Mit dem Begriff „Arschbombe“ wird in Sommerbädern eine
Sprungtechnik bezeichnet, der es zwar an Eleganz mangelt, die jedoch im Becken erheblichen Wellengang und einige Aufmerksamkeit zu erzeugen vermag. Im Mai 2021 wählte der australische Historiker A. Dirk Moses ebendiese Technik beim Sprung ins Becken der deutschen Geschichts- und Erinnerungspolitik. Sein provokanter, scharf polemischer Text mit dem Titel „Der Katechismus der Deutschen“ wendet sich gegen die in Deutschland angeblich kultische Beschäftigung mit dem Holocaust, die angebliche Abwertung anderer, vor allem kolonialer Großverbrechen und die angeblich reflexartige Unterstützung des Staates Israel.
„Grundlage für eine neue Erinnerungskultur“
Der Text, eines der schrillsten Zeugnisse einer international an
Kraft gewinnenden Sichtweise vor allem unter jüngeren Wissenschaftlern und Aktivisten, hat erhebliche Wellen erzeugt, die in diversen Konferenzen und Sammelbänden auslaufen und als „Historikerstreit 2.0“ bezeichnet wurden. Moses, Professor am City College of New York, beherrscht im Übrigen auch alle anspruchsvollen Startsprünge zum Eintritt in akademische Wettkampfbecken – er gehört seit zwanzig Jahren zu den produktivsten und einflussreichsten Intellektuellen auf dem Feld
der postkolonial inspirierten komparativen Genozidforschung.
Jetzt erscheint für den deutschen Markt ein kurzes Bändchen
mit dem Titel „Nach dem Genozid“ (Matthes & Seitz, 159 Seiten, 15 Euro), das den Titelzusatz „Grundlage für eine neue Erinnerungskultur“ hat und sich als Versuch verstehen lässt, die Kernthesen seines umfangreichen, öffentlich aber nur wenig eingeschlagenen Hauptwerks von 2021 – „The Problems of Genocide“ – in Deutschland weiter zu popularisieren. Beiden Texten ist gemein, den 1948 für die UN-Völkermordkonvention zurechtgeschnittenen Genozid-Begriff als ein von jüdischen Intellektuellen entwickeltes Konzept zu deuten, das sich eignete, um NS-Verbrechen zu verfolgen und den Holocaust als „einzigartig“ zu stilisieren, ohne die gleichzeitig fortlaufenden kolonialen und postkolonialen Großverbrechen liberaler und illiberaler Staaten benennen und verfolgen zu müssen.
Wie es in den 50ern wirklich war ...: Nur Beschweigen der Nazi-Zeit? Antikommunismus? Kontinuität der Eliten? Geschichtswissenschaftliche Analysen anhand von Dokumenten