisitor streng, aber es
klang irgendwie enttäuscht. Es wurde bereits erwähnt,
daß an diesem Nachmittag eine recht hohe Temperatur
herrschte. Die inquisitorischen Umhänge aus altem
Sackleinen kratzten und rochen nach alter Gerste, wäh-
rend der Teich immer verlockender wirkte.
»Na schön, na schön«, fügte Adam hinzu und wandte
sich an das kleine Mädchen. »Wir haben festgestellt, daß
du eine Hexe bist, in Ordnung. Tu das nicht noch mal,
und nun sieh zu, daß du wegkommst, und laß einen an-
deren auf deinen Platz, o leh!«
»Was passiert jetzt?« fragte Peppers Schwester.
Adam zögerte. Wahrscheinlich ergaben sich eine
Menge Probleme, wenn sie einen Scheiterhaufen er-
richteten und das Mädchen verbrannten. Außerdem war
es viel zu naß.
Darüber hinaus ahnte er, daß die Zukunft Fragen in
Hinsicht auf schlammverkrustete Schuhe und algenver-
klebte rosarote Kleider bereithielt. Aber die Zukunft be-
fand sich am Ende eines langen warmen Nachmittags,
der aus Brettern, Seilen und einem Teich bestand. Sie
konnte warten.
Die Zukunft kam und ging auf eine für sie typische,
eher enttäuschende Art und Weise. Mr. Young hatte
wichtigere Dinge im Sinn als schmutzige Kleidung; er
verbot Adam nur das Fernsehen, was bedeutete, daß
sich der Junge mit dem alten Schwarzweiß-Femseher in
seinem Zimmer begnügen mußte.
»Ich verstehe überhaupt nicht, warum die Verwen-
dung von Wasserschläuchen verboten ist«, wandte sich
Mr. Young an Mrs. Young. »Ich bezahle meine Steuern
und Raten wie alle anderen. Der Garten sieht aus wie

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Ein gutes Omen

die Sahara. Es überrascht mich, daß der Teich überhaupt


noch Wasser enthält. Tja, ich glaube, es liegt daran, daß
keine Atombomben mehr getestet werden. Früher war
mit dem Wetter alles in Ordnung: Es regnete die ganze
Zeit über.«
Dieser Monolog fand gestern statt.
Heute latschte Adam über einen staubigen Weg. Im
Latschen hatte er es bis zur Meisterschaft gebracht. Er
ließ Kopf und Schultern hängen, bewegte gummiartige
Beine und setzte wie müde einen Fuß vor den anderen.
Gleichzeitig gelang es ihm, allein mit seiner Körper-
haltung diverse Botschaften zu übermitteln. Diesmal
brachte er stumm die Niedergeschlagenheit eines Jun-
gen zum Ausdruck, der sich zu unrecht getadelt und be-
straft fühlte. Schließlich war es ihm nur darum ge-
gangen, seine Mitmenschen vor Unheil zu bewahren.
Staub lastete schwer auf Büschen und Sträuchern.
»Geschieht den Erwachsenen ganz recht, wenn Hexen
die Herrschaft über das ganze Land antreten und alle
dazu zwingen, Reformkost zu essen, nicht in die Kirche
zu gehen und nackt zu tanzen«, sagte er und trat nach
einem Stein. Eigentlich war diese Vorstellung gar nicht
so entsetzlich, sah man einmal von der Reformkost ab.
»Wahrscheinlich könnten wir Hunderte von Hexen fin-
den, wenn man uns nur die Möglichkeit gibt, mit einer
richtigen Britischen Inquisition anzufangen«, brummte
Adam vor sich hin und trat nach einem weiteren Stein.
»Ich wette, der alte Torturesmadas mußte nicht auf-
hören, nur weil eine blöde Hexe mit schmutzigem Kleid
heimkehrte.«
Hund latschte pflichtbewußt hinter seinem Herrn.
Höllenhunde haben natürlich keine Erwartungen im
eigentlichen Sinne, aber tief in der höllischen Hunde-
seele regten sich Zweifel - eigentlich hatte er sich das
Leben während der letzten Tage vor dem Weltuntergang
anders vorgestellt. Trotzdem fand er einen gewissen Ge-
fallen daran.
»Ich wette, selbst die Viktorianer zwangen niemanden
dazu, mit einem Schwarzweiß-Femseher vorliebzuneh-
men«, sagte Der Herr.
Gestalt schafft Identität. Es gibt bestimmte Verhaltens-
weisen, die verwahrlost anmutenden kleinen Hunden
angemessen und in den Genen fest programmiert sind.
Man kann nicht einfach ein kleiner Hund werden und
hoffen, die gleiche Person zu bleiben. Bei derartigen
Metamorphosen schleicht sich etwas Kleinhundartiges
in die Struktur der Existenz.
Hund hatte bereits eine Ratte gejagt - die vergnüg-
lichste Erfahrung seines Lebens.

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Ein gutes Omen

»Geschieht den Leuten ganz recht, wenn sie dem


Bösen zum Opfer fallen«, murmelte Herr.
Und dann die Katzen, dachte Hund. Er hatte die
große rot-braune Katze des Nachbarn überrascht und
versucht, sie mit finsteren Blicken und dumpfem Knur-
ren in die Flucht zu schlagen. • Bisher war er damit
immer erfolgreich gewesen. Doch diesmal sauste eine
mit langen Krallen bewehrte Pfote heran, traf ihn direkt
auf der Schnauze und trieb ihm Tränen in die Augen.
Katzen, so fand Hund, schienen weitaus widerspen-
stiger und zäher zu sein als verlorene Seelen. Nun, er
plante bereits ein zusätzliches Katzenexperiment, bei
dem es darum ging, umherzuspringen und laut zu bel-
len. Vielleicht erzielte er damit die erhoffte Wirkung.
»Sie sollen bloß nicht zu mir kommen, wenn sich der
alte Picky in einen Frosch oder so was verwandelt hat«,
fügte Adam hinzu.
Einige Sekunden später machte er zwei Feststel-
lungen. Erstens: Trauer und Verzagtheit hatten seine
Schritte in Richtung Jasmine Cottage gelenkt. Zweitens:
Dort schluchzte jemand.
Tränen gegenüber konnte Adam nie gleichgültig blei-
ben. Er zögerte kurz, spähte dann vorsichtig über die
Hecke.
Für Anathema - sie saß in einem Liegestuhl und hatte
inzwischen die Hälfte eines Kleenex-Päckchens ver-
braucht - sah es aus wie der Aufgang einer zerzausten
Sonne.
Adam bezweifelte die Hexennatur der Neuen. Seine
Phantasie zeigte ihm ein sehr deutliches Bild von Hexen.
Die Youngs beschränkten sich auf die einzige bessere
Sonntagszeitung im Handel, und somit mußte Adam
auf hundert Jahre aufgeklärten Okkultismus verzichten,
Anathema hatte weder eine krumme Nase noch Warzen.
Außerdem war sie jung. Nun, relativ jung.
Allein dieser Umstand genügte. Sein Mißtrauen hob
die Schultern, schloß die Augen und schlief ein.
»Hallo«, sagte er und richtete sich auf.
Anathema putzte sich die Nase und starrte ihn an.
Vielleicht sollte hier beschrieben werden, was sich
hinter der Hecke ihren Blicken darbot. Sie sah etwas,
das man mit einem vorpubertären griechischen Gott
vergleichen konnte. Oder vielleicht mit einer Bibelillu-
stration, die muskulöse Engel bei einer moralisch über-
aus gerechtfertigten Rauferei zeigte. Ein solches Gesicht
gehörte nicht ins zwanzigste Jahrhundert. Goldene
glänzende Locken umrahmten es. Michelangelo wäre
begeistert gewesen und hätte sofort nach Hammer und
Meißel gegriffen. Oder vielleicht nach Pinsel und Pa-

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Ein gutes Omen

lette.
Man stelle sich die Skulptur (oder das Gemälde) vor -
ohne ausgetretene Turnschuhe, zerfranste Jeans und das
fleckige T-Shirt.
»Wer bist du?« fragte Anathema.
»Adam Young«, erwiderte der Junge. »Ich wohne wei-
ter unten an der Straße.«
»Oh, ja«, sagte die junge Frau und betupfte sich die
Augen. »Ich habe schon von dir gehört.«
Adam lächelte stolz.
»Mrs. Henderson sagt, ich soll auf alles gefaßt sein,
was dich betrifft«, fügte Anathema hinzu.
»Ich bin hier gut bekannt«, meinte Adam.
»Sie sagt, du bist geboren, um am Galgen zu en-
den.«
Adam grinste. Wer als berüchtigt galt, bedauerte es
vielleicht, keinen Ruhm zu genießen. Aber so etwas war
immer noch besser, als in namenloser Vergessenheit zu
leben.
»Sie sagt, du seiest mit Abstand der Schlimmste der
Sie«, fuhr Anathema etwas fröhlicher fort. Adam nickte.
»Sie sagt: >Passen Sie auf die Bälger auf. Planen stän-
dig irgendwelchen Schabernack. Der junge Adam
kommt ganz auf den Alten Adam raus.<«
»Warum haben Sie geweint?« fragte Adam geradeher-
aus.
»Wie?« entgegnete Anathema. »Oh, ich habe etwas
verloren. Ein Buch.«
»Ich helfe Ihnen beim Suchen, wenn Sie möchten«, bot
sich Adam galant an. »Über Bücher weiß ich Bescheid.
Einmal habe ich sogar selbst eins geschrieben. Ein tolles
Ding. Fast acht Seiten lang. Es ging um einen Piraten,
der ein berühmter Detektiv war. Und ich habe auch Bil-
der dazu gemalt.« Adam entschied sich zu einer großzü-
gigen Geste. »Sie können es gern lesen. Ich wette, es ist
viel interessanter als irgendwelche Bücher, die Sie verlo-
ren haben. Insbesondere die Stelle im Raumschiff, als
der Dinosaurier sein Versteck verläßt und die Cowboys
angreift. Sie sind bestimmt begeistert von meinem Buch.
Brian hat's gelesen und sagt, er sei noch nie so begeistert
gewesen.«
»Danke. Ich bin sicher, dein Buch ist das beste aller
Bücher.« Womit Anathema Adams ewige Freundschaft
gewann. »Aber du brauchst mir nicht dabei zu helfen,
nach meinem Buch zu suchen. Ich fürchte, es ist und
bleibt verloren.«
Sie musterte Adam nachdenklich. »Ich nehme an, du
kennst dich in dieser Gegend gut aus, stimmt's?« fragte
sie.

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Ein gutes Omen

»Ich kenne sie wie meine Westentasche«, erwiderte


Adam.
»Hast du zufällig zwei Männer in einem großen
schwarzen Wagen gesehen?« erkundigte sich Anathema.
»Haben die das Buch gestohlen?« Aufregung zitterte
in Adam. Es mochte interessant sein, den Rest des Tages
damit zu verbringen, nach einer internationalen Bande
von Buchdieben zu fahnden.
»Nun, in gewisser Weise. Ich meine, eigentlich nicht.
Sie wollten zum Gutshof, aber ich bin heute dort gewe-
sen und habe erfahren, daß sie nie dort ankamen. Dafür
erschien die Polizei. Offenbar kam es auf dem Anwesen
zu einem Zwischenfall.«
Anathema starrte Adam verwirrt an. Irgend etwas an
ihm erschien ihr seltsam, aber sie konnte nicht feststel-
len, worum es sich handelte. Dennoch verdichtete sich
ihr Eindruck, daß er wichtig war, daß sie ihn nicht ein-
fach gehen lassen durfte. Was ist so sonderbar an ihm?
»Wie heißt das Buch?« fragte Adam.
»Die Freundlichen und Zutreffenden Prophezeiungen der
Agnes Spinner«, sagte Anathema.
»Was, das Buch stammt von einer Spinne?«
»Nein, von einer Hexe«, berichtigte Anathema.
»Hexe«, wiederholte sie. »Wie in Macbeth.«
»Hab's im Fernsehen gesehen«, sagte Adam. »Tolle
Sache, mit den Königen und so.«
Ja, dieser Junge war wirklich seltsam. Eine Art
zurückhaltende Intensität ging von ihm aus. Wenn er in
der Nähe weilte, hatte man das Gefühl, alles andere ;
werde zum Hintergrund, zu reiner Kulisse.
Anathema befand sich seit einem Monat in Tadfield.
Abgesehen von Mrs. Henderson (angeblich kümmerte
sie sich ums Haus; Anathema zweifelte jedoch nicht
daran, daß die Putzfrau ihr Interesse hauptsächlich auf
den Inhalt von Schubladen, Schränken und dergleichen
richtete) hatte sie mit kaum jemandem mehr als nur
einige wenige Worte gewechselt. Sie gab sich als Malerin
aus. Tadfield verlangte geradezu nach pinselschwingen-
den Künstlern...
... Eine reizvolle Landschaft, ja. In unmittelbarer Nähe
des Ortes war sie wunderbar. Wenn Turner und Land-
seer Samuel Palmer in einem Pub getroffen, sich mit ihm
abgesprochen und anschließend Stubbs gebeten hätten,
die Pferde zu malen - dann wäre ein Bild entstanden,
das zumindest einen Teil der hiesigen Realität einfing.
Kummer folgte diesen Überlegungen, denn hier sollte
das Armageddon beginnen. So hatte es Agnes geschrie-

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Ein gutes Omen

ben. In einem Buch, das ich verloren habe, dachte Ana-


thema mit wiedererwachender Verzweiflung. Natürlich
blieben ihr die Karteikarten, aber sie hielten keinem Ver-
gleich mit dem Buch stand.
Wenn Anathema zu jenem Zeitpunkt im Vollbesitz
ihrer geistigen Kräfte gewesen wäre (und niemand war
im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, wenn Adam in der
Nähe weilte), hätte sie sicher folgendes bemerkt: Wann
immer sie versuchte, mehr als nur oberflächliche Über-
legungen auf den Jungen zu konzentrieren, perlten ihre
Gedanken ab wie Wasser von einer Ente.
»Donnerwetter!« sagte Adam, der über die mögliche
Bedeutung eines Buches mit freundlichen und zutreffen-
deren Prophezeiungen nachgedacht hatte. »Es teilt
einem mit, wer die nächste Fußballmeisterschaft ge-
winnt?«
»Nein«, erwiderte Anathema.
»Werden irgendwelche Raumschiffe erwähnt?«
»Nicht viele«, sagte Anathema.
»Roboter?« fragte Adam hoffnungsvoll.
»Tut mir leid.«
»Nun, scheint kein sehr interessantes Buch zu sein«,
kommentierte Adam. »Ich weiß nicht, was es mit der
Zukunft zu tun haben soll, wenn darin weder Raum-
schiffe noch Roboter beschrieben werden.«
Die Zukunft hat gar keine Zeit, Raumschiffe und Roboter
zu entwickeln, dachte Anathema betrübt. Es liegt daran,
daß die Zukunft nur noch drei Tage lang ist.
»Möchtest du eine Limonade?«
Adam zögerte - und rang sich dazu durch, den Stier
an den Hörnern zu packen.
Ȁh, entschuldigen Sie bitte, wenn ich Ihnen eine per-
sönliche Frage stelle, aber sind Sie eine Hexe?« brachte
er hervor.
Anathema kniff die Augen zusammen. Soviel zur
überhaupt nicht neugierigen Mrs. Henderson.
»Manche Leute würden mich so nennen«, räumte sie
ein. »Eigentlich bin ich Okkultistin.«
»Oh, gut«, sagte Adam und lächelte wieder. »Dann ist
ja alles in bester Ordnung.«
Anathema maß den Jungen mit einem aufmerksamen
Blick.
»Weißt du, was eine Okkultistin ist?« erkundigte sie
sich.
»Klar, natürlich«, entgegnete Adam zuversichtlich.
»Nun, wenn's dich beruhigt...« Anathema stand auf.
»Komm! Ich habe auch Durst. Ah... Adam Young?«
»Ja?«
»Du hast gerade gedacht >Ihre Augen sind völlig nor-

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Ein gutes Omen

mal; wir können also auf ein Inquisitionsverfahren ver-


zichten<. Stimmt's?«
»Wer - ich?« fragte Adam schuldbewußt.
Hund erwies sich als ein Problem. Er weigerte sich hart-
näckig, das Haus zu betreten. Er duckte sich vor der
Schwelle und knurrte leise.
»Komm endlich, du dummer Hund!« rief Adam. »Es
ist doch nur das Jasmine Cottage.« Er bedachte Ana-
thema mit einem verlegenen Blick.
»Normalerweise gehorcht er mir aufs Wort«, fügte er
hinzu.
»Laß ihn einfach im Garten«, schlug die junge Frau
vor.
»Nein«, widersprach Adam. »Er hat zu tun, was ich
ihm sage. Ich hab's irgendwo gelesen. Das Abrichten ist
sehr wichtig. Jeder Hund kann abgerichtet werden, hieß
es. Mein Vater sagt, ich darf ihn nur behalten, wenn er
gehorcht.« Er holte tief Luft. »Also gut, Hund. Ins Haus!«
Hund winselte und warf ihm einen flehentlichen Blick
zu. Der dicke Schwanz klopfte mehrmals auf den
Boden.
Die Stimme Des Herrn.
Ganz langsam, als würde er sich heftigen Sturmböen
entgegenstemmen, kroch er über die Schwelle.
»Na bitte«, sagte Adam stolz und zufrieden. »Braver
Hund.« Und wieder verflüchtigte sich ein Teil des Dä-
monischen.
Anathema schloß die Tür.
Schon seit Jahrhunderten hing ein Hufeisen über der
Eingangstür. Damals wütete die Pest, und der erste
Bewohner des Jasmine Cottage hatte es für angebracht
gehalten, alle möglichen Schutzmaßnahmen zu ergrei-
fen.
Das Hufeisen war halb verrostet, und niemand
machte sich die Mühe, es von einer dicken Patina aus
Staub zu befreien. Adam und Anathema schenkten ihm
keine Beachtung, und deshalb bemerkten sie nicht, daß
es weißglühend wurde und sich dann langsam ab-
kühlte.
Erziraphaels Kakao war längst kalt.
Völlige Stille herrschte im Zimmer. Das einzige
Geräusch stammte von altem Papier, das ab und zu kni-
sterte.
Hinzu kam ein gelegentliches Klopfen an der Tür,
wenn Kunden, die sich für spezielle Bücher im Laden
nebenan interessierten, den falschen Eingang wählten.
Der Engel achtete nicht darauf.
Er las. Und manchmal ließ er sich beinahe zu einem
Ruch hinreißen.

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Ein gutes Omen

Eigentlich konnte keine Rede davon sein, daß sich Ana-


thema Apparat im Jasmine Cottage häuslich eingerichtet
hatte. Die meisten ihrer Habseligkeiten lagen auf dem
Tisch, und das Durcheinander wirkte irgendwie interes-
sant. Es sah aus, als habe sich ein Voodoo-Priester ge-
rade eine wissenschaftliche Ausrüstung zugelegt.
»Beeindruckend«, sagte Adam und betastete einige
Dinge. »Was ist das hier?«
»Ein Thauodalit«, antwortete Anathema aus der Kü-
che. »Für die Anmessung von Auren.«
»Auren?« wiederholte Adam. »Was ist das?«
Die junge Frau erklärte es ihm.
Adam pfiff durch die Zähne.
»Im Ernst?«
»Ja.«
»So etwas habe ich noch nie gesehen. Wirklich toll,
daß es überall von unsichtbaren Kraftfeldern wim-
melt...«
Adam war normalerweise kein besonders guter Zuhö-
rer, aber im Jasmine Cottage verbrachte er die zwanzig
faszinierendsten Minuten seines Lebens (beziehungs-
weise dieses Tages). Kein Angehöriger der Young-Fami-
lie klopfte auf Holz und warf Salz über die Schulter. Das
einzige Zugeständnis ans Übernatürliche bestand in der
inzwischen aufgegebenen Behauptung, der Weihnachts-
mann erreiche das Wohnzimmer durch den Kamin.* Die
okkultesten Erfahrungen sammelte Adam während des
jährlichen Erntedankfests. Sein Bewußtsein wurde zu
* Wenn Adam als kleines Kind in der Lage gewesen wäre, von allen seinen höllischen Fähigkeiten
Gebrauch zu machen, hätten Vater und Mutter Young vermutlich die Leiche eines dicken Mannes
gefunden.
der mit dem Kopf nach unten im Schornstein steckte.
einem Schwamm, der Anathemas Worte wie Wasser
aufsaugte.
Hund lag unter dem Tisch und knurrte. Er zweifelte
allmählich an sich selbst.
Anathema glaubte nicht nur an Auren, sondern auch
an Siegel, Wale, Fahrräder, Regenwälder, Vollkornbrot,
Umweltschutzpapier, weiße Südafrikaner raus aus Süd-
afrika und Amerikaner raus aus praktisch überall,
einschließlich Long Island. Sie zog keine Trennlinien im
Gefüge ihrer Überzeugungen, verschmolz die einzelnen
Prinzipien und Grundsätze statt dessen zu einem ein-
heitlichen Konglomerat. Im Vergleich zu ihr war Jo-
hanna von Orleans eine dilettantische Stümperin. Es
heißt. Glaube könne Berge versetzen. Nun, wenn man
der dazu notwendigen Kraft einen genauen Maßstab
gibt, so erreichte Anathema auf dieser Skala einen Wert
von null Komma fünf Alpen.*

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Ein gutes Omen

Adam hörte das Wort >Umwelt< nun zum erstenmal.


Die südamerikanischen Regenwälder waren für ihn ein
Buch mit sieben Siegeln, und es bestand nicht einmal
aus Recyclingpapier.
Er unterbrach Anathema nur, um ihrer Meinung über
Atomkraft zuzustimmen. »Ich habe mal ein Atomkraft-
werk besucht. Es war langweilig. 'Nirgends stieg grüner
Dampf auf, und es gab auch keine Röhren, in denen es
blubberte. So etwas sollte verboten werden. Immerhin
kommen die Leute von weither und sind enttäuscht,
wenn überhaupt nichts blubbert. Man sieht nur Dut-
zende von Männern, die gar keine Raumanzüge tra-
gen.«
»Das Blubbern und so findet statt, nachdem die Besu-
cher gegangen sind«, erwiderte Anathema grimmig.
»Ach?« murmelte Adam.
* Vielleicht sollte hier erwähnt werden, daß die meisten Menschen
kaum über null Komma drei Alpen (30 Zentialpen) hinauskommen.
Adams Glaubenskraft reichte von zwei bis zu fünfzehntausendsechs-
hundertundvierzig Everests.
»Ich bin dafür, alle Atomkraftwerke zu schließen und
abzureißen.«
»Geschieht ihnen ganz recht, wenn sie aufs Blubbern
verzichten«, bestätigte Adam.
Anathema nickte. Sie versuchte noch immer heraus-
zufinden, was ihr an Adam so seltsam erschien, und
schließlich schnippte sie mit den geistigen Fingern.
Er hatte keine Aura.
Sie war Expertin für Auren. Anathema konnte sie
sogar sehen, wenn sie aufmerksam genug Ausschau
hielt: ein diffuses Glühen, das menschliche Köpfe um-
hüllte. Einem Fachbuch hatte sie entnommen, daß die
Farbe auf Gesundheitszustand und Empfinden der be-
treffenden Personen hinwies. Jeder Mensch besaß eine
Aura. Das heißt: Man besaß sie nicht, sondern trug sie
mit sich herum. Bei gehässigen und verschlossenen Leu-
ten zeigte sich ein trübes zitterndes Leuchten. Großzü-
gige und kreative Bewußtseine projizierten eine weitaus
stärkere Aura, die sich mehrere Zentimeter vom Körper
entfernen konnte.
Anathema war noch nie jemandem begegnet, der
keine Aura besaß. Sie beobachtete Adam - nirgends sah
sie auch nur das blasseste Glühen. Trotzdem handelte es
sich um einen fröhlichen, offenen und leicht zu begei-
sternden Jungen; er schien so ausgeglichen zu sein wie
eine gut balancierte Waage.
Vielleicht bin ich einfach nur müde, dachte Anathema.
Adam hing geradezu an ihren Lippen, und die junge
Frau empfand es als angenehm, einen so interessierten

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Ein gutes Omen

Schüler zu haben. Sie lieh ihm einige Exemplare des


>New Aquarian Digest<, eines kleinen Magazins, das ein
Bekannter von ihr herausgab.
Es änderte Adams Leben. Zumindest für den Rest des
Tages.
Zum großen Erstaunen seiner Eltern ging er früh zu
Bett, griff dort nach seiner Taschenlampe, nahm einen
Beutel Zitronenbonbons, zog sich die Decke über den
Kopf und las bis spät in die Nacht. Er lutschte und
schmatzte hingebungsvoll, flüsterte ein gelegentliches
»Toll!« oder »Wer hätte das gedacht?«
Als sich die Ladung der Batterien erschöpfte, schlug
er die Decke zurück, streckte sich aus und erweckte den
Anschein, das von der Decke herabhängende Geschwa-
der von X-wing™-Kampfflugzeugen zu beobachten. Sie
schwangen in einer leichten Brise hin und her.
In Wirklichkeit reichte Adams Blick ins Leere. Seine
Phantasie drehte sich wie ein Karussell, und die Vorstel-
lungskraft bot ihm ein völlig neues Panorama an.
Diese Sache unterschied sich von Wensleydales Tante
und einem Weinglas. Anathemas Okkultismus lockte
mit einer wesentlich größeren Faszination.
Außerdem mochte er die junge Frau. Nun, eigentlich
war sie gar nicht jung. Sie erschien ihm sogar ziemlich
alt; immerhin betrug der Altersunterschied... sieben
Jahre? Acht? Oder gar zehn? Aber darauf kam es nicht
an. Sie gefiel Adam, und wenn er jemanden sympa-
thisch fand, versuchte er immer, der betreffenden Person
eine Freude zu bereiten.
Wie konnte er dafür sorgen, daß sich Anathema
freute?
Man vermutet häufig, die Welt werde von großen
Bomben, wahnsinnigen Politikern, verheerenden Erdbe-
ben oder Völkerwanderungen verändert, doch derartige
Ansichten sind inzwischen längst überholt und lassen
sich keineswegs mit einer modernen Denkweise verein-
baren. Immerhin gibt es die sogenannte Chaostheorie,
und sie postuliert folgendes: In Wirklichkeit gehen alle
Veränderungen auf subtile, banal erscheinende Dinge
zurück. Wenn im Amazonas ein Schmetterling die
Schwingen ausbreitet, so kann er damit einen Sturm be-
wirken, der halb Europa verwüstet.
Irgendwo in Adams vom Schlaf heimgesuchtem Be-
wußtsein schlüpfte ein Schmetterling aus dem Kokon
der Phantasie.
Wenn sie gewußt hätte, was sie daran hinderte,
Adams Aura zu sehen, wäre Anathema vielleicht zu
einigen wichtigen Schlußfolgerungen gelangt.
Es erging ihr wie jemandem, der vor lauter Wald die

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Ein gutes Omen

Bäume nicht sieht.


Die automatischen Kontrollsysteme gaben ziemlich laut-
stark Alarm.
Natürlich geschieht es alles andere als selten, daß im
Kontrollraum eines Atomkraftwerks Alarm gegeben
wird. Es gehört zur allgemeinen Routine. Angesichts der
vielen Bildschirme, Indikatoren und anderen Anzeigen
könnte man etwas Wichtiges übersehen, wenn nicht
zumindest ein beharrliches Piepen ertönt.
Die verantwortungsvollen Aufgaben des aufsicht-
führenden Ingenieurs verlangen einen fähigen, ruhigen
und unerschütterlichen Mann, der nicht sofort zum
Parkplatz läuft, wenn es zu einem Notfall kommt. Sol-
che Männer erwecken selbst dann den Eindruck, Pfeife
zu rauchen, wenn sie überhaupt keine Pfeife in der
Hand halten.
Es war drei Uhr morgens im Kontrollraum des Atom-
kraftwerks >Wendepunkt<, normalerweise eine hübsche
ruhige Zeit, da nichts zu tun war, außer die Berichte und
Listen auszuschreiben und dem fernen Summen der
Turbinen zu lauschen.
Bis jetzt.
Horace Gander sah die aufblinkenden roten Warnlich-
ter. Er sah auf einige Anzeigen. Er sah in die Gesichter
seiner Kollegen. Dann hob er den Kopf und blickte auf
das große Zifferblatt an der gegenüberliegenden Wand.
Vierhundertzwanzig einigermaßen zuverlässige und re-
lativ billige Megawatt verließen das Kraftwerk. Wenn
man den übrigen Anzeigen vertrauen konnte, wurden
sie überhaupt nicht produziert. Der Ingenieur ver-
zichtete auf Bemerkungen wie >Das ist merkwürdig<. Er
hätte nicht einmal dann >Das ist merkwürdig< gesagt,
wenn mehrere geigespielende Schafe an ihm vorbeige-
radelt wären. Das war keine Bemerkung, die ein Inge-
nieur machte.
Er sagte schlicht und einfach: »Alf, du solltest besser
den Direktor verständigen.«
Drei anstrengende Stunden verstrichen. Dutzende
von Telefongesprächen fanden statt, und die Telefax-Lei-
tungen liefen schon nach wenigen Minuten heiß. Sieben-
undzwanzig Personen wurden rasch hintereinander aus
dem Bett geholt, und sie beendeten den Schlummer von
dreiundfünfzig weiteren - wenn jemand nachts um vier
von einer panikerfüllten Stimme geweckt wird, möchte
er eben nicht allein sein. Außerdem mußte man viele
Genehmigungen einholen, um den Reaktorkern zu öff-
nen.
Sie bekamen sie, öffneten den Reaktor und warfen
einen Blick hinein.

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Ein gutes Omen

Horace Gander meinte: »Bestimmt gibt es eine ver-


nünftige Erklärung dafür. Fünfhundert Tonnen Uran
können nicht einfach so davonspaziert sein.«
Der Geigerzähler in seiner Hand hätte eigentlich wie
ein Maschinengewehr losknattern sollen. Statt dessen
gab er nur dann und wann ein zögerndes, halbherziges
Klick von sich.
An der Stelle des Reaktorkerns befand sich nur gäh-
nende Leere. Man hätte prima eine Partie Squash darin
spielen können.
Mitten auf dem hellen kahlen Boden lag ein Zitro-
nenbonbon.
Außerhalb der Kammer röhrten die Turbinen.
Und hundert Meilen entfernt drehte sich der schla-
fende Adam Young auf die andere Seite.
Raven Sable - schlank, bärtig und ganz in Schwarz ge-
kleidet - saß im Fond einer schwarzen Limousine, hob
einen schmalen schwarzen Telefonhörer und sprach mit
der kalifornischen Filiale seines Unternehmens.
»Wie läuft's?« fragte er. :
»Bestens, Chef«, antwortete der Marketing-Leiter.
»Morgen frühstücke ich mit den Einkäufern aller wichti-
gen Supermarkt-Ketten. Kein Problem. Im nächsten
Monat stehen unsere MAHLZEITEN™ überall in den Rega-
len.«
»Gute Arbeit, Nick.«
»Kein Problem. Kein Problem. Wir kommen deshalb
so gut zurecht, weil Sie hinter uns stehen. Sie haben
genau die richtigen Ideen, um den Markt umzukrem-
peln. Wir führen nur Ihre Anweisungen aus. Sie stimu-
lieren unsere Kreativität.«
»Danke«, sagte Sable und unterbrach die Verbindung.
Auf die MAHLZEITEN™ war er besonders stolz.
Vor elf Jahren hatte das Unternehmen >Schpaise< ganz
klein begonnen. Einige wenige Lebensmittelchemiker,
Dutzende von Marketing- und Public Relations-Exper-
ten und ein gutes Firmenzeichen.
Zwei Jahre der Investitionen und Forschungen führ-
ten zum ersten Schpaise-Produkt: FUTTER™. FUTTER™
bestand aus speziell bearbeiteten, speziell strukturier-
ten und speziell entkalorisierten Protein-Molekülen, die
selbst von den hartnäckigsten Enzymen des Verdau-
ungstrakts ignoriert wurden. Die Süßstoffe schmeckten
süß - aber damit hatte es sich auch schon. Hinzu kamen
fibröse Materialen, Pigmente und geschmacksintensive
Konservierungsmittel. Das Ergebnis waren Lebensmit-
tel, die sich kaum von anderen unterscheiden. Es gab
nur zwei wichtige Unterschiede. Erstens: Der Preis war
ein wenig höher. Zweitens: Der Nährwert entsprach

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Ein gutes Omen

dem eines Sony Walkman. Es spielte keine Rolle, wieviel


man davon aß - man verlor Gewicht.*
Dicke Menschen kauften die neue Spezialität. Dünne
Menschen, die nicht dick werden wollten, kauften sie
* Und Haare. Und gesunde Hautfarbe. Wenn man genug davon aß,
verlor man auch das Lehen.
ebenfalls. FUTTER™ war die ultimate Diätnahrung. Das
Produkt kam in verschiedenen Sorten auf den Markt,
und die Gestaltungspalette reichte von Kartoffeln bis
Rehfleisch-Filets. Hähnchen verkauften sich am besten.
Sable lehnte sich zurück und hörte die Kasse klingeln.
Es dauerte nicht lange, bis FUTTER™ eine ökologische
Nische füllte, die bisher von modern-klassischen, ohne
das hochgestellte ™ ausgestatteten Speisen beansprucht
worden war.
FUTTER™ bildete den Anfang. Es folgte SNACKS™ -Junk
Food aus echtem organischen Müll.
MAHLZEITEN™ stellten Sables neueste Meisterleistung
dar.
MAHLZEITEN™ war FUTTER™ mit Zucker und Fett. Rein
theoretisch sollte folgendes geschehen: Wer genug
MAHLZEITEN™ aß, wurde a) sehr dick und starb b) an Un-
terernährung.
Dieses Paradoxon gefiel Sable.
Derzeit wurden die MAHLZEITEN™ überall in Amerika
getestet: Pizza-MAHLZElTEN, Fisch-MAHLZElTEN, chinesi-
sche MAHLZEITEN, makrobiotische Reis-MAHLZErrEN, so-
gar Hamburger-MAHLZElTEN.
Sables Limousine stand auf dem Parkplatz des Burger
Lord in Des Moines, Iowa. Das-Fast Food-Restaurant
gehörte der Organisation, und schon seit sechs Monaten
servierte man dort Hamburger-MAHLZElTEN. Sable wollte
feststellen, welche Ergebnisse man inzwischen erzielt
hatte.
Er beugte sich vor und klopfte ans Glas, das ihn vom
Chauffeur trennte. Der Mann am Steuer betätigte eine
Taste, und daraufhin surrte die Scheibe herab.
»Sir?«
»Ich möchte mir einen direkten Eindruck verschaffen,
Marion. Zehn Minuten. Anschließend kehren wir nach
Los Angeles zurück.«
»Sir.«
Sable betrat den Burger Lord. Er unterschied sich
nicht von den übrigen Burger Lords in Amerika.* In der
Kinderecke tanzte McLordy der Clown. Das Personal
zeichnete sich durch jene Art von strahlendem Lächeln
aus. das nie die Augen erreicht. Hinter dem Tresen
stand ein dicklicher, gut vierzig Jahre alter Mann in Bur-
ger-Uniform, schaufelte Frikadellen auf die Bratbleche

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Ein gutes Omen

und summte fröhlich vor sich hin.


Sable trat näher.
»Hallo-ich-heiße-Marie«, sagte die junge Frau an der
Kasse. »Was-darfs-sein?«
»Einen Super-hyper-Bi-Burger mit extra Pommes und
ohne Senf«, erwiderte Sable.
»Was-zu-trinken?«
»Einen großen Schoko-Banane-Shake mit Sahne oben-
drauf.«
Die junge Frau betätigte einige Piktogramm-Tasten.
(Man brauchte nicht unbedingt Schreiben und Lesen zu
beherrschen, um in einem solchen Restaurant zu arbei-
ten. Es genügte völlig, lächeln zu können.) Dann drehte
sie sich zu dem dicklichen Mann um.
»SHBB, EP, ohne Senf«, sagte sie. »Schoko-Banane.«
»Mhm-mhmm«, bestätigte der Koch. Er füllte die
Speisen in Papiertüten und strich sich eine grau wer-
dende Tolle aus der Stirn.
»Und schon fertig«, verkündete er.
Hallo-ich-heiße-Marie nahm die Tüten entgegen, ohne
* Wohl aber von den anderen Burger Lords im Rest der Welt. Um ein
Beispiel zu nennen: In deutschen Burger Lords verkaufte man kein
Malabier, sondern richtiges Bier. Englischen Burger Lords gelang es,
alle amerikanischen Fast Food-Tugenden ausfindig zu machen (man
denke in diesem Zusammenhang nur daran, wie schnell man das
Essen bekommt) und sich anschließend von ihnen zu trennen. Die
Mahlzeit wurde eine halbe Stunde nach der Bestellung serviert (sie
hatte also Zeit genug, sich auf Zimmertemperatur abzukühlen), und
man konnte das Brötchen nur deshalb vom Hamburger unterscheidenr,
weil ein Salatblatt dazwischen steckte. Ein vom Burger Lord-Zentral-
untemehmen nach Frankreich entsandter Geschäftsagent wurde zwan-
zig Minuten nach der Landung seines Flugzeugs erschossen.
den Mann anzusehen, der sich daraufhin wieder dem
Bratblech zuwandte und leise sang: »Loooove me ten-
der, looooove me true, neeever let me go ...«
Die Melodie, so stellte Sable fest, stand im kras-
sen Gegensatz zu den gesungenen Burger Lord-Wer-
besprüchen, die ständig und unaufdringlich aus ver-
borgenen Lautsprechern klangen. Er machte sich eine
gedankliche Notiz und beschloß, den Koch zu entlas-
sen.
Die junge Frau gab Sable seine MAHLZEIT™ und
wünschte ihm einen guten Tag.
Er ging zu einem Plastiktisch, nahm auf einem Pla-
stikstuhl Platz und betrachtete den Inhalt der Papier-
tüten.
Synthetisches Brötchen. Synthetischer Hamburger.
Pommes frites, die überhaupt nichts mit Kartoffeln zu

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Ein gutes Omen

tun hatten. Synthetische Soße. Sogar eine synthetische


Scheibe einer synthetisch eingelegten synthetischen Gur-
ke. Sable lächelte zufrieden. Er machte sich nicht die
Mühe, den Milch-Shake zu untersuchen. Der Ernäh-
rungswert des Becherinhalts war gleich null. Mit ande-
ren Worten: Dieses Getränk unterschied sich kaum von
denen der Konkurrenz.
Überall saßen Leute und aßen ihre MAHLZEITEN™. Sie
wirkten zwar nicht übermäßig begeistert, aber sie
schnitten auch keine angewiderten Mienen. Die Mimik
der Gäste entsprach dem für alle Burger Lords gelten-
den Durchschnitt.
Nach einer Weile stand Sable auf ging zum BITTE HAL-
TEN SIE DIE UMWELT RElN-Behälter, kippte das Tablett und
beobachtete, wie alles darauf durch die Klappe ver-
schwand. Wenn Sie ihn darauf hingewiesen hätten, daß
in Afrika Kinder verhungerten - vermutlich wäre er von
Ihrer Aufmerksamkeit geschmeichelt gewesen.
Jemand zupfte ihn am Ärmel. »Heißen Sie zufällig
Sable?« fragte ein kleiner Mann. Er trug eine Brille und
auf dem Kopf eine spitze Mütze mit der Aufschrift
Internationaler Expreßdienst. In der einen Hand hielt er
ein braunes Paket.
Sable nickte.
»Dachte mir's schon. Hab mich umgesehen und
dachte mir: großer Bursche mit Bart, guter Anzug, sol-
chen Typen begegnet man hier nicht oft. Ein Paket für
Sie, Sir.«
Sable unterschrieb dafür mit seinem richtigen Namen:
ein Wort, sechs Buchstaben. Klang wie das Knurren
eines Magens.
»Vielen herzlichen Dank, Sir«, sagte der Postbote. Er
zögerte. »He, der Kerl hinter dem Tresen. Erinnert er Sie
an jemanden?«
»Nein«, erwiderte Sable.
»Ich hab Geschichten gelesen«, sagte der kleine Mann.
»Über Elvis und Des Moines. Aber ich hätte nie ge-
dacht ...«Er schüttelte den Kopf.
Sable gab ihm ein Trinkgeld - fünf Dollar - und öff-
nete das Paket.
Es enthielt eine kleine Messingwaage.
Sable lächelte. Es war ein dünnes Lächeln, und es ver-
schwand sofort wieder.
»Wurde auch Zeit«, murmelte er und steckte die
Waage in die Tasche, ungeachtet der Tatsache, daß sie
seinen Anzug ausbeulte. Dann verließ er das Restaurant
und kehrte zur schwarzen Limousine zurück.
»Zum Büro?« fragte der Chauffeur.
»Nein, zum Flughafen«, antwortete Sable. »Rufen Sie

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Ein gutes Omen

dort an und buchen Sie den nächsten Flug nach Eng-


land.«
»Jawohl, Sir. England. Rückflugschein.«
Sable betastete die kleine Waage in seiner Tasche. »Ein
Ticket für den Hinflug genügt«, erwiderte Sable. »Um
den Rückflug kümmere ich mich selbst. Gegebenenfalls.
Oh, und noch etwas: Setzen Sie sich mit meinem Büro in
Verbindung und sagen Sie alle Termine ab.«
»Für wie lange, Sir?«
»Für drei Tage.«
Hinter dem Tresen des Burger Lords legte der Koch
sechs weitere Hamburger aufs Bratblech, überhörte die
Werbemelodien und sang weiterhin munter vor sich hin.
Er war der fröhlichste Mann auf der Welt. Endlich belä-
stigte man ihn nicht mehr mit Autogrammwünschen.
Seine Initialen lauteten EP, aber er nannte sich schlicht
und einfach Elvis.
Die Sie hörten mit großem Interesse zu. Es nieselte. Hier
und dort tropfte es durch Löcher im alten Wellblech und
in den Linoleumfladen, die das Dach der Bude bildeten.
Wenn es regnete, erwarteten Wensleydale, Brian und
Pepper, daß sich Adam etwas einfallen ließ, um drohen-
der Langeweile vorzubeugen, und auch diesmal waren
sie nicht enttäuscht. In Adams Augen glühte die Freude
des Wissens.
In der vergangenen Nacht war er erst gegen drei Uhr
eingeschlafen, neben einem Stapel New Aquarian Di-
gest-Magazinen.
»Und dann gab es da noch einen Mann namens Char-
les Fort«, sagte er. »Er konnte dafür sorgen, daß es Fi-
sche und Frösche und so regnete.«
»Hm«, machte Pepper. »Na klar. Wahrscheinlich le-
bende Frösche, nicht wahr?«
»O ja«, erwiderte Adam. Er kam langsam in Schwung.
»Sie hüpften herum und quakten und so. Die Leute be-
zahlten ihm viel Geld, damit er endlich verschwand,
und er... er...« Adam trat aufs Gaspedal seiner Phanta-
sie, um sich etwas Passendes einfallen zu lassen und das
Publikum zufriedenzustellen. Er glaubte, daß es nicht so
sehr auf die Authentizität von Einzelheiten ankam;
wichtig war in erster Linie, daß sie angemessen beein-
druckten. »Und er stach mit der Mary Celeste in See
und gründete das Bermuda-Dreieck. Es befindet sich in
der Nähe von Bermuda«, fügte er weise hinzu.
»Nein, dein Charles Fort kann unmöglich so eine
Reise gemacht haben«, sagte Wensleydale streng. »Ich
habe von der Mary Celeste gelesen. Als man sie fand,
war niemand an Bord. Sie ist berühmt dafür, daß nie-
mand an Bord war. Das Schiff trieb mitten auf dem

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Ein gutes Omen

Meer, und zwar mutterseelenallein.«


»Ich habe nicht behauptet, daß Charles Fort an Bord
war, als man die Mary Celeste wiederfand«, entgegnete
Adam bissig. »Es kommt mir überhaupt nicht in den
Sinn, so was zu behaupten. Bevor die Leute von der
Küstenwache oder was weiß ich eintrafen, landete ein
UFO und nahm ihn mit. Das weiß doch jeder.«
Die Sie entspannten sich ein wenig. UFOs boten ver-
traute Gesprächsthemen. Allerdings wußten sie nicht so
recht, was sie von New Age-UFOs halten sollten. Sie
hörten Adam auch weiterhin aufmerksam zu, doch ihrer
Meinung nach fehlte es den modernen UFOs am gewis-
sen Etwas.
»Wenn ich ein Außerirdischer wäre, liefe ich nicht
herum, um den Leuten was von kosmischer Harmonie
zu erzählen«, wandte Pepper ein. Wensleydale und
Brian nickten ernst. »Ich würde sagen...« Ihre Stimme
gewann einen heiseren, nasalen Klang, so als würde sie
hinter einer unheilvollen schwarzen Maske ertönen.
»>Diesch ischt eine Lascherkanone, und du wirscht mir
gefälligscht gehorchen, verdammter Rebell. <«
Die Sie nickten. Einige ihrer Lieblingspiele im Stein-
bruch basierten auf sehr erfolgreichen Kino- und TV-Fil-
men, in denen es um Laser, Roboter und Prinzessinnen
ging, die ihr Haar wie einen Stereo-Kopfhörer™ trugen.
(In diesem Zusammenhang gab es eine stillschweigende
Übereinkunft: Wenn jemand die Rolle einer dummen ,
Prinzessin spielen mußte, so kam Pepper dafür nicht in
Frage.) Normalerweise endete die ganze Sache in einem
Streit darüber, wer den Kohlenkübel™ benutzen und
fremde Planeten vernichten durfte. Adam zeigte beson-
deres Talent: Wenn er in die Rolle des Bösewichts
schlüpfte, erweckte er den Eindruck, als sei er tatsächlich
imstande, die ganze Welt zu zerstören. Die übrigen Sie
bewiesen große Begeisterung bei der Verheerung ir-
gendwelcher Planeten - vorausgesetzt, sie durften
gleichzeitig Prinzessinnen retten.
»Ich schätze, so haben sich die Außerirdischen früher
benommen«, sagte Adam. »Aber heute ist alles anders.
Heute hüllen sie sich in blauen Glanz, laufen durch die
Gegend und versuchen immer, irgend etwas Gutes zu
tun. Wie galaktische Polizisten, die den Leuten befehlen,
in kosmischer Harmonie zu leben und so.«
Stille folgte, und die vier Sie dachten über die Ver-
schwendung prächtiger UFOs nach.
»Ich möchte nur wissen warum man sie UFOs* nennt,
obwohl man doch genau weiß, daß es sich um fliegende
Untertassen handelt«, sagte Brian. »Ich meine, es sind
bekannte fliegende Objekte.«

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Ein gutes Omen

»Es liegt daran, daß die Regierung alles geheimhält«,


erwiderte Adam. »Ständig landen Millionen von UFOs,
aber die Regierung hält's geheim.«
»Warum?« fragte Wensleydale.
Adam zögerte. Seine Lektüre hatte ihm - noch? -
keine Antwort darauf geboten. Die New Aquarianer
gingen einfach von der grundsätzlichen Annahme aus,
daß die Regierung bestrebt war, alles zu vertuschen.
»Weil es die Regierung ist«, sagte er schließlich. »Regie-
rungen halten es für ihre Pflicht, den sogenannten Mantel
des Schweigens über Dinge zu legen. In London gibt es
ein großes Gebäude mit vielen Büchern und Hunderten
von vertuschten Sachen. Wenn der Premierminister mor-
gens mit der Arbeit anfängt, sieht er eine Liste durch, die
alle Ereignisse der vergangenen Nacht schildert, und
dann setzt er seinen großen roten Stempel drauf.«
»Ich wette, zuerst trinkt er eine Tasse Tee und liest die
Zeitung«, warf Wensleydale ein. Während der Ferien
war er einmal ins Büro seines Vaters gegangen, ohne
* Unidentified Flying Objects (dt. unbekannte Flugobjekte)
ihm vorher Bescheid zu geben, und bei dieser Gelegen-
heit hatte er gewisse Eindrücke gewonnen. »Und dann
spricht er mit seiner Sekretärin übers Fernsehprogramm
vom letzten Abend.«
»Na schön, aber nachher nimmt er die Liste und den
Stempel.«
»Auf dem »Wir brauchen einen neuen Mantel des
Schweigens< steht«, vermutete Pepper.
»Nein, >Streng Geheim<«, widersprach Adam. Inzwi-
schen bereute er den Versuch, seinen Erläuterungen aus-
schmückende Details hinzuzurügen - dadurch lief man
Gefahr, in eine Sackgasse der Phantasie zu geraten. »Es
ist wie mit Atomkraftwerken. Sie fliegen dauernd in die
Luft, aber man erfährt nichts davon, weil die Regierung
alles vertuscht.«
»Sie fliegen nicht dauernd in die Luft«, sagte Wensley-
dale fest. »Mein Vater sagt, die sind völlig sicher und be-
wahren uns davor, in einem Treibhaus zu leben. Außer-
dem: In einem meiner Comics* ist ein Atomkraftwerk
abgebildet, und nirgends wird erwähnt, daß solche An-
lagen in die Luft fliegen können.«
»Ich kenne den Comic«, entgegnete Brian. »Du hast
ihn mir mal geliehen. Die Art des Bildes gibt deutliche
Hinweise.«
Wensleydale überlegte. Seine Stimme deutete auf
mühsam erzwungene Geduld hin, als er erwiderte:
»Brian, nur weil es eine Explosionszeichnung ist...«
* Wensleydales angeblicher Comic war eine Loseblatt-Sammlung aus
insgesamt vierundneunzig Blättern (jede Woche erschien eins), und

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Ein gutes Omen

der Titel lautete: Wunder aus Natur und Wissenschaft. Bisher hatte er alle
Ausgaben vollständig, und zu seinem nächsten Geburtstag wünschte
er sich einen bunten Ordner. Brians wöchentliche Lektüre enthielt viele
Ausrufezeichen in den Überschriften, zum Beispiel >WhoOM!!< oder;
>PasAAF!!< Das galt auch für Pepper. Aber selbst bei der gräßlichsten i
aller Folterungen hätte sie nicht zugegeben, daß sie heimlich die Zeit-
Schrift Träume junger Mädchen - Absolut wahre Geschichten kaufte. Adam
las keine Comics; sie konnten es einfach nicht mit seiner Phantasie auf-
nehmen.
Das übliche kurze Gerangel schloß sich an.
»Hört auf damit!« sagte Adam streng. »Soll ich euch
vom Zeitalter des Wassermanns erzählen oder nicht?«
Der handgreifliche Streit (solche Auseinandersetzun-
gen waren nie sehr ernst, solange sie sich auf die Sie
beschränkten) endete sofort.
»Hm«, machte Adam und kratzte sich am Kopf.
»Jetzt habe ich vergessen, was ich sagen wollte.« Dann:
»Ah, ja. Ja. Nun, wenn man ein UFO sieht, kommen
Typen von der Regierung und schimpfen einen aus.«
Adam lächelte. Kein schlechter Einfall, fand er. »Sie fah-
ren große schwarze Wagen. In Amerika geschieht das
jeden Tag.«
Die Sie nickten wissend. Sie hatten nicht den gering-
sten Zweifel, was diesen Punkt betraf. Ihrer Ansicht
nach war Amerika ein Ort, den die Seelen guter Men-
schen nach ihrem Tod aufsuchten. Sie waren bereit
zu glauben, daß in Amerika praktisch alles passieren
konnte.
»Wahrscheinlich kommt es dadurch zu enormen Ver-
kehrsstauungen«, fuhr Adam fort. »Ich meine, die vie-
len Männer in schwarzen Wagen, die UFO-Seher aus-
schimpfen ... Sie sagen ihnen: He, wenn ihr weiterhin
UFOs seht, habt ihr irgendwann einen Unfall.«
»Vermutlich werden sie von einem schwarzen Wagen
überfahren«, sagte Brian und zupfte Schorf von einem
schmutzigen Knie. Plötzlich strahlte er. »Da fällt mir ein:
Mein Vetter hat mir von Läden in Amerika erzählt, wo
es neununddreißig verschiedene Sorten Eis gibt.«
Das verblüffte selbst Adam.
»So viele verschiedene Sorten Eis gibt es überhaupt
nicht«, wandte Pepper ein. »Selbst wenn man alle
verschiedene Sorten auf der ganzen Welt zusammen-
nimmt - man käme nie auf neununddreißig.«
»Und wenn man sie mischt?« fragte Wensleydale. Er
blinzelte wie eine Eule. »Ihr wißt schon. Erdbeer und
Schokolade. Schokolade und Vanille.« Er suchte nach
weiteren englischen Geschmacksrichtungen. »Erdbeer
und Vanille und Schokolade«, fügte er unsicher hinzu.

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Ein gutes Omen

»Und dann Atlantis«, sagte Adam laut.


Womit er sofort das Interesse der Sie weckte. Atlantis
gefiel ihnen. Im Meer versunkene Städte gehörten zu
den Lieblingsthemen der Sie. Mit gespannter Auf-
merksamkeit lauschten sie einem Bericht, in dem es um
Pyramiden, sonderbare Priester und uralte Geheimnisse
ging.
»Ist es langsam oder ganz plötzlich passiert?« erkun-
digte sich Brian.
»Nun, langsam und plötzlich«, sagte Adam. »Vielen .
Atlantem gelang es, die versinkende Insel mit Booten zu
verlassen, andere Länder zu erreichen und ihren Bewoh-
nern Mathematik und Englisch und Geschichte und so
beizubringen.«
»Ich weiß nicht, was daran so toll sein soll«, murmelte
Pepper.
»Auf einer versinkenden Insel zu leben, muß Spaß
machen«, sagte Brian sehnsüchtig. Er erinnerte sich an
die bereits historische Überschwemmung Lower Tad-
neids. »Man bringt Milch und Zeitungen mit Booten,
und niemand muß zur Schule.«
»Wenn ich ein Atlanter wäre, wäre ich einfach auf der :
Insel geblieben«, sagte Wensleydale. Diese Bemerkung
rief spöttisches Gelächter hervor, aber er achtete nicht
darauf. »Man braucht nur einen Taucherhelm zu tragen,
das ist alles. Und man muß die Fenster zunageln und
die Häuser mit Luft füllen. Das wäre toll.«
Adam bedachte Wensleydale mit einem eisigen Blick,
den er immer dann anwandte, wenn jemand von der
Gruppe eine Idee hatte, die er selbst gern gehabt hätte.
»Es wäre möglich«, räumte er widerstrebend ein. »Ja,
vielleicht haben die Atlanter zuerst alle Lehrer fortge-
schickt und sich dann auf ein Leben am Meeresgrund
eingerichtet. Vielleicht blieben alle anderen zu Hause.
Mit Taucherhelmen und Schwimmflossen und so.«
»Es ist überhaupt nicht nötig, daß man sich wäscht«,
sagte Brian. Er mußte sich immer waschen, wenn er
heimkehrte, und seiner Ansicht nach schadete zuviel
Wasser der Gesundheit. Außerdem: Selbst eine gefüllte
Badewanne und jede Menge Seife nützten nichts. Der
Schmutz schien an Brian festzukleben. »Weil alles sauber
bleibt. Im Garten könnte man Algen anpflanzen. Und
Korallen. Und man kann Haie jagen und so. Und man
kann sich Tintenfische wie Hunde oder Katzen halten.
Und es gibt keine Schulen, weil alle Lehrer fortgeschickt
wurden.«
»Vielleicht leben sie noch immer dort unten«, sagte
Pepper nachdenklich.

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Ein gutes Omen

Die Sie dachten an Atlantis und die Atlanter, stell-


ten sich geheimnisvolle Gestalten mit geheimnisvollen
Umhängen vor, die Köpfe in Goldfischgläsern. Vor ihren
inneren Augen sahen sie eine große Stadt am Meeres-
grund, bewohnt von den seltsamsten Wesen...
»Hm«, machte Pepper und brachte damit auch die
Meinung ihrer Freunde zum Ausdruck.
»Was machen wir jetzt?« fragte Brian. »Die Sonne
scheint wieder.«
Sie entschieden sich für >Charles Fort entdeckt tolle
Dinge<. Bei diesem Spiel stapfte -ein Sie mit den Über-
bleibseln eines alten Regenschirms umher, während die
anderen Frösche auf ihn herabregnen ließen. Besser ge-
sagt: einen Frosch. Mehr konnten sie im Teich nicht fin-
den. Es handelte sich um einen älteren Frosch, der die
Sie gut kannte und ihr Interesse an ihm tolerierte: Es
war der Preis, den er für einen Teich zahlte, in dem es
weder Hechte noch andere hungrige Mäuler gab. Eine
Zeitlang ließ er alles geduldig über sich ergehen, doch
dann hüpfte er davon und verbarg sich in einem alten
Abflußrohr - dieses Versteck kannten die Kinder noch
nicht.
Kurze Zeit später kehrten die Sie zum Mittagessen
nach Hause zurück.
Adam war mit den am Morgen vollbrachten Leistun-
gen recht zufrieden. Er hatte immer gewußt, daß die Welt
viel Interessantes bot. Seine Vorstellungskraft bevölkerte
den Planeten Erde mit Cowboys, Detektiven, Spionen,
Astronauten und so weiter. Doch gleichzeitig hegte er
den ernsten Verdacht, daß solche Leute nur in Büchern
und nicht mehr in der Wirklichkeit existierten, wenn
man genauer darüber nachdachte.
Aber das Zeitalter des Wassermanns war wirkliche
Wirklichkeit. Erwachsene hatten viele Bücher darüber
geschrieben - im >New Aquarian Digest< wimmelte es
von entsprechenden Anzeigen. Mit anderen Worten:
Bigfoot, der Yeti, das Ungeheuer vom Loch Ness, Sur-
rey-Pumas und diverse mystische Monster existierten
wirklich. Adam fühlte sich wie ein spanischer Konquista-
dor, der gerade das sagenhafte Eldorado entdeckt hatte.
Die Welt war bunt und hell und herrlich - und er be-
fand sich mittendrin.
Rasch leerte er seinen Teller und ging dann in sein
Zimmer. Es gab noch immer einige Ausgaben des NAD,
die darauf warteten, von ihm gelesen zu werden.
Der Kakao war eine zähe Masse, die den halben Becher
füllte. Im Lauf der Jahrhunderte hatten einige Menschen
versucht, Agnes Spinners Prophezeiungen zu verstehen.
Die meisten von ihnen waren recht intelligent gewesen.

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Ein gutes Omen

Anathema Apparat kam Agnes so nahe, wie es die Ge-


setze der genetischen Vererbung erlaubten, und ihre in-
terpretativen Fähigkeiten gingen weit über die aller an-
deren Angehörigen der Apparat-Familie hinaus.
Aber niemand von ihnen war ein Engel gewesen.
Viele Leute, die Erziraphael zum ersten Mal begegne-
ten, hielten ihn a) für einen Engländer, b) für intelligent
und c) für verschmitzter als einen Baum voller Affen,
die gerade eine gehörige Portion Lachgas eingeatmet
hatten. In zwei Punkten irrten sie sich. Der Himmel ist
nicht England, auch wenn gewisse Dichter etwas ande-
res behaupten. Und Engel haben kein Geschlechtsleben,
außer wenn sie sich wirklich anstrengen. Aber Erzira-
phael war intelligent. Er verfügte über die normale
himmlische Intelligenz - eine engelhafte Intelligenz,
nicht viel höher als die menschliche. Aber sie ging in die
Breite und hatte den Vorteil einer mehrtausendjährigen
Anwendererfahrung.
Erziraphael war der erste Engel, der einen Computer
besaß. Es handelte sich um ein langsam arbeitendes
Gerät, das zum größten Teil aus billigem Kunststoff
bestand. Es wurde als das ideale Gerät für den kleinen
Geschäftsmann angepriesen. Erziraphael benutzte den
Computer für die Buchführung. Er lieferte so genaue
und detaillierte Einkommensteuererklärungen ab, daß
die Finanzämter Verdacht schöpften und insgesamt fünf
Prüfungen vornahmen, in der sicheren Überzeugung,
daß er irgendwo eine Leiche im Keller hatte.
Doch es gab noch andere Berechnungen, die von kei-
nem Computer durchgeführt werden konnten. Manch-
mal kritzelte Erziraphael etwas auf einen Zettel, der ne-
ben dem Buch lag. Auf der ganzen Erde gab es nur acht
Menschen, die solche Symbole verstehen konnten: Zwei
von ihnen waren mit dem Nobelpreis ausgezeichnet
worden; und einer sabberte ziemlich viel und bekam
keine scharfen Gegenstände in die Hände, da man nie
wußte, was er damit anstellen würde.
Anathemas Mittagessen bestand aus einer einfachen
Suppe, und anschließend nahm sie sich ihre Karten vor.
Kein Zweifel: Im Bereich von Tadfield gab es besonders
intensive Auren-Strahlungen; selbst dem berühmten Re-
verend Watkins war es gelungen, einige zu identifizie-
ren. Aber wenn sich die junge Hexe nicht vollkommen
irrte, veränderte sich die allgemeine Emanationsstruk-
tur.
Die ganze Woche über hatte sie mit ihrem Thauodali-
ten und dem Pendel Messungen vorgenommen. Dut-
zende von Kreuzen und kleinen Pfeilen bedeckten die
amtliche topographische Karte.

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Ein gutes Omen

Eine Zeitlang starrte Anathema darauf hinab. Dann


griff sie nach einem Filzstift, zog gelegentlich ihre Noti-
zen zu Rate und verband die einzelnen Markierungen.
Stimmen drangen aus dem Radiolautsprecher, aber
Anathema hörte gar nicht hin. Die meisten Nachrichten
passierten ihre Trommelfelle, ohne anzuklopfen - bis
einige Schlüsselworte ins Bewußtsein der jungen Frau
drangen und Aufmerksamkeit verlangten.
Ein sogenannter >Sprecher< schien der Hysterie nahe
zu sein.
»...keine Gefahr für unsere Mitarbeiter oder die Öf-
fentlichkeit«, sagte er gerade.
»Wieviel nuklearer Brennstoff ist verschwunden?«
fragte der Reporter.
Eine Pause folgte. »Nun, von >verschwunden< kann
keine Rede sein«, erwiderte der Sprecher. »Ich meine,
jedenfalls nicht im Sinne von >verloren<. Wir haben ihn
nur, äh, irgendwo verlegt.«
»Das Uran befindet sich also noch immer im Kraft-
werk?«
»Ah«, sagte der Sprecher. »Äh. Wir halten es für un-
möglich, daß es jemand fortgebracht hat. Ah.«
»Ziehen Sie eine Aktion von Terroristen in Betracht?«
Wieder schloß sich kurzes Schweigen an. »Ja, ich
glaube, eine solche Möglichkeit läßt sich nicht ausschlie-
ßen«, erwiderte der Sprecher im Tonfall eines Mannes,
der die Nase voll hat, in Gedanken bereits sein Kündi-
gungsschreiben aufsetzt und fest entschlossen ist, ir-
gendwo Hühner zu züchten. »Ja, das müssen wir. Wir
brauchen nur einige Terroristen zu finden, die imstande
sind, einen aktiven Reaktorkern aus dem Stahlbetonman-
tel zu nehmen, ohne daß jemand es merkt. Das Ding
wiegt etwa tausend Tonnen und ist fast fünfzehn Meter
hoch. Es müssen also recht starke Terroristen sein. Nun,
Sir, vielleicht möchten Sie die Betreffenden anrufen, um ihnen einige Ihrer hochnäsigen,
vorwurfsvollen Fragen
zu stellen.«
»Eben erklärten Sie noch, das Kraftwerk produziere
weiterhin Elektrizität«, sagte der Interviewer ungerührt.
»In der Tat.«
»Aber wie ist das möglich, wenn es überhaupt keinen
Reaktor mehr hat?«
Es war eine Radiosendung, aber trotzdem konnte man
das irre Grinsen des Sprechers sehen. Die Übertragung
funktionierte so gut, daß sogar ein Kugelschreiber sicht-
bar wurde, der verschiedene »Bauernhof zu verkaufen<-
Anzeigen in Landwirtschaft heute ankreuzte. »Keine Ah-
nung«, lautete die Antwort. »Wir hofften, ihr schlauen
Typen von der BBC hättet irgendeine Idee.«

file:///G|/Books/1/omen.htm (136 von 339) [16.06.2001 15:32:19]


Ein gutes Omen

Anathema konzentrierte sich wieder auf die Karte.


Die Verbindungslinien zwischen den einzelnen Kenn-
zeichnungen schienen eine Galaxis zu formen. Eine ge-
wisse Ähnlichkeit mit den besseren Runenmustern in
keltischen Monolithen ließ sich ebenfalls nicht leugnen.
Die Auren-Strahlen veränderten sich. Sie bildeten eine
Spirale.
Und selbst wenn man einen Fehlerspielraum berück-
sichtigte: Sie zeigte eindeutig auf Lower Tadfield.
Während Anathema auf die Spirale starrte, lief sieben-
tausend Meilen entfernt das Kreuzfahrtschiff Morbilli
auf Grund. Das war seltsam, denn an dieser Stelle war
das Meer angeblich mindestens 300 Faden tief.
Für Captain Vincent ergab sich dadurch ein neues
Problem. Eigentlich sollte er jetzt den Reeder verständi-
gen, aber die moderne Welt sorgte dafür, daß der Ree-
der von Tag zu Tag - manchmal sogar von Stunde zu
Stunde - wechselte.
Es lag an den verdammten Computern. Die Eigen-
tumsurkunden des Schiffes (und auch alle anderen
Dokumente) existierten nur in Form elektronischer Da-
teien, und dadurch konnte man innerhalb eines Sekun-
denbruchteils auf die vorteilhafteste Flagge umschalten.
Auch die Navigation war computerisiert; mit Hilfe von
Satelliten konnte jederzeit festgestellt werden, wo sich
das Schiff befand. Captain Vincent hatte den Reedern -
wer sie auch sein mochten - geduldig erklärt, daß meh-
rere hundert Quadratmeter Stahlplatten und ein Faß
voller Nieten eine weitaus bessere Investition darstell-
ten, woraufhin er zur Antwort bekam, aufgrund der
gegenwärtigen Kosten-Nutzen-Rechnungen müsse sein
Vorschlag als wenig profitabel zu den Akten gelegt wer-
den.
Captain Vincent argwöhnte, daß die Morbilli trotz der
teuren Elektronik an Bord unter Wasser mehr wert war
als darauf. Vermutlich sank sie irgendwann als das am
besten lokalisierte Wrack in der nautischen Geschichte.
Was in diesem Zusammenhang bedeutete, daß auch
er tot mehr wert war als lebend.
Captain Vincent saß an seinem Schreibtisch und blät-
terte im Internationale Schiffahrts-Codes. Das Buch ent-
hielt sechshundert Seiten, auf denen knappe, aber sehr
präzise Hinweise standen. Die Kürzel dienten dazu,
alle nur denkbaren nautischen Vorfälle mit einem Mini-
mum an Fehlem und natürlich auch an Kosten zu schil-
dern.
Er wollte folgende Botschaft funken: Wir haben Posi-
tion 33º N 47º 72' 0 erreicht, und unser Kurs ist SSW.
Mein Erster Maat - vielleicht erinnern Sie sich daran,

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Ein gutes Omen

daß er mir auf Neuguinea zugewiesen wurde, und zwar


gegen meinen Willen (wahrscheinlich ist er Kopfjäger) -
gab mir mit seiner Gestensprache zu verstehen, irgend-
etwas sei nicht in Ordnung. Offenbar stieg während der
Nacht ein großer Teil des Meeresbodens an. Darauf ste- hen Gebäude, viele von ihnen
pyramidenförmig. Wir
sind im Hof eines solchen Bauwerks auf Grund gelau-
fen. Am Rande des Platzes stehen einige höchst sonder-
bare Statuen. Freundliche alte Männer (sie tragen lang
Umhänge und Taucherhelme) kamen an Bord und plan
dem mit den Passagieren, die glauben, wir hätten das
alles organisiert. Erbitte Ihren Rat.
Captain Vincents Zeigefinger strich über mehrere Sei-
ten und verharrte an einer bestimmten Stelle. Ach ja, die
guten alten Internationalen Codes. Sie waren inzwischen
achtzig Jahre alt, aber die Leute, die sie sich ausgedacht
hatten, hatten gründlich über alle möglichen Gefahren
auf (oder in) den weiten Ozeanen nachgedacht.
Er griff nach einem Kugelschreiber und schrieb:
XXXV QWX.
Was folgendes bedeutete: Habe den Versunkenen
Kontinent Atlantis gefunden. Hoherpriester hat gerade
den Wurfringspiel-Wettbewerb gewonnen.
»Sie ist es nicht!
»Sie ist es doch!«
»Sie ist es nicht!«
»Und sie ist es doch!«
»Sie ist es... Na schön.« Wensleydale seufzte. »Und
die Vulkane?« fragte er triumphierend.
»Was soll mit ihnen sein?« erwiderte Adam.
»Die Lava stammt aus dem Erdinnern, und da herr-
schen ziemlich hohe Temperaturen«, sagte Wensleydale.
»Ich hab's im Fernsehen gesehen. Hoimar von Ditfurth
hat alles erklärt. Es ist also die Wahrheit.«
Die anderen Sie sahen Adam an. Ihre Köpfe bewegten
sich wie bei einem Tennismatch.
Die Theorie von der Hohlen Erde hatte im Steinbruch
einen schweren Stand. So hervorragende Denker wie
Cyrus Read Teed, Bulwer Lytton und Adolf Hitler neig-
ten sich tief im Wind von Wensleydales erbarmungs-
loser Logik.
»Ich habe nicht behauptet, daß sie völlig hohl ist«,
sagte Adam. »Es käme mir nie in den Sinn zu behaup-
ten, die Erde sei durch und durch hohl. Nein. Wahr-
scheinlich ist sie bis zu einer Tiefe von vielen Kilometern
recht massiv, und in jenen Bereichen enthält sie Lava, Öl,
Kohle, tibetanische Tunnel und so. Aber noch weiter
unten gibt's nichts mehr, nur noch Leere. So heißt es in
den Zeitschriften. Und am Nordpol befindet sich ein

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Ein gutes Omen

Loch, damit Luft hineinströmen kann.«


»Hab nie eins im Atlas gesehen«, brummte Wensley-
dale skeptisch.
»Die Regierung hat verboten, das Loch im Atlas zu
zeigen - damit keine Schaulustigen kommen und sich
die Sache aus der Nähe ansehen«, entgegnete Adam.
»Außerdem: Die Leute in der Hohlen Erde wollen nicht,
daß man dauernd auf sie herabstarrt.«
»Was meinst du mit tibetanischen Tunneln?« fragte
Pepper. »Du hast eben >tibetanische Tunnel< gesagt.«
»Oh, habe ich euch noch nicht davon erzählt?«
Die übrigen Sie schüttelten die Köpfe.
»Eine interessante Angelegenheit. Ihr kennt doch
Tibet, oder?«
Adams Zuhörer nickten unsicher. Ihre Phantasie
zeigte ihnen halb vertraute Bilder: Jaks, den Mount
Everest, Leute, die ständig mit irgendwelchen Dingen
klimperten, alte Männer auf Berggipfeln, jüngere Män-
ner, die in uralten Tempeln Kung Fu lernten. Und
natürlich Schnee.
»Nun, erinnert ihr euch an die vielen Lehrer, die
Atlantis verließen?«
Wieder nickte das Publikum.
»Nun, einige von ihnen reisten nach Tibet, und jetzt
beherrschen sie die Welt. Sie heißen >Geheime Meistere
Wahrscheinlich bezieht sich das auf ihre Vergangenheit
als Lehrer. Sie haben nicht nur eine geheime unterir-
dische Stadt namens Schambala gebaut, sondern auch
viele Tunnel, die den ganzen Planeten durchziehen - um
zu wissen, was vor sich geht. Um alles zu kontrollieren.«
Adam holte tief Luft und fuhr im Tonfall eines klugen
Philosophen fort: »Manche Leute glauben, die Gehei-
men Meister wohnen unter der Wüste Gobi, aber die
meisten Experten auf diesem Gebiet gehen davon aus,
daß sie in Tibet leben. Ist auch besser fürs Tunnelgra-
ben.«
Aus einem Reflex heraus blickten die Sie auf den stei-
nigen Boden unter ihren Füßen.
»Wie erfahren sie, was vor sich geht?« fragte Pepper.
»Sie brauchen nur zu lauschen«, erwiderte Adam. »Ja,
sie hocken in ihren Tunneln und spitzen die Ohren. Dir
wißt ja, wie gut Lehrer hören. Sie schöpfen sofort Ver-
dacht, wenn jemand in der hintersten Reihe leise flü-
stert.«
»Meine Oma benutzte einen Trichter, den sie an die
Wand hielt«, warf Brian ein. »Sie war immer empört,
daß man aus der Wohnung nebenan alles so deutlich
hören konnte.«
»Und die Tunnel erreichen jeden Ort?« Pepper be-

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Ein gutes Omen

trachtete noch immer den Boden.


»Sie führen überall hin«, sagte Adam fest.
»Muß ziemlich anstrengend gewesen sein«, murmelte
Pepper nachdenklich. »Als wir versucht haben, einen
Tunnel zu graben ... Wir haben den ganzen Nachmittag
daran gearbeitet, trotzdem hatten wir da drin kaum
Platz für uns alle.«
»Die Tibetaner hatten viele Millionen Jahre Zeit, um
ihr Tunnelsystem zu erschaffen. Man kann wirklich gute
Tunnel anlegen, wenn man viele Millionen Jahre Zeit
hat.«
»Ich dachte, die Chinesen hätten Tibet erobert, und
der Dalai-Lama mußte nach Indien fliehen«, wandte
Wensleydale ein, aber es klang nicht sehr überzeugt.
Jeden Abend las Wensleydale die Zeitung seines Vaters,
doch die prosaische Alltäglichkeit der Welt verlor sofort
ihren Reiz, wenn Adam mit seinen Erklärungen begann.
»Ich wette, sie sind jetzt da unten«, sagte Adam und
überhörte die letzte Bemerkung Wensleydales. »Be-
stimmt sitzen inzwischen Dutzende von ihnen in ihren
Tunneln und hören zu.«
Die Sie sahen sich an.
»Wenn wir schnell genug graben...«, begann Brian.
Pepper war nicht so langsam von Begriff und stöhnte.
»Warum mußt du das bloß sagen?« klagte Adam.
»Jetzt können wir sie wirklich überraschen, nicht wahr?
Ich dachte gerade: >Mann, wenn wir schnell genug gra-
ben, erwischen wir sie vielleicht. < Und eine Sekunde
später hast du sie gewarnt.«
»Ich glaube nicht, daß die Tibetaner so viele Tunnel
gegraben haben«, sagte Wensleydale trotzig. »Es ergibt
keinen Sinn. Tibet ist Hunderte von Kilometern und
Meilen entfernt.«
»O ja, o ja«, erwiderte Adam sarkastisch. »Wahr-
scheinlich weißt du darüber besser Bescheid als Ma-
dame Blavavatsky, wie?«
»Wenn ich ein Tibetaner wäre«, verkündete Wensleydale
betont vernünftig, »würde ich einen senkrechten Tunnel
graben, bis zum hohlen Zentrum der Erde. Dann ginge ich
an der Innenseite entlang, bis zur richtigen Stelle, von der
aus man sich bloß nach oben buddeln muß.«
Die Sie dachten darüber nach.
»Das leuchtet mir irgendwie ein«, sagte Pepper.
»Ja, gut.« Adam stöhnte leise. »Vermutlich gehen die
Tibetaner genau auf diese Art und Weise vor. Ich meine,
früher oder später sind sie ebenfalls auf diese Idee ge-
kommen.«
Brian blickte verträumt zum Himmel hinauf, während
er mit dem Zeigefinger den Inhalt seines rechten Ohrs

file:///G|/Books/1/omen.htm (140 von 339) [16.06.2001 15:32:19]


Ein gutes Omen

untersuchte.
»Eigentlich komisch«, murmelte er. »Das ganze Leben
lang geht man zur Schule und lernt irgendwas. Aber er-
zählen einem die Lehrer vom Bermuda-Dreieck, von
UFOs und Geheimen Meistern im Innern der Erde?
Nein. Ich frage mich: Warum müssen wir die ganze Zeit
über langweiliges Zeug lernen, wenn es so interessante
Sachen gibt?«
Wensleydale, Pepper und Adam stimmten ihm sofort
zu.
Dann verließen sie ihre Bude und spielten >Charles
Fort und die Atlanter gegen Alle Geheimen Meister von
Tibet<. Die Tibetaner wiesen allerdings darauf hin, daß
der Einsatz von uralten mystischen Lasern ihren Wider-
sachern einen ungerechtfertigten Vorteil gebe.
Früher einmal hatten Hexensucher großen Respekt ge-
nossen, wenn auch nicht besonders lange.
Zum Beispiel Matthew Hopkins, Hexensucher-Gene-
ral: m der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts suchte er
im Osten von England nach Hexen, und für jeden Erfolg
stellte er dem betreffenden Ort neun Pence in Rechnung.
Genau darin bestand das Problem. Hexensucher
bekamen keinen Stundenlohn. Man stelle sich einen He-
xensucher vor, der eine Woche lang sorgfältige Untersu-
chungen anstellte und dann dem Bürgermeister mit-
teilte: >Alles in Ordnung; nicht eine einzige Bewohnerin
dieses Ortes steht mit dem Teufel im Bunde. < Sie ahnen
es bereits, nicht wahr? Man dankte dem Ermittler über-
schwenglich, bot ihm eine lauwarme Suppe an und ver-
abschiedete ihn hastig.
Um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, mußte
Hopkins ziemlich viele Hexen finden. Was seine Popu-
larität bei den Gemeinderäten- drastisch reduzierte.
Schließlich wurde er selbst als Hexer gehängt - die Be-
wohner eines ostenglischen Dorfes kamen zu dem
durchaus logischen Schluß, daß sie ihre Betriebskosten
mit energischen Rationalisierungsmaßnahmen senken
konnten.
Viele Leute glauben, Hopkins sei der letzte Hexen-
sucher-General gewesen. Was in gewisser Weise auch
stimmt. Trotzdem geben sich die eben genannten Perso-
nen falschen Vorstellungen hin. Die Hexensucher-
Armee marschiert noch immer, wenn auch leiser und
unauffälliger.
Nun, es gibt keinen echten Hexensucher-General
mehr.
Es fehlen auch ein Hexensucher-Oberst, ein Hexensu-
cher-Major, ein Hexensucher-Hauptmann. Selbst ein He-

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Ein gutes Omen

xensucher-Leutnant ließe sich nicht finden. (Der letzte


starb im Jahre 1933, als er in Caterham von einem sehr
hohen Baum fiel. Von dort aus wollte er etwas beobach-
ten, das er für eine besonders schlimme und abscheuli-
che satanische Orgie hielt. In Wirklichkeit handelte es
sich um das jährliche Festessen mit Tanz der Markt-
händlervereinigung von Caterham und Whyteleafe.)
Aber es gibt einen Hexensucher-Feldwebel.
Und auch einen Hexensucher-Gefreiten. Er heißt
Newton Läuterer.
Seine Aufmerksamkeit wurde von einer Zeitungsan-
zeige geweckt. Sie verbarg sich zwischen Hinweisen auf
gebrauchte Kühlschränke und einem >einmaligen Ange-
bote bei dem es um nicht ganz reinrassige Dalmatiner
ging.
WERDE EIN ECHTER PROFI, LAUTETE DER TEXT. TEILZEITASSI-
STENT IM KAMPF GEGEN DIE MÄCHTE DER FINSTERNIS GE-
SUCHT. UNIFORM UND GRUNDAUSBILDUNG. AUFREGENDE
EINSÄTZE UND RASCHE BEFÖRDERUNGEN WERDEN GARAN-
TIERT. SEI EIN MANN!
Kurz nach dem Mittagessen wählte Newton die angege-
bene Nummer. Eine Frau antwortete.
»Hallo«, sagte er und zögerte. »Ich habe Ihre Anzeige
gelesen.«
»Welche denn, Schatz?«
»Äh, die in der Zeitung.«
»Oh, ich verstehe. Liebster. Nun, Madame Tracy zieht
den Schleier zwischen dem Hier und Drüben jeden
Nachmittag beiseite - nur am Donnerstag werden keine
Verbindungen zum Jenseits hergestellt. Gruppen sind
willkommen. Wann möchten Sie mit den Seelen der Ver-
storbenen sprechen. Teuerster?«
Newton zögerte erneut. »In der Anzeige hieß es
>Werde ein echter Profi<«, sagte er. »Von einer Madame
Tracy war nicht die Rede.«
»Ah, Sie meinen sicher Mister Shadwell. Haben Sie
eine Sekunde Geduld. Ich sehe nur rasch nach, ob er da
ist.«
Später, als Newton Gelegenheit gefunden hatte, Ma-
dame Tracy besser kennenzulernen, erfuhr er folgen-
des: Bei der Erwähnung der anderen Anzeige, die in
einem jener Magazine erschien, hätte Madame Tracy als
strenge Erzieherin und für eine sehr intime Massage zur
Verfügung gestanden - jeden Abend außer Donnerstag.
Hinzu kam eine dritte Werbung, die sich irgendwo in
einer Telefonzelle befand. Als sich Newton viel später
danach erkundigte, antwortete Madame Tracy, jener
Hinweis betreffe den Donnerstag.

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Ein gutes Omen

Auf einmal erklangen Schritte im Flur, ein schweres


Husten, und dann war eine Stimme zu hören, die der
Farbe eines alten Regenmantels entsprach.
»Jo?«
»Ich habe Ihre Anzeige gelesen. >Werde ein Profi.< Ich
würde gern mehr darüber wissen.«
»Jo. Esch gibt viele Leute, die gern mähr darüber
wischen möchten, und einige andere...« Die Stimme
verklang bedeutungsvoll, ertönte dann wieder mit
voller Lautstärke, »...fären dankbar dafähr, NICHTS zu
erfahren.«
»Oh«, brachte Newton unsicher hervor.
»Wie heißt du. Junge?«
»Newton. Newton Läuterer.«
»Loiterer? Bischt du wirklich bereit, dän Kampf gegen
die Finstemisch aufzunehmen und vor den Heerscharen
der Hölle das Banner desch Guten zu tragen? Oder hat
dich dar Satan höchstperschönlich geschickt, um die
Armee dar Hexensucher zu sabotieren, um dän Keim
desch Unheils in Tapferkeit und mut'ger Entschlossen-
heit zu säen?«
»Läuterer«, wiederholte Newton, der Mühe hatte,
dem Wortschwall Shadwells zu folgen. »Mit einem >ä<
wie in... wie in >äh<. Und ich bin keineswegs ein Ge-
sandter des Teufels.«
Shadwell klang ein wenig enttäuscht.
»Oh. Jo. Nun. Loiterer. Loiterer. Habe ich den Namen
vielleicht schon ainmal gehöret?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Newton. »Mein Onkel hat
einen Spielzeugladen in Hounslow«, fügte er hilfsbereit
hinzu.
»Ach, tatschächlich?«
Shadwells Akzent war nicht zu identifizieren. Er kam
einer Rundreise durch alle Landschaften Britanniens
gleich. Einmal glich er der Sprache eines verrückten wa-
lisischen Ausbilders, dann dem Ausdruck eines hohen
Kirchenmannes, der gerade sehen muß, daß jemand am
Sonntag arbeitet; dazwischen schlichen sich Worte ein,
die von einem Schafhirten aus Daleland oder einem ver-
bitterten Geizhals aus Somerset stammen mochten.
Gleichgültig, welche Färbung der Akzent auch annahm,
er wurde nicht angenehmer.
»Hascht du alle deine Zähne?«
»Oh, ja. Bis auf die Plomben.«
»Bischt du gesundig und kräftig?«
Newton glaubte zu wissen, worauf Shadwell hinaus
wollte. »I-ich glaube schon«, stotterte er. »Ich meine,
deshalb wollte ich mich ja der Heimwehr anschließen.
Brian Potter von der Buchhaltung kann seitdem hundert

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Ein gutes Omen

Liegestützen machen, ohne einen Herzinfarkt zu ris-


kieren. Und er nahm an dem Aufmarsch zu Ehren der
Königinmutter teil.«
»Wie viele Warzen habescht du?«
»Wie bitte?«
»Bruschtwarzen, mein Junge«, sagte Shadwell. »Wie- fiele Bruschtwarzen habescht du?«
»Ah. Zwei?«
»Gut. Gehöret eine Schere zu deiniger Ausrüsch-
tung?«
»Was?«
»Eine Schere? Bischt du etwa taub, Bursche?«
»Nein. Ja. Ich meine, ich habe eine Schere. Und ich bin
nicht taub.«
Der Kakao gewann allmählich die Konsistenz von Gra-
nit. Grüner Schimmel bildete sich darauf.
Eine dünne Patina aus Staub umhüllte Erziraphael.
Die Notizzettel wuchsen zu hohen Stapeln. Hunderte
von Lesezeichen - dünne Schnipsel aus dem Daily Tele-
graph - steckten in Agnes Spinners Buch.
Irgendwann bewegte sich der Engel und rümpfte die
Nase.
Sein Argwohn verdichtete sich, wurde zu Gewißheit.
Er erkannte die Struktur.
Er hatte Agnes nie kennengelernt, aber ganz offen-
sichtlich war sie viel zu intelligent gewesen. Normaler-
weise entdeckten Himmel und Hölle alle prophetischen
Talente und sendeten genug Störsignale auf den glei-
chen mentalen Frequenzen, um ungebührlicher Genau-
igkeit vorzubeugen. Was sich nur selten als notwendig
erwies. Häufig entwickelten die betreffenden Menschen
ihre eigene Statik - um sich vor den Bildern in ihren
Köpfen zu schützen. Der alte Johannes hatte zum Bei-
spiel seine Pilze und Mutter Shipton ihr Bier. Nostrada-
mus lenkte sich ab, indem er interessante orientalische
Präparate sammelte. Und der heilige Malachias be-
schäftigte sich in seiner Freizeit mit einem Destillier-
apparat.
Ach, der gute alte Malachias! Eigentlich ein netter
Kerl. Er hockte in irgendeiner Kammer und träumte von
zukünftigen Päpsten. Seine angeblichen Weissagungen
waren natürlich völliger Blödsinn. Er hätte ein wirklich
guter Denker und Philosoph werden können; leider
fand er allzu großen Gefallen an seinem schwarzge-
brannten Whisky...
Ein trauriges Ende, dachte Erziraphael. Manchmal kann
man nur hoffen, daß der große Weltplan auch wirklich gut
durchdacht ist.
Plötzlich fiel dem Engel etwas ein. Es galt doch noch

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Ein gutes Omen

etwas zu erledigen, oder? Ja. Er mußte seine Verbin-


dungsleute anrufen und dafür sorgen, daß sie mit
der Suche nach dem Sohn des Satans begannen. Er
stand auf, streckte sich ausgiebig und griff nach dem
Telefon.
Dann zögerte er und überlegte. Warum nicht? fuhr
es ihm durch den Sinn. Es ist bestimmt einen Versuch
wert.
Er kehrte zum Tisch zurück und ging seine Notizen
durch. Agnes hatte außerordentlich gute und vernünf-
tige Arbeit geleistet. Kaum ein Mensch interessierte sich
für freundliche und zutreffende Prophezeiungen.
Er legte einige Zettel zurecht, nahm den Telefonhörer
ab und rief die Fernsprechauskunft an.
»Hallo? Guten Tag. Sehr nett von Ihnen, danke. Nun,
es müßte eine Nummer in Tadfield sein. Oder Lower
Tadfield. Vielleicht auch in Norton. Nein, ich kenne sie
leider nicht. Der Name lautet Young. Der Vorname? Da
muß ich passen. Ja? Können Sie mir bitte alle geben?
Herzlichen Dank.«
Auf dem Tisch bewegte sich ein Bleistift und schrieb
fleißig.
Beim dritten Namen brach die Spitze ab.
»Aha«, sagte Erziraphael. Mund, Lippen und Zunge
schalteten auf Automatik, während sich rasende Gedan-
ken mit ganz anderen Dingen befaßten. »Ich glaube, das
ist der richtige. Tausend Dank für Ihre Hilfe. Ich wün-
sche Ihnen noch einen guten Tag.«
Fast ehrfürchtig legte er auf, holte mehrmals tief Luft,
nahm wieder ab und wählte erneut - was ihm einige
Probleme bereitete, weil seine Hand immer heftiger zit-
terte.
Am anderen Ende der Leitung läutete es mehrmals und schließlich erklang eine Stimme. Erziraphael
stellte
sich einen Menschen in mittleren Jahren vor, der gerade
ein Nickerchen gemacht hatte und von der Störung
nicht sehr begeistert war.
Die Stimme sagte: »Tadfield sechs zweimal sechs.«
Der Engel zuckte unwillkürlich zusammen.
»Hallo?« fragte der Hörer. »Hallo?«
Erziraphael riß sich zusammen.
»Bitte entschuldigen Sie«, sagte er. »Richtig verbun-
den.«
Er preßte den Hörer auf die Gabel.
Newton war nicht taub. Und er besaß seine eigene
Schere. Darüber hinaus lagen Dutzende von Zeitungen
vor ihm.
Er mußte sich gerade der bitteren Erkenntnis stellen,
daß man als Soldat der Hexensucher-Armee einen gro-

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Ein gutes Omen

ßen Teil seiner Zeit damit verbrachte, Zeitungsartikel


auszuschneiden.
Der Hexensucher-Feldwebel hatte seinen jungen Ge-
freiten mit einer gründlichen Lektüre beauftragt. Die
Auswahlkriterien wurden in einer Liste genannt, die in
Shadwells kleiner Wohnung (über Radschits Zeitungs-
handlung und Videothek) an der Wand hing. Sie lautete:
1. Hexen
2. Unerklärliche Phänomene, Seltsamkeiten, Sonder-
barigesch und Andere Seltschame Dinge. Du weißt
schon, wasch ich meine.
Newt nahm seine Aufgaben sehr ernst und berücksich-
tigte beide Punkte. Er seufzte und griff nach einer ande-
ren Zeitung (es dauerte nur wenige Sekunden, um die
Überschriften auf der Titelseite als unwichtig zu bewer-
ten), nahm sich anschließend Seite 3 vor (die zweite
überblätterte er; sie enthielt nie irgend etwas Interes-
santes) und errötete, als er mit der obligatorischen
Brustwarzen-Zählung begann. Darauf legte Shadwell
besonderen Wert. »Bei den schlauigen Hexen musch
man auf alles gefaßt schein«, sagte er. »Fürde mich über-
haupt nicht wundem, wenn schie schien ganz offen zei-
gigen. Um unsch herauszufordern.«
Seite 9 zeigte zwei Frauen mit schwarzen Rollkragen-
pullovern. Sie behaupteten, den größten Hexenzirkel in
Saffron Waiden zu leiten und sexuelle Potenz mit klei-
nen und außerordentlich phallischen Puppen wieder-
herstellen zu können. Der Artikel bot zehn solche Pup-
pen für Leser an, die bereit waren, >Meine peinlichsten
Augenblicke der Impotenz<-Geschichten zu schreiben.
Newton schnitt den Abschnitt aus und legte ihn in ein
Sammelalbum.
Jemand klopfte an die Tür.
Newt öffnete und sah einen Stapel Zeitungen. »Mach
Platsch, Gefreiter Loiterer«, befahl das bedruckte Papier
und wankte herein. Einige Sekunden später fiel es zu
Boden und gab den Blick auf Hexensucher-Feldwebel
Shadwell frei, der hingebungsvoll hustete und sich eine
Zigarette anzündete.
»Wir schollten ihn im Auge behalten«, sagte er.
»Beschtimmig gehört er zu ihnen.«
»Wer, Sir?«
»Rühren, Gefreiter. Er. Der klaine braune Bursche,
Mischter Sogenannt-Radschit. Ich bin schicher, er
schteht ebenfalls mit dem Toifel im Bunde. Überall fim-
melt's von Loiten, die ihre Seele Lutschifer verkauft
habigen. Man braucht ihm nur in die Augen zu schehen,

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Ein gutes Omen

um schofort Bescheid zu wischen. Hexen und Hexer,


jawohl. Man begegnet ihnen auf Schritt und Tritt.
»Er gibt uns die Zeitungen umsonst, Feldwebel«, er-
widerte Newt. »Sie sind nicht einmal sehr alt.«
»Und Voodoo. Ich wette, er betraibt Voodoo. Opfert
dem Baron Schamschtag Hühner und so. Du weißt; schon: großer dunkler Tüp mit hohem Hut.
Erwäckt
Tote fieder zum Leben, jo. Und schorgt dafür, daß sie
sogar am Schonnabend arbeiten. Voodoo.« Shadwell
unterstrich die letzten Worte mit einem unheilver-
kündenden Schnauben.
Newt versuchte, sich den Hauswirt als Voodoo-Prie-
ster vorzustellen. Nun, Mr. Radschit arbeitete tatsäch-
lich am Sabbat. Um ganz genau zu sein: Zusammen mit
seiner dicken, stillen Frau und den dicken fröhlichen
Kindern arbeitete er rund um die Uhr - ganz gleich,
was der Kalender zeigte. Er war immer bestrebt, die
Bedürfnisse der Nachbarschaft zu erfüllen, soweit es
dabei um Limonade, Weißbrot, Tabak, Süßigkeiten, Zei-
tungen, Zeitschriften und Pornokassetten ging (die er,
wie es sich gehörte, unter dem Ladentisch aufbewahrte;
Newton schluckte mehrmals, als er daran dachte).
Wenn Radschit beabsichtigte, irgend etwas Schlimmes
mit Hühnern anzustellen, so reichte seine Phantasie
vermutlich nur dazu, sie nach dem Verfalldatum zu
verkaufen.
»Soweit ich weiß, stammt Mister Radschit aus Bangla-
desch oder Indien«, wandte Newt ein. »Und ich dachte
immer, Voodoo werde in erster Linie auf den Westindi-
schen Inseln praktiziert.«
»Ah«, sagte Hexensucher-Feldwebel Shadwell und
zog an der Zigarette. Zumindest erweckte er diesen Ein-
druck. Newton hatte noch nie eine der Zigaretten seines
Vorgesetzten gesehen - sie verbargen sich ständig in der
gewölbten Hand. Er ließ sogar die Stummel verschwin-
den. »Ah.«
»Irre ich mich da?«
»Ferborgene Weischheit, Junge. Militärische Gehaim-
nische, die nur dem inneren Zirkel dar Hexensucher-
Armee bekannt schind. Einige Voodoo-Arten haben
ihren Urschprung fielleicht auf den Festindischen In-
schein. 0 ja, das färe durchaus denkbarig. Aber die
schlimmste Scherte Foodoo, die finsterschte und dämo-
nischste kommt ausch...«
»Bangladesch?«
»Zack und Peng! Genau insch Schwarze getroffen!
Hascht mir das Fort aus dem Mund genommig. Bangla-

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Ein gutes Omen

desch. In der Tat.«


Das Ende der Zigarette schien sich einfach in Luft auf-
zulösen. Shadwell gelang es mit routinierter Beiläufig-
keit, sich eine neue zu drehen, ohne daß Papier oder
Tabak sichtbar wurden.
»Nun... Hascht du etwas gefunden, Hexensucher-Ge-
freiter?«
»Das hier.« Newton holte den Ausschnitt hervor.
Shadwell schielte darauf. »Ach, die schon fieder«,
brummte er. »Ist fölliger Unschinn. Scholche Feibsbilder
rollen Hexen sein? Ich habe schie im letzten Jahr über-
prüft. Bin mit Rechtschaffenheit und einem Paket Foier-
anzündem losgezogen, jo, und bei den Ermittlungen
ergab schich, daß schie lupenrein schind. Blütenfeiße
Feste, fenn du ferschtehst, fas ich meine. Folien nur
irgendfelche komischen Dinge verkaufen. Pär Poscht.
Wischen überhaupt nich', fas Gaister schind. Könnten
einen Dämon nicht von der Toilettenbürste unterschei-
den. Tja, die Zeiten haben schich eben geändert. Früher
far alles anderig.«
Shadwell nahm Platz, griff nach einer schmutzigen
Thermosflasche und schenkte sich süßen Tee ein.
»Habe ich dir jemalsch erzählt, wie ich zur Armee
kam?« fragte er.
Newt verstand dies als Aufforderung, sich ebenfalls
zu setzen. Er schüttelte den Kopf. Shadwell hantierte
mit einem verbeulten Feuerzeug und hustete tempera-
mentvoll.
»Ich hab's meinem Zellen-Gefährten zu ferdanken.
Hieß Hexensucher-Hauptmann Ffolkes. Bekam zehn Jahre für Brandschtiftung. Hat einen
Hexenzirkel in
Fimbledon ferbrannt. Oh, er hätte schie alle erfischt,
aber laider fählte er den falschen Tag. Ein aufrechter,
ehrbarer Mann. Berichtete mir fon der Schlacht, fom
Kampf zwischen Himmel und Hölle... Er far es, de
mich in die militärischen Gehaimnische der Hexensu -
cher-Armee einfeihte. Poltergeister. Abort-Dämonen.
Bruschtwarzen. Und so.
Er wußte, daß esch mit ihm zu Ende ging. Und des-
halb schuchte er nach einem Nachfolger. Um die Tra-
dition zu fahren. So fie du jetzt in meine Fußschtapfen
trittest...«
Shadwell schüttelte traurig den Kopf
»Tja, so weit ischt es mit uns gekommen«, fuhr er fort.
»Weischt du, vor einigen hundert Jahren faren wir
mächtig, schtanden zwischen der Welt und dem Dunk-
len. Wir faren die dünne rote Linie. Die rot Linie des
Foiers.«

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Ein gutes Omen

»Ich dachte, die Kirche...«, begann Newt.


»Pah!« machte Shadwell. Newton hatte dieses Wort
gedruckt gesehen, aber zum ersten Mal hörte er, daß es
jemand aussprach. »Die Kirche? Fas haben die Priesch-
ter jemals getan, um die Feit vor Unheil zu bewahren,
hm? Sie schind ebenso schlimm fie... fie das Böse. Esch
ist die gleiche Branche. Den Prieschtern kann überhaupt
nichts daran gelegen schein, die Mächte der Finsternis
zu besiegen, denn fenn schie einen Erfolg erzielten,
faren schie sofort aus dem Geschäft. Jo, mein Junge:
Wenn man auf Tigerjagd geht, möchte man nicht von
Leiten begleitet werden, die esch für einen enormen
Schpaß halten,.mit Fleischbrocken nach den großen Mie-
zekatzen zu ferfen. Finde dich damit ab. Junge: Fir sind
ganz auf uns allein geschtellt. Fir gegen die Dunkelheit.«
Stille folgte.
Newton versuchte immer, die guten Eigenschaften in
seinen Mitmenschen zu sehen, doch kurz nach der Auf-
nahme in die Hexensucher-Armee hatte er folgende
Feststellung machen müssen: Das innere Gleichgewicht
seines Vorgesetzten und einzigen Mitstreiters war so
stabil und unerschütterlich wie das einer auf der Spitze
stehenden Pyramide. (Übrigens: >kurz< bedeutete in die-
sem Zusammenhang fünf Sekunden.) Das Hauptquar-
tier der HA war ein stinkendes Zimmer mit nikotinfar-
benen Wänden - aus gutem Grund - und einem Boden,
der zum größten Teil aus Zigarettenasche zu bestehen
schien. An einer Stelle zeigte sich ein kleines Stück Tep-
pich. Newton vermied es, den Fuß darauf zu setzen,
weil er fürchtete, irgend etwas könne dort an seinen
Schuhen saugen.
An einer Wand hing eine vergilbte Karte der briti-
schen Inseln. Einige improvisierte Fähnchen markierten
Orte in der Nähe von London, die meisten von ihnen
mit einem preisgünstigen Tagesausflug zu erreichen.
Aber Newton blieb, weil... Nun, seine entsetzte Fas-
zination verwandelte sich zunächst in entsetztes Mitleid
und wurde dann zu entsetzter Zuneigung. Shadwell er-
wies sich als etwa eins fünfzig kleiner Mann, dessen
Kleidung, egal was er auch trug, immer - auch im Kurz-
zeitgedächtnis - als Regenmantel hängenblieb. Trotz
vorgerückten Alters und einer eher einseitigen Diät
hatte der Hexensucher-Feldwebel noch alle seine Zäh-
ne - wenn auch nur deshalb, weil sie sonst niemand
wollte. Vermutlich erschraken selbst Bakterien, wenn sie
Shadwells Mund aus der Nähe sahen.
Er schien einzig und allein von süßem Tee, Kon-
densmilch, selbstgerollten Zigaretten und einer energe-
tischen Verdrießlichkeit zu leben. Shadwell hatte eine

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Ein gutes Omen

Sache, für die er sich mit der ganzen Kraft seiner Seele
und seinem Seniorenpaß der Bahn einsetzte. Sein
Glaube wirkte wie eine Turbine.
In Newton Läuterers Existenz fehlten sowohl feste
Grundsätze und Prinzipien als auch Dinge, an die es zu
glauben lohnte. Er bedauerte diesen Umstand, denn tief
in seinem Innern wollte er an etwas glauben. Schon seit
einigen Jahren nahm er an, daß der Glaube einem Ret-
tungsring gleichkam, der einen im aufgewühlten Wasser
des Lebens vor dem Ertrinken bewahrte. Er wäre durch-
aus bereit gewesen, an einen allmächtigen Gott zu glau-
ben, hätte es jedoch vorzogen, zuerst mit Ihm zu spre-
chen, um einige Dinge zu klären. Vergeblich wartete er
in Kirchen darauf, vom blauen Lichtstrahl der Erleuch-
tung zumindest gestreift zu werden. Woraufhin er ver-
suchte, ein offizieller Atheist zu werden - aber es man-
gelte ihm sogar an der granitharten Entschlossenheit, an
nichts zu glauben. Die politischen Parteien schienen ihm
alle gleich unehrlich zu sein. Sein Interesse an der Öko-
logie erlahmte, als er einen ganz bestimmten Artikel im
abbonierten Öko-Magazin las. Der Autor schlug darin
vor, den Garten hinterm Haus zur Selbstversorgung mit
allen notwendigen Lebensmitteln zu nutzen; zentrale
Rollen spielten dabei eine ökologische Ziege, die einen
Meter neben dem ökologischen Bienenstock angebun-
den werden sollte. Newt hatte viel Zeit auf dem Bauern-
hof seiner Großmutter verbracht und kannte daher die
Angewohnheiten von Ziegen und Bienen. Er zog daraus
den Schluß, daß die Herausgeber des Magazins voll-
kommen übergeschnappt waren. Außerdem wurde das
Wort >Gemeinschaft< viel zu oft verwendet. Wer dau-
ernd von Gemeinschaft sprach, so argwöhnte Newt, gab
diesem Ausdruck einen ganz neuen Bedeutungsinhalt,
der ihn und alle seine Bekannten ausschloß.
Schließlich trachtete er danach, ans Universum zu
glauben. In dieser Hinsicht schien es keine Probleme zu
geben - bis er neue Bücher las, .in denen Begriffe wie
Chaos, Zeit und Quanten auftauchten. Schon bald fand
er heraus, daß selbst Fachleute, die sich hauptberuflich
mit dem Universum beschäftigten, von erheblichen
Zweifeln heimgesucht wurden. Einige von ihnen wiesen
voller Stolz darauf hin, daß sie gar nicht recht wußten,
was es mit dem Universum auf sich hatte und ob es, zu-
mindest rein theoretisch, existieren konnte.
Für das nach Logik und Rationalität lechzende Be-
wußtsein Newts waren derartige Einstellungen uner-
träglich.
Er hatte nicht an die Wölflinge geglaubt, und später
begegnete er selbst den Pfadfindern mit Skepsis.

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Ein gutes Omen

Dafür glaubte er an etwas anderes: Sein Job als Lohn-


209
buchhalter bei United Holdings [Holdings] PLC war
sicher der langweiligste auf der ganzen Welt.
Sie möchten wissen, wie der erwachsene Newton
Läuterer aussieht? Nun gut: Wenn er eine Telefonzelle
aufgesucht und sich dort umgezogen hätte, wäre er viel-
leicht als Clark Kent auf die Straße zurückgekehrt.
Aber er mochte Shadwell. Und es ging nicht nur ihm
so, sehr zum Verdruß des Hexensucher-Feldwebels. Die
Radschits mochten ihn, weil er letztendlich immer seine
Miete bezahlte, keine Schwierigkeiten bereitete und so
allgemein-rassistische Meinungen vertrat, daß niemand
Anstoß daran nahm. Shadwell haßte einfach alle ande-
ren Menschen auf der Welt, Hautfarbe, Glauben und
Abstammung spielten keine Rolle dabei, und er war
auch nicht bereit, eine Ausnahme zu machen.
Madame Tracy fand ihn ebenfalls sympathisch. Inzwi-
schen wußte Newton, daß nebenan eine mütterliche
Frau in mittleren Jahren wohnte, deren Kunden manch-
mal nur kamen, um eine Tasse Tee mit ihr zu trinken.
An manchen Samstagabenden, wenn Shadwell eine hal-
bes Glas Guinness getrunken hatte, bezog er im Flur
Aufstellung und rief zum Beispiel: »Hure ausch dem
Sündenbabel!« Madame Tracy vertraute Newton an, daß
sie derartige Bemerkungen sogar recht gern hörte, denn
sie war nie näher an Babylon herangekommen als bis
nach Torremolinos. Sie sah darin eine Form kostenloser
Werbung.
Sie hatte auch nichts dagegen, daß Shadwell während
ihrer spiritistischen Sitzungen an die Wand klopfte und
laut fluchte. Das Rheuma in den Knien hindere sie
daran, den Tischklopfer zu betätigen, und deshalb
komme ein gelegentliches dumpfes Pochen durchaus
gelegen.
Sonntags stellte sie Shadwell das Mittagessen vor die
Tür - mit einem zweiten Teller zugedeckt, damit es
warm blieb.
Man müsse Shadwell mögen, meinte Madame Tracy.
Obwohl ihre Zuneigung wirkungslos an ihm abprallte -
ebensogut hätte sie versuchen können, ein schwarzes
Loch mit Plätzchen zu füttern.
Newt erinnerte sich an die anderen Ausschnitte und
schob sie über den fleckigen Tisch.
»Was hat es damit auf sich?« fragte Shadwell
mißtrauisch.
»Sie betreffen Phänonomene«, erklärte Newt. »Sie
sagten doch, ich solle nach Phänonomenen Ausschau
halten. Ich fürchte, heutzutage gibt es weitaus mehr

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Ein gutes Omen

Phänonomene als Hexen.«


»Hat irgend jemand mit ainer Schrotflinte auf'n
Hasen geschossen - und am nächschten Morgen hinkte
ein altesch Feib im Dorfe?« erkundigte sich Shadwell
hoffnungsvoll.
»Leider nicht.«
»Geht es fielleicht um Kühe, die tot umfielen, als schie
der Bösche Blick einer Frau träfet?«
»Nein.«
»Wasch dann?« fragte Shadwell. Er schlurfte zum
klebrig-braunen Schrank und holte eine Dose Kondens-
milch hervor.
»Seltsame Vorfälle«, antwortete Newt.
Schon seit Wochen beschäftigte er sich mit dieser
Sache. Shadwell warf keine einzige Zeitung weg, und
somit standen dem Hexensucher-Gefreiten auch meh-
rere Jahre alte Ausgaben zur Verfügung, die genaue
Nachforschungen ermöglichten. Newton hatte ein sehr
gutes Gedächtnis (vielleicht deshalb, weil in den sechs-
undzwanzig Jahren seines Lebens kaum etwas gesche-
hen war, um es zu füllen) und erinnerte sich an höchst
esoterische Einzelheiten.
»Offenbar kommen jeden Tag andere seltsame Ereig-
nisse hinzu«, sagte er und blätterte im Sammelalbum.
»In mehreren Atomkraftwerken ist etwas Sonderbares
passiert, und offenbar hat niemand eine Erklärung
dafür. Außerdem heißt es, das versunkene Atlantis sei
an die Meeresoberfläche zurückgekehrt.« Er lächelte,
stolz auf das Ergebnis seiner Arbeit.
Shadwells Taschenmesser bohrte zwei Löcher in die
Konservendose, und das leise kratzende Geräusch wich
dem deutlich zu hörenden Klingeln eines Telefons.
Beide Männer achteten nicht darauf. Die Anrufe galten
ohnehin Madame Tracy, und einige von ihnen waren
nicht für männliche Ohren bestimmt. An seinem ersten
Tag hatte der noch unerfahrene Newt den Hörer abge-
nommen, einige Sekunden lang zugehört und dann
geantwortet: »Nein, ich benutze keine Strapse. Und ich
trage auch keinen seidenen, halb durchsichtigen Büsten-
halter.« Ein wortloses Klicken unterbrach die Verbin-
dung.
Shadwell holte tief und röchelnd Luft. »Ach, hoite
gibt esch keine richtigen Phänomene mähr«, seufzte er.
»Ich glaube kaum, daß Hexen hinter dar Angelegenheit
mit Atlantis schtekken. Schie versenken Dinge, anschtatt
sie aus dem Meer zu holen. Zum Beispiel Schiffe.«
Newts Mund öffnete und schloß sich mehrmals.
»Fenn wir im Kampf gägen die Hexerei einen Schieg
erringen follen, dürfen wir unsch nicht von rein phäno-

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Ein gutes Omen

menalen Phänomenen ablenken laschen«, fügte Shad-


well hinzu. »Hascht du nichts Hexerisches gerundet?«
»Aber...«, begann Newt. »Amerikanische Truppen
sind auf Atlantis gelandet, um die Bewohner vor irgend
etwas zu schützen. Eine legendäre Insel mit vielen Ge-
heimnissen und Rösseln...«
»Traiben sich dort Hexen herum?« Ein Hauch von
Interesse glomm in Shadwells Augen auf.
»Davon ist nirgends die Rede«, erwiderte Newton.
»Ach, dann haben fir's nur mit Politik und Geogra-
phie zu tun.« Shadwell winkte ab.
Madame Tracy sah ins Zimmer. »Hu-hu, Mr. Shad-
well!« rief sie und winkte Newt freundlich zu. »Gerade
hat ein Herr angerufen, der Sie sprechen möchte. Hallo,
Mr. Newton!«
»Hebe dich hinfort, Hure«, entgegnete Shadwell aus
einem Reflex heraus.
»Er klingt sehr vornehm.« Madame Tracy lächelte be-
tont feminin. »Und ich besorge uns eine leckere Leber
für Sonntag.«
»Eher schpeise ich mit'm Toifel, verlottertesch Feib!«
»Seien Sie doch bitte so nett, mir die Teller vom letz-
ten Sonntag zurückzugeben«, gurrte Madame Tracy und
stakte unsicher auf sieben Zentimeter hohen Absätzen
in ihre Wohnung zurück, um fortzusetzen, wobei sie ge-
stört worden war.
Der Hexensucher-Feldwebel trat grummelnd in den
Flur, und sein Gerreiter starrte niedergeschlagen auf
die Ausschnitte. Ein Artikel betraf mehrere Steine von
Stonehenge, die ihre Position verändert hatten, wie
Eisensplitter in einem Magnetfeld.
Newton hörte mit halbem Ohr auf das Telefonge-
spräch, das Shadwell führte.
»Wer? Ah. Jo. Jo. Jo. Im Ernscht? Und forum handelt
esch sich? Ah. Jo. Wie Schie meinen, Sör. Und wie
heischt der Ort... ?«
Doch auf mysteriöse Art sich bewegende Steine
waren anscheinend nicht Shadwells Bier, oder besser ge-
sagt, seine Dose Milch.
»In Ordnung, gut, funderbar«, versicherte der Hexen-
sucher-Feldwebel dem Anrufer. »Fir kümmern unsch
sofort darum. Ich setze meine beschte Gruppe darauf
an und halte Schie schtändig auf dem laungen. Geht
klar. Guten Tag, Sör. Fielen Dank, Sör.« Es klackte, als
der Hörer wieder seinen Platz auf der Gabel einnahm,
und Shadwells Stimme hob den demütig gesenkten
Kopf. »Beim Klabautermann! Ferdammter schwuler
Südler.«*
* Shadwell verabscheute alle Südler, und ganz gleich, wo er auch

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Ein gutes Omen

stand oder saß: Unter ihm befand sich immer der metaphorische
Nordpol.
Er schlurfte ins Zimmer zurück und starrte Newt so
verwundert an, als erinnere er sich überhaupt nicht
mehr an den jungen Mann.
»Forüber schprachen wir eben?« fragte er.
»Über seltsame Vorfälle und...«, begann Newton.
»Jo.« Shadwells Blick reichte in die Feme; nach-
denklich klopfte er die leere Konservendose an braune
Zähne - pock-pock-pock.
»Nun, es gibt da ein Dorf, dessen Bewohner seit eini-
gen Jahren seltsames Wetter erleben«, sagte Newton
hilflos.
»Regnet's fielleicht Frösche und so?« fragte Shadwell.
Ein Teil seines Ichs fand ins Hier und Jetzt zurück.
»Nein. Es ist nur immer völlig normales Wetter, das
genau der Jahreszeit entspricht.«
»Und scho etwas soll ein Phänomen sein?« schnauf-
te Shadwell. »Main lieber Junge, ich habe Phänomene
geschehen, bei denen dir die Haare zu Bärge schtün-
den.« Er setzte das Klopfen mit der leeren Milchbüchse
fort.
»Wann herrscht für die Jahreszeit normales Wetter?«
Newt konnte den Ärger nicht ganz aus seiner Stimme
verbannen. »Für die Jahreszeit normales Wetter ist nicht
normal, Feldwebel. In jenem Ort schneit es zu Weih-
nachten. Wann haben Sie zum letzten Mal während des
Weihnachtsfests Schnee gesehen? Ich meine echten
Schnee, nicht das Zeug, das man auf Christbäume oder
an Fenster sprüht. Hinzu kommen lange heiße August-
wochen. Jedes Jahr. Und kühle Herbstmonate. Es ist
genau die Art von Wetter, die man sich als Kind
wünscht. Es regnet nie am Martinstag, und am Heilig-
abend beginnt es zu schneien.«
Shadwells Augen wirkten noch trüber als sonst. Die
Milchbüchse verharrte auf halbem Weg zu den Lippen.
»Ich habe nie von irgend etwasch geträumt, alsch ich
ein Kind far«, sagte er leise.
Newt hatte das Gefühl, dicht am Rand eines tiefen
psychologischen Abgrunds zu stehen. Rasch wich er
einen geistigen Schritt zurück.
»Ich finde diese Sache höchst eigenartig«, fuhr er
fort. »Der Artikel erwähnt einen Meteorologen, der
von Durchschnittswerten, Normen und Mikroklimata
spricht.«
»Fas bedoitet dasch?« fragte Shadwell.
»Es bedeutet, daß er keine Erklärung anbieten kann«,
entgegnete Newt. Wer zu viele Fremdwörter benutzte,
war ihm sofort suspekt.

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Ein gutes Omen

»Hexen stehen in dem Ruf, das Wetter zu beeinflus-


sen«, fügte er hinzu. »Ich hab's in einem Fachbuch gele-
sen.«
»Ach?«
Lieber Gott, dachte er. Falls es dich nicht gelten sollte,
wende ich mich hiermit an alle heiligen Entitäten, die meine
Gedanken lesen können und auf Empfang geschaltet haben:
Bitte bewahrt mich davor, einen weiteren Abend in diesem...
diesem Aschenbecher-Zimmer verbringen und Zeitungsarti-
kel ausschneiden zu müssen. Schickt mich endlich in den
Außendienst, damit ich frische Luft schnappen kann.
»Das Dorf ist nur vierzig Meilen entfernt«, sagte
Newt, inzwischen der Verzweiflung nahe. »Ich könnte
morgen mal kurz hinfahren und. mich dort umsehen.
Äh, für die Benzinkosten komme ich selbst auf.«
Shadwell wischte sich nachdenklich die Oberlippe ab.
»Dasch Dorf...«, brummte er. »Esch heißt nich' zufäl-
lig Tadfield, oder?«
»Doch, Mr. Shadwell, Sir«, sagte Newt. »Woher wis-
sen Sie das?«
Der Hexensucher-Feldwebel runzelte die Stirn. »Ob
firklich wasch dran ischt? Normalerweise fertraue ich
keinen blöden Sudlern, aber...«
Er zögerte.
»Nuuuun«, murmelte er dann. »Farum nicht?«
»Warum was nicht?« erkundigte sich Newt besorgt.
Shadwell schenkte ihm keine Beachtung. »Jo. Esch
kann sicher nicht schaden. Und du bezahlst dasch
Benzin schelbst?«
Der junge Mann nickte.
»Dann komme morgen früh um noin hierher«, sagte
Shadwell. »Bevor du nach Tadfield fährscht.«
»Weshalb?«
»Um die Warten der Rechtschaffenheit entgegenzu-
nehmen.«
Kurz nachdem Newton gegangen war, klingelte das
Telefon erneut. Diesmal meldete sich Crowley und gab
dem Hexensucher-Feldwebel die gleichen Anweisungen
wie zuvor Erziraphael. Der Form halber schrieb Shad-
well alles mit, während eine entzückte Madame Tracy
hinter ihm stand.
»Zwei Anrufe an einem Tag«, sagte sie. »Ihre kleine
Armee marschiert wie geschmiert!«
»Ach, hebe dich hinfort, ferludertesch Luder«, knurrte
Shadwell, stapfte durch den Flur, betrat seine Wohnung
und warf die Tür hinter sich zu. Tadfield, dachte er. Na ja.
Solange die Auftraggeber pünktlich zahlen.
Weder Erziraphael noch Crowley leiteten die Hexen-
sucher-Armee, aber beide billigten sie, in der sicheren

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Ein gutes Omen

Überzeugung, daß man sie auch Oben und Unten zu


schätzen wußte. Sie erschien auf Erziraphaels Bünd-
nispartner-Listen, weil nun, weil es sich um eine Hexen-
sucher-Armee handelte. Wer sich Hexensucher nannte,
verdiente die Unterstützung des Himmels ebenso sehr
wie Antikommunisten das Wohlwollen der USA. Auf
Crowleys Lohnliste erschienen sie aus dem eher sophi-
stischen Grund, daß Leute wie Shadwell der Hölle nicht
schaden konnten. Eher traf das Gegenteil zu.
Eigentlich konnte man auch Shadwell nicht als Be-
fehlshaber der Hexensucher-Armee bezeichnen. Wenn
man den HA-Soldbüchem Glauben schenkte, traf He-
xensucher-General Smith alle strategischen und takti-
sehen Entscheidungen gegen die Finsternis. Unter ihn
standen so bewährte Offiziere wie die beiden Hexensu-
cher-Obersten Green und Jones, sowie die Hexensucher-
Majore Jackson, Robinson und Smith (nicht mit dem Ge-
neral verwandt). Hinzu kamen einige andere Majore,
die Kochtopf, Büchse, Milch und Schrank hießen, weil
Shadwells begrenzte Phantasie an dieser Stelle das
Handtuch warf. Die Hexensucher-Hauptleute Smith,
Smith, Smith, Smythe und Dito vervollständigten das
Offizierskorps. Anschließend folgten fünfhundert Stabs-
unteroffiziere, Feldwebel und Gefreiten, von denen die
meisten ebenfalls Smith hießen. Für Crowley und Erzi-
raphael spielte das keine Rolle, denn sie hatten nie so
weit gelesen. Sie beschränkten sich darauf, den Sold zu
überweisen.
Wenn man beide Summen addierte, ergaben sich
kaum 60 Pfund im Jahr.
Shadwell plagte sich nicht mit Gewissensbissen. Die
Hexensucher-Armee war sein Lebensinhalt, und an der
Wichtigkeit des Kampfes gegen die Hölle konnte kein
Zweifel bestehen. Außerdem: Mit neun Pence pro Hexe
kam man heute nicht mehr weit.
Es war früh am Samstagmorgen, dem letzten Tag der
Welt, und das Firmament glühte .rot wie Blut.
Der Postbote vom Internationalen Expreßdienst fuhr
mit vorsichtigen fünfunddreißig Meilen in der Stunde
durch die Kurve, schaltete in den zweiten Gang herun-
ter und hielt am Straßenrand.
Er stieg aus - und sprang eine Sekunde später in den
Graben, als ein Lastwagen mit mindestens achtzig Sa-
chen heranraste.
Der Kurier seufzte, stand auf, griff nach Brille, Paket
und Klemmbrett und strich sich Gras sowie einige
Lehmbrocken von der Uniform. Er kehrte auf die Straße
zurück, zögerte kurz und schüttelte dann die Faust in

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Ein gutes Omen

Richtung des davonbrummenden Lasters.


»So etwas sollte nicht zugelassen werden, verdammte
Lkws, sitzen nur Regel und Rowdies am Steuer, haben
keinen Respekt vor anderen Verkehrsteilnehmern, tja,
ich sage immer, ohne deine Blechkiste bist du auch nur
ein einfacher Fußgänger, das sage ich immer...«
Er suchte nach einem Übergang, kletterte an der Bö-
schung hinauf, brachte einen niedrigen Zaun hinter sich
und erreichte den Fluß Uck.
Der Postbote vom Internationalen Expreßdienst
klemmte sich das Paket unter den Arm und wanderte
am Ufer entlang.
Einige Dutzend Meter vor ihm saß ein junger, ganz
in Weiß gekleideter Bursche; sonst war weit und breit
niemand zu sehen. Er hatte weißes Haar und blasse
Wangen und starrte so über den Fluß, als genieße er den
Anblick. Sein Gesichtsausdruck... Stellen Sie sich die
typische Mimik eines Dichters der viktorianischen Ro-
mantik vor, bevor der moderne Drogenmißbrauch be-
gann. Bestimmt kommen Ihnen Ausdrücke wie >ver-
träumt< und >weggetreten< in den Sinn, nicht wahr?
Die andächtige Haltung des jungen Mannes erschien
dem Kurier rätselhaft und unerklärlich. In seiner Jugend
(und so lange lag sie eigentlich noch nicht zurück) hatten
Angler mitten in der Nacht aufstehen müssen, um sich
einen Platz am Ufer zu sichern. Er erinnerte sich an fröh-
lich spielende Kinder, an Liebespaare, die hierherkamen,
um dem leisen Gurgeln und Plätschern des Wassers zu
lauschen, Händchen zu halten und den Sussex-Sonnen-
untergang zu beobachten. Der Postbote war hier eben-
falls spazieren gegangen, zusammen mit seiner späteren
Frau Maud. Sie hatten geschmust, und bei einer denk-
würdigen Gelegenheit durfte er sogar noch weit mehr.
Die Zeiten ändern sich eben, dachte er.
Jetzt glitten weißbraune Skulpturen aus Schaum und
Schlick stromabwärts und bedeckten den Fluß manch-
mal viele Meter weit. Wo sich noch die Wasseroberfläche
zeigte, glänzten bunte Ölschlieren.
Einige Gänse segelten heran. Sie hatten gerade einen
langen anstrengenden Flug über den Nordatlantik hin-
ter sich und waren froh, wieder in England zu sein. Als
sie das schimmernde Wasser berührten, erwartete sie
eine recht unangenehme Überraschung: Sie gingen so-
fort unter.
Manchmal muß man sich wirklich fragen, wohin das alles
führen soll, dachte der Postbote. Hier ist der Uck, einst der
schönste Fluß in diesem Teil der Welt. Und in nur wenigen
Jahren hat er sich in eine Kloake verwandelt. Schwäne sinken
auf den Grund, die fische schwimmen oben. Wirklich komisch.

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Ein gutes Omen

Tja, der Fortschritt. Er schreitet fort. Man kann ihn nicht


aufhalten. Vielleicht erfindet man bald Tauchermasken für
Karpfen und Forellen.
Er trat an den Mann in Weiß heran.
»Bitte um Entschuldigung. Heißen Sie zufällig Gips?«
Der Mann in Weiß nickte wortlos. Er blickte weiter-
hin über den Ruß und beobachtete eine besonders ein-
drucksvolle Formation aus Schaum und Schlick.
»Herrlich«, kam es ihm von den (farblosen) Lippen.
»Es ist einfach herrlich.«
Einige Sekunden lang fehlten dem Postboten die
Worte. Dann aktivierten sich seine verbalen Zusatz-
systeme. »Komische Welt, nicht wahr, ich meine, es
stimmt doch, oder, ich stelle überall Post zu, verbrachte
hier Kindheit und Jugend, bin auch im Mittelmeer ge-
wesen und sogar in Des O'Moines, das ist in Amerika,
Sir, und plötzlich finde ich mich in meiner Heimat wie-
der, und hier ist Ihr Paket, Sir.«
Heißen-Sie-zufällig-Gips nahm es entgegen, griff nach
dem Klemmbrett und unterschrieb. Der Kugelschreiber
kleckste ein wenig, wodurch die Unterschrift unleserlich
wurde. Es war ein langes Wort, das mit einem >U< be-
gann. Dann kam der Tintenfleck. Man konnte nur noch
ein >ver< erkennen und die letzte Silbe entziffern: >ung<.
»Tausend Dank«, sagte der Postbote.
Er drehte sich um, kehrte zur Straße zurück und ver-
suchte, nicht zum Ruß zu sehen.
Hinter ihm öffnete der Mann in Weiß das Paket.
Es enthielt eine Krone - einen weißen Metallring, ge-
schmückt mit Diamanten. Der Mann betrachtete ihn
eine Zeitlang, lächelte zufrieden und setzte sich die
Krone auf. Sie schimmerte im Licht der Morgensonne.
Dann trübte sich der Glanz; das Silber lief an, verfärbte
sich und wurde schwarz.
Weiß stand auf und starrte zum Horizont. Die Luft-
verschmutzung ermöglichte spektakuläre Sonnenauf-
gänge - der Himmel schien in Flammen zu stehen.
Flammen. Feuer... Ein Streichholz hätte genügt, um
den Ruß in Brand zu setzen, aber dazu blieb leider
keine Zeit. Weiß dachte an das bevorstehende Treffen
der Vier, und er mußte sich beeilen, um rechtzeitig ein-
zutreffen.
Vielleicht sorgen wir dafür, daß der Himmel bald wirklich
brennt, überlegte er hoffnungsvoll und verließ den Ort
auf eine unauffällige, besondere Art und Weise.
Es dauerte nicht mehr lange...
Der Postbote hatte seinen Wagen am Straßenrand ge-
parkt. Er näherte sich der Fahrerseite (ganz vorsichtig,
weil nach wie vor Autos und Laster mit viel zu hoher

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Ein gutes Omen

Geschwindigkeit durch die Kurve rasten), griff durchs


offene Seitenfenster und nahm die Liste vom Armatu-
renbrett.
Noch eine letzte Aufgabe erwartete ihn.
Aufmerksam las er die Instruktionen.
Er las sie erneut, achtete dabei insbesondere auf die
Adresse. Daneben stand eine knappe Mitteilung.
Die Adresse lautete schlicht: Überall.
Der Postbote holte seinen klecksenden Kugelschreiber
hervor und schrieb eine kurze Nachricht für seine Frau
Maud, Er beschränkte sich auf die drei Wörter: Ich liebe
dich.
Dann legte er die Liste wieder aufs Armaturenbrett,
sah nach links und rechts, sah noch einmal nach links
und begann damit, die Straße zu überqueren. Als er ;
den Mittelstreifen erreichte (es handelte sich um eine
durchgezogene Linie, aber um solche Dinge kümmerte
sich kaum mehr jemand), donnerte ein dreißig Ton-
nen schwerer Achtzehnmeterzug heran. Der Mann am
Steuer ernährte sich hauptsächlich von Koffein und klei-
nen weißen Pillen, und seine Gedanken galten gerade
komplizierten EG-Frachtvorschriften.
Der Postbote sah dem grollenden Lastwagen nach.
Mann, er hätte mich fast erwischt, fuhr es ihm durch den
Sinn.
Dann blickte er zu Boden.
Oh, dachte er.
JA, bestätigte eine bleierne Stimme hinter seiner linken
Schulter - beziehungsweise hinter der gedachten Ent-
sprechung der linken Schulter.
Der Postbote drehte sich um, musterte die Gestalt und
verstand. Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit ver-
schlug es ihm die Sprache, aber gleich darauf gelang es
der langjährigen Routine, die Verwirrung abzustreifen.
»Ich habe eine Botschaft für Sie, Sir.«
FÜR MICH?
»Ja, Sir.« Der Postbote bedauerte es, keine Kehle mehr
zu haben. Andernfalls hätte er schlucken können. »Es
tut mir leid, Sir, aber ich bringe, kein Paket. Nur eine
Mitteilung, Sir.«
ICH HÖRE.
»Sie lautet folgendermaßen, Sir. Ähem. Komm und sieh.«
ENDLICH. Das Gesicht grinste. Nun, einem solchen Ge-
sicht blieb gar nichts anderes übrig, als dauernd zu grin-
sen.
DANKE, fuhr die Gestalt fort. IHR PFLICHTBEWUSSTSEIN IST
SEHR LOBENSWERT.
»Sir?« Der körperlose Postbote schwebte durch
grauen Dunst und sah nur zwei blaue Flecken. Vielleicht

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Ein gutes Omen

Augen. Oder ferne Sterne.


SIE SOLLTEN NICHT DARAN DENKEN, GESTORBEN ZU SEIN,
sagte Tod. STELLEN SIE SICH FOLGENDES VOR: SIE SIND ETWAS
FRÜHER AUFGEBROCHEN, UM DAS GEDRÄNGE ZU VERMEIDEN
UND SICH NICHT ANSTELLEN ZU MÜSSEN.
Der Postbote überlegte kurz, ob die Gestalt zu scher-
zen beliebte, kam dann jedoch zu dem Schluß, daß sie es
durchaus ernst meinte.
Die Nebelschwaden wurden dichter und verschluck-
ten ihn.
Roter Himmel am Morgen. Regen kündigte sich an.
Ja.
Hexensucher-Feldwebel Shadwell trat zurück und neig-
te den Kopf zur Seite.
»Alscho schön«, sagte er. »Du bischt sofeit. Hascht du
alles?«
»Ja, Sir.«
»Hexenschenschitives Pendel?«
»Hexensensitives Pendel, ja.«
»Daumenschrauben?«
Newt schluckte und klopfte auf eine Tasche.
»Daumenschrauben«, sagte er.
»Foieranzünder?«
»Nun, Feldwebel, ich bezweifle, ob ...«
»Foieranzünder?
»Feueranzünder*«, erwiderte Newt kummervoll. »Und
Streichhölzer.«
* Hinweis für Amerikaner und andere städtische Lebensformen: Die
ländlichen Briten vermeiden es, Zentralheizungen zu benutzen, weil sie
darin eine Gefahr für ihre moralische Standfestigkeit sehen. Statt dessen
benutzen sie ein System, bei dem es darum geht, kleine Holzstücke und
Kohlen aufzuschichten. Den Abschluß des Stapels bilden dicke feuchte
Scheite, die vermutlich aus Asbest bestehen und herrlich qualmen.
Häufig nennt man dieses Verfahren >Es geht doch nichts über ein or-
dentliches Kaminfeuer, stimmt's?« Da sich die eben genannten Dinge
durch einen natürlichen Widerstand dem Feuer gegenüber auszeich-
nen, schiebt man einen kleinen rechteckigen und weißen Gegenstand
darunter, der fröhlich vor sich hin brennt, bis er irgendwann aus reiner
Langeweile erlischt. Diese Objekte nennt man Feueranzünder. Die
Frage nach dem Warum ist bisher unbeantwortet geblieben.
»Glocke, Buch und Kerze?«
Newt klopfte auf eine andere Tasche. Darin steck-
te eine Papiertüte, die folgende Dinge enthielt: eine
kleine Glocke (von der Art, die Wellensittiche zum
Wahnsinn treibt), eine rosarote Kerze, wie man sie für
gewöhnlich nur auf Geburtstagstorten findet, und ein
kleines Buch mit dem Titel Leicht zu merkende Gebete.
Shadwell betonte, es gehe natürlich in erster Linie
darum, Hexen zu entlarven. Aber ein guter Hexensu-

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Ein gutes Omen

cher müsse immer die Gelegenheit nutzen, auch einen


anderen Dämon zu exorzieren, und aus diesem Grund
solle er ständig die vollständige Ausrüstung bei sich
führen.
»Glocke, Buch und Kerze«, sagte Newt.
»Nadel?«
»Nadel.«
»Gut, Junge. Fergisch nie die Nadel. Sie ischt das Ba-
jonett an deiner Flinte desch Lichts.«
Shadwell seufzte, und Newton stellte erstaunt
fest, daß die Augen des alten Mannes feucht glänz-
ten.
»Ach, fenn ich dich doch nur begleiten könnte«,
brummte er. »Diesche Sache ischt natürlich nicht feiter
wichtig, aber esch färe angenehm, .mal fieder unterwegs
zu schein. Feißt du, esch ist ein hartes Leben, jo. Dau-
ernd liegt man irgendwo in den Büschen und schieht
den Hexen bei ihren Hexentänzen zu und scho. Man
holt schich Rhoima dabei; irgendwann follen die Kno-
chen einfach nich' mehr.«
Shadwell straffte seine Gestalt und salutierte.
»Ich fünsche dir allesch Gute, Gefreiter Loiterer.
Mögen die Heerscharen desch Ruhms mit dir marschie-
ren.«
Newt fuhr los, und plötzlich fiel dem Hexensu-
cher-Feldwebel etwas ein. Tief in ihm vibrierte es -
noch nie zuvor hatte er eine derartige Chance erhalten.
Er brauchte eine Nadel. Keine militärische Nadel, son-
dem eine kleinere, die man in eine Karte stecken
konnte.
Die Karte... Sie hing an der Wand. Und sie war
alt. Milton Keynes zeigte sich darauf ebensowenig wie
Harlow. Kleine Punkte markierten Manchester und Bir-
mingham. Seit dreihundert Jahren gehörte diese Karte
zur Ausstattung des Hauptquartiers der Hexensucher-
Annee. Einige inzwischen durchgerostete Nadeln kenn-
zeichneten Orte in Yorkshire, Lancashire und Essex.
Braune Stummel erinnerten an die heroischen Einsätze
längst verstorbener Hexensucher.
Shadwell entleerte einen bis zum Rand gefüll-
ten Aschenbecher und fand eine winzige Nadel. Er
behauchte sie mehrmals, polierte sie auf Hochglanz,
hielt etwa eine Minute lang nach Tadfield Ausschau -
und rammte den Metallstift triumphierend in die
Karte.
Er glänzte verheißungsvoll.
Shadwell wich einige Schritte zurück und salu-
tierte erneut. Tränen schimmerten ihm in den Au-
gen.

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Ein gutes Omen

Einige Sekunden später drehte er sich abrupt um


und nahm vor der Vitrine Haltung an. Es war eine
alte, zerkratzte Vitrine, und das Glas wies mehrere
Sprünge auf, aber sie symbolisierte die HA. Sie ent-
hielt: das Regiments-Silber (die Golf-Trophäe der Inter-
bataülons-Meisterschaft, die zum letzten Mal vor,
ach, siebzig Jahren stattgefunden hatte); die patentierte
Vorderlader-Donnerbüchse des Hexensucher-Oberst
Du-sollst-weder-etwas-Lebendiges-und-Blutiges-essen-
noch-Beschwörungen-benutzen-oder-auf-die-Uhr-
zeit-achten Dalrymple; einige Gegenstände, die wie
Walnüsse aussahen, in Wirklichkeit aber Kopfjäger-
Schrumpfköpfe waren, gestiftet von Hexensucher HFW
Horace >Schnapp sie dir, bevor sie dich erwischen<
Narker, der weite Reisen im Ausland unternommen
hatte.
Die Vitrine enthielt Erinnerungen.
Shadwell putzte sich lautstark die Nase, wobei er sei-
nen Ärmel benutzte.
Dann öffnete er eine Büchse Kondensmilch, um zu
frühstücken.
Wenn die Heerscharen des Ruhms tatsächlich mit Newt
marschiert wären, so hätten sie damit rechnen müssen,
unterwegs einige Körperteile zu verlieren. Der Grund:
Die entsprechenden Soldaten vermoderten schon seit
Jahrhunderten in ihren Gräbern.
Man darf nicht den Fehler begehen, Shadwell (Newt
konnte nie in Erfahrung bringen, ob der Feldwebel auch
einen Vornamen hatte) für einen einsamen Verrückten
zu halten.
Es war einfach so, daß die anderen tot waren, in den
meisten Fällen schon seit einigen hundert Jahren. Shad-
wells sorgfältig und mit viel schöpferischer Kraft ge-
führte Soldbücher spiegelten durchaus die Wirklichkeit
wider - allerdings handelte es sich um eine seit minde-
stens zweihundert Jahren überholte Realität. Während
der ersten Wochen seines Nebenjobs als Gefreiter stellte
Newt erstaunt fest, daß die Hexensucher-Armee eine
ebenso blutige Vergangenheit hatte wie das weltlichere
Militär.
Die Höhe des Entgelts für Hexensucher war zu-
letzt von Oliver Cromwell festgelegt und seitdem nie-
mals erhöht worden. Offiziere bekamen eine Crown,
Generäle einen Sovereign. Natürlich entsprach diese
Bezahlung nur einem Anerkennungshonorar, denn im-
merhin bekam man für jede gefundene Hexe neun
Pence und durfte außerdem als erster aus ihrem Besitz
wählen.
Man war also wirklich auf die neun Pence angewie-

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Ein gutes Omen

sen. Und so waren die Zeiten für Shadwell ziemlich hart


gewesen, bevor er auf die Lohnliste von Himmel und
Hölle gesetzt wurde.
Newts Sold bestand aus einem alten Shilling pro
Jahr.»
Dafür verpflichtete er sich, ständig >Feuerstein, Flin-
tenschloß, Feuerbüchse, Zunderbüchse und Schwe-
felhölzer< griffbereit zu halten. Shadwell meinte aller-
dings, auch Gasfeuerzeuge erfüllten einen guten Zweck.
Die Erfindung dieses einfachen Zigarettenanzünders
begrüßte er ebenso wie Soldaten die Entwicklung des
Repetiergewehrs.
Was Newt betraf, er verglich die Hexensucher-
Armee mit dem Versiegelten Knoten oder anderen Ge-
heimorganisationen (er dachte in diesem Zusammen-
hang auch an Leute, die großen Spaß daran fanden, die
Schlachten des amerikanischen Bürgerkriegs noch ein-
mal auszutragen). Am Wochenende hatte man etwas
Interessantes zu tun, und außerdem bewahrte man alte
Traditionen, die das Fundament der westlichen Welt
bildeten.
Eine Stunde nach Verlassen des Hauptquartiers lenkte
Newt den Wagen auf einen Parkplatz und wühlte in der
Schachtel auf dem Beifahrersitz herum.
Dann kurbelte er das Seitenfenster herunter -er
mußte dabei eine Kombizange verwenden, denn der
Griff war längst abgefallen.
* ANMERKUNG FÜR JUNGE MENSCHEN UND AMERIKANER: ein Shilling = 1/20 Pfund. Es
hilft sicher, das antiquierte Finanzwesen der Hexe*
sucher-Annee zu verstehen, wenn man das ursprüngliche britische
Währungssystem kennt.
Zwei Farthings = ein halber Penny. Zwei halbe Pennies = ein ganzer
Penny. Drei Pennies = ein Thrupenny Bit. Zwei Thrupences = ein Six-
pence. Zwei Sixpences = ein Shilling, oder Bob. Zwei Bob = ein Florin.
Ein Florin und ein Sixpence = eine halbe Crown. Vier halbe Crowns=
ein Zehn-Bob. Zwei Zehn-Bob = ein Pfund (oder 240 Pennies). Ein
Pfund und ein Shilling = eine Guinee.
Die Briten haben sich lange Zeit gegen die Einführung eines de-
zimalen Währungssystems gesträubt, weil sie es für zu kompliziert
hielten.
Das Päckchen mit den Feueranzündern verschwand
hinter einer Hecke. Einige Sekunden später folgten die
Daumenschrauben.
Newton betrachtete die übrigen Gegenstände und be-
schloß, sie in der Schachtel zu lassen. Die Nadel
stammte aus den militärischen Beständen der Hexensu-
cher-Armee und verrügte über einen dunklen Knauf.

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Ein gutes Omen

Solche Nadeln erwartete man im Hut einer älteren wür-


devollen Dame.
Newt wußte, wozu sie diente. Er hatte sich gründlich
informiert, unter anderem anhand der Broschüren, die
ihm Shadwell am ersten Tag seines Dienstes vorlegte.
Außerdem war im Lauf der Jahrhunderte eine umfang-
reiche Bibliothek mit Fachbüchern entstanden, die in-
zwischen ein Vermögen wert sein mußten.
Die Nadel erfüllte den Zweck eines Verhörinstru-
ments. Man stach sie in die Haut einer Verdächtigen,
und wenn sie keinen Schmerz spürte, handelte es sich
zweifellos um eine Hexe. Ganz einfach. Einige betrüge-
rische Hexensucher hatten teleskopartige Nadeln ver-
wendet, aber dieses Exemplar bestand aus festem Me-
tall. Newt überlegte und schüttelte dann den Kopf.
Nein, er konnte Shadwell nicht mehr ins Gesicht sehen,
wenn er auch die Nadel fortwarf: Außerdem beschwor
das vielleicht Unglück herauf.
Er startete den Motor und setzte die Fahrt fort.
Newt fuhr einen Wasabi, und er nannte ihn >Dick Tur-
pin<, in der vagen Hoffnung, daß man ihn irgendwann
einmal nach dem Grund fragte.
Nur besonders gewiefte Historiker können den ge-
nauen Tag bestimmen, an dem sich die Japaner von
überaus geschickten Nachbauern in noch viel geschick-
tere und kreative Techniker verwandelten, die den We-
sten das Staunen lehrten. Nun, an jenem bemerkenswer-
ten Tag war der Wasabi konzipiert worden. Er kombi-
nierte die traditionellen Schwächen westlicher Wagen
mit innovativen Katastrophen, deren Vermeidung Fir-
men wie Honda und Toyota ihren großen Erfolg ver-
dankten.
Newt hatte vergeblich nach einem zweiten Wasabi
Ausschau gehalten. Jahrelang wies er seine Freunde auf
kostengünstigen Unterhalt und enorme Zuverlässigkeit
hin, in der verzweifelten Hoffnung, daß einer von ihnen
ebenfalls einen Wasabi kaufte - selbst Elend liebt Gesell-
schan.
Er lobte den leistungsstarken 823cc-Motor, das gut ab-
gestimmte Dreiganggetriebe, die vielen unglaublichen
Sicherheitsvorkehrungen, zum Beispiel den Airbag: Er
blähte sich bei gefährlichen Situationen auf, wenn man
mit fünfundvierzig Meilen auf einer schnurgeraden
Straße fuhr und einen Unfall riskierte, weil plötzlich ein
großer Sicherheitsballon den Blick auf die Straße ver-
wehrte. Er pries das in Korea hergestellte Autoradio, mit
dem man Radio Pjöngjang klar und deutlich empfan-
gen konnte. Ausführlich beschrieb er die elektronische
Stimme, die einen aufforderte, den Sicherheitsgurt anzu-

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Ein gutes Omen

legen - selbst wenn man ihn bereits trug. Der Sprach-


prozessor war von jemandem programmiert worden,
der weder Englisch noch Japanisch verstand. Der Wa-
sabi war schon ein Kunstwerk, wie Newton es aus-
drückte. Wohl aber eher das Ergebnis einer brotlosen
Kunst.
Seine Freunde nickten, stimmten ihm in allen Punkten
zu und kamen zu folgendem Schluß: Wenn sie jemals
zwischen einem Wasabi und dem Leben als Fußgänger
wählen mußten, wollten sie sich ein Paar Schuhe kau-
fen. Es kam im Prinzip auf das gleiche hinaus. Der Tacho des Wasabi zeigte einen bemerkenswert
niedrigen
Kilometerstand, weil das Auto die meiste Zeit in Werk-
stätten verbrachte, während verzweifelte Mechaniker
auf Ersatzteil-Post vom einzigen noch existierenden
Wasabi-Händler in Nigirizushi, Japan, warteten.
Wie die meisten Leute fuhr Newt in zenartiger Trane
und fragte sich, auf welche Weise er die Nadel benutze
sollte. Sagte man: >Ich habe eine Nadel und schrecke
nicht davor zurück, Gebrauch von ihr zu machen?< Auf
der Suche nach der heutigen Nadel, dachte er. Der Mann mit
der goldenen Nadel... Die Nadeln von Navarone... Krieg der
Nadeln...
Es hätte Newt vielleicht interessiert zu erfahren, daß
von den neununddreißigtausend Frauen, die während
langer Hexenjagd-Jahrhunderte mit der Nadel überprüft
wurden, insgesamt neunundzwanzigtausend mit einem
lauten »Autsch! < antworteten. Neuntausendneunhun-
dertneunundneunzig spürten überhaupt nichts, weil die
bereits erwähnten Teleskop-Nadeln Verwendung fan-
den, und eine verkündete, der Stich habe sie von der
Arthritis in ihrem Bein geheilt.
Sie hieß Agnes Spinner.
Und sie war der größte Mißerfolg der Hexensucher-
Armee. Eine der frühen Weissagungen in den Freund-
lichen und Zutreffenden Prophezeiungen betraf Agnes
Spinners Tod.
Der durchschnittliche Engländer ist eher gleichgül-
tig und träge, und daher wurden in England nicht
annähernd so viele Hexen verbrannt wie in anderen
Staaten Europas. In Deutschland errichtete man die
Scheiterhaufen mit typisch germanischer Gründlichkeit.
Selbst den Schotten, deren Geschichte zum größten Teil
aus Kriegen gegen ihre Erzfeinde (die Schotten) besteht,
gelang es, einige läuternde Feuer zu entzünden. Wahr-
scheinlich vertrieben sie sich damit die Zeit an langwei-
ligen Winterabenden. Doch die Engländer konnten sich
nie richtig für Hexenverbrennungen begeistern.
Es mag unter anderem an den Umständen von Agnes

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Ein gutes Omen

Spinners Tod liegen, der das Ende des Hexenwahns in


England einleitete.
Ihre Angewohnheit, weise zu sein und andere Men-
schen zu heilen, ohne irgendwelche Gegenleistungen zu
verlangen, erzürnte die übrigen Bewohner des Dorfes.
Eines Abends im April fand sich eine wütende Menge
vor dem Haus der Hexe ein, was Agnes keineswegs
überraschte. Sie hatte sich bereits ihren Mantel angezo-
gen und wartete.
»Ihr habet euch verspätet«, sagte sie. »Ich hätte schon
vor zehn Minuten brennigen müssen.«
Sie verließ ihren Platz am Küchentisch, humpelte an
den verblüfften Bürgern vorbei nach draußen und ging
zum Scheiterhaufen, den man hastig auf dem Dorfplatz
errichtet hatte. Die Legende berichtet, Agnes habe ihn
mühsam erklettert und dann die Arme um den Pfahl ge-
schlungen.
»Bindiget mich gut fest«, wandte sie sich an den
sprachlosen Hexensucher. Und als sich die Dorfbewoh-
ner vorsichtig näherten, hob sie den Kopf und lächelte.
»Kommet nur, gute Leute. Kommet so nahe heran, bis
das Feuer eure Haare versenget. Ich verlangige von
euch, daß ihr zuseht, wie die letzte wahre Hexe in Eng-
land verbrennet. Denn ich binnet eine Hexe, und doch
weiß ich nicht, worin mein Verbrechen bestehet. Und
deshalbig soll mein Tod eine Botschaft für die ganze
Welt sein. Kommet und höret meine Worte: V/er sich in
Dinge einmischt, die er nicht verstehet, den erwartet ein
unangenehmiges Schicksal.«
Agnes lächelte erneut, sah zum Himmel hoch und
fügte hinzu: »Das giltet auch für dich, du blödiger alter
Narr.«
Nach diesen sonderbaren ketzerischen Bemerkun-
gen schwieg sie. Agnes Spinner ließ sich knebeln und
schmunzelte nur, als man den Scheiterhaufen anzün-
dete.
Die Bürger traten noch etwas näher, und einige von
ihnen fragten sich unsicher, ob es richtig sei, eine gute
alte Bekannte zu verbrennen. Zweifel keimte vor allen
Dingen in den Männern und Frauen, die an Gicht und
Migräne litten: Sie mußten jetzt damit rechnen, zukünftige
tige Behandlungen teuer zu bezahlen.
Dreißig Sekunden später krachte eine gewaltig
Explosion. Sie vernichtete das Dorf und tilgte alles
Leben aus dem Tal. Den Blitz sah man bis nach Halifax.
Anschließend überlegten viele Fachleute, ob die Kata-
strophe himmlischen oder höllischen Ursprungs war. In
Agnes Spinners Hütte fand man eine Nachricht, aus der
hervorging, daß irgendeine höllische oder göttliche In-

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Ein gutes Omen

tention ihre Unterstützung durch den Inhalt von Agnes


Unterwäsche fand, worin sie in weiser Voraussicht acht-
zig Pfund Schießpulver und vierzig Pfund Dachnägel
versteckt hatte.
Auf dem Küchentisch ließ die Hexe außer einem Zet-
tel, auf dem sie die Milch abbestellte, eine Kiste und ein
Buch zurück. Genaue Anweisungen schilderten, was
mit beiden Gegenständen geschehen sollte. Was das
Buch betraf... Agnes vermachte es ihrem Sohn John
Apparat.
Die Leute, die diese Sachen fanden - sie stammten aus
dem Nachbardorf und waren von der Explosion ge-
weckt worden -, dachten daran, die Anweisungen auf
dem Tisch nicht zu beachten und einfach alles zu ver-
brennen. Doch dann beobachteten sie die in der Dunkel-
heit lodernden Flammen, betrachteten von Dachnägeln
zerfetzte Holzlatten und beschlossen, es nicht darauf an-
kommen zu lassen. Den Ausschlag gaben einige Prophe-
zeiungen der Hexe: Sie schilderten in allen Einzelheiten,
was mit den Leuten geschehen würde, die ihre Anwei-
sungen mißachteten. Jener Mann, der den Scheiterhau-
fen in Brand gesetzt hatte, gehörte zur Hexensucher-
Armee. Man fand seinen Hut in einem Baum zwei Mei-
len entfernt.
Im Innern des Hutes war ein Stoffetikett angenäht,
und darauf stand der Name Du-sollst-nicht-ehebrechen
Läuterer, einer von Englands dienstbeflissenen Hexen-
suchern. Vielleicht hätte ihn die Information mit einer
gewissen Zufriedenheit erfüllt, daß sich sein letzter le-
bender Nachkomme auf dem Weg zu Agnes Spinners
letzter Nachfahrin befand, auch wenn ihm das nicht be-
wußt war. Möglicherweise wäre er der Meinung gewe-
sen, daß sich eine historische Rache vollzog.
Er konnte nicht wissen, was sich wirklich anbahnte.
Andernfalls hätte er sich vermutlich in seinem Grab um-
gedreht, ungeachtet der Tatsache, daß er gar keins hatte.
Zuerst allerdings mußte sich Newton Läuterer mit einer
fliegenden Untertasse auseinandersetzen.
Sie landete vor ihm auf der Straße, als er versuch-
te, die Abzweigung nach Lower Tadfield zu finden. Er
hatte die Karte über dem Lenkrad ausgebreitet und
mußte scharf bremsen.
Das Ding sah genauso aus wie die Darstellungen in
UFO-Karikaturen.
Während Newt über den Rand der Karte hinweg-
starrte, schwang die Luke des Raumschiffs mit einem
angemessenen Zischen auf, und eine glänzende Rampe
neigte sich dem Boden entgegen. Helles blaues Licht fiel
durch die Öffnung, und in dem fast grellen Glanz zeich-

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Ein gutes Omen

neten sich die Konturen von drei extra-terrestrischen


Gestalten ab. Gemessenen Schrittes wanderten sie die
Rampe herunter. Nun, diese Beschreibung traf zumin-
dest auf zwei der Fremden zu. Der dritte sah aus wie ein
Pfefferstreuer, glitt nach unten und fiel um, als er das
Ende des stählernen Stegs erreichte.
Die anderen beiden achteten nicht auf das flehentliche
Piepen und näherten sich dem Wasabi. Sie offenbarten
dabei das selbstsichere Verhalten von Polizisten, die sich
bereits darauf freuen, einen Strafzettel auszufüllen. Der
größere Alten - eine gelbe Kröte, gekleidet in Klarsicht-
folie - klopfte ans Seitenfenster. Newt schluckte und
kurbelte es herunter. Das Geschöpf trug eine dieser Spie-
gelbrillen, wie man sie bei ehrgeizigen Arizona-Sheriffs
erwartet.
»Guten Morgen, Sir, Madam oder Neutrum«, sagte
das Etwas. »Dies ist vermutlich Ihr Planet?«
Der andere Außerirdische - ein gedrungenes grünes
Ding - stapfte in den nahen Wald, trat gegen einen
Baum, nahm ein Blatt und untersuchte es mit einem
Gerät, das ihm am Gürtel baumelte. Das Wesen sah
nicht sehr zufrieden aus.
»Nun, äh, ja, ich denke schon«, erwiderte Newt.
Die Kröte sah sich um.
»Sie leben hier schon ziemlich lange, stimmt's?« fragte
sie.
»Äh. Ich persönlich nicht. Die Menschheit als Spe-
zies schon. Seit fünfhunderttausend Jahren. Glaube
ich.«
Der Alien wechselte einen bedeutungsvollen Blick mit
seinem Kollegen. »Wir haben zugelassen, daß der Regen
immer saurer wird, hm?« erkundigte er sich. »Und
außerdem sind wir mit den guten alten Kohlenwasser-
stoffen etwas zu verschwenderisch umgegangen, nicht
wahr?«
»Bitte?«
»Könnten Sie mir die Albedo Ihres Planeten nennen,
Sir?« fragte die Kröte und blickte noch immer zum
Horizont - als würde sich dort etwas wirklich Interes-
santes abspielen.
»Ah. Nein. Ah.«
»Nun, Sir, ich muß Ihnen leider mitteilen, daß Ihre
Polkappen kleiner sind, als es die galaktischen Vor-
schriften für einen Planeten dieser Größe erlauben.«
»Lieber Himmel«, sagte Newt. Er überlegte, wem er
von dieser Sache erzählen könnte, und erkannte, daß es
absolut niemanden gab, der ihm glauben würde.
Die Kröte beugte sich etwas näher heran. Newton
glaubte, in ihrem Gesicht so etwas wie Sorge zu erken-

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Ein gutes Omen

nen. Andererseits: Es fiel ihm schwer, die Mimik von Ex-


traterrestriern zu deuten, die er jetzt zum erstenmal sah.
»Diesmal drücken wir ein Auge zu, Sir.«
Newt suchte nach den passenden Worten. »Oh. Ah.
Das ist, äh, sehr nett von Ihnen. Ja. Ich werde dafür sor-
gen, daß... Ich meine, wenn ich ich sage, dann meine
ich, äh, der Kontinent Antarktika gehött allen Nationen,
äh...«
»Wissen Sie, Sir, eigentlich sind wir nur gekommen,
um eine Botschaft zu übermitteln.«
»Ach?«
»Sie lautet: >Wir bringen Ihnen die Botschaft von uni-
versellem Frieden und kosmischer Harmonie und so.<
Zitat Ende.«
»Oh.« Newt dachte darüber nach. »Oh. Bemerkens-
wert. Sicher sehr wichtig. Besten Dank.«
»Haben Sie vielleicht eine Ahnung, warum man uns
beauftragt hat, diese Botschaft zu bringen?« fragte die
Kröte.
Newts Miene erhellte sich. »Nun, äh«, begann er wei-
se, »wahrscheinlich geht es darum, daß der Mensch die
Kraft des Atoms seinem naturwissenschaftlichen Willen
unterworfen hat und...«
»Wir wissen es auch nicht, Sir.« Die Kröte richtete sich
auf. »Bestimmt irgend so ein Phänomen. Im Weltraum
wimmelt's davon. Tja, wir sollten uns jetzt wieder auf
den Weg machen.« Das Wesen gestikulierte vage, drehte
sich um und wankte ohne ein weiteres Wort zur fliegen-
den Untertasse zurück.
Newt schob den Kopf durchs Seitenfenster.
»Danke!«
Der kleinere Alten watschelte am Wagen vorbei.
»Der Kohlendioxidgehalt ist um null Komma fünf
Prozent gestiegen«, rasselte er und bedachte den jungen
Mann im Wasabi mit einem durchdringenden Blick.
»Wissen Sie eigentlich, daß man Sie als dominante Spe-
zies mit pathologisch-instinktiver Konsumsucht vor´s
kosmische Gericht stellen könnte?«
Die beiden Fremden hoben den dritten auf, schoben
ihn die Rampe hinauf und schlossen die Luke.
Newt wartete noch eine Weile, falls noch irgend etwa
Spektakuläres passieren sollte, aber das UFO stand ein-
fach nur da. Schließlich gab er wieder Gas und fuhr an
dem UFO vorbei. Als er in den Rückspiegel sah, war es
verschwunden.
Ich muß es mit irgend etwas übertrieben haben, dachte
Newton schuldbewußt. Aber womit?
Er seufzte. Ich kann noch nicht einmal Shadwell davon be-
richten. Er würde mir bestimmt vorwerfen, die Brustwarzen

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Ein gutes Omen

der Außerirdischen nicht gezählt zu haben.


»Wie dem auch sei«, sagte Adam, »ihr habt völlig
falsche Vorstellungen von Hexen.«
Die Sie saßen auf einem Gatter und beobachteten, wie
sich Hund in Kuhfladen wälzte. Die kleine Promena-
denmischung schien sich prächtig zu amüsieren.
»Ich habe darüber gelesen«, fuhr Adam etwas lauter
fort. »Eigentlich waren die Hexen überhaupt nicht böse.
Es ist falsch, sie mit der Britischen Inquisition und so zu
verfolgen.«
»Meine Mutter sagt, Hexen sind nur weise Frauen ge-
wesen, die mit den einzigen ihnen zur Verfügung ste-
henden Mitteln gegen alle Ungerechtigkeiten der von
Männern dominierten Gesellschaft protestierten«, sagte
Pepper.
Peppers Mutter unterrichtete am polytechnischen In-
stitut von Norton.*
»Ja, aber deine Mutter verkündet dauernd solche
Weisheiten«, erwiderte Adam nach einer Weile.
Pepper nickte freundlich. »Sie meint auch, schlimm-
stenfalls kann man Hexen als freidenkende Anhänger
des progenerativen Prinzips bezeichnen.«
»Was hat es mit dem >progenerativen Prinzip< auf
sich?« fragte Wensleydale.
»Keine Ahnung«, antwortete Pepper. »Wahrscheinlich
geht's dabei um Maibäume oder so.«
»Nun, ich dachte immer, Hexen verehren den Teufel«,
* Tagsüber. Abends legte sie Tarockkarten für nervöse leitende Ange-
stellte - manche Angewohnheiten halten sich lange.
sagte Brian, ohne gleich eine Verwünschung hinterher-
zuschicken. Was Teufelsanbetung betraf, hatten die Sie
keine Vorurteile. Sie hatten überhaupt keine Vorurteile.
»Und der Teufel ist besser als irgendwelche blöden
Maibäume.«
»Da irrst du dich aber gewaltig«, warf Adam ein.
»Der Teufel ist nicht etwa ein Teufel, sondern nur ein an-
derer Gott. Mit Hörnern.«
»Der Teufel ist der Teufel«, beharrte Brian.
»Nein«, erwiderte Adam geduldig, »das bringen die
Leute dauernd durcheinander. Die Hexen verehren nicht
den Teufel, sondern jemand anders, der ihm ähnlich
sieht. Er hat ebenfalls Homer und heißt Pan. Er ist zur
Hälfte Ziege.«
»Welche Hälfte?« fragte Wensleydale.
Adam überlegte.
»Die untere«, sagte er schließlich. »Komisch, daß du
das nicht weißt. Ich dachte, alle wüßten darüber Be-
scheid.«
»Ziegen haben keine oberen und unteren, sondern

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Ein gutes Omen

vordere und hintere Hälften«, erklärte Wensleydale.


»Wie Kühe.«
Sie sahen Hund zu und pochten mit den Fersen ans
Gatter. Es war viel zu heiß, um konzentriert nachzuden-
ken.
»Wenn Pan Ziegenbeine hat, müßten ihm eigentlich
Homer fehlen«, murmelte Pepper. »Die Homer gehören
zur vorderen Hälfte.«
»Ich habe ihn nicht erschaffen, oder?« verteidigte sich
Adam. »Ich erzähle nur von ihm, das ist alles. Ist es
meine Schuld, wenn er anders als in eurer Vorstellung
ist?«
»Nun«, sagte Pepper, »wenn der komische Pan ir-
gendwo herumläuft und wirklich Homer hat, darf er
sich nicht darüber wundem, wenn man ihn für den Teu-
fel hält. Ich meine, wenn ihn die Leute sehen, sagen sie
bestimmt: He, da kommt der Teufel.«
Hund entdeckte einen Kaninchenbau, schnupperte
aufgeregt und begann zu graben.
Adam rollte mit den Augen und holte tief Luft.
»Warum müßt ihr immer alles so wörtlich nehmen?«
klagte er. »Darin besteht heutzutage das Problem. Purer
Materialismus. Es sind Leute wie ihr, die in Südamerika
und so Regenwälder abholzen und Löcher in die Ozon-
schicht bohren. Ja, in der Ozonschicht gibt es ein riesen-
großes Loch, weil die Leute zu materialistisch sind.«
»Daran kann ich nichts ändern«, sagte Brian automa-
tisch. »Ich habe nur ein Gurkenbeet zertreten und be-
reits dafür gebüßt.« Er zupfte sich vorsichtig am rechten
Ohr.
»Es steht in den Zeitschriften«, fuhr Adam fort. »Für
einen einzigen Hamburger müssen Millionen Morgen
Regenwald dran glauben. Und das Ozon leckt, weil...«
Er zögerte. »Weil die Leute dauernd ihre Umwelt ver-
sprühen.«
»Und dann die Wale«, sagte Wensleydale. »Wir müs-
sen die Wale retten.«
Adam starrte ins Leere. Im >New Aquarian Digest<
fehlten Artikel über Wale. Offenbar ging man in der Re-
daktion davon aus, daß alle Leser dafür waren, die Wale
zu retten; mit der gleichen Sicherheit nahmen sie an, daß
Menschen atmeten und aufrecht gingen.
»Ich habe einen Fernsehfilm über Wale gesehen«, er-
läuterte Wensleydale seinen Standpunkt.
»Weshalb müssen wir sie retten?« fragte Adam. Er
hatte nur ziemlich wirre Vorstellungen davon, wie man
Wale retten sollte.
»Ah.« Wensleydales Lippen bewegten sich stumm, als
er in den verstaubten Winkeln seines Gedächtnisses

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Ein gutes Omen

zu suchen begann. »Ah. Weil sie singen können. Und


weil sie große Gehirne haben. Es gibt nur noch wenige
Exemplare. Und es ist überhaupt nicht nötig, sie zu fan-
gen, weil sowieso bloß Tiernahrung und so aus ihnen
hergestellt wird.«
»Wenn sie große Gehirne haben, müßten sie eigentlich
sehr intelligent sind«, sagte Brian langsam. »Warum
bleiben sie trotzdem im Meer?«
»Oh, weiß ich nicht«, brummte Adam und runzelte
die Stirn. »Sie schwimmen dauernd herum und brau-
chen nur das Maul zu öffnen, wenn sie Hunger haben...
Ich finde es ziemlich schlau von ihnen, daß sie sich
keine Beine wachsen lassen, um an Land...«
Das Kreischen von Bremsen und ein langgezogenes
Reifenquietschen unterbrachen ihn. Die Sie sprangen
vom Gatter und liefen über den Weg zur Kreuzung, wo
ein Wagen kopfüber am Ende von zwei langen Streifen
aus abgeriebenem Gummi lag.
Etwas weiter die Straße hinunter befand sich ein
Loch. Offenbar hatte der Fahrer ihm ausweichen wollen.
Während sie noch hinsahen, entfernte sich ein orienta-
lisch aussehender Kopf aus dem Blickfeld.
Sie zerrten die Tür auf und zogen den bewußtlosen
Newt nach draußen. Adam dachte an Heldenmedaillen,
während Wensleydale versuchte, sich an die elementa-
ren Regeln der Ersten Hilfe zu erinnern.
»Wir dürfen ihn nicht bewegen«, sagte er. »Vielleicht
hat er sich was gebrochen. Und wir müssen jemanden
holen.«
Adam sah sich um. Hinter den Bäumen am Straßen-
rand ragte das Dach eines Hauses auf. Es gehörte zum
Jasmine Cottage.
Anathema Apparat saß an ihrem Tisch, auf dem schon
seit einer Stunde Verbände, Aspirintabletten und andere
Arzneien bereitlagen.
Anathema sah auf die Uhr. Er müßte jeden Augenblick zu
sich kommen, dachte sie.
Er entsprach nicht unbedingt ihren Erwartungen. Bes-
ser gesagt: Sie hatte sich jemand anderen erhofft.
Zum Beispiel einen hochgewachsenen, dunkelhaari-
gen und attraktiven Mann.
Nun, Newt war groß, aber gleichzeitig wirkte er wie
ausgerollt. Er hatte dunkles Haar, ja, aber bei ihm er-
füllte es keineswegs den Zweck eines modischen Acces-
soires. Es handelte sich nur um ein schwarzes Etwas,
das ihm oben aus dem Kopf wuchs. In dieser Hinsicht
traf Newton keine Schuld. Als Junge ging er alle zwei
Monate zum Friseur an der Ecke und nahm ein Foto
mit, das jemanden mit einem beeindruckend coolen

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Ein gutes Omen

Haarschnitt zeigte. Er zeigte es dem Mann mit der


Schere und meinte, so wolle er nachher aussehen, bitte.
Nun, der Friseur verstand sein Handwerk, warf einen
kurzen Blick auf das Bild, einen etwas längeren auf
Newts Kopf und verpaßte ihm dann den üblichen
Rundschnitt, hinten und vorne kurz, die Ohren frei.
Nach ungefähr einem Jahr gelangte Newt zu dem
Schluß, daß er einfach kein richtiges Haarschnitt-Gesicht
hatte. Das Beste, was sich Newton Läuterer von einem
Haarschnitt erhoffen konnte, war kürzeres Haar.
Mit der Kleidung stand es ähnlich. Es war noch keine
Kleidung erfunden worden, in der er weltmännisch und
kultiviert aussah. Er gab sich längst mit Dingen zufrie-
den, die ihn vor dem Regen schützten und Taschen fürs
Kleingeld boten.
Und er war alles andere als attraktiv. Er war es nicht
einmal dann, wenn er die Brille abnahm.*
Noch etwas anderes kam hinzu. Als Anathema dem
ohnmächtigen Newt die Schuhe auszog, mußte sie fest-
stellen, daß er sonderbare Socken trug: eine blaue, mit
Löchern an der Ferse, und eine graue mit Löchern im
Bereich der Zehen.
Vermutlich sollte ich ihm jetzt mütterliche Gefühle ent-
gegenbringen, dachte die junge Hexe und schüttelte den
Kopf. Wenn er seine Socken wenigstens waschen würde...
Hochgewachsen, dunkelhaarig, aber nicht attraktiv.
* Ohne die Brille verlor er sogar an Attraktivität, weil er dann im-
merzu stolperte und häufig Verbände trug.
Anathema hob die Schultern. Na schön. Zwei von drei ist
eigentlich gar nicht so übel.
Die Gestalt auf dem Bett bewegte sich. Anathema
wußte bereits, was sie erwartete. Sie verdrängte ihre
Enttäuschung und fragte:
»Wie fühlen wir uns jetzt?«
Newt schlug die Augen auf.
Er lag in einem Bett, und zwar nicht in seinem. Die
Zimmerdecke bot einen eindeutigen Hinweis. In seinem
Schlafzimmer hing immer noch das Flugzeugmodell
von der Decke herab - er hatte es bisher noch nicht ge-
schafft, es abzunehmen. An dieser Zimmerdecke befand
sich nur Putz mit feinen Rissen darin. Newt war niemals
zuvor im Schlafzimmer einer Frau gewesen, aber er
merkte es sofort an der Kombination von Gerüchen. Er
nahm den Duft von Körperpuder und Maiglöckchen-
parfüm wahr, nicht die besonderen Aromen alter flecki-
ger T-Shirts, die längst vergessen hatten, wie eine
Waschmaschine von innen aussah.
Er hob den Kopf, stöhnte und ließ ihn wieder aufs
Kissen sinken. Auf ein rosarotes Kissen, wie er fest-

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Ein gutes Omen

stellte.
»Sie sind mit dem Kopf ans Lenkrad gestoßen«, sagte
die Stimme, die ihn geweckt hatte. »Keine Angst, Sie
haben sich nichts gebrochen. Erinnern Sie sich an den
Unfall?«
Newt wagte es erneut, die Augen zu öffnen.
»Ja«, sagte er. »Ist mit dem Wagen alles in Ordnung?«
»Ich glaube schon. Irgendwo plärrte es dauernd: >Sie
sind nicht angeschnallt. Denken Sie an den Sichelheits-
gult.<«
»Na bitte«, wandte sich Newt an ein unsichtbares Pu-
blikum. »Damals baute man noch anständige Autos.
Plastik bekommt eben keine Beulen.«
»Es splittert höchstens.«
Newt sah Anathema an und blinzelte.
»Ich habe das Steuer herumgerissen, um dem Tibeta-
ner auf der Straße auszuweichen«, sagte er. »Glaube ich
wenigstens. Wahrscheinlich bin ich ausgerastet.«
Die Gestalt trat näher. Sie hatte dunkles Haar, rote
Lippen, grüne Augen und war ohne Zweifel weiblich.
Newt versuchte, sie nicht anzustarren.
»Selbst wenn Sie den Verstand verloren haben...«,
antwortete Anathema. »Wahrscheinlich wird es nieman-
dem auffallen.« Sie lächelte. »Wissen Sie, daß ich jetzt
zum erstenmal Gelegenheit bekomme, einen Hexensu-
cher kennenzulernen?«
»Ah...«, begann Newt. Die junge Frau hob seine
Brieftasche.
»Ich mußte den Inhalt überprüfen«, sagte sie. »Um zu
erfahren, wer Sie sind.«
Newt fühlte sich von extremer Verlegenheit heimge-
sucht, was recht häufig geschah. Shadwell hatte ihm
einen offiziellen Hexensucher-Ausweis gegeben; unter
anderem forderte er alle Pfarreidiener, königlichen Be-
amten, Bischöfe und Büttel auf, dem Hexensucher freies
Geleit zu gewähren und ihm so viel Brennholz zu geben,
wie er wünschte. Es war ein außerordentlich eindrucks-
volles Meisterwerk der Kalligraphie und bestimmt sehr
alt. Newt erinnerte sich erst jetzt wieder daran.
»Es ist nur ein Hobby«, entgegnete er zerknirscht, »mi
Hauptberuf bin ich ...« Sollte er hier und jetzt und einer
solchen Frau sagen, daß er als Lohnbuchhalter arbeitete?
Nein, unmöglich, »...bin ich Computer-Techniker«, log
er. Newton wollte ein Computer-Techniker sein, tief in
seinem Herzen. Nur das Gehirn hinderte ihn daran, sich
diesen Wunsch zu erfüllen. »Entschuldigen Sie, aber ich
weiß leider nicht, wer Sie ...«
»Anathema Apparat«, stellte sich Anathema vor. »Ich
beschäftige mich mit Okkultismus, aber auch das ist nur

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Ein gutes Omen

ein Steckenpferd. Eigentlich bin ich Hexe. Nun, Sie sind


eine halbe Stunde zu spät dran«, fügte sie hinzu und
reichte Newt einen Zettel. »Lesen Sie das. Dadurch spa-
ren wir viel Zeit.«
Trotz seiner Kindheitserfahrungen hatte sich Newt einen
kleinen Homecomputer gekauft. Er hatte sogar schon
mehrere besessen. Man konnte sofort feststellen, welche
Computer ihm gehörten. Es waren elektronische Gegen-
stücke des Wasabi. Anders ausgedrückt: Es handelte
sich um Rechner, deren Preis man um fünfzig Prozent
reduzierte, sobald einer davon auf Newtons Schreibtisch
stand. Oder sie wurden in einer teuren Werbekampagne
als moderne technische Wunderwerke gepriesen - und
fielen fünf Monate später der Vergessenheit anheim.
Oder sie funktionierten nur in einem besonders kalten
Kühlschrank. Wenn Newt sein Interesse einmal rein zu-
fällig auf ein wirklich gutes und leistungsfähiges Gerät
richtete, so bekam er mit ziemlicher Sicherheit ein
Exemplar, dessen Betriebssystem diverse Fehler aufwies
und zu wiederholten Programmabstürzen führte. Aber
er gab nicht auf. Er glaubte.
Auch Adam hatte einen kleinen Computer, und er be-
nutzte ihn hauptsächlich für Videospiele. Aber nie sehr
lange. Ganz gleich, welches Spiel er in den Speicher lud
und startete: Er brauchte es nur einige Minuten lang zu
beobachten, um alle High Score-Rekorde zu brechen.
Als die anderen Sie seine sonderbaren Fähigkeiten be-
staunten, hob Adam nur die Schultern und meinte, es
sei doch ganz einfach. »Man braucht nur zu lernen, wor-
auf es bei einem Spiel ankommt«, sagte er. »Der Rest ist
kinderleicht.«
Unbehagen regte sich in Newton, als er sah, daß Zei-
tungsstapel einen großen Teil des Platzes im Wohnzim-
mer beanspruchten. Hunderte von Ausschnitten hingen,
an den Wänden, und viele von ihnen waren mit rotem,
Filzstift markiert. Es machte ihn ziemlich zufrieden, daß
er einige wiedererkannte, die er auch für Shadwell aus-
geschnitten hatte.
Anathema besaß nur sehr wenige Möbel. Sie hatte nur eine große Uhr mitgebracht, ein Erbstück der
Familie
wie sie meinte. Es war keine echte Standuhr, aber sie
verrügte über ein frei schwingendes langes Pendel,
unter dem E. A. Poe mit Freuden jemanden festgebun-
den hätte.
Newts Blick klebte immer wieder daran fest.
»Einer meiner Vorfahren hat sie gebaut«, sagte Ana-
thema und stellte zwei Kaffeetassen auf den Tisch. »Sir
Joshua Apparat. Vielleicht sagt Ihnen dieser Name
etwas. Er erfand jenes kleine zitternde Etwas, das es er-

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Ein gutes Omen

möglichte, genauere und billigere Uhren zu konstru-


ieren.«
»Das Joshua?« fragte Newt vorsichtig.
»Nein, den Apparat.«
In der letzten halben Stunde hatte Newton einige ge-
radezu unglaubliche Dinge gehört, und er neigte inzwi-
schen dazu, sie für wahr zu halten. Aber irgendwann
war das Maß voll.
»Der Apparat ist nach einem Menschen benannt?« er-
kundigte er sich skeptisch.
»Ja, ein traditioneller Lancashire-Name. Ich glaube, er
kommt aus dem Französischen. Jetzt behaupten Sie nur
noch, nie etwas von Sir Humphrey Vorrichtung gehört
zuhaben...«
»lehnte Sie...«
»...der eine Vorrichtung entwickelte, mit der man
Wasser aus überfluteten Bergwerksschächten pumpt.
Was ist mit Pietr Ding? Oder Cyrus T. Dingsbums, dem
berühmtesten dunkelhäutigen Erfinder Amerikas? Tho-
mas Edisons Anerkennung und Respekt galten in erster
Linie zwei Kollegen, denen es gelang, der Wissenschaft
einen unmittelbaren praktischen Nutzen abzuringen:
Cyrus T. Dingsbums und Elektro Strom. Diese beiden
Genies...«
Sie betrachtete Newts erstaunten Gesichtsausdruck.
»Während meines Philosophiestudiums habe ich mich
eingehend damit befaßt«, erklärte die Hexe. »Ich meine,
mit Leuten, die so einfache und für alle nützliche Dinge
erfanden, daß man später glaubte, es habe sie schon
immer gegeben. Zucker?«
»Ah...«
»Normalerweise nehmen Sie zwei Löffel«, sagte Ana-
thema freundlich.
Newt blickte wieder auf den Zettel, den er von der
jungen Frau bekommen hatte.
Sie schien zu glauben, er erkläre alles.
Aber das war nicht der Fall.
Eine senkrechte Linie teilte die beiden Texthälften.
Auf der linken Seite formten schwarze Buchstaben eine
Art Gedicht, und rechts daneben standen mit roter Tinte
geschriebene Anmerkungen und Kommentare. Woraus
sich folgender Effekt ergab:
3819: Wenn des Orients Kutsche
kippet und vier Räder zeigen gen
Himmel, ein Mann mit Flecken
blauen lieget auf Deinem Bette,
und hinter seiniger Stirn pochet es
heftig. Es isset ein Mann, der mit
einer Nadel tastet und doch ein

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Ein gutes Omen

reines Herz habet. Nimm die


Dinge des Feuers von ihm, um
jede Gefahr zu bannigen. Und zu-
sammen sollet ihr sein bis zum
Endige der Welt.
Japanischer Wagen? Liegt
auf dem Dach. Unfall -
nicht schwer verletzt?
...ihn aufnehmen...
Kopfschmerzen; Aspirin
(s. 3757)
Nadel = Hexensucher
Bezieht sich auf Läuterer
(s.002)
Nach Streichhölzern etc.
suchen.
Hexenjagd am Ende des
20. Jahrhunderts??
...hm
weniger als ein Tag
(s.712,3803,4004)
Aus einem Reflex heraus griff Newt in die Tasche.
Gasfeuerzeug fehlte.
»Was bedeutet das?« brachte er heiser hervor.
»Haben Sie jemals von Agnes Spinner gehört?« frag
Anathema.
»Nein«, sagte Newt und errichtete eine Verteidigungs-
barriere aus purem Sarkasmus. »Wahrscheinlich wollen
Sie mir jetzt weismachen, sie sei die Erfinderin von
Spinnen und Bekloppten.«
»Noch ein alter Lancashire-Name«, erwiderte Ana-
thema kühl. »Lesen Sie in den Berichten über die Hexen-
Verfahren des siebzehnten Jahrhunderts, wenn Sie mir
nicht glauben. Ich bin mit Agnes verwandt. Und einer
Ihrer Vorfahren hat sie bei lebendigem Leibe verbrannt.
Oder es wenigstens versucht.«
Mit fasziniertem Entsetzen hörte sich Newt die Ge-
schichte von Agnes Spinners Tod an.
»Du-sollst-nicht-ehebrechen Läuterer?« fragte er, als
Anathema schwieg.
»Solche Bezeichnungen erfreuten sich damals großer
Beliebtheit«, antwortete die junge Frau. »Es war eine
sehr religiöse Familie, und zehn Kinder gehörten zu ihr.
Es gab einen Begehren Läuterer, einen Falsches Zeugnis
Läuterer...«
»Ich verstehe«, sagte Newt. »Meine Güte. Shadwell
meinte, der Name klinge irgendwie vertraut - allem An-
schein nach hat er sich nicht geirrt. Vermutlich steht er
irgendwo in den alten Soldbüchern. Kein Wunder, daß

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Ein gutes Omen

mein Ahne dauernd mit Nadeln zustach und Hexen ver-


brannte. Wenn man mich Du-sollst-nicht-ehebrechen
Läuterer nennen würde, hätte ich sicher den Wunsch,
mich an der ganzen Welt zu rächen.«
»Ich glaube, es lag einfach daran, daß er nicht viel von
Frauen hielt.«
»Freut mich, daß Sie es nicht persönlich nehmen«, er-
widerte Newt. »Ich meine, er muß wirklich einer meiner
Vorfahren gewesen sein. Es gibt nicht viele Läuterer.
Vielleicht bin ich deshalb zur Hexensucher-Armee ge-
kommen. Es könnte Schicksal sein«, fügte er hoffnungs-
voll hinzu.
Anathema schüttelte den Kopf. »Nein«, widersprach
sie. »Das bezweifle ich.«
»Wie dem auch sei: Die Hexensucherei ist nicht mehr
so, wie sie einmal war. Selbst Shadwell beschränkt sich
nur darauf, die Mülltonnen verdächtiger Weibsbilder
umzustoßen.«
Anathema nickte langsam. »Unter uns gesagt: Agnes
war ein etwas schwieriger Mensch. Sie hatte nicht das
rechte Maß.«
Newt deutete auf den Zettel.
»Was hat das alles damit zu tun?« erkundigte er sich.
»Sie hat es geschrieben. Das Original, meine ich. Ein-
trag Nummer 3819 der Freundlichen und Zutreffenden
Prophezeiungen von Agnes Spinner, veröffentlicht im
Jahre 1655.«
Erneut starrte Newton auf die Weissagung. Sein
Mund öffnete und schloß sich mehrmals.
»Sie hat von meinem Unfall gewußt?«
»Ja. Nein. Wahrscheinlich nicht. Ist schwer zu sagen.
Nun, Agnes war die schlechteste Prophetin aller Zeiten.
Weil sie immer recht hatte. Deshalb verkaufte sich das
Buch nicht.«
Die meisten übernatürlichen Fähigkeiten gehen auf das
Fehlen eines zeitlichen Fixpunkts zurück, und das Be-
wußtsein Agnes Spinners trieb so weit auf dem Strom
der Zeit umher, daß sie selbst nach den Maßstäben des
ländlichen Lancashire im siebzehnten Jahrhundert ab
verrückt galt. Was um so erstaunlicher ist, weil überge-
schnappte Propheten damals Hochkonjunktur hatten.
Trotzdem hörte man ihr gern zu, wie jedermann gern;
bestätigte.
Wenn sie ihre Patienten behandelte, benutzte sie häu-
fig geheimnisvollen Schimmel. Sie wies daraufhin, wie
wichtig es sei, sich die Hände zu waschen - um sich
von kleinen Tierchen zu befreien, die Krankheiten verur- sachten. Was vielen Leuten seltsam
erschien: Schließlich
war allgemein bekannt, daß man gesundheitsgefähr- dende Dämonen nur mit ordentlichem Gestank

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Ein gutes Omen

vertreib-
ben konnte. Außerdem riet Agnes dazu, regelmäßig in
einem langsamen Trott zu laufen, als ein Mittel, um län-
ger zu leben, was sie extrem verdächtig werden ließ und
die Hexensucher zum erstenmal auf sie aufmerksam
machte. Außerdem wies Agnes darauf hin, wie wichtig
es sei, die Nahrung mit Ballaststoffen anzureichern.
Doch damit war sie eindeutig ihrer Zeit voraus, denn
die Leute hatten größere Probleme, überhaupt etwas zu
essen zu haben.
Und sie weigerte sich, Warzen zu heilen.
»Es isset alles nur in deiner Vorstellung«, sagte sie bei
solchen Gelegenheiten. »Vergiß es, und dann wirst du
bald gesundig.«
Ganz offensichtlich konnte Agnes Spinner die Zu-
kunft sehen, aber sie beobachtete die Ereignisse der
nächsten Jahrhunderte wie durch einen individuellen
Filter, und deshalb konnten andere Menschen mit ihren
Auskünften nur wenig anfangen.
»Wie meinen Sie das?« fragte Newt.
»Eigentlich kann man Agnes' Prophezeiungen nur
verstehen, wenn sie sich erfüllt haben«, sagte Anathema.
»Um ein Beispiel zu nennen: Für das Jahr 1972 schrieb
sie >Kaufet keine Betamacks<.«
»Soll das heißen, sie hat die Erfindung des Videorecor-
ders vorausgesagt?«
»Nein«, widersprach Anathema, »sie empfing nur ein
kleines Informationsfragment aus der Zukunft. Genau
darin besteht das Problem. Meistens sind die Hinweise
so vage und indirekt, daß ihre Bedeutung erst durch die
betreffenden Ereignisse klar wird. Darüber hinaus
konnte Agnes kaum zwischen wichtigen und unwichti-
gen Dingen unterscheiden, m gewisser Weise prophe-
zeite sie aufs Geratewohl. Für den 22. November 1963
weissagte sie, in Kings Lynn stürze ein Haus ein.«
»Ach?« Newt zwinkerte verwirrt.
»Präsident Kennedy wurde ermordet«, sagte Ana-
thema. »Aber Dallas existierte damals noch nicht. Und
Kings Lynn war recht wichtig.«
»Oh.«
»Agnes lieferte besonders gute und genaue Prophe-
zeiungen, wenn es um ihre Nachkommen ging.«
»Oh?«
»Und sie gewöhnte sich einfach nicht an den Verbren-
nungsmotor. Moderne Automobile waren für sie
schlicht und einfach Karren oder Kutschen. Selbst meine
Mutter glaubte, Nummer 3819 beziehe sich auf die
Droschke des japanischen Kaisers. Wissen Sie, es genügt
eben nicht, die Zukunft zu sehen. Man muß sie auch ver-

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Ein gutes Omen

stehen. Agnes beobachtete die zukünftigen Geschehnisse


wie durch einen langen Tunnel, und für ihre Weissagun-
gen wählte sie jene Dinge aus, die ihr einigermaßen ver-
traut erschienen.
Manchmal klopft einem dabei das Glück auf die
Schulter«, fuhr Anathema fort. »Mein Urgroßvater ana-
lysierte einige Prophezeiungen, stellte neue Querverbin-
dungen her und erfuhr so rechtzeitig vom Börsenkrach
im Jahre 1929. Was ihn in die Lage versetzte, ein Vermö-
gen zu verdienen. Nun, man könnte sagen, wir sind be-
rufsmäßige Nachkommen.«
Sie maß Newt mit durchdringendem Blick. »Bis vor
ungefähr zweihundert Jahren begriff niemand, daß
die Freundlichen und Zutreffenden Prophezeiungen
Agnes' Vorstellungen von einem Familienerbe sind.
Viele Einträge im Buch betreffen zukünftige Verwandte
und ihr Wohlergehen. Sie wollte sich selbst nach ihrem
Tod um uns kümmern. Nehmen Sie nur die Kings
Lynn-Prophezeiung. Mein Vater hielt sich damals in der
Stadt auf, und von Agnes Spinners Standpunkt aus war
es nicht sehr wahrscheinlich, daß er von einer verirrten
Kugel aus Dallas getroffen werden könnte. Sie hielt es
für viel wahrscheinlicher, daß ihm ein Ziegelstein auf
den Kopf fiel.«
»Agnes scheint recht nett gewesen zu sein«, kommen-;
tierte Newt. »Wenn man einmal davon absieht, daß sie
ein ganzes Dorf in die Luft jagte.«
Anathema überhörte diese Bemerkung. »Nun, das
war's im großen und ganzen«, sagte sie. »Seit damals
sehen wir unsere Aufgabe darin, die Prophezeiungen zu
interpretieren. Es gibt für jeden Monat eine, und inzwi-
schen haben sich die zeitlichen Abstände verkürzt, weil
das Ende der Welt bevorsteht.«
»Ah, wann ist es soweit?« fragte Newt.
Anathema warf einen bedeutungsvollen Blick auf die
Uhr.
Der Hexensucher-Gefreite lachte nervös und hoffte,
daß er damit weltmännisch und selbstbewußt klang.
Nach den jüngsten Ereignissen fiel es ihm schwer, die
richtige Perspektive für alles Reale und Vertraute zu be-
wahren. Anders ausgedrückt: Er zweifelte an seinem
Verstand. Außerdem roch er Anathemas Parfüm, was
zusätzliches Unbehagen in ihm weckte.
»Sie können von Glück sagen, daß ich noch keine
Stoppuhr brauche«, sagte die junge Frau. »Uns bleiben
noch fünf oder sechs Stunden.«
Newt dachte darüber nach. Bisher hatte er nie den
Wunsch verspürt, Alkohol zu trinken, aber irgend
etwas teilte ihm mit, daß es für alles ein erstes Mal

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Ein gutes Omen

gab.
»Haben Hexen eine Hausbar?« fragte er unsicher.
»Oh, ja.« Anathema lächelte hintergründig. Agnes
Spinner mochte so gelächelt haben, während sie eine mit
Damenunterwäsche gefüllte Schublade leerte. »Die Fla-
schen enthalten eine grüne, blubbernde Flüssigkeit, und
seltsame Dinge schwimmen in dem öligen Etwas. Sie
sollten das eigentlich wissen.«
»In Ordnung. Haben Sie Eis?«
Es erwies sich als Gin. Und es gab auch Eis. Ana-
thema nahm die Hexerei ernst und lehnte Alkohol im
allgemeinen ab, doch in ihrem besonderen Fall machte
sie eine Ausnahme.
»Habe ich Ihnen schon von dem Tibetaner erzählt, der
aus einem Loch in der Straße kletterte?« fragte Newton
und entspannte sich ein wenig.
»Oh, ich weiß darüber Bescheid«, entgegnete Ana-
thema und blätterte in den Zeitungen auf dem Tisch.
»Zwei von ihnen gruben sich gestern aus meinem
Rasen. Die armen Kerle waren ziemlich verwirrt, und
deshalb bot ich ihnen eine Tasse Tee an. Anschließend
liehen sie sich einen Spaten und kehrten ins Loch zu-
rück. Komisch. Ich glaube, sie wußten nicht so recht, wie
sie hierherkamen.«
Newt fühlte sich ein wenig in seinem Entdeckerstolz
verletzt. »Woraus schlössen Sie, daß es Tibetaner wa-
ren?« fragte er.
»Da wir gerade dabei sind: Wieso haben Sie sofort auf
Tibet getippt, hm? Ertönte ein lautes Ommmmm, als Sie
den Mann anfuhren?«
»Nun, er ... er sah wie ein Tibetaner aus«, sagte Newt,
»Safrangelbe Robe, kahler Kopf und so... Ganz und gar
tibetanisch.«
»Einer meiner beiden Besucher sprach ziemlich gutes
Englisch. Er meinte, er habe Radios in Lhasa repariert,
und von einem Augenblick zum anderen fand er sich in
einem Tunnel wieder. Tja, er bat mich darum, ihm den
Weg nach Hause zu zeigen.«
»Warum haben Sie ihn nicht zur Straße geschickt?«
brummte Newt. »Dann hätte er an Bord eines UFO
gehen und nach Hause fliegen können.«
»Drei Aliens? Einer von ihnen ein kleiner Roboter, der
dauernd umfällt?«
»Sind sie auch in Ihrem Garten gelandet?«
»Nach den jüngsten Meldungen zu urteilen schien
mein Garten der einzige Ort zu sein, den die Außen
sehen meiden«, verkündete Anathema. »Sie besuchen
alle Nationen der Erde und verkünden eine ebenso

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Ein gutes Omen

knappe wie banale Botschaft. Wenn die Leute dann >Na


und?< sagen, zucken sie nur mit den Schultern oder was 250 "
weiß ich und starten wieder. Zeichen und Omen, so
heißt es Im Buch.«
»Wollen Sie behaupten, Agnes habe auch die flie-
gende Untertasse prophezeit?«
Anathemas Finger tasteten über die Zettel ihres Kar-
teikastens.
»Ich wollte alles in einem Computer speichern«, sagte
sie. »Um die einzelnen Einträge besser und schneller
miteinander vergleichen zu können. Wortsuche und so.
Sie wissen schon. Die Weissagungen sind numeriert,
aber von einer chronologischen Reihenfolge kann leider
keine Rede sein. Allerdings gibt es aufschlußreiche
handschriftliche Hinweise.«
»Das Buch ist ein Karteikasten?« fragte Newt.
»Nein, das Buch ist ein Buch. Ich habe es leider, äh,
verlegt. Glücklicherweise stehen mir Kopien der Pro-
phezeiungen zur Verfügung.«
»Verlegt?« wiederholte Newt und lächelte triumphie-
rend. »Sie haben es verloren. Und das hat Agnes nicht
vorausgesehen, oder?«
Anathema starrte ihn finster an. Wenn Blicke töten
könnten, hätte sich jetzt der Sargdeckel über Newt ge-
schlossen.
»Im Laufe der Jahre entstand ein einheitliches Bezugs-
system, und mein Großvater stellte Hunderte von Quer-
verweisen her ... Ah, hier ist es.«
Die junge Frau reichte Newt ein Blatt.
3988: Wenn Krokus-Männer aus
der Erde kletterigen und grüne
Männer vom Himmel kommigen,
um zu sprechen seltsame Worte,
wenn Plutostäbe in den Häusern
des Lichts fehligen und versun-
kige Inseln wieder ragen aus dem
Meere, wenn der Leviathan frei
schwimmet, wenn Brasil grün
Krokus = Safran (s. 2003)
Außerirdische...??
...Fallschirmjäger?
... Atomkraftwerke
(s. Zeitungsausschnitte
Nr. 798-806)
... Atlantis, Ausschnitte
Nr. 812-819
werdet, dann treffigen sich Drei,
und Vier steiget auf, mit eisernen
Rössem. Und ich sage euch: Dann

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Ein gutes Omen

rücket das Ende der Welt nähiger.


Leviathan = Wale?
(s.1981)?
... Südamerika ist grün?
... 3=4? Eisenbahn?
...(>eisemeStraße<,
s. 2675)
»Einige der Anmerkungen habe ich später hinzuge-
rügt«, gestand Anathema ein. »Im Anschluß an die Ra-
dionachrichten.«
»Den Angehörigen Ihrer Familie müßte es doch leicht-
fallen, Kreuzworträtsel zu lösen«, murmelte Newt.
»Ich glaube, hier hat es Agnes ein wenig übertrieben.
Ich meine, die Hinweise auf den Leviathan, Südamerika
sowie Drei und Vier könnten praktisch alles bedeuten.«
Anathema seufzte. »Das Problem sind die Zeitungen. Man
kann nie wissen, ob sich Agnes auf irgendein eher un-
wichtiges Ereignis bezieht. Wissen Sie, wie lange es dau-
ert, jeden Morgen alle Zeitungen gründlich durchzugehen?«
»Drei Stunden und zehn Minuten«, antwortete Newt
sofort.
»Ich schätze, wir bekommen eine Medaille oder so was«,
sagte Adam optimistisch. »Weil wir so mutig waren, je-
manden aus einem lodernden Auto zu retten.«
»Der Wagen brannte überhaupt nicht«, wandte
Pepper ein. »Er hatte nicht mal viele Beulen, als wir ihn
wieder auf die Räder stellten.«
»Aber er hätte brennen können«, beharrte Adam. »Sol-
len wir etwa auf eine Medaille verzichten, bloß weil
irgend so ein blöder Wagen nicht zum richtigen Zeit-
punkt in Flammen aufging?«
Fasziniert beobachteten die Sie das Loch in der Straße.
Die von Anathema verständigte Polizei führte es auf ein
plötzliches Absenken des Bodens zurück und hatte ge-
streifte Kegel am Rand aufgestellt.
Der Schacht war dunkel. Und tief.
»Es würde bestimmt viel Spaß machen, nach Tibet zu
gehen«, sagte Brian. »Wir könnten dort Kung Fu und so
lernen. Ich habe mal einen Film gesehen, der zeigte ein
Tal in Tibet, wo die Bewohner viele hundert Jahre lang
leben. Es heißt Shangri-La.«
»So nennt man auch den Bungalow meiner Tante«,
warf Wensleydale ein.
Adam schnaufte verächtlich.
»Nicht sehr einfallsreich, ein Tal nach einem Bunga-
low zu benennen«, sagte er. »Genausogut könnte es
Hier-wohne-ich oder... oder Rhododendronplatz hei-

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Ein gutes Omen

ßen.«
»Wäre immer noch besser als Schamane«, bemerkte
Wensleydale.
»Schambala«, berichtigte Adam.
»Wahrscheinlich handelt es sich um den gleichen
Ort«, kommentierte Pepper mit völlig untypischer Di-
plomatie. »Wahrscheinlich sind beide Namen richtig. So
wie bei unserem Haus. Erst hieß es >Die Hütte<, aber wir
nannten es >Norton-Blick<, als wir einzogen. Trotzdem
bekommen wir noch immer Briefe, die an >Theo C. Cu-
pier. Die Hüfte< gerichtet sind. Vielleicht heißt das Tal
jetzt Schambala, aber die Leute nennen es noch immer
Rhododendronplatz. Oder so.«
Adam warf einen kleinen Stein ins Loch. Tibetaner be-
gannen ihn zu langweilen.
»Was machen wir jetzt?« fragte Pepper. »Drüben auf
der Norton-Bottom-Farm werden die Schafe gewaschen.
Wir könnten dabei helfen.«
Adam warf einen größeren Stein ins Loch und wartete
auf das Klacken. Alles blieb still.
»Keine Ahnung«, erwiderte er geistesabwesend. »Ich
finde, wir sollten was für die Wale und die Regenwälder
und so unternehmen.«
»Was denn?« fragte Brian und dachte ans Schafwa-
schen, bei dem es manchmal zu interessanten Zwi-
schenfällen kam. Er zog einige Kartoffelchips-Tüten aus
den Hosentaschen und ließ sie nacheinander ins Loch
fallen.
»Wir könnten heute nachmittag nach Tadfield radeln
und keinen Hamburger essen«, schlug Pepper vor.
»Wenn wir alle auf einen Hamburger verzichten, be-
wahren wir viele Millionen Morgen Regenwald vor dem
Abholzen.«
»Wahrscheinlich fällt man die Bäume trotzdem«, sagte
Wensleydale.
»Es liegt am Materialismus«, stellte Adam fest. »Und
das gilt auch für die Wale. Wirklich komisch. Ich meine,
was so vor sich geht.« Er sah auf Hund herab.
Und er fühlte sich irgendwie seltsam.
Die kleine Promenadenmischung spürte den Blick Des
Herrn und machte erwartungsvoll Männchen.
»Tiere wie du fressen die ganzen Wale«, sagte Adam
streng. »Ich wette, inzwischen hast du schon einen
ganzen Wal verputzt.«
Hund neigte den Kopf zur Seite und jaulte leise - ein
winziger satanischer Funken in seiner Seele haßte sich
dafür. U
»Ist schon eine tolle Welt, in der wir aufwachsen«

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Ein gutes Omen

fuhr Adam fort. »Ohne Wale. Ohne Luft. Und alle Leute
schwimmen herum, weil der Meeresspiegel steigt.«
»Dann sind die Atlanter am besten dran«, sagte
Pepper fröhlich.
Adam hörte gar nicht richtig zu und machte nur:
»Hm.«
Irgend etwas geschah in seinem Kopf. Jemand schien
von hinten an die Stirn zu klopfen. Gedanken fügten
sich aneinander, ohne daß er sie denken mußte.
Stimme erklang: Du kannst etwas tun, Adam Young. Du
kannst dafür sorgen, daß alles besser wird. Dir sind keine
Grenzen gesetzt. Die Stimme ertönte aus seinem eigenem
Ich, flüsterte aus den Tiefen des Adam Young-Ich. Ein
Teil von ihm klebte seit Jahren an ihm fest, wie ein
Schatten - ohne daß er etwas davon bemerkt hatte. Und
dieser innere Schemen wisperte: Ja, es ist eine schäbige
Welt. Sie hätte großartig sein können. Aber mit ihr geht es
immer mehr bergab, und es muß etwas unternommen werden,
bevor sie die Talsohle des Unheils erreicht. Deshalb bist du
hier. Um dafür zu sorgen, daß alles besser wird.
»Weil sie überallhin können«, fügte Pepper hinzu
und musterte Adam besorgt. »Die Atlanter, meine ich.
Sie...«
»Ich habe genug von den blöden Atlantern und Tibe-
tanern«, platzte es aus Adam heraus.
Die übrigen Sie starrten ihn groß an. Sie hatten ihn
noch nie so erlebt.
»Für sie mag alles in bester Ordnung sein«, sagte
Adam. »Aber für uns... Irgendwelche Leute bringen
alle Wale um, verbrauchen die ganze Kohle und das Öl
und den Ozon. Außerdem holzen sie die Regenwälder
ab. Bis überhaupt nichts mehr übrigbleibt. Wir sollten
längst zum Mars fliegen, aber statt dessen sitzen wir im
Nassen und im Dunklen und können kaum mehr
atmen.«
Dies war nicht der Adam, den die Sie kannten.
Pepper, Wensleydale und Brian sahen betreten zu Bo-
den. Adams Zorn schien die Welt in einen viel kühleren
und düsteren Ort zu verwandeln.
»Ich finde«, begann Brian pragmatisch, »nun, ich
finde, man sollte lieber nichts über solche Sachen lesen.«
»Es ist genauso, wie du neulich gesagt hast«, stieß
Adam hervor. »Da liest du Bücher über Piraten, Cow-
boys und Astronauten. Und wenn du glaubst, die Welt
sei voller Wunder, erfährst du plötzlich, daß sie nur aus
toten Walen, abgeholzten Regenwäldern und Atommüll
besteht, der für Millionen von Jahren radioaktiv bleibt.
Warum willst du für einen solchen Mist erwachsen wer-

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Ein gutes Omen

den? frage ich mich.«


Die Sie wechselten kurze Blicke.
Es stülpte sich tatsächlich ein Schatten über die Welt.
Im Norden ballten sich Gewitterwolken zusammen, und
der Himmel gewann eine schwefelgelbe Tönung, als sei
er gerade von einem Amateurmaler bepinselt worden.
»Ich finde, man sollte einen Schlußstrich ziehen und
anschließend noch mal von vom anfangen«, sagte
Adam.
Es klang gar nicht wie Adams normale Stimme.
Kühler Wind kam auf, blies über Felder, Acker und
durch den nahen Wald.
Adam sah Hund an, der auf dem Kopf zu stehen ver-
suchte. Geistesabwesend bückte er sich und streichelte
das Tier.
In der Feme grollte es.
»Geschieht den Leuten ganz recht, wenn plötzlich die
Atombomben explodieren und alles noch einmal von
vom beginnt, diesmal gut organisiert«, sagte Adam.
»Manchmal glaube ich, so etwas könnte wirklich passie-
ren. Und anschließend bringen wir die ganze Welt in
Ordnung.«
Wieder donnerte es am Horizont. Pepper schauderte
und sehnte sich plötzlich nach den normalen Gesprächen
zurück, mit denen sie sich häufig die Zeit vertrieben.
Adams Augen schienen sich irgendwie verändert zu
haben. Das schelmische, ständig zu Streichen aufgelegte
Glitzern existierte nach wie vor, aber ein seltsames Grau
war dazugekommen und verhieß Schlimmes.
»Nun, was das wir betrifft...«, sagte Pepper. »Was das
wir betrifft, habe ich meine Bedenken. Ich meine, wenn
alle Atombomben explodieren, geht es auch uns an den
Kragen. Als Mutter noch nicht geborener Kinder bin ich
dagegen.«
Ihre Freunde sahen sie neugierig an. Pepper zuckte
nur mit den Achseln.
»Und dann herrschen Riesenameisen über die ganze
Erde«, ließ sich Wensleydale vernehmen. Er wirkte ein
wenig nervös. »Hab's im Fernsehen gesehen. Oder man
läuft mit abgesägten Schrotflinten durch die Gegend.
Und überall fahren Wagen, an denen Messer und Ge-
wehre und so befestigt sind ...«
»Riesenameisen und so Viecher lasse ich nicht zu«,
sagte Adam. Ein entsetzliches Lächeln umspielte seine
Lippen. »Und ihr braucht keine Angst zu haben. Ich be-
schütze euch. Meine Güte, es wäre doch echt toll, wenn
wir die ganze Welt für uns hätten, was? Wir könnten sie
gerecht aufteilen. Denkt nur an die vielen interessanten
Spiele, die dann möglich werden. Kriege mit echten Ar-

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Ein gutes Omen

meen und so.«


»Aber es gäbe keine Menschen mehr«, wandte Pepper
ein.
Adam winkte ab. »Oh, ich erschaffe einfach welche.
Genug Menschen für die Armeen und Heere. Jeder von
uns bekäme ein Viertel der Welt.« Er richtete den Zeige-
finger auf Pepper, die so hastig zurückwich, als wäre sie
von einem weißglühenden Schürhaken bedroht worden.
»Du könntest Rußland haben. Rußland ist rot und paßt
daher zu deinem Haar. Und Wensley erhält Amerika.
Und Brian bekommt, äh, Afrika und Europa. Und...«
Inzwischen waren die Sie ziemlich erschrocken, aber
trotzdem dachten sie gründlich über Adams Anregun-
gen nach.
»H-hm«, stotterte Pepper, als der stärker werdende
Wind an ihrem T-Shirt zupfte. »Ich s-sehe nicht ein,
warum du Wensley Amerika schenken willst, w-wenn
ich mich mit Rußland begnügen muß. Rußland ist lang-
weilig.«
»Von mir aus kannst du China, Japan und Indien
haben«, sagte Adam großzügig.
»Dann bleiben mir nur Afrika und ein paar andere
Länder, und die sind mindestens so langweilig wie Ruß-
land«, brummte Brian mißmutig und verhandelte auf
der Katastrophenschwelle. »Gegen Australien hätte ich
nichts einzuwenden.«
Pepper gab ihm einen Stoß und schüttelte heftig den
Kopf.
»Australien ist für Hund reserviert«, sagte Adam, und
in seinen Augen brannte das Feuer der Schöpfung.
»Weil er viel Auslauf braucht. Außerdem kann er dort
Kaninchen und Känguruhs jagen...«
Die Wolken schoben sich nach vom und zur Seite, wie
Tinte, die sich in einem Glas mit klarem Wasser ausbrei-
tet. Mit verblüffender Geschwindigkeit zogen sie über
den Himmel, schneller als der Wind.
»Aber die Kaninchen und Känguruhs fallen den
explodierenden Atombomben zum Opfer!« rief Wens-
leydale, um das laute Fauchen und Zischen zu übertö-
nen.
Adam hörte nur den Stimmen in seinem Kopf zu.
»Das Durcheinander ist viel zu groß«, sagte er. »Ein
neuer Anfang, ja. Wir retten nur ein paar ausgewählte
Leute, und dann beginnen wir von vom. Das ist der
beste Weg. Wenn man genauer darüber nachdenkt, tun
wir der Erde sogar einen Gefallen. Es macht mich richtig
wütend, wenn ich beobachte, wie die blöden Erwach-
senen alles ruinieren...«
»Die Erinnerung«, sagte Anathema. »Sie reicht nicht nur

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Ein gutes Omen

in die Vergangenheit, sondern auch in die Zukunft. Das


Rassengedächtnis, meine ich.«
Newt bedachte sie mit einem zwar freundlichen, aber
verständnislosen Blick.
»Ich will auf folgendes hinaus«, erklärte die junge
Frau geduldig. »Agnes sah die Zukunft gar nicht. Das ist
nur eine Metapher. Sie erinnerte sich an sie. Und leider
recht ungenau. Außerdem: Als die Erinnerungen durch
ihr Bewußtsein zogen, blieben nur, äh, Fetzen und Reste
übrig. Offenbar fiel es ihr besonders leicht, sich an die
Zukunft ihrer Nachkommen zu erinnern.«
»Aber wenn Sie nur deshalb irgendwelche Orte auf-
suchen und bestimmte Dinge tun, und wenn das, was
Agnes geschrieben hat, nur ihre Erinnerung daran ist,
was Sie gestern getan haben, dann...« Newt brach ab.
»Ich weiß«, erwiderte Anathema. »Aber es gibt, äh,
einige Beweise dafür, daß es genauso funktioniert.«
Sie betrachteten die Mappe auf dem Tisch. Neben
ihnen murmelte das Radio. Newt war sich in aller Deut-
lichkeit der unmittelbaren Gegenwart einer Frau be-
wußt. Reiß dich zusammen, dachte er. Du bist doch Soldat,
oder? Dann handle wie ein Soldat. Nun, handle wie ein
ehrenhafter Soldat mit besonders guten Manieren. Er zwang
seine Aufmerksamkeit zu den naheliegenden Dingen
zurück.
»Warum Lower Tadfield?« fragte er. »Ich habe mich
nur dafür interessiert, weil das Wetter so... so normal
ist. Ein optimales Mikroklima, so heißt es. Das bedeutet,
es handelt sich um einen Ort, an dem ein ebenso per-
sönliches wie angenehmes Wetter herrscht.«
Newt blickte auf Anathemas Notizbücher. In Lower
Tadfield schien es irgendwie nicht mit rechten Dingen
zuzugehen - selbst wenn man Tibetaner und UFOs,
die seit einiger Zeit in allen Teilen der Welt gesichtet
wurden, unberücksichtigt ließ. Die Tadfield-Region
zeichnete sich nicht nur durch ein Wetter aus, das
allen Geboten des Kalenders gehorchte; sie offenbarte
auch einen bemerkenswerten Widerstand Veränderun-
gen gegenüber. Niemand baute neue Häuser. Kaum je-
mand schien auf die Idee zu kommen, den Wohnort zu
wechseln. Es gab mehr Wälder und Hecken, als man
normalerweise erwartete. Die einzige industrielle
Hühnerfarm mußte nach anderthalb Jahren Konkurs
anmelden. Heute gab es dort eine traditionelle Schwei-
nezucht: Der Bauer ließ seine Säue frei im Obstgarten
mit den Apfelbäumen umherlaufen und verkaufte das
Schweinefleisch zu Rekordpreisen. Die beiden örtli-
chen Schulen blieben vor allen Modeerscheinungen im
Erziehungs- und Bildungswesen geschützt. Eine Auto-

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Ein gutes Omen

bahn - sie hätte Lower Tadfield in einen Ort verwan-


delt, der auf Straßenkarten als >Rastplatz 18: Zum
Fröhlichen Mastschwein< erschienen wäre - führte
fünf sichere Meilen entfernt an dem Dorf vorbei, über-
sah die Oase ländlicher Ruhe und Harmonie. Nie-
mand konnte sich dieses Phänomen erklären. Einer
der beteiligten Landvermesser erlitt einen Nervenzu-
sammenbruch; der zweite entschied sich dafür, einer
Klostergemeinschaft beizutreten, und der dritte ließ
sich auf Bali nieder, um fortan nackte Frauen zu
malen.
Ein großer Teil des zwanzigsten Jahrhunderts schien
einige Quadratmeilen in England zum Tabu erklärt zu
haben.
Anathema zog einen weiteren Zettel aus dem Kartei-
kasten und schob ihn über den Tisch.
Das Tier (666)?
... 4Jahre zu früh (bis 1664
New Amsterdam)...
...Taddvüle.Norfolk...
... Tardesfield, Devon...
... Tadfield, Oxon...
Siehe Offenbarung 6,10
2315: Einige saget. Es erscheinet
in London oder New Yorke, aber
sie irrigen sich, denn der Ort
heißet Taddes Fild. Groß isset seine
Macht, und er kommet wie ein
stolziger Ritter, der Anspruch er-
hebet auf sein Lehen. Und er teilt
die Welt in 4 Teilige, und er brin-
get den Sturm.
»Ich habe viele alte Dokumente durchgesehen, um den
richtigen Ort zu finden«, sagte Anathema.
»Warum ist diese Weissagung mit 2315 numeriert?«
fragte Newt. »Die anderen sind später hinzugerügt wor-
den, nicht wahr?«
»Wie ich schon sagte: Leider hat es Agnes versäumt,
ihre Prophezeiungen chronologisch zu ordnen. Wahr-
scheinlich verlor sie schlicht und einfach den Überblick.
Es hat eine Ewigkeit gedauert, bis es meinen Vorfahren
gelang, die einzelnen Hinweise mit logischen Brücken zu verbinden.«
Newton sah sich einige andere Zettel an. Zum Bei-
spiel: 1
1111: Und der Große Hund wer-
det kommen, und die Zwei
Mächte sehen hilflos zu, denn
gehet zu seinem Herrn, obwohl
man ihn anderenorts erwartigte

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Ein gutes Omen

Und er wird ihm einen Namen


gebigen, der seiner Natur ge-
bühret, und die Hölle wird ihn
verlassigen.
?Hat dies etwas mit
Bismarck zu tun? (A. F.
er Apparat, 8. Juni 1888)
... Schleswig-Holstein?
»A. F. Apparat kann kaum etwas von Agnes geerbt
haben«, kommentierte Anathema. »Sie war viel zu be-
griffsstutzig.«
Und:
3017: Ich sehe vier Reiter, die
bringet das Ende, und die Engel
der Hölle reitigen mit ihnen.
Und Drei steiget auf Und Vier
und Vier zusammen seiet Vier,
und der Dunkle Engel bekommet
den Sieg und werdet doch des
Mannes Sohne.
Die apokalyptischen Reiter
Der Mann = Pan, Teufel
(Die Hexen-Verfahren von
Lancashire, Brewster, 1782)
...Vier und Vier??
Ich glaube, die gute alte
Agnes hat an diesem
Abend zuviel getrunken.
(Ouincy Apparat, 15. Okt.
1789)
... Der Meinung bin ich
ebenfalls. Ach, wir sind
auch nur Menschen.
(Miß O.J.Apparat,
5. Januar 1854)
»Aber...«, begann Newt.
Inzwischen war es ihm fast gelungen, sich von der
Nichtexistenz des UFOs zu überzeugen - bestimmt han-
delte es sich nur um ein Hirngespinst, um ausufernde
Phantasie und dergleichen. Was den Tibetaner betraf,
suchte er immer noch nach einer einigermaßen plausi-
blen Erklärung. Doch gleichzeitig kroch ihm ein anderer
Aspekt der zunehmend komplizierter werdenden Wirk-
lichkeit ins Bewußtsein: Er konnte nicht länger leugnen,
daß er einer ausgesprochen attraktiven Frau Gesell-
schaft leistete, die ihn sogar sympathisch zu finden
schien. Nun, wenigstens erweckte er keinen Abscheu in
ihr, und das war ein erheblicher Fortschritt. Zugegeben,
seit einiger Zeit geschahen recht seltsame Dinge, aber

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Ein gutes Omen

wenn er sich wirklich Mühe gab - wenn er das Boot des


gesunden Menschenverstands in den Stromschnellen
der Indizien flußaufwärts steuerte -, ließ sich alles auf
Wetterballons, Satelliten, die Venus oder Massenhallu-
zination zurückführen.
Kurz gesagt, was immer Newt jetzt gerade zum Den-
ken benutzte, eins war es sicher nicht: sein Gehirn.
»Aber...«, wiederholte er und schluckte. »Aber die
Welt geht doch nicht wirklich unter, oder? Ich meine,
sehen Sie sich doch um. Es gibt keine Probleme in den
internationalen Beziehungen - zumindest nicht mehr als
üblich. Ich schlage vor, wir lassen diesen Kram ruhen
und... und gehen nach draußen und... machen einen
Spaziergang und, vielleicht, oder. Ah. Ich meine...«
»Verstehen Sie denn nicht?« Anathema beugte sich
vor und deutete auf die Karte. »Hier in Tadfield gibt es
etwas, das die ganze Region beeinflußt. Es verzerrt die
Auren-Strahlungen. Es schützt das Dorf vor allen Verän-
derungen. Es... Es...« Sie spürte es erneut: Irgend etwas
schob einen Gedanken beiseite, der nicht konkret und
greifbar werden durfte, wie ein Traum, der mit dem Er-
wachen verschwindet.
An den Fenstern kratzte es. Ein Jasminzweig bewegte
sich im Wind und strich immer wieder übers Glas.
»Aber ich kann es einfach nicht lokalisieren«, sagte
Anathema und gestikulierte hilflos. »Ich habe alles ver-
sucht.«
»Lokalisieren?« kam es aus Newts Mund.
»Das Pendel versagte. Sogar der Thauodalit. Ich be-
sitze übernatürliche Fähigkeiten, wissen Sie. Aber in
diesem Fall nützen sie mir nichts«.
Newt war noch so weit zur nüchternen Überlegung
fähig, daß er das Gehörte vernünftig übersetzen konnte.
Wer sagte: >Ich besitze übernatürliche Fähigkeiten, wis-
sen Sie<, meinte damit meistens folgendes: >Ich habe
eine sehr lebhafte, aber leider wenig originelle Phanta-
sien Oder: >Ich lackiere mir die Fingernägel schwarz.<
Oder: >Ich spreche mit meinem Wellensittiche Doch
wenn Anathema einen derartigen Ausdruck benutzte,
so klang es, als spreche sie von einer Erbkrankheit, auf
die sie gern verzichtet hätte.
»Armageddon steht bevor?« fragte Newt.
Anathema achtete nicht darauf. »Verschiedene Pro-
phezeiungen behaupten, erst erscheine der Antichrist.
Agnes erwähnte einen Er. Wenn ich ihn doch nur finden
könnte...«
»Oder eine Sie«, sagte Newt.
»Wie?«
»Es könnte auch eine Sie sein. Immerhin leben wir

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Ein gutes Omen

im zwanzigsten Jahrhundert. Dies ist das Zeitalter der


Gleichberechtigung.«
»Ich glaube. Sie nehmen diese Sache nicht sonderlich
ernst«, erwiderte Anathema streng, m ihren Augen
blitzte es kurz, bevor sie den Blick in die Feme richtete.
»Es wundert mich, daß es hier nichts Unheilvolles gibt.
Nur Liebe.«
»Wie bitte?« fragte Newt.
Anathema sah ihn hilflos an. »Es ist schwer zu be-
schreiben«, begann sie. »Etwas oder jemand liebt diesen
Ort, liebt jeden einzelnen Quadratzentimeter - und
zwar mit solcher Hingabe, daß Tadfield abgeschirmt
wird. Eine tiefempfundene, starke, allesumfassende
Liebe. Wie kann es hier Platz für Böses geben? Wie kann
der Weltuntergang ausgerechnet hier beginnen? In
einem solchen Dorf möchte man seine Söhne und Töch-
ter aufwachsen lassen. Es ist ein Paradies für Jungen
und Mädchen.« Anathema lächelte schief. »Sie sollten
sich die hiesigen Kinder einmal ansehen! Sie sind genau
so, wie sie sein sollten, und das ist doch nicht normal,
oder? Sie haben schorfige Knie, blicken aus großen,
staunenden Augen in die Welt und rufen immer wieder:
>He, das ist ja toll ...< Klingt ganz nach einem Pfadfin-
der-Werbeprospekt, nicht wahr?«
Fast war es soweit. Sie fühlte die Konturen des Ge-
dankens, dem sie schon die ganze Zeit über auf der Spur
war...
»Was ist das hier?« fragte Newt.
»Wie?« schrie Anathema, als der Zug ihrer Gedanken
aus dem Gleis geworfen wurde.
Newts Zeigefinger klopfte auf die Karte.
»Hier steht >ehemaliger Flugplätze Sehen Sie? Im We-
sten von Tadfield ...«
Anathema schnaubte. »Von >ehemalig< kann keine
Rede sein. Während des Zweiten Weltkrieges war dort
ein Jagdfliegergeschwader stationiert. Seit zehn Jahren
ist der Flugplatz die Luftwaffenbasis von Upper Tad-
field. Und bevor Sie Ihre Frage stellen - die Antwort
lautet nein. Ich hasse militärische Stützpunkte, aber der
Kommandeur ist weitaus vernünftiger, als Sie es jemals
sein werden. Seine Frau beschäftigt sich mit Yoga. Das
stelle man sich einmal vor...« Sie schüttelte den Kopf.
Nun gut. Woran hatte sie gerade gedacht? An die Kin-
der.
Ja, die Kinder...
Sie wagte sich auf mentales Glatteis, rutschte prompt
aus und fiel auf einen weitaus persönlicheren Gedan-
ken. Eigentlich war Newt ganz in Ordnung. Sie mußte
den Rest ihres Lebens mit ihm verbringen, aber ihm

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Ein gutes Omen

blieb bestimmt nicht genug Zeit, ihr auf die Nerven zu


gehen.
Im Radio sprach jemand über südamerikanische Re-
genwälder.
Und zwar über neue.
Draußen begann es zu hageln.
Kleine Geschosse aus Eis zerfetzten die Blätter neben
und über den Sie, als Adam seine Gefährten in den
Steinbruch rührte.
Hund trippelte mit eingezogenem Schwanz hinterher
und winselte.
Das ist einfach nicht richtig, dachte Hund. Ich habe ge-
rade herausgefunden, wie man Ratten jagt, und außerdem
hätte ich dem blöden deutschen Schäferhund auf der anderen
Straßenseite gern eine Lektion erteilt. Ach, jetzt wird Er den
Weltuntergang einleiten. Anschließend bekomme ich die glü-
henden Augen zurück und muß wieder verlorene Seelen
jagen. Was hat das für einen Sinn? Sie wehren sich nicht und
sind völlig geschmacklos...
Wensleydale, Brian und Pepper dachten nicht in so gut
zusammenhängenden Begriffen. Sie spürten nur, daß
ihnen gar keine andere Wahl blieb, als Adam zu folgen.
Irgend etwas trieb sie an, und der Versuch, Widerstand
zu leisten, hätte zweifellos zu mehrfach gebrochenen
Beinen geführt, mit denen man trotzdem hätte weiter-
laufen müssen.
Adam dachte an überhaupt nichts. Etwas war in sei-
nem Geist aufgebrochen und hatte ihn in Rammen ge-
setzt.
Er ließ die übrigen Sie in der Bude Platz nehmen.
»Hier sind wir gut aufgehoben«, sagte er.
»Ah«, sagte Wensleydale. »Glaubst du nicht, daß un-
sere Eltern...«
»Mach dir deswegen keine Sorgen«, unterbrach ihn
Adam mit fester Stimme. »Ich erschaffe uns einfach
neue. Von jetzt an braucht niemand mehr um halb neun
ins Bett. Ihr könnt so lange aufbleiben, wie ihr wollt. Es
ist auch nicht mehr nötig, das Zimmer aufzuräumen
oder so. Und so lästige Sachen wie Schularbeiten
gehören der Vergangenheit an. Überlaßt alles nur. Ich
bringe die Welt in Ordnung.« Er lächelte wie ein Irrer.
»Einige meiner Freunde sind hierher unterwegs«, ver-
traute er den Sie an. »Sie gefallen euch bestimmt.«
»Aber...«, begann Wensleydale.
»Denk nur an die tollen Sachen nachher«, sagte Adam
begeistert. »Du kannst ganz Amerika mit neuen Cow-
boys, Indianern, Polizisten, Gangstern, Zeichentrickfigu-
ren, Astronauten und Piraten bevölkern. Das ist doch
phantastisch, oder?«

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Ein gutes Omen

Wensleydale wechselte einen kummervollen Blick mit


Brian und Pepper. Sie dachten an etwas, das sie selbst
unter normalen Umständen nur mit erheblicher Mühe
zum Ausdruck hätten bringen können. In groben Zügen
ging es um folgendes: Einmal hatte es echte Cowboys
und Piraten gegeben, und das war wundervoll. Es
würde immer angebliche Cowboys und Piraten geben,
und das war ebenfalls prächtig. Aber echte angebliche
Cowboys und Piraten, die lebten und doch nicht lebten,
die man einfach verschwinden ließ, wenn man den Spaß
an ihnen verlor - so etwas erschien nicht ganz so wün-
schenswert. Gewöhnliche angebliche Cowboys, Piraten,
Astronauten und Außerirdische boten den Vorteil, daß
man sich jederzeit in Brian, Pepper und Wensleydale
zurückverwandeln konnte, um dann nach Hause zu
gehen.
»Aber vorher«, sagte Adam finster, »vorher zeigen
wir's ihnen...«
In der Gartenhalle des Einkaufszentrums stand ein
Baum. Er war nicht sehr groß, hatte gelbe Blätter, und
das Licht, das er durch die stark getönten Scheiben er-
hielt, erfüllte seinen Zweck nicht. Die Kapillaren des
Baums enthielten mehr Drogen als das Blut eines olym-
pischen Athleten, und Dutzende von Lautsprechern ni-
steten in seinen Zweigen. Trotzdem: Es handelte sich um
einen echten Baum. Wenn man die Augen halb schloß
und über den künstlichen Wasserfall blickte, so konnte
man sich mit ein wenig Phantasie vorstellen, einen kran-
ken Baum zu sehen, umhüllt vom Schleier vergossener
Tränen.
Jaime Hernez nahm häufig sein Mittagessen darunter
ein - obgleich er damit gegen ein ausdrückliches Verbot
seines Chefs (Abteilung Instandsetzung) verstieß. Aber
Jaime war auf einer Farm aufgewachsen, wenn auch
einer recht kleinen, und er mochte Bäume. Eigentlich
hatte er auf dem Land bleiben wollen, aber schließlich
mußte er sich dem unerbittlichen Gebot der Notwendig-
keit beugen und in die Stadt ziehen. Der Job war nicht
schlecht, und Hernez verdiente recht gut - mehr Geld,
als sich sein Vater erträumt hätte. Sein Großvater hatte
überhaupt nicht von Geld geträumt. Er hatte bis zu sei-
nem fünfzehnten Lebensjahr gar nicht gewußt, was
Geld war. Aber es gab Zeiten, da brauchte man Bäume,
und das schlimmste war, so dachte Jaime, daß seine Kin-
der größer wurden und in Bäumen nur Feuerholz sahen,
und daß für seine Enkel Bäume nur noch etwas waren,
das der Vergangenheit angehörte. Doch was konnte man
dagegen unternehmen? Wo es früher Bäume gegeben
hatte, gab es nur noch unüberschaubares Farmland. Wo

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Ein gutes Omen

früher kleine Farmen gewesen wären, standen jetzt Ein-


kaufszentren; und wo früher Einkaufszentren gestanden
hatten, waren jetzt immer noch welche. So lief der Hase
nun mal.
Jaime schob den Rollwagen mit den Werkzeugen hin-
ter einen nahen Zeitungsstand, sah sich mehrmals um,
nahm Platz und öffnete sein Lunchpaket.
Einige Sekunden später hörte Jaime ein leises Ra-
scheln, und aus den Augenwinkeln nahm er Schatten
wahr, die über den Boden krochen.
Der Baum bewegte sich. Hernez hielt interessiert Aus-
schau. Er hatte noch nie einen Baum gesehen, der sich
bewegte.
Der Boden, der aus nichts weiter als einer Aufschüt-
hing irgendwelcher Plastikchips bestand, bewegte sich
tatsächlich, als sich die Baumwurzeln unter der Ober-
fläche hoben. Jaime beobachtete einen dünnen weißen
Trieb, der an der steinernen Einfassung herabglitt und
blindlings über die Betonplatten tastete.
Hernez handelte rein instinktiv, ohne sich jemals nach
dem Grund zu fragen. Er streckte das Bein, schob den
Trieb vorsichtig zur Seite, bis er einen dünnen Spalt er-
reichte. Die junge Wurzel zögerte nicht, bohrte sich so-
fort hinein.
Die Zweige veränderten ihre Form.
Außerhalb des Gebäudes brummte der übliche Ver-
kehrslärm, aber Jaime achtete nicht darauf. Wie aus
weiter Feme hörte er das Quietschen von Bremsen und
Reifen. Jemand schrie, aber auch das weckte den War-
tungstechniker nicht aus seiner faszinierten Trance. Es
geschah häufig, daß irgendwelche Leute in seiner Nähe
schrien, und meistens wandten sich die Stimmen direkt
an ihn.
Der weiße Trieb fand das tief unter Beton und Kunst-
stoff verborgene Erdreich. Er wechselte die Farbe und
wurde dicker, wie ein Feuerwehrschlauch, der plötzlich
unter Druck gesetzt wird. Das Plätschern des künstli-
chen Wasserfalls verstummte. Jaime stellte sich gebor-
stene Rohrleitungen vor, an denen durstige Wurzeln
saugten.
Er drehte den Kopf und sah durch die breiten Fenster-
flächen nach draußen. Der Asphalt wogte, wie die Ober-
fläche eines sturmgepeitschten Meeres. Weitere Triebe
wuchsen aus den Rissen.
Nun, dort draußen mangelte es nicht an richtigem
Sonnenschein. Der Baum hingegen bekam nur mattes
graues Licht, kühl und steril. Totes Licht. Doch was
konnte man dagegen tun?
Das konnte man tun:

file:///G|/Books/1/omen.htm (195 von 339) [16.06.2001 15:32:21]


Ein gutes Omen

Die Lifte funktionierten nicht mehr, weil der Strom


ausgefallen war, aber eine Treppe führte zu dem gläser-
nen Dach, das sich vier Stockwerke über dem Erdge-
schoß wölbte. Jaime verschloß das Lunchpaket und ging
zu seinem Werkzeugwagen, wo er sich den größten
Besen nahm.
Kunden und Angestellte verließen das Einkaufszen-
trum. Dutzende von Stimmen drehten die Lautstärke
voll auf. Hernez bahnte sich in aller Seelenruhe einen
Weg entgegen dem Strom, wie ein Lachs, der stromauf-
wärts schwimmt.
Die Kuppel aus getöntem Glas wurde von einem
Gerüst aus weißen Streben gestützt, das der Architekt
vermutlich aus dynamisch-ästhetischen Gründen hinzu-
gefügt hatte. Es bestand ebenfalls aus Polyäthylen, und
diesmal war Jaime dankbar dafür - Stahl war meistens
sehr hart und ließ sich nur in den seltensten Fällen von
Besenstielen beeindrucken. Der Wartungstechniker er-
reichte das Ende der Treppe, kletterte über einen breiten
Kunststoffholm und holte mit der improvisierten Brech-
stange aus. Einige kleine Streben knickten, und die
Scheibe darüber zerbrach. Es regnete Glassplitter.
Echtes Licht strömte herein und erhellte den Staub in
der Halle. Die Folge: Es sah aus, als wimmele es überall
von Leuchtkäfern.
Tief unten sprengte der Baum seinen Betonkerker und
entwickelte den Eifer eines Schnellzugs, der sein Ziel in
möglichst kurzer Zeit erreichen möchte. Jaime hatte nie
bemerkt, daß Bäume beim Wachsen ein Geräusch verur-
sachen. Auch sonst war das niemandem aufgefallen,
denn das Geräusch, das sich über Hunderte von Jahren
hinzog, wurde im Vierundzwanzigstunden-Rhythmus
lauter und leiser.
Wenn man das Wachstum beschleunigte und dadurch
die Frequenz erhöhte, so daß sie für menschliche Ohren
wahrnehmbar wurde, klang es wie Wroooom.
Jaime beobachtete, wie ihm der Baum wie eine pilz-
förmige grüne Wolke entgegenraste. Dampf wallte im
Bereich der Wurzeln.
Das Stützgerüst hatte nicht die geringste Chance. Die
Reste der Kuppel verhielten sich wie ein Tischtennisball
auf einem Wasserstrahl.
In den anderen Teilen der Stadt ging es ähnlich zu, ob-
wohl erwähnt werden sollte, daß man die Stadt gar
nicht mehr sehen konnte. Ein grüner Teppich nahm
ihren Platz ein und erstreckte sich bis zum Horizont.
Jaime saß auf einem Ast, hielt sich an einer Liane fest
und lachte und lachte.
Kurz darauf begann es zu regnen.

file:///G|/Books/1/omen.htm (196 von 339) [16.06.2001 15:32:21]


Ein gutes Omen

Die Kappamaki war ein Walforschungsschiff, und ihre Be-


satzung versuchte, eine Antwort auf folgende wissen-
schaftliche Frage zu finden: Wie viele Wale kann man in
einer Woche fangen?
Es gab nur ein Problem - es ließen sich keine Wale
mehr finden. Die Besatzung starrte auf Monitore, die
technologisch so hoch entwickelt waren, daß sie jedes
Objekt, größer als eine Sardine, fanden und gleichzeitig
seinen Nettoverkaufswert auf dem internationalen
markt berechneten. Doch die Bildschirme zeigten nichts.
Nur ab und zu erfaßten sie einen einzelnen Fisch, der in
großer Hast davonschwamm.
Der Kapitän trommelte mit den Fingern auf die Kon-
sole. Er fürchtete, daß er sich bald mit einem anderen
Forschungsprojekt beschäftigen mußte, bei dem es um
eine kleine, statistisch repräsentative Gruppe von Wal-
fangkapitänen ging, die mit leeren Fabrikschiffen heim-
kehrten. Er fragte sich, wie die Reeder auf so etwas
reagieren mochten. Vielleicht sperren sie dich mit einer Har-
pune in einem Raum ein und erwarten von dir, daß du den
Weg der Ehre gehst, dachte er kummervoll.
Die Leere auf den Schirmen war geradezu unheim-
lich. Sie hätten zumindest irgend etwas zeigen sollen.
Der Navigator betätigte einige Tasten, woraufhin eine
maritime Karte aufleuchtete. Er beobachtete und run-
zelte die Stirn.
»Ah, Sir?«
»Was ist?« fragte der Kapitän mürrisch.
»Sir, unsere Instrumente scheinen nicht richtig zu
funktionieren. Das Meer in diesem Bereich sollte etwa
zweihundert Meter tief sein. Sir.«
»Und?«
»Nach diesen Angaben befindet sich der Grund des
Ozeans fünfzehn Kilometer unter uns, Sir. Und er senkt
sich weiter ab. Sir.«
»Unsinn. Kein verdammtes Meer ist so verdammt
tief.«
Der Kapitän starrte auf eine Konsole, die mehrere
Millionen Yen wert war. Er schlug mit der Hand da-
gegen.
Der Navigator lächelte nervös.
»Ah, Sir«, sagte er. »Es wird bereits seichter.«
Erziraphael und der englische Dichter Alfred Tenny-
son wußten: Unter dem Donnern und Wogen der oberen
Tiefe, weit unten im Reich ewiger Finsternis, schlafet der
Krake.
Und jetzt erwacht er.
Millionen Tonnen Schlick rutschen von seinem gewal-
tigen Leib, als er langsam emporgleitet.

file:///G|/Books/1/omen.htm (197 von 339) [16.06.2001 15:32:21]


Ein gutes Omen

»Sir, sehen Sie, Sir?« Der Navigator deutete auf den


Bildschirm. »Es sind keine fünfzehntausend Meter mehr.
Nur noch dreitausend.«
Der Krake hat keine Augen. Bisher gab es für ihn
nichts, das sich anzuschauen lohnte. Doch als er durch
die eisigen Wasser des Ozeans schwimmt, hört er das
Mikrowellengeräusch des Meeres, den traurigen Gesang
der Wale.
»Ah«, sagte der Navigator. »Tausend Meter?«
Der Krake ist nicht amüsiert.
»Fünfhundert Meter?«
Das Fabrikschiff neigte sich auf plötzlichen Wellen hin
und her.
»Hundert Meter?«
Der Krake nimmt ein kleines Metallding wahr und
streckt die langen Tentakel danach aus.
Zehn Milliarden Sushi-Mahlzeiten bekamen endlich
Gelegenheit, sich zu rächen.
Das Wohnzimmerfenster splitterte mit einem lauten
Krachen. Dies war kein Sturm, sondern ein meteorologi-
scher Krieg. Jasminblätter wirbelten ins Zimmer, gesell-
ten sich umherfliegenden Zetteln hinzu.
Newt und Anathema duckten sich hinter den umge-
kippten Tisch.
»Um«, machte der Hexensucher-Gefreite. »Jetzt sagen
Sie nur noch, Agnes habe auch dies prophezeit.«
»Sie schrieb, daß er den Sturm bringet«, erwiderte
Anathema.
»Es ist kein Sturm, sondern ein verdammter Orkan.
Hat Agnes auch unsere unmittelbare Zukunft geschil-
dert? Vorausgesetzt, es gibt überhaupt eine...«
»Der Eintrag 2315 steht mit der Nummer 3477 in Ver-
bindung«, entgegnete Anathema.
»Selbst jetzt können Sie sich an so etwas erinnern?«
»Da Sie es erwähnen - ja«, bestätigte Anathema, griff
nach einem Zettel und reichte ihn Newt.
3477: Sehet, wie sich das Rad des
Schicksals drehigt. Besinnet euch
auf die Stimme des Härzens, denn
es gebet andere Feuer als meini-
ges. Seid zusammen, wenn der
Wind wehet Blätter und Blüten,
denn die Ruhe kommet, sobald
sich Rot, Weiß, Schwarz und Blaß
den Fridden ist unsere Berufung
nahigeren.
? Ich fürchte, das ist mir zu
hoch (A. F. Apparat,
17. Okt. 1889)

file:///G|/Books/1/omen.htm (198 von 339) [16.06.2001 15:32:21]


Ein gutes Omen

Ein Salat? (OFA, 4. Sept.


1929)
Fridden = Fritten? (Ana-
thema)
Offenbarung, Kapitel 6,
nehme ich an. (Dr. Thos.
Apparat, 1835)
Newt las den Text noch einmal, während draußen ein
seltsames Geräusch erklang. Es hörte sich an, als wirble
Wellblech durch den Garten, und genau das war auch
der Fall.
»Soll das heißen...«, begann Newt und spürte, wie
sich gerechter Zorn in ihm regte. »Soll das heißen, daß
Agnes alles vorausgesehen hat? Daß sie selbst jetzt noch
Einfluß auf uns nimmt?«
Newt fühlte sich wie eine Schachfigur hin und her ge-
schoben, und das gefiel ihm ganz und gar nicht. Er
hoffte, daß er in die Rolle eines Springers oder Läufers
schlüpfen und sich rechtzeitig aus den Gefahrenzonen
entfernen konnte.
Obwohl keine Gefahr in dem Sinne drohte.
Wenn er die Prophezeiung Nummer 3477 richtig in-
terpretierte ...
Wenn man einer Frau den Hof macht, sieht man sich
häufig mit gewissen Schwierigkeiten konfrontiert, zum
Beispiel dann, wenn im Haus der Umworbenen eine äl-
tere Verwandte wohnt. Derartige Personen haben die
Angewohnheit, zu brummen und zu kichern, Zigaretten
zu schnorren oder, in den schlimmsten Fällen, die Foto-
alben der Familie hervorzuholen - ein Kriegsverbrechen
auf dem Schlachtfeld der Geschlechter, das von der Gen-
fer Konvention verboten werden sollte. Weitaus unange-
nehmer wird es, wenn die betreffende Verwandte seit
dreihundert Jahren tot ist. In Newts Phantasie nisteten
bestimmte Gedanken, die in einer direkten Verbindung
mit Anathema standen. Genauer gesagt: Sie nisteten
nicht nur, sondern brüteten Eier aus, deren Inhalt immer
mehr geistigen Platz beanspruchte und seltsame Konse-
quenzen für die Lendengegend nach sich zogen. Doch
daß Agnes Spinner schon damals alles gewußt hatte, daß
sie ihn über die Kluft der Zeit hinweg beobachtete -
diese Vorstellung übte die gleiche Wirkung aus wie ein
Eimer kaltes Wasser auf Newts Libido.
Er hätte Anathema gern zu einem gemeinsamen
Abendessen ausgeführt, doch wenn er daran dachte,
daß eine cromwellianische Hexe zusah, die dreihundert
Jahre früher in ihrer Hütte saß und anzüglich grinste...
Er war genau in der richtigen Stimmung, um Hexen
zu verbrennen. In seinem Leben gab es bereits genug

file:///G|/Books/1/omen.htm (199 von 339) [16.06.2001 15:32:21]


Ein gutes Omen

Probleme - auch ohne eine verrückte alte Frau, die ihn


aus der Vergangenheit manipulierte.
Und dann überlegte er: Nein, das stimmt nicht. Mein
Leben ist alles andere als kompliziert. Ich kann es so deutlich
sehen wie damals Agnes. Noch einige langweilige Jahrzehnte
als langweiliger Lohnbuchhalter, obwohl ich eigentlich Com-
putertechniker werden wollte. Eine langweilige Pensionie-
rung, zu der mir meine Kollegen eine langweilige Taschenuhr
schenken. Ein langweiliges Rentnerdasein. Anschließend ein
langweiliger Tod. Nun, vielleicht sterbe ich auch hier und
jetzt, unter den Trümmern eines eingestürzten Hauses, kurz
vor dem Weltuntergang. Der Protokollführer im Himmel hat
bestimmt keine Probleme mit mir; sicher stehen auf den Seiten
meines Lebensbuches lauter Ditos. Ich meine, was habe ich
eigentlich erlebt? Ich konnte mich nie dazu durchringen, eine
Bank auszurauben. Strafzettel fehlen in meiner Sündensamm-
lung. Ich war noch nie in einem thailändischen Restaurant.
Irgendwo zerbrach ein anderes Fenster; Glassplitter
klirrten. Anathema schlang die Arme um ihn, und ihr
Seufzen klang gar nicht sehr enttäuscht.
Ich war nie in Amerika. Oder Frankreich -Calais zählt
eigentlich nicht. Ich habe nie gelernt, ein Musikinstrument zu
spielen.
Das Radio verstummte plötzlich, als irgendwo ein
Stromkabel riß.
Schwarzes, weibliches Haar strich über Newts Wan-
gen.
Ich habe nie...
Irgend etwas macht Ping.
Shadwell war damit beschäftigt, die Soldbücher at
den neuesten Stand zu bringen und wollte gerade für
den Hexensucher-Obergefreiten Smith unterzeichnen,
als er das Geräusch hörte. Er hob den Kopf.
Es dauerte eine Weile, bis er feststellte, daß Newts
Nadel nicht länger in der Karte steckte.
Shadwell stand auf, brummte leise vor sich hin und
suchte den Boden ab. Schließlich fand er den kleinen
Metallstift, putzte ihn ab und steckte ihn wieder in den
Punkt, der Tadfield markierte.
Er unterzeichnete für den Hexensucher-Gefreiten
Tisch, der einen jährlichen Bonus von zwei Pence erhielt,
als sich das Ping wiederholte.
Der Feldwebel griff nach der Nadel, betrachtete sie
argwöhnisch und rammte sie mit solcher Entschlossen-
heit in die Karte, daß der Putz dahinter abbröckelte.
Dann wandte er sich wieder der Buchhaltung zu.
Ping.
Diesmal trennten den Stift gleich mehrere Meter von

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Ein gutes Omen

der Wand. Shadwell hob ihn auf, untersuchte die Spitze,


bohrte ihn ein weiteres Mal in die Karte und kniff
mißtrauisch die Augen zusammen.
Nach etwa fünf Sekunden raste ihm die Nadel am
rechten Ohr vorbei.
»?« brachte Shadwell hervor. Nach kurzer Suche ent-
deckte er den Stift und bohrte ihn erneut in die Karte.
Aber diesmal hielt er ihn fest.
Er spürte deutlich, wie sich das Ding bewegte. Shad-
well drückte mit seiner ganzen Kraft zu.
Ein dünner Rauchfaden kräuselte aus der Karte. Der
Hexensucher-Feldwebel brummte ein halblautes »Au!«
und beleckte sich die verbrannten Fingerspitzen, wäh-
rend der Stift die gute Gelegenheit nutzte, an der ge-
genüberliegenden Wand abzuprallen und ein Fenster zu
durchschlagen. Offenbar wollte er einfach nicht in Tad-
field stecken.
Zehn Sekunden später öffnete Shadwell die HA-Geld-
kassette; sie enthielt einige Pennies, einen Zehn-Shilling-
Schein und eine Münze aus der Herrschaftszeit Jakobs I.
Er ging sogar das Risiko ein, in seinen Hosentaschen zu
kramen. Das Ergebnis der Suche, selbst unter Einsatz
seines Senioren-Bahnpasses, genügte nicht einmal, um
ihn aus dem Haus zu bringen, geschweige denn nach
Tadfield.
Shadwell kannte nur zwei Personen, die Geld hatten:
Madame Tracy und Mr. Radschit. Was die Radschits be-
traf ... Wenn er sie um ein mittelfristiges Darlehen bat,
krochen bestimmt sieben Wochen unbezahlte Miete in
die Diskussion. Madame Tracy hingegen wäre nur zu
bereit gewesen, erst die Handtasche und dann ihr Porte-
monnaie für ihn zu öffnen.
»Ich lasche mich eher vom Toifel holen, alsch den
Schündenlohn der laschterhaften Isebel zu nehmen«,
sagte Shadwell.
Womit er alle seine Möglichkeiten erschöpfte.
Bis auf eine.
Der blöde Südler.
Beide Auftraggeber der Hexensucher-Armee hatten
ihn besucht und dabei so wenig Zeit wie möglich im
Hauptquartier verbracht. Erziraphael achtete bei seiner
damaligen persönlichen Unterredung mit dem Feldwe-
bel darauf, keine glatten Dinge zu berühren. Shadwell
erinnerte sich auch an den anderen, noch blöderen Süd-
ler, der ständig eine dunkle Sonnenbrille trug - schien
ein harter Bursche zu sein, den man mit Vorsicht ge-
nießen sollte. Wer das Tragen von dunklen Sonnenbril-
len nicht nur auf Strände beschränkte, gehörte Shad-
wells Meinung nach entweder zur Mafia oder zur

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Ein gutes Omen

Unterwelt (es hätte ihn sicher überrascht, wie nahe er der Wahrheit kam). Aber den Softie im
Kamelhaarman-
tel hielt er für nicht annähernd so gefährlich. Er hatte es einmal gewagt, dem Burschen zu seiner
Operationsbasis
zu folgen, und er entsann sich sogar an die Adresse.
Wahrscheinlich ist er ein russischer Spion, dachte Shadwell.
Ich könnte ihn um Geld bitten und meiner Bitte mit dunklen
Drohungen Nachdruck verleihen.
Doch es war ein ziemliches Risiko.
Shadwell straffte die Schultern und beschloß, allen
möglichen Gefahren fest ins Auge zu sehen und nur
dann zu fliehen, wenn das Risiko die Hand nach ihm
ausstreckte.
Vielleicht wurde der junge Newt gerade von den
Töchtern der Finsternis gefoltert.
»Die Hexensucher-Armee darf ihre Scholdaten nicht
im Schlich lassen«, sagte er, streifte sich seinen Mantel
über, setzte einen formlosen Hut auf und ging nach
draußen.
Es sah so aus, als ob sich das Wetter verschlechterte.
Erziraphael zitterte vor Aufregung. Seine Nerven schie-
nen in Rammen zu stehen. Unruhig wanderte er durch
den Laden, griff nach Zetteln, legte sie wieder beiseite
und hantierte nervös mit Kugelschreibern.
Eigentlich sollte er Crowley Bescheid geben.
Anders und besser ausgedrückt: Er wollte Crowley be-
nachrichtigen. Aber er sollte den Himmel verständigen.
Immerhin bin ich ein Engel. Ich stehe auf der Seite des
Guten. Es bleibt mir auch gar keine andere Wahl - das Posi-
tive gehört zu meinem Wesen. Es ist eingebaut. In dem Punkt
hat Crowley zweifellos recht. Oh, ich hätte mich sofort mit
dem Himmel in Verbindung setzen sollen.
Aber er kannte den Dämon schon seit mehreren tau-
send Jahren. Sie kamen gut miteinander aus. Manchmal
verstanden sie sich sogar. Gelegentlich argwöhnte Erzi-
raphael, daß sie miteinander weitaus mehr gemeinsam
hatten als mit ihren jeweiligen Vorgesetzten. Zum Bei-
spiel mochten sie die Welt und sahen sie nicht nur als
ein Brett für kosmische Schachpartien.
Nun, eigentlich lag die Lösung des Problems auf der
Hand. Es entsprach sogar dem Geist seines Paktes mit
Crowley/ wenn er den Leuten Oben einen Tip gab. Dann
kann der Himmel alle notwendigen Maßnahmen gegen das
Kind ergreifen, allerdings keine allzu energischen, denn wenn
man genauer darüber nachdenkt, sind wir alle Gottes Geschöpfe,
selbst Dämonen und der Antichrist, und dann wird die Welt ge-
rettet und vor dem Armageddon bewahrt, das ohnehin nieman-
dem etwas nützte, ich meine, wir wissen doch alle, daß schließ-
lich meine Seite gewinnt, ja, Crowley sieht das bestimmt ein.

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Ein gutes Omen

Ja. Und dann ist alles in bester Ordnung.


Zwar hing das >Geschlossen<-Schild im Fenster, aber
trotzdem klopfte jemand an die Tür. Erziraphael achtete
nicht darauf.
Dem Engel fiel es weitaus schwerer als Menschen,
einen Kontakt zum Himmel herzustellen. Die Normal-
sterblichen beten einfach und erwarten in den meisten
Fällen keine Antwort. Wahrscheinlich wären sie sogar
ziemlich überrascht, wenn jemand auf ihre frommen
Worte reagierte.
Erziraphael schob den mit Notizzetteln beladenen
Tisch beiseite und rollte den dünnen Teppich zusam-
men. Darunter kam ein mit Kreide auf die Dielen ge-
malter kleiner Kreis zum Vorschein, umgeben von ange-
messenen kabbalistischen Symbolen. Der Engel entzün-
dete sieben Kerzen, die er an strategischen Stellen im
Innern des Kreises aufstellte. Anschließend verbrannte
er ein wenig Weihrauch - in erster Linie deshalb, weil er
den Duft mochte.
Er zögerte kurz, gab sich einen inneren Ruck, trat in
den Kreis und sagte Die Worte.
Nichts geschah.
Er sprach Die Worte noch einmal.
Nach etwa zwanzig Sekunden (selbst die himmlische
Bürokratie braucht ihre Zeit) glänzte blaues Licht von
der Zimmerdecke herab und füllte den Kreis.
»Nun?« fragte eine kultiviert klingende Stimme.
»Ich bin es, Erziraphael.«
»Das wissen wir«, sagte die Stimme.
»Ich habe gute Nachrichten! Es ist mir gelungen,
den Antichristen zu lokalisieren! Ich kann Ihnen seine
Adresse und sogar die Telefonnummer geben!«
Stille folgte. Das blaue Licht flackerte.
»Ja?« ertönte die Stimme.
»Aber verstehen Sie denn nicht? Sie können ihn
nun... können die ganze Sache stoppen. Sie brauchen
dazu nur einen Augenblick. Und wir haben noch ein
paar Stunden Zeit. Sie können alles abblasen, der Krieg
muß nicht stattfinden, und alle wären gerettet.«
Erziraphael strahlte übers ganze Gesicht.
»Ja?« wiederholte die Stimme.
»Ja. Er wohnt in einem Ort namens Lower Tadfield,
und die Adresse...«
»Gute Arbeit«, sagte die Stimme gleichgültig.
»Es ist gar nicht nötig, daß sich ein Drittel der Meere
in Blut verwandelt und so«, verkündete Erziraphael
glücklich.
Wieder herrschte Stille, und schließlich räusperte sich
die Stimme. Sie klang nun ein wenig verärgert.

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Ein gutes Omen

»Warum nicht?« fragte sie.


Der Engel spürte, wie sich eine dunkle Grube unter
seiner Begeisterung öffnete, und er versuchte verzwei-
felt, nicht in den Abgrund der Niedergeschlagenheit zu
stürzen.
Er schluckte mehrmals. »Nun, Sie brauchen nur dafür
zu sorgen, daß der Antichrist ...«
»Wir werden gewinnen, Erziraphael.«
»Ja, aber...«
»Die Mächte der Finsternis müssen besiegt werden.
Um allen Mißverständnissen vorzubeugen: Es geht nicht
darum, den Krieg gegen die Hölle zu vermeiden, sondern
ihn zu gewinnen. Wir warten schon seit langer Zeit, Erzi-
raphael.«
Der Engel fühlte, wie Kühle aus der Grube stieg und
ihn umfaßte. Er wollte den Mund öffnen und erwidern:
»Was halten Sie davon, die Letzte Schlacht nicht auf der
Erde, sondern vielleicht auf dem Mars stattfinden zu
lassen?« Doch er überlegte es sich anders und schwieg.
»Ich verstehe«, sagte er nach einer Weile. Es kratzte an
der Tür, aber Erziraphael drehte sich nicht um. Deshalb
entging seiner Aufmerksamkeit ein verbeulter Filzhut,
der hinter dem fächerförmigen Fenster erschien.
»Es liegt uns fern, deine Leistungen zu schmalem«,
fuhr die Stimme fort. »Du kannst mit einer offiziellen
Belobigung rechnen. Gut gemacht.«
»Danke«, sagte Erziraphael. Sein bitterer Tonfall hätte
Milch sauer werden lassen. »Offensichtlich habe ich
Seine Erhabenheit vergessen.«
»Das dachten wir uns schon.«
»Darf ich fragen, mit wem ich das Vergnügen hatte?«
erkundigte sich der Engel.
»Du hast mit dem Metatron gesprochen.«*
»Oh, ja. Natürlich. Oh. Nun. Danke. Herzlichen
Dank.«
Hinter Erziraphael bewegte sich die Klappe des Brief-
kastenschlitzes, und zwei Augen spähten in den Laden.
»Da wäre noch etwas«, sagte die Stimme. »Du wirst
dich doch unseren Kämpfern anschließen, nicht wahr?«
»Nun, äh, selbstverständlich«, antwortete Erziraphael
unsicher. »Es ist eine Ewigkeit her, seit ich zum letzten
Mal ein Rammenschwert in der Hand hielt...«
»Ja, wir erinnern uns«, sagte die Stimme. »Bald hast
du ausreichend Gelegenheit, wieder in Übung zu kom-
men.«
»Ah.« Erziraphael überlegte verzweifelt. »Welches Er-
eignis leitet den Weltuntergang ein?«
»Wir glauben, ein globaler atomarer Schlagabtausch

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Ein gutes Omen

wäre ein guter Anfang.«


»Oh, ja, sehr phantasievoll.« Die letzten Reste von
Hoffnung verflüchtigten sich.
»Nun gut«, verkündete die Stimme. »Wir nehmen an,
du kehrst jetzt zu uns zurück, nicht wahr?«
* Die Stimme Gottes. Allerdings nicht die Stimme selbst, sondern eine
eigenständige Entität. Man denke in diesem Zusammenhang an den
Sprecher eines Präsidenten.
»Oh. Ah.« Erziraphael suchte nach den richtigen Wor-
ten. »Wenn ich vorher noch einige Dinge erledigen
dürfte...«
»Das erscheint uns kaum notwendig«, entgegnete die
Stimme.
Der Engel holte tief Luft. »Als ehrenhafter Geschäfts-
mann halte ich es für erforderlich, die Gebote der Red-
lichkeit und moralischen Aufrichtigkeit zu achten, und
daher...«
»Ja, ja«, sagte Metatron mürrisch. »Ich verstehe, wor-
auf du hinauswillst. Nun, wir erwarten dich, sobald du
alle deine weltlichen Angelegenheiten geregelt hast.«
Das Licht verblaßte, verschwand jedoch nicht ganz.
Sie halten die Leitung offen, dachte Erziraphael. Jetzt sitze
ich in der Falle.
»Hallo?« fragte er behutsam. »Hören Sie mich?« Er
bekam keine Antwort.
Vorsichtig trat der Engel aus dem Kreis und schlich
zum Telefon. Er schlug das Notizbuch auf, nahm den
Hörer ab und wählte eine Nummer.
Nach dem vierten Klingelzeichen machte es Klick, und
jemand hustete. Zwei oder drei Sekunden lang blieb
alles still, und dann erklang eine so müde Stimme, daß
sogar Erziraphael Mühe hatte, wach zu bleiben.
»Hallo. Hier spricht Anthony Crowley. Ah. Ich...«
»Crowley!« Der Engel versuchte, gleichzeitig zu flü-
stern und zu schreien. »Hör zu! Ich habe nicht viel Zeit!
Der ...«
»... wohl gerade nicht zu Hause oder mit irgendwel-
chen wichtigen Dingen beschäftigt. Vielleicht schlafe ich
auch, und wenn das der Fall ist, möchte ich nicht gestört
werden...«
»Sei still und hör mir endlich zu! Der Antichrist ist in
Tadfield! Es steht alles in dem Buch! Du mußt...«
»... sprechen Sie nach dem Tonsignal aufs Band. Ich
rufe so bald wie möglich zurück. Tschau.«
»Ich will jetzt mit dir reden ...«
PiieeIIEEP.
»Was sollen diese komischen Geräusche? Der An-
tichrist! Er ist in Tadfield! Jetzt weiß ich auch, warum
mir der Ort so seltsam erschien! Mach dich sofort auf

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Ein gutes Omen

den Weg und...«


Erziraphael ließ den Hörer sinken.
»Verdammter Mist!« sagte er. Es war sein erster Ruch
seit viertausend Jahren.
Einen Augenblick! Der Dämon hatte noch einen zwei-
ten Anschluß, nicht wahr? Typisch für ihn. Erziraphael
blätterte so nervös in dem Notizbuch, daß es fast zu
Boden gefallen wäre. Bestimmt dauerte es nicht mehr
lange, bis die Leute Oben ungeduldig wurden.
Er fand die andere Nummer und wählte sie. Jemand
nahm sofort ab, und gleichzeitig läutete leise die Glocke
an der Ladentür.
Crowleys Stimme wurde lauter, als sich sein Mund
der Sprechmuschel näherte, »...meine es ernst. Hallo?«
»Ich bin's.«
»Ngh«, sagte Crowley unverbindlich. Erziraphael litt
an einem ausgeprägten Gefühlschaos, spürte aber trotz-
dem, daß irgend etwas nicht stimmte.
»Bist du allein?« fragte er.
»Nein. Ein guter alter Bekannter leistet mir Gesell-
schaft.«
»Hör mir gut zu...«
»Hinfort mit dir, Höllenbrut!«
Erziraphael drehte sich ganz langsam um.
Zumindest in einem Punkt erging es Shadwell wie dem
Engel: Er zitterte ebenfalls vor Aufregung. Er hatte alles
gesehen. Und gehört. Er wußte nicht, was es bedeutete,
aber wenn irgend jemand Kreise auf den Boden malte,
Kerzen anzündete und Weihrauch verbrannte, schöpfte
er sofort Verdacht. Dann erwachte sein berufsmäßiges
Mißtrauen. Ja, mit solchen Dingen kannte er sich aus. Er
hatte Die Braut des Satans insgesamt sechzehn mal im
Kino gesehen (einmal allerdings nur unvollständig;
nach einer halben Stunde setzte man ihn auf die Straße,
weil seine wenig schmeichelhaften Kommentare in Hin-
sicht auf den Amateur-Hexensucher Christopher Lee die
übrigen Zuschauer verärgerten).
Dämonen, dachte Shadwell erzürnt. Und sie wollen mich
an der Nase herumführen. Sie erdreisten es sich sogar, die glor-
reichen Traditionen der Hexensucher-Armee zu verspotten.
»Ich habe dich auf frischer Tat ertappt, du Toifels-
biescht!« donnerte er und kam wie ein von Motten zer-
fressener Racheengel näher. »Oh, ich weiß, auf fasch du
aus bischt. Fillst beschtimmt unschuldige Frauen ver-
führen, damit sie schien mit dem Toifel verbünden, nich'
fahr?«
»Ich glaube. Sie haben sich im Laden geirrt«, erwi-
derte Erziraphael. »Ich rufe später noch einmal an«,
teilte er Crowley mit und legte auf.

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Ein gutes Omen

»Ich habe dich in dem magischen Kreisch geschehen«,


knurrte Shadwell. Schaum klebte ihm in den Mundwin-
keln. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals so wü-
tend gewesen zu sein.
Ȁh, manchmal sind die Dinge nicht das, was sie zu
sein scheinen«, begann Erziraphael und begriff sofort,
daß er damit keine besonders gute-Konversationsgrund-
lage schuf.
»Ja, da hascht du völlig recht«, triumphierte Shadwell.
»Nein, ich meine...«
Der Hexensucher-Feldwebel behielt den Engel im
Auge, als er zurückwich und die Tür so wuchtig zuwarf,
daß die Glocke fast vom Haken flog.
»Glocke«, sagte er.
Er griff nach den Freundlichen und Zutreffenden Pro-
phezeiungen und schlug damit auf den Tisch.
»Buch«, fügte er hinzu.
Er griff in die Tasche und holte ein halb verrostetes
Gasfeuerzeug hervor.
»Improvischierte Kerze!« rief er und kam wieder näher.
Einige Schritte vor ihm glühte der Kreis in einem mat-
ten blauen Licht.
»Ah«, sagte Erziraphael, »ich würde Ihnen davon ab-
raten, in den...«
Shadwell hörte gar nicht zu. »Ich berufe mich auf die
Autorität, die mir mein Amt alsch Hexensucher ferleiht«,
intonierte er. »Hebe dich hinfort fön dieschem Orte...«
»Wissen Sie, der Kreis...«
»...und kehre dorthin zurück, woher du kommscht,
ohne unsch...«
»Es wäre sehr unklug von einem Menschen, den
Kreis...«
»... neuerlichesch Unheil zu bescheren...«
»Ja, ja, aber bitte halten Sie sich von dem Kreis...«
»...in der Hölle schollst du schmoren...«
Erziraphael lief auf Shadwell zu und gestikulierte mit
wachsender Verzweiflung.
...und NIE ZURÜCKKEHREN!« beendete der Feldwebel
seinen Vortrag. Er hob einen drohenden, nikotingelben
Zeigefinger.
Erziraphael sah zu Boden und fluchte zum zweiten
Mal innerhalb von fünf Minuten. Er hatte den Kreis
betreten.
»Oh, Scheiße!« sagte er.
Irgend etwas rasselte, und das blaue Leuchten ver-
schwand. Ebenso der Engel.
Dreißig Sekunden verstrichen. Shadwell rührte sich
nicht von der Stelle. Schließlich hob er die zitternde
linke Hand und drückte vorsichtig die rechte herab.

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Ein gutes Omen

»Hallo?« fragte er. »Hallo?« Niemand antwortete ihm.


Shadwell schauderte. Er hielt die rechte Hand wie
eine gefährliche Waffe, die er weder abzufeuern wagte
noch zu sichern wußte, ging nach draußen und ließ die:
Tür hinter sich ins Schloß fallen. s
Der Boden im Laden erzitterte kurz. Eine von Erzi- phaels Kerzen kippte um, und brennendes Wachs
rar
über altes trockenes Holz.
Crowleys Wohnung in London war Ausdruck von Stil.
Sie hatte alles, was eine gute Wohnung haben sollte: eine
Menge Platz und weiße elegante Möbel. Außerdem er-
weckte sie den vornehmen, von begabten Designern an-
gestrebten Eindruck, daß sich nur selten jemand in ihr
aufhielt.
In diesem Fall lag es daran, daß Crowley fast nie dort
wohnte.
Es handelte sich um ein Quartier, das er abends auf-
suchte, wenn er in London weilte. Die Betten waren
immer gemacht. Der Kühlschrank enthielt immer be-
sonders schmackhafte Gourmet-Speisen, die nie verdar-
ben - genau aus diesem Grund hatte sich Crowley einen
Kühlschrank angeschafft. Das Gerät brauchte nie abge-
taut zu werden, und es war nicht einmal nötig, den
Stecker in die Steckdose zu schieben.
Zur Ausstattung des Salons gehörten: ein großer Fern-
seher, ein weißes Ledersofa, ein Videorecorder, ein CD-
Gerät, zwei Telefone - das eine mit dem Anrufbeant-
worter verbunden, das andere ein sehr privater An-
schluß, dessen Nummer noch nicht von den vielen auf
telefonische Angebote spezialisierten Verkäufern ent-
deckt worden war; andernfalls hätten sie Crowley ver-
mutlich doppelt verglaste Fenster (die er bereits hatte)
oder Lebensversicherungen (die er nicht brauchte) auf-
zuschwatzen versucht - und ein mattschwarzer Hi-Fi-
Würfel, der eine so komplexe Elektronik enthielt, daß er
nur den üblichen Ein-Aus-Schalter und einen Lautstär-
keregler aufwies. Crowley hatte vergessen, Lautsprecher
zu kaufen, aber das spielte keine Rolle. An der Tonqua-
lität gab es trotzdem nichts auszusetzen.
Hinzu kamen eine Telefax-Maschine mit der Intelli-
genz eines Computers und ein Computer mit der Intelli-
genz einer geistig zurückgebliebenen Ameise. Crowley
ersetzte ihn in regelmäßigen Abständen durch ein neues
Modell, weil er glaubte, daß derartige elektronische In-
strumente seiner Rolle als weltmännischer Mensch ge-
recht wurden. Das neueste Exemplar sah aus wie ein
Porsche mit Monitor. Die Gebrauchsanweisung* befand
sich noch immer in der ungeöffneten Klarsichttüte.
Crowley widmete seine Aufmerksamkeit in erster

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Ein gutes Omen

Linie den Pflanzen in seiner Londoner Wohnung. Sie


waren groß, grün und prächtig und hatten gesund glän-
zende Blätter.
Dafür gab es einen guten Grund: Einmal in der Woche
nahm Crowley einen Zerstäuber, besprühte die Blätter
und sprach mit seinen Pflanzen.
Er hatte irgendwann in den siebziger Jahren wäh-
rend einer Radiosendung (>Wie man mit einem Kaktus
Freundschaft schließe) davon erfahren, wie nützlich es
sei, mit Pflanzen zu sprechen. Obgleich hier erwähnt
werden muß, daß sich Crowley nicht darauf be-
schränkte, mit seiner häuslichen Flora zu plaudern.
Er zog es vor, ihr einen gehörigen Schrecken einzu-
jagen.
Mit anderen Worten: Er drohte seinen Pflanzen.
Alle zwei Monate wählte er eine aus, die zu langsam
wuchs oder sich die Freiheit nahm, langsam zu verwel-
ken. Manchmal genügte es auch, daß sie nicht ganz so
* Zusammen mit dem für Computer üblichen Garantie-Zertifikat, in
dem sich folgender Hinweis finden läßt: Wenn das Gerät l) nicht funk-
tioniert, 2) nicht das leistet, was die teuren Werbeanzeigen behaupten,
3) die Nachbarn mit Stromschlägen tötet und sich 4) überhaupt nicht in
der aufwendigen Verpackung befindet, so ist völlig, absolut und ganz
und gar ausgeschlossen, daß der Hersteller dafür die Verantwortung
trägt. Der Käufer kann sich 5) glücklich schätzen, daß er sein Geld dem
Hersteller geben darf, und 6) jeder Versuch, das gerade erworbene und
bezahlte Produkt wie rechtmäßiges Eigentum zu behandeln, muß
zwangsläufig dazu führen, daß man Besuch von ernst dreinblickenden Herren mit bedrohlich
wirkenden Aktenkoffern und sehr dünnen
Armbanduhren bekommt. Die von der Computer-Industrie angebote-
nen Garantien hatten Crowley so sehr beeindruckt, daß er mehrere
Musterexemplare nach Unten schickte (er adressierte sie an die Abtei-,
hing für Unsterbliche Seelen: Verträge und Lizenzen) und einen gelben,
Merkzettel beifügte, dessen schlichte Aufschrift lautete. »Nehmt euch
ein Beispiel daran, Jungs.<
gut aussah wie die anderen. Nun, er trug sie herum,
zeigte sie den anderen Pflanzen und sagte: »Verabschie-
det euch von eurem Freund. Ihr wißt ja, daß ich keinen
Ungehorsam dulde...«
Dann verließ er die Wohnung mit dem aufsässigen
Gewächs, kehrte eine halbe Stunde später zurück und
stellte einen leeren mahnenden Blumentopf ins Wohn-
zimmer.
Crowleys Pflanzen waren die grünsten und schönsten
in ganz London. Und sie fürchteten sich die ganze Zeit
über.
Das Licht im Salon stammte von Spotlights und
Neonröhren, für die sich bestimmt das Elektrizitätswerk
interessiert hätte: Sie brannten ohne Strom.

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Ein gutes Omen

Als einziger Wandschmuck diente eine gerahmte


Zeichnung: Leonardo da Vincis ursprünglicher Entwurf
für die Mona Lisa. Der Dämon hatte die Skizze an einem
heißen Nachmittag in Florenz vom Künstler höchstper-
sönlich gekauft und hielt sie für besser als das spätere
Gemälde.*
Crowleys Wohnung bestand aus: Wohnzimmer, Kü-
che, Arbeitszimmer, einem zweiten kleinen Salon (für
besondere Fälle) und einer Toilette. Alle Räume waren
immer sauber und perfekt in Ordnung.
In jedem einzelnen von ihnen verbrachte der Dämon
viele unangenehme Stunden damit, auf den Weltunter-
gang zu warten.
Er hatte versucht, mit seinen Mitarbeitern in der He-
xensucher-Armee Kontakt aufzunehmen, bekam jedoch
* Leonardo vertrat die gleiche Ansicht. »Ich hab das dümmliche Lä-
cheln sofort richtig hingekriegt«, vertraute er Crowley an, während er
in der warmen Mittagssonne Wein trank. »Aber beim Malen verschob
es sich irgendwie. Der Ehemann beklagte sich darüber, als ich ihm das
Bild zeigte, aber ich antwortete: »Ist doch nicht weiter schlimm. Signor
del Giocondo. Außer Ihnen sieht es niemand.< Wie dem auch sei: Er-
klär mir bitte noch einmal, was es mit dem Hubschrauber-Ding auf
sich hat.«
zur Auskunft, der Kontaktmann - Feldwebel Shadwell -
sei derzeit im Einsatz. Die dumme Sekretärin schien
nicht zu begreifen, daß Crowley mit irgendeinem beliebi-
gen Hexensucher reden wollte.
»Mister Läuterer ist ebenfalls außer Haus, Schatz«,
sagte sie. »Heute morgen begann er mit einer Mission
und fuhr nach Tadfield.«
»Ich bin auch bereit, mit einem anderen HA-An-
gehörigen zu sprechen«, betonte Crowley.
»Das richte ich Mister Shadwell aus, sobald er zurück
ist«, antwortete die Frau. »Wenn Sie mich jetzt bitte ent-
schuldigen würden... Ich bin heute morgen beschäftigt,
wissen Sie, und ich kann den freundlichen Herrn nicht
so lange allein lassen. Sonst holt er sich noch eine Lun-
genentzündung. Außerdem erwarte ich Mrs. Ormerod,
Mr. Scroggie und die junge Julia zu einer Seance. Ich
muß noch alles aufräumen und vorbereiten. Aber ich
verspreche Ihnen, daß ich Ihre Nachricht an Mr. Shad-
well weitergebe.«
Crowley gab auf. Er versuchte, einen Roman zu lesen,
konnte sich jedoch nicht konzentrieren. Er begann
damit, seine CDs alphabetisch zu sortieren, stellte je-
doch fest, daß sie bereits in der richtigen Reihenfolge
standen, ebenso wie die Bücher und alle Schallplatten
seiner Soul-Sammlung.*
Schließlich nahm er auf dem weißen Ledersofa Platz

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Ein gutes Omen

und schaltete den Fernseher mit einer knappen Geste


ein.
»Nach den neuesten Meldungen, äh«, sagte ein be-
sorgter Nachrichtensprecher. »Ja, nach den neuesten
Meldungen... nun, niemand scheint so recht zu verste-
hen, was eigentlich vor sich geht, aber die neuesten Mel-
dungen scheinen auf eine, äh, Zunahme der internatio-
* Er war sehr stolz darauf. Es hatte viele Jahre gedauert, sie anzulegen.
Crowley mochte nur echten Soul, und daher gab es in seiner Sammlung
keinen Platz für Tamla Motown.
nalen Spannungen hinzuweisen, die in der vergangenen
Woche sicher niemand für möglich gehalten hätte. Äh,
ich meine, es ist doch noch gar nicht so lange her, daß
die wichtigsten Staatsoberhäupter prächtig miteinander
auskamen. Äh.
Nun, die jüngsten Entwicklungen lassen sich wenig-
stens teilweise auf einige seltsame Ereignisse während
der letzten Tage zurückführen.
Vor der japanischen Küste... CROWLEY?
»Ja«, meldete sich Crowley.
WAS IST EIGENTLICH LOS, ZUM. TEUFEL? WAS HAST DU DIE
GANZE ZEIT ÜBER GEMACHT, CROWLEY?
»Wie meinst du das?« fragte der Dämon, obwohl er
genau wußte, worum es ging.
DER JUNGE NAMENS WARLOCK. WIR HABEN IHN ZU DEN FEL-
DERN MEGGIDOS GEBRACHT, UND DER HUND IST NICHT BEI IHM.
DER KNABE HAT KEINE AHNUNG VON DER LETZTEN SCHLACHT.
ER KANN UNMÖGLICH DER SOHN UNSERES HERRN SEIN.
»Oh«, murmelte Crowley.
MEHR HAST DU NICHT ZU SAGEN, CROWLEY? UNSERE TRUP-
PEN STEHEN BEREIT, UND DIE VIER APOKALYPTISCHEN REITER
SIND UNTERWEGS. ABER WOHIN? IRGEND ETWAS GING SCHIEF,
CROWLEY, UND DAFÜR TRÄGST DU DIE VERANTWORTUNG.
WAHRSCHEINLICH IST ALLES DEINE SCHULD. WIR HOFFEN, DASS
DU UNS EINE VERNÜNFTIGE ERKLÄRUNG FÜR DIE GEGENWÄRTIGE
SITUATION ANBIETEN KANNST ...
»Natürlich«, entgegnete Crowley sofort. »Eine ver-
nünftige Erklärung, ja. Vernünftig und einleuchtend.«
... DENN DU BEKOMMST DIE CHANCE, SIE UNS IN ALLEN EIN-
ZELHEITEN DARZULEGEN. DU WIRST GENUG ZEIT DAFÜR HABEN,
CROWLEY. UND WIR WERDEN DIR MIT GROSSEM INTERESSE
ZUHÖREN. DEIN VORTRAG UND DIE BESONDEREN UMSTÄNDE,
DIE IHN BEGLEITEN, WERDEN ALLEN VERDAMMTEN DER HÖLLE
GELEGENHEIT GEBEN, SICH ZU AMÜSIEREN, CROWLEY. DENN
GANZ GLEICH, WIE SEHR MAN DIE GERINGSTEN DER VERDAMM-
TEN QUÄLT UND FOLTERT UND PEINIGT, CROWLEY: DU WIRST
NOCH WEITAUS SCHLIMMER DRAN SEIN ...

file:///G|/Books/1/omen.htm (211 von 339) [16.06.2001 15:32:21]


Ein gutes Omen

Crowley winkte hastig, um den Fernseher auszuschal-


ten.
Der Bildschirm glühte weiterhin in einem trüben, grau-
grünen Ton, und die Lautsprecher schwiegen nur einige
Sekunden lang. Dann krochen Worte durch die Stille.
VERSCHWENDE KEINEN GEDANKEN AN FLUCHT, CROWLEY. ES
GIBT KEIN ENTKOMMEN. BLEIB, WO DU BIST. MAN WIRD DICH ...
ABHOLEN...
Crowley trat ans Fenster und blickte nach draußen.
Etwas Schwarzes und Wagenartiges glitt langsam über
die Straße. Die Ähnlichkeit des Dings mit einem Auto
war groß genug, um beiläufige Beobachter zu täuschen.
Crowley hingegen hielt sehr genau und aufmerksam
Ausschau, und er stellte sofort fest, daß sich die Räder
weder drehten noch mit dem Fahrzeug verbunden zu
sein schienen. Das Etwas wurde langsamer, und seine
Passagiere (keiner von ihnen fuhr; sie hatten nie Ge-
legenheit bekommen, den Führerschein zu machen)
lasen die Hausnummern.
Crowley gelangte zu dem Schluß, daß ihm noch etwas
Zeit blieb. Er ging in die Küche, holte einen Plastikeimer
unter der Spüle hervor und begab sich damit in den
kleineren Salon.
Die Hölle sendete inzwischen nicht mehr. Crowley
drehte den Fernseher zur Wand, nur für den Fall.
Dann näherte er sich der Mona Lisa und nahm das
Bild ab.
Dahinter zeigte sich ein Wandsafe.
Nun, es war kein normaler Wandsafe. Er stammte von
einem Unternehmen, das sich auf Dienstleistungen für
die Atomindustrie spezialisiert hatte.
Er öffnete die Außenklappe und drehte den Knauf des
Kombinationsschlosses. Der Code lautete 4-0-0-4, ganz
einfach zu merken. In jenem Jahr habe ich diesen gräßlichen
und gleichzeitig so wunderbaren Planeten zum ersten Mal be-
treten, dachte der Dämon wehmütig. Ach, damals war er
noch nagelneu und praktisch leer.
Der Safe enthielt eine Thermosflasche, zwei dicke
PVC-Handschuhe (ihre Stulpen reichten bis zu den
Schultern) und eine Zange.
Crowley zögerte und richtete einen nervösen Blick auf
die Flasche.
(Unten im Haus krachte etwas. Wahrscheinlich die
Eingangstür...)
Der Dämon streifte die Handschuhe über, griff nach
Thermosflasche, Zange und Eimer. Dann zögerte er er-
neut, nickte langsam, zog den Zerstäuber hinter einem
tadellos gedeihenden Gummibaum hervor und suchte
das Arbeitszimmer auf. Er ging langsam, setzte mit gro-

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Ein gutes Omen

ßer Vorsicht einen Fuß vor den anderen, wie jemand,


der Angst hat, Nitroglycerin zu verschütten und damit
sich selbst sowie einen großen Teil der Stadt in die Luft
zu jagen. (Man hätte diese Szene als Vorspann für eine
der SF-Billigproduktionen verwenden können, in denen
früher oder später ein großer Explosionskrater gezeigt
wird und Anlaß für Bemerkungen gibt wie: >Hier stand
einmal die Stadt Wah-Shing-Ton.<)
Crowley erreichte die Tür des Arbeitszimmers, schob
sie mit der Schulter auf und trat ein. Dann ging er in die
Knie und stellte die einzelnen Dinge behutsam auf den
Boden. Eimer, Zange, Zerstäuber - schließlich die Ther-
mosflasche.
Schweiß perlte ihm auf der Stirn, tropfte ihm in die
Augen. Er zwinkerte ihn fort.
Er nahm die Zange zur Hand und begann damit, den
Deckel der Thermosflasche aufzuschrauben. Langsam
... noch ein Stück ... nicht zu schnell ja, so ist es richtig,
nur nichts überhasten.
(Dumpfes Pochen im Treppenhaus, gefolgt von einem
erstickten Schrei. Vermutlich die kleine alte Dame im er-
sten Stock.)
Trotzdem: Er durfte sich nicht beeilen.
Er schloß die Zange um den Hals der Thermosflasche,
neigte sie und gab acht, daß nichts auf den Boden
tropfte, als er eine klare Flüssigkeit in den Plastikeimer
goß. Ein einziger Fehler genügte, um...
Geschafft.
Crowley öffnete die Tür des Arbeitszimmers etwa
fünfzehn Zentimeter weit und plazierte den Eimer auf
die obere Türkante.
Er benutzte die Zange noch einmal, um die Thermos-
flasche wieder zu schließen... (etwas donnerte im Flur),
zog die PVC-Handschuhe aus, nahm den Zerstäuber
und setzte sich hinter den Schreibtisch.
»Crooowley?« rief eine kehlige Stimme. Hastur.
»Er ist da drin«, zischte jemand. »Ich spüre die Anwe-
senheit des schleimigen kleinen Kerls.« Ligur.
Hastur und Ligur.
Zwei alte Bekannte.
Nun, Crowley hätte sicher sofort protestiert, wenn
man behauptet hätte, Dämonen seien durch und durch
böse. Im großen kosmischen Spiel erfüllten sie die glei-
che Funktion wie Steuerprüfer. Ihre Arbeit mochte nicht
gerade sehr beliebt sein, aber sie war notwendig, damit
kein Sand ins Getriebe der Schöpfung geriet. Übrigens
stellten Engel in diesem Zusammenhang nicht unbe-
dingt ein Muster der Tugendhaftigkeit dar. Wenn es
darum ging, der Hölle eins auszuwischen, gaben sie sich

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Ein gutes Omen

weitaus mehr Mühe, als es die Vorschriften verlangten.


Eigentlich lief alles darauf hinaus, daß man nur seine
Arbeit erledigte.
Andererseits: Dämonen wie Hastur und Ligur fanden
so großen Gefallen an Unerquicklichkeiten, daß man sie
fast mit Menschen verwechseln konnte.
Crowley lehnte sich im Ledersessel zurück und ver-
suchte, sich zu entspannen. Es gelang ihm nicht.
»Ich bin hier, Jungs«, sagte er.
»Wir haben ein Wörtchen mit dir zu reden«, erwiderte
Ligur. Sein Tonfall vermittelte eine ganz andere Bot-
schaft. Sie lautete: Mann, ich möchte jetzt wirklich nicht in
deiner Haut stecken. Dich erwarten die schrecklichsten aller
Höllenqualen, und wir sehen dabei zu. Macht sicher eine
Menge Spaß.
Der kleine, untersetzte Dämon kam herein.
Der Eimer wackelte und fiel genau auf Ligurs Kopf.
Lassen Sie einen Brocken Natrium ins Wasser fal-
len. Sehen Sie, wie er brennt, wie er hin und her zuckt
und alles zu brodeln beginnt? Nun, Ligur erging es
ähnlich.
Der Gesandte des Teufels wirbelte wie ein Kreisel um
die eigene Achse, flackerte und löste sich allmählich auf.
Fetter brauner Rauch stieg von ihm auf, und er schrie
und schrie und schrie. Satanische Haut blätterte von sa-
tanischen Knochen. Dann sank Ligur in sich zusammen,
und auf dem verbrannten Teppich blieb nur eine feucht
glänzende Masse zurück. Sie sah aus, als habe jemand
einige Maden zertreten.
»Hallo!« wandte sich Crowley an Hastur, der auf Li-
gurs Reste hinabstarrte. Unglücklicherweise hatte ihn
kein einziger Spritzer getroffen.
Dämonen sind von Natur aus heimtückisch und ge-
mein - ihre Gene lassen ihnen gar keine andere Wahl.
Aber es gibt heimtückische Gemeinheiten, die selbst
unter Dämonen als unvorstellbar gelten.
»Weihwasser«, brachte Hastur hervor. »Du Mistkerl.
Du verdammter und dreimal verfluchter Mistkerl. Er
hat dir überhaupt nichts getan.«
»Aber er trug sich mit gewissen Absichten«, entgeg-
nete Crowley. Jetzt standen seine Chancen nicht mehr
ganz so schlecht, und dadurch fühlte er sich etwas bes-
ser. Dennoch blieb seine Lage ziemlich problematisch.
Hastur bekleidete den Rang eines Höllenfürsten, und
Crowley hatte es noch nicht einmal zum Abgeordneten
eines höllischen Gemeinderates gebracht.
»Mütter werden an dunklen Orten von deinem
Schicksal flüstern, um ihre Kinder zu erschrecken«, be-
gann Hastur und begriff sofort, daß sich die menschli-

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Ein gutes Omen

che Sprache nicht eignete, um den strafenden Zorn des


Infernos zum Ausdruck zu bringen. »Du wirst in den
Latrinen der Hölle enden, Bursche«, fügte er hinzu.
Crowley griff nach dem grünen Zerstäuber und hob
ihn drohend. »Verschwinde!« knurrte er. Irgendwo klin-
gelte ein Telefon, und nach dem vierten Läuten reagierte
der Anrufbeantworter. Ein Teil von Crowleys Ich fragte
sich müßig, wer da wohl gerade versuchte, sich mit ihm
in Verbindung zu setzen.
»Du jagst mir keine Angst ein«, erwiderte Hastur. Er
beobachtete, wie ein Tropfen Wasser aus der Öffnung
des Ventils quoll, langsam am Kunststoff herabrann und
sich Crowleys Hand näherte.
»Weißt du, was das hier ist?« fragte der Dämon hinter
dem Schreibtisch. »Ein Zerstäuber. Ebenso billig wie
wirkungsvoll. Man kann Pflanzen damit besprühen.
Und auch andere Dinge. Muß ich dich darauf hinweisen,
was er enthält? Er kann dich in das dort verwandeln.«
Crowley deutete auf das formlose Etwas vor der Tür.
»Geh jetzt!«
Der Tropfen erreichte den Zeigefinger Crowleys und
verharrte dort.
»Du bluffst«, sagte Hastur.
»Vielleicht«, antwortete Crowley betont ernst, um zu
verdeutlichen, daß ihm derzeit nichts ferner lag, als
irgend jemanden zu bluffen. »Vielleicht auch nicht.
Wenn du unbedingt alles auf eine Karte setzen willst...«
Hastur winkte, und ein leises Flopp erklang, als der
Zerstäuber aus dieser Welt verschwand. Das Wasser,
von seiner plötzlichen Freiheit verblüfft, strömte auf den
Schreibtisch herab und tropfte auch über Crowleys
Anzug.
»Ich glaube, heute ist mein Glückstag«, sagte Hastur.
Und er lächelte. Seine Zähne waren lang und spitz, und
zwischen ihnen bewegte sich eine dünne Zunge.
»Kannst du das auch von dir behaupten?«
Crowley schwieg. Plan A hatte funktioniert, im
Gegensatz zu Plan B. Jetzt kam alles auf Plan C an. Was
gewisse Schwierigkeiten mit sich brachte: Plan C mußte
erst noch entwickelt werden.
»Ssso...«, zischte Hastur. »Wird Zeit, daß wir uns auf
den Weg machen.«
»Ich glaube, vorher solltest du noch etwas erfahren«,
sagte Crowley, um Zeit zu gewinnen.
»Und das wäre?« Hastur grinste.
Genau in diesem Augenblick klingelte das Telefon auf
dem Schreibtisch.
Crowley nahm ab und wandte sich gleichzeitig an
Hastur: »Bleib stehen. Ich muß dir etwas Wichtiges nut-

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Ein gutes Omen

teilen, und ich meine es ernst. Hallo?«


Einige Sekunden verstrichen.
»Ngh«, sagte Crowley. Und dann: »Nein. Ein guter
alter Bekannter leistet mir Gesellschaft.«
Erziraphael legte auf. Crowley fragte sich, warum ihn
der Engel angerufen hatte - und von einer Sekunde zur
anderen kannte er alle Einzelheiten des Plans C. Er be-
hielt den Hörer in der Hand, als er verkündete: »Na
schön, Hastur, du hast den Test bestanden. Von jetzt an
darfst du damit rechnen, an den unheilvollsten Ver-
schwörungen der Hölle teilnehmen zu dürfen.«
»Bist du übergeschnappt?«
»Nein. Verstehst du nicht? Dies war ein Test. Die La-
mettaträger der Hölle wollen feststellen, ob du vertrau-
enswürdig bist. Jetzt sind sie sicher bereit, dir das Kom-
mando über die Legionen der Verdammten zu geben,
auf daß du sie in die Letzte Schlacht führst.«
»Entweder bist du total verrückt, oder du lügst,
Crowley«, grollte Hastur. »Wahrscheinlich ist beides der
Fall.«
Doch ein Hauch von Unsicherheit schlich sich in seine
Stimme. Crowleys Worten mangelte es nicht an einer ge-
wissen Schlüssigkeit. Es ließ sich nicht ausschließen, daß
ihn die Hölle testete, daß der Dämon hinter dem
Schreibtisch mehr war, als er zu sein schien. Hastur
neigte zu einer paranoiden Denkweise und machte sich
damit eine durchaus vernünftige Einstellung zu eigen.
Im Inferno hatten es tatsächlich alle auf einen abgese-
hen.
Crowley begann damit, eine Nummer zu wählen. »Na
schön, Fürst Hastur«, sagte er. »Ich kann verstehen, daß
du mir nicht glaubst, und deshalb schlage ich vor, wir
wenden uns ans Finstere Konzil. Dem Satan höchstper-
sönlich gelingt es sicher, dich zu überzeugen.«
Die Scheibe auf dem Telefon drehte sich zum letzten
Mal. Das erste Tuut kündigte sich mit einem leisen stati-
schen Kratzen an.
»Bis dann. Blödmann!« sagte Crowley.
Er löste sich einfach in Luft auf.
Und einen Sekundenbruchteil später folgte Hastur
seinem Beispiel.
Über viele Jahre hinweg wurde eine große Anzahl Ar-
beitsstunden darauf verwendet, folgende Frage zu dis-
kutieren:
Wie viele Engel können auf einem Stecknadelkopf tanzen?
Um eine Antwort zu finden, müssen zunächst einige
Fakten berücksichtigt werden.
Zuerst einmal: Engel tanzen nicht. Irgend etwas in
ihren Genen hindert sie daran. Tanzen für etwas Lust-

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Ein gutes Omen

volles zu halten. Oh, sie hören sich Sphärenmusik und


dergleichen an, aber sie verspüren nicht den Wunsch,
sich in ihrem Rhythmus zu bewegen. Die Antwort lautet
also: keiner.
Nun, fast keiner. Man denke nur an Erziraphael. In
den späten achtziger Jahren des neunzehnten Jahrhun-
derts besuchte er häufig einen Gentlemen-Club in Port-
land Place und lernte dort die Gavotte. Zu Anfang of-
fenbarte er dabei das gleiche Geschick wie eine Gans,
die plötzlich wichtige finanzielle Entscheidungen für
eine große Handelsbank treffen muß, aber nach einer
Weile entwickelten seine Muskeln eine kräfteschonende
Routine. Wahrscheinlich hätte er sogar an einem offiziel-
len Tanzwettbewerb teilgenommen, um seine neuerwor-
benen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen - wenn die
Gavotte nicht einige Jahrzehnte später aus der Mode ge-
kommen wäre.
Woraus folgt: Wenn es sich bei dem Tanz um eine Ga-
votte handelt und Erziraphael eine geeignete Partnerin
findet (die nicht nur alle Bewegungsmuster der Gavotte
kennt, sondern außerdem imstande ist, auf einem Steck-
nadelkopf zu tanzen), so lautet die Antwort: einer.
Andererseits könnte man sich auch fragen, wie viele
Dämonen in der Lage sind, auf einem Stecknadelkopf
zu tanzen. Immerhin gehören sowohl Engel als auch
Dämonen zum Geschlecht der übernatürlichen Wesen,
und letztere finden durchaus Gefallen am Tanz.*
Wenn man die Sache aus diesem Blickwinkel betrach-
tet, heißt die Antwort: ziemlich viele. Vorausgesetzt
natürlich, sie geben vorher ihre Körper auf, was für
jeden Dämon ein Kinderspiel ist. Dämonen fühlen sich
nicht an die Gesetze der Physik gebunden. Sie vertreten
die Ansicht, das Universum sei nur etwas Kleines und
Rundes, so wie die hübschen, mit Wasser gefüllten
Halbkugeln, in denen ein Miniaturschneesturm entsteht,
wenn man sie schüttelt.** Nun, aus unmittelbarer Nähe
betrachtet erscheint das Problem nicht mehr ganz so
komplex: Wer auf einem Stecknadelkopf tanzen will,
muß in erster Linie auf die großen Abstände zwischen
den einzelnen Elektronen achten.
Für Engel und Dämonen sind Größe, Form und Struk-
tur der leiblichen Existenz nur Auswahlmöglichkeiten
ohne irgendwelche Verpflichtungen.
* Allerdings verbinden sie damit andere Vorstellungen als wir. Sie
tanzen nicht, sondern hüpfen. Und springen. Mit anderen Worten: Sie
verhalten sich so wie die britischen Teilnehmer am Festival des inter-
nationalen Chansons.
** Obgleich der normalerweise obligatorische Schneemann in der win-
zigen Plastik-Landschaft fehlt - es sei denn, die göttliche Unerfindlich-

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Ein gutes Omen

keit ist noch weitaus unerfindlicher, als man gemeinhin glaubt.


Derzeit sauste Crowley enorm schnell durch eine
Telefonleitung.
RING.
Mit einem respektablen Bruchteil der Lichtgeschwin-
digkeit passierte er zwei Vermittlungsstellen. Hastur
befand sich rund zehn Zentimeter hinter ihm, doch an-
gesichts seiner gegenwärtigen Größe gewann Crowley
dadurch einen beträchtlichen Vorsprung - der natürlich
sofort schrumpfen mußte, wenn er das Telefonnetz ver-
ließ und wieder seine ursprüngliche Gestalt annahm.
Sie waren zu klein für eine akustische Verständigung,
doch Dämonen brauchen keine Schallwellen, um mit-
einander zu kommunizieren. Crowley hörte deutlich
Hasturs wütende Stimme. »Elender Wicht! Ich erwische
dich. Du kannst mir nicht entkommen!«
RING.
»Ganz gleich, welches Ziel du wählst - ich erreiche
es ebenfalls. Früher oder später geht es dir an den Kra-
gen!«
Crowley hatte in knapp einer Sekunde zwanzig
Kabel-Meilen zurückgelegt.
Hastur folgte ihm wie ein Schatten, den man nicht
abstreifen konnte. Es kommt auf genaues Timing an,
dachte Crowley. Ich muß genau den richtigen Zeitpunkt
wählen.
RING.
Das dritte Läuten. Gleich ist es soweit...
Er stoppte plötzlich und sah zu, wie der andere
Dämon an ihm vorbeischoß. Hastur wendete und...
RING.
Crowley verließ die Telefonleitung, raste durch eine
Isolierschicht aus Kunststoff und materialisierte atemlos
in seiner Wohnung.
Klick.
Der Anrufbeantworter schaltete sich ein und übermit-
telte die aufgezeichnete Botschaft. Kurz darauf erklang
ein leises Piep, und die Spulen der zweiten Kassette
drehten sich. Eine kehlige Stimme erklang. »So, jetzt hab
ich dich. He, was hat das zu be... Du verdammte
Schlange!«
Die rote Leuchtdiode an dem Gerät blinkte.
Ein und aus, ein und aus - wie ein kleines, zorniges
Auge.
Crowley bedauerte es, nicht noch mehr Weihwasser
zu haben. Er stellte sich vor, wie er das Magnetband
hineintauchte und Hasturs aufgezeichnete Existenz für
immer löschte ... Nun, Ligurs letztes Bad war bereits ge-
fährlich genug gewesen. Crowley hatte die Thermos-

file:///G|/Books/1/omen.htm (218 von 339) [16.06.2001 15:32:21]


Ein gutes Omen

flasche nur für den Notfall bereitgehalten, sich dabei


jedoch nie besonders wohl gefühlt.
Etwas anderes fiel ihm ein. Ja, vielleicht... Was ge-
schah, wenn er die Kassette nahm und sie in den Bent-
ley legte? Dann konnte er sich Hasturs Tiraden immer
wieder anhören, ohne daß irgendeine Gefahr drohte -
bis sich der Höllenfürst in Freddy Mercury verwandelte.
Crowley schüttelte den Kopf. Nein. Er mochte ein ver-
dammter und dreimal verfluchter Mistkerl sein, aber
selbst Mistkerle ließen sich nicht zu den gemeinsten
aller Gemeinheiten hinreißen.
Draußen grollte es. Ein Gewitter zog herauf.
Crowley wußte, daß er keine Zeit verlieren durfte.
Er brauchte Hilfe.
Er lief durch den Flur, erreichte kurze Zeit später die
Straße, setzte sich ans Steuer seines Bentley und fuhr so
schnell nach Westen, als seien alle Dämonen der Hölle
hinter ihm her. Was auch mehr oder weniger tatsächlich
der Fall war.
Madame Tracy hörte Mister Shadwells schlurfende
Schritte im Treppenhaus. Er ging langsamer als sonst,
blieb immer wieder stehen. Normalerweise trat er so
fest auf die Stufen, als hasse er sie alle.
Sie öffnete die Tür. Der Hexensucher-Feldwebel
lehnte am Geländer.
»Oh, Mister Shadwell«, sagte Madame Tracy. »Was ist
mit Ihrer Hand?«
»Halt dich fern von mir, Feib!« stöhnte Shadwell.
»Komm mir nicht zu nahe. Schonst fällscht du meiner
Macht zum Opfer.«
»Warum halten Sie den Arm so komisch?«
Shadwell wich fort, schob sich an der Wand entlang.
»Bleib schtehen, Isebel! Ich lehne jede Ferantwortung
ab!«
»Was in aller Welt ist mit Ihnen geschehen, Mr. Shad-
well?« fragte Madame Tracy besorgt und wollte nach
der erhobenen Hand greifen.
»Rühr mich nicht an! Schonst ferschfindest du eben-
falls!«
Schließlich gelang es der Frau, ihre Finger um den
Arm des Hexensuchers zu schließen. Shadwell, Geißel
des Bösen, versuchte vergeblich. Widerstand zu leisten,
als ihn Madame Tracy über die Türschwelle zog.
Er befand sich nun zum erstenmal in ihrer Wohnung -
wenn man von einigen geistig-visionären Ausflügen
absah. Seine Träume hatten das Apartment mit seidenen
Kissen, samtenen Vorhängen und kleinen Teufelsstatuen
ausgestattet. Zugegeben, es existierte ein Perlenschnur-
vorhang im Zugang der Kochnische, und hinzu kam

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Ein gutes Omen

eine Lampe, die an eine alte Chianti-Flasche erinnerte


(aus gutem Grund), aber ansonsten ließen sich Madame
Tracys Vorstellungen von modischem Schick mit denen
Erziraphaels vergleichen: Sie betrafen in erster Linie
die frühen fünfziger Jahre. Was den Samt anging... er
war schwarz und bedeckte den Wohnzimmertisch, auf
dem eine Kristallkugel lag - Madame Tracys zuneh-
mend wichtiger werdende Einkommensquelle.
»Ich glaube. Sie sollten sich ein wenig ausruhen, Mi-
ster Shadwell«, sagte sie in einem Tonfall, der keinen
Widerspruch duldete. Sie führte Shadwell in ihr Schlaf-
zimmer, und der Feldwebel war viel zu überrascht, um;
lautstark und temperamentvoll zu protestieren.
»Der junge Newt ischt noch immer im Einschatz«,
brachte er schließlich hervor. »Er schfebt in groscher Ge-
fahr. Heidnische Leidenschaften und okkulte Lischt be-
drohen ihn.«
»Oh, ich bin sicher, er kommt auch allein zurecht«,
erwiderte Madame Tracy unbekümmert. Vermutlich
schätzte sie Newt weitaus realistischer ein als Shadwell.
»Es würde Ihrem Mitarbeiter bestimmt nicht gefallen,
daß Sie seinetwegen ganz außer sich geraten. Hier, legen
Sie sich hin. Ich koche uns beiden Tee.«
Sie verschwand hinter dem Perlenschnurvorhang.
Shadwell litt an einem mittelschweren Nervenzusam-
menbruch, aber er hatte nicht völlig die Perspektive für
alles Wirkliche und Reale verloren. Er schauderte, als er
plötzlich begriff, daß er allein auf einem Bett der Sünde
lag - obgleich er in seinem gegenwärtigen Zustand nicht
entscheiden konnte, ob er an diesem speziellen Ort Ge-
sellschaft vorzog. Langsam wandte er den Kopf und sah
sich um.
Madame Tracys erotische Vorstellungen stammten aus
einer Zeit, als junge Männer in der sicheren Überzeu-
gung aufwuchsen, Frauen trügen aus irgendeinem
Grund Bälle unter den Blusen. Damals war Brigitte Bar-
dot noch keine Sex-Bombe, sondern höchstens eine Sex-
Knallerbse, und einschlägige Magazine trugen Titel wie
Mädchen, Mieder und Muskeln. Außerdem hatte Ma-
dame Tracy ihrem verwirrenden Refugium der Freizü-
gigkeit kleine Stofftiere hinzugefügt; offenbar glaubte sie,
damit eine besonders kokette Atmosphäre zu schaffen.
Shadwell starrte auf einen großen, abgewetzten Ted-
dybär, dem ein Auge fehlte und dessen linkes Ohr nur
noch an einigen dünnen Fäden hing. Wahrscheinlich
hieß er Bärchi oder so.
Der Hexensucher drehte den Kopf zur anderen Seite,
und sein Blick fiel auf einen kleinen Schrank, der wie ein
Hund - oder vielleicht auch ein Stinktier - geformt war.

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Ein gutes Omen

Das Ding grinste fröhlich.


»Urg«, machte Shadwell.
Erinnerungen klopften mit unerbittlicher Hart-
näckigkeit an die Tür seines Bewußtseins. Es konnte
kein Zweifel daran bestehen - ich bin eine lebende Waffe,
ständig geladen, ständig schußbereit. Soweit er wußte,
war es noch keinem anderen Hexensucher gelungen,
einen Dämon zu exorzieren. Kein einziger HA-Streiter
vor ihm hatte einen solchen Erfolg errungen, nicht ein-
mal Hexensucher-Hauptfeldwebel Narker. Nun, die
Hexensucher-Armee erlebte eine Renaissance, als sich
das Empire ausdehnte. Bei ihren vielen Gefechten be-
kamen es die britischen Truppen oft mit Medizinmän-
nern, Knochenschwingern, Schamanen und anderen
okkulten Widersachern zu tun, und deshalb griffen
sie auf die Dienste von aufrechten Kämpfern wie
HA-HFW Narker zurück. Man stelle sich einen fast
zwei Meter großen und hundertzwanzig Kilo schweren
Mann vor, der nach einem gepanzerten Buch greift,
seine Glocke aus dicker Bronze schwingt, eine stahlver-
stärkte Kerze hebt und mit lautem Gebrüll losstürmt -
ein solcher Anblick kann weitaus beeindruckender sein
als das Rattern von Revolverkanonen. Cecil Rhodos
schrieb über Narker: >Einige ferne Stämme halten ihn
für eine Art Gott, und nur ein besonders tapferer und
dummer Medizinmann verzichtet darauf, die Flucht zu
ergreifen, wenn sich HFW Narker nähert. Ich bin froh,
daß er auf meiner Seite steht, ziehe ihn sogar zwei
komplett ausgerüsteten Gurkha-Bataillonen vor.< Nar-
ker genoß den beneidenswerten Ruf, mehr Hexen als
alle seine Kollegen entlarvt zu haben. Nun, irgend-
wann findet jede Armee ihre wirkungsvollste Waffe,
und Shadwell hatte sie gerade entdeckt. Er starrte auf
das Ende seines Arms.
Zum Teufel mit dem Erstschlag-Verzicht! Shadwell
nahm sich vor, die gute Gelegenheit zu nutzen und sich
ein wenig auszuruhen. Anschließend wollte er die
Mächte der Finsternis zum Kampf stellen. Die Hölle hat
jetzt einen ebenbürtigen Gegner, dachte er mit grimmiger
Zufriedenheit.
Als Madame Tracy den Tee brachte, schnarchte Shad-
well. Taktvoll und auch dankbar schloß sie die Tür - in
zwanzig Minuten begann eine Seance, und heutzutage
mußte man jede Möglichkeit wahrnehmen, etwas Geld
zu verdienen.
Madame Tracy mochte ziemlich naiv sein, aber in ge-
wissen Dingen hatte sie einen untrüglichen Instinkt.
Zum Beispiel war sie eine Expertin auf dem Gebiet des
dilettantischen Okkultismus, m diesem Zusammenhang

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Ein gutes Omen

wußten ihre Kunden professionellen Dilettantismus zu


schätzen. Sie legten großen Wert auf das Gefühl, alles zu
verstehen. Sie wollten nichts von den multidimensiona-
len Mysterien der Raum-Zeit erfahren; nein, sie begnüg-
ten sich damit zu hören, daß es Mutter nach ihrem Tod
gut ging. Sie wünschten sich jene Art von Okkultismus,
die ein wenig (nicht zuviel) Abwechslung in ihr Leben
brachte, ohne übermäßig hohe Ansprüche zu stellen.
Für gewöhnlich genügten fünfundvierzig Minuten, ge-
folgt von Tee und Keksen.
Von seltsamen Kerzen, Gerüchen, Gesängen und my-
stischen Runen hielt kaum jemand etwas. Wenn Ma-
dame Tracy Tarockkarten legte, entfernte sie zuerst den
Tod und die anderen unangenehmen Symbole, um ihre
Besucher nicht zu verängstigen.
Und vor jeder spiritistischen Sitzung kochte sie Ro-
senkohl in der Küche. Der Duft von kochendem Rosen-
kohl wirkt beruhigend und entspricht ganz und gar der
Gemütlichkeit des englischen Okkultismus.
Es war früher Nachmittag, und dunkle Gewitterwolken
gaben dem Himmel die Farbe von altem Blei. Bestimmt
begann es bald zu regnen, und zwar ziemlich stark. Die
Feuerwehrleute erhofften sich einen regelrechten Wol-
kenbruch, je früher, desto besser.
Sie waren ziemlich schnell eingetroffen, und die
jüngeren Feuerwehrleute begannen aufgeregt damit,
Schläuche auszurollen und Äxte bereitzulegen. Ihre älte-
ren Kollegen hingegen blieben ruhig und gelassen. Sie
sahen auf den ersten Blick, daß alle Löschversuche
scheitern mußten und selbst der Regen die Rammen
kaum daran hindern konnte, auch auf die Neben-
gebäude überzugreifen. Einige von ihnen wollten ge-
rade darauf hinweisen, als ein schwarzer Bentley heran-
raste. Die Geschwindigkeit des Wagens lag jenseits der
Sechzig-Meilen-Grenze, und er kam mit einem Quiet-
schen ein paar Zentimeter vor der Mauer des Buchla-
dens zum Stehen. Ein außerordentlich nervöser Mann
mit dunkler Sonnenbrille stieg aus und rannte zur Tür
des brennenden Gebäudes.
Ein Feuerwehrmann trat ihm in den Weg.
»Sind Sie der Geschäftsinhaber?« fragte er.
»Was für ein Unsinn! Sehe ich etwa wie ein Buch-
händler aus?«
»Nun, ich weiß nicht, Sir. Das äußere Erscheinungs-
bild kann manchmal sehr irreführend sein. Nehmen Sie
mich als Beispiel. Ich bin Feuerwehrmann. Aber wer
mich in ziviler Kleidung sieht und nichts von meinem
Beruf weiß, hält mich für einen Bilanzbuchhalter oder
leitenden Angestellten. Stellen Sie sich einmal vor, ich

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Ein gutes Omen

trüge keine Uniform, Sir. Was sähen Sie dann? Seien Sie
ganz ehrlich.«
»Einen Trottel«, erwiderte Crowley und stürmte in
den Laden.
Das klingt recht einfach, aber in Wirklichkeit sah sich
Crowley unterwegs mit einigen Schwierigkeiten kon-
frontiert. Um das Geschäft zu erreichen, mußte Crowley
zehn Feuerwehrleuten, zwei Polizisten und einigen in-
teressanten Bürgern* des nächtlichen Soho ausweichen,
die früher als sonst aufgestanden waren und darüber
* In Soho sind die Schaulustigen nicht nur interessiert, sondern auch
und vor allen Dingen interessant.
diskutierten, welche Organisation die Buchhandlung in
Brand gesteckt habe. Auch das mögliche Warum bot
reichlich Gesprächsstoff.
Crowley bahnte sich einen Weg durch die Menge, die
ihm kaum Beachtung schenkte.
Er stieß die Tür auf. Rammen schlugen ihm entgegen.
Feuer, so weit der Blick reichte.
»Erziraphael!« rief der Dämon. »Erziraphael, du ... du
dummer... Erziraphael? Bist du hier?«
Keine Antwort. Crowley hörte nur das Knistern von
brennendem Papier und splitterndes Glas, als das Feuer
die Fenster im Obergeschoß zerstörte. Deckenbalken
knackten und gaben nach.
Er sah sich im Laden um und hielt verzweifelt nach
dem Engel - nach Hilfe - Ausschau.
In der einen Ecke stürzte ein langes Regal um, und die
herausfallenden Bücher gaben dem Feuer neue Nah-
rung. Überall um Crowley herum prasselte es, aber er
achtete nicht darauf. Seine Hose hatte sich entzündet. Er
löschte die Glut mit einem strengen Blick.
»Hallo? Erziraphael? Um Gottes wi... Um Him-
mels ... Um... Verdammt! Wo steckst du, Erziraphael?«
Es krachte, als eine Axt das Schaufenster zer-
trümmerte. Crowley zuckte zusammen, drehte sich um
und... Ein dicker Wasserstrahl traf ihn mitten auf die
Brust und schleuderte ihn zu Boden.
Die dunkle Sonnenbrille fiel in die Flammen, und
ihr schwarzes Kunststoffgestell floß auseinander. Crow-
ley riß gelbe Augen mit schlitzförmigen Pupillen auf.
Schaumiges Wasser tropfte an ihm herab und dampfte;
Ruß bildete eine schmierige Schicht auf seinen Wangen.
Er stemmte sich hoch, und tief in ihm brodelte es - die
Hitze seines Zorns gesellte sich der des Feuers hinzu.
Mit dämonischer Leidenschaft verfluchte er Erziraphael,
Seine Erhabenheit und schließlich auch Oben und Unten.
Dann senkte er den Kopf und sah Es. Das Buch. Jenes
Buch, das die junge Frau aus Tadfield am Mittwochabend

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Ein gutes Omen

im Wagen vergessen hatte. Es war an einigen Stellen an-


gesengt, ansonsten jedoch in einem erstaunlich guten Zu-
stand. Crowley hob es auf, stopfte es in die Jackentasche,
erhob sich und klopfte Asche von der Hose.
Über ihm gab die Decke nach. Es donnerte ohren-
betäubend laut; das ganze Gebäude schüttelte sich und
stürzte ein. Es regnete Ziegelsteine, halb verkohltes Holz
und brennende Trümmer.
Draußen drängte die Polizei alle Schaulustigen zu-
rück, und ein Feuerwehrmann sprach mit jedem, der
ihm zuhörte. »Ich konnte ihn nicht aufhalten. Er muß
verrückt gewesen sein. Oder betrunken. Lief einfach ins
Haus. Ich wollte ihn daran hindern, aber der Kerl rannte
an mir vorbei. Total verrückt. Stürmte in den Laden.
Einfach so. Ein schrecklicher Tod. Schrecklich, ja, wirk-
lich schrecklich. Lief einfach rein...«
Dann trat Crowley aus den Flammen.
Die Polizisten und Feuerwehrleute starrten ihn an, be-
merkten seinen Gesichtsausdruck und rührten sich nicht
von der Stelle.
Der Dämon nahm am Steuer seines Bentley Platz,
setzte auf die Straße zurück, wendete und fuhr in die
Dämmerung des Nachnuttags, in Richtung Wardour
Street.
Die Uniformierten sahen dem schwarzen Wagen nach,
und schließlich räusperte sich ein Polizist. »Bei diesem
Wetter sollte er eigentlich die Scheinwerfer einschalten«,
murmelte er.
Einer der Feuerwehrmänner nickte benommen. »Ins-
besondere wenn er so schnell fährt. Könnte gefährlich
werden.« Sie standen im heißen, flackernden Licht der
brennenden Buchhandlung und fragten sich, was mit
einer Welt geschah, die sie bisher verstanden hatten.
Ein blauweißer Blitz zuckte über einen Himmel, der
aus dunklen Wolken bestand; es folgte ein Donnern, so
laut, daß es in den Ohren schmerzte, und Regen setzte
ein.
Sie fuhr ein rotes Motorrad. Es war kein freundliches
Honda-Rot, sondern ein finsteres, unheilvolles, blutiges
Rot. Ansonsten handelte es sich um ein ganz normales
Motorrad, sah man einmal von dem Schwert ab, das in
einer Scheide steckte, die an der einen Seite der Ma-
schine befestigt war.
Ihr Helm glänzte in einem scharlachfarbenen Ton, die
Lederjacke in der Farbe von altem Wein. Auf der Rück-
seite bildeten rubinrote Lettern die beiden Worte HELL'S
ANGELS.
Zehn nach eins an einem dunklen, schwülen und reg-
nerischen Nachmittag. Auf der Autobahn herrschte nur

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Ein gutes Omen

wenig Verkehr, und die Frau in Rot raste mit ihrem


roten Motorrad über den Asphalt. Unter ihrem Helm lä-
chelte sie zufrieden.
Bisher gab es keinen Grund zur Klage. Von einer
schönen Frau auf einer schweren Maschine, an der ein
Schwert befestigt ist, gehen gewisse freudianische Si-
gnale aus, die eine erhebliche Wirkung auf bestimmte
Männer haben. Vier Handlungsreisende hatten sich auf
ein Rennen mit der Frau eingelassen. Die Folge: Di-
verse Ford Sierra-Wrackteile schmückten Leitplanken
und Brückenpfeiler auf einer Strecke von vierzig Mei-
len.
Sie bog ab, hielt auf einem Rastplatz und betrat das
Restaurant. Fast alle Tische waren besetzt. Eine gelang-
weilte Kellnerin stopfte Socken hinter dem Tresen, und
mehrere in schwarzes Leder gekleidete Motorradfah-
rer - Sie kennen den Typ sicher: cool, lange Haare,
schmutzig und groß - standen hinter einem noch größe-
ren Burschen, der einen langen schwarzen Mantel trug,
Seine Aufmerksamkeit galt einem Gerät, das in der
guten alten Zeit ein Spielautomat gewesen wäre. Doch
der technische Fortschritt hatte es mit einem Bildschirm
ausgestattet und dem Apparat einen anderen Namen
gegeben. Er hieß >Gewinnen Sie mit Ihrem Wissen<.
Die Zuschauer machten Bemerkungen wie:
»D ist richtig! Drück D... Der Pate hat bestimmt mehr
Oscars bekommen als Vom Winde verweht!«
Und:
»Puppet on a String! Sandie Shaw! Im Ernst. Ich bin
völlig sicher!«
Und:
»1666!«
»Nein, du Hirni! Du meinst den Großen Brand! Die
Seuche brach im Jahre 1665 aus!«
Und sogar:
»Ich bin für B. Die Chinesische Mauer gehört nicht zu
den sieben Weltwundem!«
Es gab vier Auswahlmöglichkeiten: Popmusik, Sport,
Aktuelles und Allgemeinwissen. Der große Motorrad-
fahrer - er hatte den Helm nicht abgenommen -
betätigte nacheinander die verschiedenen Tasten und
achtete nicht auf die vielen Ratschläge. Trotzdem - oder
vielleicht gerade deshalb - gewann er ständig.
Die Frau in Rot näherte sich dem Tresen.
»Eine Tasse Tee, bitte«, sagte sie. »Und ein Sandwich.«
»Ganz allein unterwegs. Teuerste?« fragte die Kellne-
rin, füllte eine Tasse mit Tee und legte etwas Weißes,
Trockenes und Hartes auf einen Teller.
»Ich warte auf Freunde.«

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Ein gutes Omen

»Ah«, erwiderte die Kellnerin klug und biß einen


Faden durch. »Nun, Sie sollten hier drin warten. Dort
draußen ist die Hölle los.«
»Nein«, widersprach Red. »Noch nicht.«
Sie nahm an einem Fenstertisch Platz, von dem aus sie
den ganzen Parkplatz überblicken konnte. Und sie war-
tete.
Geistesabwesend lauschte sie den Stimmen der Video-
spieler.
»He, die Frage is' neu. >Wie viele offiziell erklärte
Kriege gab es seit 1066 zwischen England und Frank-
reich?^
»Zwanzig? Nee, zwanzig is' völlig ausgeschlossen
Oh. Es stimmt. Hätte ich nie für möglich gehal-
ten.«
»Der Krieg zwischen Amerika und Mexiko? Darauf
weiß ich die Antwort. Juni 1845. >D< - na bitte! Was hab
ich euch gesagt?«
Der zweitkleinste Motorradfahrer, Schweini (184 cm),
wandte sich an den kleinsten, Schmierer (183 cm), und
flüsterte:
»Wo ist >Sport< geblieben?« Auf die Fingerknöchel der
linken Hand war LIEBE tätowiert, auf die der rechten
HASS.
»Wahrscheinlich liegt's an dem Zufalls-Dingsbums.
Generator, glaube ich. Obwohl es eigentlich gar kein Ge-
nerator ist, sondern 'n Mikrochip. Wahrscheinlich stehen
Millionen von verschiedenen Themen zur Auswahl, und
sie sin' alle im RAM gespeichert.« Bei Schmierer sahen
die Tätowierungen etwas anders aus: Die linke Hand
verkündete POMMES, die rechte FRITES.
»Popmusik, Aktuelles, Allgemeinwissen und Krieg.
Komisch. >Krieg< sehe ich jetzt zum erstenmal. Kann
mich überhaupt nicht an diese Rubrik erinnern.«
Schweini ließ laut die Knöchel knacken und öffnete eine
Bierdose. Er leerte sie zur Hälfte, rülpste hingebungsvoll
und seufzte. »Wenn diese Dinger doch nur mehr Bibel-
fragen stellen würden...«
»Warum?« fragte Schmierer überrascht. Er hatte gar
nicht gewußt, daß sich Schweini mit der Bibel aus-
kannte.
»Weil... Nun, erinnerste dich an die blöde Sache in
Brighton?«
»Oh, klar.« Schmierer nickte. »Du warst auf Be-
währung, nich' wahr?« Es klang fast neidisch.
»Tja, ich mußte in der Bude bleiben, wenn meine
Mutter zur Arbeit ging, weißtenoch? Drei Monate. Und
die einzige Lektüre eine verdammte Gideon-Bibel. Die
blöden Psalmen und so bleiben einem im Gehirn kle-

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Ein gutes Omen

ben.«
Ein anderes Motorrad fuhr auf den Parkplatz. Pech-
schwarzer Lack funkelte.
Kurz darauf schwang die Tür des Restaurants auf, und
kalter Wind wehte herein. Ein Mann - er trug schwarzes
Leder und hatte einen kurzen schwarzen Bart - trat an
den Fenstertisch heran und setzte sich neben die Frau in
Rot. Die Burschen an der Videokonsole spürten plötzlich,
wie hungrig sie waren, und Skuzz bekam den Auftrag,
für alle was Eßbares zu besorgen. Für alle - abgesehen
vom Spieler, der noch immer schwieg, immerzu die rich-
tigen Tasten drückte und stumm beobachtete, wie Mün-
zen in den Gewinnkasten rasselten.
»Wir haben uns eine Ewigkeit nicht mehr gesehen«,
sagte Red. »Wie läuft's?«
»Ich bin ziemlich beschäftigt gewesen«, entgegnete
Black. »Habe viel Zeit in Amerika verbracht. Ein paar
Weltreisen und so. Zur Entspannung.«
(»Was soll das heißen. Sie haben keine Steaks und
Nierenpastete?« fragte Skuzz empört.
»Bis eben dachte ich, wir hätten noch welche«, erwi-
derte die Kellnerin.)
»Ist doch eigenartig, daß wir uns jetzt wieder treffen«,
sagte Red.
»Eigenartig?«
»Nun, du weißt schon. Tausende von Jahren lang
haben wir auf den großen Tag gewartet, und jetzt hat er
endlich begonnen. Es ist wie mit der Vorfreude auf
Weihnachten oder den Geburtstag.«
»Wir haben keinen Geburtstag.«
»Es lag mir fern, das Gegenteil zu behaupten. Ich
wollte nur erklären, wie es sich anfühlt.«
(»Es sieht so aus, als seien unsere Vorräte ganz plötz-
lich zur Neige gegangen«, fügte die Kellnerin hinzu.
»Ich kann Ihnen nur noch dieses Stück Pizza anbieten.«
»Mit Sardellen?« fragte Skuzz mürrisch. Weder er
noch seine Kumpel mochten Sardellen. Und Oliven
konnten sie erst recht nicht ausstehen.
»Ja, Teuerster. Mit Sardellen und Oliven. Möchten Sie
das Ding?«
Skuzz schüttelte traurig den Kopf. Sein Magen
knurrte, als er zu den anderen zurückkehrte. Big Ted
war immer sehr gereizt, wenn er Hunger hatte. Und
wenn Big Ted gereizt war, verteilte er großzügige Por-
tionen seines Ärgers.)
Eine neue Kategorie erschien auf dem Videoschirm.
Man konnte jetzt zwischen Popmusik, Aktuellem, Hun-
ger und Krieg wählen. Schweini und seine Gefährten
schienen ein wenig überfordert zu sein, als es um die iri-

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Ein gutes Omen

sche Kartoffelkrise von 1846, die englische Alleskrise


von 1315 und die kalifornische Marihuanakrise von 1969
ging, die San Francisco besonders schwer traf. Aber der
Spieler gab weiterhin die richtigen Antworten, und eine
Zeitlang erklang nur das metallene Husten, mit dem der
Apparat Ein-Pfund-Münzen ausspuckte.
»Im Süden verschlechtert sich das Wetter«, sagte Red.
Black beobachtete die dunklen Wolken. »Alles be-
stens. Ein Gewitter zieht heran. Ausgezeichnet.«
Red betrachtete ihre Fingernägel. »Ah, gut. Ein or-
dentliches Gewitter gehört einfach dazu. Hast du eine
Ahnung, wie weit wir fahren müssen?«
Black hob die Schultern. »Ein paar hundert Meilen.«
»Ich dachte, die Reise sei länger. Ich meine, haben wir
wirklich sechstausend Jahre lang gewartet, nur um ein
paar hundert Meilen zurückzulegen?«
»Die Entfernung spielt keine Rolle«, erklärte Black.
»Es kommt darauf an, zum richtigen Zeitpunkt zur
Stelle zu sein.«
Draußen röhrte etwas. Es war das Röhren eines Mo-
torrads mit defektem Auspuff, falsch eingestellter Zün-
dung und undichtem Vergaser. Man brauchte die Ma-
schine gar nicht zu sehen, um sich dichte Qualmwolken,
tropfendes Öl und kleine Schrauben vorzustellen, die sie
ständig auf den Straßen verlor.
Black ging zum Tresen.
»Vier Tassen Tee, bitte«, sagte er. »Einmal schwarz.«
Erneut öffnete sich die Tür des Restaurants. Ein jun-
ger Mann in verstaubter weißer Lederkleidung trat ein,
und der böige Wind gab ihm eine Eskorte aus leeren
Tüten, Zeitungsfetzen und klebrigem Bonbonpapier. Die
Abfälle tanzten wie aufgeregte Kinder zu seinen Füßen,
sanken dann erschöpft zu Boden.
»Sie sind zu viert, nicht wahr. Teuerster?« fragte die
Kellnerin. Sie versuchte, einige saubere Tassen und Löffel
zu finden - die Regale hinter dem Tresen hatten plötzlich
eine Patina aus Motoröl und hartem Eigelb angesetzt.
»Bald«, sagte der Mann in Schwarz und brachte den
Tee zum Tisch am Fenster.
»Ist er bereits aufgetaucht?« fragte White.
Red und Black schüttelten den Kopf
In der Videoecke kam es zu einer verbalen Auseinan-
dersetzung. (Der Schirm zeigte inzwischen die Katego-
rien Krieg, Hunger, Umweltverschmutzung und Pop-
musik von 1962 bis 1979.)
»Elvis Presley? Er ist... äh, 1977 abgekratzt, nicht
wahr?«
»Nee. >D.< 1976. Glaubt mir.«
»Klar. Im gleichen Jahr wie Bing Crosby.«

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Ein gutes Omen

»Und Marc Bolan. Hatte echt was drauf. Drück D.


Worauf wartest du noch?«
Die hochgewachsene Gestalt im schwarzen Mantel
machte keine Anstalten, irgendeine Taste zu betätigen.
»Was ist los mit dir?« knurrte Big Ted. »Du willst doch
nicht etwa aufhören, oder? Drück auf D. Elvis Presley
starb 1976.«
DAS BEZWEIFLE ICH, sagte die große Gestalt, die noch
immer den Helm trug. ICH BIN IHM NIE BEGEGNET.
Die drei Wartenden am Tisch drehten synchron den
Kopf. Red erholte sich als erste von ihrer Überraschung.
»Bist du schon lange hier?« fragte sie.
Der hochgewachsene Mann trat an den Tisch und be-
achtete weder die verwirrten Motorradfahrer am Video-
spiel noch seinen beträchtlichen Gewinn. ICH WAR NIE
WEG, erwiderte er. Die Stimme war wie ein dunkles Echo
aus dunkelster Finsternis, klang so, als riebe man zwei
dicke Granitbrocken aneinander. Sie kam dem akusti-
schen Äquivalent eines Steins gleich, in den man vor
langer Zeit einen Namen gemeißelt hatte. Einen Namen
und zwei Datumsangaben.
»Dein Tee wird kalt«, sagte Hunger.
»Wir haben uns lange nicht gesehen«, bemerkte Krieg.
Ein Blitz zuckte, und gleichzeitig grollte dumpfer
Donner.
»Herrliches Wetter«, stellte Umweltverschmutzung
fest. »Genau richtig.«
JA.
Die Motorradfahrer standen noch immer an der Vi-
deokonsole, und ihre Verblüffung wuchs. Schließlich
gab sich Big Ted einen Ruck, führte seine Kumpel zum
Tisch und musterte die Vier.
Es entging seiner Aufmerksamkeit nicht, daß drei
Jacken und ein Mantel den Schriftzug Hell's Angels tru-
gen. Was in einem auffallenden Kontrast zum Erschei-
nungsbild der Vier stand. Zuerst einmal: Sie wirkten viel
zu sauber. Und: Sie erweckten gar nicht den Eindruck,
als seien sie fähig, an einem langweiligen Sonntagnach-
mittag jemanden den Arm zu brechen, nur weil nichts
Interessantes im Fernsehen lief. Was die Frau betraf...
Sie nahm nicht etwa auf irgendeinem Soziussitz Platz,
sondern fuhr ihre eigene Maschine. Wer gab ihr eigent-
lich das Recht dazu?
»Ihr seid also Hell's Angels?« fragte Big Ted und
machte keinen Hehl aus seinem Sarkasmus. Wenn echte
Hell's Angels etwas nicht ausstehen können, so sind es
Wochenend-Rocker.*
* Es gibt noch viele andere Dinge, die echte Hell's Angels nicht aus-
stehen können. Dazu gehören: Polizei, Seife, Range Rover und - in Big

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Ein gutes Omen

Teds Fall - Sardellen und Oliven.


Die Vier nickten.
»Woraus seid ihr denn entsprungen?« fügte Big Ted
spöttisch hinzu.
Der große Fremde sah ihn an. Und erhob sich. Es war
eine sehr komplizierte Bewegung. Wenn man an den
Stranden des Meeres der Nacht Liegestühle verlieh, so
klappte man sie vermutlich auf diese Art und Weise aus-
einander.
Der Mann mit dem langen Mantel schien sich zu ent-
falten.
Sein dunkler Helm verbarg die Gesichtszüge, und das
Ding bestand offenbar aus irgendeinem seltsamen
Kunststoff, fand Big Ted. Wenn man ihn betrachtete, sah
man nur sich selbst.
DIE OFFENBARUNG, Sagte er. KAPITEL SECHS.
»Verse zwei bis acht«, fügte der Junge ganz in Weiß
hinzu.
Big Ted kniff die Augen zusammen und schob das brei-
te Kinn vor. An seiner Schläfe schwoll eine dünne blaue
Ader an. »Was soll'n das bedeuten?« fragte er scharf.
Jemand zupfte ihn am Ärmel. Schweini. Die Wangen
unter seinen Dreckkrusten waren blaß.
»Es bedeutet, daß wir in Schwierigkeiten sind«, sagte
er.
Der große Fremde hob die Hand - sie steckte in einem
grau-schwarzen Motorradhandschuh - und klappte das
Visier seines Helms hoch. Zum ersten Mal seit den
frühen Jahren seiner Kindheit wünschte sich Big Ted, ein
besseres Leben geführt zu haben.
»Jesus Christus!« stöhnte er.
»Ich glaube, er könnte jeden Augenblick eintreffen«,
entruhr es Schweini. »Wahrscheinlich sucht er gerade
nach einem Parkplatz für seine Maschine. Ah, ich
schlage vor, wir brechen auf und... und fahren zu den
Pfadfindern oder so ...«
Doch Big Ted schützte sich weiterhin mit einer Rü-
stung aus Ignoranz. Er rührte sich nicht von der Stelle.
»Donnerwetter«, sagte er. »Hell's Angels.«
Krieg winkte kurz.
»Da hast du völlig recht. Big Ted«, sagte sie. »Wir sind
Hell's Angels. Im wahrsten Sinne des Wortes.«
Hunger nickte. »Wir könnten gar nicht echter sein«,
betonte er.
Umweltverschmutzung nahm den Helm ab und
schüttelte das lange weiße Haar. Er hatte die Nachfolge
von Pestilenz angetreten, als sie sich im Jahr 1936, nach
der Erfindung des Penizillins, in den Ruhestand zurück-
zog. Er hielt die Zukunft für recht vielversprechend und

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Ein gutes Omen

bedauerte fast, daß sie so schnell enden sollte. Es gab


noch immer einige Dinge auf der Erde, die man ver-
schmutzen konnte. Seen, die auf ungeklärte Abwässer
warteten, die letzten gesunden Wälder.
Er seufzte. »Andere nehmen die Aufträge entgegen.
Wir führen sie aus.«
Big Ted maß den vierten apokalyptischen Reiter mit
einem erstaunten Blick. Ȁh, ich hab dich schon einmal
gesehen«, sagte er. »Auf dem Cover eines Blue Oyster
Cult-Albums. Und ich besitze einen Ring mit, qh, mit
deinem Kopf drauf.«
ICH BIN ÜBERALL.
»Dunnerschlach.« Big Ted schnitt eine Grimasse, als er
nachzudenken versuchte.
»Was fürne Maschine fährst du?« fragte er.
Der Sturm heulte im Steinbruch, und das Seil mit dem
alten Autoreifen schwang hin und her. Manchmal lösten
sich Wellblechstücke - Relikte des Versuchs, ein Baum-
haus zu bauen - aus ihren unsicheren Verankerungen
und segelten davon.
Die Sie drängten sich zusammen und starrten Adam
an. Er wirkte jetzt irgendwie größer. Hund hockte sich
nieder, knurrte und dachte an all die herrlichen
Gerüche, auf die er bald verzichten mußte. In der Hölle
stank es immer nur nach Schwefel. Außerdem gab es
dort nur wenig Abwechslung. Zum Beispiel fehlten, äh,
Hündinnen.
Adam wanderte aufgeregt umher und gestikulierte
ausladend.
»Es wird ganz toll«, verkündete er. »Denkt nur daran,
was wir alles erforschen können. Bestimmt schaffe ich es
bald, neue Dschungel wachsen zu lassen...«
»Aber wer...«, begann Brian mit zittriger Stimme.
»Ich meine, wer kümmert sich um das Kochen und Wa-
schen und den übrigen Kram?«
»Keiner braucht sich mehr mit solchen Arbeiten abzu-
rackern«, versprach Adam. »Du bekommt alles, was ihr
wollt. Haufenweise Kartoffelchips und geröstete Zwie-
beln und so. Niemand wird euch zwingen, neue Kla-
motten anzuziehen, zur Schule zu gehen oder zu baden.
Niemand zwingt euch zu irgendwas. Ihr könnt tun und
lassen, was ihr wollt. Das wird herrlich verrückt sein.«
Über den Kookamundi-Bergen ging der Mond auf. Es
war eine besonders helle Nacht.
Johnny Zweiknochen saß im roten Wüstensand. Er
befand sich an einem heiligen Ort: Zwei Ahnen-Felsen,
in der Traumzeit geschaffen, ragten vor ihm auf, unver-
änderliche Klippen im Ozean der Ewigkeit. Johnny
Zweiknochen hatte die lange, traditionelle Wanderschaft

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Ein gutes Omen

durch den Busch hinter sich gebracht und beschmierte


sich Brust und Wangen mit rotem Ocker. Er sang ein
altes Lied (dabei handelte es sich um eine Art Gesangs-
karte der Berge), hob seinen Speer und zeichnete Sym-
bole in den Staub.
Seit zwei Tagen hatte er weder gegessen noch geschla-
fen. Seine Gedanken trieben nun der Trance entgegen,
die ihn mit dem Busch vereinte und es ermöglichte, eine
Verbindung zu den Vorfahren herzustellen.
Es dauerte jetzt nicht mehr lange.
Nur noch wenige Sekunden...
Er blinzelte. Und sah sich verwirrt um.
»Entschuldigen Sie bitte, mein Herr«, sagte er laut zu
sich selbst und hörte überrascht, wie deutlich und gut
artikuliert er sprach. »Wissen Sie zufällig, wo ich bin?«
»Wer fragt das?« erwiderte Johnny Zweiknochen.
Sein Mund klappte auf: »Ich.«
Johnny kratzte sich nachdenklich am Kopf. »Ich
nehme an, du bist einer meiner Vorfahren, stimmt's?«
»Oh. Natürlich. Zweifellos. Ja. In gewisser Weise. Kommt
ganz darauf an, aus welchem Blickwinkel man die Sache
sieht. Nun, wenn wir jetzt zu meiner Frage zurückkehren
könnten... Wo bin ich?«
»Aber wenn du wirklich einer meiner Vorfahren bist...«
sagte Johnny Zweiknochen langsam. »Wieso redest du
dann wie ein Lackaffe aus Sydney?«
»Ah, Australien«, sagte Johnny Zweiknochens Mund
und formulierte die letzten Silben so, als müßten sie erst
desinfiziert werden. »Meine Güte. Nun, besten Dank.«
»Hallo?« fragte Johnny. »Hallo?«
Er saß im Sand und wartete. Er wartete sogar noch
etwas länger. Aber er bekam keine Antwort.
Erziraphael hatte seine Reise bereits fortgesetzt.
Citron Deux-Chevaux galt als ton ton macoute, als reisen-
der Houngan-Magier oder Priester. Voodoo ist eine recht
interessante Religion für die ganze Familie, selbst für jene
lieben Verwandten, die man bereits zu Grabe getragen
hat. Citrons Rucksack enthielt: mehrere magische und
medizinische Pflanzen, einige Katzenpfoten, schwarze
Kerzen, ein Pulver, das hauptsächlich aus den Schuppen
bestimmter getrockneter Fische gewonnen wurde, einen
toten Tausendfüßler, eine Hasche Chivas Regal, zehn Zi-
garetten und das Buch Wie's auf Haiti zugeht.
Er griff nach dem Messer, setzte zu einem routinierten
Schnitt an und trennte den Kopf eines jungen Hahns
vom Hals. Blut strömte über Citrons rechte Hand.
»LÖß erfülle mich«, intonierte er. »Gros Bon Ange
komme zu mir.«
»Wo bin ich?« sagte er.

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Ein gutes Omen

»Bist du mein Gros Don Ange?« erkundigte er sich.


»Ich glaube, das ist eine sehr persönliche Frage«, antwor-
tete er. »Ich meine, du verstehst schon. Man gibt sich Mühe,
nicht wahr? Ja, ah, man versucht es immer wieder. Sozusa-
gen.«
Citron beobachtete, wie sich seine linke Hand dem
Hahn zuwandte. »Ein ziemlich unhygienischer Ort fürs
Abendessen, finden Sie nicht? Mitten im Dschungel. Wir ver-
anstalten wohl eine kleine Grillparty, was? Wie heißt dieser
Ort?«
»Haiti«, antwortete er.
»Verdammt.« Erziraphaels dritter Ruch innerhalb kur-
zer Zeit. Er kam langsam in Übung. »Die Entfernung ist
noch immer sehr groß. Aber es könnte schlimmer sein. Tja,
muß mich jetzt wieder auf den Weg machen. Bis dann.«
Und Citron Deux-Chevaux war allein in seinem Kopf.
»Loas sei verflucht«, murmelte er, starrte eine Zeitlang
ins Leere, nahm dann seinen Rucksack und holte die
Flasche Chivas hervor. Es gibt mindestens zwei Mög-
lichkeiten, jemanden in einen Zombie zu verwandeln.
Citron entschied sich für die leichtere.
Das Donnern der Brandung wurde lauter. Die Palmen
neigten sich hin und her.
Ein Sturm zog herauf
Scheinwerfer flammten auf. Der Evangelische Chor von
Power Cable (Nebraska) begann mit dem Lied > Jesus ist
der Vermittler in der Telefonzentrale meines Lebens<.
Den enthusiastischen Stimmen gelang es fast, das Heu-
len des Windes zu übertönen.
Marvin 0. Beteviel rückte die Krawatte zurecht, über-
prüfte das professionelle Lächeln in einem Spiegel, klopfte
seiner persönlichen Assistentin auf den Po (Miß Cindi
Kellerhals, Penthouse Pet im Juli vor drei Jahren; aber sie
zog einen Schlußstrich unter diese Vergangenheit, als sie
mit Der Karriere begann) und betrat das Studio.
»/es«s unterbricht die Verbindung nicht, bevor das Gespräch
beendet ist.
Bei ihm sind immer alle Leitungen frei.
Und wenn die Rechnung kommt, fehlt nie die Angabe der
Gebühreneinheiten.
Er ist der Vermittler in der Telefonzentrale meines Lebens«,
sang der Chor. Marvin war stolz auf dieses Lied. Der
Text stammte von ihm.
Sein Werk als Komponist umfaßte bekannte Titel wie:
>Fröhlicher Herr Jesus<, >Jesus, kann ich kommen und an
deinem Kamin Platz nehmen?<, >Das alte feurige Kreuz<,
>Jesus ist der Aufkleber an der Stoßstange meiner Seele<
und >Wenn mich Entzücken packt, so übernimm das
Steuer meines Cadillac<. Sie waren im Album Jesus ist

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Ein gutes Omen

mein bester Kumpel zusammengefaßt (LP, Kassette und


CD); Beteviels Radio- und Fernsehsender brachten alle
vier Minuten entsprechende Werbespots.*
Der Text zeichnete sich durch einen bemerkenswerten
Mangel an Reimen aus und ergab überhaupt keinen
Sinn. Außerdem hatte Marvin die Melodien von alten
Country-Songs >ausgeliehen<. Dennoch verkaufte sich
Jesus ist mein bester Kumpel prächtig: Bisher waren vier
Millionen LPs, Kassetten und CDs an den Mann (besser
gesagt: die Frau) gebracht worden.
Marvin hatte als Country-Sänger begonnen und alten
Liedern von Conway Twitty und Johnny Cash zu einer
Renaissance verholten.
Er gab sogar regelmäßige Live-Konzerte in San Quen-
tin und anderen Gefängnissen - bis ihm die Bürger-
rechtsbewegung vorwarf, die Häftlinge grausam miß-
handelt zu haben.
Marvin nahm dies zum Anlaß, sich der Religion zu-
zuwenden. Gemeint ist hier nicht etwa die stille persön-
* LP oder Kassette 12,95 $, die CD zu 24,95 $. Allerdings bekommen
Sie für jede 500 $-Spende an Marvin Beteviels Mission eine Gratis-LP.
liehe Frömmigkeit, die gute Taten und ein besseres, sün-
denfreies Leben erfordert. Marvin begnügte sich nicht
einmal damit, sich in einen dezenten Anzug zu kleiden
und an den Türen von fremden Leuten zu klingeln, um
ihnen Erleuchtung anzubieten. Nein, er gründete eine
eigene Fernsehstation und brachte seine nach Absolu-
tion und Hoffnung lechzenden Mitmenschen dazu, ihm
Geld zu schicken.
In seiner TV-Show Marvins Stund', jetzt geht's rund
(>Religion soll auch Spaß machen<) bot er genau die rich-
tige Mischung an. Vier drei Minuten lange Lieder von
der LP, zwanzig Minuten Höllenfeuer und dreihundert
Sekunden Wunderheilungen. (Die restlichen dreiund-
zwanzig Minuten nutzte Beteviel, um zu schwatzen, zu
betteln, zu drohen und zu flehen; manchmal bat er sein
Publikum auch ganz offen und direkt um Geld.) Am
Anfang hatte er Kranke ins Studio geholt, um sie vor
den Kameras von ihren Leiden zu befreien, was jedoch
zu einigen Problemen geführt hatte. Schließlich be-
schränkte er sich darauf, Briefe des Publikums zu er-
wähnen (>Sie enthalten die heilige Wahrheit<), in denen
Zuschauer berichteten, während der Sendung auf wun-
dersame Weise geheilt worden zu sein. Auf diese Weise
ergaben sich weniger Schwierigkeiten: Er brauchte keine
Schauspieler mehr zu engagieren, und niemand konnte
seine Erfolgsquote überprüfen.*
Die Welt ist viel komplizierter, als die meisten Men-
schen glauben. Zum Beispiel nahmen viele Leute an,

file:///G|/Books/1/omen.htm (234 von 339) [16.06.2001 15:32:22]


Ein gutes Omen

Marvin sei kein wahrer Gläubiger, weil er mit seinem


Glauben viel Geld verdiente. Sie irrten sich. Er glaubte
mit der ganzen Kraft seines Herzens. Er glaubte und gab
eine Menge des eingehenden Geldes dafür aus, was er
für Arbeit im Dienste des Herrn hielt.
* Es hätte Marvin vielleicht erstaunt zu erfahren, daß er tatsächlich Er-
folge erzielte. Manche Leute brauchen nur ein wenig Zuspruch, um
sich besser zu fühlen.
»Die Telefonleitung zum Heiland ist immer frei von
Störungen.
Mann kann ihn Tag und Nacht erreichen.
Und wenn Sie J-E-S-U-S wählen, werden keine Gebühren
berechnet.
Er ist der Vermittler in der Telefonzentrale meines Lebens.«
Damit endete das erste Lied. Marvin trat vor die Kame-
ras, hob die Arme und bat mit einer bescheidenen Geste
um Ruhe. Der Fernsehtechniker am Pult betätigte einen
Schieberegler, woraufhin der Applaus gehorsam ver-
klang.
»Danke, Brüder und Schwestern, vielen Dank, das
war doch wunderbar, nicht wahr, und denkt daran, daß
ihr diesen und andere Songs jederzeit hören könnt, ihr
braucht nur Jesus ist mein bester Kumpel zu kaufen, wählt
einfach 0800-BAR und gebt gleich eine Bestellung auf.«
Marvin wurde etwas ernster.
»Brüder und Schwestern, ich habe eine Botschaft für
euch, eine wichtige Botschaft vom Herrn, für euch alle,
für jeden Mann, jede Frau und jedes Kind. Freunde, ich
möchte euch von der Apokalypse erzählen. Es steht in
der Bibel, in der Offenbarung, die Johannes auf Patmos
von unserem Herrn erhielt. Und auch der Prophet Da-
niel berichtet davon. Der Herr nimmt kein Blatt vor den
Mund, wenn es um die Zukunft geht. Freunde. Nun,
was haben wir zu erwarten?
Krieg. Pest. Hungersnot. Tod. Meere aus Blut. Verhee-
rende Erdbeben. Atomraketen. Oh, schreckliche Zeiten
stehen uns bevor, Brüder und Schwestern. Und es gibt
nur eine Möglichkeit, dem Unheil zu entgehen.
Bevor die Katastrophe beginnt - bevor die vier Reiter
der Apokalypse aufbrechen, bevor nukleare Spreng-
köpfe auf die Ungläubigen herabregnen -, kommt das
Entzücken.
Ich höre euch rufen: Was ist das Entzücken?
Wenn das Entzücken kommt, Brüder und Schwestern,
werden alle wahren Gläubigen aufsteigen, es spielt
keine Rolle, womit ihr gerade beschäftigt seid, ihr könnt
in der Badewanne liegen, arbeiten, euren Wagen fahren
oder einfach im Wohnzimmer sitzen und die Bibel lesen.
Plötzlich schwebt ihr hoch über der Erde und habt einen

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Ein gutes Omen

vollkommen unzerstörbaren Körper. Ja, hoch über der


Welt gleitet ihr dahin und beobachtet, wie sie der Zer-
störung anheimfällt. Nur die Gläubigen werden errettet,
nur diejenigen von euch, die wiedergeboren sind, entge-
hen der Qual, dem Tod, dem grauenvollen Entsetzen
und den lodernden Flammen. Und dann beginnt der
Krieg, zwischen Himmel und Hölle, und der Himmel
wird die Heerscharen der Hölle vernichten, und Gott
wird die Tränen der Leidenden fortwischen, und an-
schließend gibt es weder Tod noch Kummer oder
Schmerz, oder Seelenqual, und Er wird in Ruhm und
Glorie erstrahlen, für immer und ewig...«
Marvin unterbrach sich plötzlich.
»Tja, klingt gut«, fuhr er mit einer anderen Stimme
fort. »Ich fürchte nur, die Wirklichkeit sieht ein wenig anders
aus.
Ich meine, mit dem Feuer und dem Krieg und so haben Sie
völlig recht. Aber die Sache mit dem Entzücken... Nun,
wenn Sie alle Engel im Himmel sehen könnten, Myriaden von
enggeschlossenen Reihen, die nur auf den Einsatzbefehl war-
ten, zahllose Legionen, ausgestattet mit hübschen Flammen-
schwertern und... Nun, ich meine, wer hat Zeit, sich um
irgendwelche Menschen zu kümmern und sie über der Welt
schweben zu lassen, auf daß sie beobachten, wie die übrige
Menschheit der Strahlenkrankheit zum Opfer fällt, wie sie auf
der verheerten Erde verbrennt? Ganz abgesehen davon, daß
man moralische Einwände gegen ein solches Spektakel erheben
könnte.
Und was den angeblich unvermeidlichen Sieg des Himmels
betrifft... Nun, um ganz ehrlich zu sein: Wenn der Ausgang
des Letzten Gefechts bereits feststünde, brauchte es eigentlich
gar nicht stattzufinden, oder? Es ist reine Propaganda, weiter
nichts. Tja, die Chancen stehen fifty-fifty, daß wir dem Teufel
eins auswischen und anschließend die Siegesfahne schwingen.
Sie könnten sich jetzt gleich an ein satanisches Wettbüro wen-
den und auf die eine oder andere Seite setzen. Wobei Sie sich
allerdings keinen falschen Hoffnungen hingeben sollten - ver-
mutlich bekommen Sie kaum eine Möglichkeit, ihren Gewinn
später einzustreichen. Wenn es Feuer regnet und sich die
Meere mit Blut füllen, besteht für alle Menschen die sehr kon-
krete Gefahr, das Zeitliche zu segnen, bevor der Krieg endet
und die Entscheidung fallt. Es liegt an Seiner Erhabenheit,
wissen Sie. Alles deutet darauf hin, daß Gott bestrebt ist,
einen ganz neuen Anfang zu machen. Vielleicht hat ihm die
Schöpfung so sehr gefallen, daß er sie noch einmal wiederho-
len möchte.
Aber was soll's, ich will Sie nicht länger mit meinem Ge-
schwätz langweilen. Erlauben Sie mir nur eine rasche Frage:
Wo bin ich?«

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Ein gutes Omen

Marvin 0. Beteviel lief langsam rot an.


»Der Teufel!« platzte es aus ihm heraus. »Bewahre
mich vor ihm, Herr! Der Teufel spricht mit meinem
Mund!« Seine Zunge entwickelte erneut ein verdächti-
ges Eigenleben. »Oh, nein, da irren Sie sich. Das Gegenteil
trifft zu. Ich bin ein Engel. Ah. Dies ist Amerika, nicht wahr?
Tut mir leid, daß ich nicht länger bleiben kann...«
Einige Sekunden lang herrschte Stille. Marvin ver-
suchte, irgend etwas zu sagen, aber er brachte keinen
Ton hervor. Was auch immer sich in seinem Kopf be-
fand: Es blickte sich um. Es starrte einige Studiotechni-
ker an, die entweder mit der Polizei telefonierten oder in
Ecken hockten und leise schluchzten. Ein blasser, bleicher
Kameramann schluckte mehrmals.
»Potzblitz«, sagte Erziraphael. »Sind wir auf Sendung?«
Crowley raste mit hundertzwanzig Meilen in der Stunde
über die Oxford Street.
Er öffnete das Handschuhfach, tastete nach der zwei-
ten Sonnenbrille und fand nur vier Kassetten. Verärgert
griff er nach einer davon und schob sie in den Recor-
der.
Bach wäre nicht schlecht gewesen, aber derzeit hätte
er sich sogar mit Elgar begnügt.
All we need is, Radio Gaga, sang Freddie Mercury.
Wenn der Kerl nicht in der Hölle endet, bekomme ich einen
Logenplatz im Paradies, dachte Crowley.
Mit neunzig fuhr er durch den Marble Arch Round-
about, und zwar in der falschen Richtung. Blitze zuck-
ten, und der Himmel über London sah aus wie eine
flackernde Neonröhre. Ein blauer Himmel über London,
überlegte Crowley. Und ich wußte, das Ende der Welt war
nahe.
Wer hatte dies geschrieben? Chesterton, nicht wahr?
Der einzige Dichter des zwanzigsten Jahrhunderts, der
die Wahrheit erahnte.
Der Bentley verließ London, und Crowley lehnte sich
zurück, blätterte in dem angesengten Buch Die Freundli-
chen und Zutreffenden Prophezeiungen der Agnes Spinner.
Zwischen den letzten Blättern fand er einen Zettel mit
Erziraphaels gestochen scharfer Handschrift. Crowley
entfaltete ihn (während der Bentley von ganz allein in
den dritten Gang herunterschaltete und um einen mit
Obst beladenen Laster herumkurvte, der plötzlich aus
einer Nebenstraße kam) und las die Hinweise.
Er las sie noch einmal und spürte, wie sich ein flaues
Gefühl in seiner Magengrube ausbreitete.
Der Wagen bog jäh ab und setzte die Fahrt in Rich-
tung Tadfield, Oxfordshire, fort. Der Dämon rechnete
damit, den Ort in etwa einer Stunde zu erreichen. Wenn

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Ein gutes Omen

er sich beeilte.
Wohin sollte er sonst fahren?
Die Kassette endete und aktivierte das Radio.
»...findet die Fragestunde der Gärtner diesmal im Gärt-
ner-Klub von Tadfield statt. Wir waren zum letzten Mal im
Jahr 1953 hier, während eines schönen Sommers, und die in-
teressierten Zuhörer wissen sicher, daß es im Osten der Ge-
meinde guten Oxfordshire-Lehmboden gibt, der im Westen in
Kreide übergeht, o ja, es ist genau die Art Boden, von der es
heißt: Ganz gleich, was man anpflanzt, alles gedeiht pracht-
voll. Nicht wahr, Fred?«
»In der Tat«, bestätigte Fred Düngegut vom Königlichen
Botanischen Garten. »Ich hätte es nicht besser ausdrücken
können.«
»Nun gut. Die erste Frage stammt von Mister R. P. Tyler,
dem Vorsitzenden des lokalen Bürgervereins, wenn ich mich
nicht irre.«
»Ja, Sie haben völlig recht. Nun, wissen Sie, ich bin sehr
stolz auf meine Rosen, jawohl, aber die bereits mehrfach aus-
gezeichneten Molly McGuires verloren gestern einige Blüten,
weil ein Regen aus Fischen niederging. Welche Schutzmaß-
nahmen schlagen die Experten vor - abgesehen davon, ein
Netz zu spannen? Ich meine, ich habe bereits dem Gemeinde-
rat geschrieben und...«
»Ich glaube, es handelt sich um ein recht außergewöhnli-
ches Problem. Harry?«
»Mister Tyler, vielleicht könnten Sie uns mitteilen, ob es
frische oder konservierte Fische regnete.«
»Frische, glaube ich.«
»Oh, dann ist alles in Ordnung. Wie ich hörte, regnet es bei
Ihnen auch Blut, und ich wünschte' mir, das wäre auch bei
uns in Dales der Fall. Dann könnte ich in meinem Garten auf
viel Kunstdünger verzichten. Ich schlage vor, Sie vergraben
die Fische in CROWLEY?«
Der Dämon schwieg.
CROWLEY DAS LETZTE GEFECHT HAT BEGONNEN, CROWLEY.
WIR MUSSTEN ZUR KENNTNIS NEHMEN, DASS DU DICH GEWEI-
GERT HAST, UNSERE GESANDTEN IN DIE HÖLLE ZU BEGLEITEN.
SOLLEN WIR DARAUS SCHLIESSEN, DASS DU DICH DER GERECH-
TEN STRAFE ENTZIEHEN WILLST?
»Mhm«, brummte Crowley.
CROWLEY... WIR WERDEN DEN KRIEG GEGEN DIE LEGIONEN
DES HIMMELS GEWINNEN. ABER SELBST WENN WIR IHN VERLIE-
REN: SOWEIT ES DICH BETRIFFT, ERGIBT SICH DARAUS ÜBER-
HAUPT KEIN UNTERSCHIED. SOLANGE AUCH NUR EIN DÄMON IM
INFERNO ÜBERLEBT, WIRST DU ES BEDAUERN, NICHT ALS STERB-
LICHER ERSCHAFFEN WORDEN ZU SEIN, CROWLEY.
Crowley blieb stumm.

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Ein gutes Omen

STERBLICHE KÖNNEN AUF TOD ODER ERLÖSUNG HOFFEN. FÜR


DICH GIBT ES NUR IMMERWAHRENDE QUAL.
ES SEI DENN, DIE HÖLLE LASST GNADE WALTEN.
»Ach?«
NUR EIN KLEINER SCHERZ.
»Ngk«, ächzte Crowley.
»... nun, erfahrene Gärtner und Liebhaber der Flora im all-
gemeinen wissen natürlich, daß der durchschnittliche Tibeta-
ner ein schlauer kleiner Kerl ist. Gräbt sich einfach durch die
Begonien, als hätte das überhaupt nichts zu bedeuten. Mei-
stens genügt eine Tasse Tee, um ihn zu veranlassen, die Rich-
tung zu ändern. Am besten geben Sie noch etwas ranzige
]ak-Butter hinzu, um auf Nummer Sicher zu gehen. Wo Sie
ranzige Jak-Butter bekommen? Wenden Sie sich einfach an
den nächsten Gärtner-Klub und...«
Knack. Knirsch. Rassel. Statik überlagerte den Rest des
Programms.
Crowley schaltete das Radio aus und biß sich auf die
Lippe. Unter dem Ruß und der Asche in seinem Gesicht
wirkte er sehr müde, sehr blaß und sehr besorgt.
Und plötzlich auch sehr verärgert. Die Art und Weise,
wie die eingebildeten Höllenfürsten mit ihren Unterge-
benen sprachen - insbesondere mit einem Dämon na-
mens Crowley -, ging ihm entschieden gegen den Strich.
Bin ich etwa eine Topfpflanze, die Blätter verliert? dachte er
grimmig.
Unterdessen rollte der Bentley ziemlich schnell durch
eine Kurve, die ihn zur Autobahnauffahrt der nahen
M25 bringen sollte, von der aus er später die M40 nach
Oxfordshire zu erreichen hoffte.
Aber irgend etwas war mit der M25 geschehen.
Etwas, das in den Augen schmerzte, wenn man genauer
hinsah.
Von daher, wo einmal die Londoner Umgehungsauto-
bahn gewesen war, erklang ein leiser Singsang, ein
Geräusch, das sich aus vielen Komponenten zusammen-
setzte: Autohupen. Motoren, Sirenen, dem Piepen von
Autotelefonen und dem Weinen vieler Kinder, die für
immer von Sicherheitsgurten im Fond gefesselt waren.
»Gruß dem Erbarmungslosen Tier und Weltenverschlin-
ger«, ertönte es immer wieder in der geheimen Sprache
der schwarzen Priesterschaft von Mu.
Das Schreckenssymbol Odegra, dachte Crowley, als er
eine Abzweigung wählte und nach Norden fuhr. Dies ist
eindeutig meine Schuld. Es hätte eine ganz normale Autobahn
sein können. Gute Arbeit, ja, aber war es wirklich die Mühe
wert? Jetzt gerät alles außer Kontrolle. Himmel und Hölle
haben keine Kontrolle mehr. Man sollte meinen, der ganze
Planet habe sich in einen Staat der Dritten Welt verwandelt,

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Ein gutes Omen

der plötzlich die Atombombe besitzt.


Dann lächelte Crowley und schnippte mit den Fin-
gern. Eine dunkle Sonnenbrille materialisierte; Ruß und
Asche verschwanden von seiner Haut.
Zum Teufel auch! Wenn er schon das Diesseits verlas-
sen mußte, dann doch wenigstens mit Stil.
Er summte leise vor sich hin und gab Gas.
Die Vier wurden ihrer Berufung gerecht und donnerten
Unheilsengeln gleich über den feucht glänzenden Asphalt.
Eigentlich fuhren sie nicht besonders schnell. Sie hiel-
ten eine Geschwindigkeit von hundertfünf Meilen pro
Stunde und schienen zu glauben, daß die Show nicht
ohne sie beginnen konnte. Mit Recht. Sie hatten alle Zeit
der Welt.
Hinter ihnen folgten vier andere Motorräder, und auf
ihnen saßen Big Ted, Schmierer, Schweini und Skuzz.
Ihre Begeisterung kannte keine Grenzen. Sie waren
jetzt echte Hell´s Angels, und Stille umhüllte sie.
Sie wußten natürlich, daß um sie herum ein Gewitter
wütete, Sturm heulte und Regen prasselte. Hinzu kam
der übliche Verkehrslärm. Aber unmittelbar hinter den
apokalyptischen Reitern herrschte eine reine tödliche
Stille. Besser gesagt: Ihre Reinheit war relativ, die Töd-
lichkeit hingegen absolut.
Schweini beendete das Schweigen und rief Big Ted zu:
»Was willst du sein?« fragte er heiser.
»Wie?«
»Ich sagte, was willst...«
»Ich weiß, was du gesagt hast. Ich bin nicht taub. Alle
haben gehört, was du gesagt hast, Mann. Ich möchte nur
wissen, was du meinst, du Knallkopp.«
Schweini wünschte sich, mehr über die Offenbarung
des Johannes zu wissen. Wenn ihm bekannt gewesen
wäre, daß er darin als Protagonist erschien, hätte er sie
weitaus aufmerksamer gelesen. »Ich meine dies: Sie sind
die vier Reiter der Apokalypse, nich' wahr?«
»Die vier Motorradfahrer der Apokalypse«, warf
Schmierer ein.
»Na schön. Du hast völlig recht. Krieg, Hunger, Tod
und der andere, wieheißternoch, Umweltverschmut-
zung.«
»Ja. Und?«
»Sie meinten, wir könnten sie ruhig begleiten,
stimmt's?«
»Ja. Und?«
»Wir sind also die anderen vier Reiter, äh, vier Motor-
radfahrer der Apokalypse. Die Frage lautet: Wie heißen
wir?«
Es entstand eine Pause. Auf der anderen Seite der

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Ein gutes Omen

Autobahn zuckte das Scheinwerferlicht entgegenkom-


mender Autos vorbei; Blitze flackerten am dunklen
Himmel, und die Stille war fast absolut.
»Kann ich ebenfalls Krieg sein?« fragte Big Ted unsi-
cher.
»Natürlich nicht. Du kannst nicht Krieg sein, weil sie
Krieg ist, kapiert? Du mußt dir etwas anderes aussu-
chen.«
Das Nachdenken fiel Big Ted sichtlich schwer. »Ich
bin SKV«, sagte er schließlich. »Schwere Körperverlet-
zung. Klingt gut, nichwahr? Was ist mit euch?«
»Ich möchte Müll Und Mist sein«, erwiderte Skuzz.
»Oder PPP - Peinliche Persönliche Probleme.«
»Müll kommt nich' in Frage«, sagte Schwere Körper-
verletzung. »Das fällt in den Zuständigkeitsbereich von
Umweltverschmutzung. Der andere Name is' okay.«
Eine Zeitlang fuhren sie schweigend durch die Dun-
kelheit. Einige hundert Meter vor ihnen glühten die
Rücklichter der Vier.
Schwere Körperverletzung, Peinliche Persönliche Pro-
bleme, Schweini und Schmierer.
»Ich bin Tierquälerei«, verkündete Schmierer.
Schweini fragte sich, ob er dafür oder dagegen war.
Nun, es spielte eigentlich keine Rolle.
Dann kam er selbst an die Reihe.
»Ich, äh, möchte Anrufbeantworter sein«, schlug er
vor. »Solche Apparate sind ziemlich mies.«
»Hat dir irgend etwas das Gehirn verkleistert, Mann?
Ein Motorradfahrer der Apokalypse namens Anrufbe-
antworter? Das ist doch Blödsinn!«
»Von wegen«, widersprach Schweini. »Es ist wie mit
Krieg und Hunger und so. Ein Problem des Lebens.
Ebenso wie Anrufbeantworter. Ich hasse die verdamm-
ten Anrufbeantworter.«
»Ich auch«, brummte Tierquälerei.
»Du hältst die Klappe«, schnaubte SKV.
»Kann ich meinen Namen ändern?« fragte Peinliche
Persönliche Probleme, der inzwischen angestrengt nach-
gedacht hatte. »Von jetzt an bin ich Dinge Die Nicht
Richtig Funktionieren Obwohl Man Sie Ordentlich Ge-
schüttelt Hat.«
»Meinetwegen, einverstanden. Aber du kannst auf
keinen Fall Anrufbeantworter sein, Schweini. Such dir
einen anderen Namen aus.«
Schweini runzelte die Stirn. Er bedauerte es nun, dieses
Thema zur Sprache gebracht zu haben. Es erinnerte ihn
viel zu sehr an das beliebte Schüler-Spiel Was willst du ein-
mal werden, wenn du groß bist? Er überlegte gründlich.
»Echt coole Typen«, sagte er schließlich. »Ich verab-

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Ein gutes Omen

scheue sie.«
»Echt coole Typen?« wiederholte Dinge Die Nicht
Richtig Funktionieren Obwohl Man Sie Ordentlich Ge-
schüttelt Hat.
»Ja. Du weißt schon. Man sieht sie dauernd im Fern-
sehen. Die Kerle haben einen blöden Haarschnitt, aber
bei ihnen sieht er gar nicht blöd aus. Sie tragen weite
Hosen und Jacken, und man darf ihnen nicht sagen, daß
sie verdammte Angeber sind. Ich meine, um ganz offen
zu sein: Wenn ich solche Burschen sehe, verspüre ich
immer den Wunsch, ihnen die Fressen ganz langsam
durch einen Stacheldrahtzaun zu schieben. Außerdem
meine ich...« Schweini holte tief Luft. Nur ein einziges
Mal in seinem Leben hatte er eine so lange Rede gehal-
ten, vor zehn Jahren, als er an das Mitgefühl des Rich-
ters appellierte. »Ich meine folgendes: Wenn die echt coo-
len Typen mir so sehr auf die Nerven fallen, so geht es
bestimmt auch allen anderen so.«
»Klar«, bestätigte Tierquälerei. »Sie tragen dauernd
dunkle Sonnenbrillen, obwohl mit ihren Augen alles in
Ordnung ist.«
»Sie essen weichen Käse und trinken komisches alko-
holfreies Bier«, fügte Dinge Die Nicht Richtig Funktio-
nieren Obwohl Man Sie Ordentlich Geschüttelt Hat
hinzu. »Kann das Zeug nich' ausstehen. Wie soll man
sich mit alkoholfreiem Bier einen hinter die Binde
gießen, frage ich euch? He, das bringt mich auf eine
Idee. Kann ich Alkoholfreies Bier sein?«
»Kommt überhaupt nicht in Frage«, erwiderte Schwe-
re Körperverletzung. »Du hast deinen Namen schon ein-
mal geändert.«
»Na, egal«, sagte Schweini, »deshalb bin ich von jetzt
an Echt Coole Typen.«
»In Ordnung«, bestätigte SKV.
»Warum darf ich nicht Alkoholfreies Bier sein, ha?«
»Mann, mach den Mund zu, es zieht!«
Tod, Hunger, Krieg und Umweltverschmutzung fuh-
ren weiterhin in Richtung Tadfield.
Schwere Körperverletzung, Tierquälerei, Dinge Die
Nicht Richtig Funktionieren Obwohl Man Sie Ordentlich
Geschüttelt Hat (aber insgeheim Alkoholfreies Bier) und
Echt Coole Typen folgten ihnen.
Es war ein regnerischer, windiger Samstagnachmittag,
und Madame Tracy fühlte sich sehr okkult.
Sie trug ein eindrucksvolles langes Gewand, und auf
dem Herd stand ein Topf mit Rosenkohl. Unstetes zit-
terndes Licht erhellte das Zimmer; vier Kerzen steckten
in angemessen wachsverkrusteten Weinflaschen, die in
den Ecken des Wohnzimmers standen.

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Ein gutes Omen

Drei spiritistische Kunden nahmen an der Seance


teil: Mrs. Ormerod aus Belsize Park (auf ihrem Kopf
ruhte ein dunkelgrüner Hut, der den Eindruck er-
weckte, in einem früheren Leben ein Blumentopf gewe-
sen zu sein), Mr. Scroggie (dünn und blaß, mit grauen
Glubschaugen) und Julia Petley von Modernes Haar*
(eine junge Friseuse, die gerade ihre Schulausbildung
hinter sich hatte und davon überzeugt war, daß sich
okkulte Fähigkeiten in ihr verbargen). Um die mysti-
schen Aspekte ihres Ichs zu unterstreichen, trug Julia
gleich kiloweise Silberschmuck und benutzte üppigen
grünen Lidschatten. Sie glaubte, in dieser Aufmachung
geheimnisvoll, unheimlich und romantisch zu wirken,
was ihr vermutlich auch gelungen wäre, wenn sie
dreißig Pfund abgenommen hätte. Wenn sie in einen
Spiegel blickte, erlitt sie Anfälle von kurzfristiger Ap-
* Vormals fixer Schnitt, vormals Die Attraktion, vormals Lockenwickler
und Trockenhaube, vormals Wir schneiden sogar den Preis, vormals Mister
Brians Art-de-Coiffeur, vormals Frisierstube Robinson, vormals Ruf-ein-
fach-an-Taxis.
petitlosigkeit, weil sie dauernd eine außerordentlich
dicke junge Frau sah.
»Bitte berühren Sie sich nun an den Händen«, sag-
te Madame Tracy. »Und seien Sie möglichst still. Die
Welt der Geister reagiert sehr empfindlich auf Vibratio-
nen.«
»Fragen Sie nach meinem Ron«, bat Mrs. Ormerod.
Ihr Kinn erinnerte an einen Ziegelstein.
»Selbstverständlich, Teuerste. Aber Sie müssen
schweigen, während ich versuche, einen Kontakt herzu-
stellen.«
Stille schloß sich an, nur unterbrochen von einem
knurrenden Magen. »Entschuldigung«, murmelte Mr.
Scroggie verlegen.
Schon seit vielen Jahren zog Madame Tracy den
Schleier beiseite, um die Mysterien der anderen Welt zu
offenbaren, und sie hatte dabei die Erfahrung gemacht,
daß zwei Minuten Wartezeit vollkommen genügten, um
eine Verbindung zum Jenseits zu schaffen. Wenn es län-
ger dauerte, wurden ihre Kunden nervös, und wenn we-
niger Zeit verstrich, glaubten sie, nicht genug für ihr
Geld zu bekommen.
In Gedanken stellte sie die Einkaufsliste zusammen.
Eier. Kopfsalat. Etwas Käse. Vier Tomaten. Butter. Eine
Rolle Toilettenpapier. Darf ich nicht vergessen, wenn ich pein-
liche Situationen im Klo vermeiden will. Und eine prächtige
lieber für Mister Shadwell, der arme Kerl, kann einem wirk-
lich leid tun...
Hundertzwanzig Sekunden verstrichen.

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Ein gutes Omen

Madame Tracy ließ den Kopf hängen und von rechts


nach links baumeln. Schließlich hob sie ihn wieder und
senkte die Lider.
»Jetzt gerät sie in Trance, Julia«, flüsterte Mrs. Orme-
rod. »Keine Sorge. Sie baut nun eine mentale Brücke zur
anderen Seite. Sicher meldet sich bald ihr spiritistischer
Weggefährte.«
Es ärgerte Madame Tracy ein wenig, daß man ihr die
Schau stahl. Sie stöhnte, gab ein leises »Oooooooooh«
von sich.
Dann fügte sie mit zittriger, fast schriller Stimme
hinzu: »Bist du da, mein spiritistischer Weggefährte?
Oh, zeig mir den Pfad!«
Sie wartete ein wenig, damit die erwartungsvolle
Spannung zunahm. Spülmittel. Zwei Konservendosen mit
Bohnen. Ah ja, und Kartoffeln.
»Hau«, erklang eine dunkle Stimme.
»Höre ich dich, Geronimo?« fragte sich Madame
Tracy.
»Ja, ich bin es, hau«, antwortete sie.
»Heute nachmittag möchte ich dir jemanden vorstel-
len, den du noch nicht kennst«, sagte sie.
»Wie geht es Ihnen, Miß Petley, hau?« fragte sie als
Geronimo. Madame Tracy glaubte, indianische Wegge-
fährten und Führer durchs unerforschte spiritistische
Gelände verliehen ihren Seancen das gewisse Etwas. Sie
hatte es Newt erklärt. Der Hexensucher-Gefreite begriff
sofort, daß sie nur wenig von Geronimo wußte (besser
gesagt: nichts), aber er brachte es einfach nicht über sich,
sie darauf hinzuweisen.
»Oh«, quiekte Julia, »freut mich. Ihre Bekanntschaft
zu machen!«
»Ist mein Ron da, Geronimo?« fragte Mrs. Ormerod.
»Hau, Squaw Beryl«, erwiderte Madame Tracy. »Oh,
vor der Tür meines, ähm, Wigwams warten, ähm, viele
verlorene Seelen, ähm. Vielleicht gehört Ron, ähm, zu
ihnen. Hau.«
Madame Tracy hatte längst gelernt, daß es wenig rat-
sam war, Ron gleich zu Beginn der Sitzung sprechen zu
lassen. Andernfalls verbrachte Beryl Ormerod den Rest
der Seance damit, ihrem verstorbenen Gatten von den
neuesten familiären Ereignissen zu berichten, was mei-
stens viel Zeit in Anspruch nahm. (»Nun, Ron, du erin-
nerst dich sicher an Sybilla, die jüngste Tochter unseres
Eric, tja, du würdest sie nicht wiedererkennen, sie be-
schäftigt sich jetzt mit Macramee, mit Knüpfarbeiten, du
weißt schon, und unsere Letitia, Karens Älteste, ist Les-
bierin geworden, aber daran gibt es heutzutage nichts
auszusetzen, sie schreibt gerade ihre Dissertation über

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Ein gutes Omen

Sergio Leones Filme, aus einem feministischen Blickwin-


kel gesehen, und unser Stan, Sandras Zwillingsbruder,
ich habe dir schon beim letzten Mal von ihm erzählt, er
hat den Pfeilwurfwettkampf gewonnen, was uns alle sehr
freut, denn wir hielten ihn für eine Art Muttersöhnchen,
außerdem sind die Regenrinnen am Schuppen locker,
aber ich habe bereits mit Cindis neuestem Freund gespro-
chen, der sich mit solchen Sachen auskennt, und er hat
zugesagt, am nächsten Sonntag vorbeizukommen und
sich darum zu kümmern, oooh, das erinnert mich an...«)
Nein, Beryl Ormerod mußte sich noch etwas gedul-
den. Draußen blitzte es, und Donner grollte in der
Feme. Madame war so stolz, als hätte sie selbst für diese
okkulten Spezialeffekte gesorgt. Es war sogar noch bes-
ser als die Kerzen, wenn es darum ging, ein Ambulanz
zu kreieren. Ambulanz war bei einer Seance besonders
wichtig.
»Nun...«, sagte Madame Tracy mit Madame Tracys
Stimme. »Mister Geronimo wüßte gern, ob ein gewisser
Mister Scroggie zugegen ist.«
Mister Scroggies Augen glänzten wäßrig. »Ah, nun,
das ist mein Name«, erwiderte er.
»Jemand möchte Sie sprechen.« Mr. Scroggie nahm
schon seit einem Monat an den wöchentlichen Seancen
teil, und bisher hatte sich Madame Tracy vergeblich ge-
rragt, welche Botschaft aus dem Jenseits sie ihm anbie-
ten sollte. Jetzt hielt sie den Zeitpunkt für gekommen,
ihm ebenfalls einen Blick hinter den Schleier zu ge-
währen. »Kennen Sie jemanden, der John heißt?«
»Nein«, erwiderte Mr. Scroggie.
»Nun, vielleicht haben wir es hier mit okkulten Inter-
ferenzen zu tun. Der Name könnte auch Tom lauten.
Oder Jim, oder, äh, Dave.«
»Ich kannte einen Dave, als ich noch in Hemel Hemp-
stead wohnte«, erwiderte Mr. Scroggie. Es klang ein
wenig skeptisch.
»Ja, Geronimo sagt Hemel Hempstead, genau das sagt
er«, behauptete Madame Tracy.
»Aber letzte Woche bin ich ihm zufällig begegnet«,
murmelte Mr. Scroggie verwirrt. »Er führte seinen Hund
aus und schien völlig gesund zu sein.«
»Er läßt Ihnen mitteilen, es sei alles in Ordnung mit
ihm, und im Jenseits fühle er sich richtig wohl«, fuhr
Madame Tracy fort. Sie vertrat den Standpunkt, es sei in
jedem Fall besser, ihre Kunden mit guten Nachrichten
zu erfreuen.
»Sagen Sie Ron, daß ich ihm von der Hochzeit unserer
Krystal erzählen muß«, drängte Mrs. Ormerod.
»Oh, das werde ich. Teuerste. Bitte warten Sie einen

file:///G|/Books/1/omen.htm (245 von 339) [16.06.2001 15:32:22]


Ein gutes Omen

Augenblick, ich empfange gerade etwas...«


Und dann empfing sie tatsächlich etwas. Es ließ sich
in Madame Tracys Kopf nieder und blickte aus ihren
Augen.
»Do you speak English?« fragte es mit Madame Tracys
Mund. »Sprechen Sie Deutsch? Parlez-vous Francais? Wo
bu hui jiang zhongwen?«
»Bist du das, Ron?« erkundigte sich Mrs. Ormerod.
Die Antwort klang recht mürrisch.
»Nein. Ich bin es nicht. Allerdings: Eine so dämliche Frage
kann nur in einem Land dieses gottverlassenen Planeten ge-
stellt werden, von dem ich während der vergangenen Stunden
mehr gesehen habe, als mir lieb ist. Um es noch einmal zu be-
tonen, werte Dame: Mein Name lautet keineswegs Ron.«
»Nun, ich möchte mit Ron Ormerod reden«, entgeg-
nete Mrs. Ormerod stur. »Er ist recht klein und hat eine
Glatze. Könnten Sie ihn bitte durchstellen?«
Kurze Stille folgte. »Mir scheint, es ist tatsächlich eine
Seele in der Nähe, die Ihrer Beschreibung entspricht. Nun
gut. Ich verbinde Sie mit ihm. Aber bitte fassen Sie sich kurz.
Ich versuche gerade, die Apokalypse zu verhindern.«
Mrs. Ormerod und Mr. Scroggie wechselten einen ver-
wunderten Blick. Normalerweise ging es bei Madame
Tracys Seancen immer ruhig und gemütlich zu; nie kam
es zu irgendwelchen Zwischenfällen. Julia Petley hörte
fasziniert zu. Sie hatte sich etwas in dieser Art erhofft
und rechnete fast damit, daß Madame Tracy bald damit
begann, Ektoplasma zu projizieren.
»H-hallo?« formulierten die Lippen des Mediums.
Mrs. Ormerod zuckte unwillkürlich zusammen. Es klang
genau nach ihrem verstorbenen Ron. Normalerweise
wies die Stimme immer eine bemerkenswerte Ähnlich-
keit mit der Madame Tracys auf.
»Ron?«
»Ja, ich bin's, Buh-Beryl.«
»Na schön. Ich habe dir eine Menge zu erzählen. Be-
ginnen wir mit Krystals Hochzeit am vergangenen
Samstag, du weißt schon, Marilyns älteste Tochter...«
»Buh-Beryl, zu meinen Luh-Lebzeiten hast du mich
nuh-nie zu Wuh-Wort kommen lassen. Jetzt bin ich end-
lich tuh-tot und möchte die Guh-Gelegenheit nutzen, dir
etwas zu suh-sagen...«
Beryl Ormerod wußte nicht recht, was sie davon hal-
ten sollte. Bei Rons vorherigen Manifestationen hatte
er immer darauf hingewiesen, daß er hinter dem
Schleier glücklich war und in einer Art himmlischen
Villa wohnte. Jetzt klang er ganz wie Ron, und das ver-
stimmte Mrs. Ormerod ein wenig. Sie entschied sich zu
der Antwort, die sie immer gegeben hatte, wenn ihr

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Ein gutes Omen

Mann in jenem Tonfall zu sprechen begann.


»Denk an dein schwaches Herz, Ron.«
»Ich huh-habe kein schwuh-schwaches Herz mehr.
Erin-nuhnerst du dich? Was ich duh-dir sagen wollte,
Buh-Beryl...«
»Ja, Ron?«
»Halt die Klappe.« Der Geist verschwand. »Das war
doch richtig rührend, nicht wahr? Tja, meine Damen und Her-
ren, leider muß ich mich jetzt wieder auf den Weg machen.«
Madame Tracy stand auf, ging zur Tür und schaltete
das Licht ein.
»Raus!« rief sie.
Die drei Personen am Tisch erhoben sich .ebenfalls
und wirkten sehr verwirrt. In Mrs. Ormerods Fall
kamen Empörung und Zorn hinzu.
Sie traten in den Flur.
»Diese Sache wird ein Nachspiel haben, Marjorie
Potts«, drohte Mrs. Ormerod, preßte sich ihre große
Handtasche an die breite Brust, schob das Backsteinkinn
vor und stolzierte davon.
»Und Sie können meinem Ron ausrichten, daß ich
seine freche Bemerkung nicht einfach so hinnehme«,
fügte sie hinzu. »Er wird sein blaues Wunder erleben.
Wenn ich das Zeitliche segne, rechne ich mit ihm ab.«
Madame Tracy (in ihrem Führerschein - auf Motorrol-
ler beschränkt - stand tatsächlich der Name Marjorie
Potts) warf die Tür zu, ging in die Küche und zog den
Rosenkohl-Topf von der heißen Platte.
Sie stellte den Kessel darauf und kochte Tee. Sie nahm
am Tisch Platz, holte zwei Tassen, füllte sie und warf bei
einer zwei Zuckerwürfel hinein. Dann zögerte sie.
»Für mich kein Zucker«, sagte Madame Tracy.
Sie zog die beiden Tassen zu sich heran, griff nach der
mit dem Zucker und trank einen Schluck.
»Sooo«, sagte sie mit ihrer eigenen Stimme. Wer Ma-
dame Tracy kannte, hätte sie sofort wiedererkannt. Aber
die darin vibrierende kalte Wut wäre sicher für alle eine
Überraschung gewesen. »Jetzt werden Sie mir mal er-
klären, was das alles zu bedeuten hat. Ich höre!«
Ein Lastwagen hatte seine Ladung gleichmäßig auf der
M6 verteilt. Nach dem Frachtbrief bestand sie aus Well-
blech, doch den beiden Polizisten fiel es schwer, das zu
glauben.
»Ich wüßte wirklich gern, woher die vielen Fische
kommen«, sagte der Sergeant.
»Wie ich Ihnen schon sagte: Sie fielen vom Himmel.
Ich fahre mit sinnigen sechzig Meilen in der Stunde, und
ganz plötzlich - paff! Ein sechs Kilo schwerer Lachs
zertrümmert die Windschutzscheibe. Und was mache

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Ein gutes Omen

ich? Tja, ich will auf dem Randstreifen halten, aber als
ich das Steuer drehe, rutscht meine Karre auf dem Ding
aus.« Der Fahrer deutete auf die Reste eines Hammer-
hais unter dem Laster. »Und dann pralle ich auf das da.«
Diesmal deutete sein Zeigefinger auf einen zehn
Meter hohen Haufen aus diversen Fischen und anderen
Meeresbewohnern.
»Haben Sie etwas getrunken, Sir?« fragte der Sergeant
zerknirscht.
»Natürlich nicht, Sie Blödmann. Sie sehen die Fische
doch ebenfalls, oder?«
Ganz oben auf dem Haufen hob ein großer Tintenfisch
einen Tentakel und winkte träge. Der Sergeant wider-
stand der Versuchung, den Gruß zu erwidern.
Sein Kollege beugte sich unterdessen in den Streifen-
wagen und griff nach dem Mikrofon des Funkgeräts.
»Wellblech und Fische, ja. Die M6 nach Süden ist etwa
eine halbe Meile nördlich der Auffahrt zehn blockiert.
Wir müssen die Fahrbahnen voll sperren, um hier Ord-
nung zu schaffen.«
Es regnete noch stärker. Eine kleine Forelle, die wie
durch ein Wunder den Sturz vom Himmel überlebt
hatte, schwamm fröhlich in Richtung Birmingham.
»Das war herrlich«, sagte Newt.
»Schön«, erwiderte Anathema. »Jedem das seine.« Sie
erhob sich, ließ ihre Kleidung auf dem Boden zurück
und ging ins Bad.
»Ich meine, es war wirklich wundervoll«, fügte Newt !
etwas lauter hinzu. »Wirklich wirklich wundervoll. Ich s
habe mir immer ein solches Erlebnis erhofft, und jetzt ist;
mein Wunsch endlich in Erfüllung gegangen.«
Wasser rauschte.
»Was machst du?« fragte Newt. Er hielt das >Sie< nicht
mehr für angemessen. Nicht danach.
»Ich dusche.«
»Oh.« Newt fragte sich, ob die Tradition verlangte,
daß man nachher duschte - oder ob sich derartige Ver-
haltensweisen nur auf Frauen beschränkten. Außerdem
argwöhnte er, daß Bidets in diesem Zusammenhang
ebenfalls eine nicht unerhebliche Rolle spielten.
»Ich habe da eine Idee«, sagte Newt, als Anathema
aus dem Bad zurückkehrte. Sie trug nun ein rosafarbe-
nes Frottee-Handtuch. »Wir könnten es noch einmal ma-
chen.«
»Nein«, widersprach die junge Frau. »Nicht jetzt.«
Sie trocknete sich ab, hob die einzelnen Kleidungs-
stücke auf und zog sich ungeniert an. Newt gehörte zu
den Männern, die im Zweifelsfall im Schwimmbad

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Ein gutes Omen

eine halbe Stunde lang auf eine freie Umkleidekabine


warten, bevor sie sich vor den Augen anderer auszie-
hen. Jetzt war er ziemlich geschockt und tief aufge-
wühlt.
Teile von Anathemas Haut erschienen und ver-
schwanden wieder, den Händen eines begabten Zauber-
künstlers gleich. Newt versuchte vergeblich, Anathemas
Brustwarzen zu zählen; es schien ohnehin keine Rolle zu
spielen.
»Warum nicht?« erkundigte er sich. Er wollte darauf
hinweisen, daß es nicht unbedingt sehr lange dauern
mußte, aber eine innere Stimme riet ihm davon ab. In-
nerhalb kurzer Zeit wurde er schnell erwachsen.
Anathema hob die Schultern, was nicht sehr leicht ist,
wenn man sich gerade eine schwarze Bluse überstreift.
»Agnes erwähnte es nur ein einziges Mal.«
Newts Mund öffnete und schloß sich mehrmals.
»Nein, das stimmt nicht«, brachte er schließlich hervor.
»Das kann unmöglich stimmen. Es ist ausgeschlossen, daß
sie so etwas prophezeit hat. Ich glaube es einfach nicht.«
Anathema schloß den letzten Blusenknopf, trat an den
Karteikasten heran, zog einen Zettel hervor und reichte
ihn Newt.
Der junge Mann las ihn, errötete, preßte die Lippen
zusammen und gab das zerknitterte Blatt zurück.
Es ging nicht nur darum, daß Agnes Spinner Bescheid
gewußt und sich ziemlich klar ausgedrückt hatte. Neben
der Weissagung standen auch ermutigende Bemerkun-
gen anderer Angehöriger der Apparat-Dynastie.
Anathema gab ihm das feuchte Handtuch. »Hier«,
sagte sie. »Beeil dich. Ich muß noch die Sandwiches vor-
bereiten, und wir haben nicht mehr viel Zeit.«
Newt starrte auf das Handtuch herab. »Was soll ich
damit?«
»Dich abtrocknen. Wenn du dich gewaschen hast.«
Aha, Es war also etwas, das Männer und Frauen be-
traf. Es freute ihn, daß in diesem Punkt kein Zweifel
mehr herrschte. »Und bleib nicht zu lange unter der Du-
sche.«
»Ach? Müssen wir das Haus in den nächsten zehn Mi-
nuten verlassen, weil es anschließend explodiert?«
»O nein«, sagte Anathema. »Bis zum Weltuntergang
dauert's noch einige Stunden. Ich habe nur das ganze
warme Wasser verbraucht. Übrigens: Dein Haar ist
voller Mörtelstaub.«
Der Sturm umheulte Jasmine Cottage. Newt hielt das
feuchte Handtuch in Höhe der Lenden, als er in Rich-
tung Badezimmer zurückwich, um eine kalte Dusche zu
nehmen.

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Ein gutes Omen

Shadwell träumt, und in seinem Traum schwebt er hoch über


einer Dorfwiese. Mitten auf der Wiese erhebt sich ein Haufen
aus Feuerholz und trockenen Zweigen, und ganz oben ragt
ein Pfahl empor. Männer, Frauen und Kinder stehen in der
Nähe. Ihre Augen glänzen, und die Wangen glühen; sie war-
ten ungeduldig und aufgeregt.
Plötzliche Bewegung: Zehn Männer marschieren über die
Wiese und führen eine hübsche Frau in mittleren Jahren, in
ihrer Jugend muß sie hinreißend schön gewesen sein, und das
Wort >attraktiv< kriecht in Shadwells träumendes Bewußt-
sein. An der Spitze geht Hexensuclier-Gefreiter Newton Läu-
terer. Nein, es ist nicht Nervt. Der Mann wirkt älter und trägt
schwarzes Leder. Shadwell betrachtet anerkennend die alte
Uniform eines Hexensucher-Majors.
Die Trau klettert auf den Scheiterhaufen, bleibt am Pfahl
stehen und läßt sich festbinden. Das Holz wird entzündet.
Die Namenlose spricht zu der Menge, aber Shadwell schwebt
zu hoch, um ihre Worte zu verstehen.
Eine Hexe, denkt er. Die Leute verbrennen eine Hexe. Zu-
friedenheit erfüllt ihn. Er hält es für richtig, Hexen zu ver-
brennen. Ja, hier ist die Welt noch in Ordnung.
Allerdings...
Die Frau hebt den Kopf sieht zu ihm hoch und sagt: »Das
giltet auch für dich, du blödiger alter Narr.«
Allerdings - sie wird sterben. Die Leute wollen sie bei le-
bendigem Leib verbrennen. Und in seinem Traum versteht
Shadwell plötzlich, daß es ein schrecklicher Tod ist, von Flam-
men verzehrt zu werden.
Das Feuer prasselt lauter.
Und die Frau blickt noch immer nach oben. Sie sieht Shad-
well direkt an, obwohl er unsichtbar ist. Und sie lächelt.
Dann macht es Bumm.
Es donnerte.
Das Donnern eines Gewitters, begriff Shadwell, als er
mit dem unangenehmen Gefühl erwachte, daß ihn noch
immer jemand beobachtete.
Er hob die Lider, und dreizehn Glasaugen starrten ihn
von den Regalen in Madame Tracys Boudoir an. Sie
gehörten zu den Gesichtern verschiedener Stofftiere.
Er drehte den Kopf und sah jemanden, der ihn mit
durchdringendem Blick musterte. Er erkannte sich
selbst.
Ach du lieber Himmel! dachte er ohne Akzent. Ich habe
eine dieser komischen Sphären-Erfahrungen, ich meine, ich
bin gerade ohne meinen Körper unterwegs, ich sehe mich
selbst, jawohl, und das bedeutet, diesmal bin ich wirklich aus-
gerastet, oh-oh...
Er machte hastige Schwimmbewegungen, um seinen

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Ein gutes Omen

Leib zu erreichen, und dann erfolgte die in solchen Fäl-


len typische perspektivische Rückverschiebung, wo-
durch alles wieder ins Lot kam.
Shadwell entspannte sich und überlegte, warum je-
mandem daran gelegen sein sollte, einen Spiegel an der
Schlafzimmerdecke zu befestigen. Verwirrt schüttelte er
den Kopf.
Er kletterte aus dem Bett, zog die Stiefel an und stand
unsicher auf. Irgend etwas fehlte. Eine Zigarette. Er grub
mit den Händen tief in den Hosentaschen, fand eine
Büchse und griff nach Tabak und Papier.
Undeutlich erinnerte er sich an einen Traum. Shad-
well entsann sich an keine Einzelheiten, aber trotz-
dem verharrte ein verschwommenes Unbehagen in
ihm.
Er entzündete die fertige Zigarette. Und sah dabei
seine rechte Hand, die wirksamste Waffe der Hexensu-
cher-Armee. Den Dämonenzerstörer und Höllenfeind.
Shadwell lächelte grimmig, zielte mit dem Zeigefinger
auf den einäugigen Teddybär und betätigte einen ima-
ginären Abzug.
»Peng«, sagte er und kicherte heiser. Unglücklicher-
weise war er nicht ans Kichern gewöhnt und hustete
prompt, was ihn in die vertraute Wirklichkeit zurück-
brachte. Er sehnte sich nach etwas Trinkbarem. Zum Bei-
spiel nach einer Dose Kondensmilch.
Madame Tracy besaß bestimmt so etwas.
Mit langen Schritten verließ Shadwell das Boudoir
und ging zur Küche.
Außerhalb der kleinen Nische blieb er stehen. Die la-
sterhafte Isebel sprach mit jemandem.
Mit einem Mann.
»Und wie soll ich mich jetzt verhalten?« fragte sie.
»Ach, du frefliges Feib«, murmelte Shadwell und gingt
davon aus, daß Madame Tracy einem ihrer Kunden sün-
dige Gesellschart leistete.
»Um ganz ehrlich zu sein, werte Dame: Eigentlich weiß ich
nicht genau, was es jetzt zu unternehmen gilt.«
Es lief Shadwell eiskalt über den Rücken. Er zögerte
nur eine Sekunde lang, strich den Perlenschnurvorhang
beiseite und rief: »Bei den Schünden fön Sodom und
Gomorrha! Eine arme hilflosche Hure auszunutzen!
Dasch ferde ich nicht zulassen!«
Madame Tracy sah auf und lächelte. Außer ihr befand
sich niemand im Zimmer.
»Woschteckta?« fragte Shadwell.
»Wer?« erwiderte Madame Tracy.
»Ein blöder Südler«, zischte Shadwell. »Ich habe ihn
gehört. Er ischt hier irgendwo und hat dir... Dinge for-

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Ein gutes Omen

geschlagen. Habsch ganz deutlich gehört.«


Madame Tracys Mund öffnete sich, und eine andere
Stimme erklang. »Nicht nur irgendein blöder Südler,
Feldwebel, sondern der blöde Südler.«
Shadwell ließ seine Zigarette fallen. Er streckte den
Arm aus, richtete die zitternde rechte Hand auf Ma-
dame Tracy.
»Dämon!« krächzte er.
»Nein«, entgegnete die Frau mit dämonischer Stimme.
»Oh, ich weiß, was Sie denken, Feldwebel. Sie denken, daß
sich dieser Kopf gleich zu drehen beginnt und halb verdaute
Erbsensuppe spuckt. Nun, da muß ich Sie leider enttäuschen.
Ich bin kein Dämon. Und ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn
Sie sich dazu durchringen könnten, mir aufmerksam zu-
zuhören.«
»Schfeig, Toifelschbrut!« befahl Shadwell. »Ich ferde
mir deine höllischen Lügen nicht anhören. Feißt du, fas
dasch hier ist? Eine Hand. Fier Finger. Ein Daumen.
Hoite morgen habe ich damit schon einen Finschterling
exorziert. Scho, fenn du nicht schofort aus dem Kopf
desch Feibes verschfindest, schicke ich dich gerade-
fegsch in die Apokalüpse.«
»Genau darin besteht das Problem, Mister Shadwell«,
sagte Madame Tracy mit ihrer eigenen Stimme. »Die
Apokalypse. Es dauert nicht mehr lange, bis sie beginnt.
Mister Erziraphael hat mir davon erzählt. Nun, Mister
Shadwell, seien Sie nicht dumm. Nehmen Sie Platz und
trinken Sie eine Tasse Tee mit uns. Er wird Ihnen alles
erklären.«
»Ich bin nicht bereit, mir irgendfelchesch höllisches
Geschfätz anzuhören, Feib«, erwiderte Shadwell.
Madame Tracy lächelte. »Wie ich schon sagte: Seien
Sie doch nicht dumm.«
Mit allem anderen hätte Shadwell fertig werden kön-
nen. Er setzte sich.
Aber er ließ die rechte Hand nicht sinken.
Die in den Böen hin und her schwingenden Schilder be-
haupteten, die nach Süden rührenden Fahrbahnen seien
gesperrt. Auf dem Asphalt war ein kleiner Wald aus
Warnkegeln gewachsen und leitete den Verkehr zu
einem beschlagnahmten Fahrstreifen der anderen Auto-
bahnseite um. Andere Hinweise beschränkten die Ge-
schwindigkeit auf höchstens dreißig Meilen in der
Stunde. Polizisten winkten mit eingeübter Routine, wie
Schäfer, die sich einer Herde aus Blechschafen annah-
men.
Die vier Motorradfahrer mißachteten alle Schilder
und Warnkegel und schenkten selbst den Uniformierten
keine Beachtung. Sie fuhren über die nach Süden

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Ein gutes Omen

führende und nun völlig freie Strecke weiter. Die ande-


ren vier Maschinen hinter ihnen wurden nur ein wenig
langsamer.
»Sollten wir nicht, äh, anhalten oder so?« fragte Echt
Coole Typen.
»Ja, wir könnten in einen Stau geraten«, sagte In Hun-
descheiße Treten (vormals Alle Ausländer Insbesondere
Die Franzosen, vormals Dinge Die Nicht Richtig Funk-
tionieren Obwohl Man Sie Ordentlich Geschüttelt Hat,
eigentlich nie Alkoholfreies Bier, für kurze Zeit Peinliche
Persönliche Probleme, wesentlich länger bekannt als
Skuzz).
»Wir sind die anderen vier Reiter der Apokalypse«,
brummte Schwere Körperverletzung. »Ganz gleich, wo-
hin sie auch fahren - wir folgen ihnen.«
Sie setzten den Weg nach Süden fort.
»Wir hätten die ganze Welt für uns«, sagte Adam. »Die
Erwachsenen machen dauernd alles kaputt, aber wir las-
sen sie einfach verschwinden und fangen noch mal von
vom an. Wäre das nicht toll?«
»Ich nehme an. Sie sind mit der Offenbarung des Johannes
vertraut«, sagte Madame Tracy mit Erziraphaels Stimme.
»Jo«, log Shadwell. Seine biblischen Kenntnisse be-
gannen und endeten mit dem zweiten Buch Mose, Kapi-
tel zweiundzwanzig, Vers siebzehn: >Die Zauberinnen
sollst du nicht am Leben lassen.< Er hatte sich auch kurz
mit Vers achtzehn befaßt - >Wer einem Vieh beiwohnt,
der soll des Todes sterben< -, jedoch schon nach kurzer
Zeit den Eindruck gewonnen, daß er für solche Ange-
legenheiten nicht zuständig war.
»Dann haben Sie sicher schon vom Antichristen gehört,
oder?«
»Jo«, bestätigte Shadwell. Er hatte einmal einen Film
gesehen, der alles erklärte. Wenn er sich recht entsann,
ging es dabei um Glasscheiben, die von Lastwagen fie-
len und irgendwelche Köpfe abschnitten. Hexen tauch-
ten in dem Streifen nicht auf, und deshalb schlief er
nach einer halben Stunde ein.
»Der Antichrist lebt und weilt auf Erden, Feldwebel. Er
bringt das Armageddon, den Weltuntergang, das Jüngste Ge-
richt - selbst wenn er nichts davon weiß. Himmel und Hölle
bereiten sich auf das Letzte Gefecht vor, und wenn es wirklich
stattfindet, geht es hier, gelinde gesagt, drunter und drüber.«
Shadwell brummte nur.
»Ich... Nun, eigentlich darf ich nicht direkt eingreifen,
Feldwebel. Aber Sie verstehen sicher, daß man der unmittelbar
bevorstehenden Zerstörung der ganzen Welt nicht gleichgül-
tig gegenüberstehen kann, habe ich recht?«
»Ich denke schon«, erwiderte Shadwell und trank

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Ein gutes Omen

Kondensmilch aus einer rostigen Büchse, die Madame


Tracy unter ihrer Spüle gefunden hatte.
»Mit anderen Worten: Sofortiges Handeln ist erforderlich.
Und Sie sind der einzige Mann, auf den ich mich verlassen
kann. Es geht darum, den Antichristen zu töten, Feldwebel.
Diese Aufgabe kommt Ihnen zu.«
Shadwell runzelte die Stirn. »Tja, ich feiß nicht recht«,
sagte er vorsichtig. »Die Hexensucher-Armee bringt nur
Hexen um. Es schteht in Unscheren Forschriften. Und
natürlich Dämonen und Kobolde und dergleichen.«
»Nun, äh, der Antichrist stellt mehr dar als nur eine Hexe.
Er... er verkörpert DIE Hexe an sich. Nichts kann Hexerischer
sein als er.«
»Ischt er schferer zu exorzieren als zum Beischpiel ein
Dämon?« fragte Shadwell. Seine Miene erhellte sich.
»Nicht viel schwerer«, antwortete Erziraphael. Seine Er-
fahrungen in Hinsicht auf das Exorzieren von Dämonen
waren recht begrenzt. Wenn er irgendeinen Gesandten
der Hölle loswerden wollte, deutete er schlicht darauf
hin, daß er noch einige wichtige Dinge zu erledigen
hatte; anschließend warf er einen bedeutungsvollen
Blick auf die nächste Uhr und fügte hinzu, wie spät es
schon sei. Crowley verstand seine subtilen Hinweise.
Shadwell sah auf seine rechte Hand hinab und lä-
chelte. Dann fiel ihm etwas ein. »Wie fiele Brustwarzen
hat der Antichrischt?«
Der Zweck heiligt die Mittel, dachte Erziraphael. Und
der Weg in die Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.*
* Das stimmt nicht ganz. Der Weg zur Hölle ist mit erfrorenen Vertre-
tern gepflastert, die ihre Waren direkt an der Haustür verkauften. An .
Wochenenden machen sich jüngere Dämonen einen Spaß daraus, auf
ihnen Schlittschuh zu laufen.
Er mobilisierte seine ganze Überzeugungskraft. »Jede
Menge. Hat sie gleich haufenweise. Seine ganze Brust ist
damit bedeckt. Im Vergleich mit ihm war Diana von Ephesus
praktisch völlig warzenlos.«
»Über diesche Diana feiß ich nicht Bescheid«, erwi-
derte Shadwell. »Aber wenn der Antichrischt eine Hexe
ischt, und darauf scheint allesch hinzudoiten, so möchte
ich alsch Feldfebel in der glorreichen Hexensucher-
Armee schagen: Ich bin bereit, in den Kampf zu ziehen.«
»Gut«, erklärte Erziraphael zufrieden aus Madame
Tracys Mund.
»Eigentlich kann ich es nicht befürworten, irgend je-
manden zu töten«, sagte Madame Tracy selbst. »Aber
wenn es den Antichristen sowie den drohenden Weltun-
tergang betrifft, bleibt uns wohl keine andere Wahl.«

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Ein gutes Omen

»In der Tat, werte Dame«, erwiderte sie. »Nun, Feldwe-


bel. Haben Sie eine Waffe?«
Shadwell rieb sich die rechte Hand mit der linken und
ballte sie zur Faust. »Jo. Diese hier.« Er führte Zeige-
und Mittelfinger an die Lippen, behauchte sie demon-
strativ.
Erziraphael zögerte. »Ihre Hand?«
»Jo. Esch ischt eine schreckliche Faffe. Dich hat sie er-
fischt, nicht fahr, Dämonenbrut?« .
»Verfügen Sie nicht über, äh, gewöhnlichere Ausrüstungs-
gegenstände? Wie wär's mit dem Dolch von Meggido? Oder
einem hübschen Flammenschwert?«
Shadwell schüttelte den Kopf. »Ich habe einige
Nadeln«, gab er zurück. »Und die Donnerbüchse des
Hexensucher-Oberst Du-sollst-weder-etwas-Lebendiges-
und-Blutiges-essen-noch-Beschwörungen-benutzen-
oder-auf-die-Uhrzeit-achten Dalrymple... Ich könnte sie
mit silbernen Kugeln laden.«
»Ich glaube, damit bekämpft man Werwölfe«, sagte Erzira-
phael.
»Knoblauch?«
»Vampire.«
Shadwell hob die Schultern. »Nun, ich habe ohnehin
keine beschondere Munizion. Ischt auch nicht fetter fich-
tig. Die Donnerbüchsche schießt mit allem. Ich gehe und
hole schie.« Er schlurfte hinaus und dachte: Warum brau-
clie ich eine Waffe? Ich bin ein Mann mit Hand.
»Äh, werte Dame«, sagte Erziraphael, »ich hoffe, Sie kön-
nen uns ein zuverlässiges Transportmittel anbieten.«
»Oh, ja«, erwiderte Madame Tracy. Sie wandte sich der
Küchenecke zu und griff nach einem rosaroten Sturzhelm,
der mit der Darstellung einer Sonnenblume geschmückt
war. Wortlos setzte sie ihn auf und schloß die Riemen-
schnalle unterm Kinn. Dann öffnete sie einen Schrank,
holte drei- oder vierhundert Plastiktüten hervor, die an
vergangene Einkäufe erinnerten, schob einen Stapel ver-
gilbter Zeitungen beiseite und fand einen zweiten, dun-
kelgrünen und recht verstaubten Helm. Die Aufschrift
EASY RIDER zierte ihn. Es handelte sich um ein inzwischen
schon zwanzig Jahre altes Geschenk ihrer Nichte Petula.
Kurz darauf kehrte Shadwell mit der Donnerbüchse
zurück und riß die Augen auf, als er die veränderte
Madame Tracy sah.
»Was starren Sie mich so an, Mister Shadwell?« fragte
sie. »Meine, äh, Maschine steht unten.« Sie reichte ihm
den zweiten Helm. »Sie müssen ihn aufsetzen. Das Ge-
setz verlangt es. Nun, ich bezweifle, ob drei Personen
auf einem Motorroller erlaubt sind, selbst wenn zwei
von ihnen, äh, einen Körper teilen. Aber dies ist ein Not-

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Ein gutes Omen

fall. Ihnen droht sicher keine Gefahr, wenn Sie sich gut
an mir festhalten.« Sie lächelte. »Das macht bestimmt
Spaß, nicht wahr?«
Shadwell erblaßte, murmelte etwas Unverständliches
und setzte den Helm gehorsam auf.
»Was haben Sie gerade gesagt, Mister Shadwell?«
Madame Tracys Stimme klang plötzlich scharf.
»Ich schagte: Fir brauchen den Antichrischten
nicht zu töten. Er kriegt 'n Herzinfarkt, fenn er unsch
schieht.«
»Und ich dachte schon. Sie wollten irgendwelche
Kritik üben«, verkündete Madame Tracy, die sich in
ihrem Stolz als motorisierte Verkehrsteilnehmerin ver-
letzt fühlte. Sie winkte, rührte Shadwell aus der Woh-
nung, durchs Treppenhaus und zum Hinterhof. Dort
wartete ein älterer Motorroller darauf, sie beide (und
einen derzeit körperlosen Engel) fortzutragen.
Ein Lastwagen, mehrere Tonnen Wellblech und ein fast
zehn Meter hoher Haufen aus Fischen blockierten die
Straße. Die Autobahn hätte gar nicht besser und wir-
kungsvoller blockiert sein können, fand der Sergeant.
Hinzu kam der Regen. Er machte die Lösung des Pro-
blems keineswegs einfacher.
»Irgendeine Ahnung, wann die Bulldozer eintreffen?«
brüllte er ins Funkgerät.
»Wir krrrr geben uns alle knrr«, lautete die Antwort.
Der Polizist spürte, wie etwas an seinem Hosenbein
zupfte. Neugierig sah er nach unten.
»Hummer?« Er sprang zurück, sprang noch einmal
und kroch aufs Dach des Einsatzwagens. »Hummer«,
wiederholte er. Insgesamt mehr als zwei Dutzend - und
einige von ihnen waren einen guten halben Meter lang.
Die meisten hatten sich entschlossen, über die Autobahn
zu kriechen; ein halbes Dutzend hatte innegehalten und
untersuchte den Streifenwagen.
»Stimmt was nicht, Sarge?« fragte der Constable. Er
nahm gerade die Personalien des Lkw-Fahrers auf.
»Ich kann Hummer nicht ausstehen«, stieß der Ser-
geant hervor und kniff die Augen zu. »Ich finde sie wi-
derlich. Für meinen Geschmack haben sie zu viele Beine.
Ich bleibe hier oben sitzen und warte einfach ab. Geben
Sie mir Bescheid, wenn die Biester weg sind!«
Er saß auf dem Autodach, im Regen, und spürte, wie
ihm das Wasser durch den Hosenboden drang.
Irgend etwas donnerte dumpf. Das Gewitter? Nein, es
handelte sich um ein beständiges, rasch anschwellendes
Geräusch. Motorräder. Der Sergeant wagte es, ein Auge
zu öffnen.
Herr im Himmel!

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Ein gutes Omen

Vier Maschinen, und sie rasten mit mehr als hundert


Meilen in der Stunde heran. Der Sergeant wollte vom
Wagen klettern und winken und rufen, aber die Mo-
torräder waren an ihm vorbei, bevor er seine Absicht
verwirklichen konnte. Sie hielten direkt auf den umge-
kippten Laster zu.
Der Polizist begriff, daß es keine Möglichkeit mehr
gab, rechtzeitig einzugreifen. Er schloß das Auge wieder
und wartete auf das Krachen des Aufpralls. Deutlich
hörte er, wie sich die Maschinen dem Lastwagen näher-
ten. Und dann:
Whusch.
Whusch.
Whusch.
Und eine Stimme in seinem Kopf sagte: ICH KOMME
GLEICH NACH.
(»Habt ihr das gesehen?« fragte Echt Coole Typen.
»Sie sind einfach drüber hinweggeflogen!«
»Tolle Sache«, kommentierte Schwere Körperverlet-
zung. »Wenn die das können, ist es für uns ein Kinder-
spiel!«)
Der Sergeant öffnete die Augen. Er wandte sich dem
Constable zu und öffnete auch den Mund.
Der zweite Polizist sagte: »Sie. Sie sind. Sie sind ein-
fach ...«
Plack. Plack. Plack.
Platsch.
Erneut kam es zu einem Fischregen, aber diesmal
dauerte er nicht so lange und war weitaus einfacher zu
erklären. Ein lederumhüllter Arm bohrte sich wie in
Zeitlupe aus der Schuppenmasse. Ein Honda-Rad dreh-
te sich kummervoll.
Es war Skuzz, der - nur halb bei Bewußtsein -fest-
stellte, daß es noch etwas gab, das er mehr haßte als
Franzosen, und zwar: bis zum Hals in Fisch zu stecken,
mit dem unangenehmen Gefühl, sich das Bein gebro-
chen zu haben. Das haßte er wirklich.
Er verspürte den Wunsch, SKV von seiner neuen
Identität zu berichten, aber er konnte sich nicht bewe-
gen. Etwas Feuchtes und Glitschiges rutschte an seinem
Ärmel herab.
Als man ihn kurz darauf aus dem Haufen Fische ge-
zogen hatte und er die anderen drei mit Tüchern zuge-
deckten Körper sah, wurde ihm klar, daß es zu spät war,
ihnen irgend etwas zu sagen.
Er glaubte nun zu wissen, warum Big Ted, Schweini,
Schmierer und er selbst in der Offenbarung keine Er-
wähnung fanden. Weil unsere Fahrt über die Autobahn hier
endete, dachte Skuzz.

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Ein gutes Omen

Er murmelte etwas, und der Sergeant beugte sich zu


ihm herab. »Versuch nicht zu sprechen. Junge. Der
Krankenwagen müßte gleich hier sein.«
»Hören Sie«, stöhnte Skuzz, »ich muß Ihnen was
Wichtiges sagen. Die vier Reiter der Apokalypse - das
sind echte Saukerle, jeder einzelne von ihnen.«
»Er redet im Delirium«, brummte der Sergeant zu sei-
nem Kollegen.
»So'n Blödsinn. Ich bin Leute Im Fischhaufen.« Dann
verlor Skuzz das Bewußtsein.
Das Londoner Verkehrssystem ist hundertmal kompli-
zierter, als man gemeinhin glaubt.
Dieser Umstand hat nichts mit irgendwelchen hölli-
schen oder himmlischen Einflüssen zu tun. Die Gründe
dafür stehen vielmehr mit Geographie, Geschichte und
Architektur in Zusammenhang.
Eigentlich gereicht das den Bewohnern der Stadt zum
Vorteil - obwohl sie das nie glauben würden.
London ist nicht für Autos geschaffen. Übrigens auch
nicht für Menschen. Hier wurde der Zufall zum Schick-
sal. Woraus sich Probleme ergeben, deren Lösungen die
nächsten Schwierigkeiten schufen, in fünf, zehn oder
auch erst in hundert Jahren.
Die letzte dieser Lösungen hieß M25: eine Autobahn,
die einen Kreis um London bildete. Bisher fielen alle
Probleme in die übliche Kategorie. Mit anderen Wor-
ten: Die Autobahn war längst überholt, noch bevor
man sie fertigstellte; es kam zu einsteinschen Rück-
staus, aus denen sich schließlich Vorstaus ergaben und
so weiter.
Das derzeitige Problem bestand darin, daß die M25
gar nicht mehr existierte - zumindest nicht in der ge-
wohnten Raum-Zeit. Tausende von Autofahrern wuß-
ten nichts davon oder versuchten, alternative Wege
nach London zu finden. Was dazu rührte, daß ein enor-
mer, kolossaler Rückstau entstand, der aus allen Rich-
tungen bis ins Stadtzentrum reichte. Zum ersten Mal
bewegte sich in der großen Metropole nichts mehr. In
der ganzen Stadt herrschte ein gewaltiges, absolutes
Verkehrschaos.
Rein theoretisch bieten Autos eine ausgezeichnete
Möglichkeit, innerhalb recht kurzer Zeit große Distan-
zen zurückzulegen. Verkehrsstaus hingegen bieten die
Möglichkeit zum absoluten Stillstand. Man befindet sich
im Regen und in Düsternis, umgeben von der mißtö-
nenden Symphonie der Autohupen, die immer lauter
und heftiger werden.
Crowley war mit seiner Geduld fast am Ende.
Er hatte die Gelegenheit genutzt, noch einmal Erzira-

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Ein gutes Omen

phaels Notizen zu lesen, in Agnes Spinners Prophezei-


ungen zu blättern und gründlich nachzudenken.
Seine Schlußfolgerungen ließen sich folgendermaßen
zusammenfassen.
1. Das Armageddon stand unmittelbar bevor.
2. Crowley konnte nichts dagegen unternehmen.
3. Der Weltuntergang fand in Tadfield statt. Besser
gesagt: Er begann dort. Anschließend betraf er auch den
Rest der Erde.
4. Crowley stand auf der Schwarzen Liste der Hölle.*
5. Erziraphael schien spurlos verschwunden zu sein
und konnte ihm daher nicht helfen.
6. Alles war dunkel, finster und unheilvoll. Es schim-
merte kein Licht am Ende des Tunnels - wenn doch,
stammte es von einem heranrasenden Zug.
7. Crowley konnte in irgendeiner Kneipe an der
Theke Platz nehmen und sich den Verstand aus dem
Kopf trinken, während er auf das Ende der Welt war-
tete.
8. Und doch...
Und an diesem Punkt fiel alles auseinander.
Im Grunde seines Wesens war Crowley Optimist. In
seinem Fühlen und Denken gab es eine unerschütterli-
che Gewißheit, die es ihm erlaubte, selbst schwierige
Zeiten zu überstehen (er dachte kurz ans vierzehnte
Jahrhundert). Sie lautete schlicht und einfach: Ganz
gleich, was auch geschieht - du brauchst nur durchzu-
halten; irgendwann regelt sich alles; das Universum läßt
mich bestimmt nicht im Stich.
Na schön. Die Hölle hatte es also auf ihn abgesehen.
Nun, es würde zu Ende gehen mit der Welt. Der Kalte
Krieg war vorbei, und der Letzte Krieg begann jetzt
tatsächlich. Die Chancen standen, gegen ihn, schlechter
als für eine Wagenladung Hippies in einem kleinen te-
xanischen Kaff. Aber trotzdem gab es noch eine Chance.
Es kam nur darauf an, zur richtigen Zeit am richtigen
Ort zu sein.
Der richtige Ort hieß Tadfield. In diesem Punkt war
Crowley völlig sicher. Seine Überzeugung basierte zum
einen Teil auf dem Buch, zum anderen auf seiner beson-
deren Wahrnehmung: In Crowleys mentaler Weltkarte
pochte Tadfield wie eine Migräne.
Die Frage nach der richtigen Zeit ließ sich ganz ein-
fach beantworten: Er mußte das Dorf vor dem Ende der
In der Hölle existierte keine andere.
Welt erreichen. Der Dämon warf einen kurzen Blick auf
die Uhr. Es blieben ihm noch zwei Stunden, um nach
Tadfield zu gelangen. Wobei es allerdings zu berück-
sichtigen galt, daß sich das Phänomen namens Zeit auf

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Ein gutes Omen

ebenso sonderbare Weise verändern konnte wie die


Autobahn M25.
Crowley legte das Buch auf den Beifahrersitz. Ver-
zweifelte Situationen erforderten verzweifelte Maßnah-
men. Er besaß den Bentley schon sechzig Jahre lang, und
im Lack zeigte sich kein einziger Kratzer.
Zum Teufel auch.
Er setzte entschlossen zurück, beschädigte die vordere
Hälfte des Renault 5 hinter ihm und fuhr auf den Bür-
gersteig.
Er schaltete das Scheinwerferlicht ein und betätigte
die Hupe.
Das sollte als Warnung für jeden Fußgänger genügen,
fand er. Und wenn sie ihm nicht auswichen... Nun, in
zwei Stunden spielte es - vielleicht, wahrscheinlich -
ohnehin keine Rolle mehr.
»Los geht's!« brummte Anthony Crowley und gab
Gas.
Sechs Frauen und vier Männer saßen an den Tischen. Sie
alle hatten ein Telefon und Computerausdrucke, die
dicke Stapel bildeten. Auf jedem einzelnen Blatt standen
Dutzende von Namen und Telefonnummern. Neben
jeder Nummer gab es handschriftliche Notizen. Sie wie-
sen darauf hin, ob die angerufene Person zu Hause war
oder nicht, ob der Anschluß überhaupt noch existierte
und - diesem Aspekt kam eine ganz besondere Bedeu-
tung zu - ob sich die potentiellen Käufer am anderen
Ende der Leitung für Schaumisolierung interessierten
oder nicht.
In den meisten Fällen mußte die letzte Frage mit
einem klaren Nein beantwortet werden.
Die zehn Angestellten verbrachten viele Stunden
damit, bestimmte Waren zu preisen, auf außerordentlich
günstige Zahlungsbedingungen hinzuweisen oder ans
menschliche Mitgefühl zu appellieren. Zwischen den
Anrufen kritzelten sie mit Kugelschreibern auf die Li-
sten, tranken Kaffee und beobachteten den Regen, der
an die Fenster prasselte. Sie hielten die Stellung wie das
Orchester der Titanic. Wenn man bei einem solchen Wet-
ter keine Doppelverglasungen verkaufen konnte, so
konnte man sie nie verkaufen.
Lisa Morrow sagte gerade: »...nun, wenn Sie bitte so
nett wären, mich zu Wort kommen zu lassen, Sir, ja, das
verstehe ich durchaus, Sir, aber ich bitte Sie trotz-
dem...« Und dann, als am anderen Ende aufgelegt
wurde, fügte sie hinzu: »Verdammter blöder Mistkerl.«
Sie ließ den Hörer sinken.
»Noch ein Bad«, teilte sie ihren Kollegen mit. Lisa
Morrow hatte schon vor einigen Tagen die Führung im

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Ein gutes Omen

Leute-aus-der-Badewanne-holen-Wettbewerb übernom-
men, und sie brauchte nur noch zwei Punkte, um den
wöchentlichen Coitus Interruptus-Preis zu gewinnen.
Sie wählte die nächste Nummer auf der Liste.
Nun, es sollte hier erwähnt werden, daß Lisa nur
durch Zufall telefonische Verkäuferin geworden war.
Eigentlich hatte sie sich eine Karriere als internationale
Jet-Setterin vorgestellt, doch leider fehlte ihr die mittlere
Reife.
Wenn sie die Schule ernst genug genommen hätte, um
schließlich internationale Jet-Setterin oder Zahntechni-
kerin (ihre berufliche Alternative) zu werden, anstatt in
diesem besonderen Büro dieser besonderen Arbeit nach-
zugehen ... Nun, dann wäre sie vermutlich in der Lage
gewesen, ein erfüllteres und vor allen Dingen längeres
Leben zu rühren.
Natürlich kein viel längeres - immerhin stand der
Weltuntergang bevor. Die Begünstigung beschränkte
sich auf einige Stunden.
Sie hätte nichts weiter tun müssen, als die Nummer
nicht anzurufen, die sie gerade gewählt hatte. Der An-
schluß befand sich im vornehmen Londoner Stadtteil
Mayfair, und der Computerausdruck entsprach den be-
sten Traditionen unvollständiger, teilweise fehlerhafter
Adressenlisten: Er gab den Namen >Mr. A.J. Cowlley<
an.
Es war bereits zu spät. Lisa hatte gewählt und war-
tete, während es viermal läutete. Dann sagte sie: »Oh,
Mist, schon wieder ein Anrufbeantworter.« Und sie
wollte auflegen.
Es blieb bei der Absicht.
Etwas kroch aus dem Hörer. Etwas sehr Großes und
sehr Zorniges.
Es sah aus wie eine Made. Eine riesige, wütende
Made, die aus Tausenden von kleinen Maden bestand.
Sie wanden sich hin und her. Und sie schrien. Millionen
von winzigen Maden öffneten die winzigen Mäuler, und
jedes Maul gellte »Crowley!«
Dann schwieg das multiple Wesen. Der zuckende Leib
schwang von einer Seite zur anderen, als orientiere sich
das Geschöpf. Unmittelbar darauf teilte es sich.
Das Ding gab Myriaden von Maden frei. Sie krochen
über den Teppich, über die Tische, über Lisa Morrow
und ihre Kollegen. Sie schoben sich in den Mund, in
Nase und Lungen. Sie bohrten sich in menschliches
Fleisch, in Augen und Gehirne. Und während sie fraßen,
legten sie Eier, aus denen schon nach wenigen Sekun-
den neue Maden schlüpften. Sie füllten den ganzen
Raum mit einer feuchtglänzenden, wogenden, stinken-

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Ein gutes Omen

den Masse. Kurze Zeit später gössen die zahllosen Wür-


mer wieder zusammen und gerannen zu einer einheitli-
chen Entität, die vom Boden bis zur Decke reichte und
langsam pulsierte.
Lippenartige Wulste bildeten sich in dem vibrieren-
den Konglomerat, und eine Art Zunge tastete zwischen
ihnen hervor.
»Das tat gut«, knurrte Hastur.
Die halbe Stunde in Crowleys Anrufbeantworter -
nur in Begleitung der aufgezeichneten Nachricht Erzira-
phaels - hatte seine Stimmung nicht gerade verbessert.
Sie verschlechterte sich noch ein wenig, als er daran
dachte, daß er der Hölle Bericht erstatten und erklären
mußte, warum er nicht längst mit Crowley zurückge-
kehrt war.
Satan hielt nichts von Mitarbeitern, die im Außen-
dienst versagten.
Andererseits: Hastur wußte jetzt, worum es in Erzira-
phaels Nachricht ging. Vielleicht konnte er mit diesen
Informationen seine weitere Existenz gewährleisten.
Wie dem auch sei, dachte Hastur. Wenigstens brauche ich
den möglichen Zorn des finsteren Konzils nicht mit leerem
Magen zu ertragen.
Dichter schwefliger Rauch wehte durchs Zimmer, und
als sich die dunklen Schwaden lichteten, war Hastur
verschwunden. Zurück blieben zehn säuberlich abge-
nagte Skelette, einige Lachen aus geschmolzenem Pla-
stik und mehrere blanke Metallfragmente, die einst Teile
von Telefonen gewesen sein mochten. Als Zahntechni-
ker meidet man gewisse Risiken...
Die positive Seite dieses Zwischenfalls? Nun, er be-
wies, daß alles Böse den Keim des eigenen Untergangs
in sich trägt. Im ganzen Land gab es Hunderte von Leu-
ten, die normalerweise ein wenig verdrießlich geworden
wären, weil man sie aus der Badewanne holte oder ihre
Namen falsch aussprach. Aber da ihnen störende An-
rufe erspart blieben, hegten sie keinen Groll gegen den
Rest der Welt. Hasturs zügelloser Appetit rührte dazu,
daß sich eine Welle aus niederfrequentem Guten expo-
nential in der Bevölkerung ausbreitete und Millionen
von Menschen vor blauen Flecken an der Seele schützte.
Und das war in Ordnung.
Der Bentley war nicht wiederzuerkennen. Er schien eine
einzige große Beule zu sein. Einige Glassplitter erinner-
ten an die Scheinwerfer, und alle vier Radkappen fehl-
ten. Er sah wie ein Veteran aus Hunderten von Crash-
Rennen aus.
Man konnte hier verschiedene Gründe anführen. Zum
Beispiel das schlechte Pflaster, einige tiefe Schlaglöcher,

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Ein gutes Omen

hohe Bordsteinkanten. Oder auch die recht schmale Fuß-


gänger-Unterführung. Als besonders schlimm erwies
sich die Durchquerung der Themse. Glücklicherweise
drehte Crowley vorher die Fenster hoch.
Dennoch: Er hatte es bis hierher geschafft.
Nur noch einige hundert Meter trennten ihn von der
M40, die eine hindernisfreie Fahrt bis nach Oxfordshire
in Aussicht stellte. Es gab jedoch ein letztes Problem. Um
die freie Autobahn zu erreichen, mußte er vorher die
M25 passieren - ein kreischendes, glühendes Band aus
purem Schmerz und schwarzem Licht* Odegra. Nichts
konnte das Symbol des Schreckens lebend überqueren.
Zumindest nichts Normalsterbliches. Crowley fragte
sich, wie die gegenwärtige M25 auf einen Dämon rea-
gieren würde. Sie konnte ihn wohl kaum töten, aber ver-
mutlich durfte er mit keiner angenehmen Erfahrung
rechnen.
Vor der Überführung hatte die Polizei eine Stra-
ßensperre errichtet. Rußgeschwärzte Wagen - einige
von ihnen brannten noch immer - wiesen deutlich ge-
nug auf das wenig beneidenswerte Schicksal einiger wa-
gemutiger Autofahrer hin. Die Polizisten wirkten nicht
gerade glücklich.
Crowley schaltete in den zweiten Gang und trat das
Gaspedal bis zum Anschlag durch.
* Hier handelt es sich nicht um ein Oxymoron. Gemeint ist der Spek-
tralbereich jenseits von Ultraviolett. Die theoretische Bezeichnung lau-
tet Infraschwarz. Ein einfaches Experiment ermöglicht es jedem Inter-
essierten, diese Farbe zu sehen. Man wähle eine stabile Mauer, beziehe
zehn Meter davor Aufstellung, senke den Kopf und laufe los. Was man
beim Aufprall sieht (unmittelbar nach dem ersten stechenden Schmerz
und kurz vor dem Tod) ist Infraschwarz.
Er durchbrach die Sperre mit sechzig Meilen. Das war
der einfache Teil.
Überall in der Welt sind Fälle spontaner menschlicher
Verbrennung bekannt. In der einen Minute summt je-
mand fröhlich vor sich hin und genießt sein Leben; sech-
zig Sekunden später verwandelt er sich in einen trauri-
gen Aschehaufen, und nur ein Fuß (oder eine Hand)
entkommt dem seltsamen Feuer. Fälle spontaner Fahr-
zeugverbrennung sind weniger gut dokumentiert.
Ganz gleich, wie viele Beispiele die entsprechende
Statistik anführte: Jetzt kam ein weiteres hinzu.
Die ledernen Sitzbezüge begannen zu schwelen.
Crowley starrte weiterhin durch die Windschutzscheibe,
tastete nach Agnes Spinners Buch und deponierte es in
der Sicherheit seines Schoßes.

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Ein gutes Omen

Er wünschte sich, sie hätte auch dies prophezeit.*


Das Feuer erfaßte den ganzen Bentley.
Crowley fuhr weiter.
Am anderen Ende der Überführung gab es eine
zweite Straßensperre: Sie sollte verhindern, daß sich
dem Verkehrsstau in London weitere Autos hinzugesell-
ten. Die Polizisten lachten über die jüngste Funkmel-
dung. Angeblich hatte ein Kollege auf der M6 einen ge-
stohlenen Streifenwagen angehalten und festgestellt,
daß ein großer Tintenfisch am Steuer saß.
Manche Polizisten glauben einfach alles. Nicht so die
Angehörigen der Londoner Stadtpolizei. Sie sind die zy-
nischsten, pragmatischsten und stursten Beamten in ganz
Großbritannien. Sie stehen mit beiden Beinen fest auf der
Erde.
* Das hatte sie tatsächlich getan. Der Eintrag lautete:
Eine Straße aus Licht werdet schreien, und die schwarze Kutsche der
Schlange in Flammen aufgehet. Und eine Queen höret auf, laute Lieder
zu singigen.
Die meisten Familienmitglieder schlössen sich der Meinung Esote-
rick Apparats an, der im Jahr 1830 eine kurze Anmerkung schrieb und
erklärte, es sei eine Metapher für die 1785 erfolgte Verbannung von
Weishaupts Illuminaten aus Bayern.
Es ist alles andere als einfach. Londoner Stadtpolizi-
sten aus der Ruhe zu bringen.
Man braucht dazu: einen vollkommen zerbeulten
großen Wagen, der in Flammen steht, wie ein gro-
ßer lodernder Glutball aussieht und direkt aus der
Hölle zu kommen scheint; einen wie irre grinsenden
Fahrer, der eine dunkle Sonnenbrille trägt und mitten
im Feuer sitzt. Fügen Sie schwarzen Qualm, Regen und
Sturm hinzu. Und geben Sie dem vorbeirasenden Fahr-
zeug eine Geschwindigkeit von achtzig Meilen pro
Stunde.
Damit gelingt es jederzeit.
Der Steinbruch kam dem ruhigen Zentrum einer vom
Chaos heimgesuchten Welt gleich.
Der Donner grollte nicht nur, sondern zerriß die Luft.
»Einige meiner Freunde sind unterwegs«, wiederholte
Adam. »Sie treffen bald ein, und dann können wir be-
ginnen.«
Hund heulte. Es war nicht mehr das Winseln eines
einsamen Wolfs. Nein, es klang durch und durch nach
einem kleinen Hund, der langsam in Panik geriet.
Pepper schwieg schon seit einer ganzen Weile und
starrte auf ihre Knie.
Sie schien über irgend etwas nachzudenken.

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Ein gutes Omen

Schließlich hob sie den Kopf und sah in Adams trübe


graue Augen.
»Welchen Teil bekommst du?« fragte sie.
Das Fauchen des Sturms wich plötzlicher Stille.
»Wie?« entgegnete Adam.
»Nun, du hast die Welt aufgeteilt und uns verschie-
dene Länder gegeben. Ich möchte nur wissen, was du
bekommst.«
Die Stille klang wie eine Harfe, hoch und dünn.
»Ja«, brummte Brian. »Du hast uns noch nicht gesagt,
was du wählst.«
»Pepper hat recht«, warf Wensleydale ein. »Mir scheint,
es bleibt nicht mehr viel übrig, wenn wir Amerika und
China und den ganzen Rest bekommen.«
Adam klappte den Mund auf und schloß ihn wieder.
»Was?« erwiderte er.
»Welchen Teil der Welt möchtest du?« fragte Pepper.
Adam starrte sie groß an. Hund heulte nicht mehr
und bedachte seinen Herrn mit dem interessierten Blick
einer Promenadenmischung.
»I-ich?« hauchte Adam.
Wieder folgte Stille, und selbst der Sturm hielt den
Atem an.
»Ich habe Tadfield«, sagte Adam.
Die anderen Sie musterten ihn verwirrt.
»Und Lower Tadfield und Norton und Norton
Woods...«
Pepper, Brian und Wensleydale brachten keinen Ton
hervor.
Adam sah sie der Reihe nach an.
»Mehr wollte ich nie haben«, fügte er hinzu.
Die Sie schüttelten synchron die Köpfe.
»Ich kann Tadfield und so bekommen, wenn ich will«,
fuhr Adam fort. Verdrießlicher Trotz zitterte in seiner
Stimme, und plötzlicher Zweifel kam hinzu. »Ich sorge
dafür, daß hier alles besser wird. Ich schaffe bessere
Bäume zum Klettern, bessere Teiche, bessere...«
Er brach ab.
»Nein«, sagte Wensleydale monoton. »Hier ist es nicht
so wie zum Beispiel in Amerika. Hier ist alles wirklich.
Außerdem gehört Tadfield uns allen, nicht bloß dir.«
»Und du kannst unsere Heimat nicht verbessern«, be-
hauptete Brian.
»Und selbst wenn du das könntest - wir wüßten so-
fort Bescheid«, kommentierte Pepper.
»Oh, wenn es nur darum geht, braucht ihr euch keine
Sorgen zu machen«, sagte Adam herablassend. »Ich
kann dafür sorgen, daß ihr so seid, wie ich es will...«
Erneut unterbrach er sich, und seine Ohren lauschten

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Ein gutes Omen

entsetzt den Worten, die er gerade ausgesprochen hatte.


Die Sie wichen zurück.
Hund legte die Vorderpfoten über den Kopf.
Adams Gesicht machte deutlich, daß für ihn gerade
eine Welt einstürzte.
»Nein«, krächzte er heiser. »Nein. Kommt zurück! Ich
befehle es euch!«
Die Sie verharrten mitten in einer überstürzten Flucht.
Adam riß die Augen auf.
»Nein, das wollte ich nicht...«, begann er. »Ihr seid
meine Freunde ...«
Sein Leib zuckte. Er warf den Kopf zurück. Er hob die
Arme, schüttelte die Fäuste gen Himmel.
Seine Züge verzerrten sich. Der Boden unter ihm
knirschte und bebte.
Adam öffnete den Mund und schrie. Er gab ein
Geräusch von sich, das keine normale Kehle verursa-
chen konnte. Es tönte aus dem Steinbruch, vereinte sich
mit dem Fauchen des Sturms, veranlaßte die dunklen
Wolken dazu, neue unheilvolle Formationen zu bilden.
Das Kreischen hielt an.
Es hallte im ganzen Universum wider, das wesentlich
kleiner ist, als die meisten Physiker glauben. Es erschüt-
terte die Himmelssphären.
Es berichtete von einem schier unerträglichen Verlust.
Und es dauerte ziemlich lange, bis wieder Stille ein-
kehrte.
Irgend etwas versickerte und verflüchtigte sich.
Adam neigte den Kopf nach vom und schlug die
Augen auf.
Was auch immer zuvor im alten Steinbruch gestanden
hatte - jetzt nahm Adam Young seinen Platz ein. Er sah
wie der alte Adam Young aus, aber er war klüger und
hatte einige wichtige Erkenntnisse gewonnen.
Es handelte sich um einen menschlicheren Adam
Young.
Das gespenstische, unheimliche Schweigen wich einer
vertrauteren, angenehmeren Stille, die sich nur auf die
Abwesenheit von Geräuschen gründete.
Die aus dem Bann entlassenen Sie standen dicht vor
der hohen Felswand, und ihre Blicke klebten an Adam
fest.
»Es ist alles in Ordnung«, sagte er. »Pepper? Wensley?
Brian? Kommt zurück! Ihr braucht keine Angst zu
haben. Ich weiß jetzt Bescheid. Ihr müßt mir helfen.
Sonst wird alles das passieren, worüber wir gesprochen
haben. Im Ernst. Es wird tatsächlich geschehen, wenn
wir nichts dagegen unternehmen.«
Die Rohrleitungen im Jasmine Cottage ächzten und

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Ein gutes Omen

stöhnten temperamentvoll, während hellbraunes Wasser


auf Newt herabströmte. Es war kalt. Vermutlich hatte
der Hexensucher-Gefreite noch nie zuvor in einem
Leben so kalt geduscht.
Und es nützte kaum etwas.
»Der Himmel ist rot«, sagte Newt, als er ins Wohnzim-
mer zurückkehrte. Er fühlte sich reichlich verwirrt. »Um
halb fünf nachmittags. Im August. Was hat das zu be-
deuten? Ich meine, wenn man dabei die Vorstellungen
von Seefahrern zugrunde legt... Um es anders auszu-
drücken: Wenn ein roter Himmel den gewöhnlichen Ma-
trosen auf einem Segelschiff entzückt - welche meteoro-
logisch-nautischen Phänomene sind dann erforderlich,
um in dem Computertechniker eines Supertankers ähnli-
che Empfindungen zu wecken? Oder sind es Schäfer, die
sich des Nachts über ein rotes Leuchten am Firmament
freuen? Ich kann mich nicht mehr genau erinnern ...«
Anathema betrachtete den Mörtelstaub in Newts
Haar. Die Dusche hatte ihn nicht entfernt, ihn nur in
eine klebrige Masse verwandelt und gleichmäßig ver-
teilt. Der junge Mann erweckte jetzt den Eindruck, als
trüge er einen weißen Hut, aus dem Haare wuchsen.
»Du mußt ganz schön was abbekommen haben«,
sagte sie.
»Nein, das passierte, als ich mit dem Kopf an die
Wand gestoßen bin. Weißt du, als du...«
»Hm«, machte Anathema und blickte durchs gesplit-
terte Fenster. »Glaubst du, die Farbe entspricht der
Farbe von Blut?« fragte sie. »Denk sorgfältig nach. Die
Antwort ist sehr wichtig.«
»Das würde ich nicht sagen«, antwortete Newt, des-
sen Gedanken zeitweise in den falschen Bahnen liefen.
»Nicht wirklich Blut. Eher eine Art Rosa. Wahrscheinlich
hat der Sturm eine Menge Staub aufgewirbelt.«
Anathema kramte in ihrem Karteikasten.
»Suchst du etwas?« fragte Newt.
»Ja, einen bestimmten Querverweis. Eigentlich ist es
noch zu früh, aber...«
»Spar dir die Mühe«, sagte Newt. »Ich weiß, was es
mit dem Rest des Eintrags 3477 auf sich hat. Es fiel mir
ein, als ich...«
»Was soll das heißen, dir fiel ein, was es...«, begann
Anathema laut und verdutzt.
»Ich hab es auf dem Weg hierher gesehen. Und schrei
mich nicht gleich an. Hinter meiner Stirn arbeitet noch
immer ein Preßlufthammer. Nun, ich meine das Schild. Vor
dem Luftwaffenstützpunkt, meine ich. Es hat nichts mit
Fridden oder Fritten zu tun. >Frieden ist unsere Berufung.<
Mit solchen Sprüchen schmücken sich viele Militärbasen.

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Ein gutes Omen

Du kennst das sicher: >SAC 8657745tes Geschwader. Die


Heulenden Blauen Dämonen, Frieden ist unsere Beru-
fung! Etwas in dieser Art.« Newt hob eine Hand zum
Kopf. Die Euphorie verschwand viel zu schnell. »Wenn
Agnes recht hat, ist gerade irgendein Verrückter damit be-
schäftigt, die Raketen startklar zu machen und alle Bom-
ben zu schärfen. Oder was immer sie dort haben.«
»Nein, unmöglich«, erwiderte Anathema fest.
»Ach? Ich habe es in Filmen gesehen. Nenn mir einen
triftigen Grund, warum du so sicher bist.«
»In dem Stützpunkt gibt es weder Raketen noch Bom-
ben. Das ist allgemein bekannt.«
»Himmel, es ist eine Luftwaffenbasis. Sie hat Lande-
bahnen und so.«
»Für Transportflugzeuge. Die Gebäude enthalten nur
Kommunikationsgeräte und jede Menge Elektronik,
nichts Explosives.«
Newt riß die Augen auf.
Sehen Sie sich Crowley an, der mit hundertzehn Mei-
len in der Stunde in Richtung Oxfordshire rast. Selbst
dem beiläufigsten aller beiläufigen Beobachter müssen
gewisse Dinge auffallen. Zum Beispiel die fest zusam-
mengepreßten Lippen oder das düstere rote Glühen hin-
ter der Sonnenbrille. Und der Wagen. Ja, der Wagen bie-
tet einen unübersehbaren Hinweis.
Crowley hatte die Reise mit seinem Bentley begonnen
und hielt an der Entschlossenheit fest, sie auch damit zu
beenden. Nicht einmal der fanatischste Autoliebhaber,
der sogar seine eigene Schutzbrille besitzt, hätte das
Etwas als einen alten Bentley erkannt. Jetzt nicht mehr.
Es bestand sogar nur eine Fünfzig-zu-fünfzig-Chance,
daß es überhaupt für ein Auto gehalten worden wäre.
Zunächst einmal: Der Lack fehlte völlig. Der Bentley
glühte in einem rostigen rötlichen Braun, und die einzi-
gen schwarzen Stellen stammten von Ruß. Darüber hin-
aus war er in einen individuellen Feuerball gehüllt, wie
eine Raumkapsel, deren Insassen es mit der Landung zu
eilig haben.
An den Felgen haftete noch immer eine dünne Schicht
aus geschmolzenem Gummi, aber da alle vier Räder un-
gefähr zwei Zentimeter über dem Asphalt schwebten,
brauchten die Stoßdämpfer nicht mit zusätzlichen Bela-
stungen fertig zu werden.
Der Wagen hätte schon vor vielen Meilen auseinan-
derfallen müssen.
Warum Crowleys Lippen einen dünnen Strich bilde-
ten? Nun, es lag an der enormen geistigen Anstrengung,
den Bentley zusammenzuhalten. Die biodimensionale
Rückkoppelung verursachte das rote Glühen der Augen.

file:///G|/Books/1/omen.htm (268 von 339) [16.06.2001 15:32:23]


Ein gutes Omen

Hinzu kam die Notwendigkeit, sich ständig daran zu er-


innern, auf keinen Fall zu atmen.
So hatte sich Crowley seit dem vierzehnten Jahrhun-
dert nicht mehr gefühlt.
Im Steinbruch herrschte jetzt eine freundlichere, wenn
auch noch immer angespannte Atmosphäre.
»Ihr müßt mir dabei helfen, Klarheit zu schaffen«, er-
klärte Adam. »Die Erwachsenen versuchen das seit Jahr-
tausenden, ohne Erfolg. Wenn wir auch versagen, ist die
Katastrophe nicht mehr aufzuhalten.«
Die Sie nickten stumm.
»Wißt ihr«, fuhr Adam fort, »die Sache ist, ich meine,
die Sache ist, äh... Ihr kennt doch Greasy Johnson, nicht
wahr?«
Die Sie nickten erneut. Sie kannten Greasy Johnson
sogar sehr gut, ebenso wie die übrigen Mitglieder der
einzigen anderen Bande in Lower Tadfield. Sie waren
älter und keine besonders angenehmen Zeitgenossen.
Kaum eine Woche verging, ohne daß es zu irgendwel-
chen Auseinandersetzungen kam.
»Nun«, sagte Adam. »Wir gewinnen immer, oder?«
»Fast immer«, schränkte Wensleydale ein.
»Ja, fast immer«, bestätigte Adam. »Und ...«
»Mindestens haben wir ein paar Siege mehr errun-
gen«, sagte Pepper. »Und manchmal mußten wir alle
beide eine Niederlage einstecken. Erinnert ihr euch an
den Tanzabend der Erwachsenen? Wir...«
»Das zählt nicht«, erwiderte Adam. »Man schimpfte
uns genauso aus wie Greasy Johnson. Außerdem: Eigent-
lich sollten Erwachsene Gefallen an den >von spielenden
Kindern verursachten Geräuschen< finden - das habe
ich irgendwo gelesen. Ich begreife einfach nicht, warum
man uns ausschimpft, nur weil in Tadfield die falschen
Erwachsenen wohnen. Ich meine...« Er zögerte kurz.
»Nun, eins steht fest: Wir sind besser als die Johnsoniten.«
»O ja, wir sind besser«, bestätigte Pepper. »Da hast du
völlig recht. Wir sind sogar viel besser. Aber wir gewin-
nen nicht immer.«
»Angenommen, wir können sie endgültig besiegen«,
sagte Adam langsam. »Angenommen, man... schickt sie
fort und so. Angenommen, in Lower Tadfield gibt es
außer uns keine andere Bande mehr. Was haltet ihr
davon?«
»Schlägst du vor, daß die Johnsoniten, äh, sterben sol-
len?« fragte Brian.
»Nein. Nimm nur einfach mal an, daß sie weg sind.«
Die Sie überlegten. Greasy Johnson gehörte zu ihrem
Leben, seit sie alt genug waren, um sich mit Bauklötzen
zu bewerfen. Sie versuchten sich eine Welt mit einem

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Ein gutes Omen

johnsonförmigen Loch vorzustellen.


Brian kratzte sich an der Nase. »Schätze, ohne Greasy
wäre alles besser«, mutmaßte er. »Wißt ihr denn noch,
was er bei meiner Geburtstagsfeier anstellte? Und ich
mußte später dafür büßen.«
»Tja, ich weiß nicht«, murmelte Pepper. »Ich meine,
wenn man genauer darüber nachdenkt... Ohne Greasy
Johnson und seine Bande könnte es ziemlich langweilig
werden. Es gab immer eine Menge Spaß mit Greasy
Johnson und den Johnsoniten. Wahrscheinlich müßten
wir eine andere Bande finden.«
Wensleydale räusperte sich demonstrativ. »Ich glaube,
die Leute in Lower Tadfield wären froh, die Johnsoniten
und uns loszuwerden.«
Selbst Adam wirkte schockiert.
»Zum Beispiel das Altersheim«, fuhr Wensleydale un-
gerührt fort. »Und Picky. Und...«
»Aber wir sind die Guten«, begann Brian und zögerte.
»Na schön«, sagte er. »Aber bestimmt wäre dann für die
Erwachsenen alles viel weniger aufregend.«
»Ja.« Wensleydale nickte. »Genau das meine ich.«
Er schnitt eine Grimasse. »Die Leute hier wollen
weder uns noch die Johnsoniten. Ihr kennt das ja: Dau-
emd beschweren sie sich darüber, daß wir uns mit unse-
ren Rädern oder Skateboards vor ihren Häusern >her-
umtreiben< und zuviel Lärm machen. Sie schimpfen
schon, wenn wir miteinander lüstern.«
Kurzes Schweigen schloß sich an.
»Da muß ich an die Sache mit den Knallfröschen den-
ken.« Brian grinste. »Mister Tyler sah aus wie eine über-
reife Tomate, als wir die Knaller in seine Rosenbeete
warfen...«
Normalerweise wäre es jetzt zu einer mindestens fünf
Minuten langen Diskussion gekommen, bei der es um
vergangene Streiche und dergleichen ging. Aber zumin-
dest Adam war nicht in der richtigen Stimmung.
»Ihr wollt also auf folgendes hinaus...«, sagte er in
seinem besten Vorsitzenden-Tonfall. »Es hätte überhaupt
keinen Sinn, wenn wir die Johnsoniten schlagen oder
umgekehrt.«
»Ja«, pflichtete ihm Pepper bei. »Wenn wir den ent-
scheidenden Sieg über sie erringen, müssen wir an-
schließend unsere eigenen Gegner sein. Es läuft dann
auf >Adam und ich gegen Brian und Wensley< hinaus.«
Sie lehnte sich zurück. »Jeder braucht einen Greasy
Johnson«, schloß sie.
»Genau«, murmelte Adam, »das meine ich auch. Es
wäre gar nicht gut, daß jemand gewinnt, stimmt's?« Er
sah Hund an. Besser gesagt: Er sah durch ihn.

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Ein gutes Omen

»Ist doch eigentlich ganz einfach«, ließ sich Wensley-


dale vernehmen. »Weiß überhaupt nicht, warum es viele
tausend Jahre gedauert hat, um eine Lösung für dieses
Problem zu finden.«
»Es liegt daran, daß Männer nach einer Lösung such-
ten«, sagte Pepper bedeutungsvoll.
»Deshalb brauchst du nicht gleich wieder Partei zu er-
greifen«, erwiderte Wensleydale.
»Als Frau muß ich einfach für Frauen Partei ergrei-
fen«, erklärte Pepper. »Jeder sollte für irgend etwas Partei
ergreifen.«
Adam traf eine Entscheidung.
»Na schön«, sagte er leise. »Aber zum Glück sind wir
noch keine Männer und Frauen, sondern Kinder. Es be-
steht also nicht die geringste Gefahr, daß wir irgendwas
verpfuschen. Ich finde, ihr holt eure Fahrräder, und wir
ziehen los und regeln ein paar Dinge.«
Madame Tracys Motorroller machte Putputputputputput,
als er über die Straße rollte - das einzige Fahrzeug, das
sich in der wirren und völlig erstarrten Masse aus
Autos, Taxis und roten Londoner Bussen bewegte.
»Einen solchen Verkehrsstau habe ich noch nie zuvor
gesehen«, sagte Madame Tracy. »Ob irgendwo ein Un-
fall passiert ist?«
»Sehr wahrscheinlich«, antwortete Erziraphael. Und
dann: »Mister Shadwell, wenn Sie sich nicht an mir
festhalten, fallen Sie früher oder später hinunter. Ich
fürchte, dieses Ding bietet nur einer Person bequem
Platz.«
»Und fir schind zu dritt«, murmelte Shadwell. Seine
linke Hand schloß sich so fest um den Rand des ausge-
fransten Polsters, daß die Knöchel weiß hervortraten,
und mit der anderen umklammerte er die Donner-
büchse.
»Ich wiederhole mich nicht gern, Mister Shadwell.«
»Halt an, Feib.« Der Hexensucher-Feldwebel seufzte.
»Damit ich die Faffe zurechtrücken kann.«
Madame Tracy kicherte pflichtbewußt und bremste
am Straßenrand.
Shadwell versuchte ohne großen Erfolg, eine beque-
mere Position zu finden. Widerstrebend schlang er die
Arme um Madame Tracy - seine Donnerbüchse bildete
eine Art Schild zwischen ihnen.
Zehn Minuten lang fuhren sie schweigend durch den
Regen - putputputputput -, während ihnen die im Stau
gefangenen Autofahrer neidisch nachsahen.
Madame Tracy stellte fest, wie sich ihr Blick auf den
Tacho richtete, was sie für töricht hielt, denn er funktio-
nierte schon seit 1974 nicht mehr, und selbst davor hatte

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Ein gutes Omen

er nicht besonders gut funktioniert.


»Wie hoch ist unsere Geschwindigkeit Ihrer Meinung nach,
werte Dame?« fragte Erziraphael.
»Wieso?«
»Ich habe den Eindruck, daß wir zu Fuß ein wenig schnel-
ler vorankämen.«
»Wenn ich allein auf dem Motorroller sitze, beträgt
die Höchstgeschwindigkeit etwa fünfzehn Meilen in der
Stunde. Da uns Mister Shadwell Gesellschaft leistet, re-
duziert sie sich vermutlich auf...«
»Vier oder fünf Meilen«, unterbrach sich Madame Tracy.
»Ja, ich glaube schon«, räumte sie ein.
Hinter ihr hüstelte jemand. »Muscht du mit dieschem
höllischen Ding unbedingt scho schnell fahren?« erklang
eine von Entsetzen geprägte Stimme. Shadwell haßte
alle Teufel der Hölle, aber sein besonderer Abscheu galt
den Geschwindigkeitsdämonen.
Erziraphael achtete nicht auf den Feldwebel.
»Was bedeutet, daß wir Tadfield in knapp fünf Stunden er-
reichen«, sagte er.
Madame Tracy zögerte kurz. »Wie weit ist Tadfield
eigentlich entfernt?« erkundigte sie sich.
»Etwa vierzig Meilen.«
»Oh.« Madame Tracy entsann sich an ihre Kühnheit,
eine mehrere Meilen lange Reise zu wagen, um ihre
Nichte in Finchley zu besuchen. Doch seitdem nahm sie
den Bus, weil der Motorroller auf dem Rückweg selt-
same Geräusche von sich gegeben hatte.
»Wir müßten mindestens mit siebzig fahren, um rechtzeitig
einzutreffen«, sagte Erziraphael. »Hm, Feldwebel? Bitte hal-
ten Sie sich gut fest!«
Der Motor stotterte weiterhin sein monotones
Putputputputputput, aber ein blaues Glühen umhüllte
das zweirädrige Gefährt und seine beiden - Verzeihung,
seine drei - Passagiere.
Putputputputputput, und wie von Geisterhand bewegt
stieg der Roller auf, schwankte einige Male unsicher
und schwebte schließlich anderthalb Meter über der
Straße.
»Sehen Sie nicht nach unten, Feldwebel«, riet Erzira-
phael.
»...« erwiderte Shadwell und kniff die Augen zu-
sammen. Seine aschfahle Stirn war schweißgebadet; er
blickte nicht nach unten, er bückte überhaupt nir-
gendwo hin.
»Und ab geht die Post.«
In jedem teuer produzierten Science Fiction-Film gibt
es eine Szene, in der ein Raumschiff auf Lichtgeschwin-
digkeit beschleunigt. Es geschieht mit einem sirrenden

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Ein gutes Omen

Geräusch, das an ein Nudelholz erinnert, das man über


eine Tischkante rollt, begleitet von einer verwirrenden
Lichtkaskade, und plötzlich werden die Sterne zu lan-
gen Streifen, und dann ist das Raumschiff weg. Es war
genauso, außer daß es sich anstelle eines zwanzig Kilo-
meter langen Raumschiffs um einen verblichenen wei-
ßen zwanzig Jahre alten Motorroller handelte. Und auch
die speziellen Regenbogenfarbeneffekte fehlten. Und
wahrscheinlich machte er auch nicht mehr als 200 Mei-
len in der Stunde. Und anstelle eines hohen Wimmems,
durch alle Oktaven, machte er einfach...
Putputputputput,
das sich in ein jähes WROOOOM verwandelt.
Doch genauso war es.
Die M25 ist nur noch ein kreischender, von okkultem
Frost heimgesuchter Kreis. An der Anschlußstelle zur
M40 nach London finden sich immer mehr Streifenwa-
gen ein. Seit Crowley vor ungefähr einer halben Stunde
die Überführung passierte, hat sich ihre Anzahl verdop-
pelt. Allerdings nur auf der M40-Seite - kein einziger
Wagen verläßt London.
Abgesehen von den Polizisten sind auch noch etwa
zweihundert andere Personen zugegen und beobachten
die M25 durch Ferngläser. Zu ihnen gehören Repräsen-
tanten des britischen Militärs, Fachleute vom Bomben-
räumtrupp, MI 5, MI 6, die Spezialabteilung und die
CIA.
Hinzu kommt ein Mann, der Hot Dogs verkauft.
Alle sind durchnäßt, verwirrt und verärgert. Mit der
Ausnahme eines Polizeibeamten, der nicht nur durch-
näßt, verwirrt und verärgert ist, sondern auch verzwei-
felt.
Er seufzte gerade. »Hören Sie, von mir aus können Sie
glauben, was Sie wollen. Ich weiß nur, was ich gesehen
habe. Es handelte sich um einen alten Wagen, einen
Rolls oder Bentley, 'n echtes Vorkriegsmodell, jawohl,
und das Ding schaffte es über die Brücke.«
Einer der Militärtechniker schüttelte den Kopf. »Un-
möglich. Nach unseren Instrumenten beträgt die Tempe-
ratur im Bereich der M25 etwa siebenhundert Grad Cel-
sius.«
»Beziehungsweise hundertvierzig Grad unter null«,
fügte sein Assistent hinzu.
»Beziehungsweise hundertvierzig Grad unter null«,
bestätigte der ranghöhere Techniker. »Diesen Punkt
haben wir noch nicht eindeutig geklärt. Vermutlich geht
der scheinbare Widerspruch auf eine Fehlfunktion unse-
rer Meßinstrumente zurück.

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Ein gutes Omen

* Tatsache bleibt jedoch,


daß wir nicht einmal einen Hubschrauber über die M25
hinwegfliegen lassen können, ohne ihn anschließend
aus unseren Bestandslisten streichen zu müssen. Daher
frage ich mich, wie es irgendeinem Oldtimer gelungen
sein soll, die Brücke unbeschädigt zu überqueren.«
»Ich habe nicht behauptet, daß der verdammte Wagen
unbeschädigt geblieben ist«, erwiderte der Polizist und
*Womit er durchaus recht hatte. Es gab kein Thermometer auf Erden,
das man dazu bewegen konnte, gleichzeitig 700 ºC und -140ºC anzu-
zeigen - und genau das war die richtige Temperatur.
dachte ernsthaft daran, den Dienst zu quittieren und
Kompagnon seines Bruders zu werden, der sich vorzei-
tig in den Ruhestand zurückgezogen und mit einer
Hühnerzucht begonnen hatte. »Er ging in Flammen auf.
Und fuhr trotzdem weiter.«
»Verlangen Sie wirklich von uns, daß wir so etwas
glauben«, begann jemand.
Er unterbrach sich, als ein fast schrilles, sonderbares
und geradezu unheimliches Heulen ertönte. Es klang so,
als spiele jemand tausend gläserne und nicht richtig ge-
stimmte Mundharmonikas. Es hörte sich an, als gäben
die Moleküle der Luft schmerzerfüllte Schreie von sich.
Und wroooom.
Das Etwas raste in einer Höhe von rund zehn Me-
tern über die erstaunte Menge hinweg, umhüllt von
dunkelblauem Leuchten, das am Rand rötlich schim-
merte: ein grauweißer Motorroller, gesteuert von einer
Frau in mittleren Jahren, die einen rosaroten Helm
trug. Der zwergenhafte Mann auf dem Soziussitz klam-
merte sich an ihr fest. Ein dunkelgrüner Sturzhelm ge-
währte ihm zweifelhaften Schutz, und sein fleckiger
Regenmantel flatterte im Wind. Der Roller flog so hoch
und schnell, daß die an den Boden gebundenen Zu-
schauer nicht sehen konnte, wie fest Shadwell die
Augen zukniff.
Die Frau schrie. Und sie schrie folgendes:
»Gerrronnnimooooo!«
Newt wies häufig voller Stolz auf einen wichtigen Vor-
teil seines Wagens hin: Selbst wenn die Karosserie des
Wasabi erheblich in Mitleidenschaft gezogen war - man
sah es ihr kaum an. Er mußte Dick Turpin immer wieder
auf den Seitenstreifen lenken, um heruntergefallenen
Zweigen und Ästen auszuweichen.
»Jetzt sind alle Zettel aus dem Karteikasten gefallen«,
klagte Anathema.
Das Auto wackelte auf die Straße zurück, irgendwo
unter dem Handschuhfach ertönte ein dünne Stimme:

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Ein gutes Omen

»Öldluckalalm.«
»Es dauert eine Ewigkeit, um sie zu sortieren«, stöhnte
die junge Frau.
»Das ist gar nicht nötig«, sagte Newt grimmig. »Wähl
einfach irgendeinen aus. Es spielt keine Rolle, für wel-
chen du dich entscheidest.«
»Was soll das heißen?«
»Nun, wenn Agnes recht hat, wenn wir aufgrund
ihrer Prophezeiungen unterwegs sind... Dann muß
jeder Zettel, den du jetzt zur Hand nimmst, wichtig sein.
Das ist logisch.«
»Das ist nicht logisch, sondern völliger Unsinn.«
»Ach, tatsächlich? Du bist hier, weil sie es geweissagt
hat. Übrigens: Hast du dir schon überlegt, mit welchen
Worten wir den Colonel ansprechen sollen? Falls man
uns überhaupt zu ihm läßt, was ich bezweifle.«
»Wenn wir vernünftige Argumente vortragen...«
»Hör mal, ich kenne solche Orte. An den Toren halten
hünenhafte Soldaten Wache, die nicht aus Fleisch und
Blut bestehen wie wir, sondern aus Granit. Und sie tra-
gen weiße Helme und sind mit echten Waffen ausgerü-
stet, die mit echten Kugeln aus echtem Blei schießen.
Solche Projektile hinterlassen ein häßliches Loch in der
Brust und bleiben nicht etwa im Leib stecken, nein, sie
durchdringen ihn ganz, prallen von irgendeiner Wand
ab und kehren zurück, bevor du »Entschuldigen Sie
bitte, wir haben Grund zu der Annahme, daß bald der
Dritte Weltkrieg ausbricht, und es deutet alles darauf-
hin, daß die Show an diesem Ort beginnt< sagen kannst,
und dann gibt es noch die ernsten Männer in dunklen
Anzügen und an bestimmten Stellen ausgebeulten
Jacken, und sie bringen dich in ein fensterloses Zimmer,
und dort fragen sie, ob du Mitglied einer roten subversi-
ven Organisation gewesen bist, wie es zum Beispiel jede
englische Partei ist.«
»Wir sind fast da.«
»Siehst du die Tore und Stacheldrahtzäune und alles?
Bestimmt laufen dort Hunde herum, die Menschen fres-
sen.«
»Ich glaube, du bist ein bißchen nervös«, sagte Ana-
thema ruhig und hob den letzten Zettel auf.
»Nervös? Von wegen! Ich mache mir in aller Ruhe
Sorgen darüber, möglicherweise erschossen zu werden!«
»Agnes hätte so etwas sicher erwähnt. Was persönli-
che Schicksale betrifft, legte sie immer großen Wert auf
prophetische Genauigkeit.« Anathema begann geistes-
abwesend, die Blätter zu mischen.
»Weißt du«, sagte sie, während Papier knisterte, »ir-
gendwo habe ich von einer Sekte gelesen, die Computer

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Ein gutes Omen

für Teufelswerkzeuge hält. Ihre Anhänger glauben, es


komme zum Weltuntergang, weil der Antichrist gut
mit Computern umgehen kann. Wahrscheinlich steht es
irgendwo in der Offenbarung. Wenn ich mich recht ent-
sinne, wurde es auch in einer Zeitung erwähnt...«
»Daily Mail«, sagte Newt. »>Brief aus Amerika. < Ah,
dritter August. Unmittelbar nach der Geschichte über
die Frau in Nebraska, die ihrer Ente beibrachte, auf dem
Akkordeon zu spielen.«
»Mhm«, machte Anathema und legte die Zettel auf
den Schoß, mit der beschrifteten Seite nach unten.
Computer sind also Teufelswerkzeuge, dachte Newt. Er
war sofort bereit, dies für möglich zu halten. Computer
mußten irgend jemandem als Werkzeug dienen, und er
wußte definitiv, daß er es nicht war.
Der Wasabi hielt.
Die Luftwaffenbasis schien sehr unter dem Sturm ge-
litten zu haben. Im Bereich der Zufahrt waren einige
große Bäume umgestürzt, und mehrere Männer ver-
suchten gerade, sie mit Hilfe eines Baggers aus dem
Weg zu räumen. Der Wächter beobachtete sie gleichgül-
tig, wandte sich dann um und richtete einen kühlen
Blick auf den Wagen.
»Na schön«, brummte Newt. »Wähl einen Zettel!«
3001: Hinter dem Adler isset
gefallen eine große Esche.
»Das ist alles?«
»Ja. Bisher dachten wir, dieser Eintrag stehe in irgend-
einem Zusammenhang mit der russischen Oktoberrevo-
lution. Fahr weiter und bieg am Ende der Straße nach
links ab.«
Die Abzweigung führte zu einem schmalen Weg. Der
Zaun des Militärstützpunkts begrenzte ihn auf der lin-
ken Seite.
»Und jetzt halt an!« bat Anathema. »Hier stehen oft
Wagen. Bestimmt schöpft niemand Verdacht.«
»Warum sollte hier jemand parken?«
»Dies ist die hiesige Fummelecke.«
»Oh, scheint das Pflaster deshalb aus Gummi zu be-
stehen?«
Sie stiegen aus und gingen an einer hohen Hecke
entlang, bis sie nach etwa hundert Metern die Esche er-
reichten. Einmal mehr bestätigten sich Agnes' Prophe-
zeiungen. Der Baum war direkt auf den Zaun gefal-
len.
Dort saß ein Wächter und rauchte in aller Gemüts-
ruhe. Ein schwarzer Wächter, um ganz genau zu sein. m
der Gegenwart von schwarzen Amerikanern befürchtete
Newt immer, daß man ihm zwei Jahrhunderte des Skla-

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Ein gutes Omen

venhandels vorwarf, und auch diesmal fühlte er sich


instinktiv schuldig.
Der Mann stand auf, als sie näher kamen, nahm dann
wieder Platz und entspannte sich.
»Oh, hallo, Anathema!« rief er,
»Hallo, George! Scheußlicher Sturm, was?«
»Das kann man wohl sagen.«
Sie wanderten weiter, und der Wächter blickte ihnen
nach, bis sie nicht mehr zu sehen waren.
»Kennst du ihn?« fragte Newt mit erzwungener Läs-
sigkeit.
»Oh, klar. Manchmal kommen ein paar von den Sol-
daten in den Pub. Sind ganz nette Kerle, aber ein biß-
chen ungehobelt.«
»Schießt er auf uns, wenn wir das Gelände des Stütz-
punkts betreten?« fragte Newt.
»Schätze, er ist durchaus bereit, die Waffe drohend auf
uns zu richten«, erwiderte Anathema.
»Das genügt. Was sollen wir jetzt tun?«
»Nun, ich bin sicher, Agnes hat den Hinweis auf die
Esche aus gutem Grund gegeben. Warten wir einfach ab.
Ist nicht mehr so schlimm hier draußen, nachdem sich
der Wind gelegt hat.«
»Oh.« Newt beobachtete die dunklen Wolken am Ho-
rizont. »Gute alte Agnes.«
Adam radelte über die Straße. Hund folgte ihm, und
manchmal versuchte er aus reinem Übermut, in den hin-
teren Reifen zu beißen.
Etwas klackte, und Pepper sauste über die Zufahrt
vor dem Haus ihrer Eltern. Man wußte sofort, daß es
sich nur um Peppers Fahrrad handeln konnte. Ein Stück
Pappe, gehalten von einer Klammer, knatterte in den
Speichen. Die Katzen von Lower Tadfield hatten längst
gelernt, sich irgendwo zu verstecken, wenn sie das Rat-
tern hörten.
»Wir können durch Drovers Lane und dann durch
Roundhead Woods abkürzen«, schlug Pepper vor.
»Dort ist bestimmt alles voller Schlamm«, gab Adam
zu bedenken.
»Ja, du hast recht«, räumte das Mädchen ein. »Da drü-
ben wird alles total matschig, kaum daß es mal ein paar
Tropfen regnet. Fahren wir doch durch die Kreidegrube!
Da ist es immer trocken, wegen der Kreide. Und danach
geht's am Rieselfeld vorbei.«
Brian und Wensleydale schlössen zu Adam und Pep-
per auf. Wensleys Rad war pechschwarz, glänzte und
wirkte wie neu. Brians Modell mußte einmal weiß ge-
wesen sein, aber bedauerlicherweise hielt er nichts
davon, es zu putzen.

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Ein gutes Omen

»Ich find's blöd, den alten Flugplatz Militärbasis zu


nennen«, sagte Pepper. »Ich war am Tag der offenen Tür
dort und habe überhaupt keine Bomben oder Raketen
gesehen. Nur Tasten und Bildschirme und langweilige
Blaskapellen.«
»Ja«, bestätigte Adam.
»Tasten und Bildschirme und Blaskapellen sind nicht
besonders militärisch«, stellte Pepper fest.
»Kommt ganz drauf an«, murmelte Adam. »Zumin-
dest mit Tasten und Bildschirmen läßt sich eine Menge
anstellen.«
»Ich habe einen Physikkasten zu Weihnachten bekom-
men«, warf Wensleydale ein. »Mit lauter elektrischen
Teilen und so. Jede Menge Tasten und Schalter. Man
kann sich daraus ein Radio bauen, das leise piept.«
»Nun«, sagte Adam langsam, »ich dachte eher an be-
stimmte Leute, die das weltweite militärische Kommu-
nikationsnetz manipulieren und allen Computern befeh-
len, mit dem Krieg zu beginnen.«
»Donnerwetter!« entfuhr es Brian. »Das wäre ver-
dammt bösartig.«
»Und ob«, stimmte ihm Adam zu.
Wer Vorsitzender eines Bürgervereins ist, nimmt sehr
verantwortungsvolle Aufgaben wahr.
R. P. Tyler - klein, gutgenährt und zufrieden -mar-
schierte an der Landstraße entlang, begleitet von Knud-
del, dem Zwergpudel seiner Frau. R. P. Tyler kannte den
Unterschied zwischen Richtig und Falsch; bei ihm gab
es keine moralischen Grauzonen irgendwelcher Art.
Doch seine Zufriedenheit gründete sich nicht nur dar-
auf, daß er jederzeit Richtig und Falsch voneinander zu
unterscheiden vermochte. Er hielt es auch für seine
Pflicht, den Rest der Welt darauf hinzuweisen.
R. P. Tyler neigte keineswegs dazu, an irgendeiner
Straßenkreuzung oder im Park auf ein improvisiertes Po-
dium zu klettern und feurige Reden zu halten. Nein, er
hatte ein anderes Forum gewählt: die Leserbrief-Rubrik
des Tadfield-Kurier. Wenn der Baum eines Nachbarn rück-
sichtslos genug war, Blätter in R. P. Tylers Garten fallen zu
lassen, so harkte R. P. Tyler sie sorgfältig zusammen und
verstaute sie in einem Karton, den er dann mit einer kur-
zen Protestnote vor die Tür des betreffenden Nachbarn
stellte. Wenn er Kinder oder Jugendliche entdeckte, die auf
der Dorfwiese saßen, sich laute Musik anhörten und her-
umalberten, so zögerte er nicht, ihr verwerfliches Verhalten
zu kritisieren, m solchen Fällen ertönte meistens spötti-
sches Gelächter, das jedoch bald hinter R. P. Tyler verklang,
weil er eiligen Schrittes nach Hause zurückkehrte, um
einen neuen Brief an den Tadfield-Kurier zu schreiben, den

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Ein gutes Omen

Niedergang der Moral zu brandmarken und mit ausgefeil-


tem Stil die Jugend von heute zu beschreiben.
Seit seiner Pensionierung im letzten Jahr wurden die
zeitlichen Abstände zwischen den Briefen immer kürzer,
und schließlich sah sich der Tadfield-Kurier außerstande,
sie alle zu veröffentlichen. Bevor er seinen abendlichen
Spaziergang begann, hatte R. P. Tyler folgende Sätze zu
Papier gebracht:
Sehr geehrte Herren,
mit großem Kummer muß ich zur Kenntnis nehmen,
daß es die Redakteure der modernen Nachrichten-
sendungen nicht mehr für nötig halten, ihre Zuhörer
mit angemessener Sorgfalt zu informieren, was mir
um so bedenklicher scheint, da wir, die Steuerzahler,
für ihr Gehalt aufkommen... Man denke in diesem
Zusammenhang nur an die vielen Zweige und Blätter
auf Straßen und Gehsteigen. Haben sie denn über-
haupt nicht an die Reinigungsrechnung gedacht/ als
sie uns den Sturm schickten? Der Gemeinderat muß
alle notwendigen Gelder bereitstellen, und wir, die
Steuerzahler, kommen letztendlich dafür auf.
Das sie in dem Brief bezog sich auf die Wettervorher-
sage im Radio.
* R. P. Tyler machte sie für das Wetter ver-
antwortlich.
Knuddel blieb an einem Strauch stehen und hob das
Bein.
R. P. Tyler wandte verlegen den Blick ab. Es mochte
durchaus sein, daß sein abendlicher Spaziergang in erster
Linie dazu diente, dem Zwergpudel Erleichterung zu ver-
schaffen, aber er lehnte es strikt ab, das zuzugeben.
Er beobachtete die grauen und schwarzen Gewitter-
wolken. Sie bildeten seltsame Formen, stapelten sich
übereinander, wirkten fast wie himmlische Lawinen, die
jeden Augenblick herabstürzen konnten. Blitze zuckten
darin (bestens geeignet für die Anfangsszene eines Fran-
kenstein-Films), aber ihr Flackern ließ sofort nach, als
R. P. Tyler den Rand von Lower Tadfield erreichte. Mit-
ten in den dunklen Wolkenmassiven gab es einen Reck
aus hellem Tageslicht, doch der hindurchschimmernde
Sonnenschein glühte in einem gelblichen Ton und
wirkte wie ein gezwungenes Lächeln.
Stille herrschte.
Und dann brummte etwas.
Vier Motorräder fuhren über die schmale Straße. Sie
donnerten an R. P. Tyler vorbei und erschreckten einen
Fasan, der mit entsetztem Krächzen aufstieg und über

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Ein gutes Omen

die Hecken hinwegflatterte.


»Wandalen!« schrie R. P. Tyler.
Das ländliche England war nicht für solche Leute ge-
schaffen, sondern für aufrechte Bürger wie ihn.
* R. P. Tyler besaß keinen Fernseher. Seine Frau drückte es folgender-
maßen aus: »Ronald läßt es bestimmt nicht zu, daß so ein Ding ins
Haus kommt, nicht wahr, Ronald?« Er pflichtete ihr natürlich bei, ob-
gleich er insgeheim mit dem Gedanken spielte, sich irgendwann ein-
mal ein Beispiel für den jugendgefährdenden Schund anzusehen,
gegen den die Nationale Vereinigung der Fernsehzuschauer und Ra-
diohörer immerzu protestierte. Selbstverständlich hatte er kein persön-
liches Interesse daran. Er wollte nur wissen, wovor es die Jugend zu
schützen galt.
Er zerrte an Knuddels Leine und marschierte weiter.
Fünf Minuten später sah er drei der Motorradfahrer
wieder. Sie standen an einem umgestürzten Wegweiser,
einem Opfer des Sturms. Der vierte, ein hochgewachse-
ner Mann mit spiegelndem Visier, hockte weiterhin auf
seiner Maschine.
R. P. Tyler schätzte die Situation ein und gelangte
mühelos zu einer Schlußfolgerung. Die Wandalen - er
glaubte seine Meinung bestätigt - waren nach Lower
Tadfield gekommen, um das Kriegerdenkmal mit Farbe
zu besprühen und Wegweiser umzustoßen.
Er wollte gerade eine strenge Miene aufsetzen und sie
zur Rede stellen, als ihm einfiel, daß er es mit vier Row-
dies zu tun hatte, während sein einziger Verbündeter
Knuddel hieß. Sie schienen wesentlich kräftiger zu sein
als er, und außerdem handelte es sich zweifellos um ge-
walttätige Psychopathen. In R. P. Tylers Welt genügte es,
ein Motorrad zu fahren, um sofort zu einem gewalttäti-
gen Psychopathen zu werden.
Er beschränkte sich darauf, das spitze Kinn vorzu-
schieben und einfach an den Fremden vorbeizugehen,
ohne ihnen Beachtung zu schenken,* während er gleich-
zeitig einen mentalen Brief aufsetzte: Sehr geehrte Her-
ren, an diesem Abend mußte ich mit großem Kummer
zur Kenntnis nehmen, daß Unser Schönes Dorf von vie-
len Hooligans heimgesucht wurde. Ich frage mich,
warum unsere Regierung nichts gegen diese Plage un-
ternimmt und...
»Hallo«, sagte einer der Motorradfahrer und hob das
Visier. Dahinter kam ein schmales Gesicht mit schwar-
zem Bart zum Vorschein. »Ich glaube, wir haben uns
verirrt.«
»Ah«, erwiderte R. P. Tyler mißbilligend.
* Allerdings versuchte er als Mitglied (bzw. Gründer) des lokalen
Nachbarschafts-Selbstschutzvereins, sich die Kennzeichen der Mo-
torräder zu merken.

file:///G|/Books/1/omen.htm (280 von 339) [16.06.2001 15:32:23]


Ein gutes Omen

»Der Wegweiser ist im Sturm umgestürzt.«


»Ja, da haben Sie vermutlich recht.« R. P. Tyler stellte
erstaunt fest, daß sein Magen knurrte.
»Tja, äh, wenn Sie uns den Weg nach Lower Tadfield
zeigen könnten ...«
R. P. Tyler hob eine offizielle Braue. »Sie sind Ameri-
kaner. Vom Luftwaffenstützpunkt, nehme ich an.« (Sehr
geehrte Herren, als ich den Wehrdienst leistete, konnte
mein Land stolz auf mich sein. Ich muß entsetzt und mit
großem Kummer zur Kenntnis nehmen, daß Soldaten
von der Militärbasis Tadfields durch Unser Schönes
Dorf fahren und dabei wie gewöhnliche Halunken ge-
kleidet sind. Nun, ich weiß natürlich zu schätzen, daß
sie die Freiheit der westlichen Welt verteidigen, aber...)
Dann erwachte R. P. Tylers Freude an Belehrungen.
»Fahren Sie eine halbe Meile über diese Straße und bie-
gen Sie dann nach links ab, tja, der Weg ist in einem be-
klagenswerten Zustand, ich habe den Gemeinderäten
zahlreiche Briefe geschrieben, seid ihr Diener der Bürger
oder etwa ihre Herren, habe ich sie gefragt, ich meine,
wer kommt eigentlich für euer Gehalt auf, und dann
nehmen Sie die zweite Straße rechts, allerdings ist es
nicht in dem Sinne die rechte, sondern eher die linke,
aber Sie werden feststellen, daß sie schließlich nach
rechts führt, sie heißt Porrit's Lane, aber das stimmt
natürlich nicht, man braucht nur auf eine amtliche topo-
graphische Karte zu sehen, um auf den ersten Blick zu
erkennen, daß sie den falschen Namen trägt, sie ist
schlicht und einfach das östliche Ende der Forest Hill
Lane, dann verlassen Sie den Ort und fahren am Stier
Und fiedel vorbei, das ist ein Pub, in dem viel zuviel ge-
trunken wird, wenn Sie mich fragen, und kurz darauf
erreichen Sie die Kirche (ich habe den für amtliche topo-
graphische Karten zuständigen Leuten immer wieder
erklärt, daß sie keinen Turm hat, sondern ein Türmchen,
ich meine, das ist ein erheblicher Unterschied, finden Sie
nicht, ich bin sogar höchstpersönlich beim Tadfield-Kurier
vorstellig geworden, um einen Brief zu überbringen, in
dem ich eine örtliche Kampagne für die Korrektur der
betreffenden amtlichen topographischen Karte anregte,
bestimmt machen die Verantwortlichen eine hastige
Kehrtwendung, wenn sie erfahren, mit wem sie es zu
tun haben, jawohl), und dann kommen Sie zu einer
Kreuzung, Sie überqueren sie einfach, und an der zwei-
ten Kreuzung können Sie entweder die linke Abzwei-
gung wählen oder geradeaus weiterfahren, ganz gleich,
wie Sie sich auch entscheiden. Sie erreichen in jedem
Fall den Luftwaffenstützpunkt (obgleich die linke Straße
fast eine Zehntelmeile kürzer ist), ja. Sie übersehen die

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Ein gutes Omen

Basis bestimmt nicht.«


Hunger starrte ihn groß an und zwinkerte. »Ich, äh,
ich bin nicht ganz sicher, ob ich alles richtig verstanden
habe...«, begann er.
ICH SCHON. KOMMT.
Knuddel winselte, hockte sich hinter sein Herrchen
und hob die Pfoten über den Kopf.
Die Fremden nahmen wieder auf ihren Maschinen
Platz. Der Mann in Weiß (R. P. Tyler hielt ihn für einen
Hippie) ließ eine leere Kartoffelchips-Tüte ins Gras fal-
len.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte- Tyler scharf. »Ist das
Ihre Tüte?«
»Oh, sie gehört nicht nur mir, sondern allen«, erwi-
derte Umweltverschmutzung.
R. P. Tyler richtete sich zu seiner vollen Größe auf.*
»Junger Mann«, sagte er, »was hielten Sie davon, wenn
ich zu Ihnen nach Hause käme und überall Unrat liegen
ließe?«
Weiß lächelte sehnsüchtig. »Oh, das würde mich
freuen«, hauchte er. »Es wäre wundervoll.«
Unter seinem Motorrad bildete sich ein bunt schillern-
der großer Ölfleck.
* Hundertsechzig Zentimeter.
Motoren heulten auf.
»Eins begreife ich nicht«, brummte Krieg. »Warum
sollen wir an der Kirche eine Kehrtwendung machen?«
FOLGT MIR EINFACH, sagte der hochgewachsene Mann,
und die Vier fuhren zusammen los.
R. P. Tyler blickte ihnen nach, bis ein rhythmisches
Klackklackklackklack seine Aufmerksamkeit weckte. Er
drehte sich um. Vier Kinder auf Fahrrädern sausten an
ihm vorbei, gefolgt von einem kleinen Hund.
»He, ihr da!« rief R. P. Tyler. »Anhalten!«
Die Sie bremsten und richteten die Blicke auf den
wackeren Krieger der Moral.
»Dachte mir schon, daß du es bist, Adam Young. Du
und deine, äh, Clique. Man fragt sich, warum ihr Kinder
so spät am Abend draußen seid. Wissen eure Eltern
davon?«
»Wieso soll es spät sein?« entgegnete Wensleydale her-
ausfordernd. »Mir scheint, daß es erst spät wird, wenn
die Sonne untergeht.«
»Ihr gehört längst ins Bett«, verkündete R. P. Tyler.
»Und streck mir nicht die Zunge raus, junge Dame«,
wandte er sich an Pepper. »Sonst schreibe ich deiner
Mutter einen Brief und informiere sie von dem em-

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Ein gutes Omen

pörenden Verhalten ihrer Tochter.«


»Verzeihen Sie bitte«, sagte Adam zerknirscht.
»Pepper hat Sie nur angesehen. Ich wußte gar nicht, daß
es verboten ist. Sie anzusehen.«
Am Rand der Straße ertönte ein lautes Kläffen. Knud-
del war einer jener sehr kultivierten Zwergpudel, für
deren Herrchen Kinder nicht ins Haushaltsbudget paß-
ten und der jetzt von Hund gestört wurde.
»Adam Young«, sagte R. P. Tyler. »Sorg gefälligst
dafür, daß dein... Köter meinen Knuddel in Ruhe läßt.«
Er begegnete Hund mit tiefem Mißtrauen. Als er ihn
zum erstenmal aus der Nähe sah, vor vier Tagen, hatte
das Tier geknurrt und ihn aus rotglühenden Augen an-
gestarrt. Was R. P. Tyler zum Anlaß nahm, einen neuerli-
chen Brief an den Tadfield-Kurier zu schreiben. Er wies
darauf hin, Hund sei zweifellos tollwütig und stelle
somit eine Gefahr für die Allgemeinheit dar, die sofort
energische Gegenmaßnahmen erfordere. Er verzichtete
jedoch darauf, den Brief abzuschicken, weil seine Frau
meinte, kehliges Knurren und rotglühende Augen seien
keine Symptome für akute Tollwut. Sie fügte hinzu, Toll-
wut bekomme man nur, wenn man sich bestimmte
Filme im Fernsehen oder gar im Kino ansähe, und an so
etwas fanden Hunde kaum Interesse. Ihr Ronald nickte
weise und legte den angefangenen Brief für eine spätere
Verwendung beiseite.
»Hund ist kein Köter«, erwiderte Adam beleidigt. »Er
ist ein überaus begabter Hund. Und klug. Und gut erzo-
gen. Hund, schnapp nicht dauernd nach Mister Tylers
häßlichem alten Pudel.«
Hund achtete nicht auf diese Worte. Er wollte seine
weltliche Existenz so lange wie möglich genießen.
»Hund«, sagte Adam in einem drohenden Tonfall.
Woraufhin Hund zum Fahrrad Des Herrn zurückkehrte.
»Ihr habt meine Frage noch nicht beantwortet«, ließ
sich R. P. Tyler vernehmen. »Wohin seid ihr unterwegs?«
»Zum Luftwaffenstützpunkt«, entgegnete Brian.
»Wenn Sie erlauben«, warf Adam ein und hoffte, daß
seine Stimme genug spöttischen Sarkasmus zum Aus-
druck brachte. »Ich meine, wenn Sie dagegen sind, keh-
ren wir natürlich sofort um.«
»Du frecher Bengel«, ereiferte sich R. P. Tyler. »Wenn
ich deinen Vater sehe, Adam Young, so werde ich ein
ernstes Gespräch mit ihm führen und dabei kein Blatt
vor den Mund nehmen.«
Die Sie hörten ihn gar nicht mehr. Sie fuhren wieder
über die Straße, in Richtung des Luftwaffenstützpunkts
von Lower Tadfield. Übrigens: Ihr Weg war weitaus
kürzer und landschaftlich schöner als der, den Mr. Tyler

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Ein gutes Omen

Tod und seinen Begleitern beschrieben hatte.


In Gedanken schrieb R. P. Tyler einen langen Brief über
die Untugenden der modernen Jugend. Er erwähnte
mangelhaftes Bildungsniveau, fehlenden Respekt weit-
aus klügeren Erwachsenen gegenüber und kritisierte
auch den Umstand, daß die Jungen und Mädchen heut-
zutage nur noch latschten, anstatt sich geradezuhalten,
wie es sich gehörte. Er schnitt auch Themen wie Jugend-
kriminalität, Wiedereinführung der Wehrpflicht, Prügel-
strafe in der Schule und Hundemarken an.
Sein geistiges Werk erfüllte ihn mit großer Zufrieden-
heit. Er ahnte sogar, daß die Qualität des Briefes weit
über den üblichen Standard des Tadfield-Kurier hinaus-
ging, und deshalb beschloß er, ihn an die Times zu adres-
sieren.
Putputputputputput.
»Entschuldigen Sie, Teuerster«, flötete eine melodi-
sche weibliche Stimme. »Ich glaube, wir haben uns ver-
irrt.«
R. P. Tyler wandte sich um und sah eine Frau in mitt-
leren Jahren, die auf einem schon etwas älteren Motor-
roller saß. Ein kleiner Mann - er trug einen dunkelgrü-
nen Sturzhelm mit der Aufschrift EASY RIDER, und Mr.
Tyler bemerkte sofort die Recken am langen Regenman-
tel - klammerte sich an ihr fest und hielt die Augen ge-
schlossen. Zwischen den beiden Personen ragte ein ural-
tes Gewehr mit trichterförmiger Mündung empor.
»Oh. Wohin möchten Sie?«
»Nach Lower Tadfield«, sagte die Frau. »Die genaue
Adresse kenne ich leider nicht, aber wir suchen nach je-
mandem namens...« Mit völlig veränderter Stimme
fügte sie hinzu: »Er heißt Adam Young.«
R. P. Tyler riß die Augen auf. »Sie wollen zu dem Jun-
gen?« brachte er hervor. »Was hat er angestellt? Nein,
sagen Sie's mir nicht. Ich will es gar nicht wissen.«
»Junge?« wiederholte die Frau verwirrt. »Sie haben
mir nicht gesagt, daß es sich um einen Jungen handelt.
Wie alt ist er?« Und sie antwortete: »Elf.« »Hätten Sie
mich gleich zu Anfang darauf hingewiesen! Dadurch er-
scheint alles in einem ganz anderen Licht.«
R. P. Tyler starrte stumm. Und dann begriff er plötz-
lich. Die Frau war Bauchrednerin, und der vermeintli-
che Mann mit dem grünen Sturzhelm - wahrscheinlich
nur eine Puppe. Er fragte sich nun, warum er das Ding
zunächst für einen lebendigen Menschen gehalten hatte.
Die Gratisvorstellung weckte vages Unbehagen in ihm.
Er sah darin ein Beispiel für ausgesprochen schlechten
Geschmack.
»Ich habe Adam Young vor ein paar Minuten gese-

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Ein gutes Omen

hen. Er und seine Komplizen sind zum amerikanischen


Luftwaffenstützpunkt unterwegs.«
»Lieber Himmel!« stöhnte die Frau und erblaßte. »Ich
habe den Yankees nie getraut. Eigentlich sind es recht nette
Leute. Ja, mag sein, aber meiner Ansicht nach kann man
niemandem vertrauen, der bei einem Fußballspiel dau-
ernd den Ball aufhebt.«
»Ah, entschuldigen Sie bitte«, sagte R. P. Tyler. »Das ist
wirklich gut. Sehr beeindruckend. Ich bin stellvertreten-
der Vorsitzender des hiesigen Rotary Club, und ich frage
mich, ob Sie auch private Vorstellungen geben.«
»Nur am Donnerstag«, erwiderte Madame Tracy
skeptisch. »Außerdem stelle ich dafür zusätzliche Ge-
bühren in Rechnung. Wenn Sie uns den Weg zeigen könn-
ten ...«
Nein, diesmal hielt R. P. Tyler keinen Vortrag. Er
streckte einfach nur die Hand aus und deutete in die
entsprechende Richtung.
Der alte Motorroller glitt mit einem beständigen
Putputputputputput über die schmale Landstraße.
Nach einigen Metern drehte sich die Puppe mit dem
dunkelgrünen Sturzhelm um, öffnete ein Auge und rief:
»Du blöder Südler!«
R. P. Tyler war sowohl beleidigt als auch enttäuscht.
Offenbar mangelte es heutzutage auch Bauchrednerin-
nen an Kultur.
Kurz vor dem Rand des Dorfes blieb R. P. Tyler stehen
und gab Knuddel noch einmal Gelegenheit, die Blase zu
entleeren. Gedankenverloren blickte er über einen Zaun.
Seine Kenntnisse in bezug auf Bauernweisheiten
waren begrenzt, aber er wußte eins: Wenn Kühe im Gras
lagen, so bedeutete das Regen. Wenn sie standen, zog
vermutlich ein Hochdruckgebiet heran. Diese besonde-
ren Kühe wechselten sich dabei ab, langsame Purzel-
bäume zu schlagen. Er überlegte, welche meteorologi-
schen Konsequenzen sich daraus ergeben mochten.
Er schnupperte und nahm den unangenehmen Geruch
von halb geschmolzenem Metall, verbranntem Gummi
und verschmortem Leder wahr.
»Entschuldigen Sie«, erklang eine Stimme hinter ihm.
R. P. Tyler drehte sich um.
Ein großer, einst schwarzer Wagen stand auf der
Straße, und ein Mann mit Sonnenbrille beugte sich
durchs geöffnete Seitenfenster. Rauchschwaden umwog-
ten ihn. »Ich glaube, ich habe mich verirrt«, sagte er.
»Könnten Sie mir den Weg nach dem Luftwaffenstütz-
punkt von Lower Tadfield zeigen? Es kann jetzt eigent-
lich nicht mehr weit sein.«
Ihr Wagen brennt.

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Ein gutes Omen

Nein. Tyler brachte nicht den Mut auf, diese Worte


auszusprechen. Der Mann weiß sicher, daß sein Auto brennt,
nicht wahr? Schließlich sitzt er direkt in den Flammen.
»Vermutlich haben Sie vor einer Meile die falsche Ab-
zweigung genommen«, antwortete er statt dessen. »Im
Sturm ist ein Wegweiser umgestürzt.«
Der Fremde lächelte. »Das dürfte der Grund sein«, er-
widerte er. Orangefarbene Flammen zuckten ihm um
die Füße und verliehen ihm ein fast infernalisches Aus-
sehen.
Der Wind blies vom Wagen her in Tylers Richtung,
und er spürte eine Hitze, die ihm fast die Brauen ver-
sengte.
Verzeihen Sie bitte, junger Mann, aber Ihr Wagen steht in
Flammen, und Sie sitzen darin, ohne zu brennen, obwohl er
an einigen Stellen schon rotglühend ist.
Nein.
Sollte er dem Mann vorschlagen, den Automobilklub
anzurufen?
Statt dessen beschrieb Tyler den Weg in allen Einzel-
heiten und versuchte, nicht allzu auffällig zu starren.
»Wirklich nett von Ihnen, herzlichen Dank«, sagte
Crowley und begann damit, das Seitenfenster hochzu-
drehen.
R. P. Tyler räusperte sich.
»Ah, junger Mann...«
»Ja?«
Ich meine, es muß einem doch auffallen, wenn der Wagen
brennt, in dem man sitzt, oder?
Eine Flammenzunge leckte über das verkohlte Arma-
turenbrett.
»Komisches Wetter heute, nicht wahr?« ächzte R. P.
Tyler.
»Tatsächlich?« entgegnete Crowley. »Habe ich gar
nicht bemerkt.« Er setzte mit seinem brennenden Wagen
auf die Landstraße zurück.
»Das liegt wahrscheinlich daran, daß Ihr Wagen
brennt«, sagte R. P. Tyler scharf. Er zerrte an Knuddels
Leine und setzte forsch einen Fuß vor den anderen.
An den Herausgeber
Sehr geehrter Herr,
ich muß mit großem Kummer zur Kenntnis nehmen, daß
die jungen Leute von heute im Straßenverkehr selbst elemen-
tare Sicherheitsregeln außer acht lassen. Heute abend hat
mich ein Herr angesprochen, dessen Wagen...
Nein.
Erfuhr einen Wagen, der...
Nein.
Das Auto brannte...

file:///G|/Books/1/omen.htm (286 von 339) [16.06.2001 15:32:23]


Ein gutes Omen

R. P. Tylers Stimmung verschlechterte sich, als er das


letzte Stück Weges zurück ins Dorf hinter sich brachte.
»He!« rief R. P. Tyler. »Young!«
Mr. Young saß im Vorgarten und rauchte seine Pfeife.
Schuld daran war eine der neuesten Entdeckungen
Deirdres. Sie hatte sich gründlich über die Gefahren des
passiven Rauchens informiert und daraufhin die Pfeife
aus dem Haus verbannt. Eigentlich rauchte Mr. Young
viel lieber im Wohnzimmer, vor dem Kamin. Mit seiner
Laune stand es nicht zum besten, und es mißfiel ihm,
von Mr. Tyler mit Young angesprochen zu werden.
»Ja?«
»Dir Sohn Adam.«
Mr. Young seufzte. »Was hat er jetzt wieder ange-
stellt?«
»Wissen Sie, wo er ist?«
Mr. Young sah auf die Armbanduhr. »Ich nehme an,
er geht gerade ins Bett.«
R. P. Tyler lächelte triumphierend. »Das bezweifle ich.
Ich habe ihn, seine Kumpanen und die abscheuliche
Promenadenmischung vor kaum einer halben Stunde
gesehen. Sie fuhren zum Luftwaffenstützpunkt.«
Mr. Young paffte.
»Ihnen dürfte bekannt sein, daß man dort großen
Wert auf Sicherheit legt«, fügte R. P. Tyler hinzu - für
den Fall, daß Mr. Young seinen zarten Hinweis nicht
verstanden hatte.
»Und bestimmt wissen Sie auch, wie gern Ihr Sohn
irgendwelche Tasten drückt.«
Mr. Young nahm die Pfeife aus dem Mund und be-
trachtete den Stiel.
»Hm«, machte er.
»Ich verstehe«, fügte er hinzu.
»Na schön«, schloß er.
Und ging ins Haus.
Genau zur gleichen Zeit hielten vier schwere Maschinen
einige hundert Meter vor dem Haupttor der Militär-
basis. Das Brummen der Motoren erstarb, und die Fah-
rer hoben ihre Helmvisiere - nun, zumindest drei von
ihnen.
»Ich dachte, wir könnten einfach durchs Tor düsen«,
sagte Krieg wehmütig.
»Da bekämen wir nur Schwierigkeiten«, wandte Hun-
ger ein.
»Gut.«
»Für uns, meine ich. Der Sturm hat die Stromversor-
gung unterbrochen, und außerdem ist das Haupttele-
fonkabel gerissen. Aber bestimmt haben die Soldaten
Generatoren und Funkgeräte. Wenn jemand meldet, daß

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Ein gutes Omen

Terroristen den Stützpunkt angegriffen haben... Dann


kann's passieren, daß alle Leute logisch handeln und
unser Plan baden geht.«
»Hm.«
WIR BETRETEN DIE BASIS UND ERLEDIGEN UNSEREN JOB,
sagte Tod schlicht. ANSCHLIESSEND GEHEN WIR UND ÜBER-
LASSEN DEN REST DER MENSCHLICHEN NATUR.
»Ich hab's mir irgendwie anders vorgestellt«, nörgelte
Krieg. »Beim Weltuntergang - haben wir etwa sechs-
tausend Jahre lang gewartet, um mit ein paar Drähten
rumzuspielen? So was ist alles andere als dramatisch.
Eins steht fest: Albrecht Dürer hat seine Zeit nicht da-
mit verschwendet, einen Holzschnitt der vier Knöpfe-
drücker der Apokalypse anzufertigen.«
»Ich dachte, es erklingen irgendwelche Fanfaren«,
sagte Umweltverschmutzung.
»Seht die Sache mal so«, warf Hunger ein, »wir leisten
nur die Vorarbeit. Das Reiten kommt später. Ich meine,
das richtige apokalyptische Reiten. Mit Schwingen des
Sturms und so. Tja, man muß flexibel sein.«
»Sollten wir hier nicht... jemanden treffen?« fragte
Krieg.
Stille schloß sich an, nur unterbrochen vom leisen
Knacken abkühlender Motoren.
Schließlich sagte Umweltverschmutzung langsam:
»Wißt ihr, nun, äh, eigentlich widerspricht dies hier
auch meinen Erwartungen. Ich dachte dabei an eine
große Stadt. Oder ein Land. New York, zum Beispiel.
Oder Moskau. Oder Armageddon selbst.«
Wieder folgte eine Pause.
>»Armageddon< ist nicht nur der Weltuntergang, son-
dern auch ein Ort?« erkundigte sich Krieg überrascht.
»Komische Sache, nicht wahr?« erwiderte Hunger.
»Wollte immer mal im Atlas nachsehen, bin aber nie
dazu gekommen.«
»Es gibt ein Armageddon in Pennsylvania«, sagte Um-
weltverschmutzung. »Oder vielleicht in Massachusetts.
Egal: in Amerika. Dort wohnen irgendwelche Typen mit
langen Bärten und altmodischen dunklen Hüten.«
»Neinnein«, widersprach Hunger. »Israel. Armaged-
don liegt in Israel.«
ES HEISST NICHT ARMAGEDDON, SONDERN HARMAGEDON,
sagte Tod. UND IST EIN BERG.
»Ich dachte, das sei der Ort, wo man Avocados an-
pflanzt.«
UND DAS ENDE DER WELT.
»Im Ernst? Das ist eine riesige Avocado.«
»Ich glaube, ich bin dort schon einmal gewesen«,
sagte Umweltverschmutzung. »Die alte Stadt Megiddo.

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Ein gutes Omen

Kurz vor ihrem Untergang. Hübscher Ort. Interessante


Tore am Königspalast.«
Krieg sah sich um, betrachtete die Hecken und Wie-
sen.
»Meine Güte!« entfuhr es ihr. »Ich glaube, wir haben
tatsächlich die falsche Abzweigung genommen.«
DIE GEOGRAPHIE SPIELT KEINE ROLLE.
»Ach?«
WENN ES ARMAGEDDON GIBT, DANN IST ES ÜBERALL.
»In der Tat«, bestätigte Hunger. »Wir reden hier nicht
über ein paar Quadratkilometer Geröll mit Büschen und
Ziegen.«
Stille.
NA SCHÖN. BRECHEN WIR AUF.
392
Krieg hüstelte. »Fehlt nicht jemand? Ich meine, äh, er
sollte uns doch begleiten, oder?«
Tod rückte sich die Handschuhe zurecht.
DIES IST EIN JOB FÜR PROFIS, sagte er fest.
Nachher erinnerte sich Sergeant Thomas A. Deisenbur-
ger an folgende Ereignisse:
Ein großer Wagen hielt am Tor. Es war ein schnittiges,
offiziell wirkendes Auto, obgleich Sergeant Deisenbur-
ger später nicht mehr wußte, warum er diesen Eindruck
gewann - und weshalb ihn das Motorengeräusch an ein
Motorrad erinnerte.
Vier Generäle stiegen aus, und erneut regte sich ein
Hauch von Unsicherheit in dem Sergeant. Warum der
Zweifel? Die Generäle sahen genau wie Generäle aus.
Sie identifizierten sich. Über die Art der Identifizierung
konnte sein Gedächtnis keine Auskunft geben, aber sie
war in Ordnung, vollkommen in Ordnung. Er salutierte.
»Wir sind gekommen, um eine überraschende Inspek-
tion durchzuführen, Soldat.«
»Sir«, erwiderte Sergeant Thomas A. Deisenburger,
»niemand hat mich davon in Kenntnis gesetzt, daß
heute eine überraschende Inspektion stattfindet, Sir.«
»Natürlich nicht«, sagte der General. »Es soll ja eine
Überraschung sein.«
Der Sergeant salutierte erneut.
»Sir, bitte um Erlaubnis, den Kommandeur zu unter-
richten, Sir.«
Einer der anderen Generäle legte ihm kameradschaft-
lich den Arm um die Schultern und führte ihn einige
Meter von der Gruppe fort.
»Ich möchte es Ihnen noch einmal erklären, Sergeant« -
er sah auf das Namensschild -, »Deisenburger. Es ist eine
Überraschungsinspektion. Und sie soll überraschen. Was
bedeutet, daß niemand Alarm schlägt, sobald wir mit un-

file:///G|/Books/1/omen.htm (289 von 339) [16.06.2001 15:32:23]


Ein gutes Omen

serer Runde beginnen, klar? Ein Berufssoldat wie Sie ver-


steht das sicher, oder? Sie bleiben auf Ihrem Posten, ohne
irgend jemanden zu benachrichtigen.« Der General zö-
gerte kurz. »Andernfalls werden Sie so weit degradiert,
daß Sie selbst einen Kobold mit >Sir< ansprechen müs-
sen.«
Sergeant Thomas A. Deisenburger starrte ihn groß an.
»Gefreiter«, flüsterte einer der anderen Generäle. Auf
ihrem Namensschild stand Kriehk. Sergeant Deisenbur-
ger hatte noch nie zuvor einen weiblichen General gese-
hen; aber sie war ganz bestimmt eine Bereicherung für
das Militär.
»Was?«
»Es heißt Gefreiter. Nicht Kobold.«
»Meinetwegen. In Ordnung. Sonst müssen Sie selbst
zu einem Gefreiten >Sir< sagen. Kapiert, Soldat?«
Der Sergeant ging die sehr beschränkte Zahl seiner
Handlungsmöglichkeiten durch.
»Sir, Überraschungsinspektion, Sir?« fragte er.
»Höchste Geheimhaltungsklassifikationierung«, sagte
Hunger, der jahrelang gelernt hatte, wie man der Regie-
rung etwas verkaufte, und der sich nun wieder an diese
Fachsprache erinnerte.
»Sir, ja, Sir«, antwortete der Sergeant.
»Guter Mann«, sagte Hunger, als Deisenburger den
Schlagbaum hob, »Sie werden es noch weit bringen.«
Er sah auf die Uhr und fügte in Gedanken hinzu: »In
sehr kurzer Zeit.«
Manchmal sind Menschen wie Bienen. Bienen verteidi-
gen ihren Stock mit großer Entschlossenheit - solange
sich der potentielle Eindringling draußen befindet. So-
bald es ihm gelungen ist, das Innere zu erreichen, neh-
men die Arbeiterinnen an, er habe von der Kömgin eine
Aufenthaltserlaubnis bekommen, und daraufhin beach-
ten sie ihn nicht mehr. Viele parasitäre Insekten nutzen
diesen Umstand, um ein ebenso angenehmes wie sor-
genfreies Leben zu führen. Menschen offenbaren ähnli-
che Verhaltensweisen.
Niemand stellte sich den Vier in den Weg, als sie mit
zielstrebigen Schritten den Platz überquerten und ein
langes, niedriges Gebäude betraten, aus dessen Dach ein
Wald von Antennen wuchs. Niemand schenkte ihnen
Beachtung. Vielleicht sahen sie nur das, wozu ihre Ge-
hirne eingerichtet waren, denn das menschliche Gehirn
war nicht darauf ausgelegt, Krieg, Hunger, Umweltver-
schmutzung und Tod zu sehen, wenn diese es nicht
wollten. Mit der Zeit wurden die Menschen so gut
darin, daß sie diese Dinge selbst dann nicht mehr sahen,
wenn sie ihnen praktisch ins Gesicht sprangen.

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Ein gutes Omen

Nun, die Alarmvorrichtungen hatten keine Gehirne.


Sie sahen vier Personen dort, wo sich eigentlich nie-
mand aufhalten sollte, und deshalb ließen sie die Sire-
nen heulen.
Newt rauchte nicht. Er verweigerte Nikotin und Alko-
hol die Erlaubnis, den Tempel (besser gesagt: die win-
zige und längst baufällige walisische Methodistenka-
pelle) seines Körpers zu betreten. Sonst hätte er jetzt
eine Zigarette nach der anderen gequalmt, um sich zu
beruhigen.
Anathema stand entschlossen auf und strich sich den
Rock glatt.
»Sei unbesorgt«, sagte sie. »Der Alarm gilt nicht uns.
Vermutlich ist in dem Stützpunkt irgend etwas pas-
siert.«
Sie sah das blasse Gesicht ihres Begleiters und lä-
chelte. »Komm schon! Das hier ist nicht der OK Corral.«
»Nein«, erwiderte Newt. »Hier haben die Leute weit-
aus bessere Waffen.«
Anathema half ihm auf. »Mach dir nichts draus«,
sagte sie. »Du wirst bestimmt einen Ausweg finden.«
Natürlich konnten die Vier nicht alle gleiche Beiträge
leisten. Krieg kam bestens mit den modernen Waffensy-
stemen zurecht, die weitaus wirksamer waren als einige
scharfe Metallsplitter. Umweltverschmutzung lachte
nur, wenn jemand behauptete, irgendwelche techni-
schen Systeme seien narrensicher und könnten unmög-
lich versagen. Selbst Hunger wußte zumindest, welche
Aufgaben Computer erfüllten. Aber er... Nun, er be-
schränkte sich darauf, einfach zu warten, aber eins
mußte man ihm lassen: Er wartete mit Stil. Krieg dachte
vage daran, daß es für sie irgendwann ein Ende gab,
vielleicht auch für Hunger und sogar für Umweltver-
schmutzung. Vielleicht fiel es ihr aus diesem Grund so
schwer, in dem vierten und größten apokalyptischen
Reiter einen Kameraden und Freund zu sehen. Es war
so, als habe man einen Steuerprüfer in der Fußball-
mannschaft. Es war toll, ihn im eigenen Team zu haben,
aber er war nicht der Mensch, mit dem man danach
einen trinken ging. Man konnte sich in seiner Gegen-
wart nicht so richtig gehenlassen.
Einige Soldaten rannten durch ihn hindurch, als er
über Umweltverschmutzungs knochige Schulter sah.
WAS IST DAS DA? fragte er. Sein Tonfall machte deutlich,
daß er nicht damit rechnete, die Antwort zu verstehen.
Er wollte nur höfliches Interesse zeigen.
»Aus sieben Leuchtsegmenten bestehende LCD-An-
zeigen«, erwiderte der junge Mann in Weiß. Wie zärtlich
streckte er die Hände nach einigen Relais aus; Funken

file:///G|/Books/1/omen.htm (291 von 339) [16.06.2001 15:32:23]


Ein gutes Omen

stoben, als er sie berührte. Dann huschten seine Finger-


kuppen über die Tasten eines Terminals und program-
mierten mehrere Computerviren. Nur wenige Sekunden
später rasten sie durch den elektronischen Äther und be-
gannen mit ihrem Zerstörungswerk.
»Die Sirenen gehen mir auf die Nerven«, sagte Hun-
ger. Tod schnippte geistesabwesend mit den Fingern,
woraufhin das Heulen jäh verklang.
»Oh, mir haben sie gefallen«, hauchte Umweltver-
schmutzung.
Krieg griff in einen anderen Metallschrank. Zugege-
ben, sie hatte sich die ganze Sache etwas anders vorge-
stellt, aber als ihre Finger über und manchmal auch
durch elektronische Bausteine strichen, entstand ein ver-
trautes Gefühl in ihr. Sie verglich das Empfinden damit,
ein Schwert in der Hand zu halten, und jähe Aufregung
erfaßte sie. Dieses Schwert umfaßte die ganze Welt - und
wahrscheinlich auch einen großen Teil des Himmels. Es
liebte sie.
Ein Flammenschwert.
Die Menschheit schien noch immer nicht begriffen zu
haben, wie gefährlich es sein konnte, Schwerter herum-
liegen zu lassen. Sie hatte sich sogar Mühe gegeben, die
Chancen dafür zu erhöhen, daß jemand dieses beson-
dere Exemplar rein zufällig aus der Scheide zog. Ein
amüsanter Gedanke, fand Krieg. Offenbar sahen die
Menschen zumindest einen gewissen Unterschied darin,
ihren Planeten mit Absicht oder durch Zufall zu zer-
stören.
Umweltverschmutzung schmunzelte entzückt und
schob die Hände in eine weitere Konsole aus teurer
Elektronik.
Der Wächter am Loch im Zaun runzelte verwirrt die
Stirn. Für seine Verwunderung gab es gleich mehrere
Gründe. Erstens: Hinter ihm schien die allgemeine Auf-
regung im Stützpunkt immer mehr zuzunehmen. Zwei-
tens: Aus dem Lautsprecher seines Funkgeräts drang
nur statisches Rauschen. Und drittens: Er starrte auf
einen höchst eigentümlichen Ausweis.
Der Soldat hatte viele Ausweise gesehen - vom Mi-
litär, von der CIA und dem FBI, sogar vom KGB -, aber
er war noch recht jung, und deshalb wußte er nicht: Je
unwichtiger eine Organisation ist, desto beeindrucken-
der sehen ihre Ausweise aus.
Dieser Ausweis war höllisch beeindruckend. Die Lip-
pen des Wächters bewegten sich langsam, als er die
Aufschritt las. Er begann mit >Der Lordprotektor Groß-
britanniens und des Commonwealth gebietet hiermit.. .<
und gelangte nach einer Weile zu der Stelle, an der es

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Ein gutes Omen

um Feuerholz, Seile und brennbare Öle ging. Die Unter-


schrift stammte vom ersten HA-Lordadjutanten Preiset-
ihn-denn-er-kommt-im-Auftrage-des-Herrn-und-ist-ein-
erbitterter-Gegner-der-Unzucht Smith. Newt verdeckte
den Zusatz >Neun Pence pro Hexe< mit dem Daumen
und versuchte, wie James Bond auszusehen.
Schließlich entdeckte der forschende Intellekt des Sol-
daten ein Wort, das er zu kennen glaubte.
»Was bedeutet das hier?« fragte er mißtrauisch. »Wir
sollen Ihnen irgendwelche Reisigbündel geben.«
»Ja, die brauchen wir«, entgegnete Newt. »Um sie zu
verbrennen.«
Auf dem Gesicht des Wachsoldaten erschien ein brei-
tes Grinsen. Und zu Hause hatte man ihm erzählt, die
Engländer seien Weichlinge. »Genau richtig«, sagte er.
Etwas Hartes berührte ihn am verlängerten Rücken.
»Lassen Sie die Waffe fallen«, erklang die Stimme
einer jungen Frau. »Oder ich werde bedauern, was
gleich geschieht.«
Es ist nicht einmal gelogen, dachte Anathema, die hinter
dem Wächter stand und beobachtete, wie er entsetzt er-
starrte. Wenn er herausfindet, daß ich ihn mit einem Stock
bedrohe, werde ich es sehr bedauern, von ihm erschossen zu
werden.
Sergeant Thomas A. Deisenburger stand nach wie vor
am Haupttor und hatte ebenfalls Probleme. Ein kleiner
Mann, der einen fleckigen Regenmantel trug, trat auf
ihn zu, hob den Zeigefinger und brummte irgend etwas.
Begleitet wurde er von einer Frau, die seine Mutter sein
konnte, fast beschwörend klingende Worte an den Ser-
geant richtete und sich immer wieder mit veränderter
Stimme unterbrach.
»Es ist wirklich sehr wichtig, daß wir mit dem Komman-
deur des Stützpunkts sprechen können«, sagte Erziraphael.
»Ich muß darauf bestehen, daß er hat recht, wissen Sie, ich
würde es sofort merken, wenn er lügt ja, danke, ich
glaube, Sie sollten das Gespräch mit dem werten Herrn mir
überlassen wie Sie meinen nochmals besten Dank ich wollte
nur ein gutes Wort für Sie einlegen Ja! Äh. Sie haben ihn
gerade gefragt, ob oh, jetzt erinnere ich mich wieder, ah,
nun...«
»Schehen Schie meinen Finger?« rief Shadwell. Er
hatte noch nicht völlig den Verstand verloren, aber er
hing nur noch an einem seidenen Faden. »Na, schehen
Schie ihn? Dieser Finger, Scholdat, kann Schie zu Ihrem
Schöpfer schicken.«
Sergeant Deisenburger betrachtete einen nikotingel-
ben Zeigefinger, den nur wenige Zentimeter von seinem
Gesicht trennten. Zweifellos handelte es sich um eine

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Ein gutes Omen

sehr wirkungsvolle Offensivwaffe, vor allen Dingen


dann, wenn man sie bei der Zubereitung von Mahlzei-
ten verwendete.
Er griff nach dem Telefon im kleinen Wachhäuschen.
Nichts. Nur prasselndes Knacken in der Leitung.
Man hatte ihm befohlen, seinen Posten nicht zu ver-
lassen.
Die Verwundung, die er sich in Vietnam geholt hatte,
meldete sich wieder.*
Sergeant Thomas A. Deisenburger fragte sich, mit
welchen Schwierigkeiten er rechnen mußte, wenn er bri-
tische Zivilisten erschoß.
Die vier Fahrradfahrer hielten in sicherer Entfernung
vom Luftwaffenstützpunkt an. Reifenabdrücke im feuch-
ten Boden und ein Ölfleck wiesen auf andere Reisende
hin, die hier kurz Rast gemacht hatten.
»Warum halten wir an?« fragte Pepper.
»Ich denke nach«, sagte Adam.
* Er hatte dort im Jahre 1983 Urlaub gemacht und war in der Dusche
des Hotelzimmers gefallen. Seitdem genügte der Anblick gelber Seife,
um ihn zutiefst zu erschüttern.
Es fiel ihm nicht leicht. Der Teil seines Ich, den er mit
sich selbst identifizierte, existierte nach wie vor, aber er
tanzte auf einer brodelnden Flut aus Finsternis. Adam
erinnerte sich plötzlich daran, daß seine Gefährten zu
hundert Prozent menschlich waren. Er hatte sie oft in
Schwierigkeiten gebracht (meistens ging es dabei um
zerrissene Hosen, gekürztes Taschengeld und so), aber
diesmal bestanden die möglichen Konsequenzen nicht
nur daraus, Stubenarrest zu bekommen und das Zim-
mer aufräumen zu müssen.
Andererseits: Er benötigte Hilfe ...
»Na schön«, sagte er. »Wir brauchen ein paar Sachen.
Zum Beispiel Schwert, Krone und Waage.«
Die anderen Sie starrten ihn groß an.
»Und wo besorgen wir uns so was?« fragte Brian. »Wo
sollen wir hier irgendwelche Schwerter, Kronen und
Waagen auftreiben?«
Adam lächelte dünn. »Denkt nur an unsere Spiele.
Mit ein bißchen Phantasie ...«
Das Schicksal hielt noch eine weitere Überraschung für
Sergeant Deisenburger bereit.
Ein Wagen näherte sich dem Tor und schwebte rund
zehn Zentimeter über dem Boden, weil er keine Reifen
hatte. Der Lack fehlte ebenfalls. Als Ausgleich stiegen
dichte Rauchschwaden von ihm auf, und ein leises Kni-
stern deutete darauf hin, daß sich extrem heißes Blech

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Ein gutes Omen

abkühlte.
Das Auto schien mit Rauchglasfenstern ausgestat-
tet zu sein, aber dieser Effekt wurde von dem Rauch im
Innern hervorgerufen. Die Fahrertür öffnete sich und
gab eine dicke Qualmwolke frei. Danach folgte Crow-
ley.
Er wedelte die schwarzen Schwaden beiseite, blinzelte
und winkte freundlich.
»Hallo!« rief er. »Wie läuft's? Hat der Weltuntergang
schon begonnen?«
»Der Wächter will uns nicht passieren lassen, Crowley«,
erwiderte Madame Tracy.
»Bist du's, Erziraphael?« fragte der Dämon. »Hüb-
sches Kleid«, fügte er halbherzig hinzu. Er fühlte sich
nicht sonderlich gut. Während der letzten dreißig Mei-
len hatte er allein mit Gedankenkraft versucht, tausend
Kilogramm brennendes Metall, Gummi und Leder in
ein voll funktionsfähiges Auto zu verwandeln, und der
Bentley leistete seiner Phantasie erheblichen Wider-
stand. Als besonders schwer erwies es sich, den Wagen
in Bewegung zu halten, als die Gürtelreifen wegge-
brannt waren.
Crowley strich die imaginären Reifen aus seiner Vor-
stellung, und daraufhin sank der Bentley mit einem kla-
genden Knirschen auf verrußte Felgen.
Der Dämon klopfte auf die Kühlerhaube, die heiß
genug war, um Eier darauf zu braten.
»Ach, solche Autos werden heute nicht mehr gebaut«,
sagte er liebevoll.
Die anderen starrten ihn an.
Er hörte ein leises elektronisches Klicken.
Das Tor glitt beiseite. Der Elektromotor im nahen
Gehäuse gab ein mechanisches Stöhnen von sich und
kapitulierte dann vor wesentlich stärkeren Kräften.
»He!« entfuhr es Sergeant Deisenburger. »Wer von
euch Typen hat das gemacht?«
Zipp. Zipp. Zipp. Zipp. Und ein kleiner Hund, die
Beine kaum mehr zu erkennen.
Vier Augenpaare (Erziraphael kann hier nicht mitge-
zählt werden) sahen vier energisch in die Pedale treten-
den Kindern nach, die sich unter dem Schlagbaum hin-
durchdrückten und dann im Camp verschwanden.
Der Sergeant riß sich zusammen.
»He!« sagte er etwas leiser. Und: »Hatte eins der Kin-
der einen freundlichen kleinen Alien im Fahrradkorb?«
»Nein, ich glaube nicht«, antwortete Crowley.
»Dann sind sie in echten Schwierigkeiten«, stellte Dei-
senburger fest und hob das Gewehr. Wird Zeit, daß wir
diesen Unfug beenden, dachte er. Ein Stück gelbe Seife

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Ein gutes Omen

schob sich vor seine inneren Augen. »Und das gilt auch
für euch.«
»Ich farne Schie...«, begann Shadwell.
»Wir haben bereits genug Zeit verloren«, sagte Erzira-
phael. »Crowley, bitte sorg dafür, daß wir nicht noch
länger aufgehalten werden.«
»Hmm?« machte Crowley.
»Ich bin der Gute«, erklärte Erziraphael. »Du kannst
wohl kaum von mir erwarten, daß ich... Ach, zum Teu-
fel damit! Man versucht dauernd, nett zu sein, und was
hat man davon?« Er schnippte mit den Fingern.
Es gab ein Plopp wie von einer jener alten Blitzlicht-
bimen, und Sergeant Thomas A. Deisenburger war ver-
schwunden.
»Äh«, sagte Erziraphael.
»Hascht du das geschehen, Feib?« brummte Shadwell,
der sich noch immer nicht an die duale Persönlichkeit
Madame Tracys gewöhnt hatte. »Meine rechte Hand
ischt eine gefährliche Faffe. Scholange du bei mir bischt,
Isebel, droht dir keine Gefahr.«
»Gut gemacht«, sagte Crowley. »Wußte gar nicht, daß
du dazu fähig bist.«
»Es ist auch für mich eine Überraschung«, erwiderte
der Engel. »Ich hoffe nur, daß er sich jetzt nicht an
irgendeinem schrecklichen Ort befindet.«
»Gewöhn dich daran, daß man sie einfach nur fort-
schickt«, sagte der Dämon. »Über das Wohin sollte man
sich besser keine Gedanken machen.« Er wirkte faszi-
niert. »Willst du mich nicht deinem neuen Körper vor-
stellen?«
»Wie? Oh, ja. Ja, natürlich. Madame Tracy, das ist
Crowley. Crowley, Madame Tracy. Freut mich, Sie kennen-
zulernen.«
Es fällt Ihnen ebenfalls auf, nicht wahr? Genau: Die
verbalen Prioritäten haben sich umgekehrt.
»Gehen wir«, sagte Crowley. Er bedachte die klägli-
chen Reste des Bentley mit einem traurigen Blick, doch
dann hellte sich seine Miene auf. Ein Jeep hielt zielstre-
big auf das Tor zu, und die Leute darin erweckten den
Eindruck, als wollten sie Fragen stellen und schießen,
wobei die Reihenfolge keine Rolle spielte.
Crowley strahlte. Diese Sache fiel in seinen Zustän-
digkeitsbereich.
Er zog die Hände aus den Taschen, hob sie wie Bruce
Lee und lächelte wie Lee van Cleef. »Ah, da kommt ein
Transportmittel für uns!«
Sie stellten die Fahrräder an einem der niedrigen Ge-
bäude ab. Wensleydale verzichtete nicht darauf, sein
Speichenschloß einrasten zu lassen - typisch für ihn.

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Ein gutes Omen

»Wie sehen deine Freunde...«, begann Pepper und


verbesserte sich sofort. »Wie sehen deine ehemaligen
Freunde aus?«
»Sie können jedes beliebige Erscheinungsbild wäh-
len«, erklärte Adam dumpf.
»Aber es sind Erwachsene, nicht wahr?« vergewis-
serte sich das Mädchen.
»Ja«, bestätigte Adam. »Ich schätze, erwachsener kann
man überhaupt nicht sein.«
»Es hat keinen Sinn, gegen Erwachsene zu kämpfen«,
murmelte Wensleydale niedergeschlagen. »Dabei zieht
man immer den kürzeren.«
»Du brauchst nicht gegen sie zu kämpfen«, erwiderte
Adam. »Es genügt völlig, wenn du so bist, wie ich es dir
gesagt habe.«
Die Sie betrachteten ihre Ausrüstung. Wenn es darum
ging, die Welt vor einer globalen Katastrophe zu be-
wahren, dachte man normalerweise an andere Werk-
zeuge.
»Und wie sollen wir sie finden?« fragte Brian skep-
tisch. »Ich denke an den Tag der offenen Tür. Hier gibt
es massenweise Zimmer und Räume und Kammern und
so. Und überall blinken Kontrollampen und wasweiß-
ich.«
Adam beobachtete die Gebäude nachdenklich. Einige
Sirenen heulten noch immer fröhlich vor sich hin.
»Nun«, sagte er, »mir scheint...«
»He, was habt ihr hier zu suchen?«
Die Stimme klang nicht direkt drohend, aber sie
machte deutlich, daß ihr Besitzer mit den Nerven am
Ende war. Der entsprechende Offizier hatte zehn Minu-
ten lang versucht, eine völlig verrückte Welt zu verste-
hen, in der sich keine Türen mehr öffneten und dauernd
irgendwo Alarm gegeben wurde. Zwei ähnlich abge-
spannte Soldaten standen hinter ihm und fragten sich,
wie sie mit vier minderjährigen Weißen verfahren soll-
ten, von denen einer vage weibliche Attribute aufwies.
»Oh, seien Sie unbesorgt«, erwiderte Adam lässig.
»Wir sehen uns hier nur um.«
»Nun, ich befehle euch...«, begann der Lieutenant.
»Schlafen Sie«, sagte Adam. »Schlafen Sie einfach. Das
gilt für alle Soldaten. Wenn Sie schlafen, haben Sie
nichts zu befürchten. Sie werden bereits müde, hm?«
Der Lieutenant starrte ihn groß an, blinzelte verwirrt
und sank zu Boden.
»Donnerwetter!« entfuhr es Pepper, als die beiden an-
deren Uniformierten dem Beispiel des Offiziers folgten.
»Wie hast du das gemacht?«
Adam zuckte mit den Achseln. »Erinnerst du dich an

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Ein gutes Omen

das Kapitel über Hypnose in dem Buch >Hundertund-


eins Dinge für aufgeweckte Jungen<, das wir nie begrif-
fen haben?«
»Ja.«
»Nun, ich weiß jetzt, worauf es dabei ankommt.«
Adam wandte sich zur Funkzentrale um.
Er ließ nicht mehr Kopf und Schultern hängen, straffte
seine Gestalt und hielt sich kerzengerade - Mr. Tyler
hätte vielleicht seinen Glauben an die Jugend von heute
wiedergefunden.
»Also los!« sagte er.
Er überlegte eine Zeitlang.
»Ich bin soweit«, fügte er hinzu.
Wenn man den Planeten entfernt und nur die Elektrizi-
tät übrigläßt, so ergibt sich das erlesenste aller Filigran-
gebilde: eine Kugel aus silbrig glitzernden Fäden, über
der gelegentliche Satellitensignale funkeln. Selbst in den
dunklen Bereichen glühen Radarstrahlen und kommer-
zielle Radiowellen. Die Erscheinung sieht aus wie das
Nervensystem eines exotischen, riesenharten Wesens.
Hier und dort bilden Städte Knoten im Gespinst, aber
der größte Teil des elektrischen Potentials erfüllt die
Aufgaben einer für grobe Arbeit bestimmten Muskula-
tur. Andererseits: Seit fünfzig Jahren entwickelten Men-
schen Gehirne aus reiner Elektrizität.
Sie lebten nun, und ihre Lebendigkeit entsprach der
von Feuer. Schalter schmolzen und ließen sich nicht
mehr bewegen. Relais brannten durch. Im Herzen der
Siliziumchips (ihre mikroskopische Struktur erinnerte
an eine Straßenkarte von Los Angeles) entstanden neue
Verbindungen. Tausende von Meilen entfernt heulte
Alarm in unterirdischen Kammern, und uniformierte
Männer starrten entsetzt auf Bildschirme und Monitore.
In ausgehöhlten Bergen schlössen sich schwere Stahl-
türen; Leute auf der anderen Seite hämmerten an die wi-
derspenstigen Barrieren und versuchten mit nur wenig
Erfolg, vierhundert Grad heiße Sicherungskästen zu öff-
nen. In Wüsten und Tundren schoben sich Teile des Bo-
dens beiseite. Frische Luft strömte in mit Klimaanlagen
ausgestattete Gräber, in der stromlinienförmige Gegen-
stände schwerfällig in Position gebracht wurden.
Elektrizität floß dort, wo sie gar nicht fließen sollte,
und anderenorts verdünnte sie sich zu einem trägen
Rinnsal. In großen Städten fielen zuerst die Ampeln aus,
dann die Straßenlaternen, danach alle übrigen Lichter.
Ventilatorflügel drehten sich langsamer, ächzten und
verharrten. Heizgeräte kühlten ab. Aufzüge blieben in
ihren Schächten stecken. In Radiolautsprechern knackte
es mehrmals, und Stille folgte.

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Ein gutes Omen

Es heißt, die Zivilisation sei nur vierundzwanzig


Stunden und zwei Mahlzeiten von der Barbarei entfernt.
Nacht brach über die sich drehende Erde herein. Die
Dunkelheit hätte voller Lichtpunkte sein sollen, aber sie
war es nicht.
Fünf Milliarden Menschen lebten auf der Erde, und im
Vergleich dazu, was sie nun erwartete, wirkte die Bar-
barei wie ein Picknick: heiß, ungemütlich und schließlich
von Ameisen besetzt.
Tod richtete sich auf und lauschte. Seine drei Begleiter
fragten sich, womit.
ER IST HIER, sagte er.
Die anderen drei apokalyptischen Reiter hoben den
Kopf. Irgend etwas hatte sich auf subtile Weise verän-
dert. Unmittelbar vor Tods Worten hatten sie - zumin-
dest der Teil von ihnen, der nicht wie Menschen ging
und sprach - die ganze Welt umfaßt. Jetzt waren sie zu-
rück.
Mehr oder weniger.
Dennoch wirkten sie seltsam. Nun, manche Leute tra-
gen Kleidung, die ihnen nicht richtig paßt, doch bei den
Reitern der Apokalypse verhielt es sich genau umge-
kehrt. Hunger erweckte zum Beispiel den Eindruck, als
sei sein leiblicher Empfänger nicht genau auf die rich-
tige Frequenz justiert; das bis dahin dominante Signal -
es zeigte einen selbstbewußten, dynamischen und er-
folgreichen Geschäftsmann - wurde allmählich von der
uralten und entsetzlichen Statik seiner grundlegenden
Persönlichkeit überlagert. Schweiß glänzte auf Kriegs
Haut, und Umweltverschmutzung glühte von innen
heraus.
»Es ist alles ... in Ordnung«, brachte Krieg mühsam
hervor. »Alles wird seinen Weg gehen.«
»Es betrifft nicht nur die Atomkraft«, murmelte Um-
weltverschmutzung. »Man denke nur an die Chemie.
Tausende von Tonnen giftiger Substanzen in... kleinen
Tanks überall auf der Welt. Herrliche Flüssigkeiten...
deren Namen achtzehn Silben haben. Und Gas. Oh, ihr
könnt sagen, was ihr wollt. Plutonium beschert jahrtau-
sendelangen Kummer, aber Arsen ist für die Ewigkeit.«
»Und dann... Winter«, fügte Hunger hinzu. »Ich liebe
den Winter. Der Winter erscheint mir irgendwie... rein.«
»Die Hähnchen kommen angelaufen... um gegrillt zu
werden«, sagte Krieg.
»Keine Hähnchen mehr«, ergänzte Hunger leise.
Nur Tod war noch immer der alte. Manche Dinge ver-
ändern sich nie.
Die Vier verließen den Raum. Umweltverschmutzung
bewegte sich immer noch ganz normal, aber er ließ

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Ein gutes Omen

feuchte Flecken auf dem Boden zurück.


Was der Aufmerksamkeit Anathemas und Newton
Läuterers nicht entging.
Sie hatten das erste Gebäude betreten, und zwar aus
gutem Grund: Draußen herrschte entschieden zuviel
Aufregung. Nach einigen Schritten gelangten sie an eine
Tür, deren Aufschrift mit besonders eindringlichen Wor-
ten davor warnte, sie zu öffnen. Anathema berührte sie,
und daraufhin schwang das dicke Schott beiseite. Hinter
ihnen schloß es sich wieder, und ein deutlich vernehm-
bares Klicken wies auf einen aktivierten Verriegelungs-
mechanismus hin.
Anathema und Newt achteten nicht darauf. Ihre Ge-
danken galten in erster Linie den vier Fremden, die das
Zimmer gerade verlassen hatten.
»Was waren das für Leute?« fragte Newt. »Terrori-
sten?«
»Ja, ich glaube, sie haben diese Bezeichnung durchaus
verdient«, erwiderte Anathema.
»Worüber sprachen sie? Ihre Worte klangen irgendwie
seltsam.«
»Ich nehme an, sie unterhielten sich über den Weltun-
tergang«, sagte Anathema. »Hast du ihre Auren gese-
hen?«
»Leider nicht«, brummte Newt.
»Sahen nicht besonders gut aus.«
»Oh.«
»Um ganz offen zu sein: Es handelte sich um negative
Auren.«
»Oh?«
»Wie schwarze Löcher.«
»Das ist schlimm, wie?«
»Ja.«
Anathema starrte auf die vielen Metallschränke und
Konsolen. Diesmal hielten sich die für den Weltunter-
gang (gemeint ist hier die Verheerung jenes Teils der
Welt, der von rund zwei Meter unter der Erdoberfläche
bis zur Ozonschicht reicht) zuständigen Apparaturen
nicht an das Drehbuch. Nirgends standen rote Kästen,
auf denen Kontrollampen wie zornige Augen blinzelten.
Es gab auch keine Drähte, die den klassischen Schneid-
mich-durch-Eindruck erweckten. Darüber hinaus fehl-
ten verdächtig große Digitaluhren, die mit einem uner-
bittlichen Countdown begannen und den Protagonisten
darauf hinwiesen, wieviel Zeit ihm noch blieb. Statt
dessen sahen Anathema und Newt nur ziemlich schwer
und stabil wirkende Stahlschränke, die entschlossen zu
sein schienen, irgendwelchen heldenhaften Rettungsver-
suchen in letzter Minute hartnäckigen Widerstand zu

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Ein gutes Omen

leisten.
»Was entwickelt hier eine Eigendynamik?« fragte
Anathema.
»Sie haben irgend etwas in Bewegung gesetzt.«
»Vielleicht gibt es hier einen Aus-Schalter«, bemerkte
Newt hilflos. »Ich bin sicher, wenn wir uns umsehen...«
»Unsinn. Es wird alles von Computerprogrammen ge-
steuert. Ich dachte, du wüßtest über solche Dinge Be-
scheid.«
Newt nickte verzweifelt. Diese Sache war etwas ganz
anderes als das, was im Handbuch Elektronik für Anfän-
ger stand.
»Weltweite Kommunikation«, sagte er dumpf. »Sie er-
möglicht fast alles. Von hier aus kann man die Strom-
versorgung manipulieren oder sich mit Satelliten in Ver-
bindung setzen. Ich meine, es ließe sich einfach, äh, alles
bewerkstelligen. Man könnte« Zisch »autsch, ja, man
könnte« Knister »au, den Rest der Welt« Knackknack
»uuh, völlig durcheinander...« Prassel »aah.«
»Kommst du da drinnen voran?«
Newt leckte sich die verbrannten Fingerspitzen. Bis-
her hatte er nichts entdeckt, das auch nur entfernt einem
Transistor ähnelte. Er umwickelte die Hand mit-einem
Taschentuch und zog einige Steckkarten aus ihren An-
schlußleisten.
Ein von ihm abonniertes Elektronik-Magazin hatte
einmal scherzhaft den Plan eines Schaltkreises veröffent-
licht, der garantiert nicht funktionieren sollte. Vielleicht
wollten die Redakteure auch ihren ungeschicktesten
und unbegabtesten Lesern ein Erfolgserlebnis gönnen:
Wenn sie das Ding nachbauten und ohne konkrete Re-
sultate unter Strom setzten, so konnten sie sicher sein,
daß ihnen kein Fehler unterlaufen war. Die Dioden
saßen falsch herum, und bei den Transistoren fehlte der
Plus-Anschluß. Hinzu kam eine entladene Batterie.
Newt hatte es gebaut und damit Radio Moskau empfan-
gen. Er schrieb einen Beschwerdebrief an die Redaktion
der Fachzeitschritt, bekam jedoch nie Antwort.
»Ah, ich bezweifle, ob ich damit etwas erreiche«, sagte
er niedergeschlagen.
»James Bond schraubt einfach irgendwelche Dinge
ab«, entgegnete Anathema.
»Es wird kaum genügen, irgend etwas abzuschrau-
ben«, sagte Newt, dessen Vorrat an Geduld allmählich
zur Neige ging. »Außerdem bin ich nicht« Zisch »James
Bond. Wenn ich« Pfiieh »James Bond wäre, hätten mir
die bösen Jungs ihre Megatod-Hebel gezeigt und erklärt,
wie alles funktioniert.« Whuuuh »Aber die Wirklichkeit
sieht ganz anders aus! Ich habe keine Ahnung, was hier

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Ein gutes Omen

geschieht, und deshalb kann ich nichts dagegen unter-


nehmen.«
Dunkle Wolken wogten am Horizont. Weiter oben war
der Himmel noch immer klar, die Luft wurde nur von
einer leichten Brise bewegt. Aber es war keine normale
Luft. Sie wirkte so kristallin, daß man den Eindruck
gewann, das Schimmern einzelner Facetten zu sehen,
wenn man den Kopf drehte. Sie funkelte. Wer nach
einem anderen Ausdruck suchte, um sie zu beschreiben,
hätte vermutlich das Wort brodeln benutzt. Ja, die Luft
brodelte. Es lag an den vielen substanzlosen Wesen, die
in ihr darauf warteten, endlich Substanz zu gewinnen.
Adam blickte auf. Einerseits herrschte nur Leere über
ihm, aber andererseits ... Die Heerscharen des Himmels
und der Hölle reichten bis in die Unendlichkeit,
Schwinge an Schwinge. Wenn man genau hinsah und
wußte, wonach es Ausschau zu halten galt, konnte man
die Kämpfer des Guten von denen des Bösen unter-
scheiden.
Stille hielt die Seifenblase der Welt fest im Griff.
Die vier apokalyptischen Reiter verließen das Ge-
bäude, und drei von ihnen sahen kaum mehr wie
Menschen aus. Ihre humanoiden Gestalten bestanden
nun aus den Dingen, die sie repräsentierten, und neben
ihnen bot Tod einen wesentlich vertrauteren Anblick.
Das schwarze Leder und der mit einem dunklen spie-
gelnden Visier ausgestattete Helm hatten sich in einen
Kapuzenmantel verwandelt. Wie dem auch sei: Solche
Details sind eigentlich nicht weiter wichtig. Ein Skelett
ist wenigstens menschlich - selbst dann, wenn es auf-
recht steht und sich bewegt. Der Tod lauert in jedem
lebenden Wesen.
»Habt keine Angst«, wandte sich Adam an seine Ge-
fährten. »Sie sind überhaupt nicht richtig real. Man
könnte sie mit einem Alptraum vergleichen.«
»A-aber wir schlafen nicht«, sagte Pepper.
Hund winselte und versuchte, sich hinter Adam zu
verstecken.
»Der scheint langsam zu schmelzen«, meinte Brian
und deutete auf Umweltverschmutzung, der kaum
mehr war als ein Phantom.
»Na bitte«, brummte Adam. »So etwas kann doch
nicht echt sein, oder? Der gesunde Menschenverstand
wehrt sich gegen derartige Vorstellungen, stimmt's? In
der wirklichen Wirklichkeit schmelzen keine Leute,
habe ich recht?«
Die Vier blieben einige Meter vor den Sie stehen.
ES IST VOLLBRACHT, sagte Tod. Er beugte sich ein wenig
vor und musterte Adam aus leeren Augenhöhlen. Es

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Ein gutes Omen

ließ sich nur schwer feststellen, ob er überrascht war.


»Nun, äh«, erwiderte Adam. »Allerdings. Ich meine.
Ich meine, ich möchte gar nicht, daß es vollbracht ist. Ich
habe nie darum gebeten.«
Tod sah die anderen drei apokalyptischen Reiter an
und richtete den Blick dann wieder auf den Jungen.
Hinter den Vier kam ein Jeep quietschend zum Ste-
hen. Tod und Adam achteten nicht darauf.
ICH VERSTEHE NICHT, sagte der Knochenmann. ALLEIN
DEINE EXISTENZ VERLANGT DEN WELTUNTERGANG. SO STEHT
ES GESCHRIEBEN.
»Ich kapiere nicht, warum jemandem daran gelegen
sein sollte, so was zu schreiben«, entgegnete Adam
ruhig. »Die Welt ist voller toller Dinge, die ich noch
nicht kenne, und deshalb möchte ich vermeiden, daß die
ganze Erde eine leblose Wüste wird. Es wäre doch die
totale Verschwendung. Nun, ich schlage vor, ihr geht
einfach und vergeßt das Armageddon und so.«
(»Das ist er, Mr. Shadwell«, sagte Erziraphael. Unsi-
cherheit schlich sich in seine Stimme. »Der Junge ... mit
dem... T-Shirt...«)
Tod starrte Adam an.
»Du... gehörst... zu uns«, preßte Krieg zwischen
Zähnen hervor, die wie glänzende Patronen aussahen.
»Es ist vollbracht«, sagte Umweltverschmutzung und
wiederholte damit Tods Worte. »Die Welt... bekommt
einen... neuen Anfang.« Es klang so, als tropfe etwas aus
einer halb verrosteten, mit Gift gefüllten Tonne.
»Du übernimmst... die Führung«, fügte Hunger
hinzu.
Adam zögerte. Dutzende von Stimmen kreischten in
ihm: Es ist wahr. Die Welt gehört dir. Gib dir endlich einen
Ruck. Begleite die vier apokalyptischen Reiter und unterwirf
Erde und Menschheit deinem Willen.
Oben warteten die kampfbereiten Engel auf den Ein-
satzbefehl.
(»Schie können doch nicht im Emscht fön mir ferian-
gen, daß ich auf ihn schieße! Er ischt doch noch ein
Knirpsch!«
»Ah«, sagte Erziraphael. »Ah. Ja. Vielleicht sollten wir
uns noch ein wenig gedulden, was meinen Sie?«
»Bis er erwachsen ist?« fragte Crowley spöttisch.)
Hund begann zu knurren.
Adam sah die Sie an. Er hatte praktisch sein ganzes
Leben mit ihnen verbracht.
Irgendwann muß jeder entscheiden, wessen Freund er
sein möchte.
Adam wandte sich wieder an die Vier.
»Schnappt sie euch!« sagte er.

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Ein gutes Omen

Seine Stimme klang jetzt anders und vibrierte seltsam.


Es war eine Stimme, die Menschen zu bedingungslosem
Gehorsam zwang.
Krieg lachte und musterte die Sie erwartungsvoll.
»Kleine Jungen«, sagte sie. »Mit Spielzeugen. Denkt
nur daran, was ich euch anzubieten habe... Stellt euch
all die Spiele vor. Ich kann dafür sorgen, daß ihr mich
liebt. Oh, kleine Jungen mit kleinen Waffen...«
Sie lachte erneut, aber das maschinengewehrartige
Rattern verstummte, als Pepper vortrat und einen zit-
ternden Arm hob.
»Ich bin ein Mädchen«, verkündete sie stolz und hielt
ihr Schwert bereit.
Es war natürlich kein richtiges Schwert. Es bestand
nur aus einigen Holzteilen, von Bindfäden zusammen-
gehalten. Krieg starrte darauf hinab.
»Ich verstehe«, sagte sie. »Du willst dich mir zum
Kampf stellen, wie?« Sie zog die eigene Klinge und
schwang sie herum. Es hörte sich an, als striche jemand
mit dem Finger über den Rand eines Weinglases.
Es blitzte, als die beiden Waffen aufeinandertrafen.
Tod blickte in Adams Augen.
Irgend etwas schepperte leise.
»Faßt es nicht an!« rief Adam, ohne den Kopf zu dre-
hen.
Die Sie beobachteten, wie Kriegs Schwert über den
Boden rutschte und liegenblieb.
»Kleine Jungen«, murmelte Pepper und schnitt eine
Grimasse. Irgendwann muß jeder entscheiden, welcher
Bande er angehören möchte.
»Aber, aber...«, begann Brian. »Das Schwert hat sie
einfach aufgesaugt...«
Die Luft zwischen Adam und Tod begann wie in
plötzlicher Hitze zu flirren.
Wensleydale hob den Kopf und blickte in ein eingefal-
lenes, hohlwangiges Gesicht. Es gehörte Hunger. Er hob
etwas, das man mit ein wenig Phantasie für eine Waage
aus Zweigen und dünnen Stricken halten konnte.
Wensley schwang seine Waffe und schleuderte sie.
Hunger streckte abwehrend den Arm aus.
Erneut blitzte es, und eine kleine Messingwaage fiel
auf den Asphalt.
»Rührt sie ... nicht... an«, sagte Adam.
Umweltverschmutzung lief los - besser gesagt: er
floß -, aber Brian riß sich eine Krone aus Grashalmen
vom Kopf und warf sie. Normalerweise wäre so etwas
nicht möglich, aber eine sonderbare Kraft ließ sie wie
einen Diskus davonsausen.
Eine Explosion krachte. Rote Flammen leckten in

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Ein gutes Omen

einer schwarzen Qualmwolke, und es stank nach Öl.


Es klimperte, und eine dunkel angelaufene Silber-
krone rollte aus dem Rauch, schepperte wie eine Münze,
die langsam zur Ruhe kommt.
Diesmal verzichtete Adam auf die Warnung, sie zu
berühren. Das Glühen des Metalls war Warnung genug.
»Was ist aus ihnen geworden?« fragte Wensley.
SIE BEFINDEN SICH NUN DORT, WO SIE HINGEHÖREN, er-
widerte Tod, ohne den Blick von Adam abzuwenden.
WO SIE IMMER GEWESEN SIND. IM BEWUSSTSEIN DER MEN-
SCHEN.
Er grinste Adam an.
Etwas knirschte und riß. Tods Umhang fiel von ihm
ab, und er breitete seine Schwingen aus. Es waren
Engelsflügel, aber sie bestanden nicht aus Federn. Diese
Flügel durchdrangen die Materie der Schöpfung und er-
reichten die Finsternis darunter. Einige ferne Lichter
schimmerten in ihnen, vielleicht Sterne. Vielleicht auch
ganz etwas anderes.
ABER ICH BIN NICHT WIE SIE, fuhr Tod fort. ICH BIN
AZRAEL, GESCHAFFEN ALS DUNKLE SEITE DER SCHÖPFUNG.
MICH KANNST DU NICHT VERNICHTEN, DENN DAS WÜRDE DIE
WELT SELBST ZERSTÖREN.
Die Hitze der beiden durchdringenden Blicke ver-
flüchtigte sich. Adam kratzte sich an der Nase.
»Oh, ich weiß nicht«, sagte er langsam. »Vielleicht
gibt es doch einen Weg.« Er lächelte ebenfalls.
»Wie dem auch sei«, fügte Adam hinzu. »Es hört jetzt
auf. Das mit den Maschinen, meine ich. Derzeit mußt du
mir gehorchen, und ich will, daß alles wieder in Ord-
nung kommt.«
Tod hob die Schultern. DAS IST BEREITS DER FALL, sagte
er und deutete auf die kläglichen Reste der drei anderen
apokalyptischen Reiter. DIE NORMALE ENTROPIE TRIUM-
PHIERT. Tod hob eine knochige Hand zu einer Geste, die
man als Salutieren bezeichnen konnte.
SIE KEHREN ZURÜCK, sagte er. SIE SIND NIE SEHR WEIT ENT-
FERNT.
Er schlug mit den Schwingen, nur einmal. Es don-
nerte, und der Engel des Todes verschwand.
»Na schön«, brummte Adam und sah ins Leere. »Na
scfwn. Die Welt wird nicht untergehen. Alles das, was
Krieg, Hunger und Umweltverschmutzung in Bewe-
gung gesetzt haben - es muß aufhören. Und zwar so-
fort.«
Newt starrte verzweifelt auf die Konsolen.
»Wenn hier doch nur eine Bedienungsanleitung her-
umläge!« klagte er.
»Vielleicht kann uns Agnes helfen«, erwiderte Ana-

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Ein gutes Omen

thema.
»O ja«, brachte Newt bitter hervor, »natürlich. Völlig
klar. Wir sabotieren die Elektronik des zwanzigsten
Jahrhunderts mit einer Handwerksanleitung aus dem
17. Jahrhundert. Was hat Agnes wohl vom Transistor ge-
wußt?«
»Nun, meinem Großvater gelang es im Jahre 1948, die
Weissagung Nummer 3328 richtig zu interpretieren, und
daraufhin entschied er sich zu einigen sehr profitablen
Investitionen«, sagte Anathema. »Agnes hatte natürlich
keine Ahnung, wie das Ding hieß, und ihre Kenntnisse
in bezug auf Elektrizität waren begrenzt, aber...«
»Ich habe nur eine rhetorische Frage gestellt.«
»Außerdem: Es geht doch gar nicht darum, daß die
hiesigen Anlagen funktionieren. Du brauchst nur dafür
zu sorgen, daß sie ihre Arbeit einstellen. Dazu sind
keine Fachkenntnisse erforderlich. Unwissenheit genügt
völlig.«
Newt stöhnte.
»Nun gut«, seufzte er, »versuchen wir's. Wähl eine
Prophezeiung.«
Anathema zog einen Zettel aus dem Karteikasten.
>»Er isset nicht das, was er behauptigt<«, las sie.
»Nummer 1002. Klingt nicht sehr kompliziert. Was mag
das bedeuten?«
Newt verzog das Gesicht. »Nun, äh... Dies ist wohl
kaum der richtige Zeitpunkt, aber da wir schon einmal
dabei sind, äh...« Er schluckte. »Eigentlich kann ich mit
elektronischen Dingen nicht besonders gut umgehen.
Ich stoße dabei immer wieder auf gewisse, äh, Schwie-
rigkeiten.«
»Wenn ich mich recht entsinne, hast du dich mir als
Computertechniker vorgestellt.«
»Ah. Da habe ich ein wenig übertrieben. Ich meine, es
ist eine übertriebene Übertreibung, wenn du verstehst,
was ich meine. Äh.« Newt schloß die Augen. »Man
könnte sogar so weit gehen und sagen, daß die Wahrheit
nur gestreift wird.«
»Es war also eine Lüge?« vergewisserte sich Ana-
thema.
»Nun, so weit würde ich nicht gehen. Allerdings, äh,
bin ich kein Computertechniker. Zumindest nicht im
eigentlichen Sinne. Äh. Ich arbeite nur selten mit Com-
putern. Fast nie. Äh. Das Gegenteil ist der Fall.«
»Das Gegenteil?«
»Wenn du's unbedingt wissen willst: Immer wenn ich
versuche, elektronische Geräte zum Laufen zu bringen,
passiert genau das Gegenteil.«
Anathema lächelte strahlend und breitete triumphie-

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Ein gutes Omen

rend die Arme aus. In dieser Haltung wirkte sie wie die
Assistentin eines Zauberkünstlers, die hinter dem Vor-
hang hervortritt, obgleich das Publikum ihren Leichnam
in einem mit Schwertern gespickten Kasten erwartet.
»Tra-la«, sagte sie.
»Bitte?«
»Ich schlage vor, du beginnst gleich mit der Repara-
tur.«
»Wie?«
»Sorg dafür, daß die hiesigen Computer wieder rich-
tig funktionieren.«
»Ach, komm schon«, sagte Newt, »das klappt nie!« Er
stützte sich auf die nächste Konsole.
Ein Geräusch, das er bisher überhaupt nicht wahrge-
nommen hatte, verklang plötzlich, und das Summen
eines fernen Generators wurde leiser. Einige Kon-
trollampen auf dem Pult flackerten, und die meisten von
ihnen erloschen.
Was im Rest der Welt geschah? Schalter, die sich bis-
her nicht von der Stelle gerührt hatten, konnten wieder
bewegt werden. Strom floß durch Kabel und dünne
Drähte. Diverse Computer gaben es auf, den Dritten
Weltkrieg zu planen, werteten statt dessen von Satelliten
übermittelte Meßdaten aus und erstellten falsche Wet-
terprognosen. In Bunkern unter der sowjetischen Tun-
dra stellten nervöse Uniformierte fest, daß sich die
durchgebrannten Sicherungen endlich aus ihren Halte-
rungen lösen ließen. In Bunkern unter dem Boden von
Wyoming und Nebraska hörten andere Uniformierte
auf, sich gegenseitig anzuschreien und mit ihren Waffen
zu hantieren. Vermutlich hätten sie jetzt ein Bier getrun-
ken, wenn Alkohol in Raketenbasen erlaubt gewesen
wäre. Das war natürlich nicht der Fall, aber ungeachtet
dessen hatten sie trotzdem welchen.
Die Lichter gingen wieder an.
Die Zivilisation rutschte nicht mehr ins Chaos und be-
gann damit, Briefe an Zeitungen zu schreiben, in denen
beklagt wurde, wie hysterisch die Leute heutzutage auf
Kleinigkeiten reagierten.
In Tadfield strahlten die elektronischen Geräte kein
Unheil mehr aus. Irgend etwas in ihnen fehlte - abgese-
hen von der Elektrizität.
»Donnerwetter!« stieß Newt beeindruckt hervor.
»Wer sagt's denn?« erwiderte Anathema. »Du hast die
Apparate vollkommen in Ordnung gebracht. Auf Agnes
Spinner ist eben Verlaß. So, und jetzt laß uns gehen.«
»Er hat sich geweigert, den Weltuntergang einzuleiten!«
platzte es aus Erziraphael heraus. »Eine ziemliche Über-
raschung für dich, nicht wahr, Crowley? Wenn man sich

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Ein gutes Omen

die Mühe macht, bis in die innersten Gewölbe der Seele


zu blicken, so findet man selbst im dämonischsten Ich
einen guten Kern, der...«
»Es ist noch nicht vorbei«, sagte Crowley.
Adam drehte sich um und schien sie erst jetzt zu
bemerken. Crowley war nicht daran gewöhnt, sofort
durchschaut zu werden, aber für Adam schien sein
ganzes langes Leben ein offenes Buch zu sein, in dem er
nach Belieben lesen konnte. Für einen Sekundenbruchteil
spürte der Dämon wahres, höllisches Entsetzen. Bisher
hatte er geglaubt, genau zu wissen, was Furcht und
Grauen bedeuteten, doch seine gegenwärtigen Empfin-
dungen setzten jene Gefühle in die n-te Potenz. Die für
Strafen und disziplinarische Maßnahmen zuständigen
Höllenfürsten konnten die Existenz eines Dämonen been-
den, indem sie ihm unerträgliche Qualen bereiteten, aber
dieser Junge konnte deine Existenz nicht nur mit einem
kurzen Gedanken auslöschen, sondern wahrscheinlich
die Dinge so arrangieren, daß du niemals existiert hast.
Adams Blick fiel auf Erziraphael.
»Entschuldigung, aber warum befinden sich zwei Per-
sonen in dem Körper?« fragte er.
»Nun«, sagte Erziraphael, »das ist eine lange Ge-
schichte...«
»Ich finde es nicht richtig, daß zwei Personen einen
Leib teilen müssen«, fuhr Adam fort. »Jeder sollte seinen
eigenen Körper haben.«
Es kam zu keinen optisch-akustischen Spezialeffekten.
Von einem Augenblick zum anderen saß Erziraphael
neben Madame Tracy.
»Oh, wie das prickelte!« Die Frau kicherte und mu-
sterte den Engel von Kopf bis Fuß. »Hm«, machte sie
enttäuscht. »Ich habe mir Sie ein wenig jünger vorge-
stellt.«
Shadwell starrte Erziraphael eifersüchtig an und
spannte demonstrativ den Hahn der Donnerbüchse.
Der Engel sah an sich hinab. Bedauerlicherweise
schien sein neuer Körper genauso beschaffen zu sein
wie der alte. Wenigstens war der Mantel nicht ganz so
schmutzig.
»Nun, das war's«, sagte er.
»Nein«, widersprach Crowley. »Nein, ganz und gar
nicht.« Plötzlich befanden sich Wolken über ihnen, die
umeinanderwirbelten wie Nudeln in kochendem Was-
ser.
»Es ist alles weitaus komplizierter«, fuhr Crowley mit
angemessen düster und unheilvoll klingender Stimme
fort. »Ihr glaubt vielleicht, Kriege beginnen, weil irgend-
ein alter Herzog erschossen wird, jemand einem politi-

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Ein gutes Omen

schen Gegner das Ohr abschneidet oder seine Raketen


am falschen Ort unterbringt. Aber da irrt ihr euch. Es
sind Gründe, die mit der ganzen Sache überhaupt nichts
zu tun haben. Es kommt zu Kriegen, wenn sich zwei
Kontrahenten einfach nicht ausstehen können. Dadurch
wächst ein Druck, der schließlich nach einem Ventil
sucht, um sich zu entladen. Der geringste Anlaß genügt.
In diesem Zusammenhang werden Gründe zu Vorwän-
den. Wie heißt du, äh. Junge?«
»Sein Name lautet Adam Young«, sagte Anathema.
Sie trat näher, gefolgt von Newt.
»Ja, das stimmt«, bestätigte Adam.
»Gut gemacht«, brummte Crowley. »Du hast die Welt
gerettet. Nimm dir einen halben Tag frei.« Der Dämon
seufzte. »Doch im Prinzip ändert das gar nichts.«
»Du hast recht«, sagte Erziraphael langsam. »Ich bin
sicher, meine Seite will das Armageddon. Traurig, nicht
wahr?«
»Würde mir bitte jemand erklären, was das alles zu
bedeuten hat?« fragte Anathema streng und ver-
schränkte die Arme.
Erziraphael hob die Schultern.
»Das ist eine sehr lange Geschichte.«
Die junge Frau schob das Kinn vor. »Ich mag lange
Geschichten.«
»Nun gut. Am Anfang...«
Ein Blitz flackerte, traf den Boden mehrere Meter vor
Adam und verharrte dort - eine leise zischende Säule,
die unten etwas breiter wurde, so als fülle die geballte
Elektrizität eine unsichtbare Gußform. Die Menschen
wichen zum Jeep zurück.
Das Licht verblaßte, und ein junger Mann aus golde-
nem Feuer manifestierte sich.
»Auch das noch«, hauchte Erziraphael. »Er ist es.«
»Wer?« fragte Crowley.
»Die Stimme Gottes«, erklärte Erziraphael. »Meta-
tron.«
Die Sie beobachteten den Fremden.
»Nein, unmöglich«, sagte Pepper. »Das Metatron be-
steht aus Plastik, hat eine große Laserkanone und kann
sich in einen Hubschrauber verwandeln.«
»Du meinst das Kosmische Metatron«, warf Wensley-
dale leise ein. »Ich hatte eins, aber der Kopf fiel ab. Ich
glaube, dieses Metatron ist ein bißchen anders.«
Ein leerer, fast gleichgültiger Blick glitt über Adam
Youngs Gesicht hinweg und richtete sich dann auf den
Asphalt. Blasen bildeten sich dort.
Eine Gestalt wuchs aus dem brodelnden Boden, wie
der Dämonenkönig bei einer Theateraufrührung. Aber

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Ein gutes Omen

wenn dieses Geschöpf jemals als Schauspieler aufgetre-


ten war, so nur in einem Theater, das kein einziger Zu-
schauer lebend verließ und das anschließend von einem
Priester niedergebrannt werden mußte. Es präsentierte
sich ebenfalls als Mann. Bei ihm glühten die Flammen
blutrot, aber ansonsten unterschied er sich kaum von
Metatron.
»Ah«, machte Crowley und duckte sich unwillkürlich.
»Äh, hallo...«
Der Rote sah ihn nur kurz an, schien ihn auf seinen
Speisezettel zu setzen und wandte sich dann an Adam.
Als er sprach, klang seine Stimme wie das Summen von
einer Million Fliegen, die hastig davonflogen.
Er brummte ein Wort, und in den zuhörenden Men-
schen entstand das Gefühl, als striche ihnen ein Dolch
über den Rücken.
Er sprach zu Adam, und der Junge erwiderte: »Was?
Nein. Wie ich schon sagte, ich bin Adam Young.« Er mu-
sterte die Gestalt. »Wie heißen Sie?«
»Beelzebub«, sagte Crowley. »Er ist der oberste Fürst
der...«
»Vielen Dank, Crowley«, unterbrach ihn Beelzebub.
»Wir unterhalten unz später. Bestimmt hazt du mir viel
zu erzählen.«
»Ah«, machte Crowley. »Nun, weißt du, es ist eine
Menge geschehen, und ich...«
»Zei still!«
»Natürlich, selbstverständlich, einverstanden, wie du
willst.«
»Nun, Adam Young...«, sagte Metatron. »Wir wissen
deine Hilfe zu schätzen, aber wir vertreten weiterhin
den Standpunkt, daß der Weltuntergang jetzt stattfinden
muß. Es könnte vorübergehend zu Unannehmlichkeiten
kommen, aber solche Dinge spielen nur eine unterge-
ordnete Rolle. Schließlich geht es darum, dem Guten
Geltung zu verschaffen.«
»Hast du gehört?« flüsterte Crowley Erziraphael zu.
»Er meint, wir müssen die Welt zerstören, um sie zu ret-
ten.«
»Ob zieh daz Gute durchzetzen wird, steht keine-
zwegz fezt«, summte Beelzebub. »Wie dem auch zei: Die
Entscheidung muz jetzt fallen. Zo steht ez geschrieben.
Daz Schickzal gebietet ez.«
Adam atmete tief durch, während das menschliche
Publikum die Luft anhielt. Was Crowley und Erzira-
phael betraf... Ihre Lungen machten schon seit einer
ganzen Weile Urlaub.
»Ich begreife einfach nicht, warum alle Leute und so
unbedingt verbrennen müssen«, sagte Adam. »Millio-

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Ein gutes Omen

nen Fische und Wale und Bäume und Schafe und so.
Und es gibt nicht einen triftigen Grund dafür. Es soll
sich nur herausstellen, wer die bessere Bande hat. Es ist
wie mit uns und den Johnsoniten. Selbst wenn man ge-
winnt - man kann keinen vollständigen Sieg über die
andere Seite erringen, weil man es eigentlich überhaupt
nicht will. Ich meine. Sie brauchen sich gegenseitig.
Woraus folgt: Bestimmt lassen Sie sich beim Letzten Ge-
fecht eine Hintertür offen, und nach Der Schlacht begin-
nen Sie noch mal von vom.« Er deutete auf Crowley
und Erziraphael. »Sie schicken solche Leute, um sich in
die Angelegenheiten der Menschen einzumischen. Aber
die Menschen haben es schon schwer genug, Menschen
zu sein. Sie können auf jemanden verzichten, der ihnen
dauernd dazwischenfunkt.«
Crowley wandte sich an den Engel.
»Johnsoniten?« raunte er.
Erziraphael hob die Schultern. »Eine frühe Sekte,
glaube ich«, sagte er. »Gnostiker oder so was. Wie die
Ophiten.« Er runzelte die Stirn. »Oder vielleicht die
Sethiter? Nein, ich meine die Kollyridianer. Lieber Him-
mel! Damals gab es Hunderte von Gruppen und Grüpp-
chen. Da kann man schnell die Übersicht verlieren.«
»Die Leute mischen sich immer wieder ein«, mur-
melte Crowley.
»Das ist völlig nebensächlich!« entgegnete Metatron
scharf. »Mit der Schöpfung der Erde, des Guten und des
Bösen sollte...«
»Ich verstehe nicht, warum man erst Menschen er-
schafft und dann wütend wird, weil sie sich wie Men-
schen benehmen«, sagte Adam ernst. »Außerdem: Wenn
Sie endlich damit aufhören würden, den Leuten zu ver-
sprechen, nach ihrem Tod käme alles in Ordnung - viel-
leicht wären sie dann bereit, ihre Probleme noch im
Diesseits zu lösen. Wenn es nach mir ginge, würde ich
die Menschen viel länger leben lassen, mindestens so
lange wie den alten Methusalem. Dann hätten sie Zeit
genug, um zu sehen, was sie mit ihrer Umwelt und der
Natur anrichten. Sie könnten mit eigenen Augen sehen,
welche Folgen sich in hundert Jahren zeigen.«
»Ah«, machte Beelzebub und lächelte sogar, »du
möchtezt über die Welt herrschen. Damit kommzt du
mehr nach deinem Va...«
»Ich habe gründlich darüber nachgedacht. Eigentlich
liegt mir gar nichts daran, die Welt nach meinem Willen
zu formen.« Adam drehte sich halb um und nickte den
Sie zu. »Ich meine, es gibt viele Dinge, die man verän-
dern sollte. Aber wenn ich mich auf so etwas einlasse...
Dann müßte ich damit rechnen, dauernd von Leuten Be-

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Ein gutes Omen

such zu bekommen, die mich um irgend etwas bitten,


um mehr Bäume und Wale und was weiß ich. Nein,
diese Vorstellung gefällt mir nicht. Es wäre so, als müßte
man fremde Zimmer aufräumen.«
»Dein Zimmer sieht eher aus wie eine Rumpelkam-
mer«, sagte Pepper.
»Es geht hier nicht um mein Zimmer«, sagte Adam
und dachte dabei an einen Raum, dessen Teppich sich
schon seit einigen Jahren den Blicken entzog. »Ich spre-
che von Zimmern im allgemeinen. Es ist eine Analogie.«
Beelzebub und Metatron wechselten einen verwirrten
Blick.
Adam räusperte sich. »Es ist schon schlimm genug,
daß ich mir immerzu etwas einfallen lassen muß, damit
sich Pepper, Wensley und Brian nicht langweilen. Nein,
ich möchte nicht noch mehr von der Welt, als ich bereits
habe. Besten Dank.«
Metatrons Mimik spiegelte genau das wider, was die
meisten Leute empfanden, wenn sie länger als eine
halbe Minute mit Adams recht exzentrischer Logik kon-
frontiert wurden.
»Du kannst nicht leugnen, was du bist«, sagte die
Stimme Gottes schließlich. »Hör mal, dein Schicksal ist
Teil des Großen Plans. Es steht bereits alles fest. Alle Ent-
scheidungen sind längst getroffen.«
»Normalerweize finde ich Rebellion anerkennenz-
wert«, kommentierte Beelzebub. »Aber unter gewizzen
Umständen ziehe ich Disziplin vor. Daz verstehzt du zi-
cher.«
»Ich rebelliere nicht gegen irgend etwas«, erwiderte
Adam und sprach betont vernünftig. »Ich weise nur auf
einige Dinge hin. Ich meine, man kann niemandem vor-
werfen, daß er auf einige Dinge hinweist. Und dann bin
ich der Meinung, daß ihr auf das Letzte Gefecht ver-
zichten solltet. Begnügt euch zur Abwechslung einmal
damit, die Menschen nur zu beobachten. Vielleicht fan-
gen sie an, völlig vernünftig zu denken, wenn ihr sie in
Ruhe laßt. Vielleicht hören sie dann auf, ihre Welt ganz
allein in den Ruin zu treiben. Das muß nicht unbedingt
der Fall sein«, fügte Adam einschränkend hinzu. »Aber
es ist immerhin eine Möglichkeit.«
»Das ergibt keinen Sinn«, sagte Metatron. »Du kannst
dich nicht dem Großen Plan entgegenstellen. Besinn
dich auf das, was du bist. Hör die Stimme deiner Gene.«
Adam zögerte.
Die dunkle Unterströmung in ihm war bereit, wieder
nach oben zu brechen. Ihr leises Wispern sagte: Ja ge-
nauso soll es sein, du mußt dem großen Plan gehorchen,
denn du bist ein Teil davon...

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Ein gutes Omen

Ein langer Tag lag hinter ihm. Adam war müde. Die
Rettung der Welt erschöpfte einen elfjährigen Jungen.
Crowley ließ den Kopf hängen.
»Für ein paar Sekunden dachte ich, uns bliebe noch
eine Chance«, stöhnte er. »Es ist ihm gelungen, Beelze-
bub und Metatron betroffen zu machen. Nun, es war
nett die ganzen Jahre ...«
Er merkte gar nicht, daß Erziraphael aufstand.
»Entschuldigung«, sagte der Engel.
Adam und die Repräsentanten von Himmel und
Hölle sahen ihn an.
»Der Große Plan...«, begann Erziraphael. »Ich ver-
mute, es handelt sich um einen unerfindlichen Plan, nicht
wahr?«
Metatron überlegte.
»Es ist der Große Plan. Du kennst ihn. Er sieht eine
Welt vor, die sechstausend Jahre lang Zeit hat, sich zu
entwickeln. Anschließend...«
»Ja, ja, ich weiß«, sagte Erziraphael. Seine Stimme
klang höflich und respektvoll, aber gleichzeitig wirkte er
wie jemand, der bei einer politischen Versammlung eine
höchst unangenehme Frage gestellt hatte und darauf be-
stand, daß sie jemand beantwortete. »Ich möchte nur
wissen, ob er auch unerfindlich ist. Ich möchte nur Klar-
heit über diesen Punkt haben.«
»Es spielt doch keine Rolle«, gab Metatron zurück
und winkte ab. »Ich schätze, es läuft aufs gleiche hin-
aus.«
Ich schätze, fuhr es Crowley durch den Kopf. Sie wis-
sen es nicht einmal genau.
Er grinste wie ein Idiot.
»Also seid ihr auch da nicht hundertprozentig si-
cher?« fragte er.
»Es steht uns nicht zu, den unerfindlichen Plan zu
verstehen«, sagte die Stimme Gottes. »Nun, der Große
Plan...«
»Der Große Plan kann nur ein kleiner Teil der wesent-
lich größeren Unerfindlichkeit sein«, verkündete Erzira-
phael. »Mit anderen Worten: Wenn man die Sache aus
dem Blickwinkel der Unerfindlichkeit sieht, so steht kei-
neswegs fest, daß die gegenwärtigen Ereignisse nicht
richtig sind.«
»Ez steht geschrieben!« donnerte Beelzebub.
»Aber woanders könnte etwas ganz anderes stehen«,
warf Crowley ein. »Wo du es nicht lesen kannst.«
»In Blockbuchstaben«, sagte Erziraphael.
»Unterstrichen«, fügte Crowley hinzu.
»Und fettgedruckt«, schlug der Engel vor.
»Vielleicht ist dies nicht nur eine Probe für die Welt«,

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Ein gutes Omen

sagte Crowley. »Vielleicht sollt auch ihr geprüft werden.


Hmm?«
»Gott führt seine Diener nicht an der Nase herum«,
erwiderte Metatron. Er wollte überzeugt klingen, konnte
die Besorgnis jedoch nicht ganz aus seiner Stimme ver-
bannen.
»Lieber Himmel.« Crowley schüttelte mitleidig den
Kopf. »Woher kommt ihr denn?«
Die Blicke aller Anwesenden richteten sich auf Adam.
Er schien konzentriert nachzudenken.
»Ich weiß nicht, warum Geschriebenes so wichtig sein
soll, wenn es um Menschen und die Zukunft dieses Pla-
neten geht«, sagte er nach einer Weile. »Man kann es
jederzeit wegradieren oder durchstreichen.«
Böiger Wind wehte über den Flugplatz.
Weiter oben erzitterten die versammelten Heerscha-
ren wie eine Fata Morgana.
Es folgte jene Art von Stille, die am Tag vor der
Schöpfung geherrscht haben mochte.
Adam bedachte Beelzebub und Metatron mit einem zu-
friedenen Lächeln. Er rührte sich nicht von der Stelle, stand
vollendet ausbalanciert zwischen Himmel und Hölle.
Crowley griff nach Erziraphaels Arm. »Weißt du, was
passiert ist?« entfuhr es ihm aufgeregt. »Der Junge war
die ganze Zeit über allein! Er wuchs als Mensch auf! Er
ist nicht etwa die Inkarnation des Guten oder Bösen,
sondern eine menschliche Inkarnation...«
Und dann:
»Ich glaube, ich muß um neue Instruktionen bitten«,
sagte Metatron.
»Ich ebenfallz«, brummte Beelzebub. Er starrte Crow-
ley wütend an. »Auf einz kannzt du dich verlazzen: Ich
werde in aller Deutlichkeit auf deine mangelnde Bereit-
schaft zur Zuzammenarbeit hinweizen.« Er richtete
einen brennenden Blick auf Adam. »Ich weiz nicht, waz
dein Vater davon hal...«
Es krachte ohrenbetäubend laut. Shadwell hatte sich
einige Minuten lang damit begnügt, nervös zu zappeln,
doch schließlich brachte er seine zitternden Hände unter
Kontrolle und betätigte den Abzug der Donnerbüchse.
Dutzende von Schrotkugeln rasten durch die Luft,
und Beelzebub verschwand gerade noch rechtzeitig. An-
dernfalls hätte es der Hexensucher-Feldwebel sehr be-
dauert, das anvisierte Ziel getroffen zu haben.
Der Himmel flackerte kurz, als auch die Heerscharen
verschwanden. Am Horizont lösten sich die dunklen
Wolken auf.
Madame Tracy beendete das Schweigen.
»Zwei seltsame Männer«, sagte sie.

file:///G|/Books/1/omen.htm (314 von 339) [16.06.2001 15:32:24]


Ein gutes Omen

Aber sie meinte etwas anderes, das sich nur mit lau-
tem, hingebungsvoll-hysterischem Schreien angemessen
zum Ausdruck bringen läßt. Nun, das menschliche Ge-
hirn kann selbst schwere Schocks erstaunlich gut verar-
beiten, und die eher banale Bemerkung >Zwei seltsame
Männer< war integraler Bestandteil des raschen Hei-
lungsprozesses. Innerhalb einer halben Stunde mochte
es Madame Tracy gelingen, sich davon zu überzeugen,
daß sie ein Glas Wein zuviel getrunken hatte.
»Jetzt ist alles vorbei, oder?« fragte Erziraphael.
Crowley hob die Schultern. »Nicht für uns, fürchte
ich.«
»Ich glaube. Sie brauchen sich keine Sorgen zu ma-
chen«, sagte Adam schelmisch. »Ich weiß inzwischen
Bescheid und bin sicher, daß Sie irgendwie zurechtkom-
men.«
Er musterte die übrigen Sie. Pepper, Wensleydale und
Brian versuchten, seinem Blick standzuhalten. Adam
überlegte einige Sekunden lang. »In der letzten Zeit ging
es recht hoch her, und viele Leute haben versucht, auf
vieles Einfluß zu nehmen. Ich glaube, alle wären viel
besser dran, wenn die jüngsten Ereignisse schlicht und
einfach in Vergessenheit geraten würden. Das heißt, es
genügt, wenn sich bestimmte Personen nicht mehr genau
erinnern. Und dann kehren wir nach Hause zurück.«
»Willst du es wirklich dabei bewenden lassen?« fragte
Anathema verblüfft und trat vor. »Denk nur an all das
Gute, das du bewirken kannst.«
»Was denn, zum Beispiel?« erkundigte sich Adam
argwöhnisch.
»Nun, äh... Wie war's, wenn du die Meere wieder
mit Walen bevölkerst?«
Adam neigte den Kopf zur Seite. »Würde das die Wal-
fänger daran hindern, in See zu stechen?«
Die junge Frau zögerte. Sie hätte zu gern mit einem
klaren Ja geantwortet.
»Und wenn die Menschen wieder damit beginnen,
Wale zu jagen und zu töten - was soll ich dann ma-
chen?« fragte Adam. »Nein. Mir ist jetzt klargeworden,
worauf so etwas hinausläuft. Wenn man damit anfängt,
bestimmte Dinge zu beeinflussen, setzt man eine unauf-
haltsame Kettenreaktion in Gang. Aber wenn irgend-
welche Leute einen Wal töten, dann sollte ihnen klar
sein, daß sich daraus ein toter Wal ergibt.«
»Eine sehr verantwortungsbewußte Einstellung«, lob-
te Newt.
Adam wölbte eine Braue.
»Es ist nichts als gesunder Menschenverstand«, erwi-
derte er.

file:///G|/Books/1/omen.htm (315 von 339) [16.06.2001 15:32:24]


Ein gutes Omen

Erziraphael klopfte Crowley auf die Schulter. »Offen-


bar haben wir überlebt. Stell dir nur mal vor, was ge-
schehen wäre, wenn wir echte Kompetenz bewiesen hät-
ten.«
»Ähm«, machte Crowley.
»Ist dein Wagen noch fahrbereit?«
»Ich glaube, man muß ein bißchen was dran arbei-
ten«, sagte Crowley.
»Wir sollten diese guten Leute in den Ort zurückbrin-
gen«, meinte Erziraphael. »Ich bin Madame Tracy zu-
mindest eine Mahlzeit schuldig. Und natürlich auch
ihrem jungen Mann.« Shadwell warf einen Blick über
die Schulter und sah dann eine triumphierende Ma-
dame Tracy an.
»Fön fern schpricht er?«
»Was ist eigentlich passiert?« fragte Pepper. »Hier
herrschte eben doch noch die höchste Aufregung...«
»Es spielt keine Rolle mehr«, antwortete Adam.
»Du könntest so sehr helfen...«, begann Anathema,
als sie zurück zu den Fahrrädern gingen. Newt griff be-
hutsam nach ihrem Arm.
»Laß nur!« sagte er. »Weißt du, morgen ist der erste
Tag vom Rest unseres Lebens.«
Die junge Frau rollte mit den Augen. »Es gibt viele
dumme Sprüche, die ich nicht ausstehen kann. Aber die-
sen finde ich besonders abscheulich.«
»Ach, tatsächlich?« Newt lächelte glücklich.
»Warum steht >Dick Turpin< an der Tür deines Wa-
gens?«
»Oh, ein Scherz«, sagte Newt.
»Wieso?«
»Ganz gleich, wohin ich auch fahre - ich verursache
dauernd Verkehrsstaus«, erklärte er zerknirscht.
Crowley starrte bedrückt aufs Armaturenbrett des
Jeep.
»Das mit deinem Bentley tut mir leid«, sagte Erzira-
phael. »Ich weiß, wie sehr du ihn mochtest. Nun, wenn
du dich besonders stark konzentrierst...«
»Nein.« Crowley schüttelte den Kopf. »Er wäre nicht
derselbe.«
»Da hast du wahrscheinlich recht.«
»Ich habe ihn gut gepflegt. Sechzig Jahre lang. Er war
mehr als nur ein Auto, er war fast ein Kleidungsstück
für mich.«
Crowley schnupperte.
»Brennt hier irgend etwas?« fragte er.
Der Wind wirbelte Staub auf und ließ ihn wieder fal-
len. Die Luft wurde heiß und schwer; Erziraphael und
Crowley fühlten sich plötzlich wie in klebrigem Sirup

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Ein gutes Omen

gefangene Fliegen.
Der Dämon drehte den Kopf und sah ins entsetzte Ge-
sicht des Engels.
»Aber es ist vorbei«, sagte er. »Es kann jetzt nicht ge-
schehen. Der... der richtige Zeitpunkt oder so ist ver-
strichen. Wir haben alles überstanden!«
Der Asphalt erzitterte, und die akustische Unterma-
lung ... Es klang nach einer U-Bahn, aber sie fuhr nicht
etwa durch einen horizontalen unterirdischen Tunnel,
sondern durch einen vertikalen. Sie kam nach oben.
Crowley rang mit dem Schaltknüppel.
»Das ist nicht Beelzebub, sondern Er/« rief er, um das
Heulen plötzlicher Böen zu übertönen. »Der Vater des
Jungen. Ein ganz persönliches Armageddon bahnt sich
an. Beweg dich endlich, du blödes Ding!«
Der Boden unter Anathema und Newt bebte, raubte
ihnen das Gleichgewicht.
Gelber Rauch drang aus Rissen.
»Wie ein Vulkan!« platzte es aus Newt heraus. »Was
hat das zu bedeuten?«
»Irgend etwas kommt«, sagte Anathema. »Und was
auch immer es ist - es scheint sehr zornig zu sein.«
Im Jeep fluchte Crowley. Erziraphael legte ihm die
Hand auf die Schulter.
»Hier befinden sich Menschen«, sagte er.
»Ja, und ich bin ebenfalls hier«, stöhnte der Dämon.
»Ich meine, wir sollten nicht zulassen, daß unsere Be-
gleiter in Gefahr geraten.«
»Nun, was ...«, begann Crowley und unterbrach sich.
»Ich meine, wenn man genau darüber nachdenkt...
Wir haben die Menschen oft genug in Schwierigkeiten
gebracht. Du und ich. Im Laufe der Jahre. Mit verschie-
denen Dingen. Du weißt schon.«
»Wir haben nur unseren Job getan«, erwiderte Crow-
ley.
»Mag sein. Viele Leute haben in der Vergangenheit
nur ihren Job getan und sieh dir an, zu welchen Schwie-
rigkeiten das geführt hat.«
»Spielst du wirklich mit dem Gedanken, dich Ihm ent-
gegenzustellen?«
»Was haben wir schon zu verlieren?«
Crowley wollte widersprechen, sah dann aber ein,
daß es keinen Zweck hatte. Es gab für ihn nichts zu ver-
lieren, was er nicht schon längst verloren hatte. Sie
konnten ihm nichts Schlimmeres mehr antun, als was sie
ihm schon angetan hatten. Jetzt fühlte er sich frei.
Er seufzte, griff unter den Fahrersitz und holte einen
Wagenheber hervor. Eine improvisierte Waffe, die ihm
kaum etwas nützte. Nun, wirkungsvollere Waffen wä-

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Ein gutes Omen

ren sogar noch schlimmer gewesen. Sie weckten Hoff-


nung, wenn man damit gegen den Satan antrat - eine
Hoffnung, die nur wenige Sekunden später grenzenlo-
ser Enttäuschung weichen mußte.
Erziraphael nahm das Schwert, das Krieg verloren
hatte, und wog es nachdenklich in der Hand.
»Ach, es ist viele Jahre her, seit ich diese Klinge zum
letztenmal benutzt habe«, murmelte er.
»Etwa sechstausend«, sagte Crowley.
»Ja, in der Tat.« Der Engel nickte wehmütig. »Das
waren noch Zeiten, was?«
»Keine besonders guten«, brummte Crowley. Das
Grollen wurde immer lauter.
»Damals konnte man problemlos zwischen Gut und
Böse unterscheiden«, sagte Erziraphael verträumt.
»Ja, allerdings. Erinnerst du dich?«
»Ah...« Der Engel zögerte. »Oh, Adam und Eva?«
»Ja.«
»Ah, wir haben ziemlich früh damit begonnen, uns
in die Angelegenheiten der Menschen einzumischen,
wie?«
»Ich glaube schon.«
Erziraphael hob das Schwert. Irgend etwas zischte,
und die Klinge entflammte wie ein Magnesiumstab.
»Wenn man einmal gelernt hat, damit umzugehen,
vergißt man es nie«, verkündete der Engel stolz. Er sah
Crowley an und lächelte.
»Tja, wenn wir diese Sache nicht überstehen...«, fügte
er hinzu. »Ich meine, wenn sich negative Konsequenzen
für uns ergeben... Ich möchte dir nur sagen: Ich wußte
die ganze Zeit über, daß selbst in dir etwas Gutes
wohnt, tief verborgen in deiner dämonischen Seele.«
»Ich fürchte, das stimmt«, entgegnete Crowley bitter.
Erziraphael streckte die Hand aus.
»War nett, dich gekannt zu haben.« Crowley ergriff
die dargebotene Hand.
»Bis dann«, sagte er. »Das heißt, äh, ich meine...
Wahrscheinlich sehen wir uns nicht wieder.« Er über-
legte kurz. »Erziraphael?«
»Ja?«
»Denk daran: Ich wußte die ganze Zeit über, daß du
tief in deinem Innern gemein genug bist, um liebens-
wert zu sein.«
Energisch schlurfende Schritte näherten sich, und ein
sehr entschlossener Shadwell schob Crowley und Erzi-
raphael auseinander. Er winkte demonstrativ mit der
Donnerbüchse. »Ihr beiden blöden Südler könnt ja nicht
einmal mit 'ner lahmen Ratte in einem Faß fertig fer-
den«, sagte er. »Beschtimmt braucht ihr meine Hilfe. Mit

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Ein gutes Omen

fern haben fir esch diesmal zu tun?«


»Mit dem Teufel«, sagte Erziraphael.
Shadwell nickte, als sei das keineswegs eine Überra-
schung für ihn. Er ließ das antiquierte Gewehr fallen,
nahm den verbeulten Filzhut ab und offenbarte eine
Stirn, die bei allen Unholden Furcht und Schrecken
säte.
»Dachte ich mir schon«, brummte er. »In dem Fall be-
nutze ich meinen Kopf.«
Newt und Anathema beobachteten, wie die drei Män-
ner unsicher vom Jeep forttraten. Mit Shadwell in der
Mitte formten sie ein stilisiertes W.
»Lieber Himmel, was haben sie vor?« fragte Newt.
»Und was geschieht mit ihnen? Was geschieht mit ihnen?«
Erziraphaels und Crowleys Mäntel öffneten sich an
den Säumen - wenn sie schon das Weltliche verlassen
mußten, so wenigstens in ihrer richtigen Gestalt.
Schwingen entfalteten sich dem Himmel entgegen.
Viele Leute glauben, die Flügel von Dämonen sähen
anders aus als die der Engel. Das stimmt nicht. Sie sind
nur besser gepflegt.
»Shadwell sollte sie nicht begleiten«, sagte Newt.
»Shadwell?«
»Er ist mein Feldwe... Äh, er ist ein bemerkenswerter
alter Mann, und er wird einem sogar sympathisch,
wenn man ihn besser kennt... Ich muß ihm helfen!«
»Ihm helfen?« wiederholte Anathema.
»Ich habe einen Eid abgelegt.« Newt zögerte. »Nun,
so eine Art Eid. Und er hat mir einen Monatssold im
voraus gegeben!«
»Und die anderen beiden? Sind es ebenfalls Freunde
von ...« Anathema verschluckte sich an den letzten Wor-
ten. Erziraphael hatte sich gerade umgedreht, und plötz-
lich erinnerte sie sich an sein Profil.
»Jetzt weiß ich, wo ich ihn schon einmal gesehen
habe!« entfuhr es ihr. Der Boden- erzitterte erneut; die
junge Frau hielt sich an Newt fest. »Komm!«
»Aber irgend etwas Schreckliches bahnt sich an!«
»Da hast du völlig recht! Er wird sein blaues Wunder
erleben, wenn er Das Buch beschädigt hat!«
Newt tastete unter seinen Jackenaufschlag und nahm
die offizielle Nadel. Er wußte nicht, mit wem oder was
sie es jetzt zu tun bekamen, aber eine Nadel war besser
als gar nichts.
Sie liefen los...
Adam sah sich um. Er blickte
nach unten. Sein Gesicht gewann einen Ausdruck
sorgfältig abgewogener Unschuld.
Eine kurze Auseinandersetzung folgte.

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Ein gutes Omen

Aber Adam hatte den Heimvorteil.


Er war hier zu Hause.
Und dabei sollte es bleiben.
Er hob die eine Hand, bewegte sie
schemenhaft. Sie zeichnete einen imaginären
Halbkreis in die Luft.
Erziraphael und Crowley spürten, wie sich die Welt ver-
änderte.
Es blieb alles still. Es knackte nicht einmal. Wo eben
noch ein satanischer Vulkan mit der Eruption begonnen
hatte, verflüchtigte sich nun eine Rauchwolke. Ein
Wagen fuhr heran und hielt; in der abendlichen Stille
klang das Brummen des Motors seltsam laut.
Es war ein älteres, aber gut erhaltenes Auto. Doch der
Fahrer benutzte nicht etwa Crowleys Pflegemethoden,
mit denen man Beulen und Kratzer einfach verschwin-
den lassen konnte. Nein, seit zwei Jahrzehnten ver-
brachte er jedes Wochenende damit, alle Anweisungen
der Bedienungsanleitung zu respektieren. Bevor er sich
ans Steuer setzte, ging er um das Fahrzeug herum,
prüfte alle Lampen und zählte die Räder. Ernste Män-
ner, die Pfeife rauchten und sich mit Schnurrbärten
schmückten, hatten ernste Instruktionen geschrieben, in
denen auf die Notwendigkeit derartiger Kontrollen hin-
gewiesen wurde. Und dieser ernste Mann wußte, wie
wichtig so etwas war, denn er rauchte Pfeife und trug
einen Schnurrbart und wußte, daß die Welt aus den
Fugen geriet, wenn man sich nicht an bestimmte
Grundsätze hielt. Er bezahlte die Versicherung für sei-
nen Wagen immer eine Woche vor dem Fälligkeitster-
min. Er achtete die Geschwindigkeitsbegrenzung und
fuhr aus Sicherheitsgründen drei Meilen langsamer. Auf
der Autobahn gab er Gas, bis der Tacho fünfundfünfzig
Meilen anzeigte - dann hob er den linken Fuß, um je-
derzeit auf die Bremse treten zu können. Selbst am
Samstag verzichtete er nicht auf eine Krawatte.
Archimedes hatte einmal behauptet, man brauche nur
einen festen Punkt außerhalb der Erde, um diese aus
den Angeln zu heben.
Er hätte Mr. Young dazu bemühen können.
Die Fahrertür öffnete sich, und Mr. Young stieg aus.
»Was ist hier los?« fragte er. »Adam? Adam?«
Die Sie stürmten zum Tor.
Mr. Young musterte die verdutzten Anwesenden.
Crowley und Erziraphael waren zumindest geistes-
gegenwärtig genug, um ihre Schwingen zu falten und
unter den Resten der Mäntel zu verstecken.
»Was hat er jetzt wieder angestellt?« Mr. Young
seufzte und erwartete eigentlich gar keine Antwort.

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Ein gutes Omen

»Wo steckt der Junge? Adam! Komm sofort hierher!«


Adam gehorchte seinem Vater nur selten.
Sergeant Thomas A. Deisenburger schlug die Augen
auf. Die Umgebung erschien ihm seltsam, weil sie viel
zu vertraute Eindrücke weckte: das große Schulfoto an
der Wand, die kleine amerikanische Flagge im Becher
direkt neben der Zahnbürste, ein kleiner Teddybär
in Umform. Das Licht der frühen Nachmittagssonne
strahlte durchs Zimmerfenster.
Er roch Apfeltorte. Ein Aroma, das er während sei-
nes Dienstes in Europa sehr vermißt hatte. Besonders an
langen, meistens einsamen Samstagabenden dachte er
voller Wehmut daran zurück.
Er ging nach unten.
Seine Mutter stand am Herd und zog gerade einen
großen Apfelkuchen aus dem Backofen.
»Hallo, Tommy!« sagte sie. »Ich dachte, du bist in
England.«
»Ja, Mom«, bestätigte Sergeant Thomas A. Deisenbur-
ger. »Ich bin tatsächlich in England stationiert, Mom. Ich
verteidige dort die Demokratie, Mom, Sir.«
»Fein, fein, Tommy«, sagte Mutter. »Dein Paps ist auf
dem Feld, zusammen mit ehester und Ted. Es wird sie
bestimmt freuen, dich wiederzusehen.«
Sergeant Thomas A. Deisenburger nickte.
Er nahm den militärischen Helm ab und zog die mi-
litärische Jacke aus, rollte dann die militärischen Ärmel
des militärischen Hemds hoch. Mehrere Sekunden lang
wirkte er nachdenklicher als jemals zuvor in seinem
Leben. Einige seiner Gedanken galten leckerem Apfel-
kuchen.
»Mom, wenn aus irgendwelchen Gründen jemand mit
dem Sergeant Thomas A. Deisenburger telefonisch in
Verbindung treten will, Mom, Sir, dann sag diesem je-
mand ...«
»Wie bitte, Tommy?«
Tom Deisenburger hängte sein Gewehr an die Wand,
neben die alte Flinte seines Vaters.
»Ich meine, wenn jemand anruft, Mom... Ich bin
draußen auf dem Feld, bei Paps, ehester und Ted.«
Der Lieferwagen fuhr langsam zum Tor des Luftwaf-
fenstützpunkts und hielt an. Der Wächter sah durchs
Seitenfenster, prüfte einen Ausweis und hob den Schlag-
baum.
Der Transporter rollte über den Asphalt.
Er parkte an der leeren Landebahn, in der Nähe von
zwei Männern, die auf dem Boden saßen und eine Ha-
sche Wein tranken. Einer von ihnen trug eine dunkle
Sonnenbrille, obwohl nur Sterne am Himmel leuchteten.

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Ein gutes Omen

Seltsamerweise schenkten ihnen die Soldaten überhaupt


keine Beachtung.
»Soll das heißen. Er hat alles so geplant, von Anfang
an?« fragte Crowley.
»Möglich«, antwortete Erziraphael. »Ja, durchaus
möglich. Wir könnten uns bei Ihm erkundigen, um ganz
sicher zu sein.«
»Nun, wenn ich mich recht entsinne...«, begann
Crowley. »Ich, äh, habe nur selten mit Ihm gesprochen.
Praktisch nie. Außerdem gehört Er nicht zu den Leuten,
die eine klare Antwort geben. Eigentlich, eigentlich gibt
er überhaupt nie eine Antwort. Er lächelt nur immer, so
als wisse Er etwas, was du nicht weißt.«
»Genau das ist der Fall«, sagte Erziraphael. »Ich
meine. Er muß mehr wissen. Sonst hätten viele Dinge
plötzlich keinen Sinn mehr.«
Sie schwiegen, starrten nachdenklich ins Leere und
gaben sich längst vergessen geglaubten Erinnerungen
hin.
Der Lieferwagenfahrer stieg aus, wobei er einen Kar-
ton und eine Zange mitnahm.
Einige Meter entfernt lagen zwei Gegenstände auf der
Landebahn: eine dunkel angelaufene Metallkrone und
eine Waage. Der Mann hob sie mit der Zange auf und
legte sie in den Karton.
Dann näherte er sich Erziraphael und Crowley.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte er. »Hier sollte auch
irgendwo ein Schwert herumliegen, das steht jedenfalls
in meinem Frachtbrief, und ich dachte, vielleicht können
Sie mir Auskunft geben...«
Erziraphael murmelte ein verlegenes »Oh«, sah sich
verwirrt um, stand auf und stellte fest, daß er rund eine
Stunde lang auf dem Schwert gesessen hatte. Er bückte
sich und deponierte die Klinge im Karton. »Verzei-
hung.«
Der Lieferwagenfahrer - auf seiner Mütze stand >m-
ternationaler Expreßdienst< - winkte ab und meinte, es
sei alles in bester Ordnung. Er fügte hinzu, er halte es
für einen wahren Glücksfall, daß er Erziraphael und
Crowley hier antreffe, denn jemand müsse den Abhol-
schein unterschreiben, die übliche Bürokratie, wissen
Sie, und dies ist wirklich ein denkwürdiger Tag gewe-
sen, nicht wahr?
Engel und Dämon pflichteten ihm bei, und Erzira-
phael nahm das Klemmbrett entgegen. Er bestätigte,
daß eine Krone, eine Waage und ein Schwert in ein-
wandfreiem Zustand abgeholt seien, zu einer ver-
schmierten Adresse geliefert und einem unleserlichen
Konto in Rechnung gestellt werden sollten.

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Ein gutes Omen

Der Mann kehrte zu seinem Lieferwagen zurück,


blieb auf halbem Wege stehen und drehte sich um.
»Wenn ich meiner Frau erzählen würde, was heute
passiert ist...«, sagte er traurig. »Sie würde mir be-
stimmt kein Wort glauben. Es fällt mir selbst schwer, die
jüngsten Ereignisse für real zu halten.«
Daraufhin nahm er wieder am Steuer Platz, legte den
ersten Gang ein und ließ die Kupplung kommen.
Crowley erhob sich, schwankte und half Erziraphael
auf die Beine.
»Komm«, sagte er, »fahren wir nach London!« Sie
nahmen einen Jeep. Niemand hielt sie auf.
Der Wagen hatte einen Kassettenrecorder. Solche
Geräte gehören nicht einmal bei amerikanischen Militär-
fahrzeugen zur Standardausstattung, aber Crowley ging
einfach davon aus, daß sich in jedem von ihm gefah-
renen Auto ein Kassettenrecorder befand, und deshalb
war auch diesmal einer vorhanden. Er materialisierte,
als der Dämon den Zündschlüssel drehte.
Crowley legte eine Kassette ein, die von sich behaup-
tete, Händels Wassermusik aufgezeichnet zu haben.
Und den ganzen Weg bis nach London tönten ange-
nehme Händel-Klänge aus dem Lautsprecher.
Sonntag.
Gegen halb zehn brachte der Zeitungsjunge die Sonn-
tagsblätter zum Jasmine Cottage. Er mußte dreimal kom-
men.
Die dumpfen Aufschläge, mit denen die Zeitungen
auf die Türmatte knallten, weckten Newton Läuterer.
Er ließ Anathema schlafen. Sie war völlig durcheinan-
der, armes Ding. Newt erinnerte sich an ihren leeren
Blick, als er sie zu Bett brachte, an das zusammenhang-
lose Murmeln. Sie hatte ihr ganzes Leben von den Pro-
phezeiungen bestimmen lassen, und nun gab es keine
Weissagungen mehr. Wahrscheinlich fühlte sie sich wie
ein Zug, der das Ende der Gleise erreicht hatte und die
Fahrt trotzdem fortsetzen mußte.
Von jetzt an erging es ihr wie allen anderen Menschen:
Ihr weiterer Lebensweg war mit Überraschungen ge-
pflastert. Vielleicht sogar mit angenehmen.
Das Telefon klingelte.
Newt eilte in die Küche und nahm den Hörer beim
zweiten Läuten ab.
»Hallo?« meldete er sich.
Eine übertrieben freundliche Stimme erklang, und
Newt vernahm auch einen Hauch Verzweiflung.
»Nein«, sagte er. »Nein, mein Name lautet Läuterer.
Übrigens heißt sie nicht Ahpahraht, sondern Apparat.
Wie der gleichnamige Erfinder. Tut mir leid. Sie schläft.«

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Ein gutes Omen

»Ich bin ziemlich sicher, daß sie keine Schaumiso-


lierung möchte«, fügte er kurz darauf hinzu. »Nein,
bestimmt interessiert sie sich auch nicht für Doppelver-
glasungen. Sie hat das Haus nur gemietet.«
»Nein, ich werde sie nicht wecken, um sie zu fragen.
Übrigens, Miß, äh Ja, Miß Morrow. Warum nehmen Sie
sich den Sonntag nicht frei, so wie alle anderen Leute?«
»Sonntag«, sagte er. »Nein, heute ist nicht Samstag.
Warum sollte heute Samstag sein? Samstag war gestern.
Im Ernst, heute ist Sonntag, glauben Sie mir. Wie meinen
Sie das. Sie haben einen Tag verloren? Bedaure, ich habe
ihn nicht gefunden. Vielleicht sollten Sie mal Urlaub
machen, ein wenig ausspannen. Sie klingen ziemlich
nervös und ... Hallo?«
Newt brummte und legte auf.
Verkäufer, die einen selbst am Sonntag anriefen! Sie
hatten ein schreckliches Schicksal verdient, zum Bei-
spiel ...
Plötzlicher Zweifel regte sich in Newt. Heute war
doch Sonntag, oder? Ein Blick auf die Zeitungen beru-
higte ihn. Wenn die Sunday Times behauptete, es
sei Sonntag, so konnte man sicher sein, daß die Re-
dakteure sorgfältig recherchiert hatten. Mit anderen
Worten: Der gestrige Tag hieß Samstag. Gestein gleich
Samstag. Völlig klar. In seinem ganzen Leben hatte
Newt noch nie einen Samstag vergessen - obgleich er
sich nicht mehr daran erinnern konnte, was er nicht
vergessen wollte.
Da er sich schon einmal in der Küche befand, be-
schloß Newt, das Frühstück vorzubereiten. Er versuchte,
so leise wie möglich zu sein, um den Rest des Haushalts
nicht zu wecken, und er mußte feststellen, daß jedes
Geräusch besonders laut zu sein schien. Die Tür des
alten Kühlschranks schloß sich mit einem markerschüt-
ternden Knarren. Der Wasserhahn tropfte wie eine
Springmaus mit Blasenentzündung und machte Ge-
räusche wie ein ausbrechender Geysir. Außerdem hielt
Newt vergeblich nach diversen Dingen Ausschau.
Schließlich begnügte sich Newt, so wie jedes andere
menschliche Wesen, das jemals auf sich selbst gestellt in
einer fremden Küche das Frühstück zubereitet hat, mit
schwarzem Pulverkaffee ohne Zucker.*
Auf dem Tisch lag ein halb verkohlter rechteckiger
Gegenstand, und Newt las einen Teil des Titels: »Freu
und Zut.« Vierundzwanzig Stunden können einen großen
* Die einzige Ausnahme bildete Giacomo Girolamo Casanova
(1725-1798), ein berühmter Schriftsteller und Liebhaber. In Band 12
seiner Memoiren wies er darauf hin, daß er es sich zur Angewohnheit

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Ein gutes Omen

gemacht hatte, jederzeit eine kleine Reisetasche bei sich zu führen, die
folgende Dinge enthielt: »einen Laib Brot, einen Topf mit erlesener
Kirschmarmelade, ein Messer, eine Gabel, einen kleinen Löffel (fürs
Umrühren), zwei frische Eier (sorgfältig in ungesponnener Wolle ver-
packt), eine Tomate bzw. einen Liebesapfel, eine kleine Bratpfanne,
einen kleinen Kochtopf, einen Spirituskocher, eine Wärmepfanne, eine
kleine Dose mit gesalzener italienischer Butter, zwei Teller aus dün-
nem Porzellan. Hinzu kommt ein wenig Honig, als Süßstoff für Kaffee
und für meinen Atem. Ich möchte meine Leser auf folgendes hinwei-
sen: Ein wahrer Signore sollte immer wie ein Signore frühstücken, ganz
gleich, wo er sich befindet.«
Unterschied machen. Sie verwandeln das erschöpfendste
Nachschlagewerk in ein Grillbrikett.
Newt fragte sich, auf welche Weise Anathema ihr Buch
zurückbekommen hatte. Er runzelte die Stirn und ent-
sann sich eines Mannes, der nach Qualm roch und selbst
in finsterster Nacht eine dunkle Sonnenbrille trug. Hinzu
kamen: jede Menge Aufregung, Kinder auf Fahrrädern,
ein unangenehmes Summen, ein kleines schmutziges Ge-
sicht mit zwei durchdringend starrenden Augen... Vage
Eindrücke, die ebenso vage Schatten in Newts Gedächt-
nis warfen, ohne jemals feste Form zu gewinnen - Erin-
nerungen an Ereignisse, die gar nicht stattgefunden hat-
ten.* Wie war so etwas möglich?
Er starrte an die Wand, bis ihn ein Klopfen an der Tür
in die Wirklichkeit zurückbrachte.
Ein kleiner würdevoller Mann stand auf der Schwelle.
Er trug einen schwarzen Regenmantel, hielt einen Kar-
ton und begrüßte Newt mit einem gut einstudierten Lä-
cheln.
»Mister ...«Er sah auf einen Zettel. »Mister Loiterer.«
»Läuterer«, sagte Newt automatisch. »Mit einem >ä<
wie in Ah.«
»Entschuldigen Sie bitte«, erwiderte der Mann. »Ich
habe den Namen nur einmal geschrieben gesehen. Nun,
mir scheint, dies ist für Sie und Mrs. Läuterer.«
* Hinzu kam die Sache mit Dick Turpin. Der Wasabi sah genauso aus
wie vorher, aber er schien plötzlich in der Lage zu sein, mit nur einem
Liter Benzin fast zweihundert Kilometer zurückzulegen. Das Auto war
so leise, daß man die Hand ans Auspuffrohr halten mußte, um restzu-
stellen, ob der Motor lief. Außerdem erklangen die elektronischen
Warnungen nun in exquisiten und perfekt formulierten Versen:
Später Frost läßt erstarren die Blüte.
Sollte sich der Narr nicht mit
Dem Sicherheitsgurt schützen?
Oder:
Des Kirschbaums Frucht

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Ein gutes Omen

Fällt vom höchsten Baume.


Wir brauchen Benzin.
Newt kniff mißtrauisch die Augen zusammen.
»Es gibt keine Mrs. Läuterer«, stellte er kühl fest.
Der Mann nahm seine Melone ab.
»Oh, das bedaure ich sehr«, sagte er. »Herzliches Bei-
leid.«
»Äh...« Newt überlegte. »Vielleicht meinen Sie meine
Mutter. Aber sie wohnt in Dorking und ist keineswegs
tot. Ich, äh, bin nicht verheiratet.«
»Seltsam. Der Brief enthält, nun, recht genaue An-
gaben.«
»Wer sind Sie?« fragte Newt. Er trug nur seine Schlaf-
anzughose, und kühler Wind wehte durch die offene Tür.
Der Mann balancierte den Karton vorsichtig aus, zog
eine Karte aus der Innentasche seiner Jacke und reichte
sie Newt.
Die Aufschrift lautete:
Giles Baddicombe
Robey, Robey, Redfeam und Bychance
Rechtsanwälte
13 Demdyke Chambers
PRESTON
»Ja?« fragte Newt. »Was kann ich für Sie tun, Mr. Baddi-
combe?«
»Sie könnten mich zum Beispiel eintreten lassen.«
»Sie kommen nicht zufällig mit einer gerichtlichen
Verfügung oder so?« erkundigte sich Newt. Die Ereig-
nisse des vergangenen Abends hingen wie eine Gewit-
terwolke in seiner Erinnerung. Wenn er sich auf sie zu
konzentrieren versuchte, gerieten Formen in Bewegung,
doch vage war ihm bewußt, daß ein paar Sachen be-
schädigt worden waren, und er erwartete, irgendwie
dafür zur Verantwortung gezogen zu werden.
»Nein«, sagte Mr. Baddicombe und wirkte ein wenig
beleidigt. »Wenn es um solche Banalitäten geht, schicken
wir einen Assistenten.«
Er ging an Newt vorbei und stellte den Karton auf
den Tisch.
»Um ganz ehrlich zu sein«, fügte er hinzu, »an dieser
Sache sind wir alle sehr interessiert. Mr. Bychance hätte
sich fast dazu hinreißen lassen, selbst herzukommen,
aber seit einiger Zeit steht es mit seiner Gesundheit
nicht zum besten.«
»Hören Sie«, sagte Newt, »ich habe nicht die geringste
Ahnung, wovon Sie reden.«
»Dies gehört Ihnen«, erwiderte Mr. Baddicombe,
deutete auf den Karton und lächelte wie Erziraphael,
wenn er mit einem Zauberkunststück begann. »Jemand

file:///G|/Books/1/omen.htm (326 von 339) [16.06.2001 15:32:25]


Ein gutes Omen

hat es Ihnen überlassen. Und der Auftraggeber gab uns


genaue Anweisungen.«
»Ein Geschenk?« Newt betrachtete den mit Tesafilm
verklebten Karton argwöhnisch, zog dann eine Schub-
lade auf und griff nach einem Messer.
»Eher ein Nachlaß«, korrigierte Mr. Baddicombe.
»Wissen Sie, wir bewahren ihn schon seit dreihundert
Jahren auf.«
»Zum Teufel auch, was hat das zu bedeuten?« fragte
Newt scharf. Es lief ihm kalt über den Rücken, als ein
Verdacht in ihm aufkeimte. Nervös saugte er am bluten-
den Finger, in den er sich geschnitten hatte.
»Es ist eine seltsame Geschichte - haben Sie was da-
gegen, wenn ich Platz nehme? -, und natürlich kenne
ich nicht alle Einzelheiten, immerhin arbeite ich erst
seit fünfzehn Jahren für Robey, Robey, Redfeam und
Bychance, aber...«
Die Lieferung des Kartons erfolgte kurz nach der
Gründung der Kanzlei - Redfeam, Bychance und die
beiden Robeys (ganz zu schweigen von Mr. Baddi-
combe) waren damals noch Zukunftsmusik. Ein junger
Anwalt, dem es schwerfiel, die monatliche Miete zu be-
zahlen, nahm ihn entgegen und stellte erstaunt fest, daß
jemand einen Brief daran festgebunden hatte. Darauf
stand sein Name.
Der Umschlag enthielt detaillierte Instruktionen und
fünf interessante Hinweise auf die Geschichte der näch-
sten zehn Jahre. Wer sie zu nutzen verstehe, so hieß es,
könne genug Geld verdienen, um eine erfolgreiche Kar-
riere als Rechtsanwalt zu finanzieren.
Der Karton sollte mehr als dreihundert Jahre gut auf-
bewahrt und anschließend zu einer bestimmten Adresse
gebracht werden.
»Natürlich kam es im Lauf der Zeit zu erheblichen
personellen Veränderungen in der Kanzlei«, erklärte
Mr. Baddicombe. »Aber der Karton gehörte immer zum
Inventar.«
»Ich wußte gar nicht, daß es schon im siebzehnten
Jahrhundert Alete-Babynahrung gab«, sagte Newt.
»Oh, damit wollte ich nur den Inhalt während
der Fahrt hierher schützen«, erwiderte Mr. Baddi-
combe.
»Und in all den Jahren hat niemand festzustellen ver-
sucht, was es mit dem >Nachlaß< auf sich hat?« fragte
Newt.
»Nun, ich glaube, zwei meiner Vorgänger gaben ihrer
Neugier nach«, antwortete Mr. Baddicombe. »1757 Mr.
George Cranby, und 1928 Mr. Arthur Bychance, der
Vater des gegenwärtigen Mr. Bychance.« Er hüstelte.

file:///G|/Books/1/omen.htm (327 von 339) [16.06.2001 15:32:25]


Ein gutes Omen

»Offenbar fand Mr. Cranby einen Brief...«


»...an ihn adressiert, nehme ich an«, warf Newt ein.
Mr. Baddicombe lehnte sich ruckartig zurück. »Ja, in
der Tat. Woher wissen Sie das?«
»War nur eine Vermutung.« Newt seufzte. »Nun, was
geschah dann?«
»Haben Sie diese Geschichte schon einmal gehört?«
fragte Mr. Baddicombe mißtrauisch.
»Sie klingt zumindest in gewisser Weise vertraut.
Kam es zu einer Explosion?«
»Nun... Es heißt, Mr. Cranby erlitt einen Herzanfall.
Mr. Bychance erbleichte, legte den Brief zurück und ver-
bot, den Karton noch einmal zu seinen Lebzeiten zu öff-
nen. Wer es trotzdem wagte, einen Blick hineinzuwer-
fen, so meinte er, werde auf der Stelle entlassen.«
»Eine schreckliche Drohung«, kommentierte Newt
spöttisch.
»Im Jahr 1928 genügte sie, um Gehorsam zu erzwin-
gen. Nun, die Briefe befinden sich noch immer darin.«
Newt öffnete den Karton, und sein Blick fiel auf eine
eisenbeschlagene kleine Truhe. Sie hatte kein Schloß.
»Worauf warten Sie noch?« drängte Mr. Baddicombe
aufgeregt. »Heben Sie den Deckel. Ich möchte wirklich
gern wissen, was die Kanzlei mehr als dreihundert Jahre
lang aufbewahrt hat. Meine Kollegen und ich haben
Wetten abgeschlossen.«
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, sagte Newt
großzügig. »Ich koche uns Kaffee, und Sie sehen sich
den Inhalt der Truhe an.«
»Ich? Halten Sie das für richtig?«
»Warum sollte es falsch sein?« Newt betrachtete die
Kochtöpfe über dem Herd. Einer erschien ihm groß
genug für sein Vorhaben.
»Nur zu. Ich habe nichts dagegen. Sie sind, äh, mein
Bevollmächtigter.«
Mr. Baddicombe streifte den Mantel ab. »Nun, wenn
Sie es so ausdrücken ...«Er rieb sich die Hände. »Dann
könnte ich meinem Enkel etwas erzählen.«
Newt nahm eine Kasserolle und legte die Hand vor-
sichtig auf den Türgriff. »Das hoffe ich für Sie«, mur-
melte er.
»Also gut.«
Etwas knisterte leise.
»Was sehen Sie?«
»Zwei geöffnete Briefe«, entgegnete Mr. Baddicombe.
»Oh, und einen dritten, adressiert an...«
Newt hörte das Knacken eines Wachssiegels, gefolgt
von einem Klappern auf dem Tisch. Jemand schnappte
nach Luft, und ein Stuhl kippte um. Mr. Baddicombe

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Ein gutes Omen

stürmte durch den Korridor, lief nach draußen und


rannte zu seinem Wagen. Wenige Sekunden später heul-
te ein Motor auf, und durchdrehende Reifen hinter-
ließen zwei tiefe Furchen im Kies.
Newt nahm die Kasserolle vom Kopf und schob sich
langsam hinter der Tür hervor. Vorsichtig griff er nach
dem Brief, und es überraschte ihn nicht sonderlich, ganz
oben >An Mr. G. Baddicombe< zu lesen.
Die Zeilen darunter lauteten: Hier isset ein Florin, An-
walt. Läufige schnell, denn sonst erfahret die ganze Welt
von deinem Verhältnis mit Froilein Spiddon, der Schreib-
maschinen Sklavin.
Newt las auch die beiden anderen Briefe. Das ver-
gilbte und an George Cranby adressierte Blatt vermit-
telte folgende Botschaft: Ziehige deine Diebeshand zu-
rück, Meister Cranby. Ich weiße genau, daß du die
Witwe Plashkin am letzten Michaelistag bestohlet hast,
du alter Kuchenklauer.
Newt fragte sich, wie die Justiz des achtzehnten Jahr-
hunderts Kuchendiebe bestraft hatte. Wahrscheinlich
mit dem Galgen.
Und der für den neugierigen Mr. Bychance bestimmte
Brief: Du habest deine Kameraden im Stich gelassen. Leg
diesen Brief zurück. Sonst höret die Welt, was am siebten
Juni neunzehnhundertsechzehn wirklich geschähet.
Die kleine Truhe enthielt auch ein Manuskript. Newt
starrte darauf hinab.
»Was ist das?« ertönte es hinter ihm.
Der junge Mann wirbelte herum. Anathema lehnte an
der Tür, sah aus wie ein attraktives Gähnen mit Beinen.
Newt wich an den Tisch zurück.
»Oh, nichts. Nichts weiter. Nur eine kleine alte Truhe
mit vergilbtem Papier. Jemand muß sich in der Adresse
geirrt haben. Der Postbote...«
»Der Postbote?« wiederholte Anathema. »Am Sonn-
tag?« Sie schob Newt beiseite.
Er hob die Schultern und beobachtete, wie Anathema
das Manuskript zur Hand nahm.
>»Weitere Freundliche und Zutreffende Prophezeiun-
gen von Agnes Spinnen«, las sie. >»Über die zukünftige
Welt nach dem verhindrigten Weltuntergang. Die Ge-
schichte isset noch lange nicht zu Ende!< 0 mein Gott...«
Anathema legte das Manuskript ehrfürchtig auf den
Tisch und wollte sich der ersten Seite zuwenden.
Newt berührte sie sanft am Arm.
»Sieh die Sache einmal aus diesem Blickwinkel«, sagte
er. »Möchtest du den Rest deines Lebens als Nachfahrin
verbringen?«
Anathema sah auf. Ihre Blicke begegneten sich.

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Ein gutes Omen

Sonntag, der erste Tag nach dem Armageddon, das gar


nicht stattgefunden hatte. Die Zeit: elf Uhr dreißig.
Im St. James-Park ging es ungewöhnlich ruhig zu. Die
Enten, Experten in Realpolitik, soweit es dabei um Brot
ging, führten diesen Umstand auf eine drastische Re-
duzierung der internationalen Spannungen zurück. Tat-
sächlich hatten sich einige weltpolitische Probleme von
ganz allein gelöst, und deshalb befanden sich die mei-
sten Geheimagenten in ihren Büros. Sie fragten sich,
warum auf der Erde plötzlich so verdächtiger Frieden
herrschte und wohin Atlantis mit drei Gruppen aus For-
schem, Wissenschaftlern und getarnten Soldaten ver-
schwunden war. Hinzu kam die Frage, was am gestri-
gen Tag in ihre Computer gefahren war.
Nur wenige Personen hielten sich im Park auf, unter
ihnen ein MB-Agent, der gerade versuchte, jemanden
zu rekrutieren. Später sollte sich nach einigen peinlichen
Verwicklungen herausstellen, daß der betreffende Mann
ebenfalls zur Abteilung MI9 gehörte.
Ein hochgewachsener Mann stand am Teich und füt-
terte die Enten.
Und außerdem waren Erziraphael und Crowley da.
Seite an Seite schlenderten sie über den Rasen.
»Ebenso ist es mit dem Laden«, sagte der Engel. »Nir-
gends auch nur eine Spur von Ruß.«
»Ich meine, man kann einen alten Bentley nicht ein-
fach so erschaffen«, murmelte Crowley. »Ihm fehlte be-
stimmt die richtige Atmosphäre. Sechzig Jahre haben
keine Substanz, aber man spürt sie. Und doch... und
doch... Dort stand er. Echt und real und wirklich.
Parkte am Straßenrand. Und man kann überhaupt kei-
nen Unterschied feststellen.«
»Nun, mir sind gewisse Unterschiede aufgefallen«,
sagte Erziraphael. »In meinem Laden hatte ich keine
Bücher mit Titeln wie Kennit fliegt zum Mars und Mack
Mutig und der wilde Westen und Hundertundeins Dinge für
aufgeweckte Jungen und Die Bluthunde des Knochenmeers.«
»Oh, tut mir leid.«
Crowley wußte, wie stolz der Engel auf seine Bücher-
sammlung gewesen war.
»Schon gut.« Erziraphael lächelte. »Es handelt sich
ausschließlich um bestens erhaltene Erstausgaben, und
die in den Sammler-Katalogen angegebenen Preise...
Du würdest sie wahrscheinlich mit einem herzhaften
>Donnerwetter!< oder >Potzblitz!< kommentieren.«
»Ich dachte bisher, Adam habe die Welt in den ur-
sprünglichen Zustand versetzt«, überlegte Crowley laut.
»Ja«, bestätigte Erziraphael. »Mehr oder weniger. Er
gab sich zumindest Mühe. Und er hat auch Humor.«

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Ein gutes Omen

Crowley warf ihm einen kurzen Blick zu.


»Haben sich deine Vorgesetzten mit dir in Verbindung
gesetzt?« fragte er.
»Nein. Und deine?«
»Nein.«
»Vielleicht verhalten sie sich einfach so, als sei über-
haupt nichts geschehen.«
»Ja, das wäre denkbar. Typisch Bürokratie.«
»Ich glaube, der Himmel wartet auf die nächsten Er-
eignisse«, vermutete Erziraphael.
Crowley nickte. »Eine Atempause. Die Chance für eine
moralische Aufrüstung. Die Verteidigung aufbauen. Sich
bereitmachen für den entscheidenden Kampf.«
Sie blieben am Teich stehen und beobachteten, wie die
Enten nach dem Brot schnappten.
»Was?« fragte Erziraphael. »Ich dachte, das gestern
war der entscheidende Kampf.«
»Da bin ich mir nicht sicher«, sagte Crowley. »Denk
mal darüber nach. Ich glaube, das wahre Letzte Gefecht
findet zwischen Uns und Ihnen statt.«
»Was? Himmel und Hölle gegen die Menschheit?«
Crowley hob die Schultern. »Nun, wenn Adam alles
verändert hat, so vielleicht auch sich selbst. Möglicher-
weise hielt er es für besser, seine übernatürlichen Fähig-
keiten aufzugeben und Mensch zu bleiben.«
»Oh, ich hoffe es«, sagte Erziraphael. »Wie dem auch
sei: Es gibt nur eine Alternative für ihn, und die ließe
man bestimmt nicht zu. Ah. Oder?«
»Ich weiß nicht. Wenn's um Oben und Unten geht,
kann man nie völlig sicher sein. Pläne innerhalb von
Plänen und so.«
»Wie bitte?« Erziraphael hob die Brauen.
»Nun...«, begann Crowley, der über diesen Punkt
so lange nachgedacht hatte, bis er Kopfschmerzen
bekam. »Hast du dich noch nie nach den Gründen ge-
fragt? Ich meine, unsere beiden Lager, Himmel und
Hölle, Gut und Böse, der ganze Kram. Was ist mit dem
Warum?«
»Wenn ich mich recht entsinne...«, entgegnete der
Engel steif. »Es kam zu einer Rebellion, und dann...«
»Oh, ja. Und warum kam es zu einer Rebellion, hm?
Ich meine, sie war doch nicht unbedingt nötig, oder?« In
Crowleys Augen blitzte es. »Wer in der Lage ist, ein
ganzes Universum innerhalb von sechs Tagen zu er-
schaffen, läßt so etwas wohl kaum zu. Es sei denn, es
entspricht Seinen Absichten.«
»Ach, sei doch vernünftig!« sagte Erziraphael skep-
tisch.
»Das ist kein guter Rat«, brummte Crowley. »Du hast

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Ein gutes Omen

schon bessere Ratschläge gegeben, Erzi. Wenn man sich


hinsetzt und vernünftig darüber nachdenkt, kommen
einem die komischsten Ideen. Zum Beispiel: Warum den
Menschen mit Neugier ausstatten und dann irgendwo
verbotene Früchte hinlegen, auf die ein großer blin-
kender Neonfinger - HIER WERDEN ALLE FRAGEN BEANT-
WORTET - zeigt?«
»Ich kann mich nicht an Neonbeleuchtung erinnern.«
»Im übertragenen Sinn, meine ich. Ich meine, man
weist doch nur so deutlich darauf hin, wenn man
möchte, daß die Menschen von den Früchten essen,
oder? Ich meine, vielleicht will man feststellen, welche
Konsequenzen sich daraus ergeben. Vielleicht gehört
das alles zum großen unerfindlichen Plan. Du, ich, er -
einfach alles. Ein Test, um herauszufinden, ob die
Schöpfung wie vorgesehen funktioniert. Irgendwann
kommt man zu dem Schluß: Es kann gar keine kosmi-
sche Schachpartie sein; es muß sich um ein außerordent-
lich kompliziertes Solitär handeln. Na ja, eigentlich hat
es gar keinen Sinn, daß wir darüber reden. Wenn wir die
Möglichkeit hätten, so etwas zu verstehen, wären wir
nicht mehr wir. Es liegt an... an der...«
UNERFINDLICHKEIT, sagte der hochgewachsene Mann,
der weiterhin die Enten fütterte.
»Ja. Genau. Danke.«
Engel und Dämon beobachteten, wie der Fremde
seine leere Tüte in einen Abfalleimer warf und davon-
ging-
Crowley schüttelte den Kopf.
»Was habe ich gerade gesagt?« fragte er.
»Keine Ahnung«, erwiderte Erziraphael. »Bestimmt
nichts Wichtiges.«
Crowley nickte kummervoll. »Laß uns was essen!
Komm, ich lade dich ein.«
Sie fuhren zum Ritz, und Erziraphael wunderte sich
nicht, als er feststellte, daß noch ein Tisch frei war.
Vielleicht übten die jüngsten Ereignisse einen positi-
ven Einfluß auf das Gefüge der Realität aus. Während
Engel und Dämon speisten, sang zum ersten Mal eine
Nachtigall auf dem Berkeley-Platz.
Niemand hörte sie - der Verkehrslärm übertönte
alles -, aber sie sang trotzdem.
Sonntag. Ein Uhr.
Seit inzwischen zehn Jahren ging dem sonntäglichen
Mittagessen in der Welt des Hexensucher-Feldwebels
Shadwell eine unveränderliche Routine voraus. Er saß
an dem wackeligen, von Zigaretten verbrannten Tisch
im Wohnzimmer, blätterte in einem Buch aus der HA-
Bibliothek* und las über Magie und Dämonologie. Die

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Ein gutes Omen

Bände trugen Titel wie >Nekrotelicomnicom<, >Liber Ful-


varum Paginarum< oder gar >Malleus Malleficarum<.**
Für gewöhnlich klopfte es irgendwann an der Tür,
und Madame Tracy rief: »Das Essen, Mister Shadwell.«
Woraufhin der Feldwebel antwortete: »Schamlose Ise-
bel.« Er wartete, ließ der schamlosen Isebel sechzig Se-
kunden Zeit, um in ihre Wohnung zurückzukehren,
bevor er aufstand und den Teller mit der Leber nahm
(ein zweiter Teller lag darauf, damit die Mahlzeit warm
blieb). Er trug ihn in sein Wohnzimmer, nahm erneut am
Tisch Platz, aß die Leber und achtete darauf, daß keine
Bratensoße auf die Seiten des Buches tropfte.***
Aber dieser Sonntag unterschied sich von allen an-
deren.
* Geleitet von Hexensucher-Unteroffizier Teppich, Bibliothekar, 11 Pence
Jahresbonus.
** >Ein tolles Buch, haut einen echt aus den Socken. Sehr empfehlens-
wert. < - Papst Innozenz VIII.
*** Für den richtigen Sammler wäre die Bibliothek der Hexensucher-
Annee einige Millionen Pfund wert gewesen. Der richtige Sammler
mußte sehr reich sein und durfte sich nicht über Soßenflecken, von Zi-
garetten angesengte Seiten und gelegentlich mit Bleistift und Kugel-
schreiber gekritzelte Anmerkungen argem. Außerdem sollte er sich
nicht daran stören, daß der verstorbene Hexensucher-Obergefreite Pin-
selstrich alle Darstellungen von Hexen und Dämonen mit Schnurrbär-
ten und Brillen geschmückt hatte.
Zuerst einmal: Shadwell las nicht. Er saß einfach nur
am Tisch.
Und als es an der Tür klopfte, stand er sofort auf und
öffnete. Er hätte sich nicht zu beeilen brauchen.
Es stand kein Teller auf der Schwelle. Madame Tracy
sah ihn an; sie trug eine Kameenbrosche und hatte of-
fenbar einen neuen Lippenstift benutzt. Eine dichte Par-
fümwolke umgab sie.
»Fas fillscht du, Isebel?«
Madame Tracy sprach fast hastig, und in ihrer Stimme
ließ sich eine gewisse Unsicherheit vernehmen. »Nun,
Mister S, ich dachte, nach all dem, was wir während der
beiden letzten Tage gemeinsam erlebt haben, ich meine,
es wäre doch dumm. Ihnen einfach nur einen Teller hin-
zustellen, und deshalb möchte ich Sie zu mir einladen,
es ist bereits alles vorbereitet, kommen Sie...«
Mister S? Shadwell schlurfte mißtrauisch durch den
Flur.
In der vergangenen Nacht hatte er wieder geträumt.
Er erinnerte sich nicht genau, doch einige Sätze hallten
noch immer wie ein Echo durch sein Bewußtsein und
beunruhigten ihn. Der Rest des Traums war kaum mehr
als mentaler Dunst, ebenso wie die Ereignisse des Sams-

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Ein gutes Omen

tagabends.
Mit der Hexensucherei ist soweit alles in Ordnung, be-
sagte das Flüstern. Es gefällt mir, Hexensucher zu sein. Es
ist nur... Nun, manchmal wünscht man sich ein wenig Ab-
wechslung. Zum Beispiel: Heute breche ich auf und suche
Hexen, aber morgen verstecke ich mich, und dann sollen die
Hexen mit der Suche nach mir beginnen...
Zum zweiten Mal innerhalb von vierundzwanzig
Stunden - zum zweiten Mal in seinem Leben - betrat
Shadwell Madame Tracys Räumlichkeiten.
»Setzen Sie sich«, sagte sie und deutete auf einen Ses-
sel. Ein Schonbezug bedeckte die Kopflehne, und auf
der Sitzfläche lag ein weiches Kissen. Hinzu kam ein
kleiner Schemel, für die Füße.
Shadwell nahm Platz.
Madame Tracy stellte ihm ein Tablett auf den Schoß,
sah ihm beim Essen zu und trug anschließend die Teller
fort. Dann öffnete sie eine Flasche Guinness, füllte ein
Glas, reichte es Shadwell und trank Tee, während ihr
Gast sein Bier schlürfte. Kurz darauf klirrte ihre Tasse
auf dem Unterteller.
»Ich habe eine Menge auf die hohe Kante gelegt«,
sagte Madame Tracy nach einer Weile. Es klang wie
beiläufig. »Und, wissen Sie, manchmal stelle ich es mir
schön vor, einen kleinen Bungalow auf dem Land zu
haben, London einfach zu verlassen. Ich würde ihn
Hier-wohne-ich oder Rhododendronplatz nennen, oder
vielleicht auch...«
»Shangri-La«, warf Shadwell ein und fragte sich ver-
wundert, was dieses Wort bedeutete.
»Genau, Mister S, Shangri-La. Klingt doch wunder-
voll, nicht wahr?« Madame Tracy lächelte gewinnend.
»Haben Sie es bequem?«
Entsetzen keimte in Shadwell, als er feststellte, daß er
es tatsächlich bequem hatte. Er fühlte sich geradezu un-
heimlich wohl. »Jo«, erwiderte er und entspannte sich
gegen seinen Willen.
Madame Tracy öffnete eine zweite Flasche Guinness
und stellte sie auf den kleinen Tisch.
»Es gibt nur ein Problem mit einem hübschen Häus-
chen im Grünen namens... Wie lautete Ihr ausgezeich-
neter Vorschlag, Mister S?«
»Ah, Shangri-La.«
»Ja. Shangri-La. Wirklich nicht übel. Nun, das Pro-
blem besteht darin, daß selbst ein kleines Häuschen im
Grünen für eine Person zu groß wäre, meinen Sie nicht
auch? Äh, es heißt, zwei Personen könnten fast ebenso
billig leben wie eine...«
(Oder wie fünfhundertachtzehn, dachte Shadwell und er-

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Ein gutes Omen

innerte sich an seine imaginären Gefährten in der glor-


reichen Hexensucher-Armee.)
Madame Tracy kicherte leise. »Tja, ich habe lange Zeit
überlegt, mit wem ich mich auf dem Land niederlassen
soll...«
Shadwell begriff plötzlich, daß sie von ihm sprach.
Er wußte nicht so recht, was er davon halten sollte. Er
ahnte inzwischen, daß es nicht richtig gewesen war, den
Hexensucher-Gefreiten Läuterer allein bei der jungen
Dame in Tadfield zurückzulassen, soweit man sich an
die Dienstvorschriften der Hexensucher-Armee hielt.
Doch dies hier erschien ihm noch weitaus gefährlicher.
Aber wenn man zu alt wurde, um noch vor dem Mor-
gengrauen durchs hohe Gras zu kriechen, wenn der
kühle Tau viel zu deutlich ans Rheuma erinnerte...
(Aber morgen verstecke ich mich, und dann sollen die
Hexen mit der Suche nach mir beginnen...)
Madame Tracy öffnete eine weitere Flasche Guinness
und kicherte erneut. »Ach, Mister S«, sagte sie, »Sie den-
ken bestimmt, mir läge daran, daß Sie einen Schwips be-
kommen.«
Der Mann im Sessel brummte. Bei dieser Angelegen-
heit gab es zumindest eine Formalität, die unbedingt be-
achtet werden mußte.
Hexensucher-Feldwebel Shadwell trank einen großen
Schluck Guinness und stellte die entscheidende Frage.
Madame Tracy kicherte zum dritten Mal. »Ach, seien
Sie doch nicht dumm«, sagte sie und errötete geschickt.
»Wie viele erwarten Sie denn?«
Shadwell wiederholte die Frage.
»Zwei«, antwortete Madame Tracy.
»Ah, gut, dann ischt ja allesch in beschter Ordnung«,
sagte Hexensucher-Feldwebel Shadwell (im Ruhestand).
Sonntagnachmittag.
Es gab mindestens eine Million interessante Dinge,
mit denen sich ein Junge und sein Hund am Sonntag-
nachmittag die Zeit vertreiben konnten. Adam fielen
vier- oder fünfhundert ein, ohne daß er seine Phantasie
bemühen mußte. Aufregende und faszinierende Dinge:
zu erobernde Planeten, Löwen, die gezähmt werden
mußten, unerforschte Inseln mit Dinosauriern, deren
Freundschaft es zu erringen galt.
Er saß im Garten, kratzte mit einem Kieselstein im
Boden und wirkte sehr niedergeschlagen.
Als Mr. Young vom Luftwaffenstützpunkt zurückge-
kehrt war, hatte er seinen Sohn im Bett gefunden. Adam
erweckte den Eindruck, als schliefe er schon seit Stun-
den; ab und zu schnarchte er sogar, um jeden Verdacht
im Keim zu ersticken.

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Ein gutes Omen

Doch das genügte nicht, wie sich am nächsten Mor-


gen beim Frühstück herausstellte. Mr. Young fand kei-
nen besonders großen Gefallen daran, den Samstag-
abend mit der Suche nach seinem Sohn zu verbringen.
Selbst wenn es irgendein unwahrscheinlicher Zufall
wollte, daß Adam nicht für die Aufregung des vergan-
genen Abends verantwortlich war (niemand schien sich
an Einzelheiten zu erinnern, aber es konnte wohl kaum
Zweifel daran bestehen, daß irgend etwas ziemlich
viele Leute in Unruhe versetzt hatte) - bestimmt hatte
er irgend etwas angestellt. Diese Einstellung half Mr.
Young schon seit elf Jahren bei der Erziehung seines
Sohnes.
Adam hockte traurig im Garten. Die Augustsonne
hing hoch an einem wolkenlosen blauen Augusthimmel,
und hinter der Hecke sang eine Drossel. Ein herrlicher
Tag - aber er schien alles nur noch schlimmer zu ma-
chen.
Hund sah zu seinem Herrchen auf. Er hatte versucht,
ihm zu helfen: indem er einen alten Knochen ausgrub
und ihn vor Adams Füße legte. Aber der Junge starrte
nur gleichgültig und verdrießlich ins Leere. Schließlich
gab es Hund auf, ließ den Knochen wieder im Boden
verschwinden und begnügte sich damit, einfach abzu-
warten. Früher oder später...
»Adam?«
Adam drehte sich um. Drei Gesichter blickten über
den Gartenzaun.
»Hallo«, murmelte er kummervoll.
»Ein Zirkus ist nach Norton gekommen«, sagte
Pepper. »Wensley war drüben und hat die Leute gese-
hen. Sie fangen gerade an, alles aufzubauen.«
»Sie haben Zelte und Elefanten und Jongleure und
fast wilde Tiere und so«, fügte Wensleydale begeistert
hinzu. »Praktisch alles!«
»Was hältst du davon, wenn wir rüberfahren und zu-
sehen?« fragte Brian.
Adams Phantasie erwachte für einige Sekunden aus
ihrem Schlummer. Zirkusse waren ziemlich langweilig,
wenn man sie erst einmal aufgebaut hatte - im Fernse-
hen konnte man an jedem beliebigen Tag interessantere
Dinge sehen. Aber solange sie aufgebaut wurden...
Adam stellte sich vor, wie sie alle nach Norton fuhren
und dabei halfen, die Zelte zu errichten und Elefanten
zu waschen. Der Zirkusdirektor würde feststellen, wie
gut Adam mit den Tieren umzugehen verstand, und
sicher erlaubte er ihm und Hund, Der Berühmtesten Dres-
sierten Promenadenmischung Auf Der Ganzen Welt, die Ele-
fanten zur Manege zu führen und sich dem Publikum

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Ein gutes Omen

zu präsentieren.
Nein. Unmöglich.
Adam schüttelte den Kopf. »Ich kann euch nicht be-
gleiten«, sagte er. »Meine Eltern haben's verboten. Ich
muß hierbleiben.«
Kurze Stille folgte.
»Äh«, begann Pepper unsicher. »Was ist gestern
abend eigentlich geschehen?«
Adam zuckte mit den Schultern. »Irgendwas. Spielt
keine Rolle.« Er seufzte. »Die übliche Sache. Man ver-
sucht zu helfen, aber die Erwachsenen glauben sofort,
man hätte jemanden ermordet oder so.«
Wieder schloß sich Stille an, und die Sie musterten
ihren deprimierten Anführer.
»Wann darfst du wieder raus?« fragte Pepper schließ-
lich. »Richtig raus, meine ich.«
»Ach, bis dahin vergehen Jahre. Jahre und Jahre und
fahre. Wahrscheinlich bin ich längst ein alter Mann,
wenn man mich wieder rausläßt.«
»Wie wär's mit morgen?« warf Wensleydale ein.
Adams Miene erhellte sich. »Oh, morgen können wir
wieder los«, sagte er. »Bis morgen haben meine Eltern
alles vergessen. Das ist immer so.« Er sah zu seinen
Freunden auf - ein kleiner Napoleon mit zerzaustem
Haar und losen Schnürsenkeln, verbannt auf ein Rosen-
stock-Elba. »Geht nur.« Adam lachte kurz. »Macht euch
keine Sorgen um mich. Mit mir ist alles in Ordnung. Wu-
schen uns morgen.«
Die Sie zögerten. Loyalität war eine großartige Sache,
aber man durfte keine Bandenmitglieder zwingen, zwi-
schen ihrem Anführer und einem Zirkus mit Elefan-
ten zu wählen. Pepper, Brian und Wensleydale radelten
davon.
Die Sonne schien auch weiterhin. Die Drossel sang
noch immer. Hund wandte sich von seinem Herrchen ab
und jagte einen Schmetterling an der Hecke. Es handelte
sich um eine hohe, dichte, breite und bestens gepflegte
Hecke, die Adam gut kannte. Hinter ihr gab es: weite
Felder, herrlich schlammige Gräben, unreifes Obst, zor-
nige (aber langsame) Eigentümer von Obstbäumen, Zir-
kusse, Bäche, die nur darauf warteten, gestaut zu wer-
den, zum Klettern einladende Mauern ...
Aber die Hecke stellte ein unüberwindliches Hinder-
nis dar. Sie trennte Adam vom Rest der Welt.
Der Junge runzelte nachdenklich die Stirn.
»Hund«, sagte er streng, »bleib von der Hecke weg!
Wenn du hindurchschlüpfst, muß ich dir folgen, um
dich zurückzubringen. In dem Fall habe ich gar keine
andere Wahl, als den Garten zu verlassen, und das ist

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Ein gutes Omen

mir verboten. Aber ich könnte natürlich nicht zulassen,


daß du einfach fortläufst...«
Hund näherte sich dem Liguster, sprang aufgeregt hin
und her.
Adam sah sich wachsam um. Noch etwas wachsamer
blickte er nach Oben und Unten, dann auch nach Innen.
Die Wirklichkeit blinzelte.
Ein Loch zeigte sich in der Hecke, breit genug für
einen Hund. Und breit genug für einen Jungen, der sei-
nem Hund folgen wollte. Es war ein Loch, das schon
immer existiert hatte.
Adam zwinkerte Hund zu.
Die Promenadenmischung lief sofort los. Hinter ihr
erklang eine laute und besonders deutliche Stimme:
»Hund, sei ein braver Hund! Bei Fuß! Komm zurück!«
Adam kroch durchs Loch.
Irgend etwas sagte ihm, daß irgend etwas zu Ende
ging. Nein, nicht die Welt. Nur der Sommer. Die näch-
sten Jahre würden andere Sommer bringen, aber dieser
war einzigartig und konnte sich nie wiederholen.
Woraus folgte: Man mußte ihn in vollen Zügen ge-
nießen.
Mitten auf dem Feld verharrte Adam. Jemand ver-
brannte etwas. Er beobachtete weißen Rauch, der aus
dem Schornstein des Jasmine Cottage kräuselte. Und er
horchte.
Adam vernahm Dinge, die der Aufmerksamkeit nor-
maler Menschen entgehen.
Er hörte Lachen.
Er hörte nicht etwa das Kichern einer Hexe, sondern
das hingebungsvolle und durchaus weltliche Geläch-
ter einer Frau, die mehr weiß, als für sie selbst gut
ist.
Der weiße Rauch wogte über dem Schornstein, und
für den Bruchteil einer Sekunde zeigten sich darin die
Konturen eines attraktiven Gesichts, das seit mehr als
dreihundert Jahren niemand mehr gesehen hatte.
Agnes Spinner winkte.
Eine warme Sommerbrise zerfaserte den Rauch. Die
Züge der Hexe verflüchtigten sich, und das Lachen ver-
klang.
Adam grinste von einem Ohr zum anderen und lief
weiter.
Er brachte die nächste Wiese hinter sich, sprang über
einen Bach und holte den inzwischen nassen und
schmutzigen Hund ein. »Böser Hund!« murmelte Adam
und klopfte der Promenadenmischung auf den Kopf. Sie
kläffte voller Enthusiasmus.
Adam sah auf. Über ihm erstreckten sich die knorri-

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Ein gutes Omen

gen Zweige eines alten Apfelbaums, der den Eindruck


erweckte, schon seit dem Anbeginn der Zeit an diesem
Ort zu wachsen. Die Äste neigten sich unter dem Ge-
wicht von kleinen, grünen und unreifen Äpfeln.
Mit der Geschwindigkeit einer angreifenden Kobra
sauste Adam am Stamm hoch, kehrte einige Sekunden
später mit vollen Taschen zurück und biß in eine rote
saftige Frucht.
»He! Du! Junge!« erklang eine schroffe Stimme hinter
ihm. »Du bist Adam Young, nicht wahr? Ja, jetzt er-
kenne ich dich! Ich werde mit deinem Vater reden, ver-
laß dich drauf!«
Dadurch wird die elterliche Vergeltung zu eitler Gewißheit,
dachte Adam, als er mit gestohlenem Obst davonstob,
dichtauf gefolgt von Hund.
Strafe, ja. Aber erst am Abend.
Und bis zum Abend blieb ihm noch viel Zeit.
Er warf den Rest des Apfels über die Schulter - leider
verfehlte er den Verfolger - und zog einen anderen aus
der Tasche.
Adam verstand nicht, warum sich manche Erwach-
sene so sehr aufregten, wenn jemand ihr Obst stibitzte,
aber ohne derartige Reaktionen hätte alles weitaus we-
niger Spaß gemacht. Man mochte sich Ärger einhandeln,
wenn man die Äpfel anderer Leute aß, aber das Vergnü-
gen schuf einen guten Ausgleich.
Wenn Sie in die Zukunft sehen möchten, dann stellen
Sie sich einen Jungen vor, der mit seinen Freunden und
einem Hund unterwegs ist. Denken Sie an einen Som-
mer, der niemals endet.
Wenn Sie in die Zukunft sehen möchten, so denken
Sie an einen Schuh mit losen Schnürsenkeln. Einen
Turnschuh, der nach kleinen Steinen tritt. Denken Sie an
einen Stock: Man kann damit nach interessanten Dingen
stochern oder ihn fortwerfen - vielleicht holt ihn der
Hund zurück, vielleicht auch nicht. Denken Sie an ein
leises, disharmonisches Pfeifen, das eine bekannte Melo-
die bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Denken Sie an je-
manden, der halb Engel, halb Teufel und ganz Mensch
ist...
An einen Jungen, der hoffnungsvoll nach Tadfield
latscht.
Für immer...

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