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Tee und Teeismus

Weltausstellungen

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In der Teezeremonie verwendete Gegenstände wurden im Japan derLM<:ijh?,eitJ wie


eine amtliche Bekanntmachung von 1871 belegt, zu den besondersbewahrenswerten
nationalen Kulturgütern gerechnet. 134 Dass die japanischen Keramiken, die in der Tee-
zeremonie Verwendung finden, als nationaltypisch bewertet wurden, hat nicht nur mit
der naheliegenden Verknüpfung des »Urstoffs(( Ton mit der Entstehung der National-
staaten zu tun. 135 Die seit dem 19. Jahrhundert vonjapanischer wie von westlicher Seite 16 Teehaus auf der Pariser Weltausstellung von 1867.
»L'expositionjaponaise dans le parc", aus: l.e monde illustre 541 (1867).
betriebene Stilisierung der Teezeremonie zum )>Inbegriff der japanischen Zivilisation((
und die Behauptung, in ihr sei eine der westlichen Modeme vorgängige und überlegene
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))andere(( Modeme realisiert, spielt dafür ebenfalls eine wesentliche Rolle.'
Durch die japanischen Präsentationen auf den Weltausstellungen waren der japani-
sche Tee als Handelsware und das Teetrinken als populäre Vergnügung bekannt. Bereits
auf der Pariser Weltausstellung von 1867 hatten der Daimyo der Provinz Satsuma, der
gegenüber dem regierenden Tokugawa-Shogunat seinen Machtanspruch demonst-
rieren wollte, und ein unabhängiger Händlernamens Kiyomizu Rylizaburo Teehäu-
ser errichtet, die sich großer Beliebtheit erfreuten. In zeitgenössischen Berichten über
die Weltausstellungen von 1867, 1878, 1893, 1900 und 1904 fand das Teetrinken häu-
fig Erwähnung und die japanischen Teesalons und Teehäuser wurden oft abgebildet
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(Abb. 16-zo). Tee zählte zu den wichtigsten ExportartikelnJapans' und wurde dement-
sprechend als eine der landestypischen Waren vermarktet: »Betritt man die Ausstellung 17 Pariser Weltausstellung von 1867. »lntt'rieur de la maison
vom Quai de Billy<<, berichtete ein deutscher Besucher der Pariser Weltausstellung von du gouverneur Satzouma", aus: Le monde illustre 546 (1867).

134 Die amtliche Bekanntmachung »Koki kyübutsu hozon hO" von 1871 listetineinem Appendix Kate- 1900 (Abb. 19), »so stößt man zuerst auf einen Bazar, der sich im Stile eines japanischen
gorien bewahrenswürdiger Objekte auf. Noriko Aso: New Illusions. The Emer,gence ofa Discourse an Tra- Landhauses en miniature präsentiert. Es werden hier die unterschiedlichsten Erzeug-
ditiona!]apaneseArts and Crafts, 1868-1945, Phil. Diss. University of Chicago 1997, S. 92-93.
135 Semper (1860-1863) 1977, Bd. 2, S. 1.
nisse der japanischen Nippesindustrie feilgeboten, vom traditionellen Papierfächer bis
136 A. l.. Sadler: »Chanoyu or the Tea Philosophy of Japan. A Western Evaluation (prepared as data for zu den kostspieligeren Lackarbeiten. Ein kleines Theehaus, ein leichter luftiger Bau, in
the Kyoto Conference)", in: Pac!fic Affairs 10 (October 1929), S. 635-644, hier S. 635-636. Im Zusam-
dem kleine Geishas den braunen Trank servieren, und eine Schenke, in der Sake, d.h.
menhang heißt es: »lndeed Cha-no-yu may be considered an epitome of Japanese dvilisation [...].
And very completely were the Tea Masters justified of their aeation, for it has kept the national Reiswein, als Erfrischung geboten wird, schließen seitwärts die Scene, in deren Mittel-
taste more healthy and sensitive and potent than that of any other country, and this is now being 38
punkt sich der offizielle Pavillon erhebt.«'
demonstrated in what is called >Modernism< in (Western) art, architecture and interior decoration.
This movement can be called modern only in Europe, for it is only a copying of the national outlook
and taste ofJapan in these things<<.
138 N. N.: »Japan auf der Weltausstellung", in: Georg Malkowsky (Hg.): Die PariserWeltausstellul18 in Wort
137 Siehe Louis M. Cullen: A History of]apan 1582-1941. Interna! and Extemal Worlds, Cambridge 2003,
und Bild, Berlin 1900, S. 167-168, hier S. 167.
s. 212-214-
62 Ton und Tee 63 Tee und Teeismus

18 Dem Kinkaku-ji in Kyoto nachempfundenes


japanisches Teehaus auf der Weltausstellung in St. Louis, 1904.

20 "The Japanese Tea Hause«, aus: Official Views ofthe World's Columbian Exposition
issued by the Department ofPhotoaraphy, Chicago 1893.

von 1893, in dem solche Teezeremonien abgehalten wurden (Abb. 20), beschrieb ein
19 Der japanische Teepavillon auf der Pariser Weltausstellung von 1900. Berichterstatter als Eintritt in eine der kaufmännischen Welt des zeitgenössischen
Chicago entgegengesetzte, zeitenthobene Sphäre: >>When the visitor walks through the
bamboo gate of the little tea garden he steps in one stride from the dirty, dun colored
Bisweilen wurden die hohen Preise in den japanischen Teehäusern moniert; auf Chicago, with its sordid mercantile armosphere, to Yeddo: 41 basking in the shimmer-
der Weltausstellung in Chicago 1893 etwa betrug der Umsatz nicht weniger als 23000 ing surrlight of a perfect afternoon. It is always afternoon in that little tea garden«. 142
US-Dollar. 139 Mit der japanischen Präsentation des Tees verbanden sich jedoch keines- Die >>anmutige Zeremonie<< wird in dieser Beschreibung zu einer »0ffenbarung«. 143 Und
wegs nur kommerzielle Interessen. Das Teetrinken wurde in einem ästhetischen Rah-
men inszeniert, den westliche Gäste als elementar anders - und dadurch eben als typisch
japanisch - erfuhren. Auf den Weltausstellungen von 1876 und von 1893 gehörte das Die Kultur des ,grünen Tees und die Gese!!schaft des Schwarztees], Tokyo 1980, S. 170-211, zit. nach Noriko
Murai: >>Okakura's Way of Tea. Representing Chanoyu in Early Twentieth-Century America«, in:
Abhalten von Teezeremonien zur offiziellen Selbstdarstellung der jungen japanischen Review of]apanese Culture and Society 14 (zoo2], S. 60-77, hier S. 62. >>There are two tea houses in the
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Nation. Den Besuch des japanischen Teehauses auf der World's Columbian Exposition litt!e garden, a big, cool shady rerreat, where the common herd who just dtink tea may resort, and
the ceremonial tea hause, where those to whom tea is a religious convicrion may observe their rites",
hieß es in einem Bericht über die Weltausstellung von 1893. N. N.: >>Fifty Centsfora Cup ofTea", in:
139 Auf den Umsatz des Teehauses verweist Nei! Harris: >>All the World a melting Pot? Japan at Ameri- Benjamin Cummings Truman: History of the World's Fair Beina a Complete and Authentie Description of
can Fairs, 1876-1904«, in: Akira Iriye (Hg.): Mutual lmaaes. Essays in American-]apanese Relatiom, Cam- the Columbian Exposition From its lnception [1893], New York 1976, S. 435-437, hier S. 436.
bridge/Mass., London 1975, S. 24-54, 271-276, hier S. 43· 141 Edo, das heutige Tokyo.
140 Siehe dazu das Kapitel >>Nihoncha no tatakai to sono unmei« [Kampf und Schicksal des japanischen 142 N. N. (1893) 1976, S. 435·
Tees], in: Sakae Tsunoyama: Cha no sekaishi: Ryokucha no bunka to kocha no shakai [Teeweltßeschichte. 143 Ebd.
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64 Ton und Tee

vaganter Betätigung der alten privilegierten Schichten ~uwerten.' Die meijizeitli-


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nach dem Gerruß des in einer ))grob aussehenden Schale'' servierten Tees, die der west-
liche Berichterstatter zunächst geringschätzig betrachtet, später aber als ))antique sat- che Neubezeichnung des chanoyu als d('einen der daoistischen >>Wege«, stellte so den

suma, more costly than the finest egg-shell china'' identifiziert, erscheint dem Besucher Bezug zur Praxis der buddhistischen Mönche und den religiös-philosophischen Zusam-

alles zuvor noch als anomal Wahrgenommene plötzlich nachahmenswert: ))Over on the menhängen wieder her, die im Laufe seiner Geschichte überschrieben worden waren.

porch of the ceremonial tea house they are always making tea, and such a strong and Bevor sich der Konsum von Tee zwischen dem 13. und 14. Jahrhundert auch im Volk

fragrant tea it is, too. It goes to the head of the visitor, who sits on a gay fat cushion durchsetzte, zählte sein Genuss bis zur Mitte des 9· Jahrhunderts zu den vielen Ver-

and sips and nibbles the while on the sugar cakes which accompany it, and afterward gnügung~n des höfischen Adels der Heian-Zeit (794-1185), ' 46 der enge Verbindungen zu
goes peering around in the tiny rooms of the doll house that the tea-people call home, China unterhielt und sich an der chinesischen Kultur orientierte. Von der Samurai-Elite

and finally his ideas get perverted, and everything seems perfectly natural and worthy sollen im 14. Jahrhundert wettstreitähnliche Verkostungen von Tee praktiziert worden

of imitation./ 44 Die hier geschilderten Erfahrungen von ]:eitenthobenheit, ~2!1$!!!­ sein, die Teil großer Gelage waren, zu denen auch der Genuss von Reiswein, das gemein-
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plation und ästßt:!i§<;h~CY9I1lil9li<::bl-;<::irsollten derjapanischen Teezeremonie von nun same Baden und das Rezitieren von Gedichten gehörten.'
·~~~mer wieder zugeschrieben werden. Das Teetrinken und seine ästhetische Insze- Als chanoyu oder chado bezeichnet man eine ritualisierte Form der Teezubereitung

nierung auf den Weltausstellungen hatten zwar ökonomische Funktion und der Tee und des Teetrinkens, deren Form und Verhaltenskodex heute bis hin zu den Bewe-
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und die beim Teetrinken verwendeten Gegenstände hatten Warencharakter. Dennoch gungen, die Gastgeber und Gäste ausführen, auf das Gerraueste festgelegt sind.' Den

wurde mit der der ästhetischen Inszenierung und der Theoretisierung dieser japani- Ablauf einer Teezeremonie hat man sich in etwa folgendermaßen vorzustellen: Die
geladenen Gäste warten zunächst im machiai, einer schlichten Hütte, bis sie zum Tee-
schen Dinge behauptet, dass sie mehr als nur Waren seien.
haus (chashitsu) gerufen werden. Der Weg durch den Teegarten führt auf einem mit
Trittsteinen gekennzeichneten Pfad an einem steinernen Wasserbecken vorbei, in dem
sich die Gäste die Hände waschen und den Mund spülen. Im Teehaus betrachten sie die
Der Teeweg
in der Bildnische (tokonama) aufgehängte Hängerolle (kakemono), bei der es sich um ein
~-~~-~--"''"""'-' ··- v-··~· ·J!J!f'*', •

Die in der Literatur häufig betonte Verbindung zum; Zen-Buddhismus/war für d1e Be- Gemälde oder eine Kalligraphie handeln kann, und die in einer Vase arrangierten Blu-

wertung der in der~apanischenTeezeremonie verwendeten Gegenstände entscheidend. men; sie riechen den Duft der in einem speziell dafür vorgesehenen Gefäß abgebrann-

Es sollen buddhistis~h~ Mönche gewesen sein, die die Teepflanze im frühen 9· Jahrhun- ten Räucherwaren und nehmen ein leichtes Mahl zu sich oder essen eine Süßspeise.

dert aus China nach Japan gebracht und Tee während dec,Iv1edit;tt~E:t:il, auf welchen Währenddessen bereitet der Gastgeber den Tee zu, indem er mit einem Löffel etwas

der Zen-Buddhismus wesentlich gründet, als Stimulans benutzt haben. Vermutlich war Pulvertee aus der Teedose (chafre) enrnimmt, in die Teeschale (chawan) gibt, danach Was-

diese Funktion des Teerrinkens bereits ritualisiert. Chanoyu, wörtlich ))heißes Wasser ser hinzugießt und den Tee mit einem kleinen Bambus-Teebesen schaumig schlägt. Die

für Tee«, ist ein vormeijizeitlicher Begriff, der heute meistens als ))Teezeremonie'' über- gefüllte Teeschale wird zuerst dem Hauptgast angeboten, der einige Schlucke trinkt

setzt wird. In Anlehnung an den in der Meiji-Zeit gebildeten Begriff chado wird heute und die Schale entweder an den nächsten Gast weitergibt oder sie ganz austrinkt, um,

auch von ))Teewew' gesprochen. Diesen Begriff hatte der ]'_(:~c:ister Gengensai~~s];Jin sie dann eingehend zu betrachten. Gleichgültig, welchem Grad an Formalität die Tee-

der Petition Chado no Ben'i [Fundamentale Bedeutung des Teewegs] eingeführt und im zeremonie folgt und ob nach dem starken noch ein schwächerer Tee angeboten wird,

Rückgriff auf den Konfuzianismus und die chinesische Philosophie die ethischen und
sozialen Qualitäten der Teezeremonie hervorgehoben. Ziel der Schrift, die sich an die
145 Siehe Christirre M. E. Guth: Art, Tea, and Industry. Matsuda Takashi and the Mitsui Cirde, Princeton 1993,
Meiji-Regierung richtete, war es, das mittlerweile etablierte Image des chanoyu als extra- S. 73-74; siehe auch Robert Kramer: Tea Cu!t in History, Phil. Diss. University of Chicago 1985, S. 183.
146 Heian-Zeit: nach der damaligen Hauptstadt Heian, dem heutigen Kyoto.
147 Siehe Paul Varley: ]apanese Cu!ture, Honolulu 42ooo, S. 125.
148 Zu dieser Formalisierung der körperlichen Praxis als Disziplinierung im Sinne Foucaults siehe
Etsuko Kato: The Tea Ceremony and Women's Empowerment in Modem]apan: Bodies Re-Presentin,g the Past,
144 Ebd., S. 436. Aus der Provinz Satsuma stammten die im Westen bekannten Keramiken, die schon
Bowes so hoch schätzte; für Teekeramiken ist die Provinz allerdings nicht bekannt. London, New York 2004.
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66 Ton und Tee

~--~---

ob die Zeremonie kürzer oder länger dauert, ein Mahl mit mehreren Gängen oder nur dem ursprünglich aus der Poetik stammenden Begriff/wabi ,
Iab der einen ins Positive
I' '
gewendeten Zustand d~~----M~!l-~:1~ !!;nd der materiellen Armut 1Jeschreibt:' Die dem
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Süßspeisen gereicht werden - die Betrac:htung der verwendeten Gegenstä~de und das
Gespräch über sie sind ein wichtiger Bestandteil der Teezeremonie. wabi entsprechende Form der Teezeremonie und der mit ihr verbundene Stil wurden im
Mit der Praxis des chanoyu ist überdies eine Tradition des Sammelns, der ~~I­ Zuge der während der Edo-Zeit (1603-1868) einsetzenden ideologischen Reglementie-
schaft und der Produktion von Gegenständen verbunden, die neben Keramiken und rung aller Künste von den sich auf Sen no Rikyt1 berufenden Teeschulen (Omote Senke,
49 154
anderen Teegerätschaften auch Gemälde oder Kalligraphien einschließt.' Schön- Ura Senke und Musashanokoji Senke) formalisiert. Diese institutionalisierten Tee-
heitsvorstellungenund Traditionen der japanischen Teekultur sind in Schriften über- schulen und das von ihnen praktizierte iemoto-Ausbildungssystem, das bis heute einem
liefert, die allgemeine Regeln des Teetrinkens, aber auch Beschreibungen besonderer gleichermaßen feudal wie quasi-familiär strukturierten Meister-Schüler-Prinzip folgt,
150
Zeremonien enthalten und oft von den Teemeistem selbst verfasst wurden. Das Amt haben die Form und Traditionsbildung des chanoyu seitdem bestimmt.' 55
des Teemeisters und seine Aufgaben entwickelten sich aus der Funktion der sogenann- Sowohl die chronologische Frage, also seit wann von Teezeremonien im eigentli-
ten doboshu (Begleiter). Bei ihnen handelte sich um Diener von zumeist niederer sozialer chen Sinn gesprochen werden kann, als auch die Gründe für den Stilwandel des cha-
Herkunft, die in den Residenzen der Kriegerelite und des Adels damit betraut waren, noyu sind in der Forschung nicht unumstritten. Im Laufe der letzten Jahre ist vermehrt
die Kunstschätze und Sammlungen zu bewahren und zu ordnen. Sie servierten bei die Auffassung vertreten worden, dass populäre und wissenschaftliche Darstellungen
Banketten den Tee, gestalteten die Empfangsräume und fungierten auch als politische der Geschichte des chanoyu stark von den En~ählmustem des kulturellen Nationalis-
Vermittler. Viele von ihnen waren außerdem Priester, was es ihnen erleichterte, eng mit !!1\lSgeprägt sind. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Teezeremonie immer auch
der herrschenden Elite zu verkehren.' '
5 eine Form der politischen Machtdemonstration war und ihr in der Meiji-Zeit schließ-
56
Zunächst wurden in der Teezeremonie vor allem prachtvolle Gegenstände chine- lich eine identitätsbildende Funktion für die japanische Nation zugewiesen wurde.'
sischer Herkunft (karamono - ))chinesische Dinge«) verwendet, deren Besitz ein Ausweis Die nationale Indienstnahme der Teezeremonie beruht u.a. auf der Behauptung, die
der Zugehörigkeit zur gesellschaftlichen Elite war. Zwischen dem 15. und 16. Jahr- ursprünglich aus China übernommene kulturelle Praxis sei ))japanisiert(( worden.' 57
hundert veränderte sich dann der Charakter des chanoyu: einfachere Gegenstände vor Dabei wird die historisch verbürgte Funktion der T~:le!~monie als politischer Macht-
allem aus koreanischer und japanischer Herkunft fanden mehr und mehr Eingang in demonstration in der Regel negiert, der Bezug zum Zen-Buddhismus jedoch betont
das Zeremoniell. Statt prunkvoller großer Räume wurden als ärmliche Hütten gestal- und der Stilwandel des chanoyu als Ausdruck der ethisch-religiösen Werte des Zen-Bud-
tete Teehäuser gebaut und für Teezusammenkünfte benutzt. Im Allgemeinen wird dhism11s3erstanden. Für diese Verschiebung wird wiederum unterschlagen, dass der
diese Form der Teezeremonie, in der betont einfache, rustikal anmutende Gerätschaften !:;?;en-Buddhism_us,j:;enausowie die Teezert;Il19ni~ seit der Meiji-Zeit, zum Widerlager
Verwendung finden, als besonders charakteristisch für die Praxis des chanoyu verstan-
den und zumeist auf den Teemeister Sen no Rikyt1 zurückgeführt, der sie während des 153 Siehe Köshirö Haga: "The Wabi Aesthetic through the Ages", in: H. Paul Varley und Isao Kumakura
16. Jahrhunderts praktizierte und direkten Einfluss auf die mit dem chanoyu verbunde- (Hg.): Tea in Japan. Essays an the History ofChanoyu, Honolulu 1989, S. 195-230.
154 Siehe Guth 1993, S. 59·
nen Künste ausübte. 152 Der Begriff wabi-cha, mit dem sie bezeichnet wird, leitet sich von
155 Siehe dazu das Kapitel "The Raku House and the Iemoto System", in: Morgan Pitelka: Raku Ceramics.
Tradition and Cultural Reproduction inJapanese Tea Practice 1574-1942, Phi!. Diss. Princeton Universiry
2001.
156 Zur machtpolirischen Dimension und zur nationalen lndiensrnahme der Teezeremonie siehe Tim
149 Siehe Guth 1993, S. 41-42.
Eine Auswahl solcher Texte findet sich bei Dennis Hirota (Hg.): Wind in the Pines. Classic WritiniJS of Cross: 'fhe ldeoloiJies of]apanese Tea: Subjectiviry, Tramience and National Identity, Folkestone 2009; Kris-
the Way ofTea as Buddhist Path, Fremont 1995. tin Surak: MakinB Tea, Makin8]apan: Cultural Nationalism in Practice, Stanford 2013.
151 Siehe Herbert E. Plutschow: Historical Chanoyu, Tokyo 1986, S. 64; allgemein zu den doboshu siehe 157 So hat Louise A. Cort verschiedentlich darauf hingewiesen, dass die Vorstellung, ztmächst seien in
H. Paul Varley: "Ashikaga Yoshimitsu and the World of Kirayama. Soda! Change and Shogunal der Teezeremonie ausschließlich prachtvolle chinesische Gegenstände verwendet worden, bis all-
Partorrage in Early Modern Japan«, in: John Whirney Hall und Toyoda Takeshi (Hg.): Japan in the mählich einfachere koreanische und später auch grobe japanische Waren hinzugekommen seien,
Muromachi A,ge, Berkeley 1977, S. 188-191. mit den tatsächlichen historischen Enrwicklungen so nicht zu vereinbaren ist. Siehe Louise All-
Zu den Keramiken, die in Rikyfu; wabi-cha eingesetzt wurden, siehe Charly Iren: DerTeeweB und die ison Cort: "Shopping for Pots in Momoyama Japan«, in: Morgan Pitelka (Hg.): Japanese Tea Culture.
japanischen Teeschalm Zur Töliferkumt der von Sen no Rikyil und Furuta Oribe IJeschätzten Brennöfen, Phi!. Art, History and Practice, London, New York 2003, S. 61-85; siehe auch Rupert A. Cox: 'fhe Zen Arts. An
Diss. Zürich 2004, besonders S. 93-121. Anthropolo!Jical Study of the Culture ofAesthetic Form in Japan, London, New York 2003.
69 Tee und Teeismus
68 Ton und Tee

Okakura und die Ideale des Ostens


(ler Verwestlichung aller Bereiche der japanischen Kultur stilisiert wurde und nationa-
58
len Zwecken diente.' Für Okakura Kakuzo, den japanischen Kunsthistoriker und Theoretiker des chanoyu,
Untersuchungen jüngeren Datums haben dieser[essentialisierenden ~rlill~~nt;t-·
stellte das Verhälmis zwischen Essenz und Geschichte keinen Konflikt dar. Denn Oka-
-~?E/ gegenüber eine kritische Position eingenommen und sozialhistorische Verschie-
kuras Interesse war es, die Teezeremonie als Ausdruck einer überlegenen nationalspezi-
bungen für den Stilwandel der Teezeremonie geltend gemacht. Sie begründen die Vor-
fischen Geisteshaltung zu etablieren, welche alltagsweltliche, aber auch weltgeschicht-
liebe für gröbere, einfachere Teewaren vornehmlich japanischer Provenienz mit der
liche Gegensätze vonjeher leichthin zu überwinden vermochte. In seinem aufEnglisch
allmählichen Machtverschiebung von den Kriegern auf die Kaufleute. So argumentiert
verfassten und bis heute in hoher Auflage publizierten Book ofTea von 1906 fand Oka-
etwa Dale Slusser, die Kaufleute, die chanoyu im wabi-Stil praktizierten, hätten die per-
kura die Formulierung, die Philosophie des Tees repräsentiere >>ilie true spirit ofEastern
fekten chinesischen Waren nicht erwerben können, weil sie der herrschenden Krieger-
democracy by making all its votar!~s_a_ri~g>-~atsif1 t~~~((:
160
Okakura zufolge wurden
elite vorbehalten gewesen seien.' 59 Mit ihrer Präferenz für einfachere japanische oder
die politischen und sozialen Konflikte in der ästhetischen Praxis der Teezeremonie auf-
koreanische Waren schufen sie, so Slusser, eine Gegenästhetik, die auf dem Feld der Tee-
gehoben: ))Before a great work of art there was no distinction between daimyo samurai
zeremonie ihre Rivalität mit der politisch dominierenden Kriegerelite widerspiegelte.
Allerdings wendet Slusser damit ein historisches Erklärungsmodell, das üblicherweise
6
and commoner./ ' Die allmähliche Machtverschiebung vom Adel auf die ru'ieger un~
schließlich auf die Kaufleute, mit der auch die Übernahme derifeezeremonie äfs kul-
die Entwicklung der westlichen Gesellschaften vom Mittelalter bis zur Neuzeit und der
~~J?!~_Ilk~cmsmerkmal der abgel?stenEflte)einherging,- st~llte für ihn k~in~n
Moderne beschreibt, aufjapanische Verhälmisse an. Diese Übertragung ist diskutabel,
sozialen Konflikt dar, sondern illustrierte vielmehr die ästhetische Erziehungsfunktion,
denn sie scheint eine universale Gültigkeit westlicher Geschichtsmodelle zu impli-
die er der Geisteshaltung der Teezeremonie als Homanticism of the social order" über
zieren. Die Kritik daran entstammt dem Umfeld der Debatten um den Kolonialismus 162
alle Zeitläufte und Klassenschranken hinweg zusprach.
und behauptet eine/grundlegende Differenz des-- Anderen; die durch eurozenttistische
'--~~~~~--~---"~~---·----,- ---~----,..
Okakura gehörte zu den Protagonisten jener Bewegungen, die als Reaktion auf den
Bettachtungsweisen nicht unkenntlich gemacht werden dürfe. Indem sie aber eben die
vom Westen verursachten Modernisierungsdruck in der Meiji-Zeit eineRückbesinnung
Einzigartigkeit des jeweils differenten Anderen reklamiert, läuft sie ihrerseits Gefahr, 63
Universf~
auf die kulturelle Substanz Japans forderten.' Er hatte an der Kaiserlichen
hinter das eigene Anliegen zurückzufallen und indir=~~ -~thnozentrische Strategien
tät von Tokyo bei Ernest F. Fenollosa studiert, der dort die:fhil~;~~hf~~ und die
und nationalistische Traditionen der Geschichtsschreibung zu begünstigen. Slussers ·-",-=----~-«-~•

sozialgeschichtliche Deutung bietet zumindest eine Alternative zu den essentialisti-


schen Erklärungsmodellen des Stilwandels der Teezeremonie. Wo diese davon ausge-
hen, dass die Geschichte der Teezeremonie die Entfaltung ihrer ästhetischen und spi-
rituellen Eigenart darstellt, die mit demjapanischen Nationalcharakter korrespondiert, 160 Kakuzd Okakura: The Book of'Tea [1906], Tokyo, New York, London 1989, S. 29. Okakuras Book of'Tea- I
wurde m unzählige Sprachen übersetzt. AufDeutsch erschien Das Buch vom Tee zuerst 1919 im Insel- /
beschreibt Slusser einen soziologisch und politisch begründeten Veränderungsprozess, V.erlag, Leipzig. 1925 erreichte der Titel eine Auflage von 55 ooo, 1937 von 110 ooo. Die französische /
der zwar als folgerichtig darstellbar, aber weder auf ästhetischer noch auf historischer Ubersetzung Le Iivre du th€ (Andre Delpeuch Editeurs, Paris) erschien 1927.
161 Okakura (1906] 1989, S. 91.
Ebene zwangsläufig ist. 162 Ebd., S. 29.
163 Siehe dazu Kevin Michael Doak: Dreams of D[ference: The Japan Romantic School and the Crisis of
Modemtry, Berkeley, Los Angeles 1994; Ken'ichi Mishima: »Die Schmerzen der Modernisierung
als Auslöser kultureller Selbstbehauptung - Zur geistigen Auseinandersetzung japans mit dem
>Westen«<, in: lrmela Hijiya-Kirschnereit (Hg.): Überwindun!J der Modeme? Japan am Ende des zwanzi!JS-
ten Jahrhunderts, Frankfurt/Main 1996, S. 86-122; ders.: "Ästhetisierung zwischen Hegemoniekritik
158 Siehe dazu u.a. Robert ). Sharf: "The Zen ofjapanese Nationalism«, in: History ofReli!Jions 33/1 (August und Selbstbehauptung«, in: !wo Amelung u.a. (Hg.): Selbstbehauptull!Jsdiskurse in Asien: China-Japan-
1993), S. 1-43; james W. Heisig und john C. Maraldo (Hg.): Rude Awakenill!Js. Zen, the Kyoto School and Korea (~Monographien aus dem Deutschen Institut für japanstudien, Bd. 34), Tokyo 2003, S. 25-47;
the Qyestion ofNationalism, Honolulu 1995; Christopher lves: Imperial-Way Zen. Ichikawa Haku!Jen's Tetsuo NaJ!ta und Harry D. Harootunian: »Japanese Revolt against the West: Polideal and Cultural
Critique and Lill!Jerin!J Qyestions for Buddhist Ethics, Honolulu 2009. Criticism in the Twentieth Century«, in: Peter Duus (Hg.): The Cambrid!Je History of]apan, 6 Bde.,
159 Siehe Dale Slusser: »The Transformation of Tea Practice in Sixteenth-Century Japan«, in: Pitelka Bd. 6: The Twentieth Century, Cambridge 1988, S. 711-774-
2003, s. 39-57·
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70 Ton und Tee

setzte Okakura eine bereits reali_sierte_lJ.niversalität in Form der Simultanität aller ))Pha-
evolutionistische Theorie~~r~ Srenc(:is)ehrte.' In seinen Schriften, die er aufEng-
64
169
sen der philosoJ?hischen Ideale der Vergangenheit((. Japan kommt in diesem Modell
lisch für eine westliche Leserschaft verfasste, war er stark von der idealistischen Philoso-
die Funktion eines I\1_u~eums_der asiatischen Kultur und ein privilegierter Status zu,
phie geprägt.' 65 Für Okakura bildete die Belebung alter kultureller Praktiken die Grund-
weil es die Vergangenheit aller asiatischen Kulturen bewahrt: ))Thus Japanisamuseum
lage für ~ie))'AJi~d~r-~:bl:lr_t(( Japans; das der Zukunft Japans gewidmete Kapitel seines
of Asiatic civilization; and yet more than a museum, because the singular genius of the
Buch~ 'The Awakenin.g of]apa~~n 1904, in dem er die traditionellen japanischen Künste
~·--~--~--" race that leads it to dwell on all phases of the ideals of the past, in that spirit of living
als Verkörperung der )mationalen Ideale(( Japans beschrieb, betitelte er dementsprechend 70
Advaitism which welcomes the new without losing the old./ Gegenwart und Zukunft
))The Reincarnatiom.' 66 The§:"~~J.rhe Easthatte wiederum schon der Titel seiner 1903
können aus dieser lebendigen Vergangenheit der Ideale des Ostens immerzu neu ver-
publizierten Kunstgeschichte Japans gelautet, in der er Hegels idealistisches Konzept
wirklicht werden. Auch Hegels abwertender Behauptung, die orientalischen Kulturen
adaptierte.' 67 Hegels Vorstellung von einer dialektischen Struktur der Geschichte, die
würden, weil sie den Geist nur auf der Stufe der symbolischen, also der chronologisch
von dem Streben nach der ß.ei1Ji~i_er1J.gg:ß<:~-~~9:_1~ __\l~~-~~-~EOQ.f!il:<_t:_~wisfb.~~isti­ 7
ersten, weltgeschichtlich aber längst überwundenen Kunstform realisiert hätten,' '
~em Id~all1IJ.dJ<.<Jgl<reter form_v()rall.getri~b~n.v<fird, setzte Okakura aber indirekt außer
nur einer petrifizierten Vergangenheit angehören ihre Kultur stagniere also-, wider-
Kraft. Seine Konzeption des lebendigen Nebeneinanders verschiedener Stadien der Rea-
~-----------·--..-.---..-----------··--------------------------- sprach Okakura auf diese Weise. Nicht Stagnation, sondern die stetige Wiedergeburt
lisierung des Ideals, d.h. der symbolischen, klassischen und romantischen Kunstformen,
und -belebung des kulturellen Erbes waren für Okakura das Charakteristikum der
leh~~kha~s-Verständnis einer differenten, abet~.icb.r-duallstischen Universalität
---,~""'-'=~"'-"·"""'"~''~m--N~
172
orientalischen Kultur. Der von Okakura konstruierten Kontinuität bescheinigte
(advaita) an, wie sie im indischen Buddhismus entwickelt worden ist, und lässt sich als
68 Henri Focillon später, dass sie zwar ))wahrscheinlich fiktiw, aber gerade deswegen nicht
Kritik an der HegeHauischen Dialektik verstehen.' An die Stelle von Hegels aus dem
weniger genial, sondern vielmehr geeignet sei, die )Naterlandsliebe eines ganzen Konti-
Widerspruch der Polaritäten notwendigerweise folgenden, unablässigem Weitertreiben
nents(( zu begründen.'73
der Geschichte und der Ablösung der überwundenen Entwicklungsstadien des Geistes
Okakura verstand sich selbst als Sachwalter der japanischen Kultur und ihrer
Ideale. Dieses Selbstverständnis spiegelt sich in den wichtigsten Stationen seiner Kar-
164 Emest F. Fenollosa (1853-1908), der in Harvard bei Charles Eliot Notton Kunstgeschichte studiert riere: Von 188o an hatte er verschiedene Posten in derjapanischen Kulturadministration
hatte, kam auf Einladung der japanischen Regierung und auf Empfehlung von Edward S. Morse 1878 inne, zwischen 1882 und 1886 war er an der Erfassung national bedeutsamer japanischer
als einer der sogenarmten Kontraktausländer (o-yatoiaaikokujin) nach Japan. Ausführlich zu Fenollosa
siehe Lawrence W. Chisholm: Feno!losa. 'Ihe Far East und American Culture, New Haven 1963; zu Fenol-
Kulturgüter beteiligt, 174 er leitete die Kunstabteilung des heutigen Nationalmuseums
losas Heg~t::R.~;prlon siehe ~b~i. z4-~6. Siehe dazu auch). Themas Rinler: "Hege! in Tokyo: Emest
S.
Fenollosa and his 1882 Lecture on the Truth ofArt«, in: Marra (2002), S. 97-108, 226-227.
165 Siehe dazu den ausführlichen Aufsatz von Notehelfer, der zuerst auf die Idealismus-Rezeption
169 Kakuzo Okakura: Die Ideale des Ostens ['The Ideals of the East with Special Reference to the Arts of]apan,
Okakuras aufmerksam gemacht hat: F. G. Notehelfer: "on Idealism and Realism in the Thought of
1903], Leipzig 1923, S. 24
Okakura Tenshin«, in: Journal of]apanese Studies 16/2 (1990), S. 309-353; siehe auch Wolff 2012 sowie
170 Okakura 1903, S. 5· Zu diesem Konzept siehe Karatani 1994. Okakuras Konzept von Japan als "Museum
allgemein zu Okakura Noriko Murai und Yukio Lippit (Hg.): Beyend Tenshin: Okakura Kakuzo's
Asiens« scheint bereits auf seine Vorlesungen an der Tokyo Bijutsu Gakko in den 189oer Jahren zurück-
Multiple Legacies, Sondernummer Review of]apanese Culture and Society 24 (2012).
zugehen. Siehe Irraga 2002, S. 122.
166 Kakuzo Okakura: 'Ihe Awakenina of]apan [1904], New York 1905, S. 184-200, hier S. 200.
171 "Chinesen, Inder, Ägypten konnten sich, Hege! zufolge, "der wahren Schönheit nicht bemächtigen«.
i 167 Ders.: 'Ihe Ideals of the East with Special Reference to the Arts of]apan, London 1903. Zur Publikations-
Beispiel für die niedrigste und historisch am weitesten zurückliegende Entwicklungsstufe der Kunst,
geschichte von Okakuras Schriften siehe Christiana Reinhold: "okakura Kakuzo and the Produc-
die symbolische Kunstform, in der "die Unangemessenheit von Idee und Gestalt unüberwunden
don of the Japan Discourse in the Early Twentieth Century United States«, in: Essays in History, 39
bestehen« bleibt, ist bei Hege! der "Kunstpantheismus des Morgenlandes«. Georg Willielm Friedrich
(1997 ). Online-Publikation: http:/ j etext. virginia.edujjoumals/EH/EH39/reinh039·httnl (aufgerufen:
Hegel: VorlesuJ18en über die Ästhetik. Erster undZweiterTeil [1835-1838], Stattgart 1971, S. 131-135.
12.12.2009). 172 Zur besonderen Rolle Chinas in der Konstruktionjapanischer Kulturgeschichte siehe Stefan Tanaka:
168 So Kojin Karatani: Oriains ofModem]apanese Literature, Durharn 1993, S. 43; ders.: "Japan as Art Mu-
]apan's Orient. Renderins Pasts into History, Berkeley, Los Angeles, London '1995, zur Bedeutung von
seum. Okakura Tenshin and Emest Fenollosa«, in: Alexandra Munroe: ]apanese Art After 1945: Saeam
Okakuras Asien-Konstruktion als Vorläufer des japanischen Orientbegriffs toyo siehe ebd., S. 13.
Aaainst the Sky, Yokohama Museum of Art, New York 1994 (Kat. Ausst.), S. 33-39, hier S. 35· Zu
173 Henri Focillon: Hokousai, Paris 1925, S. iii.
Okakuras Heget-Rezeption, allerdings ohne Verweis aufKaratani, siehe auch: Tanehisa Otabe: "Drei
174 Siehe Walter Edwards: "Japanese Archeology and Cultural Properties Management - Prewar Ideo-
Stufen der Globalisierung im Hinblick auf das Verhälrnis zwischen Europa und Japan. Ein Beitrag
logy and Postwar Legacies«, in: Jennifer Robertson (Hg.): A Campanion to the AnthropoloBY of]apan,
zur interkulturellen Ästhetik«, in: Wolfdietrich Schmied-Kowarzik (Hg.): Zwischen den Kulturen: in
Oxford 2005, S. 36-49.
Gedenken an Heinz Paetzold, Kassel2o12, S. 30-43.
/

73 Tee und Teeismus


72 Ton und Tee

OrientaUsmus oder Das verdinglichte land


in Tokyo, war Direktor der ersten modernenjapanischen Kunstakademie, der heutigen
Tokyo Geijutsu Daigaku (damals TOkyo Bijutsu Gakko), und 1906, als das Book of'Tea
))In fact the whole ofJapan is a pure invention. There is no such country, there are no
publiziert wurde, wurde er zum Kustos der asiatischen Abteilung des Bostoner Museum 180
75 such people<<, behauptete einst Oscar Wilde. Die von Wilde und anderen Japonisten
ofFirre Arts berufen.'
betriebene Ästhetisierung Japans hat der japanische Philosoph und Kritiker Karatani
>>Teaism is a cult founded on the adoration of the beautiful among the sordid facts
76 Kojin im Anschluss an Edward Saids These vom imperialistisch fundierten Denkstil des
of everyday existence((, heißt es in einer der ersten Zeilen des Book of'Tea.' Mit dem 8
OrientaUsmus als autoritäre Gesteidentiflziert.' ' Wilde fuhr 1889 fort: ))One of our most
: ))Teeismus((, einem Neologismus zur Beschreibung der von der Teezeremonie abgeleite-
charming painters went recently to the land of the Chrysanthemum in the foolish hope
ten Geisteshaltung, übersetzte Okakura die vormoderne japanische Praxis des chanoyu in
of seeing the Japanese. All he saw, all he had the chance of painting, were a few lanterns
die Nomenklatur der modernen westlichen Philosophie. Zugleich überschrieb er damit
82
and some fans./ Damit machte er kenntlich, dass das ))schöne Japan<< seit seiner Öff-
aber auch den in der Aufklärung geprägten Begriff des f>>Thdsmiis<< :als Bezeichnung
nung für den Handel durch den Westen vor allem als Land der begehrenswerten Güter
für den Glauben an die Existenz Gottes. Wo bei Hegel die ))sinnliche Anschauung<< der
wahrgenommen wurde: ))And I was in Japan - the Japan of cabinets and joinery, gra-
Kunst, innerliche Subjektivtivät der Religion und schließlich das ))freie Denken<< der Phi-
77 cious folk and fair manners. Japan, whence the camphor and tlie lacquer and the shark-
losophie einzelne, entzweite Entwicklungsstufen des absoluten Geistes ausmachen,'
skin swords come; among- what was it the books said- a nation of artists<<, leitete auch
übersteigerte Okakura die japanische Teezeremonie in seinem Begriff vom ))Teeismus<<
83
Rudyard Kipling 1889 seine Reisebeschreibungen aus Japan ein.' Kipling nannte jeden,
zur Versöhnung von Kunst, Religion und Philosophie. Im Westen galt Okakura als ein
78 der wie er nach Japan reiste, das aufgrund der ungleichen Handelsverträge damals,
kultureller Übersetzer, als ))foremost interpreter ofhis people to the western world<<.'
zumindest iuf wirtschaftlicher Ebene, bereits zu den ))wunderbaren Besitztümern<< der
Seine ÜbeE~etz_l1f!g~leistl1ngzeichiJ_et sich dun:h ciie s_elektivc: Auswahl upd Aneignung 84
kolonialen Expansion Europas und der USA zählte,' und dort fand, was das Dekor der
bestimmter im Westen entwickelter Denkmuster aus, die er in der Übertragungjedoch
Porzellane und elfenbeinernen Kleinodien ihm versprochen hatte, einen neuen Cortez:
entscheidend modifizierte. In seinen Schriften setzte er dafür das Verfahren der Inver-
85
))[E]ach new beholder is to hirnself another Cortez<<.'
-sion-als Teil der von ihm verfolgten nationalen Selbstbehauptungsstrategie gegenüber
79 Der japanischen Kultur der Dinge wurden stets hohe ästhetische Qualitäten
dem Westen ein.'
zugestanden. 1890 stellte der Sprachwissenschaftler Basil Hall Chamberlain in seinem
bezeichnenderweise 'fhin.gs ]apanese betitelten Kompendium fest: ))The Japanese genius
touches perfection insmall things. No otlier nation ever understood half so well how to
86
make a cup, a tray, even a kettle - a tliing of beauty./ Aber diese hohen ästhetischen
Qualitäten lagen nicht auf derselben Ebene wie jene, die westliche Betrachter ihrer eige-
175 Zu Okakuras Rolle für die Sammlung des MFA siehe Nagoya Bosuton Bijutsukan, Museum of Fine
nen Kultur und Kunst zuwiesen. Chamberlains Diktum, der japanische Geist sei groß
Arts Boston: Okakura Tenshin to Bosuton Bijutsukan [Okakura Tenshin und das Bostoner Museum ofFine
Arts], Nagoya Bosuton Bijutsukan, Nagoya 1999 (Kat. Ausst.); sowie Tomita 1990.
q6 Okakura (1906) 1989, S. 29.
177 Vgl. den Abschnitt »Die Stellung der Kunst im Verhältnis zur Religion und Philosophie«, in: Hegel
s.
(1835-1838) 1971, 166-171. 180 Oscar Wilde: »The Decay ofl.ying« [1889], in: ders.: De Projimdis. The Bailad ofReadillß Gaol and Other
q8 N. N.: »Reviews«, in: The Critic (New York) 46 (March 1905), S. 282-283, hier S. 282. Zur Übersetzung
WritinBs, hg. von Ann Varty, London 2002, S. 140-171, hier S. 166.
als Strategie siehe auch Naoko Fuwa Thomton: »Translationas a Counter-Colorrial TooJ..Okakt[ra's
181 Siehe Kojin Karatani: »Uses of Aesthetics. After Orientalism«, in: Paul A. Bove (Hg.): Edward Said and
Book ofTea«, in: Japan Women's Universi\)1 Studies in Ellßlish andAmerican Literature 40(2005), S. 13-19,
the Work ofthe Critic. Speakillß Truthto Power, r51lrham, London 2ooo, S. 139-151.
sowie Wolff 2012. Zu Okakuras Selbstinszenierung als kultureller Übersetzerfigur siehe Christirre
182 Wilde (1889) 2002, S. 166.
Guth: »Charles Langfellow and Okakura Kakuzo. Cultural Crossdressing in the Colorrial Context«,
183 Rudyard Kipling: From Sea to Sea and Other Sketches, 2 Bde., Bd. 1, New York 1971, S. 259. Kiplings
in: positions. east asia cultures critique 8/3 (Winter 2ooo), S. 605-636.
Reisebeschreibungen aus Japan erschienen zuerst 1889 in der Zeitschrift Pioneer.
179 Zur nationalistischen Okakura-Rezeption und zum Verhältnis ästhetischer und politischer Ziel-
184 Stephen Greenblatt: Marvellous Possessions. The Wonder ofthe New World, Oxford 1991.
setzungenbei Okakura siehe u.a. Toshiya Kaneko: Cultural LiBht, Political Shadow: Okakura Tenshin
185 Kipling 1971, S. 259.
(1862-1913) and the]apanese Crisis ofNational Identity, 1880-1941, Phil. Diss. University ofPennsylvania
] 186 Chamberlain (1890) 1982, S. 34·
i 2002.
75 Tee und Teeismus
74 Ton und Tee

87 westlichen OrientaUsmus vorbehalten. So verwendete eines der Gründungsmitglieder


in kleinen Dingen, aber klein in großen Dingen,' reduzierte die japanische Kunst auf
dekorative Zwecke: >>But in art as in literature, [t]his nation seems lacking in the genius, der Drachenseegesellschaft (Ryuichi-kai) ein angebliches Zitat von Cuncliffe Owen, des
the breadth of view, necessary for making grand combinations. It stops at the small, the Direktors des South Kensington Museum, um die kulturelle Vormachtstellung Japans
pretty, the isolated, the vignette. Hence the admirable adaptability of Japanese art to zu begründen: ))The reason we collect foreign art objects is because in England we do

decorative purposes./
88 not have important works of our own. Such a collection is vital in stimulating an appre-
Aus kunsthistorischer Perspektive ist weniger die orientalistische Ästhetisierung ciation of art among our people. However in your country you have great quantities of
alles Japanischen signifikant, als diese Beschränkung auf das Dekorative und Dinglich- important art objects. You should not try to collect foreign art objects, but rather collect
Materielle. Sie zeugt von einer hierarchisierenden Gegenüberstellung, von jener Oppo- the ancient art of your own country./93 Die Funktion, die alle orientalischen Objekte
sitionierung zwischen ))US<< and ))them<<, die für Said das Kennzeichen des imperialistisch in den modernen Universalsammlungen des Westens hatten, nämlich den imperialen
fundierten westlichen Zugriffs auf den Orient ist,
189
und in der die japanische Kunst im Anspruch auf ihre Herkunftsländer und zugleich den Ursprung der Kunst zu repräsen-
Vergleich zur europäischen Kunst stets als mangelhaft oder ungenügend erschien. Ein tieren,'94 wird hier direkt benannt. Der restaurativen Drachenseegesellschaft, zu deren
Titel wie Chamberlains 'Thinßs ]apanese spiegelt diese Verdinglichung der japanischen Mitglieder auch Okakura zählte, diente dieser Umstand umgekehrt dazu, die Ideen und
190
Kunst und Kultur und ihre Verfügbarmachung als wissenschaftlicher Gegenstand. Ansprüche des japanischen Nationalismus durch eine selbst im Westen empfundene
Die Ambivalenzen, die jedoch selbst den orientalistischen Beschreibungen des ästhetische Überlegenheit Japans zu legitimieren.
))Japanischen<< inhärent sind, verdanken sich der Komplexität der historischen Situation, Strukturelle Übereinstimmungen zwischen dem orientalistischen Japanbild des
in der die Machtverhältnisse zwischen Westen und Osten genauso strittig waren wie Westens und dem japanischen Image vom Westen lassen sich auch an zeitgenössi-
die Frage, wer hier Beschreibungsgewalt über wen ausübte. Denn anders als Ägypten, schen japanischen Gegenüberstellungen wie der eines ))idealistischen Ostens<< und eines
Indien oder China wurde Japan nie Kolonie, und die am Ende der Edo-Zeit (1603-1868) ))mechanistischen Westens<< zeigen.'95 Und sie werden auch in formelhaften Formulie-
geschlossenen ungleichen Handelsverträge mit den Europäern und den Amerikanern rungen wie Wakonyosai deutlich, einem weiteren Motto der Meiji-Modernisierung, das
9 >>japanischer Geist, westliche Technik<< bedeutet.
wurden noch in der Meiji-Zeit zugunsren der japanischen Seite verändert.' ' Die seit
der gewaltsamen Öffuung der japanischen Häfen durch die ))schwarzen Schiffe<< von
Kommodore Perry betriebene Modernisierungspolitik der Meiji-Regierung, zu der
auch das gezielte Anwerben ausländischer Experten zählte, beruhte auf Prinzipien wie
oitsuke oikuse, dem))Einholen und Überholen<< des Westen~-.192-Auf der Profilierung von
Gegensätzen beruhende Essentialisierungen waren in diesem Kontext keineswegs dem

187 Ebd., S. 53·


188 Ebd., S. 52. Zur Dekorativität der japanischen Kunst und zur japanischen Rezeption dieser Einschät-
zung siehe Tamamushi 1999; dies. 2002. 193 Uyeno 1969, S. 17·
194 Siehe dazu Partha Mitterund Craig Clunas: "The Empire ofThings. Engagement with the Orient",
189 Siehe Edward Said: Orientali.sm, New York 1978.
190 Siehe Chamberlain (1890) 1982, S. 4-5. Zu Chamberlains Odentalismus siehe Richard H. Minear: in: Baker(Richardson 1997, S. 221, sowie Partha Mitter: "The Imperial Collections. Indian Art", in:
»Orientalism and the Smdy of Japan", in: Journal of Asian Studies 39(3 (May 1980), S. 507-517. 1906 Baker(Richardson 1997, S. 222-229; Craig Clunas: "The Imperial Collections. East Asian Art", in:
kopierte ein englischer Ethnologe, der als Kolonialbeamter in Indien tätig war, die erfolgreiche Baker/Richardson 1997, S. 230-236.
Titelwahl Chamberlains durch einen entsprechenden Titel (William Crooke: Thin!Js Indian. Bein!J 195 Den "idealistischen Osten« und den "mechanistischen Westen« konstrastierte 1892 Uchimura Kanzo
Discursive Notes on Subjects Connected with India, London 1906). in Nihonkoku no tenshoku [Die Bestimmult.!J]apans]. Siehe dazu Masao Maruyama: »Fukuzawa, Uchi-
191 Siehe Michael R. Auslin: Ne!Jotiatilt.!J with lmperialism. The Unequal 'Treaties and the Culture of]apanese mura, and Okakura. Meiji Intelleemals and Westernization", in: The Deve!eopin!J Economies 4(4 (1966),
S. 594-6n, hier S. 604. Ähnlich dichotom stellte Sakuma ShOzan, ein konfuzianischer Gelehrter der
Diplomacy, Cambridge(Mass. 2006.
·\19 2/ Zur Verknüpfung von Nationalismus und ökonomischer Konkurrenz in Japan siehe Eric Boulan- Meiji-Zeit, schon früher die "Ethik des Ostens" und »wissenschaftliche Techniken des Westens" ein-
~-~ ger: »le Nationalisme economique dans Ia pensee et Ia politique publique du Japon. Particularisme, ander gegenüber. Siehe ShOzan Sakuma: "Reflections on my Errors (Seiken-roku)" [1855]. in: Rylisaku
pragmatisme et puissance<<, in: Cahiers de recherche. Centre Etudes internationales et Mondiali.sation CEIM 2 Tsunoda, William Theodore de Barry und Donald Keene (Hg.): Sources of]apanese Tradition, 2 Bde.,
Bd. 2, New York 1958, S. 101-109, hier S. 103.
(Fevrier 2002), S. 1-57.
76 Ton und Tee 77 Tee und Teeismus

Okakura und der Okzidentalismus tuelle wie Okakura einen Denkstil, der mittlerweile »Okzidentalismus<< genannt wird
und die essentialisierenden Darstellungen des ))Westens<< aus afrikanischer, asiatischer
200
Im Book ofTea entwickelte Okakura 1906 die charismatische Formel ~!;l!_Ilour of und nahöstlicher Perspektive bezeichnet. Okakura schrieb in seiner 1903 publizierten
perspective((. 196
Diese Formel umfasst auch das, was Edward{~978 als ))Orientalis- Kunstgeschichte Japans 'The Ideals of the East with Special Riference to the Arts of] apan von
mus<< definieren sollte, einen Denkstil nämlich, der die imperialistischen Interessen des der ))mit einem Heer von Tatsachen<< gerüsteten ))europäischen Wissenschaft und orga-
Westens flankierte. In einer e~aleitenden Passage des Book ofTea bezog sich Okakura nisierten Kultur<< und beschwor als Alternative das >>VOJ:l erl}al:Jmenj'isiQg~n,ge~. <;W:}JL<;n
Alls ges~ttigte<< I~-~i~em »The White Disaster<< betitelten Kapitel aus
201
offensichtlich auf Chamberlains bereits zitiertes Diktum, der japanische Geist sei groß ---~~~·o ·-·.,. asiatische Ideal.
in kleinen Dingen, aber ldein in großen Dingen, und schrieb: >>Those who cannot feel 'The Awakenin& of]apan von 1904 beschrieb er die Auswirkungen der europäischen Zivi-
the littleness of great things in themselves are apt to overlook the greatness of little ·-lls;ti~ll; die er mit der rrl([;,stri~i~~i'i:g:;und der krieg~tf;;;h~~-v~~fOigu~im;efi~~ --
~~~.-·~ "" •• .., ,-~-=""'"""' ~ •~,-~~'~"~''"""'-~ o-~, .~0~.,~o;C'""~~•"'"t.tJ'f'"='-~,-r-'" ' - ~ -"" ••E ~

things in others. The average Westerner, in his sleek complacency, will see in the tea- listischer Machtinteressen gleichsetzte, als im Wortsinne verheerend. Und im Book
ceremony but another instance of the thousand and one oddities which constitute the ofTea heißt es: ))European imperialism, which does not disdain to raise the absurd cry
quaintness and childishness of the East to him. [...] When will the West understand or of the Yellow Peril fails to realise that Asia may also have awaken to the cruel sense of
tty to understand the East? We Asiatics are often appalled by the curious web of facts ~he White Disaster./03 Okakura beendete diese Überlegungen mit der Frage: >>You may
and fandes which has been woven concerning us. We are pictured as living on the per- laugh at us for having >too much tea<, but may we not suspect that you of the West
04
fume of the lotus, if not on mice and cockroaches. It is either impotent fanaticism or have mo tea< in your constitution?/ Die Frage war eine rhetorische, denn in der von
eise abject voluptuousness./97 Okakura lenkte die Aufmerksamkeit auf den fiktionalen Okakura perpetliierten antagonistischen Ost-West-Dichotomie kam nur dem ))Osten((
Charakter der westlichen Orientdarstellungen. Zugleich markierte er, dass der Zauber Kultur (also Tee) im eigentlichen Sinne zu, der ))Westen<< hatte sich, Okakura zufolge,
fiktion~i~-Pe~;~kd~~swegs das Privileg der westlichen Orientdarstellun- seit der Neuzeit von seinen orientalischen Wurzeln abgekehrt und war zu einer ))gewal-
205
gen war: ))Asia returns the compliment. There would be further food for merriment if tigen Maschine(( geworden, in der sich Handel und Militär verquickten.
you were to know all that we have imagined and written about you. All the gl:lrnour of Das Angebot, das Okakura seiner westlichen Leserschaft machte, war eine Versöh-
persp~c;t.iye is there, all the unconscious homage of wonder, all the silent resenrment of nung um den Preis der Anerkennung der kulturellen VorrangstellungJapansund lautete
__,_. 198
the new and undefined.<< im Book ofTea folgendermaßen: ))Let us stop the continents from hurling epigrams at
Die hier so eloquent als »glamour of perpective<< kritisierte Struktur der Ost-West- each other [...]. We have developed along different lines, but there is no reason why
Beziehungen bediente Okakura selbst. In beiden vor dem Book ofTea veröffentlich- should not supplement the other. You have gained expansion at the cost of restlessness,!
ten Werken stellte er einen ))materialistischen Westen<< gegen einen von Spiritualität
geprägren ))Osten<<.'99 Seine Schriften spiegeln den historischen Kontext. Spätestens seit
dem Krieg mit China 1894/95, in dessen Folge Formosa an Japan fiel, war es das Ziel
der japanischen Politik, einen den westlichen Imperialmächten gleichr;ti1~,gen Status
200 Zum Okzidentalismus siehe James G. Carrier (Hg.): Ocddentalism. Iman es of the West, Oxford, New
zu erlangen. Dieser politischen Sttategie entsprechend vertraten japanische Intellek- York 1995; Femando Coronil: "Beyond Occidentalism. Toward Postimperial Geohistorical Catego-
ries", in: Cultural Anthropoloi!Y 11/1 (February 1996), S. 51-87; lrmela Hijiya-Kirschnereit: "Okziden-
talismus. Eine Problemskizze", in: Dirk Naguschewski und Jürgen Trabant: Was heißt hier fremde?
Okakura (1906) 1989, S. 32· Studie zu Sprache und Fremdheit, Berlin 1997, S. 243-251; lau Buruma und Avishai Margalit: Occidental-
Ebd., S. 31, 32. ism. The West in the Eyes of its Enemies, Laudon 2004; zur Position der Intellektuellen in okzidentalis-
Ebd. tischen Diskursen siehe Sebastian Conrad: "Vorwort. >Europa< aus der Sicht nichtwestlicher Eliten,
Siehe Notehelfer 1990, S. 331. Notehelfer weist daraufhin, dass Okakuras Lehrer Fenollosa eine ähn- 1900-1930", in:Joumal ofModem European History 4/2 (2oo6), S. 158-169, hier S. 158.
liche Darstellung von Westen und Osten lieferte. Vgl. dazu Emest F. Fenollosa: "The Coming Fusion 201 Okakura 1923, S. 182.
ofEast and West", in: Harper's 98 (December 1898), S. 115-122. Darauf, dass japanische Reisende den 202 Ders. (1904] 1905, S. 95-112.
"Westen« vor allem in Form seiner technischen Errungenschaften, z.B. des Gaslichts und der Eisen- 203 Ders. (1906) 1989, S. 34
bahn, verstanden, hat auch Noriko Aso hingewiesen. Siehe Aso 1997, S. 14- Zu den Folgen solcher 204 Ebd.
Oppositionierungen im kunsthistorischen Diskurs siehe Wolff 2012. 205 Ders. (1904) 1905, S. 96.
79 Tee und Teeismus
78 Ton und Tee

verstand N orinag<1; die Identi.tät zwischen Repräsentation und Repräsenti~rtem, Subjekt


we have created a harmony which is weak agairrst aggression. Will you believe it? - the
6 und Objekt- eine emphatische Anverwandlung an die gegenständliche Welt und die
East is better off in some respects than the West!«w 216 -?-~·~---·"~- .- ,.
Natur. ~!:farry D. Haroötunians'}5chlussfolgerung aus seiner Analyse von Norinagas
Okakura bestimmte drei vollgültige EntwiclGungsstufen der östlichen Kunst, näm- -~"'"'"'''""~""'*-T~ef'=0~'"'i"I'"'.~•·'-"~7A~C"''•'7•"""/
mono-no-aware-Konzept, dieses habe ermöglicht, eine ))andere Theorie<< kulturellen Wis-
lich die ~J>~~sch~c~~C: -~assische und die romantische, wofür er zurückgriff auf >>three
sens zu formulieren, >~b.aseci_<.>,n the e_xercise of feeling for concrete things rather than
terms by which European scholars love to distinguish the past development of art«- die 217
207 tlle acquisition of abstract learning<<, kann so auch für Okakuras Konstruktion, wie
bekannten hegelianischen Termini. Er räumte ein, dass der Schwerpunkt der Ver-
das Verhälmis zwischen Geist und Materie, zwischen Geist und Ding im Osten gedacht
einigung von Geist und Materie im japanischen Geistesleben grundsätzlich >>eher im
208 und in der Kunst realisiert worden sei, gelten. Auf der Basis von Okakuras Schriften
MaJeriellen als im Geistigen<< ruhe, und erinnerte auch damit an Hegel und an dessen
konnte auch der Mitte der 193oer Jahre in Deutschland lehrende Japanologe Kitayama
abwertende Festlegung der orientalischen Kunst auf die symbolischen Kunstform, in
209 Junyu später nicht nur schreiben, dass die die Geistesgeschichte Ostasiens im Teeweg
der Materielle die Idee beschränkt. Okakura ging für Asien nur von unterschied-
))seit viertausend Jahren frei von Abstraktion, fern vom Logossystem, wie ein lebendi-
lichen Formen der Vereinigung von Geist und Materie aus, nicht aber von einer grund-
21 ges Kunstwerk vollendet und sublimiert<< sei, sondern auch, dass der ))Gegenstand der
sätzlichen polaren Entzweiung der beiden >>Weltkräfte<<. ° Charakterisierungen wie die
211 japanischen
--
Geistesbetrachtung
-- -
(...] die Welt der Dinge an sich<< sei' dk( ))Welt vor der
~-~----~<4
der Kultur der Heian-Zeit (794-1185), >>this fusion centers in the material<<, oder seine
Subjekt-Objektspaltung, die Unmittelbarkeit vor der Trennung von Erscheinung und
Behauptung, das Ideal der Kamakura-Zeit (1158-1333) sei das >>Wissen um das Weh der
Wesen<<, und dass der Teeweg ))die Ureinheit mit der Körper- und Materienwelt als Gan-
Dinge<< gewesen, 212 bedeuteten daher nicht die Minderwertigkeit der jeweiligen Kultur- 218
zes<< erhalte. Schon in Okakuras Teeismus schwang ))der Geist im Rhythmus der Din-
formen. Vielmehr schloss Okakura an Motoori Norinagas Konzeption eines~~­ 219
ge<<. Das war auch ein Angebot an den Westen, der Japan als ästhetischen Gegenstand
japanischen Modus kulturellen Wissens ·an, den Norinaga als mono no aware bezeich-
14 imaginierte. Okakuras romantische Aufforderung an seine Leser lautete im Book ofTea:
net h;tte. 2' 3- Ok~kuras ))to know the sadness of things/ spielte auf Norinagas Mitte 20
))Let us dream of evanescence and linger in the beautiful foolishness of things./ Was in
des 18. Jahrhunderts im Kontext der sogenannten kokußaku (nationalen Studien) ent-
westlichen Darstellungen zuvor immer wieder als Mangel beschrieben und als Grund
wickelte Konzeption an. Die kokusaku entstanden aus der von japanischen Gelehrten
dafür angeführt worden war, weshalb Japan keine der westlichen Definition entspre-
im 18. Jahrhundert geübten Kritik am Studium der chinesischen Klassiker. Norinaga
215 chende freie, hohe Kunst besäße, erklärte Okakura zu einem positiven, identitätsgeben-
war einer der Hauptvertreter dieser intellektuellen Strömung. Unter mono no aware
. den Charakteristikum der japanischen Ästhetik, indem er verhieß, in den Dingen den
unbedingten Geist aufzufinden.

206 Ders. (1906) 1989, S. 34-35.


207 Ders. 1903, S. 164.
208 Ders. 1923, S. 121.
209 Vgl. Hege! (1835-1838) 1971, S. 134-135.
210 Okakura 1923, S. 148.
211 Ders. 1903, S. 129. 216 Harootunian 1988, S. 81, 96.
212 Ders. 1923, S. 142. 217 Ebd., S. 98.
213 Zur Mono-no-aware-Konzeption Norinagas siehe das Kapitel "The Poerry of Things«, in: Harry D. 3
218 Junyu Kitayama: West-Östliche Be8e8nUn8. ]apans Kultur und Tradition [1941], Berlin 1942, S. 122, 110,
Harootunian: 'I1ün.gs Seen and Unseen. Discourse and ldeolo!l)l in Toku.gawa Nativism, Chicago, l.ondon
128. [Hervorhebung im Original]. Kitayama (1902-1962), der in den 192oer Jahren u.a. bei Husserl in
1988, s. 79-105. Freiburg und bei Jaspers in Heidelberg studiert hatte, war von 1936 bis 1944 als Assistent und stell-
214 Okakura 1903, S. 156. vertretender Leiter des Instituts am Japaninstitut in Berlin tätig und von 1944 bis 1945 Ordinarius
215 Norinaga widmete sich der Auslegung alter japanischer Werke wie dem Kojiki [Aufteichnun8 alter
und Direktor des Ostasieninstituts der Karls-Universität in Prag. Siehe dazu Eberhard Friese: "Das
Geschehnisse] aus dem Jahr 712 und dem Nihon shoki [Chronik]apans in einzelnen Schriften] aus dem Jahr
Japaninstitut in Berlin (1926-1945). Bemerkungen zu seiner Struktur und Tätigkeit«, in: Hartmut
720 oder dem ManyoshU [Sammlun8 der zehntausend Blätter] aus dem späten achten Jahrhundert. Zu
Walravens (Hg.) Dtt verstehst unsere HerzenBut. Fritz Rumpj(1888-1949) im Spannun.gsfeld der deutsch-japa-
kokUBaku siehe auch Peter Nosco: Rememberin.g Paradise. Nativism and Nostal8ia in EiBhteenth-Century
nischen Kulturbeziel1Un8en, Weinheim 1989, S. 73-86, hier S. 84.
Japan, Cambridge(Mass. 1990; Naoki Sakai: Voices from the Past. The StatuS ofl.an.gua8e in EiBhteenth-
219 Okakura (1906) 1998, S. 78-79 .
Century ]apanese Discourse, Ithaca 1991 und Susan L. Bums: Beyöre the Nation: Koku8aku and the Ima.gi-
220 Ebd., S. 40.
nin.g oJCommunity in Ear!y Modem]apan, Durham(North Carolina 2003.
81 Tee und Teeismus
80 Ton und Tee

der Idee der äs_t:_~tis_chenJrnagination überlässt, in der Betrachter-;_;:~dKÜristl~t eins wer-


Okakura und die Vervollkommnung des Unvollkommenen
bestimmte Okakura zum höchsten Wert des Teeisrnus,dess~~D~fi~ltion irn Book
228
1 den,
221 oj'fea demzufolge lautete: »It is essentially a worship of the Irnperfect, as it is a tender
In Okakuras Konzeption des Teeismus spielte die Ashikaga-Zeit (1336-1573), die er als 29
222 atternpt to accornplish sornething possible in this impossible thing we know as life./
bestes Beispiel für das Hornantisehe Ideal des Ostens« bewertete und deren Kunst er
Okakura wehrte hier sich mit Argumenten, die er aus einer ~tiven ß~z_<:p~J2g
als eine genuin moderne beschrieb,223 eine besondere Rolle. In dieser Zeit soll der Tee-
224 /disiQ.~-aÜsmuskewann, gegen abwertende westliche Urteile, die bestimmte japanische
meister Murata Shukö als Erster die Prinzipien des wabi-cha entworfen haben, die
Gestaltungsformen immer nur als Deformation der dominanten Paradigmen der euro-
die Teezeremonie revolutionierten und die Sen no Rikyli später weiterentwickelte. Die 230
päischen Ästhetikwahrnehmen konnten. Und er verkehrte Vorwürfe, die besagren,
Geisteshaltung und die ästhetischen Präferenzen der Zeit begründete Okakura mit
die Japanische Ästhetik sei unsymmetrisch und unförmig, daher grotesk, bizarr, lau-
dem Einfluss des Zen-Buddhismus. In einem Kapitel des Book of'Iea, das dem geistes- 231
nenhaft und absonderlich, also dekadent und unschön, in ihr Gegenteil, indem er die
geschichtlich-philosophischen Hintergrund des Teeismus gewidmet und 'faoism and
'ästhetische Wertschätzung des Unvollkommenen mit einer
1----~~~~--~~~w,-~---·~~<N_,__
anderen-- Erkenntnisform
• ~,_.--..::..._ ,
I
Zennism betitelt ist, figuriert das dynamische Urprinzip des Taoismus, aus dessen Ver- <

verband. Während ein Teil der westlichen Kritik japanische Gestaltungsweisen, die
bindung mit dem Buddhismus der Zen-Buddhismus entstand, als »the spirit of Cos- 232
225
der Symmetrie entbehrten, als unzureichende Realisierung des »idealen Schönheits-
rnic Change - the eternal growth which returns upon itself to produce new forms<(. 233
begriff[es]« auffasste, charakterisierte Okakura seine Ästhetik des Unvollkommenen
Irn Tao, das Okakura an dieser Stelle als das »Absolute«, »Natur«, aber auch als »höchste
als eine moralische Geometrie: »[!Jt is rnoral geornetry, inasrnuch as it defines our sense
Vernunft« charakterisiert, sind alle Gegensätze aufgehoben: >>The Tao rnight be spoken
_of proportionto the universe./34 Mit dieser auf das Feld des Ethischen ausgreifenden
of as the Great Transition. Subjectively it is the Mood of the Universe. Its Absolute is
Bestimmung des Teeismus konnte sich Okakura auf westliche Stimmen aus dem Kunst-
the Relative./26 Legitimiert wird diese Setzung durch ein Laotse-Zitat, in dem die all-
gewerbediskurs stützen. So hatte zum Beispiel der mit John Ruskin befreundete ~rgest
umfassende Totalität sowohl >>der Weg« als auch >>das Unendliche« genannt wird. Dieses
Chesneau die japanische ))dyssymetrie« 1869 als vorbildlich und als Mittel zur gestalte-
Unendliche wird dann weiter als das >>Flüchtige« und Nergängliche« und schließlich als
>>Rückkehr« bestimmt: >>There is a thing which is all-containing. [...] I do not know its
r~g« der geometrischen Formen gepriesen. 235 Die >>prfrnitiv~~,~f~f~che~,
perfekten« geometrischen Formen waren, Chesneau zufolge, selbst »nicht ästhetisch«,
narne and so call it the Path. With reluctance I call it the Infinite. Infmity is the Fleeting,
27 sondern bloß »zweckmäßige Formen der Gewalt, der Widerstandsfähigkeit, der Stabili-
the Fleeting is tlie Vanishing, the Vanishing is the Reverting./ 36
tät starre, bewegungslose, abstrakte und tote Forrnen./ Okakura schrieb der ästheti-
Dieses ,~ verstand Okakura als lebenspraktisches Problem, das der
ästhetischen--K;;mpe~ation durch eine _,5~t}:letisienmg cies Unvollkommenen !bedurfte:
scheil Vervollkommnung des Unvollkommenen eind~tllischeDf~er!SJ:~njZu, V()~ d~;er
behauptete, dass sie einer auf die Vollkommenheit der materiellen Gestalt abzielenden
Durch das Hervortreiben der Mangelli~!igkeit alles Unvollkommenen, Vergänglichen
und Materiellen sollte ein geistiger Vervollkornrnnungsprozess in Gang gesetzt werden.
Nicht Vollkommenheit, sondern den;Mang~l ar{_"P_q~kti2111 der die Vervollkommnung 228 Siehe ders. 1903, S..]:73·
229 Okakura (1906) 1989, S. 29.
230 Allgemeiner zur Srruktur solcher Wahrnehmungsmuster im Kontext des Primitivismus siehe auch
Frances S. Connelly: 'The Sleep ofReason: Primitivism in Modem European Art and Aesthetics, 1725-1907,
2 1 Die Herrschaft der Ashikaga-Shogune gibt der Zeit ihren Namen. Will man nicht den politi-
2 University Park(Pennsylvania 1995, S. 79-110.
schen Rahmen, sondern die Kulturepoche bezeichnen, spricht man heute in der Regel von der
231 Siehe Rein 1886, S. 376 sowie die Einschätzung von Jacob von Falke: Die Kul15tindustrie auf derWiener
Muromachi-Zeit. WeltaussteHuns 1873, Wien 1873, S. 198-199.
222 Okakura 1923, S. 152. 232 Zu den ideengeschichtlichen Voraussetzungen, zur Geschichte der Symmetriebegriffs und den
223 Siehe ebd., S. 148. unterschiedlichen Bedeutungen, die Symmetrie jeweils haben konnte, siehe Walter Kambartel: Sym-
224 Murara Shuko (1423-1502) diente dem ShogunAshikaga Yoshimasa (1434-1490) als Berater. Sein Ver-
metrie und Schönheit. Über mösliche Voraussetzunsendes neueren Kunstbewußtseins in der Architekturtheorie
ständnis des chanoyu ist der Nachwelt in einem Text mit dem Titel Kokoro no ji.tmi überliefert, dessen
Claude Perraults, München 1972.
Authentizität jedoch ungeklärt ist. Zum Verhältnis seiner ästhetischen Auffassung und der von Sen
233 Rein 1886, S. 373·
no Rikyli siehe Varley 2000, S. 129, 160-163. 234 Okakura (1906) 1989, S. 29.
225 Okakura (1906) 1989, S. 59· 235 Chesneau 1869, S. 12.
226 Ebd., S. 40, 58-59. 236 Ebd., S. 14-15.
227 Ebd.
83 Tee und Teeismus
82 Ton und Tee

arisen that exaltation of the defective, of which both John Ruskin and William Morris
Schönheitsauffassung immer ermangeln müsste. Die Ästhetisierung des Unvollkom-
c~~~~ ;~rst~~d Ok~k~ra als die ei~~ntlich idealistische Annäherung an den Geist, weil were such eager spokesmen in their time; and on this ground their propaganda for a
return to handicraft and hausehold industry. So much of the work and speculations of
sie im Geistigen verbleibe und nicht auf die materielle Darstellung des Ideals ziele. Und
this group would have been impossible at a time when the visibly more perfect goods
während die lateinischen und teutonischen Völker das Ideal objektiv und materialis-
were not the cheapeu243 Okakl1r.a1 der im Westen als ''William Morris seines Vater-
tisch zu erreichen suchten, strebten die Japaner, Okakura zufolge, seit den Tagen der
diesem/~~~kdv-id~alfstischeiiJ, ~_egep;tcl:t 4t:rErfüllung_des Ideals. landes((~e~~I1~~l~~l1r5;i~,244prol<laiiJ:Ü~!"te die Unvollkommenheit als ästhetische Kate::
237
Ashikaga auf /

In dieser Spur Okalmras argumentierte später auch der japanische Philosoph gorie für das IndusqJe~t:lli.~ter:.. Dasselbe hatte John Ruskin schon fünfzig Jahre vor ihm
getan. 245 Okakura fragte: ''Nowadays industrialism is making true refinement more and
'Nishfd;\ in einem Aufsatz, der 1939 in den Abhandlungen der Berliner Preußischen 246
more difficult all the world over, do we not need the tea-room more than ever?,,
Akademie der Wissenschaften publiziert wurde. Nishida, der zu den herausragenden
Vertretern der Kyoto-Schule gehörte, deren Verflechtung mit dem japanischen Na~i()~
238
nalismus kontrovers diskutiert wird, bezog sich wie Okakura auf die Lehren des Zen-
Buddhismus und beschrieb die kulturellen Differenzen zwischen ''morgenländischen
und abendländischen Kulturformen«. 239 Er ging dabei noch über Okakuras Begriff des
Unvollkommenen hinaus und reldamierte, im Unterschied zur griechischen Kunst, in
der man ,,in dem Gestalthabenden das Gestaltlose gesehen'' habe, bestünde die Eigenart
der japanischen Kunst und der morgenländischen Kultur ''darin, dass man das Fonnlose
durch eine Form ausdrückenc' wolle. 240 Dies sei ''trotzdem [...] nicht symbolisch,,, son-
241
dern vielmehr ''das Auftauchen des Gestaltlosen«.
An der idealistischen Philosophie geschulte Denkfiguren wie diese haben es ermög-
licht, die japanischen Teekeramiken in den westlichen Kanon zu integrieren. Führt man
sie auf die historischen Bedingungen materieller Produktion zurück, könnte man mit
dem amerikanischen Soziologen Thorstein \.'eblen, einem Zeitgenossen Okakuras, argu-
mentieren, dass es sich schlicht um die Auswirkungen der industriellen Produktion al1f
die ästhetische Theorie handele. Veblen bemerkte 1899, weil Perfektion immer billiger 243 Ebd., S. 161-162.
zu produzieren sei, verlöre die Kategorie des Vollkommenen an Wert. An ihre Stelle 244 Nivedita: »Einleitung«, in: Okakura 1923, S. 5-15, hier S. 6. Bei der Autotin der Einleitung handelt es
242
sich um die Irin Elisabeth Margaret Noble. Siehe Shigemi Inaga: "Sister Nivedita and Her >Kali the
träte, Veblen zufolge, ,,the exaltation of the defective,,. Er schrieb: ''Hence it comes Motherc >The Web of Indian Life< and Art Criticism. New Insights into Kakuze Okakura's Indian
about that the visible imperfections of the hand-wrought goods, being honorific, are Writings and the Function of Art in the Shaping ofNationality«, in: Japan Review 16 (2oo4), S. 129-
159. Zur Morris-Rezeption in Japan siehe Chiaki Ajioka: »A Revaluation ofWilliam Morris's Influ-
accounted marks of superiority in point of beauty, or serviceability, or both. Hence has ence in Japan«, in: 'TheJoumal ofthe William Morris Society 12(4 (1998), S. 21-28; Shuichi Nakamura:
"The Impact ofWilliam Morris in Japan 1904 to the Present«, in:Joumal ofDesi.'Jn History 9(4 (1996),
s. 273-283.
245 Zum ästhetisch-moralischen Wert des Unvollkommenen vgl. das Kapitel "The Nature of the
237 Okakura 1903, S.yi7. Gothic«, in: John Ruskin: 'The Stones ofVenice, 3 Bde., Bd. 2, London 1853, S. 151-230. Ruskins Texte
8 Siehe u.a. die ~itik von Mishima 2003, Heisig/Maraldo 1995 sowie die differenzierte Auseinander-
23 waren in Japan seit den 189oer Jahren bekannt. Zur intensivenjapanischen Ruskin-Rezeption siehe
setzung bei Christopher Goto-jones: Political Philosophy in Japan: Nishida, the Kyoto-School and Co-
Yuko Kikuchi u.a. (Hg.): Ruskin inJapan1890-1940 Naturefor Alt, Altfor Life, Koriyama City Museum
Prosperity, London 2005. of Art 1997 (Kat. Ausst.); Masami Kimura: "Japanese Irrterest in Ruskin: Some Historical Trends«, in:
Kitaro Nishida: Die mor.9enländischen und abendländischen Kulnuformen in alter Zeit vom metaphysischen
239 Robert Rhodes und Del Ivan Janik (Hg.): Studies in Ruskin: Essays in Honor ofVan Akin Burd, Athens/
Standpunkte aus esehen (=Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Jg. 1939,
8 Ohio 1982, S. 215-244; Masami Kimura: "Ruskin's Reception in Japan and England: A Comparison«,
Phil.-hist. Klasse, Nr. 19), Berlin 1939, S. 2.
in: John S. Dearden: John Ruskin and Victorian Alt, Isetan Museum of Art, Tokyo 1993 (Kat. Ausst.),
Ebd., S. 15. [Hervorhebung im Original]
S. 57-67; siehe auch Masami Kimura: A Biblio!Jraphy ofRuskin Studies in Japan, Bembridge 1977.
241 Ebd. Okakura (1906) 1989, S. 92.
Thorstein Veblen: 'The Theory ofthe Leisure C[ass [1899], New York "1934, S. 161.
85 Abstrakte Vasenmalerei im Industriezeitalter
84

50
if it be good, and render it contemptible if it be poor./ Unter der Überschrift ))Finish,
Abstrakte Vasenmalerei im Industriezeitalter
its Value Overestimated(( findet sich die Verbindung der vom Herstellungsprozess
bedingten Unregelmäßigkeiten der Oberfläche mit dem Kunstcharakter eines Objekts
auch in Christopher Dressers Principles ofDecorative Arf. Dresser bezog sich direkt auf
Der Bruch mit dem ästhetischen Ideal der Vollkommenheit, den Veblen auf die verän-
japanische Keramiken und stellte deren künstlerischen Wert und grobe Schönheit der
derten Produktionsbedingungen der bürgerlichen Industriegesellschaft zurückgeführt
westlichen Überbewertung des ))Finish((, also einer abschließenden Oberflächenbe-
hatte, vollzog sich in allen Künsten. In den rationalistischen und klassischen Ästhetiken
handlung, die solche Spuren beseitigt, gegenüber: ))I have before me some specimens of
war das Ideal der Vollkommenheit noch die absolute Bedingung für Schönheit gewe-
Japanese earthenware, which are formed of a coarse dark-brown clay, and are to a great
sen. Die romantischeReformulierungdes Vollkommenen als ))Unabgeschlossenen[s],
extent without that finish which most Europeans appear so much to value, yet these are
Unvollstä]1dige[s) Qnd Fragmentarische[s]« und der sich anschließende Siegeszug der
artistic and beautiful. In the case of cheap goods we spend time in getting smoothness
Materialgerechtigkeit etablierten neue und andere Formen und Oberflächenbehand-
247 of surface, while the Japanese devote it to the production of an art-effect. We get finish
lungen als materielle Konkretionen des schönen Ideals. Das Konzept der Material-
without art, they prefer art without finish./ 5'
gerechtigkeit aber löste das idealistische System nicht ab, wie lange argumentiert wor-
Welche Phänomene im Gegensatz zu einer perfekten Oberfläche in diesem Sinne als
den ist, 248 sondern trat sein Erbe an. 249 Auch die materialästhetischen Argumente, mit
))künstlerisch« verstanden wurden, lässt sich en detail an Charles Blaues Ausführungen
denen die Nobilitierung der japanischen Teekeramik und ihre Integration in den ästhe-
über die Dekorprinzipien der Keramik darstellen. Blanc, erster Inhaber des Lehrstuhls
tischen Kanon der Moderne betrieben wurde, sind eigentlich idealistische. Wie weit
für Ästhetik am College de France, war einer der einflussreichsten Kunsttheoretiker
sich die Schönheitsvorstellungen der Materialgerechtigkeit formal von den tradierten
des 19. Jahrhunderts und brachte eine von allen anzustrebende ''Schönheit und Wahr-
idealistischen Schönheitsvorstellungen entfernen konnten und wie eng sie dennoch 252
heit der Materialien(( mit asiatischen Gestaltungstraditionen in Verbindung. Blanc
mit ihnen verknüpft blieben, lässt sich anhand der historischen Diskussion bestimmter
schrieb nicht über japanische Teekeramik, aber Thesen, wie er sie in der Grammaire des
Charakteristika der Teekeramik nachvollziehen.
arts Mcoratiß zum Verhältnis von Natur und Kunst und zur materialgerechten Abstrak-
Die Rezeption von Okakuras Theorien ist für alle westlichen Theoretiker der japa-
tion formulierte, kehren in allen Texten wieder, die von der Ästhetik der japanischen
nischen Teekeramik direkt oder indirekt nachweisbar. Eine weitere Grundlage für die
Teekeramik handeln. Damit wird noch einmal deutlich, dass die Theoreme über die
Wertschätzung, die der Teekeramik im Westen schließlich zukam, stellten moderne
Materialästhetik der japanischen Teekeramik ihren Ausgangspunkt in den westlichen
Regelwerke der augewandten Künste wie die Grammaire des arts McoratijS von Charles
Debatten des ausgehenden 19. Jahrhunderts um die ))Funktionen der Kunst im Zeitalter
Blanc, Christopher Dressers Principles ofDecorative Desi.gn oder Charles Locke Eastlakes 253
des Industrialismus(( haben.
Hints on Hausehold Taste bereit. Diese Werke, von denen anzunehmen ist, dass auch Oka-
Japan zählte für Blanc zu den ))Nationen, die ihren Geist seit so vielen Jahrhun-
kura sie kannte, formulierten Gestaltungsregeln für die Schönheit der Dinge im Indus-
derten(( darauf verwenden, die ))Poesie der Natur in der unendlichen Schönheit und
triezeitalter. So schrieb etwa der dem Arts and Crafts Movement verbundene Eastlake
im Jahr 1868: ))Now, perfection of quality and excessive accuracy in workmanship may
add to the luxe, but never to the spirit of true art. On the contrary, there may be a sickly 250 Charles L. Eastlake: Hims on Hausehold Taste in Fumiture, Upholstery and Other Details, London 1868,
S. 220. [Hervorhebung im Original]
kind ofhigh finish and an ignoble symmetry in design which will detract from its merit 251 Christopher Dresser: Principles ofVictorian Decorative Desi.gn [Principles ofDecorative Desi.gn, London
1873], London 1995, S. 120. Dressers Texte aus diesem Band erschienen zuvor zwischen 1870 und 1873
als Folge von Artikeln im Technical Educator.
252 Blaue 1882, S. 396. Blaues Grammatik der dekorativen Künste blieb unabgeschlossen. 1882 erschie-
nen die zwischen 1870 und 1874 in der Gazette des Beaux-Arts veröffentlichten Aufsätze der zweiten
Teilschrift in Paris als Grammaire des arts dicoratiß. Decoration imerieure de la maison. Eine erste Teil-
247 Josef Früchtl und Sibille Mischer: >Nollkommen(Vollkommenheit", in: Karlheinz Barck u.a. (Hg.):
schrift aus dem Projekt der Grammaire - L' art dans la parure et dans le vetement - erschien bereits 1877
Ästhetische Grundbe.griffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Bd. 6: Tanz- Zeitalter(Epoche, Stutt-
in englischer Ubersetzung in London und in New York unter dem Titel Art in Ornament and Dress.
gart, Weimar 2005, S. 367-397, hier S. 390. 253 Helmut Pfeiffer, Hans Robert Jauß und Fran~oise Gaillard (Hg.): An social und alt indusnieL Ftmktio-
248 Siehe Bandmann 1971, S. 135. nen der Kunst im Zeitalter des IndustJialismus, München 1987.
249 Siehe Kemp 1975, S. 25.
86 Ton und Tee 87 Abstrakte Vasenmalerei im Industriezeitalter

254
Wahrheit der Materialien, die sie hervorbringt((, zu St'chen. Als Beispiele für diese Dekors auf, die sich zwar der Zeichnung bedienen, Form, Material und Zweck der
Materialschönheit und -wahrheit dienten Blanc das Craquele und die farbigen Lauf- Gegenstände aber nicht ausreichend berücksichtigen würden. Die Abhängigkeit des
glasuren asiarischer Keramiken. Beide verstand Blanc, der die »Geschmacklosigkeit völ- Dekors von der Konstruktion zu demonstrieren war das erklärte Ziel der Ausführun-
264
lig uniformer Oberflächen(( schmähte und den JJindustriellen Überzug(( von Keramiken gen Blancs. Darin stimmte er mit Gottfried Semper überein, der die JJMalerei im gro-
255 265
heftig kritisierte, als Mittel zur JJBelebung(( der Oberfläche. Es waren weniger die Spu- ßen Stile(( als Irrweg der Porzellanmalerei gescholten hatte. Die Polemik gegen ein
ren der Arbeit, also etwa die Signatur der Oberfläche durch den Daumenabdruck des mimetisches und insofern als schiere Imitation abgewertetes Dekor findet sich ganz
Herstellenden, als die ästhetische Präsenz und die Selbsttätigkeit der Materialien, die ähnlich bereits in geschmackserzieherischen Vorgaben aus der Mitte des 19. Jahrhun-
256
Blanc als Mittel zur JJBelebung(( keramischer Oberflächen vorschlug. Die als Craquele derts.266 Über die weitverbreitete Praxis der direkten Übertragung von Tafelbildern auf
bezeichneten netzartigen Risse in der Oberflächenstruktur der Keramik, die entstehen, Gebrauchskeramiken schrieb Blanc: JJ[D]ie europäischen Hersteller haben alle Arten von
wenn sich Scherben und Glasur beim Brand unterschiedlich stark ausdehnen und, wenn närrischen Ketzereien begangen und sich dabei der Beleidigung des Gefühls schuldig
sie nicht bloß die Oberfläche der Keramik überziehen, sondern bis in die Tiefe reichen, gemacht. Sie haben Desserteller mit einem Gemälde der Flucht aus Ägypten oder Abra-
die Keramik zerbrechen lassen, führte Blanc als Beispiel für den Schmuck einer Keramik hams Opfer geschmückt, um der Konfitüre Ehre zu erweisen./67
257
durch JJFehlen( an. Diese Fehler wurden bei Blanc zum autopoetischen Ornament. Mit Dem einfachen Schmuck von Keramiken, z.B. nur durch die Glasurfarben, wid-
268
perfekten Oberflächen, gleichmäßiger Farbigkeit und symmetrischem Dekor assozi- mete Blanc dagegen große Aufrnerksamkeit. Asiatische Laufglasuren, deren Farben
258
ierte Blanc dagegen eine JJKälte((, die es vermittels der farbigen Laufglasuren oder des und Verläufe sich dem plötzlichen Eindringen von Sauerstoff in den Ofen verdanken,
259
Craqueles aufzuheben gelte. Ähnlich wie Ernest Chesneau, der die perfekte Symme- bezeichnete er als zu JJSchönheiten gewandelte [...] Effekte des Zufalls((, als JJMißgeschi-
269
trie geometrischer Formen als JJStarnc, JJtrocken((, JJeisig((, JJabstraktc( und JJtot(( beschrie- cke, die als Glücksfälle zu verstehen(( seien. Zur Beschreibung dieser ))glücklichen
260 70
ben hatte und deren JJBelebung(( mit Hilfe des japanischen Vorbilds anstrebte, suchte Zufälle/ zitierte er aus Albert Jacquemarts Standardwerk Les merveilles de la ciramique
Blanc in Craquele und farbigen Laufglasuren eine lebendige und der Natur gleichende, aus der Mitte des 19.Jahrhunderts, in dem noch festgestellt worden war, dass sich diese
sie jedoch nicht imitierende Schönheit. Eine JJsimple Kopie der Natun( lehnte er ab; sie JJWunder der Kunst(( zeitgenössischem Verständnis bedauerlicherweise entzögen. 271
261
genügte den universellen Prinzipien, die er für alle Künste formulierte, nicht. Blanc Blanc formulierte: JJLaufend geäderte, veränderliche Farbverläufe, so unberechenbar wie
verlangte, dass sich auch die keramische Kunst über das JJMittel der Nachahmungc( die Flamme der Feuerzangenbowle, schmücken die Oberfläche. Oxidrot wird von Rot
262
hinwegsetzen müsse. Obgleich er ein sich der Zeichnung bedienendes Dekor als das zu Violett, von Blaßblau zu Grün, entfärbt sich ganz[ ...] und schafft glückliche Zufalle,
263
höchststehende auffasste, weil es sich an das JJAuge des GeisteS(( richten würde, führte die der Arbeit des Pinsels untersagt sind und verwehrt bleiben./72 Solchen vom Zufall
er in der Grammaire des arts decorattfS eine überragende Zahl von Negativbeispielen für geleiteten und daher nie exakt reproduzierbaren Materialphänomenen schrieb Blanc

254 Blaue 1882, S. 396. 264 Ebd., S. 365.


255 Ebd., S. 409, 416, 396. 265 Gottftied Semper: J>Ueber Porzellanmalerei. Aufsatz in französischer Sprache, datiert Sevres Juni
256 Siehe ebd., S. 415. 1850«, in: Kleine Schriften von Gottfried Semper, hg. von Manfred und Hans Semper Berlin Stutt-
257 Siehe ebd., S. 392. gart 1884, S. 57-75, hier S. 59· Semper und Blaue trafen sich im September 1849, na~hdem ~emper
258 Blaue spricht von »cette froide egalite de teintes«, ebd., S. 396; »Ia regularite parfaire est toujours un Deutschland verlassen hatte und in Sevres lebte. Siehe Mallgrave 1996, S. 174-
peu froide«, heißt es ebd. aufS. 4oo; »De plus, !'email etant opaque emprisonne l'oeuvre de l'artiste, 266 Siehe z.B. Marlborough Hause: »Examples ofFalse Prindples in Decoration«, in: A Catalogue of the
en cache Ia matiere, en bonehe tous !es pores et, en Ia separent de nous, Ia rend impenettable a nos Museum of Omamental Art at Marlborough Hause, Fall Mall: For the Use of Students and Manu-
sentiments comme anos regards. Par son po!i, par sonfroid morte!, l'emailjure avec !es colorations, !es facturers, and the Public, London 1853, S. 112-113, zit. nach Rübel/Wagner/Wolff 2005, S. 97-99.
a
palpitations de la vie, et i1 semble refraictaire toure tendresse.« Ebd., S. 416. [Hervorhebungen der 267 Blaue 1882, S. 398.
Autorin] 268 Siehe ebd., S. 376.
259 Ebd., S. 390. [Hervorhebung im Original] 269 Ebd., S. 394·
260 Chesneau 1869, S. 14- 270 Ebd.
27 1 Albert Jacquemart: Les mervei!!es de !a ceramique; ou, !' art de fafonner et dicorer [es vases en terre mite,faience,
261 Blaue 1882, S. 386.
262 Ebd., S. 364. Bres et porce!aine, depuis !es temps antiquesjusqu'it nosjours, 3 Bde., Bd. 1, Paris 1866-1869, S. 42-43.
263 Ebd., S. 376. 272 Blaue 1882, S. 394.
89 Abstrakte Vasenmalerei im Industriezeitalter
88 Ton und Tee

zu, eine der bloßen Nachahmung verpflichtete Darstellung an Illusionismus bei wei- des Ornaments direkt aus den Eigenschaften der Materialien entstehen. Bei Blanc und

tem zu übertreffen. 273 Den von den Einwirkungen des Zufalls auf die Stoffe bewirkten vielen anderen ging die Wertschätzung einer solchen materialgerechten Abstraktion mit
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Lauf und das Kolorit der Glasurfarben verstand Blanc als Heine Illusion((, weil sie nichts tradierten idealistischen Positionen einher.

imitieren, sondern den in der Natur selbst wirkenden Prinzipien des Schmucks folgen
würden.
Blancs Ausführungen zur Vasenmalerei gehören in den Kontext der Debatten,
die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts um die Funktion und die angemes-
sene Dekoration von Gegenständen kreisten, schließlich zum »Tod des Ornaments((
oder seiner »Verdrängung(( führten und als einer der Ursprünge der Abstraktion in die
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Kunstgeschichtsschreibung eingegangen sind. Blancs Präferenz für die ästhetischen
Qualitäten von Craquelt~ und farbiger Flussglasur demonstriert, dass die Funktion des
Ornaments in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von den Materialien selbst über-
nommen werden sollte. 275 Die mit dem Zufall arbeitende Inszenierung der Eigenquali-
täten der Materialien sollte nicht allein einem strukturellen Symbolismus dienen, wie
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ihn Gotrfried Semper und die Theoretiker des Arts and Crafts Movement vertraten,
sondern schien eine ebenso abstrakte und ideale wie quasi-natürliche und lebendige
Einheit von Form und Material sowie von Kunstform und Zweckform zu garantieren.
Im Unterschied zu einer gänzlich unabhängig vom materiellen Träger entwickelten
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abstrakten Ornamentik, wie etwa bei Owen Jones, sollte die angestrebte Abstraktion

273 Ebd., S. 396.


274 Hans Sedlmayr: Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19- und zo. Jahrhundemals Symptom und Symbol
der Zeit [1948], West-Berlin 1955, S. 73-74; Michael Müller: Die VerdräJ18Un8 des Ornaments. Zum Ver-
hältnis von Architektur und Lebenspraxis, Frankfurt/Main 1977· Als »Vorwegnahme einer Richtung der
modernen Kunst« versteht z.B. Wolfgang Drost sowohl die Theorie Blaues, den er als revolutionären
Wegbereiter der abstrakten Malerei darstellt, als auch die vom Vorbild derjapanischen Teekeramiken
inspirierten japonistischen Keramiken von Emest Chaplet. Wolfgang Drost: "Materialgerechtigkeit
und absolute Kunst. Zu Charles Blaues Ästhetik der Vasenmalerei. Die Absage an die Tradition von
Luca della Robbia und Bernard Palissy«, in: Wallraf-Richartz-]ahrbuch 49 (1983), S. 367-373, hier S. 373·
Ähnlich, wenn auch zurückhaltender, argumentiert Dario Gamboni in seiner Diskussion der von
der Teekeramik inspirierten japonistischen Keramiken. Siehe ders.: Potential Imaßes. AmbiBuity und
Indetemünancy in Modem Art, London 2002, S. 119-120. Für eine skeptische Einschätzung der moder-
nen Konstruktion vom Tod oder der Verdrängung des Ornaments, die sich bei Nikolaus Pevsner und
Herbert Read und ihren Lesern in den 197oer Jahren wie Müller ebenso findet wie bei dem Konser-
vativen Sedlmayr, siehe das Kapitel "Modemism and the Rejection of the Ornament. The Revolution
that never happened«, in: j ames Trilling: Ornament. A Modem Perspective, Seattle 2003, S. 115-136.
275 Trilling nennt vergleichbare materialästhetische Inszenierungen, z.B. bei Adolf Loos, das "moder-
nistische Ornament«. Ebd., S. 135·
276 Siehe dazu Margaret Olin: "self-Representation: Resemblance and Convention in two Nineteenth-
Century Theories of Architecture and the Decorative Arts«, in: Zeitschrift fiir KunstBeschichte 49/3
278 Gerrauer zu Blaues Konzeption siehe Neil M. Flax: "charles Blanc. Le modemiste malgre lui«, in: jean
(1986], S. 376-397, hier S. 377· Paul Bouillon (Hg.): Lepromenade du critique inj[uent. Antholoßie de la critique d'alt en France 1850-1900,
277 Siehe dazu Isabelle Frank: "Das körperlose Ornament im Werk von Owen jones und Alois Riegl«, in:
Pans 1990, S. 95-104.
dies. und Freia Hartung: Die Rhetorik des Ornaments, München 2001, S. 77-99.

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