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Sommersemester 2023
vorgelegt von:
Roderick Fabian
q9549781
04142810424
roderick.fabian@web.de
2
1. Einleitung
Das 18. Jahrhundert gilt als das zweite europäische Entdeckungszeitalter, was
sich insbesondere in der Vielzahl groß angelegter Seefahrten zeigt, „welche nicht
nur die letzten Regionen der Welt politisch und wissenschaftlich dem
europäischen Wissen erschlossen haben“1, sondern darüber hinaus einen neuen
Wissensschub nach Europa brachten und damit wesentlich zur Neuformierung
des europäischen Selbstverständnisses beitrugen.2
Dienten die Seefahrten des ersten Entdeckungszeitalters, welches im späten 15.
Jahrhundert mit der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus seinen Anfang
nahm, den imperialen Interessen der europäischen Großmächte und der
Erschließung neuer Seewege, zeichneten sich die Entdeckungsreisen des 18.
Jahrhunderts insbesondere durch ein erhöhtes Forschungsinteresse aus, wobei
insbesondere die Frage nach dem Ursprung der Menschheit im Mittelpunkt des
Interesses stand. Eine wichtige Bedeutung kam in diesem Zusammenhang den
Reiseberichten zu, in welchen die europäischen Seefahrer und Forscher ihre
Erfahrungen in den überseeischen Regionen festhielten und unter anderem ihre
Begegnungen mit der indigenen Bevölkerung schilderten.
Die Ursachen für den Beginn dieses zweiten Entdeckungszeitalters waren in
erster Linie auf die Fortschritte im Schiffbau und in der Navigation
zurückzuführen, welche es ermöglichten, die entlegensten Gebiete der
überseeischen Welt zu bereisen und neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu
erlangen. Auf diese Weise konnte eines der größten Rätsel dieser Zeit, die Frage
nach der Existenz eines Südkontinents, gelöst werden. Im Zuge dieser
Entwicklung kam es zwischen England und Frankreich, welche an die Stelle der
Iberer und Holländer getreten waren, zu einer Art „Wettlauf“ um die
Erschließung der sogenannten Südsee-Region.3 Diese Bezeichnung geht zurück
auf den spanischen Seefahrer Vasco Núñez, der damit den pazifischen Raum
beschrieb, welcher sich aus unzähligen kleineren Inseln zusammensetzt und
üblicherweise in die drei Inselgruppen Mikronesien, Melanesien und Polynesien
1
Brenner, Peter J.: Reisen, in: Thoma, Heinz (Hg.): Handbuch Europäische Aufklärung.
Begriffe, Konzepte, Wirkung, S. 432.
2
Ebd.
3
Gründer, Horst: Die Globalisierung Europas, in: Walter Demel/Hans-Ulrich Thamer (Hg.):
WBG Welt-Geschichte. Band III: Von 1700 bis heute, S. 381 f.
3
eingeteilt wird.4 Im Zentrum des zweiten Entdeckungszeitalters stehen die drei
Seefahrten von James Cook sowie die Weltumsegelung von Louis-Antoine de
Bougainville, deren Schwerpunkt in der Südsee lag. Über seine Erlebnisse
während dieser Reise gab er in dem 1771 veröffentlichten Reisebericht Voyage
autour du Monde Auskunft. Mit diesem Werk leistete er ebenso wie Georg
Forster, der in seinem 1778 erschienenen Reisebericht Reise um die Welt die
Erlebnisse während seiner Teilnahme an Cooks zweiter Forschungsreise in die
Südsee verarbeitete, einen wesentlichen Beitrag zur Entstehung des Südsee-
Mythos. Diesem lag insbesondere die Vorstellung einer friedlichen indigenen
Bevölkerung zugrunde, die in einer paradiesisch anmutenden Umgebung lebt
und der jegliche Form von Aggression fremd ist.5 In dieser Wahrnehmung
spiegelte sich zudem das Bild vom „Edlen Wilden“ wider, mit dem die Europäer
die vermeintlich unverdorbenen Naturvölker beschrieben, denen sie in den
überseeischen Gebieten begegneten und die sie nun in Gestalt der Südsee-
Insulaner wiederzuerkennen glaubten.6
In der vorliegenden Hausarbeit sollen die erwähnten Reiseberichte von
Bougainville und Forster im Hinblick auf die darin enthaltene Darstellung der
Südsee untersucht werden. Der Fokus der Analyse liegt dabei auf den
Beschreibungen der indigenen Kultur und Lebensweise der Südsee-Insulaner
und wie die Autoren diese bewerten. Ziel ist es herauszuarbeiten, inwieweit ihre
Darstellungen der zeitgenössischen Wahrnehmung, welche in erster Linie in der
Idealisierung dieser Region und ihrer Bewohner zum Ausdruck kam,
entsprachen und zur Verbreitung des Mythos vom „Edlen Wilden“ beigetragen
haben. Das zweite Kapitel behandelt zunächst den historischen Hintergrund,
wobei sich die Ausführungen auf die Entstehung des Südsee-Mythos im 18.
Jahrhundert und das damit verbundene Bild vom „Edlen Wilden“ konzentrieren.
Im Zentrum der beiden folgenden Abschnitte stehen die Beschreibungen der
Südsee und ihrer Bewohner in den Reiseberichten von Bougainville und Forster.
Auf eine kurze Skizzierung der jeweiligen Entstehungsgeschichte des Werkes
4
Wendt, Reinhard: Die Südsee, in: Zimmerer, Jürgen (Hg.): Kein Platz an der Sonne,
Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte, S. 43.
5
Brenner: Reiseliteratur, in: Enzyklopädie der Neuzeit Online:
https://referenceworks.brillonline.com/entries/enzyklopaedie-der-neuzeit/reiseliteratur-
COM_336978?s.num=145&s.start=140. Letzter Abruf: 10.07.2023.
6
Ebd.
4
folgt eine Analyse der Darstellung der Einheimischen. Im fünften Kapitel erfolgt
daran anknüpfend ein Vergleich der beiden untersuchten Reiseberichte im
Hinblick auf die Frage, inwieweit die Autoren in ihren Beschreibungen der
Südsee-Insulaner miteinander übereinstimmen und wo sich Unterschiede
feststellen lassen. Das Fazit fasst die Ergebnisse abschließend zusammen und
ordnet diese in die Thematik der interkulturellen Begegnung im Rahmen der
europäischen Expansion und der daraus resultierenden Wahrnehmung der in den
fernen Regionen lebenden Völker ein.
In der historischen Forschung wurde die europäische Wahrnehmung der Südsee
und ihrer Bewohner bereits mehrfach untersucht, wobei der Schwerpunkt
zumeist auf der Entstehung des Südsee-Mythos im 18. Jahrhunderts liegt. In
diesem Zusammenhang sind insbesondere die Werke „Erotische Paradiese: zur
europäischen Südseerezeption im 18. Jahrhundert“ von Christiane Küchler-
Williams und „Mythos Südsee. Das Bild von der Südsee im Europa des 18.
Jahrhunderts“ von Joachim Meißner hervorzuheben. In Bezug auf die
Darstellung der Südsee in Georg Forsters Reisebericht ist das Werk „Zwischen
den Welten“ von Eberhard Berg zu nennen, wohingegen die Beschreibungen von
Louis de Bougainville in Tanja Hupfelds Studie „Zur Wahrnehmung und
Darstellung des Fremden in ausgewählten französischen Reiseberichten des 16.-
18. Jahrhunderts“ ausführlich behandelt werden.
5
Ausdruck kam.7 Als Begründer des Südsee-Mythos gilt Philibert Commerson,
der als wissenschaftlicher Begleiter an Bougainvilles Weltumsegelung teilnahm
und die Südseeinsel Tahiti in seinem Bericht als einen idyllischen Ort beschrieb,
„wo Menschen ohne Laster, Vorurteile, Not und Zwistigkeiten leben, sich von
Früchten ernähren, die ohne Arbeit gewonnen werden und von ihren Herrschern
wie von wahren Familienvätern regiert werden.“8 Die im Zusammenhang mit
der Entdeckung der Südsee veröffentlichten Reiseberichte anderer europäischer
Autoren zeichneten ein ähnliches Bild und trugen mit ihren Darstellungen
maßgeblich zur Popularisierung der Südsee bei. Die in den Berichten
enthaltenen Beschreibungen stimmten dabei in mehreren Punkten überein und
brachten neben der Bewunderung der reichen Vegetation der Inseln eine positive
Sicht auf die Einwohner sowie Faszination über die Schönheit und Freizügigkeit
der Bewohnerinnen zum Ausdruck. Die Südsee stand demnach am Ende des 18.
Jahrhunderts für grundlegende Sehnsüchte und Träume, erschien sie doch als Ort
des Glücks, der Freiheit und des Wohlstands, sowie der freien Sexualität und
ständelosen Gesellschaft.9 Diese idealisierende und verklärende Darstellung der
Südsee bildete die Grundlage für die Entstehung des Südsee-Mythos, der
mehrere Aspekte beinhaltete, die sich zu einem idealen Gesamtbild
zusammenfügten. Neben der bereits erwähnten Figur des „Edlen
Wilden“ handelte es sich dabei um eine Reihe von Bildern, die ihren Ursprung
in der griechisch-römischen Antike hatten. Dazu zählten in erster Linie die
Legende der Terra Australis und die geschichtsphilosophische Theorie vom
Goldenen Zeitalter.10 Die Vorstellung einer Terra Australis bestimmte im 18.
Jahrhundert die europäischen Fantasien vom südlichen Pazifik; sie ging zurück
auf den griechischen Gelehrten Ptolemäus, der von der Existenz eines
Südkontinents überzeugt war, der sich vom Indischen Ozean bis zum Südpol
erstreckte. Im Zuge der Entdeckungsfahrten des 16. Jahrhunderts nahm der
unbekannte Kontinent konkrete Gestalt an, wobei er durch den Mangel an
zuverlässigen Informationen über seine genaue Beschaffenheit oftmals zur
7
Küchler-Williams, Christiane: Erotische Paradiese: zur europäischen Südseerezeption im 18.
Jahrhundert, S. 9.
8
Lange, Thomas: Idyllische und exotische Sehnsucht: Formen bürgerlicher Nostalgie in der
deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts, S. 207.
9
Küchler-Williams: Erotische Paradiese, S. 81.
10
Ebd.; Hall, Anja: Paradies auf Erden? Mythenbildung als Form von Fremdwahrnehmung:
Der Südsee-Mythos in Schlüsselphasen der deutschen Literatur, S. 43.
6
Projektionsfläche von Utopien und Fantasien wurde. Die Vorstellung der
Existenz eines Südkontinents blieb bis ins 18. Jahrhundert bestehen und wurde
erst durch James Cook im Rahmen seiner dritten Weltreise endgültig widerlegt.11
Die Theorie vom Goldenen Zeitalter entstammt der antiken Mythologie und
bezeichnet das „Urbild einer menschlichen Grundsehnsucht aus den
bedrückenden Verhältnissen einer gegenwärtigen Existenz heraus in eine
weitzurückliegende Vorzeit voller Unschuld, Liebe, Harmonie und Frieden.“12
Anfang des 17. Jahrhunderts übertrug der portugiesische Seefahrer Pedro
Fernandez de Queiros die idealisierenden Elemente des Goldenen Zeitalters auf
die Legende der Terra Australis, womit er als einer der Wegbereiter des Mythos
eines friedlichen und in allen Punkten vollendeten Erdteils gilt, welcher einen
Gegenentwurf zur gewalttätigen und korrumpierten Welt des Abendlandes
darstellte. Indem er die Südsee mit Motiven vom Goldenen Zeitalter in
Verbindung brachte, ermöglichte er ihre spätere Darstellung als Ort, „an dem
noch die Freiheit des goldenen Zeitalters herrschte“13. Einen weiteren Aspekt
des Südsee-Mythos stellten die Motive des irdischen Paradieses dar, welches auf
der Vorstellung von einer unberührten Insel beruhte, die unmittelbar hinter dem
Horizont der bekannten Welt liegt und von glücklichen Naturvölkern bewohnt
wird. Die Völker der Südsee und deren vermeintlich friedliches Zusammenleben
schienen die Europäer an dieses bereits verloren geglaubte Paradies zu
erinnern.14 Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die Entstehung des
Südsee-Mythos im Wesentlichen auf das durch die europäischen Reiseberichte
vermittelte Bild der Südsee als paradiesisches Idyll zurückzuführen war, welches
über eine üppige Natur verfügte und von friedlichen und edelmütigen Menschen
bevölkert wurde. Der Mythos setzte sich aus verschiedenen Bestandteilen
zusammen, die das Motiv des „Edlen Wilden“ mit Elementen der griechisch-
römischen Antike verknüpften. Das dadurch entworfene Bild der Südsee
entsprang ausschließlich der Fantasie der Autoren und hatte keinerlei Bezug zur
Realität. Die damit verbundenen Beschreibungen gaben demnach weniger die
11
Küchler-Williams: Erotische Paradiese, S. 17 ff.
12
Börner, Klaus H.: Auf der Suche nach dem irdischen Paradies: zur Ikonographie der
geographischen Utopie, S. 29.
13
Meißner, Joachim: Mythos Südsee. Das Bild von der Südsee im Europa des 18.
Jahrhunderts, S. 30 f.
14
Küchler-Williams, S. 82.
7
tatsächlichen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse der Südsee wieder,
sondern waren vielmehr durch Kritik an den in Europa herrschenden Zuständen
geprägt15: „Ein Bild der Südsee wurde konstruiert, das essentialisierend und
idyllisierend als Gegenkonzept zu bestimmten europäischen […] Wirklichkeiten
fungierte.“16
15
Hall: Paradies auf Erden, S. 44; Wendt: Die Südsee, S. 43.
16
Wendt, S. 43.
17
Küchler-Williams, S. 89 f.; Hall, S. 46.
18
Börner: Auf der Suche, S. 33.
19
May, Yomb: Wilde: Der edle Wilde, in: Brednich, Rolf Wilhelm (Hg.): Enzyklopädie des
Märchens Online.
8
üppigen Paradieslandschaft leben“20, hatte einen maßgeblichen Einfluss auf die
weitere Entwicklung der Figur des „Edlen Wilden“, welche in den folgenden
Jahrhunderten neben den europäischen Reiseberichten insbesondere durch die
philosophischen Abhandlungen im Rahmen der französischen Aufklärung
popularisiert wurde. Ihr damit verbundener Aufstieg zu einem bedeutenden
Topos der europäischen Philosophie, Literatur und Ethnographie ist in erster
Linie auf Michel de Montaignes Essay „Des Cannibales“ aus dem Jahr 1580
zurückzuführen, worin dieser am Beispiel der brasilianischen Ureinwohner den
Naturzustand des Menschen idealisierte. Im Zentrum des Textes stand dabei die
Kritik an der in seinen Augen verachtungswürdigen europäischen Gesellschaft.
Da er in seinen Ausführungen die Tugenden, das Glück, das naturnahe Leben
und die Sorglosigkeit der Brasilianer betonte, wird seine Darstellung des Wilden
häufig als erster Schritt zur Exotisierung und Stereotypisierung der
außereuropäischen Völker im Rahmen der europäischen Expansion gesehen.21
Für die damit einhergehende Idealisierung dieser Völker war insbesondere Jean
Jacques Rousseaus Werk „Discours sur l’inégalité“ von entscheidender
Bedeutung. An die Überlegungen von Montaigne anknüpfend stellte er darin die
These auf, dass der Mensch von Natur aus gut und in seinem ursprünglichen
Naturzustand daher zufrieden und glücklich sei. Vor diesem Hintergrund
profilierte sich das Bild vom „Edlen Wilden“ im 18. Jahrhundert als
Projektionsfläche europäischer Sehnsüchte sowie als Instrument der
Zivilisationskritik: „Durch die Betonung der moralischen Vorzüge des [Edlen
Wilden] wurde den Europäern ein Spiegel vorgehalten, in dem sie sich selbst als
politisch, kulturell und moralisch korrumpiert erkennen sollten.“22 Im Zuge der
Entdeckungsfahrten des 18. Jahrhunderts wurde das Motiv des „Edlen
Wilden“ auf andere Völker übertragen, wobei durch die Reiseberichte von
Bougainville und Cook die Südsee-Insulaner in den Fokus gerieten. Die
einseitige Rezeption der in den Berichten enthaltenen Beschreibungen der
Südsee durch das europäische Lesepublikum, welches darin eine Bestätigung für
Rousseaus Thesen sah, führte zu einer Wiederbelebung und Neuakzentuierung
des Motivs im späten 18. Jahrhundert, was in der Folge insbesondere anhand der
20
Küchler-Williams, S. 91.
21
Ebd.; Hall, S. 48; May: Wilde.
22
May: Wilde.
9
Darstellungen der Südsee-Insulaner in den europäischen Reiseberichten zum
Ausdruck kam.23
23
Hall, S. 50.
24
Hupfeld, Tanja: Zur Wahrnehmung und Darstellung des Fremden in ausgewählten
französischen Reiseberichten des 16.-18. Jahrhunderts, S. 321; Hall: Paradies auf Erden, S. 74.;
Hanke-El Ghomri, Gudrun: Tahiti in der Reiseberichterstattung und in den literarischen
Utopien Frankreichs gegen Ende des 18. Jahrhunderts, S. 31.
10
überseeischen Besitzungen, wozu neben Kanada Louisiana, Senegal und Guinea
gehörten, an England abtreten musste und darüber hinaus Florida an Spanien
verlor, verstärkte seinen Wunsch, Macht und Prestige der französischen Krone
zu erneuern. Nach seiner Rückkehr nach Frankreich wechselte er in der
Überzeugung, einen eigenen Beitrag leisten zu müssen, um den französischen
Machtverlust auszugleichen, zur Marine.25 Die Weltumsegelung nahm am 15.
November 1766 mit dem Auslaufen der La Boudeuse aus dem Hafen von Nantes
ihren Anfang. Bougainville und seine Mannschaft gelangten durch die
Magellan-Straße in den Pazifik und nahmen Kurs auf Polynesien. Im Anschluss
an einen mehrtägigen Aufenthalt auf der Hauptinsel Tahiti durchquerten sie die
melanesische Inselwelt, passierten die westafrikanische Küste und gelangten
durch die Sunda-Straße und über das Kap der Guten Hoffnung nach zwei Jahren
und vier Monaten am 16. März 1769 nach Frankreich zurück.26
Bougainvilles Reisebericht besteht aus zwei Teilen, die jeweils neun Kapitel
umfassen. Der erste Teil beschreibt die Reise ab Frankreich bis zur erfolgreichen
Durchfahrt der Magellan-Straße, während der zweite Teil den weiteren Verlauf
der Expedition vom Eintritt in den Pazifik über die Durchquerung der Südsee bis
zur Rückkehr nach Frankreich wiedergibt. Im Zentrum des Werkes stehen die
beiden Kapitel, welche die Beschreibungen Tahitis enthalten. Das erste Kapitel
schildert in chronischer Reihenfolge den Aufenthalt von Bougainville und seiner
Mannschaft auf der Insel, während das zweite thematisch geordnet ist und den
Lesern möglichst konkrete und umfassende Informationen über Tahiti und seine
Bewohner liefern soll. Darüber hinaus verarbeitete Bougainville in diesem
Abschnitt neue Erkenntnisse, die aus Gesprächen mit dem Einheimischen
Aotourou resultierten, der ihn nach Frankreich begleitete und ihm Auskunft über
das Zusammenleben der Menschen auf der Insel gab. Diese Aufteilung der
beiden zentralen Kapitel des Reiseberichts führt dazu, dass diese in einem
starken Gegensatz zueinander stehen. So wird durch die Ausführungen des
ersten Kapitels zunächst ein idealisiertes Bild Tahitis und seiner Bewohner
gezeichnet, wohingegen sich der darauffolgende Abschnitt durch das Bemühen
25
Bougainville, Louis-Antoine de: Reise um die Welt: Über Südamerika und durch den Pazifik
zurück nach Frankreich 1766-1769, in: Hoffmann, Lars Martin (Hg.): Edition Erdmann, S. 14 f.;
Hupfeld: Wahrnehmung, S. 327.
26
Hall, S. 75; Hanke-El Ghomri: Tahiti in der Reiseberichterstattung, S. 31.
11
des Verfassers auszeichnet, die Beschaffenheit der indigenen Gesellschaft
detailliert und objektiv wiederzugeben. Der Grund für diese Unterschiede in der
Berichterstattung ist darin zu sehen, dass die Informationen, die Bougainville
von Aotourou erhalten hatte, nicht mit seinen eigenen Beschreibungen in
Einklang zu bringen sind, da sie einige negative Aspekte beinhalten und die
zuvor erfolgte Darstellung in mehreren Punkten widerlegen und somit
relativieren. Dies führte ihn zu der Erkenntnis, dass seine Darstellung der Insel
und ihrer Bewohner, die im Wesentlichen auf seinen unmittelbaren Eindrücken
basierte, nicht der Realität entsprach und er einige Korrekturen daran vornehmen
musste, um eine wahrheitsgemäße Beurteilung zu gewährleisten. Ob er die sich
widersprechenden Passagen absichtlich stehen ließ, lässt sich nicht
rekonstruieren, seine Vorgehensweise begünstigte jedoch die positive Rezeption
der Schilderung Tahitis in Europa und somit auch den Erfolg des Reiseberichts.27
Das idealisierte Bild der Südsee, das Bougainville im ersten Kapitel über den
Tahiti-Aufenthalt entwirft, kommt zunächst in der Beschreibung der
landschaftlichen Schönheit zum Ausdruck, von der er regelrecht begeistert ist.
Die Insel beeindruckt ihn dabei besonders durch den Kontrast ihrer hohen,
bewaldeten Berge und ihrer fruchtbaren Ebenen. Die unter Obstbäumen
errichteten Hütten der Eingeborenen fügen sich perfekt in die umgebende
Pflanzenwelt ein und vervollständigen das landschaftlich eindrucksvolle Bild,
welches bei Bougainville den Eindruck eines friedlichen und harmonischen
Zusammenlebens von Mensch und Natur hinterlässt28:
„Es schien mir der Garten Eden zu sein. Man sah die schönsten Wiesen mit den
herrlichsten Fruchtbäumen bestanden und von kleinen Flüssen durchschnitten,
die überall eine köstliche Frische verbreiteten, ohne die Unannehmlichkeiten,
die die Feuchtigkeit sonst mit sich bringt. Ein recht großes Volk genießt hier die
Schätze, die ihm die Natur in so reichem Maße gewährt. […] Allenthalben
herrschten Gastfreiheit, Ruhe, sanfte Freude, und allem Anschein nach waren
die Einwohner sehr glücklich.“29
27
Hall, S. 75; Hupfeld, S. 343.
28
Hupfeld, S. 343 f.
29
Bougainville: Reise um die Welt, S. 226.
12
Inselbewohner hebt Bougainville immer wieder deren körperliche Schönheit
hervor. So beschreibt er beispielsweise die Frauen, die er bei seiner Ankunft auf
der Insel erblickt, mit folgenden Worten: „In den Booten fanden sich viele
Frauen, die den Europäerinnen mit Blick auf ihren schönen Wuchs den Vorzug
streitig machen konnten und die auch sonst nicht hässlich waren.“30 An anderer
Stelle heißt es: „Sie haben feine Züge, ihre größte Schönheit besteht aber in
einem wohl gebildeten Körper […].“31 Die Insulaner lassen sich Bougainville
zufolge in zwei verschiedene ethische Gruppierungen einteilen. Die
Angehörigen der ersten, zahlenmäßig größeren Ethnie sind hochgewachsen und
zeichnen sich durch ihre körperliche Wohlgeformtheit aus, die sie in seinen
Augen als Ebenbilder griechischer Götter erscheinen lasse. Ihre Gesichtszüge
unterscheiden sich kaum von denen der Europäer und ihre Hautfarbe wäre ohne
die permanente Sonneneinstrahlung ebenso hell. Die Menschen der zweiten
„Rasse“ sind von mittlerer Größe und ihr Aussehen ähnele dem der „Mulatten“.
Die Tatsache, dass sie weniger schön sind als die Mitglieder der anderen Ethnie,
kann den positiven Gesamteindruck nicht schmälern, da sie eine vergleichsweise
kleine Gruppe darstellen.32
Im Anschluss an die Beschreibung des Aussehens der Einheimischen geht
Bougainville auf ihre Lebensweise ein. Hierbei äußert er sich bewundernd über
ihren guten Gesundheitszustand, das hohe Alter, welches sie mühelos erreichen
können sowie die Schärfe ihrer Sinne und die außergewöhnliche Schönheit ihrer
Zähne. Die gute gesundheitliche Verfassung der Insulaner sieht er dabei in ihrer
gesunden Ernährung sowie in dem angenehmen Klima der Insel begründet33:
„Das Klima ist so gesund, daß keiner von unseren Leuten krank ward. […] Der
beste Beweis für die gesunde Luft und die ordentliche Lebensart der Einwohner
ist ihre Gesundheit und Stärke.“34 In Bezug auf ihre Charaktereigenschaften
beschreibt Bougainville die Einheimischen als friedfertige und sanfte
Zeitgenossen, deren einzige Schwäche ihr Hang zum Diebstahl zu sein scheint.
So ist bereits die erste Begegnung von Gastfreundschaft geprägt, was vor allem
darin zum Ausdruck kommt, dass sie den Franzosen einen herzlichen Empfang
30
Ebd., S. 218.
31
Ebd., S. 241.
32
Hupfeld, S. 347.
33
Ebd., S. 348; Hall, S. 82.
34
Bougainville, S. 239.
13
bereiten und auf verschiedene Weise ihre Sympathie zu erkennen geben, indem
sie ihnen beispielsweise mehrere Geschenke überreichen. Insgesamt gelangt
Bougainville zunächst zu einem sehr positiven Urteil über die charakterlichen
Merkmale der Insulaner:
„Der Charakter der Einwohner von Tahiti schien uns sanft und guttätig zu sein.
Wir haben auf der Insel nichts von inneren Kriegen, von einem Haß
untereinander bemerkt […]. Es muß eine allgemeine Ehrlichkeit und gar kein
Mißtrauen unter ihnen herrschen.“35
Nach seinen Gesprächen mit Aotourou muss er jedoch feststellen, dass sein
erster Eindruck falsch war, weswegen er das positive Bild in mehreren Punkten
relativiert. Insbesondere im Hinblick auf die vermutete Friedfertigkeit der
Einheimischen räumt er ein, sich getäuscht zu haben. So erfuhr er von Aotourou,
dass sie sehr häufig in Kämpfe mit den Bewohnern der benachbarten Inseln
verwickelt sind und diese Kriege auf grausame Art und Weise führen.36 Den
Müßiggang der Insulaner bewertet er nun ebenfalls deutlich negativer und
beschreibt ihn als mangelnde Bereitschaft zu geistiger Konzentration:
„Alles rührt sie außerordentlich, aber nichts hält sie beständig bei einer Sache.
Wenn wir ihnen auch etwas Neues zeigten, so konnten wir ihre Aufmerksamkeit
nie zwei Minuten lang darauf lenken. Das geringste Nachdenken scheint ihnen
eine unerträgliche Arbeit zu sein: Sie scheuen sich noch mehr, den Geist
anzustrengen als den Körper.“37
Des Weiteren muss er in Bezug auf die von ihm idealisierte indigene
Gesellschaftsordnung feststellen, dass die Insulaner nicht uneingeschränkt
glücklich miteinander leben, sondern dass es stark voneinander abgegrenzte
soziale Klassen gibt und Sklaverei weit verbreitet ist.38 Besonders fasziniert
äußert sich Bougainville in seinem Bericht über die auf Tahiti herrschende
sexuelle Freizügigkeit, die vor allem darin bestehe, dass die Einheimischen den
Franzosen als Ausdruck ihrer Gastfreundschaft ihre jungen Frauen als
„Liebesdienerinnen“ anboten. Der Liebesakt wird darüber hinaus grundsätzlich
öffentlich vollzogen und von den neugierigen Zuschauern als eine Art
Freudenfest begangen. Trotz der Tatsache, dass die Insulanerinnen von den
35
Ebd., S. 242.
36
Hupfeld, S. 351 f.; Hall, S. 80.
37
Bougainville, S. 245 f.
38
Hupfeld, S. 352 ff.
14
Männern scheinbar zu ihren Diensten gezwungen werden, überwiegt in seiner
Darstellung die Verklärung und Überhöhung, wie das folgende Zitat
verdeutlicht:
„Aller Vorsicht ungeachtet kam ein junges Mädchen auf das hintere Verdeck
und stellte sich an eine der Luken über dem Gangspill. […] Sie ließ ungeniert
ihre Bedeckung fallen und stand vor den Augen aller da wie Venus, als sie sich
dem phrygischen Hirten zeigte. Sie hatte einen göttlichen Körper.“39
Insgesamt lässt sich festhalten, dass sich Bougainvilles Reisebericht durch eine
sehr nuancierte Beschreibung der Eingeborenengesellschaft auszeichnet.
Entwirft der Verfasser zunächst ein idealisiertes Bild der Insel und ihrer
Bewohner, bemüht er sich im weiteren Verlauf seiner Ausführungen um eine
objektive und sachliche Darstellung und äußert sich an mehreren Stellen kritisch
über verschiedene Aspekte ihrer Lebensweise. Ein wesentliches Merkmal seiner
Berichterstattung sind die zahlreichen Bezüge zur griechisch-römischen Antike,
welche auf die humanistisch ausgerichteten Interessen Bougainvilles
zurückzuführen sind. So bezeichnet er unter anderem die Frauen als
„Nymphen“ und vergleicht sie mit der Liebesgöttin Venus. Angesichts der
landschaftlichen Schönheit Tahitis und des harmonischen Zusammenlebens im
Einklang mit der Natur fühlt er sich in den „Garten Eden“ versetzt und an die
„Freiheit des Goldenen Zeitalters“ erinnert.40 Hupfeld kommt in ihrer Analyse
des Reiseberichts zu dem Schluss, dass Bougainvilles Urteil über die indigene
Bevölkerung sehr differenziert ausfalle, da es sowohl positive als auch negative
Aspekte beinhalte. Er gelange insgesamt zu einer realistischen Darstellung,
indem er seiner Schilderung der Insel als Paradies, das von glücklichen und in
Unschuld lebenden Menschen bewohnt wird, eine deutlich kritischere
Einschätzung der Insulaner und ihrer Lebensweise gegenüberstelle. Garber
meint hingegen, dass die realistische Erfassung der Eingeborenengesellschaft
nur eine untergeordnete Rolle spiele, da sie von der verherrlichenden
Beschreibung der Südsee und ihrer Bewohner überlagert werde.41
39
Bougainville, S. 219 f.
40
Hanke-El Ghomri, S. 38 ff.; Hall, S. 77.
41
Hupfeld, S. 359 f.; Garber, Jörn: Reise nach Arkadien Bougainville und Georg Forster auf
Tahiti, in: Georg-Forster-Studien 1, S. 44.
15
4. Die Südsee im Reisebericht von Georg Forster
42
Hall, S. 91; Engelbrecht, Jörg, Georg Forster, in: Internetportal Rheinische Geschichte:
https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/georg-forster/DE-
2086/lido/5cbefbaf545b21.91761743.
16
Professor für Naturgeschichte in Kassel und anschließend in Wilna. Durch seine
zahlreichen Kontakte zu deutschen Intellektuellen geriet er unter den Einfluss
aufklärerischer Ideen, die ihn 1793 als Abgeordneten der Mainzer Republik nach
Paris führte, wo er sich um den Anschluss an Frankreich bemühte. In der
folgenden Zeit warb er bis zu seinem Tod 1794 in verschiedenen Funktionen für
die Ideen der Französischen Revolution. Dieses Engagement führte dazu, dass
er als Vaterlandsverräter diffamiert wurde, wodurch ihm ungeachtet seiner
wissenschaftlichen Reputation eine dauerhafte Anerkennung verwehrt blieb und
er in Vergessenheit geriet.43
Forsters Reisebericht umfasst 26 Kapitel, denen eine Einleitung und eine
Vorrede vorangestellt werden. Die Berichterstattung erfolgt in chronologischer
Reihenfolge, beginnt dementsprechend mit der Abreise aus England und endet
mit der Rückkehr. Den weitaus größten Raum nimmt dabei die Schilderung des
Aufenthalts auf den polynesischen Inseln ein. Die Ausführungen werden immer
wieder von Reflexionen unterbrochen, in denen Forster seine Beobachtungen
und Erkenntnisse in einen größeren Zusammenhang zu bringen versucht. Seinen
Überlegungen liegt dabei die Annahme einer grundsätzlichen Gleichwertigkeit
aller Kulturen zugrunde, die darin zum Ausdruck kommt, dass er sich um eine
vorurteilsfreie und unvoreingenommene Darstellung bemüht, die sich
insbesondere durch den Verzicht auf die Vermittlung einer eurozentrischen bzw.
zivilisatorischen Überlegenheit auszeichnet.44 Seine Beschreibungen der Südsee
und ihrer Bevölkerung basieren zum Teil auf seinem Kontakt mit Maheine,
einem Südsee-Insulaner, der die Expedition zeitweise begleitet. Indem Forster
ihn an mehreren Stellen des Reiseberichts zu Wort kommen lässt und seine
Reaktionen auf bestimmte Ereignisse während der Reise schildert, untermauert
er seine eigenen Empfindungen und Überzeugungen und führt seinen Lesern
darüber hinaus die Schattenseiten des zivilisatorischen Fortschritts vor Augen.
Der Dialog mit Maheine erfüllt demnach die Funktion, eurozentrische
Überlegenheitsgefühle bei den Lesern einzuschränken und die von Forster
postulierte grundsätzliche Gleichwertigkeit aller Kulturen zu bekräftigen.45
43
Engelbrecht: Georg Forster; Gomsu, Joseph: Georg Forsters Wahrnehmung Neuer Welten,
in: Zeitschrift für Germanistik Neue Folge, Vol. 8, No. 3, S. 538; Hall, S. 108.
44
Hall, S. 92.
45
Ebd., S. 101 ff.
17
Ein weiteres Merkmal der Reise um die Welt besteht darin, dass Forster sich in
erster Linie an eine breite bürgerliche Öffentlichkeit wendet, welche bereits die
Reiseberichte der Entdecker begeistert aufgenommen hatte, und weniger an ein
gelehrtes Fachpublikum. Dies begünstigte den Erfolg seines Werkes und die
damit verbundene breite Rezeption.46
In seiner Darstellung der Südsee und ihrer Bewohner äußert Forster sich
zunächst auf ähnliche Weise wie Bougainville über die Schönheit Tahitis, welche
er bei seiner Ankunft mit folgenden poetischen Worten beschreibt, die
Assoziationen an einen utopischen Paradiesort hervorrufen:
„Ein Morgen war’s, schöner hat ihn schwerlich je ein Dichter beschrieben, an
welchem wir die Insel O-Tahiti, 2 Meilen vor uns sahen. Der Ostwind, unser
bisheriger Begleiter hatte sich gelegt; ein vom Lande wehendes Lüftchen führte
uns die erfrischendsten und herrlichsten Wohlgerüche entgegen und kräuselte
die Fläche der See. Waldgekrönte Berge erhoben ihre stolzen Gipfel in
mancherley majestätischen Gestalten und glühten bereits im ersten
Morgenstrahl der Sonne. […]“47
„Die Leute, welche uns umgaben, hatten so viel Sanftes in ihren Zügen, als
Gefälliges in ihrem Betragen. Sie waren ohngefähr von unsrer Größe, blaß
mahogany-braun, hatten schöne schwarze Augen und Haare, und trugen ein
Stück Zeug von ihrer eignen Arbeit von unten um den Leib. […]“49
46
Ebd., S. 107.
47
Forster, Georg: Reise um die Welt, hg. von Gerhard Steiner, S. 241.
48
Hall, S. 95 f.
49
Berg, Eberhard: Zwischen den Welten, Anthropologie der Aufklärung und das Werk Georg
Forsters, S. 89.
18
In Bezug auf die Persönlichkeitsmerkmale der Insulaner hebt er vor allem ihren
guten Charakter hervor und nennt in diesem Zusammenhang ihre
Gastfreundschaft und Friedfertigkeit als wesentliche Eigenschaften.
Darüber hinaus zeichnen sie sich durch ihre Sanftmut und die Hilfsbereitschaft
aus, die sie den Europäern entgegenbringen. In Bezug auf die Lebensweise der
Insulaner äußert sich Forster zunächst positiv über die natürliche Umgebung, in
der sie leben. Diese zeichne sich vor allem durch eine reiche Vegetation und ein
angenehmes Klima aus. Die damit einhergehenden günstigen Lebensumstände
der Einheimischen führen dazu, dass sie durchgehend wohlgebildet, voller
Gesundheit und Lebenskraft seien. Ihr Zusammenleben sei dabei von Harmonie
geprägt, was sich vor allem darin zeige, dass ihr Umgang miteinander frei von
Neid und Missgunst sei. Die Tatsache, dass sie in verschiedenen sozialen
Klassen leben, kann den positiven Gesamteindruck dabei nicht schmälern.
Insgesamt zeigt sich Forster sehr angetan von der Lebensweise der
Einheimischen: „Der ruhige vergnügte Zustand dieser guten Leute, ihre einfache
Lebensart, die Schönheit der Landschaft, das vortrefliche Clima, die Menge
gesunder wohlschmeckender Früchte – alles war bezaubernd und erfüllte uns mit
theilnehmender Freude.“50 Anhand von Forsters Darstellung der Südsee und
ihrer Bewohner wird deutlich, dass das Bild vom Edlen Wilden, welches
insbesondere durch Bougainvilles Reisebericht wiederbelebt und auf die Südsee
übertragen wurde, für ihn keine Relevanz im Zusammenhang mit der
Beschreibung der fremden Völker besitzt. Er erweist sich vielmehr als
weitgehend vorurteilsfreier und genauer Beobachter, da er einerseits seine
Sympathie für die Insulaner zum Ausdruck bringt, andererseits jedoch an
mehreren Stellen Kritik an ihrer Kultur übt und einige negative Aspekte betont.
Erinnert seine Darstellung der Einheimischen und ihrer Lebensweise durchaus
an die Figur des Edlen Wilden, zerstört er dieses von ihm evozierte Bild kurz
darauf, indem er seine Abscheu über einen fettleibigen Insulaner, der sich von
seinen Bediensteten füttern lässt, zum Ausdruck bringt51: „[…] man sahe
offenbar, daß er für nichts als den Bauch sorge, und überhaupt war er ein
vollkommnes Bild pflegmatischer Fühllosigkeit.“52
50
Forster: Reise um die Welt, S. 562.
51
Hall, S. 104.
52
Forster, S. 275.
19
Im Gegensatz zu Bougainville liegt es Forster fern, Tahiti als erotisches Paradies
darzustellen. Er äußert sich vielmehr kritisch über die Prostitution der Frauen,
wobei er eine Mitschuld bei den Europäern sieht, die mit ihren Waren ungeahnte
Bedürfnisse in der Bevölkerung wecken würden.53 Trotz der kritischen
Bemerkungen über verschiedene Aspekte der indigenen Lebensweise fällt
Forsters Gesamturteil über Tahiti und seine Bewohner positiv aus: „Nach allem,
was wir auf dieser Insel gesehen und erfahren, dünkte sie uns, im Ganzen
genommen, einer der glücklichsten Winkel der Erde.“54
Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass Forster in seinem Reisebericht
ein sehr differenziertes Bild der Südsee und ihrer Bewohner entwirft. Die
Qualität des Reiseberichts ist Hall zufolge in erster Linie auf die Art und Weise,
wie Forster seine Erlebnisse schildere, zurückzuführen. Dies zeige sich bereits
im Aufbau des Werkes: Sachliche Beschreibungen würden neben den
allgemeinen Reflexionen durch episch-dramatische Erzählformen ergänzt.
Dabei beschränke sich Forster nicht auf die bloße Aufzählung von exotischen
Kuriositäten, die in der damaligen Reiseberichterstattung weit verbreitet war.
Vielmehr komme in seinen Ausführungen eine philosophische Sichtweise zum
Vorschein, die unter anderem das Phänomen des Reisens und die
zivilisatorischen Veränderungen des bevorstehenden Kolonialismus
reflektiere.55 Darüber hinaus zeichnet sich sein Reisebericht dadurch aus, dass
Forster sich ausführlich mit den negativen Folgen des Kulturkontakts
auseinandersetzt. So sei der Umgang der Europäer mit den Einheimischen
teilweise von einem Gefühl der Überlegenheit geprägt, welches sich in
respektlosem Verhalten und wiederholten gewalttätigen Übergriffen
niederschlägt und zu Konflikten mit den Insulanern führt.56 Angesichts dieser
Zustände äußert er die Befürchtung, dass sich der Einfluss der Europäer auf
lange Sicht negativ auf die indigene Kultur auswirkt und spricht sich in diesem
Zusammenhang für einen zeitnahen Abbruch der Kontakte mit den
Südseevölkern aus:
„Es ist wirklich im Ernste zu wünschen, dass der Umgang der Europäer mit den
Einwohnern der Süd-See-Inseln in Zeiten abgebrochen werden möge, ehe die
53
Hall, S. 105.
54
Forster, S. 288.
55
Hall, S. 107.
56
Ebd., S. 106.
20
verderbten Sitten der civilisirten Völker diese unschuldigen Leute anstecken
können, die hier in ihrer Unwissenheit und Einfalt so glücklich leben.“57
57
Forster, S. 281.
58
Garber: Reise nach Arkadien, S. 34; Hall, S. 109 f.
21
Bougainville Motive der europäischen Kulturgeschichte auf die Südsee
überträgt, erscheint das vermeintlich sorgenfreie und harmonische
Zusammenleben der Insulaner als erstrebenswerter Zustand.59
Forster setzt sich in seinem Reisebericht deutlich kritischer mit den
Verhältnissen in der Südsee auseinander. Die Freizügigkeit der Frauen
gegenüber den Besuchern verurteilt er beispielsweise als Prostitution und sieht
in diesem Zusammenhang eine Mitschuld bei den Europäern, die durch ihre
Anwesenheit die Sitten der Einheimischen korrumpieren würden. Obwohl es
ihm in seinen Ausführungen ebenso wenig gelingt, sich von einer verklärenden
Sichtweise zu befreien, überwiegt bei ihm das Bemühen um eine sachliche und
vorurteilsfreie Auseinandersetzung mit der fremden Kultur. Im Gegensatz zu
Bougainville enthält er sich dabei eurozentrischer Urteile und vergleicht
selbstreflexiv und relativierend die Sitten der Südseevölker mit denen der
Europäer, wobei die Insulaner zum Teil besser abschneiden. Steht im
Reisebericht des Franzosen die Ästhetisierung der Südsee und ihrer Bevölkerung
im Mittelpunkt, bezieht diese sich bei Forster ausschließlich auf die
Beschreibung der Landschaft. Die fremden Völker beurteilt er hingegen nicht
nach derartigen Maßstäben, sondern setzt sich intensiv mit ihren
Lebensumständen und Gesellschaftsstrukturen auseinander, wobei seine
Ausführungen trotz einiger kritischer Äußerungen größtenteils von Verständnis
für ihre Kultur geprägt sind. Zudem geht seine Reisebeschreibung dahingehend
über Bougainvilles Bericht hinaus, dass er seine Wahrnehmung thematisiert und
überprüft. In diesem Zusammenhang fragt er nach dem richtigen Maßstab zur
Beurteilung der Entdeckungen und reflektiert die Grenzen einer objektiven
Bewertung fremder Kulturen. Darüber hinaus beschäftigt er sich wesentlich
ausführlicher mit den negativen Folgen der Entdeckungen und hinterfragt unter
anderem deren Berechtigung. Bougainville ist sich der Tragweite des
Kulturkontakts zwar durchaus bewusst und beweist eine gewisse Einsicht in die
daraus resultierenden Auswirkungen, sein Text enthält insgesamt jedoch
deutlich weniger Äußerungen zu dieser Thematik.60
Eine Gemeinsamkeit der Reiseberichte besteht darin, dass beide Autoren auf die
literarische Tradition des Dialogs mit dem Fremden zurückgreifen, indem sie
59
Hall, S. 110 f.
60
Ebd.
22
ihre eigenen Beurteilungen auf einen Südsee-Insulaner projizieren, um die
negativen Aspekte der indigenen Kultur hervorzuheben. So nimmt in Forsters
Berichterstattung der Austausch mit Maheine, der sich durch Neugier und
Anteilnahme für die anderen Südseevölker auszeichnet, einen besonderen
Stellenwert ein, da er ihm die Möglichkeit gibt, seine Schilderungen kritisch zu
hinterfragen. Bougainville sieht sich durch seine Gespräche mit Aotourou
ebenfalls dazu veranlasst, seine Sichtweise zu überdenken und einige
Korrekturen an seiner Darstellung vorzunehmen.61
61
Ebd., S. 111.
62
Ebd., S. 109.
23
Anspielungen auf die griechisch-römische Antike, durch welche das
harmonische Zusammenleben der Einheimischen im Einklang mit der Natur
hervorgehoben werden soll. Auf diese Weise übt Bougainville Kritik an den
vermeintlich zivilisierten Europäern. Mit seiner idealisierenden Darstellung der
Südsee und ihrer Bewohner trug er wesentlich zur Verbreitung des Südsee-
Mythos bei. Seine Theorie, dass es sich bei den Insulanern um „edle
Wilde“ handelte, hatte zudem einen maßgeblichen Einfluss auf die Werke
anderer Reiseautoren des 18. Jahrhunderts. Georg Forster beschreibt Tahiti in
seinem Reisebericht ebenfalls als idyllischen Sehnsuchtsort, dessen Bewohner
im Einklang mit der Natur ein glückliches Leben zu führen scheinen. Insgesamt
entwirft er jedoch ein sehr differenziertes Bild der indigenen Gesellschaft und
betont die Gleichwertigkeit aller Kulturen, womit er sich bewusst von der damals
gängigen Klassifizierung der Menschheit nach verschiedenen
„Rassen“ distanziert. Sein Bericht über die Südsee erfreute sich großer
Beliebtheit in Europa, was insbesondere darauf zurückzuführen war, dass Forster
den Einheimischen mit Einfühlung, Sympathie und weitgehend ohne Vorurteile
begegnete und sich davor hütete, sie als „edle Wilde“ zu idealisieren.63
Ein wesentliches Merkmal der beiden Reiseberichte besteht darin, dass die
Idealisierung der Südsee und ihrer Bewohner in eine durchaus detailgetreue und
objektive Berichterstattung eingebunden ist und sowohl Bougainville als auch
Forster mehrfach Kritik an einigen Aspekten der indigenen Kultur üben.
Darüber hinaus sind sich beide Autoren der Tragweite des europäischen
Einbruchs in eine der letzten unberührten Regionen der Erde bewusst; besonders
Forster setzt sich intensiv mit den langfristigen Folgen dieses Kulturkontakts für
die indigene Bevölkerung auseinander und stellt in diesem Zusammenhang
immer wieder die Frage nach der eigenen Verantwortung.64
Insgesamt lässt sich festhalten, dass Bougainvilles Darstellung der Südsee und
ihrer Bewohner aufgrund der zahlreichen idealisierenden und verklärenden
Beschreibungen weitestgehend der zeitgenössischen Wahrnehmung entsprach,
63
Daum, Andreas W.: German Naturalists in the Pacific around 1800: Entanglement, Autonomy
and a Transnational Culture of Expertise, in: Berghoff, Hartmut (Hg.): Explorations and
entanglements: Germans in Pacific Worlds from the early modern period to World War I, S. 84
ff.
64
Bitterli, Urs: Die „Wilden“ und die „Zivilisierten“. Grundzüge einer Geistes- und
Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung, S. 388.
24
wohingegen Forster mit seiner von Empathie geprägten Herangehensweise den
Weg für eine neue Art der Reisebeschreibung ebnete. Obwohl weder
Bougainville noch Forster den Mythos vom Edlen Wilden begründet haben,
trugen sie mit ihren Beschreibungen der Südsee-Insulaner wesentlich zu seiner
Verbreitung bei.
25
7. Literaturverzeichnis
Berg, Eberhard: Zwischen den Welten, Anthropologie der Aufklärung und das Werk Georg
Forsters, Berlin 1982.
Bitterli, Urs: Die „Wilden“ und die „Zivilisierten“. Grundzüge einer Geistes- und
Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung, München 1991.
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zurück nach Frankreich 1766-1769, in: Hoffmann, Lars Martin (Hg.): Edition Erdmann.
Wiesbaden 2013.
Börner, Klaus H.: Auf der Suche nach dem irdischen Paradies: zur Ikonographie der
geographischen Utopie. Frankfurt a. M. 1984.
Brenner, Peter J.: Reisen, in: Thoma, Heinz (Hg.): Handbuch Europäische Aufklärung.
Begriffe, Konzepte, Wirkung. Stuttgart 2015, S. 429-438.
Daum, Andreas W.: German Naturalists in the Pacific around 1800: Entanglement, Autonomy
and a Transnational Culture of Expertise, in: Berghoff, Hartmut (Hg.): Explorations and
entanglements: Germans in Pacific Worlds from the early modern period to World War I, New
York 2019, S. 79-102.
Forster, Georg: Reise um die Welt, hg. von Gerhard Steiner, Frankfurt a. M. 1967.
Garber, Jörn: Reise nach Arkadien Bougainville und Georg Forster auf Tahiti, in: Georg-
Forster-Studien 1, Kassel 1997, S. 19-50.
Gomsu, Joseph: Georg Forsters Wahrnehmung Neuer Welten, in: Zeitschrift für Germanistik
Neue Folge, Vol. 8, No. 3, Bern 1998, S. 538-550.
Gründer, Horst: Die Globalisierung Europas, in: Walter Demel/Hans-Ulrich Thamer (Hg.):
WBG Welt-Geschichte. Band III: Von 1700 bis heute, Darmstadt 2018, S. 349-413.
Hall, Anja: Paradies auf Erden? Mythenbildung als Form von Fremdwahrnehmung: Der
Südsee-Mythos in Schlüsselphasen der deutschen Literatur. Würzburg 2008.
Hanke-El Ghomri, Gudrun: Tahiti in der Reiseberichterstattung und in den literarischen Utopien
Frankreichs gegen Ende des 18. Jahrhunderts. München 1991.
26
Hupfeld, Tanja: Zur Wahrnehmung und Darstellung des Fremden in ausgewählten
französischen Reiseberichten des 16.-18. Jahrhunderts, Göttingen 2007.
Lange, Thomas: Idyllische und exotische Sehnsucht: Formen bürgerlicher Nostalgie in der
deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts. Frankfurt a. M. 1976.
May, Yomb: Wilde: Der edle Wilde, in: Brednich, Rolf Wilhelm (Hg.): Enzyklopädie des
Märchens Online. Berlin 2016.
Meißner, Joachim: Mythos Südsee. Das Bild von der Südsee im Europa des 18. Jahrhunderts,
Hildesheim 2006.
Wendt, Reinhard: Die Südsee, in: Zimmerer, Jürgen (Hg.): Kein Platz an der Sonne.
Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte, Bonn 2013, S. 41-55.
27