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Der magische Raum

Phänomenologische und symbolische


Reflexionen einer Selbsterfahrung der Resonanz
von Ich mit Umwelt

VS Modes of Performance
LV-Leiterin: Dr. Ulrike Davis-Sulikovski

KSA WS 2016

Christophe Novak
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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung 3
1.1. Kontextualisierung 3
1.2. Methodologischer Rahmen 5
1.3. Fragestellung 6
1.4. Inhaltliche Struktur 7
2. Bewusste Räume: Räume des Bewusstseins 8
2.1. Der Reise-Modus: Liminalität und Anti-Struktur 8
2.2. Die Festival-Sphäre: Liminalität und Anti-Struktur 10
2.3. Das Fremde als Resonanzboden des Eigenen 11
2.4. Bewusste Wahrnehmung: Eine Frage vom Wie des Was 13
3. Der magische Raum 14
3.1. Selbsterfahrung, Eingrenzung und Arbeitshypothese 14
3.2. Das Sinn-Sein: Selbst-Performance im Einklang mit Umwelt 17
3.3. Eine systemtheoretische Perspektive auf Bewusstsein 19
3.4. Das Prisma als Schnittstelle zwischen Innen und Außen 20
3.5. Das Psychoide als Bindeglied zwischen Psyche und Materie 22
4. Der Weg dorthin: Eine innere Landkarte 24
4.1. Die Zirkambulation der Intention 24
4.2. Innen-Außen-Dissonanz: Eine Latenz in der Selbsterfahrung 26
4.3. Der rationale Limes 28
4.4. Das Tap-In 29
4.5. Der magische Raum als Quell des Schöpferischen 30
4.6. Die intentionale Verankerung des Bewusstseins 30
4.7. Das Paradox als Ordnung höherer Komplexität 32
4.8. Innen-Außen-Resonanz: Synchronisation Ich-Selbst-Umwelt 33
4.9. Die Intuition als Wegweiser im Entscheidungsprozess 34
5. Geist und Materie in schöpferischem Tanz 36
5.1. Erleuchteter Wille entspringt starkem Fundament 36
5.2. Das Symbol: Ein kreativ-intuitiver Ausdruck des Erlebten 38
6. Conclusio 39
Literaturverzeichnis 41
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1. Einleitung
1.1. Kontextualisierung

Die vorliegende Arbeit ist ein autoethnographisches Experiment und ein erster Versuch,

die komplexe wechselseitige Konstitution der Wahrnehmungsprozesse von Innen- und

Außenwelt aus der Perspektive des Ich-Erlebens im Rahmen einer bestimmten sozialen

Umwelt zu beschreiben. Ich verstehe „autoethnographisch“ im Sinne von Ellis als ‘‘an au-

tobiographical genre of writing and research that displays multiple layers of conscious-

ness, connecting the personal to the cultural“ (Besio 2009: 241).

Der Spätsommer 2016 war für mich eine Zeit tiefster Einsicht in die Wirkungsweisen

meiner kognitiven Welt und die daraus hervorgehende Konstruktion von Wirklichkeit. Im

Kerne dieser Erfahrung stand ein intensives Flow-Erlebnis, mit dem gleichzeitigen Erleben

einer starken Resonanz von Ich mit Umwelt. Der hochgradig komplexe Sachverhalt, den

ich hier versuche auszulegen, geht ans Fundament des Subjekt-Objekt-Verhältnisses und

darüber hinaus. Ich argumentiere, dass der magische Raum dort aufgeht, wo die Grenze

zwischen beiden verschwindet, wo die mentalen Konstrukte „Subjekt“ und „Objekt“ in

sich zusammenfallen, und illustriere dies mit verschiedenen Beispielen aus meiner eige-

nen Lebenswelt. Diese Selbsterfahrung war mir der zündende Impuls für eine umfangre-

iche und spontane Ideengenese, eines breiten Geflechts an neuen Gedanken und Ideen,

deren Synthese sich in dieser Arbeit findet. Ich brauchte, in einer ersten Phase der Inte-

gration, einen guten Monat zur Verinnerlichung des Erlebten. Am 9. Oktober schließlich

fand ich die Zeit und die innere Bereitschaft das Erlebte zur Erfahrung zu machen, indem

ich die zentralen Inhalte in mein Evernote-Notizbuch verschriftlichte:

Wieviele Worte ich auch hierüber schreiben werde, sie werden vielleicht gerade einmal an der Oberfläche kratzen.

Diesen Sommer habe ich mein Selbst erfahren - und seither ist alles anders. Ich kann es 'the homeport' nennen, meine

'Wurzeln' oder den 'Boden'. Diese eine, total unerwartete Woche inmitten eines wahrhaftigen Hippie-Clans in idyllischer

Festivalatmosphäre, hat mir Geistesnahrung und Tiefenverankerung für's Leben gegeben. 

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Dieser Abschnitt sollte mir in der Tat ‚Geistesnahrung’ für das gesamte darauf folgende

Wintersemester sein. Noch nie in meinem Leben habe ich die Dissonanz zwischen dem

modernen Alltagsleben in einer Großstadt und meinem zeitlosen und freitheitsliebenden

innersten Wesen so intensiv verspürt wie diesen Winter. Die Auseinandersetzung mit

diesem Metathema fand auf einer existenziellen Ebene statt, und es kostete mich viel

Kraft, alles zusammenzuhalten. Ich fragte mich unablässig: Wie ist es möglich, zwei so

grundverschiedene Seins-Qualitäten innerhalb so kurzer Zeit in einem Körper zu erfahren?

Es fühlte sich an, als stießen die zwei äußersten Gegensätze in totaler Unvereinbarkeit mit

mir in der Mitte zusammen - deren unablässiges Aneinanderreiben mein bisheriges Selb-

stverständnis von ‚Leben‘ erodierte und mich dazu zwang, zum Kerne des Lebendigen

vorzudringen, um das Wesentliche, das Qualitative des Lebens zu erfassen. Ich ahnte,

nein ich wusste, dass da ein größerer Prozess im Gange ist, und so ließ ich mich mitge-

hen, währenddem ich mein Bestes gab, die äußeren Erfordernisse zu bewältigen.

Eine starke Intuition bewegte mich dazu, mir für das Wintersemester 2016 das Thema

„Fokus, Form und Struktur“ zu geben - und dazu gehörte auch, mich intensiv mit dem

Schreibprozess auseinanderzusetzen, mit dem Erlernen einer wissenschaftlichen und

präzisen Sprache, mit dem Anspruch, das Unsagbare ein wenig mehr ‚sagbar‘ machen zu

können. Im Rahmen meiner drei Seminararbeiten zeichnete sich langsam ein Muster ab,

das viele meiner brennendsten Interessen miteinander verband - und wie es so meine Art

ist, ließ ich die Ideen in ihrer Prozessualität reifen, darauf vertrauend, dass das

Wesentliche meiner Tiefenerfahrung im Sommer sich aus sich selber heraus, auf natürliche

Weise, gestalten und sich in Form von Gedanken und Ideen langsam aus den Tiefen des

Unbewussten meinem bewussten Erfassen nähern wird.

Jetzt wo ich diese Arbeit hier schreibe, sehe ich die zusammenhängende und aufeinander

aufbauende Leitidee klar vor mir, welche ich anfangs dunkel erahnte, und wofür meine

erste Arbeit Das Flow-Prinzip: Perspektiven einer Ökologie des Lebendigen das Funda-

ment stellt, wo ich die inneren und äußeren Bedingungen von flow skizziert habe. In

meiner zweiten Arbeit Boom 2016: Multimediale und transkulturelle Verflechtungen in

einem rituellen Raum der Anti-Struktur habe ich die äußeren Bedingungen für flow

beleuchtet, indem ich das Boom-Festival als einen soziorituellen, qualitativ aufgeladenen

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Raum der Offenheit, der Potenzialität und der Selbsterfahrung darstellte, welcher dem

Teilnehmer die Möglichkeit eines freien Selbstausdrucks bis hin zu persönlichen Erlebnis-

sen der Katharsis bietet. Mit dieser dritten Arbeit schließt sich der Kreis, indem ich mich

auf die inneren Bedingungen für flow konzentriere und die Auffaltung vom inneren

Möglichkeitsraum beleuchte, der von einer liminalen und antistrukturellen Bewusstsein-

squalia durchwoben ist.

Ich werde im Laufe dieser Arbeit immer wieder auf die Prozessualität und die Qualität des

Werdenden zurückkommen, u.a. weil diese Art der Anschauung so fremd in unserer auf

Linearität und Determinismus geeichten Wissensgesellschaft ist. Dieses Muster, welches

meinen drei Arbeiten inhärent ist, fügte sich also im Laufe seines Werdens wie ein Puzzle

in verschiedenen Formen des Ausdrucks zusammen.

1.2. Methodologischer Rahmen

Es handelt sich bei dieser Arbeit also um einen Versuch der Erforschung von Bewusstsein-

szuständen, -prozessen, -strukturen oder -qualia, basierend auf einem konkreten Gegen-

stand der Selbsterfahrung, fokussiert auf die Beschreibung nicht-rationaler Arten des Be-

wusstseins. Ich beziehe mich dabei auf De Pari’s systemtheoretisches Modell von Be-

wusstsein, welches sich aus seiner Intention, „an wissenschaftliche Diskurse an-

schlussfähigere Alternativen zur Benennung und Konzeptualisierung von ‚nicht-ratio-

nalem’ Bewusstsein zu finden“ ergeben hat (vgl. De Pari 2015: 6).

Peter Sloterdijk spricht vom Zustand der „vorsprachlichen Stille“ und der mystischen

„Grundbegabung“ des Menschen, welche dem modernen Mensch tendenziell im Laufe

seines Erwachsenwerdens verloren geht. Die „innere Lärm- und Spannungspersön-

lichkeit“ ist normal geworden - aber in bestimmten Momenten gelingt es „gewissen Indi-

viduen an dieser „Begabung“ wiederanzuknüpfen, wenn sie, am Erworbenen vorbei, den

Zustand des Gehirns vor den weltwärts gerichteten Lernprozessen wiedereinnehmen“.

(vgl. Sloterdijk 1993: 36f)

Ich versuche hier, eine innere Landkarte zu zeichnen, und den Weg durch den rationalen

Limes (analog zum „inneren Lärm“) hin zum magischen Raum (analog zur „vorsprach-

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lichen Stille“) zu beschreiben, wie ich ihn erfahren habe - im Sinne einer Autoethnografie

oder „Anthropologie des Mystischen“:

Wenn Mystik in der Moderne als Grenzwert einer normalen Welterfahrung aufgefaßt werden muß … dann muß

eine Beschreibung des Menschen möglich sein oder versucht werden, die mystische Zustände als allgemeine

Geburtsrechte in ruhigem Tone anerkennt. Eine Anthropologie des Mystischen müßte die Natürlichkeit mystischer

Zustände zugleich mit ihrer Seltenheit erklären. (Sloterdijk 1993: 36f)

C.G. Jung hat mich dazu inspiriert, die eigenen Gipfelerlebnisse parallel zur schriftlichen

Erfassung in symbolischer Form auszudrücken. Dabei sehe ich in Jungs "Das Rote Buch"

einen hochinteressanten Ansatz zur explorativen Auseinandersetzung nicht nur mit sich

selbst, sondern mit der multiperspektivischen Kommunikation vom ‚Unsagbaren‘ durch

das gesamte Spektrum von kreativen Ausdrucksmöglichkeiten. Ich werde also hier als

Ergänzung zum Text drei Zeichnungen vorstellen - symbolische Verdichtungen der Inhalte

meiner Erfahrungen - die eine andere, non-verbale Perspektive auf die erfahrenen

Phänomene ermöglichen und so meinem Anspruch einer holistischeren Beschreibung

entsprechen.

Nach Bateson offenbart der richtige Blick auf Kunst einen Code, der gerade zum nicht-

kommunizierbaren Wesen des Unbewussten führt. In seinem Buch „Ökologie des

Geistes“ stellt er die Frage: „Welche Komponenten dieses Botschaftsmaterials hatten für

den Künstler welche Ordnungen des Unbewussten?“ (vgl. Bateson 2014: 192-195).

1.3. Fragestellung

Hochgradig inspiriert von dieser Fragestellung, möchte ich sie um den Aspekt von Per-

formance erweitern und formuliere (ausgehend von den Fragestellungen, welche ich in

den beiden vorigen Arbeiten behandelt habe: Was ist die qualitative Wesenheit des

Lebendigen? Was sind die Bedingungen für Lebendigkeit? In welchem Verhältnis steht

Lebendigkeit zu Struktur/Anti-Struktur?) folgende Fragestellung für den Rahmen dieser

Arbeit:

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• Was sind die Bedingungen für die Resonanz von Ich mit sozialer Umwelt?

• In welcher Beziehung stehen psychologische, soziale und philosophische Faktoren


zu dem Phänomen eines intensiv verspürten Eins-Seins und eines magisch empfun-

denen Verhältnisses von Ich zu Umwelt?

• Wie können die Konzepte vom flow-Zustand (nach Csikszentmihalyi), der Sys-
temtheorie (nach Luhmann) und vom Tao (nach Lao Tse) zusammenwirken, um dieses

komplexe Phänomen zu beschreiben?

Mich treibt besonders die Faszination für die vielen Gemeinsamkeiten an, die in der man-

nigfaltigen Beobachtungstätigkeit vom Mensch-in-der-Welt unter verschiedensten For-

men Gestalt angenommen haben. Ich möchte diese in den jeweiligen geografischen, kul-

turellen und zeitlichen Raum, oder abstrakter, in das jeweilige Bezugssystem, eingebet-

teten Weltverständnisse in einer transepochalen, transkulturellen und transdisziplinären

Synthese wertschätzen, da ich darin eine Sammlung unterschiedlicher Perspektiven mit

unterschiedlichen Foki auf dasselbe Phänomen sehe. Und mit dem richtigen Blick lassen

sich ihre Grenzen verschmelzen und offenbaren die Sicht auf ein buntes, aber in sich

stimmiges phänomenologisches Mosaik.

1.4. Inhaltliche Struktur

Abschließend möchte ich kurz auf die Ordnungsstruktur der vorliegenden Arbeit einge-

hen. Konträr zu den linearen Denkprozessen des Alltagsbewusstseins laufen die kognitiv-

en Prozesse der unbewussten Psyche in non-linearen, chaotisch-komplexen Bahnen ab

und folgen einer faszinierenden Dynamik der Rekursivität. Diese tieferen kognitiven

Prozesse, die sich am Rande der bewussten Wahrnehmung abspielen, scheinen einer in-

härenten Tendenz zum Clustern zu folgen, d.h. einer Selbstorganisation in Informations-,

Begriffs- und Ideensträngen, die sich in schlaufenartiger, periodischer Weise dem Be-

wusstsein annähern - jedoch meist am Rande des bewussten Erfassens verbleiben, sofern

die Wahrnehmung dafür nicht sensibilisiert wurde. Da der gesamte Prozess der Genese

des hier skizzenhaft dargestellten Ideengeflechts aus sich selber heraus auf dieser

grundlegenden nicht-rationalen Ebene entstand, wird die erste Ordnungsstufe des vor-

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liegenden Materials, die sich in dieser Arbeit vollzieht, diese Non-Linearität immer noch

im Ansatz widerspiegeln. Mir geht es in erster Linie darum, in dieser Arbeit weit Entfer-

ntes ihn Beziehung zu setzen, neue Möglichkeiten der Wahrnehmung und Kommunikation

zu erproben und ein spannendes Themenfeld zu eröffnen, dessen grobe Musterung fol-

gendermaßen aussieht:

Zuerst beschreibe ich die äußeren, sozialen Rahmenbedingungen und ihren wesentlichen

Einfluss auf meine persönliche Lebenswelt. Dann versuche ich eine phänomenologische

Erfassung und Beschreibung des magischen Raums und seiner Charakteristik als tiefere

Dimension des Bewusstseins. Schließlich beschreibe ich die inneren, psychologischen

Rahmenbedingungen und die subtilen Mechanismen einer intentionalen Bewusstseinsein-

stellung, welche sich der Resonanz mit der inneren Stille annähert. Abschließend setze ich

die gewonnen Erkenntnisse in Bezug zum Konzept des Tao, welches ich als Einklang, Syn-

chronisation oder Resonanz von Ich / Selbst / Umwelt verstehe.

2. Bewusste Räume: Räume des Bewusstseins


2.1. Der Reise-Modus: Liminalität und Anti-Struktur

Ich möchte hier nun kurz auf die Charakteristika von diesem schwierig zu fassenden, psy-

cho-sozio-geo-rituellen Raum eingehen, der sich langsam und progressiv in und um mich

herum aufbaute im Laufe meiner einmonatigen Reise - die mich zuerst im Rahmen einer

zweiwöchigen Intensivtour quer durch Indien führte, unmittelbar danach nach Portugal,

wo ich ein paar Tage das Boom-Festival besuchte, um dann eine total unerwartete Woche

auf einem weiteren Festival (Lost Theory) in Spanien zu verbringen.

Diese Reise einmal um die halbe Welt und zurück war geprägt von einer kontinuierlichen

Fremd-Erfahrung, einer ständigen Überstimulation von Reizen und dem steten Einpras-

seln von neuem Input. Ich habe mich in einem intensiven und abenteuerlichen ‚Journey-

Modus‘ befunden, zuerst in einem sehr strikten Rahmen mit strammem Programm und

wenig individuellem Spielraum, dann aber beschleunigten sich meine Hand-

lungsmöglichkeiten und ehe ich mich versah, befand ich mich in einer Gruppe gänzlich

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unbekannter Menschen, die mir eine Lebenserfahrung schenkten, die von einer tiefen

menschlichen Ergriffenheit begleitet war, und dessen begriffliche Erfassung mit „Commu-

nitas“, „Antistruktur“ und „Liminalität“ ich erst ein halbes Jahr später entdecken sollte.

Diese Erfahrung kann nur als Ganzes betrachtet werden, denn keiner der Inhalte, die ich

hier versuche darzulegen, kann für sich isoliert, aus dem Kontext gerissen, begriffen wer-

den.

Diese Reise war der Katalysator für die hier vorgestellten Ideen. Da der Reise-Modus

eigentlich ein Modus der Antistruktur in sich ist, birgt er ein hohes Potenzial für die spon-

tane Entstehung von Communitas auf dem Beschreiten des ‚Weges’ - und ist demnach

reich an Empfindungen von Unmittelbarkeit, Spontanität und Zwischenmenschlichem.

Hinzu kommt die ewige Begegnung mit dem Fremden, dem Unerwarteten und dem

Neuen. In der Einstellung des ‚Reisenden‘ gegenüber der ‚Reise‘ (im Sinne einer

Wertschätzung der inneren, qualitativen Wesenheit des Reise-Modus und der inneren

Bereitschaft der Erfüllung der im Reise-Modus inhärenten Forderungen) und seiner bere-

itwilligen Haltung, sich vom ‚Fluss des Lebens‘ tragen zu lassen und offen zu sein für was

auch immer geschehe, liegt der Schlüssel für das wesentliche Verständnis des Themas

dieser Arbeit. Wer den Solo-Reise-Modus einmal intensiv erlebt und erfahren hat, wird ein

phänomenologisches Verständnis dieser Seins-Qualität und vielleicht ein Gespür für die

innere Haltung entwickelt haben, die so wichtig ist für ein erfolgreiches Reise-Erlebnis.

Dieser Haltung und ihrer phänomenologischen Beschreibung sowie konzeptueller Erfas-

sung und Differenzierung nun ist das Thema dieser Arbeit gewidmet. Ich versuche, die in

der Haltung des Reisenden wirkende Qualität, oder Bewusstseins-Qualia, zu beleuchten,

und gebe dieser Haltung die vorläufige Bezeichnung intentional-präkonditionale Be-

wusstseinseinstellung, welche ich durch eine intentionale Gerichtetheit des Bewusstseins

auf den magischen Raum definiere. Wie genau diese Bewusstseinseinstellung aussieht,

was der magische Raum ist, und wie deren Zusammenwirken mit Performance zu tun hat,

sei im Folgenden dargelegt.

Schäffter versteht Fremdheit gleichzeitig als Beziehungs- sowie als Unterscheidungsver-

hältnis: „Bei der Begegnung zwischen differenten Sinnwelten stoßen […] unterschiedliche

Konzepte und Wahrnehmungstraditionen von dem aufeinander, was als fremdartig er-

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scheint“, wobei die Art der Fremdheit dabei nur „ausnahmsweise bewusst“ ist (vgl.

Schäffter 1991: 2). Die Begegnung mit dem Fremden, Unbekannten und Neuen gleicht

einem „Spiegelkabinett gegenseitig unbekannter „Erwartungs-Erwartungen““, einer

„Verhaltensunsicherheit“, die dazu führt, „dass Fremderleben in Bezug auf seine situative

Angemessenheit problematisch werden kann und daher immer reflexionsbedürftig

wird“ (vgl. Schäffter 1991: 3). Es ist genau diese Reflexion des eigenen Verhältnisses zum

größeren gesellschaftlichen Ganzen beim Individuum, wohin die prinzipiell antistrukturell

geprägte Reise- sowie Boom-Erfahrung notwendig und unausweichlich hinführt.

„Fremderleben löst sich dabei auf in ein Oszillieren zwischen Innen und Außen“, das den

Fremderfahrenden seiner Bodenhaftigkeit, d.h. Sozialisierungen und Prägungen durch die

normative Leitkultur, nach der seine unbewussten Handlungsmuster sich orientieren,

entzieht (vgl. Schäffter 1991: 3). Dies entspricht der Struktur im turnerschen Sinne. Die Er-

fahrung der Bodenlosigkeit ist also analog zu verstehen zu Turner’s Anti-Struktur und Lao

Tse’s Leere in der Mitte des Wagenrades - deren Zustand der Unbestimmtheit durchaus

unangenehme Gefühle zum Vorschein bringen kann. Gleichzeitig jedoch entwickelt sich

aus demselben Zustand der Unbestimmtheit die zeitlose Wertigkeit der Communitas.

2.2. Die Festival-Sphäre: Liminalität und Anti-Struktur

Der in Boom und Lost Theory ersichtliche und spürbare kollektive Zugang zum Fremden

folgt einer Ordnung der dynamischen Selbstveränderung, sowie der interdependenten

Komplementarität. „Erst wenn Grenzen zu Kontaktflächen werden, wird Fremdheit zu be-

deutsamer Erfahrung“ (Schäffter 1991: 12). Es liegt also ganz am Teilnehmer selber, wie er

mit der Flut von neuen Eindrücken umgeht. Je nachdem, wo jemand steht im Leben,

welche Erfahrungen er gemacht oder nicht gemacht hat, wie offen seine Einstellung zum

Neuen, zum Unbekannten, zum Fremden ist, wie abenteuerlustig und flexibel er ist, kann

er mehr oder weniger damit anfangen. Diese begrüßende und offene Haltung in der Au-

seinandersetzung mit Neuem ist wohl eines der größten Merkmale, die den Festival-Be-

suchern in ihrer Gesamtheit gemeinsam ist. Eine solch positive Einstellung zu Fremdheit,

zu Antistruktur, zum Anderen, kommt nicht von heute auf morgen, sondern ist das Resul-

tat eines tief in der persönlichen Lebensgeschichte eines jeden Teilnehmers verankert

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liegenden Erfahrungsschatzes, der in hoher Resonanz mit der Begegnung zum Fremden

steht. Demnach ist Fremdheit also „ein Beziehungsmodus, in dem wir externen

Phänomenen begegnen“ und ein „historisch gebundenes Phänomen“, in dem Sinne als

das Erkenntnisvermögen beim Kontakt mit dem Fremden vom eigenen, im Laufe seines

Lebens erlangten Erfahrungshorizont abhängig ist (vgl. Schäffter 1991: 2). In der Festival-

Gemeinschaft ist also das Element des „Fließenden“ besonders stark ausgeprägt, als

Grundmotivation im Menschen, das dem „Sesshaften“ entgegengesetzt ist und sich

danach sehnt „loszulassen, sich zu bewegen, das Unerwartete zu erfahren und das Un-

bekannte zu suchen“ (vgl. Novak 2017: 9).

Der in Boom und Lost Theory immer im Hintergrund mitschwingenden Kontrastierung

zwischen westlicher und indigener Sinnwelt liegen die impliziten und scharf getrennten

Begriffspaare westlich-industriell und indigen-naturverbunden zugrunde. Dies zeigt sich

auch dadurch, dass die meisten Besucher Weiße sind, aus einem westlichen Lebenskon-

text kommen und die Rolle der Performer (Musiker, Schamanen, Künstler, Workshop-Leit-

er, Heiler, etc.) darin besteht, die Menschen mit neuen kulturellen Praktiken und Einflüssen

zu konfrontieren. Auf der Metaebene sind sie somit Akteure für die Umkehrung sozialer

Normen. Turner spricht von „zwei Haupt-Modellen menschlicher Sozialbeziehungen […],

die nebeneinander bestehen und einander abwechseln“ (vgl. Turner 1981: 96):

Das erste Modell stellt Gesellschaft als strukturiertes, differenziertes und oft hierarchisch gegliedertes System poli-

tischer, rechtlicher und wirtschaftlicher Positionen mit vielen Arten der Bewertung dar, die die Menschen im Sinne

eines „Mehr“ oder „Weniger“ trennen. Das Zweite Modell, das in der Schwellenphase deutlich erkennbar wird, ist

das der Gesellschaft als unstrukturierte oder rudimentär strukturierte und relativ undifferenzierte Gemeinschaft,

comitatus, oder auch als Gemeinschaft Gleicher … (Turner 1981: 96)

2.3. Das Fremde als Resonanzboden des Eigenen

Im ersten Modus des Fremderlebens, der „Ordnung transzendenter Ganzheit“, beruht

das Trennungserleben auf dem „konstitutiven Zusammenhang einer “Figuration“ mit

ihrem “Hintergrund“, vor dessen Unbestimmtheit diese erst als Bestimmtheit in Erschein-

ung treten kann.“ Das Fremde wird hier als “abgetrennte Ursprünglichkeit“ oder „Funk-

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tion des Ursprünglichen, des “Urgrundes“ oder eines allgemeinen Bedingungszusam-

menhangs“ wahrgenommen (vgl. Schäffter 1991: 15-17):

Die Grenzlinie … bezieht sich … auf ein Verhältnis spannungsreicher Verbundenheit, einen Gleichklang von Un-

terschiedlichem oder eine existenzielle Teilhabe. Resonanz als Modus der Innen-Außen-Verschränkung läßt Fremd-

heit über Affinität, Verständnis, Einfühlung, Liebe, Mitleid oder Empathie als prinzipiell verstehbar erscheinen, ohne

dabei die Grenze vernachlässigen oder leugnen zu müssen. … Das „Eigene“ geht erst durch ein Heraustreten,

durch eine Trennung oder einen „Abfall“ aus der ursprünglichen, undifferenzierten Ganzheit hervor, die nun als

Außenseite und Hintergrund verfremdet wird und hierdurch der eigenen Identität die Kontrastfläche bietet …

(Schäffter 1991: 15-17).

Während Schäffter also das Fremde als „das Ursprüngliche, ohne das die Eigenheit nicht

möglich wäre“ (vgl. Schäffter 1991: 17) definiert, sieht Turner in der Communitas „die An-

erkennung einer essentiellen und generellen menschlichen Beziehung, ohne die es keine

Gesellschaft gäbe“ (vgl. Turner 1981: 96). Schäffters Ursprünglichkeit und Urgrund verste-

he ich synonym mit Turners Beschreibung der communitaristischen Anti-Struktur als Raum

der sozialen Unmittelbarkeit und fundamentalen Unbestimmtheit, woraus Ordnung und

Struktur entsteht - im abstrakten Sinne in Form von Eigenheit, Identität und Individualität,

im sozialen Sinne in Form von Gesellschaft als dynamisches Ganzes und höhere Ordnung

von Teilbeziehungen.

Die sozialen „Bruchlinien, die (in der gesellschaftlichen Umwelt) zunächst als Differenzen

vorgefunden werden“ verleihen dieser Umwelt ihren „besonderen Sinn“. Mit der Offen-

heit für die Andersartigkeit des Fremden, d.h. dem reflektierten Umgang mit Fremdheit,

entsteht die Forderung nach der „Klärung […] aus welchen Grenzsetzungen heraus eine

[…] Identität ihre spezifische „Eigenheit“ ableitet und gegen Andersartiges

kontrastiert“ (vgl. Schäffter 1991: 13).

Boom und Lost Theory sind in dem Sinne Räume der Antistruktur, der durch den im Hin-

tergrund wirkenden Schwellenzustand der Liminalität für die Teilnehmer erfahrbar wird,

und fungiert 1) als „Resonanzboden von Eigenheit“, 2) als „Chance zur Ergänzung und

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Vervollständigung“ der Eigenheit und 3) als „Zusammenspiel sich wechselseitig hervor-

rufender Kontrastierungen“ von Eigenheit und Fremdheit (vgl. Schäffter 1991: 15).

2.4. Bewusste Wahrnehmung: Eine Frage vom Wie des Was

Wie wir wahrnehmen ist allen Menschen gemeinsam - und bedingt durch die Verankerung

des Menschen in der menschlichen Subjektposition. Jeder Mensch nimmt aufgrund seines

Mensch-Seins die Welt auf eine spezifisch menschliche Weise wahr. Dies geht so weit,

dass wir uns, dank einer unserer Wahrnehmung präexistenten Struktur, auf eine gemein-

same Basis stützen können, auf der wiederum unser kollektives Realitätskonstrukt ruht,

nach dem sich das Individuum richtet.

Diese unserer Wahrnehmung zugrunde liegenden Strukturen bilden einen Rahmen, der

als ontologisches Ordnungsprinzip auf die Wahrnehmungskapazität des individuellen

Menschen und durch dieses wirkt und so einen Kontext hervorbringt, in dem ein für die

Menschheit spezifisches Realitätskonstrukt seinen Platz findet. In dem Sinne schafft dieser

Kontext die Bedingung für einen fruchtbaren kommunikativen Austausch - wobei die bei-

den Ur-Kräfte des Bedingenden und des Bewegenden  durchscheinen. Das Bedingende

ist in diesem Fall die notwendige Einschränkung, die sich durch ein be-wirkendes und

ordnendes Regelsystem manifestiert, die gegeben sein muss damit die prozessuale Dy-

namik des bewegenden Elements sich klar und deutlich entwickeln kann. Fokus verlangt

nach Limitation, nach einer Definition von Prioritäten und dem Ausblenden von Un-

wichtigem. Es ist eine Frage der Relevanz - und was relevant ist und was nicht, wird bes-

timmt durch den Sinn. Was ist denn nun sinnhaft und was nicht - und wodurch wird Sinn

definiert? Das wunderbare am Sinn ist, dass er seiner Natur gemäß sich selber genügt.

Sinn ist in dem Sinne autotelisch (selbstbezogen) und autopoietisch (selbsterschaffend).

Aus systemtheoretischer Perspektive sind psychische und soziale Systeme „sinnkonstitu-

ierende und sinnkonstituierte Gebilde“ (vgl. Willke, 2006, S. 51).

Was wir wahrnehmen ist jedem Individuum eigen - und besteht einerseits aus allem bisher

subjektiv Wahrgenommenen. Andererseits stellt der Inhalt der Wahrnehmung eine eigene

Dimension, also eine eigene Realität in sich selber dar. Der Imagination sind keine Gren-

zen gesetzt, selbes gilt für den Akt der Konstruktion und Synthese des Wahrgenomme-

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nen. Kraft seines Willens kann der Mensch seine Wahrnehmung bewusst fokussieren, und

darüber hinaus noch die Form des Fokus bewirken - und nicht nur das. Durch den be-

wusst bewirkten Einklang von Wille, Fokus und Wahrnehmung ergibt sich die Möglichkeit

der Exploration eines jedweden Objektes in jedweder Tiefe, wobei die Tiefenschärfe von

der Klarheit des Fokus abhängt. In diesem Sinne kann der bewusste Mensch auf sein ihm

innewohnendes Potenzial zum Schöpfen zugreifen, dessen Dasein bisweilen noch latent

im Unbewussten schlummerte. Wenn wir nun endlich davon abkommen würden, endlos

das Was zu debattieren, hin zur Wertschätzung des im Was wohnenden Potenzials einer

schöpferisch-spielerischen Auseinandersetzung mit dem Leben - hin zum Wie.

Darin nun liegt der Kern dieser Arbeit: Den schöpferischen Impuls in jedem

Wahrnehmungsakte zu erkennen, bedeutet in bewusster Anteilnahme an der Gestaltung

von Realität und Lebenswelt mitzuwirken.

3. Der magische Raum


3.1. Selbsterfahrung, Eingrenzung und Arbeitshypothese

Selbsterfahrung

Der folgende Abschnitt ist ein retrospektiver Versuch der Beschreibung der Bewusstseins-

dynamik, wie ich sie Ende August auf dem Psytrance-Festival Lost Theory in Spanien er-

fahren habe, und ergänzt den kurzen Abschnitt aus der Einleitung. Ausgehend von dieser

ersten Beschreibung, werde ich anschließend die zentralen Punkte isolieren und aus-

bauen.

i. Ich konnte meine kognitive Welt bei der Aufrechterhaltung einer flatternd-stabilen Megakognition beobachten.

Mein Sein und Handeln innerhalb des Rahmens meiner Umwelt empfand ich wie eine Sinuswelle, die um den

Jetzt-Attraktor oszilliert, der gleichzeitig mit einer meditativen Stille und damit einer Abwesenheit von Gedanken

einherging. Mit dieser Selbsterfahrung kam auch ein gewaltiges Flowerlebnis, gekoppelt mit der Wahrnehmung

von Synchronizitäten und einer wesentlich verschärften Intuition. Ich empfand mich in meinem Sein tief verwurzelt

im Jetzt, und ich nahm eine deutliche Co-Emergenz zwischen Innen- und Außenwelt wahr.

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ii. Wahrnehmung der Interdependenz und des Wechselverhältnisses von Innen und Außen: Widerspiegelung von

Gedanken in äußeren Ereignissen. Entsprechung von Gedanke, Gefühl und Selbsterfahrung im Außen. Direkte Ab-

hängigkeit äußerer Erfahrungen von innerer Verfassung. Wechselverhältnis von mentaler Hygiene mit äußeren

Begebenheiten. Bestimmte Gedanken finden ihren Weg in äußere Manifestationen. Bestimmte Erfahrungen

spiegeln räzente Gedanken wider. 

iii. Wichtigkeit von Augenkontakt für wahre Verbindung mit dem Anderen. Offenherzige Wertschätzung des An-

deren  durch direkte Kommunikation: 'You are such a beautiful being’. Freier Körperkontakt, viele Umarmungen,

Küsse, Ermunterungen. Wertschätzung und Anerkennung meiner Talente durch andere. Gefühl zu etwas beizutra-

gen, durch mein Wissen, meine Talente, und am allermeisten: einfach dadurch, wie ich bin. Diese Einsichten aktiv

nach außen vermitteln, sie in anderen aktivieren und nähren. Wissen vermitteln, Lehren. 

iv. Barfußlaufen als Verstärker für Intuition und Erdung: Augen auf den Horizont gerichtet, bewusstes Ertasten der

Erde, periphäre oder (un)bewusste Wahrnehmung der Strukturen und Hindernisse im Boden, intuitive Anpassung

des Ganges ohne direkte Sicht auf den Boden (cf. Bateson: Beispiel mit Freund, Wahrnehmung, Sehen: Peripherie!)

Tiefenreinigung vom Flusswasser und Bedeutung von täglichem Zugang zu sauberem, natürlich fließenden Wasser

allgemein.

Eingrenzung

Fühlen • Meditative Stille

• Verschärfte Intuition

• Freier Selbstausdruck

• Im Jetzt verwurzeltes, resistenzloses Sein

• Gefühl der Erdung und des Getragen-Werdens

• Gefühl, Teil von etwas Größerem zu sein und dazu beizutragen

Verstehen • Holistische Wahrnehmung von Konzepten „aus sich selber heraus“

• Non-lineares Denken in bildhaften Symbolen (semiotische Komposition)

• Lineares Denken in sprachlichen Begriffen (syntagmatische Sequenz)

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Wahrnehmen • Wahrnehmung der Co-Emergenz von Innen- und Außenwelt

• Symbolische Widerspiegelung oder tatsächliche Übereinstimmung von inneren

Ereignissen (Gedanken, Träumen, Emotionen) mit äußeren Ereignissen (Happenings,

Interaktionen, Umwelt)

Zeit • Non-lineares Zeitgefühl

• Wahrnehmung von Synchronizitäten im Sinne von akausalen, sinnvollen Zusammen-

hängen, zum Teil bezogen auf archetypische Konstellationen der Selbsterfahrung in

der Welterfahrung mit numinosem Unterton

Sozial • Intensive soziale Verbindung auf der Seins-Ebene

• Direkte Kommunikation mit Menschen

• Offenherzige Wertschätzung des/vom Anderen

Arbeitshypothese

Das Eintreten in flow, als Verschmelzung von Ich und Umwelt, öffnet die Tore zum magis-

chen Raum: einer mysteriösen Zwischenwelt, die aus der Annäherung von Innen- und

Außenwahrnehmung entsteht, und getragen wird von der Resonanz zwischen Innen und

Außen. Diese Resonanz ist wahrnehmbar, kann aber nur mithilfe einer Intention verstärkt

werden, welche das Bewusstsein gezielt auf die Vertiefung dieser Resonanz und auf den

harmonischen Einklang zwischen Selbst und Umwelt, zwischen individuellem Handeln und

größerem Ganzen fokussiert. Der magische Raum ist somit durch die Dimension der Ethik

erweiterter flow, und beschreibt diese bestimmte Bewusstseinsqualia, in welcher der

Mensch seine Intention darauf ausrichtet, seinen eigenen Lebensfluss in den größeren

Ereignisfluss einbettend zu synchronisieren. Es geht hier um eine Art ‚erleuchtetes‘ Han-

deln, das den Kern der Weisheit in sich trägt und seinen qualitativen Ursprung in der

tiefen, non-dualen, antistrukturellen Stille des magischen Raumes hat - ein erhöhter Be-

wusstseinszustand mit wesentlichen Qualitäten von Samadhi (vgl. Schmidt 2017: 32:45 -

33:12). Dies entspricht der jungschen Konzeption vom Übersinn, und der chinesischen

Weisheitslehre vom Tao, als Lehre des Weges.

Gordon Hampton, laut Eigenbezeichnung „acoustic ecologist“, hat sein Leben der Suche

nach den „seltensten Naturklängen“ gewidmet, und hat viel Zeit mit der Erforschung,

Aufzeichnung und Wertschätzung von „Stille“ verbracht (vgl. URL3). Hampton „defines

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real quiet as presence — not an absence of sound, but an absence of noise" (vgl. URL2).

Stille ist also nicht Abwesenheit von Ton, sondern Abwesenheit von Lärm, und in dem

Sinne die Präsenz vom Wesentlichen. Indem Hampton „wahre“ Stille mit „Präsenz“ und

der „Abwesenheit von Lärm“ gleichsetzt, hebt er ein qualitatives Weltverständnis

gegenüber einem quantitativen hervor. Er bezeichnet „quiet“ als “think tank of the soul”

und deutet damit auf das in der Stille liegende inspirative und intuitive Potenzial hin (vgl.

URL2). Dieses Bild lässt sich hervorragend auf das Konzept vom magischen Raum ex-

trapolieren: Demnach schafft die Abwesenheit von mentalem Lärm die innere Klarheit

und eröffnet einen mentalen Raum, der - aufgrund einer resistenzlosen Wahrnehmung,

die nun, ungefiltert durch das begriffliche Netzwerk von Gedanken, unmittelbar mit der

Welt in Verbindung treten kann - das Eintauchen in tiefere Schichten des Bewusstseins

ermöglicht.

3.2. Das Sinn-Sein: Selbst-Performance im Einklang mit Umwelt

Ich sehe flow weniger als Zustand, sondern als dynamischen Bewusstseinsprozess, der

von einer besonders hohen Qualia durchwoben ist. Im vorliegenden Kontext also verste-

he ich flow, bezogen auf seinen performativen Aspekt, nicht als peak performance, son-

dern als peak experience. Am besten kann ich das mit dem qualitativen Erfahren vom Tao

illustrieren - der unmittelbaren Erfahrung von einem in Sinnhaftigkeit und All-Verbunden-

heit eingebetteten Selbst, das sich gleichzeitig mit sich selbst und mit dem größeren

Ganzen im Einklang nicht nur versteht, sondern weiß.

In dem Sinne unterscheidet sich diese spezielle flow-Erfahrung von der ‚allgemeinen‘

flow-Erfahrung, die, wie Csikszentmihalyi betont, zwar im Prinzip universeller jedoch

amoralischer Natur ist, weil flow sowohl beim Kochen, beim Musizieren, aber auch beim

Töten von Menschen erfahren werden kann - demnach genauso gut in einem „produktiv-

en, aufbauenden, humanen“ wie in einem „destruktiven und völlig asozialen“ Sinne (vgl.

Csikszentmihalyi 2012: 43). Die „Kardinalfrage“ im Zusammenhang mit der flow-Erfahrung

ist für Csikszentmihalyi folgende: „Wie sinnvoll ist dein Tun und welche Konsequenzen hat

es?“ (vgl. Csikszentmihalyi 2012: 43):

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Deshalb gilt es, diese ethische Dimension im flow-Zusammenhang mit zu berücksichtigen. Flow zu erfahren, ist nicht an

sich schon gut und lobenswert, sondern erst dann, wenn diese Erfahrung dich und deine Umgebung bereichert und in

der Entwicklung weiter bringt. (Csikszentmihalyi 2012: 43) Wenn aber flow über den Moment hinausgeht und dich wirk-

lich durch das Leben trägt, dann gibt es nichts, was für dich und andere fruchtbarer sein könnte. (Csikszentmihalyi 2012:

94)

Mit diesem Verständnis von flow, das um die Dimension der Ethik vertieft ist, steht nicht

mehr das Individuum und sein selbstbezogenes Handeln im Sinne einer reinen Selbstper-

formance (eigentlich: Ego-Performance) im Fokus, sondern das Individuum wird im wech-

selseitigen Beziehungsverhältnis zu seiner Umwelt, oder genauer, dem komplexen Kon-

glomerat an Umwelten, betrachtet. Das individuelle Handeln im Wechselverhältnis zu

seiner Umwelt als Einheit wahrzunehmen, mag sich dem im Prozess der Ultraindividual-

isierung befindenden westlichen Konsum- und Leistungsgefüge wie eine schreiende Blas-

phemie vorkommen im Angesicht seiner Anbetung eines quasi-totalisierten Ich-Kultes.

Keiner ist wirklich frei davon, so wie ich nicht frei davon bin, und doch lässt es sich fest-

stellen durch eine sensibilisierte Wahrnehmung für das Wesentliche.

Peter Sloterdijk spricht vom „Krieg der kämpfenden Ich-Träger“ als Anspielung auf diesen

besonders vom Westen ausgehenden Ich-Kult, der genau genommen eigentlich ein

„Ego-Kult“ ist (vgl. Sloterdijk 1993: 39). Wir sind so identifiziert mit unseren Ego-Konstruk-

ten, nach denen wir unser Wollen ausrichten, dass wir stampfenden Schrittes und mit

Scheuklappenblick durch die Welt rasen - haben wir doch unserer Fixiertheit auf die struk-

turell vorgefertigten Trampelpfade einer systemgesteuerten, in völliger Abstraktion

agierenden Weltgesellschaft wegen das Natürliche, Unmittelbare, Lebendige in uns

vergessen, das so wesentlich für die Erkenntnis des wechselseitig konstituierenden Ver-

hältnisses zwischen Mensch, Gesellschaft und Umwelt ist.

Mit der eindrucksvollen Formulierung vom „An-Land-Gehen-Müssen aus kindlicher Flüs-

sigkeit“ bringt Sloterdijk den Prozess des Erwachsenwerdens, bestehend in der Suche

nach dem „Festland“ und begleitet von der „Aufrichtung relativ fester Ich-Strukturen“, als

mythischen Archetypus auf den Punkt (vgl. Sloterdijk 1993: 38). Er sieht in der Mystik den

Versuch, die „Arena-Ontologie“ der heroisch kämpfenden Ich-Träger „als solche zu en-

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tkräften“ indem gezeigt wird, „daß das Etwas, in dem wir uns »aufhalten«, in Wahrheit ein

unmarkierter Raum ist, in dem kein Unterschied, der einen Unterschied macht, in Kraft

sein kann“ (vgl. Sloterdijk 1993: 39f).

Es ist dieser „unmarkierte Raum“, den ich als magischen Raum verstehe - als der Raum, in

dem der Mensch als Einheit durch den Ozean des Lebens fließt, wobei immer eine

grundlegende Qualität des Fließens, der Leichtigkeit und des Getragen-Werdens

mitschwingt:

Der mystische Zustand … erweist sich als die Erinnerung des Gehirns an seinen Zustand vor seinem Kampf um die Iden-

tifizierung des Etwas, in dem es zum Aufenthalt bestimmt ist. Das schwebende In-Etwas-Sein des kampflosen Gehirns

erinnert gleichsam sich selbst an den flüssigen Anfang seiner Geschichte. … Was an der Mystik, gerade in einer immer

mehr verwahrlosenden Gesellschaft, zu denken gibt, ist die progressive Heraufhebung der extremen »Erinnerung« in das

entfaltete Wirklichkeitsbewusstsein. (Sloterdijk 1993: 40/42)

3.3. Eine systemtheoretische Perspektive auf Bewusstsein

Ich verstehe unter flow also die dynamische Gesamtheit der oben erläuterten Bewusst-

seinsqualia, welche einen qualitativen Bewusstseinsraum konstituieren, der die Tore zum

magischen Raum aufmacht. Um diesen aufrechtzuerhalten muss aber eine Intentionalität

gegeben sein. 

Aus systemtheoretischer Perspektive ist Bewusstsein ein „selbstreferenzieller oder au-

topoietischer Ereignisnexus“, der eine „sich selbst erhaltende Ordnung aufweist (vgl. De

Pari 2015: 18f). Das Zusammenwirken von Gedanken bildet Ordnungsstrukturen, die

wiederum mit anderen Gedanken sowie der Gesamtstruktur der Psyche wechselwirken

(vgl. De Pari 2015: 19). „Autopoietische Organisation bezieht sich lediglich auf den

zirkulären Reproduktionsprozess der Elemente. Autopoietische Systeme sind zwar au-

tonom, aber keineswegs autark. Sie sind auf eine Umwelt angewiesen, die Abgabe bzw.

Aufnahme von Energie und Materie wird jedoch durch die Gesetze des Systems bes-

timmt“ (De Pari 2015: 20). Autopoietische Systeme, zu welchen das Bewusstsein hier

gezählt wird, sind also einerseits operational geschlossen und kognitiv offen. Dies wird als

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„Interpenetration“ bezeichnet und „bezieht sich insbesondere auf die gemeinsame Her-

vorbringung sozialer und psychischer Systeme“, wobei Systeme einerseits „stets durch

ihre Umwelten irritierbar“ sind, während sie andererseits „ihre Operationen […] zu den

Bedingungen der Autopoiesis des jeweiligen Systems“ fortsetzen (De Pari 2015: 27).

Da Umwelt und System stets konstitutiv füreinander sind könnten psychische Systeme nicht ohne biologische Sys-

teme und … auch nicht ohne soziale Systeme entstehen. Der Mensch ist weder ein bloßes Element, noch eine zen-

trale Steuerinstanz biologischer, psychischer und sozialer Systeme. Diese Systeme sind jeweils Umwelten füreinan-

der und entstehen daher gemeinsam, durch die jeweilige Differenz zwischen System und Umwelt. (De Pari 2015:

28)

Die gemeinsame Konstitution von System und Umwelt ist hier hervorzuheben. Da sowohl

Ich-Bewusstsein (die inneren Bedingungen) und soziale Umgebung (die äußeren Bedin-

gungen) in einem engen wechselseitigen Bezug zueinander stehen, kann der Grad deren

gegenseitiger Synchronisation mit einem geschärften Blick wahrgenommen werden. Wird

das Bewusstsein mithilfe einer bestimmten Intention nun auf den Grad der Resonanz mit/

von Etwas ausgerichtet, so kommt dies dem Bild einer Antenne gleich, welche auf ein

bestimmtes Signal sensibilisiert wurde. Sobald das System Bewusstsein eine Irritation (ein

Unterschied, der einen Unterschied macht) registriert, welche der intentionalen Ausrich-

tung (dem Grad der Resonanz von Ich mit Umwelt) entspricht, wird diese in die bewusste

Wahrnehmung mit einbezogen und führt zu einer strukturellen Kopplung zwischen dem

Bewusstsein und seiner angepeilten Umwelt (im großen Sinne): „Strukturelle Kopplung

zwischen Systemen und ihrer Umwelt entsteht dann, wenn das jeweilige System Er-

wartungsstrukturen aufbaut, die es für bestimmte Irritationen sensibler macht“ (URL1).

3.4. Das Prisma als Schnittstelle zwischen Innen und Außen

Das Prisma ist analog zu verstehen zu einer geläufigen Meditationsübung, in der es

darum geht, sich das innere seines Kopfes als Himmel zu visualisieren. Alle mentalen

Äußerungen, in Form von Gedanken, Bildern oder Gefühlen, sind Wolken und ver-

schleiern den klaren blauen Himmel und das belebende Licht der Sonne. Je klarer der

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Himmel, desto höher ist die belebende und wärmende Sonneneinstrahlung auf den Bo-

den.

Dieses Bild nun symbolisiert die schöpferische Urkraft, die dem Menschen in jedem Mo-

ment innewohnt. Es behandelt den Entscheidungsprozess und die kognitiven Mechanis-

men, die die Manifestation des Willens in eine Handlung regieren. Die geballte und zer-

störerische Kraft, die eine Blockade generieren kann, wenn sie genau an der Schnittstelle

zwischen dem Willen per se und der Ausführung dieses Willens liegt, ist dieselbe Kraft,

aus der, wenn sie bewusst ‚gerichtet‘ wird, große schöpferische Energie gezogen werden

kann.

Zentrales Element ist das Prisma, welches sinnbildlich steht für die Schnittstelle zwischen

Mentalem/Weltlichem, Wille/Ausführung, Intention/Manifestation, Vorstellung/Verkörpe-

rung, kurz: zwischen Innen und Außen. Je klarer der Kristall (meditative Stille im Kopf),

desto reiner das Prisma (Schnittstelle zwischen Innen- und Außenwelt), umso größer seine

Kapazität der fließenden Übertragung eines fokussierten Lichtstrahls (Intention) nach

Außen (Welt). Diese Qualität eines resistenzlosen Fließens aus sich selber heraus, durch

die Welt und mit der Welt, und eines im Jetzt ruhenden Gewahrseins entspricht dem psy-

chologischen flow-Zustand nach Csikszentmihalyi. Je ruhiger die innere Gedankenwelt,

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desto weniger Resistenz besteht zwischen Ich und Umwelt und umso höher wird die Sen-

sibilität der Wahrnehmung und die Sensitivität gegenüber subtilen Irritationen. Aus

diesem flow state heraus gestaltet sich nun der magische Raum, dessen wesentliche

Komponente in einem Weniger an Quantität und einem Mehr an Qualität besteht.

Anstelle der „Lärm- und Spannungspersönlichkeit“ von welcher Sloterdijk spricht, tritt ein

stilles, non-lokales ‚Anwesend-Sein‘.

Jede Entscheidung ist somit ein wahrhaftiger Schöpfungsakt. Und mit jeder Entscheidung

ein Inneres nach Außen zu manifestieren, wird ein Samen gepflanzt, der im Nährboden

des jeweiligen Kontextes wachsen und Konsequenzen haben wird. Unter diesem Gesicht-

spunkt liegt die Essenz oder das Wesenhafte einer Entscheidung darin, von wo aus die

Entscheidung getroffen wird, d.h. welcher Bewusstseinsqualität sie entstammt:

Der Mittelpunkt ist nicht wesentlich, wesentlich ist der Tanz - wie ich mich im Leben bewege, wie ich Dinge anpacke, wie

und worauf ich meine Aufmerksamkeit lenke. … Ich glaube, dass es ein System gibt, das uns alle trägt und verbindet:

dass ich im Bewusstsein dessen handle, dass das, was ich jetzt tue, Folgen und Konsequenzen haben kann. Ich versuche

an diesem System, von dem ich mich getragen fühle, teilzuhaben und es weiterzubringen. Für mich ist daher nicht der

feste, eingefrorene Mittelpunkt, sondern der „Tanz“ selber im Leben wichtig. Der Wissenschaftler muss beweglich

bleiben. Durch die Fixierung auf einen Mittelpunkt büßt man immer die Offenheit für die sich stets verändernde Welt

ein - das sieht man ja am Beispiel der institutionalisierten Religionen. In der Wissenschaft ist der „Tanz“, d.h. die Aktivität

selbst der Motor und impulsgebende Faktor für alles andere - wir wollen neu verstehen lernen, immer aus jeweils an-

deren Perspektiven Dinge betrachten. Es ist ein nie enden wollender Prozess, und das ist das Schöne daran.  (Csikszent-

mihalyi 2012: 17-21) 

3.5. Das Psychoide als Bindeglied zwischen Psyche und Materie

Alles im Kosmos ist Energie - und äußert sich auf verschiedenen Ebenen in verschiedenen

Weisen. So auch die schöpferische Kraft, welche der Psyche innewohnt - alleine kraft

meiner Gedanken kann ich eine Handlung vollziehen und meine Finger bewegen. Da letz-

tendlich alles Seiende auf energetischen Gesetzen beruht, die überall sowohl in der un-

belebten wie in der belebten Materie wirken und wonach sich alles Stoffliche in seiner

strukturellen Ausprägung organisiert, können Form und Struktur als in der Zeit ‚einge-

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frorene‘ Energie betrachtet werden. Je weniger Energie in materieller Form verfestigt ist,

umso mehr ‚verflüssigt‘ sie sich. Emotionen und Gedanken in dem Sinne befinden sich am

anderen Ende des Spektrums, sind subtile, flüchtige Energieformen. Da Psyche prinzipiell

auch eine Form von Energie ist, richtet sie sich nach denselben Prinzipien, wie C.G. Jung

im folgenden Abschnitt bemerkt:

Wie alle Energie aus dem Gegensatz hervorgeht, so besitzt auch die Seele ihre innere Polarität als unabdingbare Voraus-

setzung ihrer Lebendigkeit. Theoretisch sowohl wie praktisch ist sie allem Lebendigen inhärent. Dieser mächtigen Bedin-

gung steht die leicht zerbrechliche Einheit des Ich gegenüber, die nur mit Hilfe unzähliger Schutzmaßnahmen allmäh-

lich im Laufe der Jahrtausende zustande gekommen ist. Dass ein Ich überhaupt möglich war, scheint davon herzurühren,

dass alle Gegensätze sich auszugleichen streben. Dies geschieht im energetischen Prozess, der im Zusammenstoß von

Heiß und Kalt, Hoch und Tief, seinen Anfang nimmt. Die dem bewussten seelischen Leben zugrunde liegende Energie

ist diesem präexistent und darum zunächst unbewusst. (Jung 2013: 376f)

Ich versuche also hier, das Phänomen der Resonanz von Ich mit Umwelt mit dem Ver-

ständnis von Bewusstsein als Form von Energie anzugehen. Das Bewusstsein als autopoi-

etisches System ist einerseits operational geschlossen und erzeugt mittels seiner in-

härenten Rekursivität ein stabiles Moment, eine Identität in der Zeit, woraus das Ich her-

vorgeht. Das Bewusstsein ist andererseits kognitiv offen und befindet sich in einem engen

Austauschprozess mit dem Außen. Um die beschriebene Qualität vom magischen Raum

mithilfe eines systemtheoretischen Ansatzes herzuleiten, braucht es also ein Verständnis

vom Grad der kognitiven Offenheit des eigenen Bewusstseins. Eine Intention, im Sinne

einer Ausrichtung des Bewusstseinsfokus auf einen Gegenstand, entspricht demnach ein-

er Erweiterung der kognitiven Offenheit in die Richtung des intendierten Gegenstandes.

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4. Der Weg dorthin: Eine innere Landkarte
4.1. Die Zirkambulation der Intention

Die vorliegende Zeichnung ist eine überarbeitete und detailliertere Version der Skizze,

wie ich sie am Tag meiner Tiefenerfahrung erstellt habe.

Der folgende Abschnitt kann als weitere, diesmal poetisch-prosaische Dimension im

Rahmen meines multiperspektivischen Ansatzes verstanden werden, dessen Zweck darin

besteht, ein- und dasselbe Phänomen aus unterschiedlichen Perspektiven und unter Zuhil-

fenahme unterschiedlicher Formen des Ausdrucks zu erfassen:

Den magischen Raum gilt es im Alltagsleben aufrecht zu erhalten und ihn bewusst wahrzunehmen. Das Selbst als der

Attraktor, um den Ich zirkambuliert, wie eine Motte um's Licht. So muss das Selbst ertastet werden, auf chaotisch-fraktale

Weise. Retrospektiv gesehen postuliere ich, dass meine eigenen Wachstumstendenzen diese chaotisch-fraktalen

Grundmuster aufweisen, welche im Zeichen von Li stehen. So gibt es ein charakteristisches Grundgerüst nach dem jeder

Mensch sich entwickelt, ein anleitendes, aus dem sein psychisches Wachstum hervorgeht. Und so weist ein jeder ganz

individuelle fraktale Muster auf, die sich durch sein Leben ziehen, die ihn wirken und nach denen er wirkt. Er bestimmt

sie und sie kommen zurück auf ihn; ein reziprokes Wechselverhältnis, das sich gegenseitig bedingt und bewirkt. Diese

Muster nun gilt es auszumachen, ein jeder für sich, weil diese den Weg zum Zentrum weisen. Zum Selbst, zum Sinn.

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Sind alle fraktalen Wege bis zu Ende gegangen, alle Blüten zurückverfolgt zu ihrem Ursprung, alle Ecken und Kanten der

Blume durchleuchtet, so wartet das Selbst bei jedem Wegende und steht im Zentrum von allem.

Es gibt größere Bruchlinien und kleinere, besonders relevant sind hier die großen Linien, nach deren morphogenetis-

chem Grundprinzip sich die ganz individuellen Hauptaspirationen eines jeden Menschen richten. Diese verlangen alle

volle Widmung und Aufmerksamkeit, so sein Leben ein vollkommenes sein soll im Lichte seines Selbst. In jedem Sub-

Selbst wohnt ein anderer Bewusstseinszustand und ein anderer Raum und ein anderes Lebendiges. Die Macht der Imag-

ination wird viel zu oft vergessen im Alltag. Wer sich ihrer wirklich annehmen kann, vermag schöpferisch zu sein in un-

vorstellbaren Maßen. Er ist ein Meister, ein Alchemist des Lebens. Fokus-Flow. Fokus ist primordial. Flow aber auch. 110%

präsent sein, das ist Wahrheit leben. In einen Raum schlüpfen, in ein Subselbst eintauchen, im Spiel aufgehen, das ist

Wahrheit leben. Offen zu sein ohne einzulassen. Gesichert ohne geschlossen zu sein. Das ‚Tapping-In'.

Interessant ist der Umstand, dass ich diesen Text anderthalb Monate vor der hier als

Forschungsgegenstand vorliegenden Tiefenerfahrung geschrieben habe, nämlich am

14.07.2016. Dies veranschaulicht sehr deutlich, was ich in der Einleitung mit dem „Ver-

trauen auf den natürlichen Werdensprozess“ und die „non-lineare Entwicklung von

Ideen“ meinte. Dass ich im Spätsommer die empirische Erfahrung einer anterioren

Leitidee machte, ist mit dem hier formulierten Weltverständnis ein zu erwartendes Ereig-

nis. Da ich mich extensiv und intensiv mit dieser Thematik befasse, ich meine Aufmerk-

samkeit also bewusst darauf ausrichte und darin einen „sinnvollen“ Zeitvertreib sehe, ist

ein wesentlicher Teil meiner „Sinnstrukturen“, wonach sich mein Handeln in der Welt

richtet, auf die „Wiederaktualisierbarkeit“ dieser Strukturen ausgelegt: „Jede Sinninten-

tion“ (mein Interessenkomplex Bewusstsein/magischer Raum/Selbst/Flow) ist selbstrefer-

entiell (wiederholte Beschäftigung mit Interessensinhalten) insofern, als sie ihre eigene

Wiederaktualisierbarkeit (Integration von Zusammenhängen) mitvorsieht, in ihrer Ver-

weisungsstruktur (Ausrichtung meiner Aufmerksamkeit auf den Interessenkomplex) also

sich selbst als eine unter vielen Möglichkeiten weiteren Erlebens und Handelns wieder

aufnimmt“ (Luhmann, 1999: 95, Anm. in Kl. von mir hinzugefügt).

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4.2. Innen-Außen-Dissonanz: Eine Latenz in der Selbsterfahrung

Manchmal befinde ich mich in Situationen, wo ich mir des Möglichkeitshorizonts beson-

ders gewahr werde - eine Erkenntnis, die mich schlagartig trifft und meine Aufmerk-

samkeit auf die Grenzen meiner Begrenztheit zieht. Ich befinde mich in einer Gruppe von

Menschen und bemerke eine mir sehr auffallende Diskrepanz zwischen kontextuellem So-

Sein (Ich in Bezug zu Gruppe in Bezug zu Umwelt) und sozialem So-Sein (Gruppendy-

namik, subtil-energetische Atmosphäre oder „Chemie“).

Einerseits gibt es also dieses sehr klare Erkennen von Grenzen. Andererseits ist da eine

Forderung drin, die nach Lösung verlangt; eine starke Dissonanz in meiner Wahrnehmung

der Situation, ausgehend von dem Aufeinanderprallen der beiden Gegensätze von Ist-

Wert und (empfundenem) Soll-Wert, die nach Ausgleich streben. Zur Veranschaulichung

ein fiktives Beispiel aus dem Alltagskontext:

Wir befinden uns in einer Gruppe von Menschen, wo einige befreundet sind, die meis-

ten sich kennen und einige wenige niemanden kennen. Unsere gegenseitige soziale

Historie ist also sehr begrenzt, und das erschwert die gegenseitige Einschätzung. Sys-

temtheoretisch bedeutet dies einen rasanten Anstieg an Komplexität, weil so viel Un-

schärfe vorherrscht und so wenig Kommunikationen vorliegen, von denen aus eine

stabile, strukturierte Einschätzung extrapoliert werden könnte. Jemand in der Gruppe

nun hebt sich besonders empor, zieht aufgrund einer besonders extravertierten

Episode alle Aufmerksamkeit auf sich, und nach einer Weile lässt sich ein Unbehagen

in der Gruppe verspüren - ein nicht-verbalisiertes, subliminales Spannungsverhältnis

baut sich auf. Das gruppendynamische Gleichgewicht läuft aus dem Ruder, weil viele

auch zu Wort kommen möchten, aber keiner die Entscheidung trifft, sich explizit zu

äußern, aus welchen persönlichen Gründen auch immer.

Es ist diese Unausgesprochenheit, die verantwortlich für die situative Spannung ist. Hier

wirkt gleichzeitig auch eine Latenz in der Selbsterfahrung: durch Unentschlossenheit im

Umgang mit einem Gefühl oder einer Situation der Unangenehmheit, welche die

Aufmerksamkeit des Bewusstseins von der unmittelbaren Präsenz am Geschehen

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abzweigt und einen handlungshemmenden Stau im Wahrnehmungsprozess verursacht.

Die Wahrnehmung hängt förmlich in der Schwebe, abgelenkt vom Wesentlichen durch

den Schleier der Gedankenwelt: dem rationalen Limes.

Etwas zwischen Ich-System, sozialem System und Umwelt ist also nicht stimmig, und es ist

die latente Synchronisierung vom System in sinnvollem Zusammenhang mit dem

größeren Ganzen der Umwelt die sich als Dissonanz in mir gestaltet.  Ich sehe dann auf

erstaunliche Weise meine Handlungsmöglichkeiten und die gewaltige schöpferische Kraft

die mir als Mensch innewohnt, auf die ich immer zugreifen kann, aber die meistens wie

automatisch abläuft. Indem ich meine Willenskraft bündle und sie in die Form einer Inten-

tion gieße, schöpfe ich vom ewig währenden kreativen Impuls. In solchen Momenten

zeigt sich mir die immanente Potenzialität, die immer bereit steht, angezapft zu werden.

So stehe ich als Beobachter da und beobachte mich beim Beobachten von Gedanken-

prozessen, die mich auf die Allmöglichkeit hinweisen, auf welche ich jeden Moment zu-

griff habe. Der reine Wille jedoch, wie der reine Glaube, führen zu nichts und enden im

reinen Schein. Ihnen fehlt die empirisch verankerte Substanz im Sein. In solchen Mo-

menten umschwebt mich der drängende Impuls, bewusst eingreifen zu wollen, Kraft

meines Willens und im Lichte meines inneren Antriebs mich selber als Kontext für die Un-

terstützung der Gesamtsituation heraufzubeschwören. Eins aber bleibt mir bitterlich ver-

borgen: Wie das denn nun genau zu bewerkstelligen ist. Der Handlungsimpuls ist da,

übermächtig - aber sie verpufft, die Energie dahinter, weil ich aus den Myriaden

Möglichkeiten die richtige und relevante nicht herauszufiltern vermag. Als würde mir die

nötige innere Gewissheit fehlen, die entscheidende Intuition welche im Einklang mit dem

größeren Ganzen steht.

Wird das Potenzial des Ichs nun als Kontext für Veränderung, Inspiration und Bewusstsein

wahrgenommen, deutet dies auf völlig neue Horizonte von Interaktion an, die uns Men-

schen zumindest visionär zur Verfügung stünden. Dies bedeutet die Überwindung der

Tendenz zur passiven Anteilnahme an Entscheidungsprozessen, die der Gleichschaltung

des individuellen Willens mit dem kollektiven Willen gleichkommt. Es bedeutet auch eine

Überwindung der individuell-psychologischen Tendenzen zur Selbstbeschränkung, welche

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ich mit der Bezeichnung „Latenz in der Selbstwahrnehmung“ versucht habe zu umreißen. 

Darauf werde ich später zurück kommen.

Bei genauerer Analyse dieser ‚Dissonanz‘ zwischen Innen-Außen, wird klar, dass der Kern

der Dissonanz (oder der Resistenz, welche die fließende Aufmerksamkeit abkoppelt und

in einer energetischen Endlos-Schlaufe fixiert) die eigene Gedankenwelt ist, die sich wie

ein Schleier zwischen die sinnliche Wahrnehmung und das unmittelbare bewusste Erleben

davon zieht. Den Gedanken-Schleier, welcher aus der ständigen Aktivität des Verstandes

hervorgeht, verstehe ich als „Limes“, worauf ich im folgenden Abschnitt näher eingehe.

4.3. Der rationale Limes

Mit einer Bewusstseinseinstellung, die sich an den Konzepten von flow, vom Tao und dem

Sinn-Sein orientiert, handelt das Individuum  im Einklang mit dem größeren

Ganzen. Damit wird die Brücke geschlagen zwischen Hier und Dort und der Limes des ra-

tionalen Bewusstseins unterwandert und temporär aufgehoben. Der rationale Limes ist

der ständig vorhandene Gedankenschleier, durch dessen Filter wir Welt erfahren. Er ist

somit die Schwelle zwischen den Welten, zwischen Innen und Außen - und diesen Schleier

gilt es aufzuheben, so der magische Raum erfahren werden soll. Die Intensität des Limes

äußert sich im Grad der wahrgenommenen Verzögerung der geistigen Aufmerksamkeit

vom Geschehen, d.h. dem Grad der Nicht-Präsenz mit dem aktuell Erlebten. Systemisch

gesehen bedeutet das eine tatsächliche Latenz im Aufnahmeprozess vom sensorischen

Input und seiner internen kognitiven  Verarbeitung. In dem Sinne ist dies eine Latenz in

der Selbsterfahrung, die ich auch Aufmerksamkeitsdefizit nennen könnte. Jedoch

präferiere ich den ersteren Begriff, da er mir neutraler scheint und ohne Wertung

auskommt. Unterzieht man die postmoderne Gesellschaft einer ehrlichen Anamnese, so

wird man sehr schnell feststellen, dass dies ein kollektives Symptom unserer Zeit ist - das

wohl zum großen Teil dem Phänomen der Beschleunigung und Kompression vom Raum-

Zeit-Kontinuum entstammt, von dem unser Zeitalter der Globalisierung und Digital-

isierung so tief geprägt ist.

Wird der externe Input jedoch schnell genug verarbeitet, so dass sich die Wahrnehmung

in gefühlter Echtzeit einklinken kann, sind die Weichen gestellt für flow. Neuere Erkennt-

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nisse aus der Neuropsychologie stellen das alte Modell, nach dem mehr Gehirnaktivität

gleich mehr Leistung bedeutet, auf den Kopf. Es verhält sich genau umgekehrt: Das

Gehirn bringt umso mehr Leistung, je weniger Aktivität es aufweist - insbesondere im

Areal des präfrontalen Cortex, der u.a. für die Regulierung der Gedankenwelt, des Selbst-

Bewusstseins und des Zeitempfindens zuständig ist. Das physische, biochemische und

psychische Grundgerüst des hochkomplexen Gebildes das wir „Gehirn“ nennen folgt also

(zumindest im Optimum) den fundamentalen Gesetzmäßigkeiten eines ökonomischen

und ökologischen Energiehaushalts. Wie aber so vieles andere beim Menschen, muss er

den richtigen Umgang mit dem Werkzeug, das ihm in die Wiege gelegt wurde, in seinem

Werdensprozess kennenlernen, erproben und erlernen - gerade wenn es um das ‚Fine-

Tuning’ dieses Werkzeugs geht.

4.4. Das Tap-In

Den Moment, in dem das Bewusstsein sich darüber bewusst wird, dass es sich im flow

befindet, bezeichne ich hier als Tap-In, im Sinne von tapping into the Zone. Es ist jedoch

mehr ein neutrales Wahrnehmen als ein wertendes Bemerken oder Feststellen. Mit jedem

Akt des Feststellens nämlich geht automatisch die Erzeugung eines Gedankens einher,

wodurch der Limes wieder an Substanz gewinnt. Geschieht dies zu markant, wird flow un-

terbrochen. Da ich flow weniger als Zustand und mehr als Dynamik mit einer räumlichen

Qualität wahrnehme, bevorzuge ich von der flow-Sphäre zu sprechen. Flow passiert also

ab dem Moment, wo die prozessuale Dynamik dieses  Feedback Loops  sich selber trägt

und mündet im spontanen Wahrnehmen einer neuen Bewusstseinsqualia: “Jetzt bin ich

drin!“ Und erst wenn man ‚drin‘ (in der Flow-Sphäre), oder ‚drüber‘ (über den Limes) ist,

wird man sich der vorherigen Einschränkung bewusst - ähnlich der überraschenden ‚dröh-

nenden’ Stille nachdem die kontinuierliche Geräuschkulisse eines Ventilators plötzlich

aufhört. Man wundert sich über die ungekannte und unerwartete Weite seines Bewusst-

seinshorizonts; der auf einmal Innen und Außen gemeinsam beinhaltet. Die Aufmerk-

samkeit breitet sich aus, die Wahrnehmung geht auf, und der Möglichkeitshorizont entfal-

tet sich um den magischen Raum.

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4.5. Der magische Raum als Quell des Schöpferischen

Der magische Raum kann als liminaler Bewusstseinsraum im Sinne von Turner’s Schwellen-

zustand als mentaler Raum der Antistruktur verstanden werden, wo die immanente Poten-

zialität des schöpferisch-kreativen Impulses mitsamt seiner Numinosität unmittelbar

gefühlt und empfunden wird - ein Quell des primordialen Eins-Seins, der angezapft und

aus dem geschöpft werden will.

The call is … a complementarity, a song: a call of harmony to the harmony of union that enriches by increasing Being. …

I can suggest or create anything … provided that this assembling … is ordered and … rhythmical. For it is rhythm …

that gives the work of art its beauty. Rhythm is simply the movement of attraction or repulsion that expresses the life of

the cosmic forces; symmetry asymmetry, repetition or opposition… (Senghor 1993: 34)

Ähnlich Senghor’s Analyse der afrikanischen „Philosophy of Being“, geht es um das Zur-

Welt-Kommen des Menschen und sein aktives Eingreifen in den Lauf der Welt, indem er

sich in Eigeninitiative vom höheren Selbst leiten lässt (vgl. Senghor 1993: 30). Der

schöpferische Mensch trägt zur Verwirklichung des Kosmos bei, indem er sich selber ver-

wirklicht. Indem der Mensch im Sinne seiner Natur lebt, bringt er die in ihm wirkenden

kontradiktorisch-komplementären „Lebenskräfte“ zusammen und verstärkt mit deren

Verbindung in sich gleichzeitig seine Verbindung zum Kosmos, und damit den Kosmos an

sich: „in reinforcing them, he reinforces himself; that is, he passes from existing to

being“ (vgl. Senghor 1993: 31).

Da die intentionale Ausrichtung des Bewusstseins erst in der Stille vom magischen Raum

Früchte tragen kann und der Qualität des Seins bedarf um zu sich zu finden, erweitere ich

die senghorsche Formulierung um die Nuance: „from existing to being to intending“.

4.6. Die intentionale Verankerung des Bewusstseins

Der magische Raum entsteht aus der prozessualen Dynamik einer Art Feedback Loop, der

darauf beruht, dass eine bestimmte Intention, eine präkonditionale Bewusstseinseinstel-

lung, über eine bestimmte Zeit aufrechterhalten wird. Die Einstellung des Bewusstseins-

!30
fokus entlang der oben genannten Leitlinien ist präkonditional, weil sie notwendige

Vorbedingung ist für das Eintreten in den meditativen oder liminalen Bewusstseinsraum,

in dem der magische Raum als Potenzial vorhanden ist. Ähnlich der chaotischen Zirkam-

bulation einer Motte ums Licht, oder der sinusoidalen Approximation einer Funktion an

eine Gerade x, gestaltet sich die Tendenz des Bewusstseinsfokus im Versuch der An-

näherung an die intendierte Qualität, welche ich vage mit den Worten ‚absolutes Jetzt‘,

‚absolute Präsenz‘ oder ‚absolute All-Verbundenheit‘ skizzieren könnte. In der wieder-

holten Betonung von „absolut“ liegt der Kern der intentionalen Einstellung. Denn gerade

die beinahe unerträgliche semiotische Unschärfe des Begriffes „absolut“ in Kombination

mit seinem inhärent-hyperbolischen Anspruch zur endgültigen Superlativisierung eines

Sachverhaltes stellt den idealen Leitfaden dar, an dem eine solche Intention sich orien-

tieren kann.

Das gemeinte Konglomerat an Bewusstseinseinstellungen kann man sich vorstellen wie

einen glühenden Anker, den man in großem Bogen in die Höhen (oder Tiefen) der Psyche

schwingt, wo er in einem fundamentalen Zustand der Unbestimmtheit, oder Liminalität

verweilt. Die Position des Ankers im Raum-Zeit-Kontinuum ist nicht eindeutig feststellbar

in quantitativer Hinsicht, und doch, aller Unschärfe zum trotz, lässt sich seine Position

qualitativ erahnen entlang solchen Markern wie oben/unten, nahe/fern, warm/kalt. Dies

kommt auf erstaunliche Weise dem unter Kindern (wie Erwachsenen) so beliebten Rate-

Spiel nahe, wo ein Geschenk oder beliebiges Objekt gefunden werden muss anhand von

nur zwei Variablen: kalt oder warm. Analog dazu, versucht der meditierend-Intendierende,

das Objekt seiner Intention zu finden, im vollen Bewusstsein darüber, dass sein Unterfan-

gen am Gipfel der Futilität grenzt, indem er versucht, den Boden des Bodenlosen erre-

ichen zu wollen. Das Paradox besteht nun genau darin, dass der Sprung ins Bodenlose

trotz allem zum Boden führen kann, weil der Anker der Intentionalität in seiner Setzung

entlang des „Absoluten“ über alle denkbaren und undenkbaren Möglichkeitshorizonte

hinaus schwingt, wozu auch die logische Eingrenzung der Möglichkeiten in „entweder“

und „oder“ überwunden wird. Er kann jetzt beides zugleich sein, oder nichts, oder alles,

oder sonstiges, ad absurdum.

!31
Dies ist der selbstreflexive Prozess, der sich dadurch, dass er mit Energie getragen wird,

d.h. Intentionalität, auf sich selber bezieht - ein Feedback Loop, der so schnell oszilliert,

dass auf einmal die Synchronizitäten oder Echos von Gedanken und Umwelt offenbar

werden.

4.7. Das Paradox als Ordnung höherer Komplexität

Der offensichtliche Dualismus im Kosmos weist in seiner tieferen Bedeutung letztendlich

auf das Prinzip der Paradoxie hin. Ein Paradox ist nur solange paradox, wie seine hinter-

gründigen Beziehungen zu sich selbst mysteriös bleiben. Im Moment der Benennung

eines Sachverhaltes mit einem Begriff wie „Paradox“ oder „Dualismus“ jedoch wird die

Sache in einem vereinfachten, für den Betrachter verständlichen Bezugsrahmen einge-

froren. Das Phänomen spricht nicht mehr von sich selbst aus, sondern wird von nun aus

aufgrund eines vorstrukturierten Urteils „gebildet“ und danach „beurteilt“. Dieses Ein-

frieren vom Urphänomen in einen für den Verstand greifbaren Rahmen ist aus der Per-

spektive der Systemtheorie ein Akt der Reduktion von Komplexität vonseiten des psychis-

chen Systems, und ein Ausdruck für die im lebendigen System verankerte Notwendigkeit

der Wahrnehmung von Ordnungsstrukturen, die ihm Orientierung in einer chaotischen

Umwelt entlang bestimmter Sinnkonstellationen verschaffen.

Mit jedem Akt der Benennung wird jedoch automatisch das Nicht-Benannte in Entste-

hung gerufen und eine künstliche Trennlinie geschaffen zwischen X und der Menge von

allem nicht-X. Das Benannte, in einer Benennung eingefroren, kann fortan nur aus der

Einseitigkeit dieser Benennung erfasst werden. In der Benennung eines Phänomens mit

dem Begriff „Paradox“ wird also nur das Unvermögen unterstrichen, diesen Sachverhalt

mit den aktuell zur Verfügung stehenden Kapazitäten zu erfassen. Denn im Begriff „Para-

dox“ schwingt implizit das Verlangen nach seiner Auflösung mit, d.h. der Auflösung der

Trennlinie, welche die Illusion von Polarität und Unvereinbarkeit mit sich zieht. Ein Paradox

kann niemals mit denselben Mitteln, unter denen es entstanden ist, gelöst werden, son-

dern verlangt nach einem radikalen Perspektivenwechsel und einem Ausflug der

Wahrnehmung in ein anderes Bezugssystem, wodurch die Wahrnehmung anders

wahrnehmen lernt.

!32
Dabei geht es nicht so sehr um das Erreichen einer vollkommenen Synthese der Gegen-

sätze, als um die stetige Annäherung an diese abstrakte Qualität, das in der Anerkennung

ihrer Beziehung und der Herstellung von Verbindung besteht.

4.8. Innen-Außen-Resonanz: Synchronisation Ich-Selbst-Umwelt

Wenn Intention und Aufmerksamkeit auf einen immer kleineren Ausschnitt zwischen Innen

und Außen fokussieren, verkleinert sich auch die Latenz in der Selbstwahrnehmung und -

erfahrung. Je kleiner die Amplitude dieser Latenz wird, desto mehr öffnet sich der magis-

che Raum. Weil Bewusstsein ein selbstreflexiver Prozess ist, also eine Rückspiegelung vom

externen Input, welcher im Prozess der Wahrnehmung in ein internes Bild umgewandelt

wird, ergibt sich eine höhere Bewusstseinsqualität durch die systeminterne Kapazität einer

schnelleren Datenverarbeitung. Es geht hier also um die höchste Qualia von Bewusstsein,

die darin besteht, dass sie besonders Energie-intensiv ist, da sie einen dermaßen hohen

Zustand von Schwingung benötigt. Je schneller die Schwingung, desto größer die Auflö-

sung, desto kleiner die Latenz. Je kleiner die Schwingung, umso ein größerer Teil des In-

puts kann verarbeitet werden. Die Lichtstärke des intentional  gerichteten Bewusstsein

beruht direkt auf der  aus der  Intensität der  Intention kommenden  Energie, welche den

Limes überbrückt, der die innere und äußere Welt voneinander trennt. Wird diese Tren-

nung aufgehoben, so geht der magische Raum auf. 

Die „Reise“, Boom oder Lost Theory sind also äußere  Räume oder Umwelten, welche

diese speziellen  externen Bedingungen herstellen, unter denen der magische Raum

aufgehen kann, soweit der innere Bewusstseinsraum  in Resonanz damit steht - was ab-

hängig ist von der psychischen Kapazität (die auf dem Erfahrungshorizont und der persön-

lichen Geschichte beruht) sowie der intentionalen Ausrichtung des Bewusstseinsfokus (der

diesen Raum suchen, sich ihm in ständiger Reflexivität von Ist- und Sollwert anpassen und

die optimalen Bedingungen für Resonanz herstellen muss - eine Aktivität, die ein inten-

sives Monitoring der Bewusstseinsprozesse sowie eine gute geistige Ökologie vorausset-

zt, welche den Nährboden für eine fruchtbare Verschränkung von Innen und Außen bere-

iten). Der magische Raum ist prinzipiell ein Schwellenzustand, eine Sphäre der Liminalität.

!33
4.9. Die Intuition als Wegweiser im Entscheidungsprozess

In der intentionalen Bewusstseinseinstellung, den magischen Raum direkt anzapfen zu

wollen, liegt nun der Performance-Aspekt. Intentionalität ist also in dem Sinne eine Per-

formance, als der Handelnde sein Handeln nach einer bestimmten Anleitung richtet, oder,

in der flow-Sprache, als er seinen in den größeren Ereignisfluss eingebetteten Lebensfluss

nach bestimmten inneren Bedingungen richtet, die danach zielen, den eigenen Lebens-

fluss mit dem Ereignisfluss zu synchronisieren. Der Handelnde handelt also einmal für sich,

und einmal für den Gesamtkontext. Der Einwand der Beliebigkeit liegt natürliche nahe.

Aber hier geht es nicht um die rationalen Kategorien richtig oder falsch, sondern es geht

um die abstrakte Annäherung und das empirische Erspüren der subtilen Resonanz von Ich

und Umwelt oder der Synchronisierung von Ich-Fluss mit Welt-Fluss. Ich performe also

meine eigene Intentionalität  mit  einer bestimmten Destination. Es gibt kein Ziel in dem

Sinne, dass ich in rigider Absichtshaltung versuche dorthin zu kommen, so dass ich im

Angesicht des Ziels über meine eigenen Füße stolpere - sondern das Ziel wird bewusst

unscharf belassen, und aus dem klaren Ziel wird eine ungefähre Destination, welcher ich

unter ständiger Rückbesinnung auf die gesetzte Intention und im ständigen Dialog mit

der Intuition folge. Letztere muss natürlich erprobt, kultiviert und differenziert werden in

einem klassischen Trial-and-Error-Verfahren.

Das wichtigste Element der  Intuition ist das Erlernen und Trainieren  der eigenen Unter-

scheidungs- und Entscheidungsfähigkeit. Dies fordert ein synchrones Zusammenspiel der

verschiedenen operationalen Qualitäten des Gehirns: Die Rolle des logisch-rationalen

Bewusstseins, oder dem Verstand, besteht darin, dem Organismus Orientierung in seiner

Lebenswelt zu verschaffen, Muster und Zusammenhänge aus dem ursprünglichen Chaos

zu isolieren,  Dinge voneinander  zu unterscheiden  und auf der darauf beruhenden Ein-

schätzung Entscheidungen zu treffen, von denen das unmittelbare Überleben des Organ-

ismus abhängt. Als einer der großen und wichtigen  Errungenschaften des Menschen,

haben wir dieser unseren evolutionären Weg zu verdanken. Wobei der Verstand uns

dieser Tage jedoch  eher im Weg steht und eine seltsame Deformierung, gar eine In-

vertierung  der ursprünglichen Funktion vollzogen zu haben scheint: Wo die reine, oder

überzogene Rationalität unser  Überleben nun nicht mehr sichert, sondern tatsächlich zu

!34
einer existenziellen Bedrohung für das menschliche Kollektiv und seine Lebenswelt

geworden ist.

Oft  ist es nicht offensichtlich,  sich im Entscheidungsprozess klar darüber zu sein,  welche

Entscheidung es zu treffen gilt - und wie viel Wert der Intuition, der Eingebung oder dem

Bauchgefühl beigemessen werden sollte. Es ist schwierig zu wissen, ob ein Gefühl oder

eine emotionale Empfindung, besonders bei ‚negativen‘ wie Unwohlsein, innerer Unruhe

oder Angst, eine echte Prämonition ist, d.h. die echte, vor-bewusste Wahrnehmung einer

Dissonanz im Ereignisgefüge (analog zu einer durch erhöhte Sensibilität ausgezeichneten

Antenne, die für den Organismus relevante Abweichungen im Wahrscheinlichkeitsgefüge

feststellt)  oder ob es nur die Komfortzone ist die da spricht, und mir ein auf

falschen  Berechnungen beruhendes Gefühl der  Angst einflößt. Darin liegt eine beson-

ders wichtige Unterscheidungsfähigkeit, denn ich muss lernen, das Unangenehme zu dif-

ferenzieren, und das Unwohlsein, die Angst und den Schmerz nicht rein negativ zu sehen,

sondern als  in sich selber kontrastiert. So ist es möglich, innerhalb vom Unangenehmen

Regelhaftigkeiten und Gesetzmäßigkeiten festzustellen und so lernt man der wahren Intu-

ition zu folgen.

Oft liegt uns Menschen die Tendenz inne, das Unangenehme jedoch zu meiden. Daraus

machen wir es aber automatisch zum Fremden, und beschwören im Prozess des othering

die künstlichen Grenzen der moralischen Polarität herauf. Das Fremde wird zum Anderen,

zum Unbekannten, zum Dunklen - und in ultimativer Hinsicht, zum Bösen. Jung, der sich

nach eigener Aussage intensiv mit dem Problem von Gut/Böse befasst hat, sieht im In-

nehaben von Bewusstsein die kosmische Aufgabe, Licht ins Dunkle zu bringen und die

Welt ihrer Schatten zu beheben - das Unbekannte kraft des inneren Lichtes zu erforschen.

Dies ist keine leichte Aufgabe, und nicht jedem steht sie zu. Wer aber beharrlich den Weg

zum Selbst geht und dem Feuer seiner inneren Vision folgt, wird die wahre Intuition von

der vorgemachten Intuition zu unterscheiden vermögen, die letztendlich eine Illusion ist:

das Sprachrohr emotionaler Verkrustungen, charakterlicher Panzerungen und psy-

chosozialer Konditionierungen, die den Menschen in der ewigen Komfortzone halten.

Die Erkenntnis der  Intuition als  Weg zum Sinn-Sein, führt zum Verständnis der

wichtigsten  Frage der Intentionalität: Von wo aus handle ich? In den Worten der alten

!35
Chinesen: Es gilt die Stimme des höheren Selbst wahrnehmen zu erlernen, und hört man

das höhere Selbst und handelt im Einklang mit ihm, so ist man mit dem Tao - und wird ge-

tragen und durchflossen von der geballten schöpferischen Lebenskraft, die ihren Aus-

druck im Außen sucht.

5. Geist und Materie in schöpferischem Tanz


5.1. Erleuchteter Wille entspringt starkem Fundament

Im Lichte all des bisherigen Gesagten, möchte ich nun die dritte symbolische Zeichnung

vorstellen, die als abschließende Veranschaulichung der hier skizzierten Art der Selbst-in-

der-Welt-Anschauung dienen soll.

Als Anspielung und in An-

lehnung an die naturphilosophis-

che und holistische Weltsicht der

alten Chinesen, taufe ich diese

Zeichnung „Erleuchteter Wille

entspringt starkem Fundament“.

Hier sind die 5 Elemente Wasser,

Erde, Holz, Luft und Feuer

vorhanden. Holz steht für Das

Wachsende, das sich aus den 4

anderen Elementen nährt und

zugleich aus ihnen besteht. Die

fundamentale Gemeinsamkeit,

die uns Menschen mit Tieren

und Pflanzen verbindet ist unsere

gemeinsame Identität der

Lebensträger. Was jetzt genau

mit „Leben“ gemeint ist, hängt

!36
davon ab, von welcher Perspektive aus man schaut. Im praktisch-alltäglichen Sinne ver-

stehe ich Leben im Rahmen der biologischen Definition. Im holistisch-kosmischen Sinne

verstehe ich die ganze Wirklichkeit durchzogen von Lebendigkeit, von Kommunikation,

von Bewegung. Allem Lebendigen wohnt die Kapazität zum Wachsen und zur Entwick-

lung inne.

Unter dem Gesichtspunkt ist der Mensch prinzipiell wesensgleich mit der Pflanze durch

ihre gemeinsame Wesenheit des Wachsens. Wie eine Pflanze unmittelbar in Beziehung

zum Boden steht in dem sie wurzelt, so wurzelt der Mensch, mitsamt seiner Identität, im

Kontext seiner geografischen, psychosozialen und historischen Umwelt. Wie die Gesund-

heit der Pflanze vom Nährstoffgehalt ihres Substrates abhängt, so ist die im Menschen

fließende Lebendigkeit abhängig von der Qualität seiner Beziehung zu sich, zu Anderen,

zur Welt. Dies ist sein Fundament, aus welchem heraus er in der Welt agiert. Indem der

Mensch sein existenzielles Verhältnis zur Umwelt im weitesten Sinne erkennt, kann er nicht

umhin die wechselseitige Konstitution von Ich/Umwelt wahrzunehmen - und die

schöpferische Rolle zu erkennen, die ihm von Natur aus zukommt.

Als Bewusstseinsträger, und mit der Fähigkeit, aus seinem Spieltrieb, seiner Imagination

und Neugier heraus immer neue Möglichkeitshorizonte zu überfliegen, trägt der Mensch

die Verantwortung, Verantwortung zu übernehmen und sein Bewusstsein bewusst

einzusetzen. Dazu gehört ein grundlegender Respekt im Umgang mit allen Manifestatio-

nen des Lebens und des Kosmos - und ein im Selbstverständnis ruhender Mensch, dass er

sich „verbunden mit der ganzen Welt“ fühlt, sich sowohl als Individuum wie als „Teil eines

universellen Systems versteht“ und „aus diesem Gefühl der Verbundenheit heraus als In-

dividuum handelt und […] als solches verwirklicht“. Sein Tun entspringt also nicht mehr

der Vorstellung von Getrenntheit und der Angst, alles „im Alleingang erreichen und

erkämpfen“ zu müssen, sondern „aus dem Bewusstsein heraus, dass er umgeben ist von

vielen anderen, an die er sich wenden kann […]. Individuelle Freiheit“ erwächst somit „aus

dem Gefühl der Verbundenheit“ (vgl. Csikszentmihalyi 2012: 72).

Alles Lebendige ist prinzipiell geotrop und phototrop: So wie die Pflanze, vom Boden her,

dem äußeren Licht der Sonne emporstrebt, so folgt der Mensch, aus dem Wurzelgeflecht

!37
seines Werdens, dem inneren Licht seiner Gedanken, Gefühle und Visionen, die ihn er-

füllen - und die ihm den Sinn geben, den er in sie hineingelegt hat.

5.2. Das Symbol: Ein kreativ-intuitiver Ausdruck des Erlebten

Hiermit möchte ich den Bogen schließen und komme zum Anfang zurück, und zu Bate-

son’s Frage: „welche Komponenten welche Ordnungen des Unbewussten in sich tragen“.

Die symbolisch verdichtete Visualisierung einer Idee durch das Medium einer Metapher

birgt ein großes Potenzial, was die Anschauung von Welt in einer holistischen, sema-

siographischen Weise ermöglicht. Diese intuitiv-spielerisch-kreative Auseinandersetzung

des Bewusstseins mit der Welt und sich selbst ermöglicht eine Erfahrung der qualitativen

Ebenen der Wirklichkeit abseits der Einschränkung durch die Linearität der Sprache. Der

Irrweg unseres modernen Geistes, die „Differenz als Sache zu behandeln […] ist in der

Grammatik unserer Sprache verankert, welche die Prädikation auf Satzsubjekte

erzwingt“ (vgl. De Pari 2014: 15). Der unablässige Hang des Verstandes zur Verd-

inglichung der Welt hat uns zur rationalistischen Auffassung geführt, die Welt sei erfassbar

durch ein begriffliches, quantitatives Netzwerk, das die Wirklichkeit durch immer feinere

Maschen filtert und so zu be-greifen versucht. Durch ihre ewige Selbstbezüglichkeit kann

die Ratio, als eine Art des Bewusstseins, jedoch niemals das erfassen, was sich außerhalb

ihrer eigenen, festgeschriebenen und binären Wahrnehmungsmuster befindet.

Ausgehend von Luhmann’s Systemtheorie geht es nun darum, die Entstehung von psy-

chischen Systemen „in einem Verhältnis der Ko-Evolution durch die Konstitution von

Sinn“ zu verstehen (De Pari 2015: 20) und unter Berücksichtigung von Csikszentmihalyi’s

flow-Prinzip in eine spielerisch-schöpferische Auseinandersetzung mit dem inneren Bild

und seiner symbolischen Ausprägung zu treten, und kraft der Intentionalität den numi-

nosen Aspekt mitschwingen zu lassen, um den tieferen, unbewussten Sinnebenen des

Symbols auf die Spur zu kommen. Hier gilt es nun, sich tragen zu lassen und auf die re-

flexive Natur der Psyche und auf ihre Tendenz zur Selbstorganisation ihrer Bewusst-

seinsinhalte zu vertrauen, die sich in der spontanen Emergenz von Assoziationen und

Gedankenverknüpfungen äußern können - bis hin zu einer umfangreichen Ideensynthese,

die ihren Ausdruck hier in den vorliegenden Zeichnungen, Notizen und Texten fand.

!38
6. Conclusio
In dieser Arbeit, als logische Verknüpfung zu den beiden vorigen Arbeiten über das Flow-

Prinzip und die Boom-Antistruktur, habe ich mich also mit den inneren Bedingungen, die

zum magischen Raum führen, befasst. Der magische Raum kann als Erweiterung oder Ver-

tiefung des  flow-Zustandes verstanden werden, jedoch um die ethische Dimension er-

weitert und darin verankert. Csikszentmihalyi  betont, dass flow allein für sich prinzipiell

amoralisch ist und keiner ethischen Grundlage folgt, weswegen es einer präkonditionalen

Bewusstseinseinstellung, einem moralisch-ethischen Prinzip, bedarf, das die  Verbindung

vom Individuum zum größeren Ganzen herstellt.

Dieses Prinzip finden wir im Tao. Das Tao an sich aber kann nicht gefunden und nicht

beschrieben werden. Aber es ist da, fühlbar für den, der anders wahrnehmen lernt, d.h.

Wahrnehmung oder In-Beziehung-Treten mit der Welt vorbei an einer vereinseitigten ra-

tionalen Erfassung. Das Tao will nicht begriffen werden, aber es will ertastet werden, mit-

tels einer subtilen Intention, die eher im Horchen und im Schauen besteht, als im Hören

und im Sehen. Die hintergründig wirkende Intentionalität in diese Richtung sehe ich im

Sinn-Sein: eine Haltung, die daran orientiert ist, Bewusstsein und Handeln auf den

Zusammenhang mit dem großen Ganzen zu  fokussieren um deren Einklang miteinander

zu bewirken. Der Schlüssel liegt in einer subtilen, flexiblen und spielerischen Intention,

die niemals zu rigide und seriös werden darf - ganz im Sinne von folgendem buddhistis-

chen Spruch: „Handle immer so, als würde die Erlösung des Universums von deiner

Handlung abhängen. Und lache dabei immer über dich selbst, dass du glaubst, du kön-

ntest überhaupt etwas mit deinem Tun bewirken.“ (vgl. Csikszentmihalyi 2012: 15).

Eine Selbst-Performance in dem Sinne kommt also einem bewusst angestrebten embod-

iment von Selbst gleich - und mündet im besten Fall in der Verkörperung einer kon-

textuell relevanten und eingebetteten Sinnhaftigkeit. Die Aktivität ist eine spielerische:

Die Erspürung der eigenen sinnbehafteten Resonanz, verbunden mit dem Erleben von

flow, führt schließlich zur Lokalisierung und zum direkten Erfühlen vom Selbst, dem

ganzheitlichen Wesen, das nicht durch die Kognitionen des Weltlichen begrenzt ist: Das

Selbst als Attraktor, um das Ich zirkambuliert. Dies ist der Urgund, aus dem alles her-

vorgeht - der Anschluss ans Leben, die empfundene Sinnhaftigkeit im resistenzlosen

!39
Fließen, im Einklang mit dem großen Fluss. Diese Sinnhaftigkeit ist der Lebensweg, und

folgt man dem Gefühl der Ergriffenheit, so weist sie den Weg dorthin. Die Ergriffenheit,

aus dem Brunnen des Lebens zu schöpfen, die Ekstase der geballten Stille am Nabel der

Welt - ihre Resonanz gilt es zu erspüren und ihr nachzugehen, und sich ihrer zu ergeben,

voll und ganz. Dann wird das Leben zum Tanz und der magische Raum lebt, als

Bindeglied zwischen Innen- und Außenwahrnehmung, als das Psychoide, das Jung pos-

tulierte und mit Pauli erforschte.

Die  Verbindung zwischen Antistruktur und Struktur, zwischen Liminalität und Definität,

kraft des im Menschen wohnenden Potenzials zum freien Schöpfen aus jedem Moment,

ist die  Kondition, die es fertig bringt, den Limes zu überbrücken, der die Welten

voneinander trennt: „Ein ekstatisches Leben zu führen, heißt […] sein individuelles Leben

gestalten“, d.h. „stets zu entscheiden, worauf ich meine Aufmerksamkeit richten, worauf

ich mich in meinem Tun fokussieren möchte“ (vgl. Csikszentmihalyi 2012: 15). Der Schlüs-

sel liegt in einer holistischen Anerkennung und Beobachtung der Wirkungsweisen des

Kosmos, als Einheit in der Vielheit und Einheit hinter Innen und Außen. Alles ist vernetzt,

nur hängt es von der Sensibilität des Mess- oder Wahrnehmungsinstruments ab, wie viel

Vernetzung und Ordnung höherer Komplexität wahrgenommen werden kann.

Der vorliegenden Skizzierung vom magischen Raum als Raum der Resonanz von Ich mit

Umwelt, bei aller Unvollständigkeit, liegt ein Ruf nach mehr Qualität und weniger Quan-

tität in unserer modernen Lebensführung inne. Es ruft nach einem neuen ökologischen

Bewusstsein, welches eine aktive Rolle in der Gestaltung lebensfördernder Rahmenbe-

dingungen einnimmt und so den äußeren und inneren Raum für eine interaktive, kreativ-

intuitive Selbsterfahrung mittels bewusst gewählter „Spielregeln“ aufmacht. Es ruft nach

dem Aufwachen vom Homo oecologicus im Menschen, aus den Trümmern welche der

Homo oeconomicus vollbrachte.

Der Kern meiner Aussage liegt in der Einladung, ein intensives In-Beziehung-Treten mit

der Welt zu üben. Unter meinen zahlreichen Feldnotizen sticht eine besonders hervor und

illustriert dieses Gefühl, als Mensch „zur Welt zu kommen“: La curiosité palpable - die

greifbare Neugier, wie nur ein Mensch sie haben kann, der fasziniert und ehrfürchtig vor

dem großen Mysterium des Lebens steht. Wieder fühlen und aktiv wahrnehmen zu ler-

!40
nen, und die ganze Flut von Sinneseindrücken zu erleben, ungefiltert durch die begrif-

fliche Matrix unseres Verstandes. Kleinigkeiten Sinn zu verleihen indem ich ihnen

Aufmerksamkeit schenke. Und fließend durch’s Leben zu gehen, weil dies mein Anspruch

an mich selber als bewusster Mensch ist. Einer Quelle der Kraft zu folgen, die nach Er-

weiterung ruft, und mit meinem Tun zum Bewusst-Kommen der Welt beizutragen.

So wie ein inspirierter Musiker im Rausch der Improvisation seine Melodie schon kennt,

bevor er sie spielt, so kennt der inspirierte Mensch seinen Weg, bevor er ihn geht. Von

Moment zu Moment horchend, nachfühlend, vorahnend, webt er die Melodie aus der

Stille des Moment heraus - und schöpft aus dem Nichts der Antistruktur eine vol-

lkommene, lebendige Struktur in rhythmischer Gestalt von Musik.

… the work of art, like the act of knowing, expresses the confrontation, the embrace, of subject and object: ‚That penetra-

tion‘, wrote Bazaine, ‚that great common structure, that deep resemblance between Man and the world, without which

there is no living form‘. (Senghor 1993: 35)

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