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LUX-LESEBOGEN
NATUR- UND KULTURKUNDLICHE HEFTE
FRITZ KAHN
V E R L A G S E B A S T I A N LUX
M U R N A U • M Ü N C H E N •' I N N S B R U C K . B A S E L
Stecknadelköpfe und Haselnußkerne . ..
Durch die schweigende Nacht des Weltraums zieht, durch unvor-
stellbare Weiten von den nächsten Gestirnen getrennt, im Wirbel
der • Milchstraßenbewegung die Sonne. Um die im Raum dahin-
jagende Sonne kreisen Kügelchen, die von der Muttersonne Licht
und Wärme erhalten und von ihr geführt werden: die Planeten.
In einer erstaunlichen Ordnung, in einem von klaren Gesetzen fest-
gefügten System vollzieht sich das Miteinander von Sonnenkörper
und Planetenbahnen.
Von den Massen und Maßen des Planetensystems machen wir
uns fast alle falsche Vorstellungen. Der Mensch kann diese über-
menschlichen Abmessungen nur schwer begreifen.
Die Massen: Alle Planeten und Monde zusammen wiegen nur ein
Ein- bis Zwei tausendstel der Sonne. Um sich vorzustellen, was das
heißt, nehme man ein Kilogewicht in die linke und ein Grammge-
wicht in die rechte Hand. Raubte man der Sonne ihre „Kinder",
so würde sie den Verlust gar nicht merken. Ein Zuck, wie wir
ihn spüren, wenn ein Knopf uns abplatzt.
Die Maße: Die im Vergleich zur Sonne so winzigen Planeten
sind über eine Weite verteilt, die aller Begriffe spottet. Nehmen
wir an, die Sonne besäße die Größe eines Balles, wie wir ihn zu
Wasserspielen oder als Medizinball bei gymnastischen Übungen
benutzen. Um diesen Ball ordnen wir die Planeten an. Wir gehen
vier Schritte weit und stecken eine gewöhnliche Stecknadel in den
Boden; ihr Kopf ist der Merkur. Dann gehen wir noch einmal vier
Schritte und bringen eine Stecknadel mit einem kleinen bunten
Glaskopf an als Venus; nochmals vier Schritte, und wir stecken
eine zweite ebenso große Nadel in den Boden — das ist die Erde.
Der Vergleich fällt wohl noch sehr zugunsten der Erde aus, denn
es sollen ungefähr eine Million Erdkugeln in den Sonnenball hin-
einpassen. In zehn Meter Abstand stecken wir eine Nadel mit einem
nur halb so großen Kopf in den Boden als Mars, und damit haben
wir die vier sonnennächsten Planeten, die man auch wegen ihrer
Ähnlichkeit mit der Erde Erd-Planeten nennt, in den rechten Ab-
stand gerückt.
Für den zweiten, entfernteren Teil des Planetensystems, für die
Sonnenfernen Planeten, müssen wir erheblich größere Körper und
Maße benutzen. Eine Haselnuß in dreißig Meter Abstand ist Ju-
piter; eine etwas kleinere doppelt so weit ist Uranus, und eine
ebensolche über zweihundert Meter weit Neptun. Nochmals hun-
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d«rt Meter weiter, und wir sind bei Pluto angelangt, dem gegen-
wärtig äußersten Planeten — wer könnte sich ein System von sol-
cher Winzigkeit der Massen, solcher Weite der Abstände, solch
trostloser Leere vorstellen? Wie wahrhaft — himmelweit — ver-
schieden von den Bildern, die wir in den Büchern finden. Das Pla-
netensystem — auch Sonnensystem genannt — läßt sich gar nicht
in den Rahmen eines Bildes zwängen. Druckt man den kleinsten
Planeten Merkur als einen Punkt, so wird das Bild des ganzen
Systems sechzig Meter breit. Wenn wir trotzdem auf der kleinen
Zeichnung Seite 5 eine bildhafte Darstellung geben, so zeigt sie
nur die Bahnen im richtigen Verhältnis ihrer Abstände, nicht die
Verhältnisse der Kugelgrößcn, die hier alle, ob Jupiter oder Ve-
nus, nur als Punkte erscheinen. Wir betrachten diese Abbildung
genauer, denn sie zeigt uns besonders anschaulich, wie sich das
Planetensystem aus zwei grundsätzlich verschiedenen Teilen zu-
sammensetzt, den vier um die Sonne gedrängten Erd-Planeten und
den vier „ d r a u ß e n " weit auseinanderstehenden großen Planeten.
Noch weiter draußen gibt es wohl noch mehrere kleinere Körper,
von denen einer 1930 entdeckt und Pluto genannt wurde, während
nach den anderen gesucht wird, wahrscheinlich umsonst, weil eie
zu fern sind und von der Sonne zu schwach beleuchtet werden,
um Bildpunkte zu liefern.
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Die beiden Gruppen sind durch einen breiten Gürtel geschieden.
' Ganz leer ist er nicht, in ihm treiben sich fliegende Felsen herum,
die Planetoiden, von denen wir noch berichten werden.
Wenn man von dem Verhältnis der Großen und Kleinen und der
Weite der Abstände vernimmt, ist man doppelt erstaunt zu hören:
Die Planeten sind nach einem schönen Gesetz um die Sonne grup-
piert. Man schreibe die Zahl 1 hin und verdoppele sie, und dann
verdoppele man jede der nächsten so erhaltenen Zahlen:
Man erhält, mit Null angefangen: 0 1 2 4 8 16 32 64 128
Man multipliziere mit 3 und
man erhält: 0 3 6 12 24 48 96 192 384
Man addiere 4 und man erhält: 4 7 10 16 28 52 100 196 388
Vergleichen wir mit dieser Reihe
die auf Seite 4 angegebenen
mittleren Abstände der Plane-
ten, so ergibt sich eine über-
raschende Ähnlichkeit 4 7 10 15 - 50 100 200 400
Die Lücke in der Mitte ist das Feld der Planetoiden. In den letz-
ten Zahlen ist der Neptun nicht enthalten, der eine Ausnahme bildet.
Diese 1766 von dem Wittenberger Professor Titius entdeckte
und sechs Jahre später von dem Hamburger Sternwartendirektor
Bode veröffentlichte Regel ist vermutlich kein Zufall. Das wäre
ja, als wenn man jemandem einreden wollte, ein Kakadu im Bri-
tischen Museum in London sei aus Afrika dahergeflogen, durch
das Fenster des Museums geschlüpft und habe sich in der Abteilung
„Tropenvögel" über das Schildchen „ K a k a d u " gesetzt. Hier ist
ein mathematisches Gesetz verkörpert. Aber bis heute kann noch
niemand erklären, warum die Planeten gerade diese Abstände von-
einander haben und warum Neptun sich nicht einfügen will.
Die Planeten umlaufen die Sonne alle ungefähr in einer Ebene,
so wie die nebeneinander stehenden Figuren auf einem großen
Karussell. Man nennt die Ebene, in der sie sich bewegen, die „Ver-
finsterungslinie": Ekliptik; denn Finsternisse, Verschattungen, tre-
ten ein, wenn Sonne, Mond und Erde exakt in dieser Ebene und
gleichzeitig in einer Geraden hintereinander stehen.
der Sonne entfernt sind als die Erde, werden als „ ä u ß e r e " Plane-
ten bezeichnet. Da Merkur und Venus in engen Kreisen um die
Sonne laufen, können sie niemals fern von ihr gesehen werden,
also etwa hoch am Nachthimmel; sie laufen — von der Erde aus
betrachtet — immer mit der Sonne, bald etwas vor, bald etwas hin-
ter ihr. Laufen sie hinter ihr, so gehen sie etwas später unter und
stehen dann als „Abendstern" am Westhimmel. Laufen sie vor
ihr, so erscheinen sie vor Sonnenaufgang als „Morgensterne" im
Osten. Große Teile des Jahres sind sie überhaupt nicht zu sehen,
weil sie der Sonne so nahe sind, daß sie in ihren Strahlen ver-
schwinden. Zuweilen gehen sie vor der Sonnenscheibe her, Ereig-
nisse, die als „Venus-Durchgang" oder „Merkur-Durchgang" in
der Geschichte der Astronomie eine große Rolle gespielt haben;
denn während der Durchgänge konnte man himmelskundliche Mes-
sungen ausführen, um die Größe und Entfernung der Sonne und
der Planeten zu bestimmen.
Wie der Mond wenden Merkur und Venus je nach ihrer ßtel-
lung uns ihre beleuchtete oder beschattete Fläche zu, erscheinen ver-
schieden hell und zeichnen sich als Sicheln, Halbkreise, Dreivier-
telkreise im Fernrohr ab. Merkur wird günstigsten Falles so hell
wie der Sirius — wegen der Sonnennähe ist er trotzdem nur schwer
zu beobachten; Venus ist noch zehnmal heller, so daß sie manch-
mal sogar auf der Erde Schatten wirft. Merkt man sich in Zeiten
großer Helle ihre Stellung, so kann man sie auch bei Tag verfol-
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gen, was eine schöne Unterhaltung ist, denn sie glänzt gegen den
Tageshimmel so hart wie ein GoldLsplitter in blauem Email.
Im Verhältnis zu unseren sonstigen Kenntnissen der Natur wis-
sen wir erstaunlich wenig von den Planeten. Die Epoche der Pla-
netenforschung liegt noch vor uns. Sie wird vielleicht der Triumph
der Raketenzeit sein.
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soll, ist so gleißend und widerspiegelnd wie frisch gefallener Schnee,
und das macht die Venus so überaus strahlend. Obwohl die Venus
von ihrer Atmosphäre dicht verhüllt ist und Einzelheiten des Pla-
netenkerns nicht auszumachen sind, glaubt man doch, einiges er-
schließen zu können. So hat man errechnet, daß die mittlere Dichte
der Venus etwa der mittleren Dichte der Erde entspricht, das. be-
deutet, daß sie ungefähr aus den gleichen Bausteinen aufgebaut
sein muß wie der Erdball: doch ist der Unterschied der Dichte und
damit der Anziehungskraft immer noch so groß, daß ein ausge-
wachsener Mann, der auf der Erde ein Gewicht von 150 Pfund hat,
auf der Venus nur noch 132 Pfund wiegen würde. Da der Vor-
hang von der Venusoberfläche nicht weggezogen werden kann,
weiß man bis heute jedoch noch nicht, wo sich der Nord- und Süd-
pol befindet, wie also die Venusachse gelagert ist; deshalb ist es
auch schwer, die Umdrehung des Planeten um seine Achse zu er-
rechnen. Einige meinen, daß die Venus ungefähr ebenso schnell um
sich selber rotiere wie die Erde, nämlich in 24 Stunden, andere
vermuten, daß die Venus eine viel, viel langsamere Drehung voll-
zieht und dazu 224 Tage brauche, die gleiche Zeit, die sie zum
Umlaut um die Sonne benötige. Auch für das Aussehen und den
Zustand der Venusoberfläche gibt es die widersprechendsten Ver-
mutungen: Die einen sagen, daß alles von triefender Nässe über-
zogen sei, so wie man sich den Zustand der Erde vor etwa 250
Millionen Jahren vorstellt, andere behaupten, daß es gar keine
Feuchtigkeit gebe, sondern daß alles eine trockene, überhitzte
Staubwüste sei. Einen Venus-Mond hat noch niemand entdecken
können; doch gibt es einige Astronomen, die annehmen, daß ein
Möndchen vorhanden sei, das aber wegen der Uberhelle der Sonne
nicht zum Vorschein komme.
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Einfluß der Anziehungskraft die Ecken zurück. Aber die Erde ist
keine exakte Kugel, sondern am Äquator etwas ausgebaucht. Man
befindet sich am Äqutor um 22 km weiter vom Erdmittelpunkt
entfernt als an den Polen. Das ist so wenig, daß selbst ein Billard-
spieler an einer der Erde nachgebildeten Billardkugel nichts aus-
zusetzen hätte.
Es gibt noch eine zweite Verformung des Erdballs. Jener Durch-
messer, der auf den Stern Capeila weist, ist um 32 m verkürzt.
Steht der Fuhrmann uns zu Häupten, befinden wir uns dem Zen-
trum der Erde um 16 m näher als sechs Stunden zuvor. Man nimmt
an, daß es sich um eine Verkürzung handelt, die durch eine uns
noch unbekannte Bewegung des Milchstraßensystems im Weltraum
bewirkt wird.
Eine dritte Verformung ergibt sich durch „Ebbe und Flut".
Sonne und Mond ziehen die Erde an. Die Ozeane türmen sich zu
sichtbarem Hochstand auf, und zwei Wasserfluten rollen ununter-
brochen um den Erdball. Aber auch die „feste" Erdkugel folgt die-
sem Zug; es läuft täglich zweimal eine Welle um den Erdball, die
die Kruste am Äquator um 50 cm hebt. Könnten wir unseren Tisch
durch eine isolierte Säule mit dem Mittelpunkt der Erde verbinden,
so sähen wir im Rhythmus von zwölf Stunden den Fußboden an
den Tischbeinen um einen halben Meter hoch- und niedersteigen.
Wandert man vom Pol zum Äquator, so verliert man an Gewicht.
Erstens entfernen wir uns vom Mittelpunkt der Erde, und die
Schwerkraft nimmt ab. Zweitens nähern wir uns den Bahnen von
Sonne und Mond, die uns hochziehen. Drittens steigert sich die
Zentrifugalkraft, die uns wie von einem Karussell abzuschleudern
sucht. Am Äquator angekommen, stellen wir uns auf eine Waage
— aber sie zeigt keine Abnahme. Natürlich, denn nicht nur wir,
sondern alles ist leichter geworden, auch Waage und Gewichte.
Die Fliehkraft ist nicht unbeträchtlich. Drehte sich die Erde dop-
pelt so schnell, so flöge alles, was nicht niet- und nagelfest wäre,
in den Weltenraum hinaus.
Das Karussell „ E r d e " dreht sich sehr geschwind. Während man
diese Lesebogenseite hier liest, reist man ungefähr 100 km ost-
wärts. Schießt man eine Granate in der Richtung Nord-Süd, so
landet sie nicht dort, wo es nach den Bewegungs- und Fluggeset-
zen zu erwarten ist; denn die schnell fliegende Granate behält die
Geschwindigkeit jenes Ortes bei, von dem sie abgefeuert wurde.
Der Punkt aber, an dem sie niedergeht, hat, wenn er nördlich liegt,
eine kleinere, und wenn er südlich liegt, eine größere Drehge-
schwindigkeit. Folglich schlägt das Geschoß beim Schuß nach Nor-
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den mit östlicher und beim Schuß nach Süden mit westlicher Ab-
weichung ein; auf der Südhalbkugel ist es umgekehrt.
Die Drehung der Erde um ihre Achse ist unser „ T a g " . Man er-
mittelt seine Dauer, indem man den Augenblick bestimmt, an dem
ein Stern die Mittellinie im Gesichtsfeld eines fest eingemauerten
und genau nordsüdlich orientierten Instruments passiert. Hierbei
wurde schon seit langem entdeckt, daß die Erde keine so zuver-
lässige Uhr ist, wie die Astronomen sie brauchen. Sie dreht sich
bald schneller, bald langsamer. 1878 begann die Erduhr nachzu-
gehen; der Tag wurde um 0,003 Sekunden länger. Während der
Merkur ist der kleinste der Planeten. Wenn er auf die Erde fiele, könnte
er in den Atlantischen Ozean eintauchen, ohne die Festländer zu berühren
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90er Jahre lief sie wieder schneller, und als das Jahrhundert wech-
selte, ging sie um den erheblichen Betrag von zwölf Sekunden vor.
Im Lauf des nächsten Jahrzehnts glich sich der Fehler aus, aber
zwischen 1912 und 1918 lief sie wieder zu langsam, so daß die Erd-
uhr am 31. Dezember 1918 um 25 Sekunden nachging. Die Ur-
sachen sind unklar. Es lassen sich viele Gründe ausdenken.
Die Erde dreht sich nicht nur unregelmäßig um sich selbst, son-
dern läuft auch unregelmäßig um die Sonne, denn ihr Abstand
vom Sonnengestirn schwankt im Lauf des Jahres um 4000000 km,
da die Bahn um die Sonne nicht genau kreisförmig, sondern et-
was elliptisch ist. Mit dem Abstand wechseln Anziehungskraft und
Gewicht und hiermit die Geschwindigkeiten ihres Fluges. Wenn
auf der nördlichen Halbkugel Winter herrscht, ist die Erde der
Sonne nahe und läuft schneller. Das Winterhalbjahr ist daher,
was wohl den wenigsten Menschen zum Bewußtsein kommt, um
7 Tage kürzer als das Sommerhalbjahr: 179 Tage gegenüber 186.
Daher dauert auf der südlichen Halbkugel der Winter, auf der
nördlichen der Sommer länger. Da die Erde während des nördlichen
Winters der Sonne näher steht, ist der Winter auf der nördlichen
Halbkugel auch um eine Spur wärmer.
Die Achse, um die sich die Erde dreht, steht um 23 Grad schief.
Diese Schiefstellung der Erdachse verursacht den Wechsel der
Jahreszeiten; sie wieder sind das Triebwerk des Wetters, und das
Wetter bestimmt das Klima. Man hat viel über die Beziehung die-
ses Schiefstandes der Erdachse zum Schicksal des Planeten gespro-
chen und mit Recht gesagt: fünf Grad mehr oder fünf Grad weni-
ger, und unser Planet sähe anders aus und die Geschichte der irdi-
schen Welt wäre vollkommen anders verlaufen.
Die Enden der Erdachse sind nur bei einer großzügigen Auffas-
sung des Wortes „die ruhenden Pole in der Erscheinungen Flucht".
Es sind nicht weniger als ein Dutzend Störungen bekannt, welche
die Erdachse in teils gleichmäßig wiederkehrenden, teils unregel-
mäßigen Abständen aus ihrer Ruhe bringen. Freilich, große Wan-
derungen vollzieht sie seit mindestens mehreren hundert Millionen
Jahren nicht mehr und sie sind auch nicht mehr zu erwarten. Die
Theorien von ausgiebigen Polwanderungen, mit denen zu Beginn
des Jahrhunderts sich die Geister sehr beschäftigt haben, sind zu
den Akten gelegt. Was man für Wanderungen der Pole hielt, sind
solche der Erdkruste oder der Festländer. Die gegenwärtigen Be-
wegungen der Erdachse sind kleine Schwankungen, die den Schlin-
gerbewegungen des bei ruhiger See fahrenden Schiffes entsprechen.
Das Interessante an diesen Schwankungen der Pole ist nicht die
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Die Achse der Erde führt verschiedene Bewegungen aus; deshalb ist es nicht
möglich, die Stellung der Pole genau festzulegen. Die Pole verschieben sich
innerhalb eines Baumes, der ungefähr die Maße eines Tennisplatzes besitzt
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der Hund beim Spazierengehen den Herrn. Nun läuft dßr Mond
aber nicht genau in der Ebene das Äquators, sondern seine Bahn
schneidet diese Ebene, so daß er bald nördlich, bald südlich steht.
Folglich wird die Erde von ihm nicht nur vorwärts, rückwärts
und seitlich, sondern auch herauf und herab gezogen. Das „Raum-
schiff" Erde fährt wie ein Dampfer. Es schlingert nicht nur seit-
wärts, wird nicht nur einmal nach vorn beschleunigt und dann,
gebremst, sondern hebt und senkt sich auch, als führe es durch
Wellen.
Ober jener Hälfte des Globus, über der Sommer herrscht, ist die
Luft wärmer und leichter. Der Gewichtsunterschied beträgt rund
14 000 Millionen Kilogramm. Wie ein Schiff, dessen Ladung man
während der Fahrt verschiebt, legt sich der Erdball mit der
Jahreszeit nach der schwereren Seite über, es ist so wenig, d a ß
man es nicht zu sagen wagt, aber die Astronomen registrieren auch
diese „Störung".
Natürlich zerren außer Sonne und Mond auch die Planeten an
der Erde. Diese Zugkräfte wechseln mit der Stellung der Planeten, je
nachdem, ob sie nah oder fern, in derselben Richtung wie Sonne und
Mond oder entgegengesetzt, ob sie zusammenwirken oder sich ent-
gegenarbeiten. Der jugoslawische Astronom Milankovitch hat sich
in einer Zeit, als es noch keine elektronischen Rechenmaschinen
gab, der geradezu ungeheuerlichen Arbeit unterzogen, die Stellung
der Planeten bis um 650 000 Jahre rückwärts zu verfolgen. Er kam
zu dem Ergebnis, daß in dieser Zeit vier Planetenstellungen eintra-
ten, die besonders starke Störungen im Lauf der Erde veranlaßt
haben müssen. Diese Epochen sollen nach seiner Angabe mit den
Eiszeiten zusammengefallen und deren Ursache gewesen sein. Aber
auch diese Meinung ist nicht unbestritten.
Jeder weiß, wie ein Kinderkreisel läuft. Er führt drei Bewegun-
gen aus: Erstens rotiert er um sich selbst; das ist die Tag- und
Nachtdrehung der Erde. Zweitens bewegt er sich, während er r o -
tiert, in Kreisen über die Bodenfläche; das sind die Jahresumläufe
um die Sonne. Drittens aber schwankt die Stellung seiner Achse,
und zwar beschreibt auch sie Kreise; dieses Kreiseln der Achse ist
die „Präzession". Der Nordpol beschreibt in je 26 000 Jahren
einen Kreis. Infolge dieses Kreiseins wandert jener Punkt, an dem
die Erdachse am 21. März senkrecht zur Ebene der Erdbahn steht,
der „Frühlingspunkt", in jedem Jahr um 50,3 Bogenminuten west-
wärts. Diese Zahl ist interessant. Sonne und Mond ziehen den
„Frühlingspunkt" um 50,4 Minuten westwärts; die Planeten zie-
hen ihn um 0,1 Minute ostwärts. Folglich bleibt eine Westbewe-
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gung von 50,3 übrig. Da ein Kreis 60 mal 360 Minuten besitzt,
wandert der Frühlingspunkt im Lauf von 25 800 Jahren einmal
im Kreis herum. Ließen wir unseren Kalender ohne Korrektur, so
würde der „Frühling" langsam durch die Monate wandern, wie
es bei den Arabern mit dem Ramadan-Fest der Fall ist. Wir halten
aber durch Korrektur den Tag, an dem Ekliptik und Erdäquator
zusammenfallen, auf dem 21. März und lassen den Himmel wan-
dern. Zur Zeit Abrahams stand die Sonne am 21. März im Stern-
bild des Stiers, also dort, wo wir sie jetzt im Juni sehen. Zur Zeit
Christi stand sie im Widder. Heute steht sie in den Fischen. Im
Lauf des nächsten Jahrhunderts wandert die Frühlingsstellung der
Sonne in den Wassermann hinüber. Der Nordpol nähert sich gegen-
wärtig dem Polarstern. Im Lauf des nächsten Jahrhunderts wird
er ihn überschneiden. In 12 000 Jahren wird er auf Wega zeigen.
Dann kehrt er im Bogen wieder zurück. Wir leben auf einem Krei-
sel, dessen Drehungen unsere Tage, dessen Kreise unsere Jahre,
dessen Schwankungen seiner Achse der 26 000jährige Kreis der
Präzession ist.
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XV ie alle Bahnen im Sonnensystem, ist auch die Bahn des Mondes
nicht genau harmonisch. Er nähert sich der Erde in jedem Mor
nat um 20000 km, und ebenso entfernt er sich um diesen Betrag
vom Mittel. Bei 400000 km Abstand sind das zehn Prozent. Steht
er bei einer Sonnenfinsternis in Erdferne, so reicht Seins Scheibe
nicht aus, die Sonne abzudecken, und es kommt statt zu einer to-
talen zu einer ringförmigen Verfinsterung.
Mit dem Abstand wechselt die Anziehung, und mit dieser die
Schnelle seines Laufes. Der Mond läuft an jedem Tag verschieden
schnell. Außerdem wechselt die Geschwindigkeit mit der Annähe-
rung oder Entfernung vom Äquator der Erde, denn der Äquator
steht ihm um einige Kilometer näher. In jedem Monat über-
schneidet er ihn zweimal.
Da nicht nur die Erde den Mond, sondern der Mond auch die
Erde anzieht, besehreibt die Erde auf ihrer Bahn keine gerade
Linie, sondern eine Schlangenlinie, indem der Mond die Erde bald
nach dieser, bald jener Richtung aus ihrer Bahn zieht. Da zudem
Stellung und Abstand des Mondes wechseln, ist die Linie äußerst
schwierig zu erfassen. Dazu kommt noch, daß der Mond nicht nur
von der Erde, sondern auch von der Sonne angezogen wird, so
daß ein „Dreikörperproblem" entsteht. Bald ziehen Sonne und
Erde in der gleichen Richtung, bald zerren sie gegeneinander, und
so wird der Mond hin und her geworfen — und mit ihm die Erde!
Auch die Planeten wirken mit. Man kann unter günstigen Um-
ständen an Störungen der Mondbahn ablesen, wo der Jupiter steht.
Doch wenden wir uns wieder den Planeten selber zu!
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wollten. In der Sahara wollten sie durch Feuer in geraden Linien
über Tausende von Meilen verteilt den bekannten Lehrsatz des
Pythagoras aufzeichnen. Wenn es verstandesbegabte Wesen auf
dem Bruderstern gäbe, so nahm man an, würden sie diese Flam-
menbotschaft verstehen. Aber der Plan wurde nicht ausgeführt.
Als vierzig Jahre später eine amerikanische Radiostation ein tem-
peramentvolles Hörspiel „Einfall der Marsmenschen" vorführte,
mißdeuteten viele Hörer es als einen Tatsachenbericht und ver-
fielen in Lebensängste. Die Polizei wurde mit Anrufen überschüt-
tet, die Hospitäler um den Abtransport der Kranken angerufen, die
Landstraßen füllten sich mit einer endlosen Reihe von Autos, in
denen die Menschen mit ihrer Habe flohen, und als es kein Ben-
zin mehr gab, davonzufahren, begannen sich die Zurückgebliebe-
nen zu verbarrikadieren oder in die Kirchen zu flüchten. Erst all-
mählich beruhigten sich die Leute. 1949 beging die Radiostation
von Ekuador die Unvorsichtigkeit, das Spiel zu wiederholen. Trotz
einer einleitenden Aufklärung über den Theatercharakter des Hör-
spiels brach wieder eine Panik aus, und als der Betrug bekannt
wurde, stürmten die temperamentvollen Südländer die Station,
überfielen das Personal und verbrannten die Anlage.
Mars ist von der Sonne doppelt so weit entfernt wie die Erde,
erhält also viel weniger Strahlung. Seine Achse steht schiefer als
die der Erde, so daß sich die Sonne im Winter noch tiefer senkt.
Das Jahr ist fast doppelt so lang. Folglich sind auch die Jahres-
zeiten länger. Alle dies« Umstände — man denke an einen kalten,
sonnenschwachen Winter von zwölf Monaten Dauer — sind natür-
lich ungünstig für jedwedes Lebewesen.
Mars ist klein. Seine Oberfläche beträgt ein Viertel jener der
Erde. Ein Kilogewicht wiegt auf ihm 400 Gramm. Seine Anzie-
hungskraft ist ungenügend, um Atome von leichten Gasen zu fes-
seln. Seine Atmosphäre enthält daher nur Spuren von Wasser und
nur ein Fünftel so viel Sauerstoff wie die unsere. Zuweilen treten
in ihr kleine Wolken auf, die wie die der Erde westwärts treiben
und dann das rötlich erscheinende Marsscheibchen teilweise trü-
ben und verschleiern. Mit Hilfe der modernen Instrumente ist es
gelungen, die verschiedenen Richtungen und Geschwindigkeiten der
Winde, die Temperaturen in den Höhen und am Boden mit einem
großen Grad von Wahrscheinlichkeit zu errechnen und Wetterkar-
ten zu entwerfen. Mars besitzt ein beständiges Tiefdruckzentrum,
um das sich die Wetterkarte aufbaut.
Die Pole sind von weißen Massen überdeckt. Wie die Eiskappen
der Erde werden sie im Winter größer, im Frühjahr ziehen sie
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sich zurück. Aus der Geschwindigkeit, mit der sie sich bilden und
wieder schmelzen, ergibt sich, daß die Eisbildung nur wenige Zen-
timeter dick sein kann, was im Einklang zur Wasserarmut der
Atmosphäre steht; es werden dünne Reifschichten sein. Die Tem-
peraturen in den Nächten sind niedrig, gehen am Pol bis auf
—100 Grad herunter, steigen aber vielleicht mittags bis zu unserer
Sommererwärmung an. Durch die dünne Atmosphäre verliert der
an sich schon kleine Planet nach Sonnenuntergang rasch seine Ta-
geswärme.
Die Oberfläche des Mars, eine rauhe und unwirtliche Welt,
zeigt Helligkeitsunterschiede, als seien Meere und Kontinente vor-
handen. Aber es sind offenbar keine Wasserflächen, denn sie wür-
den das Sonnenlicht spiegeln. Die Farben wechseln mit den Jah-
reszeiten zwischen einem schmutzigen Grau und einem gräulichen
Grün, so daß man eine Pflanzenwelt für möglich hält. Der ita-
lienische Sternenforscher Giovanni Schiaparelli entdeckte ein Netz-
werk, die „Marskanäle", und hat sich die Augen blind gesehen
im Bemühen, weitere und möglicherweise sensationelle Einzelhei-
ten zu finden — ohne Erfolg. Vielleicht handelt es sich um Risse,
die nicht gradlinig sind, sondern nur so erscheinen, noch wahr-
scheinlicher aber sind es optische Täuschungen. Aber irgendwelche
Gebilde, vermutlich Vertiefungen, sind da, und im Frühling wer-
den sie dunkler. Wir fassen zusammen: Mars ist ein kleiner Pla-
net mit geringer Anziehungskraft, und folglich besitzt er eine nur
dünne und für Atmung und Wassertransport wenig geeignete Atmo-
sphäre. Die Wolken in ihr sind spärlich und hoch, federwolken-
artig und kein Regengewölk. Die Sonnenstrahlung ist schwach, die
Temperaturen liegen meist unter Null, die Jahreszeiten sind lang,
so daß Böden von der Art der irdischen tief gefrieren müßten und
auch im Sommer nicht auftauen würden. Sie können nur einen
kümmerlichen Pflanzenwuchs wie den der Tundra aufkommen las-
sen. Es ist schwer zu denken, daß sich unter solchen Bedingungen
höheres Leben entwickelt haben sollte; doch würden wir Men-
schen von heute uns durch eine Verschlechterung der irdischen
Lebensbedingungen auf den Stand der Marsverhältnisse ganz ge-
wiß nicht von unserem Planeten vertreiben lassen. Aber man tut
gut, zunächst einmal mit Antworten auf die Frage: Existiert Le-
ben auf dem Mars? vorsichtig zu sein.
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Eine Lücke, die sich schließt
In der kleinen Zahlenaufstellung, die wir auf Seite 4 unter
dem Namen der Titius-Bodeschen Regel veröffentlicht haben, fin-
det sich in der letzten Zeile hinter der Zahl 15, die für die Maße
der Marsentfernung steht, eine Lücke, die wir durch einen Strich
kenntlich gemacht haben. Diese Lücke gab früheren Forschern
keine Ruhe. Es regte sie auf, daß hier die Zahlenfolge anscheinend
widersinnig unterbrochen war. Man kam nicht von dem Gedan-
ken los, daß in dem Raum zwischen den Erd-Planeten und den gro-
ßen Planeten noch ein mittlerer Planet schweben müsse. Seit
Keplers Zeiten hatte man nach ihm gesucht, ohna ihn zu finden.
Aber wenn die Formeln etwas verlangen, muß es da sein, und
wenn es nicht da ist, dann ist es da gewesen.
Nicht, wie es in den meisten Büchern steht, in der ersten Nacht
des 19. Jahrhunderts, sondern in der Neujahrsnacht 1801 entdeckte
der Astronom Piazzi in Palermo bei der Beobachtungsarbeit für
einen Sternenkatalog einen kleinen Himmelskörper, der sich schnell
wie ein Planet bewegte und groß wie ein Fixstern erschien. Piazzi
verfolgte ihn sechs Wochen lang. Dann wurde der Forscher krank.
Als er wieder nachsah, war der bewegte Stern nicht mehr zu fin-
den. Aber in jenen Jahren lebte das mathematische Genie Gauß,
der Mozart der Zahlenmusik. Der Vierundzwanzigj ährige setzte
sich hin, und aus den Angaben Piazzis konstruierte er die Bahn, und
Ende des Jahres tauchte der kleine Wandelstern dort auf, wo es
Gauß vorausgesagt hatte. Es war ein kleiner Körper, 800 km im
Durchmesser, also sozusagen die Insel England durch den Welt-
raum fliegend.
Eine ungeheure Erregung bemächtigte sich der zeitgenössischen
Welt. Der so lange im leeren Raum zwischen Mars und Jupiter
gesuchte mittlere Planet war gefunden. Aber man war darüber
enttäuscht, daß er so klein war. Es mußten noch andere zu fin-
den sein. Ein eifriges Jagen im Revier des Himmels begann. Als
dann 1802 die „Pallas 11 , 1804 die „ J u n o " und 1807 die „ V e s t a "
in der gleichen Himmelszone zwischen Mars und Jupiter entdeckt
wurden, war es klar, daß das nicht alles Einzelplaneten waren,,
sondern Bruchstücke, Brocken eines zertrümmerten oder eines nicht
fertiggewordenen größeren Planeten. Man nannte sie Planetoiden,
kleine Planeten. Von diesen Brocken wurden bis 1850 13, bis 1890
302, bis 1926 über 1000 am Himmel vorüberziehend aufgefunden.
1?
Die kleinen Streuner
Nach Einführung der Himmelsphotographie entdeckte man diese
Planetoiden photographisch. Denn während die Fixsterne gegen
den .Hintergrund verharren und als Punkte erscheinen, schreiben
die Planetoiden infolge ihrer Eigenbewegung kleine Striche. Heute
kennt man mehr als 1600 mit gesicherten Bahnen, aber die Zahl
dieser Streuner geht vielleicht in die Zehntausende.
Sie laufen alle in der Drehrichtung des Sonnensystems und mit
geringen Ausnahmen alle in der Ekliptik. Sie sind klein, die mei-
sten haben einen Durchmesser von nur wenigen Kilometern. Die
großen haben Kugel- oder Eiform; die kleineren sind Brocken.
Wären sie Kugeln, so würde man die meisten gar nicht sehen,
denn Kugeln spiegeln zu wenig Licht, Brocken aber glitzern.
Woher die Planetoiden stammen, wissen wir noch nicht. Die
älteste Theorie nimmt an, daß sie die Bruchstücke jenes großen
Planeten sind, der nach den Forderungen der Titius-Bodeschen
Formel zwischen Mars und Jupiter zu schweben hätte. Sollte die-
ser Planet existiert haben, so muß der größte Teil seiner Masse
zerstoben sein, denn alle Planetoiden zusammen enthalten nicht
mehr Masse als unser Mond. '
Moderne Gedanken bewegen sich in anderer Richtung. Manche
denken daran, daß das Planetensystem aus einer Schwingungswolke
entstanden sei. Die Planetoiden wären dann Reste der Urmasse
und trieben sich vielleicht noch in diesem Mittelraum zwischen
Mars und Jupiter herum, ohne sich zu einem Planeten gesammelt
zu haben.
Natürlich lenken die angrenzenden Planeten, lenkt vor allem
der große Jupiter diese winzigen Körper ab und zwingt manche,
ihn zu umlaufen. Körper, die einen Planeten umlaufen, nennt
man Monde. LeiderI Man sollte nicht alles, was einen Planeten
umkreist, „Monde" nennen, so wie man ja nicht alles, was die
Eisenbahn mit sich führt, „Reisende" nennt. Alle Wissenschaften
schleppen aus Altertum und Mittelalter Namen mit, die den Irr-
tümern ihrer Zeit entstammen. Wir gewöhnen uns durch jahr-
zehntelangen täglichen Gebrauch an all die Worte wie Walfisch,
der kein Fisch ist, Seerosen, die keine Rosen sind, und Westindien,
das mit Indien nichts zu tun hat, derart, daß w5r sie gar nicht
mehr als widersinnig empfinden. Aber als Sechsjährige haben wir
uns schon darüber lustig gemacht, daß unser Schneider Goldschmied
oder ein Mann der weißen Rasse Schwarz, aber einer der Führer
der modernen Negerbewegung Weiß heißt. Falsche Bezeichnungen
18
verursachen aber oft falsche Vorstellungen. Daher nenne man nicht
alles, was einen Planeten umläuft, Mond, sondern benutze den
allgemeineren Begriff Trabant oder Planetenbegleiter. Was ein
Mond ist, m u ß von Fall zu Fall untersucht werden. Den Ausdruck
„Mond" behalte man den großen kugeligen Himmelskörpern von
der Art unseres Mondes vor, die in einer dauerhaften, über Hun-
derte von Millionen Jahren unveränderten Beziehung zu einem Pla-
neten stehen. Daneben gibt es Fremdkörper, die dem Planeten zu-
fällig zugeflogen sind, Körper, wie sie morgen oder übermorgen
jedem Planeten wieder zufliegen können, und die nun in ganz will-
kürlichen Größen und Abständen und für wahrscheinlich meist
nur verhältnismäßig kurze Zeit den Planeten begleiten. Wir wol-
len sie als „Satelliten" bezeichnen, denn diesem Ausdruck haftet
etwas von der Geringschätzung an, die sie verdienen. Der Mars
besitzt keine Monde, sondern wird von zwei Satelliten umkreist, die
so klein sind, daß sie überhaupt erst durch die großen amerika-
nischen Instrumente entdeckt wurden. Zehn bis zwölf Kilometer
im Durchmesser, sind sie nichts als zwei fliegende Felsklumpen,
die in ganz geringem Abstand, der eine 10 000, der andere 20000
Der Planetoid „Hermes" würde, wenn er auf New York fiele, nur einen
kleinen Teil der Weltstadt bedecken
19
Kilometer vom Mars entfernt, herumsausen, während unser Mond
über 400000 km entfernt ist. Der äußere läuft so schnell, wie der
Mars sich dreht, so daß er am Himmel nahezu stillsteht. Der
innere läuft schneller, so daß er im Westen aufgeht und in zwei
Stunden den Horizont im Osten erreicht hat. Vielleicht sind sie
eingefangene Planetoiden, denn Mars läuft ja am inneren Rand
des Planetoidenrings.
Jupiter, unvergleichlich größer als Mars, schlürft wie ein Po-
lyp vom Rande her Planetoiden ab. Wie viele er schon gefressen,
wissen wir natürlich nicht, es dürften im Lauf der Zeit Tausende
gewesen sein. Gegenwärtig laufen neben den vier Monden minde-
stens sieben Begleiter um Jupiter herum, die wahrscheinlich Pla-
netoiden sind; außerdem hat er ganze Gruppen als Familien in
seinen Bann gezogen, so daß ihre Bewegung ziemlich mit denen
des Jupiters übereinstimmt. Die bekanntesten sind die „Troja-
ner", eine Gruppe von kleinen Körpern, die die Namen der tro-
janischen Helden erhielten und von denen die eine Hälfte vor, die
andere Hälfte hinter dem Jupiter läuft. Sie fliegen genau so schnell
wie er und von ihm ebenso weit entfernt wie von der Sonne, so
daß die Verbindungslinien Sonne—Jupiter—Trojaner zwei gleich-
seitige Dreiecke bilden (Abbildung S. 21 zeigt eines der Dreiecke).
Man sieht hier am Himmel eine der wenigen möglichen Lösun-
gen des berühmten Dreikörperproblems verwirklicht, und zwar
jene, die der französische Mathematiker Lagrange voraussagte:
Drei Massen oder Gruppen von Massen befinden sich im Gleich-
gewicht, wenn sie in den Ecken eines gleichseitigen Dreiecks schwe-
ben und einem gemeinsamen Schwerpunkt zustreben. Hier sieht
man eine Formel in Gestalt von Weltkörpern an die dunkle Wand-
tafel des Himmels geschrieben.
Der Abbildung sind einige besonders ausschweifende Bahnen von
Planetoiden eingefügt. „Hidalgo" ist einer dieser weitausgreifen-
dien Himmelskörper, er beschreibt eine Ellipse, die ihn bis in die
Nähe der Saturnbahn führt. „Adonis", ebenfalls ein Planetoid,
kreuzt die Bahnen aller Erd-Planeten und kam 1936 der Erde
auf 2000000 km nahe. Am 30. Oktober 1937 kam ein Körperchen
fast auf Mondnähe heran. Mit einer Raumrakete von morgen hätte
man es abschießen können. Es wurde „Hermes" genannt. Es hatte
den Umfang einer kleinen Stadt und war kantig. Der Planetoid
„ E r o s " , der sich 1917 der Erde auf 17 000000 km näherte, ent-
puppte sich als länglicher Brocken, der sich in 5 Stunden 17 Minu-
ten um seine Achse dreht. Man braucht keine Angst zu haben.
Nach einer Formel des französischen Mathematikers Roche kann
20
Eine Gruppe von Planetoiden, ein Teil dci „Trojaner", folgt dem Jupiter
auf seiner Bahn ,in gleichbleibendem Abstand, der genau der Entfernung des
Jupiter von der Sonne entspricht, so daß sich hier im Planetensystem ein
gleichschenkliches „Kräftedreieck" am Himmel bewegt. — Auch die Bahnen
zweier Planetoiden, „Hidalgo" und „Adonis", sind eingezeichnet.
25
weiter außen, um so größer seien sie und erreichten an der Außen-
kante vielleicht Durchmesser von 1 km. Aber diese Annahme ist
nicht ohne Widerspruch geblieben. Andere Forscher nehmen an,
daß die Größe der Brocken, Körner und Staubteilchen im Saturn-
ring nach außen abnehme. Die gesamten Stein- und Staubmassen
des Ringes machen etwa ein Fünfundzwanzigtausendstel der Sa-
turnmasse aus.
Nach den Rechnungen muß es zwischen dem zweiten und drit-
ten Drittel des Ringes eine Zone von 3600 km Breite geben, in der
sich keine Steine halten können, da die Saturnmonde sie von hier
vertreiben. Als besonders tatkräftiger Aufräumer betätigt sich hier
der innerste der Monde „Mimas". Tatsächlich existiert diese Zone
des Schweigens. Sie wurde 1675 von dem italienischen Astronomen
Cassini entdeckt und wird «die Cassinische Lücke genannt. Es ist
also alles so, wie es die Rechnung verlangt.
Was sich aber in Wirklichkeit in und unter dem Saturnring ab-
spielt, wissen wir nicht. Da man annimmt, daß die Monde die
Steine anziehen, dürfte wohl eine Welle von Ebbe und Flut den
Ring durchwogen. Hierbei werden, so denkt man sich, Steine aus
ihrer Ebene gezogen und ifallen in die Atmosphäre des Planeten.
Indem sie diese durchsausen, zerreißen sie Atome und erzeugen
vielleicht Gewitter.
Sind es wirklich Steine? Die Spcktrallinien sowie die Stärke,
mit welcher der Ring das Licht spiegelt, haben die Vermutung
aufkommen lassen, es seien nicht Steine, sondern es sei Eis, das
den Planeten als Ring umkreist. Für diese Vermutung sprach die
auffallende Tatsache, daß die fünf inneren Monde des Saturn die
Dichte von Eis besitzen. Vielleicht fallen also aus den Ringen des
Saturn nicht Steine, sondern les hageln S:hloß;n.
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Planet am Schreibtisch entdeckt
Uranus ist nicht einmal, sondern zwanzigmal entdeckt worden,
ehe man ihn als Planeten erkannte. Der Pariser Astronom Lcmon-
nier hätte sich Unsterblichkeit und Ruhm verdient, wenn er ein
wenig besser geschaut und gedacht hätte, als er ihn 1768 nicht
weniger als achtmal ins Auge faßte. So aber war es 1781 Wilhelm
Herschel beschieden, den Ruhm zu ernten, als erster mit dem
Fernrohr einen Planeten entdeckt zu haben. Herschel selbst hielt
seine Entdeckung anfangs für einen Kometen; erst zwei Jahre spä-
ter ergab sich, daß es ein echter Planet war, der zunächst nach
König Georg von England Georgien-Planet, später Uranus genannt
wurde.
Zwanzig Jahre nach seiner Entdeckung stand Uranus um eine
Bogenminute — das ist der 30. Teil einer Vollmondbreite — anders,
als man errechnet hatte. In einem Jahr um ein 600stel der Mond-
breite abzuweichen, ist ein für Astronomen unerträglicher Fehler.
Auf der Sternwarte in Paris begann der wissenschaftliche Ange-
stellte Alexis Bouvard zu rechnen, rechnete jahrelang und gab
eine neue Tabelle heraus. Aber nach zwanzig Jahren war wieder
eine Abweichung da. Nun war man seiner Sache sicher: Nicht die
Rechnung lief falsch, sondern der Planet. Es mußte eine Störung
vorhanden sein. Offensichtlich zog ein noch unentdeckter Planet
den Uranus aus seiner Bahn. Zwei Studenten, die voneinander
nichts wußten, der eine in England, der andere in Frankreich, setz-
ten sich hin, rechneten ebenfalls und kamen — natürlich! — zu
demselben Ergebnis. Es mußte hinter dem Uranus ein Planet lau-
fen, dessen Stellung sich aus den Störungen errechnen ließ.
Der Student Adams war der erste, der mit der Rechnung fertig
war. Er schickte seine Arbeit 1845 an den Direktor der Sternwarte
zu Greenwieh und bat um Nachforschung am Himmel. Wie es der
Lauf der Dinge zu sein pflegt, wanderte die Arbeit des jungen
Studenten statt in das Observatorium in ein Schubfach. Dem zwei-
ten Studenten Leverrier erging es besser. Seine Arbeit wurde von
einer Zeitschrift gedruckt und kam auch dem Direktor zu Green-
wieh zu Gesicht, worauf dieser Gelehrte sich erinnerte, eine ähn-
liche Arbeit schon einmal in den Händen gehabt zu haben. Nun
erst wurde auf der Sternwarte zu Cambridge am Himmel ausge-
schaut. Man fand wirklich am angegebenen Ort am 4. August 1846
einen Stern. Eine Woche später sah man ihn wieder.
Adams wurde in jenen Tagen um das Recht seiner Erstgeburt
betrogen; denn in denselben Wochen übernahm in Paris die Aka-
29
demie die Arbeit Leverriers; dieser schrieb an die Berliner Stern-
warte, die in jenem Jahrzehnt die besten Karten dieser Himmels-
gegend besaß, und hier begab sich der Assistent Galle sogleich auf
die angegebene Fährte. In der Nacht zwischen dem 23. und 24. Sep-
tember 1846 wurde dicht neben der von Leverrier bezeichneten
Stelle ein Stern gefunden, der nicht eingezeichnet war. Man ver-
folgte das verdächtige Objekt, und es stellte sich heraus, daß es
ein Planet war. So ist Leverrier als Entdecker des Neptun un-
sterblich geworden. Auf dem Sockel seines Denkmals steht der
Satz: „Dem Genie, das mit der Spitze seiner Feder einen Planeten
entdeckte."
Neptun wird nach unseren gegenwärtigen Kenntnissen von zwei
Körpern begleitet. Der eine ist auffallend groß, der größte aller
Monde des Planetensystems. Er ist so groß wie der Planet Mer-
kur und läuft entgegen der Drehrichtung des Planeten — zwei un-
gewöhnliche und Mißtrauen erweckende Tatsachen. Der andere ist
klein, 320 km im Durchmesser und wurde erst 1949 photographisch
entdeckt. Wie berechtigt das Mißtrauen gegen diese beiden Nep-
tunmonde war, lehrt der weitere Gang der Ereignisse.
30
Es hat fast zwanzig Jahre gedauert, ehe es gelang, mit moder-
nen Instrumenten die Größe Plutos annähernd zu bestimmen. Er
ist ungefähr so groß wie der Mars. Seine Bahn fällt ziemlich aus
dem Rahmen und ist mehr eine Kometen- als eine Planetenbahn
und läuft stellenweise in die Bahn des Neptun hinein. Manche Ge-
lehrte machen sich darüber Gedanken, ob nicht vielleicht Pluto
und der große Mond des Neptun Brüder seien: ob nicht der Mond
des Neptun ein Planet sei, der sich auf seiner absonderlichen Bahn
dem Neptun stark genähert habe, von ihm eingefangen worden sei
und nun mit ihm einen Doppelstern bilde, so daß wir hier weit
draußen im Sonnensystem das einmalige Beispiel eines „Doppel-
planeten" vor uns sähen. Um die Störung des Neptun zu verur-
sachen, ist Pluto selbst zu klein. Es müssen noch andere Ursachen
mitwirken, die den Neptun aus seiner Bahn ziehen. Nun sitzen
die Astronomen wieder und rechnen nach dem nächsten Planeten.
Sollte er existieren, so wird man ihn mit den Augen auf keinen
Fall, wahrscheinlich aber auch nicht auf Photographien entdecken.
Denn ein Körper in dieser Ferne empfängt kein Licht mehr von
der Sonne, und da er salbst nicht leuchtet, ist er schwarz wie die
Nacht. Aber vielleicht wird man ihn trotzdem aus dem Dunkel der
Raumnacht fischen, und zwar mit einem Netz, gewoben aus Zah-
len und Formeln.
Abbildungen nach Entworfen des Verfassers. Die Abbildung auf der 2. Ura-
schlagseite zeigt die spiralenförmige Bewegung der Erde in ihrem Umlauf
um die Sonne, während sich die Sonne auf die Wega, den Hauptstern im
Sternbild der Leier, zu bewegt. Innerhalb der Erdbahnspirale verläuft die
kleinere Spirale des Mondes in seinem Lauf um die Erde
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