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P E T E R K N A P P

TEIL 4 UNSERER SERIE UBER DIE GROSSEN ART DIRECTORS DES 20. JAHRHUNDERTS

»Mir ging es nicht um


einen Stil«
V O R A L L E M I N D E N 60er Jahren, als Harper’s Bazaar, also über den Umweg
Gestalter der Frauenzeitschrift Elle, hat Amerika, bin ich seinerzeit auf Giaco-
Peter Knapp das Editorial Design metti aufmerksam geworden. Und das,
nachhaltig geprägt. Dabei verstand obwohl ich in Graubünden wohnte.
sich der seit langem in Paris lebende L.W.: Das war ... ?
Schweizer nie als Art Director im en- P. K.: Das war in den 40er Jahren. Also
geren Sinne. Stets auch tätig als Maler, mitten im Krieg.
Zeichner, Fotograf, suchte Knapp zeit- L.W.: 1951 haben Sie Ihren Abschluß
lebens zwischen den Disziplinen zu ver- gemacht. Ab 1959 finden wir Sie als Art
mitteln – zum Vorteil immer wieder Director bei der französischen Elle.
neuer, überraschender Lösungen im Was passierte in der Zeit dazwischen?
Zeitschriftendesign. Folglich steht sein P. K.: Damals sind viele aus der Schweiz
Name weniger für eine wiedererkenn- nach Zürich und Mailand gegangen,
bare visuelle Grammatik. In Peter weniger nach New York. Auch Paris
Knapp begegnen wir vielmehr einem war seinerzeit ein Ziel. Ich war also
Künstler, der sich – ähnlich wie etwa nicht der erste Schweizer, der dorthin
William Klein – als Universalist ver- kam. In Paris ging ich zunächst an die
standen wissen möchte und sein Inter- École des Beaux-Arts, habe gemalt und
esse an eigentlich allen visuellen Aus- gezeichnet. Typografie, Fotografie war
drucksformen (einschließlich der des dort kein Thema. Also habe ich den
Films) als Qualität und Chance be- Kommilitonen geholfen, ihre Arbeiten
greift. abzuschließen. Direktor der Schule war
Jacques Adnet. Sein Zwillingsbruder,
L E I C A W O R L D : Peter Knapp, Sie Jean Adnet, war Art Director bei den
haben in Zürich an der legendären Galeries Lafayette. Das sah man, wenn
Kunstgewerbeschule studiert. Bei wem ? man vorüberging. Das war, einmal ab-
P E T E R K N A P P : Der Direktor der gesehen vom Club du Livre Français, in
Schule war seinerzeit Johannes Itten. Paris das einzig Moderne. Die hatten
Fotografie lehrten Hans Finsler und auch immer junge Leute beschäftigt
Walter Binder. Und die Grafikerlehrer und dann auch mich genommen. Am
hießen, meine ich, mich zu erinnern, Anfang halb. Und dann ziemlich fest.
Bircher und Kümpel. L.W.: Wenn man vorbeiging – Sie mei-
L.W.: Gab es denn damals bereits ein nen die Schaufenstergestaltung?
»Was wir nicht mehr wollten, war der Chic eines Cecil Beaton. Was wir ablehnten, waren diese steifen Posen.» Doppelseiten aus der Elle vom Mai 1959
konkretes Berufsziel ? P. K.: Damals gab es noch Schaufen-
(Foto: Chevalier), September 1965 (anonym)
P. K.: Im Grunde genommen wollte ich ster. Nicht nur Eingänge wie heute.
Grafiker werden. Und die hatten wirklich Witz. Man ar-
L.W.: Hatten Sie Vorbilder, bzw. gab es beitete mit handgemalten Plakaten,
eine Zeitschrift, die Sie zu Zeiten Ihres ähnlich wie die Japaner. Man nannte das ben und keine Haare mehr auf dem Kopf. P. K.: Ja, das würde ich sagen. Auf jeden
Studiums als beispielhaft empfanden? Panneaux sous la marquise. Also Plakate Und da war es das genaue Gegenteil. Es Fall, was die Typografie betrifft. Allerdings
P. K.: Die gab es. Und zwar bekam ich quer unter dem Vordach. war der ganze Stolz von Jean Adnet, daß er Witz und Ideen hatten die Franzosen
– das war allerdings lange, bevor ich L.W.: Interessant ist, daß ja auch viele junge Talente auftut. Auch hat er uns nie schon immer.
Jede Woche eine Elle. Von 1959 nach Zürich an die Schule kam – von ei- große amerikanische Art Directors wie gebremst. Immer nur angetrieben. L.W.: Wie müssen wir uns nun die Arbeit
bis 1966 gestaltete Peter Knapp
nem Onkel in Amerika jeden Monat Mehemed Fehmy Agha oder Alexey Bro- L.W.: Inwiefern waren Sie seinerzeit noch für die Galeries Lafayette vorstellen? Ha-
die damals nicht zuletzt ihrer
Optik wegen vielbeachtete Frau- Fortune und Harper’s Bazaar geschickt. dovitch für Warenhäuser wie etwa Saks ein Vertreter dessen, was wir heute als ben Sie im Team gearbeitet? Oder waren
enzeitschrift. Hier Titel von 1959 Zwar konnte ich kein Englisch. Aber Fifth Avenue gearbeitet haben. Schweizer Schule zu bezeichnen pflegen? Sie als Art Director verantwortlich für die
(Foto: Chevalier), 1965 (Fouli Elia), schon damals empfand ich beide als tol- P. K.: Das spielte damals wirklich eine P. K.: Ich kannte nur das. Aber damit hat- große Linie, während andere Ihre Ideen
1962 (Peter Knapp), 1965 (Fouli le Zeitschriften. Später, in den 80er große Rolle. Man wurde gesehen. te man in den 50er Jahren Erfolg in Paris. praktisch umsetzten?
Elia) und 1959 (Emerick Bronson) Jahren, habe ich ja dann selbst eine L.W.: Welche Rolle genau spielten Sie im Die Gebrauchsgrafik dort sah – bedingt P. K.: Jean Adnet war sozusagen der Orga-
Zeitlang Fortune gemacht. Und durch Art Department der Galeries? durch den Krieg – noch immer aus wie in nisator. Aber das Ganze war doch sehr
P. K.: Man hat mir den Titel Art Director den 30er Jahren. locker. Und die Arbeit gestaltete sich mehr
gegeben. Für mich auch so eine Überra- L.W.: Das heißt, einen jungen Schweizer im Team. Die Franzosen sind keine Bes-
schung. In der Schweiz oder in Deutsch- zu engagieren hieß auch, bewußt Anschluß serwisser. Ihre Toleranz liegt mir sehr.
Peter Knapp als Fotograf. René Burri land muß man erst ein gewisses Alter ha- an die Moderne zu suchen? L.W.: Sie sind dann 1959 zur Elle. Dazwi-
portraitierte den Landsmann
und Kollegen vor einer seiner Arbeiten

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schen gab es beruflich keine Station? zu stoßen und hier die Optik zu verant-
P. K.: Ich habe viel gemalt in dieser worten war sicherlich reizvoll.
Zeit. Und dann, 1956, bekam ich den P. K.: Sehen Sie, da war diese Heraus-
Auftrag, zusammen mit Slavik auf der geberin, Hélène Lazareff. Das war eine
Brüsseler Weltausstellung drei Pavil- Frau, sprühend vor Ideen. Die stand je-
lons zu gestalten. Dabei kam ich in den Morgen auf um sechs oder sieben
Kontakt mit Saul Steinberg, der für den und hat dann erst mal alle amerikani-
amerikanischen Pavillon verantwort- schen Zeitungen und Zeitschriften ge-
lich war. Ich hatte Kontakt zu engli- lesen. So um halb elf kam sie dann ins
schen Kollegen und habe bei dieser Ge- Büro. Und dann ging’s los. Die brachte
legenheit gemerkt, daß die Schweizer jeden Tag unendlich Ideen mit.
Typografie doch sehr limitiert ist. L.W.: Sie sagten einmal: Wenn Sie ir-
L.W.: Limitiert in welcher Hinsicht? gendwo neu anfangen, dann haben Sie
P. K.: Ich würde sagen, sie war etwas auch den Wunsch, eine Sache ganz neu
sehr am Bauhaus orientiert. Diese zu machen. Was genau haben Sie bei
strenge Reduktion auf nur zwei Schrift- der Elle anders gemacht?
charaktere sowie den ungeraden, drei- P. K.: Was wir nicht mehr wollten, war
spaltigen Satz: Als Methode war das der Chic. War die Modefotografie eines
einfach zu eng, zu streng. Cecil Beaton, eines Penn oder Avedon.
L.W.: Aber Sie haben diese Schule, je- Was wir ablehnten, waren diese steifen
denfalls zu Beginn, recht kompromiß- Posen. Wir wollten die Mädchen, die
los praktiziert? wir mochten, reinbringen. Und Bewe-
P. K.: Ja, komplett. Und ich hatte Er- gung. Und Lebensgefühl. Unser Slo-
folg damit. Weil es neu war. Aber dann, gan war: Elle – die Zeitschrift der Frau,
wie gesagt, im Kontakt mit internatio- die der Mann liest.
nalen Grafikern, änderte sich meine L.W.: Also Motion, eine weniger stati-
Meinung. Dann habe ich plötzlich die- sche Form der Modefotografie?
se alten französischen Schriftzeichen P. K.: Damals in Paris wichtig waren
verwendet oder Gummistempel ge- Leute wie Henry Clarke oder Willy
kauft. Ganz gewöhnliche Kistensätze. Maiwald, der für Dior fotografierte.
Und das habe ich dann in die strenge Das Ganze war ein homosexueller Zir-
Schweizer Typografie eingebaut. kel. Und als ich nun zur Elle kam, sah
L.W.: Ab April 1959 finden wir Sie ich die Frau als Frau und nicht mehr nur
nun als Art Director im Impressum der als Mannequin.
Elle. L.W.: Inwiefern fand dieses neue Frau-
P. K.: Ja. Ich habe allerdings schon vor- enbild seine Entsprechung in einer
her dort mitgearbeitet, manchmal ein neuen Fotografie?
Layout gemacht, manchmal Typogra- P. K.: Nun, ich war ja nicht alleine da-
fieentwürfe. Aber als Außenstehender. mals mit meinen Vorstellungen. Da war
Ab 1959 war ich dann fix dort. Frank Horvat. Da war Jeanloup Sieff.
L.W.: Wie würden Sie – vom Konzept, Horvat hatte seinerzeit eine sehr stren-
von der Philosophie her – die Elle des ge Vorstellung von Realität. Er sagte:
Jahres 1959 beschreiben? Die Frau geht einmal in der Woche zum
P. K.: Es war eine aktuelle Zeitschrift. Coiffeur. Sonst frisiert sie sich selber.
Ich würde sagen: ein Informations- Und so wollte er sie fotografieren. Aber
blatt, von einer Frau, nämlich Hélène das war natürlich auch ein Fehler. Er
Lazareff, für Frauen gemacht. Damals hat vergessen, daß die Frau eine Frau-
zum Beispiel wurde Abtreibung noch enzeitschrift kauft, nicht um sich zu se-
mit Gefängnis bestraft. Und da gab es hen, sondern um Vorbilder darin zu
dann Artikel wie: Wir haben abgetrie- entdecken. Immer gleich gescribbelt: Seine Ideen pflegte Peter Knapp in der Regel mit dem Zeichenstift zu formulieren
ben. Und das wurde unterschrieben L.W.: Gehörte zu diesem Konzept ei-
von Brigitte Bardot, von Françoise Sa- nes neuen Realismus auch, daß man –
gan, von Jeanne Moreau. Es wurde ein quasi im Sinne einer Nouvelle Vague –
richtiger Kampf für die Frau geführt. draußen fotografierte? L.W.: Auch durch den Übergang vom ten ja keine Studioblitze. Die erste Blitz- Aber doch wohl auch eine Neuorientie-
Die Revolution in der Mode als Art Insofern war die Elle nicht nur ein P. K.: Ja. Bestimmt. Aber es kommt Groß- zum Kleinbild? anlage kam, ich glaube, Mitte der 50er Jah- rung in der Mode.
Director und Fotograf begleitet: Seiten Modeheft. noch etwas hinzu: 1963 bekam ich mei- P. K.: Die Herstellung vor allem verlang- re aus Amerika. Der Akku war drei Meter P. K.: In der Tat. Zunächst war ja die Haute
aus der von Peter Knapp gestalteten Elle L.W.: Die Zeitschrift war im Grunde ne erste Kamera mit einem Motor. Hat- te Großformat, mindestens 4 x 5 inch. Es lang. Und bis er wieder geladen war, dau- Couture die Auftraggeberin. Sie hat alles
vom November 1959 (Foto: Emerick
emanzipatorisch. ten wir vorher nicht. Das heißt: Ein war schon gewagt, wenn man mit Rollei- erte es ungefähr anderthalb Minuten. beeinflußt. Damals spielte die Konfektion,
Bronson), Oktober 1962 (Peter Knapp),
Juli 1964 (Henry Clarke) und März 1960 P. K.: Ja, sie war ganz Emanzipation. Mädchen konnte gehen, aber sie konn- flex kam. In Farbe, nicht Schwarzweiß. Wenn ein Mädchen anderthalb Minuten das Prêt-à-porter praktisch keine Rolle.
(William Connors) Hinzu kommt: Die Elle erscheint in te nicht laufen. Als wir plötzlich sieben Leica-Bilder in Schwarzweiß gab es schon warten muß für die nächste Bewegung, Fast jede gutaussehende Frau hatte ihre
Frankreich wöchentlich. Das heißt, sie Bilder in einer Sekunde machen konn- länger. Ich glaube, Horvat oder Sieff ha- dann fällt alles in sich zusammen. Schneiderin. Man kaufte ein Journal. Und
konnte immer aktuell sein. ten, hat auch die Fotografie eine ande- ben nie anders als mit der Leica fotogra- L.W.: Nun markieren die 60er Jahre ei- die Schneiderin kopierte. Bis 1955/56
L.W.: Und jetzt zu dieser Zeitschrift re Form angenommen. fiert. Ein Problem war die Farbe. Wir hat- nen Paradigmenwechsel in der Fotografie. wurden deshalb vor allem Informations-

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Aktuelle Reportagen in der Elle, kongenial illustriert. Doppelseite aus der Juli-Nummer 1960 (Foto: Dambier)

B I O G R A F I E oder Sachaufnahmen verlangt. Und zurück und hat die Elle gegründet.
nun kam eine Zeit, in der sich die Frau- L.W.: Mit wem als Art Director?
Peter Knapp en anders bewegten. Sie trieben Sport, P. K.: Das war zunächst schon die Che-
1931 in Bäretswil/Schweiz geboren fuhren Auto ... fin selber. Sie hat die Fotografen ausge-
1937 – 1947 Schulerziehung in Zürich
L.W.: ... und verlangten infolgedessen wählt. Und die Zeichner, wie René
1947 – 1951 Grafikerausbildung an der Kunstgewerbeschule
Zürich
nach einer neuen, tragbaren Mode. Gruaut, bevor ich kam.
1952 Besuch der Ecole des Beaux-Arts in Paris P. K.: Ich würde sagen, die Revolution L.W.: Stichwort Zeichner: Im Grunde
1953 Art Director bei Nouveau Féminal kam mit Courrèges. Er hat plötzlich war dies ja auch die Zeit der Ablösung
1955 bei den Galeries Lafayette. Zusammenarbeit u. a. mit Jean den Rock abgeschnitten, weil er gesagt der Illustration durch die Fotografie.
Adnet
hat: Man kann keine Treppe hochgehen P. K.: Es war eigentlich nicht unser
1956 Entwürfe für die Brüsseler Weltausstellung. Gestaltung von
drei Pavillons mit Slavik mit einem langen Kleid. Man kann in Wunsch, die Zeichner aufzugeben. Es
1958 erste Einzelausstellung (Malerei) kein Auto einsteigen. Und wenn nun war der Wunsch des Publikums. Illu-
1959 – 1966 Art Director bei der französischen Elle der Rock kurz ist, sieht man das Ende strationen eignen sich nicht, wenn man
1960 – 1978 eigenes Studio in der Passage Choiseul in Paris vom Strumpf. Folglich braucht es eine Mode kopieren will.
1961 – 1971 gemeinsam mit Jean-Marie Serreau Entwurf von Büh-
Strumpfhose. Und nicht mehr Strümp- L.W.: 1959 im April haben Sie bei der Große Fotografie, großzügig präsentiert. Knapp brachte Bilder und Essays auch zahlreicher Leica Fotografen wie Bruce Davidson, Frank Horvat oder
nenbildern (u. a. Max Frisch und Ionesco)
fe. Er war wohl Couturier. Aber in sei- Elle angefangen. Im selben Monat er- Jeanloup Sieff. Hier Doppelseiten aus der Elle vom Oktober 1962 (Foto: Lionel Kazan), Juni 1959 (Henri Elwing) und Juni 1962 (Dudognon)
1966 erste Einzelausstellung (Fotografie)
1967 Modeaufnahmen für den Couturier André Courrèges. Zahl- nem funktionalen Denken eigentlich schien in Deutschland die erste Ausga-
reiche Bildveröffentlichungen (Mode, aber auch Bildessays und Re- vom Bauhaus beeinflußt. be von twen. Wann haben Sie diese
portagen) in Vogue, Stern, Sunday Times, Marie-Claire sowie in wei-
L.W.: Sie erwähnten die Herausgebe- Zeitschrift zum ersten Mal wahrge-
teren internationalen Zeitungen und Zeitschriften
1970 kurzzeitig Art Director des neugegründeten Zeitmagazins
rin, Hélène Lazareff. Was war sie für nommen? schichten mit großer Optik an. Die Auf- L.W.: Das scheint eher journalistisch als heute noch der Meinung: Man macht Zeit-
1974 – 1977 noch einmal Art Director bei Elle ein Frauentyp? P. K.: Ab Nummer eins. Ich kannte macher bei Ihnen sind dagegen eher still, grafisch gedacht. Wie war ihr Verhältnis schriften, um gelesen zu werden.
1978 – 1984 Studio Moulin Rouge in Paris. Freie Fotografie P. K.: Sie war einssechsundfünfzig groß, Fleckhaus nicht. Aber die Doppelsei- zurückhaltend. zur Textredaktion? L.W.: Um bei der Optik zu bleiben: Bro-
1983 Art Director bei Femme und Décoration internationale trug Chanel und war sehr überzeugt, ten, die er machte, waren gleich beein- P. K.: Das bin ich. Das mache ich auch P. K.: Ich hatte immer ein sehr gutes Ver- dovitch hatten Sie ja schon früh kennen-
1983 – 1994 Dozent an der Ecole supérieure d'arts graphiques in
daß die Frauen ›kompletter‹ sind als die druckend. Er präsentierte Bilder in ei- heute noch so. Ich möchte erst Titel und hältnis zum Chefredakteur. Sprache ist gelernt. Ist er für Sie ein Vorbild geblie-
Paris
1984 – 1988 Studio in der Rue de Bruxelles in Paris
Männer. Man müsse es ihnen nur sagen. nem Format, das wir, die Leute von der Vorspann. Die Doppelseite kommt bei mir nicht meine Sache. Also habe ich immer ben?
1986 große Retrospektive im Paris Art Center Ich glaube, ursprünglich hatte sie Eth- Vision, eigentlich nicht brauchen. Aber erst auf Seite drei und vier. Das heißt, Ti- versucht zuzuhören und ein Problem zu P. K.: Sicher. Wobei ich früh begriffen ha-
1988 Art Director bei Fortune nologie studiert. Als Jüdin lebte sie mit diesem Entschluß, Doppelseiten zu tel und Vorspann bleiben leserlich. Man verstehen. Und ich habe, mit wenigen be, daß das ein Mann ist, der mit Fotogra-
1993 Retrospektive im Centre de la Photographie (Genf). Zahlrei- während des Krieges in New York. In machen, brachte er – etwas salopp ge- weiß, um was es geht. Und dann kommt Ausnahmen vielleicht, immer versucht, fie umgehen kann. Mit der Doppelseite.
che weitere Einzel- und Gruppenausstellungen. Diverse Work-
dieser Zeit waren für sie Dinge wie sagt – die Schönheit eines Bildes po- der Blickfang. Er ist nicht mehr Öffner. leserlich zu gestalten. Also nie vier Spalten Oder dem, was wir bei Itten als l’espace
shops (u. a. in Arles) sowie Fernseh- und Dokumentarfilme. Peter
Knapp lebt in Cergy-Village bei Paris Kühlschrank oder Auto ganz selbstver- pulär den Menschen näher. Sondern schon Empfindung. Das habe ich ohne Unterbrechung gemacht, daß es nur bezeichneten. Ein Meister in der Behand-
ständlich geworden. 1946 kam sie dann L.W.: Bei ihm fangen in der Tat die Ge- nie geändert. Es ist auch heute noch so. noch ein grauer Raster ist. Ich bin auch lung von Kontrasten, Bedrucktem und

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Unbedrucktem. Man glaubt ja gar denen nicht paßt. Regenmäntel: Da will


nicht, daß er überhaupt Layout ge- niemand mitmachen. Oder Hochzei-
macht hat. Es hatte etwas Selbstver- ten. Hinzu kommt: In einer Wochen-
ständliches. zeitschrift muß es schnell gehen. Und
L.W.: Worin liegt das Besondere bei wenn sie Montag, Dienstag keine Ant-
seinem Umgang mit Fotografien? wort haben, dann schickt man halt den
P. K.: Die meisten Fotografen kommen Knapp.
mit Bildern im Format 30 x 40. Weil L.W.: Ein wichtiges Thema ist die
sie alle auf eine Doppelseite hoffen. Gestaltung des Titels. Gab es da Maxi-
Brodovitch hat meisterhaft gespürt, men, Musts oder Tabus?
welches Foto auch klein noch alles gibt. P. K.: Nein. Man konnte wirklich alles
Und welches eine bestimmte Dimen- machen. Und wenn die Titel nicht im-
sion nicht unterbieten darf. mer witzig sind, dann war das unser
L.W.: Er selbst hat ja seine Layouts am Fehler.
Boden ausgelegt, um den Rhythmus, L.W.: Und wie war hier die Zusam-
den Fluß eines Heftes zu spüren und ge- menarbeit mit den Fotografen?
gebenenfalls zu korrigieren. Wie haben P. K.: Es gab Fotografen wie beispiels-
Sie gearbeitet? weise Frank Horvat, der brachte über-
P. K.: Auch wir haben das gemacht. haupt nur ein oder zwei Bilder in die
Aber sehen Sie, da passiert ja schon ein Redaktion. Oder Fouli Elia, der war
Hauptfehler. Der Grafiker arbeitet noch schlimmer. Der hat nur einmal ab-
meistens stehend und hat da schon 65 gedrückt. Als sich dann die Kleinbild-
cm Abstand zu seinem Blatt. Der Leser fotografie durchsetzte, war es das Ge-
ist zwischen 35 und 45 cm entfernt. Das genteil. Plötzlich wählten die Fotogra-
heißt, die Vision ist jeweils eine andere. fen nicht mehr aus, und man bekam
L.W.: Bei Brodovitch läßt sich ohne zehn Filme. Das heißt, für einen
Souveräner Umgang mit der Doppelseite: Beispiel aus einer Modestrecke, Elle, 9. November 1962 (Foto: Marc Hispard)
Frage eine bestimmte Vision herausde- Strumpf mußte man dreihundert Bilder
stillieren. Wie würden Sie Ihr visuelles ansehen. Und noch etwas änderte sich:
Vokabular beschreiben? Am Anfang waren die Fotografen enge
P. K.: Ich sehe meine Arbeit ein wenig Mitarbeiter. Die ließ man gar nicht für L.W.: An einer Stelle werden Ihre Lay- war ja dann Anfang der 70er Jahre das Zeit- das dann exakt auszuführen?
wie die Montage eines Films. Es geht ein anderes Journal arbeiten. Doch outs als anarchic layouts bezeichnet. Ist das magazin. P. K.: Nein. Komplette Freiheit. Aber ich
von einer Szene zur nächsten. Von nah dann kamen andere Zeiten. Da waren damit gemeint? P. K.: Richtig. Ich arbeitete damals als habe es neu machen lassen, wenn es mir
zu fern. Von flach zu dreidimensional. die im Flugzeug, heute für die Elle, P. K.: Ja, das würde ich glauben. Das be- freier Fotograf. Und Gerd Bucerius hat nicht gefiel. Das schon.
Ich habe immer einen Kontrast im morgen für die Vogue. Die ließen ihre trifft auch den Verzicht auf einen Raster. mich gefragt: Willst du nicht wieder mal L.W.: Vergleichsweise antiquiert wirkt
Rhythmus gesucht. Filme zurück. Und eine gemeinsame Bei mir war nichts vorgedruckt. Keine eine Zeitschrift machen? Und so kam dies häufig die Illustration. Ein wenig ähnelt sie
L.W.: Der weiße Raum spielte bei Ih- Auswahl war gar nicht mehr möglich. Charte graphique. zustande. den Buch- bzw. Romanillustrationen der
nen nicht diese Rolle? L.W.: Es gibt Art Directors, die suchen L.W.: Gibt es Größen im Bereich des L.W.: Und warum haben Sie 1966 die Zeit.
P. K.: Ich kann Ihnen erklären, warum einen unverwechselbaren Stil, eine Grafikdesign, mit denen Sie sich ein wenig Elle verlassen? P. K.: Sie sagen es. Und es gab tatsächlich
Spiel mit Headline und Vorspann. Rau- nicht. Weil die erste Zeitschrift, die ich Handschrift, die noch in Fragmenten geistesverwandt fühlen? P. K.: Als Hélène Lazareff krank wurde, Romane, Novellen in der Elle. Das gibt es
he Stempelschriften oder Kistensätze. gemacht habe, war die Elle. Billiges Pa- einer Zeitschrift aufscheint. Wie ist das P. K.: William Klein, Terence Donovan, wollte man mich zum Direktor der ganzen heute nicht mehr. Die Zeit verbringen die
In seiner Typografie befreite sich Peter pier. Durchsichtiges Papier. Das heißt, bei Ihnen? Olivero Toscani. Zeitschrift machen. Da habe ich gesagt: Frauen heute vor dem Fernseher.
Knapp vom Purismus der Schweizer wenn ich die Seite leer ließ, dann sah es P. K.: Ich denke, daß das heute ziemlich L.W.: Also Fotografen. Nein, Monsieur Lazareff, diese Arbeit L.W.: Frage zum Schluß: Gibt es für Sie
Grafik: aus der November-Nummer
immer schlecht aus. Weil der Druck wichtig geworden ist, weil wir so viele P. K.: Nein, ich würde eben nicht sagen liegt mir nicht. Ich bin keine Frau. Es gab heute noch ein Magazin mit Vorbildfunk-
1959, der Juli-Nummer 1961 und der
Mai-Ausgabe 1962
durchscheint. Zeitschriften haben. Aber wir wollten Fotografen. Die haben alle am Anfang ge- durchaus auch Leute, die froh waren, daß tion?
L.W.: Sie haben selbst viel Mode foto- damals jede Woche einen neuen Film malt. Und dann haben sie Film gemacht. ich wegging. Acht Jahre später wollten sie P. K.: Ich weiß es nicht. Jedesmal wenn mir
grafiert. Vielleicht auch, weil Sie nie- bieten. Was mich betrifft: Ich hoffe, daß Und dann haben sie fotografiert. Und dann unbedingt, daß ich wiederkomme. etwas gefällt, ist es doch eher ein Nischen-
manden fanden, der Ihre Modeideen man bei mir nicht von Stil spricht. Ich dann haben sie wieder Layout gemacht. L.W.: Das war von 1974 bis 1978? produkt. Ich glaube, ein wirklich gutes
hätte umsetzen können? versuche eher, ein Stilbrecher zu sein. Grenzüberschreitend mit Bildern umzu- P. K.: Jawohl. Da habe ich zunächst zu- Magazin mit hoher Auflage und vielen An-
P. K.: Oder wollen. Ich meine, jedes Ich möchte jeden Tag kreativ sein. Viel- gehen, darum geht es. William Klein ist sammengearbeitet mit Daisy de Gallard. zeigen kann man heute nur innerhalb ei-
Journal will Fotografen mit Talent und leicht rekreativ. Ich bin auch kein Per- mir da sehr vertraut. Dann mit Claude Brout, die von Hermès ner großen Pressegruppe machen. Es ist zu
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Namen. Und da ist nun ein Thema, das fektionist. Eher ein Unperfektionist. L.W.: Ist es richtig, daß Sie einmal als Art kam. Und dann kam ein Mann. Jedoch ein teuer, wenn Sie einen eigenen Künstler-
Director des Stern vorgesehen waren? Mann kann bei der Elle nur helfen. Aber service brauchen, einen Fotoservice, ein
Peter Knapp: ›SR 701. Paris – Zürich‹.
Paris (Presses de l’Imprimerie Arte) 1977. P. K.: Ja. Bucerius hatte die Idee, daß sich nicht die Elle machen. Marketing. Wer kann das schon für ein
Ante Glibota/Annie Le Brun/Pierre Restany/André Heiz: Gillhausen und ich abwechseln sollten. L.W.: Ein Wort noch zum Alltag in der Magazin aufbringen? Niemand. Folglich
›Peter Knapp‹. Paris (Paris Art Center) 1986.
Peter Knapp: ›Ex-Photo‹. Aber nun ist der Stern ein Großprodukt. Grafik. Bei Ihren Büchern haben Sie ja geht es nur noch, wenn ein guter Entwurf
Paris Art Center 1990. Und da kann man nicht experimentieren. sehr detaillierte Skizzen gemacht. Sind Sie oder ein Projekt innerhalb einer großen
›Photographie in der Schweiz von 1840 bis heute‹.
Bern (Benteli Verlag) 1992.
Hinzu kommt: Ich habe schnell festge- bei Ihrer Zeitschriftenarbeit ähnlich vor- Gruppe gemacht werden kann. Und da
Annie Le Brun: ›Peter Knapp – A la recherche du temps stellt: Der Stern ist eine deutsche Zeit- gegangen? sind die Entscheider Geldleute. Und die
visible‹. In: Images Nr. 1/1993. schrift mit einem großen Schwerpunkt P. K.: Ich habe immer, anstatt zu schrei- interessiert das nicht.
Peter Knapp: ›Photos d’elles. Temps de pose: 1950–1990‹.
Genève (Éditions Camera Obscura) 1993. Innenpolitik. Und da war ich einfach über- ben, alles gleich aufgezeichnet. Wenn ich
Michael Koetzle: ›twen – Revision einer Legende‹. haupt nicht auf der Höhe. einen Vorschlag hatte, habe ich stets ver- Das Gespräch mit Peter Knapp führten Hans-
München (Klinkhardt & Biermann) 1995.
L.W.: Ein zweites Objekt, das Sie aber zu- sucht, es vorzuzeichnen. Michael Koetzle und Horst Moser im Novem-
Peter Knapp: ›Images réfléchies/Reflektierte Bilder‹.
Neuchâtel (Éditions Ides & Calendes) 1997. Peter Knapp: ein Schweizer in Paris (Foto: Horst Moser) mindest mit auf den Weg gebracht haben, L.W.: Und die Leute in der Grafik hatten ber 1997 in Cergy-Village bei Paris.

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