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Utopie als versteinerte Ideologie

Die Architektonik der Vernunft in Morus’ ​Utopia

Bachelor-Arbeit
180064 SE Politische Utopien
Wintersemester 2018/2019
Univ.-Prof. i.R. Dr. Alfred Pfabigan
Institut für Philosophie
Universität Wien

vorgelegt von
Ármin Kristóf Tillmann
11720801
A 033 541
t​ illmann.armin@gmail.com
Inhalt

1. Einleitung 2
2. Zur Genese des Utopie-Begriffes 3
3. Kritik und Krise: Die sozio-politischen Verhältnisse der Utopie 6
4. Architektonik der Vernunft: Ideologie und Utopie auf dem Prüfstand 8
4.1. Das Architektonische als ideologischer Überbau in Morus’ Utopia 8
4.2. Utopien in der Diskursanalyse 13

5. Architektur als Ideologie: Die Architektonik der Vernunft in der


Planstadt Utopia 15
6. Ideologie als Aktualisierung der Utopie: Auf dem Weg zu einem neuen
Denken des Seins 21
7. Die gesellschaftliche Funktion des politischen Imaginären 25
8. Zusammenfassung 28
Verwendete Literatur 29
Primärliteratur: 29
Sekundärliteratur: 29

1
1. Einleitung
„Die Zukunft läßt sich nicht beobachten, nicht überprüfen, sie
läßt sich, als Zukunft, nicht durch Erfahrung einholen. Die
Zukunftsutopie ist deshalb eine Repertoire der Fiktionsbildung
eine genuine, eine reine Bewußtseinsleistung des Autors. Selbst
der fingierte Rückhalt der räumlichen Kontrolle entfällt.
Dadurch unterscheidet sich der fiktionale Status einer
zeitlichen von einer räumlichen Utopie. Die Realitätssignale
seiner Fiktion liegen nicht mehr im heute vorfindlichen Raum,
sondern allein im Bewußtsein des Autors. Er selbst und sonst
niemand ist der Urheber der Utopie, die zur Uchronie wird.
Die Wirklichkeit der Zukunft existiert nur als Produkt des
Schriftstellers, der kontrollierbare Boden der Gegenwart wird
1
verlassen.”

Utopie, eine Grundfigur politischen Denkens, beruht sich auf einem grundlegenden
Paradoxon: Es gibt einen Ort, der (noch) nicht existiert. Der Utopist, Schöpfer dieses
Nicht-Ortes, ist jedoch der Kunde von Nirgendwo. Die – zumeist häretische – prophezeite
Zukunft lässt mit dem Machtverlust der katholischen Kirche nach, um ihren Platz in der
prognostizierbaren Zukunft einzunehmen. Parallel zum Niedergang eschatologischer
Zukunftsvisionen verstärkt sich eine auf Rationalität basierende Zukunftsprognostik, die noch
2
zum Teil mit heilsgewissen Erwartungen einhergeht. Der hauptsächliche Stimulans der
Utopie war hingegen eine krisenhafte geschichtliche Situation, die den jeweiligen Utopiker
zu Verbildlichungen einer Idealstadt inspirierte. Die so entstandenen
politisch-philosophischen Entwürfe bleiben dennoch – trotz ihres revolutionären Charakters –
dem Zeitgeist verhaftet, indem sie daran gehindert wurden, jedwede soziale Probleme der
3
Gegenwart überwinden zu können. Utopien als Negation der Unfreiheit springen also aus
4
dem Reich der Notwendigkeit hervor, um das Reich der Freiheit anzuvisieren. Die Residuen

1
Reinhart Koselleck: „Die Verzeitlichung der Utopie“. In: ​Utopieforschung. Interdisziplinäre
Forschung zur neuzeitlichen Utopie​. Band 3. Hg. von Wilhelm Voßkamp. Stuttgart: Metzler 1982,
S. 3.
2
Reinhart Koselleck: ​Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten​. Frankfurt am Main:
Suhrkamp 1995, S. 33.
3
Theodor W. Adorno: „Die gegängelte Musik“. In: ​Dissonanzen. Einleitung in die Musiksoziologie​.
Hg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997, S. 64.
4
Der Sozialismus ist Engels zufolge der Sprung der Menschheit aus dem Reich der Notwendigkeit in
das Reich der Freiheit. In: Friedrich Engels: „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur
Wissenschaft“. In: ​Marx-Engels Werke​. Band 19. Berlin: Dietz Verlag 1973, ​S. 226. Der Titel seines
Werkes ahnt eine gewisse Utopiefeindlichkeit vor, die im nächsten Zitat von Ernst Bloch bewahrheitet
2
aus ihrer Herkunftsgesellschaft erwidern gerade die reaktionäre Anklage, dass alle Utopien
auf dem Reißbrett konzipierte, illusorische Wolkenkuckucksheime wären, denn ansonsten
spiegelten sich nicht damals aktuelle gesellschaftliche Schwierigkeiten in diesen Werken.
Was dennoch bezüglich der Utopien nicht desavouiert werden kann, ist, dass sie sich wegen
ihrer statischen Beschaffenheit schließlich in ihre ideologisch-autoritäre Kehrseite
verwandeln, was ein adäquater Nährboden für Kritik der Utopisten sein wird. Die Beurteilung
der Utopien, ob sie verwerflich oder wünschenswert sei, hängt von der jeweiligen politischen
Einstellung des Gutachters ab. Während auf diskursanalytischer Ebene die rechtskonservative
5
Seite das Utopische überwiegend als „falsche Religion“ anprangert, beansprucht die Linke
6
solche Visionen „begriffener Hoffnung“ . Was heute, im Zeitalter der Postmoderne,
vorherrscht, ist die perennierende Gegenwart, die als Immergleiche die zeitliche Differenz
ideologisch eliminiert, um Utopien nicht vorgestellt zu werden, als ob es in der Realität die
7
verwirklichte Utopie gäbe. Bei einer solchen Krise der Negation spornt das utopische
Vakuum die philosophische Kritik an, über diese Krise nachzudenken.

2. Zur Genese des Utopie-Begriffes


Was Utopie sich fühlt, bleibt ein Negatives gegen das
Bestehende, und diesem hörig. [...] Durch unversöhnliche
Absage an den Schein von Versöhnung hält sie diese fest
inmitten des Unversöhnten, richtiges Bewußtsein einer Epoche,
8
darin die reale Möglichkeit von Utopie.

Utopie proklamiert die bildliche ​Vergegenwärtigung eines systemtranszendenten Jenseits.


Aber was genau ist eine Utopie? Sie ist sicherlich ein Begriff von inflationärem Gebrauch.

wird: „Es bezeichnet dagegen eine auffallende, bürgerlich überhaupt nicht verstandene
Terminologiewendung, daß Metaphysik bei Friedrich Engels nicht primär mit Jenseiterei, sondern
eben mit Statik gleichgesetzt und so abgelehnt wurde.“ In: Ernst Bloch: ​Atheismus im Christentum.
Zur Religion des Exodus und des Reichs​. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1980, S. 97.
5
Karl R. Popper: „Utopie und Gewalt“. In: ​Utopie. Begriff und Phänomen des Utopischen​. Hg. von
Arnhelm Neusüss. Berlin/Neuwied: Luchterhand 1968, S. 326.
6
Ernst Bloch: ​Das Prinzip Hoffnung​. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1959, S. 5.
7
John Van Houdt: „The Crisis of Negation. An Interview with Alain Badiou“. In: ​continent. 1.4
(2011), S. 234. Die Krise der Negation ist äquivalent mit dem, was Karl Mannheim als die von der
Ideologie erzeugte Utopieblindheit bezeichnet, und was Mark Fisher mit diesem Satz beschreibt: „It’s
easier to imagine the end of the world than the end of capitalism“. ​Mark Fisher: ​Capitalist Realism. Is
There No Alternative?​. Winchester: Zero Books 2010, S. 1.
8
Theodor W. Adorno: ​Ästhetische Theorie.​ Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003, S. 55.
3
Der von Morus geprägte Utopie-Begriff scheint auch keinen guten Kandidaten für eine
allgemeingültige Bestimmung abzugeben, denn er ist zu abstrakt, um von seiner historischen
9
Gebundenheit reflektiert zu werden. In der Umgangssprache wird eine Idee als „nur Utopie“
diffamiert; gemeint ist hier eine Vorstellung, die nie zur Realisierung gelangt. Sie ist auch
weiterhin Zielscheibe der rechtskonservativen Seite, die „jedes Abweichen vom Status quo
10
und von der sogenannten ‚Realpolitik‘ als totalitäre Utopie diffamiert“. Worauf die Utopie
als Nirgendwo abzielt, ist lediglich die Erreichung der Idealgesellschaft, in der das Gute
herrscht. Norbert Elias versuchte zunächst, den klassischen Utopie-Begriff zu rehabilitieren:

Eine Utopie ist ein Phantasiebild einer Gesellschaft, das Lösungsvorschläge für ganz
bestimmte ungelöste Probleme der jeweiligen Ursprungsgesellschaft enthält, und zwar
Lösungsvorschläge, die entweder anzeigen, welche Änderungen der bestehenden
Gesellschaft die Verfasser oder Träger einer solchen Utopie herbeiwünschen oder welche
Änderungen sie fürchten und vielleicht manchmal beide zugleich. Man könnte noch einen
Schritt weiter gehen. Ich vermute, daß sich alle Utopien als Furcht- oder Wunschgebilde
11
auf akute Konflikte der Ursprungsgesellschaft beziehen.

Damit wurde die sozial-politische Einbettung einer jeweiligen Utopie untermauert. Die
Utopie ist ein von Morus erzeugtes Kunstwort, das so viel heißt wie Nicht-Ort oder
12
Nirgendwo. Der Ausdruck lässt sich von anderen literarischen Genres wohl abgrenzen.
Utopie unterscheidet sich dadurch vom Mythos, dass sie von der prinzipiellen Machbarkeit
der Welt ausgeht, während Mythen heilige Erzählungen sind, die für den Menschen als
13
helfend und sinnstiftend gelten. Utopie ist ferner auch nicht mit Chiliasmen bzw.
Eschatologien zu verwechseln, die stellen einen apokalyptischen Endzustand der Menschheit
dar, dessen Visionen aus der Bibel entstammen. Utopie ist auch keine Science-Fiction. Zwar
ist der Technikoptimismus und der säkularisierte Fortschrittsgedanke der Utopie nicht fremd,
zielen sie aber auf die Einführung einer Solidaritätsgemeinschaft ab anstatt von
14
verschiedenen Abenteuern auf anderen Planeten zu erzählen. Utopie hat zwei grundlegende

9
Richard Saage: ​Utopisches Denken im historischen Prozess. Materialien zur Utopieforschung​.
Berlin: LIT 2006, S. 51.
10
Richard Saage: ​Utopieforschung. Eine Bilanz​. Darmstadt: Primus Verlag 1997, S. 26.
11
Norbert Elias: „Thomas Morus’ Staatskritik“. In: ​Utopieforschung. Interdisziplinäre Studien zur
neuzeitlichen Utopie​. Band 2. Hg. von Wilhelm Voßkamp. Stuttgart: Metzler 1982, S. 105.
12
Saage: ​Utopisches Denken im historischen Prozess​, S. 55.
13
Ebd., S. 53. ff.
14
Ebd, S. 54.
4
Charaktermerkmale: Sie übt Kritik an den bestehenden Gesellschaftsstrukturen und
Institutionen, von denen sie beabsichtigt, sich in Form von Anbietung einer
Idealgemeinschaft abzugrenzen. Aus dem zuvor Gesagten geht hervor, dass Utopie einen
starken Bezug zur Realität pflegt, die von einer krisenhaften Situation generiert wird, wenn
15
sich die Unhaltbarkeit des alten Zustandes als objektiver Widerspruch meldet: „Utopie als
Erkundung anderer Möglichkeiten ist vor allem Zeit- und Gesellschaftsdiagnose, die das
16
Andere braucht, um das Wirkliche sichtbar zu machen“. Diese Gedanken befinden sich
auch bei Thomas Nipperdey: „Utopien entzünden sich an Krisen, daran, daß ein
Ordnungssystem nicht mehr funktioniert, also z. B. nicht mehr Frieden wahrt, nicht mehr ein
gewisses Maß wirtschaftlicher Sicherheit gewährleistet, nicht mehr Herrschaft stabilisiert und
legitimiert, oder daran, daß das System mit dem Bewußtsein der führenden Repräsentanten
17
des Geistes in einen grundsätzlichen Widerspruch tritt.“ Was jedoch das Utopische betrifft,
ist, dass es im Gegensatz zur Utopie weniger formiert und auch weniger präzisiert als sein
Gegenüber: „Utopie ist dem Utopischen gegenüber ein Gewinn an Präzision und Perspektive,
aber zugleich auch ein Verlust an Flexibilität, der nicht zuletzt eine Folge des in der Utopie
18
fast durchweg zu findenden ,Blicks von oben‘ ist.“ Man hat schon mit einer rudimentären
Form der dialektischen Auffassung von Utopie und Konservierung der Utopie bei Gustav
Landauer zu tun. Eine „Topie“ ist mit einer bestehenden Ordnung gleichzusetzen, die ihr
Ordnungsgefüge reguliert: „Allerdings ist ihre Stabilität nur relativ, weil sie sich graduell
19
ändert, bis der Punkt einer Zeitspanne zu tun“, „in der die alte Topie nicht mehr, die neue
20
noch nicht feststeht“. Bei Landauer nennt sich diese Umbruchsituation „Revolution“. Wo
21
also das Utopische eine umwälzende bzw. revolutionäre Funktion erhält, wird es zur Utopie.

15
Ernst Bloch: „Utopische Funktion im Materialismus“. In: Ernst Bloch: ​Tendenz – ​Latenz – ​Utopie​.
Frankfurt am Main: Suhrkamp 1978, S. 269.
16
Hans Ulrich Seeber: „Die Selbstkritik der Utopie“. In: ​Hat die politische Utopie eine Zukunft?​. Hg.
von Richard Saage. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1992, S. 181.
17
Thomas Nipperdey „Die Funktion der Utopie im politischen Denken der Neuzeit“. In: ​Archiv für
Kulturgeschichte​ 44 (1962), S. 362.
18
Herfried Münkler: „Das Ende des Utopiemonopols und die Zukunft des Utopischen“. In: ​Hat die
politische Utopie eine Zukunft?​. Hg. von Richard Saage. Darmstadt: Wissenschaftliche
Buchgesellschaft 1992, S. 212.
19
Richard Saage: ​Utopieforschung. Eine Bilanz​. Darmstadt: Primus Verlag 1997, S. 11.
20
Gustav Landauer: ​Die Revolution​. Hg. von Martin Buber. Frankfurt am Main: Ritter & Loening
1907, S. 77.
21
Karl Mannheim: ​Ideologie und Utopie​. Frankfurt am Main: Klostermann 1995, S. 170.
5
An welchem Punkt der Geschichte man zu einer Umbruchsituation gelangt, wird im nächsten
Kapitel geschildert.

3. Kritik und Krise: Die sozio-politischen Verhältnisse der Utopie

Ist die Kritik der scheinbare Ruhepunkt des menschlichen


Denkens, dann gerät das Denken in eine rastlose Flucht der
Bewegung. Die die Vernunft als Urteilsinstanz auszeichnende
Tätigkeit wird die Kritik, die den Prozeß des Für und Wider
22
dauernd vorwärtstreibt.

Kritik und Krise, gleich wie Ideologie und Utopie – wie später erläutert wird –, setzen
einander gegenseitig voraus; wo das System versagt oder nicht mehr wirkungsmächtig
funktioniert, ist das Auftreten der Krisenphänomene unausweichlich. Kritik begleitet etwa
23
Krise, oder „[i]n der Kritik liegt die Krise verborgen“, die versucht, die Fehlentwicklungen
kausal zu begründen, nachdem im Ereignishorizont Alternativen erscheinen können. Die
Eigenart der Kritik verbirgt sich in dem langwierigen Säkularisierungsprozess, der nach der
Auflösung des Mittelalters seinen Anfang nahm: „Der Mensch, der Gott verdrängt hat,
übernimmt als moralischer Richter die Führung der Geschichte, und durch das Medium
seiner Geschichtsphilosophie glaubt er den Ablauf der Geschichte auch im Sinne seiner
24
Jurisdiktion sichergestellt.“ Demnach war die Kritik anfangs eine Herausdifferenzierung,
die zwischen Vernunft und Offenbarung eingekeilt wurde, um später zur Tätigkeit der
25
Vernunft zu werden. Eine triftige Definition ist bei Koselleck zu finden, wo Kritik die
26
Kunst sei, „durch vernünftiges Denken richtige Erkenntnisse und Ergebnisse zu erzielen“.
Demnach steht die Kritik über den Parteien, „ihre Aufgabe sei nicht die, zu ‚zerstören‘,
27
sondern die Wahrheit zu ,etablieren‘“. Es ist naturgemäß eine wissenssoziologische
Selbstverständlichkeit, dass es kein absolutes, reines Denken gibt, dessen Träger sich in Form
des Kritikers allgemein Vorurteilen, Denkfehlern und dem Zeitgeist entziehen kann.
Logischerweise folgt implizit aus der Absicht, das Bestehende überwinden zu können, der

22
Reinhart Koselleck: ​Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt​. Frankfurt
am Main: Suhrkamp 1997, S. 89.
23
Koselleck: ​Kritik und Krise​, S. 86.
24
Ebd., S. 230.
25
Ebd., S. 89.
26
Ebd., S. 90.
27
Ebd.
6
Fortschrittsgedanke und damit neue Zeitdimensionen zumindest gedanklich in Gang zu
setzen, um die formale Möglichkeitsbedingungen der Bekämpfung des Bestehenden zu
realisieren: „Unter diesen Umständen blieb dem Kritiker gar nichts anderes mehr übrig, als
im Fortschritt die seiner Seinsweise zugeordnete Zeitstruktur zu entdecken. Der Fortschritt ist
der modus vivendi der Kritik, auch dort, wo er [...] nicht als eine Aufwärtsbewegung
28
verstanden wurde, sondern als Destruktion, als Dekadenz.“ Das Datum der Geburt des
Morus’schen Utopia befindet sich in einer krisenhaften politischen Situation, in der
politisches Durcheinander und eine neue, die meisten Einwohner unterdrückende
ökonomische Ära begann. Zu Morus‘ Lebzeiten, im Frühabsolutismus, verstärkte sich das
29
Ethos des individuell erwirtschafteten Profits unter Marktbedingungen. Zwar wurden die
feudalen Strukturen des Mittelalters wegen des Anbeginns des Frühkapitalismus größtenteils
zersetzt, doch bereitete diese Entwicklungsperiode dem Terrain blutige Konflikte. Vom 16.
bis 17. Jahrhundert herrschten in verschiedenen Teilen Europas langjährige Bürgerkriege. Zu
Zeiten sozio-politischer Anarchie strebten von der Idee des ökonomischen Individualismus
geleitete Fürsten nach unbeschränkter politischer Herrschaft. Die Absicherung des
Herrschaftsmonopols sowie die geopolitische Expansion genehmigten permanente Kriege,
welche durch drückende, der nicht-privilegierten Bevölkerung aufgezwungene Steuern
finanziert wurden. Sittenverfall, Kriege, Hungersnöte, soziale Polarisierung und Ausbeutung
waren also Insignien der sich neu etablierenden sozio-politischen Ordnung und Tyrannei,
30
Sophisterei und Heuchelei beherrschten die Szene. Der Ausgangspunkt von Morus für die
31
Verfassung seiner Kritik liegt demnach in der Desintegration des Gemeinwesens. Für die
massenhafte Verelendung im England des 16. Jahrhunderts sah Morus die sogenannte
Einhegungsbewegung verantwortlich, die in Form von klassischer Kapitalismuskritik in
seinem Werk vorkommt: „Damit also ein einziger Prasser, unersättlich und wie ein wahrer
Fluch seines Landes, ein paar tausend Morgen zusammenhängendes Ackerland mit einem
einzigen Zaun umgeben kann, werden Pächter von Haus und Hof vertrieben: durch listige
Ränke oder gewaltsame Unterdrückung macht man sie wehrlos oder bringt sie durch

28
Koselleck: ​Kritik und Krise​, S. 91.
29
Richard Saage: ​Politische Utopien der Neuzeit​. Bochum: Winkler 2000, S. 18. ff.
30
Johann Valentin Andreae: ​Christianopolis​. Aus dem Lateinischen übersetzt und hg. von Wolfgang
Biesterfeld. Stuttgart: Reclam 1975, S. 9.
31
Saage: ​Politische Utopien der Neuzeit​, S. 19.
7
32
ermüdende Plackereien zum Verkauf.“ Morus erkannte die Rahmenbedingungen der
Ausbeutung, die durch die Allianz zwischen dem wirtschaftlichen Individualismus der
frühneuzeitlichen Kapitalisten und dem politischen Individualismus des absoluten Fürsten
33
verbunden war. Es war offenkundig, dass das politische System des Frühabsolutismus nicht
34
imstande war, diese Krise zu bewältigen. Eine unangemessen herausgearbeitete Synthese
des Wirtschaftsdenkens, die in ​Utopia allzu präsent ist, ist einerseits auf die historische
Tatsache zurückzuführen, dass es zu diesem Zeitpunkt noch kein ausgereiftes ökonomisches
System gab, von dem man Abstand halten und adäquate Gegenentwürfe skizzieren konnte.
Auf der anderen Seite hatten utopische Wirtschaftssysteme das Ziel, „die Befreiung der
Menschen vom materiellen Elend durch die Produktion von Überschüssen, die teilweise
ausgeführt und teilweise als Reserven für Notzeiten im Land verbleiben, sowie die Sicherung
35
einer menschenwürdigen Existenz durch Abschaffung der Lohnarbeit“. Die historische
Lage schrie nach einer fiktiven, aber rational durchdachten Gegenwelt, deren Radikalität
36
kaum zu übersehen ist. Morus destillierte seine Gesellschaftskritik in einem Werk, das von
der Architektonik der Vernunft durchdrungen wurde.

4. Architektonik der Vernunft: Ideologie und Utopie auf dem Prüfstand

4.1. Das Architektonische als ideologischer Überbau in Morus’ ​Utopia

Zweifellos symbolisiert der geometrische Grundriß „Utopias“


[…] eine überraschungslos gewordene Welt, deren absolute
37
Transparenz individuelle Abweichungen nicht duldet.

Neue Philosophien entstehen nicht, indem jemand irgendein


System zu Ende denkt, irgendwelche Gedanken ausklügelt,
sondern indem der bereits daseiende, aber zunächst unreflexiv

32
Thomas Morus: ​Utopia​. Übersetzt von Gerhard Ritter. Stuttgart: Reclam 2017, S. 28. An einer
späteren Stelle wird die Einhegungsbewegung durch eine gemilderte Schaf-Metapher zum Ausdruck
gebracht: „Eigentlich gelten sie [die Schafe] als recht zahm und genügsam; jetzt aber haben sie, wie
man hört, auf einmal angefangen, so gefräßig und wild zu werden, daß sie sogar Menschen fressen,
Länder, Häuser, Städte verwüsten und entvölkern.“ In: Morus: ​Utopia​, S. 27–28.
33
Saage: ​Politische Utopien der Neuzeit​, S. 22.
34
Ebd.
35
Ebd., S. 38.
36
Ebd., S. 24.
37
Ebd., S. 27.
8
daseiende philosophische Gehalt neuer Lebenshaltungen ins
38
Blickfeld rückt.

Gerade das unersättliche Identitätsprinzip verewigt den


Antagonismus vermöge der Unterdrückung des
Widersprechenden. Was nichts toleriert, das nicht wie es selber
wäre, hintertreibt die Versöhnung, als welche es sich verkennt.
Die Gewalttat des Gleichmachens reproduziert den
39
Widerspruch, den sie ausmerzt.

Die Zukunft ist das sozialgeschichtliche Futter eines Utopisten, aus dem sich seine zu
40
verfassende Vision speist. Diese aber muss geordnet werden, um keine zauberhaften oder
irrationalen Elemente im Textkorpus vorzufinden. Denn „unter der Regierung der Vernunft
dürfen unsere Erkenntnisse überhaupt keine Rhapsodie, sondern sie müssen ein System
ausmachen, in welchem sie allein die wesentlichen Zwecke derselben unterstützen und
41
befördern können“. Die Systematizität schließt Ordnung ein. Die Kunst der Systeme oder
die Lehre des Szientistischen in unserer Erkenntnis heißt ​Architektonik im kantischen System.
42
Eine architektonische Einheit nennt sich ​Idee​, ohne die niemand versuchen wird, eine
43
Wissenschaft zustande zu bringen. Die Idee als Komponente eines architektonischen
Gefüges verlangt nach Ordnung. Dafür haftet das Schema, das mit einer ​a priori aus dem
Prinzip des Zwecks bestimmten wesentlichen Mannigfaltigkeit und Ordnung die Teile
gleichzusetzen vermag. Hätte Morus diese begriffliche Systematisierung lesen können,
könnte er mit solchen Grundbegriffen vollständig einverstanden sein, denn ein auf die
politische Vorstellungskraft aufgezwungener Schematismus charakterisiert die Stadt- und
Gesellschaftsbildung von Utopia. Wird nichtsdestotrotz das Gesellschaftliche aus
erkenntnistheoretischen Ausdrücken nicht völlig ausgeschaltet, so kann mit Karl Mannheim
festgestellt werden, dass die jeweilige historische Situation den Strukturen des Denkens einen
relativ engen Bewegungsraum zuspricht, dessen Entwürfe noch zu realisieren sind:

38
Karl Mannheim: „Statisches und dynamisches Denken“. In: ​Wissenssoziologie. Auswahl aus dem
Werk​. Hg. von Kurt H. Wolff. Berlin/Neuwied: Luchterhand 1964, S. 251.
39
Theodor W. Adorno: „Negative Dialektik. Begriff und Kategorien“. In: ​Negative Dialektik. Jargon
der Eigentlichkeit​. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2015, S. 146.
40
Reinhart Koselleck: „Die Verzeitlichung der Utopie“. In: ​Utopieforschung. Interdisziplinäre
Forschung zur neuzeitlichen Utopie​. Band 3. Hg. von Wilhelm Voßkamp. Stuttgart: Metzler 1982,
S. 3.
41
KrV, A 833.
42
KrV, A 833.
43
KrV, B 862.
9
Die Zusammengehörigkeit einer Gruppe konstituiert sich aber eben dadurch, daß die
Möglichkeiten der Auffassungsweisen und Einstellungen kommenden Schicksalen
gegenüber aus vorangehenden gemeinschaftlichen Erlebniszusammenhängen heraus
sozusagen prädeterminiert sind. Nur ein relativ kleiner Spielraum der Abweichungen und
Meinungsdifferenzen ist dort möglich, wo der vorhergehende Erlebniszusammenhang
44
gemeinsam sich konstituierte.

Laut dieser Passage wurde zu gleicher Zeit auch unterstrichen, dass sich das Gebilde des
politischen Imaginären aus dem kollektiven Erfahrungshorizont aufbaut. Die Gesamtheit
jener strukturell zusammenhängenden Erlebnisreihen, die sowohl vonseiten der Gebilde wie
auch vonseiten der sozialen ​Gruppenbildungen bestimmt werden können, heißt
45
Weltanschauung​. Das Dasein einer Weltanschauung in dem Sinne delegitimiert das Urteil,
dass Utopien Elfenbeinturm-Phänomene seien, die keinen Kontakt mit dem Realen pflegen.
Utopia als erstarrtes Sinngebilde hat eine statische Weltanschauung zur Folge, deren Denkart
ein ​objektiv-geistiger Strukturzusammenhang gegenüber der „Subjektivität“ des einzelnen
46
Individuums auszeichnet. Daraus kann das überindividuelle Ordnungsdenken abgeleitet
werden, das der Chaotik und den Wirren der eigenen Gegenwart von Morus entgegensetzt ist:
47

Nichts von der Idealstadt und der Idealgesellschaft sollte einer unbestimmten Zukunft
vorbehalten bleiben, sämtliche Vorstellungen, die architektonischen und die sozialen,
waren auf Verwirklichung hin angelegt. Der Anspruch auf Realisierbarkeit versperrt die
Möglichkeit, leichthin zwischen gebauter und ungebauter Idealstadt zu unterscheiden, als
handele es sich im einen Fall stets um den Verrat der Utopie, im anderen dagegen um den
Versuch, ihr unbedingte Treue zu halten. Entwürfe, die mit ambitionierten ästhetischen
Mitteln und fortschrittlichen städtebaulichen Konzepten Daseinsformen gestalten wollen,
die allem Anschein nach quer zur herrschenden Realität stehen, diese kritisieren und mit
neuen Vorstellungen von Humanität, Gerechtigkeit, kulturellem und technischem
Fortschritt konfrontieren, sind, gebaut oder nicht gebaut, Ausdruck utopischen Planens.48

44
Karl Mannheim: ​Strukturen des Denkens​. Hg. von David Kettler, Volker Meja, Nico Stehr.
Frankfurt am Main: Suhrkamp 1980, S. 81.
45
Karl Mannheim: ​Strukturen des Denkens​, S. 101.
46
Obwohl Mannheim diese Bestimmung dem politischen Konservativismus zuweist, kann dies auch
auf das konservative Denken angewandt werden. In: Karl Mannheim: „Das konservative Denken.
Soziologische Beiträge zum Werden des politisch-historischen Denkens in Deutschland“. In:
Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk​. Hg. von Kurt H. Wolff. Berlin/Neuwied: Luchterhand
1964, S. 414.
47
Richard Saage: ​Politische Utopien der Neuzeit​, S. 26.
48
Gerd de Bruyn: ​Die Diktatur der Philanthropen: Entwicklung der Stadtplanung aus dem utopischen
Denken​. Braunschweig/Wiesbaden: Vieweg 1996, S. 31.
10
Wird die jeweilige historische Gegebenheit in Betracht gezogen, so ergibt sich vonseiten des
Utopisten ein theoretischer Druck, das Geschehene zu erklären und neue Pläne für die
Lösung der gesellschaftlichen Probleme zu entwerfen, weil sich jede Krise der Planung,
49
rationaler Steuerung entzieht. Aus den vorgenannten Gründen lässt sich ableiten, dass der
Anspruch auf die Planung einer Idealstadt und den reibungslosen Ablauf eines ​bonum
commune wegen der historischen Situiertheit des Autors Morus wohl begründet zu sein
scheint, aus der die chaotischen Momente entnommen wurden:
Ideal ist eine stationäre, möglichst überraschungsfreie, entprivatisierte „Große
Gemeinschaft“. Um diese Stabilität zu garantieren, ist die Kosmopolis oder eine
räumliche Isolierung notwendig: das heißt Selbstversorgung, wirtschaftliche Autarkie,
kein oder wenig Außenhandel und möglichst keine Auslandsreisen, Naturalwirtschaft
ohne Geld oder allenfalls eine Binnenwährung, Abschaffung der wirtschaftlichen und
allgemeinen Menschenrechte wie Freizügigkeit, Berufswahlfreiheit, Freiheit in der Wahl
50
der Lebensform, dann auch der Meinungsfreiheit usw.

Was das utopische Bewusstsein des Weiteren charakterisiert, ist, dass es „sich mit dem es
51
umgebenden ‚Sein‘ ​nicht in Deckung befindet“. Mannheim setzt das Utopische mit jener
„wirklichkeitstranszendenten“ Orientierung gleich, „die, in das Handeln übergehend, die
52
jeweils bestehende Seinsordnung zugleich teilweise oder ganz sprengt“. Um Ideologie und
Utopie auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, kann behauptet werden, dass beide
seinstranszendente Vorstellungen sind: Erstens, „Ideologien nennen wir jene
seinstranszendenten Vorstellungen, die de facto niemals zur Verwirklichung des in ihnen
53
vorgestellten Gehaltes gelangen.“ Zweitens, „​Utopien sind auch seinstranszendent, denn
auch sie geben dem Handeln eine Orientierung an Elementen, die das gleichzeitig
verwirklichte Sein nicht enthält; sie sind aber nicht Ideologien bzw. sie sind es insofern und
in dem Maße nicht, als es ihnen gelingt, die bestehende historische Seins​wirk​lichkeit durch
54
Gegen​wirk​ung in die Richtung der eigenen Vorstellung zu transformieren.“ Aus diesen
Definitionen ergibt sich, dass das entscheidende Unterscheidungskriterium zwischen

49
Koselleck: ​Kritik und Krise​, S. 134.
50
Gerd Habermann: „Müssen Utopien sozialistisch sein?“. In: ​ORDO. Jahrbuch für die Ordnung von
Wirtschaft und Gesellschaft​. Stuttgart: Lucius & Lucius 2004, S. 101.
51
Mannheim: ​Ideologie und Utopie​, S. 169.
52
Ebd.
53
Ebd., S. 171.
54
Ebd.
11
55
Ideologie und Utopie in deren (Un-)Fähigkeit zur Verwirklichung liegt. Wie
überlebensnotwendig für eine Gesellschaft das Erschaffen von Utopien ist, wie tief es in der
sozialen Zeiteinteilung verankert ist, wird in der nächsten Passage erörtert: „Wie eine
konkrete Gruppe, wie eine soziale Schicht die historische Zeit gliedert, das hängt von ihrer
Utopie ab. In der Utopie wird zum unmittelbar schaubaren Bild oder zumindest zu einem
geistig direkt intendierbaren Gehalt, was in der spontanen Betrachtung des Geschehens als
Form der Gliederung der Ereignisse, als unbewußt eingefühlte Rhythmik in die fließende Zeit
56
vom Subjekt aus emaniert.“ Etwas, was jetzt ideologisch und was später als utopisch
gebrandmarkt wird, hängt von der jeweiligen aufstrebenden bzw. herrschenden Klasse ab:
„Den Begriff des Utopischen bestimmt stets die herrschende, mit einer bestehenden
Seinsordnung sich in unproblematischer Deckung befindende Schicht; den Begriff des
Ideologischen bestimmt stets die aufstrebende, zur bestehenden Seinswirklichkeit sich in
57
existentieller Spannung befindende Schicht.“

Es ist wichtig zu bemerken, dass auch die Messlatte bei der Abschätzung zählt, was als
ideologisch und als utopisch zu betrachten ist: „Was im gegebenen Falle als Utopie und was
als Ideologie zu gelten hat, das hängt ja im wesentlichen auch davon ab, an welcher Stufe der
58
Seinswirklichkeit man den Maßstab ansetzt.“ Dass sich aber Utopien auch in Ideologien
umwandeln können, erleuchtet Saage in dem folgenden Gedankengang: Folgendes
Erklärungsmuster stellt dar, wie man eine ideale Zukunftsvorstellung in ein archisches59
System umwandeln kann: Erstens, ein System, in welchem das Wahrheits- und
Politikmonopol einer kleinen Elitegruppe zur Verfügung steht, bleibt machtlos, auf neue
Herausforderungen innovativ zu reagieren, weil neue Perspektiven oftmals von Minderheiten
60
außerhalb der herrschenden Klasse artikuliert werden. Zweitens, die Unterdrückung des

55
Mannheim: ​Ideologie und Utopie​, S. 179.
56
Ebd., S. 182–183.
57
Ebd., S. 177.
58
Ebd., S. 172.
59
Andreas Voigt unterscheidet zwei Arten von Utopien: Anarchische (herrschaftsfreie) Utopien sind
solche Nicht-Orte, wo es einen „Mangel jeder Oberherrschaft“ gibt, währenddessen archische
(herrschaftsbezogene) Utopien ein soziales Gefüge unter dem Herrschafts- und Zwangsprinzips sei.
Andreas Voigt: ​Die sozialen Utopien​. Leipzig: Göschen 1906, S. 20.
60
Richard Saage: „Reflexionen über die Zukunft“. In: ​Hat die politische Utopie eine Zukunft? Hg. von
Richard Saage. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1992, S. 156.
12
Individuellen blockiert die kulturelle, wissenschaftliche und vor allem wirtschaftliche
Konjunktur, die eine Stagnation in allen oben genannten Bereichen induziert. Drittens, eine
auf der Bevormundung der großen Masse der Bevölkerung beruhende Gesellschaft zerstört
die individuelle Freiheit durch einen totalen Überwachungsapparat, damit delegitimiert sie
ihre politische Herrschaft. Wie tiefgreifend jedoch Utopien in das Politische eingebettet sind,
wird im nächsten Kapitel behandelt.

4.2. Utopien in der Diskursanalyse

In welchem Maße die (ideologische) Beurteilung von Utopien in der Rezeptionsgeschichte


vorliegt, stellt Mannheims Analyse am adäquatesten dar:
Ideen, von denen es sich nachträglich herausstellte, daß sie über einer gewesenen oder
aufstrebenden Lebensordnung nur als verdeckende Vorstellungen schwebten, waren
Ideologien; was von ihnen in der nächsten gewordenen Lebensordnung adäquat
verwirklichbar wurde, war relative Utopie. Die gewordenen Wirklichkeiten der
Vergangenheit entziehen weitgehend dem Kampfe der bloßen Meinungen die Beurteilung
dessen, was von den früheren seinstranszendenten Vorstellungen als
wirklichkeitssprengende relative Utopie und was als wirklichkeitsverdeckende Ideologie
zu gelten hat. In der Verwirklichung liegt ein nachträglicher und rückwirkender Maßstab
zu der Beurteilung von Sachverhalten, die, solange sie gegenwärtig sind, weitgehend
61
noch dem Meinungsstreit der Parteien unterworfen sind.
62
Der Satz, wonach es keine unschuldige Weltanschauung gebe, ist heutzutage gültiger denn
je. Dass Utopien immer von einem politischen Standpunkt her vermessen werden, was die
jeweilige Bilanz zeigt, ist keinesfalls belanglos. In der Umgangssprache ist etwas „nur
utopisch“, was niemals zu verwirklichen ist. Vom rechtskonservativen Flügel werden
Utopien häufig mit ihrem nie gewollten Endzweck, mit der Realisierung totalitärer Regime
angeklagt: „Was einst mit der Unschuld utopischen Planens begann, sei zur
63
geistesgeschichtlichen Rechtfertigung totalitärer Systeme depraviert“. Ein weiterer
erschwerender Umstand diesbezüglich mag an der Einstellung liegen, mit der Utopien als
wirklichkeits- und geschichtsferne Visionen abgestempelt werden. Nimmt man diese zwei
Prämissen an, so gelangt man zu einem antagonistischen Widerspruch: Wie können Utopien
auf einmal keinen Kontakt mit der Realität pflegen, wenn sie ein so bedeutungsvolles

61
Mannheim: ​Ideologie und Utopie​, S. 178.
62
Georg Lukács: ​Die Zerstörung der Vernunft​. Band 1. Darmstadt/Neuwied: Luchterhand: 1962, S.
19.
63
Lothar Bossle: ​Zur Soziologie utopischen Denkens in Europa – von Thomas Morus zu Ernst Bloch​.
Würzburg: Creator-Verlag 1988, S. 10.
13
Potential in sich tragen, dass sie bald in faschistischen oder bolschewistischen Diktaturen
landen? Das utopische Denken wird schlechthin als Utopismus denunziert, dessen negative
Konnotation der Rationalität entgegengestellt wird: „Die utopistische Haltung ist daher der
vernünftigen entgegengesetzt. Selbst wenn der Utopismus des öfteren in rationalistischer
64
Verkleidung auftritt, ist er nicht mehr, als ein Pseudorationalismus.“ Das Ideologische lässt
sich in dem als unbefangen eingestellten, „postideologischen“ Satz als endgültige
Entscheidung über Utopien am genauesten ertappen: „Ihre [die der Utopie] Wiederkehr […]
65
dürfte auszuschließen sein. Die politische Utopie hat keine Zukunft.“ Der Scheincharakter
der Objektivität wird bei Joachim Fest deutlich, wenn er beide Extremitäten der politischen
Skala mit einem omnipräsenten Utopismus diffamiert, als handele es sich schlechthin um ein
Hirngespinst:
Was im Blick auf das nationalsozialistische Zukunftsbild so unverkennbar ins Auge fällt,
gilt auch für das kommunistische Gegenbild: das eine wie das andere sind tiefes
19. Jahrhundert, erfüllt von Allmachtsphantasie, Geschichtsmystik sowie schwarzem oder
leuchtendem Menschheitspathos, und in alledem nichts als ein zwar unterschiedlicher,
gewiß auch mit unterschiedlichem Anspruch begründeter, zuletzt aber doch verwandter
Aberglaube in wissenschaftlicher Verbrämung. Die nahezu metaphysische Bedeutung,
mit der Marx das „historische Gesetz“ ausstattete, nahm mit einer unscheinbaren, aber
enthüllenden Verschiebung im Denken Hitlers die „Vorsehung“ ein, und der eine wie der
andere bezogen daraus, samt ihren Exekutoren, jene intellektuelle Ungerührtheit und
66
Kälte, die selbst dem Schrecken noch moralische Rechtfertigung zuspielt.

Dahingegen bezieht sich das utopische Denken doppelt auf seine Ursprungsgesellschaft,
„einmal als Reaktion auf gesellschaftliche Fehlentwicklungen, die es kritisch aufzeigt; zum
anderen als alternative Fiktion, die mögliche, aber nicht verwirklichte Dimensionen des
gesellschaftlichen Seins, wie sie durch den Stand der jeweiligen wissenschaftlich-technischen
67
Entwicklung vorgegeben sind, antizipiert“. Was hier als Aufgabe der Ideologiekritik
zurückbleibt, ist, die systemkonformen Elemente nachzuweisen. André Gorz hat dies
prägnant auf den Punkt gebracht:

64
Karl R. Popper: „Utopie und Gewalt“. In: ​Utopie. Begriff und Phänomen des Utopischen​. Hg. von
Arnhelm Neusüss. Berlin/Neuwied: Luchterhand 1968, S. 323.
65
Ernst Nolte: „Was ist oder was war die ‚politische‘ Utopie?“. In: ​Hat die politische Utopie eine
Zukunft?​ Hg. von Richard Saage. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1992, S. 13.
66
Joachim Fest: „Leben ohne Utopie“. ​In: ​Hat die politische Utopie eine Zukunft? Hg. von Richard
Saage. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1992, S. 18.
67
Richard Saage: ​Utopieforschung. Eine Bilanz​. Darmstadt: Primus Verlag 1997, S. 18.
14
Wenn die Rechte alle von der Realpolitik abgehobenen Leitideen und Zukunftsvisionen
weiterhin als gefährliche Utopien verurteilt, dann trägt sie dazu bei, dass ein Vakuum
entsteht, das dann von rechtsextremistischen Utopien wie Kameradschaft, Ordnung und
Disziplin im totalen Staat ausgefüllt wird. Eine Rechte, die in allem Linken den
vermeintlichen Schatten des Sowjetismus bekämpft, läuft Gefahr, selbst von rechts
68
überrannt zu werden.

Es ist zugleich nicht zu suggerieren, dass jedes Positivum der Utopie-Tradition der Linken
zugesprochen werden kann, vielmehr beschäftigten sich mit Utopien meistens
linksorientierte, für soziale Probleme empfindliche Theoretiker, die – trotz der Konzipierung
69
statischer Strukturen – die Inkraftsetzung eines „weltveränderndes Metas“ wünschten.

5. Architektur als Ideologie: Die Architektonik der Vernunft in der


Planstadt ​Utopia

Man finde die geometrische Mitte des Landes. Man mache sie
zum geopolitischen Zentrum. Und man verachte dabei alle
wirtschaftlichen, sozialen, ethnologischen und politischen
70
Nebenumstände.

Meine Arbeitshypothese, mit der ich beabsichtige, die Möglichkeitsbedingungen der Utopie
als wohl organisierter Nicht-Ort zu erforschen, lautet folgendermaßen: Die drastische
Geordnetheit der Architektonik bei Morus folgt nicht aus einer manischen
Zwangsvorstellung, alles akribisch anzuordnen, sondern vielmehr aus einem Engagement für
die Verbesserung des sozialen Zusammenlebens einer Gemeinschaft, um die anarchischen
Wirren in Form von sozialen Ungleichheiten durch Architektonik der Vernunft als „Welt der
71
Präzision“ zu vermeiden. Die Chaotik gesellschaftlicher Strukturprinzipien verlangt nach
Reformierung des Denkens über das Politische, was dennoch mit einem überindividuellen

68
André Gorz: „Das Subjekt steht links. Die Perspektive der Befreiung“. In: ​André Gorz und die
zweite Linke. Die Aktualität eines fast vergessenen Denkers​. Hg. von Claus Leggewie, Wolfgang
Stenke. Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer. Berlin: Wagenbach 2017, S. 162.
69
Ernst Bloch: ​Atheismus im Christentum​, S. 97.
70
Vilém Flusser: ​Vom Stand der Dinge. Eine kleine Philosophie des Design​. Hg. von Fabian Wurm.
Göttingen: L. S. D. 1993, S. 87.
71
Manfredo Tafuri: ​Kapitalismus und Architektur. Von Corbusiers „Utopia“ zur Trabantenstadt​. Hg.
von Nikolaus Kuhnert, Juan Rodriguez-Lores. Aus dem Italienischen von Thomas Bandholtz,
Nikolaus Kuhnert, Juan Rodriguez-Lores. Hamburg/Westberlin: VSA Verlag 1977, S. 35.
15
72
Ordnungsdenken ausgeglichen wird. Das durch Artefakte der Ratio, nämlich durch
Regelmäßigkeit, Geradlinigkeit und harte Symmetrie gekennzeichnete Stadtbild Amaurotum,
Sinnbild aller Städte auf der Insel Utopia, ist aus diesem Grund „dem Chaos der Natur
entzogen und ausschließlich menschlicher Kontrolle unterworfen. Die geplante Stadt und die
ihr entsprechende Architektur wird die in Stein geronnene physische Umwelt für ein ‚gutes
73
Leben‘.“ Perfektionsgedanken als „Mittel haben eine eigene Logik, die über sie
hinausweist. Wird aber die Angemessenheit der Mittel sich zum Selbstzweck, wird sie
fetischisiert, so bewirkt handwerkliche Gesinnung das Gegenteil dessen, was gemeint war.
74
[…] Sie hemmt die objektive Vernunft der Produktivkräfte, anstatt sie frei zu entfalten“. Ein
solches Misstrauen gegenüber der Natur kann aus ideengeschichtlicher Betrachtung ein
Ergebnis des Renaissance-Humanismus sein, der die Kultur der Natur entgegensetzte.
Während Natur als eine wilde, unzuverlässige Entität zum Vorschein kommt, die von den
Menschen okkupiert und kultiviert werden soll, so werden demgegenüber der Kultur die
positiven Eigenschaften des Menschen zugesprochen, über die er verfügt. Morus ging
daneben von den begrenzten Ressourcen einer vorindustriellen Agrargesellschaft aus, wobei
eine von Utilitarismus geprägte, instrumentelle Beziehung zur Natur als notwendige
Bedingung für die materielle Überflussproduktion des ​bonum commune stillschweigend
75
angenommen wird. Was jedoch noch schwerer ins Gewicht fällt, ist die zentrale
Bewirtschaftung des Gemeineigentums, die eine restriktive Bedürfnisbefriedigung des
Einzelnen und eine vollständige Mobilisierung der Arbeitsressourcen von den Bewohnern der
76
Polisgemeinschaft verlangt. Die Stadt ist Ausdruck eines Wertesystems innerhalb einer
77
Kultur, was sich in folgenden Überlegungen beobachten lässt: Die Überbetonung der Rolle
des Rationalismus in der Gestaltung der Menschheitsgeschichte führt zwangsläufig zu einer

72
Richard Saage: „Utopia als Leviathan. Platons ​Politeia in ihrem Verhältnis zu den frühneuzeitlichen
Utopien“. In: ​Vertragsdenken und Utopie. Studien zur politischen Theorie und zur Sozialphilosophie
der frühen Neuzeit​. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1989, S. 19.
73
Richard Saage: ​Utopisches Denken im historischen Prozess. Materialien zur Utopieforschung​.
Berlin: LIT 2006, S. 171.
74
Theodor W. Adorno: „Funktionalismus heute“. In: Ohne Leitbild. Parva Aesthetica​. Hg. von
Günther Busch. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1969, S. 117.
75
Saage: ​Utopisches Denken im historischen Prozess​, S. 10–11.
76
Ebd., S. 11.
77
Manuel Castells: ​Die kapitalistische Stadt. Ökonomie und Politik der Stadtentwicklung​. Aus dem
Französischen von Michel Lang. Hamburg: VSA-Verlag 1977, S. 74.
16
solchen Konklusion, dass sie als allgegenwärtig verklärt wird. Durch die Apotheose der
Vernunft kann dem „Gründungsvater“ Utopos oder dem „Gesellschaftsarchitekt“ Morus die
Kompetenz zugeordnet werden, „die bestehenden Probleme des engen Zusammenlebens
78
durch die ordnungsstiftende Kraft seiner Ratio zu lösen“. Ein weiterer wichtiger Aspekt für
das archische Ordnungsdenken ist aus den zu Morus Lebzeiten herrschenden
gesellschaftlichen Verhältnissen zu entziffern, die Morus durch einen radikalen Bruch des
bestehenden politischen Regimes eliminieren wollte. Diese ​tabula rasa stellt einen Zustand
dar, „wo allen alles gehört“, eine von Traditionen und rechtlichen Ansprüchen faktischer
79
Eigentumsverhältnisse befreite Gesellschaft, deren symbolische und materielle Ausdrücke
die homogenen Stadtschemata und die gleich gestalteten Wohneinheiten, die streng regulierte
Arbeitsteilung und die damit verbundene, als politische Ordnung erfasste soziale
Klassenbildung sind. Ein weiteres Argument für die geschlossene Systematizität von Utopien
liegt in der Verleugnung des Geschichtlichen, d. h., zwar haben sie eine fest verankerte
80
historische Basis, müssen aber ihre Geschichtslosigkeit wahren: „Neuerungssucht ist
schlechthin verpönt, Sturm und Drang, wenn es nicht der vorgesehene ist, ein
81
Staatsverbrechen.“ Ein anderer Grund für einen wohl organisierten Nicht-Ort: die Stadt
kann eine permanente Widerspiegelung des Urbilds sein, die über die Wirklichkeit
82
hinausging und diese verändern wollte, denn das Wesen der Utopie liegt im Entwurf von
83
Gegenbildern zur Wirklichkeit. Ein anthropologisches Defizit kann der „Architektonik der
Vernunft“ zugeordnet werden, was im Grunde genommen dem Glauben an die totale
84
Planbarkeit der gesellschaftlichen Entwicklung entspringt, wonach der menschliche Faktor,
der auch zum Teil durch irrationale Triebe, Emotionen und Handeln typisiert werden kann,
theoretisch vollständig ausgegliedert wird. Das räumlich gedachte Nirgendwo wird
verzeitlicht, indem die Konzipierung und Perfektion der Idealstadt als Bindemittel die
Gegenwart mit der Zukunft verknüpft: „Der Schluß vom schlechten Heute auf das bessere

78
Saage: ​Utopisches Denken im historischen Prozess​, S. 174​.
79
Ebd., S. 10.
80
Hans Freyer: „Die Gesetze des utopistischen Denkens“. In: ​Utopie. Begriff und Phänomen des
Utopischen.​ Hg. von Arnhelm Neusüss. Berlin/Neuwied: Luchterhand 1968, S. 312.
81
Freyer: „Die Gesetze des utopistischen Denkens“, S. 312.
82
Hanno-Walter Kruft: ​Städte in Utopia. Die Idealstadt vom 15. bis zum 18. Jahrhundert zwischen
Staatsutopie und Wirklichkeit​. München: Beck 1989, S. 14.
83
Kruft: ​Städte in Utopia​, S. 14.
84
Saage: ​Utopieforschung​, S. 99–100.
17
Morgen ist das Muster, nach dem diese Utopie gestrickt ist. Planung und Optimierung
85
verbinden die Gegenwart mit der Zukunft.“ Es ist jedoch wichtig anzumerken, dass die
geometrischen Basisfiguren wie Rechteck, Quadrat oder Kreis weder eine platonische
Ideenwelt noch einen mittelalterlichen Grundriss des Tausendjährigen Reichs Christi
86
abbilden; sie lassen sich in berechenbaren Formen auslegen, die der Natur von außen
87
aufgezwungen werden. Um konkreter zu werden, rekurrieren die architektonischen
88
Konzepte von Morus auf die jeweilige sozio-ökonomische Umbruchsituation. Außerdem
kann ohne Übertreibung gesagt werden, dass Utopien in jedem Fall über eine
89
architektonische sowie städteplanerische Dimension verfügen, weil die bahnbrechenden
Ideen, die in einem gewissen Zeitalter im Denken eines Utopisten kristallisieren, am besten
durch die Architektur demonstriert werden können. Trifft dieses Szenario zu, so kann das
Thema über den ideologischen Charakter der Architektur gewechselt werden.

Wie bereits im vorherigen Kapitel mit Hilfe von Karl Mannheim erörtert wurde, ist das
entscheidende Kriterium für die Bildung von Ideologie und Utopie deren Realisierbarkeit.
Dies hat einen doppelten Gültigkeitsanspruch für die Architektur. Zwar wäre es zutiefst
unrecht, die geistige Leistung an den utopistischen Konstrukten geringzuschätzen, muss es
aber als Binsenwahrheit festgestellt werden, dass eine utopische Stadt ​per definitionem noch
nicht entstanden ist, aus der Perspektive des Realitätsprinzips keine ist, denn sie ist wegen
ihres Unnutzes nicht bewohnbar. Die verbleibende Option wäre hierfür, die Architektur
primär für ideologisch zu halten, und zwar mit guten Gründen. Denn Architektur lässt sich
vom Politischen nicht trennen, da das Eigene der Politik sei, eine Neuanordnung des
materiellen und symbolischen Raumes zu vollziehen. Zwar kann Architekturtheorie
revolutionär und utopisch sein, bleibt aber die Architektur ihrem Geschöpf, dem Gebäude in
ihrer elementaren Funktion, bewohnt werden zu können, prinzipiell gefangen. Um konkreter

85
Reinhart Koselleck: „Die Verzeitlichung der Utopie“. In: ​Utopieforschung. Interdisziplinäre
Forschung zur neuzeitlichen Utopie​. Band 3. Hg. von Wilhelm Voßkamp. Stuttgart: Metzler 1982,
S. 5.
86
Richard Saage: ​Auf den Spuren Utopias. Stationen des utopischen Denkens von der Frühen Neuzeit
bis zur Gegenwart​. Berlin: LIT 2015, S. 86–87.
87
Richard Saage – Eva-Maria Seng: „Geometrische Muster zwischen frühneuzeitlicher Utopie und
russischer Avantgarde“. In: ​Zeitschrift für Geschichtswissenschaft​. 44 Jg., 1996, S. 680.
88
Saage: A​uf den Spuren Utopias,​ S. 87.
89
Ebd.
18
zu werden, ergibt es sich aus dem Wesen der Architektur, die Räume einer Gesellschaft
einzugrenzen und aufzuteilen. Ohne ein solches Organisationsprinzip wäre das Funktionieren
menschlicher Infrastrukturen nicht vorstellbar. Drei Korrelate für das Architektonische
scheinen also an diesem Punkt zur Begriffsbestimmung adäquat zu sein, die gleichzeitig der
Architektur eine politische Dimension verleihen: Raumbesetzung (Ordnung),
Raumkonzipieren (Planung), Raumgestaltung (Gliederung). Was die sozio-politische Seite
der Architektur auszeichnet, ist, dass sie auch ein Instrument zur kollektiven Integration und
90
Pädagogik sein kann. Diese theoretisch klassenlose Gesellschaft, deren Wohlstand sie ihrem
Gemeinwohl verdankt, ist jedoch so statisch ausgestaltet, dass sie keine Veränderung mehr
duldet: „Die Architektur als Ideologie des Plans wird durch die Wirklichkeit des Plans
überrollt, sobald der Plan seine utopische Phase hinter sich läßt und zu einem wirksamen
91
Mechanismus wird.“ Die Perfektionslogik als prästabilierte Harmonie schließt prinzipiell
die Reformierbarkeit einer sozio-politischen Ordnung aus. Die zentralisierte Infrastruktur der
Städte, die Grenzen von Utopia als Insel und den Primat der Vernunft- und das damit
verbundene Ordnungsdenken prognostizieren eine in sich geschlossene, mit der Außenwelt
nicht in Kontakt getretene, unveränderbare und in streng geometrischen Formen erstarrte
Architektonik der Gesellschaft, deren Hierarchien nicht zu ändern sind und wo sich keine
Möglichkeit anbietet, die sich eingebürgerte Ordnung umzuwälzen. Die Gleichförmigkeit der
Städte erfolgt durch dieses lineare Regelfolgen, dessen Grundgedanke in der These liegt, dass
auch ein minimaler Unterschied das utopische System der Gleichheit gefährdet: „Wer eine
Stadt kennt, kennt sie alle: so völlig ähnlich sind sie untereinander, soweit nicht die
92
Örtlichkeit Abweichungen bedingt.“ Die folgende Beschreibung verstärkt die Vermutung,
dass es sich hier nicht um eine Plan-, vielmehr um eine Festungsstadt handelt, die zum Schutz
gegen potentielle Feinde eingerichtet ist: „Eine hohe und breite Mauer umgibt die Stadt, mit
zahlreichen Türmen und Bollwerken. Ein trockener, aber tiefer und breiter Graben, mit
Dorngebüsch bewehrt, umzieht die Mauern auf drei Seiten, auf der vierten dient der Strom als
93
Wehrgraben.“ Die rationalistischen Ansichten, den Verkehr zu befördern und die Belüftung
der Straßen zu lancieren, sind manchenorts überrationalistisch gebildet, die im ungünstigen

90
Tafuri: ​Kapitalismus und Architektur​, S. 97.
91
Ebd., S. 101.
92
Morus: ​Utopia​, S. 62.
93
Ebd., S. 63.
19
94
Fall für eine panoptische Kontrolle plädieren, wo alle Zellen einsehbar sein müssen, nur
zuliebe der Aufrechterhaltung der vermeintlich gleichen Eigentumsverhältnisse: „Die Türen
sind zweiflügelig, schließen sich dann von selber wieder und lassen so jeden hinein: so weit
95
geht die Beseitigung des Privateigentums!“ „Die Homogenität der Architektur, die
geometrischen Grundrisse der utopischen Insel und die Funktionalität der Gestaltung
städtischer und ländlicher Räume haben ihre Entsprechung in den gesellschaftlichen
96
Beziehungen.“ Sie lehnen grundsätzlich das Privateigentum ab als Ausdruck individueller
Absonderung; sie tendieren dazu, Privatfamilie, Individualität, Ungleichheit, Vielfalt oder
Privatleben überhaupt zu eliminieren. Aus dem Grundsatz benediktinischer Mönchen – „Ora
et labora!“ – wurde der Letztere in Morus’ ​Utopia aufbewahrt, der, als entscheidende Instanz
für die Aufrechterhaltung des gemeinsamen Wohlstandes aufgrund des vollständigen
Einsatzes menschlicher Arbeitskraft, mit etwa sakraler Bedeutung aufgeladen wird, um einen
Vorrang auf der Insel Utopia zu gewähren. Diese prinzipielle Aufwertung der Arbeit, als
Kern des Egalitarismus, duldet keine Müßiggänger. Es ist in diesem
Bedeutungszusammenhang unerheblich, dass jeder vorschriftlich sechs Stunden in einem Tag
arbeiten muss, denn es herrscht einen inneren Beschäftigungsimperativ vor: Jeder
Handwerker lässt sein Handwerk frei, um nach Herzenslust auf irgendeine anderer nützliche
Beschäftigung zu verwenden.97 „Die meisten widmen diese Pausen geistigen Studien.“98 Eine
Freizeit-Gesellschaft99 ist daher auszuschließen. Sedimente einer ständischen Gesellschaft
blieben ebenso erhalten durch das Dasein einiger Kasten, die als politische
Entscheidungsträger gelten (Syphogranten, Tranibore) oder aber für die Wissensproduktion
und -vermittlung haften.100 Die Grundstrukturen einer zutiefst patriarchalen Gesellschaft

94
​Harun Farocki: „Kontrollblicke“. In: ​Nachdruck. Texte​. Hg. von Susanne Gaensheimer, Nicolaus
Schafhausen. Berlin: Vorwerk 8 2001, ​S. 315.
95
Morus: ​Utopia​, S. 63.
96
Richard Saage: „Utopia als Leviathan. Platons ​Politeia in ihrem Verhältnis zu den frühneuzeitlichen
Utopien“. In: ​Vertragsdenken und Utopie. Studien zur politischen Theorie und zur Sozialphilosophie
der frühen Neuzeit​. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1989, S. 19.
97
Morus: ​Utopia​, S. 68.
98
Ebd.
99
André Gorz: ​Abschied vom Proletariat​. Aus dem Französischen von Heinz Abosch. Reinbek bei
Hamburg: Rowohlt Verlag 1980, S. 163.
100
Morus schreibt an einer Stelle folgendes: „Es ist nämlich üblich, täglich in den Frühstunden
öffentliche Vorlesungen zu halten, an denen teilzunehmen nur die verpflichtet sind, die namentlich für
wissenschaftliche Berufsarbeit ausgewählt sind.“ In: Morus: ​Utopia​, S. 68.
20
bestehen weiterhin auch fort: Die Institution der Familie blieb erhalten; dem ​pater familias
wird sogar bei kleineren Vergehen die Kompetenz zugesprochen, die Ehefrau zu strafen.101
Außerhalb des Hauses wird jede Bewegung aller Jüngeren überwacht, „unter deren Autorität
und Zucht sie auch zu Hause stehen“.102 Der voreheliche Geschlechtsverkehr oder ein freies
Zusammenleben zieht ebenso harte Strafe nach sich wie Ehebruch; die Partnerwahl erfolgt
auch nicht nach der Liebe des Einzelnen: „Eine würdige und ehrbare Matrone führt nämlich
das zur Heirat begehrte Weib, sei es nun ein Witwe oder ein Mädchen, dem Freier nackend
vor, und entsprechend stellt ein ehrenwerter Mann dem Mädchen den Freier nackend vor.“103
Sexuelle Beziehungen sind für den innerweltlichen Frieden verantwortlich. Es kann
allgemein festgestellt werden, dass das politische System des utopischen Gemeinwesens fest
in der Sphäre der patriarchalischen Familie verankert ist, „um dessen Konsensfähigkeit aus
dem unmittelbaren Lebenszusammenhang der Bürger begründen zu können“.104 Die
Konzeption der Massen, die organisiert werden sollen, um die Idealgesellschaft funktionieren
zu können, hat sich seit Platon in den Werken von Utopisten kaum geändert, wonach es sich
in den emanzipatorischen Gedanken auch höchst unterdrückende Ideen einmischen.
Allgemein kann man sagen, daß Platons berühmtes Verdikt der Menge als „eines gar
bunten und vielköpfigen Tieres die oberste Maxime ist, die der politischen Verfassung
der utopischen Gemeinwesen der frühen Neuzeit zugrunde liegt. Offenbar glaubten ihre
Autoren, das Volk von einer diffusen, amorphen und dynamischen Masse zu einem
funktional gegliederten Körper am besten im Rahmen einer „gemischten Verfassung“
transformieren zu können. Freilich ist in deren Rahmen das „Mischungsverhältnis“
zwischen den demokratischen und den autokratischen Elementen bei den einzelnen
Utopisten sehr unterschiedlich ausgefallen.105

Nachdem die zweifache Architektonik des Ordnungsdenkens von Morus in kurzem


dargestellt wurde, ist es möglich, den Fokus auf die Aktualität der Utopie zu richten.

6. Ideologie als Aktualisierung der Utopie: Auf dem Weg zu einem neuen
Denken des Seins

101
Saage: ​Politische Utopien der Neuzeit​, S. 48. ff.
102
Morus: ​Utopia​, S. 139.
103
Ebd., S. 107.
104
Saage: ​Politische Utopien der Neuzeit​, S. 50.
105
Ebd.
21
What is neoliberalism? A programme for destroying collective
106
structures which may impede the pure market logic.

Der Globus war also okkupiert. Die Ausweiche, die sich jetzt
107
anbot, war die Zukunft.

Die Wirtschaft ist hier aufgehoben, aber die Seele, der Glaube
fehlen, dem Platz gemacht werden sollte; der tätig kluge Blick
hat alles zerstört, gewiß viele auch mit Recht zerstört, all die
privaten Idyllen und nichts durchbohrenden Träumereien der
Siedler und Sezessionisten des Sozialismus, die sich für sich
eine schöne Nebenerde aus dem besten der Welt heraus
destillieren wollten und das Phlegma der übrigen Erdkugel
niederschlugen; gewiß auch wurde der allzu arkadische, der
abstrakt-utopische Sozialismus mit Grund desavouiert, wie er
seit der Renaissance wieder auftauchte als säkularisierte Weise
des tausendjährigen Reichs und oft nur als wesenlose Draperie,
Ideologie höchst nüchterner Klassenziele und
Wirtschaftsrevolutionen. Aber damit ist weder die utopische
Tendenz in all diesem begriffen noch die Substanz ihrer
Wunderbilder getroffen und gerichtet noch gar die religiöse
Urwunsch verabschiedet, als welcher durchaus, in allen
Bewegungen und Zielen des Weltumbaus, dem Leben Raum
schaffen wollte, um sich göttlich zu verwesentlichen, sich
chiliastisch in Güte, Freiheit, Licht des Telos endlich
108
einzubauen.
109
„Das Sein gebiert Utopien, diese sprengen das Sein in der Richtung auf ein nächstes Sein.“
Was geschieht denn, wenn das Sein so tut, ​als ob ​es ​sich selbst durch Erzeugung der Utopien
auf ein nächstes Sein vorantreibt? In dem Sinne wäre das Sein systemimmanent, da die von
ihm vermittelte Ideologie die an und für sich seiende Realität verdecken würde. Und so ist es
auch der Fall im Zeitalter der Postmoderne, wo die vorherrschende politische Ideologie, die
des Neoliberalismus, jede Barriere eliminiert, die die Funktionsmechanismen der Marktlogik
110
verhindern würden. Anders formuliert, die kulturelle Logik des Spätkapitalismus operiert

106
Pierre Bourdieu: „The Essence of Neoliberalism“, unter:
https://mondediplo.com/1998/12/08bourdieu​ [Stand: 02.05.2019].
107
Reinhart Koselleck: „Zur Begriffsgeschichte der Zeitutopie“. In: ​Begriffsgeschichten. Studien zur
Semantik und Pragmatik der politischen und sozialen Sprache​. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006,
S. 260.
108
Ernst Bloch: ​Geist der Utopie​. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1964, S. 305.
109
Karl Mannheim: ​Ideologie und Utopie​, S. 174.
110
Auf diese Weise definiert Jameson die Postmoderne unter gleichem Titel seines Buches, als einen
ideologischen Überbau zum globalen Kapitalismus als Basis bzw. Produktionsweise. Fredric
Jameson: ​Postmodernism, Or, The Cultural Logic of Late Capitalism​. London/New York: Verso
1991.
22
mit einer wirklichkeitsverdeckenden Als-ob-Struktur, die Ideologie als die Verdiesseitigung
111
des Utopischen darstellt, außerhalb derer keine weitere Alternative vorgestellt werden
kann. Die Dialektik von heute, die einst in dem Utopischen verortet war, ist die Ideologie
geworden: „Die Ideologie ist ein für allemal eine Form der Dialektik geworden, die sich auf
das Negative gründet, die den Widerspruch als Bewegungselement der Entwicklung begreift,
und die, ​ausgehend von der Existenz dieses Widerspruchs​, die Realität des Systems
112
anerkennt.“ Der ideologische Überbau des Spätkapitalismus, die Postmoderne gebraucht
„das ungleichzeitig Konträre, wo nicht Disparate zur Ablenkung von seinen streng
gegenwärtigen Widersprüchen; es gebraucht den Antagonismus einer noch lebenden
Vergangenheit als Trennungs- und Kampfmittel gegen die in den kapitalistischen
113
Antagonismen sich dialektisch gebärende Zukunft.“ Da die Logik des Kapitals sich stets
ausbreitet, um erhalten zu bleiben, genügt es ihm nicht, das konkret-materielle
einzuverleiben. Auch die Zeit als symbolisches Kapital muss annulliert werden, denn sie ist
auch eine zu annektierende und zu exploitierende Ressource, die das Kapital füttert. Damit
werden räumliche Utopien – auch in ihrem dystopischen Äquivalent – verzeitlicht. Ohne die
triadische Struktur der Zeit wird es verunmöglicht, das historische Bewusstsein und die
Identität einer Kultur aufzubewahren. Die Zeitlichkeit der Postmoderne wird also – von der
Systemlogik her gesehen – zur Zurückgeworfenheit einer an sich schließenden Zirkularität
als ewiges Nun verdammt, was sich aus dem Imperativ der warenproduzierenden – eigentlich
aus allen Systemen – Gesellschaft ergibt: das System aufrechtzuerhalten. Werden die
temporären Orientierungspunkte liquidiert, so wird man utopieblind114 und im Endeffekt
seinsblind. Das Verschwinden der Zukunft geht mit der Depravation des politischen
Imaginären einher, das die ursprüngliche Funktion hat, die Welt als radikal anders zu
115
erdenken als sie in der Gegenwart erfahren wird. Die versagte Zukunft spukt in der
Gegenwart herum: sie ist die Virtualität, von dem das Gegenwärtige geprägt wird, die unsere
Motivationen beeinflusst und die kulturelle Produktion antreibt. Diese Logik der
Heimsuchung heißt bei Derrida Hauntologie, wenn nach dem Ende der Geschichte der Geist

111
Frigga Haug: „Feminismus als politische Utopie. Notiz“. In: ​Hat die politische Utopie eine
Zukunft​. Hg. von Richard Saage. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1992, S. 254.
112
Tafuri: ​Kapitalismus und Architektur​, S. 49.
113
Bloch: ​Erbschaft dieser Zeit​, S. 118.
114
Ich verwende hier die Begriffe von Karl Mannheim. In: Mannheim: ​Ideologie und Utopie​, S. 173.
115
Mark Fisher: „What is Hauntology?“. In: ​Film Quarterly​, 66.1 (Herbst 2012), S. 16. ff.
23
als Revenant zurückkehrt; „er stellt ​gleichzeitig einen Toten dar, der wiederkehrt, und ein
116
Gespenst, dessen erwartete Wiederkehr sich immer aufs neue wiederholt“. Es ist wichtig,
sich wieder in Erinnerung zu rufen, dass Ideologie und Utopie nicht nur Denkfiguren sind,
sondern auch Bewusstseinsformen. Demgemäß ist die neue Formation des Bewusstseins die
Retrotopie, der Rückgriff auf die Zukunft, welche zugleich implizit auch eine Uchronie
enthält. Die hegemonialen kulturellen Objektivierungen postmoderner Zeitlichkeit sind der
Pastiche und die Nostalgie. Das eine steht für die Nachahmung vorher existierender Stile und
Kunstformen, während die Nostalgie der Sinn für Verlust und Mangel ist oder auch das
117
Umherschweifen in der eigenen Phantasie. ​Ähnlich wie es bei dem ewigen Nun der Fall
war, besteht die Gefahr bei Nostalgie, zwischen dem ursprünglichen und dem imaginären
118
Moment keine Unterscheidung treffen zu können. Die Pointe liegt gerade ​in puncto
119
Ideologie darin, in der Postmoderne eine solche Konfusion hervorzurufen, aus der man
keinen Ausweg findet. Genau dazu versucht die Ideologie als pervertierte Utopie zu
gelangen: „Die Funktion der Utopie für die kapitalistische Entwicklung besteht immer mehr
darin, ein Reservoir für die Bildung von Tendenz-Modellen und eine Waffe für die
120
Konsensbildung zu sein.“ Ein solches isoliertes Denken befördert auch die neue
121
Produktionsweise des Spätkapitalismus, die Flexploitation , die auf das historische Subjekt,
auf das Prekariat122 eine immer erfolgreiche Ausbeutung aufoktroyiert. Prekarität deutet auch
den klassischen Begriff des Utopischen um: Utopie ist demnach nicht mehr eine

116
Jacques Derrida: ​Marx’ Gespenster. Der verschuldete Staat, die Trauerarbeit und die neue
Internationale​. Aus dem Französischen von Susanne Lüdemann. Frankfurt am Main: Fischer 1995,
S. 27–28.
117
Svetlana Boym: ​The Future of Nostalgia​. New York: Basic Books 2001, S. XIII.
118
​Boym: ​The Future of Nostalgia​, S. XVI.
119
Die Ideologie entstellt und verhext laut Althusser das Bewusstsein des Subjekts: „Jede Ideologie
repräsentiert in ihrer notwendig imaginären Verzerrung nicht die bestehenden Produktionsverhältnisse
[...], sondern vor allem das [imaginäre] Verhältnis der Individuen zu den Produktionsverhältnissen.“
Louis Althusser: „Ideologie und ideologische Staatsapparate. Anmerkung für eine Untersuchung“. In:
Ideologie und ideologische Staatsapparate. Aufsätze zur marxistischen Theorie​. Aus dem
Französischen von Rolf Löper, Klaus Riepe, Peter Schöttler. Hamburg/Westberlin: VSA 1977, S. 13.
120
Manfredo Tafuri: ​Kapitalismus und Architektur​, S. 57.
121
Pierre Bourdieu: „Prekarität ist überall“. In: ​Gegenfeuer​. ​Wortmeldungen im Dienste des
Widerstands gegen die neoliberale Invasion​. Konstanz: UVK 2004, S. 111.
122
Das Wort weist auf das prekäre Proletariat hin, auf einen Bevölkerungsanteil, der aufgrund von
anhaltender Arbeitslosigkeit und fehlender soziale Sicherheit in Armut lebt und eine geringe oder
keine soziale Mobilität hat.
24
Ansammlung von in die Zukunft projizierten Hoffnungen und Erwartungen, sondern sie ist
zu einem Alptraum geworden: sie ist identisch mit der Angst, arbeitslos zu werden, und der
123
sich aufdrängenden sozialen Unsicherheit. Die Ideologie der Postmoderne scheidet das
Negieren aus der subversiven Negation der Utopie aus, um sich selbst präsentieren zu
124
können, als ob sie die Freiheit mit Sicherheit versöhnt hätte. Sie wird auf ihre Bedeutung
Nicht-Ort reduziert, während ihre zweite Deutungsfacette, die nachgestrebte Eutopie,
125
ausgeklammert wird.
Die „Erlösung“ sieht man nicht mehr in der „Revolte“, sondern nunmehr in der
bedingungslosen Kapitulation. Die Menschheit kann erst dann von ihrer „Erbsünde“
erlöst werden, wenn sie die Ideologie der Arbeit verinnerlicht und sie sich zu eigen
gemacht hat; wenn sie nicht mehr darauf beharrt, die materielle Produktion und die
Organisation als ​etwas außerhalb von sich selbst stehendes o​ der als bloße Instrumente zu
betrachten; wenn sie bereit ist, ​sich als Teil eines umfassenden Plans zu begreifen​; und
wenn sie total akzeptiert, als „Zahnrädchen“ einer allumfassenden Maschine zu
126
funktionieren​.

7. Die gesellschaftliche Funktion des politischen Imaginären


Es ist die Institution der Gesellschaft, die bestimmt, was „real“
127
ist und was nicht, was „einen Sinn hat“ und was keinen.

Utopie als Technik ist die Vorahnung des später Realisierbaren, ohne das Denken über die
Zukunft, das Antizipieren des Erfolgenden, oder ohne die Zukunftsvorstellungen überhaupt
endgültig kolonisiert zu haben. In diesem Bedeutungszusammenhang innerviert das utopische
Bewusstsein die intellektuelle Leistungsfähigkeit des Geistes eher, als es sie beschlagnahmt.
Die Fähigkeit, die Zukunft zu projizieren, ist unzuverlässiger, als es der Fall bei anderen
Zeitdimensionen ist. Denn die Zukunft ist keine naturgegebene Modalität des Geistes,
128
sondern ein Modus der Projektion und Imagination, der sich mit dem Kulturwandel ändert.
Obschon das die Zukunft projektierende Imaginäre nicht so glaubwürdig zu sein scheint, wie
es bei anderen Zeitmodi der Fall ist, erfüllt es jedoch elementare Funktionen im

123
Zygmunt Bauman: ​Retrotopia​. Cambridge: Polity 2017, S. 10.
124
Bauman: ​Retrotopia​, S. 11.
125
Zygmunt Bauman: ​Socialism. The Active Utopia​. London: Allen & Unwin 1976, S. 10.
126
Tafuri: ​Kapitalismus und Architektur​, S. 58.
127
Cornelius Castoriadis: ​Das imaginäre Element und die menschliche Schöpfung​. Hg. von Michael
Halfbrodt; Harald Wolf. Aus dem Französischen von Michael Halfbrodt. Lich/Hessen: Verlag Edition
AV 2010, ​S. 31.
128
Franco „Bifo“ Berardi: ​After the Future​. Hg. von Gary Genosko, Nicholas Thoburn.
Edinburgh/Oakland/Baltimore: AK Press 2011, S. 24–25.
25
gesellschaftlichen Leben: Marx erkannte, dass das delphische Orakel in der griechischen
Gesellschaft eine genauso reale Macht wie andere war: „Hier scheinen die Produkte des
menschlichen Kopfes mit eignem [sic!] Leben begabte, untereinander und mit den Menschen
129
im Verhältnis stehende selbstständige Gestalten.“ Dieser Grundgedanke deutet auf die
130
Bildung der Institution hin. Das politische Imaginäre ist tief mit den gesellschaftlichen
131
Institutionen verbunden, weil es das Auftauchen neuer Institutionen und Lebensweisen, ein
132
schon konstituiertes Reales, gründet. Ein anderer Grund dafür, warum das (politische)
Imaginäre ein unentbehrliches Werkzeug im Leben des Menschen sei, wäre die
Problemlösung, die sich auf solche Probleme bezieht, welche ohne einen Paradigmenwechsel
kaum zu lösen wären. Anders formuliert, es existieren solche Schwierigkeiten, welche
unseren jeweiligen Begriffsbestand übersteigen. Dementsprechend „gelingt den Menschen
133
die Lösung realer Probleme gerade nur deshalb, ​weil sie zur Imagination fähig sind“. Aus
anthropologischer Hinsicht überschreitet der Mensch seine Definitionen stets wieder, „weil er
134
sie selbst ​schafft​, indem er etwas schafft und damit auch ​sich​ ​selbst​ erschafft“.

Die Notwendigkeit des Utopischen ist brennender denn je, besonders, wenn man den
gesellschaftlichen Kontext berücksichtigt: Franco „Bifo“ Berardi spricht über die „langsame
135
Stornierung der Zukunft“, welche die von der progressiven Moderne hervorgerufene
kulturelle Situation sei. Im 20. Jahrhundert wurde diese „mythologische Temporalität“
erreicht: anfangs des Jahrhunderts durch die von Hegel und Marx stammende Mythologie der
Aufhebung und die Gründung der neuen Totalität des Kommunismus; durch die bürgerliche
Mythologie der linearen Entwicklung der Wohlfahrt und Demokratie; schließlich durch die
technokratische Mythologie der allumfassenden Macht der wissenschaftlichen Erkenntnis. Es

129
Karl Marx. „Das Kapital“. Band 1. In: ​MEW​. Band 23., S. 86.
130
Castoriadis gibt die folgende Definition der Institution an: „Die Institution ist ein symbolisches,
gesellschaftlich sanktioniertes Netz, in dem sich ein funktionaler und ein imaginärer Anteil in
wechselnden Proportionen miteinander verbinden.“ In: Cornelius Castoriadis: ​Gesellschaft als
imaginäre Institution. Entwurf einer politischen Philosophie​. Aus dem Französischen von Horst
Brühmann. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1990, S. 226.
131
Castoriadis: ​Gesellschaft als imaginäre Institution​, S. 229.
132
Ebd., S. 230.
133
Ebd.
134
Ebd., S. 233.
135
Berardi: ​After the Future​, S. 18–19. ff.
26
scheint unmöglich zu sein, die Wirklichkeit ohne diese temporären Linsen zu betrachten. Die
langsame Stornierung der Zukunft demoliert auch die Erwartungen ihr gegenüber. Dieses
Verspätungsgefühl, das Leben ​nach der Zukunft hat jedoch seine historischen Wurzeln: In
den vergangenen 30 Jahren, durch den Neoliberalismus von Ronald Reagan und Margaret
Thatcher, hat sich die kapitalistische Ökonomie durch die transnationale Restrukturierung
136
radikal umgewandelt. Die Verschiebung nach dem sogenannten Postfordismus durch
Globalisierung, allgegenwärtige Computerisierung und Prekarisierung der Arbeit resultierte
in einer Reorganisierung der Arbeit und Freizeit. In diesem Sinne verlor man die Fähigkeit,
die Gegenwart begreifen und artikulieren zu können. Diesen Zustand benannte Jameson als
137
Modus Nostalgie , eine ​formale Beharrlichkeit auf die Techniken und Formeln der
Vergangenheit, die eine Konsequenz des Rückzugs von der Herausforderung der Moderne,
138
die kulturellen Formen zeitgenössischen Erfahrungen entsprechend zu erneuern, war. Die
Gegenwart bedarf Utopien. Sie finden bei Deleuze und Guattari in Form von subversivem
Potential der kollektiven Wunschproduktivität Niederschlag: Demgemäß waren Utopien den
Gruppenphantasien ähnlich, „das heißt wie Agenten der realen Wunschproduktivität, die,
zugunsten einer revolutionären Stiftung des Wunsches selbst, die Abziehung der Besetzung
oder eine ‚Ent-Institutionalisierung‘ des herrschenden gesellschaftlichen Feldes möglich
139
machten.” Eine Ent-Institutionalisierung durch Gruppenphantasien fordert eine
angemessene Methode, um neue Institutionen zu schaffen. Der erste Schritt zum Auffinden
der richtigen Methode wohnt in dem kognitiven Kartieren ein.

Das Konzept des kognitiven Kartierens involviert eine Extrapolation der sozialen Struktur,
die sozusagen, in unserem historischen Augenblick, die Totalität der Klassenverhältnisse auf
140
globaler (oder multinationaler) Ebene umfasst. Die zweite Prämisse besteht darin, dass die
Unfähigkeit zum sozialen Kartieren in demselben Maße lähmend wirkt wie die Unfähigkeit
zum räumlichen Kartieren der städtischen Erfahrung. Aus dem zuvor Gesagten geht hervor,

136
Mark Fisher: ​Ghosts of My Life. Writings on Depression, Hauntology and Lost Futures​.
Winchester: London 2014, S. 13–14. ff.
137
Jameson: ​Postmodernism​, S. 20.
138
Fisher: ​Ghosts of My Life​, S. 15.
139
Gilles Deleuze – Guattari Félix: ​Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie​. Band I. Aus dem
Französischen von Bernd Schwibs. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1977, S. 41.
140
Fredric Jameson: „Cognitive Mapping“. In: ​Marxism and the Interpretation of Culture​. Hg. von
Cary Nelson, Lawrence Grossberg. Hampshire/London: Macmillan Education 1988, S. 353. ff.
27
dass eine Ästhetik des kognitiven Kartierens ein integraler Bestandteil jedes sozialistischen
politischen Projekts sei. Dieses Projekt steht oder fällt offensichtlich mit dem Konzept der
141
(unvorstellbaren, imaginären) globalen sozialen Totalität, die kartiert werden musste.
Scheint zu Zeiten der Postmoderne die Vorstellung anderer Räume und Zeiten blockiert zu
sein, so legt Louis Marin nahe, mit Hilfe von Utopie als kognitive Technik mit dem Problem
umzugehen: „Utopie ist die Figur des Horizonts. Wenn in dem Funktionieren der Stadt,
gestaltet durch Straßen und Wohnungen, [...] der Raum kann nicht ohne Schranken und
Grenzen existieren, entdeckt und stellt Utopie eine virtuelle oder potentielle räumliche
Ordnung dar: sie bietet dem Zuschauer/Leser eine doppeldeutige Vorstellung, das äquivoke
142
Bild über Bedeutung, das konträr zum Begriff der Grenze ist.“ Durch Bildung von Utopien
kann daher der begrenzte Möglichkeitsraum der Postmoderne zum Teil aufgehoben werden.

8. Zusammenfassung
Was der Gegenwart fehlt, erfüllt die Funktion des Utopischen. Utopien entstehen nicht
umsonst; sie haben eine spezifische Bestimmung: das Umkippen des Gegenwärtigen durch
Erschaffen eines realen Zukünftigen. In der vorliegenden Arbeit wurde nur ein Segment aus
der gesamten utopischen Tradition des Abendlandes präsentiert. Der von Thomas Morus
geprägte Utopie-Begriff als erste Station dehnte sich im Laufe der Geschichte bis zu einer
Kontinuität aus, wonach der Sinn des Ausdruckes nach und nach modifiziert wurde.
Historische Krisen tragen zur Genese des Utopischen bei, damit sie durch ihre Gegenpole
abgewechselt werden können. Was in unserer Zeit dennoch in doppelter Hinsicht krisenhaft
zu sein scheint, ist, dass je größer der Anspruch auf Utopien/Alternativen zum Bestehenden
wird, desto inkompetenter wird die Menschheit sein, auf die „langsame Stornierung der
Zukunft“ handlungsfähig zu reagieren, während die spätere Phase des Kapitalismus durch
Annektierung der Sub- und Gegenkulturen und des Gedankenreichtums der radikalen
Theoretiker immer mehr immun gegen „systemfeindliche Elemente“ sein wird. Damit wird
implizit gesagt, dass die Aussagekraft der Utopie kaum erschöpft war: „Die Antwort nach der
Aktualität von Utopien hat auf zwei Ebenen zu erfolgen – auf der ​prospektiven und der
präskriptiven​. Der erste Aspekt fragt danach, ob Utopien weiter eine Rolle spielen ​werden​,

141
Jameson: „Cognitive Mapping“, S. 356.
142
Louis Marin: „The Frontiers of Utopia“. In: ​Utopias and the Millennium. Hg. von Krishan Kumar,
Stephen Bann. London: Reaktion Books 1993, S. 11–12.
28
143
der zweite, ob sie noch eine Rolle spielen ​sollen​.“ Das Urteil fällt demnach, von welchem
politischen Standpunkt her das Utopische erwogen wird. Beim Ausfall von Utopie bleibt
hingegen remanent gerade das, was man von der ganzen utopischen Überlieferung ins Exil
schicken würde: das homogenisierende Ordnungsdenken, das in einem nächsten Schritt das
zur Wirklichkeit gewordene irdische Paradies in einem Augenblick in eine
repressiv-autoritäre Überwachungsgesellschaft umzuwälzen vermag: „Wenn die utopischen
144
Oasen austrocknen, breitet sich eine Wüste von Banalität und Ratlosigkeit aus.“ Die
Zukunft liegt weiterhin auch in der Entdeckung des Utopischen.

Verwendete Literatur

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