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Fernuniversität in Hagen

Wintersemester 2022/23

M. A. Geschichte Europas – Epochen, Umbrüche, Verflechtungen

Modul VII: Europa und die Widersprüche der Moderne: Macht und Gewalt im 19. und 20.
Jahrhundert

Betreuer der Hausarbeit: Dr. Raphael Rössel

Abgabe: 16.03.2023

Euthanasie in der filmischen Propaganda des Nationalsozialismus am Beispiel des


Filmes „Ich klage an“ (1941)

vorgelegt von:

Roderick Fabian

q9549781

Sietwende 20, 21720 Grünendeich

04142810424

roderick.fabian@web.de
Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ........................................................................................................................... 3
2. Propaganda im Nationalsozialismus .................................................................................. 5
2.1. Definition des Begriffs der Propaganda .......................................................................... 5
2.2. Die Funktion von Propaganda im Nationalsozialismus .................................................. 6
2.3. Das Medium Film als Propagandainstrument ................................................................. 8
3. Die nationalsozialistische Euthanasie .............................................................................. 10
3.1. Begriffsbestimmung ...................................................................................................... 10
3.2. Der ideologische Hintergrund ....................................................................................... 11
3.3. Die praktische Umsetzung der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“........................ 12
4. Euthanasie in der filmischen NS-Propaganda am Beispiel des Films „Ich klage an“ ..... 13
4.1. Zur Entstehungsgeschichte des Films ........................................................................... 13
4.2. Handlung und Inszenierung .......................................................................................... 16
4.3. Deutungen des Films in der historischen Forschung .................................................... 17
5. Fazit und Ausblick ............................................................................................................ 22
6. Literaturverzeichnis .......................................................................................................... 25

2
1. Einleitung

Eine der zentralen Aktivitäten des NS-Regimes bildete die Propaganda, deren
zentrale Funktion darin bestand, die nationalsozialistische Ideologie in der
deutschen Bevölkerung zu verbreiten. Diesem Ziel entsprechend konzentrierte
sich die Propaganda der Nationalsozialisten darauf, die breite Masse mittels
prägnanter Schlagworte und Parolen zu beeinflussen. Hierfür wurden
verschiedene Teile der Bevölkerung mit unterschiedlichen Methoden
angesprochen mit dem Ziel, „die gefühlsmäßige Vorstellungswelt der großen
Masse begreifend, in psychologisch richtiger Form den Weg zur
Aufmerksamkeit und weiter zum Herzen der breiten Masse“ zu finden, wie
Adolf Hitler 1924 in „Mein Kampf“ schrieb.1 Diesem Leitmotiv folgend
versuchten die Nationalsozialisten bereits vor ihrer Machtübernahme 1933, die
öffentliche Meinung in der Weimarer Republik durch Propaganda zu
beeinflussen. Während der NS-Herrschaft waren die angebliche jüdische
Weltverschwörung und der damit verbundene Antikommunismus, die Ideologie
der Volksgemeinschaft, der Kult um die Gefallenen des Ersten Weltkrieges und
der Führerkult um Hitler die zentralen Themen der Propaganda. Einen weiteren
Schwerpunkt stellten "rassenpolitische“ Ansichten im Zusammenhang mit der
Medizin im NS-Staat dar. Behinderte und unheilbar Kranke sollten aus der
Volksgemeinschaft, ähnlich wie Juden und andere Volksgruppen, entfernt
werden, indem man sie ermordete. Mithilfe propagandistischer Mittel warben
die Nationalsozialisten in der Bevölkerung um Akzeptanz für eine „Endlösung
der sozialen Frage“, die in der systematischen Ermordung von Menschen mit
körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen bestand, welche auch
euphemistisch als „Euthanasie“ bezeichnet wurde. Nach der Machtübernahme
wurde das neu geschaffene "Reichsministerium für Volksaufklärung und
Propaganda" (RMVP) unter der Leitung von Joseph Goebbels zur zentralen
Institution der Propaganda, welche die Medien des Reiches – Presse, Rundfunk
und Film – kontrollieren sollte. Diese dienten von da an der Verbreitung der
nationalsozialistischen Weltanschauung und fungierten als wichtige Instrumente
der Massenbeeinflussung. Insbesondere dem Tonfilm kam in diesem

1
Scriba, Arnulf: Die NS-Propaganda: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-
regime/innenpolitik/ns-propaganda.html

3
Zusammenhang eine zentrale Bedeutung zu. Das Regime nutzte die
Suggestivkraft der bewegten Bilder zur Mobilisierung und Indoktrination. Es
wurden propagandistische Unterhaltungsfilme und hetzerische (Dokumentar)
Filme produziert, die in den meisten Fällen der direkten Verbreitung
wesentlicher Bestandteile der nationalsozialistischen Ideologie wie
Rassenhygiene und Antisemitismus dienten. Darüber hinaus wurden
Dokumentar- und Spielfilme von den Machthabern als Propagandamittel
eingesetzt, um die Tötung Behinderter als notwendige und legale Maßnahme zur
„Gesundung des Volkskörpers“ darzustellen.2 Neben einer Vielzahl
nichtfiktionaler Filme gaben sie einen Spielfilm in Auftrag, der sich auf diese
Weise dem Thema Euthanasie widmete.
In der vorliegenden Hausarbeit soll die Euthanasie als Thema der filmischen
Propaganda des Nationalsozialismus am Beispiel dieses Films mit dem Titel
„Ich klage an“ aus dem Jahr 1941 untersucht werden im Hinblick auf die
Fragestellung, wie sich der Film in Bezug auf seine Handlung und Inszenierung
mit der Thematik auseinandersetzt und auf welche Methoden und Stilmittel die
Filmemacher zurückgreifen, um die Euthanasie im Sinne der NS-Propaganda zu
rechtfertigen. Ziel ist es nachzuvollziehen, auf welche Weise der Film für die
Verbreitung der Propaganda im Zusammenhang mit der Euthanasie eingesetzt
wurde.
Das zweite Kapitel befasst sich zunächst mit der Propaganda im
Nationalsozialismus. Im Anschluss an die Definition dieses Begriffes
konzentrieren sich die Ausführungen auf die Funktion der NS-Propaganda sowie
auf das Medium Film als Propagandainstrument.
Im darauffolgenden Kapitel steht die nationalsozialistische Euthanasie im
Mittelpunkt des Interesses. Nach einer kurzen Begriffsbestimmung werden der
ideologische Hintergrund und die praktische Umsetzung der auch als „Tötung
lebensunwerten Lebens“ bezeichneten Maßnahme dargestellt.
Das zentrale vierte Kapitel beschäftigt sich anschließend mit der Euthanasie in
der filmischen Propaganda am Beispiel von „Ich klage an“, wobei neben der
Entstehungsgeschichte des Films dessen Handlung und Inszenierung sowie die
Deutungen in der historischen Forschungsliteratur im Zentrum der Darstellung

2
Rost, Karl Ludwig: "Euthanasie"-Filme im NS-Staat: Sozial- und filmhistorische Hintergründe
einer Verführung zum Töten, in: Zeitgeschichte 4 (2001), S. 214.

4
stehen. Im Fazit werden die Ergebnisse abschließend zusammengefasst und in
die Thematik der filmischen Propaganda im Nationalsozialismus eingeordnet.
In der historischen Forschung war der Film „Ich klage an“ bereits mehrfach
Gegenstand wissenschaftlicher Arbeiten. In diesem Zusammenhang ist
insbesondere das Werk „Kinopropaganda gegen Kranke: die
Instrumentalisierung des Spielfilms "Ich klage an" für das nationalsozialistische
‚Euthanasieprogramm‘“ von Sylke Hachmeister hervorzuheben, worin sich die
Autorin ausführlich mit der Inszenierung des Films im Rahmen der NS-
Propaganda gegen kranke und behinderte Menschen auseinandersetzt.
In Bezug auf die Euthanasie als Thema der filmischen Propaganda ist die Arbeit
„Sterilisation und Euthanasie im Film des "Dritten Reiches" von Karl Ludwig
Rost zu nennen, in welcher sich der Verfasser in einem der Kapitel intensiv mit
dem Film „Ich klage an“ beschäftigt.

2. Propaganda im Nationalsozialismus

2.1. Definition des Begriffs der Propaganda

Der Begriff der Propaganda bezeichnet laut Duden die „systematische


Verbreitung politischer, weltanschaulicher o.ä. Ideen und Meinungen mit dem
Ziel, das allgemeine Bewusstsein in bestimmter Weise zu beeinflussen.“3
Der Ursprung des Begriffs, der vom lateinischen Verb „propagere“ (verbreiten,
ausbreiten) stammt, liegt im 17. Jahrhundert und geht zurück auf die „Sacra
Congregatio de propaganda fide”, einer auf Initiative des Papstes Gregor XV.
gegründeten Institution zur Verbreitung des christlichen Glaubens im Sinne der
Gegenreformation. In der Epoche der Aufklärung erhielt der Begriff erstmals
eine negative Konnotation, als protestantische Aufklärer hinter der
„Congregatio“ eine weltweite Verschwörung vermuteten. Dieser negative
Beigeschmack haftete der Propaganda bis zum Ende des 19. Jahrhunderts an, als
sie sich allmählich als Bezeichnung für privatwirtschaftliche Reklame
etablierte.4 Im Laufe desselben Jahrhunderts wurde der Begriff der Propaganda,

3
https://www.duden.de/rechtschreibung/Propaganda.
4
Hachmeister, Sylke: Kinopropaganda gegen Kranke. Die Instrumentalisierung des Spielfilms
"Ich klage an" für das nationalsozialistische "Euthanasieprogramm", S. 77; Mannes, Stefan:
Antisemitismus im nationalsozialistischen Film - Jud Süß und Der ewige Jude, S. 12; Köppen,
Manuel; Schütz, Erhard: Kunst der Propaganda - der Film im Dritten Reich, S. 7 f.

5
der sich zuvor auf den kirchlichen Bereich beschränkt hatte, säkularisiert und
zunehmend auf andere Bereiche ausgedehnt. Nach dem Ersten Weltkrieg verlor
er seine religiöse Bedeutung endgültig und wird seither in erster Linie in
politischen Zusammenhängen verwendet. In Bezug auf das moderne Verständnis
von Propaganda findet sich bei Hachmeister folgende Definition: „Propaganda
ist der gezielte und systematische Versuch, Empfindungen und Wahrnehmungen,
Meinungen und Einstellungen einer Zielgruppe durch Kommunikation zu
beeinflussen und ihr Verhalten so zu lenken, daß ihre erwarteten Reaktionen den
politischen Zielen der Propagandisten dienen. […]“5 Im Hinblick auf ihre
Quelle, die ihr zugrunde liegenden Interessen, die angewandten Methoden und
den zu verbreitenden Inhalt kann sie dabei getarnt auftreten. In diesem
Zusammenhang lassen sich grundsätzlich zwei propagandistische Methoden
unterscheiden: direkte und indirekte Propaganda. Direkte Propaganda zielt auf
eine offene Umsetzung ihrer Absichten und ist für das Publikum jederzeit klar
zu erkennen, wohingegen indirekte Propaganda versucht, die Rezipienten
unbemerkt zu beeinflussen.6

2.2. Die Funktion von Propaganda im Nationalsozialismus

Wie eingangs bereits erwähnt, stellte die Propaganda eines der zentralen Mittel
des NS-Regimes dar, um weite Teile der Bevölkerung für den
Nationalsozialismus zu gewinnen. Das wesentliche Ziel der NS-Propaganda
bestand dementsprechend darin, das gesamte deutsche Volk von der
nationalsozialistischen Ideologie zu überzeugen, wofür sie sich spezieller
Strategien und Techniken bediente, die auf verschiedene Weise eingesetzt
wurden und dadurch eine besonders effektive Wirkung entfalteten.7
Eine der wichtigsten Strategien stellte in diesem Zusammenhang die
Gleichschaltung dar, welche die Ausrichtung von Organisationen, Institutionen,
Parteien und Verbänden auf die nationalsozialistische Politik und Ideologie
bezeichnete und im kulturellen Bereich mit der Ernennung von Joseph Goebbels
zum Minister für Volksaufklärung und Propaganda ihren Anfang nahm. Diese
Maßnahme diente der „Institutionalisierung und Zentralisierung der Kontrolle

5
Hachmeister, Kinopropaganda, S. 90.
6
Ebd.; Mannes, Antisemitismus, S. 12.
7
Mannes, S. 13.

6
über die Systemkonformität der Massenmedien“8 und bildete den ersten Schritt
zur totalen Gleichschaltung der Kultur im Dritten Reich. Um diese durchführen
zu können, wurden einem entsprechenden Gesetz folgend mehrere Kammern
gegründet und in einer übergeordneten Reichskulturkammer zusammengefasst,
deren Hauptaufgabe in der staatlichen Organisation und Überwachung der
Kultur bestand. Darüber hinaus konnte sie den Ausschluss von Personen
erzwingen, die etwa aus rassischen oder politischen Gründen für die Kultur im
Sinne des NS-Regimes als ungeeignet erschienen, was gleichbedeutend mit
einem Berufsverbot war.9
Zu den wesentlichen Techniken der NS-Propaganda gehörte die stetige
Wiederholung und vereinfachte Darstellung der propagierten „Wahrheiten“, mit
denen sich insbesondere die unteren Bevölkerungsschichten identifizieren
konnten. Eine weitere Technik bestand in der Verfälschung gegnerischer
Argumente, wobei Aussagen politischer Feinde falsch wiedergegeben und in
veränderter, indirekter Form der eigenen Sichtweise gegenübergestellt wurden.
Darüber hinaus kam die Technik der Vereinfachung zur Anwendung, die sich in
erster Linie im Gebrauch von Schlagworten und eingängigen Parolen
manifestierte. Ein Beispiel hierfür ist in dem Slogan „Recht ist, was dem Volke
nützt“ zu sehen.10
In Bezug auf die Propaganda als Bestandteil der nationalsozialistischen
Herrschaft lässt sich feststellen, dass Hitler und Goebbels hinsichtlich der
Funktion von Propaganda durchaus unterschiedlicher Auffassung waren.
Während Hitler für eine offene und direkte Form der Manipulation plädierte und
immer wieder die Trennung von Kunst und Politik postulierte, bevorzugte
Goebbels eher die Strategie der indirekten, subtilen Beeinflussung und sah das
Zusammenspiel von Unterhaltung und Propaganda als ein notwendiges Mittel,
um das Publikum unbemerkt zu beeinflussen.11 In diesem Zusammenhang
schrieb er der Kunst eine erzieherische Funktion zu: „Allerdings ist es dabei sehr
ratsam, diese pädagogische Aufgabe zu verschleiern, sie nicht sichtbar zutage

8
Schorr, Guido: Die Gleichschaltung der Medien im Dritten Reich: https://www.zukunft-
braucht-erinnerung.de/die-gleichschaltung-der-medien-im-dritten-reich/; Hachmeister,
Kinopropaganda, S. 92.
9
Hoor, Christina: Die Reichskulturkammer: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/kunst-
und-kultur/reichskulturkammer.html; Hachmeister, S. 92.
10
Mannes, Antisemitismus, S. 13; Hachmeister, S. 100.
11
Mannes, S. 15; Hachmeister, S. 103 f.

7
treten zu lassen, nach dem Grundsatz zu handeln, daß wir die Absicht nicht
merken sollen, damit man nicht verstimmt wird. […]“12 Dieser Zielsetzung
entsprechend bezeichnete Goebbels die Methode der Tarnung als wichtiges
Merkmal der NS-Propaganda.13

2.3. Das Medium Film als Propagandainstrument

Für die von Goebbels präferierte Strategie der indirekten Propaganda bot das
Medium des Films, welches sich bereits in der Weimarer Republik großer
Beliebtheit erfreut hatte, ideale Voraussetzungen. An diese Popularität
anknüpfend gelang es den Nationalsozialisten, das Kino zu einem
Massenmedium aufzubauen, was in erster Linie auf dessen große Reichweite
zurückzuführen war. Auf diese Weise entwickelte sich der Film neben der Presse
und dem Rundfunk zum führenden Propagandainstrument, dessen Funktion
unter anderem darin bestand, die in der Provinz lebenden Menschen emotional
und ideologisch an das NS-Regime zu binden. Weiterhin bot er den Machthabern
die Möglichkeit, „sich und ihre Weltanschauung medial in die abgelegensten
Regionen (zu) multiplizieren.“14
Über die Möglichkeit, das Medium des Films im Sinne der
nationalsozialistischen Propaganda zu instrumentalisieren, äußerte sich
Goebbels wie folgt: „Wir sind der Überzeugung, daß der Film eines der
modernsten Mittel zur Beeinflussung der Massen ist, die es überhaupt gibt. Eine
Regierung darf deshalb den Film nicht sich selbst überlassen.“15 Dieser
Auffassung folgend ergriffen die Nationalsozialisten im Rahmen der
Gleichschaltung eine Reihe von Maßnahmen, um das deutsche Filmwesen
zentral zu steuern und den politischen Absichten des Regimes anzupassen.
Neben der Gründung der „Reichsfilmkammer“, in welcher alle Filmschaffenden
Mitglied sein mussten, um ihren Beruf ausüben zu können, stellte das neue
Lichtspielgesetz von 1934 den entscheidenden Schritt zur institutionalisierten
Kontrolle der Filmwirtschaft dar. Dieses Gesetz, durch welches die bestehende

12
Mannes, S. 15.
13
Hachmeister, S. 104.
14
Anders-Andelka, Petra: Behinderung und psychische Krankheit im zeitgenössischen
deutschen Spielfilm, S. 416.
15
Hachmeister, S. 108.

8
allgemeine Zensur verschärft wurde, diente insbesondere dazu, den effektiven
Einsatz von Filmen im Rahmen der NS-Propaganda sicherzustellen. Dies
umfasste die Umsetzung von filmischen Projekten nach den Vorstellungen des
Regimes, die flächendeckende Verbreitung der Werke sowie die Abschaffung
jeglicher Form der kritischen Auseinandersetzung mit den Filmen. Letzteres
ging mit dem Verbot der Kunstkritik einher, welches den Rezensenten eine
negative Beurteilung der Filme untersagte.16 Darüber hinaus beinhaltete das
Lichtspielgesetz die Möglichkeit, Filme verbieten zu lassen, die das
nationalsozialistische oder künstlerische Empfinden verletzten. Die genannten
Maßnahmen gaben den Machthabern praktisch eine Generalermächtigung, was
unter anderem in der neu geschaffenen Stellung des „Reichsfilmdramaturgen“,
dem alle Drehbücher und Projektpläne zur Prüfung vorgelegt werden mussten,
zum Ausdruck kam.17
Insgesamt wurden im „Dritten Reich“ über 1200 Spielfilme produziert, von
denen lediglich eine geringe Anzahl politisch-propagandistischen Inhalts im
Sinne der nationalsozialistischen Ideologie war. Die meisten dieser
Produktionen waren dem Genre des „Kulturfilms“ zuzurechnen, welches bereits
im Kino der Weimarer Republik bestimmend gewesen war. Neben den
zahlreichen Filmen kam der Wochenschau, einer wöchentlich gezeigten
Zusammenstellung von filmischen Berichten über politische, gesellschaftliche
und kulturelle Themen, eine wichtige Funktion im Rahmen der NS-Propaganda
zu. Bei den „Kulturfilmen“ handelte es sich um kurze Sach- und
Dokumentarfilme, die, sich nach außen objektiv und sachlich präsentierend,
Themen wie Rassenlehre und Antisemitismus propagierten, wohingegen die
Wochenschau darauf abzielte, die Leistungen des Regimes ausführlich
darzustellen und zu würdigen.18

16
Ebd., S. 108 f.; Kleinhans, Bernd: Propaganda im Film des Dritten Reiches:
https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/propaganda-im-film-des-dritten-reiches/ (Letzter
Abruf: 10.03.2023).
17
Kleinhans, Propaganda.
18
Ebd.

9
3. Die nationalsozialistische Euthanasie

3.1. Begriffsbestimmung

Der Begriff „Euthanasie“, aus dem griechischen eu = gut und thánatos = Tod,
stand ursprünglich für einen „guten, leichten Tod“. Seine erstmalige
Verwendung ist in der griechisch-römischen Antike zu verorten, wo er sowohl
ein leichtes und schmerzloses Sterben als auch einen guten und ehrenvollen Tod
bezeichnete. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wurde der Begriff vor
dem Hintergrund der Diskussionen über Sterbehilfe und Tötung auf Verlangen,
die in Deutschland mit der Veröffentlichung der Schrift „Das Recht auf den
Tod“ des österreichischen Psychologen Adolf Jost von 1874 ihren Anfang nahm,
zunehmend als Synonym für eine schmerzfreie Tötung verwendet, wodurch sich
seine Bedeutung grundlegend änderte. Die Verwendung durch die
Nationalsozialisten als Bezeichnung für den systematischen Mord an kranken
und behinderten Menschen, die Hachmeister als eine ideologische
Beschönigung der Vernichtung vermeintlich unwerten Lebens und somit „völlig
unzutreffend“ bezeichnet, führte schließlich dazu, dass sich seine ursprüngliche
Bedeutung in ihr Gegenteil verkehrte.19
In der heutigen Zeit wird der Begriff der Euthanasie aufgrund seiner Assoziation
mit den Verbrechen der Nationalsozialisten gemieden und durch die
Bezeichnung „Sterbehilfe“ ersetzt. Dies macht Rost zufolge eine strenge
Unterscheidung zwischen der Euthanasie als Vernichtung „lebensunwerten
Lebens“ und der Euthanasie im Sinne der Sterbehilfe, bei der es sich immer um
bereits Sterbende handele, erforderlich. Grundsätzlich lässt sich zwischen der
passiven und aktiven Sterbehilfe unterscheiden. Als passive Sterbehilfe wird das
Unterlassen von lebensverlängernden Maßnahmen bezeichnet, wohingegen es
sich bei der aktiven Sterbehilfe um eine vorsätzliche Tötung handelt.20

19
Schmuhl, Hans-Walter: Euthanasie, I. Geschichtlich, in: Staatslexikon online:
https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Euthanasi; Hachmeister: Kinopropaganda, S. 21;
Graf, Eva Theresa; Schiefeneder, Franziska: Propaganda für einen "gesunden Volkskörper" im
Nationalsozialismus. In: Reifegerste, Doreen; Sammer, Christian (Hrsg.):
Gesundheitskommunikation und Geschichte: Interdisziplinäre Perspektiven, S. 4.
20
Rost, Karl Ludwig: Sterilisation und Euthanasie im Film des "Dritten Reiches".
Nationalsozialistische Propaganda in ihrer Beziehung zu rassenhygienischen Maßnahmen des
NS-Staates, S. 12; Euthanasie und Eugenik im Dritten Reich: https://www.zukunft-braucht-
erinnerung.de/euthanasie-und-eugenik-im-dritten-reich/.

10
3.2. Der ideologische Hintergrund

Die wesentlichen Grundlagen für die nationalsozialistische Ideologie der


Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ sind in erster Linie in der Theorie des
Sozialdarwinismus zu sehen, dessen Anhänger sich auf die Evolutionstheorie
des britischen Biologen Charles Darwin beriefen. Dieser ging in seinem 1859
erschienenen Werk „Über die Entstehung der Arten“ von einer natürlichen
Auslese in Bezug auf den „Kampf ums Dasein“ aus, die dazu führe, dass sich
die besser angepasste Lebensform gegenüber der weniger angepassten
durchsetze.21 Der britische Philosoph Herbert Spencer entwickelte Darwins
ausschließlich auf die Tier- und Pflanzenwelt bezogene Theorie weiter, indem er
das darin beschriebene Selektionsprinzip auf die menschliche Gesellschaft
übertrug. Im deutschsprachigen Raum verhalf der Mediziner und Zoologe Ernst
Haeckel, der sich ebenso wie Spencer für die Anwendung von Darwins
Evolutionstheorie auf den Menschen aussprach, dem Darwinismus zum
Durchbruch. Aufgrund seiner Befürwortung der aktiven Sterbehilfe kann er
Hachmeister zufolge als Wegbereiter für die Vernichtung „lebensunwerten
Lebens“ gesehen werden.22
Eine weitere Voraussetzung für den nationalsozialistischen
Vernichtungsgedanken bildeten die Theorien des britischen Naturforschers
Francis Galton, welcher den Begriff der „Eugenik“ prägte, der in Deutschland
gleichbedeutend mit der „Rassenhygiene“ war. An die Vorstellungen des
Sozialdarwinismus anknüpfend postulierte diese die Vererbung bestimmter
Eigenschaften, welche die „Qualität“ einer als „Rasse“ bezeichneten sozialen
Gemeinschaft bestimmen würden.23 Die von dieser Theorie abgeleitete
Einordnung von Menschen nach „rassischen“ Kriterien wurde von den
Nationalsozialisten im Zusammenhang mit dem Sozialdarwinismus zur
Grundlage für die Legalisierung von Maßnahmen zur „Gesundung des
Volkskörpers“ genommen, welche neben der Euthanasie die Zwangssterilisation
von psychisch kranken und körperlich behinderten Menschen umfasste.24

21
Euthanasie und Eugenik im Dritten Reich; Hagemann, Alfred (Hrsg.): "Euthanasie" im NS-
Staat: Grafeneck im Jahr 1940 - Historische Darstellung, Didaktische Impulse, Materialien für
den Unterricht. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, S. 4.
22
Rost: Sterilisation und Euthanasie, S. 13; Hachmeister, S. 25.
23
Graf; Schiefeneder: Propaganda, S. 4 f.
24
Euthanasie und Eugenik im Dritten Reich.

11
3.3. Die praktische Umsetzung der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“

Eine der ersten rassenhygienischen Maßnahmen stellte das „Gesetz zur


Verhütung erbkranken Nachwuchses“ dar, welches 1934 in Kraft trat und die
Zwangssterilisation von Menschen, die als „minderwertig“ angesehen wurden,
legalisierte. Erfasst wurden dabei die folgenden Erkrankungen: „angeborener
Schwachsinn, Schizophrenie, zirkuläres manisch-depressives Irresein, erbliche
Fallsucht, erblicher Veitstanz, erbliche Blindheit und Taubheit, schwere erbliche
körperliche Mißbildung sowie schwerer Alkoholismus.“25
Den Ausgangspunkt für die praktische Umsetzung der „Vernichtung
lebensunwerten Lebens“ bildete der „Euthanasiebefehl“ von 1939, mit dem
Hitler seinen Leibarzt Karl Brandt und Philipp Bouhler, Leiter der „Kanzlei des
Führers“ (KdF), ohne gesetzliche Grundlage beauftragte, geeignete Maßnahmen
zur Tötung der „unheilbar Kranken“ in die Wege zu leiten. Zur Tarnung der
damit in Auftrag gegebenen systematischen Vernichtung von Menschenleben
verwendete Hitler die euphemistische Bezeichnung „Gnadentod“, um die
Ermordungen als eine Erleichterung des Sterbens der Betroffenen erscheinen zu
lassen. Den Anstoß zu diesem Erlass gab ein an die Kanzlei des Führers
gerichtetes Gesuch in Bezug auf ein behindertes Kind, dessen Vater darum bat,
die Tötung seines Kindes zu veranlassen.26 Die wesentlichen Gründe für die
Geheimhaltung der Aktion und den Verzicht auf eine gesetzliche Grundlage
bestanden Schmuhl zufolge in erster Linie darin, Unruhen in der Bevölkerung
zu vermeiden, den zu erwartenden kirchlichen Widerstand zu unterlaufen und
der feindlichen Propaganda kein Material zu liefern.27
Die Maßnahmen zur Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ lassen sich in drei
Phasen einteilen. Dazu gehören die „Kinder-Euthanasie“, die in der Ermordung
von bis zu 10.000 behinderten Kindern und Jugendlichen durch Verabreichung
von Medikamenten und Nahrungsentzug bestand und von 1939 bis 1945
durchgeführt wurde, die als „Aktion T4“ bezeichnete Vergasung von
schätzungsweise 70.000 psychisch kranken Menschen in eigens zu diesem
Zweck eingerichteten „Tötungsanstalten“, die von 1940 bis 1941 praktiziert
wurde, sowie die Tötung von kranken und damit arbeitsunfähigen KZ-

25
Hachmeister, S. 32.
26
Ebd., S. 35; Euthanasie und Eugenik im Dritten Reich; Graf; Schiefeneder: S. 5.
27
Hachmeister, S. 38 f.

12
Häftlingen, die unter der Bezeichnung „Aktion 14f13“ von 1941 bis 1944
durchgeführt wurde.28
Der genaue Ablauf der Euthanasie wird im Folgenden am Beispiel der „Aktion
T4“ dargestellt. Diese wurde von der Zentraldienststelle in der Tiergartenstraße
4 in Berlin koordiniert, welche der Kanzlei des Führers unterstellt war und
zwecks Geheimhaltung in Form von vier Tarnorganisationen in Erscheinung trat.
Von dort aus organisierten Ärzte in Zusammenarbeit mit
Verwaltungsangestellten die Erfassung und Selektion der für die Tötung
vorgesehenen Menschen und koordinierten deren Transport in die sechs
Tötungsanstalten. Die Erfassung erfolgte durch Meldebögen, die an alle Heil-
und Pflegeanstalten verschickt wurden und den ärztlichen Gutachtern als
Grundlage für die Entscheidung dienten, die Betroffenen zu töten oder
weiterleben zu lassen. Erfasst wurden dabei Personen, die seit mindestens fünf
Jahren in einer Anstalt untergebracht waren und deswegen als unheilbar
eingestuft wurden. Die Tötung der selektierten Personen erfolgte in der Regel
unmittelbar nach ihrer Ankunft in der Tötungsanstalt. Hierfür wurden sie in die
Gaskammern geführt, die zur Täuschung der Opfer mit Duschköpfen
ausgestattet waren. Nach der Vergasung wurden die Leichen verbrannt, um die
Spuren des Verbrechens zu beseitigen.29 Nachdem die „Aktion T4“ trotz
strengster Geheimhaltung öffentlich geworden war, was Unruhen in der
Bevölkerung und Proteste von kirchlicher Seite zur Folge hatte, sah Hitler sich
zur formalen Einstellung der Maßnahmen gezwungen. Es ist jedoch
anzunehmen, dass die Tötungen im Geheimen fortgeführt wurden.30

4. Euthanasie in der filmischen NS-Propaganda am Beispiel des


Films „Ich klage an“

4.1. Zur Entstehungsgeschichte des Films

Angesichts des zunehmenden Widerstands in der Bevölkerung und der


Verurteilung der systematischen Vernichtung von kranken und behinderten

28
Schmuhl, Euthanasie.
29
Loubichi, Stefan: „Aktion T4“ – Systematischer Mord der Nazis an behinderten Menschen:
https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/aktion-t4-systematischer-mord-der-nazis-an-
behinderten-menschen/; Graf; Schiefeneiner: S. 6 ff.
30
Euthanasie und Eugenik im Dritten Reich.

13
Menschen durch den Bischof Clemens Graf von Galen, welcher die „Aktion
T4“ in seiner berühmt gewordenen Predigt vom 3. August 1941 mit deutlichen
Worten als Mord anprangerte, sahen sich die Nationalsozialisten zu einer
Änderung ihrer Strategie in Bezug auf die Darstellung der
Euthanasiemaßnahmen in der filmischen Propaganda veranlasst. Vor diesem
Hintergrund entschieden sich die in Bedrängnis geratenen Verantwortlichen
dazu, dem Spielfilm oberste Priorität im Rahmen der Propaganda einzuräumen.
Der Grund für diese Entscheidung lag in der Tatsache, dass dieses Genre im
Gegensatz zu den während der 30er Jahre produzierten Dokumentarfilmen die
Möglichkeit bot, das Euthanasieprogramm auf eine eher indirekte Weise zu
propagieren.31 In dem Film „Ich klage an“ sah das NS-Regime dementsprechend
die Möglichkeit, „die ablehnende Haltung vieler Menschen gegenüber der
Euthanasie aufzuweichen, ohne sich selbst exponieren zu müssen.“32 Die
Initiative für einen Spielfilm zur Propagierung der Euthanasie ging von der KdF
aus, die bereits an der Produktion mehrerer Dokumentarfilme zur Euthanasie
beteiligt gewesen war. Als literarische Vorlage für das Drehbuch zum Film „Ich
klage an“ diente größtenteils der 1935 erschienene Roman „Sendung und
Gewissen“ von Hellmuth Unger, der sich ausgehend von der Erschießung eines
erblindeten Hundes mit der Thematik der Tötung „lebensunwerten
Lebens“ befasst. Die zentrale Aussage des Werkes besteht in der Forderung,
nicht nur einem Tier, „wenn es einmal stark war und hilflos wird“ den Gnadentod
zu gewähren, sondern auch unheilbar kranken Menschen. In Bezug auf die
Handlung lassen sich Hachmeister zufolge neben der Gleichsetzung von Mensch
und Tier weitere Elemente ausmachen, welche als Argumente für die Euthanasie
gesehen werden können und auch im Film „Ich klage an“ zu finden sind. Als
Beispiele nennt sie unter anderem „die Vermischung von Sterbehilfe und
Vernichtung ‚lebensunwerten‘ Lebens“, „die Forderung nach einer
Gesetzesänderung“ sowie „die Euphemismen ‚helfen‘ und ‚erlösen‘ für
‚töten‘.“33 Auf der Grundlage des Romans galt es, eine Filmhandlung zu
entwickeln, welche die „Tötung auf Verlangen“ schwerkranker Menschen auf

31
Hachmeister, S. 121; Roth, Karl Heinz: Filmpropaganda für die Vernichtung der
Geisteskranken und Behinderten im „Dritten Reich“, in: Aly, Götz: Reform und Gewissen.
"Euthanasie" im Dienst d Fortschritts, S 138.
32
Rost: Sterilisation und Euthanasie, S. 153.
33
Ebd., S. 161 ff.; Hachmeister, S. 122 ff.

14
eine glaubwürdige Weise als Erlösung für die Betroffenen darstellte und mit den
Intentionen der Maßnahmen zur Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ verband.
Darüber hinaus sollte der Film so aufgebaut sein, dass er alle bekannten
Argumente gegen die Euthanasie enthielt, um diese im Verlauf der Handlung auf
überzeugende Weise zu widerlegen.34
Die Wahl des Regisseurs fiel auf Wolfgang Liebeneiner, der zuvor bereits den
Propagandafilm „Bismarck“ inszeniert hatte und von Goebbels als „jung,
modern, strebsam und fanatisch“ bezeichnet wurde, wodurch das in ihn gesetzte
Vertrauen vonseiten des Regimes, den Film in der gewünschten Form
umzusetzen, zum Ausdruck kam. Die ihm entgegengebrachte Wertschätzung
zeigt sich auch darin, dass der Propagandaminister ihn mit verantwortungsvollen
Aufgaben betraute und später zum Professor ernannte.35
Um die Anforderungen des Projektes zu erfüllen, nahm Liebeneiner einige
Änderungen am Drehbuch vor. Durch die Überarbeitung vieler Dialoge und
Streichung zahlreicher nebensächlicher Passagen gelang es ihm, die
Filmhandlung auf die wesentlichen Elemente zu beschränken. War in einem
ersten Handlungsentwurf bereits der Schwerpunkt des Films von der
Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ zur „Tötung auf Verlangen“ geändert
worden, konzentrierte Liebeneiner sich bei seiner Bearbeitung des Stoffes
darauf, die allzu offensichtlichen Bezüge zur Euthanasie zugunsten einer
subtileren Auseinandersetzung mit der Thematik zu streichen. Hierin zeigen sich
Rost zufolge die Schwierigkeiten des NS-Regimes im Umgang mit der
Euthanasie als Thema in der filmischen Propaganda.36 Die Herausforderung
bestand darin, die Euthanasie zu propagieren, ohne die Öffentlichkeit durch allzu
direkte Verweise auf das Thema zu verstören. Um dies zu erreichen, sollte das
Publikum durch den Film „Ich klage an“ auf indirekte Weise mit der Euthanasie
konfrontiert werden.

34
Roth, S. 147.
35
Anders-Andelka: Behinderung, S. 424 f.; Hachmeister, S. 134 f.
36
Rost: Ich klage an – ein historischer Film? In: Benzenhöfer, Udo (Hg.): Medizin im Spielfilm
des Nationalsozialismus. (Hannoversche Abhandlungen zur Geschichte der Medizin und der
Naturwissenschaften, H. 1), S. 34-51.

15
4.2. Handlung und Inszenierung

Nachdem im vorangegangenen Abschnitt die Entstehungsgeschichte des Films


nachgezeichnet worden ist, soll im Folgenden dessen Handlung wiedergegeben
werden. Der Film besteht aus einer Haupt- und einer Nebenhandlung. Im
Zentrum des ersten Handlungsstranges steht die Geschichte von Hanna Heyt, der
jungen Ehefrau des Mediziners Thomas Heyt, die unheilbar an Multipler
Sklerose erkrankt. Erste Symptome der Krankheit zeigen sich während einer
Feier anlässlich der Berufung ihres Ehemanns an ein angesehenes
wissenschaftliches Institut, als sie beim Klavierspiel einen Schmerz in der linken
Hand spürt und nicht weiterspielen kann. In den folgenden Tagen kommt es
vermehrt zu Lähmungserscheinungen und Funktionsausfällen, weswegen Hanna
sich von dem befreundeten Arzt Bernhard Lang untersuchen lässt, der die
unheilbare Krankheit feststellt und Thomas Heyt darüber in Kenntnis setzt. Um
Hanna ihren Optimismus und die Hoffnung auf Besserung nicht zu nehmen, wird
sie über die Ursache ihres Leidens im Unklaren gelassen. Ihr Ehemann sucht
währenddessen in seinem Labor fieberhaft nach einem Heilmittel, hat dabei
jedoch keinen Erfolg. Als sich Hannas Zustand zunehmend verschlechtert und
sie zu ahnen beginnt, dass ihre Krankheit unheilbar ist, bittet sie Dr. Lang
schließlich, sie falls nötig zu töten, was dieser vehement ablehnt. Daraufhin
wendet sie sich mit derselben Bitte an ihren Ehemann. Da dessen Forschungen
im Hinblick auf eine mögliche Heilung keine Ergebnisse liefern, entscheidet er
sich dazu, seiner inzwischen von Erstickungsanfällen geplagten Frau ihren
Wunsch zu erfüllen und tötet sie mit einer Überdosis Arsen. Als Lang davon
erfährt, bezichtigt er Heyt des Mordes und wendet sich von ihm ab. Hannas
Bruder zeigt seinen Schwager an, woraufhin es zu einem Strafprozess kommt.
In diesem werden von der Mordanklage bis zur Bewertung der Tötung als Akt
der Erlösung die unterschiedlichsten Meinungen über den Fall zur Sprache
gebracht. Bernhard Lang nimmt überraschend den Vorwurf, Heyt habe seine
Frau ermordet, zurück und gibt ihm dadurch die Möglichkeit, sich zu seiner Tat
zu bekennen und für die Legalisierung der Euthanasie zu plädieren. Vor dem
Urteilsspruch endet der Film, womit der Ausgang offen gelassen wird.37
Die Gründe für den Sinneswandel Langs werden durch die Nebenhandlung

37
Anders-Andelka, S. 432 f.; Hachmeister, S. 148 ff.

16
ersichtlich, in der es um dessen Behandlung eines an einer Hirnhautentzündung
erkrankten Kleinkindes geht. Es gelingt ihm, das kleine Mädchen am Leben zu
erhalten. Später machen die Eltern des Kindes dem Arzt schwere Vorwürfe, da
ihr Kind nun schwerbehindert in einer Anstalt lebt. Sie konfrontieren ihn mit der
Frage, warum er es damals nicht habe sterben lassen. Er besucht das Kind
daraufhin in der Anstalt, um sich selbst ein Bild von dessen Zustand zu machen.
Vom Anblick des Kindes erschüttert, erkennt er offenbar, dass es ein Fehler war,
dessen Leben um jeden Preis zu erhalten. Diese Erkenntnis führt dazu, dass er
auch die Tat seines Freundes Heyt nun anders bewertet und als Zeuge vor Gericht
aussagt, dieser habe seine Frau auf deren Verlangen hin getötet.38

4.3. Deutungen des Films in der historischen Forschung

An die Wiedergabe der Handlung anknüpfend, stehen in diesem Abschnitt die


Deutungen des Films in der historischen Forschungsliteratur im Mittelpunkt des
Interesses. In Bezug auf den Aufbau des Films kommt Anders-Andelka zu dem
Schluss, dass die zwei Handlungsstränge dazu dienen, dessen zentrale Aussage
zu vermitteln. Durch die Haupthandlung werde demzufolge die Euthanasie
dadurch gerechtfertigt, dass die „Tötung auf Verlangen“ als Erlösung für die
Betroffenen und deren Angehörige dargestellt werde. In der Nebenhandlung
erfolge die Rechtfertigung anhand der gezeigten Wandlung des befreundeten
Arztes vom „Verfechter jedes Lebens“ zum Befürworter der Euthanasie.39
Die propagandistische Funktion des Films zeige sich darüber hinaus darin, dass
er sich insbesondere auf inhaltlicher Ebene an Verstand und Psyche der
Zuschauer wende, um sie indirekt zu beeinflussen und ihre Wahrnehmung im
Sinne der gewünschten Auslegung des Geschehens zu manipulieren. Als
Beispiele nennt sie die Verwendung eines gewissen Jargons, der unter anderem
die Multiple Sklerose als „wesenloses Ungeheuer“ bezeichne, sowie die
Tatsache, dass Hanna Heyt sich dankbar in ihr Schicksal füge, nachdem ihr das
tödliche Gift verabreicht wurde. In der Gerichtsverhandlung werde zudem
suggeriert, dass sie vor allem deshalb um Sterbehilfe gebeten hat, um ihrem
Ehemann nicht unnötig zur Last zu fallen.40 Diese Aspekte dienen dazu, Hannas

38
Ebd.
39
Anders-Andelka, S. 432.
40
Ebd., S. 434 f.

17
Leben aufgrund ihrer Krankheit als „lebensunwert“ darzustellen und ihren Tod
als Erlösung erscheinen zu lassen. In dieser Hinsicht würden Hanna als
Betroffene und die Eltern des behinderten Kindes als Angehörige eines
Betroffenen die Bedingung erfüllen, durch welche die vom NS-Regime
gewünschte Zustimmung der Bevölkerung zur Euthanasie erreicht werden solle,
so die Autorin weiter.41 Die im Film erfolgte perfide Gleichsetzung von Leid und
Behinderung werde dadurch verstärkt, dass sie durch einen nahezu vollständigen
Verzicht auf entsprechende Symbole und Gesten nicht eindeutig mit dem
Nationalsozialismus in Verbindung gebracht werden könne, sondern stattdessen
als „zeitlose Botschaft“ dargestellt werde. Eine weitere zentrale Botschaft des
Films bestehe darin, dass Langs Handeln ebenso wie Heyts Versuche, seine
Ehefrau zu heilen, nicht nur als vergeblich inszeniert werden, sondern auch als
vollkommen sinnlos und kontraproduktiv. Dadurch würde besonders Lang
erkennen, „dass sein Ethos, jedes Leben als schützenswert zu erachten,
‚falsch‘ ist, da es Leid verschlimmert anstatt es zu lindern.“42
Giesen und Hobsch kommen im Hinblick auf die propagandistische Funktion
des Films zu einem ähnlichen Urteil:
„Obwohl der Film ein ‚offenes Ende‘ hat und zu dem angesprochenen Problem
nicht abschließend Stellung bezieht, sind die Akzente doch so verteilt und werden
die Sympathien der Zuschauer so gelenkt, dass sie den Unterschied zwischen der
Tötung auf Verlangen und der ‚Vernichtung lebensunwerten Lebens‘, die damals
geplant und propagiert wurde, nicht klar sehen können.“43

Hachtmeister gelangt in ihrer ausführlichen Analyse des Films zu dem Schluss,


dass es ihm gelinge, die Sichtweise der Befürworter der Euthanasie durch den
Einsatz rhetorischer Stilmittel als richtig erscheinen zu lassen. In diesem
Zusammenhang nennt sie drei wesentliche propagandistische Methoden, die sich
im Film nachweisen ließen: Behauptung, Tarnung und Übertragung. Die
wichtigste Methode stelle dabei die Übertragung dar, die in der Idealisierung von
Thomas Heyt als Führertypus zum Ausdruck komme. Da dieser
„instinktiv“ wisse, was für seine Frau und die Menschheit am besten ist, übe er
eine Vorbildfunktion aus. Darüber hinaus personifiziere er den Verfechter einer
neuen, gerechteren Ordnung, dessen Führerfunktion sich auf die Zuschauer

41
Ebd., S. 436.
42
Ebd., S. 436 f.
43
Ebd., S. 434.

18
„übertragen“ solle.44 Die Methode der Tarnung zeige sich darin, dass das
eigentliche Thema des Films, die Euthanasie, mit der Problematik der
Sterbehilfe gleichgesetzt werde. Da der Fokus auf Thomas Heyt liege, entstehe
der Eindruck, es werde über Menschen verhandelt, die freiwillig um ihren Tod
bitten. Weiterhin kämen im Film die Techniken der Verzerrung und des
Schweigens zum Einsatz. Indem statt der eigentlichen Problematik der
Vernichtung „lebensunwerten“ Lebens scheinbar die Tötung auf Verlangen
diskutiert würde, ließe der Film seine Zuschauer über die wahren Hintergründe
seines Themas im Unklaren.45
Hachtmeister zufolge ist der Film „Ich klage an“ nicht auf Anhieb als
nationalsozialistischer Propagandafilm zu erkennen, da es ihm gelingt, seine
eigentliche Botschaft geschickt zu verschleiern. Die damit verbundene Absicht,
die Zuschauer indirekt zur Befürwortung der Euthanasie zu bewegen, lässt sich
demzufolge anhand unterschiedlicher Techniken belegen, die im Film zur
Anwendung kommen.46 Neben dem bereits genannten Sinneswandel Bernhard
Langs, der Inszenierung von Thomas Heyt als Führertypus und der Funktion der
Nebenhandlung können den Ausführungen der Autorin entsprechend mehrere
Aspekte genannt werden. Eine wichtige Funktion komme demnach der Rede
Thomas Heyts zu, die den Abschluss des Films bildet. Dem Titel des Films
entsprechend klagt dieser in seinen Schlussworten „einen Paragraphen an, der
Ärzte und Richter an der Erfüllung ihrer Aufgabe hindert, dem Volke zu dienen“,
womit er auf eine Änderung des Gesetzes abzielt, welches die Tötung auf
Verlangen unter Strafe stellt. Das offene Ende des Films sei dadurch zu erklären,
dass eine Verurteilung Heyts der übergeordneten Gerechtigkeit widersprochen
hätte und ein Freispruch wiederum nicht mit dem geltenden Recht zu
vereinbaren war.47
Die eigentliche Botschaft des Films zeige sich auch in der Verwendung der
propagandistischen Methode der Kontrastierung, mit welcher der Tod als etwas
„Schönes“ dargestellt werde. In diesem Zusammenhang werde der „schöne
Tod“ dem „qualvollen Leben“ eines kranken Menschen gegenübergestellt und

44
Hachmeister, S. 192 f.
45
Ebd., S. 193.
46
Ebd., S. 152.
47
Ebd., S. 160 ff.

19
suggeriere somit, dass der Tod einem behinderten Leben vorzuziehen sei und
Sterbehilfe einen Akt der Gnade darstelle.48 Eine weitere Technik bestehe in der
Darstellung der Liebe als Motiv der „Erlösung“, wodurch eine Verbindung zum
Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten hergestellt werde, welches auch als
„Aktion Gnadentod“ bezeichnet wurde. Als Beleg nennt Hachtmeister die
Tatsache, dass Heyts Tat wiederholt mit der Liebe zu seiner Frau begründet wird
und Hanna selbst in der Tötung einen Liebesbeweis sieht.49
Im Hinblick auf die Befürwortung der Euthanasie komme der Autorin zufolge
der Gleichsetzung von Mensch und Tier, die sich an mehreren Stellen des Films
nachweisen lasse, eine zentrale Bedeutung zu. Diese sei eng verbunden mit der
Überzeugung, der Mensch müsse krankes Leben wie die „unbarmherzige
Natur“ zugrunde gehen lassen. Demnach sei es für jedes Lebewesen und auch
für Menschen besser, wenn diese von ihren Schmerzen „erlöst“ würden statt sich
quälen zu müssen.50
Einen der wichtigsten Aspekte in Bezug auf die propagandistische Botschaft des
Films stelle schließlich die Geschworenenszene dar, die im Wesentlichen ein
Streitgespräch beinhalte, in dessen Verlauf sich die Zuschauer entscheiden
müssten, wie sie zur Thematik der Sterbehilfe stehen. Im Verlauf der Diskussion
zwischen den Befürwortern und Gegnern der Sterbehilfe lasse sich ein immer
wiederkehrendes Muster feststellen, welches sich dadurch auszeichne, dass
sämtliche Einwände gegen die Sterbehilfe sofort entkräftet werden. Die
Funktion der Szene bestehe demzufolge darin, dass die möglichen Einwände der
Zuschauer antizipiert und umgehend widerlegt werden, um sie zur Befürwortung
der Euthanasie zu bewegen.51
Rost kommt in seiner Beurteilung des Films zu ähnlichen Ergebnissen. Er nennt
mehrere filmische Mittel, die vom Regisseur eingesetzt wurden, um die
propagandistische Funktion des Films zu unterstreichen. So werde die Tatsache,
dass Hannas Erkrankung unheilbar und für sie unerträglich ist, auf ästhetische
Weise hervorgehoben, wodurch ihr damit verbundenes Verlangen nach dem Tod
für die Zuschauer nachvollziehbar erscheine. Um die Tötung Hannas als legitim

48
Ebd., S. 165 ff.
49
Ebd., S. 168.
50
Ebd., S. 174.
51
Ebd., S. 180 ff.

20
erscheinen zu lassen, würden charakterliche Schwächen oder „niedere
Beweggründe“ des Täters Heyt ausgeschlossen. Die Filmhandlung zeichne sich
durch ihre starke emotionale Wirkung aus, deren Funktion darin bestehe, die
Zuschauer von der Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung in Bezug auf die
Sterbehilfe zu überzeugen.52
Der propagandistische Charakter des Films zeige sich darüber hinaus darin, dass
sich die Handlung auf den Fall einer Tötung auf Verlangen konzentriere,
wodurch die eigentliche Absicht, die Forderung einer Legalisierung der
Euthanasie, erst gegen Ende des Films deutlich werde. Im Hinblick auf die
indirekte Beeinflussung des Publikums urteilt Rost, „daß der Film durch eine
geschickte Dramaturgie, die Wirkgewalt seiner Bilder und nicht zuletzt auch
deren Montagen zu verführen suche.“53 Als Beleg hierfür nennt er die Tatsache,
dass verbale Äußerungen im Sinne der propagandistischen Absicht immer
wieder stimmungsvoll inszeniert würden. Dies komme insbesondere darin zum
Ausdruck, dass die „Erlösung“ einer gelähmten Maus durch Heyts Mitarbeiterin
mit Hannas Verlangen nach dem Tod assoziiert werde und die überaus glückliche
Ehe des Paares die Tötung Hannas beinahe als selbstverständlich erscheinen
lasse. In Bezug auf die Sterbeszene spricht er treffend von einer „Ästhetisierung
des Tötens“, die sich vor allem auf der sprachlichen Ebene durch die
Verwendung der Begriffe „helfen“ und „erlösen“ nachweisen lasse.54 Auf diese
Weise würden Vorstellungen von ärztlicher Ethik, die das Publikum mit diesen
Begriffen verbinde, missbraucht und pervertiert: „Der Eindruck sollte entstehen,
ein höheres Ethos erlaube die Tötung unheilbar Kranker oder die Vernichtung
unwerten Lebens.“55 Die Inszenierung der Tötung Hannas als Akt der Erlösung
zeige sich zudem in Redewendungen wie „überhaupt kein Mensch mehr“ oder
„nur noch ein Fleischklumpen“, mit denen sie ihren Zustand beschreibt.
Hinsichtlich der propagandistischen Wirkung des Films gelangt Rost zu
folgendem Urteil: „Die Realisation von Ich klage an kann im Sinne der von den
Nationalsozialisten angestrebten Tendenz als gelungen gelten. Effektvoller
konnten die Gefühle der Zuschauer wohl kaum manipuliert werden.“56

52
Rost: Sterilisation und Euthanasie, S. 194.
53
Ebd., S. 203.
54
Ebd., S. 203 ff.
55
Ebd., S. 206.
56
Ebd., S. 207.

21
Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die Deutungen des Films in den
untersuchten Werken von Anders-Andelka, Hachtmeister und Rost recht ähnlich
ausfallen. So stimmen die Autoren darin überein, dass es den Machern des Films
gelinge, dessen eigentliche Aussage durch den Einsatz entsprechender
stilistischer und rhetorischer Mittel zu verschleiern und an die Emotionen der
Zuschauer zu appellieren, um diese indirekt zur Befürwortung der Euthanasie zu
bewegen. Die Funktion des Films im Rahmen der NS-Propaganda wird in den
herangezogenen Texten ebenfalls ähnlich beurteilt. Demnach zeichne sich „Ich
klage an“ im Hinblick auf seine propagandistische Wirkung dadurch aus, dass er
sein Publikum auf äußerst subtile Weise zu beeinflussen versuche. In diesem
Zusammenhang wird insbesondere der geschickte Aufbau der Filmhandlung
hervorgehoben, der so konzipiert sei, dass der Fall einer Tötung auf Verlangen
im Mittelpunkt stehe, während das eigentliche Thema der „Vernichtung
lebensunwerten Lebens“ lediglich in der Nebenhandlung erscheine. Indem der
Fokus auf die Sterbehilfe gelegt werde, gelinge es den Machern des Films somit,
die Propaganda für die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ nahezu
unauffällig in die Filmhandlung einzubauen. Die propagandistische Funktion
des Films bestehe dementsprechend darin, die Zuschauer mit dem Schicksal von
Hanna Heyt zu konfrontieren, um sie zur Gleichsetzung von Sterbehilfe und
Tötung „lebensunwerten Lebens“ zu verleiten. Obwohl der Ausgang des Films
offenbleibe und das Urteil scheinbar den Zuschauern überlassen werde, lege die
Inszenierung der Handlung die „Erlösung“ der Protagonistin nahe.

5. Fazit und Ausblick

Die Bearbeitung des Themas hat gezeigt, dass der Spielfilm „Ich klage
an“ innerhalb der filmischen Propaganda des Nationalsozialismus eine
Sonderstellung einnimmt, da er im Gegensatz zu den Dokumentarfilmen aus den
30er Jahren, die der direkten Propagierung des Euthanasieprogramms der
Nationalsozialisten dienten, nicht auf Anhieb als Propagandafilm zu erkennen
sein sollte. Im Gegensatz zu der von Hitler bevorzugten direkten und offenen
Propaganda präferierte Joseph Goebbels die Form der indirekten Propaganda.
Entsprechend bestand die Funktion des Films vielmehr darin, die Zuschauer
unbemerkt zu beeinflussen.

22
Diese Absicht kommt bereits in der Struktur des Films zum Ausdruck, die aus
zwei Handlungssträngen besteht. Im Zentrum der Haupthandlung steht das
Thema der Tötung auf Verlangen bzw. Sterbehilfe, welches am Beispiel der
Geschichte des Ehepaars Heyt dargestellt wird, wohingegen es in der
Nebenhandlung um das von Dr. Lang betreute, aufgrund einer
Hirnhautentzündung schwerstbehinderte Kleinkind geht. Der propagandistische
Charakter des Films zeigt sich demzufolge darin, dass die beiden
Handlungsstränge miteinander verbunden werden, indem Hanna Heyt ihre
Angst vor dem körperlichen Verfall mit den gleichen Worten ausdrückt, mit
denen die Eltern den Zustand ihres behinderten Kindes beschreiben: taub, blind
und idiotisch. Mit dieser subtilen und dadurch so wirkungsvollen Inszenierung
nutzten die Macher des Films den unscharfen Sprachgebrauch des Begriffs der
Euthanasie, welcher allgemein Sterbehilfe im Sinne von Tötung auf Verlangen
bezeichnet, von den Nationalsozialisten jedoch dafür verwendet wurde, die
systematische Vernichtung von Menschen mit körperlichen und geistigen
Behinderungen zu tarnen. In diesem Zusammenhang galt es in Bezug auf den
Film, den wahren Kern seiner Handlung zu verschleiern.57 Diese Zielsetzung
wird insbesondere anhand der Entstehungsgeschichte deutlich. Wurde zunächst
ein Filmprojekt zur propagandistischen Wegbereitung der Euthanasie ins Auge
gefasst, sahen sich die Verantwortlichen aufgrund des zunehmenden
Widerstands gegen die Euthanasie dazu veranlasst, diese Pläne zugunsten der
Produktion eines subtiler inszenierten Spielfilms aufzugeben. Vor diesem
Hintergrund achteten die Produzenten darauf, direkte Bezüge zur Euthanasie zu
vermeiden, die spezifische propagandistische Botschaft jedoch beizubehalten.58
Dieses Vorhaben kann hinsichtlich der Inszenierung als gelungen bezeichnet
werden. So kommt die propagandistische Wirkung des Films insbesondere darin
zum Ausdruck, dass seine eigentliche Aussage auf raffinierte Weise in die
Handlung eingeschleust wurde mit dem Ziel, um Akzeptanz im Hinblick auf die
„Vernichtung lebensunwerten Lebens“ zu werben.

57
Töteberg, Michael: Metzler Film Lexikon, S. 270.
58
Offermann, Stefan: Die Verschränkung von Geschlecht und Dis/Ability. Das Blickregime des
Propagandaspielfilms „Ich klage an“ im Kontext der NS-„Euthanasie“:
https://www.europa.clio-online.de/searching/id/fdae-1713?title=die-verschraenkung-von-
geschlecht-und-dis-ability-das-blickregime-des-propagandaspielfilms-ich-klage-an-im-kontext-
der-ns-euthanasie&recno=3&q=offermann&sort=newestPublished&fq=&total=3.

23
Die Deutungen des Films in der historischen Forschung stimmen in diesem
Zusammenhang dahingehend überein, dass dieser sich vor allem durch den
geschickten Aufbau seiner Handlung und den Einsatz zahlreicher rhetorischer
Methoden und Stilmittel auszeichne, die dazu dienen, das Publikum im Sinne
der NS-Propaganda zu beeinflussen. Die propagandistische Funktion des Films
besteht demzufolge in erster Linie darin, auf perfide Weise die Gefühle der
Zuschauer zu manipulieren, um diese indirekt zur Befürwortung der
Euthanasiemaßnahmen zu bewegen, wofür die Tötung auf Verlangen mit der
„Vernichtung lebensunwerten Lebens“ gleichgesetzt wird. Dies führt zu der
Aussage, dass das Leben von körperlich und geistig behinderten Menschen nicht
lebenswert ist und diese somit von ihren „Leiden“ erlöst werden müssen, wie es
im Film dargestellt wird.
Aufgrund der Tatsache, dass er seine propagandistische Botschaft nicht zu
erkennen gibt, unterscheidet sich der Film „Ich klage an“ grundlegend von
anderen Filmen, die im Rahmen der filmischen Propaganda produziert wurden.
Dazu gehörten in erster Linie sogenannte Unterrichtsfilme, die an Schulen und
Universitäten gezeigt wurden und der direkten Verbreitung zentraler Elemente
der nationalsozialistischen Ideologie wie Antisemitismus und
Sozialdarwinismus dienten. Bei den Filmen zur Euthanasie handelte es sich
überwiegend um stumme Dokumentarfilme wie „Die Sünden der Väter“ (1935),
„Erbkrank“ (1936) und „Opfer der Vergangenheit“ (1937), welche die
„Vernichtung lebensunwerten Lebens“ offen propagierten, indem sie Menschen
mit Behinderungen als Belastung für die „Volksgemeinschaft“ darstellten und
dabei die „vergeudete“ Pflege der unheilbar Kranken und den damit
verbundenen Kostenfaktor als zentrale Argumente für die Euthanasie
hervorhoben. Mit der Hinwendung zum Genre des Spielfilms, welches die
Möglichkeit bot, das dargestellte Thema subtiler zu inszenieren und mithilfe
entsprechender Methoden sukzessive zu entschärfen, gingen die
Verantwortlichen neue Wege, um die Bevölkerung von der Notwendigkeit und
Legitimität der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ zu überzeugen.59
Das zentrale Merkmal des Films „Ich klage an“ besteht demnach darin, dass der
Bezug zur Euthanasie auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist.

59
Ebd.; Jacobsen, Wolfgang: Nazis können nicht lieben: drei Filme aus Deutschland, S. 72;
Rost: Ich klage an, S. 36.

24
6. Literaturverzeichnis

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Propagandaspielfilms „Ich klage an“ im Kontext der NS-„Euthanasie“:
https://www.europa.clio-online.de/searching/id/fdae-1713?title=die-verschraenkung-von-
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kontext-der-ns-euthanasie&recno=3&q=offermann&sort=newestPublished&fq=&total=3
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Propaganda: https://www.duden.de/rechtschreibung/Propaganda (Letzter Abruf: 13.03.2023).

25
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„Dritten Reich“, in: Aly, Götz: Reform und Gewissen. "Euthanasie" im Dienst d. Fortschritts.
Berlin 1985, S. 125-193.

Rost, Karl Ludwig: Sterilisation und Euthanasie im Film des "Dritten Reiches".
Nationalsozialistische Propaganda in ihrer Beziehung zu rassenhygienischen Maßnahmen des
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Ders.: "Euthanasie"-Filme im NS-Staat: Sozial- und filmhistorische Hintergründe einer


Verführung zum Töten, in: Zeitgeschichte 4 (2001), S. 214-226.

Ders.: Ich klage an – ein historischer Film? In: Benzenhöfer, Udo (Hg.): Medizin im Spielfilm
des Nationalsozialismus. (Hannoversche Abhandlungen zur Geschichte der Medizin und der
Naturwissenschaften, H. 1). Tecklenburg 1990, S. 34-51.

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https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Euthanasie (Letzter Abruf: 13.02.2023).

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