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Schuldig für immer?

Die Firma Degussa und das Berliner Holocaust-Mahnmal

November 2003

1. Vorübung

- Die Informationen im Titel, Untertitel, in der Illustration und in den


Absatzanfängen geben Ihnen bereits ausreichend Hinweise auf den Textinhalt.
Welche Textsorte liegt vor Ihnen? Erklären Sie Ihre Entscheidung.
- Finden Sie im ersten Satz des ersten Textabsatzes das Wort, das als
Schlüsselwort am wichtigsten für den Text ist.

2. Leseübung

Markieren Sie alle wichtigen Begriffe der Argumente, die mit dem Schlüsselwort des
ersten Satzes zusammenhängen, listen Sie diese Begriffe auf.

3. Text

Schuldig für immer?


Die Firma Degussa und das Berliner Holocaust-
Mahnmal

1. Am vorigen Donnerstag hat das Kuratorium der


Stiftung „Denkmal für die ermordeten Juden
Europas“ die Aufstellung der Stelen für das Berliner
Holocaust-Mahnmal gestoppt. Sie sollten mit dem
Graffitischutz Protectosil beschichtet werden. Es ist
von der Firma Degussa entwickelt worden. Eine ihrer
Tochterfirmen hatte Zyklon B für die Gaskammern
der Vernichtungslager geliefert. Deshalb wurde
Degussa sechzig Jahre später disqualifiziert…….
2. Die heftigsten Argumente gegen die Verwendung des Degussa-Produkts
stammten von Alexander Brenner, dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu
Berlin. Paul Spiegel hingegen, Präsident des Zentralrats der Juden in
Deutschland, war anderer Meinung als Brenner. Die Risse, die von Anfang an
durch die jüdischen Gemeinden angesichts des Mahnmal-Projekts liefen, sind
nicht verschwunden..….
3. Mit Warnungen vor Nazi-Schmierereien hatte einst der Regierende Bürgermeister
von Berlin, Eberhard Diepgen, das Projekt zu verhindern versucht. Schön sollte
das Denkmal sein, taktvoll und unanstößig – wenn schon nicht unsichtbar. Doch
dass es keinen politisch korrekten architektonischen Gestus passend zur Schoah
geben konnte, wurde schließlich den meisten klar. So schien es. Jetzt beginnt die
Debatte von neuem…...
4. Die "Rheinische Post" berichtete, aus dem Umfeld des Kuratoriums habe es
geheißen, letztlich müsste das Mahnmal "abgerissen werden", wenn Degussa
wegen ihrer Vergangenheit unerwünscht sei. Nach Informationen der Zeitung sind
bereits mehrere hundert der 2700 Stelen mit dem Degussa-Graffitischutz
imprägniert.
5. Ein Graffitischutz der Firma Degussa stelle zumal für jüdische Mahnmal-Besucher
eine Zumutung dar, glaubt das Kuratorium. Aber das lenkt von ganz anderen
schmerzhaften Assoziationen ab. Das Stelenfeld wird auf einem versiegelten
Bunker Joseph Goebbels liegen und in Nachbarschaft nationalsozialistischer
Herrschaftsarchitektur. Wer hier, in der Mitte Berlins, der Millionen Ermordeter
gedenkt, weiß, wo er ist.
6. Nach vier Jahrzehnten intensiver Forschung, nach vielen Holocaust-Filmen und -
Büchern kann den Deutschen niemand vorwerfen, in Geschichtsvergessenheit zu
verharren. Die Geschäftsführung von Degussa spielte bei der Stiftung des Fonds
eine vor- bildliche Rolle. Sie hat sich zur historischen Verantwortung ihrer Firma
bekannt. Ihren Mitarbeitern signalisiert der Entschluss des Mahnmal-Kuratoriums
allerdings: Ihr seid die Alten, ihr steht für Zyklon B…….
7. Der Architekt des Holocaust-Mahnmals, Peter Eisenmann, setzt sich für den
Weiterbau des Projekts ein: „. Wir können heute nicht mehr alle Deutschen für die
Sünden ihrer Väter und Großväter verantwortlich machen. Wir müssen nach
vorne blicken. Das heißt nicht, dass wir vergessen sollen. Darum hat man sich für
das Mahnmal und diesen Entwurf entschieden: um es einer dritten Generation
und einer vierten und fünften zu ermöglichen, sich zu artikulieren. Nicht um die
Debatte zu beenden, sondern um ihr neue Impulse zu geben…….
8. Die Forderung nach einem Baustopp halte er für "schockierend". Dies würde
bedeuten, dass niemand einen Mercedes fahren oder ein Konto bei der
Deutschen Bank unterhalten dürfe. Diese Firmen hätten im Nationalsozialismus
schließlich auch eine gewisse Rolle gespielt…...
Quellen:
1./ 2. / 3. / 5. / 6. : (c) DIE ZEIT 30.10.2003 Nr.45,
http://www.zeit.de/2003/45/Leiter_2_45 (Autor:Naumann)

4. / 8. : © "SPIEGEL ONLINE", 2003,


http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,272722,00.html

7. / 9. : (c) DIE ZEIT 30.10.2003 Nr.45, http://www.zeit.de/2003/45/Eisenman

4. Übungen

4.1 Leseerfolgskontrolle
Unterscheiden Sie die aufgelisteten Argumentationsbegriffe nach Oberbegriffen, die
den Konflikt bestimmen. Erstellen Sie eine entsprechende Tabelle.

4.2 Diskussion
Wägen Sie die verschiedenen Argumente ab und begründen Sie, in welcher Weise
nach Ihrer Meinung die Kommission weiter entscheiden soll. Diskutieren Sie darüber
in Ihrer Gruppe oder formulieren Sie Ihre Meinung schriftlich.

4.3 Anregung
Betrachten Sie das virtuell erstellte Bild des Holocaust-Mahnmals. Beschreiben Sie
Ihren Eindruck von diesem Bild und erklären Sie, wie Sie ein Mahnmal für den
Holocaust gestaltet hätten (mündlich in der Gruppe oder schriftlich).

4.4 Landeskundliche Vertiefung


a) Vergleichen Sie die Erwähnung des Namens Joseph Goebbels in diesem Text mit
der Nennung des Namens im Landeskunde-Online-Text: „Naives Genie oder
wissende Täterin? –Leni Riefenstahl ist tot-. Erklären Sie, für welche Vorstellungen
der Name in beiden Texten steht.
b) Informieren Sie sich unter www.holocaust-mahnmal.de über die Architektur des
Mahnmals.
- Wie beurteilen Sie die Idee, ein solches Mahnmal in Berlin zu bauen?
- Was spricht grundsätzlich für oder gegen ein Projekt dieser Art nach Ihrer Meinung?
Diskutieren oder schreiben Sie darüber und beachten Sie dabei insbesondere die
Schlagworte im Text: Nazi-Schmierereien und historische Verantwortung.

5.Lösungen

zu 1. Vorübung:
- Textsorte: Bericht zu Streitfall mit Aufzählung der verschiedenen Argumente und
einer kurzen Wiedergabe des Streitverlaufs
- Schlüsselwort: hat…gestoppt ( mit dieser Entscheidung wurde das Mahnmal erneut
in Frage gestellt, der Streit erneut).

zu 2. Leseübung:
- wichtige Begriffe der Argumente: Zyklon B; Gaskammern; Vernichtungslager;
Degussa disqualifiziert; Risse durch jüdische Gemeinden angesichts des Mahnmal-
Projekts; Nazi-Schmierereien verhindern; schön und taktvoll; nichts passend zur
Schoah; Degussa wegen Vergangenheit unerwünscht; bereits mehrere Stelen
imprägniert; Graffitischutz durch Degussa eine Zumutung; schmerzhafte
Assoziationen; versiegelter Bunker J. Goebbels; in Nachbarschaft
nationalsozialistischer Herrschaftsarchitektur; der Millionen Ermordeter gedenkt;
nach vier Jahrzehnten intensiver Forschung; nach vielen Holocaust-Filmen und
Büchern; Deutschen nicht vorwerfen können, geschichtsvergessen zu verharren; bei
Fondstiftung eine vorbildliche Rolle; zu historische Verantwortung bekannt; ihr seid
die Alten; ihr steht für Zyklon B; Deutsche nicht für Sünden der Väter verantwortlich
machen; Mahnmal als Möglichkeit, sich zu artikulieren; nicht Debatte beenden,
sondern neue Impulse geben; Forderung nach Baustopp schockierend; niemand
dürfte dann Mercedes fahren; Konto bei deutscher Bank unterhalten; unter NS auch
eine gewissen Rolle gespielt;

zu 3. Leseerfolgskontrolle:

Für Baustopp: Zyklon B Für Baufortsetzung: histor.


Verantwortung

Gaskammern, Vernichtungslager, Nach 4 Jahrzehnten intensiver


Degussa ist disqualifiziert; Nazi- Forschung; nach vielen Holocaust-Filmen
Schmierereien; Degussa wegen und Büchern ist Deutschen nicht
Vergangenheit unerwünscht; Geschichtsvergessenheit vorzuwerfen;
Graffitischutz eine Zumutung; bei Fonds eine vorbildliche Rolle; zu
histor. Verantwortung bekannt; Deutsche
nicht für Sünden der Väter verantwortlich
Neutral: machen; Mahnmal als Möglichkeit, sich
schmerzhafte Assoziationen; Bunker zu artikulieren; Mercedes und Deutsche
Goebbels; Nachbarschaft NS- Bank unter NS auch eine gewisse Rolle;
Herrschaftsarchitektur; der Millionen
Ermordeter gedenkt;

zu 4.4 Landeskundliche Vertiefung:


Der Name Goebbels steht in beiden Texten für Schrecken, Terror durch
Machtmissbrauch der Nazis, der in Vernichtungslagern seinen Tiefpunkt erreichte.

6.Wortschatzerklärungen

-s Mahnmal, -e: ein Monument, eine Tafel, die als Erinnerung dient, aufzurufen, dass
etwas (ein Krieg, ein Verbrechen z.B.) nicht wieder geschieht
-s Kuratorium, -en (lat.): eine Personengruppe, die eine Stiftung, eine Institution mit
öffentlichem Auftrag beaufsichtigt und prüft
-e Stele, n: frei stehende Säule
-(mit etwas) beschichtet (sein): eine Materie ist von einem Stoff dünn oder dick
flächig überzogen, z.B. ist eine künstliche Perle dünn von Perlmutt beschichtet
-s Zyklon B : Giftgas, das zur Tötung von Menschen in den Vernichtungslagern der
Nationalsozialisten angewandt wurde (> Gaskammer in Auschwitz)
-r Gestus, (lat.): Aktion von symbolischem Charakter
e Schoah, (hebr.): neuhebräische Bezeichnung für den Holocaust
(Massenvernichtung) der Nazizeit; im Althebräischen für Katastrophe, speziell:
Naturkatastrophe
-eine Zumutung darstellen: von einer Person etwas verlangen, das nicht oder nur
schwer zu ertragen ist
-e Geschichtsvergessenheit: ein neues Kunstwort: Geschichte aus dem Gedächtnis
verlieren, bzw. bewusst aus dem Gedächtnis löschen
-e vorbildliche Rolle: eine mustergültige, modellhafte Rolle
-e historische Verantwortung: die Pflicht, aus der Geschichte positive Konsequenzen
zu ziehen, zu lernen und die Lehre weiterzugeben

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November 2003

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