Sie sind auf Seite 1von 12

Lessing Yearbook/ Jahrbuch XLI, 2or4

Lessing Yearbook/ Jahrbuch


Founded by Gottfried F. Merkel and Guy Stern
at the University of Cincinnati in r 966
John A McCarty, senior editor XLI
Vanderbilt University

Monika Fick, managing editor 2014


RWTH Aachen University
Carl Niekerk, managing editor
University ofll!inois, Urbana-Champaign
Monika Nenon, assistant and book review editor
1he University ofMemphis Lessings Hamburgische Dramaturgie
EDITORIAL ßOARD
im Kontext des europäischen Theaters
Wolfgang Albrecht, Klassik-Stiftung Weimar im 18. Jahrhundert
Barbara Becker-Cantarino, Ohio State University
Wolfgang F. Bender, Universität Münster - Emeritus
Helmut Berthold, Lessing-Akademie, Wolfenbüttel
Man Erlin, V?ashington University
Beiträge der internationalen Konferenz
Daniel Fulda, Martin-Luther -Universität Ha!le-Wittenbe1g
Sander L. Gilman, Emory University, Atlanta 7.-9. November 2012
Willi Goetschel, University o/Toronto Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
Alexander KoSenina, Leibniz-Universitiit Hannover
Barbara Mahlmann-Bauer, Universität Bern
Thomas Marrinec, Durham University
John A. McCarthy, Vanderbilt University Im Auftrag der Lessing Society
Michael Monon, Duke University herausgegeben von
David Price, University of l!linois, Urbantl Monika Fick (RWTH Aachen University)
Ritchie Robcrtson, University o/Oxford
Richard Schade, University of Cincinnati - Emeritus
Ann C. Schmiesing, University o/Colorado, Boulder Book Reviews edited by
Birka Siwczyk, Arbeitsstelle für Lessingrezeption - Lessing-Museum lv1menz Monika Nenon (The University ofMemphis)
Guy Stern, Wayne State University- Dist. Prof Emeritus
Stefanie Stockhorst, Universität Potsdam
Liliane Weissberg, University of Pennsylvania, Philadelphia
W Daniel Wilson, University oflondon
Carsten Zelle, Ruhr-Universität Bochum

EDITORIAL AssJSTANT
Sabine Durchholz

WALLSTEIN VERLAG
Die Herausgeber und das edirorial board des Yearbooks danken der Hamburger Contents
Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur für die generöse Finanzierung
einer Redaktionsstelle.
MONIKA FICK
Einführung ...................... 9
Der Fritz Thyssen Stiftung sei für die Finanzierung der internationalen Konferenz
)>Lessings Hamburgische Dramaturgie im Kontext des europäischen Theaters im
18. Jahrhundert« sowie für die großzügigeFörderung der Drucklegung gedankt.
I. Neubegründungen: anthropologisch, poerologisch

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Departments of Foreign Languages WOLFGANG LUKAS
and Lirerarures der Universiry of Memphis und des Humanities Councils der Univer­ Anthropologische Neulegitimation als diskursive und
siry ofillinois at Urbana-Champaign. narrative Struktur: Lessings Hamburgische Dramaturgie und die
zeitgenössische Dramenpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

JEAN-MARIE VALENTIN
Englische Artikel sollten den Regeln des MLA Handbook, deutsche denen des Wall­
stein Verlags folgen. Lessings Hamburgische Dramaturgie: Infragestellung
oder Erneuerung des dramatischen Gattungssystems? 49
Anschrift: G--1
c/o Prof. Dr. Monika Fick, Institut für Germanistische und Allgemeine Literaturwis­ II. Dramenmodelle: induktiv, komparatistisch, europäisch
senschaft der R\VfH Aachen University, Templergraben 5 5, 52056 Aachen; E-Mail:
m.fick@germlit.rvvth-aachen.de PETER HESSELMANN
c/o Prof. Dr. Monika Nenon, Department ofForeign Languages and Literatures, The
}}Cronegk starb allerdings für unsere Bühne zu früh<,.
University of Memphis, Memphis, TN 3 8 152; E-Mail: mcnenon@memphis.edu
c/o Prof. Dr. Carl Niekerk, Germanic Languages and Literatures, Universiry of Illi­ Lessings Auseinandersetzung mit Johann Friedrich von Cronegks
nois, Urbana-Champaign, IL 61801-3676; E-Mail: niekerk@illinois.edu Tragödien Olint und Sophronia und Codrus . . . . . . . . . . . 63

Wallstein Verlag, Geisrsrraße 11, D-37073 Göttingen. Web Sire: wwvv.wallstein­ PETER-ANDRE ALT
verlag.de Kein Drama der T heodizee. Lessings Wirkungspoetik und die
Psychologie des Bösen in Weißes Richard der Dritte (1759) 87
Der Umschlag zeigt das von Johann Friedrich Bause nach einem Ölgemälde von
Anton Graff gestochene Porträt Lessings (Leipzig 1772: Herzog August Bibliothek
Wolfenbüttel, Signatur A 12373). FRANCESCA Tucc1
Lessing, Maffei und die »Perfekte Tragödie« . . . . . . . . . . . . ro9

© 2014 Wallsrein Verlag, Göttingen WOLFGANG F. BENDER


www.wallsrein-verlag.de Lessing, Romanus und die Rettung des Terenz . . . . . . . . . . I 23
Druck und Verarbeitung: Hubert & Co, Göttingen
ISBN 978-3-8353-1499-3 MONIKA NENON
ISSN 0075-8833
Rousseau-Adaption und Lessings Rousseaukritik in der
Hamburgischen Dramaturgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I 3 9
Freie 1 •-
PhHoiL- ;:.. ,._:�nel<
c,,!
____.<01=,\Yli..' -� l--:\_·;"_-:_1___. Lessing Ycarbook / Jahrbuch 2014, Vol. XLI
6 Contents Contents 7

III. Zur Intermedialität des Theaters V. Dramaturgie und Übersetzung

ALEXANDER KoSENINA WENDY ARONS • NATALYA BALDYGA


Bühnen-Bilder. Von den Grenzen der Malerei und Dramaturgie »The Hamburg Dramaturgy in the Digital Age:
bei Lessing .. . . .. ... . .. .. .. . . ... . . .... r 6 r A New English Translation by Wendy Arons and Sara Figal,
Edited by Natalya Baldyga, with Critical lntroductory Essays
CARL NIEKERK by Wendy Arons, Natalya Baldyga, and Michael Chemers« ....303
Der Orient-Diskurs in Lessings Hamburgischer Dramaturgie ... 175

CORD-FRIEDRICH BERGHAHN Book Reviews ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .


»Die Stelle der alten Chöre«: Musikästhetik in der Hamburgischen
Dramaturgie.. . ......................... Index to Book Reviews . 351

THOMAS MARTINEC
Musik und Sprache in der Hamburgischen Dramaturgie .. .. ..209

IV. Soziabilität: Prekäre Handlungsspielräume


für Theaterfrauen und andere Intellektuelle

MARY HELEN ÜUPREE


Madame Hensels gesammeltes Schweigen:
Lessing und die Schauspielerinnen am Hamburger Theater .... 227

GABY PAILER
»Dieses vortreffliche Stück der Graffigny mußte der Gottschedin zum
Übersetzen in die Hände fallen.«
Lessings Umgang mit >Theaterfrauen< . . . . . . . . . . . . .. . 241

JoHN A. McCARTHY
Die Hamburgische Dramaturgie im Spannungsfeld
zwischen kirchlicher Moral und expandierender Öffentlichkeit .. 259

MATT ERLIN • MARTIN KAGEL


Unter Geschäftsmännern: Figuren des Dritten in
Lessings Dramaturgie .............. . . ....... 28 3
Lessing, Maffei und die »Perfekte Tragödie«
FRANCESCA Tucc1

Nach einer langen und ausführlichen Auseinandersetzung mit den Merop e ­


Bearbeitungen von Voltaire und Maffei zieht Lessing im 42. Stück der
Hamburgischen Dramaturgie sein Fazit in Bezug auf den italienischen Dra­
maturgen. Wenn man von einem über mehrere Etappen geführten Geis­
tergespräch zwischen dem deutschen und dem italienischen Autor ausgeht,
dann nimmt sich Lessings Resümee allerdings sehr kritisch aus:
Seine [Maffeis] Anlage ist gesuchter und ausgedrechselter, als glücklich;
seine Charaktere sind mehr nach der Zergliederung des Moralisten, oder
nach bekannten Vorbildern in Büchern, als nach dem Leben geschildert;
sein Ausdruck zeigt von mehr Phantasie, als Gefühl; der Literator und
der Versificateur läßt sich überall spüren, aber nur selten das Genie und
der Dichter.r
Ein solches Urteil klingt so radikal und kompromisslos, dass es augen­
scheinlich wenig Raum für eine Untersuchung bietet, die sich mit dem
Verhältnis der beiden Dramaturgen zueinander beschäftigt. 2
Die Situation stellt sich nicht im geringsten besser dar, wenn man eine
frühere Stelle der Dramaturgie in Betracht zieht, wo bereits von Maffei die
Rede war. Im 3 2. Stück prangen Lessing einen >>Pedanten« an, einen, der
»irgendwo in Italien [lebte]«, und »an der >Rodogune< [ ... ] vieles auszuset­
zen [fand]«.3 Diese Anspielung wird zwar nicht durch weiterführende An­
gaben ergänzt; in seiner 1939 veröffentlichten Studie über Lessing's Drama­
tic Theory4 vermutete John George Robertson, dass der italienische Literat
Pietro Calepio Zielscheibe von Lessings kritischen Spitzen gewesen sei. Eine
umfangreiche quellengeschichtliche Tradition sieht allerdings eher Scipione
Maffei als den Pedanten, den Lessing eigentlich attackierte. Sowohl Klaus
Berghahn 5 als auch Klaus Bohnen6 verweisen im Kommentarteil der von
ihnen redigierten Ausgaben der Hamburgischen Dramaturgie entschieden
und ohne einen Zweifel zu lassen auf Maffei, und zwar nehmen beide
Bezug auf dessen Osservazioni sopra la Rodoguna tragedia francese (1700
geschrieben, 1719 erschienen). Wenn man die Art und Weise bedenkt, wie
Lessing den Italiener in der eingangs zitierten Passage abfertigt, dann erge­
ben sich tatsächlich frappierende Berührungspunkte mit diesem zweiten
satirischen Ausfall in der Hamburgischen Dramaturgie. Es ist zudem eher
unwahrscheinlich, dass Lessing das Substantiv »Pedant« als eine imagolo­
gische Sammelbezeichnung für italienische Intellektuelle verwendete, die
als solche den einen oder den anderen mehr oder weniger undifferenziert

Lessing Ycarbook / Jahrbuch 2014, Vol. XLI


110 Francesca Tucci Lessing, Maffei und die »Perfekte Tragödie« 111

treffen sollte. Aus beiden Stellungnahmen Lessings bekommt der Leser im Rahmen der intensiven freundschaftlichen Beziehung, die Maffei mit
insgesamt den Eindruck, dass Maffei in der Dramaturgie einzig und allein dem italienischen Schauspieler Luigi Riccoboni noch vor dessen Umzug
in Zusammenhang mit seiner Kritik an Voltaire wohlwollend behandelt nach Frankreich unterhält. Eine Beziehung, die zwar sehr intensiv, aber
wird, wenn es Lessing nämlich darum geht, ein gemeinsames Unbehagen leider auch zeitlich begrenzt war. In Paris sollte Riccoboni als Reformator
zum Ausdruck zu bringen. Der Italiener ist ihm nützlich und unfreiwillig der »commedia dell'arte(< wirken, die er in ihrem volksgebundenen Cha­
behilflich, wenn er ihn im Kampf gegen die verhassten Züge der damaligen rakter durch literarische Bezugsmodelle wie Ludovico Ariostos Komödien
französischen Bühne als Eideshelfer und Mitstreiter in Anspruch nehmen sozusagen reinigen wollte. Wenn Maffei seine Merope auch nicht unbe­
kann. dingt auf Drängen von Riccoboni verfasst, wie manchmal behauptet wird,
Im folgenden möchte ich zunächst einmal die Rolle Maffeis in der itali­ so ist sie doch sicherlich für Riccoboni und sein Ensemble als eine Art
enischen Kultur seiner Zeit skizzenhaft darstellen,? sowie seine alles andere Anleitungstext für die Bühnendarstellung gedacht. Insbesondere die Rolle
als unwichtige Bedeutung für die Reform des italienischen T heaters in Meropes als Hauptfigur wurde Riccobonis Frau Elena Balletti (mit Künst­
gebotener Kürze schildern. Dann werde ich die verschiedenen Momente lernamen Flaminia) auf den Leib geschrieben, was von den Zeitgenossen als
von Lessings Auseinandersetzung mit Maffei im 36. bis 50. Stück der Ham­ Freundschaftsbeweis gegenüber dem Schauspielerpaar, wenn nicht sogar als
burgischen Dramaturgie analysieren. Im Anschluss daran möchte ich mich Liebesbeweis für die schöne und talentierte Schauspielerin wahrgenommen
auf einige Gemeinsamkeiten in der Auffassung des T heaters von Lessing wurde.
und Maffei konzentrieren, Vermutungen über diese verpasste Beziehung Trotzdem gilt Merope nach einem modernen Gattungsverständnis auf
anstellen, und schließlich den Verdacht äußern, dass es sich dabei, zumin­ gar keinen Fall als vorbildliche Tragödie. Unbeachtet des großen Erfolgs
dest zum Teil, um eine nur scheinbar verpasste Beziehung handelt. und der unumstrittenen Beliebtheit,1° die sie zur damaligen Zeit genoss,
1713 geschrieben und im selben Jahr in Modena uraufgeführt, wurde gab es von Anfang an kritische Stimmen, die ziemlich viel an Maffeis Werk
Merope vom Publikum mit großer Begeisterung aufgenommen und als ein­ auszusetzen hatten. An solche Stimmen knüpfte Lessing an. Das Stück
zige italienische moderne Tragödie akklamiert. Damals hatte der 3 8 jährige
- geriet schnell in Verruf, und in den Geschichten des italienischen Thea­
Scipione Maffei gerade mit seinen publizistischen Versuchen begonnen, auf ters wurde Maffei lange kaum mehr erwähnt. Günstigere Aufnahme hat
die italienische Kultur erneuernd einzuwirken und sie auf ein klassizistisch er erst in jüngster Zeit in der Italianistik gefunden, als man angefangen
geprägtes Tugendideal auszurichten. Seit 171 o erschien in Venedig der von hat, die szenische Dynamik als unentbehrliche Komponente des Tragi­
ihm und anderen norditalienischen Schriftstellern herausgegebene Giornale schen bzw. des Dramatischen überhaupt aufzuwerten und historisch zu
de' letterati d'Jtalia, der sich dieses Ziel zum Programm machte. Merope untersuchen. u Aus einer solchen Perspektive hat man sich im Besonderen
wurde erst ein Jahr nach ihrer Entstehung 1714 in Venedig veröffentlicht. mit der »spettacolarita« von Maffeis Drama auseinandergesetzt, die denn
Dies ist ein Detail, dem besondere Aufmerksamkeit zu schenken ist, da auch als sein wichtigstes Merkmal erkannt wurde. Dabei deckt sich diese
der Druck des Werkes von Maffei selbst verzögert wurde, und zwar in der spettacolarita« nur zum Teil und äußerst ungenau mit dem Begriff des
}►

Überzeugung, dass »il dare alle stampe [... ] sia un prostituire i figliuoli suoi »Wunderbaren«, den Lessing in Bezug auf Maffeis Tragödie häufig und eher
al volgo stolido e un esporli a un insulto«. 8 Zu Publizieren sei also eine Form geringschätzig verwendet. 12 >Spettacolarit3.« hängt hier vielmehr mit einer

der Prostitution, damit erreiche man höchstens, dass die eigenen Kinder der Grundeinstellung gegenüber dem T heater zusammen, die das Theatralische
Dummheit und Boshaftigkeit des Pöbels ausgesetzt würden. Merope wird als Verschmelzung von verschiedenen Künsten, vor allem aber von Litera­
von Maffei als Tragödie für die Bühne verfasst. Im Prinzip also alles andere tur und Schauspielkunst versteht. Mit dem Wort »teatrale« meint Maffei
als ein überliterarisiertes Produkt,9 wie Lessing in seiner Auslegung dieser selbst eine Art lnitiationswissenschaft, die nur von einigen Eingeweihten
Tragödie behaupten wird. Leitidee des Unternehmens von Maffei ist die geteilt werden kann, ausschließlich den Menschen nämlich, die Zugang
Herstellung der »perfekten Tragödie«, einer modernen Tragödie also, die zu den Geheimnissen des Universums T heater haben. Das »teatrale« wird
dazu beitragen soll, der heiß ersehnten Reform des T heaters neue Impulse von Maffei hernach als unterscheidendes Kennzeichen der gut gelungenen
zu geben. Kernstück einer solchen Erneuerungsaktion ist für Maffei eine Tragödie bezeichnet, das eine unverzichtbare Voraussetzung darstellt, Ver­
enge Zusammenarbeit zwischen dem Dramaturgen und den Schauspielern, gnügen auszulösen:
die sich wiederum in der gegenseitigen Ergänzung von literarischem Text
und theatralischer Darstellung niederschlägt. Merope entsteht bekanntlich
112 Francesca Tucci Lessing, Majfei und die »Perfekte Tragödie« 113

Diletto sommo e quell'ultimo incontro ehe si genera da ciO ehe in Vene­ der Tugend vorgestellt [hat], aber nicht auf die rührendeste Art; er hat die
zia si e sempre chiamato il >teatralei; vuol dire dalle azioni in scena, 1a pill Tugend gemahlt, aber nicht in Handlungen, nicht nach dem Leben«.' 6
efficace delle quali ampia la vogliono e all' operare aperta. Cazione trionf a Nicht zu übersehen ist im übrigen, dass diese Verschiebung vom Litera­
non solamente sopra il semplice discorso qualunque sia, ma sopra il canto rischem zum T heatralischen für Maffei - genau wie einige Jahre später für
e ancora il suono.13 Lessing als den Herausgeber der Theatralischen Bibliothek' 7 - eine Abschwä­
chung der tragischen Elemente zugunsten einer »funktionellen Ausdrucks­
Darüber hinaus erfordert die Kenntnis des T heaters eine besondere Wis­ kraft«'' zur Folge hat. Und eben in dieser Herabstufung des Trauerspiels
senschaft, für die die herkömmlichen Wissenschaften kaum ausreichen und um >einige Staffeln<, um Lessings Worte im ersten Heft der Theatralischen
die nur durch direkte Beobachtung erworben werden kann. Viele Gelehrte
Bibliothek zu paraphrasieren, hat ein Teil der Forscher den Grund für den
haben ihre Bücher mit vagen Lehren und falschen Urteilen angefüllt, weil Erfolg von Maffeis Merope gesehen. Auch wenn in den italienischen Stu­
ihnen der richtige Zugriff mit Hilfe einer geeigneten Wissenschaft fehlte: dien über Maffei keine einheitliche Meinung über diesen Punkt herrscht,
[ ...] bisogna restar serviti di credere ehe l'intendere Teatro e una cogni­ kommt in Verbindung mit Merope der Begriff tragedie larmoyante immer
zione particolare, per cui non bastano la scienza e le lettere, e ehe non puO wieder vor. Damit ist eine Anpassung der entsprechenden französischen
acquistarsi senza osservazione sul fatto: per mancar di questa dotti uo­ Gattung comidie larmoyante an die Verhältnisse der italienischen Bühne
mini hanno talvolta sparsi d'aeree dottrine e di falsi giudicj i volumi gemeint. Die Beliebtheit von Merope sei als Folge der Zugeständnisse zu
loro.14 erklären, die Maffei an die sensiblerie, also den modischen >rührenden< Ge­
schmack gemacht haben soll. '9 Der Schriftsteller selbst beruft sich auf die
Eine solche Wissenschaft hat nach Maffei besonders für das französische Bedürfnisse des zeitgenössischen Publikums, um das happy end seiner Tra­
Theater gefehlt. Zu diesem Zeitpunkt ein T heater, das nicht oder nicht gödie zu rechtfertigen: »11 fine e lieto, e perO piu confacente al moderno
mehr in der Lage ist, in seinem Publikum Emotionen zu wecken. Hervor­ genio e piu grazioso((, 20
zuheben ist in dem zitierten Satz vor allem Maffeis Skepsis gegenüber den Zu dieser programmatischen Herabstimmung des Trauerspiels gehört
Gelehrten im Hinblick auf ihre Unfähigkeit, das nötige Wissen in Sachen auch die Abmilderung der tragischen Leidenschaften, die Maffei mit Merope
Theater zu erwerben. Diese Bemerkung soll einerseits die Überliterarisie­ und einige Jahre später r 7 1 9 mit seinem Aufsatz über Rodogune von Pierre
rung des zeitgenössischen T heaters anprangern (wobei die französische Tra­ Corneille als eine unentbehrliche Voraussetzung für die Erneuerung des
gödie immer wieder gerne als polemische Zielscheibe gilt), andererseits ein Theaters darlegte. Diese Abmilderung bringt eine Mäßigung des Tragischen
höchstes Niveau der Schauspielkunst fordern. Es ist die mehr oder weniger mit sich. Im Hinblick auf eine solche Dämpfung der tragischen Gefühle
explizit formulierte Absicht Maffeis, die Kluft zwischen der dichterischen hat man in der Sekundärliteratur zu Maffei unter Verweis auf Merope u. a.
Ausarbeitung eines theatralischen Stücks und seiner Darstellung auf der von ,>tragico temperato« [temperiertes Tragisches] oder »tragedia atragica«
Bühne zu überwinden. In dieser Hinsicht hat Maffeis Forderung eigentlich gesprochen [untragische Tragödie]." Aus der Handlung von Rodogune, so
viel gemeinsam mit jener Kenntnis des menschlichen Herzens, die sich schreibt Maffei, kann ein Dichter schon eine Art Tragödie herstellen, aber
Lessing im 63. der Briefe die neueste Literatur betreffend für den Kollegen bestimmt keine perfekte Tragödie, da sie
Wieland im Hinblick auf dessen Tragödie Lady Johanna Gray wünschen contiene delitti atroci ed inescusabili; onde non e atta per se a conseguire
wird. 1 5 Wobei hervorgehoben werden soll, dass der italienische Autor mit il fine della tragedia, cioe a destare compassione e terrore: non la compas­
seinen Worten weniger eine Darstellung des Charakters nach dem Leben
sione, perche niuno l'ha di chi si perde per tali estreme malvagita; non il
als vielmehr eine lebendige und überzeugende Aufführung auf der Bühne
terrore, perche non trovandosi l'uditore avvolto in cosi strane scelleratezze
im Sinn hat. Im Mittelpunkt steht bei ihm die Kunst als technisches Ver­
non ha occasione di temere a se le stesse ruine. 22
mögen, nicht die Psychologie.
Wenn man andererseits die übergeordnete Wertigkeit bedenkt, die Diese Stelle bezieht sich auf die Figur von Cleopatra, der skrupellosen Kö­
Maffei in Beziehung auf seinen Begriff des »teatrale« der Handlung gegen­ nigin von Syrien, die dazu bereit ist, Mann, Nebenbuhlerin und sogar die
über dem gesprochenen Text, dem Gesang und der Musik zuspricht, dann eigenen Kinder umzubringen, um die Macht zu behalten. Aus der Sicht
geraten weitere Berührungspunkte mit dem 63. Literaturbrief in den Blick; Maffeis ist Cleopatra in der Darstellung Corneilles ein Ungeheuer, das
allen voran Lessings Behauptung, dass Wieland »das Große und Schöne nichts Menschliches an sich hat. Sie ist nicht bloß eine eifersüchtige Frau,
114 Francesca Tucci Lessing, Maffei und die »Perfekte Tragödie« 115

der Sinn und Verstand abhandengekommen sind, sondern vielmehr ein dient, um relevante T hemenkomplexe anzuschneiden.26 Nichtsdestoweni­
machtbesessener und gieriger Unmensch, der jede Menge Verbrechen be­ ger scheint mir die Annahme, dass Lessing seinem italienischen Kollegen
geht, mehr um der Grausamkeit willen als von einer bestimmten Absicht viel mehr verdankt als nur einen Anstoß zur Behandlung von Fragen, die
geleitet. Die Sonderbarkeit einer solchen Figur sprengt das Affektsystem, für die ästhetische Reflexion in der Hamburgischen Dramaturgie von er­
auf dem das Tragische beruht, und gerät in eine völlig andere Gattungs­ heblicher Bedeutung sind, gar nicht aus der Luft gegriffen. Berührungs­
dimension, die Maffei eher im Romanhaften23 verwirklicht sieht. Der punkte zwischen Absichten und Zielsetzungen der beiden Dramaturgen in
Hauptvorwurf, den Maffei gegen das französische T heater erhebt, besteht Hinsicht auf Stiftung eines neuen, national ausgerichteten, dem modernen
eben in der Unterstellung eines »romanhaften Geschmacks«: »e certo ehe Geschmack entsprechenden T heaters liegen auf der Hand. Sowohl Maffei
[ ...} chi ad esse si avvezza, perde il senso alla espressione della natura e als auch Lessing neigen im Grunde zu einer Darstellungsart, die besonderen
del vero ed a quanto ha di pill eccellente l'arte Poetica«. 24 Von einem Wert auf das Prinzip Wahrscheinlichkeit legt. Die Fehler, die Corneilles
Überschuss an eklatanten Romanelementen in der Cleopatra-Geschichte Rodogune am meisten schaden, sind aus der Sicht Maffeis gerade diejenigen,
wird aber etwa 50 Jahre später ausgerechnet Lessing in der Hamburgischen die gegen die Regeln der Wahrscheinlichkeit verstoßen, weil sie »feriscono
Dramaturgie sprechen. In seinem Bericht über Corneilles Rodogune wird er e distruggono l'essenza della Poesia, ehe ha il Verisimile per Soggetto«.27
nicht nur im Wesentlichen die gleichen Argumente zu bedenken geben, die Beide T heoretiker verstehen Wahrscheinlichkeit oft als Synonym für Na­
Maffei in seiner Besprechung ausgearbeitet hatte, sondern er wird sie viel­ türlichkeit und sehen sie durch Ausschließung jeglicher Art von künstlicher
mehr in einer durchaus vergleichbaren Reihenfolge vortragen. Der Verweis Verstellung begründet. In diese Richtung geht auch die Abmilderung der
auf all die Aspekte, die bei Corneille mit der inneren Gesetzmäßigkeit der tragischen Leidenschafren, die Lessing wie auch Maffei beabsichtigten. Um
tragischen Gattung keinesfalls in Einklang zu bringen seien, kommt so wie ein Beispiel unter vielen heranzuziehen, kann man an die ausführliche Ana­
bei Maffei unmittelbar nach dem kritischen Befund, Rodogune könne im lyse der tragischen Leidenschaften und des ästhetischen Vergnügens den­
Zuschauer weder Mitleid noch Schrecken erregen. Einern dürftigen Dich­ ken, die Lessing im 74. Stück der Hamburgischen Dramaturgie in Beziehung
ter, so Lessing im 3 2. Stück, steht ein undifferenziertes Wunderbares als auf Christian Felix Weißes Tragödie Richard der Dritte durchführt. Hier
einziges Hilfsmittel zur Verfügung, um tragische Wirkung zu erzeugen. liest man, dass Richard der Dritte »eine Tragödie [ist], die ihres Zweckes
Das wird er allerdings sorgfältig pflegen müssen: verfehlt«,'8 da der Held dieses Trauerspiels »das [...] abscheulichste Un­
geheuer« sei, das durch seine Untaten im Gemüt des Zuschauers lediglich
wenn er sich nicht selbst des sichersten Mittels berauben [will], Schrecken
eine grässliche Art von Schrecken, aber gar kein Mitleid erwecken könne:
und Mitleid zu erregen. Denn er weiß so wenig, worin eigentlich dieses
Schrecken und dieses Mitleid bestehet, daß er, um jenes hervor zu brin­ Wohl erweckt er Schrecken: wenn unter Schrecken das Erstaunen über
gen, nicht sonderbare, unerwartete, unglaubliche, ungeheure Dinge ge­ unbegreifliche Missetaten, das Entsetzen über Bosheiten, die unsern Be­
nug häufen zu können glaubt, und um dieses zu erwecken, nur immer griff übersteigen, wenn darunter der Schauder zu verstehen ist, der uns
seine Zuflucht zu den außerordentlichsten, gräßlichsten Unglücksfällen bei Erblickung vorsätzlicher Greuel, die mit Lust begangen werden, über­
und Freveltaten, nehmen zu müssen vermeinet. 25 fällt. Von diesem Schrecken hat mich Richard der Dritte mein gutes Teil
empfinden lassen.
In der Hamburgischen Dramaturgie setzt sich also Lessing mit Scipione
Aber dieses Schrecken ist so wenig eine von den Absichten des Trauer­
Maffei zumindest an zwei verschiedenen Stellen mehr oder weniger explizit
spiels, daß es vielmehr die alten Dichter auf alle Weise zu mindern such­
auseinander. Der italienische Literat wird zum ersten Mal anlässlich der
ten, wenn ihre Personen irgend ein großes Verbrechen begehen mußten. 29
Aufführung von Corneilles Rodogune, ohne namentlich erwähnt zu werden,
als Pedant abgestempelt. Dann nimmt Lessing in Bezug auf Merope von Erklärungsbedürftig bleibt also angesichts so vieler gemeinsamer Stand­
Voltaire ausdrücklich und ausführlich zu Maffeis Werk Stellung. In beiden punkte das lapidare Urteil, das Lessing über den Italiener fällt; ein Urteil,
Fällen ist die Auseinandersetzung mit Maffei im Hinblick auf die szenische das die verschiedenen Mängel Maffeis au&ählt, 10 ohne die möglichen Ge­
Gestalrung der Tragödie, auf die Erzeugung der Illusion und auf die Zu­ meinsamkeiten auch nur ansatzweise in Betracht zu ziehen. Systematisch
lässigkeit bestimmter Leidenschaften auf der Bühne besonders ergiebig. In knüpft Lessing an Voltaires Vorwürfe gegen Maffei an, die in genauer
der Sekundärliteratur wurde schon ausführlich belegt, wie offensichtlich Reihenfolge wieder aufgegriffen werden. In den meisten Fällen kehrt Les­
Maffei innerhalb von Lessings T heatertheorie diesem als eine Art Vorwand sing jedoch den Spieß um und verwendet die von Voltaire/Lindelle zum
116 Francesca Tucci Lessing, Ma.ffei und die »Perfekte Tragödie« 117

Teil höflich, zum Teil grob angeprangerten Fehler in Maffeis Drama zum Die Illusion setzt für den Verfasser der Hamburgischen Dramaturgie eine
Schaden der Merope von Volraire: Art Bereitschaft des Zuschauers voraus, sich täuschen zu lassen, und lässt
Unter drei Srreichen, die er [Lindelle, das Alter-Ego Voltaires] tut, geht sich also in erster Linie psychologisch konnotieren. 35 Im 36. Stück der
immer einer in die Luft, und von den andern zweien, die seinen Gegner Dramaturgie beschreibt Lessing die wichtigste Eige�sc�aft eines »wah��n
streifen oder treffen, trifft einer unfehlbar den zugleich mit, dem seine Meisterstückes<i als dessen Vermögen, »uns so ganz mit steh selbst [zu erful­
len], daß wir des Urhebers darüber vergessen«. 36 Die Einheit der Handlung
Klopffechterei Platz machen soll, Voltairen selbsr.3'
ist eigentlich die einzige, die Lessing auf gar keinen Fall in Frage gestellt
Dies hindert Lessing allerdings nicht daran, manche Behauptungen Vol­ wissen will. Nur unter der Bedingung, dass sie eingehalten wird, kann der
taires zu teilen, wenn sie ihm zuzutreffen scheinen. Dies ist zum Beispiel Dramarurg auf zweckmäßige Weise dichten und die notwendige Rundung
bei dem unaufhörlichen Geschwätz des Sklaven Polidoro der Fall, dem des Meisterwerkes erzielen:
vertrauten Diener, der den jüngsten Sohn von Merope in Sicherheit brachte
Unzufrieden, ihre Möglichkeit bloß auf die historische Glaubwürdigkeit
und ihn wie sein eigenes Kind aufzog. Polidoros Art sei fehl am Platz genau
zu gründen, wird er suchen, die Charaktere seiner Perso�en so anzulegen;
wie das ständige Sich-Aufdrängen des Dichters, d.h. von Maffei selbst, der
wird er suchen, die Vorfälle, welche diese Charaktere m Handlung set­
»hier und an mehrern Stellen luxuriere, und seinen eignen Kopf durch die
zen, so notwendig einen aus dem andern entspringen zu lassen; [...] ��rd
Tapete stecke«.32
er suchen, diese Leidenschaften durch so allmähliche Stufen durchzufah­
Insgesamt tadelt Lessing die mangelnde Fähigkeit Maffeis, die zur Her­
ren: daß wir überall nichts als den natürlichsten, ordentlichsten Verlauf
stellung der tragischen Wirkung erforderliche Spannung lebendig zu hal­
wahrnehmen; daß wir bei jedem Schritte, den er seine Personen tun läßt,
ten. Entweder verschwinde der Dichter hinter einem Idealbild griechischer
bekennen müssen, wir würden ihn, in dem nemlichen Grade der Leiden­
Prägung, das auf völlig sklavische Weise eingesetzt und mit einer moder­
schaft, bei der nemlichen Lage der Sache, selbst getan haben; daß uns
neren Empfindungsweise nicht in Einklang gebracht werde, oder er ordne
nichts dabei befremdet, als die unmerkliche Annäherung eines Zieles,
den fließenden Verlauf der dramatischen Handlung seiner eigenen Tendenz
von dem unsere Vorstellungen zurückbeben, und an dem wir uns end­
zur Reflexivität unter. Einschübe mit kommentierender Funktion brächten
lich, voll des innigsten Mitleids gegen die, welche ein so fataler Strom
die Handlung um ihre nötige Rundung. Die Illusion werde immer wieder
dahin reißt, und voll Schrecken über das Bewußtsein befinden, auch uns
und selbst an den Stellen geschwächt, an denen Maffei sie durch meta­
könne ein ähnlicher Strom dahin reißen, Dinge zu begehen, die wir bei
dramatische Einfälle verstärken möchte. Abschätzig äußert sich Lessing
kaltem Geblüte noch so weit von uns entfernt zu sein glauben.37
insbesondere zum Bruch der dramatischen Kontinuität, den Maffei durch
einen Ausruf von Ismene vollziehe, die das Rätselhafte an den tragischen Maffei ist nach Lessing nicht in der Lage, die Begebenheiten, auf die sich
Ereignissen durch folgenden Satz zum Ausdruck zu bringen glaubt: »Con seine Tragödie stützt, zu einem Ganzen zu verflechten, das das Publikum in
cosi strani avvenimenti uom' forse / Non vide mai favoleggiar le scene«.3 3 Anbetracht des zwingenden ursächlichen Zusammenhangs der dargestellten
Lessing benutzte bekanntlich den Originaltext in italienischer Sprache, den Ereignisse zur Rührung hinreißen könnte. Das gelegentlich erregte _Mideid
er allerdings nicht nach der ersten Venezianischen Ausgabe von 1714, son­ werde nicht durchgehend erhöht und vermehrt, sondern durch plotzhche
dern nach der zweiten Ausgabe kannte, die Maffei 1730, um ein umfang­ Unterbrechungen und Nebenereignisse gestört und geschwächt. Gerade auf
reichen Vorwort An den Leser von Giulio Cesare Becelli erweitert, in Verona Grund der Absicht, solche Fehler wiedergurzumachen, ist die übermäßige
drucken ließ. Ismenes Ausruf quittiert Lessing folgendermaßen: Verwendung des Zufalls in Maffeis Trauerspiel zu erklären. Der coup de
Der tragische Dichter sollte alles vermeiden, was die Zuschauer an ihre thidtre wird von Maffei benutzt, um dieAufmerksamkeit des Zuschauers zu
Illusion erinnern kann; denn sobald sie daran erinnert sind, so ist sie weg. fesseln, und spielt somit genau die Rolle, die für Lessing in einer guten und
Hier scheinet es zwar, als ob Maffei die Illusion eher noch bestärken wol­ gelungenen Tragödie das Mitleid spielen sollte:
len, indem er das Theater ausdrücklich außer dem T heater annehmen
Es versteht sich, daß ich das, was man zur Not entschuldigen kann,
läßt; doch die bloßen Worte, Bühne und erdichten, sind der Sache schon
darum nicht für schön ausgebe; der Poet hätte unstreitig seineAnlage viel
nachteilig, und bringen uns geraden Weges dahin, wovon sie uns abbrin­
gen sollen.34 feiner machen können. [ ...] ich will nur sagen� daß auch so, wie er sie
gemacht hat, Merope noch immer nicht ohne zureichenden Grund han-
118 Francesca Tucci Lessing, Maffii und die »Perfekte Tragödie« 119

delt; und daß es gar wohl möglich und wahrscheinlich ist, daß Merope in Worte in Merope im Laufe der Zeit anders bewertet. Ob Lessing Illusions­
ihrem Vorsatze der Rache verharren, und bei der ersten Gelegenheit einen brüche dieser Art nicht mehr als unzulässig betrachtet, oder wir hier mit
neuen Versuch, sie zu vollziehen, wagen können. Worüber ich mich also einer radikalen Änderung in seiner Auffassung von theatraler T:iuschung
beleidiget finden möchte, wäre nicht dieses, daß sie zum zweitenmale, zu tun haben, bleibe dahingestellt. Ein fernes Echo des lauten Ausrufs in
ihren Sohn als den Mörder ihres Sohnes zu ermorden, kömmt: sondern Merope scheint in den desillusionierenden Worten von Odoardo Galotti
dieses, daß sie zum zweitenmale durch einen glücklichen ungefehren Zu­ jedenfalls nachzuklingen.
fall daran verhindert wird. Ich würde es dem Dichter verzeihen, wenn er
Meropen auch nicht eigentlich nach den Gründen der größern Wahr­ Zusammenfassend: Der >Maffei-Komplex,, dem bestimmt eine höhere Be­
scheinlichkeit sich bestimmen ließe; denn die Leidenschaft, in der sie ist, deutung beizumessen ist, als es die negativen Urteile in der Dramaturgie
könnte auch den Gründen der schwächern das Übergewicht erteilen. nahelegen, hinterläßt seine Spuren hauptsächlich in Lessings Konzeptua­
Aber das kann ich ihm nicht verzeihen, daß er sich so viel Freiheit mit lisierung der tragischen Leidenschaften. Da allerdings die Leidenschaften
dem Zufalle nimmt, und mit dem Wunderbaren desselben so verschwen­ bekanntlich eine äußerst wichtige Rolle für Lessings T heorie der dramati­
derisch ist, als mit den gemeinsten ordentlichsten Begebenheiten. Daß schen Handlung spielen, scheint die Annahme nicht aus der Luft gegriffen,
der Zufall Einmal der Mutter einen so frommen Dienst erweiset, das dass der Ferndialog Lessings mit Maffei weit mehr umfaßt als die üblicher­
kann sein; wir wollen es um so viel lieber glauben, je mehr uns die Über­ weise herangezogenen Stellen der Dramaturgie, in denen der italienische
raschung gefällt. Aber daß er zum zweitenmale die nemliche Übereilung, Dramaturg mehr oder weniger explizit zitiert wird.
auf die nemliche Weise, verhindern werde, das sieht dem Zufalle nicht In seiner Vorrede zu Merope hatte Maffei 1745 als italienische Überset­
ähnlich; eben dieselbe Überraschung wiederholt, hört auf Überraschung zung des aristotelischen ))phobos« das Wort »timore«, also »Furcht<<, statt
zu sein; ihre Einförmigkeit beleidiget, und wir ärgern uns über den Dich­ ))terrore« ())Schrecken«) benutzt. Maffei deutet die Katharsis zwar ganz an­
ter, der zwar eben so abenteuerlich, aber nicht eben so mannichfaltig zu ders als Lessing, und selbst der Furcht-Begriff kommt bei ihm unter einem
sein weiß, als der Zufall.'' anderen Vorzeichen vor. Es scheint trotzdem nicht unwahrscheinlich, dass
die Kritik Maffeis an der Plausibilität der tragischen Leidenschaften im
Aus Lessings Perspektive liegt das Problem im Fall von Maffei eigentlich Namen einer gewissen Natürlichkeit sich auf Lessing ausgewirkt hat, und
nicht in der Verwendung des Zufalls an sich, sondern eher darin, dass er dass sich dieser daran erinnert hat, als er Weißes Tragödie Richard der Dritte
i�n viel zu verschwenderisch verwendet. Das hat zur Folge, dass selbst die rezensierte und dabei auf einen Terminus zurückgriff, den er freilich schon
Uberraschung geschwächt wird und das Abenteuerliche an die Stelle des früher am Ende des Briefwechsels über das Trauersp iel mit Moses Mendels­
Tragischen tritt. Es geht für Lessing immer noch um die Erweckung der sohn und Friedrich Nicolai eingesetzt hatte. Damals hatte Lessing im Sinne
einer Tragödie angemessenen Wirkung. In Beziehung auf den Gebrauch von »Furcht« als passender Alternative zu }>Schrecken« argumentiert, 40 um
von metatheatralischen Strategien ist allerdings zu bemerken, dass Lessing dann in der Dramaturgie bis zur Weiße-Besprechung diese Option zu Guns­
selbst solche Strategien nicht für immer fremd bleiben werden. Am Schluss ten von »Schrecken« wieder aufzugeben. Dass diese terminologische Wende
von Emilia Galotti zum Beispiel, als Odoardo Galotri die eigene Tochter ge­ im Zusammenhang mit einem Drama einsetzt, das Lessing im Lichte des
rade erstochen hat und nun gegen den Prinzen wütet, setzt er dem blutigen gleichen Einwandes untersucht, den Maffei gegenüber Corneilles Rodogune
Geschehen durch folgende höhnische Worte ein Ende: erhoben hatte, dürfte die Behauptung legitimieren, Maffei sei von Lessing
nicht nur kritisch verworfen worden, sondern er sei bei der Ausformu­
Aber Sie erwarten, wo das alles hinaus soll? Sie erwarten vielleicht, dass lierung seiner, Lessings, Theatertheorie latent wirksam und als ernst zu
ich den Stahl wider mich selbst kehren werde, um meine Tat wie eine nehmender Kollege auf Dauer präsent gewesen, wenn auch zuweilen nur als
schale Tragödie zu beschließen? - Sie irren sich. Hier! indem er ihm den dialektischer Widerpart.
Dolch vor die Füße wirft: Hier liegt er, der blutige Zeuge meines Verbre­ Universität Palermo
chens! Ich gehe und liefere mich selbst in das Gefängnis."
Wenn man bedenkt, wie sehr das Thema Illusion im Mittelpunkt von Les­
sings Ausführungen in den Maffei-Stücken der Hamburgischen Dramatur­
gi,e steht, ist die Vermutung vielleicht nicht abwegig, Lessing hätte Ismenes
120 Francesca Tucci Lessing, Maffei und die "Perfekte Tragödie« 121

I Gotthold Ephraim Lessing,Harnburgische Dramaturgie, in: Werke und Briefe pezia e insieme l'inreresse continuato del pubblico«. (Anna Maria Latorre, Scrit­
in zwölfBänden, hg. von WilfriedBarner u.a.,Bd. 6, Werke 1767-1769,hg. von tura drammatica e fascinazione del teatro: 1a >►Merope«, in: Il letterato e Ja citta
KlausBohnen,Frankfurt a.M. 1985,S. 389. [Anm. 10],S. 141.)
2 Lessings Auseinandersetzung mit Maffei in der ))Hamburgischen Dramaturgie« 12 Lessing (Anm. 1), S. 396.
hat Dornenico Mugnolo in einem wichtigen Aufsatz behandelt: Die Merope­ 13 »Das größte Vergnügen entspringt aus jenem höchsten Zusammentreffen, das
Tragödie Maffeis und Voltaires in Lessings ))Hamburgischer Dramaturgie<{, in: in Venedig seit jeher als das >Theatralische, bezeichnet wurde, d. h. aus der in­
Deutsche Aufklärung und Italien,hg. von Itala MicheleBattafarano,Bern r 992, szenierten Handlung, deren Wirksamkeit Weite und Bereitschaft zum Handeln
S. 165-189. Dazu siehe auch die Arbeit von Max Gubler, ))Merope{{. Maffei - erfordert. Die Handlung triumphiert nicht nur über das gesprochene Wort,was
Voltaire - Lessing. Zu einem Literaturstreit des r 8. Jahrhunderts,Zürich 1955. immer es auch aussagen möge, sondern auch über das gesungene, und sogar über
J Lessing (Anm. 1), S. 340. die Musik«. (Scipione Maffei, Riposta alla Lettera del Signor di Voltaire, in:
4 John George Robercson, Lessing's Dramatic T heory.Being an Imroduction to Maffei [Anm. 8],S. 92.) Die Übersetzung aus dem Italienischen stammt von der
and a Commentary on His ►►Hamburgische Dramaturgie«,Cambridge 1939. Verfasserin.
5 Lessing,Hamburgische Dramaturgie,hg. von Klaus L.Berghahn,Stuttgart 1999, 14 Maffei (Anm. 8), S. 30.
S. 560. 15 Gotthold Ephraim Lessing,Briefe die neueste Literatur betreffend, in: Werke
6 Lessing (Anm. 1), S. 995. und Briefe in zwölfBänden,hg. von Wilfried Barner u.a.,Bd. 4,Werke 1758-
7 Vgl. in diesem Zusammenhang Laura Sannia Nowe, Scipione Maffei e il teatro 17 59,hg. von Gunter E. Grimm,Frankfurt a.M. r 997,S. 646: »Lassen Sie es gut
ovvero: Della seduzione rinnegata, in: Scipione Maffei nell'Europa del Sette­ sein; wenn Herr Wieland wieder lange genug wird unter den Menschen gewesen
cento,hg. von Gian Paolo Romagnani,Verona 1998,S. 495-526 und Mario Da1 sein,so wird sich dieser Fehler seines Gesichts schon verlieren. Er wird die Men­
Corso,Tra Verona,Parigi e Venezia: il voyage di Merope, ebd.,S. 527-549. Gian schen in ihrer wahren Gestalt wieder erblicken [ ...]. Und alsdenn,wenn er diese
Paolo Marchi,Voltaire,Lessing e Alfieri di fronte a1la )>Merope« di Scipione Maf­ innere Mischung des Guten und Bösen in dem Menschen wird erkannt, wird
fei, in: XXIII Simposio Internaziona1e di Smdi Italo-Tedeschi: ))Vittorio Alfieri. studieret haben,alsdenn geben Sie Acht,was für vortreffliche Trauerspiele er uns
II poeta del mico«, Merano 2003, S. 141-168. Über das politische Denken von liefern wird!Bis itzt hat er den vermeinten edeln Endzweck des Trauerspiels nur
Maffei siehe Paolo Ulvioni, l>Riformar il mondo«. II pensiero civile di Scipione halb erreicht [ ...]«.
Maffei,Alessandria 2008. 16 Lessing (Anm. 15),S. 646.
8 Scipione Maffei,lstoria del teatro e difesa di esso (1723), in: Scipione Maffei, 17 In den Abhandlungen von dem weinerlichen oder rührenden Lustspiele spricht Les­
De' teatri antichi e moderni e altri scritti teatrali, hg. von Laura Sannia Nowe, sing »von den Neuerungen [ ... ],welche zu unsern Zeiten in der Dramatischen
Modena 1988,S. 46. Dichtkunst sind gemacht worden. Weder das Lustspiel, noch das Trauerspiel, ist
9 Vgl. dazu Stefano Locacelli,Dentro il testo,in: Scipione Maffei,Merope,hg. von davon verschont geblieben. Das erstere hat man um einige Staffeln erhöhet,und
Stefano Locatelli, Pisa 2008, S. 9-87, hier S. 32: »Quando Maffei riconosce di das andre um einige herabgesetzt,,. (Gotthold Ephraim Lessing,Werke undBriefe
aver ceduto alle insistenze di Riccoboni, quando definisce i comici come >amici in zwölfBänden, hg. von \X'ilfriedBarner u. a.,Bd. 3,Werke 1754-1757,hg. von
straordinari<,quando parla delle conversazioni con ElenaBalletti, egli sta dicendo Conrad Wiedcmann u.a., Frankfurt a.M. 2003,S. 264.)
molro pfü di quello ehe a noi sembra letteralmente dica. Se Ieggiamo l'afferma­ 18 Latorre (Anm. 11), S. 126,spricht von einer »scrittura drammatica diseguale e
zione nel conresto della tradizione di lunga durata della contrapposizione netta e flessibile, a tratti prosaica [ ...] e comunque tendcnzialmente indine a sottrarsi alla
ideologicamente marcata tra uomini di cultura e uomini di teatro,ci rendiamo dittatura del codice alto-mimetico,proprio perche obbedisce a criteri di funziona­
conto si tratta dell'ammissione di un processo, ehe parte dai comici. Maffei sta lita espressiva piuttosto ehe di disciplina formale,<.
ammettendo un movimento ehe va dalla compagnia al letterato,fa intuire, anche 19 Vgl. dazu Larorre (Anm. u), S. 137 und Laura Sannia Nowe, Inrroduzione,
se non puO esplicitare [ ...],di aver scritto per la compagnia«. in: Maffei, De' teatri, (Anm. 8),S. XI-XLVI, hier S. XXX: l>Con la tragedia di
IO Vgl. Franco Longoni,»Merope«. Genesi e parabola di un successo, in: II letterato Merope,[ ...] prima ancora delle »Reflexions sur la potsie et sur la peinture« del
e la citta. Cultura e Istiruzioni nell'esperienza di Scipione Maffei,hg. von Gian Dubos, ma evidememente nello stesso clima, il marchese di Verona appare il
Paolo Marchi u. Corrado Viola,Verona 2009, S. 75-112. precoce interprete di un mutamento della sensibilita,ehe approdefa nella seconda
l l Vgl. dazu was Anna Maria Latorre in Beziehung auf den Unterschied zwischen meta del secolo al gusto per il dramma psicologico e per la possente espressivita
>)passione lStatica«< und })passione )dinamica«< in der Ästhetikauffassung Maffeis alfieriana{<. Nicht zu übersehen ist allerdings, wie Sannia Nowe weiter ausführt,
feststellt: >)Interviene a questo punto l'innovazione pfü decisiva e sostanziale ap­ dass »Merope accoglieva in maniera egregia anehe le istanze etiche ehe alimen­
portata da Maffei all'orditura dassica della fabula, quella a cui i drammarurghi tavano Ja riforma letteraria arcadica. Ed allora, sebbene venga messa in scena
posteriori, da Voltaire ad Alfieri,non avrebbero potuto pill rinunciare: alla pas­ proprio in quanto 1affetto<, con il proposito di far piangere e gridare la platea,la
sione >statica, di Merope, cioe insufficiente a far procedere l'azione, si a-ffianca passione,compresa quella materna,va governata e comrollata«. Anderer Meinung
una passione 1dinamica<, ehe ha carattere tale da assicurare il decorso della peri- ist Stefano Locatelli,der behauptet,dass ))pill ehe rintracciare una nuova sensi-
122 Francesca Tucci Lessing, Majfei und die »Perfekte Tragödie« 123

blerie del pubblico settecentesco, [Merope rende] a incorporare, anzi a comporre, 35 Bemerkenswert ist hier die Tatsache, dass die Illusionsauffassung Lessings in der
entro una moderna forma tragica elemenri propri della tradizione seicentesca. italienischen Sekundärliteratur ausgerechnet gegen die von Maffei gelegentlich
Piu ehe di mutamenro di sensibilira parlerei di persisteoza, entro una comice ausgespielt wurde. Dabei wurde Lessing ein puristisches und ausschließlich im
arcadica, di una sensibilita amiarcadica.« (Locatelli [Anm. 9], S. 41.) Über die Zeichen der Täuschung stehendes Darstellungskonzept unterstellt, während bei
Beziehung zwischen Maffei und der Arcadia Veronese vgl. auch Corrado Viola, Maffei erste Spuren einer moderneren, für epische Komponenten schon offenen
Maffei e l'Arcadia Veronese, in: 11 letterato e la citt3. (Anm. ro), S. 149-181. Zur Aufführungsart zu beobachten seien. Der Germanist Paolo Chiarini hat seiner­
Begriffs- und Konzeptgeschichte vgl. Frank Baasner, Der Begriff >sensibilite, im seits die Auseinandersetzung Lessings mit Maffei unter einem völlig anderen
18. Jahrhundert. Aufstieg und Niedergang eines Ideals, Heidelberg 1988. Vorzeichen gedeutet, und diejenigen Stücke der Hamburgischen Dramaturgü, in
20 »Das Ende ist glücklich und insofern lieblicher und dem modernen Sinn näher.« denen die Illusion im Mittelpunkt von Lessings Ausführungen steht, als eine Art
(Scipione Maffei, Annotazioni alla scena VI del V atto, in: La Merope. Tragedia, Wendepunkt bewertet - jene »contraddizioni del moderno«, auf die Chiarini in
Verona 1745, S. 144-) Die Übersetzung aus dem Iralienischen stammt von der einem 1993 veröffentlichten Aufsatz aufmerksam machte: »Propria all'interno
Verfasserin. del confronto fra Voltaire dal quale abbiamo preso le mosse [...], si assiste alla
21 Vgl. dazu Latorre (Anm. ro), S. 139. nascita di una nuova idea drammaturgica dalla dinamica della finzione scenica,
22 )>Grausame und unverzeihliche Verbrechen enthält, und daher nicht imstande ist, dall'intreccio fra poetica illusionistica legata ancora all'orizzonte aristotelico della
das Ziel der Tragödie durch Erzeugung von Mitleid und Schrecken zu erreichen: ,illusione-commozione-pieta< e improvvise, lampeggianti illuminazioni di un di­
von Mitleid nicht, weil niemand an solchen maßlosen Abscheulichkeiten zu­ verso codice teatrale. La rottura della Täuschung, l'uso di prologhi ehe anticipano
grunde ginge; von Schrecken nicht, weil der Zuhörer sich in derart absonderliche gli eventi e riducono fortemente la funzione della sorpresa, assegnando una fun­
Verbrechen verwickelt sieht, dass er keinen Anlass har, ein ähnliches Leiden für zione preminente al >come< piuttosto ehe al >cosa,, l'uscire da! proprio ruolo e il
sich selbst zu befürchten«. (Scipione Maffei, Osservazioni sopra la Rodoguna rivolgersi al pubblico, indicando il teatro - appunto - come teatro, dunque la
Tragedia Francese [1719], in: Maffei [Anm. 8], S. 4.) Die Übersetzung aus dem mescolanza del genere drammatico con quello epico sono tutti elementi destinati
Italienischen stammt von der Verfasserin. a maturare e svilupparsi come forme drammatiche del moderno, dai romantici a
23 Scipione Maffei, Risposta alla lettera del Signor di Voltaire, in: Maffei (Anm. 8), Brecht.(i (Paolo Chiarini, Le contraddizioni del moderno nella »Hamburgische
S. 96: J>Ma in ehe diremo consistere il romanzesco? Non negli amori, poiche Dramaturgiei, di Lessing, in: La cittd delle parole. Lo sviluppo del moderno nella
questi gli annoverate a parte: non in altro adunque, ehe appumo nello star sempre letteratura tedesca, hg. von Paolo Chiarini, Aldo Vemurelli u. Roberto Venuti,
sui trarnpoli, volendo mettere il grande dove non va e fuggendo il semplice e il Napoli 1993, S. 33-49, hier S. 45-46.)
namrale, e volendo sempre sentimenci ricercati e ampullosi e stile ehe presso noi 36 Lessing (Anm. 1), S. 361.
fa figura di dedamatorio, non di poetico«. 37 Lessing (Anm. 1), S. 338-339.
24 »Wer sich an solche Trauerspiele gewöhnt, wird keine Empfindung mehr für den 38 Lessing (Anm. 1), S. 395-396.
Ausdruck des Natürlichen und Wahren haben, sowie für die höchsten Vorzüge 39 Gotthold Ephraim Lessing, Emilia Galotti, in: Werke und Briefe in zwölf Bän­
der Dichtkunst«. (Maffei [Anm. 22], S. 3.) Die Übersetzung aus dem Italieni­ den, hg. von Wilfried Barner u.a., Bd. 7, Werke 1770-1773, hg. von Klaus
schen stammt von der Verfasserin. Bohnen, Frankfurt a. M. 2000, S. 371.
25 Lessing (Anm. 1), S. 339. 40 In der ersten Anmerkung des sogenannten Briefwechsels über das Trauerspiel
26 Domenico Mugnolo hat z.B. Lessings Besprechung der Tragödie Merope als eine schreibt Lessing: ►>Wo Sie die aristotelische Erkliirung des Trauerspiels anfahren.
»nicht unerhebliche poetologische Reflexion« bezeichnet. Vgl. dazu Mugnolo Furcht und Mitleiden. Können Sie mir nicht sagen, warum sowohl Dacier als
(Anm. 2), S. 166. Curtius, Schrecken und Furcht für gleichbedeutende Worte nehmen? Warum sie
27 )>Das Wesen der Poesie verletzen und zerstören, insofern sie das Wahrscheinliche das aristotelische cpoßoi;, welches der Grieche durchgängig braucht, bald durch
zum Gegenstand hat«. (Maffei, Osservazioni sopra la »Rodoguna« [Anm. 22], das eine, bald durch das andre übersetzen? Es sind doch wohl zwei verschiedne
S. 8.) Die Übersetzung aus dem Italienischen stammt von der Verfasserin. Dinge, Furcht und Schrecken? Und wie, wenn sich das ganze Schrecken, wo­
28 Lessing (Anm. 1), S. 5 5 r. von man nach den falsch verstandenen aristotelischen Begriffen bisher so viel
29 Lessing (Anm. 1), S. 5 52. geschwatzt, auf weiter nichts, als auf diese schwankende Übersetzung gründete?
30 Vgl. dazu Marchi (Anm. 7), S. 142. [...] Aristoteles erklärt das Wort cpoßoi;, welches Herr Curtius am öfcersten Schre­
31 Lessing (Anm. 1), S. 393. cken, Dacier aber bald tetreur, bald crainte übersetzt, durch die Unlust über ein
32 Lessing (Anm. 1), S. 387. bevorstehendes Übel, und sagt, alles dasjenige erwecke in uns Furcht, was, wenn
33 »So seltsam wunderbare Dinge sah / Vielleicht noch Niemand auf der Bühne wir es an andern sehen, Mitleiden erwecke, und alles dasjenige erwecke Mit­
spielen<(. Zitiert wird hier aus der deutschen Übersetzung von Carl von Reinhard­ leiden, was, wenn es uns selbst bevorstehe, Furcht erwecken müsse. Dem zu
stoettner, die 1890 veröffentlicht wurde. Folge kann also die Furcht, nach der Meinung des Aristoteles, keine unmittelbare
34 Lessing (Anm. 1), S. 392. Wirkung des Trauerspiels sein, sondern sie muß weiter nichts als eine reflectierte
124 Francesca Tucci

Idee sein.« (Gotthold Ephraim Lessing, Briefwechsel über das Trauerspiel, in: Lessing, Romanus und die Rettung des Terenz
Werke und Briefe in zwölf Bänden, Bd. 3 [Anm. 17], S. 715.) Vgl. dazu Chiis­
tian Begemann, Furcht und Angst im Prozeß der Aufklärung. Zu Literatur und WOLFGANG F. BENDER
Bewußtseinsgeschichte des 18. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. 1987, und Jutta
Golawski-Braungart, Furcht oder Schrecken: Lessing, Corneille und Aristoteles,
in: Euphmion, XCXIII (1999), S. 401-431.
Wer war Karl Franz Romanus? Gewiß gehön er in die Riege der poe­
tae minores. Ältere Bibliographien berücksichtigen ihn durchaus. In der
-
Lessin g Forschung wird er kaum wahrgenommen. Goedeke gibt seine Le­
benszeit an: 1731-1787 und weist ihn aus als Geheimen Kriegsrat in Dres­
den. Ein schreibender Jurist mithin aus angesehener Juristenfamilie, dessen
Lustspiele in den 6oer Jahren des 18. Jahrhunderts in Dresden, Warschau,
Wien, Berlin und Leipzig erschienen. 1
Bis in die 8oer Jahre seines Jahrhunderts wird dieser literarisch ambiti­
onierte Jurist in der Theaterpublizistik mehrfach genannt. Das zeigt die
Suche in den Registern der inhaltserschließenden Bibliographie der Thea­
terperiodika des I8. Jahrhunderts. 2 Insofern stimmt dieser Befund überein
mit Lessings Bemerkung im 96. Stück der Hamburgischen Dramaturgie, in
dem er die im 73. Stück abgebrochene Romanus-Terenz-Diskussion wieder
aufnimmt. »Noch itzt sind diejenigen Stücke, die sich auf unserer Bühne
von ihm erhalten haben, eine Empfehlung seines Namens, der in Provinzen
Deutschlands genannt wird, wo er ohne sie wohl nie wäre gehöret worden.«
(388) 3 Joseph von Sonnenfels schätzt ihn in den Wiener Schaubühnen-Brie­
fen von I 768 neben Lessing, Geliert, Schlegel, Krüger, Brawe und Brandes
als ,,Theatraldichter« für »unsere Schaubühne brauchban< ein, auch wenn er
sich >>eine leichte Veränderung« wünschte.4
Karl Franz Romanus ist gegen Mitte des 70. Stücks gleichsam der Stich­
wortgeber im Diskurs über einen Brennpunkt aufklärerischer Poetologie:
die Zeichnung komischer und tragischer Charaktere, ihre Besonderheit
oder Allgemeinheit. In diesem Kontext gerät indes Romanus aus dem
Blickfeld, um erst wieder im 96. Stück Gegenstand einer ausführlichen
Analyse der von ihm vorgenommenen »Veränderungen« zu werden, d. h.
solcher Abänderungen, »die er in der Fabel des Terenz machen zu müssen
geglaubet, um sie unsern Sitten näher zu bringen.« (391) Terenz also rückt
in den Mittelpunkt des Interesses und bleibt, wenn auch seltener genannt,
gewissermaßen der geheime Fokus auch in den Stücken 92 bis 95, die Les­
sing fast zur Gänze mit Zitaten aus Richard Hurds Dissertation concerning
the Provinces ofthe several Species ofthe Drama (1749) ausfüllt.
Zwei umfangreiche Textblöcke umfassen Lessings Überlegungen zur
Strukturierung der Charaktere in Komödie und Tragödie, veranlaßt durch
die Aufführung des Lustspiels Die Brüder, die er als »größtenteils aus den
Brüdern des Terenz genommen« qualifiziert. (297) Und dann im ersten
Textabschnitt des 73. Stücks, wie so oft, das Versprechen, »das Weitere bis

Lessing Ycarbook / Jahrbuch 2014, Vol. XLI

Das könnte Ihnen auch gefallen