FOKUS FINANZKRISE

Globale Finanzmarktkrise

Ursachen und
Auswirkungen
Erstaunt sehen wir derzeit die Wirkungen und Auswirkungen
einer Entwicklung, die zurecht als globale Finanzmarktkrise
bezeichnet werden kann. Erstaunt sind wir alle über das Ausmaß
und die Geschwindigkeit, mit der die negativen Begleiterschei-
nungen über die Finanzmärkte hinwegfegen und nun auch in
verstärktem Maße die Realwirtschaft belasten.

F inanzmärkte und Realwirtschaft

sollten hier bewusst gedanklich aus-
einander gehalten werden. Obwohl die
Finanzmärkte auf das Engste mit den
realwirtschaftlichen Märkten verbunden
sind, sollte man zum besseren Verständ-
nis der Entwicklungen speziell die fi-
nanzwirtschaftlichen Abläufe über die
letzten 25 Jahre für sich betrachten.
Ein Blick in die Vergangenheit
Im Zuge jahrzehntelanger Entwicklun-
gen auf den nationalen und internatio-
nalen Finanzmärkten, die mit den ang-
loamerikanischen Begriffen „Globalizati-
on“, „Liberalization“, „Securitization“ und
„Disintermediation“ beschrieben wur-
den, befreiten sich die lokalen Finanz-
märkte der industrialisierten Welt aus
den als Zwängen empfundenen Re-
gulierungen der nationalen Geld- und
Kapitalmärkte. Seit dem Ende der zwei-
ten Ölkrise im Jahre 1978 suchte inter-
nationales Kapital, hauptsächlich aus
den gestiegenen Öleinnahmen seinen
Weg in die Märkte. Es entstand ein in-
ternationaler Finanzmarkt, der Euro-
Geld- und Euro-Kapitalmarkt, ursprüng-
lich ein reiner sogenannter Euro-Dollar-
Markt. Kredite wurden in zunehmen-
dem Maße über im Ausland gegründete
Banken (sog. „Offshore-Banken“) verge-
ben, Anleihen in steigendem Ausmaß
über im Ausland gegründete Finanzie-
rungsgesellschaften emittiert, mit fest-
en oder variablen Zinssätzen. Für den
variablen Zinssatz auf diesem neu ent-
standenen internationalen Finanzmarkt
stand der „LIBOR“ (London Inter Bank
Offered Rate), mit London als Synonym
für den wichtigsten diesbezüglichen
Finanzplatz dieser Zeit.
Auch die großen Industrieunterneh-
men bedienten sich der neuen Märkte
aus mehreren Motiven heraus. Die Fi-
nanzierungskosten waren etwas güns-
tiger, die Refinanzierung wurde mehr
diversifiziert, international begebene
Anleihen erhöhten den Bekanntheits-
grad der Unternehmen. Die parallele
Entwicklung zur vermehrten Nutzung
der Rating-Agenturen und schließlich
die zur Platzierung erforderliche Not-
wendigkeit eines Ratings, gab die Mög-
lichkeit, beste Bonitätsnoten auch als
Aushängeschild zu benutzen.
Die international tätigen Banken
weiteten das Geld- und Kreditmarkt-
volumen, einschließlich zugesagter Kre-
ditlinien über ihre Offshore-Banken in
einem Maße aus, dass die nach wie vor
nationalen Aufsichtsbehörden eine
Konsolidierung der Offshore-Banken
forderten und auch durchsetzten. Da
das zur Unterlegung der zu konsolidie-
renden Kredite notwendige Eigenkapital
der Banken im notwendigen Umfang
nicht zu beschaffen war, wurden die
Kredite zunehmend in verbriefter Form
direkt in den Kapitalmärkten platziert.

22 technologie & management

 FOKUS FINANZKRISE

Es begann der Prozess der Disinterme-

diation und Verbriefung (Securitization) Der Autor Dr. Horst Laubscher (Jg. 1948) , Darm-
bereits bestehender Bankkredite. Die städter Wirtschaftsingenieur, 20 Jahre in leiten-
Handelbarkeit dieser an den Kapital- den Funktionen im Finanzbereich der Großindu-
märkten platzierten Titel (alte und neue) strie tätig (Metallgesellschaft, Linde, Klöckner &
nahm im Gefolge der raschen Entwick- Co., Deutsche Telekom), seit Anfang 2000 selbst-
lung der Informationstechnologie enorm ändiger Industrieberater Osteuropa, Leiter des
zu, damit auch die neu emittierten Volu-
Nachwuchsführungskräfteseminars der GEFIU,
men, da der internationale Markt für die
Professor an der Pannon Universität Veszprem,
verbrieften Produkte immer aufnahme-
Ungarn, Beiratsmitglied im VWI.
fähiger wurde.
Bereits Mitte der 80er Jahre standen
die Banken vor der Tatsache, dass drei von Verstärkereffekten begleitet, dem dung zum „prudent banking“. „Banken
Viertel aller langfristigen Finanzierun- Treibhausklima fallender Zinsen, dem befänden sich bereits jenseits des pru-
gen auf dem internationalen Markt nur zunehmenden Ertragsdruck bei den dent banking, einige Häuser führten
über die Refinanzierung über kurzfris- Banken, dem von der Bankindustrie ent- bereits ein außerbörsliches Geschäft,
tige Ausleihungen beschafft werden deckten zusätzlichen Ertragspotential welches das Zehnfache der ausgewiese-
konnten. Der Markt der Zins-Swaps be- im finanziellen Bereich, einem zuneh- nen Aktiva bereits übersteige, die inhä-
gann sich zu entwickeln und erreichte menden Rendite- und Performanceden- renten Kreditrisiken lägen höher als die
in nur kurzer Zeit gewaltige Größen- ken und steigendem Konkurrenzdruck. ausgewiesenen Vermögen“. Und noch-
ordnungen. Es handelte sich dabei ur- Hohe Liquidität war in wenigen Märkten mals Lamfalussy erinnerte bereits 1992
sprünglich um Zinssicherungsgeschäfte, konzentriert, viele Marktteilnehmer wa- an die hohe Zerbrechlichkeit des Finanz-
um synthetische Produkte, die den Mis- ren bereits damals quasi „highly lever- systems, „die Spannkraft des neuen
match zwischen kurzfristigen und lang- aged“, gewaltige Fortschritte in der In- finanziellen Umfeldes ist bisher noch
fristigen Zinssätzen ausgleichen sollten,formationstechnik schafften eine Ten- nicht von einer ausgeprägten Rezession
allerdings auch für jeweils einen der be-denz zu gleicher Information und erhöh- getestet worden“ [2].
teiligten Partner eine langfristige Liqui-
ten damit die Volatilität. Geld war zu- Die Aussagen und Größenordnungen
ditätssicherung mit sich zog [1]. dem zur Ware geworden und hatte sich von 1992, die erfahrenen Bankmana-
Im Gefolge der weiteren Entwicklung, längst von den realwirtschaftlichen gern bereits damals heftige Bauch-
insbesondere der jederzeitigen Handel- Märkten gelöst. schmerzen verursachten, waren nur
barkeit, begannen diese synthetischen Schon Ende der 80er Jahre, späte- Tropfen gemessen an dem, was sich in
Produkte sich zunehmend zu verselb- stens zu Beginn der 90er Jahre, gab es den Folgejahren aufbauen sollte.
ständigen. Aus dem Zinsmanagement warnende Stimmen, den weitgehend
wurde ein separates Geschäftsmodell, unregulierten Marktentwicklungen Das magische Dreieck
welches zunehmend spekulative Züge nicht tatenlos zuzusehen. So warnte Die Wertpapieranlagepolitik bedient
in Bezug auf die Zinsentwicklung an- Lamfalussy bereits zu dieser Zeit, als sich seit langer Zeit eines Zielsystems,
nahm. Der Markt der Derivative war ent- Generaldirektor der Bank für Internatio- welches das Entscheidungsverhalten
standen. nalen Zahlungsausgleich (BIZ), dass „die des Anlegers prägen soll. Die Ziele des
finanzielle Revolution Anlegers orientieren sich an der erziel-
Die derivativen Produkte begleitet ist von baren Rendite, an der Sicherheit des ein-
einem sich beschleu- gegangenen Investments und an der
waren der Ursprung eines nigenden Wachstum Liquidisierbarkeit, das heißt der „Fungi-
Schattenmarktes. der Finanztransaktio- bilität“ (Handelbarkeit) des zugrundelie-
nen, ohne nachweis- genden Wertpapierinvestments. Alle
Die derivativen Produkte nahmen in bare Verbindung zu Notwendigkeiten in drei Ziele sind wichtig für den Anleger,
Umfang und Handelbarkeit immer wei- der Nichtfinanzbranche“. Allen Taylor, zwischen den drei Zielen besteht jedoch
ter zu und waren der Ursprung eines Chef der Royal Bank of Canada sprach ein Zielkonflikt. Stellt man eines der
sich über die gesamten Finanzmärkte auf einem Bankengipfel in Toronto im drei Ziele zu stark in den Vordergrund,
aufbauenden „Schattenmarktes“, der Juli 1992 davon, dass „das explosive schränkt man die anderen Ziele ein oder
von seinen Anfängen an, keine Regulie- Wachstum der neuen Instrumente wie gefährdet sie gar. Man spricht daher
rung oder Aufsicht kannte, abgesehen Swaps, Options und Futures, die nächste vom magischen Dreieck der Ziele. Grund-
von dem Versuch der statistischen Erfas- Zeitbombe sei, die das internationale legend für das kluge Anlageverhalten ist
sung, der aber mehr einer Schätzung Finanzsystem in Gefahr bringen kann“. eine Politik, das magische Dreieck im
als einer genauen Erfassung nahe kam. Cartellieri, Vorstand der Deutschen Bank Gleichgewicht zu halten.
Der gewaltige Anstieg der neuen und einer der angesehendsten Bankiers Der aus der Wertpapieranlagepolitik
Finanzprodukte war von einer Vielzahl seiner Zeit, forderte 1992 die Hinwen- entliehene Grundsatz kann auf die Un-

technologie & management 23

 FOKUS FINANZKRISE
ternehmensfinanzierung übertragen
werden und wirkt entsprechend. Ersetzt
man die Rentabilität durch Finanzie-
rungskosten, interpretiert die Sicherheit
als Bonität durch die Gestaltung der
Bilanzrelationen und ersetzt das Ziel der
Liquidisierbarkeit durch die Liquidität
des Unternehmens (jederzeitige Zah-
lungsfähigkeit bzw. Verfügbarkeit von
Finanzierungsmitteln), stößt man auf
ein Risikosystem, welches in der finanz-
wirtschaftlichen Literatur seit langem
als positiver und negativer „Leverage
Effect“ (Hebeleffekt) bekannt ist [3].
Unternehmensfinanzierung
Zum Verständnis seien die Grundsätze
aus der deutschen Unternehmensfinan-
zierung herangezogen, die auch nach-
weisbar von diesen Unternehmen gelebt
wurden und werden. Die Finanzierung
des Anlagehaushaltes wird durch lang-
fristige Finanzierungsmittel, die des
Umlaufhaushaltes aus kurzfristigen
Finanzierungsmitteln gewährleistet.
Langfristige Finanzierungsmittel sind
eine ausreichende Eigenkapitalbasis,
ergänzt durch langfristige Bankkredite
oder Anleihen (Industrieobligationen
oder Schuldscheindarlehen). Werden zur
Kurzfristfinanzierung neben Bankkredi-
ten auch kapitalmarktorientierte Finan-
zierungsquellen genutzt (Beispiel Com-
mercial Paper), sei es aus Gründen der
Optimierung der Finanzierungskosten,
seien es Diversifikationsgründe oder
Motive zur Erhöhung des Bekanntheits-
grades des Unternehmens auf den Fi-
nanzmärkten, so ist stets darauf zu ach-
ten, dass die Verfügbarkeit dieser Res-
sourcen sicher gestellt ist. Dies geschieht
in der Regel auf Grund vorhandener zu-
sätzlicher Bankkreditlinien, die das Fi-
nanzmarktrisiko dieser kurzfristigen
(revolvierenden) kapitalmarktorientier-
ten Finanzierungsquellen ausschließen
sollen. Soviel zum Thema einer soliden
externen Unternehmensfinanzierung,
neben der Innenfinanzierung aus dem
Cash Flow.
Das extreme Gegenbeispiel wäre die
Konzentration auf die billigste Finanzie-
rungquelle (also z. B. weitgehend über
24 technologie & management
Commercial Paper), gar noch unter
Missachtung der Fristenkongruenz und
einer gerade noch vertretbaren Eigenka-
pitalunterlegung. Die Eigenkapitalrenta-
bilität ginge ceteris paribus stark nach
oben, allerdings unter Missachtung von
Sicherheits- und Liquiditätskriterien
(jederzeitige Verfügbarkeit). Kein gut
geführtes Unternehmen würde sich
einem solchen Risiko aussetzen.
Doch genau dies ist in wesentlichen
Teilen der Bankindustrie geschehen.
Hier soll bewusst von „Bankindustrie“
gesprochen und Hedgefonds sowie Pri-
vate Equity-Gesellschaften ausdrücklich
mit eingeschlossen werden. Damit sei
betont, dass es sich überwiegend um ein
USamerikanisches Phänomen handelt,
zumindest von dort seinen Ursprung
nahm.
Um die aktuellen Fehlentwicklungen
der Finanzmärkte überhaupt vollständig
verstehen zu können, fehlen noch we-
sentliche Kettenglieder. Es handelt sich
dabei um den Trend vom regulierten
Bankensektor zum unregulierten Nicht-
bankensektor sowie die Rolle der Ra-
ting-Agenturen bei strukturierten Pro-
dukten und die Mathematisierung des
Marktgeschehens über die vergangenen
zehn Jahre.
Deregulierung und die Rolle der
Rating-Agenturen
Der rote Faden zum Verständnis der drei
genannten Phänomene ist der Weg vom
Asset Based Financing zur Asset Securi-
tization. Asset Based Financing in seiner
ursprünglichen und einfachsten Form
kennen wir alle aus der Technik der For-
derungsabtretung (Factoring, Forfaitie-
rung) beziehungsweise aus der Leasing-
finanzierung. Basis für die Refinanzie-
rung ist in diesen Fällen die Qualität der
zugrungeliegenden Aktiva („Assets“).
Im regulierten Bankensektor oblag und
obliegt die Prüfung der Qualität der
Aktiva den Mitarbeitern des darauf spe-
zialisierten Bankensektors. Diese Spe-
zialbanken unterstanden der lokalen
Bankenaufsicht. Der Trend zur Disinter-
mediation schuf die „asset-securitiza-
tion“, also die Verbriefung von zugrun-
deliegenden Assets, mit dem Ziel, diese
am Kapitalmarkt zu
platzieren. Über die
vergangenen zehn
Jahre entstanden in
zunehmendem Maße
die mit den anglo-
amerikanischen Be-
griffen belegten Pro-
dukte, wie ABSs
(Asset Backed Securi-
ties), CDOs (Collatera-
lized Debt Obliga-
tions), CLOs (Collate-
ralized Loan Oblig-
ations), um nur die
wesentlichsten mit ihren heute ständig
auftauchenden Namen zu nennen. Wie
an diesen Namen zu erkennen, weiteten
sich die Platzierungen nicht nur auf ge-
bündelte Aktiva, sondern auch auf ge-
bündelte Kredite aus, und, wie noch
später zu erkennen, auf spezifische da-
mit verbundene Versicherungspolicen
(Credit Default Swaps). Selbst bereits
verbriefte und platzierte Pakete wur-
den weiter gemischt und strukturiert
(„structured finance“) und in „neuen
Schläuchen“ weiterplatziert. Die Pro-
duzenten dieser verpackten Produkte
waren im wesentlichen Investmentban-
ken, deren Motive darin bestanden, eine
gute Einnahmequelle aus der Konstruk-
tion und Platzierung solcher Papiere
zu generieren. Käufer solcher Produkte
waren typischerweise institutionelle In-
vestoren, im größeren Stil auch andere
Banken, Investmentfonds, Pensions-

fonds, Versicherungen oder Stiftungen,
ja sogar Zentralbanken. Soll man in die-
sem Zusammenhang vom Opfern spre-
chen? Haben diese Investoren nicht
selbst die Prinzipien des magischen
Dreiecks verletzt? Haben sich bei solchen
Konstruktionen nicht zwei Partner ge-
troffen, die jeder für sich dem Rentabi-
litätsdruck zulasten der Sicherheit und
Liquidierbarkeit nachgegeben haben,
aus welchen Motiven und Begründun-
gen heraus auch immer. Haben wir es
mit einem doppelten Leverage Effect zu
tun, der nun von beiden Seiten im ersten
Kulminationspunkt der Finanzkrise zu-
sammentraf?
Die Antwort ist in jedem Fall auch
bei den Rating-Agenturen zu finden.
Anstatt wie im oben erwähnten tradi-
tionellen Geschäft Mitarbeiter spezia-
lisierter Banken, machten die Bewer-
tung solcher neuen Produkte die Rating-
Agenturen, deren Gütesiegel zwingen-
de Voraussetzung für die Platzierbarkeit
geworden war. Der Glaube an deren
Kompetenz und das damit verbundene
Rating war so groß, das eine gute Be-
wertung das aus dem magischen Drei-
eck bekannte Sicherheitskriterium an-
scheinend zweifelsfrei erfüllte, auch
wenn man unterstellen kann, dass viele
Käufer das zugrundeliegende Risiko
überhaupt nicht verstanden. Der Glau-
be an die Qualitätsprüfung der Rating-
Agenturen war anscheinend so groß,
dass Investoren diese „packaged assets“
oder „packaged loans“ sogar mit kurz-
fristigen Commercial Paper finanzierten,
und dies noch unter Zuhilfenahme von
aufgelegten Investment Vehicles (sog.
„Conduits“) mit extrem niedriger Eigen-
kapitalausstattung. Das Eigenkapital-
Rentabilitätsdenken hat das Sicherheits-
denken anderen überlassen (den Rating-
Agenturen) und zudem noch ein nicht
vertretbares Liquiditätsrisiko bei der
Finanzierung solcher Conduits in Kauf
genommen.
Bei allen bisher geschilderten Ent-
wicklungen, angefangen von den Swaps
und aller nachfolgenden Derivatepro-
dukte, den verbrieften und im Kapital-
markt platzierten Produkten und deren
kostengünstige Finanzierung über kurz-
fristige Finanzierungsformen, blieb ei-
nes der im magischen Dreieck beschrie-
benen Ziele bzw. Grundsätze, nämlich
die Bewertung der Liquidierbarkeit be-
ziehungsweise Handelbarkeit, weitge-
hend unberücksichtigt, oder gar auf der
Strecke. Handelbarkeit wurde schlicht-
weg unterstellt, der Glaube an die Funk-
tionsfähigkeit der Finanzmärkte war
grenzenlos. Es wollte oder konnte sich
keiner der Akteure die Situation vorstel-
len, dass Handelbarkeit nicht gewährlei-
stet sein könnte. Selbst ein Adressen-
Ausfallrisiko in einer solchen Kette von
Transaktionen war offensichtlich kein
Die Liquidierbarkeit bleibt immer
das größte Risiko – fast alle Fälle
aus der Geschichte lehren dies.
Thema. Wie sonst käme ein Einschät-
zung von Merrill Lynch bereits aus dem
Jahre 1992 zustande, dass „hinter den
schwindelerregenden hohen Transak-
tionszahlen von damals 250 Mrd. Dollar scheint auch hier ein Eigenleben be-
Swap- und Optionsbeständen aufgrund
von Plus- und Negativpositionen eher
bescheidene Risikopositionen stünden.
Nach Aufrechnung und Abdiskont sei
dies ein Exposure von 3,7 Mrd. US $“.
Dennoch bleibt die Liquidierbarkeit im-
mer das größte Risiko. Fast alle Fälle aus diskontierte Zukunftserwartungen
der Wirtschaftsgeschichte lehren dies,
nämlich dann, wenn die Mehrheit durch
das Nadelöhr will.
Mathematisierung und
Scheingenauigkeit
An dieser Stelle soll auf das dritte ge-
nannte Phänomen Bezug genommen
werden: das Phänomen der zunehmen-
den Mathematisierung des Geschehens
auf dem Finanzmarkt. Die 90er Jahre
haben ein weiteres Phänomen hervor-
gebracht, welches in seiner Breite und
Nachhaltigkeit noch nie in der Wirt-
schaftsgeschichte in diesem Ausmaß
existierte. Der Wert von Unternehmen
und damit auch der Wert von Industrie-
vermögen hat sich zunehmend von den
Werten zugrundeliegender Wertaktiva
FOKUS FINANZKRISE
gelöst. Die Marktkapitalisierung von
Gesellschaften bewegte sich zuneh-
mend immer höher weg von den zu-
grundeliegenden Buchwerten, sogar
zunehmend weg vom Wiederbeschaf-
fungswert seiner Aktiva. Dies wäre nicht
sonderlich bemerkenswert, da sich Phä-
nomene mit mehr oder minder bedau-
erlichen Auswirkungen auf Individual-
oder Volksvermögen des öfteren in der
Wirtschaftsgeschichte wiederholten [4].
Neu an den aktuellen Entwicklungen
ist die Tatsache, dass die positive Dis-
krepanz zwischen Marktkapitalisierung
(„Financial Value“) und Wiederbeschaf-
fungswerten („Economic Value“) ana-
lytisch unterlegt
und handelbar ge-
macht wurde. Das
Wirtschaftsgesche-
hen wurde mit
einer neuen Qua-
lität einer Scheingenauigkeit unterlegt,
welches mit dem Prädikat „Handel in
Zukunftswerten“ treffend umschrieben
werden kann. Das finanzielle Denken
kommen zu haben, mathematisch fun-
diert unterlegt und mathematischen
Gesetzen folgend.
Zieht man auch hier das magische
Dreieck zu Rate, so wird die Zielgröße
Rentabilität zunehmend durch ab-
(Wachstumsraten) geprägt, die Ziel-
größe Liquidierbarkeit durch die Funk-
tionsfähigkeit der Wertpapiermärkte
dokumentiert, die Sicherheit durch wis-
senschaftlich unterlegte oder unterleg-
bare Scheingenauigkeit der Wertermitt-
lung geschaffen.
Die treibende Größe in diesem ana-
lytisch begründeten Zielsystem scheint
auch hier die Annahme der jederzeiti-
gen Handelbarkeit beziehungsweise
Transferierbarkeit des Financial Value zu
sein. Es wird unterstellt, dass die so ge-
nerierten Unternehmens- und Vermö-
genswerte jederzeit veräußert werden
können, zumindest in einer akzeptablen
Wertbandbreite. Zunehmend schien
in Vergessenheit zu geraten, dass die
menschlichen und sachlichen Produk-
technologie & management 25
 FOKUS FINANZKRISE

tionsfaktoren die vorab berechneten der 80er Jahre für unmöglich gehalten Wie konnte es geschehen,
Aufgelder erst schaffen müssen. Es ist wurden [6]. • dass das ungestüme Wachstum von
zu bezweifeln, dass die Akteure die Aus- Bereits Mitte der 80er Jahre schau- „Off-Balance Sheet Special Invest-
wirkungen der Bewertungsprozesse ten einige Verantwortliche im US Senat ment Vehicle“ und Conduits sowie
kommerziell wirklich zu Ende gedacht sorgenvoll in die Zukunft und ließen ei- deren teilweise kurzfristig rollierende
haben, und dies von ihnen überhaupt ne Kommission einsetzen, die Vorschlä- Finanzierung nicht rechtzeitig einge-
erwartet wurde. ge zur Reduzierung des Staatsdefizits schränkt oder beendet wurde?
Zur Ursachenanalyse gehört aller- ausarbeiten sollte. Die als „Graham – • dass diese Vehicles auch zur weltwei-
dings auch ein den Prozess begleitendes Rudman-Hollings Act“ bekannt gewor- ten Distribution von US Subprime
Transaktionsdenken der Investment- denen Vorschläge basierten auf Projek- Mortgage Loans genutzt wurden?
Bankenindustrie, die sich bei der Wert- tionen des Projektteams über die Staat- • dass eine zu geringe Eigenkapitalaus-
ermittlung nicht mehr künftiger nach- verschuldung bis zum Jahre 2000, die in stattung der angloamerikanischen
beängstigender Weise Banken, insbesondere das extreme
Neben die Staatsverschuldung die Form eines Hockey- Leverage der US Investment-Banken
schlägers aufzeigten [7]. erlaubt bzw. nicht eingeschränkt
trat die weiter zunehmende Ver- Neben die Staatsver- wurde?
schuldung der Privathaushalte. schuldung trat die wei- • dass Basel II zu spät, erst in 2008 in
ter zunehmende Ver- Europa eingeführt wurde, und dass
haltig erzielbarer Gewinne bediente, schuldung der Privathaushalte. Ohne Basel II in den USA erst in 2011 ein-
sondern die aus der Projektfinanzierung Zweifel haben die Größenordnungen der geführt werden soll?
entliehene Methode des „Discounted Verschuldung, die weder eingeschränkt • dass eine Regulierung der Finanz-
Cash Flow“ heranzog. Das Besondere werden konnte, im Gegenteil noch wei- märkte nicht früher begonnen wurde?
dieser Methode liegt darin, dass die er- ter zunahm und zwar dynamisch, die • dass die Existenz eines Schatten-Ban-
rechneten Unternehmenswerte im be- rasante Entwicklung des Derivate-Mark- kensystems, insbesondere in der ang-
sonderen von zwei Einflussgrößen ab- tes weiter entfacht, und mit deren Han- loamerikanischen Welt, aber nicht nur
hängen, dem zukünftig angenommenen delbarkeit die Schuldenspirale weiter in dort, bestehend aus Hedgefonds, aus
Wachstum des Cash Flow und dem ver- Gang gehalten. Betrachtet man die ex- Off Balance Sheet Special Vehicles,
wendeten Diskontierungsfaktor (Kapi- ponentielle Erhöhung der Schulden, so verbunden mit einer exzessiven Kre-
talkosten). Werden beide Größen ent- drängt sich doch schon seit längerer Zeit ditvergabe an diese Klientel durch
sprechen prognostiziert und die Kapital- die Frage auf, wann diese beängstigende Investmentbanken und andere Ban-
kosten entsprechend gestaltet, steigt Entwicklung zu Ende gehen muss. Eines ken erlaubt wurde, und dies alles
der Unternehmenswert, eine besonders schien klar zu sein: Eine Einschränkung weitgehend bis gar nicht reguliert,
subtile Verwendung des Leverage Effect. würde zwangsläufig zu einer Rezession und ohne Transparenz und Reporting
Entsprechend wird die Bonität des Un- führen, für deren Ausmaß und Auswir- geduldet wurde?
ternehmens unterlegt und damit die kungen wohl keiner die Verantwortung • dass die Rating-Agenturen eine solch
Handelbarkeit deren Eigenkapitalteile übernehmen wollte. Dafür spricht, dass inkompetente Rolle bei strukturierten
erleichert oder gar erst ermöglicht [5]. nach dem Platzen der Internetblase eine Produkten und dem damit verbunde-
Als Beispiel seien die Entwicklungen Politik des leichten Geldes in den USA nen Verbriefungsprozess spielten?
der „New Economy“ herangezogen. Ma- fortgesetzt wurde, die den Treibstoff für
thematisch exakt abdiskontierte Träu- die nächste Blase bildete, den der Inter- Und schließlich droht die nächste Ge-
me, die sich ebenfalls mathematisch net-Hype folgenden Credit-Hype. fahr ausgehend von dem auf 47.000
fundiert weitgehend in Luft auflösten. Die Ausmaße der Phase, die in den Mrd. US $ belaufenden Credit Default
Spätestens seit dem Platzen der soge- USA als „Credit-Hype“ bezeichnet wird, Swop-Markt, der bislang fast gar nicht
nannten Internetblase, sollte eigentlich verdienen eine besondere Betrachtung, transparent war, der auf unregulierten
jeder seine Lektion gelernt haben. Doch da deren negative Auswirkungen heute Handelsplätzen stattfindet und eben
bekanntlich kam es noch schlimmer. im besonderen als Ursache der globalen nicht an einer regulierten Börse, die
Finanzmarktkrise gesehen werden, ob- zwischen beide Handelspartner tritt und
Die Ursache allen Übels: wohl deren Ursachen wiederum, wie als „Central Counter Party“ agiert und
die Verschuldung beschrieben, weiter zurückreichen. Aller- damit das Kontrahenten-Risiko über-
Seit dem Trendbruch der 70er Jahre dings stellen die Wahrheiten, die sich nimmt, falls ein Handelspartner kolla-
expandierte die Verschuldung global seit September 2007 dem staunenden biert [8].
und verschärfte sich zunehmend seit Betrachter Schritt für Schritt eröffnen, Die Antwort kann nur lauten, dass
Ende der 80er Jahre. Die OECD-Länder auf den ersten Blick mehr Fragen als sie die für eine Regulierung verantwortli-
haben Schulden akkumuliert, die Mitte Antworten geben. chen Institutionen längst erkannten,

26 technologie & management


dass die Grenzen des am magischen
Dreieck aufgezeigten vernünftigen Um-
gangs mit den Zielen längst zu Gunsten
des Renditedenkens sowie zu Lasten der
Sicherheit überschritten waren und man
sich nur noch auf eine jederzeitige Han-
delbarkeit der strukturierten Produkte
verließ. Abgesehen davon, dass man be-
reits vor Jahren eine enorme Zeitspanne
benötigt hätte, die aufgetürmten struk-
turierten Produkte ohne Friktionen ab-
zubauen, bleibt die interessante Frage,
wer den Prozess des Abbaus hätte initi-
ieren können oder wollen. Es hatte sich
schon zuviel aufgebaut. Geschehen ist
es schließlich auf Grund des Zusammen-
bruchs der Lehman Bank, der abrupt das
Ende der Handelbarkeit einleitete und
eine Vertrauenskrise unter den Banken
herbeiführte. Wohlgemerkt – eine Ver-
trauenskrise der Banken untereinander,
die von den mittlerweile unvorstellbaren
Größenordnungen der Transaktionsvolu-
mina der Banken untereinander genährt
wurden [9].
Es ist müßig, darüber nachzudenken,
ob das Fallenlassen der Lehman Bank
ein Fehler war. Wahrscheinlich war es
keiner, da es letztlich nur eine Frage der
Zeit gewesen wäre, wann die gewaltigen
aufgebauten ungesunden Transaktions-
volumina zu Fall gekommen wären, aus-
gelöst durch wen oder was auch immer.
Die Zusammenschlüsse von Großbanken
der vergangenen Jahre hatten sicherlich
neben den immer vorgebrachten Argu-
menten, im globalen Markt mitspielen
zu können, immer schon den Hinterge-
danken des „too big to fail“. Heute nennt
man das „systemrelevante Banken“.
Die Vertrauenskrise war letztlich der
Anlass für die gewaltigen Unterstüt-
zungsprogramme der wichtigsten Zen-
tralbanken dieser Welt, die sich vor dem
Hintergrund der Volumina in eine Rolle
des Lender of Last Resort begaben, eine
Rolle, die sich, vor Ausbruch der Krise,
niemand mehr vorstellen konnte, bzw.
ihnen im Angesicht der Größenordnun-
gen auch nicht mehr zugetraut hätte. Es
gab und gibt jedoch keine Alternative.
Die großen Finanzkrisen vergangener
Jahrzehnte und Jahrhunderte hatten
ihre dramatischsten Auswirkungen
FOKUS FINANZKRISE
immer dann, wenn es keinen Lender of wegen Aussetzen des Handels gar nicht
Last Resort gab oder geben wollte. Und mehr ermittelbar ist oder nur unter dra-
es benötigt Zeit, die Volumen abzubau- matischen Wertverlusten, auch wenn
en, ohne dass der für die Realwirtschaft die Rückzahlung der Einzelobjekte län-
so wichtige Bankenkreditmarkt zum gerfristig möglicherweise nicht gefähr-
Erliegen kommt. det ist. Trifft dieses Bewertungsprinzip
auf ein Umfeld von strukturierten Klum-
Zwei Seiten des Fair Value penrisiken, zusammen mit einem Ver-
Ein weiterer Aspekt sollte im Zusam- trauensverlust der Handelspartner
menhang mit der Krise nicht unerwähnt untereinander, führt das Fair Value-
bleiben: Über lange Jahre entbrannte Prinzip zu einer Gefährdung der Eigen-
ein Streit zwischen den angloamerikani- kapitalposition und zu einem potentiel-
schen und europäischen Unternehmen len Dominoeffekt in den Bilanzen der
sowie Aufsichtsbehörden über die Form Handelspartner, auch bei denen, die
und Ausrichtung der internationalen keine realen Verluste in die Bücher
Rechnungslegungsstandards. Bekann- schreiben mussten.
termaßen setzen die europäischen Part- Letztendlich muss man alle Entwick-
ner auf eine Rechnungslegungsvor- lungen zusammen sehen, angefangen
schrift, die sich seit Beginn des vorletz- von der Extremverschuldung, über Ri-
ten Jahrhunderts bewährt und sich dem sikotransferinstrumente, die sich ver-
Gläubigerschutz verpflichtet fühlte. Die selbständigt haben, einem Manage-
mentstil in der
Die Vertrauenskrise war Anlass für die Investmentban-
kenindustrie, für
gewaltigen Unterstützungsprogram- den anschei-
me der wichtigsten Zentralbanken. nend ein zwei-
jähriges Tra-
angloamerikanische Seite stand unter ding-Engament als ausreichend angese-
dem Einfluss der amerikanischen Rech- hen wurde, um für den Rest des Lebens
nungslegungsvorschriften US GAAP ausgesorgt zu haben, Bewertungsprin-
(„Generally Accepted Accounting Princi- zipien, die mit Scheingenauigkeiten
ples“), die den Focus auf die Investoren hohe Werte vorgaukelten, die auch zu
des Eigenkapitals legten. Schließlich hohen Beratungs- und Transaktionsge-
setzte sich in weiten Teilen die anglo- bühren führten, Eigennutz von Rating-
amerikanische Variante durch (weniger Agenturen und jeden Versuch, den
aus Verständnis, als vielmehr auf Druck), zugrundeliegenden Aktiva einen Wert
bekannt als die IFRS, die International zuzuschreiben, der wenigstens optisch
Financial Reporting Standards. Eines noch eine ausreichende Eigenka-
deren Hauptprodukte ist das „Fair Value- pitalbasis hergab.
Prinzip“. Es handelt sich um ein Bewer- Schließlich gibt es den noch nicht
tungsverfahren für alle langfristigen er wähnten kleinen Anleger, der sich als
Aktiva und Passiva nach dem Zeitwert. dumm beschimpfen lassen musste, weil
Der beizulegende Zeitwert ist der Be- er sein Geld auf der Sparkasse hatte und
trag, zu dem ein Vermögenswert zwi- nicht den für ihn strukturierten Produk-
schen sachverständigen, vertragswilli- ten erlag. Er hat das magische Dreieck
gen und voneinander unabhängigen womöglich noch verinnerlicht und wenn
Geschäftspartnern getauscht, mit ande- auch nur aus Erzählungen seiner Groß-
ren Worten also gehandelt werden kann, eltern. Ihm sollte eigentlich ein beson-
und zwar schon morgen. derer Schutz gelten.
Dieser beizulegende Zeitwert kann
nach oben gehen (z. B. Preise für Privat- Die Realwirtschaft
häuser und damit für die Assets), aber Zu Beginn des Artikels war von der ge-
auch nach unten, bzw. wie geschehen, danklichen Trennung der Realwirtschaft
nicht mehr vorhanden sein, weil er von der Finanzmarkt-Entwicklung die
technologie & management 27
 MANAGEMENT
Rede, mit dem Ziel, die Entwicklungen
aus der Entstehungsgeschichte bewer-
ten zu können. Ohne Zweifel sind die
Realwirtschaft und Finanzwirtschaft
aufs Engste miteinander verbunden. Ein
funktionierender Zahlungsverkehr, eine
funktionierende Kreditversorgung der
Wirtschaft durch privatwirtschaftlich
organisierte Banken, zu fairen Bedin-
gungen, sind nicht nur eine Erfolgsvor-
aussetzung für jede moderne Volkswirt-
schaft, sondern sie sind ein öffentliches
Gut, das es aufrechtzuerhalten und zu
schützen gilt.
Die Schuldenspirale hat über Jahr-
zehnte ein kreditfinanziertes Wachs-
tumspotential ermöglicht, und die Real-
wirtschaft hat davon profitiert. Die lang-
fristige Entwicklung der Aktienkurse
über die vergangenen 20 Jahre ist sicht-
bares Zeichen dieses Einflusses. Die Lo-
komotivfunktion, die der US-Markt auf-
grund der kreditfinanzierten Konsumen-
tenausgaben auf andere Weltmärkte
hatte – und hier soll nicht zuletzt auch
China erwähnt werden – ist nicht zu un-
terschätzen.
Es muss allerdings festgestellt wer-
den, dass die Industrieunternehmen,
und hier sei der deutsche Mittelstand
bewusst miteinbezogen, das induzierte
Wachstum auf der Grundlage vernünfti-
ger Unternehmensführung sowie auf
der Basis solider Finanz- und Bilanz-
strukturen begleitet haben und für die
Verwerfungen an den Finanzmärkten in
keiner Weise verantwortlich gemacht
werden können, ja in keiner nennens-
werten Weise direkt daran beteiligt wa-
ren. Im Gegenteil, sie litten und leiden
unter der Geschwindigkeit eines Kor-
rekturprozesses an den Finanzmärkten,
ausgelöst von einem Verständnis von
Geschäftsgebaren, welche eine Minder-
heit durch unverantwortliches Handeln
an den Tag gelegt hat. Darunter leiden
auch Banken und Bankinstitute, die sich
auf solche abenteuerlichen Konstruktio-
nen nicht eingelassen haben.
Denn eines ist klar und kann nicht
oft genug betont werden: Keiner war
gezwungen, an den halsbrecherischen
28 technologie & management
Aktionen teilzunehmen. Alle Akteure im sel gleichkommende Bewertungsme-
Inland und im Ausland sind frei, Dinge zuthodik hätte es die extrem positiven
tun oder zu unterlassen. Sie sind aller- Kursentwicklungen seit Mitte der 90er
dings im Rahmen ihres Geschäftsauftra- Jahre nicht gegeben. Die Weltwirtschaft
ges auch verantwortlich, sich ein eigeneswäre wahrscheinlich normal weiterge-
wachsen, am
Die Schuldenspirale hat über Jahr- Beispiel des
Dax hätten sich
zehnte ein kreditfinanziertes Wachs- die Kurse wahr-
tumspotential ermöglicht. scheinlich mit
einem durch-
Urteil über die Solidität von Geschäfts- schnittlichen Wachstum pro Jahr von
konstruktionen zu bilden, auch wenn 3,5 % weiterentwickelt. Der Dax stünde
Rating-Agenturen ihnen auf den ersten dann heute vermutlich im Vergleich zum
Blick diese Verantwortung abzunehmen durchschnittlichen Stand 1995 von
schienen. 2.250 etwa um 50 % höher, also noch
Und noch eine kurze Anmerkung zu unter dem derzeitigen Niveau von
der Entwicklung der Aktienpreise: Ohne 4.500. Darüber hätte sich, wäre es so
die schuldeninduzierte Wachstumspha- gekommen, wohl keiner aufgeregt.
se und ohne die einem Paradigmawech-
Anmerkungen
[1] Laubscher, H.: Finanzinnovationen In: Industrielles Beteiligungscontrolling,
enthalten auch Risiken: In: Börsenzei- hrsg. von Hans-Jürgen Wurl. Schäffer-
tung vom 28.Juni 1986, S.13 Poeschel Verlag, Stuttgart 2003, S. 55
... 76
[2] So auch eine Aussage des Kronber-
ger Kreise (1992), „ die größte Gefahr [6] Vgl. Wittmann, W: Das globale
für die Weltwirtschaft und die Wertpa- Disaster. 4. Auflage, München 1996
piermärkte steht kaum im güterwirt-
schaftlichen Bereich an, sondern der [7] Vgl. Figgie,H.E. / Swanson G. J.:
Bankruptcy 1995. The Coming Collapse
Tumor steckt im finanziellen Sektor, in
of America and how to stop it. Little,
der Schuldenmacherei der Staaten, Fir-
men und Privaten, in unseriösen Finan- Brown and Company, Boston/New York
zierungen und der Ausweitung derivati- u. a. 1993. Das Buch stand mehr als
ver Produkte ohne Kontrolle“. neun Monate auf der Bestsellerliste der
New York Times.
[3] Laubscher, H.: Lehren aus der Asi-
enkrise. In: Praxisrelevante Fragestel- [8] In Anlehnung an einen Vortrag von
Helmut Schnabel, Vorsitzender der
lungen aus Investmentanalyse und
GEFIU, gehalten anlässlich der Jahres-
Finanzierung. Festschrift für Prof. Dr.
versammlung der GEFIU im November
Udo Hielscher zum 60. Geburtstag,
hrsg. von Sven Beyer und Manfred 2008 in Frankfurt/Main
Eberts. Schäffer-Poeschel Verlag, [9] Nach Aussage von Bloomberg, dem
Stuttgart 2000, S.85...92 Nachrichtensender, im November 2008
verteilen sich die Credit Default Swaps
[4] Vgl. den Artikel von Prof. Dr. Udo
Hielscher in diesem Heft im wesentlichen auf 17 Banken, eine
davon war Lehman.
[5] Laubscher, H: Finanzierungskon-
zepte bei Unternehmensakquisitionen.