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Eisbrecher, Tankschiff im arktischen Meer

Den weißen Fleck der Seefahrt erobern

Moskau ihre Pläne für zwei neue Atom-

MAXIM SNAMENSKIJ / SOWKOMFLOT


eisbrecher mit 16-Megawatt-Reaktoren.
Dank eines verstellbaren Tiefgangs sollen
sie auch im Flachwasser einsetzbar sein.
Zugleich haben die Rohstoff-Magnaten
mit dem Bau eisbrechender Schiffe begon-
nen, die den Schatz aus Öl, Gas und Mi-
neralien aus der Arktis schaffen sollen:
‣ Gazprom hat den ersten von zwei eis-
1906 bis 2006 quälten sich nur 69 Schiffe, verstärkten Tankern für das Ölfeld Pri-
S C H I F F FA H R T
vor allem Entdecker und Wissenschaftler, razlomnoye in Dienst gestellt. Der 260-

Panamakanal durch den nautischen Eistunnel. Im vori-


gen Jahr hat der kanadische Seerechts-
Experte Michael Byers bereits 24 gezählt.
Meter-Gigant kann sich durch andert-
halb Meter dickes Eis malmen.
‣ Die Konkurrenz von Lukoil hat drei

am Nordpol Schon wächst in den Ländern rund um


den Polarkreis eine neue Flotte von Schif-
fen heran, mit denen der weiße Fleck der
Seefahrt endgültig erobert werden soll.
ähnlich konstruierte Schiffe bauen las-
sen, die Öl vom arktischen Offshore-
Terminal in Warandej zum Weitertrans-
port nach Murmansk bringen.
Das schwindende Arktis-Eis gibt
Ganz ohne Eisschutz werden die Hochsee- ‣ Ebenfalls als Eisbrecher taugen die fünf
neue Seerouten nach Asien frei. kähne nicht auskommen. „Selbst in den Frachter des Bergbaukonzerns Norilsk
Diesen Sommer herrschte Sommermonaten muss man immer noch Nickel.
bereits reger Verkehr. Eine neue mit vereinzelten Eisflächen rechnen“, sagt Bislang allerdings erweist sich der ab-
Klasse von Schiffen entsteht. der Klimaforscher Lawson Brigham, ehe- geflachte Bug, mit dem sich diese Schiffe
dem selbst Eisbrecher-Kapitän und jetzt auf die Schollen schieben, im offenen Was-

S
ie hatten mit Packeis gerechnet, mit Autor der wohl umfassendsten Studie über ser als ungünstige Strömungsform. Die
Eisbergen und Stürmen. Ein russi- die neuen arktischen Seerouten. Phoenix-Reederei in Leer hat deshalb
scher Eisbrecher sollte den Frachter Am ehrgeizigsten sind die Russen. eine neuartige Bugform entwickeln lassen.
„MV Nordic Barents“ vor den Gewalten Stolz präsentierten sie in der vergange- Getestet wurde sie im Eiskanal der Ham-
des arktischen Ozeans schützen. nen Woche auf der Arktis-Konferenz in burgischen Schiffbau-Versuchsanstalt
Am Ende trieben nur zweimal ein paar (HSVA). „Die Effizienz ist beeindru-
lose Eisschollen vorbei. „Der Atomeis- ckend“, sagt Joachim Schwarz.
brecher diente mehr der Dekoration“, be- Eisfrei nach Asien? Der langjährige Forschungsleiter der
richtet Felix Tschudi, der Reeder des mit Mögliche Abkürzungen des See- HSVA will künftig zusammen mit russi-
Eisenerz beladenen Frachters. In dieser transports durch das Nordpolarmeer schen Forschungsinstituten Kapitänen
Woche wird das Schiff nach einer 5700 den Weg durchs Eismeer weisen. „Auf
Kilometer langen Passage durchs Eismeer Tokio Basis von Satellitendaten gibt es ständig
im chinesischen Lianyungang einlaufen. Prognosen für die beste Fahrrinne“, er-
„Und wir mussten keinmal anhalten“, klärt Schwarz. Interessant ist das nicht
sagt Tschudi zufrieden. Nord- zuletzt im Frühjahr und im Herbst, wenn
Teils mit viel Hoffnung, teils mit Arg- westpassage Kälte und Wind überraschend Eisbarrie-
wohn haben Reeder, Politiker und Um- 14 000 km ren aufbauen.
weltschützer verfolgt, wie weit sich das Wegen ebendieser Unberechenbarkeit
Meereis in diesem Jahr Richtung Nordpol warnen Experten wie Brigham vor zu viel
zurückgezogen hat. Stellt das Schrump- Euphorie. Er glaubt nicht daran, dass in
fen der Eiskappe schon bald die globalen Panama- Zukunft massenhaft Schiffe von Rotter-
Schiffsrouten auf den Kopf? kanal-Route dam nach Tokio über die nördliche Tran-
Vor wenigen Wochen hatte bereits der 18 200 km sitroute fahren werden. „Was hingegen
russische Tanker „Baltika“ 70 000 Tonnen wirklich zunehmen wird, ist der Abtrans-
Gaskondensat vom russischen Murmansk New York port der riesigen Rohstoffmengen aus der
durch die Arktis ins chinesische Ningbo Arktis“, prophezeit er. Dringend benötigt
geschippert, ebenfalls ohne Probleme. würden deshalb Seenotkreuzer und Ab-
Der Transport über die Polarroute wird Nordostpassage saugschiffe, die havarierten Tankern rasch
langsam zur Normalität. Asien ist Europa 13 000 km zu Hilfe kommen können.
damit näher gerückt: Die Fahrtstrecke der Wie ernst diese Gefahr ist, zeigte sich
„MV Nordic Barents“ vom norwegischen Hamburg im Juli vor den Neusibirischen Inseln.
Kirkenes nach China etwa hat sich auf Zwei Tanker, im Verband mit einem Eis-
rund die Hälfte verkürzt. „Das hat uns Tokio brecher unterwegs, krachten ineinander,
15 Tage auf See erspart“, sagt Tschudi. als das vorausfahrende Schiff wegen Eis-
Verwandelt sich das achte Weltmeer gang bremsen musste.
damit tatsächlich in einen „transarkti- Beide Tanker hatten 13 300 Tonnen Die-
schen Panamakanal“, wie der isländische sel geladen. Der Eigner, die Murmansk
Präsident Ólafur Ragnar Grímsson froh- Shipping Company, spielte die Sache zum
lockt? Denn der Klimawandel legt nicht Rempler mit etwas Blechschaden herun-
nur die Nordost-, sondern auch die Nord- Suezkanal-Route ter: Es sei „kein Notfall“ gewesen, lediglich
westpassage mitten durch die kanadische 21000 km eine ganz normale „Betriebssituation“.
Arktis frei. In den hundert Jahren von CHRISTOPH SEIDLER, GERALD TRAUFETTER

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