Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
WIDMUNG
Die Autoren möchten dem Wunsch
des Dämonen Crowley
entsprechen und dieses Buch
G. K. Chesterton
widmen - einem Mann, der wußte,
was Sache war.
Am Anfang...
Ein sonniger Tag.
Inzwischen waren mehr als nur sieben Tage vergan-
gen, und ständig herrschte prächtiges Wetter - den
Regen hatte man noch nicht errunden. Aber jenseits
von Eden ballten sich dunkle Wolken zusammen und
kündigten ein Unwetter an, das erste in der Klima-
geschichte des Paradieses. Es handelte sich um eins
jener Gewitter, die nicht zum Scherzen aufgelegt sind.
Der Engel am Osttor hob die Flügel über den Kopf,
um sich vor den ersten Regentropfen zu schützen.
»Entschuldige bitte«, meinte er höflich, »was hast du
gerade gesagt?«
»Ich sagte: Der Typ fiel wie eine bleierne Ente«, erwi-
derte die Schlange.
»O ja«, murmelte der Engel, dessen Name Erzira-
phael lautete.
»Um ganz ehrlich zu sein«, fuhr die Schlange fort,
»ich halte die Reaktion für etwas übertrieben. Ich
meine, gleich beim ersten Vergehen und so. Er war
nicht mal vorbestraft. Außerdem: Warum ist es so
schlimm, den Unterschied zwischen Gut und Böse zu
kennen?«
»Es muß schlimm sein«, entgegnete Erziraphael im
besorgten Tonfall eines Mannes (nun, eines Engels), der
eigentlich gar keine Antwort auf diese Frage wußte -
was verständliches Unbehagen in ihm weckte. »An-
dernfalls wärst du nicht daran beteiligt.«
»Man sagte mir nur: >Geh nach oben und mach ein
bißchen Ärger<«, erklärte die Schlange. Sie hieß Krie-
cher, spielte jedoch mit dem Gedanken, sich einen an-
deren Namen zuzulegen. >Kriecher<, so beschloß sie,
paßte nicht recht zu ihr.
EIN GUTES
OMEN
Eine Erzählung, die Gewisse Ereignisse
während der letzten elf Jahre
der menschlichen Geschichte schildert.
In völliger Übereinstimmung
(wie sich herausstellen wird)
mit dem prophetischen Werk
Die freundlichen und zutreffenden
Prophezeiungen
der Hexe Agnes Spinner
Zusammengestellt, redigiert, mit Der Bildung
Dramatis Personae
ÜBERNATÜRLICHE WESEN
Gott (Gott)
Metatron (die Stimme Gottes)
Erziraphael (Hauptberuf: Engel. Nebenjob:
das Sammeln und sowohl gelegentliche als auch
widerstrebende Verkaufen seltener Bücher)
Satan (ein Gefallener Engel; der Widersacher)
Beelzebub (ebenfalls ein Gefallener Engel; außerdem
ein Höllenfürst)
Hastur (Gefallener Engel und Höllenfürst)
Ligur (Gefallener Engel und Höllenfürst)
Crowley (ein Engel, der nicht etwa gefallen ist,
sondern eher gemütlich nach unten schlenderte)
APOKALYPTISCHE REITER
TOD (Tod)
Krieg (Krieg)
Hunger (Hunger)
Umweltverschmutzung (Umweltverschmutzung)
MENSCHEN
Du-sollst-nicht-ehebrechen Läuterer
(ein Hexensucher)
Agnes Spinner (eine Prophetin)
Newton Läuterer (Lohnbuchhalter und Hexensucher-
Gefreiter)
Anathema Apparat (praktizierende Okkultistin und
Nachfahrin von Berufs wegen)
Shadwell (Hexensucher-Feldwebel)
Madame Tracy (lasterhafte Isebel [nur morgens;
donnerstags nach Vereinbarung] und Medium)
Schwester Maria Redeviel (eine satanische Nonne vom
Schwatzhaften Orden der Heiligen Beryll)
Mr. Young (ein Vater)
Mr. Tyler (Vorsitzender eines Bürgervereins)
Ein Postbote
SIE
ADAM (der Antichrist)
Pepper (ein Mädchen)
Wensleydale (ein Junge)
Brian (ein Junge) Außerdem viele Tibetaner, Aliens, Amerikaner,
Atlanter und andere sonderbare Geschöpfe der
astrologische Botschaft:
WAAGE - 24. September bis 23. Oktober.
Sie fühlen sich erschöpft und im täglichen Trott gefangen.
Häusliche und familiäre Angelegenheiten gewinnen eine be-
sondere Bedeutung und führen zu diversen Schwierigkeiten.
Vermeiden Sie unnötige Risiken. Ein Freund erweist sich als
hilfreich. Warten Sie mit wichtigen Entscheidungen, bis Sie
die Folgen überblicken können. Heute besteht die Gefahr einer
Magenverstimmung; verzichten Sie auf Salat. Vielleicht er-
halten Sie Hilfe von unerwarteter Seite.
Das Horoskop gibt genau die richtige Auskunft -
sieht man einmal von der Sache mit dem Salat ab.
Es war keine dunkle und stürmische Nacht.
Eigentlich sollte es eine dunkle und stürmische Nacht
sein, aber auf das Wetter ist eben kein Verlaß. Für jeden
wahnsinnigen Wissenschaftler, der sein großes Werk fer-
tigstellt, während draußen Blitze zucken, gibt es ein
Dutzend andere, die ziellos unter friedlichen Sternen
umherwandern, während Igor Überstunden macht.
Aber lassen Sie sich von dem Nebel (später soll es reg-
nen, und außerdem hat die Wettervorhersage einen
Womit alle lebenden Wesen gemeint sind.
Temperatursturz angekündigt) nicht in Sicherheit wie-
gen - Sie könnten eine ziemliche Überraschung erleben.
Eine ruhige Nacht bedeutet keineswegs, daß die Mächte
des Bösen gemütlich vor den Kaminfeuern der Hölle sit-
zen. Sie sind stets und ständig gegenwärtig, und zwar
überall.
Das Böse ist allgegenwärtig. Das liegt in der Natur der
Sache.
Zwei seiner Repräsentanten lauerten auf dem alten
Friedhof. Schattenhafte Gestalten, die eine bucklig und
gedrungen, die andere hoch gewachsen, schlank und
drohend - wäre Lauem eine olympische Disziplin gewe-
sen, hätten sie echte Chancen auf eine Goldmedaille ge-
habt. Wenn Bruce Springsteen jemals auf die Idee ge-
kommen wäre, sein neues Album Geboren, um zu lauem
zu nennen, so hätte das Cover diese beiden Gestalten
gezeigt. Schon seit einer Stunde warteten sie im Nebel.
Eine Zeitlang belauerten sie sich gegenseitig, um nicht
aus der Übung zu kommen. Sie waren durchaus im-
stande, die ganze Nacht über zu lauem und sich genug
Düsternis zu bewahren, um am Morgen einen Lauer-
Spurt einzulegen.
Nach weiteren zwanzig Minuten erklang eine unge-
duldige Stimme. »Verdammter Mistkerl. Er hätte schon
vor Stunden eintreffen müssen.«
Die Worte stammten von Hastur, seines Zeichens Höl-
lenfürst.
reden und alles auszusprechen, was ihr in den Sinn kam - ohne zwi-
schendurch Luft holen oder etwas essen zu müssen.
In einer Überlieferung heißt es, Prinz Kasimir habe Beryll drei Wo-
chen nach der Hochzeit erwürgt, ohne die Ehe vollzogen zu haben.
Demnach starb seine Angetraute als Jungfrau und Märtyrerin - und
redete bis zum Tod.
Eine andere Version behauptet folgendes: Kasimir kaufte sich Ohr-
watte, und Beryll starb zusammen mit ihrem Mann im Bett, als Zwei-
undsechzigjährige.
Die Angehörigen des Schwatzhaften Ordens sind verpflichtet, stän-
dig dem Beispiel der Heiligen Beryll zu folgen. Es gibt nur eine Aus-
nahme: Am Dienstagnachmittag dürfen die Nonnen eine halbe Stunde
lang schweigen und Tischtennis spielen.
einen bitterbösen Brief vom Papst. Er seufzte hinge-
bungsvoll und warf einen Blick auf die Uhr.
Wenigstens hatten ihm die Nonnen verboten, bei der
Geburt zugegen zu sein - in dieser Hinsicht vertraten sie
einen unerschütterlich festen Standpunkt. Deirdre war
bestimmt enttäuscht. Sie hat wieder angefangen, irgendwel-
ches Zeug zu lesen, dachte Mr. Young. Wir haben bereits ein
Kind, aber ganz plötzlich erklärt sie, diese Entbindung solle
die glücklichste aller glücklichen gemeinsamen Erfahrungen
für zwei Menschen werden. Das kam davon, wenn man
der Ehefrau individuelle Lektüre gestattete. Mr. Young
mißtraute Zeitungen und Magazinen, die Worte wie
>Lebensstil<, >Harmonie< und >eheliche Selbstverwirk-
lichung< enthielten.
Nun, er hatte nichts gegen glückliche gemeinsame
Erfahrungen. Seiner Meinung nach gab es an glückli-
chen gemeinsamen Erfahrungen kaum etwas auszuset-
zen. Die Welt brauchte wahrscheinlich mehr glückliche
gemeinsame Erfahrungen. Aber diese spezielle glückli-
che gemeinsame Erfahrung konnte Deirdre ganz für sich
allein behalten.
Die Nonnen stimmten ihm zu. Sie sahen keinen
Grund dafür, den Vater an der Geburt zu beteiligen.
Wenn es nach ihnen gegangen wäre, so argwöhnte
Mr. Young, hätten sie sogar die väterliche Teilnahme am
Zeugungsakt abgeschafft.
Er drückte den sogenannten Tabak fest und sah auf
das Schild an der Wand des Wartezimmers. Es wies zu
seinem eigenen Besten darauf hin, daß er nicht rauchen
solle. Zu seinem eigenen Besten entschied er, den Raum
zu verlassen und nach draußen zu gehen. Er dachte an
seine Blase - vielleicht fand er irgendwo einen geeigne-
ten Busch, der es ihm erlaubte, auf ein päpstliches
Mahnschreiben zu verzichten.
Mr. Young wanderte durch leere Korridore, fand
eine Tür und trat auf den regennassen Hof. Von Bü-
rungsgesellschaften?
»Sicher veranstalten Sie häufig Gartenparties«, mut-
maßte Schwester Maria.
Ah, dies war vertrauteres Terrain. Deirdre fand gro-
ßen Gefallen an Gartenfesten.
»Ja«, bestätigte er erleichtert, »meine Frau läßt unsere
Gäste von ihrer selbstgemachten Marmelade kosten,
und ich muß mich um die Bratwürstchen und den Kar-
toffelsalat kümmern.«
Schwester Maria Redeviel runzelte überrascht die
Stirn. Sie hörte nun zum erstenmal, daß im Buckingham
Palace auch derart bürgerliche Speisen auf den Tisch
kamen. Nun, die Königin ist auch nur ein Mensch.
»Nun, mit bestimmten Dingen muß man sich eben ab-
finden«, kommentierte sie. »Ich habe gelesen, daß sie stän-
dig Geschenke von ausländischen Würdenträgem erhält.«
»Wie bitte?«
»Wissen Sie, ich bin ein großer Fan der königlichen
Familie.«
»Oh, ich auch«, sagte Mr. Young und sprang damit
auf eine neue Eisscholle im verwirrenden Strom ihrer
Gedanken. Ja, mit der königlichen Familie kannte er
sich aus; sie bot festen thematischen Halt. Natürlich galt
Mr. Youngs Sympathie nur den richtigen Prinzen und
Prinzessinnen, die ihrem Volk zuwinkten und neue
Brücken einweihten. Von den anderen, die sich nächte-
lang in Diskotheken herumtrieben und auf die Papa-
razzi* spuckten, hielt er nicht viel.
»Das freut mich«, sagte Schwester Maria. »Ich dachte
immer. Sie und Ihre Landsleute halten nicht viel von Kö-
niginnen und Adel. Und was hat es mit der Revolution
auf sich und damit, daß Sie die ganzen Teeservice in den
Ruß geworfen haben?«
Die Nonne plauderte weiter und achtete damit das
Gebot des Schwatzharten Ordens, stets das zu sagen,
was ihr gerade in den Sinn kam. Die meisten Worte blie-
ben für Mr. Young völlig rätselhaft, und er war viel zu
müde, um sich Gedanken darüber zu machen. Vermut-
lich führte das religiöse Leben dazu, daß man irgend-
wann ein wenig seltsam wurde. Mrs. Young schlief noch
immer, was er sehr bedauerte. Er wünschte sich, daß sie
bald erwachte.
Mehrere von Schwester Maria aneinandergereihte Sil-
ben weckten vage Hoffnung in Mr. Young.
»Gibt es vielleicht die Möglichkeit, daß ich möglicher-
weise eine Tasse Tee bekommen könnte, bitte?« wagte er
zu fragen.
* Vielleicht sollte an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß
Mr. Young unter >Paparazzi< italienische Fliesen verstand.
einmal.
»Ich fürchte, das ist typische Unerfindlichkeit.« Der
Engel fröstelte ziemlich und schlug sich den Mantel-
kragen hoch. Schiefergraue Wolken zogen über die
Stadt.
»Ich schlage vor, wir suchen einen wannen Ort auf«,
sagte er.
»Was hältst du von der Hölle?« erwiderte Crowley
spöttisch. »Dort ist es warm genug.«
Eine Zeitlang gingen sie schweigend dahin.
»Ich bin durchaus deiner Meinung«, sagte Erzira-
phael, während er übers Gras stapfte. »Ich darf nur nicht
ungehorsam sein. Das weißt du ja.«
»Mir geht es genauso«, brummte Crowley.
Der Engel warf ihm einen kurzen Blick zu. »Ach,
komm schon! Du bist doch ein Dämon.«
»Ja, aber meine Vorgesetzten begrüßen den Ungehor-
sam nur im allgemeinen, während sie ihn im besonderen
ablehnen.«
»Ich nehme an, sie haben was gegen ungehorsame
Untergebene wie?«
»Du hast es erfaßt. Du wärst erstaunt - oder auch
nicht. Du wärst echt baff. Nun, vielleicht auch nicht.
Wieviel Zeit haben wir noch?« Crowley winkte, und
daraufhin entriegelte der Bentley seine Türen.
»Die Prophezeiungen unterscheiden sich voneinan-
der«, sagte Erziraphael und nahm auf dem Beifahrersitz
Platz. »Aber mit Sicherheit bis zum Ende des Jahrhun-
derts. Obgleich wir vorher mit gewissen Phänomenen
rechnen müssen. Leider war den meisten Propheten des
vergangenen Jahrtausends das Versmaß wichtiger als
die Genauigkeit.«
Crowley deutete auf den Zündschlüssel. Der Motor
sprang an.
»Wie meinst du das?« fragte er.
Der Engel machte eine vage Geste. »Oh, du weißt
schon. »Und die Welt soll endigen hier, im Jahre Duppti-
duppti-vier.< Oder fünf. Oder sechs. Es gibt nicht viel,
das sich auf sechs reimt, deshalb sind solche Jahre ziem-
lich sicher.«
»Und die Phänomene?« erkundigte sich Crowley.
»Zweiköpfige Kälber, Zeichen am Himmel, rückwärts
fliegende Gänse, Fische, die aus dunklen Wolken fallen
und sich plötzlich auf Hausdächerrn wiederfinden - sol-
che Sachen. Die Anwesenheit des Antichristen stört das
Gefüge normaler Kausalität.«
»Hmm.«
Crowley legte den ersten Gang ein. Plötzlich fiel ihm
etwas ein, und er schnippte kurz mit den Fingern. Die
in sein Glas.
Crowley schaute ihn mit dem langen kalten Blick von
jemandem an, vor dessen Gedankenstrom sich gerade
ein Schleusentor geschlossen hatte.
»Wie?«
»Der Krake«, brummte Erziraphael. »Ein riesiges Tier.
Echt gewaltig. Schlafet in den Tiefen des Meeres, unter
viel, äh, Wasser. Und unter vielen - wie heißen die Din-
ger? - Algen und so. Esch heißt, er komme an die Ober-
fläche, wenn das Meer zu kochen beginnt.«
»Wirklich?«
»Tatsache.«
»Nun, so weit ist es gekommen«, kommentierte Crow-
ley und lehnte sich zurück. »Da kann man mal sehen.
Wenn die Meere kochen... Arme Delphine. Sie halten
beschtimmt nicht viel davon. Und dann die Muscheln
und Calamari und... und Algen. Alles zum Teufel. Äh. Ich
meine. Alles hin. Und niemanden kümmert's. Ahnlich
isses mit den Gorillas. Donnerwetter, sagen sie. Der Him-
mel isch ganz rot, und Sterne fallen herunter, und mit was
sie heutzutage die Bananen spritzen. Und dann...«
»Sie bauen Nester, die Gorillas«, warf der Engel ein
und wollte sich einen neuen Drink einschenken, wobei
es ihm beim dritten Mal gelang, das Glas zu treffen.
»Nee.«
»Bei Gott, esch is' die Wahrheit. Hab einen Film gese-
hen. Gorillas bauen Nester.«
»Du meinst Vögel«, sagte Crowley.
»Nester«, beharrte Erziraphael.
Crowley beschloß, es dabei zu belassen.
»Wie dem auch sei«, brummte er, »alle Geschöp-
fe, groß und gemein. Ich meine klein. Alle Geschöpfe,
groß und klein. Viele von ihnen haben Gehirne. Und
plötzlich - zack. Aus und Ende.«
»Du bis' daran beteiligt«, sagte Erziraphael vor-
wurfsvoll. »Du bringst Leute in Versuchung. Und du
verschtehst dein Handwerk.«
Crowley knallte sein Glas auf den Tisch. »Das isch
nich' fair. Ich meine, die Leute brauchen ja nicht einver-
standen zu sein. Hier kommt Seine Erhabenheit ins
Schpiel. Euer Beitrag. Außerdem: Es is' gar nich'
schlimm, Leute in Versuchung zu führen und ihre mora-
lische Schtandfestigkeit zu prüfen. Ja, damit hat alles
seine Ordnung. Aber der Weltuntergang... Ich meine,
alles einfach zu zerschtören ...«
»Na schön. Mir gefällt esch ebensowenig wie dir, aber
ich hab's dir doch schon gesagt. Ich kann nich' un...
ungeh... ungehorsch... Ich meine, ich muß mich an
meine Anweisungen halten. Immerhin bin ich 'n Engel.«
Monate lang geübt, wie man bunte Tücher aus den Är-
meln zog. Münzen verschwinden und Kaninchen aus
Hüten springen ließ. Er glaubte, damals ein durchaus
professionelles Geschick entwickelt zu haben. Nun, an
dieser Stelle soll auf folgendes hingewiesen werden:
Erziraphael konnte Dinge bewerkstelligen, die alle Mit-
glieder der Magischen Gilde dazu veranlaßt hätten, ihre
Zauberstäbe wegzuwerfen und sich nach einem anderen
Beruf umzusehen. Schließlich war er ein Engel, und
Engel sind nicht an die normalen Beziehungen zwischen
Ursache und Wirkung gebunden. Um es anders auszu-
drücken: Himmlische Wesen kleiden sich in ein ganz an-
deres Gewand der Kausalität. Aber Erziraphael hatte es
sich zur Angewohnheit gemacht, die ihm innewohnen-
den wunderbaren Fähigkeiten so wenig wie möglich zu
benutzen. Woraus sich jetzt ein Nachteil ergab. Er be-
dauerte es, nicht auch an Maskelynes Kurs für Fortge-
schrittene teilgenommen zu haben.
Trotzdem: Er verglich diese Angelegenheit damit, auf
einem Fahrrad zu fahren. Man vergaß nie, worauf es
dabei ankam. Der Zaubermantel war ein wenig ver-
staubt, aber er fühlte sich gut an, als er ihn über die
Schultern streifte. Erziraphael entsann sich sogar an den
richtigen Fachjargon.
Die Kinder beobachteten ihn gelangweilt, und einige
von ihnen schnitten verächtliche Mienen. Crowley stand
hinter dem Büfett, trug die Uniform eines Kellners und
versuchte, sich seine Verlegenheit nicht allzu deutlich
anmerken zu lassen.
»Nun, ihr jungen Damen und Herren«, begann Erzi-
raphael. »Seht ihr meinen alten zerbeulten Hut? Was für
ein alter und zerbeulter Hut! denkt ihr sicher. Ein alter,
zerbeulter und völlig leerer Hut. Aber ach! Was hat die-
ser Bursche darin zu suchen? Oh, es ist unser pelziger
Freund, Karl Kaninchen!«
»Sie hatten es in der Tasche«, sagte Warlock. Die an-
deren Kinder nickten zustimmend. Wofür hielt sie der
Narr? Für Kinder?
Erziraphael erinnerte sich an Maskelynes Hinweise in
bezug auf Zwischenrufer. >Macht einen Witz daraus, ihr
Knallköppe - und damit meine ich Sie, Mister Eden.<
(Diesen Namen benutzte der Engel damals.) >Bringen
Sie das Publikum zum Lachen. Dann verzeiht es Ihnen
alles.<
»Oh-ho, ihr habt meinen Huttrick durchschaut«, er-
widerte Erziraphael und lachte. Die Kinder musterten
ihn verdrießlich.
»Sie sind ein Idiot«, brummte Warlock. »Zeichentrick-
filme sind mir viel lieber.«
sen sich als recht nett. Sie formulierten die üblichen Be-
schwörungen, rügten angemessene Gesten hinzu und
zeigten damit das gleiche Verhaltensmuster wie ihre re-
ligiösen Gegner. Anschließend gingen sie zufrieden
nach Hause und führten für den Rest der Woche ein
Leben anspruchsloser Mittelmäßigkeit, ohne an irgend
etwas Höllisches zu denken.
Aber es gab auch andere Satanisten.
Wenn Crowley an sie dachte, lief es ihm kalt über den
Rücken. Es lag nicht in erster Linie an ihrem Handeln,
sondern daran, daß sie für alles die Hölle verantwortlich
machten. Sie ließen sich irgend etwas Schauderhaftes
einfallen, das selbst dem phantasievollsten Dämon nie
in den Sinn gekommen wäre (gemeint sind Dinge, die
nur ein voll funktionsfähiges menschliches Gehirn kon-
zipieren kann), und dann riefen sie: >Der Teufel hat mich
dazu gezwungene Was ihnen das Mitleid des Gerichts
einbrachte - obwohl der Teufel nur selten jemanden zu
etwas zwang. Warum auch? Die Menschen begriffen
einfach nicht, daß die Hölle keineswegs ein Reservoir
des Bösen darstellte und daß der Himmel, wie Crow-
ley glaubte, alles andere war als ein Quell des Guten.
Es handelte sich nur um die beiden Seiten beim kosmi-
schen Schachspiel. Wahrhaftiges Unheil und echte
Gnade fanden sich einzig und allein im menschlichen
Bewußtsein.
»Hmm«, brummte Erziraphael. »Satanisten.«
»Ich halte es für ausgeschlossen, daß ihnen irgendein
Fehler unterlief«, entschied Crowley. »Ich meine, es ist
doch ganz einfach, zwei Säuglinge zu vertauschen.
Dabei verliert man kaum die Übersicht. Man muß nur
ein wenig aufpassen...« Der Dämon schwieg plötzlich.
Im Nebel seines Gedächtnisses formten sich die Kontu-
ren einer kleinen Nonne, die ihm damals recht zerstreut
erschienen war, selbst für eine Satanistin. Und die Erin-
nerungsbilder zeigten ihm noch etwas anderes: eine
Pfeife und eine Strickjacke, die schon im Jahr 1938 als
altmodisch galt. Er erinnerte sich an einen Mann, der ein
imaginäres Schild mit der Aufschrift >Werdender Vater<
hielt.
Es mußte noch ein drittes Baby gegeben haben.
Er erzählte Erziraphael davon.
»Das bringt uns nicht viel weiter«, erwiderte der
Engel.
»Eins steht fest: Das Kind existiert«, sagte Crowley.
»Woraus folgt...«
»Woher willst du das wissen?«
»Wenn es nach Unten zurückgekehrt wäre, meinst du,
dann wären wir noch hier?«
»Klingt logisch.«
»Wir brauchen es also nur zu finden«, fuhr Crowley
fort. »Ich schlage vor, wir sehen uns die Akten im Kran-
kenhaus an.« Der Motor des Bentley hustete, räusperte
sich und grollte hingebungsvoll. Der Wagen raste los,
und Erziraphael wurde in den Sitz gepreßt.
»Und dann?« fragte er.
»Dann finden wir das Kind.«
»Und dann?« Erziraphael schloß die Augen, als der
Bentley um eine Ecke schoß.
»Keine Ahnung.«
»Bei allen Heiligen...«
»Ich nehme an - verschwinde von der Straße, du
Clown -, deine Kollegen im Himmel - guck sich einer den
blöden Motorroller an - sind nicht bereit, mir Asyl zu ge-
währen, oder?«
»Ich wollte gerade eine ähnliche Frage an dich rich-
ten... Achtung, der Fußgänger!«
»Er steht auf der Straße und weiß, welches Risiko er
damit eingeht«, antwortete Crowley. Er steuerte den
immer schneller werdenden Bentley zwischen einem ge-
parkten Wagen und einem Taxi hindurch. Der Platz
rechts und links hätte nicht einmal für eine Kreditkarte
genügt.
»Die Straße! Bleib auf der Straße! Übrigens, wo befin-
det sich das Krankenhaus?«
»Irgendwo südlich von Oxford.«
Erziraphael hielt sich am Armaturenbrett fest. »Um
diese Zeit kannst du in Central London unmöglich mit
neunzig Meilen die Stunde fahren!«
Crowley blickte auf den Tacho. »Warum nicht?«
»Du bringst uns um!« Der Engel zögerte kurz. »Ich
meine, du verursachst eine vorübergehende Entkörper-
lichung«, fügte er unsicher hinzu und entspannte sich
ein wenig. »Und du könntest Menschen töten.«
Crowley hob die Schultern. Erziraphael mußte sich
erst noch ans zwanzigste Jahrhundert gewöhnen. Er
wußte nicht, daß es durchaus möglich war, mit neunzig
Meilen in der Stunde über die Oxford Street zu fahren -
vorausgesetzt, man traf die notwendigen Vorbereitun-
gen und sorgte dafür, daß keine Hindernisse auftauch-
ten. Und da jedermann wußte, daß es unmöglich war,
auf der Oxford Street eine Geschwindigkeit von neunzig
Meilen in der Stunde zu erreichen, achtete niemand auf
den schwarzen Bentley.
Und schließlich waren Autos eine wesentlich bessere
Sache als Pferde. Den Verbrennungsmotor hielt Crowley
für ein gottge... für ein gesegn... für einen unverhoff-
ten Glücksfall. Wenigstens brauchte er jetzt im Dienst
sich an Crowley.
»Du schon. Ich nicht. Außerdem müssen wir uns um
einige wichtige Dinge kümmern.« Der Dämon betrachtete
den neuen Dachgepäckträger und seufzte leise, als er
die Befestigungsriemen mit dem Schottenkaro sah.
Das Fahrrad stieg auf und befestigte sich von ganz
allein. Anschließend nahm Crowley am Steuer Platz.
»Wo wohnen Sie, Teuerste?« fragte Erziraphael betont
freundlich.
»Eigentlich hatte mein Rad gar keine Lampe«, sagte
Anathema. »Ich meine, es hatte eine. Aber sie funktio-
nierte mit zwei Batterien, die schon nach kurzem leer
waren, und deshalb habe ich sie herausgenommen.« Sie
maß Crowley mit einem durchdringenden Blick. »Wis-
sen Sie, ich bin mit einem Brotmesser bewaffnet. Glaube
ich.«
Erziraphael wirkte schockiert.
»Madame, ich versichere Ihnen...«
Crowley schaltete die Scheinwerfer ein. Er brauchte
kein Licht, um zu sehen, aber es sorgte dafür, daß die
Menschen auf den Straßen weniger nervös wurden. Der
Dämon bewegte den Schaltknüppel, ließ vorsichtig die
Kupplung kommen und fuhr an, ohne daß die Räder
durchdrehten. Ein langer Asphaltstreifen schob sich
unter den Bäumen hervor, und nach einigen hundert
Metern erreichten sie Ausläufer eines mittelgroßen Dor-
fes.
Es wirkte irgendwie vertraut. Inzwischen waren elf
Jahre vergangen, aber erste Einzelheiten krochen in
Crowleys Erinnerung zurück.
»Gibt es hier irgendwo ein Krankenhaus, das von
Nonnen geleitet wird?« fragte er.
Anathema zuckte mit den Achseln. »Ich glaube
nicht«, antwortete sie. »Das einzige größere Gebäude
steht auf dem Tadfield Gut. Wer weiß, wozu es dient.«
»Die göttliche Vorsehung«, flüsterte Crowley.
»Und die Gangschaltung«, sagte Anathema. »Mein
Fahrrad hatte keine Gangschaltung. Ja, eine Gangschal-
tung gab es nicht.«
Crowley beugte sich zum Beifahrersitz hinüber.
»O Herr, heil das Rad!« raunte er sarkastisch.
»Tut mir leid«, wisperte Erziraphael. »Es kam einfach
über mich.«
»Mußten es unbedingt Riemen mit Schottenkaro
sein?«
»Schottenkaro ist hübsch. Und modisch.«
Crowley ächzte leise. Wenn sich der Engel aufs zwan-
zigste Jahrhundert besann, blieb er immer in den fünf-
ziger Jahren.
serate auf.
Sie erzielte einen überwältigenden Erfolg. In ihrer
neuen Karriere als Sie Selbst begriff Mary Hodges schon
nach kurzer Zeit, daß die Schulung von Managern und
Geschäftsführern keineswegs bedeutete, langweilige
Vorträge mit Hilfe von unzuverlässigen Diaprojektoren
zu halten. Nein, heutzutage verlangten die Finnen weit-
aus mehr.
Die ehemalige Satanistin erfüllte ihre Erwartungen.
Crowley sank zu Boden und lehnte sich an eine Statue.
Erziraphael stolperte rückwärts und fiel in einen Rhodo-
dendronbusch. Ein dunkler Fleck zeigte sich auf seiner
Jacke.
Der Dämon spürte klebrige Nässe am Hemd.
Das ist doch absurd, fuhr es ihm durch den Sinn. Ge-
rade unter den derzeitigen Umständen lag ihm nichts
daran, erschossen zu werden. Er fragte sich, wie er sein
Ableben erklären sollte. Die Hölle gab einem nicht ein-
fach einen neuen Körper; sie wollte genau wissen, was
man mit dem alten angestellt hatte. Haben Sie schon
einmal versucht, sich einen Kugelschreiber aus der Ab-
teilung für Büromaterial zu besorgen? Kennen Sie die
Formulare zur Beantragung von Schreibutensilien (drei-
fache Ausfertigung)? Nun, dann wissen Sie Bescheid.
Ungläubig starrte er auf seine Hand herab.
Dämonen können natürlich selbst bei völliger Finster-
nis sehen. So etwas gehört zu ihrer Ausstattung mit
teuflischen Gaben. Crowley betrachtete gelbe Finger.
Aha, dachte er. Gelbes Blut.
Vorsichtig leckte er einen Finger ab.
Dann kroch er zu Erziraphael hinüber und besah sich
Jacke und Hemd des Engels. Wenn die Flecken von Blut
stammten, spielte die Biologie verrückt.
»Oh, das tat weh«, stöhnte Erziraphael. »Es hat mich
direkt unter den Rippen erwischt.«
»Ja, aber was ich wissen möchte: Fließt in deinen
Adern blaues Blut?«
Erziraphael öffnete die Augen. Er klopfte sich mit der
rechten Hand auf die Brust. Er richtete sich auf. Er
führte die gleiche gerichtsmedizinische Untersuchung
durch wie zuvor Crowley.
»Farbe?« fragte er.
Der Dämon nickte.
»Was geht hier vor?« murmelte der Engel.
»Keine Ahnung«, brummte Crowley. »Wahrscheinlich
ist es irgendein Spiel. Und es heißt vermutlich >Ihr Blö-
den Narren<.« Crowleys Tonfall machte deutlich, daß er
ebenfalls spielen und es mühelos mit allen anderen Teil-
nehmern aufnehmen konnte.
schlicht.
Sie fuhren ins Morgengrauen, während angeblich von
Bach komponierte h-Moll-Klänge aus den Lautspre-
chern tönten. Die Stimme des Sängers gehörte zweifellos
einem gewissen F. Mercury.
Crowley mochte die Londoner City am frühen Mor-
gen. Die Bevölkerung außerhalb der Häuser hatte durch
ordentliche Berufe festgelegte Pflichten zu erfüllen und
somit das Recht, auf den Bürgersteigen und Straßen un-
terwegs zu sein - im Gegensatz zu den Millionen ande-
ren, die nach acht Uhr für Verkehrsstauungen sorgten.
Ampeln blinkten mit phlegmatischer Gelassenheit. Auf
dem schmalen Asphaltstreifen vor Erziraphaels Buchla-
den verboten zwei gelbe Linien das Parken, aber sie kro-
chen gehorsam davon, als der Bentley hielt.
Erziraphael nahm seinen Mantel vom Rücksitz.
»Nun, tja«, sagte Crowley. »Äh, wir hören voneinan-
der, wie?«
»Was ist das hier?« fragte der Engel und griff nach
einem braunen rechteckigen Gegenstand.
Der Dämon betrachtete ihn. »Ein Buch?« vermutete er.
»Sehe es jetzt zum erstenmal.«
Erziraphael öffnete es, starrte auf vergilbte Blätter und
überflog einige Zeilen. Hinter seiner Stirn läuteten win-
zige bibliographische Glocken.
»Ich nehme an, es gehört der jungen Dame«, sagte er
langsam. »Leider haben wir sie nicht nach ihrer Adresse
gefragt...«
Crowley ächzte leise. »Hör mal, Erzi: Wir haben be-
reits genug Probleme. Wenn in der Hölle bekannt wird,
daß ich Zeit dafür erübrige, irgendwelchen Leuten ihre
Besitztümer zurückzubringen, versetzt man mich in die
Schwefelgrube.«
Erziraphael las den Titel, und es kostete ihn enorm
viel Mühe, sich nichts anmerken zu lassen.
»Wenn du's nicht über dich bringst, das Buch einfach
zu behalten... Schick es zum Postamt in Lower Tad-
field«, schlug der Dämon vor. »Adressier es einfach an
>Die verrückte Frau mit dem Fahrrad<. Man traue nie-
mals einer Frau, die Transportmitteln seltsame Namen
gibt...«
»Ja, ja, natürlich«, erwiderte der Engel. Er stieg aus,
tastete nach den Schlüsseln, ließ sie aufs Pflaster fallen,
hob sie auf, hantierte nervös mit ihnen herum und eilte
zur Tür des Ladens.
»Wir bleiben in Verbindung, ja?« rief ihm Crowley
nach.
»Wie?« Erziraphael drehte sich kurz um. »Oh. Oh. Ja.
sonderem Stolz.
Natürlich handelte es sich nur um Erstausgaben.
Und jede einzelne war signiert.
Erziraphael besaß Richard Nixon*, Martha die Zigeu-
nerin, Ignazius Sybilla und Old Ottwell Binns. Nostra-
damus hatte geschrieben. >Führ mainen alten Froind
Ahrziraffel, mit basten Grühßen.< Die Flecken darunter
stammten von Mutter Shiptons verschüttetem Tee. In
einem besonders trockenen, keimfreien und kühlen
Schrank lag eine Pergamentrolle mit der zittrigen Hand-
schritt eines gewissen Johannes von Patma. Seine >0f-
fenbarung< war der prophetische Bestseller aller Zeiten.
Erziraphael hatte den Autor als recht netten (damaligen)
Zeitgenossen kennengelernt, obgleich ihm seine Vor-
liebe für eigentümliche Pilze seltsam erschienen war.
In der Sammlung des Engels fehlte ein Exemplar der
Freundlichen Zutreffenden Prophezeiungen von Agnes
Spinner. Als Erziraphael sein Hinterzimmer betrat, hielt
er Das Buch mit der behutsamen Vorsicht eines Philateli-
sten, der gerade eine Postkarte von seiner Tante erhalten
hat und feststellt, daß eine blaue Mauritius darauf klebt.
Voller Ehrfurcht starrte er auf den braunen Band
herab. Er hatte natürlich von diesem Buch gehört. Alle
seine Geschäftskollegen (etwa ein Dutzend; immerhin
erforderte dieser spezielle Beruf eine spezielle Spezia-
lisierung) wußten von der Existenz eines solchen Bu-
ches. Man vergleiche sie mit einem Vakuum, das seit
Jahrhunderten von höchst sonderbaren Geschichten um-
kreist wurde. Nun, Erziraphael war nicht ganz sicher, ob
irgend etwas ein Vakuum umkreisen konnte, aber seiner
Ansicht nach spielte es auch gar keine Rolle. Neben den
Freundlichen und Zutreffenden Prophezeiungen wirk-
ten Hitlers Tagebücher wie... wie Fälschungen.
Die Hände zitterten ihm ein wenig, als er Agnes Spin-
ners Werk auf den Tisch legte, sich die Gummihandschuhe
eines Chirurgen überstreifte und es vorsichtig öffnete. Er-
ziraphael war ein Engel, aber er liebte auch Bücher.
* Gemeint ist nicht etwa der frühere US-Präsident, sondern ein
Schwachkopf aus dem sechzehnten Jahrhundert.
Auf der Titelseite stand:
Die Freundlichen und Futreffenden Prophefeiungen
der Agnef Fpinner
In etwas kleineren Buchstaben:
Aine genau Überficht dher Ereigniffe
von heute bif fum Endige dher Welt
In etwas größeren Buchstaben:
Ef werden Viele Verfiedene Wunder gerudert.
Hinfu kommen Lehren für den Kluhgen.
In einer anderen Schriftart:
ten die Ansicht, einer der großen Vorteile des Urlaubs bestehe darin,
daß man sich weder Nachrichtensendungen im Radio anhören noch
die Zeitung lesen mußte. Während der ersten Tage übertrieben es
Mr. und Mrs. Threlfall mit dem Sonnenbaden, und daraufhin blieben
sie anderthalb Wochen lang in ihrem Zimmer. Sie hatten einen recht
ungünstigen Zeitpunkt gewählt, um die Bar aufzusuchen.
auf. II General Ernesto de Montoya sagte zu mir: Fer-
nando, sagte er, der Krieg dauert höchstens bis Sams-
tag, und dann wollen die Jungs sicher ein wenig Spaß
haben. Geh mal kurz zum Hotel de Palomar del Sol
und erheb offiziellen Beuteanspruch darauf, in Ord-
nung?«
Der Bärtige lief rot an. »An der verdammten strategi-
schen Wichtigkeit kann überhaupt kein Zweifel beste-
hen, Femando Chianti! Ich habe eine Karte von der Insel
gezeichnet, und das Hotel befindet sich genau in der
Mitte. Dadurch bekommt es eine enorme strategische Be-
deutung, das versichere ich dir.«
»Ha!« entgegnete Fernando. »Genausogut könntest
du behaupten, daß Little Diegos Haus strategisch wich-
tig ist, nur weil man von dort aus auf den dekadent-ka-
pitalistischen Oben-ohne-Strand blicken kann!«
Der Pianist senkte verlegen den Kopf. »In jenem Ge-
bäude hat unsere Gruppe heute morgen einen Stütz-
punkt eingerichtet«, sagte er.
Stille folgte. Seide knisterte leise. Red hatte gerade die
Beine übereinandergeschlagen.
Der Adamsapfel des Pianisten hüpfte auf und ab.
»Nun, das Haus hat eine große strategische Bedeutung«,
brachte er hervor und versuchte der Frau auf dem Bar-
hocker keine Beachtung zu schenken. »Ich meine, wenn
irgendwelche U-Boote den Strand ansteuern, kann man
sie rechtzeitig sehen.«
Schweigen.
»Es ist strategisch weitaus wichtiger als dieses Hotel«,
fügte der Pianist hinzu.
Pedro hüstelte. Es klang unheilverkündend. »Wer
jetzt noch etwas sagt. Und damit meine ich irgend etwas.
Ist tot.« Er grinste. Hob die Waffe. »Na schön. Und jetzt.
Alle an die Wand.« Niemand rührte sich von der Stelle.
Niemand hörte ihm zu. Die akustische Aufmerksamkeit
der Anwesenden galt einem leisen monotonen Brum-
men im Flur hinter Pedro.
Eine gewisse Unruhe erfaßte die Begleiter des Bärti-
gen. Die Männer gaben sich alle Mühe, nicht zur Seite
zu weichen, aber das Brummen war wie ein Keil, der
sich mit hartnäckiger Beharrlichkeit zwischen sie schob.
Kurz darauf erklangen erste verständliche Worte. »Ent-
schuldigt bitte, Jungs, toller Abend, was? Meine Güte,
lette.
Man stelle sich die Skulptur (oder das Gemälde) vor -
ohne ausgetretene Turnschuhe, zerfranste Jeans und das
fleckige T-Shirt.
»Wer bist du?« fragte Anathema.
»Adam Young«, erwiderte der Junge. »Ich wohne wei-
ter unten an der Straße.«
»Oh, ja«, sagte die junge Frau und betupfte sich die
Augen. »Ich habe schon von dir gehört.«
Adam lächelte stolz.
»Mrs. Henderson sagt, ich soll auf alles gefaßt sein,
was dich betrifft«, fügte Anathema hinzu.
»Ich bin hier gut bekannt«, meinte Adam.
»Sie sagt, du bist geboren, um am Galgen zu en-
den.«
Adam grinste. Wer als berüchtigt galt, bedauerte es
vielleicht, keinen Ruhm zu genießen. Aber so etwas war
immer noch besser, als in namenloser Vergessenheit zu
leben.
»Sie sagt, du seiest mit Abstand der Schlimmste der
Sie«, fuhr Anathema etwas fröhlicher fort. Adam nickte.
»Sie sagt: >Passen Sie auf die Bälger auf. Planen stän-
dig irgendwelchen Schabernack. Der junge Adam
kommt ganz auf den Alten Adam raus.<«
»Warum haben Sie geweint?« fragte Adam geradeher-
aus.
»Wie?« entgegnete Anathema. »Oh, ich habe etwas
verloren. Ein Buch.«
»Ich helfe Ihnen beim Suchen, wenn Sie möchten«, bot
sich Adam galant an. »Über Bücher weiß ich Bescheid.
Einmal habe ich sogar selbst eins geschrieben. Ein tolles
Ding. Fast acht Seiten lang. Es ging um einen Piraten,
der ein berühmter Detektiv war. Und ich habe auch Bil-
der dazu gemalt.« Adam entschied sich zu einer großzü-
gigen Geste. »Sie können es gern lesen. Ich wette, es ist
viel interessanter als irgendwelche Bücher, die Sie verlo-
ren haben. Insbesondere die Stelle im Raumschiff, als
der Dinosaurier sein Versteck verläßt und die Cowboys
angreift. Sie sind bestimmt begeistert von meinem Buch.
Brian hat's gelesen und sagt, er sei noch nie so begeistert
gewesen.«
»Danke. Ich bin sicher, dein Buch ist das beste aller
Bücher.« Womit Anathema Adams ewige Freundschaft
gewann. »Aber du brauchst mir nicht dabei zu helfen,
nach meinem Buch zu suchen. Ich fürchte, es ist und
bleibt verloren.«
Sie musterte Adam nachdenklich. »Ich nehme an, du
kennst dich in dieser Gegend gut aus, stimmt's?« fragte
sie.
der Titel lautete: Wunder aus Natur und Wissenschaft. Bisher hatte er alle
Ausgaben vollständig, und zu seinem nächsten Geburtstag wünschte
er sich einen bunten Ordner. Brians wöchentliche Lektüre enthielt viele
Ausrufezeichen in den Überschriften, zum Beispiel >WhoOM!!< oder;
>PasAAF!!< Das galt auch für Pepper. Aber selbst bei der gräßlichsten i
aller Folterungen hätte sie nicht zugegeben, daß sie heimlich die Zeit-
Schrift Träume junger Mädchen - Absolut wahre Geschichten kaufte. Adam
las keine Comics; sie konnten es einfach nicht mit seiner Phantasie auf-
nehmen.
Das übliche kurze Gerangel schloß sich an.
»Hört auf damit!« sagte Adam streng. »Soll ich euch
vom Zeitalter des Wassermanns erzählen oder nicht?«
Der handgreifliche Streit (solche Auseinandersetzun-
gen waren nie sehr ernst, solange sie sich auf die Sie
beschränkten) endete sofort.
»Hm«, machte Adam und kratzte sich am Kopf.
»Jetzt habe ich vergessen, was ich sagen wollte.« Dann:
»Ah, ja. Ja. Nun, wenn man ein UFO sieht, kommen
Typen von der Regierung und schimpfen einen aus.«
Adam lächelte. Kein schlechter Einfall, fand er. »Sie fah-
ren große schwarze Wagen. In Amerika geschieht das
jeden Tag.«
Die Sie nickten wissend. Sie hatten nicht den gering-
sten Zweifel, was diesen Punkt betraf. Ihrer Ansicht
nach war Amerika ein Ort, den die Seelen guter Men-
schen nach ihrem Tod aufsuchten. Sie waren bereit
zu glauben, daß in Amerika praktisch alles passieren
konnte.
»Wahrscheinlich kommt es dadurch zu enormen Ver-
kehrsstauungen«, fuhr Adam fort. »Ich meine, die vie-
len Männer in schwarzen Wagen, die UFO-Seher aus-
schimpfen ... Sie sagen ihnen: He, wenn ihr weiterhin
UFOs seht, habt ihr irgendwann einen Unfall.«
»Vermutlich werden sie von einem schwarzen Wagen
überfahren«, sagte Brian und zupfte Schorf von einem
schmutzigen Knie. Plötzlich strahlte er. »Da fällt mir ein:
Mein Vetter hat mir von Läden in Amerika erzählt, wo
es neununddreißig verschiedene Sorten Eis gibt.«
Das verblüffte selbst Adam.
»So viele verschiedene Sorten Eis gibt es überhaupt
nicht«, wandte Pepper ein. »Selbst wenn man alle
verschiedene Sorten auf der ganzen Welt zusammen-
nimmt - man käme nie auf neununddreißig.«
»Und wenn man sie mischt?« fragte Wensleydale. Er
blinzelte wie eine Eule. »Ihr wißt schon. Erdbeer und
Schokolade. Schokolade und Vanille.« Er suchte nach
weiteren englischen Geschmacksrichtungen. »Erdbeer
und Vanille und Schokolade«, fügte er unsicher hinzu.
untersuchte.
»Eigentlich komisch«, murmelte er. »Das ganze Leben
lang geht man zur Schule und lernt irgendwas. Aber er-
zählen einem die Lehrer vom Bermuda-Dreieck, von
UFOs und Geheimen Meistern im Innern der Erde?
Nein. Ich frage mich: Warum müssen wir die ganze Zeit
über langweiliges Zeug lernen, wenn es so interessante
Sachen gibt?«
Wensleydale, Pepper und Adam stimmten ihm sofort
zu.
Dann verließen sie ihre Bude und spielten >Charles
Fort und die Atlanter gegen Alle Geheimen Meister von
Tibet<. Die Tibetaner wiesen allerdings darauf hin, daß
der Einsatz von uralten mystischen Lasern ihren Wider-
sachern einen ungerechtfertigten Vorteil gebe.
Früher einmal hatten Hexensucher großen Respekt ge-
nossen, wenn auch nicht besonders lange.
Zum Beispiel Matthew Hopkins, Hexensucher-Gene-
ral: m der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts suchte er
im Osten von England nach Hexen, und für jeden Erfolg
stellte er dem betreffenden Ort neun Pence in Rechnung.
Genau darin bestand das Problem. Hexensucher
bekamen keinen Stundenlohn. Man stelle sich einen He-
xensucher vor, der eine Woche lang sorgfältige Untersu-
chungen anstellte und dann dem Bürgermeister mit-
teilte: >Alles in Ordnung; nicht eine einzige Bewohnerin
dieses Ortes steht mit dem Teufel im Bunde. < Sie ahnen
es bereits, nicht wahr? Man dankte dem Ermittler über-
schwenglich, bot ihm eine lauwarme Suppe an und ver-
abschiedete ihn hastig.
Um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, mußte
Hopkins ziemlich viele Hexen finden. Was seine Popu-
larität bei den Gemeinderäten- drastisch reduzierte.
Schließlich wurde er selbst als Hexer gehängt - die Be-
wohner eines ostenglischen Dorfes kamen zu dem
durchaus logischen Schluß, daß sie ihre Betriebskosten
mit energischen Rationalisierungsmaßnahmen senken
konnten.
Viele Leute glauben, Hopkins sei der letzte Hexen-
sucher-General gewesen. Was in gewisser Weise auch
stimmt. Trotzdem geben sich die eben genannten Perso-
nen falschen Vorstellungen hin. Die Hexensucher-
Armee marschiert noch immer, wenn auch leiser und
unauffälliger.
Nun, es gibt keinen echten Hexensucher-General
mehr.
Es fehlen auch ein Hexensucher-Oberst, ein Hexensu-
cher-Major, ein Hexensucher-Hauptmann. Selbst ein He-
Sache, für die er sich mit der ganzen Kraft seiner Seele
und seinem Seniorenpaß der Bahn einsetzte. Sein
Glaube wirkte wie eine Turbine.
In Newton Läuterers Existenz fehlten sowohl feste
Grundsätze und Prinzipien als auch Dinge, an die es zu
glauben lohnte. Er bedauerte diesen Umstand, denn tief
in seinem Innern wollte er an etwas glauben. Schon seit
einigen Jahren nahm er an, daß der Glaube einem Ret-
tungsring gleichkam, der einen im aufgewühlten Wasser
des Lebens vor dem Ertrinken bewahrte. Er wäre durch-
aus bereit gewesen, an einen allmächtigen Gott zu glau-
ben, hätte es jedoch vorzogen, zuerst mit Ihm zu spre-
chen, um einige Dinge zu klären. Vergeblich wartete er
in Kirchen darauf, vom blauen Lichtstrahl der Erleuch-
tung zumindest gestreift zu werden. Woraufhin er ver-
suchte, ein offizieller Atheist zu werden - aber es man-
gelte ihm sogar an der granitharten Entschlossenheit, an
nichts zu glauben. Die politischen Parteien schienen ihm
alle gleich unehrlich zu sein. Sein Interesse an der Öko-
logie erlahmte, als er einen ganz bestimmten Artikel im
abbonierten Öko-Magazin las. Der Autor schlug darin
vor, den Garten hinterm Haus zur Selbstversorgung mit
allen notwendigen Lebensmitteln zu nutzen; zentrale
Rollen spielten dabei eine ökologische Ziege, die einen
Meter neben dem ökologischen Bienenstock angebun-
den werden sollte. Newt hatte viel Zeit auf dem Bauern-
hof seiner Großmutter verbracht und kannte daher die
Angewohnheiten von Ziegen und Bienen. Er zog daraus
den Schluß, daß die Herausgeber des Magazins voll-
kommen übergeschnappt waren. Außerdem wurde das
Wort >Gemeinschaft< viel zu oft verwendet. Wer dau-
ernd von Gemeinschaft sprach, so argwöhnte Newt, gab
diesem Ausdruck einen ganz neuen Bedeutungsinhalt,
der ihn und alle seine Bekannten ausschloß.
Schließlich trachtete er danach, ans Universum zu
glauben. In dieser Hinsicht schien es keine Probleme zu
geben - bis er neue Bücher las, .in denen Begriffe wie
Chaos, Zeit und Quanten auftauchten. Schon bald fand
er heraus, daß selbst Fachleute, die sich hauptberuflich
mit dem Universum beschäftigten, von erheblichen
Zweifeln heimgesucht wurden. Einige von ihnen wiesen
voller Stolz darauf hin, daß sie gar nicht recht wußten,
was es mit dem Universum auf sich hatte und ob es, zu-
mindest rein theoretisch, existieren konnte.
Für das nach Logik und Rationalität lechzende Be-
wußtsein Newts waren derartige Einstellungen uner-
träglich.
Er hatte nicht an die Wölflinge geglaubt, und später
begegnete er selbst den Pfadfindern mit Skepsis.
stand oder saß: Unter ihm befand sich immer der metaphorische
Nordpol.
Er schlurfte ins Zimmer zurück und starrte Newt so
verwundert an, als erinnere er sich überhaupt nicht
mehr an den jungen Mann.
»Forüber schprachen wir eben?« fragte er.
»Über seltsame Vorfälle und...«, begann Newton.
»Jo.« Shadwells Blick reichte in die Feme; nach-
denklich klopfte er die leere Konservendose an braune
Zähne - pock-pock-pock.
»Nun, es gibt da ein Dorf, dessen Bewohner seit eini-
gen Jahren seltsames Wetter erleben«, sagte Newton
hilflos.
»Regnet's fielleicht Frösche und so?« fragte Shadwell.
Ein Teil seines Ichs fand ins Hier und Jetzt zurück.
»Nein. Es ist nur immer völlig normales Wetter, das
genau der Jahreszeit entspricht.«
»Und scho etwas soll ein Phänomen sein?« schnauf-
te Shadwell. »Main lieber Junge, ich habe Phänomene
geschehen, bei denen dir die Haare zu Bärge schtün-
den.« Er setzte das Klopfen mit der leeren Milchbüchse
fort.
»Wann herrscht für die Jahreszeit normales Wetter?«
Newt konnte den Ärger nicht ganz aus seiner Stimme
verbannen. »Für die Jahreszeit normales Wetter ist nicht
normal, Feldwebel. In jenem Ort schneit es zu Weih-
nachten. Wann haben Sie zum letzten Mal während des
Weihnachtsfests Schnee gesehen? Ich meine echten
Schnee, nicht das Zeug, das man auf Christbäume oder
an Fenster sprüht. Hinzu kommen lange heiße August-
wochen. Jedes Jahr. Und kühle Herbstmonate. Es ist
genau die Art von Wetter, die man sich als Kind
wünscht. Es regnet nie am Martinstag, und am Heilig-
abend beginnt es zu schneien.«
Shadwells Augen wirkten noch trüber als sonst. Die
Milchbüchse verharrte auf halbem Weg zu den Lippen.
»Ich habe nie von irgend etwasch geträumt, alsch ich
ein Kind far«, sagte er leise.
Newt hatte das Gefühl, dicht am Rand eines tiefen
psychologischen Abgrunds zu stehen. Rasch wich er
einen geistigen Schritt zurück.
»Ich finde diese Sache höchst eigenartig«, fuhr er
fort. »Der Artikel erwähnt einen Meteorologen, der
von Durchschnittswerten, Normen und Mikroklimata
spricht.«
»Fas bedoitet dasch?« fragte Shadwell.
»Es bedeutet, daß er keine Erklärung anbieten kann«,
entgegnete Newt. Wer zu viele Fremdwörter benutzte,
war ihm sofort suspekt.
stellte.
»Sie sind mit dem Kopf ans Lenkrad gestoßen«, sagte
die Stimme, die ihn geweckt hatte. »Keine Angst, Sie
haben sich nichts gebrochen. Erinnern Sie sich an den
Unfall?«
Newt wagte es erneut, die Augen zu öffnen.
»Ja«, sagte er. »Ist mit dem Wagen alles in Ordnung?«
»Ich glaube schon. Irgendwo plärrte es dauernd: >Sie
sind nicht angeschnallt. Denken Sie an den Sichelheits-
gult.<«
»Na bitte«, wandte sich Newt an ein unsichtbares Pu-
blikum. »Damals baute man noch anständige Autos.
Plastik bekommt eben keine Beulen.«
»Es splittert höchstens.«
Newt sah Anathema an und blinzelte.
»Ich habe das Steuer herumgerissen, um dem Tibeta-
ner auf der Straße auszuweichen«, sagte er. »Glaube ich
wenigstens. Wahrscheinlich bin ich ausgerastet.«
Die Gestalt trat näher. Sie hatte dunkles Haar, rote
Lippen, grüne Augen und war ohne Zweifel weiblich.
Newt versuchte, sie nicht anzustarren.
»Selbst wenn Sie den Verstand verloren haben...«,
antwortete Anathema. »Wahrscheinlich wird es nieman-
dem auffallen.« Sie lächelte. »Wissen Sie, daß ich jetzt
zum erstenmal Gelegenheit bekomme, einen Hexensu-
cher kennenzulernen?«
»Ah...«, begann Newt. Die junge Frau hob seine
Brieftasche.
»Ich mußte den Inhalt überprüfen«, sagte sie. »Um zu
erfahren, wer Sie sind.«
Newt fühlte sich von extremer Verlegenheit heimge-
sucht, was recht häufig geschah. Shadwell hatte ihm
einen offiziellen Hexensucher-Ausweis gegeben; unter
anderem forderte er alle Pfarreidiener, königlichen Be-
amten, Bischöfe und Büttel auf, dem Hexensucher freies
Geleit zu gewähren und ihm so viel Brennholz zu geben,
wie er wünschte. Es war ein außerordentlich eindrucks-
volles Meisterwerk der Kalligraphie und bestimmt sehr
alt. Newt erinnerte sich erst jetzt wieder daran.
»Es ist nur ein Hobby«, entgegnete er zerknirscht, »mi
Hauptberuf bin ich ...« Sollte er hier und jetzt und einer
solchen Frau sagen, daß er als Lohnbuchhalter arbeitete?
Nein, unmöglich, »...bin ich Computer-Techniker«, log
er. Newton wollte ein Computer-Techniker sein, tief in
seinem Herzen. Nur das Gehirn hinderte ihn daran, sich
diesen Wunsch zu erfüllen. »Entschuldigen Sie, aber ich
weiß leider nicht, wer Sie ...«
»Anathema Apparat«, stellte sich Anathema vor. »Ich
beschäftige mich mit Okkultismus, aber auch das ist nur
vertreib-
ben konnte. Außerdem riet Agnes dazu, regelmäßig in
einem langsamen Trott zu laufen, als ein Mittel, um län-
ger zu leben, was sie extrem verdächtig werden ließ und
die Hexensucher zum erstenmal auf sie aufmerksam
machte. Außerdem wies Agnes darauf hin, wie wichtig
es sei, die Nahrung mit Ballaststoffen anzureichern.
Doch damit war sie eindeutig ihrer Zeit voraus, denn
die Leute hatten größere Probleme, überhaupt etwas zu
essen zu haben.
Und sie weigerte sich, Warzen zu heilen.
»Es isset alles nur in deiner Vorstellung«, sagte sie bei
solchen Gelegenheiten. »Vergiß es, und dann wirst du
bald gesundig.«
Ganz offensichtlich konnte Agnes Spinner die Zu-
kunft sehen, aber sie beobachtete die Ereignisse der
nächsten Jahrhunderte wie durch einen individuellen
Filter, und deshalb konnten andere Menschen mit ihren
Auskünften nur wenig anfangen.
»Wie meinen Sie das?« fragte Newt.
»Eigentlich kann man Agnes' Prophezeiungen nur
verstehen, wenn sie sich erfüllt haben«, sagte Anathema.
»Um ein Beispiel zu nennen: Für das Jahr 1972 schrieb
sie >Kaufet keine Betamacks<.«
»Soll das heißen, sie hat die Erfindung des Videorecor-
ders vorausgesagt?«
»Nein«, widersprach Anathema, »sie empfing nur ein
kleines Informationsfragment aus der Zukunft. Genau
darin besteht das Problem. Meistens sind die Hinweise
so vage und indirekt, daß ihre Bedeutung erst durch die
betreffenden Ereignisse klar wird. Darüber hinaus
konnte Agnes kaum zwischen wichtigen und unwichti-
gen Dingen unterscheiden, m gewisser Weise prophe-
zeite sie aufs Geratewohl. Für den 22. November 1963
weissagte sie, in Kings Lynn stürze ein Haus ein.«
»Ach?« Newt zwinkerte verwirrt.
»Präsident Kennedy wurde ermordet«, sagte Ana-
thema. »Aber Dallas existierte damals noch nicht. Und
Kings Lynn war recht wichtig.«
»Oh.«
»Agnes lieferte besonders gute und genaue Prophe-
zeiungen, wenn es um ihre Nachkommen ging.«
»Oh?«
»Und sie gewöhnte sich einfach nicht an den Verbren-
nungsmotor. Moderne Automobile waren für sie
schlicht und einfach Karren oder Kutschen. Selbst meine
Mutter glaubte, Nummer 3819 beziehe sich auf die
Droschke des japanischen Kaisers. Wissen Sie, es genügt
eben nicht, die Zukunft zu sehen. Man muß sie auch ver-
gab.
»Haben Hexen eine Hausbar?« fragte er unsicher.
»Oh, ja.« Anathema lächelte hintergründig. Agnes
Spinner mochte so gelächelt haben, während sie eine mit
Damenunterwäsche gefüllte Schublade leerte. »Die Fla-
schen enthalten eine grüne, blubbernde Flüssigkeit, und
seltsame Dinge schwimmen in dem öligen Etwas. Sie
sollten das eigentlich wissen.«
»In Ordnung. Haben Sie Eis?«
Es erwies sich als Gin. Und es gab auch Eis. Ana-
thema nahm die Hexerei ernst und lehnte Alkohol im
allgemeinen ab, doch in ihrem besonderen Fall machte
sie eine Ausnahme.
»Habe ich Ihnen schon von dem Tibetaner erzählt, der
aus einem Loch in der Straße kletterte?« fragte Newton
und entspannte sich ein wenig.
»Oh, ich weiß darüber Bescheid«, entgegnete Ana-
thema und blätterte in den Zeitungen auf dem Tisch.
»Zwei von ihnen gruben sich gestern aus meinem
Rasen. Die armen Kerle waren ziemlich verwirrt, und
deshalb bot ich ihnen eine Tasse Tee an. Anschließend
liehen sie sich einen Spaten und kehrten ins Loch zu-
rück. Komisch. Ich glaube, sie wußten nicht so recht, wie
sie hierherkamen.«
Newt fühlte sich ein wenig in seinem Entdeckerstolz
verletzt. »Woraus schlössen Sie, daß es Tibetaner wa-
ren?« fragte er.
»Da wir gerade dabei sind: Wieso haben Sie sofort auf
Tibet getippt, hm? Ertönte ein lautes Ommmmm, als Sie
den Mann anfuhren?«
»Nun, er ... er sah wie ein Tibetaner aus«, sagte Newt,
»Safrangelbe Robe, kahler Kopf und so... Ganz und gar
tibetanisch.«
»Einer meiner beiden Besucher sprach ziemlich gutes
Englisch. Er meinte, er habe Radios in Lhasa repariert,
und von einem Augenblick zum anderen fand er sich in
einem Tunnel wieder. Tja, er bat mich darum, ihm den
Weg nach Hause zu zeigen.«
»Warum haben Sie ihn nicht zur Straße geschickt?«
brummte Newt. »Dann hätte er an Bord eines UFO
gehen und nach Hause fliegen können.«
»Drei Aliens? Einer von ihnen ein kleiner Roboter, der
dauernd umfällt?«
»Sind sie auch in Ihrem Garten gelandet?«
»Nach den jüngsten Meldungen zu urteilen schien
mein Garten der einzige Ort zu sein, den die Außen
sehen meiden«, verkündete Anathema. »Sie besuchen
alle Nationen der Erde und verkünden eine ebenso
ßen.«
»Wäre immer noch besser als Schamane«, bemerkte
Wensleydale.
»Schambala«, berichtigte Adam.
»Wahrscheinlich handelt es sich um den gleichen
Ort«, kommentierte Pepper mit völlig untypischer Di-
plomatie. »Wahrscheinlich sind beide Namen richtig. So
wie bei unserem Haus. Erst hieß es >Die Hütte<, aber wir
nannten es >Norton-Blick<, als wir einzogen. Trotzdem
bekommen wir noch immer Briefe, die an >Theo C. Cu-
pier. Die Hüfte< gerichtet sind. Vielleicht heißt das Tal
jetzt Schambala, aber die Leute nennen es noch immer
Rhododendronplatz. Oder so.«
Adam warf einen kleinen Stein ins Loch. Tibetaner be-
gannen ihn zu langweilen.
»Was machen wir jetzt?« fragte Pepper. »Drüben auf
der Norton-Bottom-Farm werden die Schafe gewaschen.
Wir könnten dabei helfen.«
Adam warf einen größeren Stein ins Loch und wartete
auf das Klacken. Alles blieb still.
»Keine Ahnung«, erwiderte er geistesabwesend. »Ich
finde, wir sollten was für die Wale und die Regenwälder
und so unternehmen.«
»Was denn?« fragte Brian und dachte ans Schafwa-
schen, bei dem es manchmal zu interessanten Zwi-
schenfällen kam. Er zog einige Kartoffelchips-Tüten aus
den Hosentaschen und ließ sie nacheinander ins Loch
fallen.
»Wir könnten heute nachmittag nach Tadfield radeln
und keinen Hamburger essen«, schlug Pepper vor.
»Wenn wir alle auf einen Hamburger verzichten, be-
wahren wir viele Millionen Morgen Regenwald vor dem
Abholzen.«
»Wahrscheinlich fällt man die Bäume trotzdem«, sagte
Wensleydale.
»Es liegt am Materialismus«, stellte Adam fest. »Und
das gilt auch für die Wale. Wirklich komisch. Ich meine,
was so vor sich geht.« Er sah auf Hund herab.
Und er fühlte sich irgendwie seltsam.
Die kleine Promenadenmischung spürte den Blick Des
Herrn und machte erwartungsvoll Männchen.
»Tiere wie du fressen die ganzen Wale«, sagte Adam
streng. »Ich wette, inzwischen hast du schon einen
ganzen Wal verputzt.«
Hund neigte den Kopf zur Seite und jaulte leise - ein
winziger satanischer Funken in seiner Seele haßte sich
dafür. U
»Ist schon eine tolle Welt, in der wir aufwachsen«
fuhr Adam fort. »Ohne Wale. Ohne Luft. Und alle Leute
schwimmen herum, weil der Meeresspiegel steigt.«
»Dann sind die Atlanter am besten dran«, sagte
Pepper fröhlich.
Adam hörte gar nicht richtig zu und machte nur:
»Hm.«
Irgend etwas geschah in seinem Kopf. Jemand schien
von hinten an die Stirn zu klopfen. Gedanken fügten
sich aneinander, ohne daß er sie denken mußte.
Stimme erklang: Du kannst etwas tun, Adam Young. Du
kannst dafür sorgen, daß alles besser wird. Dir sind keine
Grenzen gesetzt. Die Stimme ertönte aus seinem eigenem
Ich, flüsterte aus den Tiefen des Adam Young-Ich. Ein
Teil von ihm klebte seit Jahren an ihm fest, wie ein
Schatten - ohne daß er etwas davon bemerkt hatte. Und
dieser innere Schemen wisperte: Ja, es ist eine schäbige
Welt. Sie hätte großartig sein können. Aber mit ihr geht es
immer mehr bergab, und es muß etwas unternommen werden,
bevor sie die Talsohle des Unheils erreicht. Deshalb bist du
hier. Um dafür zu sorgen, daß alles besser wird.
»Weil sie überallhin können«, fügte Pepper hinzu
und musterte Adam besorgt. »Die Atlanter, meine ich.
Sie...«
»Ich habe genug von den blöden Atlantern und Tibe-
tanern«, platzte es aus Adam heraus.
Die übrigen Sie starrten ihn groß an. Sie hatten ihn
noch nie so erlebt.
»Für sie mag alles in bester Ordnung sein«, sagte
Adam. »Aber für uns... Irgendwelche Leute bringen
alle Wale um, verbrauchen die ganze Kohle und das Öl
und den Ozon. Außerdem holzen sie die Regenwälder
ab. Bis überhaupt nichts mehr übrigbleibt. Wir sollten
längst zum Mars fliegen, aber statt dessen sitzen wir im
Nassen und im Dunklen und können kaum mehr
atmen.«
Dies war nicht der Adam, den die Sie kannten.
Pepper, Wensleydale und Brian sahen betreten zu Bo-
den. Adams Zorn schien die Welt in einen viel kühleren
und düsteren Ort zu verwandeln.
»Ich finde«, begann Brian pragmatisch, »nun, ich
finde, man sollte lieber nichts über solche Sachen lesen.«
»Es ist genauso, wie du neulich gesagt hast«, stieß
Adam hervor. »Da liest du Bücher über Piraten, Cow-
boys und Astronauten. Und wenn du glaubst, die Welt
sei voller Wunder, erfährst du plötzlich, daß sie nur aus
toten Walen, abgeholzten Regenwäldern und Atommüll
besteht, der für Millionen von Jahren radioaktiv bleibt.
Warum willst du für einen solchen Mist erwachsen wer-
Unterwelt (es hätte ihn sicher überrascht, wie nahe er der Wahrheit kam). Aber den Softie im
Kamelhaarman-
tel hielt er für nicht annähernd so gefährlich. Er hatte es einmal gewagt, dem Burschen zu seiner
Operationsbasis
zu folgen, und er entsann sich sogar an die Adresse.
Wahrscheinlich ist er ein russischer Spion, dachte Shadwell.
Ich könnte ihn um Geld bitten und meiner Bitte mit dunklen
Drohungen Nachdruck verleihen.
Doch es war ein ziemliches Risiko.
Shadwell straffte die Schultern und beschloß, allen
möglichen Gefahren fest ins Auge zu sehen und nur
dann zu fliehen, wenn das Risiko die Hand nach ihm
ausstreckte.
Vielleicht wurde der junge Newt gerade von den
Töchtern der Finsternis gefoltert.
»Die Hexensucher-Armee darf ihre Scholdaten nicht
im Schlich lassen«, sagte er, streifte sich seinen Mantel
über, setzte einen formlosen Hut auf und ging nach
draußen.
Es sah so aus, als ob sich das Wetter verschlechterte.
Erziraphael zitterte vor Aufregung. Seine Nerven schie-
nen in Rammen zu stehen. Unruhig wanderte er durch
den Laden, griff nach Zetteln, legte sie wieder beiseite
und hantierte nervös mit Kugelschreibern.
Eigentlich sollte er Crowley Bescheid geben.
Anders und besser ausgedrückt: Er wollte Crowley be-
nachrichtigen. Aber er sollte den Himmel verständigen.
Immerhin bin ich ein Engel. Ich stehe auf der Seite des
Guten. Es bleibt mir auch gar keine andere Wahl - das Posi-
tive gehört zu meinem Wesen. Es ist eingebaut. In dem Punkt
hat Crowley zweifellos recht. Oh, ich hätte mich sofort mit
dem Himmel in Verbindung setzen sollen.
Aber er kannte den Dämon schon seit mehreren tau-
send Jahren. Sie kamen gut miteinander aus. Manchmal
verstanden sie sich sogar. Gelegentlich argwöhnte Erzi-
raphael, daß sie miteinander weitaus mehr gemeinsam
hatten als mit ihren jeweiligen Vorgesetzten. Zum Bei-
spiel mochten sie die Welt und sahen sie nicht nur als
ein Brett für kosmische Schachpartien.
Nun, eigentlich lag die Lösung des Problems auf der
Hand. Es entsprach sogar dem Geist seines Paktes mit
Crowley/ wenn er den Leuten Oben einen Tip gab. Dann
kann der Himmel alle notwendigen Maßnahmen gegen das
Kind ergreifen, allerdings keine allzu energischen, denn wenn
man genauer darüber nachdenkt, sind wir alle Gottes Geschöpfe,
selbst Dämonen und der Antichrist, und dann wird die Welt ge-
rettet und vor dem Armageddon bewahrt, das ohnehin nieman-
dem etwas nützte, ich meine, wir wissen doch alle, daß schließ-
lich meine Seite gewinnt, ja, Crowley sieht das bestimmt ein.
trüge keine Uniform, Sir. Was sähen Sie dann? Seien Sie
ganz ehrlich.«
»Einen Trottel«, erwiderte Crowley und stürmte in
den Laden.
Das klingt recht einfach, aber in Wirklichkeit sah sich
Crowley unterwegs mit einigen Schwierigkeiten kon-
frontiert. Um das Geschäft zu erreichen, mußte Crowley
zehn Feuerwehrleuten, zwei Polizisten und einigen in-
teressanten Bürgern* des nächtlichen Soho ausweichen,
die früher als sonst aufgestanden waren und darüber
* In Soho sind die Schaulustigen nicht nur interessiert, sondern auch
und vor allen Dingen interessant.
diskutierten, welche Organisation die Buchhandlung in
Brand gesteckt habe. Auch das mögliche Warum bot
reichlich Gesprächsstoff.
Crowley bahnte sich einen Weg durch die Menge, die
ihm kaum Beachtung schenkte.
Er stieß die Tür auf. Rammen schlugen ihm entgegen.
Feuer, so weit der Blick reichte.
»Erziraphael!« rief der Dämon. »Erziraphael, du ... du
dummer... Erziraphael? Bist du hier?«
Keine Antwort. Crowley hörte nur das Knistern von
brennendem Papier und splitterndes Glas, als das Feuer
die Fenster im Obergeschoß zerstörte. Deckenbalken
knackten und gaben nach.
Er sah sich im Laden um und hielt verzweifelt nach
dem Engel - nach Hilfe - Ausschau.
In der einen Ecke stürzte ein langes Regal um, und die
herausfallenden Bücher gaben dem Feuer neue Nah-
rung. Überall um Crowley herum prasselte es, aber er
achtete nicht darauf. Seine Hose hatte sich entzündet. Er
löschte die Glut mit einem strengen Blick.
»Hallo? Erziraphael? Um Gottes wi... Um Him-
mels ... Um... Verdammt! Wo steckst du, Erziraphael?«
Es krachte, als eine Axt das Schaufenster zer-
trümmerte. Crowley zuckte zusammen, drehte sich um
und... Ein dicker Wasserstrahl traf ihn mitten auf die
Brust und schleuderte ihn zu Boden.
Die dunkle Sonnenbrille fiel in die Flammen, und
ihr schwarzes Kunststoffgestell floß auseinander. Crow-
ley riß gelbe Augen mit schlitzförmigen Pupillen auf.
Schaumiges Wasser tropfte an ihm herab und dampfte;
Ruß bildete eine schmierige Schicht auf seinen Wangen.
Er stemmte sich hoch, und tief in ihm brodelte es - die
Hitze seines Zorns gesellte sich der des Feuers hinzu.
Mit dämonischer Leidenschaft verfluchte er Erziraphael,
Seine Erhabenheit und schließlich auch Oben und Unten.
Dann senkte er den Kopf und sah Es. Das Buch. Jenes
Buch, das die junge Frau aus Tadfield am Mittwochabend
ben.«
Ein anderes Motorrad fuhr auf den Parkplatz. Pech-
schwarzer Lack funkelte.
Kurz darauf schwang die Tür des Restaurants auf, und
kalter Wind wehte herein. Ein Mann - er trug schwarzes
Leder und hatte einen kurzen schwarzen Bart - trat an
den Fenstertisch heran und setzte sich neben die Frau in
Rot. Die Burschen an der Videokonsole spürten plötzlich,
wie hungrig sie waren, und Skuzz bekam den Auftrag,
für alle was Eßbares zu besorgen. Für alle - abgesehen
vom Spieler, der noch immer schwieg, immerzu die rich-
tigen Tasten drückte und stumm beobachtete, wie Mün-
zen in den Gewinnkasten rasselten.
»Wir haben uns eine Ewigkeit nicht mehr gesehen«,
sagte Red. »Wie läuft's?«
»Ich bin ziemlich beschäftigt gewesen«, entgegnete
Black. »Habe viel Zeit in Amerika verbracht. Ein paar
Weltreisen und so. Zur Entspannung.«
(»Was soll das heißen. Sie haben keine Steaks und
Nierenpastete?« fragte Skuzz empört.
»Bis eben dachte ich, wir hätten noch welche«, erwi-
derte die Kellnerin.)
»Ist doch eigenartig, daß wir uns jetzt wieder treffen«,
sagte Red.
»Eigenartig?«
»Nun, du weißt schon. Tausende von Jahren lang
haben wir auf den großen Tag gewartet, und jetzt hat er
endlich begonnen. Es ist wie mit der Vorfreude auf
Weihnachten oder den Geburtstag.«
»Wir haben keinen Geburtstag.«
»Es lag mir fern, das Gegenteil zu behaupten. Ich
wollte nur erklären, wie es sich anfühlt.«
(»Es sieht so aus, als seien unsere Vorräte ganz plötz-
lich zur Neige gegangen«, fügte die Kellnerin hinzu.
»Ich kann Ihnen nur noch dieses Stück Pizza anbieten.«
»Mit Sardellen?« fragte Skuzz mürrisch. Weder er
noch seine Kumpel mochten Sardellen. Und Oliven
konnten sie erst recht nicht ausstehen.
»Ja, Teuerster. Mit Sardellen und Oliven. Möchten Sie
das Ding?«
Skuzz schüttelte traurig den Kopf. Sein Magen
knurrte, als er zu den anderen zurückkehrte. Big Ted
war immer sehr gereizt, wenn er Hunger hatte. Und
wenn Big Ted gereizt war, verteilte er großzügige Por-
tionen seines Ärgers.)
Eine neue Kategorie erschien auf dem Videoschirm.
Man konnte jetzt zwischen Popmusik, Aktuellem, Hun-
ger und Krieg wählen. Schweini und seine Gefährten
schienen ein wenig überfordert zu sein, als es um die iri-
er sich beeilte.
Wohin sollte er sonst fahren?
Die Kassette endete und aktivierte das Radio.
»...findet die Fragestunde der Gärtner diesmal im Gärt-
ner-Klub von Tadfield statt. Wir waren zum letzten Mal im
Jahr 1953 hier, während eines schönen Sommers, und die in-
teressierten Zuhörer wissen sicher, daß es im Osten der Ge-
meinde guten Oxfordshire-Lehmboden gibt, der im Westen in
Kreide übergeht, o ja, es ist genau die Art Boden, von der es
heißt: Ganz gleich, was man anpflanzt, alles gedeiht pracht-
voll. Nicht wahr, Fred?«
»In der Tat«, bestätigte Fred Düngegut vom Königlichen
Botanischen Garten. »Ich hätte es nicht besser ausdrücken
können.«
»Nun gut. Die erste Frage stammt von Mister R. P. Tyler,
dem Vorsitzenden des lokalen Bürgervereins, wenn ich mich
nicht irre.«
»Ja, Sie haben völlig recht. Nun, wissen Sie, ich bin sehr
stolz auf meine Rosen, jawohl, aber die bereits mehrfach aus-
gezeichneten Molly McGuires verloren gestern einige Blüten,
weil ein Regen aus Fischen niederging. Welche Schutzmaß-
nahmen schlagen die Experten vor - abgesehen davon, ein
Netz zu spannen? Ich meine, ich habe bereits dem Gemeinde-
rat geschrieben und...«
»Ich glaube, es handelt sich um ein recht außergewöhnli-
ches Problem. Harry?«
»Mister Tyler, vielleicht könnten Sie uns mitteilen, ob es
frische oder konservierte Fische regnete.«
»Frische, glaube ich.«
»Oh, dann ist alles in Ordnung. Wie ich hörte, regnet es bei
Ihnen auch Blut, und ich wünschte' mir, das wäre auch bei
uns in Dales der Fall. Dann könnte ich in meinem Garten auf
viel Kunstdünger verzichten. Ich schlage vor, Sie vergraben
die Fische in CROWLEY?«
Der Dämon schwieg.
CROWLEY DAS LETZTE GEFECHT HAT BEGONNEN, CROWLEY.
WIR MUSSTEN ZUR KENNTNIS NEHMEN, DASS DU DICH GEWEI-
GERT HAST, UNSERE GESANDTEN IN DIE HÖLLE ZU BEGLEITEN.
SOLLEN WIR DARAUS SCHLIESSEN, DASS DU DICH DER GERECH-
TEN STRAFE ENTZIEHEN WILLST?
»Mhm«, brummte Crowley.
CROWLEY... WIR WERDEN DEN KRIEG GEGEN DIE LEGIONEN
DES HIMMELS GEWINNEN. ABER SELBST WENN WIR IHN VERLIE-
REN: SOWEIT ES DICH BETRIFFT, ERGIBT SICH DARAUS ÜBER-
HAUPT KEIN UNTERSCHIED. SOLANGE AUCH NUR EIN DÄMON IM
INFERNO ÜBERLEBT, WIRST DU ES BEDAUERN, NICHT ALS STERB-
LICHER ERSCHAFFEN WORDEN ZU SEIN, CROWLEY.
Crowley blieb stumm.
scheue sie.«
»Echt coole Typen?« wiederholte Dinge Die Nicht
Richtig Funktionieren Obwohl Man Sie Ordentlich Ge-
schüttelt Hat.
»Ja. Du weißt schon. Man sieht sie dauernd im Fern-
sehen. Die Kerle haben einen blöden Haarschnitt, aber
bei ihnen sieht er gar nicht blöd aus. Sie tragen weite
Hosen und Jacken, und man darf ihnen nicht sagen, daß
sie verdammte Angeber sind. Ich meine, um ganz offen
zu sein: Wenn ich solche Burschen sehe, verspüre ich
immer den Wunsch, ihnen die Fressen ganz langsam
durch einen Stacheldrahtzaun zu schieben. Außerdem
meine ich...« Schweini holte tief Luft. Nur ein einziges
Mal in seinem Leben hatte er eine so lange Rede gehal-
ten, vor zehn Jahren, als er an das Mitgefühl des Rich-
ters appellierte. »Ich meine folgendes: Wenn die echt coo-
len Typen mir so sehr auf die Nerven fallen, so geht es
bestimmt auch allen anderen so.«
»Klar«, bestätigte Tierquälerei. »Sie tragen dauernd
dunkle Sonnenbrillen, obwohl mit ihren Augen alles in
Ordnung ist.«
»Sie essen weichen Käse und trinken komisches alko-
holfreies Bier«, fügte Dinge Die Nicht Richtig Funktio-
nieren Obwohl Man Sie Ordentlich Geschüttelt Hat
hinzu. »Kann das Zeug nich' ausstehen. Wie soll man
sich mit alkoholfreiem Bier einen hinter die Binde
gießen, frage ich euch? He, das bringt mich auf eine
Idee. Kann ich Alkoholfreies Bier sein?«
»Kommt überhaupt nicht in Frage«, erwiderte Schwe-
re Körperverletzung. »Du hast deinen Namen schon ein-
mal geändert.«
»Na, egal«, sagte Schweini, »deshalb bin ich von jetzt
an Echt Coole Typen.«
»In Ordnung«, bestätigte SKV.
»Warum darf ich nicht Alkoholfreies Bier sein, ha?«
»Mann, mach den Mund zu, es zieht!«
Tod, Hunger, Krieg und Umweltverschmutzung fuh-
ren weiterhin in Richtung Tadfield.
Schwere Körperverletzung, Tierquälerei, Dinge Die
Nicht Richtig Funktionieren Obwohl Man Sie Ordentlich
Geschüttelt Hat (aber insgeheim Alkoholfreies Bier) und
Echt Coole Typen folgten ihnen.
Es war ein regnerischer, windiger Samstagnachmittag,
und Madame Tracy fühlte sich sehr okkult.
Sie trug ein eindrucksvolles langes Gewand, und auf
dem Herd stand ein Topf mit Rosenkohl. Unstetes zit-
terndes Licht erhellte das Zimmer; vier Kerzen steckten
in angemessen wachsverkrusteten Weinflaschen, die in
den Ecken des Wohnzimmers standen.
ich? Tja, ich will auf dem Randstreifen halten, aber als
ich das Steuer drehe, rutscht meine Karre auf dem Ding
aus.« Der Fahrer deutete auf die Reste eines Hammer-
hais unter dem Laster. »Und dann pralle ich auf das da.«
Diesmal deutete sein Zeigefinger auf einen zehn
Meter hohen Haufen aus diversen Fischen und anderen
Meeresbewohnern.
»Haben Sie etwas getrunken, Sir?« fragte der Sergeant
zerknirscht.
»Natürlich nicht, Sie Blödmann. Sie sehen die Fische
doch ebenfalls, oder?«
Ganz oben auf dem Haufen hob ein großer Tintenfisch
einen Tentakel und winkte träge. Der Sergeant wider-
stand der Versuchung, den Gruß zu erwidern.
Sein Kollege beugte sich unterdessen in den Streifen-
wagen und griff nach dem Mikrofon des Funkgeräts.
»Wellblech und Fische, ja. Die M6 nach Süden ist etwa
eine halbe Meile nördlich der Auffahrt zehn blockiert.
Wir müssen die Fahrbahnen voll sperren, um hier Ord-
nung zu schaffen.«
Es regnete noch stärker. Eine kleine Forelle, die wie
durch ein Wunder den Sturz vom Himmel überlebt
hatte, schwamm fröhlich in Richtung Birmingham.
»Das war herrlich«, sagte Newt.
»Schön«, erwiderte Anathema. »Jedem das seine.« Sie
erhob sich, ließ ihre Kleidung auf dem Boden zurück
und ging ins Bad.
»Ich meine, es war wirklich wundervoll«, fügte Newt !
etwas lauter hinzu. »Wirklich wirklich wundervoll. Ich s
habe mir immer ein solches Erlebnis erhofft, und jetzt ist;
mein Wunsch endlich in Erfüllung gegangen.«
Wasser rauschte.
»Was machst du?« fragte Newt. Er hielt das >Sie< nicht
mehr für angemessen. Nicht danach.
»Ich dusche.«
»Oh.« Newt fragte sich, ob die Tradition verlangte,
daß man nachher duschte - oder ob sich derartige Ver-
haltensweisen nur auf Frauen beschränkten. Außerdem
argwöhnte er, daß Bidets in diesem Zusammenhang
ebenfalls eine nicht unerhebliche Rolle spielten.
»Ich habe da eine Idee«, sagte Newt, als Anathema
aus dem Bad zurückkehrte. Sie trug nun ein rosafarbe-
nes Frottee-Handtuch. »Wir könnten es noch einmal ma-
chen.«
»Nein«, widersprach die junge Frau. »Nicht jetzt.«
Sie trocknete sich ab, hob die einzelnen Kleidungs-
stücke auf und zog sich ungeniert an. Newt gehörte zu
den Männern, die im Zweifelsfall im Schwimmbad
fall. Ihnen droht sicher keine Gefahr, wenn Sie sich gut
an mir festhalten.« Sie lächelte. »Das macht bestimmt
Spaß, nicht wahr?«
Shadwell erblaßte, murmelte etwas Unverständliches
und setzte den Helm gehorsam auf.
»Was haben Sie gerade gesagt, Mister Shadwell?«
Madame Tracys Stimme klang plötzlich scharf.
»Ich schagte: Fir brauchen den Antichrischten
nicht zu töten. Er kriegt 'n Herzinfarkt, fenn er unsch
schieht.«
»Und ich dachte schon. Sie wollten irgendwelche
Kritik üben«, verkündete Madame Tracy, die sich in
ihrem Stolz als motorisierte Verkehrsteilnehmerin ver-
letzt fühlte. Sie winkte, rührte Shadwell aus der Woh-
nung, durchs Treppenhaus und zum Hinterhof. Dort
wartete ein älterer Motorroller darauf, sie beide (und
einen derzeit körperlosen Engel) fortzutragen.
Ein Lastwagen, mehrere Tonnen Wellblech und ein fast
zehn Meter hoher Haufen aus Fischen blockierten die
Straße. Die Autobahn hätte gar nicht besser und wir-
kungsvoller blockiert sein können, fand der Sergeant.
Hinzu kam der Regen. Er machte die Lösung des Pro-
blems keineswegs einfacher.
»Irgendeine Ahnung, wann die Bulldozer eintreffen?«
brüllte er ins Funkgerät.
»Wir krrrr geben uns alle knrr«, lautete die Antwort.
Der Polizist spürte, wie etwas an seinem Hosenbein
zupfte. Neugierig sah er nach unten.
»Hummer?« Er sprang zurück, sprang noch einmal
und kroch aufs Dach des Einsatzwagens. »Hummer«,
wiederholte er. Insgesamt mehr als zwei Dutzend - und
einige von ihnen waren einen guten halben Meter lang.
Die meisten hatten sich entschlossen, über die Autobahn
zu kriechen; ein halbes Dutzend hatte innegehalten und
untersuchte den Streifenwagen.
»Stimmt was nicht, Sarge?« fragte der Constable. Er
nahm gerade die Personalien des Lkw-Fahrers auf.
»Ich kann Hummer nicht ausstehen«, stieß der Ser-
geant hervor und kniff die Augen zu. »Ich finde sie wi-
derlich. Für meinen Geschmack haben sie zu viele Beine.
Ich bleibe hier oben sitzen und warte einfach ab. Geben
Sie mir Bescheid, wenn die Biester weg sind!«
Er saß auf dem Autodach, im Regen, und spürte, wie
ihm das Wasser durch den Hosenboden drang.
Irgend etwas donnerte dumpf. Das Gewitter? Nein, es
handelte sich um ein beständiges, rasch anschwellendes
Geräusch. Motorräder. Der Sergeant wagte es, ein Auge
zu öffnen.
Herr im Himmel!
Leute-aus-der-Badewanne-holen-Wettbewerb übernom-
men, und sie brauchte nur noch zwei Punkte, um den
wöchentlichen Coitus Interruptus-Preis zu gewinnen.
Sie wählte die nächste Nummer auf der Liste.
Nun, es sollte hier erwähnt werden, daß Lisa nur
durch Zufall telefonische Verkäuferin geworden war.
Eigentlich hatte sie sich eine Karriere als internationale
Jet-Setterin vorgestellt, doch leider fehlte ihr die mittlere
Reife.
Wenn sie die Schule ernst genug genommen hätte, um
schließlich internationale Jet-Setterin oder Zahntechni-
kerin (ihre berufliche Alternative) zu werden, anstatt in
diesem besonderen Büro dieser besonderen Arbeit nach-
zugehen ... Nun, dann wäre sie vermutlich in der Lage
gewesen, ein erfüllteres und vor allen Dingen längeres
Leben zu rühren.
Natürlich kein viel längeres - immerhin stand der
Weltuntergang bevor. Die Begünstigung beschränkte
sich auf einige Stunden.
Sie hätte nichts weiter tun müssen, als die Nummer
nicht anzurufen, die sie gerade gewählt hatte. Der An-
schluß befand sich im vornehmen Londoner Stadtteil
Mayfair, und der Computerausdruck entsprach den be-
sten Traditionen unvollständiger, teilweise fehlerhafter
Adressenlisten: Er gab den Namen >Mr. A.J. Cowlley<
an.
Es war bereits zu spät. Lisa hatte gewählt und war-
tete, während es viermal läutete. Dann sagte sie: »Oh,
Mist, schon wieder ein Anrufbeantworter.« Und sie
wollte auflegen.
Es blieb bei der Absicht.
Etwas kroch aus dem Hörer. Etwas sehr Großes und
sehr Zorniges.
Es sah aus wie eine Made. Eine riesige, wütende
Made, die aus Tausenden von kleinen Maden bestand.
Sie wanden sich hin und her. Und sie schrien. Millionen
von winzigen Maden öffneten die winzigen Mäuler, und
jedes Maul gellte »Crowley!«
Dann schwieg das multiple Wesen. Der zuckende Leib
schwang von einer Seite zur anderen, als orientiere sich
das Geschöpf. Unmittelbar darauf teilte es sich.
Das Ding gab Myriaden von Maden frei. Sie krochen
über den Teppich, über die Tische, über Lisa Morrow
und ihre Kollegen. Sie schoben sich in den Mund, in
Nase und Lungen. Sie bohrten sich in menschliches
Fleisch, in Augen und Gehirne. Und während sie fraßen,
legten sie Eier, aus denen schon nach wenigen Sekun-
den neue Maden schlüpften. Sie füllten den ganzen
Raum mit einer feuchtglänzenden, wogenden, stinken-
»Öldluckalalm.«
»Es dauert eine Ewigkeit, um sie zu sortieren«, stöhnte
die junge Frau.
»Das ist gar nicht nötig«, sagte Newt grimmig. »Wähl
einfach irgendeinen aus. Es spielt keine Rolle, für wel-
chen du dich entscheidest.«
»Was soll das heißen?«
»Nun, wenn Agnes recht hat, wenn wir aufgrund
ihrer Prophezeiungen unterwegs sind... Dann muß
jeder Zettel, den du jetzt zur Hand nimmst, wichtig sein.
Das ist logisch.«
»Das ist nicht logisch, sondern völliger Unsinn.«
»Ach, tatsächlich? Du bist hier, weil sie es geweissagt
hat. Übrigens: Hast du dir schon überlegt, mit welchen
Worten wir den Colonel ansprechen sollen? Falls man
uns überhaupt zu ihm läßt, was ich bezweifle.«
»Wenn wir vernünftige Argumente vortragen...«
»Hör mal, ich kenne solche Orte. An den Toren halten
hünenhafte Soldaten Wache, die nicht aus Fleisch und
Blut bestehen wie wir, sondern aus Granit. Und sie tra-
gen weiße Helme und sind mit echten Waffen ausgerü-
stet, die mit echten Kugeln aus echtem Blei schießen.
Solche Projektile hinterlassen ein häßliches Loch in der
Brust und bleiben nicht etwa im Leib stecken, nein, sie
durchdringen ihn ganz, prallen von irgendeiner Wand
ab und kehren zurück, bevor du »Entschuldigen Sie
bitte, wir haben Grund zu der Annahme, daß bald der
Dritte Weltkrieg ausbricht, und es deutet alles darauf-
hin, daß die Show an diesem Ort beginnt< sagen kannst,
und dann gibt es noch die ernsten Männer in dunklen
Anzügen und an bestimmten Stellen ausgebeulten
Jacken, und sie bringen dich in ein fensterloses Zimmer,
und dort fragen sie, ob du Mitglied einer roten subversi-
ven Organisation gewesen bist, wie es zum Beispiel jede
englische Partei ist.«
»Wir sind fast da.«
»Siehst du die Tore und Stacheldrahtzäune und alles?
Bestimmt laufen dort Hunde herum, die Menschen fres-
sen.«
»Ich glaube, du bist ein bißchen nervös«, sagte Ana-
thema ruhig und hob den letzten Zettel auf.
»Nervös? Von wegen! Ich mache mir in aller Ruhe
Sorgen darüber, möglicherweise erschossen zu werden!«
»Agnes hätte so etwas sicher erwähnt. Was persönli-
che Schicksale betrifft, legte sie immer großen Wert auf
prophetische Genauigkeit.« Anathema begann geistes-
abwesend, die Blätter zu mischen.
»Weißt du«, sagte sie, während Papier knisterte, »ir-
gendwo habe ich von einer Sekte gelesen, die Computer
abkühlte.
Das Auto schien mit Rauchglasfenstern ausgestat-
tet zu sein, aber dieser Effekt wurde von dem Rauch im
Innern hervorgerufen. Die Fahrertür öffnete sich und
gab eine dicke Qualmwolke frei. Danach folgte Crow-
ley.
Er wedelte die schwarzen Schwaden beiseite, blinzelte
und winkte freundlich.
»Hallo!« rief er. »Wie läuft's? Hat der Weltuntergang
schon begonnen?«
»Der Wächter will uns nicht passieren lassen, Crowley«,
erwiderte Madame Tracy.
»Bist du's, Erziraphael?« fragte der Dämon. »Hüb-
sches Kleid«, fügte er halbherzig hinzu. Er fühlte sich
nicht sonderlich gut. Während der letzten dreißig Mei-
len hatte er allein mit Gedankenkraft versucht, tausend
Kilogramm brennendes Metall, Gummi und Leder in
ein voll funktionsfähiges Auto zu verwandeln, und der
Bentley leistete seiner Phantasie erheblichen Wider-
stand. Als besonders schwer erwies es sich, den Wagen
in Bewegung zu halten, als die Gürtelreifen wegge-
brannt waren.
Crowley strich die imaginären Reifen aus seiner Vor-
stellung, und daraufhin sank der Bentley mit einem kla-
genden Knirschen auf verrußte Felgen.
Der Dämon klopfte auf die Kühlerhaube, die heiß
genug war, um Eier darauf zu braten.
»Ach, solche Autos werden heute nicht mehr gebaut«,
sagte er liebevoll.
Die anderen starrten ihn an.
Er hörte ein leises elektronisches Klicken.
Das Tor glitt beiseite. Der Elektromotor im nahen
Gehäuse gab ein mechanisches Stöhnen von sich und
kapitulierte dann vor wesentlich stärkeren Kräften.
»He!« entfuhr es Sergeant Deisenburger. »Wer von
euch Typen hat das gemacht?«
Zipp. Zipp. Zipp. Zipp. Und ein kleiner Hund, die
Beine kaum mehr zu erkennen.
Vier Augenpaare (Erziraphael kann hier nicht mitge-
zählt werden) sahen vier energisch in die Pedale treten-
den Kindern nach, die sich unter dem Schlagbaum hin-
durchdrückten und dann im Camp verschwanden.
Der Sergeant riß sich zusammen.
»He!« sagte er etwas leiser. Und: »Hatte eins der Kin-
der einen freundlichen kleinen Alien im Fahrradkorb?«
»Nein, ich glaube nicht«, antwortete Crowley.
»Dann sind sie in echten Schwierigkeiten«, stellte Dei-
senburger fest und hob das Gewehr. Wird Zeit, daß wir
diesen Unfug beenden, dachte er. Ein Stück gelbe Seife
schob sich vor seine inneren Augen. »Und das gilt auch
für euch.«
»Ich farne Schie...«, begann Shadwell.
»Wir haben bereits genug Zeit verloren«, sagte Erzira-
phael. »Crowley, bitte sorg dafür, daß wir nicht noch
länger aufgehalten werden.«
»Hmm?« machte Crowley.
»Ich bin der Gute«, erklärte Erziraphael. »Du kannst
wohl kaum von mir erwarten, daß ich... Ach, zum Teu-
fel damit! Man versucht dauernd, nett zu sein, und was
hat man davon?« Er schnippte mit den Fingern.
Es gab ein Plopp wie von einer jener alten Blitzlicht-
bimen, und Sergeant Thomas A. Deisenburger war ver-
schwunden.
»Äh«, sagte Erziraphael.
»Hascht du das geschehen, Feib?« brummte Shadwell,
der sich noch immer nicht an die duale Persönlichkeit
Madame Tracys gewöhnt hatte. »Meine rechte Hand
ischt eine gefährliche Faffe. Scholange du bei mir bischt,
Isebel, droht dir keine Gefahr.«
»Gut gemacht«, sagte Crowley. »Wußte gar nicht, daß
du dazu fähig bist.«
»Es ist auch für mich eine Überraschung«, erwiderte
der Engel. »Ich hoffe nur, daß er sich jetzt nicht an
irgendeinem schrecklichen Ort befindet.«
»Gewöhn dich daran, daß man sie einfach nur fort-
schickt«, sagte der Dämon. »Über das Wohin sollte man
sich besser keine Gedanken machen.« Er wirkte faszi-
niert. »Willst du mich nicht deinem neuen Körper vor-
stellen?«
»Wie? Oh, ja. Ja, natürlich. Madame Tracy, das ist
Crowley. Crowley, Madame Tracy. Freut mich, Sie kennen-
zulernen.«
Es fällt Ihnen ebenfalls auf, nicht wahr? Genau: Die
verbalen Prioritäten haben sich umgekehrt.
»Gehen wir«, sagte Crowley. Er bedachte die klägli-
chen Reste des Bentley mit einem traurigen Blick, doch
dann hellte sich seine Miene auf. Ein Jeep hielt zielstre-
big auf das Tor zu, und die Leute darin erweckten den
Eindruck, als wollten sie Fragen stellen und schießen,
wobei die Reihenfolge keine Rolle spielte.
Crowley strahlte. Diese Sache fiel in seinen Zustän-
digkeitsbereich.
Er zog die Hände aus den Taschen, hob sie wie Bruce
Lee und lächelte wie Lee van Cleef. »Ah, da kommt ein
Transportmittel für uns!«
Sie stellten die Fahrräder an einem der niedrigen Ge-
bäude ab. Wensleydale verzichtete nicht darauf, sein
Speichenschloß einrasten zu lassen - typisch für ihn.
leisten.
»Was entwickelt hier eine Eigendynamik?« fragte
Anathema.
»Sie haben irgend etwas in Bewegung gesetzt.«
»Vielleicht gibt es hier einen Aus-Schalter«, bemerkte
Newt hilflos. »Ich bin sicher, wenn wir uns umsehen...«
»Unsinn. Es wird alles von Computerprogrammen ge-
steuert. Ich dachte, du wüßtest über solche Dinge Be-
scheid.«
Newt nickte verzweifelt. Diese Sache war etwas ganz
anderes als das, was im Handbuch Elektronik für Anfän-
ger stand.
»Weltweite Kommunikation«, sagte er dumpf. »Sie er-
möglicht fast alles. Von hier aus kann man die Strom-
versorgung manipulieren oder sich mit Satelliten in Ver-
bindung setzen. Ich meine, es ließe sich einfach, äh, alles
bewerkstelligen. Man könnte« Zisch »autsch, ja, man
könnte« Knister »au, den Rest der Welt« Knackknack
»uuh, völlig durcheinander...« Prassel »aah.«
»Kommst du da drinnen voran?«
Newt leckte sich die verbrannten Fingerspitzen. Bis-
her hatte er nichts entdeckt, das auch nur entfernt einem
Transistor ähnelte. Er umwickelte die Hand mit-einem
Taschentuch und zog einige Steckkarten aus ihren An-
schlußleisten.
Ein von ihm abonniertes Elektronik-Magazin hatte
einmal scherzhaft den Plan eines Schaltkreises veröffent-
licht, der garantiert nicht funktionieren sollte. Vielleicht
wollten die Redakteure auch ihren ungeschicktesten
und unbegabtesten Lesern ein Erfolgserlebnis gönnen:
Wenn sie das Ding nachbauten und ohne konkrete Re-
sultate unter Strom setzten, so konnten sie sicher sein,
daß ihnen kein Fehler unterlaufen war. Die Dioden
saßen falsch herum, und bei den Transistoren fehlte der
Plus-Anschluß. Hinzu kam eine entladene Batterie.
Newt hatte es gebaut und damit Radio Moskau empfan-
gen. Er schrieb einen Beschwerdebrief an die Redaktion
der Fachzeitschritt, bekam jedoch nie Antwort.
»Ah, ich bezweifle, ob ich damit etwas erreiche«, sagte
er niedergeschlagen.
»James Bond schraubt einfach irgendwelche Dinge
ab«, entgegnete Anathema.
»Es wird kaum genügen, irgend etwas abzuschrau-
ben«, sagte Newt, dessen Vorrat an Geduld allmählich
zur Neige ging. »Außerdem bin ich nicht« Zisch »James
Bond. Wenn ich« Pfiieh »James Bond wäre, hätten mir
die bösen Jungs ihre Megatod-Hebel gezeigt und erklärt,
wie alles funktioniert.« Whuuuh »Aber die Wirklichkeit
sieht ganz anders aus! Ich habe keine Ahnung, was hier
thema.
»O ja«, brachte Newt bitter hervor, »natürlich. Völlig
klar. Wir sabotieren die Elektronik des zwanzigsten
Jahrhunderts mit einer Handwerksanleitung aus dem
17. Jahrhundert. Was hat Agnes wohl vom Transistor ge-
wußt?«
»Nun, meinem Großvater gelang es im Jahre 1948, die
Weissagung Nummer 3328 richtig zu interpretieren, und
daraufhin entschied er sich zu einigen sehr profitablen
Investitionen«, sagte Anathema. »Agnes hatte natürlich
keine Ahnung, wie das Ding hieß, und ihre Kenntnisse
in bezug auf Elektrizität waren begrenzt, aber...«
»Ich habe nur eine rhetorische Frage gestellt.«
»Außerdem: Es geht doch gar nicht darum, daß die
hiesigen Anlagen funktionieren. Du brauchst nur dafür
zu sorgen, daß sie ihre Arbeit einstellen. Dazu sind
keine Fachkenntnisse erforderlich. Unwissenheit genügt
völlig.«
Newt stöhnte.
»Nun gut«, seufzte er, »versuchen wir's. Wähl eine
Prophezeiung.«
Anathema zog einen Zettel aus dem Karteikasten.
>»Er isset nicht das, was er behauptigt<«, las sie.
»Nummer 1002. Klingt nicht sehr kompliziert. Was mag
das bedeuten?«
Newt verzog das Gesicht. »Nun, äh... Dies ist wohl
kaum der richtige Zeitpunkt, aber da wir schon einmal
dabei sind, äh...« Er schluckte. »Eigentlich kann ich mit
elektronischen Dingen nicht besonders gut umgehen.
Ich stoße dabei immer wieder auf gewisse, äh, Schwie-
rigkeiten.«
»Wenn ich mich recht entsinne, hast du dich mir als
Computertechniker vorgestellt.«
»Ah. Da habe ich ein wenig übertrieben. Ich meine, es
ist eine übertriebene Übertreibung, wenn du verstehst,
was ich meine. Äh.« Newt schloß die Augen. »Man
könnte sogar so weit gehen und sagen, daß die Wahrheit
nur gestreift wird.«
»Es war also eine Lüge?« vergewisserte sich Ana-
thema.
»Nun, so weit würde ich nicht gehen. Allerdings, äh,
bin ich kein Computertechniker. Zumindest nicht im
eigentlichen Sinne. Äh. Ich arbeite nur selten mit Com-
putern. Fast nie. Äh. Das Gegenteil ist der Fall.«
»Das Gegenteil?«
»Wenn du's unbedingt wissen willst: Immer wenn ich
versuche, elektronische Geräte zum Laufen zu bringen,
passiert genau das Gegenteil.«
Anathema lächelte strahlend und breitete triumphie-
rend die Arme aus. In dieser Haltung wirkte sie wie die
Assistentin eines Zauberkünstlers, die hinter dem Vor-
hang hervortritt, obgleich das Publikum ihren Leichnam
in einem mit Schwertern gespickten Kasten erwartet.
»Tra-la«, sagte sie.
»Bitte?«
»Ich schlage vor, du beginnst gleich mit der Repara-
tur.«
»Wie?«
»Sorg dafür, daß die hiesigen Computer wieder rich-
tig funktionieren.«
»Ach, komm schon«, sagte Newt, »das klappt nie!« Er
stützte sich auf die nächste Konsole.
Ein Geräusch, das er bisher überhaupt nicht wahrge-
nommen hatte, verklang plötzlich, und das Summen
eines fernen Generators wurde leiser. Einige Kon-
trollampen auf dem Pult flackerten, und die meisten von
ihnen erloschen.
Was im Rest der Welt geschah? Schalter, die sich bis-
her nicht von der Stelle gerührt hatten, konnten wieder
bewegt werden. Strom floß durch Kabel und dünne
Drähte. Diverse Computer gaben es auf, den Dritten
Weltkrieg zu planen, werteten statt dessen von Satelliten
übermittelte Meßdaten aus und erstellten falsche Wet-
terprognosen. In Bunkern unter der sowjetischen Tun-
dra stellten nervöse Uniformierte fest, daß sich die
durchgebrannten Sicherungen endlich aus ihren Halte-
rungen lösen ließen. In Bunkern unter dem Boden von
Wyoming und Nebraska hörten andere Uniformierte
auf, sich gegenseitig anzuschreien und mit ihren Waffen
zu hantieren. Vermutlich hätten sie jetzt ein Bier getrun-
ken, wenn Alkohol in Raketenbasen erlaubt gewesen
wäre. Das war natürlich nicht der Fall, aber ungeachtet
dessen hatten sie trotzdem welchen.
Die Lichter gingen wieder an.
Die Zivilisation rutschte nicht mehr ins Chaos und be-
gann damit, Briefe an Zeitungen zu schreiben, in denen
beklagt wurde, wie hysterisch die Leute heutzutage auf
Kleinigkeiten reagierten.
In Tadfield strahlten die elektronischen Geräte kein
Unheil mehr aus. Irgend etwas in ihnen fehlte - abgese-
hen von der Elektrizität.
»Donnerwetter!« stieß Newt beeindruckt hervor.
»Wer sagt's denn?« erwiderte Anathema. »Du hast die
Apparate vollkommen in Ordnung gebracht. Auf Agnes
Spinner ist eben Verlaß. So, und jetzt laß uns gehen.«
»Er hat sich geweigert, den Weltuntergang einzuleiten!«
platzte es aus Erziraphael heraus. »Eine ziemliche Über-
raschung für dich, nicht wahr, Crowley? Wenn man sich
nen Fische und Wale und Bäume und Schafe und so.
Und es gibt nicht einen triftigen Grund dafür. Es soll
sich nur herausstellen, wer die bessere Bande hat. Es ist
wie mit uns und den Johnsoniten. Selbst wenn man ge-
winnt - man kann keinen vollständigen Sieg über die
andere Seite erringen, weil man es eigentlich überhaupt
nicht will. Ich meine. Sie brauchen sich gegenseitig.
Woraus folgt: Bestimmt lassen Sie sich beim Letzten Ge-
fecht eine Hintertür offen, und nach Der Schlacht begin-
nen Sie noch mal von vom.« Er deutete auf Crowley
und Erziraphael. »Sie schicken solche Leute, um sich in
die Angelegenheiten der Menschen einzumischen. Aber
die Menschen haben es schon schwer genug, Menschen
zu sein. Sie können auf jemanden verzichten, der ihnen
dauernd dazwischenfunkt.«
Crowley wandte sich an den Engel.
»Johnsoniten?« raunte er.
Erziraphael hob die Schultern. »Eine frühe Sekte,
glaube ich«, sagte er. »Gnostiker oder so was. Wie die
Ophiten.« Er runzelte die Stirn. »Oder vielleicht die
Sethiter? Nein, ich meine die Kollyridianer. Lieber Him-
mel! Damals gab es Hunderte von Gruppen und Grüpp-
chen. Da kann man schnell die Übersicht verlieren.«
»Die Leute mischen sich immer wieder ein«, mur-
melte Crowley.
»Das ist völlig nebensächlich!« entgegnete Metatron
scharf. »Mit der Schöpfung der Erde, des Guten und des
Bösen sollte...«
»Ich verstehe nicht, warum man erst Menschen er-
schafft und dann wütend wird, weil sie sich wie Men-
schen benehmen«, sagte Adam ernst. »Außerdem: Wenn
Sie endlich damit aufhören würden, den Leuten zu ver-
sprechen, nach ihrem Tod käme alles in Ordnung - viel-
leicht wären sie dann bereit, ihre Probleme noch im
Diesseits zu lösen. Wenn es nach mir ginge, würde ich
die Menschen viel länger leben lassen, mindestens so
lange wie den alten Methusalem. Dann hätten sie Zeit
genug, um zu sehen, was sie mit ihrer Umwelt und der
Natur anrichten. Sie könnten mit eigenen Augen sehen,
welche Folgen sich in hundert Jahren zeigen.«
»Ah«, machte Beelzebub und lächelte sogar, »du
möchtezt über die Welt herrschen. Damit kommzt du
mehr nach deinem Va...«
»Ich habe gründlich darüber nachgedacht. Eigentlich
liegt mir gar nichts daran, die Welt nach meinem Willen
zu formen.« Adam drehte sich halb um und nickte den
Sie zu. »Ich meine, es gibt viele Dinge, die man verän-
dern sollte. Aber wenn ich mich auf so etwas einlasse...
Dann müßte ich damit rechnen, dauernd von Leuten Be-
Ein langer Tag lag hinter ihm. Adam war müde. Die
Rettung der Welt erschöpfte einen elfjährigen Jungen.
Crowley ließ den Kopf hängen.
»Für ein paar Sekunden dachte ich, uns bliebe noch
eine Chance«, stöhnte er. »Es ist ihm gelungen, Beelze-
bub und Metatron betroffen zu machen. Nun, es war
nett die ganzen Jahre ...«
Er merkte gar nicht, daß Erziraphael aufstand.
»Entschuldigung«, sagte der Engel.
Adam und die Repräsentanten von Himmel und
Hölle sahen ihn an.
»Der Große Plan...«, begann Erziraphael. »Ich ver-
mute, es handelt sich um einen unerfindlichen Plan, nicht
wahr?«
Metatron überlegte.
»Es ist der Große Plan. Du kennst ihn. Er sieht eine
Welt vor, die sechstausend Jahre lang Zeit hat, sich zu
entwickeln. Anschließend...«
»Ja, ja, ich weiß«, sagte Erziraphael. Seine Stimme
klang höflich und respektvoll, aber gleichzeitig wirkte er
wie jemand, der bei einer politischen Versammlung eine
höchst unangenehme Frage gestellt hatte und darauf be-
stand, daß sie jemand beantwortete. »Ich möchte nur
wissen, ob er auch unerfindlich ist. Ich möchte nur Klar-
heit über diesen Punkt haben.«
»Es spielt doch keine Rolle«, gab Metatron zurück
und winkte ab. »Ich schätze, es läuft aufs gleiche hin-
aus.«
Ich schätze, fuhr es Crowley durch den Kopf. Sie wis-
sen es nicht einmal genau.
Er grinste wie ein Idiot.
»Also seid ihr auch da nicht hundertprozentig si-
cher?« fragte er.
»Es steht uns nicht zu, den unerfindlichen Plan zu
verstehen«, sagte die Stimme Gottes. »Nun, der Große
Plan...«
»Der Große Plan kann nur ein kleiner Teil der wesent-
lich größeren Unerfindlichkeit sein«, verkündete Erzira-
phael. »Mit anderen Worten: Wenn man die Sache aus
dem Blickwinkel der Unerfindlichkeit sieht, so steht kei-
neswegs fest, daß die gegenwärtigen Ereignisse nicht
richtig sind.«
»Ez steht geschrieben!« donnerte Beelzebub.
»Aber woanders könnte etwas ganz anderes stehen«,
warf Crowley ein. »Wo du es nicht lesen kannst.«
»In Blockbuchstaben«, sagte Erziraphael.
»Unterstrichen«, fügte Crowley hinzu.
»Und fettgedruckt«, schlug der Engel vor.
»Vielleicht ist dies nicht nur eine Probe für die Welt«,
Aber sie meinte etwas anderes, das sich nur mit lau-
tem, hingebungsvoll-hysterischem Schreien angemessen
zum Ausdruck bringen läßt. Nun, das menschliche Ge-
hirn kann selbst schwere Schocks erstaunlich gut verar-
beiten, und die eher banale Bemerkung >Zwei seltsame
Männer< war integraler Bestandteil des raschen Hei-
lungsprozesses. Innerhalb einer halben Stunde mochte
es Madame Tracy gelingen, sich davon zu überzeugen,
daß sie ein Glas Wein zuviel getrunken hatte.
»Jetzt ist alles vorbei, oder?« fragte Erziraphael.
Crowley hob die Schultern. »Nicht für uns, fürchte
ich.«
»Ich glaube. Sie brauchen sich keine Sorgen zu ma-
chen«, sagte Adam schelmisch. »Ich weiß inzwischen
Bescheid und bin sicher, daß Sie irgendwie zurechtkom-
men.«
Er musterte die übrigen Sie. Pepper, Wensleydale und
Brian versuchten, seinem Blick standzuhalten. Adam
überlegte einige Sekunden lang. »In der letzten Zeit ging
es recht hoch her, und viele Leute haben versucht, auf
vieles Einfluß zu nehmen. Ich glaube, alle wären viel
besser dran, wenn die jüngsten Ereignisse schlicht und
einfach in Vergessenheit geraten würden. Das heißt, es
genügt, wenn sich bestimmte Personen nicht mehr genau
erinnern. Und dann kehren wir nach Hause zurück.«
»Willst du es wirklich dabei bewenden lassen?« fragte
Anathema verblüfft und trat vor. »Denk nur an all das
Gute, das du bewirken kannst.«
»Was denn, zum Beispiel?« erkundigte sich Adam
argwöhnisch.
»Nun, äh... Wie war's, wenn du die Meere wieder
mit Walen bevölkerst?«
Adam neigte den Kopf zur Seite. »Würde das die Wal-
fänger daran hindern, in See zu stechen?«
Die junge Frau zögerte. Sie hätte zu gern mit einem
klaren Ja geantwortet.
»Und wenn die Menschen wieder damit beginnen,
Wale zu jagen und zu töten - was soll ich dann ma-
chen?« fragte Adam. »Nein. Mir ist jetzt klargeworden,
worauf so etwas hinausläuft. Wenn man damit anfängt,
bestimmte Dinge zu beeinflussen, setzt man eine unauf-
haltsame Kettenreaktion in Gang. Aber wenn irgend-
welche Leute einen Wal töten, dann sollte ihnen klar
sein, daß sich daraus ein toter Wal ergibt.«
»Eine sehr verantwortungsbewußte Einstellung«, lob-
te Newt.
Adam wölbte eine Braue.
»Es ist nichts als gesunder Menschenverstand«, erwi-
derte er.
gefangene Fliegen.
Der Dämon drehte den Kopf und sah ins entsetzte Ge-
sicht des Engels.
»Aber es ist vorbei«, sagte er. »Es kann jetzt nicht ge-
schehen. Der... der richtige Zeitpunkt oder so ist ver-
strichen. Wir haben alles überstanden!«
Der Asphalt erzitterte, und die akustische Unterma-
lung ... Es klang nach einer U-Bahn, aber sie fuhr nicht
etwa durch einen horizontalen unterirdischen Tunnel,
sondern durch einen vertikalen. Sie kam nach oben.
Crowley rang mit dem Schaltknüppel.
»Das ist nicht Beelzebub, sondern Er/« rief er, um das
Heulen plötzlicher Böen zu übertönen. »Der Vater des
Jungen. Ein ganz persönliches Armageddon bahnt sich
an. Beweg dich endlich, du blödes Ding!«
Der Boden unter Anathema und Newt bebte, raubte
ihnen das Gleichgewicht.
Gelber Rauch drang aus Rissen.
»Wie ein Vulkan!« platzte es aus Newt heraus. »Was
hat das zu bedeuten?«
»Irgend etwas kommt«, sagte Anathema. »Und was
auch immer es ist - es scheint sehr zornig zu sein.«
Im Jeep fluchte Crowley. Erziraphael legte ihm die
Hand auf die Schulter.
»Hier befinden sich Menschen«, sagte er.
»Ja, und ich bin ebenfalls hier«, stöhnte der Dämon.
»Ich meine, wir sollten nicht zulassen, daß unsere Be-
gleiter in Gefahr geraten.«
»Nun, was ...«, begann Crowley und unterbrach sich.
»Ich meine, wenn man genau darüber nachdenkt...
Wir haben die Menschen oft genug in Schwierigkeiten
gebracht. Du und ich. Im Laufe der Jahre. Mit verschie-
denen Dingen. Du weißt schon.«
»Wir haben nur unseren Job getan«, erwiderte Crow-
ley.
»Mag sein. Viele Leute haben in der Vergangenheit
nur ihren Job getan und sieh dir an, zu welchen Schwie-
rigkeiten das geführt hat.«
»Spielst du wirklich mit dem Gedanken, dich Ihm ent-
gegenzustellen?«
»Was haben wir schon zu verlieren?«
Crowley wollte widersprechen, sah dann aber ein,
daß es keinen Zweck hatte. Es gab für ihn nichts zu ver-
lieren, was er nicht schon längst verloren hatte. Sie
konnten ihm nichts Schlimmeres mehr antun, als was sie
ihm schon angetan hatten. Jetzt fühlte er sich frei.
Er seufzte, griff unter den Fahrersitz und holte einen
Wagenheber hervor. Eine improvisierte Waffe, die ihm
kaum etwas nützte. Nun, wirkungsvollere Waffen wä-
gemacht hatte, jederzeit eine kleine Reisetasche bei sich zu führen, die
folgende Dinge enthielt: »einen Laib Brot, einen Topf mit erlesener
Kirschmarmelade, ein Messer, eine Gabel, einen kleinen Löffel (fürs
Umrühren), zwei frische Eier (sorgfältig in ungesponnener Wolle ver-
packt), eine Tomate bzw. einen Liebesapfel, eine kleine Bratpfanne,
einen kleinen Kochtopf, einen Spirituskocher, eine Wärmepfanne, eine
kleine Dose mit gesalzener italienischer Butter, zwei Teller aus dün-
nem Porzellan. Hinzu kommt ein wenig Honig, als Süßstoff für Kaffee
und für meinen Atem. Ich möchte meine Leser auf folgendes hinwei-
sen: Ein wahrer Signore sollte immer wie ein Signore frühstücken, ganz
gleich, wo er sich befindet.«
Unterschied machen. Sie verwandeln das erschöpfendste
Nachschlagewerk in ein Grillbrikett.
Newt fragte sich, auf welche Weise Anathema ihr Buch
zurückbekommen hatte. Er runzelte die Stirn und ent-
sann sich eines Mannes, der nach Qualm roch und selbst
in finsterster Nacht eine dunkle Sonnenbrille trug. Hinzu
kamen: jede Menge Aufregung, Kinder auf Fahrrädern,
ein unangenehmes Summen, ein kleines schmutziges Ge-
sicht mit zwei durchdringend starrenden Augen... Vage
Eindrücke, die ebenso vage Schatten in Newts Gedächt-
nis warfen, ohne jemals feste Form zu gewinnen - Erin-
nerungen an Ereignisse, die gar nicht stattgefunden hat-
ten.* Wie war so etwas möglich?
Er starrte an die Wand, bis ihn ein Klopfen an der Tür
in die Wirklichkeit zurückbrachte.
Ein kleiner würdevoller Mann stand auf der Schwelle.
Er trug einen schwarzen Regenmantel, hielt einen Kar-
ton und begrüßte Newt mit einem gut einstudierten Lä-
cheln.
»Mister ...«Er sah auf einen Zettel. »Mister Loiterer.«
»Läuterer«, sagte Newt automatisch. »Mit einem >ä<
wie in Ah.«
»Entschuldigen Sie bitte«, erwiderte der Mann. »Ich
habe den Namen nur einmal geschrieben gesehen. Nun,
mir scheint, dies ist für Sie und Mrs. Läuterer.«
* Hinzu kam die Sache mit Dick Turpin. Der Wasabi sah genauso aus
wie vorher, aber er schien plötzlich in der Lage zu sein, mit nur einem
Liter Benzin fast zweihundert Kilometer zurückzulegen. Das Auto war
so leise, daß man die Hand ans Auspuffrohr halten mußte, um restzu-
stellen, ob der Motor lief. Außerdem erklangen die elektronischen
Warnungen nun in exquisiten und perfekt formulierten Versen:
Später Frost läßt erstarren die Blüte.
Sollte sich der Narr nicht mit
Dem Sicherheitsgurt schützen?
Oder:
Des Kirschbaums Frucht
tagabends.
Mit der Hexensucherei ist soweit alles in Ordnung, be-
sagte das Flüstern. Es gefällt mir, Hexensucher zu sein. Es
ist nur... Nun, manchmal wünscht man sich ein wenig Ab-
wechslung. Zum Beispiel: Heute breche ich auf und suche
Hexen, aber morgen verstecke ich mich, und dann sollen die
Hexen mit der Suche nach mir beginnen...
Zum zweiten Mal innerhalb von vierundzwanzig
Stunden - zum zweiten Mal in seinem Leben - betrat
Shadwell Madame Tracys Räumlichkeiten.
»Setzen Sie sich«, sagte sie und deutete auf einen Ses-
sel. Ein Schonbezug bedeckte die Kopflehne, und auf
der Sitzfläche lag ein weiches Kissen. Hinzu kam ein
kleiner Schemel, für die Füße.
Shadwell nahm Platz.
Madame Tracy stellte ihm ein Tablett auf den Schoß,
sah ihm beim Essen zu und trug anschließend die Teller
fort. Dann öffnete sie eine Flasche Guinness, füllte ein
Glas, reichte es Shadwell und trank Tee, während ihr
Gast sein Bier schlürfte. Kurz darauf klirrte ihre Tasse
auf dem Unterteller.
»Ich habe eine Menge auf die hohe Kante gelegt«,
sagte Madame Tracy nach einer Weile. Es klang wie
beiläufig. »Und, wissen Sie, manchmal stelle ich es mir
schön vor, einen kleinen Bungalow auf dem Land zu
haben, London einfach zu verlassen. Ich würde ihn
Hier-wohne-ich oder Rhododendronplatz nennen, oder
vielleicht auch...«
»Shangri-La«, warf Shadwell ein und fragte sich ver-
wundert, was dieses Wort bedeutete.
»Genau, Mister S, Shangri-La. Klingt doch wunder-
voll, nicht wahr?« Madame Tracy lächelte gewinnend.
»Haben Sie es bequem?«
Entsetzen keimte in Shadwell, als er feststellte, daß er
es tatsächlich bequem hatte. Er fühlte sich geradezu un-
heimlich wohl. »Jo«, erwiderte er und entspannte sich
gegen seinen Willen.
Madame Tracy öffnete eine zweite Flasche Guinness
und stellte sie auf den kleinen Tisch.
»Es gibt nur ein Problem mit einem hübschen Häus-
chen im Grünen namens... Wie lautete Ihr ausgezeich-
neter Vorschlag, Mister S?«
»Ah, Shangri-La.«
»Ja. Shangri-La. Wirklich nicht übel. Nun, das Pro-
blem besteht darin, daß selbst ein kleines Häuschen im
Grünen für eine Person zu groß wäre, meinen Sie nicht
auch? Äh, es heißt, zwei Personen könnten fast ebenso
billig leben wie eine...«
(Oder wie fünfhundertachtzehn, dachte Shadwell und er-
zu präsentieren.
Nein. Unmöglich.
Adam schüttelte den Kopf. »Ich kann euch nicht be-
gleiten«, sagte er. »Meine Eltern haben's verboten. Ich
muß hierbleiben.«
Kurze Stille folgte.
»Äh«, begann Pepper unsicher. »Was ist gestern
abend eigentlich geschehen?«
Adam zuckte mit den Schultern. »Irgendwas. Spielt
keine Rolle.« Er seufzte. »Die übliche Sache. Man ver-
sucht zu helfen, aber die Erwachsenen glauben sofort,
man hätte jemanden ermordet oder so.«
Wieder schloß sich Stille an, und die Sie musterten
ihren deprimierten Anführer.
»Wann darfst du wieder raus?« fragte Pepper schließ-
lich. »Richtig raus, meine ich.«
»Ach, bis dahin vergehen Jahre. Jahre und Jahre und
fahre. Wahrscheinlich bin ich längst ein alter Mann,
wenn man mich wieder rausläßt.«
»Wie wär's mit morgen?« warf Wensleydale ein.
Adams Miene erhellte sich. »Oh, morgen können wir
wieder los«, sagte er. »Bis morgen haben meine Eltern
alles vergessen. Das ist immer so.« Er sah zu seinen
Freunden auf - ein kleiner Napoleon mit zerzaustem
Haar und losen Schnürsenkeln, verbannt auf ein Rosen-
stock-Elba. »Geht nur.« Adam lachte kurz. »Macht euch
keine Sorgen um mich. Mit mir ist alles in Ordnung. Wu-
schen uns morgen.«
Die Sie zögerten. Loyalität war eine großartige Sache,
aber man durfte keine Bandenmitglieder zwingen, zwi-
schen ihrem Anführer und einem Zirkus mit Elefan-
ten zu wählen. Pepper, Brian und Wensleydale radelten
davon.
Die Sonne schien auch weiterhin. Die Drossel sang
noch immer. Hund wandte sich von seinem Herrchen ab
und jagte einen Schmetterling an der Hecke. Es handelte
sich um eine hohe, dichte, breite und bestens gepflegte
Hecke, die Adam gut kannte. Hinter ihr gab es: weite
Felder, herrlich schlammige Gräben, unreifes Obst, zor-
nige (aber langsame) Eigentümer von Obstbäumen, Zir-
kusse, Bäche, die nur darauf warteten, gestaut zu wer-
den, zum Klettern einladende Mauern ...
Aber die Hecke stellte ein unüberwindliches Hinder-
nis dar. Sie trennte Adam vom Rest der Welt.
Der Junge runzelte nachdenklich die Stirn.
»Hund«, sagte er streng, »bleib von der Hecke weg!
Wenn du hindurchschlüpfst, muß ich dir folgen, um
dich zurückzubringen. In dem Fall habe ich gar keine
andere Wahl, als den Garten zu verlassen, und das ist