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Die Logik der Täter


Von Stephan Malinowski

14–17 Minuten

Mit dem Begriff „Arschbombe“ wird in Sommerbädern eine


Sprungtechnik bezeichnet, der es zwar an Eleganz mangelt, die
jedoch im Becken erheblichen Wellengang und einige
Aufmerksamkeit zu erzeugen vermag. Im Mai 2021 wählte der
australische Historiker A. Dirk Moses ebendiese Technik beim
Sprung ins Becken der deutschen Geschichts- und
Erinnerungspolitik. Sein provokanter, scharf polemischer Text
mit dem Titel „Der Katechismus der Deutschen“ wendet sich
gegen die in Deutschland angeblich kultische Beschäftigung mit
dem Holocaust, die angebliche Abwertung anderer, vor allem
kolonialer Großverbrechen und die angeblich reflexartige
Unterstützung des Staates Israel.

„Grundlage für eine neue Erinnerungskultur“

Der Text, eines der schrillsten Zeugnisse einer international an


Kraft gewinnenden Sichtweise vor allem unter jüngeren
Wissenschaftlern und Aktivisten, hat erhebliche Wellen erzeugt,
die in diversen Konferenzen und Sammelbänden auslaufen und
als „Historikerstreit 2.0“ bezeichnet wurden. Moses, Professor
am City College of New York, beherrscht im Übrigen auch alle
anspruchsvollen Startsprünge zum Eintritt in akademische
Wettkampfbecken – er gehört seit zwanzig Jahren zu den
produktivsten und einflussreichsten Intellektuellen auf dem Feld

04.09.23, 21:53 about:reader?url=https%3A%2F%2Fzeitung.faz.net%2Ffas%2Ffeui...


der postkolonial inspirierten komparativen Genozidforschung.

Jetzt erscheint für den deutschen Markt ein kurzes Bändchen


mit dem Titel „Nach dem Genozid“ (Matthes & Seitz, 159 Seiten,
15 Euro), das den Titelzusatz „Grundlage für eine neue
Erinnerungskultur“ hat und sich als Versuch verstehen lässt, die
Kernthesen seines umfangreichen, öffentlich aber nur wenig
eingeschlagenen Hauptwerks von 2021 – „The Problems of
Genocide“ – in Deutschland weiter zu popularisieren. Beiden
Texten ist gemein, den 1948 für die UN-Völkermordkonvention
zurechtgeschnittenen Genozid-Begriff als ein von jüdischen
Intellektuellen entwickeltes Konzept zu deuten, das sich
eignete, um NS-Verbrechen zu verfolgen und den Holocaust als
„einzigartig“ zu stilisieren, ohne die gleichzeitig fortlaufenden
kolonialen und postkolonialen Großverbrechen liberaler und
illiberaler Staaten benennen und verfolgen zu müssen.

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