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Glaube und Wissen

Zur Herstellung existentieller Gewißheit reicht die Feststel-


lung von Tatsachen noch nicht aus. Ich nenne daiür ein
Beispiel. das zum Lehrgleichnis für die Problematik insge-
samt werden kann.
r Angenommen. eine Frau verdächtigt ihren Mann. daf er ihr
nicht treu sei. Sie unternimmt alles. um sich Gewißheit zu
verschaffen. Sie fragt ihn aus. kontrolliert seine Post. durch-
stöbert seine Anzüge und läßt ihn sogar durch eine Detektei
überwachen. Was tut diese Frau anderes. als daß sie durch
f\\ Forschung Wissen zu ermitteln sucht. leidenschaftlich
daran beteiligt. aber streng nach rationaler Methode? An-
genommen nun. das Ergebnis ihrer Beobachtungen ist. daß
keinerlei Anlaß zum Verdacht besteht: die Treue des Man-
nes ist hundertprozentig öffentlich-sichtbar bewiesen.
Ir Dennoch gibt dieses sichere Wissen der Frau noch keine
Gewißheit. Mag die Beweiskette der Tatsachen auch lük-
kenias geschlossen sein, so begründet sie aus sich heraus
doch noch kein neues Vertrauen.
Dieses Lehrbeispiel zeigt, daß kein noch so exaktes Wissen
2Oausreicht. um die Wirklichkeit in ihrer Vielfalt und Ganz-
heit zu verstehen und das eigene Leben darin sinnvoll zu
bestehen. Dazu bedarf es eines anderen Zugangs zur Wirk-
lichkeit. einer Erschließung von Wahrheit. die das vorhan-
dene rational ermittelte Wissen nicht beiseite setzt oder gar
J. S aufhebt. die an ihm aber noch einen anderen, nicht minder
realen Aspekt wahrnimmt.
»Glaube« und »Wissen« bilden zwei verschiedene Be-
trachtungsweisen der Wirklichkeit. die gleichberechtigt -
unabhängig, aber nicht beziehungslos - nebeneinander
JQ stehen. Jede von ihnen bietet in ihrer Sicht einen Total-
aspekt der Welt und drückt ihn in einer entsprechenden
Sprache aus.

Heinz lahmt. \\'arum ich glaube. Mein« Seche mit Cott. R. PipH \l",rl,lg.
;\4Ünchen-lürich. 1(J7~. S.223-22~

Fragen:
LWie bewertet Zahrnt "exaktes Wissen"? (Z.19)

2. Wie sieht er das Verhältnis von Glauben und Wissen?

3. Teilen Sie seine Ansicht?

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