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Die Macht des Eros in den Dionysiaka des Nonnos

MONIKA FISCHER

Der Dichter Nonnos lebte im spätantiken Ägypten, vermutlich stammte er


aus dem oberägyptischen Panopolis in der Thebais, dem heutigen Achmim. 1
Seine exakten Lebensdaten sind umstritten, man kann ihn aber wohl mit
einiger Zuverlässigkeit in das 5. Jh. n. Chr. datieren.2 Ohne Zweifel war er
einer der bedeutendsten griechischen Epiker der römischen Kaiserzeit, ob er
auch als Begründer einer neuen Schule der Dichtkunst betrachtet werden
kann, wird in der Forschung kontrovers diskutiert.3
Mit Sicherheit verdanken wir Nonnos das umfangreichste antike Epos,
die Dionysiaka. In 48 Büchern hat der Dichter die Geschichte des Dionysos

*
Für die Durchsicht des vorliegenden Manuskripts danke ich meinem Mann Josef, sowie
Herrn Professor Georg Wöhrle und Herrn Piotr Woźniczka.
1
Zur Abstammung des Nonnos aus Panopolis vgl. das Epigramm eines unbekannten Dichters
aus dem neunten Buch der Anthologia Palatina (198): Νϊμμξπ βόὀ Πΰμ π λ μ λ πϊκθπ, μ
Υΰοήῃ γ βυδψ τχμέδμςθ βξμ π λζρΰ ΓθβΫμςχμ. „Nonnos heiße ich, stamme aus Panstadt.
In Pharia mähte | ich mit dem klingenden Schwert die Giganten scharenweis | nieder“ (Über-
setzung von EBENER). Dieses Epigramm weist auch darauf hin, daß sich Nonnos eine Zeitlang
in Alexandria (Pharia) aufgehalten und vermutlich dort sein umfangreiches Epos Dionysiaka
geschrieben hat. Fragmentarische Informationen über sein Leben scheinen auch einige
Passagen aus dem Epos zu liefern, wie z. B. die Beschreibung Beiruts (Dionysiaka 41, 14-42),
die vermuten läßt, daß er dort Jura studierte und demnach aus den höheren Kreisen der
Gesellschaft stammen könnte. Dazu CHUVIN (1994) 167ff., HOPKINSON (1994) 6, EBENER
(1985) 6ff.. Zu dem für das Ägypten des 5. Jh. n. Chr. typischen Phänomen des „wandernden
Dichters“ vgl. CAMERON (1965).
2
Hinweise für die chronologische Einordnung liefern einerseits ein Zitat aus den Historiai
(IV, 23) des AGATHIAS SCHOLASTIKOS (530-580 n. Chr.), wo Nonnos als Autor der Dionysi-
aka erwähnt und als einer von den jungen ( έο ) Dichtern bezeichnet wird, die in ihren
Werken die Geschichte des Marsyas beschrieben haben. Dieses Zitat fällt in die Zeit von 565
bis 580. Andererseits ist das Jahr 397, in dem CLAUDIAN seine Arbeit an de raptu Proserpi-
nae, ein Werk, das wohl von Nonnos (Dionysiaka 5, 563-6, 144) benutzt wurde, abbrach, als
ein terminus post quem zur Abfassung der Dionysiaka zu betrachten. Siehe zur Frage der
zeitlichen Einordnung des Nonnos außerdem WILAMOWITZ (1912) 254, 285, 287,
FRIEDLÄNDER (1912) 43-59, COLLART (1930), WIFSTRAND (1933) 78, KEYDELL (1936) 904ff,
WÓJTOWICZ (1980) 23, EBENER (1985) 6ff., APPEL (2002) 139.
3
Da die Lebensdaten des Nonnos sehr unsicher sind, läßt sich nicht eindeutig nachweisen, ob
solche Dichter wie Musaios, Triphiodor oder Kolluthos tatsächlich zu den „Nonnianern“
zählten. Allerdings ist die nonnianische Technik den Hymnen des Proklos (410-485) und den
Gedichten des Kyros von Panopolis (Konsul 441) noch fremd. Es ist aber durchaus möglich,
daß in Ägypten eine langjährige, sehr stark mit Rhetorik verbundene, poetische Schultradition
existierte, die zur Entstehung eines neuen, wahrscheinlich dem nonnianischen ähnlichen Stil
führte. Diese wäre eher als Gesamtwerk von unzähligen Dichtern als ein Einzelwerk des
Nonnos zu verstehen. Dazu: HERMANN (1805), FRIEDLÄNDER (1912) 43ff., WIFSTRAND (1933),
KEYDELL (1936) 904ff., RIEMSCHNEIDER (1957) 46-70, STRING (1966).
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von der Geburt bis zu seiner Apotheose auf den Olymp dargestellt. Das Epos
wurde wahrscheinlich zwischen 431 und 471 n. Chr. geschrieben. Es ist
einerseits ein eigenständiges Werk (vor allem unter lexikalischen, stilisti-
schen und metrischen Gesichtspunkten), andererseits ist es natürlich das
Ergebnis einer Auseinandersetzung mit der früheren epischen Tradition, der
Versuch insbesondere, sich mit den Meisterwerken Homers zu messen.
Nonnos bemüht sich dabei nicht, seine homerische „Herkunft“ zu verbergen,
sondern versucht Homer gegenüber eine eigene schöpferische Stellung
einzunehmen.4
Nonnos gilt auch als Autor der Paraphrase des Johannesevangeliums,
dies ist aber keine opinio communis. In der Forschung wird auch die Mei-
nung vertreten, daß die sprachlichen und metrischen Differenzen, die man in
beiden Werken findet, zeigen, daß es sich bei Nonnos nicht um den Autor
der Paraphrase handeln kann.5 Jene Forscher dagegen, die eine Autorschaft
des Nonnos für möglich halten, nehmen als Beweis dafür das Adjektiv
ηδζς ιξπ, das nicht nur in den Dionysiaka (45, 98 in Bezug auf die Göttin
Rhea und 41, 112 auf Wasser) sondern auch in der Paraphrase vorkommt.6
Beide Werke verbindet sicherlich auch das εotiv eines „Erlösers“,7 dessen
Aufgabe darin liegt, das Leben der Menschen erträglich (bzw. erträglicher)
zu machen, wobei die bei der Erfüllung dieser Aufgabe benutzten Mittel
völlig verschieden sind, was durch die Unterschiede zwischen Dionysoskult
und Christentum bedingt ist. In der Paraphrase wird die Erlösung der Sterb-
lichen zur Aufgabe Christi, in den Dionysiaka zu der des Dionysos.
Im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen steht jedoch nicht die Rolle
des Weingottes im nonnianischen Epos, sondern vielmehr ein besonderer

4
Ein Beweis dafür ist in der Anrede des NONNOS an HOMER (Dionysiaka 25, 253-263) zu
finden. Dort sagt der Dichter, daß es nicht seine Absicht sei, die Kämpfe vor Troia zu be-
schreiben, und auch HOMER selbst hätte sich einem anderen Thema, nämlich dem des „Bak-
chos-Gigantenbezwinger“, zuwenden sollen. Doch bedürfe Nonnos der „süßen Stimme“
seines Vorbilds. Dazu: APPEL (2002) 142, HOPKINSON (1994) 9-42, WÓJTOWICZ (1980) 24-33,
VIAN (1991) 5-18.
5
Dazu: COULIE/ SHERRY (1995). Die Frage nach der Zugehörigkeit des Dichters zur christ-
lichen Gemeinschaft steht zwar im Zentrum eines bemerkenswerten Teils der Nonnosfor-
schung, bleibt aber ungelöst. Dazu: BOGNER (1934) 320ff., CHUVIN (1986) 387-396, WILLERS
(1992) 141-151, WÓJTOWICZ (1974) .
6
Dieses Adjektiv gilt seit dem Konzil von Ephesos als die Bezeichnung von Maria. Das Jahr
431 kann also als terminus post quem für die Paraphrase betrachtet werden. Die Autorschaft
des Nonnos bestätigt auch die Tatsache, daß er in der Suda ( 489) als Autor der Paraphrase
erwähnt wird. Zu der Paraphrase siehe auch: WÓJTOWICZ (1980) 118ff., APPEL (2002) 164
7
Dazu: DASZEWSKI (1985), EBENER (1985) 15ff., BOWERSOCK (1994).
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Aspekt der Dionysiaka, nämlich die Rolle des Eros, des Gottes der Liebe,
der häufig im Umfeld des Dionysos anzutreffen ist.8
Den Hauptteil des Epos des spätantiken Dichters bildet ein Feldzug des
Dionysos, den er gegen die Inder führen muß, um diese zur Unterwerfung zu
zwingen und sich dadurch der Apotheose würdig zu erweisen. Daher gibt es
in den Dionysiaka genügend Beispiele für kriegerische Gewalt, die nicht nur
während des Kampfes (auf dem Schlachtfeld), sondern auch bei der Be-
handlung der Kriegsgefangenen zu sehen ist. Während der Kämpfe geraten
viele indische Männer in die Kriegsgefangenschaft, und indische Frauen
werden nach einem verlorenen Kampf zu Sklavinnen des Siegers. Auf der
Seite des Dionysos zählen sowohl Männer als auch Frauen (v. a. Bacchan-
tinnen) zu den Mitkämpfern, die ebenfalls mit dem Verlust der Freiheit
rechnen müssen. Gewalt wird also von beiden Kriegsparteien und gegen
beiderlei Geschlecht ausgeübt. An manchen Stellen kommt diese Gewalt
auch durch den Zwang der Frauen zu sexuellen Diensten zum Ausdruck.
Als Beispiel können hier drei Szenen dienen, von denen sich die ersten
beiden auf zwei Mitkämpferinnen des Dionysos beziehen. Beide werden
namentlich erwähnt, im Gegensatz zu unzähligen namenlosen Frauen, die
zum Gefolge des Dionysos gehören. Dies führt dazu, daß die Aufmerksam-
keit des Lesers ganz besonders auf diese zwei Frauen und ihr Schicksal
gelenkt wird. Der thrakische König Lykurgos, der an der Seite des Königs
der Inder, Deriades, kämpft, will sie beide besiegen. Um seine eigene Tap-
ferkeit zu beweisen, faßt er den Vorsatz, zunächst gegen Bassaris zu kämp-
fen, die zu dem Gefolge des Dionysos gehört und als starke άπα α9
bezeichnet wird (Dionysiaka 20, 238-239). Da Lykurgos sie aber selbst als
„stark“ charakterisiert, ist diese Eigenschaft der Bassaris zumindest subjektiv
gebrochen und dient v. a. dazu, seine eigene angebliche Stärke zu betonen.
Als Kriegsgefangene soll Bassaris (nach den Vorstellungen des Lykur-
gos) gezwungen sein, ihm zu dienen und als eine Sklavin (γλχ π ἀμΰβιΰήζ)
unterschiedliche Dienste zu verrichten. Tagsüber soll sie das Korn mahlen

8
Vgl. Dazu KERÉNYI (1966) 20-22; 197-215, WINKLER (1974). Zu der Bedeutung des Eros
vgl. FISCHER (1973) 48-62.
9
In den homerischen Epen findet sich nur die männliche Form άπω „Diener, Gefährte,
Gefolgsmann“, später gewinnt diese Bezeichnung eine neue, mit der Verehrung von
Gottheiten verbundene Bedeutung. Nun entstanden auch feminine Formen (ηδο πΰθμΰ,
ηδο πμζ, ηδοΰπδ ΰ, ηδοΰπζ ζ). Zur Etymologie vgl. E. KRETSCHMER (1930) 72ff., P.
KRETSCHMER (1933) 90ff., FRISK (1973) 663ff., s. v. ηδο πχμ. In der Zeit nach Herodot
„wird ηδο πΰθμΰ als weibliche Entsprechung zu ξ ι ςζπ und ἀμγο πξγξμ zur gängigsten
Bezeichnung der Sklavin“ (GSCHNITZER [1981] 94ff.). In den Dionysiaka werden meist
Bacchantinnen, die zum Gefolge des Dionysos gehören, als ηδο πΰθμΰ bezeichnet. Davon
abgeleitet ist das Adjektiv ηδοΰπμΰ ξπ, das etwa Dionysiaka 4, 134 vorkommt.
108 Monika Fischer
10
und Wolle spinnen, nachts dagegen seine körperlichen Begierden befriedi-
gen. δetzteres wird hier durch das Substantiv ὑ έ α ο , „Hochzeit“, das an
dieser Stelle offensichtlich sexuelle Bedeutung gewinnt und eher ironisch zu
verstehen ist, ausgedrückt. Lykurgos äußert seine Wünsche bezüglich der
Mitkämpferin des Dionysos in folgendem Gespräch mit seinem Vater, dem
Kriegesgott Ares (Dionysiaka 20, 242-246):
[...] ιΰοπ μ ἀκδςοδϋξσρΰ λϋκζπ ςοξυξδθγάθ πάςοῳὀ
ιΰ ρςδτΫμξσπ ήφΰρΰ, ιΰ μ ιΰκάξσρθμ πόοζμ,
νσμ γθγΰριάρηχ λδκδγέλΰςΰ γήεσβθ ηδρλ ,
γλχ π ἀμΰβιΰήζ ιΰ ΠΰκκΫγθ ιΰ Κσηδοδήῃ
ἠλΰςήξθπ ςΰκΫοξθρθ ιΰ μμσυήξθπ λδμΰήξθπ, [...]
[...] dann (sc. soll sie) mit dem runden Mühlstein11 Getreidekörner zermalmen.
Wegwerfen soll sie Kränze und was sie als Herbstfrucht bezeichnen,
soll es lernen, zwei niedrige Arbeiten jetzt zu verbinden,
zwangsweise12 Sklavin für Kythereia13 sowie für Athene,
tagsüber Wollkörbchen schwingen und nächtlich im Beischlaf sich üben, [...]

Die Vorstellungen des Lykurgos, die er hinsichtlich der Dienste der Bas-
saris hat, weisen darauf hin, daß in den Dionysiaka Kriegsgefangene ge-
nauso selbstverständlich zu sexuellen Diensten gezwungen werden können
wie zu typischen Frauenarbeiten. Die Tatsache, daß Dienste beider Art zu

10
Solche Arbeiten müssen auch die fünfzig Dienerinnen des Alkinoos verrichten (HOMER
Odyssee 7, 103–105): πδμςέιξμςΰ γά ξ γλῳΰ ιΰς γ λΰ βσμΰῖιδπ | ΰ λ μ ἀκδςοδϋξσρθ
λϋκῃρ’ πθ λέκξπΰ ιΰοπϊμ, | ΰ γ’ ρςξ π τϊχρθ ιΰ ἠκΫιΰςΰ ρςοχτ ρθμ „Fünfzig Weiber
dienten im weiten Palaste des Königs. | Diese bei rasselnden Mühlen zermalmeten gelbes
Getreide; | Jene saßen und webten, und drehten emsig die Spindel“. (Übersetzung: Voss)
Dienerinnen, die das Getreide mahlen, findet man auch im Palast des Odysseus (HOMER
Odyssee 20, 106-111). Vgl. dazu STRASBURGER (19ιθ) 1θμ „Die Ilias zeigt die εenschheit in
der Ausnahmesituation des großen Krieges, schon das gibt wenig Gelegenheit, die gewöhn-
liche Lebensordnung vorzuführen [...].“ sowie ebendort: „[...] in den Heimatszenen der
Odyssee ist alltägliche Lebenswirklichkeit mit besonderer Liebe und Meisterschaft geschil-
dert“. Siehe außerdem RAMMING (1973) 43-47.
11
Das Motiv der Arbeit mit dem Mühlstein kommt nur an dieser Stelle vor. Den Mühlstein
selbst findet man im Epos bei Vergleichen, wo auf die enorme Größe dieses Steins Bezug
genommen wird, z. B. in den Dionysiaka 17, 201: ηκΰρδμ ἄιοΰ λάςχπΰ αΰκ μ λσκξδθγάθ
πάςοῳ „Er zerschmetterte die Stirn, werfend mit einem mühlsteinartigem Felsblock“ (eigene
Übersetzung). Dieselbe Formel findet sich bereits bei HOMER, (Ilias 7, 270: δ ρχ γ’ ἀρπήγ’
ΰνδ αΰκ μ λσκξδθγάψ πάςοῳ). Die Formel αΰκ μ λσκξδθγάθ πάςοῳ kommt in den Diony-
siaka nur einmal vor, daher ist es schwer festzustellen, ob es sich an dieser Stelle um eine
bewußte Nachahmung Homers handelt. Vermutlich ist dies aber der Fall.
12
An dieser Stelle soll erwähnt werden, daß der Zwang von Nonnos auch als eine mächtige
Gottheit dargestellt wird wie in der Rede der Ino, die sie an ihren Sohn Melikertes richtet
(Dionysiaka 10, 90): ςάιμξμ, Ἀμΰβιΰήζ λδβΫκζ ηδϊπ· δ π ςήμΰ τδϋβδθπν „εächtig, mein Kind,
ist Göttin Ananke. Wo findest du Zufluchtς“ Alle Übersetzung der Passagen aus den Dionysi-
aka stammen, wenn nicht anders gekennzeichnet, von EBENER (1985).
13
Kythereia ist einer der Beinamen der Aphrodite (vgl. etwa HOMER Odyssee 18, 193).
Die Macht des Eros in den Dionysiaka des Nonnos 109
den Aufgaben der Kriegsgefangenen gehören, wird an dieser Stelle durch die
Zusammenstellung der Göttin Aphrodite (Göttin der Liebe) mit Athene
(Göttin der Webkunst) betont.
Bei der zweiten Stelle, die sich ebenfalls auf eine Mitkämpferin des Dio-
nysos bezieht, handelt es sich um den Kampf zwischen Lykurgos und Am-
brosia, der mit folgenden Worten beschrieben wird (Dionysiaka 21, 17-21):
μμδπδμὀ Ἀλαοξρήζμ γ λάρζμ βσθΰκιάθ γδρλ
υδθο κΰα μ πήδεδὀ ιΰ ηδκδ γδρλ ιΰηΫφΰθ,
ξ ΰ γξοθιςέςζμ λδςΰμΫρςθξμ δ π γϊλξμ κιχμ,
πΰθγξιϊλξμ Βοξλήξθξ τάοχμ ηθΰρόγδΰ Νϋλτζμ,
ἀλτθςϊλῳ αξσπκῆβθ λδςΫτοδμΰ γξϋκθΰ μϋρρχμ.
Derart rief er und packte die Nymphe, umklammerte ihre
Hüfte mit kraftvollem Griff. Er wollte in Fesseln sie schlagen,
sie als Gefangene mit sich schleppen in seine Behausung,
einer der Frauen, die Bakchos als Kindlein betreuten, den sklavisch
wehrlosen Rücken mit seinem zweischneidigen Schlachtbeil zerfleischen.

Lykurgos will Ambrosia besiegen und sie wie eine Kriegsgefangene (gr.
ξ ΰ γξοθιςέςζμ) in sein Haus schleppen. Dort würde er sie grausam behan-
deln, offenbar aus Rache für die Taten des Dionysos, dessen Amme Ambro-
sia war. Was mit Ambrosia tatsächlich passiert, erfahren wir nicht. Die
genaue Beschreibung des Kampfes und der brutalen Absichten des Lykurgos
führt jedoch dazu, daß die Darstellung der Kriegsereignisse an dieser Stelle
nahezu realistisch erscheint.14 Sie zeigt, wie gewaltsam diejenigen Frauen
behandelt werden können, die, nachdem sie durch Männer besiegt worden
sind, in Kriegsgefangenschaft geraten. Sie werden gefesselt und geschlagen
und ins Haus des Siegers geschleppt, wo sie auf keine Gnade hoffen dürfen.
Die Grausamkeit des Siegers scheint im Kontext des epischen Krieges
„normal“ zu sein. δykurgos soll dabei nicht als besonders grausam dar-
gestellt werden, vielmehr dienen die aufgeführten Stellen dazu, seine Macht
zu unterstreichen.
Auch in der dritten Szene, die sich auf die Mitkämpferinnen des Diony-
sos bezieht, tritt der König Lykurgos auf. Hier wird wieder dessen Macht,
über das Privatleben anderer Menschen zu bestimmen, thematisiert. Diesmal
handelt es sich aber nicht nur um die kriegsgefangenen Frauen, sondern auch
um seine eigenen Diener. Er will seiner Mutter Aphrodite nach einem Sieg
über Dionysos dessen Dienerinnen (gr. ἀλτ πξκξθ15) schenken.16 Sein Plan

14
Vgl. SCHULZE (1973) 103-112.
15
Vgl. CHANTRAINE (1933) 8, 11; GSCHNITZER (1976) 40ff. Der Terminus ἀλτ πξκξπ ist ein
„uraltes Wort“ (KRETSCHMER [1930] 72), das bereits in den Linear B-Texten auftaucht und
mit den Verba ἀλτθπ κδρηΰθ (umgeben, umkreisen) und ἀλτθπξκδ δθμ zu verbinden ist.
Dabei ist zu beachten, daß diese Form aktivischen wie passivischen Sinn haben kann, gele-
gentlich sogar in ein und demselben Wort (Pax [1937] 2 Anm. 5), vgl. dazu PINDAR Olympi-
110 Monika Fischer

ist es, die Dienerinnen als Kriegsgefangene zur Heirat mit seinen eigenen
Dienern zu zwingen – was ihm aufgrund des Kriegsrechts möglich ist. Es ist
die einzige Stelle im nonnianischen Epos, an der das Recht des Siegers, über
das Privatleben – insbesondere über deren Sexualität – seiner Diener und
Kriegsgefangenen zu bestimmen, mit solcher Autorität und Deutlichkeit
dargestellt wird. Die Worte des Lykurgos lassen keine Zweifel über die
unbegrenzte Macht des Königs (Dionysiaka 20, 232-235):
[...] βσμΰθλΰμάξπ γ Λσΰήξσ
ἀλτθπϊκχμ ρςήυΰ πᾶρΰμ λξῖπ γλόδρρθ17 ρσμΫφχ
δ π δ μ μ ἀμΫδγμξμ ἀμΰβιΰήχμ λδμΰήχμ,
ξ ΰ γξοθιςέςξθρθ πάκδθ ηάλθπ18·[...]

sche Oden 1, 96 und EUSTATHIUS Kommentar zur Ilias 1, 620, 32f. (zu Hom. Il. 3,143). Nach
PAX (1937) 27 hat HOMER selbst eine Beschreibung dieses Begriffs, der in den homerischen
Epen 74-mal vorkommt, gegeben (Odyssee 10, 348-349): ἀλτήπξκξθ γ’ ἄοΰ ςδῖξπ μ
λδβΫοξθρθ πάμξμςξ | ςάρρΰοδπ, ΰ ξ γ λΰ ιΫςΰ γοέρςδθοΰθ ΰρθ. „Und in dem hohen Palaste
der schönen Zauberin dienten | Vier holdselige Mägde, die alle Geschäfte besorgten.“ (Über-
setzung: Voss). Nach PAX (1937) 28 bezeichnete der Begriff ursprünglich den <Priester, der
herumwandelte>, doch diente er bereits in mykenischer Zeit zur Bezeichnung von Dienstper-
sonal. Es ist bemerkenswert, daß das Substantiv ἀλτ πξκξπ zwar in beiden homerischen Epen
vorkommt, aber stets nur als Femininum. Vgl. dazu Scholien zu Odyssee 1,136: ἀλτήπξκξπ
ἀπ ςξ πδο ς μ γδρπϊςζμ πξκδῖρηΰθ. ιΰ ρςθμ π βσμΰθι π, ποϊρπξκξπ γ π ἀμγοϊπ. „Die
Bezeichnung ἀλτήπξκξπ kommt vom Umkreisen des Herrn. Die ἀλτήπξκξπ ist bei einer Frau,
bei einem Mann ist der ποϊρπξκξπ.“ (eigene Übersetzung) sowie EUSTATHIUS Kommentar zur
Odyssee 1, 334, 44f.μ ῶ λ μ β ο ξ ἄοοδμδπ γξ κξθ, ηΰςάοξσ γ βάμξσπ ΰ ἀλτήπξκξθ
„Denn ῶ sind männliche Sklaven, ἀλτήπξκξθ gehören zum anderen Geschlecht.“ (eigene
Übersetzung) und DERS. Kommentar zur Ilias 1, 620, 30ff.: ξ γ πΰκΰθξή τΰρθ ιΰή, ςθ
ποϊπξκξπ λ μ ιΰ π ἀοοάμχμ, ἀλτήπξκξπ γ ἀδ π βσμΰθι μ. „Die Alten sagen auch, dass
der ποϊπξκξπ bei Männern ist, die ἀλτήπξκξπ aber immer bei Frauen“ (eigene Übersetzung).
In nachhomerischer Zeit wird ἀλτ πξκξπ immer seltener verwendet, zur Bezeichnung einer
unfreien Bediensteten dient hauptsächlich der Begriff ηδο πΰθμΰ.
16
Von den Dienerinnen dieser Göttin ist in den Dionysiaka oft die Rede; im 33. Gesang
(Dionysiaka 33, 111-112) werden Charis und Peitho erwähnt, die als ἀλτ πξκξθ bezeichnet
werden. Über Dienerinnen der Aphrodite spricht NONNOS auch im 24. Gesang (Verse 262-
264). Da werden Pasithea, Peitho und Aglaie erwähnt, als Leukos, auf die Bitte des Lapethos,
von dem Wettstreit zwischen Aphrodite und Pallas gesungen hat. Die Erzählung von der
Weberin Aphrodite ist sonst nicht bekannt, und auch der Sänger Leukos ist nur bei Nonnos
genannt (Dionysiaka 24, 230). Vorbild dieser ganzen Episode ist der 8. Gesang der Odyssee
mit dem Lied des Demodokos (474ff.).
17
Der Begriff γλ π (in der Ilias nur einmal, in der Odyssee 33-mal belegt) bzw. γλῳ (10 :
47) ist eher von *dem-, *dom- "Haus" (vgl. griech. γ λξπ) als von γ λμζλθ „bezwingen,
unterwerfen“ abzuleiten. Der Begriff geht damit nicht nur auf dieselbe Wurzel wie γξ κξπ
zurück, sondern entspricht so auch nach Etymologie und Grundbedeutung den Termini ξ ιδ π
und ξ ι ςζπ. Vgl. dazu NORTHEIDER (1955) 222ff., BERINGER (1961) 259-291, GSCHNITZER
(1964) 71f., FRISK, B. I, (1960) 402-403. Dabei sind γλ δπ und γλῳΰ Oberbegriffe für das
gesamte Gesinde, und die Bezeichnung γλῳΰ umfasst auch die ἀλτ πξκξθ. Der Status
scheint es dabei nicht gewesen zu sein, welcher die beiden voneinander trennt. Die Dienerin-
nen werden ἀλτ πξκξθ oder γλῳΰ genannt „nicht je nach ihrer Rechtsstellung oder ihrer
Stellung im Hause, sondern je nachdem, in welchem Zusammenhang sie erwähnt, unter
welchem Aspekt sie also vom Erzähler gesehen werden“ (GSCHNITZER [1976] 22).
Die Macht des Eros in den Dionysiaka des Nonnos 111
[...] Das ganze Weibergefolge
Aber des geilen Dionysos werde ich paaren mit meinen
Sklaven, zur Zwangshochzeit, ohne Mitgift, so wie man, nach Sitte,
mit den Gefangenen umspringt im Kriege. [...]

Diese Szene unterscheidet sich von den vorher aufgeführten dadurch, daß
die Betroffenen nicht nur Frauen sondern auch Männer sind. An allen drei
Stellen werden jedoch Menschen dargestellt, die sich in einem durch den
Krieg verursachten Unterlegenheitsverhältnis befinden. Dies wiederum führt
dazu, daß ihr Leben einschließlich seiner erotischen Sphäre durch die Herren
(bzw. die Sieger) bestimmt wird. Die sexuelle Unterlegenheit wird hier zu
einem Bestandteil des Dienstverhältnisses. Die Darstellung der zwischen-
menschlichen Verhältnisse kann unter Umständen auf erzwungene, rein
sexuelle Beziehungen beschränkt werden.
Beispiele für Verhältnisse dieser Art finden wir auch (wie schon durch
die letzte Stelle angedeutet) auf der Seite der Inder. Kommen wir damit zu
den indischen Frauen, die bei der Beschreibung von Kriegsereignissen
auftreten. Diejenigen, die nach einem verlorenen Kampf in die Kriegsgefan-
genschaft geraten, werden als Beute behandelt. Vor der Kriegsgefangen-
schaft müssen sich aber nicht nur einfache Frauen fürchten, auch die Tochter
des Königs Deriades muß mit Freiheitsverlust rechnen. Cheirobië bringt ihre
Ängste mit folgenden Worten zum Ausdruck (Dionysiaka 40, 155-157):
[...] λ εσβ γξσκξρϋμζπ αΰοσΰυηάΰ, λέ ςθπ μήφῃὀ
ιξϋοζ ΔζοθΫγΰξ γξοθηοΰράξπ αΰρθκῆξπ
κζθγήζ λδς γῆοθμ πξγοέρρδθ Δθξμϋρῳ .
[...] Niemals (sc. werde ich) ein Sklavenjoch schleppen. Niemand soll mich
verhöhnen:
Des Deriades, des Königs und tapferen Speerkämpfers, Tochter
ward nach dem Kriege gefangen und leistet Dienste dem Bakchos!

Welche Dienste Cheirobië zu leisten hätte, ergibt sich aus den Worten ih-
rer Mutter, die sich (nach dem Tod ihres Mannes) um Cheirobië und ihre
Schwester Protonoë Sorgen macht (Dionysiaka 40, 206-207):
λέ πξςδ Φδθοξαήζπ ςδοξμ βϊξμ ξ ιςο μ ἀιξϋρχ
κιξλάμζπ π οχςΰ19 γξοθιςέςχμ λδμΰήχμ·
Niemals will ich noch einmal Cheirobiës Jammer hören,
wenn man sie schleppt zu der kriegsgefangenen Wollust.

18
Ähnliche Ausdrücke zu diesem Motiv finden sich Dionysiaka 17, 190f. (ρ π ποξπϊκξσπ
μγξῖρθ βσμΰθλΰμάδρρθ ρσμΫφχ | κιξλάμΰπ π κάιςοΰ γξοθιςέςχμ λδμΰήχμ.), Dionysiaka
35, 18f. ( ςςθ βσμΰθλΰμάδρρθμ ἄμΰν πδςάκκδςξ κΰξῖπ | τδϋβδθμ γέθΰ κάιςοΰ γξοθιςέςχμ
λδμΰήχμ), Dionysiaka 40, 206f. (λέ πξςδ Φδθοξαήζπ ςδοξμ βϊξμ ξ ιςο μ ἀιξϋρχ |
κιξλάμζπ π οχςΰ γξοθιςέςχμ λδμΰήχμ·). Jedoch fehlt hier das entscheidende Wort ηάλθπ,
das solche Taten zu rechtfertigen scheint.
19
Vgl. ROSENMEYER (1951) 11-22.
112 Monika Fischer

An dieser Stelle wird der Zwang zu sexuellen Diensten durch die Worte
οχςΰ γξοθιςέςχμ λδμΰήχμ (wörtlichμ „Begierde der erbeuteten Hoch-
zeit“) ausgedrückt. Sie weisen darauf hin, daß die erzwungenen sexuellen
Dienste in einem festen Zusammenhang mit der Erbeutung der Frauen wäh-
rend des Krieges stehen. Hätte es keinen Krieg gegeben, hätte die Königin
nicht um ihre Töchter fürchten müssen. Da ihre Ehemänner, Brüder und
sogar ihr Vater tot sind, haben die Frauen niemanden mehr, der sie vor den
Feinden beschützen könnte. Es ist ihnen klar, daß sie in die Kriegsgefangen-
schaft geraten, wo sie wie Sklavinnen behandelt und zu sexuellen Verhält-
nissen mit ihrem Herrn gezwungen werden.
In der epischen Dichtung werden nicht nur die Ängste der Frauen be-
schrieben, sondern auch die Befürchtungen der Männer vor der Versklavung
ihrer Frauen während eines Krieges werden thematisiert. Letztere findet man
schon in der Ilias. Als Beispiel kann eine Szene aus dem homerischen Epos
dienen, in welcher der Abschied Hektors von Andromache dargestellt wird.
Welches Schicksal Andromache nach dem Tod ihres Mannes erwarten
würde, wird aus den Worten des Hektors deutlich (Ilias 6, 450-58):
ἀκκ’ ξ λξθ Σοόχμ ςϊρρξμ λάκδθ ἄκβξπ πήρρχ,
[...] ρρξμ ρδ , ςδ ιάμ ςθπ Ἀυΰθ μ υΰκιξυθςόμχμ
γΰιοσϊδρρΰμ ἄβζςΰθ κδϋηδοξμ λΰο ἀπξϋοΰπ20·
ιΰή ιδμ μ Ἄοβδθ ξ ρΰ πο π ἄκκζπ ρς μ τΰήμξθπ,
ιΰή ιδμ γχο τξοάξθπ Μδρρζΐγξπ Ὑπδοδήζπ
πϊκκ’ ἀδιΰεξλάμζ, ιοΰςδο γ’ πθιδήρδς’ ἀμΫβιζ·
Doch nicht der Schmerz um die Troer wird mich hernach so kümmern
[...] so wie um dich, wenn einer von den erzgewandeten Achaiern
Dich Weinende entführt und raubt dir den Tag der Freiheit,
Und du in Argos webst für eine andere am Webstuhl
Und Wasser trägst von der Quelle εesseїs oder Hypereia
Viel widerstrebend, doch ein harter Zwang liegt auf dir21

Der drohende Verlust der Freiheit seiner Frau wird in den Worten Hek-
tors durch die Formel κδϋηδοξμ λΰο ἀπξϋοΰπ („den Tag der Freiheit
rauben“) zum Ausdruck gebracht. Der Raub der Freiheit führt unvermeidlich
zum Beginn der Knechtschaft, bei der sexuelle Gewalt im Hintergrund zu
vermuten ist. Die Wendung κδϋηδοξμ λΰο ἀπξϋοΰπ dient an dieser Stelle
dazu, die Bedeutung der Freiheit zu betonen und den Worten Hektors eine
sehr persönliche und besorgte Note zu geben. Ihm ist nämlich klar, daß sich
seine Frau im Falle seines Todes in einer ausweglosen Situation befinden
wird, in der sie nur auf die Gnade des Siegers hoffen kann.

20
WICKERT-MICKNAT (1983) schreibt dazu (40 insb. Anm. 4)μ „daß der Beginn der
Knechtschaft durch Negation der Freiheit ausgedrückt wird, kann zeigen, wie stark das
Freiheitsgefühl ist.“
21
Übersetzung: Schadewaldt.
Die Macht des Eros in den Dionysiaka des Nonnos 113
An allen bisher aufgeführten Stellen wird die Situation der betroffenen
Frauen sehr dezidiert dargestellt, was dem Leser einen besonders drastischen
Eindruck vermittelt. Durch die eindringliche Schilderung sollte das Publi-
kum berührt und mit dem harten Schicksal der Frauen konfrontiert werden.22
Aus den bisher aufgeführten Belegen wird außerdem deutlich, daß vor allem
die Frauen (auf beiden Seiten) damit rechnen müssen, nach der Versklavung
zu sexuellen Diensten gezwungen zu werden. Die sexuellen Begierden der
Männer – in Verbindung mit der Verteilung von Macht und Herrschaft
zwischen Mann und Frau in der Gesellschaft sowie der Verschränkung von
Sexualität und Macht – führen dazu, daß die kriegsgefangenen Frauen er-
niedrigt werden, indem sie erzwungene sexuelle Beziehungen mit ihren
Herren haben. Diese Beziehungen ihrerseits sind auch durch das im Krieg
entstandene Unterlegenheitsverhältnis verursacht, das solche Taten zu
rechtfertigen scheint. Beziehungen dieser Art, die aus heutiger Sicht Verge-
waltigungen sind,23 bilden im nonnianischen Epos offensichtlich einen
Bestandteil des zwanghaften Dienstverhältnisses und werden somit zu einem
der Zeichen des erfolgreichen Sieges über die Feinde.
Unter ganz anderen Vorzeichen steht hingegen eine Episode der Diony-
siaka, welche von der Beziehung zwischen zwei auf verschiedenen Seiten
kämpfenden Personen handelt. Es geht um die Geschichte von Chalkome-
deia, einer schönen Bacchantin, einer ηδο πΰθμΰ (Mitkämpferin) des Diony-
sos, welche diesem im Kampf gegen die Inder beistehen soll, und Morrheus,
einem Schwiegersohn des Deriades, des Königs der Inder. Interessant ist in
diesem Zusammenhang besonders, wie die Gefühlswelt des Morrheus mit
den Metaphern von Liebe und Sklaverei erfaßt wird.
Der Hintergrund der Erzählung ist folgender: Um Dionysos zu helfen,
will Aphrodite Unruhe in die Einheiten der Inder bringen, deswegen be-
auftragt sie ihren Sohn Eros, Morrheus dazu zu bringen, sich in Chalkome-
deia zu verlieben. Der Wunsch der Göttin der Liebe wird verwirklicht. Um
zur Erfüllung seiner Liebe zu gelangen, ist Morrheus sogar bereit, Dionysos
zu dienen, was er mit folgenden Worten zum Ausdruck bringt (Dionysiaka
33, 248-262):
ἄκκῳ ηδολξςάοῳ πσο αΫκκξλΰθ. ΰ ηδ ιΰ ΰ ςϊπ,
ΰ ηδ βσμΰθλΰμάχμ ΢Ϋςσοξπ πάκξμ, τοΰ υξοδϋρχ
λδρρϊηθ Βΰρρΰοήγχμ, πΰκΫλῃ γ’ μΰ πῆυσμ οδήρΰπ
ρτήβνχ γδρλ μ οχςξπ π’ ΰ υάμθ Φΰκιξλδγδήζπ. ...
δ π Υοσβήζμ Δθϊμσρξπ πΫξμΰ Δζοθΰγῆΰ
γξσκξρϋμζπ οϋρδθδμ π εσβϊμ, ἀμς γ πΫςοζπ

22
Die Emotionen der Frauen werden in die vergleichsweise objektive Darstellung ihrer
Geschichte eingefügt, wodurch sie zu einem Focalizator (Focalizer-Wahrnehmer) der
subjektiven Bewertung des Geschehenen durch den Dichter werden. Dazu: SCHMITZ (2000).
23
Zur Vergewaltigung in der Antike vgl. DOBLHOFER (1994).
114 Monika Fischer
Μΰθξμήζ πξκϋξκαξπ μ μΰάςζμ λδ γδυάρηχὀ
Σλ κξμ υδθμ ηάκχ λδς Κΰϋιΰρξμὀ ἀουάβξμξμ γ
μγ μ ἀπξοοήφΰπ λ μ ξ μξλΰ Λσγ π ἀιξϋρχ,
ΰ υάμΰ γξ κξμ Ἔοχςξπ πξικήμχμ Δθξμϋρῳὀ
Πΰιςχκ π τδοάςχ λδὀ ςή λξθ πΰςο ξπ ὙγΫρπζπί
Φΰκιξλάγζπ γ’ υάςχ λδ γϊλξπ βκσιϋπὀ μ πξκάλξθπ β ο
Κϋποθπ λξ ιΰ ΒΫιυξπ π’ ἀλτξςάοξθρθ αδκάλμξθπ
βΰλαοξῖπ Δζοθΰγῆξπ πάυοΰξμ, τοΰ ςθπ δ πῃὀ
Μξοοάΰ ιδρς π πδτμδ, ιΰ ιςΰμδ ηϋορξπ οϊμςζμ .
Mich brennen andere, heißere Gluten. Könnte ein weiberbeseßner
Satyr ich werden, könnte ich mich inmitten der Bakchen,
ihrem Reigentanz anschließen, mich auf den Arm Chalkomedes
stützen, den Nacken ihr mit der Fessel der Liebe umschlingen!
Möge Dionysos Morrheus als Diener nach Phrygien schleppen,
unter das Sklavenjoch zwingen ihn, mag anstelle von Indien
mich das beglückte maionische Land als Bürger begrüßen!
Nicht mehr den Kaukasos, sondern den Tmolos will ich bewohnen
Möchte nicht länger wie ehemals Inder, nein, Lyder jetzt heißen,24
vor Dionysos beugen den Nacken als Sklave des Eros!
Mag der Paktolos mich tragen. Was gilt mir Hydaspes der Ahnen?
Chalkomedeias herrliche Heimat umfange mich! Kypris
wie auch Dionysos trafen zu weit mit ihren Geschossen
des Deriades Schwiegersöhne. So könnte man sagen:
Morrheus erlag dem Liebesgurt, aber Orontes dem Thyrsos!

Morrheus will Chalkomedeia besiegen und sie mit der Fessel der Liebe
(gr. γδρλ μ οχςξπ) zum Gehorsam zwingen. Die Kapitulation des
„Gegners“ soll diesmal (nach seinen Vorstellungen) nicht durch Gewaltan-
wendung, sondern durch die Liebe erfolgen. Morrheus ist sich jedoch be-
wußt, daß der Preis für die Erfüllung seiner Liebe unter Umständen seine
eigene Versklavung ist; er weiß, wie er als Besiegter behandelt werden
würde. Die Fessel der Liebe stellt er in seinem Selbstgespräch dem Joch der
Sklaverei (gr. εσβϊμ γξσκξρϋμζπ) gegenüber. Morrheus selbst muß sich der
Macht des Eros unterwerfen und wünscht sich, daß Chalkomedeia seine
Gefühle erwidern möge.
Morrheus wird hier von der Liebe besiegt und dadurch zum Sklaven des
Eros gemacht. Um die Liebe der Chalkomedeia zu gewinnen, ist er bereit,
seinem Schwiegervater Deriades, dem mächtigen König der Inder, Wider-
stand zu leisten und an der Seite des Dionysos zu kämpfen. Die Hilflosigkeit
des Menschen gegenüber der Macht des Eros wird an dieser Stelle durch die
Formel ΰ υάμΰ γξ κξμ πξικήμχμ („beugend den sklavischen Nacken“)
hervorgehoben.
Wie stark die Gefühle des Inders sind, ergibt sich aus dem im 34. Gesang
der Dionysiaka wiedergegebenen Gespräch zwischen Morrheus und seinem

24
Diese Zeile ist eine Anspielung auf die für Sklaven typische Änderung des Namens, die
nach der Versklavung stattgefunden hat.
Die Macht des Eros in den Dionysiaka des Nonnos 115
Diener Hyssakos, der nur in diesem Gesang erwähnt wird. Dieses Gespräch
betrifft die Liebe des Kriegers Morrheus zu Chalkomedeia. Geschickt stellt
der Diener dem Morrheus entsprechende Fragen und bekommt so von ihm
ein Geständnis seiner Liebe zu Chalkomedeia. Hyssakos wird als treuester
Diener (gr. πθρςϊςΰςξπ ηδοΫπχμ)25 bezeichnet. Dieses Vertrauen wird durch
das Thema des Gesprächs noch unterstrichen: der Diener wagt nämlich, mit
Morrheus ganz offen über dessen Gefühle Chalkomedeia gegenüber zu
reden. Nach dem Gespräch geht Morrheus zu Bett und legt sich neben seine
Frau Cheirobië, ohne sie zu berühren, da er mit seinen Gedanken bei Chal-
komedeia ist. Diese Szene zeigt, daß es in der epischen Fiktion der Diony-
siaka zu sexuellen Beziehungen zwischen verfeindeten Männern und Frauen
kommen kann, da sich beide Geschlechter auf dem Schlachtfeld gegenüber
stehen. Die Gedanken und Handlungen des Morrheus werden beschrieben,
um zu betonen, daß die Macht der Gefühle auch in einer Kriegssituation
unbesiegbar ist. Die Gefühle des Morrheus werden zum Problem, dessen
sich beide gegeneinander kämpfenden Seiten bewusst sind. Ein Beweis dafür
ist in folgenden Worten des Deriades zu sehen, die er an seinen Schwieger-
sohn Morrheus richtet (Dionysiaka 34, 204-210):
[...] ἀλτ γ ΒΫιυξσ
ξ υΰςάχ Μξοοῆξπ, ἀκσιςξπάγΰθπ γ πδγέρΰπ
γξϋκθξμ π εσβϊγδρλξμ β Δθϊμσρξμ οϋρρχ.
λξ μξμ λξ πδτϋκΰνξ γξοθιςέςζπ πϊηξμ δ μῆπ,
λέ ρδ βσμΰθλΰμάδρρθμ γχ πΰμξλξήθξμ μγξῖπὀ
λλΰςΰ λ ριξπήΰεδ ιΰ ἄοβστξμ ΰ υάμΰ ΒΫιυζπ,
λ πξηάχμ ςδκάρδθΰπ λ μ εζκέλξμΰ ιξϋοζμ.
[...] Jedoch um Dionysos selber zu fangen
brauche ich Morrheus mitnichten. In unentrinnbare Fesseln
werde ich Bakchos schlagen und in das Sklavenjoch spannen.
Du widerstehe dem Drang, mit einer Gefangenen zu schlafen,
laß dich nicht ebenso weibertoll sehen wie andere Inder.
Schau nicht auf Augen und silbernen Nacken einer Bakchantin,
wecke durch derlei Gelüste mir ja nicht die Eifersucht meiner Tochter!

Morrheus will Dionysos besiegen, aber König Deriades entscheidet, daß


er die Hilfe seines Schwiegersohnes nicht braucht, um Dionysos zu unter-
werfen. Ihn will er selbst besiegen, Morrheus soll dagegen die Bassariden
bekämpfen, aber Deriades verbietet ihm, sich mit den gefangenen Frauen
(gr. γξοθιςέςζ) – gemeint sind die Bassariden, zu denen auch Chalkomedeia

25
Der Terminus ηδο πχμ bezeichnet in den homerischen Epen keinen Sklaven, sondern
einen persönlich freien Gefolgsmann, erst später diente der Begriff zur Bezeichnung unfreier
Personen. Siehe dazu GSCHNITZER (1976) 83ff., LfgrE s. v. ηδο πχμ, 1015-1016, FRISK
(1973) 665f., RAMMING 94f. Nonnos scheint in seiner Verwendung von ηδο πχμ auf den
homerischen Sprachgebrauch zurückzugreifen, er bezeichnet sowohl freie als auch unfreie
Dienstboten als ηδο πΰθμΰ bzw. ηδο πχμ. Vgl. dazu oben Anm. 9.
116 Monika Fischer

gehört – einzulassen, so wie die anderen Inder es machen, um die Eifersucht


der Königstochter nicht zu erregen.
Interessant an dieser Stelle ist der Grund, weshalb Morrheus sexuelle Be-
ziehungen mit den Kriegsgefangenen verboten werden. Er darf diese nicht
eingehen, weil seine Frau dadurch beleidigt und eifersüchtig sein könnte.
Der gleiche Grund wird auch im homerischen Epos erwähnt: In der Odyssee
heißt es, Laertes habe niemals sexuelle Beziehungen mit der Dienerin Eu-
rykleia aufgenommen, und zwar auch aus Furcht vor dem Zorn seiner Frau
(HOMER, Odyssee 1, 429ff.). König Deriades hat in der Regel nichts gegen
solche Beziehungen seiner anderen Mitkämpfer. Wenn er sexuelle Bezie-
hungen mit kriegsgefangen Frauen verbietet, dann resultiert seine Ablehnung
nicht aus moralischen Gründen, sondern aus der Sorge heraus, seine Mit-
kämpfer könnten aus Wollust oder Liebe den Krieg vergessen (Dionysiaka
35, 17-20). Die Beziehungen an sich sind also vom König zugelassen und,
obwohl sie meistens zu Vergewaltigung führen, werden sie nicht als etwas
Unmoralisches oder Unrechtes angesehen. Auch hier bestätigt sich also die
bereits anhand des Schicksals der Frauen in den zu Anfang genannten Text-
beispielen gemachte Beobachtung, daß sexuelle Beziehungen des Siegers
mit kriegsgefangenen Frauen als selbstverständlich und legitim gelten.
Da es Morrheus nicht gelungen ist, Chalkomedeia mit friedlichen Mitteln
für sich zu gewinnen, faßt er den Vorsatz, nach dem Wunsch seines Schwie-
gervaters die Bacchantinnen zu besiegen. Seine Handlungen und Pläne
werden mit folgenden Worten beschrieben (Dionysiaka 34, 260-264):
[...] δ π πϊκθμ ΰ πϋγλζςξμ ἀδκκϊπξπ κΰρδ Μξοοδ π
Βΰιυδήζμ ρςήυΰ πᾶρΰμ ἀπξρπΫγΰ γζθξςῆςξπ.
ιΰ λξβάχμ γϊκξμ δ υδμ ςόρθξμ, τοΰ ισγξθλξ
κζήγΰ ιΰκκθβϋμΰθιΰ κΰα μ λδςΰμΫρςθξμ ἄβοζμ
Φΰκιξλάγζμ οϋρδθδμ π εσβ γξσκξρσμΫχμ, [...]
[...] ebenso jagte im Sturmschritt jetzt Morrheus den Haufen der Frauen
fort von dem Schlachtfeld zur hohen Stadt, hinein durch die Tore,
alle zusammen in dichtem Gedränge. Bei dieser Bemühung
regte sich, grundlos freilich, sein Hintergedanke, er könne
Chalkomedeia, die schöne, als Kampfbeute aussondern, könne
sie ins Sklavenjoch schirren, [...]

Nach dem gewonnenen Krieg möchte er Chalkomedeia als seine Beute


(gr. κζήγΰ) endgültig zur Unterlegenheit zwingen, sie soll durch ihn ver-
sklavt werden, nachdem sie nicht freiwillig die „Fesseln der δiebe“ auf sich
nehmen wollte. Sie soll ihm dienen, und zwar am Tag als ηδο πΰθμΰ, welche
die gewöhnlichen Frauenarbeiten verrichtet, und nachts als Geliebte (Diony-
siaka 34, 266-268). Morrheus denkt nicht mehr an den Kampf, sondern an
Chalkomedeia. Aphrodite freut sich, daß sich ihre Pläne erfüllt haben und
macht sich über den Kriegsgott Ares lustig (Dionysiaka 35, 180-183):
Die Macht des Eros in den Dionysiaka des Nonnos 117
γάοιδξ ρξ π ηδοΫπξμςΰπ, πξγοζρςῆοΰπ οόςχμ,
ιΰ ηοΰρ μ ΰ υάμΰ ιΫλφξμ ἀμθιέςῳ Κσηδοδήῃ.
Ἆοδπ, μθιέηζπ, ςθ υΫκιδξμ βυξπ Ϋρρΰπ
μδαοήγΰ Φΰκιξλάγζπ βΰλήζμ πδγϋρΰςξ Μξοοδϋπ.
Schau doch auf deine Diener, Handlanger nur der Eroten,
beug dann den stolzen Nacken vor Kypris, der niemals besiegten!
Ares, du wurdest geschlagen, weil Morrheus die eherne Lanze
fortwarf und Chalkomedeias Hirschfell zur Hochzeit sich anzog!

So hat die Liebe über den Verstand gesiegt, und Ares muß vor Aphrodite
kapitulieren, was mit der ausdrucksvollen Geste der Beugung des Nackens
(gr. ΰ υάμΰ ιΫλφξμ) dargestellt wird. Aphrodite ist schon vom Anfang
dieser Episode an überzeugt, daß sie den „Kampf mit Ares“ gewinnt. Das
wird aus folgenden Worten der Göttin klar, die sie an ihren Sohn Eros richtet
(Dionysiaka 33, 161-163):
βυξπ υδθ, ρ γ ςϊνξμ πάοςδοξμ, ᾧ βϊμσ ιΫλπςδθ
Ζδ π πΰςξπ ιΰ ηξ οξπ Ἄοζπ ιΰ ηάρλθξπ ολῆπὀ
γδθλΰήμδθ ράξ ςϊνΰ ιΰ ικσςϊςξνξπ Ἀπϊκκχμ.
Er (sc. Ares) schwingt kämpfend die Lanze, doch du den stärkeren Bogen,
dem der hohe Zeus, der rechtliche Hermes, der wilde
Ares sich beugen; ihn scheut sogar der Schütze Apollon.

Die Macht des Eros zeigt ihre Wirkungen freilich nicht nur (wie schon
gesagt) bei Kriegsereignissen, sondern auch im Frieden. Als Beispiel kann
hier eine Szene dienen, in der ein Gespräch zwischen Dionysos und Ariadne
stattfindet. Ariadne erzählt dem Sohn der Semele, was sie machen würde,
wenn sie nur die Gelegenheit hätte, in der Nähe des Theseus zu sein, der sie
auf Naxos zurückgelassen hat.26 Sie äußert ihre Wünsche, indem sie in ein
fiktives Gespräch mit Theseus tritt (Dionysiaka 47, 390-395):
γάνξ λδ ρ μ κδυάχμ ηΰκΰλζπϊκξμ, μ ηδκέρῃπὀ
ιΰ ρςξοάρχ ράξ κάιςοΰ ... λδς Κοέςζμ ἀοθΫγμζμ
ξ Ϋ ςδ κζθρηδῖρΰὀ ιΰ καήρςῃ ράξ μϋλτῃ
ςκέρξλΰθ, ὡπ ηδοΫπΰθμΰ, πξκϋιοξςξμ ρς μ τΰήμδθμ
ιΰ τηξμδοξῖπ ὤλξθρθμ ἀέηδΰ ιΫκπθμ ἀδήοδθμ,
ιΰ βκσιδο Θζρῆθ τάοδθμ πθγϊοπθξμ γχοὀ
Empfange mich, wenn du magst, als Kammerfrau. Herrichten will ich dein
Lager, ... nicht mehr in Kreta, ich Ariadne,
wie ein im Krieg erbeutetes Mädchen. Deiner beglückten
Gattin will ich geduldig als Dienerin am hallenden Webstuhl

26
Die Geschichte der Ariadne erwähnt schon HOMER in der Odyssee 11, 321-325:
Υΰήγοζμ ςδ Ποϊιοθμ ςδ γξμ ιΰκέμ ς’ ἈοθΫγμζμ, | ιξϋοζμ Μήμχξπ κξϊτοξμξπ, μ πξςδ
Θζρδ π | ι Κοέςζπ π βξσμ μ ἈηζμΫχμ δοΫχμ | βδ λάμ, ξ γ’ ἀπϊμζςξὀ πΫοξπ γά λθμ
Ἄοςδλθπ ιςΰ | Δήῃ μ ἀλτθοϋςῃ Δθξμϋρξσ λΰοςσοήῃρθ. „Drauf kam Phädra und Prokris, und
Ariadne die schöne, | Jene Tochter Minos des Allerfahrnen, die Theseus | Einst aus Kreta
entführte zur heiligen Flur von Athenä. | Aber er brachte sie nicht; denn in der umflossenen
Dia | Hielt sie Artemis an, auf Dionysos Verkündung.“ (Übersetzung: Voss)
118 Monika Fischer
dienen, den Wasserkrug, ungewohnt, schleppen, voll Neid, auf den Schultern,
Waschwasser nach der Mahlzeit reichen dem freundlichen Theseus.

Ariadne ist also bereit, selbst die Aufgaben einer Kammerfrau (gr.
ηΰκΰλζπϊκξπ) zu übernehmen, sie will dem Theseus wie eine
„Kriegsgefangene“ dienen, ihm das Bett machen und für seine neue Geliebte
als Dienerin (gr. ηδοΫπΰθμΰ) sogar schwere Arbeiten verrichten. Obwohl
Ariadne die Tochter des Königs Minos ist, möchte sie im Haus des Theseus
wie eine Dienerin leben.
Betrachtet man die Wortwahl des Nonnos an dieser Stelle genauer,
drängen sich verschiedene Fragen auf. Zum einen ist anzumerken, dass die
Tätigkeit des Bettenmachens ja in der Berufsbezeichnung ηΰκΰλζπϊκξπ,
Kammerfrau, eigentlich beinhaltet ist. Weshalb also hat der Dichter dies
nochmals extra erwähnt? Eine mögliche Antwort könnte darin liegen, dass
Vers 391 eine weiter gefasste Bedeutung hat, und die Termini κ ιςοξμ27 und
η κΰλξπ an dieser Stelle eine sexuelle Konnotation aufweisen. Zum anderen
ist das Partizip Aorist Passiv κζθρηδῖρΰ (von κζ εξλΰθ) interessant, mit dem
Ariadne sich selbst als „Beute“ des Theseus bezeichnet. Wegen der
Textlücke kann man leider nicht feststellen, ob auch hier – wie zuvor bei
Dionysiaka 20, 230ff. – vom Recht des Siegers, seine Kriegsgefangenen zur
körperlichen Liebe zu zwingen, die Rede ist. Akzeptiert man jedoch die
gerade vorgeschlagene erotische Interpretation der Stelle, scheint die
Konjektur von KOECHLY sehr sinnvoll zu sein: ιΰ ρςξοάρχ ράξ κάιςοΰ [ιΰ
δ π η κΰλ μ ρδ ιξλ ρρχ Ἀςη γΰ μΰθδς ξσρΰ] λδς Κοέςζμ ἀοθΫγμζμ. Ist
diese Konjektur richtig, dann könnte man annehmen, daß Ariadne im
Theseus Haus als Nebenfrau leben will, obwohl sie eine Königstochter ist.
Das Partizip κζθρηδῖρΰ muß dann nicht wörtlich als „Kriegsgefangene“ bzw.
„Beute“ verstanden werden. Ariadne wird durch die Kraft ihrer Liebe zu
Theseus besiegt, und dies ist der Grund dafür, daß sie bereit ist ihm und
seiner Frau zu dienen. Sie will genauso wie Morrheus auf ihr bisheriges
Leben verzichten, weil sie durch die Macht des Eros überwältigt und von
ihren Gefühlen bestimmt wird.
Die Episode um Ariadne – wie schon zuvor die um Morrheus – zeigt, daß
nicht nur kriegerische Ereignisse zu erotischen Unterlegenheitsverhältnissen
führen, sondern dass auch starke Gefühle, wie Liebe und/ oder sexuelle

Das Substantiv „Bett“ impliziert sexuelle Beziehungen schon in der Ilias (3,411), dort
27

finden wir in dem Gespräch Helenas mit Göttin Aphrodite den Ausdruck „jemandem ein Bett
machen“ (ιδήμξσ πξορΰμάξσρΰ κάυξπ) – Diese Worte beziehen sich auf Paris. Vgl. dazu den
Kommentar des Eustathius zu dieser Stelle: γῆκξμ βΫο, ςθ πξορϋμδθμ κάυξπ ς
ρσβιξθςΫεδρηΰθ „Es ist offensichtlich, dass (sc. der Ausdruck) „Bett machen“ die Bedeutung
„beischlafen“ hat.“ (eigene Übersetzung).
Die Macht des Eros in den Dionysiaka des Nonnos 119
Bedürfnisse, bisweilen freiwillige Unterwerfungen provozieren, die dann mit
den Metaphern des Krieges und der Sklaverei ausgedrückt werden.
Im nonnianischen Epos werden nicht nur Beziehungen auf der
menschlichen Ebene beschrieben, sondern es kann auch zu sexuellen
Verhältnissen zwischen Menschen und Göttern kommen, wobei stets der
Gott Eros ursächlich mit diesen Verbindungen zu tun hat. Während Eros bei
den zwischenmenschlichen Beziehungen ausnahmslos den Befehlen höherer
Gottheiten (v. a. des Zeus und der Aphrodite) zu folgen hat, konnte seine
Macht bei Verhältnissen zwischen Menschen und Göttern sogar größer als
die des unbesiegbaren Zeus sein.
Eine solche „δiebesgeschichte“ zwischen einer Sterblichen und einer
Gottheit finden wir im 48. Gesang der Dionysiaka. In diesem Gesang wird
die Geschichte der Aure beschrieben. Aure ist die Tochter des Titanen
Lelantos und der Periboia.28 Dionysos verliebt sich in sie und will sie
unbedingt zur körperlichen Liebe zwingen – Eros handelt hier im Auftrag
von Nemesis, der Rachegöttin, die von Artemis beauftragt wird die Frechheit
der Aure zu bestrafen, die sich rühmte schöner als die Göttin Aphrodite zu
sein.29 Dionysos weiß aber, daß dies nicht leicht sein wird, weil Aure eine
der Begleiterinnen der Artemis ist, der Göttin, die nie einen körperlichen
Kontakt mit Männern zugelassen hat. Aus diesem Grund schlägt er eine
Weinquelle aus der Erde. Aure, die den Wein und seine Wirkung noch nicht
kennt, trinkt davon und versinkt in tiefen Schlaf. Dann raubt Dionysos Aure
ihre Jungfräulichkeit, ohne daß sie es merkt. Erst nach dem Geschehen wird
sie wach. Dionysos aber ist nicht mehr da, und Aure fragt sich, welcher der
sterblichen Männer, Heroen oder Götter ihr dies angetan haben könnte. Der
Fall der Aure und ihre Überlegungen zeigen, daß, wenn es sich um sexuelle
Beziehungen und/ oder sexuelle Gewalt handelt, bei der Beschreibung der
Menschen- und Götterwelt die gleichen Kategorien benutzt werden. Obwohl
Aure eine Titanin ist, wird sie zum Opfer einer Vergewaltigung, wie
diejenigen der sterblichen Frauen, von denen in den am Anfang genanten
Belegen die Rede war.
An den beiden zuletzt aufgeführten Stellen geht es um Frauen (Ariadne
und Aure), die, nachdem sie sexuelle Kontakte mit einem Mann bzw. Gott
hatten, verlassen worden sind. Der Unterschied zwischen diesen beiden
Stellen liegt offensichtlich darin, daß es sich im Falle der Aure um eine
Vergewaltigung handelt, während Ariadne, obwohl sie sich selbst als
„Beute“ des Theseus bezeichnet, sich ihm gerne hingeben würde. In ihrem

28
Vgl. SCHMIEL (1993) 470-483; LIGHTFOOT (1998) 293-306.
29
Eine andere „δiebesgeschichte“, die mit einer Vergewaltigung endet, wird im 15. und 1θ.
Buch der Dionysiaka geschildert und bezieht sich auf Dionysos und Nikaia. Vgl. dazu:
BITTRICH (2005) 156-167, SCHULZE (1960).
120 Monika Fischer

Fall ist also die Erbeutung durch Theseus nur in übertragenem Sinne zu
verstehen, was schon durch die Partikel „wie“ (gr. ξ Ϋ) ausgedrückt wird.
Ein anderes Beispiel für sexuelle Beziehungen zwischen Göttern und
Menschen findet sich im ersten Gesang der Dionysiaka. Hier wird Zeus
gezwungen, sich der Macht des Eros zu unterwerfen, was mit folgenden
Worten dargestellt wird (Dionysiaka 1, 79-80):
[...] ςθςΰθμξλάμξθξ γ ςΰϋοξσ
αξσιϊκξπ ΰ υάμΰ γξ κξμ Ἔοχπ πδλΫρςθδ ιδρς
[...] Eros als Treiber
peitschte den sklavischen Nacken des trabenden Stiers mit dem Gürtel.

In dieser Szene wird die Entführung der Europa durch Zeus, der in
Gestalt eines Stieres auftritt, beschrieben. Um die Unterordnung des Stiers,
d. h. des verliebten Zeus gegenüber Eros zum Ausdruck zu bringen, wird
hier die Formel ΰ υάμΰ γξ κξμ (wörtlich: der sklavische Nacken) benutzt.30
Der Zwang des Eros wird unterstrichen durch das Motiv des Peitschens mit
dem Gürtel, der hier offensichtlich in Anspielung auf den Liebesgürtel der
Göttin Aphrodite aufgeführt wird. Die Macht der Liebe ist also größer als die
Macht des Zeus, der sich dem Reiz Europas nicht widersetzen kann. Es ist
nur eine von vielen Stellen, die von den „Liebesgeschichten“ des Zeus
erzählen.31
Aus den angeführten Stellen wird deutlich, daß im nonnianischen Epos
das Handeln und Denken der Götter und Menschen (sowohl Frauen als auch
Männer) oft vom Eros bestimmt ist. Er offenbart sich sowohl im Streben
nach gewaltsamer Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse als auch in tiefen
Gefühlen derjenigen Menschen, die verliebt sind.
Mit dem ersten Fall, also der Ausübung sexueller Gewalt,32 haben wir
besonders im Kontext kriegerischer Handlungen zu tun. Die erzwungenen
sexuellen Beziehungen stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit den
Unterlegenheits- und Besitzverhältnissen. Aus der freilich fiktiven
Darstellung einer epischen Welt erfahren wir, daß vor allem Frauen mit dem
Freiheitsverlust bedroht sind. Dies ist meist die Folge davon, daß die
Männer, die sie schützen sollten, getötet worden sind. Die Frauen, die in
Kriegsgefangenschaft geraten, werden grausam behandelt. Sie werden zu

30
Vgl. KUHLMANN (1999) 392-418 bes. 399μ „In der Tat wies der Erzähler ja von Anfang der
Episode an darauf hin, daß Zeus unter der Gewalt des wie eine Bremse stechenden Eros stand,
[...].“
31
Auch die Mutter des Dionysos, Semele, war eine sterbliche Frau, mit der Zeus geschlafen
hat, um seine Begierden zu befriedigen.
32
Die besprochenen Stellen zeigen einen klaren Unterschied zwischen den Männern, die ihre
sexuellen Bedürfnisse gewaltsam befriedigen, und den Frauen, denen stets nur die passive
Rolle zufiel, und die selbst keine sexuelle Gewalt ausüben.
Die Macht des Eros in den Dionysiaka des Nonnos 121
Sklavinnen, die verschiedene (oft schwere) Dienste zu verrichten haben und
auch zu sexuellen Diensten gezwungen werden. Sie müssen nicht nur mit
Vergewaltigungen, sondern auch mit einer Zwangsverheiratung, die
allerdings auch Männern drohen konnte, rechnen.
Davon ist der Fall zu unterscheiden, wenn sich eine Person dafür
entscheidet, sich freiwillig ihren Gefühlen zu einer anderen Person zu
unterwerfen, so daß durch Eros ein Unterlegenheitsverhältnis entsteht.
Beides geschieht freilich nicht nur im nonnianischen Epos, sondern auch in
der realen Welt.

Literatur

APPEL, Włodzimierz, Klea kai aklea andron, Toruń 2004


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