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in der Wirtschaftskommunikation | 35
Christopher M. Schmidt ·
Sabine Heinemann ·
Volker Markus Banholzer ·
Martin Nielsen · Florian U. Siems Hrsg.
Soziale Themen in
Unternehmens- und
Wirtschaftskommunikation
Social Issues in Corporate and
Business Communication
Europäische Kulturen in der
Wirtschaftskommunikation
Band 35
Soziale Themen in
Unternehmens- und
Wirtschaftskom
munikation
Social Issues in Corporate and
Business Communication
Hrsg.
Christopher M. Schmidt Sabine Heinemann
Germanistik, Universität Åbo Akademi Institut für Romanistik/Geisteswissen-
Turku, Finland schaftliche Fakultät
Karl-Franzens-Universität Graz
Volker Markus Banholzer Graz, Österreich
Studiengang Technikjournal/ Technik-
PR, Technische Hochschule Nürnberg Martin Nielsen
Nürnberg, Deutschland Institut für Kommunikation und Kultur
Fachbereich Deutsch / Wirtschafts-
Florian U. Siems kommunikation, Aarhus University
Wirtschaftswissenschaften; Betriebswirt- Aarhus C, Denmark
schaftslehre, insb. Marketing
TU Dresden
Dresden, Deutschland
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V
VI Einleitung
Manager:innen im Zeitraum März 2020 bis September 2021 wird gezeigt, wie
Unternehmen vor allem in ihrer internen Kommunikation betroffen waren,
wie sie mit den veränderten Kontextbedingungen umgingen und warum die
gemachten Hybriderfahrungen auch in Zukunft weiterentwickelt und Ein-
fluss auf die Unternehmenskommunikation haben werden. Aufgrund der
Zunahme von Partizipationsgewohnheiten in vielen Bereichen der Unter-
nehmenskommunikation untersuchen Marianne Grove Ditlevsen und Anne
Grethe Julius Pedersen die Möglichkeiten, Stakeholder:innen auch im Bereich
der Investor Relations in eine aktivierende und mitgestaltende Beziehung zu
Unternehmen zu bringen. Dies geschieht auf der Basis einer exemplarischen
Expert:innenbefragung sowie auch durch Auswertung der rechtlichen Rahmen-
bedingungen. Elisa Landmann, Florian U. Siems und Bui Duc Nguyen stellen
dar, inwieweit die Kommunikation mit Anspruchsgruppen durch die Anwendung
von Big Data, Künstlicher Intelligenz und Predictive Analytics unerwünschte
Phänomene wie z. B. Rassismus oder soziale Normverletzung nach sich ziehen
kann und welche Implikationen sich aus diesen Gefahren für Wissenschaft
und Praxis ableiten lassen. Da Fußballvereine – ähnlich wie Wirtschaftsunter-
nehmen – mittlerweile eine eigenständige CSR-Strategie verfolgen, um mög-
lichen Erwartungen von Zielgruppen zu entsprechen, untersucht Martin Nielsen,
inwieweit die Vereine der ersten deutschen Bundesliga Formen des sozialen
Engagements auf ihren Homepages kommunizieren. Dabei werden die Dar-
stellungen verschiedener Sozialprojekte vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen
Aktivitäten der Vereine in Bezug auf Unstimmigkeiten, mangelnde inhalt-
liche Zusammenhänge und Paradoxien ausgewertet und die Praxis der CSR-
Kommunikation kritisch hinterfragt.
Im dritten Rahmenthema – COVID-19 und soziale Kommunikation –
behandelt Henrietta Leonie Pilny die Frage, wie Unternehmen die Beziehungen
zwischen den eigenen Konsument:innen in Zeiten der pandemiebedingten
Distanzkontakte mitgestalten können. Auf der Basis des Kano-Modells wird
gezeigt, wie über digitale Plattformen sowohl Kundenbeziehungen und
-bindungen an das Unternehmen als auch Weiterbildungsmöglichkeiten für
Angestellte ermöglicht werden. Sophia Hellenthal und Marcus Stumpf unter-
suchen, durch welche Faktoren Entscheidungsfindungen während einer Pandemie
in unvorhergesehenen Situationen erklärt werden können und welche Rolle die
Medien dabei spielen. Angela Bittner-Fesseler und Astrid Nelke zeigen, wie in
Klein(st)unternehmen die Pandemie eine Transformation in hybride Arbeits-
weisen und Kommunikation basierend auf Gegenseitigkeit fördern konnte. Der
daraus entstehende mögliche Kulturwandel in der Internen Kommunikation ist
VIII Einleitung
demnach entscheidend von der Art des Engagements seitens des Managements
abhängig.
Das vierte Rahmenthema widmet sich Fragen der Didaktisierung in der
Unternehmenskommunikation. Margret Mundorf und Eva Seidl präsentieren
die Ergebnisse einer transnationalen Vergleichsstudie zur Sprach- und
Kommunikationskompetenz zwischen dem Fachbereich Betriebswirtschaft an der
Hochschule Kaiserslautern und dem Studiengang Transkulturelle Kommunikation
am Institut für Translationswissenschaft an der Universität Graz. Dabei wird
die lern- und lehrbedingte Verflechtung von Sprach- und Kommunikations-
Kompetenz mit fachspezifischen Kompetenzen aufgezeigt und der gemeinsame
Erkenntnisrahmen zur Kompetenzgestaltung im Bereich dieser zwei unterschied-
lichen Curricula einsichtig gemacht. Awais Malik, Bärbel Fürstenau und Mandy
Hommel untersuchen anhand einer empirischen Studie, wie Benutzer mit den
digitalen Instrumenten auf Bankenhomepages mit Blick auf die Planung und
Umsetzung finanzieller Entscheidungen zurechtkommen. In einer Vergleichs-
studie konnte aufgezeigt werden, dass Benutzer von User Interface-Plattformen
bessere und haltbarere Lösungen als Benutzer traditioneller Websites erreichen
konnten.
Im fünften Rahmenthema zur Beziehungsgestaltung und Resilienz unter-
suchen Caroline Muss und Bärbel Fürstenau auf der Grundlage von Interviews,
welche Bedeutung Empathie in täglichen Arbeitsplatzinteraktionen für die
Rezipient:innen hat. Die Studie zeigt, wie und warum erfahrbare Empathie am
Arbeitsplatz zu verbesserten Arbeitsprozessen führt und anhand welcher Faktoren
dies optimiert werden kann. Natalie Peters und Bärbel Fürstenau zeigen die
Bedeutung onlinebasierter Ausbildungsformate für das Stressmanagement und
die Resilienzförderung bei zukünftigen Arbeitnehmer:innen. Die Ergebnisse
einer Intervention mit einer Versuchs- und einer Kontrollgruppe sowie die daraus
zu ziehenden Schlussfolgerungen für Ausbildungsformate werden präsentiert.
Gerda-Marie Adenau und Ianina Scheuch behandeln die Frage organisationaler
Resilienz in Zeiten extern induzierter Krisen, wie z. B. zur Zeit der COVID-
19-Pandemie. Anhand einer Befragung von Kommunikationsverantwortlichen
in einem deutschen Hightech-Unternehmen wird gezeigt, wie organisationale
Resilienz gegriffen werden kann und welche Schlussfolgerungen sich daraus für
die Unternehmenskommunikation ergeben. Der Band schließt mit einer kultur-
vergleichenden Studie zur Selbstbezüglichkeit und Beziehungsgestaltung in
Restaurantbewertungen in Deutschland und China. Hier präsentiert Jianqin Jiang
die Ergebnisse einer cross-kulturellen Analyse mit den relevanten Kulturspezifika
dieser scheinbar universalen Textsorte.
Einleitung IX
Die Herausgeberschaft
Introduction
XI
XII Introduction
The editors
Inhaltsverzeichnis
XV
XVI Inhaltsverzeichnis
XIX
XX Herausgeber- und Autorenverzeichnis
Florian U. Siems Prof. Dr., ist seit 1.12.2013 Inhaber der Professur für Betriebs-
wirtschaftslehre, insbesondere Marketing an der Technischen Universität
Dresden. Vorherige berufliche Stationen waren u. a. die RWTH Aachen Uni-
versity, die Fachhochschule Salzburg, die TU München sowie die Universität
Basel. Neben seinen Tätigkeiten an Hochschulen war und ist Florian Siems auch
in der Praxis aktiv, u. a. als Consultant und Coach. Sein Forschungsschwerpunkt
ist das Relationship Marketing
Autorenverzeichnis
Marianne Grove Ditlevsen Dr. (PhD), Institut für Kommunikation und Kultur,
Abteilung für Deutsch und Romanische Sprachen, Aarhus Universität, Aarhus C,
Dänemark
Bärbel Fürstenau Prof. Dr., Fakultät Wirtschaftswissenschaften, TU Dresden,
Dresden, Deutschland
Gina Giuliano M.Sc, Vontobel AG, Zürich, Schweiz
Minou Goetze Dr., Psychology School, Fresenius University of Applied
Science, Hamburg, Germany
Anette Hallin Åbo Akademi University, Åbo, Finnland
Sophia Hellenthal M.Sc., Gelnhausen, Deutschland
Mandy Hommel Prof. Dr., Fakultät Elektrotechnik, Medien, Informatik; Fakul-
tät Maschinenbau und Umwelttechnik, OTH Amberg-Weiden, Amberg, Deutsch-
land
Chris Ivory Mälardalen university, Stockholm, Sverige
Eva-Maria Jakobs Prof. Dr. phil., Institut für Sprach- und Kommunikations-
wissenschaft, RWTH Aachen University, Aachen, Deutschland
Jianqin Jiang School of Foreign Languages, Tongji University, Shanghai, China
Henry Kobsch Chair of Marketing, TU Dresden, Dresden, Germany
Elisa Landmann Dipl.-Wi.-Ing., TU Dresden, Fakultät Wirtschaftswissen-
schaften, Professur für BWL, insb. Marketing, Dresden, Deutschland
Awais Malik Fakultät Wirtschaftswissenschaften, TU Dresden, Dresden,
Deutschland
Margret Mundorf M.A., Hochschule Kaiserslautern, Worms, Deutschland
Caroline Muss M.Sc., TU Dresden, Professur für Wirtschaftspädagogik, Fakul-
tät Wirtschaftswissenschaften, Dresden, Deutschland
Astrid Nelke HAM Hochschule für angewandtes Management, Ismaning,
Deutschland
Bui Duc Nguyen M. Sc., AOK Plus, Dresden, Deutschland
Martin Nielsen Dr. (ph.d.), Institut für Kommunikation und Kultur, Universität
Aarhus, Aarhus C, Dänemark
XXII Herausgeber- und Autorenverzeichnis
Anne Grethe Julius Pedersen Dr. (PhD) Department of Culture and Learning,
Aalborg University, Aalborg Ost, Dänemark
Natalie Peters Professur für Wirtschaftspädagogik, Fakultät Wirtschaftswissen-
schaften, TU Dresden, Dresden, Deutschland
Henrietta Leonie Pilny M. Sc., TU Dresden, Fakultät Wirtschaftswissen-
schaften, Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insb. Marketing, Dresden,
Germany
Jörn Redler Prof. Dr., Abteilung: MSB – Mainz School of Business, Mainz
University of Applied Sciences, Mainz, Deutschland
Lothar Rolke Prof. Dr., MSB – Mainz School of Business, Mainz University of
Applied Sciences, Mainz, Deutschland
Ianina Scheuch M.A., Professur für Wirtschaftspädagogik, TU Dresden,
Dresden, Deutschland
Eva Seidl Institut für Theoretische und Angewandte Translationswissenschaft,
Universität Graz, Graz, Österreich
Florian U. Siems Prof. Dr., TU Dresden, Fakultät Wirtschaftswissenschaften,
Professur für BWL, insb. Marketing, Dresden, Deutschland
Stephan Stricker PAIR Finance GmbH, Berlin, Germany
Marcus Stumpf Prof. Dr., Frankfurt am Main, Deutschland
Rahmenthema 1: Gestaltungsmöglichkeiten
von sozialen Beziehungen in digitalen
Welten – Topic 1: Possibilities for shaping
social relationships in digital worlds
Industry 5.0 als soziale Erweiterung von
Industrie 4.0? Der industriepolitische
Versuch der EU einer konzeptionellen
und kommunikativen Integration
sozialer Themen
Zusammenfassung
Faktoren, die zum Erfolg von Industrie 4.0 beigetragen haben. Aus der Ana-
lyse dieser Faktoren lassen sich Hinweise ableiten, wie Industry 5.0 als
holistische und das Soziale integrierende Industriepolitik kommunikativ und
als Policy erfolgreich werden kann. Das Konzept Industry 5.0 ist einerseits auf
vermittelnde Institutionen und Personen (Policy-Broker) angewiesen, die über
die notwendige Deutungshoheit (epistemische Autorität) und Authentizität
verfügen. Andererseits sind für die normative Erweiterung bislang vor allem
technikzentrierter Ansätze neben Vermittlungsinstanzen auch Institutionen und
Strukturen erforderlich, die allgemein einen pluralistischen, konflikthaften
und partizipativen Diskurs sowie die Vermittlung von Werten (Valorisierung)
ermöglichen.
Schlüsselwörter
1 Indiesem Kontext wird der Begriff Industrie 4.0 bewusst in deutscher Schreibweise und
Industry 5.0 in englischer Schreibweise verwendet, um die Urheberschaften, den deutschen
Industriekontext einerseits und die EU-Kommission andererseits, zu kennzeichnen.
Industry 5.0 als soziale Erweiterung … 5
Industry 5.0 provides a vison of industry that aims beyond efficiency and
productivity as the sole goals, and reinforces the role and the contribution of
industry to society. It places the wellbeing of the worker at the centre of the
production process and uses new technologies to provide prosperity beyond jobs
and growth while respecting the production limits of the planet. It complements
the existing „Industry 4.0“ approach by specifically putting research and innovation
at the service of the transition to a sustainable, human-centric and resilient
European industry. (European Commission 2020a)
Industrie 4.0 ist als Begriff (vgl. Koschorke 2012), als soziotechnische Zukunft
(Schaper-Rinkel 2010) oder als leerer Signifikant (Banholzer 2021) beschrieben
worden, um die Wirkungsweise dieses Konzeptes erklären zu können. Diese
Industry 5.0 als soziale Erweiterung … 7
Konzepte umfassen das, was Friesike und Sprondel (2022, S. 25) mit Blick
auf Emerging Technologies als „spekulative Räume“ bezeichnet haben, deren
Konturen unscharf sind. Diese Technologien machten Versprechungen, die
flexibel sind und somit von unterschiedlichen Standpunkten, Interessens-
perspektiven jeweils unterschiedlich interpretiert bzw. als leere Signifikanten
unterschiedlich gefüllt werden können.2 Das erlaubt die Vermittlung unterschied-
licher Perspektiven und Interessen von Akteuren im relevanten Policy-Netzwerk
Industriepolitik. Politische Entscheidungen werden in politischen Teilsystemen
von Akteuren getroffen, die sich auf Basis gemeinsamer Überzeugungen in
Koalitionen zusammenschließen, um so ihre gemeinsamen Interessen im
politischen Prozess gegenüber anderen Koalitionen effektiv durchzusetzen (Grenz
und Donges 2018, S. 399). Im Teilsystem, dem Policy-Netzwerk Industrie-
politik, agieren somit unterschiedliche Akteursgruppen, die jeweils individuelle
und teilweise widersprüchliche Interessen oder Erwartungen an eine Techno-
logie formulieren. Zwischen konkurrierenden Koalitionsinteressen in Policy-
Netzwerken können individuelle und korporative Akteure vermitteln, d. h. als
sogenannte Policy-Broker wirken (Grenz und Donges 2018, S. 400), und so zum
Erfolg einer Technologie oder eines Konzeptes beitragen.
Industry 5.0 als, wie oben ausgeführt, wertebasierte Gesellschaftskonzeption
und missionsorientierte Politikgestaltung setzt implizit den Wertediskurs und die
gesellschaftliche Bereitschaft voraus, auch entstehende Transformationskosten
zu tragen. Dies geschieht jedoch in einem von der EU-Kommission initiierten
Top-down-Prozess, ohne eine Konzeption von Öffentlichkeit und politischem
2 Friesikeund Sprondel (2022) führen als Beispiel die Blockchain-Technologie an, die ob
der kontinuierlichen, kettenhaften Speicherung von Daten Kontrollierbarkeit und damit
Vertrauen generieren soll. Diese Funktion, dezentral Vertrauen herstellen zu können,
„spannt daher einen spekulativen Raum auf, in dem wir Lösungen für all die Probleme
sehen wollen, die durch Misstrauen oder den Missbrauch von Vertrauen entstehen“ (ebd.,
S. 26). Abhängig vom persönlichen Kontext der Rezipient:innen richten diese unterschied-
liche Erwartungen an diese Technologie, der spekulative Raum erweitert sich. Zudem
werden intensive Diskurse und Debatten geführt, die aber ohne Rücksicht auf die tatsäch-
lichen technischen Bedingungen und Leistungsfähigkeiten stattfinden, was letztlich zur
Enttäuschung zahlreicher Erwartungen führt. Diesen Ablauf hat das Beratungsunternehmen
Gartner in seinem Hype Cycle of Emerging Technologies abgebildet. Technologien ent-
wickeln sich bis zum Höhepunkt von vielfältigen Erwartungen, deren Enttäuschung ins Tal
der Desillusionierung führt bis sich das technisch Machbare durchsetzt und in die Phase
der Produktivität mündet (vgl. Gartner 2022). Analog der Beschreibung der Blockchain
kann auch Künstliche Intelligenz als emerging technology verortet werden (vgl. Wennker
2020), die spekulative Räume eröffnet.
8 V. Markus Banholzer
Lässt sich mit Industry 5.0 das ursprüngliche Konzept Industrie 4.0 mit seinem
Fokus auf digitaler Transformation der Industrie einfach um soziale Dimensionen
wie Nachhaltigkeit sowie Prinzipien wie Missions- und Werteorientierung oder
Agilität erweitern, und kann an den kommunikativen und performativen Erfolg von
Industrie 4.0 angeknüpft werden?
Einerseits gelang es mit dem Begriff Industrie 4.0, eine mit Unsicherheit
behaftete, disruptive Transformation in einen evolutionären Prozess umzudeuten
und damit eine Schließung eines offenen Prozesses (vgl. Koschorke 2022) zu
erreichen sowie andererseits unterschiedliche Interessen im Politikfeld Industrie
3 Das Konzept der deliberativen Demokratie geht auf Jürgen Habermas zurück, der damit
einen anspruchsvollen politischen Diskurs in der politischen Öffentlichkeit zur politischen
Meinungs- und Willensbildung der Bürger:innen beschreibt. Abhängig vom diskursiven
Niveau der Debatte führe das Ergebnis dann zu ausgewogenen politischen Entscheidungen
(vgl. Schulz 2011). Dieser Ansatz ist in jüngster Zeit sowohl in der Politik- als auch der
Kommunikationswissenschaft als zu voraussetzungsreich kritisiert worden (vgl. Banholzer
2022a, S. 98). Sowohl der agonistische Ansatz, mit der bekanntesten Vertreterin Chantal
Mouffe (2016), als auch der amerikanische Pragmatismus mit John Dewey (2016 [1927])
rücken dagegen den diskursiven Konflikt in den Mittelpunkt, der das Gegenüber nicht als
Feind (antagonistisch), sondern als gleichberechtigten Gegner mit legitimen Eigeninteressen
(agonistisch) betrachtet. Die Diskussion über eine angestrebte Art von Öffentlichkeit oder
ein entsprechender Entwurf fehlt allerdings in den Überlegungen der EU.
Industry 5.0 als soziale Erweiterung … 9
Als geistige Urheber des Begriffs Industrie 4.0 gelten Prof. Henning Kagermann
(damals Präsident von Acatech – Deutsche Akademie der Technikwissen-
schaften), Prof. Wolfgang Wahlster (damals Leiter des DFKI – Deutsches
10 V. Markus Banholzer
4 Der Begriff Industrie 4.0 wird heute als selbstverständlich im industriellen, wirtschaft-
lichen aber auch politischen und gesellschaftlichen Kontexten verwendet (vgl. Frenz 2020;
Banholzer 2021, 2018). Gerade für Politik und Medien war die digitale Transformation der
industriellen Produktion und der damit einhergehende Wandel in den Geschäftsmodellen
leichter zu beschreiben. Der Begriff wurde sowohl in anderen Industrienationen, wie zum
Beispiel Norwegen (vgl. Banholzer 2021), oder der Europäischen Union aufgegriffen (vgl.
Castelo-Branco et al. 2019). Beratungsunter-nehmen oder wissenschaftliche Einrichtungen
haben Readiness-Indices entwickelt, um ein Ranking der erfolgreichsten Industrieländer
aufstellen zu können (vgl. für die Visegrad-Staaten Lazanyi und Lambovska 2020 oder all-
gemein Lichtblau et al. 2015).
Industry 5.0 als soziale Erweiterung … 11
Wie an anderer Stelle beschrieben (vgl. Banholzer 2018) ist die Digitalisierung
der Fertigung bzw. der Industriebranchen insgesamt nicht als kontinuierliche,
selbstverständliche Entwicklung zu beschreiben, sondern ist gekennzeichnet
von konflikthaften Diskursen um drohende Arbeitsplatzverluste durch Auto-
matisierung und Digitalisierung oder wird mit Krisenmomenten drohender
Marktverdrängung deutscher Unternehmen wegen fehlender Digitalisierung
gerahmt. Auf der anderen Seite stehen nach der kurz vorher überwundenen
Finanzkrise steigende Exportgewinne der Industrie, was die Dringlichkeit einer
Transformation infrage stellte. Industriepolitik kann als thematisch zentriertes
Policy-Subsystem oder Netzwerk beschreiben werden, das die produzierende
Wirtschaft mit Unternehmen und Verbänden, den Belegschaften und ihren Ver-
tretungen, der universitären und angewandten Forschung sowie den politischen
Handlungsträger:innen umfasst (vgl. Donges und Jarren 2022, S. 182). Inner-
halb eines solchen Subsystems organisieren sich die Akteur:innen, die eine
gemeinsame normative und kausale Sichtweise auf ein Problem oder einen
Sachverhalt haben und sich oft untereinander koordinieren in sogenannten
Advocacy-Koalitionen (ebd.). Zwischen den unterschiedlichen Advocacy-
Koalitionen können dementsprechend widerstreitende Ansichten vor-
herrschen, zwischen denen dann vermittelt werden muss. Individuelle oder
korporative Akteure können als Vermittler, sogenannte Policy-Broker, zwischen
konkurrierenden Koalitionsinteressen innerhalb von Policy-Netzwerken (Grenz
und Donges 2018, S. 400), aber auch zwischen Koalitionen verschiedener
Policy-Netzwerke sowie zwischen Politikfeldern und relevanten Teilumwelten
(Donges und Gerner 2019, S. 47) vermitteln. In modernen Gesellschaften
interagieren solche Advocacy-Koalitionen nicht mehr nur entlang einer fach-
lichen, themenspezifischen Dimension, also entlang einer funktionalen
Differenzierung, sondern es treten auch Gruppierungen in Interaktion, die aus
unterschiedlichen fachlichen Kontexten stammen. Diese Netzwerke der Inter-
aktion sind meist projekt- oder problemorientiert und lösen sich in relativ
kurzer Zeit wieder auf. Dies beschreiben Passoth und Rammert (2016) als frag-
mentale Differenzierung, die gleichzeitig zur funktionalen Differenzierung auf-
tritt, diese also nicht ablöst. Je nach Konstellation werden an die vermittelnden
Organisationen oder Personen unterschiedliche Anforderungen gestellt. Aber um
diese Rolle als Policy-Broker erfüllen zu können, sind die individuellen oder
korporativen Akteure auf epistemische Autorität angewiesen, was im Kontext
von Industrie 4.0 das Verfügen über die „Deutungshoheit über die Interpretation
12 V. Markus Banholzer
des Stands der Forschung“ (Beck und Nardmann 2021, S. 189) zu Technologien,
angewandter Forschung und Entwicklung sowie Geschäftsmodellen bezeichnet.
Für den Bereich der produzierenden Wirtschaft in Deutschland und damit für
das Policy-Subsystem Industriepolitik wurden Bedrohungen beschrieben, die
durch technische Fortschritte, durch internationale Konkurrenzfirmen und
durch die eigenen fehlenden technischen Voraussetzungen, aber auch durch
die zu geringe Transformationsbereitschaft, in der mittelständischen Wirt-
schaft entstehen (vgl. Rinke 2015; Kagermann 2015). Auf der anderen Seite
wurde mit der Dystopie der menschenleeren Fabrik (vgl. Frey und Osborne
2013) ein Konflikt mit dem Arbeitsmarkt und den Belegschaften und ihren Ver-
tretungen virulent, der auch von Nachrichtenmedien aufgegriffen wurde (vgl.
Banholzer 2018). Für beide Bereiche, sowohl für den technischen als auch für
den sozialen, waren politische Rahmensetzungen erforderlich (vgl. Baums und
Dorst 2015; Buhr 2015). Nach der Schilderung von Wahlster konnte mit dem
Begriff Industrie 4.0 und dessen Nennung in der Rede zum Hermes Award auf
der Hannover Messe 2011 die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel für das
Thema sensibilisiert (Acatech 2021b) und das Thema in der Bundespolitik und
in der Öffentlichkeit verankert werden.
Rückblickend wird deutlich, dass es den beiden Promotoren sowie den von
ihnen vertretenen Institutionen gelungen ist, erfolgreich als Policy-Broker im
Policy-Netzwerk Industriepolitik zu wirken und zwischen den konfligierenden
Positionen von notwendiger Transformation, Bewahrung bislang erfolg-
reicher Konzepte sowie Abwehr von Beschäftigungsnachteilen zu vermitteln.
Dieser Prozess ist bis heute nicht abgeschlossen, zeigt aber nach Ansicht von
Expert:innen deutliche Erfolge, die daran bemessen werden, dass Industrie 4.0
selbst als deutscher Exportschlager bezeichnet werden könne (vgl. Kagermann
2013; Pfotenhauer 2018; Giersberg 2019). Auch unter Berücksichtigung
kritischer Stimmen, die konkrete Ergebnisse in Form von Produktivitätsfort-
schritten vermissen (vgl. stellvertretend Horn 2021), lässt sich konstatieren,
dass mit dem Begriff Industrie 4.0 ein Agenda-Building gelungen ist, das alle
Akteur:innen des Policy-Netzwerks Industriepolitik, von Unternehmen über
Politik und Medien bis hin zur Gesellschaft, in ihren Diskursen beeinflusst hat
(vgl. Pfeiffer 2015, 2017; Banholzer 2021). Kagermann und Wahlster wurden
und werden sowohl von Politik als auch Medien konsultiert, um Fortschritte oder
weitere Bedarfe in der digitalen Transformation der Industrie zu kommentieren.
Die Ziffernkombination „4.0“ wird mittlerweile vielfältig in Diskursen des
Arbeitsmarktes, der Bildungs- oder Sozialpolitik als Chiffre verwendet. Dass
die benannten Promotoren diese vermittelnde Rolle wahrnehmen konnten, ist
auch in der ihnen und den von ihnen vertretenen Institutionen Acatech und DFKI
zugeschriebenen epistemischen Autorität zu verorten.
Industry 5.0 als soziale Erweiterung … 13
Der Erfolg von Industrie 4.0 ist abhängig von (medialen) Authentizitäts-
zuschreibungen an die Adresse der handelnden und vermittelnden Akteure.
Krämer und Lobinger (2019) unterscheiden zwischen sach-, personen- und
kommunikationsbezogenen Authentizitätsbegriffen, resümieren aber, dass diese
Unterscheidungen fließende Grenzen aufweisen und gerade in medialisierten
Gesellschaften Authentizität immer als abhängig von personen- und
kommunikationsbezogenen Authentizitätsmarkern und -aspekten gesehen werden
muss.5 Sowohl Kagermann als auch Wahlster und die von ihnen repräsentierten
Institutionen verfügen in den Branchen bzw. den Wissenschaftsdisziplinen – ent-
lang der funktionalen Differenzierung – über eine hohe Reputation. Kagermann
war vor seiner Tätigkeit als Professor und Präsident der Acatech in der Industrie
im Softwareunternehmen SAP tätig. Mitglieder von Acatech sind die führenden
deutschen Technologieunternehmen, Universitäten und Hochschulen sowie
außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Wolfgang Wahlster war einer der
prominentesten Forscher im Bereich Digitalisierung, Robotik und Künstliche
5 Auch wenn das Konzept Industrie 4.0 im Sinne der Akteur-Netzwerk-Theorie als Akteur
betrachtet werden kann (vgl. Nassehi 2019), bieten sich psychologische Funktionen von
Authentizität (vgl. Hans 2017) zur Analyse von Industrie 4.0, nicht aber für Policy-Broker
an.
Industry 5.0 als soziale Erweiterung … 15
Intelligenz (KI), die vor allem durch das Deutsches Forschungszentrum für
Künstliche Intelligenz (DFKI) vorangetrieben wurde. Durch die Industrie-
stationen von Kagermann sowie die Forschung von Wahlster kann aus der
Perspektive bürgerlicher Epistemologie von einer legitimatorischen Funktion von
Authentizität ausgegangen werden. Kagermann und Wahlster sind „befugt“, als
Repräsentanten der Industrie und der Informatik und Elektrotechnik zu agieren,
weil sie über Authentizität im Sinne einer interindividuellen Zuschreibung durch
die Repräsentierten aus Industrie und Forschung verfügen (vgl. Hans 2017,
S. 163).
Authentizität im Sinne Goffmans (1983) ist eine Inszenierung, die dann
gelingt, wenn bei den Rezipient:innen der Eindruck entsteht, dass Akteur:innen
die jeweilige Rolle überzeugend spielen, und wenn keine fundamentalen Wider-
sprüche zwischen den Selbstdarstellungen auf verschiedenen Bühnen entstehen
(vgl. Eisenegger 2015). Authentizität ist ein Vorstellungsbild, „das einer Person
als Persönlichkeit in ihrer Eigenart als prägendes Kontinuum zugeschrieben wird“
(Szyszka 2014, S. 921), aber „ein situiertes und veränderbares soziales Konstrukt,
dessen Authentizitätsmarker je nach Kontext und Publikum unterschiedlich inter-
pretiert werden“ (Krämer und Lobinger 2019, S. 101), und „bezeichnet eine als
ganzheitlich behandelte Persönlichkeitsvorstellung, die sich Beobachter von
einer sozialen Adresse (natürliche Personen oder Organisationspersonen als
Objekt) machen“ (Szyszka 2014, S. 921). Authentizität „basiert als bewertete
Kurzbeschreibung auf einem knappen, von der Beobachterperspektive geprägten
Set als charakteristisch eingestufter Merkmale und Eigenschaften. Authentizität
schlägt sich in Verhaltenserwartungen nieder“ (ebd.). Authentizität im hier auf-
gezeigten Sinne und nach der Begriffsverwendung von Goffman bedeutet deshalb
nicht, „nach Echtheit oder Originalität zu streben“, was sich in der Perspektive
Goffmans als Fiktion erwiese, vielmehr geht es darum, „Authentizität (…) zu
steuern, das heißt Profil, Identität und Reputation sowie die kommunikativen
Entäußerungen und die Handlungsebene in Übereinstimmung“ zu halten
(Eisenegger 2015, S. 438). Gerade personenbezogene Authentizität, wie im Falle
von Kagermann und Wahlster, ist – v. a. in medial vermittelten Kontexten – nicht
ohne kommunikationsbezogene Authentizitätsmarker und -aspekte denkbar
(Krämer und Lobinger 2019, S. 102). Als Authentizitätsmarker gelten Kriterien,
die zum Beispiel Online-User anwenden, um die Authentizität von Online-
Inhalten und Online-Repräsentationen einzuschätzen. Diese Marker werden von
verschiedenen Personen in unterschiedlichen Graden für die Beurteilung von
Authentizität herangezogen (ebd., S. 115). Hierzu zählen Konsistenz, Spontanei-
tät und kuratierte Intimität, die auch auf die Rolle der Policy-Broker angewendet
werden können.
16 V. Markus Banholzer
3.4 Valorisierung
6 Donges und Gerner (2019, S. 417) verweisen auf das Problem in der Kommunikations-
wissenschaft, die Vermittlungsleistungen in Kommunikationssystemen sehr heterogen und
mit uneinheitlichen Begriffen zu modellieren. Deshalb greifen sie auf das politikwissen-
schaftliche Konzept des Policy-Brokers zurück.
18 V. Markus Banholzer
Der neue Begriff Industrie 4.0 wurde zu einem kommunikativen Erfolg, weil mit
Wolfgang Wahlster und Henning Kagermann, als Wissenschaftler und Industrie-
Manager, sowie den durch sie vertretenen Institutionen geeignete Policy-Broker
für das Feld Industriepolitik und die zu bewältigenden, konfliktbehafteten
7 Vgl. https://www.plattform-i40.de/IP/Navigation/DE/Plattform/Hintergrund/hintergrund.
html (zugegriffen 2.5.2022).
Industry 5.0 als soziale Erweiterung … 19
Industrie 4.0 hat wie beschrieben den Fokus auf Digitalisierung, Daten-
management und Technikeinführung gesetzt. Andere Industrieländer haben sich
des Konzeptes bedient, es explizit oder implizit als Industry 4.0 adaptiert oder
haben industriepolitische Programme mit ähnlicher Ausrichtung aber anderen
Bezeichnungen etabliert. Missionsorientierung, soziale Komponenten oder
holistische Ansätze wurden in der Forschung zu Innovations- und Industriepolitik
seit längerer Zeit diskutiert und an die Politik herangetragen, fanden sich aber in
den Debatten nicht wieder (vgl. Banholzer 2021, 2022b). Die EU-Kommission
hatte sich früh auf Grüne Technologien, Nachhaltigkeit und Innovationen als
Strategie zur Re-Industrialisierung fokussiert, diese allerdings als Green Deal
oder Green Industry adressiert. Der Versuch, diese Strategie mit der Bezeichnung
Industry 5.0 zu fördern und für breitere Akzeptanz zu sorgen, ist jüngeren
Datums.
20 V. Markus Banholzer
Die Re-Industrialisierung Europas steht als strategisches Ziel für die EU-
Kommission seit längerer Zeit auf der Agenda und wird im Green Deal als Green
Industry kommuniziert. Adamovicz (2022, S. 1) schildert dies als Prozess, der
seine Ursprünge in den 1990er Jahren hat und mit den Begriffen „green deal“,
„green economy“, „green growth“ oder „New Green Deal“ geführt wurde.
Im Mittelpunkt stand für die EU-Kommission aber stets die Industriepolitik.
Gerade im Kontext der Finanzkrise 2009 und der Copenhagen Climate Change
Conference hatten die Vereinten Nationen ein Papier veröffentlicht, „supporting
green economy as a possible way to mitigate the effects of the global financial
crisis, boost economic recovery, strengthen food security, prevent environmental
degradation and other risks regarding water and energy shortages and climate
change“ (ebd., S. 4). In der Folgezeit wurden in der EU und den Mitgliedsstaaten
Strategien für eine grüne, nachhaltige Industriepolitik diskutiert, was schließlich
in die Formulierung des New European Green Deal und den Zielen der Strategie
Europe 2020 mündete (ebd., S. 22). Dieser Prozess vollzog sich parallel zu den
Diskussionen in Deutschland, die das Konzept Industrie 4.0 auch als Reaktion
auf die Finanzkrise einordneten (vgl. Kagermann 2013). Im Konzept Industrie 4.0
spielte industrielle Resilienz eine bedeutende Rolle, allerdings ohne die Aspekte
der Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit zu adressieren. Dies geschieht
jetzt erst in der aktuellen Diskussion, was die Implementierung von Industry
5.0 in Deutschland erschweren dürfte. Nachdem der Begriff Industrie 4.0 die
Agenda in Politik, Gesellschaft, Medien und produzierender Wirtschaft lange
dominiert hat (vgl. Pfeiffer 2015; Mertens et al. 2017) und ein fester Bestandteil
der Marketingkommunikation von Industrieunternehmen sowie der Industrie-
politik im deutschsprachigen Raum geworden ist, versuchte die EU-Kommission,
die digitale Transformation und Industry 4.0 zunächst auf grüne Themen auszu-
weiten. Ähnlich wie beim Industrie 4.0-Prozess und der Ankündigung der Vierten
Industriellen Revolution der Bundesregierung im Jahr 2011 hat die Europäische
Kommission nach Diskussionen mit Teilnehmern aus Forschungs- und Techno-
logieorganisationen sowie Fördereinrichtungen in ganz Europa formell die
fünfte Industrielle Revolution oder Industry 5.0 ausgerufen und damit eine
Top-Down-Initiative als Antwort auf die sich verändernde gesellschaftliche
und geopolitische Landschaft entwickelt (Xu et al. 2021, S. 532). Dies stößt
zudem auf eine heterogene Landschaft der EU-Mitgliedstaaten, was sich auch
Industry 5.0 als soziale Erweiterung … 21
Auf der Cebit 2017 in Hannover skizzierte der damalige japanische Premier-
minister Shinzo Abe in seiner Eröffnungsrede das Programm seiner Regierung für
eine Gesellschaft 5.0, die Entwicklung Japans zu einer „Super Smart Society“.
Ein Programm, das die Digitalisierung in ihrer disruptiven Bedeutung für die
gesamte Gesellschaft betrachtet und als Ansatz zur Bewältigung der sogenannten
Grand Challenges gesehen wurde. Die japanische Society 5.0 kann als eine
starke Antwort auf die deutsche Industrie 4.0 gesehen werden (Waldenberger
2018, S. 49). Ministerpräsident Abe wandte sich seinerzeit auch an Bundes-
kanzlerin Angela Merkel mit dem Vorschlag, die Kompetenzen von Industrie
22 V. Markus Banholzer
4.0 und Gesellschaft 5.0 künftig zu bündeln (vgl. Bundesregierung 2017; Lobe
2017), was allerdings ohne Konsequenzen blieb. Gesellschaft 5.0 zielt nach
eigener Beschreibung nicht auf Produktivität, sondern soll helfen, soziale Fragen
zu bewältigen (Keidaren 2016). Das Programm (ebd.) macht deutlich, dass weit-
reichende Veränderungen notwendig sind: „To create such a society, we must
eliminate barriers in five areas: ministries and agencies, legal systems, techno-
logy, human resources, and public acceptance.“ Wie Waldennberger (2018,
S. 51) betont, spielt Society 5.0 eine zentrale Rolle in der 2017 aktualisierten
Wachstumsstrategie im Rahmen von „Abenomics“, die im Juni 2017 unter
dem Titel „Future Investment Strategy – Towards the Realisation of Society
5.0“ vom Kabinett verabschiedet wurde; die Wachstumsstrategie 2017 sieht die
Anstrengungen in Richtung Society 5.0 als „the key to break secular stagnation
and achieve mid-and-long-term growth“. Deguchi et al. (2020) betonen, dass
die „vision of Society 5.0 requires us to reframe two kinds of relationships:
the relationship between technology and society and (as well) the technology-
mediated relationship between individuals and society“. Wie Adrian Lobe (2017)
anmerkt, ist die Society 5.0 zwar ein integrierendes Konzept einer Netzwerk-
gesellschaft, aber es fehlt noch eine Reflexion über Ethik und Normen. Jüngere
wissenschaftliche Veröffentlichungen versuchen, Industrie 4.0 mit Gesell-
schaft 5.0 zu verbinden. Pereira, Lima und Charrua-Santos (2020, S. 3305)
behaupten, dass sich die Gesellschaft 5.0 auf die Nutzung von Werkzeugen und
Technologien konzentriert, die von der Industrie 4.0 entwickelt wurden, „um
der Menschheit zu nutzen“. Intelligente Systeme, die von der Industrie 4.0 ent-
wickelt wurden, könnten von der Gesellschaft als Vorteil und nicht als Gegner
gesehen werden (ebd.). Und: Das neue Paradigma der Gesellschaft 5.0 „wird
eine vorherrschende Rolle bei der Schaffung einer glücklicheren, zufriedeneren,
erfüllteren und folglich produktiveren Gesellschaft spielen“ (ebd.). Laut Fukuda
(2020) ist die „Gesellschaft 5.0“ in der Lage, sogar Innovationsökosysteme zu
verändern. Gesellschaft 5.0 ist die Vision einer neuen, auf den Menschen aus-
gerichteten Gesellschaft in der fünften Stufe, was bedeutet, dass man von einem
Push-basierten WTI-Ökosystem zu einem Pull-basierten WTI-Ökosystem über-
gehen und die Widerstandsfähigkeit des Systems durch Wertschöpfung für die
Gesellschaft erhöhen kann (ebd.). Andere behaupten, dass Industrie 4.0 einen
Übergang zu einer Gesellschaft 5.0 erzwingt, und dass bei diesem Übergang
offene Innovation und gemeinsame Wertschöpfung eine wichtige Rolle spielen
können (Aquilani et al. 2020). Die Society 5.0 wird aktuell vor allem in den
asiatischen Wirtschaftsräumen diskutiert und ist demgegenüber nur selten in den
europäischen Diskursen präsent.
Industry 5.0 als soziale Erweiterung … 23
8 Industry 5.0.
24 V. Markus Banholzer
9 Mazzucato, Kattel und Ryan-Collins (2020) schlagen vor, einen Politikansatz zu wählen,
der berücksichtigt, dass Gemeinwohl das Ergebnis des Zusammenwirkens von zahlreichen
Stakeholdern ist, sie gehen also von einem a posteriori-Gemeinwohl aus.
26 V. Markus Banholzer
Zielen ist dezidiert normativ und somit ein Wechsel von technologischen Para-
digmen hin zu einer Missionsorientierung, die durch die SDGs geleitet wird,
aber auch die Idee der Reindustrialisierung der EU-Mitgliedsstaaten durch grüne
Fertigungsverfahren im Blick behält. Das Directorate-General for Research
and Innovation der EU-Kommission hat in seiner jüngsten Publikation10
Industry 5.0 als „Gamechanger“ bezeichnet (Europaen Commission 2022b,
S. 4). Das Konzept ist nach Ansicht der Gruppe von Expert:innen die Möglich-
keit, die Industriezweige in Europa und das Innovationsökosystem zukunfts-
sicher zu machen (ebd.). Resilienz als Ziel von Industry 5.0 wird in der jüngsten
Publikation sowohl mit Blick auf Klimakrise, als auch auf die Corona-Pandemie
und den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine bezogen. Explizit werden
in diesem Papier auch Konsequenzen für Governance 5.0, Finance 5.0 und wert-
orientierte Digitalisierung formuliert (ebd., S. 6)11.
10 Das Papier (European Commission 2022b) fasst ein Round Table-Gespräch zusammen,
an dem auch Vertreter:innen von Industrieunternehmen teilgenommen haben – darunter der
französische Konzern Schneider Electric, der norwegische Norsk Hydro, die italienische
Generali-Versicherung, der belgische Biopharmahersteller UCB, das deutsche Start-up
Shift GmbH oder die dänische Robotik-Plattform REInvest Robotics.
11 An dieser Stelle können Aspekte einer Forschungs- & Innovationspolitik 5.0 oder die
Details für Governance 5.0 nicht weiter ausgeführt werden. Vgl. hierzu ausführlicher
Banholzer 2022b.
Industry 5.0 als soziale Erweiterung … 27
4.3.2 Kulturelle Determinanten
Die im Kontext von Green Industry 4.0 aufgezeigte internationale Resonanz
des Konzeptes weist auf eine weitere Herausforderung hin, wenn Industry 5.0
als Fortführung oder Erweiterung von Industrie 4.0 kommuniziert werden soll.
Der Diskurs zu Industrie 4.0 ist offensichtlich international noch am Anfang
und findet breite Aufmerksamkeit. Und: Das Konzept Industrie 4.0 wird zwar
von vielen Industrienationen als Vorbild bezeichnet und adaptiert, allerdings
unter jeweils eigenen kulturellen Vorzeichen (vgl. Banholzer 2021, 2022b).
Konzepte wie Industrie 4.0, aber eben auch Industry 5.0 sind einerseits in ihrer
Herstellung stets wertebasiert und ihre Adaption erfolgt in einen speziellen,
situativen kulturellen Kontext (vgl. Joly 2017; Pfotenhauer und Jasanoff 2017).
In der Produktion und Adaption sind Figurationen bzw. mentale Modelle implizit
permanent präsent, die stets kulturell verankert und von entsprechenden Frames
geprägt sind (vgl. Schmidt 2018). So verfolgt die Industriepolitik in Deutsch-
land eine fokussierte Leitmarktstrategie, im Gegensatz zur Interpretation
durch die norwegische Politik, die Industrie 4.0 als Konzept industrieller
Diversität adaptiert. Dies zeigt, dass auch Politiken unter dem Vorzeichen der
jeweiligen kulturellen Rahmenbedingungen adaptiert und akzeptiert werden.
Industrie 5.0 als zentrales Konzept der EU-Kommission versucht dagegen, eine
Implementierung über eine zentrale Vorgabe zu erreichen, (noch) ohne auf die
regionalen und nationalen Besonderheiten einzugehen. In Deutschland wird der
öffentliche Diskurs über Industry 5.0 kaum wahrnehmbar geführt und wenn,
28 V. Markus Banholzer
Industry 5.0 wurde als soziale Erweiterung des vor allem als technikfokussiert
wahrgenommenen Konzeptes Industrie 4.0 analysiert. Die aktuelle Forschung
bezieht sich auf die Nachhaltigkeitsdimensionen innerhalb des Konzeptes, die
Auswirkungen auf diverse Wirtschaftszweige und Anwendungen von Robotik
und KI in der Kollaboration mit dem Menschen. Die Auseinandersetzung mit
Industry 5.0 als strategisches Kommunikationskonzept und dessen Rezeption
in den Gesellschaften der EU-Mitgliedstaaten stellt noch ein Desiderat dar.
Der Vergleich mit dem Konzept Industrie 4.0 im Kontext der Bundesrepublik
Deutschland hat aufgezeigt, dass für eine, teilweise konfliktbehaftete, Trans-
formation Policy-Broker erfolgskritisch sind, diese aber über eine epistemische
Autorität sowohl im Politikfeld und bei dessen Akteur:innen wie in der Gesell-
schaft benötigen. Die Wirkmöglichkeiten wurden zudem als abhängig von
der den Brokern zugeschriebenen Authentizität modelliert. Mit Blick auf die
identifizierten kommunikativen und organisatorischen Erfolgsfaktoren von
Industrie 4.0 ist zu konstatieren, dass die EU-Kommission mehr auf die breite
Implementierung des Konzeptes Industry 5.0 achten muss und neben den
Initiativen bei F&I auch verstärkt auf gesellschaftliche und kommunikative
Aspekte achten muss. Die Implementierung von Industry 5.0 steht sicherlich
noch am Anfang. Allerdings sind durch die Corona-Pandemie, die durch den
Angriff Russlands auf die Ukraine ausgelösten Turbulenzen bei Nahrungsmittel-
und Rohstoffmärkten sowie die sich verschärfenden Symptome der Klimakrise
die Themen Nachhaltigkeit, Resilienz und Orientierung am Menschen in ihrer
Bedeutung neuerlich unterstrichen worden. Hier erscheint vor allem der Ver-
weis auf die anstehenden Wertedebatten als wichtig. Wie aufgezeigt, wird der
selbstverständliche Bezug des Konzeptes Industry 5.0 auf Missionen und Werte
zu einer Politisierung der Debatte führen. Politisierung wird in diesem Kontext
mit Bezug auf das Politische (vgl. Dewey 2016; Mouffe 2016) verstanden, das
die Betroffenheit von Bürger:innen in den Mitgliedsstaaten der EU und die dis-
kursive Vermittlung von Problemlagen und von Lösungswegen für Probleme in
den Mittelpunkt stellt (vgl. Banholzer 2022a). Hierzu ist es wichtig, dass Ver- und
Aushandlungen über Gemeinwohl, Werte und daraus abzuleitende Missionen
zwischen den relevanten Akteur:innen Gesellschaft, Wirtschaft, Politik sowohl
auf Ebene der Mitgliedsstaaten der EU, aber auch auf einer übergreifenden EU-
Ebene in den Blick genommen werden. Gerade hier sind kulturelle Prägungen,
Mediensysteme und Unterschiede in den politischen Systemen zu untersuchen.
32 V. Markus Banholzer
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Technikjournalismus/Technik-PR. Forschungsschwerpunkte sind Innovations- und Technik-
kommunikation in Journalismus, Marketing und PR; Innovation and Technology Governance,
Technikkonflikte und Technology Assessment sowie Technik- und Kommunikationskulturen in
Norwegen, Schweden und Deutschland. ORCiD: 0000-0003-1382-0713 Kontakt: volkermarkus.
banholzer@th-nuernberg.de.
Lessons learned from COVID-
19: Zwischenmenschliche
Kommunikation in digitalen
Geschäftsbeziehungen – eine
beziehungsmanagementorientierte
Betrachtung auf Basis des Event Life
Cycle
Zusammenfassung
bart. Hier setzt der vorliegende Beitrag an: Unter Verwendung eines für lang-
fristige Beziehungen (Relationship Management) bewährten Tools, dem Event
Life Cycle, werden die Veränderungen der zwischenmenschlichen Kommunikation
in digitalen Geschäftsbeziehungen genauer analysiert. Dabei werden an einem
Anwendungsbeispiel aus dem Hochschulbereich die in den letzten zwei Jahren
gemachten praktischen Erfahrungen genutzt. Im Ergebnis zeigt sich, wie sich die
Kommunikationsverläufe in Art und Umfang verändern können und dass ins-
besondere bei digitaler Kommunikation soziale Bestandteile der Kommunikation
nicht mehr automatisch mit stattfinden, sondern gezielt initiiert werden müssen,
damit dieser wichtige Teil der Kommunikation nicht zu kurz kommt.
Schlüsselwörter
Seit mittlerweile über 20 Jahren hat sich im Marketing ein Ansatz etabliert,
der als Relationship Marketing bezeichnet wird (vgl. z. B. Gummesson 1987,
1994; Grönroos 1994; Bejou 1997; Bruhn 2016). Diesem Ansatz folgend ist
es für die meisten Organisationen und Unternehmen vorteilhaft, eine lang-
fristige Beziehung zu den Anspruchsgruppen – u. a. den Kund:innen, aber z. B.
auch Mitarbeiter:innen – aufzubauen und vor allem aufrechtzuerhalten und ent-
sprechend zu managen (vgl. z. B. Bruhn 2016, S. 12 ff.). Ein dabei bewährtes
Tool ist der Event Life Cycle, der zum Teil auch als Bedarfslebenszyklus
bezeichnet wird (Siems 2006, 2010; Tomczak et al. 2007): Er beschreibt in seiner
klassischen Form, wie sich der Bedarf von Kund:innen im Zeitverlauf – bzw. oft
passender: je nach Lebensereignis, daher die Bezeichnung Event – verändert.
Ähnlich der heute unter dem Begriff der Customer Journey diskutierten Idee
(Rawson et al. 2013) lassen dabei die Bedarfsschwankungen im Zeitverlauf ins-
besondere auch Kontaktphasen und Nicht-Kontaktphasen erkennen, was Anhalts-
punkte für Steuerungsmöglichkeiten zur Entwicklung und zum Erhalt einer
Beziehung gibt (Siems 2010). Abb. 1 zeigt Beispiele für entsprechende Event
Life Cycles auf.
Der Event Life Cycle hat sich bereits in der Vergangenheit in verschiedenen
Branchen und auch für KMUs bewährt (Siems et al. 2015) und erlaubt zudem,
verschiedene Anspruchsgruppen eines Unternehmens oder einer Organisation –
also z. B. Kund:innen ebenso wie Mitarbeiter:innen oder auch andere Unter-
nehmen – zu betrachten (Brandstätter et al. 2007). Es zeigte sich auch, dass
er insbesondere genutzt werden kann, um die im Zeitverlauf notwendige
Kommunikation zu untersuchen und gegebenenfalls zu optimieren (Brand-
stätter et al. 2007; Siems und Lackus 2010). Vor dem Hintergrund seiner Eigen-
schaften – der dynamischen Sichtweise, der flexiblen Eignung für verschiedene
Anspruchsgruppen und dem Ziel, Beziehungen aufzubauen und im Zeitverlauf
zu erhalten, unter besonderer Beachtung von Aspekten der Kommunikation –
bietet der Event Life Cycle nun auch die Möglichkeit, die Veränderungen in der
46 E. Landmann et al.
Abb. 1 Beispiele für Event Life Cycle im Marketing. (Quelle: Adaptiert nach Brand-
stätter et al. 2007, S.90; mit freundlicher Genehmigung von © Springer Nature 2022. All
Rights Reserved)
Wie bereits erwähnt untersucht der Event Life Cycle klassisch, wie sich
Bedürfnisse von Anspruchsgruppen nach Leistungen im Zeitverlauf verändern
(Siems 2010). Zur Betrachtung der anfangs genannten Fragestellung, wie sich
Kommunikation durch die Digitalisierung und konkret auch die COVID-19-
Pandemie verändert, kann nun eine erste Modifikation dieses Tools dahingehend
erfolgen, dass statt des Bedarfs an Leistungen der Bedarf an Kommunikation
als Zielgröße (y-Achse) gesehen und nun deren Entwicklung im Zeitverlauf
Lessons learned from COVID-19: Zwischenmenschliche … 47
Zunächst erfolgt die Betrachtung des modifizierten Event Life Cycle am zuvor
genannten Case auf der Sachebene. Die Zeitachse (x-Achse) kann dabei generell
in die Abschnitte vor, während und nach einem Semester unterteilt werden, um
entsprechende Events und Verlaufsveränderungen nachvollziehen zu können. Die
Graphen selbst sind vielfältiger Natur – einerseits ist eine Unterscheidung in das
jeweilige Angebot, aber auch die Nachfrage vor und während der COVID-19-
Pandemie essentiell, andererseits muss diese Betrachtung sowohl aus der Sicht
der Student:innen wie der Mitarbeiter:innen analysiert werden. Zunächst wird
die Nachfrage aus der Sicht der Student:innen und der Mitarbeiter:innen getrennt
voneinander betrachtet. Einschränkend erwähnt werden muss dabei, dass diese
Einschätzungen stark von subjektiven Faktoren abhängig sind, wie z. B. dem
Interesse am Fach oder auch der Lernstrategie seitens der Student:innen oder
auch der präferierten Arbeitsstruktur seitens der Mitarbeiter:innen. Basierend auf
vorangegangenen Lehrevaluationen, welche Student:innen zum Semesterende
ausfüllen können, zeigt sich beispielsweise, dass einige Teilnehmer:innen als
Last-Minute-Lerner:innen kategorisiert werden können (siehe Abb. 2).
D. h. diese würden das gesamte Semester über keine Inhalte konsumieren,
dafür aber an einem Stück kurz vor den Klausuren sämtliche sachebenen-
bezogenen Informationen studieren. Fans des Studienfachs (im Sinne von
Personen, welche z. B. bereits weitere Seminare und Vorlesungen des Lehrstuhls
besucht haben/besuchen und in den Evaluationen zumeist angeben, dass die ver-
mittelte Stoffmenge zu gering ist und mehr Input – auch über die Vorlesungs-
inhalte hinausgehend – gewünscht wird etc.) hingegen gefällt laut Evaluationen
die Regelmäßigkeit des Austauschs vor COVID-19, diese empfinden die ver-
mittelten Lehrinhalte jedoch noch als zu gering. Zur vereinfachten weiter-
führenden Betrachtung wird im Modell vom Idealzustand ausgegangen – in
diesem Fall startet die Aufnahme der Lehrinhalte mit Semesterbeginn auf einem
Lessons learned from COVID-19: Zwischenmenschliche … 49
Bedarf Student:innen
Ideal
Kommunikation
Last Minute
Fan
Bedarf Mitarbeiter:innen
Blockunterricht
SOLL
Dem Schema aus dem vorhergehenden Kapitel folgend, kann somit der Soll-
Ist-Vergleich in Abb. 4 erstellt werden. Auffällig ist das nahezu durchweg erhöhte
vermutete Soll, welchem erneut ein Ist-Verlauf mit großen Diskrepanzen gegen-
übersteht.
Die bisherigen Ausführungen ließen einige erste Implikationen direkt bei den
aufgezeigten Analysen erkennen. Konkret wurde insbesondere deutlich, dass den
teilweise festgestellten Lücken zwischen Soll- und Ist-Bedarf an Kommunikation
mit geeigneten Maßnahmen entgegengesteuert werden sollte. Im konkreten Case
der Hochschullehre an einer großen Universität und einer Lehrveranstaltung mit
einer großen Teilnehmerzahl könnten solche Maßnahmen z. B. synchrone Sprech-
stunden zur Deckung des fachlichen Kommunikationsbedarfs sein sowie private
Events, wie ein gemeinsames digitales Kaffeetrinken in kleineren Gruppen mit
zwanglosem Gedankenaustausch. Beides wurde im konkreten Fall in den Folge-
semestern umgesetzt, ergänzt durch (dann wieder mögliche) zumindest hybride
Lehrformate, bei denen synchron ein Teil der Student:innen im Hörsaal und ein
anderer Teil digital zugeschaltet war.
Die aufgezeigten Überlegungen lassen sich darüber hinaus auch mit ver-
schiedenen bereits bestehenden Theorien verknüpfen und so weitere mögliche
allgemeine Managementimplikationen erkennen. So lässt sich aus bisherigen
Lessons learned from COVID-19: Zwischenmenschliche … 53
Gastvorträgen usw. – anzusetzen, soweit noch nicht geschehen. Bei rein digitaler
Lehre ist dieses Einplanen geeigneter – digitaler oder nicht-digitaler – Pulse dabei
von besonderer Bedeutung, um wirksam Phasen des ansonsten Nicht-Kontaktes
zu unterbrechen und die Beziehung so aufrecht zu erhalten.
Zahlreiche weitere Ansatzpunkte sind möglich, u. a. die in den letzten Jahren
bekannt gewordene und etablierte Theorie des Nudging (Thaler und Sunstein
2009), der folgend Anreize (Nudges, also kleine, auf Freiwilligkeit abzielende
Schubser der Zielgruppen) z. B. zur Beteiligung an (digitalen) Events in natür-
lichen Kommunikationslücken geschaffen werden können. So erscheint es
z. B. sinnvoll, die gegebenenfalls starke Reduktion klassisch nebenbei statt-
findender Kommunikation in realen Räumen wie Fluren oder Kaffeeküchen
(oder im Fall der Hochschulen: Hörsälen oder Seminarräumen oder Mensen)
durch gezielte Anlässe wie digitale Treffen ohne Sachebene zu kompensieren,
z. B. in Form von digitalem gemeinsamen Kaffeetrinken o. ä., z. B. indem diese
gezielt mit semantischen und/oder sozialen Nudges verknüpft (z. B. „Kommen
auch Sie heute in unsere digitale Kaffeeküche, wir haben neue Mitarbeiter:innen
bekommen und Ihre neuen Kolleg:innen würden Sie gerne kennen lernen“).
Wie aufgezeigt, erweist sich der Event Life Cycle als Analysetool für
Kommunikation und konkret auch für wie durch die COVID-19-Pandemie auf-
getretene Veränderungen derselben geeignet und liefert zahlreiche Anregungen
für Forschung und Praxis. Dabei erwies es sich als wichtig, verschiedene
Kommunikationsformen und Abstraktionsebenen – konkret: die Sach- und die
Beziehungsebene – differenziert zu betrachten.
Im Ergebnis wird klar erkennbar, dass Digitalisierung nicht nur technisch
erfolgen darf: Bereits 2017, also vor den Erfahrungen mit der COVID-19-
Pandemie, zitiert Eva-Maria Schmidt hierzu in einem praxisnahen Beitrag zum
Thema, wie Digitalisierung erfolgreich gelingen kann, den Experten Keese
von Springer (Schmidt 2017, S. 54): „Oberste Maxime müsse dabei [gemeint:
Digitalisierung] sein, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen (…)“. Unsere
aufgezeigten Analysen und Ausführungen bestätigen dies.
Gleichzeitig sei in diesem Zusammenhang aber auch erwähnt, dass
Digitalisierung keineswegs immer nur die Beziehungsebene reduziert: Gerade
die COVID-19-Pandemie zeigt auch, dass die dabei neu entdeckten digitalen
Möglichkeiten z. B. die Arbeitswelt voraussichtlich dauerhaft verändern können
und nun bereits dauerhaft verändert haben (vgl. z. B. o.V. 2020, 2021) und so
Lessons learned from COVID-19: Zwischenmenschliche … 55
z. B. durch die Arbeit im Homeoffice eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und
Freizeit und konkret auch Arbeit und Familie ermöglicht wird, was gegebenen-
falls auch die Beziehung zur Arbeit und zur/m Arbeitgeber:in verbessert. Zudem
können digitale Lösungen gerade bei notwendiger physischer Distanz auch
negative soziale Effekte dieser Distanz reduzieren (Gabbiadini et al. 2020). Ent-
sprechend ist die Digitalisierung durchaus eine Chance, hier positive Effekte zu
erzielen – auch sozialer Art, für die Beziehungsebene und über die Pandemie
hinausgehend. Diese Chancen zu nutzen, erscheint gerade in einer privat wie auch
wirtschaftlich zunehmend globale Beziehungen lebenden Welt auch unter öko-
logischen Gesichtspunkten relevanter denn je (vgl. z. B. o.V. 2021).
Zu den im vorliegenden Paper vorgestellten Überlegungen sei einschränkend
erwähnt, dass die aufgezeigten Überlegungen keine quantitative Studie beinhalten
und entsprechend so gut wie möglich fundiert und als wissenschaftlicher Impuls
gedacht, aber natürlich nicht als repräsentativ zu sehen sind. Hier ist Potenzial
für weitere Forschungsarbeiten erkennbar. Zudem sind zahlreiche ergänzende
Erweiterungen des hier aufgezeigten Ansatzes unter Nutzung des Event Life
Cycle denkbar, insbesondere Anwendungen auf Mitarbeiter:innen z. B. für den
Prozess des Onboarding oder auch, um in digitalen Zeiten zwischenmenschliche
Kommunikation zwischen Mitarbeiter:innen, die nicht mehr automatisch erfolgt,
gezielt zu planen und zu organisieren.
Gerade diese offenen Fragen und Erweiterungsoptionen machen das Potenzial
des Tools Event Life Cycle auch für die aufgezeigte Fragestellung noch ein-
mal deutlich. Der/die interessierte Wissenschaftler:in und der/die für neue
Ansätze und Methoden offene Praktiker:in findet hiermit zumindest eine (Teil-)
Antwort auf die heute so wichtige Frage, wie die Digitalisierung Teilaspekte der
sozialen Kommunikation bzw. generelle soziale Perspektiven beeinflussen kann
(o.V. 2018) und was entsprechend die notwendigen Implikationen aus Sicht des
Managements einer Organisation oder eines Unternehmens sind. Mit dem vor-
liegenden Beitrag ist die Hoffnung verbunden, hier einen kleinen Beitrag bzw.
Impuls für Lösungen gegeben zu haben.
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58 E. Landmann et al.
Florian U. Siems, Prof. Dr., ist seit 1.12.2013 Inhaber der Professur für Betriebswirt-
schaftslehre, insbesondere Marketing an der Technischen Universität Dresden. Vorherige
berufliche Stationen waren u. a. die RWTH Aachen University, die Fachhochschule Salz-
burg, die TU München sowie die Universität Basel. Neben seinen Tätigkeiten an Hoch-
schulen war und ist Florian Siems auch in der Praxis aktiv, u. a. als Consultant und Coach.
Sein Forschungsschwerpunkt ist das Relationship Marketing.
Bui Duc Nguyen, M. Sc., war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für
Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing an der Technischen Universität Dresden.
Zuvor erlangte er einen Master of Science mit den Schwerpunkten Controlling, Marketing
und Logistik an der Otto-Friedrich Universität in Bamberg. Heute ist er Mitarbeiter im
strategischen Produktmanagement bei der AOK PLUS in Dresden.
Digital Communication Strategies:
The Impact of Framing in Debt
Collection Messages
Abstract
The omission bias may be able to partially explain why people, even when
confronted with debt collection reminder communication, refrain from
settling their claim. While the framing of a message has shown to be effective
in unravelling certain cognitive biases and facilitating rational decision-
making, little is known regarding the impact of the omission bias in this
context. Therefore, based on debt collection agency (PAIR Finance) data, the
present study explores the success of the Omission-to-Commission (O-to-C)
framing as a communication strategy to counter the omission bias. Results of
the natural field experiment indicate that implementing the (general) O-to-C
framing in a reminder message increases reaction behaviour. When controlling
H. Kobsch (*)
Chair of Marketing, TU Dresden, Dresden, Germany
E-Mail: henry.kobsch@pairfinance.com
R. Conrad
PAIR Finance GmbH, Berlin, Germany
E-Mail: ricarda.conrad@pairfinance.com
M. Goetze
Psychology School, Fresenius University of Applied Science, Hamburg, Germany
E-Mail: minou.goetze@hs-fresenius.de
S. Stricker
PAIR Finance GmbH, Berlin, Germany
E-Mail: stephan.stricker@pairfinance.com
for age, gender and debt size, debtors are significantly more likely to engage
with a payment reminder if the O-to-C framing is used. Additionally, a
significant interaction effect was found between the O-to-C framing and
gender, showing that female consumers were more likely to react to the O-to-
C framing than males. These findings indicate that reframing the act of non-
payment as a deliberate choice ‘not to act’ significantly increases reactions
following a reminder message, with a stronger effect on female consumers.
Keywords
1 Introduction
With the general rapid growth in technology and the additional physical
distancing and stay at home orders due to the pandemic of Covid-19, shopping
behaviour has changed from in-store to predominantly online within the past
years and months (Vineran 2020). Payment options, such as “buy now, pay later”
incentivize the act to finalize the order but increase the risk of non-payment.
Numbers show that the German e-commerce sector increased by 36% within
the first months of the pandemic compared to the pre-Covid period (Germany
Trade/Invest 2022). Customers who default on payment get transferred to debt
collection agencies. The role of debt collection agencies is to retrieve delinquent
funds by sending regular, prompting communication to remind customers of
their open debt and obligation to pay, as well as to inform them of the negative
consequences of ignoring this obligation—higher fees, credit score damages, and
court proceedings. Such communications trigger consumers to engage with the
decision of whether to pay the debt or not.
Financially, the most rational option would be to either settle the debt to
prevent even higher costs by further procedures, or to dispute the claim if the
consumer thinks it is not justified. Yet, often human decision-making does not live
up to the ideal of rationality (e.g., DeMartino et al. 2006; Simon 1997). Cognitive
biases and heuristics, for example, can consciously or even subconsciously alter
decision-making (Dvorsky 2013; Tversky and Kahneman 1973) and hinder the
consumer’s ability to engage with the reminder message. Often, no decision
for a payment or another action that resolves the issue (e.g., dispute, instalment
plan) will be taken, leaving the consumer with further reminder messages and
progressing towards court proceedings.
Digital Communication Strategies … 61
2 Theoretical Background
Theories that are based on the neoclassical basis, such as the expected utility
theory or the rational choice theory, assume the rational choice of subjects in the
sense of an optimal choice. Individuals are assumed to act based on their benefits
and cultural and social preferences, which are given exogenous and are expected
to have perfect information as well as the ability to logically calculate, making
them act self-interested, benefits maximizing and costs minimizing (Becker 1976,
p. 3ss.; Soukup et al. 2015).
Behavioural studies of decision-making have challenged neoclassical
economics by showing that cognitive constraints lead to various decisional
biases, judgmental errors, and heuristics. One of the first theoretical frameworks
to take this into account was research conducted on “bounded rationality” by
Herbert A. Simon (1955). It follows the idea that decision-making is limited in
terms of rationality and that individuals search for satisfactory solutions rather
than optimal solutions (Simon 1997). Later, the joint research efforts of Kahn-
eman and Tversky expanded the idea of bounded rationality and gave further
experimental insights into why humans can reason poorly and act intuitively
(e.g., Kahneman et al. 1990; Tversky and Kahneman 1973, 1974). Their work
62 H. Kobsch et al.
focused on three programs of research. First, heuristics that are used while
making decisions and biases to which individuals are prone in judgments
under uncertainty (e.g., Tversky and Kahneman 1973). Second, they put
forward prospect theory, which is a model of choice under risk (e.g., Kahn-
eman and Tversky 2013), including the concept of loss aversion (e.g., Kahneman
et al. 1990). Third, their research dealt with framing effects, where the relative
salience of different aspects of a choice problem—as well as the presentation
of the pertinent information—influences choice behaviour (Tversky and Kahn-
eman 1981; Plous 1993, p. 69ss.). Numerous models proposed to account for
bounded rationality follow the notion of a dual-system view. Among a number of
researchers, there is substantial agreement on the characteristics that distinguish
the two types of cognitive processes. The neutral labels of System 1 and 2 were
first introduced by Stanovich and West (2000). While System 2 involves thinking
processes that are slow, controlled, deliberative, and analytical, System 1 includes
fast, intuitive, automatic, and experience-based thinking processes and is thus
‘home’ of the heuristics (cognitive shortcuts) we apply and biases (systematic
errors) we may be left with when making decisions (Kahneman 2011, p. 12ss.).
While many heuristics and biases are the result of quick impressions, the
automatic character of System 1 is also associated with a human difficulty to
consciously change our process of decision-making (Gardner and Rebar 2019).
One aspect in this respect is evident in the formation of habits, automatic
behavioural patterns that are the result of repetition and associative learning
(Duhigg 2012, p. 32ss.; Gardner and Rebar 2019). Numerous studies have
shown that humans prefer circumstances to remain unchanged (e.g., Alós-
Ferrer et al. 2016; Anderson 2003), such as a tendency to do nothing or maintain
one’s current or previous decision has been termed the “status quo bias”
(Samuelson and Zeckhauser 1988). Inertia, namely the reluctance to take action,
is one form of peopleʼs propensity to remain at the status quo (Madrian and Shea
2001) and is generally explained by loss aversion, a concept established as part
of Prospect Theory (Kahneman and Tversky 2013). While the current state
serves as a reference point, a change usually entails expected loss on some
dimension and expected gains on other dimensions (Kahneman and Tversky
2013). Previous studies have shown that there is a tendency for losses to be
weighted more heavily than gains of the same size (Bernatzi and Thaler 1995;
Digital Communication Strategies … 63
Kahneman and Tversky 2013; Odean 1998). Hence, people are unlikely to
prefer an alternative in which the expected gains are only slightly higher than the
expected losses (Ritov and Baron 1992).
Furthermore, changing the status quo requires a change in oneʼs behaviour
or decision, while keeping the status quo requires only an omission—a failure to
act or to engage in decision-making (Samuelson and Zeckhauser 1988). Previous
studies noticed that this takes place even when the options in questions produce
not only harm but also benefits (Ritov and Baron 1990; Spranca et al. 1991).
Ritov and Baron (1990), for example, found that many subjects preferred not to
vaccinate a child when the risk of death from disease was 10 in 10,000 but the
risk of death from vaccine was 5 in 10,000 or less. On the other hand, when the
decision maker is seen responsible for those affected by the decisions, subjects
favour commission (action) over omission (inaction) (Ritov et al. 1990). This type
of cognitive bias is called ‘omission bias’ and is based on the finding that action
is associated with greater responsibility and regret than inaction (Kahneman et al.
1990).
Based on the decision maker’s belief that an inaction is less intended and
thus less consequential than an active choice (Kordes-de Vaal 1996), we assume
that the O-to-C framing will counter this belief and thereby increase reactions
to payment reminders (Hypothesis 1). We also assume that sociodemographic
characteristics such as age and gender, as well as the size of the open claim, will
affect the link between the O-to-C framing and the reaction rate (Hypothesis 2).
Based on past research that has shown the importance of the exact wording and
focus of a frame (e.g., Caamaño-Alegre 2021, Gendall and Hoek 1990), two
versions of the O-to-C framing will be tested. Whereas a specific O-to-C framing
will relate the omission to a specific situation, the general O-to-C framing will
relate the omission to a more general setting. This setup will provide us with
further insights as to which locus of choice (specific vs. general) is more effective
in terms of achieving increased reaction rates when being incorporated in an
O-to-C framing, a novel approach and focus in this field of research.
3 Study 1
3.1 Methods
3.1.1 Subject Pool
The present field experiment was conducted with individuals who had open
claims at companies of a wide range of industries, including E-commerce,
financial services, insurance services, mobility, shared economy, and
telecommunication. Debtors selected for this study were already part of the debt
collection process for at least 11 weeks. In this debtor pool, 45% are female,
47% are male, and 8% are unknown. Age information is available for 77% of the
debtors and the average age is 35 years (SD = 11). The debtors analysed in this
study are exclusively based in Germany.
3.1.2 Procedure
Participants were randomly allocated to four different treatments. At this
point, participants had already been in the debt collection process for at least
11 weeks, which is considered to be relatively far along in the debt collection
process. Because of that, all the payment reminders included a reduction offer
of their outstanding claim. They received one of the four different framings in
their payment reminder: 1) an informative framing (control condition); 2) a
cooperative framing; 3) a specific O-to-C framing where the commission refers
to refusing to take the reduction offer; or 4) a general O-to-C framing where
Digital Communication Strategies … 65
the commission refers to generally ignoring (i.e., not reacting to) the reminder
message. The latter three reminder framings were identical to the informative
framed reminder, except each had an additional persuasive message meant
to prompt action by the recipients. Examples for each message framing can be
found in the appendix (Tab. 1). Payment reminders were sent out via email at 10
a.m. After the first reminder message was sent, we tracked debtors’ reactions to
the email for the following seven days. The tracked reactions included payment
page visits, taking instalment plans or making promises to pay, inbound
communications and direct payments (partial or full).
3.1.3 Data Analysis
We excluded observations with an invalid email address (n = 2491) and
individuals who did not open the payment reminder that was sent out as part of
the study (n = 16,565). This exclusion procedure left us with a final sample of
5925 debtors. We used the treatment individuals were assigned to as a predictor
for debtors’ reaction to the payment reminder in a logistic regression. The treat-
ment variable is a categorical variable with four levels. We conducted the
regression analysis once without any covariates, and again controlling for gender,
age, and debt size. Since age information was only available for 77% of the
observations, fewer observations were available in regressions including age as a
covariate (n = 4563). The distribution of debt size was skewed, and therefore we
log-transformed debt size for the regression model.
To assess the success of a communication strategy, we primarily focus on the
reaction rate of debtors. We consider reactions the most direct type of information
about the effect of a message, whereas payments can potentially be confounded
with other factors such as the user interface of the payment page.
3.1.4 Results
Overall, 4.29% of the participants reacted to the message within seven days after
it was sent out. Note that the reaction rate for the full collection process reaches
77%. Since we only include seven days of the entire process in this study, and
participants had been part of the debt collection process for at least 11 weeks,
the proportion of reactions is naturally lower. Depending on the framing type
debtors were assigned to, the reactions to the messages differ. For the informative
framing, we observe a reaction rate of 4.20%, which is lower than reactions to
the cooperative message (4.46%) and the general O-to-C framing (4.41%).
Only the specific O-to-C framing is associated with a lower reaction rate than
the informative framing (4.09%). To analyse whether these differences are of
statistical significance, we conducted a logistic regression as described above
(see Table 1). The results indicate that there is no significant influence of message
framing on debtors’ reaction behaviour. Meanwhile, gender is a significant
predictor of reactions. Specifically, females are more likely to react to payment
reminders than males.
Fig. 1 further investigates the differences in reactions to message framing
depending on gender. In line with the regression results, females react more
often to the reminder message than males. Specifically, the informative and the
general O-to-C framing seem to be more successful in terms of making females
react, while for males the cooperative and the specific O-to-C framing is more
successful. Yet, including an interaction term for gender and treatment (framing
of message) does not show a significant interaction effect (OR = .92, CI 95% [.72,
1.18], p = .519).
Study 1 gives a first indication that the way a payment reminder is phrased can
have an effect on subsequent reactions of debtors during a real-life debt collection
process. To gain a deeper understanding of the O-to-C framing and its possible
effect on reaction behaviour, we conducted a follow-up study. As part of study
Digital Communication Strategies … 67
Fig. 1 Reactions to payment reminders depending on gender and message framing Error
bars indicate 95% confidence intervals
4 Study 2
4.1 Methods
4.1.1 Subject Pool
Similar to study 1, debtors selected for this study had open claims at a wide
range of different industries. The main differences to study 1 is the time how
long debtors were already part of the debt collection process and that, this time,
no reduction was being offered. For study 2, debtors had been part of the debt
collection process for at least 4.5 weeks. In this debtor pool, 44% are female,
40% are male and 16% are unknown. Age information is available for 44% of the
debtors and the average age is 38 years (SD = 13). The debtors analysed in this
study are exclusively German.
4.1.2 Procedure
Participants were randomly allocated to the two different treatments. They either
received the O-to-C framing in their payment reminder or a neutral framing
(control condition), neither providing a reduction offer. Examples for each
message framing can be found in the appendix (Table 2). Payment reminders
were sent out via email between 6 a.m. and 8 p.m. After the message was sent, we
tracked debtors’ reactions to the email for the following 4 days. Reactions include
payment page visits, taking instalment plans or making promises to pay, inbound
communications and direct payments (partial or full).
4.1.3 Data Analysis
We excluded observations with an invalid email address (n = 1794) and
individuals who did not open the payment reminder that was sent out as part of
the study (n = 21,844). This exclusion procedure left us with a final sample of
9079 debtors. We used the O-to-C framing as a predictor for debtors’ reaction
to the payment reminder in a logistic regression. We conducted the regression
analysis once without any covariates, and again controlling for gender, age, and
debt size. Since age and gender information was only available for 32% of the
observations, less observations were available in regressions including age as a
covariate (n = 2900).
4.1.4 Results
Overall, 12.66% of participants reacted to the message. Similar to study 1,
reaction rates are lower than compared to the full debt collection process, since
we only include four days of the entire process in this study. Again, we observe
differences in reaction behaviour depending on message content. Whereas for
the informative framing the reaction rate is 12.47%, it increases to 12.84% when
using the O-to-C framing.
To analyze whether these differences are of statistical significance, we
conducted a logistic regression as described above (see Table 2). The results
indicate that there is no significant influence of message framing on debtors’
reaction behaviour if no control variables are included in the model. Yet, when
controlling for gender, age, and debt size, the results indicate that debtors are
significantly more likely to react to a payment reminder if the O-to-C framing is
used. Again, we find a significant link between gender and reactions showing that
females are more likely to react to payment reminders than males.
Similar to study 1, we further investigated differences in reactions to the O-to-
C framing depending on gender. Supporting the regression results, Fig. 2 shows
that female debtors are more likely to react to payment reminders than male
debtors. In line with the results of study 1, females seem to be more likely to
react to the O-to-C framing than males. Including the respective interaction term
in the regression reveals that there is a significant interaction between the O-to-C
framing and gender (OR = 2.00, CI 95% [1.23, 3.24], p = .005). Regarding age
of debtor and debt size, we do not find significant interaction effects between the
O-to-C framing and reactions. For a more detailed overview of age effects, see
Fig. 1 in the appendix.
70 H. Kobsch et al.
Fig. 2 Reactions to payment reminders depending on gender and message framing Error
bars indicate 95% confidence intervals
5 Discussion
The two studies show that using data from a real-world debt collection
communication process offers valuable insights into which factors influence
decision-making behaviour of debtors. In general, the results show that changing
the framing of the reminder message has an impact on consumers’ reaction
behaviour. Further, we observe a tendency for the (general) O-to-C framing to
generate higher reaction rates than other message framing. More specifically,
study 1 provided a (non-significant) tendency that the general O-to-C framing
is more successful in terms of increased reaction rates compared to the specific
O-to-C and the informative framing. Study 2, which specifically compared
the general O-to-C framing to the informative framing, found support for a
Digital Communication Strategies … 71
6 Conclusion
Past research has put little focus on the omission bias in the debt collection field
and the O-to-C framing incorporated in communication strategies of a debt
collection agency. On these grounds, the two studies presented here use real-
world data from the debt collection agency, PAIR Finance, to investigate whether
the O-to-C framing, when integrated into payment reminders, has an influence
on subsequent consumer behaviour. Because the results (particularly those
of study 2) show that the incorporation of the (general) O-to-C framing in the
reminder communication is able to trigger higher reaction rates, we believe that
additional insights into improving communication strategies with debtors have
been achieved. The results of the present studies are of great value for companies
dealing with receivable management, and may help to nudge their customers
towards a reaction behaviour. And more broadly, the insights of these studies can
even be widely applied to different fields where communication strategies play
a role. We hope these helpful findings motivate further research of the O-to-C
framing in order to gain a better understanding of the omission bias and how to
combat it in real-world applications.
Appendix
Fig. A1 Reactions to payment reminders depending on age and message framing. Error
bars indicate 95% confidence intervals
Digital Communication Strategies … 75
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Klarna im deutschen Markt mit, beim Zahlungsdienstleister Digital River, der ehem.
Kommunikationssparte von Siemens und verantwortete an der RWTH Aachen Marketing
und Vertrieb der privatwirtschaftlichen Weiterbildungsangebote. Henry Kobsch studierte
Betriebswirtschaftslehre an der TU Berlin und der Solvay Brussels School of Economics
and Management (ULB).
Ricarda Conrad arbeitet als Marketing Psychologin bei dem in Berlin ansässigen Fintech
PAIR Finance. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, ihr verhaltenpsychologisches Wissen im
Kontext des Forderungsmanagements anzuwenden und auf Grundlage von marketing- und
sozialpsychologischen Konzepten die Kommunikation angepasst an die Bedürfnisse des
Konsumenten zu gestalten.
Ricarda Conrad studierte Psychologie und Neurowissenschaften an der Maastricht
University, der City University of Hong Kong und der University of the Western Cape.
Weitere marketing-relevante Kurse belegte sie an der Copenhagen Business School und der
Wharton University School.
Minou Goetze, Prof. Dr., ist Professorin für Entscheidungspsychologie und Kognitions-
wissenschaften an der Hochschule Fresenius. In ihrer Forschung untersucht sie anhand von
Experimenten welche Faktoren ökonomische Entscheidungen beeinflussen (z. B. Persön-
lichkeit, soziale Präferenzen und Framing). In ihrer freiberuflichen Tätigkeit begleitet sie
Unternehmen bei Forschungsprojekten zum Thema Entscheidungspsychologie und unter-
stützt bei der Mitarbeiterentwicklung. Zuvor war Minou Goetze als Head of Behavioral
Science bei PAIR Finance tätig. Sie hat im Bereich Entscheidungspsychologie am Max-
Planck-Institut in Bonn und der Universität Zürich promoviert und ihr Studium der Psycho-
logie an der Universität Basel abgeschlossen.
Stephan Stricker, Gründer und CEO von PAIR Finance, Deutschlands führendem
und mehrfach ausgezeichneten Fintech für Inkasso. Sein im Jahr 2016 gegründetes
Unternehmen nutzt künstliche Intelligenz, Verhaltensforschung und Data Science, um
Forderungsmanagement zu einem digitalen, effektiven und kundenorientierten Teil
der Customer Journey zu machen. Vor PAIR Finance war Stephan Stricker in führenden
Rollen an der Entwicklung erfolgreicher AdTech-Unternehmen in San Francisco/USA und
Sao Paulo/Brasilien beteiligt. Von 2010 bis 2013 war er für die KMPG in den Bereichen
Strategieberatung und Restrukturierung tätig. Stephan Stricker absolvierte sein Studium der
Betriebswirtschaftslehre an den University of Sydney und der Westfälischen Wilhelms-Uni-
versität Münster.
Public Relations im Zeitalter
zunehmender Digitalisierung:
Erkenntnisse einer explorativen
Expert:innenstudie
Zusammenfassung
J. Redler (*)
Abteilung: MSB – Mainz School of Business, Mainz University of Applied Sciences,
Mainz, Deutschland
E-Mail: joern.redler@hs-mainz.de
L. Rolke
MSB – Mainz School of Business, Mainz University of Applied Sciences,
Mainz, Deutschland
E-Mail: lothar.rolke@hs-mainz.de
G. Giuliano
Vontobel AG, Zürich, Schweiz
E-Mail: gina-giuliano@t-online.de
Schlüsselwörter
Die PR-Branche erlebt seit einigen Jahren einen herausfordernden und fort-
schreitenden Wandlungsprozess. Proaktiv, zum Teil reaktiv werden dabei
Potenziale einer durch die Digitalisierung ausgelösten grundlegenden Ver-
änderung der PR-Umwelt aufgegriffen. Vor allem die Digitalisierung durch-
dringt in immer stärkerem Maße alle Bereiche der Gesellschaft und macht
auch vor der Public Relations (PR)-Branche nicht Halt (Stieglitz und Wiencierz
2019). Eine exponentielle Zunahme digitaler Medien und Kommunikationswege
ist eine der offensichtlichsten Folgen dieser Veränderung ˗ und mit dieser sieht
sich PR heute konfrontiert (Mulhern 2009; Lamberton und Stephen 2016). Die
Art und Weise, wie sich Stakeholder über Unternehmen austauschen, mit ihnen
in Kontakt treten, aber auch wie Unternehmen mit ihren Anspruchsgruppen den
Dialog führen, wird damit nachhaltig modifiziert. Mit Blick auf die Social Media
wird dies unvermittelt deutlich. Die Möglichkeiten der Interaktion haben sich
erneut verändert und im Ausmaß multipliziert: Von Online-Bewertungen bis hin
zu audiovisuellen Beiträgen prägen nun die Konsumenten das Unternehmens-
image in der öffentlichen Meinungsarena (Stieglitz und Wiencierz 2019) in einem
noch deutlicheren Maße mit. Die Digitalisierung ist ein tiefgreifender Prozess,
der sich für Unternehmen als ein Umbruch auf mehreren Ebenen darstellt
(Redler 2022): als Veränderung des technologischen Rahmens, als Revolution
Public Relations im Zeitalter zunehmender … 81
2016; Herbst 2014; Weick 1995). Weiterhin treibt auch die immer wichtigere
Rolle von Big Data und KI den Wandel der PR-Branche (z. B. Chace 2018;
Wiencierz et al. 2017) an. Dies scheint durchaus mit Chancen verbunden. So
erlauben Echtzeit-Analysen eine sekundenschnelle Erfassung und Analyse kurz
zuvor veröffentlichter, digitaler Inhalte, anhand derer ein ausführliches, aktuelles
Lagebild gezeichnet werden und eine Anpassung der Kommunikationsaktivitäten
erfolgen kann (Klewes et al. 2017; Wiencierz et al. 2017). Ferner ermöglichen
intelligente Chatbots, den Austausch mit relevanten Stakeholdern zu intensivieren
und hierdurch die Markenbindung zu festigen (Chace 2018; Kilbride und Lehane
2018). Eine Automatisierung bestimmter Arbeitsprozesse wie beispielsweise die
Aktualisierung von Medienlisten resultiert zudem in einer effizienteren Arbeits-
weise, da Ressourcen für Tätigkeiten frei werden, die nicht von einer Maschine
übernommen werden können (Yaxley und Theaker 2018). Dabei ist insbesondere
an strategische oder kreative Aufgaben zu denken. Da die Vergangenheit jedoch
durch einen äußerst intransparenten Umgang mit persönlichen Nutzerdaten
geprägt war, ist nicht nur das Vertrauen in sondern auch die Akzeptanz für daten-
basierte Kommunikation erheblich geschwunden (Wiencierz et al. 2017). Daher
verstärkte sich die Forderung etlicher Kommunikationsexpert:innen, sich auf
gemeinsame ethische Leitlinien im Umgang mit Big Data zu verständigen, doch
erst im vergangenen Jahr ist seitens des Chartered Institute of Public Relations
(CIPR) ein einheitlicher Codex formuliert worden (CIPR 2020).
Zum Teil werden die Umwälzungen auch als das Entstehen einer Wissens-
gesellschaft durch die sozialen Medien gelesen (Cardwell et al. 2017; Zerfass
et al. 2014). Unverkennbar scheint mit der Digitalisierung zudem ein Wandel der
eingesetzten Medientypen im Rahmen einer ganzheitlichen Content-Strategie
verbunden (Macnamara et al. 2016; Thabit 2015; Stephen und Galak 2012).
Autoren wie Macnamara et al. (2016) zeigen auf, dass das Internet und vor allem
das Prosperieren der sozialen Medien die Medienlandschaft nachhaltig verändert
und teilweise auch zu einer Verschmelzung von Medien-Genres und Techno-
logien führt. Stichwort soziale Medien: Charakteristisch für diese Medienform
ist eine nur sehr geringe Moderation, die sich in der Regel auf das Löschen
von anstößigen, sexuellen und rassistischen Inhalten, Kommentaren sowie
Beleidigungen beschränkt (Macnamara 2012). Jene Konvention in Verbindung
mit einem freien Zugang zu den sozialen Medien resultiert in einem Austausch
von Inhalten, welcher von Kommentaren bis hin zur Zusammenarbeit und Co-
Produktion von Inhalten reicht (Motion et al. 2016). Auch hier zeigt sich sehr
deutlich, dass eine vollkommen veränderte Arbeitsweise für PR-Akteur:innen
erzeugt wird – und Kommunikationsarbeit in Zukunft anders organisiert sein
wird. Dies strahlt nicht nur deutlich auf Prozesse und Verantwortungen aus,
84 J. Redler et al.
3 Methodik
und zu entwickeln (z. B. Kruse 2014; Döring und Bortz 2016) sowie Sachver-
halte in Hinblick auf die Bedeutung, die Menschen ihnen zuweisen, zu verstehen
(Denzin und Lincoln 2005; Kalof et al. 2008). Der qualitative Zugang unterstützt
im Rahmen dieser Untersuchung das Vorhaben, einen möglichst authentischen
und tiefen Einblick in die Denkschemata und den Begründungshorizont von PR-
Verantwortlichen und PR-Expert:innen zu erlangen.
3.2 Datenerhebung
Die verbalen Daten wurden im Zeitraum März bis Juni 2020 über ein offenes,
nicht vorstrukturiertes und partizipatives Verfahren erhoben. Dies erfolgte in
einem dreistufigen Prozess:
3.3 Datenauswertung
Die Auswertung der Daten erfolgte mittels Paraphrase und qualitativer Inhaltsana-
lyse (dazu Mayring 2015, 2020). Sie zielte darauf ab, wiederkehrende Themen-
motive in den Daten sichtbar zu machen und herauszuschälen. Prinzipiell folgt
das Vorgehen dem Ablaufmodell von Mayring (2015). Die mit den generierten
Antworttexten vorliegenden Daten wurden dazu mittels der Software NVivo
innerhalb von Themenkreisen kodiert. Die Kodierkategorien wurden induktiv aus
dem Datenmaterial entwickelt und verdichtet. Alle Kategorien wurden in einem
Kodierleitfaden festgehalten und definiert. Abb. 1 zeigt dazu beispielhaft einen
Ausschnitt. Alle Kategorien wurden am Ausgangsmaterial rücküberprüft.
Als Ergebnis der Inhaltsanalyse sind diverse Themenmotive als Kategorien
innerhalb der Themenkreise entstanden, die 1. inhaltlich-individuell, 2. kontext-
bezogen sowie 3. vergleichend interpretiert wurden. Um die Interpretation abzu-
sichern, wurde die Interpretation unklarer Einzelfälle zusätzlich von einem
weiteren Forscher bewertet (s.a. Steinke 1999, 2007; Mayring 2015); sofern
abweichende Befunde resultierten, wurden diese harmonisiert. Zudem wurde
die gesamte Auswertung von einer an Erhebung und Kodierung nicht beteiligten
Person nachvollzogen, um der Anforderung einer argumentativen Interpretations-
absicherung im Sinne Mayrings (2015) nachzukommen.
Die Auswertung der verbalen Daten lieferte wesentliche Erkenntnisse zur Selbst-
wahrnehmung und Einschätzung des digitalisierungsbedingten Wandels der PR-
Branche. Zentrale Ergebnisse werden nachfolgend (analog der Fragenkomplexe
der Studie) dreigeteilt für die Bereiche I) Herausforderungen und Chancen, II)
Veränderungen hinsichtlich des Content Management, des Kanalmanagement und
der Organisation von Kommunikation sowie III) Zukunftsbildern dargestellt.
• Glaubwürdige Kommunikation
• Aufbau und die Aufrechterhaltung von Vertrauen
• Fragmentierung der Medienlandschaft, des Nutzungsverhaltens und ständiger
Kampf um Aufmerksamkeit
• Messbarkeit von Kommunikationsaktivität und -erfolg
• Neue Strukturen und Prozesse in der Organisation
Eine der großen Herausforderungen für die Branche scheint die Realisierung
glaubwürdiger Kommunikation, insbesondere eines glaubwürdigen und
relevanten Unternehmenszwecks zu sein. Mehrere Faktoren scheinen ursäch-
lich mit dieser Tendenz verbunden. Zum einen wird die Wahrnehmung
steigender Erwartungen der Öffentlichkeit an Unternehmen, ihrer sozialen, öko-
logischen und ökonomischen Verantwortung nachzukommen, deutlich. Weiter-
hin wird ein Paradigmenwechsel gesehen, der dazu führt, dass Unternehmen
zunehmend gefordert sind, ihren gesellschaftlichen Mehrwert durch „Haltung“
und „Purpose“, insbesondere aber durch konkrete Handlungen unter Beweis zu
stellen, um ihre gesellschaftliche Legitimation langfristig zu gewährleisten. Ins-
besondere Themen wie Umwelt-, Klima- und Tierschutz, aber auch nachhaltige
Mobilitätslösungen sollten daher von der PR-Abteilung im Sinne des Unter-
nehmens antizipiert und kommunikativ ausgespielt werden, um einen Beitrag
zum aktuellen gesellschaftlichen Diskurs zu leisten. Keineswegs sollten Unter-
nehmen diesbezüglich jedoch „(…) jede Agenda surfen (…)“ (Z. 78)4, sondern
vielmehr auf Basis der Unternehmensstrategie und den definierten Werten
4 „Z.“steht hier und in den folgenden Bezügen für die Zeilen in den festgehaltenen Aus-
sagen der Studienteilnehmer:innen.
88 J. Redler et al.
[...] gesellschaftsrelevante Themen wie das der Nachhaltigkeit ernst nehmen und
sich klar dazu positionieren, denn sie beeinflussen die Meinung und das Kaufver-
halten der Menschen wie auch die politische Debatte [...] (Z. 152)
5 Vgl. dazu die Diskussion bei Sandhu (2022: 859): „Damit Organisationen dauerhaft ihre
‚licence to operate‘ erhalten und sichern, sind sie auf Legitimität der Umwelt, somit auf die
kritische Auseinandersetzung mit Positionen diverser Stakeholder, angewiesen.“
Public Relations im Zeitalter zunehmender … 89
ake-News und gekauften Followern wird das Vertrauen umso mehr als
F
„die wichtigste Währung“ (Z. 1321) beschrieben. Neben der Relevanz von
Information wird sie als der Grundpfeiler erfolgreicher unternehmens-
kommunikativer Arbeit bewertet. Einem Unternehmen als kommunikativem
Akteur wird erkennbar die Aufgabe zugeschrieben, einer informierten, anspruchs-
vollen und kritischer gewordenen Öffentlichkeit ehrlich und auf Augenhöhe
zu begegnen, um den Mehrwert der PR-Arbeit zu belegen. Entsprechend sollen
die geteilten Informationen stets relevant, qualitativ hochwertig und auf Echt-
heit geprüft sein. Verbunden damit wird außerdem die Notwendigkeit, dass
Manager:innen und PR-Verantwortliche in Organisationen eine hohe Kompetenz
in ethischen Fragestellungen und Bewertungen benötigen, um in bestimmten
Situationen durch vorbildliches Handeln Vertrauen seitens der Gesellschaft zu
schaffen bzw. nicht aufs Spiel zu setzen.
[...] per Content aufgebautes Vertrauen ist eine wertvolle Ressource für nach-
gelagerte wirtschaftliche Prozesse. (Z. 1345)
Hier gewinnt, wer klug die persönliche und emotionale Betroffenheit der Menschen
anspricht. Das setzt voraus, dass man sich ernsthaft mit den Sorgen, Nöten, Ängsten
und Wünschen der Menschen auseinandersetzt und ihre „Pain Points“ kennt. (Z.
1139)
Media ist es unabdingbar, dass der Content „snackable“ (Z. 2400) ist: schnell und
einfach zu konsumieren. Vollzogen wird eine Abkehr vom klassischen Modell der
einseitigen Kommunikation. Kommunikationszielgruppen werden nicht mehr als
passive Empfänger betrachtet, sondern vielmehr als emanzipierte Mediennutzer
verstanden, die die öffentliche Meinungsarena mitgestalten und sich einbringen
möchten.
Mit dem Kampf um Aufmerksamkeit erlangt auch der altbekannte Topos
des notwendigen Zielgruppenverständnisses6 eine Neuinterpretation aufseiten
der Kommunikationsexpert:innen. Bei sinkender Aufmerksamkeitsspanne der
Rezipienten erscheint dieses nun immer weniger vernachlässigbar oder ober-
flächlich behandelbar, um maßgeschneiderten und relevanten Content zu erstellen
und diesen auf passenden Plattformen auszuspielen. Eine strategische und ziel-
führende Ansprache kann dabei immer weniger nach dem „Gießkannenprinzip“
erfolgen – Wünsche, Nöte und Ängste der Rezipienten sind grundlegend zu
durchdringen, um deren Bedürfnisse und Erwartungen zu erfüllen, und Themen,
Kommunikationskanäle und Nutzungsverhalten müssen mehrdimensional ver-
standen werden.
[...] ohne Empathie und Verständnis der Werte und Handlungsmotive der Ziel-
gruppen verpufft Kommunikation. (Z. 207)
Darauf aufbauend kann passgenaues „Seeding“7 gelingen, ebenso wie auch die
Ausrichtung von Design und Sprache an den Präferenzen der Rezipienten.
Als grundlegende Kategorie der Herausforderungen verweisen die erhobenen
und ausgewerteten Inhalte zudem auf den notwendigen Wandel bei Strukturen
und Prozessen der Organisation von Kommunikation (siehe dazu auch weiter
unten) sowie die Notwendigkeit der kritischen Prüfung bzw. Neuentwicklung von
Instrumenten zur Messbarkeit von Kommunikationsaktivität und -erfolg.
Neben den Herausforderungen zeigen die Daten mehrere Kategorien, die sich
auf Chancen beziehen, die die Digitalisierung für die PR-Branche mit sich bringt.
Speziell sind die folgenden vier Themenkreise identifizierbar:
Dieses Beispiel aus den Daten verdeutlicht ein Feld von Chancen, das in den
Reflexionen der Antwortenden deutlich hervortritt: Durch die fortschreitende
Digitalisierung stehen den Kommunikationsverantwortlichen Unmengen von
Datensätzen zur Verfügung, die sich gezielt für Kommunikationsentscheidungen
nutzen lassen. Viele ehemals als rar, teuer sowie langsam geltende Mess-
instrumente der Kommunikationsarbeit werden in Zeiten von Big Data und KI
um wertvolle neue Tools und Techniken ergänzt. Die befragten Expert:innen
geben dabei auch ganz konkrete Beispiele für mögliche Einsatzbereiche von
Big Data in der Unternehmenskommunikation: Mittels Social-Listening-
Mechanismen8 werden aktuelle Themen und Trends nahezu in Echtzeit
identifiziert und erstellen ein zum Teil sogar repräsentatives Stimmungsbild
der Gesellschaft. Durch Crawling9 lässt sich auch die politische Debatte
im öffentlichen Raum zusammentragen und auswerten. Weiterhin erlauben
die auf Basis neuer Daten nun möglichen Analysen wichtige Rückschlüsse
auf das (digitale) Nutzerverhalten, indem Interessen, Informationsbedürf-
nisse sowie Verhaltensweisen auf den sozialen Kanälen (in Echtzeit) unter-
sucht werden. Dies bezieht sich vor allem auf ein besseres Verständnis der
Rezipient:innen. Ein weiteres Thema entspinnt sich andererseits hinsichtlich
des Kommunikationscontrolling. Die als Nebeneffekt der Digitalisierung ent-
stehende Datenwelt ermöglicht eine einfache, effektive und zeitnahe Evaluation
der Kommunikationsaktivitäten. Maßnahmen und Kampagnen können nicht
nur fortlaufend angepasst, sondern sogar vor dem Go-live getestet werden.
Im Ergebnis entsteht ein präziserer Kommunikations-Output, der gleichzeitig
8 Social Listening bezieht sich auf eine Überwachung von Social-Media-Plattformen auf
Erwähnungen eines bestimmten Schlüsselwortes sowie zugehörige Konversationen. Vgl.
dazu z. B. Zachlod et al. (2022).
9 Beim Crawling wird das Internet mittels eines Computerprogramms automatisiert nach
Daten und Informationen durchsucht. Dabei werden Inhalte von Websites analysiert und
indiziert. Vgl. dazu z. B. Khder (2021).
92 J. Redler et al.
sie angehören, beizutragen. Oft liefern diese auch schon den Content, der nach
außen getragen werden kann. Beispielhaft spielen Studien, Berichterstattungen
zu aktuellen Forschungsthemen sowie ganz persönliche Geschichten einzel-
ner Mitarbeiter in den erhobenen verbalen Daten eine Rolle. Es entsteht ein
Bild, bei dem so gut wie jede/r Mitarbeiter:in – gewollt oder ungewollt – als
„Corporate Influencer“ (Z. 1533) fungiert. Besonders aber die Unternehmens-
leitung sowie Personal- und Kommunikationsverantwortliche werden dabei in
der Pflicht gesehen, die Mitarbeiter:innen entsprechend zu befähigen, das vor-
handene Potenzial voll auszuschöpfen. Damit zeigen sich Bezüge zu neuen
Qualifikationsanforderungen. Leitende sind aber noch aus einem anderen Blick-
winkel im Fokus: In der digitalen Ära wird der CEO zur sichtbaren und zentralen
Identifikationsfigur des Unternehmens. Als „Gesicht des Unternehmens“ (Z.
436) repräsentiert dieser das Unternehmen in der Öffentlichkeit und gestaltet
den gesellschaftlichen Dialog aktiv mit, indem er Themen Gehör verschafft, eine
klare Position bezieht und Haltung zeigt. Die Social-Media-Kanäle, insbesondere
LinkedIn, werden als nie dagewesene Chance für die CEO-Kommunikation
gesehen, mit der CEOs im eigenen Namen meinungs- und haltungsstarke
Inhalte veröffentlichen und in den Austausch treten können. Erkennbar ist
wiederum auch die Sorge, dass aktuell noch zu wenige Topmanager:innen
dazu bereit sind, dem Vorbild von Tim Höttges (Deutsche Telekom), Hannes
Ametsreiter (Vodafone) oder Joe Kaeser (Siemens) zu folgen. Eine relevante
Chance entsteht, wenn der CEO durch eine strategische Positionierung der/s
Topmanager:in selbst als Marke etabliert wird: Erkannt wird hier nicht nur ein
positiver Einfluss auf die Reputation des Unternehmens, sondern auch auf
die Mitarbeiter:innenzufriedenheit, die Kundentreue sowie die Qualität von
Bewerbern. Bei diesem Aspekt wird zugleich auf Probleme verwiesen, die auf-
kommen, wenn beispielsweise kommunikative Fehltritte zu einem irreparablen
Imageschaden für das Unternehmen führen.
In diesem Zusammenhang wird aus den erhobenen verbalen Daten zudem eine
Chance hinsichtlich der Mitarbeiter:innengewinnung wahrnehmbar. Wie oben
erwähnt, zeigen sich positive Erwartungen bezüglich der Bewerber:innenqualität,
wenn Führungskräfte als Multiplikatoren wirken oder der CEO sogar als
eigene Marke agiert. Generell erkennbar ist die Erwartung, dass durch die ver-
änderten Möglichkeiten der Unternehmenskommunikation positive Effekte auf
die Gewinnung benötigter Fachkräfte resultieren (externe Wirkung). Als eine
wichtige interne Wirkung ist hingegen die Sicherung der Leistungsbereitschaft
aktiver Mitarbeiter:innen zu identifizieren, sodass in diesem Sinne gelungene
Unternehmenskommunikation
94 J. Redler et al.
Ein anderer bedeutsamer Effekt ergibt sich in diesem Feld durch die verbesserte
interne Kollaboration auf der Basis digitaler Tools.
[...] kann Paid neue Wege für die PR eines Unternehmens öffnen und Bereiche
erschließen, die anderenfalls für „klassische“ PR-Maßnahmen verschlossen wären.
(Z. 2975)
geteilte Inhalte aber im Einklang mit den Aktivitäten eines Unternehmens stehen
sollten. Inkonsistenzen werden als Gefahr für den PR-Erfolg empfunden. Hin-
gegen: Eine klare Haltung und Vision in der CEO-Kommunikation zeigen sich
als signifikanter Faktor, um die Reputation des Unternehmens zu stärken und die
öffentliche Sichtbarkeit der Organisation zu erhöhen.
Zum anderen werden mit den sozialen Medien effizienzsteigernde Impulse für
die interne Kommunikation verbunden. In den verbalen Daten verdeutlicht sich:
Aus den Social Media erwachsen auch neue Werkzeuge, mit denen Kollaboration,
Vernetzung, Interaktion und Austausch für die Mitarbeiter:innen-kommunikation
einfacher werden – ganz unabhängig von einem vereinfachten Informationsfluss.
Als diesem Zweck dienende Tools werden dabei beispielsweise digitale Lösungen
wie Yammer oder Slack konkret benannt.
[…] mit der Implementierung eines solchen Content Hubs [gehen] eine Kunden-
zentrierung, Komplexitätsreduktion und Kernteamverschmelzung einher. (Z. 2174)
Moderne Mitarbeiterkommunikation wird insgesamt durch digitale Lösungen
[...] vielfältiger, interaktiver, aktueller und vor allem authentischer. (Z. 1577)
[...] klares Bild von der Realität [erfasst werden] (Z. 761)
Social Listening wird letztlich als eine nicht mehr wegzudenkende Aktivität der
PR-Arbeit erkennbar. Gleichermaßen ergibt sich, dass zur digitalen Welt eine
Qualitätsbewertung der PR mit Rückschlüssen auf Verständlichkeit und Relevanz
in Echtzeit gehört. Angesprochen werden KI-basierte Analysetools, die schnelle,
kostengünstige und detaillierte Erkenntnisse über die geteilten Erfahrungen der
Nutzer:innen in den sozialen Medien und somit auch über „Bremser und Treiber
der eigenen Reputation“ (Z. 758) liefern. Gemeint ist die extrem schnelle Identi-
fikation sowohl von Akteur:innen als auch Inhalten, die hemmend oder förderlich
für die zielgerichtete Reputationssteuerung wirken. Den verbalen Daten zufolge ist
dies inzwischen unverzichtbar für die moderne PR. Die Daten verweisen darauf,
dass eine solche Messbarkeit des Nutzer:innenverhaltens und damit wiederum aus-
sagekräftige Rückschlüsse auf die Verständlichkeit und Relevanz der Inhalte als
wichtig zur Bewertung der „Qualität der PR“ (Z. 1094) eingeordnet werden.
Weitere Einsichten sind hinsichtlich des Wandels der Organisation der
Kommunikationsarbeit möglich. Mehrere Faktoren werden dabei deutlich.
Zum einen scheinen das Redaktionsprinzip wie auch das Newsroom-Prinzip als
adäquate Formen angesehen zu werden, um Kommunikation im digitalen Zeit-
alter zu organisieren. Hinsichtlich des Redaktionsprinzips wird klar, dass tat-
sächlich alle strategischen Bereiche im Unternehmen (von HR bis hin zur
Kundenbetreuung) in dieser „Redaktion“ verbunden sein sollen. PR sei,
andererseits, endgültig keine Insellösung mehr – aufzulösen ist das Denken in
Abteilungen und (Funktional-)Bereichen:
10 Das sogenannte „Siloprinzip“ bezieht sich auf ein Verhalten, bei dem Mitarbeiter:innen
sich ausschließlich auf die eigenen Aufgaben fokussieren und letztere kaum im Gesamt-
zusammenhang der Organisation betrachten. Da es dabei oft dazu kommt, dass
Personen im Ergebnis gegeneinander statt miteinander arbeiten, wird es schon länger
als problematisch diskutiert, weil es beispielsweise abteilungsübergreifendes Arbeiten
behindert. Vgl. z. B. Barabba (2022).
Public Relations im Zeitalter zunehmender … 97
Die PR wird mit Disziplinen wie Marketing, Research, Werbung etc. zu einer
einzigen datengetriebenen, algorithmengesteuerten und vertrauensbildenden
Kommunikation verschmelzen, die sich mit den Zielgruppen beschäftigt. (Z.41)
Media beherrschen. PRler sind Strategen, aber auch Praktiker, die texten können
und gleichzeitig Content-Management-Systeme verstehen. PRler sind vielfältige
Allrounder mit gezieltem Expertenwissen. (Z. 54)
[…] kein Horrorszenario, wenn die Unternehmen erkennen: Dann nehmen wir die
Dinge selbst in die Hand und werden zu Medienhäusern. (Z. 1434)
5 Diskussion
fraglich. Interessant ist, dass diverse Themen, die aus „Vorhersagen“ „älterer“
Essays bereits bekannt sind (vgl. z. B. Toth 2009; Bruce 2012; Gill 2011), in
den gefundenen Realitäten eine prominente Rolle bekommen. Beispiele dafür
sind das Newsroom-Konzept, die stark redaktionelle Steuerung oder die Not-
wendigkeit zu intensivem Storytelling. Damit kommt die Frage auf, ob sich
derartige „Vorahnungen“ nun bewahrheiten und durchsetzen – oder ob die
Insider:innen der Branche lediglich bekannte Topoi reproduzieren. Eine
Frage, auf die in weiteren Untersuchungen eingegangen werden könnte. Nicht
auszuschließen ist, dass dies eine Folge von Recherche- und Vorbereitungs-
aufwand ist, den Studienteilnehmer:innen im Vorfeld der Fragenbeantwortung
betrieben haben. Weniger im Fokus steht, überraschenderweise, die Diskussion
zum Thema „Lead“ durch Kommunikationsmanager:innen. Insgesamt wird
die kommende Rolle (im Sinne von Aufgabe und Zweck) der PR-Verantwort-
lichen eher vage in den Blick genommen. Dabei scheint es legitim, die Frage
aufzuwerfen, ob die Rolle der/s Kommunikationsmanager:in an Bedeutung
zu- oder abnimmt. Wenn angesprochen wird, dass größere Storys und auch
Personen in vernetzen Kampagnen auf die Kommunikations-Agenda zu setzen
sind, so deutet dies eher auf einen zunehmend-übergreifenden Einfluss von
Kommunikationsmanager:innen hin, aber auch auf eine zunehmend über-
greifende Verantwortung, was wiederum gegebenenfalls eine sich verändernde
Qualifikationsanforderung mit sich bringt. Dies gilt auch für die Forderung der
Schaffung von Wertefundamenten und einer klaren Haltung auf der Gesamtebene
der Organisation sowie für die strukturellen Voraussetzungen, die zu gestalten
sind. Soziale Fragen sind u. a. über die Formen der Zusammenarbeit, die not-
wendigen Wertefundamente wie auch die Verantwortung der Entscheider:innen in
einer intern und extern sichtbaren Vorbildrolle tangiert. Insgesamt erscheinen die
Befunde zudem in hohem Maße kompatibel mit Diskussionen der wissenschaft-
lichen Literatur, die auf die Bedeutung ganzheitlicher Content-Strategien (siehe
Kap. 2; vgl. z. B. Macnamara et al. 2016) oder auf sich verändernde Kompetenz-
anforderungen für Kommunikationsverantwortliche (siehe weiter z. B. Wolf
2016) hinweisen. Hingegen zeigen sich diverse Detailaspekte wie beispielsweise
Fragen der stärkeren Personalisierung von Botschaften oder der Integration von
Social-Listening-Routinen.
Klar und deutlich sichtbar werden Umwälzungen, die sich auf die Arbeits-
weise (strukturelle Einbettung von PR in andere Unternehmensbereiche,
Prozesse, Geschwindigkeit), die Steuerbarkeit von Kommunikation und die
relevanten Qualifikationen der Expert:innen beziehen. Ein übergreifendes Motiv
ist zudem die Erkenntnis der Expert:innen, dass effektive und effiziente Unter-
nehmenskommunikation im digitalen Zeitalter umso mehr von innen nach außen
102 J. Redler et al.
gedacht werden muss. Ist es doch kein grundlegend neuer Ansatz, so scheint sich
dies in einer Social-Media-Welt eher zu verstärken. Man könnte also die These
formulieren: Mitarbeiter:innenkommunikation und externe Kommunikation
werden immer weniger differenzierbar. Die u. a. von Chace (2018) ins Spiel
gebrachte enorme Rolle von Big Data und KI für die zukünftige Unternehmens-
kommunikation spiegelt sich erkennbar in den dargestellten Befunden dieser
Studie.
In methodischer Hinsicht ist zunächst zu betonen, dass es sich ausschließlich
um eine Betrachtung im deutschsprachigen Raum handelt. Verallgemeinerungen
sind schon aufgrund des qualitativen Zugangs nicht indiziert – relevante Inter-
pretationen und Diskussionen aus dieser Studie sollten jedoch ganz besonders vor
dem Hintergrund der deutschsprachigen PR-Kultur und -Historie vorgenommen
werden. Ein Abgleich mit den Wahrnehmungen in anderen Kulturräumen wäre
dann ein weiterer Schritt. Aufgrund des explorativen Charakters der Studie hat
sich der qualitative Ansatz generell als adäquat und indiziert (z. B. Flick 2009)
bestätigt.
Die vorgestellte qualitative Untersuchung nutzt einen innovativen, sehr
offenen Zugang bei der Datengewinnung, bei dem auch die konkreten Frage-
stellungen aus den Sichtweisen der Teilnehmer:innen entstanden sind. Auf
Basis von insgesamt 2751 offenen Antworten aus den selbstgenerierten Fragen
fand eine inhaltsverdichtende Auswertung statt. Mit dem Studiendesign sind
naturgemäß einige Limitationen verbunden. So erfolgte die Rekrutierung der
Teilnehmer:innen über Netzwerke der Forscher sowie bestimmte Medien-
kanäle. Dies könnte bei der Frageentwicklung aufseiten der Teilnehmer:innen
wie auch bei den finalen Antwortdaten ein Bias erzeugt haben. Das Vor-
gehen bei der Datenerhebung bedingte zudem eine nennenswerte Anzahl
von anonymen Antwortbeiträgen. Daher sind die Strukturangaben zu den
Befragten mit Einschränkungen zu betrachten. Zudem waren dadurch ledig-
lich 90 % der Teilnehmer:innen direkt als „Expert:in“ im Sinne der Unter-
suchung zu identifizieren. Eine geringe Abweichung der Gruppe der tatsächlich
betrachteten Personen von der mit der Studienmethodik beabsichtigten Aus-
wahl von PR-Expert:innen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Agenturumfeld und
Non-Profit-Organisationen (die ja mittels der verwendeten Aussteuerungs- und
Ansprachekanäle erfolgte) kann allerdings nicht ausgeschlossen werden. Da die
von den nicht identifizierbaren Teilnehmer:innen generierten verbalen Daten im
Vergleich zum Gesamtbild keine Besonderheiten erkennen ließen, sind diese im
Datensatz verblieben und in die weitere Auswertung eingeflossen. Das Risiko
von Verzerrungen der Aussagekraft wurde als gering eingeschätzt. Ein weiterer
methodenbezogener Aspekt ist die textbasierte Datensammlung. Aufgrund dieser
Public Relations im Zeitalter zunehmender … 103
6 Weitere Forschung
Aus der Studie und ihren Erkenntnissen resultieren Impulse, die in der weiteren
PR-Forschung aufgegriffen werden sollten. Ganz generell wird eine Grund-
lage geschaffen, um den aktuell zu verfolgenden Wandel der PR hinsichtlich der
Schwerpunkte und Arbeitsweisen, aber auch mit Blick auf die soziale Dimension,
zu beschreiben und zu verstehen. Erste Kausalitäten und Randbedingungen sowie
Interdependenzen nehmen damit Gestalt an. Weitere Forschungsschritte sind
allerdings vonnöten, um die Aspekte im Sinne einer Modellbildung auszuarbeiten,
zusammenzubringen und konstatierte Muster empirisch zu prüfen. Einige aus-
gewählte Gesichtspunkte für einen solchen Weg sollen kurz angesprochen werden.
104 J. Redler et al.
Die in diesem Beitrag aufgezeigten Befunde, die auf der Grundlage von PR-
Branchenmitgliedern entstanden sind, könnten mit zusätzlichen Wahrnehmungen
anderer Expert:innen verglichen werden. Relevant erscheint dabei auch ein
Abgleich mit Ergebnissen, die auf einer Sicht von „außen“ auf die PR-Praxis
beruhen. Dieser Pfad könnte außerdem in Richtung einer Triangulation der vor-
gelegten Befunde ausgebaut werden.
Ein ebenso wichtiger Strang weiterer Forschung könnte sich einem Vergleich
der in dieser Untersuchung (und in gegebenenfalls weiteren ähnlichen Folge-
untersuchungen) gefundenen Sichtweisen von praktisch orientierten Expert:inne
mit den in der Forschungsliteratur vertretenen Perspektiven widmen. Weiterhin
sollten die hier für den deutschsprachigen Raum ermittelten Aspekte übernational
verglichen werden. Damit kann geklärt werden, ob sich die Entwicklungen in
verschiedenen Wirtschaftsräumen unterschiedlich darstellen. Denkbar wäre es
ebenso, sektorale Unterschiede zu sondieren. Auch erscheint es aufschlussreich
zu prüfen, ob bei den aufgezeigten Themenfeldern und Kategorien Unterschiede
zwischen langjährig etablierten PR-Verantwortlichen einerseits und Nachwuchs-
kräften andererseits bestehen. Abgesehen von den traditionellen qualitativen
Forschungszugängen könnte Letzteres auch als vergleichende Szenario-Analyse
erfolgen.
Offensichtlich wurde die Notwendigkeit, begriffliche Klärungen vorzunehmen
und auch an geeigneten Begriffen zu arbeiten, die für eine zukünftige integrierte
Betrachtung von PR, Marketing und Kommunikationsmanagement treffend sein
können. Sicherlich werden zugleich begriffliche Taxonomien erforderlich, die die
kommende Aufgabenteilung mit den sich beispielsweise entwickelnden Kanälen,
Content-Formen, Interaktionsformen und Verantwortungsbereichen erfassen
können. Weitere Forschungsvorhaben sollten auch diese Blickwinkel als Heraus-
forderung aufgreifen.
Auf die hier vorliegenden, über qualitative Methoden gewonnenen Einsichten
sollten quantitative Studien zu Kausalitäten und der Gewichtung von Wirk-
faktoren folgen. Die skalierte Bewertung von Dringlichkeit und Bedeutsamkeit
der aufgezeigten Aspekte wäre dabei nur ein Ansatzpunkt.
In thematischer Hinsicht sind einige weitere konkrete Felder anzusprechen,
die von künftigen Forschungsvorhaben aufgegriffen werden sollten. Zu denken
ist dabei zunächst an die Auswirkungen der skizzierten Befunde auf weitere
soziale Gesichtspunkte der Unternehmenskommunikation und ihrer inner-
betrieblichen Gestaltung und Steuerung. Eine solche „neue“ Arbeitsumwelt wirft
Forschungsfragen auf, die sich beispielsweise auf die Aufgabenspezialisierung,
relevante Qualifikation, das Problemlöseverhalten, eine werteadäquate
Mitarbeiter:innenkommunikation oder ein verändertes Nähe-Distanz-Verständnis
Public Relations im Zeitalter zunehmender … 105
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108 J. Redler et al.
Jörn Redler, Prof. Dr., ist Professor für ABWL, insb. Marketing, an der Hochschule
Mainz, University of Applied Sciences. Seine Schwerpunkte in Lehre und Forschung
sind u. a. Markenführung und Kommunikation. Er ist Co-Herausgeber des Standardwerks
„Corporate Brand Management“ und Autor von „Die Store Brand“. Kontakt: joern.redler@
hs-mainz.de.
Public Relations im Zeitalter zunehmender … 109
Lothar Rolke, Prof. Dr., ist Professor (em.) für Betriebswirtschaftslehre und Unter-
nehmenskommunikation der Hochschule Mainz, University of Applied Sciences, und
Unternehmensberater für Kommunikationsmanagement. Er ist Mitglied verschiedener
Beiräte und Jurys sowie Autor zahlreicher Bücher, Studien und Aufsätze. Kontakt: lothar.
rolke@rolke.info
Gina Giuliano, M.Sc, arbeitet im Bereich Marketing & Analytics des Schweizer Invest-
menthauses Vontobel. Als Junior Brand Managerin ist sie u. a. zuständig für die Sicher-
stellung einer konsistenten Markenkommunikation sowie für die Weiterentwicklung der
visuellen Gestaltungsrichtlinien. Kontakt: gina-giuliano@t-online.de
Social Issues or the Social as an Issue—
Rethinking Sociality in a Post-Digital
Era
Abstract
A. Hallin (*)
Åbo Akademi University, Åbo, Finnland
E-Mail: anette.hallin@abo.fi
C. Ivory
Mälardalen University, Stockholm, Sweden
E-Mail: chris.ivory@mdu.se
Keywords
Technical transformation · Social revolution · Sociality · Post-digital ·
Digitalization
1 Introduction
This chapter focuses on the idea that we are in the midst of a technology-driven
revolution (see e.g. Hirschi 2018; Schwab, 2016). A key question for us, then,
is what makes an industrial revolution a revolution—can we actually call the
present diffusion of digital technologies a “revolutionˮ, and why is it not merely
just a general technical “developmentˮ? The key to answering this question is
whether the changes brought about through the implementation of new techno-
logy will ultimately have limited or extensive impact on our existing social and
organizational arrangements.
In the chapter we address this issue by first unpacking the relationship
between technology change and social change. Then, and as a way to further
interrogate the social consequences of the contemporary digital transformation,
we explore two key existential anxieties stemming from digital transformation.
The first is related to the growing separation of people and machines and
relates to the fact that digital development means that machines, do not need us
anymore to perform the tasks they were designed for (Hallin et al. 2017). The
second anxiety concerns the proliferation of relationships that digital techno-
logy paradoxically also facilitates; a proliferation that connects us to an excess
of others, personal and corporate; human and non-human; pushing our lives out
of our own control and, potentially, into the hands of known and unknown others
(Dourish 2016; Tufekci 2015). In our conclusion we suggest that an essential task
for organizational and communication theorists is to reconceptualize what they
mean by the social.
to the operating plant where they can do the most good. It is clear, that the
implementation and use of the new digital technologies that make up the current
technical transformation has extensive social impact.
To understand the extent of this impact, we can compare the present techno-
logical transformation with previous industrial revolutions. The so called first
industrial revolution, which built on the invention of the steam engine, completely
revolutionized the factory system of production, as the new technology was used
to make the weaving of wool and cotton more efficient. This led to dramatic de-
skilling of workers, and to wholescale job replacements. (Frey 2019). The second
industrial revolution, building on the invention of electricity, internal combustion
engines and electric engines, led to the emergence of new jobs, upskilling, and
higher wages (ibid.). Not only were the technologies of these both revolutions
complex, but they, especially electricity, provided the means to completely re-
think factory layouts, creating new reporting lines, clerical, and managerial roles
(McAfee and Brynjolfsson 2014) with a technical transformation comes social
change.
Furthermore, triggered by key technologies, the socially transformational
effects can also spread as far as the re-structuring and character of entire
societies. As Freeman (2018) notes, American politicians at the time of the
British industrial revolution tried to ban the use of steam power in American
factories. The reason was that they had seen how the growth in scale of factories
and levels of output that steam had made possible in the UK, had given rise also
to a growing, poorly educated, and difficult to control proletariat. The American
politicians, then, regarded the growth of this social class as incompatible with
the small-scale town-based economy and society that they had in mind for the
America they aimed at building. Despite the efforts of the politicians, steam
power, however, made it also into American industry, as did later electricity,
leading to the development of a class of blue-collar workers, just as in Europe.
To summarize: the digital transformation that we are currently experiencing
brings about a social change that is revolutionary in that it changes not only
the technical, but the economic, political, and ideological basis for society, and
hence the conditions for human co-existence. In the following, we will dig deeper
into two aspects that are particular to the current digital transformation: the
spatial reconfiguration of humans and machines, and the temporal consequences
of digitalization. In short, these two aspects are existential in that they are
fundamental to human relationships, hence emphasizing why the social is at stake
in the post-digital era.
Social Issues or the Social … 115
retains all agency in that the technology ‘responds’ to human input—it does not
act on its own. So, in the case of both 1st and 2nd order technologies, the human
remains the head of the chain of events.
An important part of the contemporary technical transformation is, however,
the development of what Floridi (2013, 2014) calls 3rd order technologies. This
is a type of technology that uses technology to act on the world, without human
involvement. One example is a robot in a manufacturing plant that mobilizes a
welding machine to perform a series of tasks on a piece of steel. Other examples
include robot-like software that is in charge of the operations related to salary-
payment to employees; or chatbots that interact with customers or that handle
queries from citizens or employees. The 3rd order technologies are sophisticated,
able to seek relevant information and compile this without human interference
and they are programmed to make decisions based on the information, and to
carry out subsequent tasks. In many cases, they also learn from their mistakes. In
summary, the 3rd order technologies are programmed to:
self-monitoring. Basically, they will call on a human if they need one. The
workers in these contexts do no longer work in close proximity to the machines
for which they are responsible. Instead, they engage in social activities with other
humans, such as joint planning and quality assurance. In some cases, humans
may even perform this work from their home, in a holiday cottage, or while
travelling.
With the improvement in quality and efficiency, 3rd order technologies will
need us even less, although human over-sight will remain essential in some cases.
Commercial airliners, for example, are essentially robots that could, if required,
fly themselves between airports, and then taxi to the appropriate gate (Mindell
2015). However, for social, regulatory, and political reasons this does not occur
and there is always one of two pilots with hands on proximity to the aircraft cock-
pit. Still, the development sketched above means that the conditions for what
we consider “socialˮ changes. Furthermore, the distancing effects of 3rd order
technologies are experienced in the professional as well as the private areas of
our lives. It is possible for people today to initiate new relationships, sustain them
and even end them—all via social media—thus virtual and emotional proximity
can be achieved without troublesome physical proximity (van den Hoven 2021).
However, as we shall see in the following section, the reconfiguring of humans
and machines are also having effects on the experience of time.
sense of lacking time drives the digital development further, as we are constantly
looking for new solutions to our time-issue. Arguably, digital technologies thus
fundamentally reflect a desire to save time—analyzing more data in less time,
speeding up production processes, overcoming the drag of the physical world
(e.g. replacing letters with email and ‘instant’ messaging). This way, the sense that
there are not enough hours in the day triggers the demand for yet more efficiency-
creating technology—leading us into another bout of acceleration.
The sense of acceleration identified by Rosa (2015) stems from faster and
instantaneous communications and the proliferation of communication channels.
It can thus be argued that digital technologies have colonized both our personal
and professional lives, and that they are competing for both our time and attention
(Kitchin and Fraser 2020; Zuboff 2019). While the same technology also makes
possible new relationships and brings many “joysˮ, evidence is also growing for
its negative effects also on health, personal lives, and productivity. The pressure
from employers to do more work and for longer stems also from the blurring of
work and social technologies and the colonization by the technologies of work
(email, videoconferencing) of the home (Kitchin and Fraser 2020).
One of the key successes of digital technology is its ability to soak up our
time and attention, stemming from its ability to “knowˮ us and our interests (or at
least what will grab and hold our attention)—perhaps better than we do ourselves
(Finn 2017). At the heart of much concern about digital technology is thus the
appearance that it is designed to steal time—advertisers want to us to spend time
looking at their advertisements; colleagues and managers want us to spend time
focusing on work. The effect of this acceleration is not only practical, but also
emotional. As digital technologies steal time, Rosa notes, they change the way
we relate to ourselves and one another (Rosa 2015). We maybe forget to feel—or
don’t understand why we feel as we do—and we may loose sight of each other
because we are not grounded in the here and the now.
Kitchin and Fraser (2020) suggest a number of means of re-establish
sovereignty over our own time, such as switching to open-source software, using
browsers that don’t track our search histories and taking advantage of Tor-servers
that hide our identities all together. We can also obfuscate—search for things that
don’t interest us, enter false names to access free resources and use software that
deliberately fragments our online activity, rendering it useless to data harvesters.
All of this makes it difficult for contemporary AI-devices to figure out what will
grab and keep our attention—hence making it more difficult for digital techno-
logies to steal our time at a later stage. We can also practice better hygiene, for
example by scheduling our time away from digital devices, use paper diaries and
Social Issues or the Social … 119
planners, and by managing the expectations of our online accessibility for those
who expect us to be always available, for example mangers, colleagues, friends,
and family. Other ways of re-establishing sovereignty include the enrolling of our
employers and unions into the slow-down-narrative (Kitchin and Fraser 2020);
setting time limits on work emails and monitoring and establishing Wi-Fi free
zones at work; supporting policymakers in strengthening our data rights through
GDPR; exposing the insidious practices of technology firms, and showing the
negative effects that the acceleration of digital technologies is having on our
personal lives, productivity and even community and democracy (Kitchin and
Fraser 2020).
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Anette Hallin, Professor, holds the Chair in Organisation and Management at Åbo
Akademi University, Finland, and is professor of the same subject at Mälardalen Uni-
versity, Sweden. She has a long-standing curiosity about the messiness of organising
processes, and her research focuses on how the development, implementation and use of
various technologies changes work, management and organisational contexts. Together
with colleagues, and often in close collaboration with the organisations studied, she explors
this across different types of organisations, using performativity theories, such as socio-
material and discourse theories.
Social Issues or the Social … 123
Eva-Maria Jakobs
Zusammenfassung
Interviewer: „Was hat sich Ihrer Meinung nach seit 2019 in Ihrem Unternehmen und in
Ihrer Branche verändert?“
Manager: „Viel. Wo soll ich anfangen?“
und verlieh der internen Kommunikation mehr Gewicht. Art, Umfang und
Bewertung der berichteten Veränderungen in der Kommunikation und Inter-
aktion variieren abhängig von Branche, Firmentyp, Digitalisierungsgrad,
Unternehmensbereich, Kommunikationsaufgabe und anderen Faktoren. Die
Zukunft wird vor allem in hybriden Modellen gesehen. Diese setzen voraus,
dass die Unternehmen für sich klären, wann und wo digitale Formate sinn-
voll bzw. sinnstiftend sind und wo nicht, welche Regeln für welchen Bereich
gelten und wie die Mitarbeiter dabei unterstützt werden können, digitale
Modelle gemeinsam zu gestalten und umzusetzen. Forschungsbedarf besteht
hinsichtlich weiterer (branchen- wie kulturraumvergleichender) Studien zu
den Folgen und Potenzialen krisengetriebener Veränderungen der Unter-
nehmenskommunikation wie auch dazu, welche der aktuell beobachtbaren
Phänomene sich in der nahen Zukunft konsolidieren werden und welche
Implikationen dies für den Bereich von Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie
ihre Vermittlung hat.
Schlüsselwörter
1 Einleitung
2 Theoretische Einordnung
3 Methodischer Ansatz
Der Beitrag basiert auf einer explorativen Interviewstudie mit Managern. Die
qualitative Studie intendiert, Hinweise darauf zu gewinnen, wie sich disruptive
Ereignisse wie die Covid-19-Pandemie auf die Unternehmenskommunikation
auswirken und wie sie bewältigt werden. Der Interviewleitfaden umfasst zwei
Fragenkomplexe. Der erste Komplex erhebt wahrgenommene Veränderungen im
Unternehmenskommunikation in Bewegung 133
Zeitraum März 2020 bis September 2021 (z. B.: Wie hat Ihr Unternehmen auf
den Lockdown reagiert? Welche generellen Auswirkungen hatte die Umstellung
auf digitale Distanzkommunikation? Wie hat sich die Umstellung auf Funktions-
bereiche ausgewirkt? Wie haben Sie die Herausforderungen gelöst? Wie ist
der Stand heute?). Gegenstand des zweiten Komplexes sind Erwartungen zu
zukünftigen Entwicklungen (z. B.: Welche der genannten Neuerungen wollen Sie
beibehalten und warum? Wie sehen Sie zukünftige Entwicklungen? Wo besteht
weiterer Handlungsbedarf?). Die Daten wurden im September und Oktober 2021
erhoben. Die Aussagen wurden gesprächsbegleitend notiert und anschließend
qualitativ inhaltsanalytisch ausgewertet.
Die Akquise der Teilnehmer (n = 15) erfolgte über Netzwerk-Kontakte
zur Industrie. Zwei Drittel der Befragten sind männlich, ein Drittel weiblich.
Die meisten Befragten sind dem mittleren Management zuzuordnen (n = 10);
sie leiten Funktionsbereiche wie Produktion oder Vertrieb oder sind Projekt-
leiter. Drei Befragte sind Eigentümerinnen; sie leiten als Geschäftsführerin ein
klein- und mittelständisches Unternehmen (KMU). Ein Befragter ist als Interim-
Manager tätig, ein weiterer arbeitet in einer industrienahen Organisation im
Bereich Innovationsmanagement. Die von ihnen repräsentierten Organisationen
arbeiten im B2B-Bereich in Branchen wie metallverarbeitende Industrie,
Sondermaschinenbau/Messtechnik, IT-Dienstleister und Marketing-Agentur.
Alle Befragten verfügen über mehrjährige Erfahrung in der Wirtschaft (acht bis
30 Jahre). Das Durchschnittsalter liegt bei 45,3 Jahren.
In einem Punkt sind sich alle Befragten weitgehend einig: Der nationale
Lockdown Anfang 2020 und der dadurch notwendige Wechsel zu Distanzarbeit
und -kommunikation stellte die Unternehmen vor große Herausforderungen.
134 E.-M. Jakobs
Die Pandemie traf sie unvorbereitet, es gab kein „Notfallprogramm“ für der-
artige Situationen. Krisen dieser Art waren im (partiell vorhandenen) Risiko-
management nicht vorgesehen. Entsprechend herausfordernd und lang war die
Phase der Umstellung auf die neue Situation. Sie dauerte – je nach Unternehmen
und Unternehmensgröße – deutlich länger als ein Jahr und umfasste unterschied-
lich gelagerte Herausforderungen.
Die erste Herausforderung war primär technischer Art. Die vorhandene
technische Infrastruktur reichte nicht aus und/oder war überlastet. Die Mit-
arbeiter lösten das Problem zunächst informell, indem sie für den Austausch
untereinander – trotz damit verbundener Sicherheitsrisiken – auf private Kanäle
wie WhatsApp auswichen. In den Folgemonaten wurden interne Plattformen
geschaffen und die Homeoffice-Arbeitsplätze der Mitarbeiter technisch integriert.
Den Mitarbeitern wurde so ermöglicht, sicher am häuslichen Arbeitsplatz
auf firmeninterne Daten zuzugreifen (z. B. auf ERP-Systeme wie SAP; ERP:
Enterprise Resource Planning).
Die zweite Herausforderung war organisationaler Art. Für die plattform-
basierte Kommunikation und Interaktion mussten Prozesse entlang der Wert-
schöpfungskette geprüft und gegebenenfalls reorganisiert werden. Eine
wesentliche Herausforderung bestand darin, verteilte Informationen zusammen-
zuführen, zu systematisieren und allen zugänglich zu machen. Die Befragten
berichten, dass der damit verbundene Aufwand hoch war, mittelfristig jedoch
auch viele Vorteile erzeugte.
Die dritte Herausforderung betraf die Kommunikation und Interaktion
der Beteiligten intern wie extern. Kommunikationsanlässe, -aufgaben und
-wege mussten vertikal wie horizontal funktional geprüft und auf die neuen
Bedingungen abgestimmt werden. Die Mitarbeiter mussten sich entsprechend
umstellen und erwarteten dabei Führung, z. B. durch Regeln für Distanz-
kommunikation. Ihre Entwicklung stellte insbesondere größere Unternehmen vor
erhebliche Herausforderungen und war dort zum Zeitpunkt der Erhebung noch im
Gange. Positiv gesehen wird die im Verlauf der Pandemie deutlich gewachsene
Qualität professioneller Software für Distanzkommunikation wie auch die
zunehmende Digital Literacy der Mitarbeiter.
Das Thema soziale Distanz wird abhängig vom Arbeitskontext unterschied-
lich diskutiert. Es war nicht Gegenstand der Interviewfragen, wurde aber von
den Befragten mehrfach selbstinitiativ angesprochen. Einige thematisierten, dass
Jüngere mit Homeoffice, Interaktion in digitalen Umgebungen und dem Verzicht
auf soziale Kontakte am Arbeitsplatz besser zurechtkommen als Ältere (Alters-
grenze: circa 35 Jahre). Junge Mitarbeiter mit erster Berufserfahrung würden den
Unternehmenskommunikation in Bewegung 135
Nähe- und Distanzvorstellungen verändern sich und übertragen sich partiell auf
Face-to-Face-Situationen (man hält Abstand und verzichtet auf Körperkontakte,
z. B. Begrüßung per Handdruck).
Die Interviews zeigen, dass die Handlungsbedarfe der Unternehmen und ihre
Formen der Krisenbewältigung partiell stark differieren. Relevant sind unter
anderem der Unternehmenstyp (Größe, Führung, Organisation, Digitalisierungs-
grad), die Branche sowie die Unternehmenseinheit (Rolle und Aufgabe im Wert-
schöpfungsprozess). Während gerade in großen Unternehmen die Produktion in
verschiedener Hinsicht vom Digitalisierungsschub und dem plattformbasierten
Zusammenführen von Kommunikationsflüssen profitiert, leiden andere Bereiche
wie Marketing und Vertrieb unter dem Wegfall direkter Personenkontakte.
Die digitale Distanzkommunikation verändert den internen wie externen
Austausch; sie stellt etablierte Kommunikationsformate und -praxen infrage.
Überall wächst die Frequenz und Informationsdichte von Meetings. Als
schwierige Situationen gelten unter anderem das Einstellen neuer Mit-
arbeiter, die man persönlich nie selbst gesehen hat, per Videokonferenz,
das Starten neuer Projekte unter Distanzbedingungen sowie das Gewinnen
neuer Kunden und die Beziehungsgestaltung zu diesen. Der klassische Ver-
trieb (der Reisende mit der Probe im Koffer) ist nicht mehr möglich. Wichtige
Gelegenheiten der Beziehungsgestaltung entfallen, z. B. Mittagessen mit den
Kunden oder informelle Verhandlungen abends an der Hotelbar. Direktheits-
grade nehmen zu (z. B. in der Formulierung von Kundenerwartungen). Zu
den vielen zum Zeitpunkt der Erhebung offenen Fragen gehört, wie man unter
virtuellen Bedingungen Vertrauen aufbauen kann, wie belastbar virtuell auf-
gebaute Beziehungen sind (etwa in puncto Loyalität) und was den symbolischen
Handschlag ersetzt, etwa in traditionsbewussten Branchen wie der Mess-
technik. Handlungsbedarf wird unter anderem in Verhaltensregeln für Online-
Meetings mit ausländischen Kunden gesehen. In deutschen KMU teilweise
tolerierte Phänomene wie legere Kleidung (T-Shirt), Essen und Trinken während
des Meetings und Einblicke in die Privatsphäre (Zitat: „Die Katze läuft über
den Tisch, an der Tür klingelt der Paketbote.“) seien etwa aus asiatischer Sicht
undenkbar; sie würden als Zeichen fehlender Seriosität gewertet. Im asiatischen
Raum erwarte man professionelle Kleidung, hohe Konzentration im Austausch
und starke Partnerorientierung.
Unternehmenskommunikation in Bewegung 137
Betroffenheit zeigen, den Verstorbenen ehren, über die Ursachen des Unfalls
informieren, für Gefahren sensibilisieren und zu Vorsicht aufrufen. Im Nach-
gang werden die Mitarbeiter gefragt, wie es ihnen geht und was sie dazu sagen
möchten, und die Reaktionen auf der Plattform für alle sichtbar zusammen-
geführt.
5 Fazit
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Eva-Maria Jakobs, Prof. Dr. phil., works as Professor for Text Linguistics and Technical
Communication at the Institute of Linguistics and Communication Studies at RWTH
Aachen University. She is also director of the Human-Computer Interaction Centre at the
RWTH Aachen University, and the Institute for Industrial Communication and Business
Media, and member of the German Academy of Science and Engineering. Her research
focusses on professional communication and interaction in technology-related contexts; the
use, design, and communicative usability of digital media; and other topics such as age and
technology.
Zur Partizipation in der Investor
Relations-Kommunikation –
Perspektiven aus Theorie und Praxis
Zusammenfassung
M. G. Ditlevsen (*)
Institut für Kommunikation und Kultur, Abteilung für Deutsch und Romanische
Sprachen, Aarhus Universität, Aarhus C, Dänemark
E-Mail: mgd@cc.au.dk
A. G. J. Pedersen
Department of Culture and Learning, Aalborg University, Aalborg Ost, Dänemark
E-Mail: agp@ikl.aau.dk
Schlüsselwörter
1 Einleitung
The people formerly known as the audience are those who were on the receiving
end of a media system that ran one way, in a broadcasting pattern, with high entry
fees and a few firms competing to speak very loudly while the rest of the population
listened in isolation from one another – and who today are not in a situation like that
at all. (Rosen 2008, S. 163)
2 Theoretische Grundlagen
Wie einleitend erwähnt, befinden sich die IR-Kommunikation wie die Unter-
nehmenskommunikation im Allgemeinen in einem grundlegenden Wandel, nicht
zuletzt wegen der sich immer weiter entwickelnden digitalen Medienlandschaft
wie des steigenden Drucks von außen, so z. B. durch die Socially Responsible
Investment (SRI)-Bewegung (Investopedia 2022) und den Aktionärsaktivismus
(Hoffmann 2018, S. 1). Viele digitale Plattformen ermöglichen heutzutage einen
direkten Austausch zwischen Unternehmen und Stakeholder:innen, was sich
potenziell auch für eine partizipationsorientierte Unternehmenskommunikation
nutzen lässt. Mit dem Begriff Konvergenzkultur fasst Jenkins (2006) die jüngsten
Entwicklungen im technologischen, medialen und sozialen Bereich zusammen,
die auch für die Unternehmenskommunikation und den IR-Bereich von Relevanz
sind. Konvergenzkultur bezeichnet:
the flow of content across multiple media platforms, the cooperation between
multiple media industries, and the migratory behavior of media audiences who
would go almost anywhere in search of the kinds of entertainment experiences they
want. (Jenkins 2006, S. 2)
1 Grassroots intermediaries werden nach Jenkins (2006, S. 285) wie folgt beschrieben:
„Participants – for example, bloggers or fan group leaders – who actively shape the flow of
media content but who operate outside any corporate or governmental system.“ Mögliche
Beispiele für Grassroots-Medien seien You-Tube-Kanäle und Blogs.
Zur Partizipation in der Investor … 151
aktion und den einfachen und schnellen Zugang zur Nutzung und Produktion
von Inhalten, wobei aber der kollaborative Bedeutungsbildungsprozess zum
einen von der Fähigkeit des Unternehmens abhängt, die Stakeholder:innen in
den Prozess einzubeziehen, und zum anderen von der Teilnahmebereitschaft
der Stakeholder:innen (Gulbrandsen und Just 2020, S. 195). Auch Begriffe
wie collaborative media (Löwgren und Reimer 2013 in Sandvik 2018, S. 86),
common-based-peer-production (Benkler 2006 in Sandvik 2018, S. 86), p2p
production (Bauwens 2005 in Sandvik 2018, S. 86) oder participatory media
(Sandvik 2018, S. 86) betonen diese Rollen- und Machtverschiebung unter den
Kommunikationsbeteiligten; und nicht zuletzt bezeichnet der vom australischen
Medienwissenschaftler Axel Bruns (2008) lancierte Begriff produsage die
Hybridisierung von user und producer als Merkmal einer zunehmenden
„produsage-based, participatory culture“ (Bruns 2008, S. 256). Hinzu kommt,
dass die digitalen Netzwerkmedien neue Möglichkeiten des politischen
Engagements und Aktivismus mit sich gebracht haben (Sandvik 2018, S. 131;
Heath 2018, S. 11). Durch ihre mobilen Eigenschaften, hohe Geschwindigkeit
und Zugänglichkeit sowie Nutzungsfreundlichkeit ermöglichen soziale Netz-
werke wie Facebook und Twitter die schnelle Bildung und Mobilisierung von
sozialen Protest- oder Support-Bewegungen und Communities mit potenziell
sehr großer Reichweite (Sandvik 2018, S. 136). So steigt auch bei vielen
Verbraucher:innen, Bürger:innen, Beschäftigten, Investor:innen und anderen
Stakeholder:innen die Erwartung, gehört zu werden und Einfluss ausüben zu
können. Gleichzeitig haben auch Unternehmen erkannt, dass es nicht nur in
vielen Fällen notwendig, sondern sogar vorteilhaft ist, den Kunden in Unter-
nehmensabläufe stärker einzubinden (vgl. für einen Überblick z. B. die Bei-
träge in Bruhn und Stauss 2009). Neben dem Marketing und dort insbesondere
Ansätzen einer kundenintegrierenden Leistungserstellung (Bruhn und Stauss
2009) ist diese „Partizipationskultur“ (Jenkins 2008) auch zum Thema der Unter-
nehmenskommunikation geworden.
Als ein Eckpfeiler der Demokratie hat Partizipation2 eine lange Tradition.
Ideale und Umsetzungsformen wurden lange debattiert und in verschiedenen
Kontexten erprobt. So präsentiert beispielsweise Arnstein (1969) eine empirisch
2 SieheFuchs (2017, S. 65 ff.) für eine kritische Auseinandersetzung mit der Verwendung
der ursprünglich aus der Politikwissenschaft und partizipatorischen Demokratietheorie
stammenden Begriffe Partizipation und Partizipationskultur durch u. a. Bruns (2008) und
Jenkins (2006).
152 M. G. Ditlevsen und A. G. J. Pedersen
basierte Leiter der Bürgerpartizipation mit acht Stufen, die den Grad der
Partizipation anzeigen. Dabei wird Partizipation definiert als „the redistribution
of power that enables the have-not citizens, presently excluded from the political
and economic processes, to be deliberately included in the future“ (Arnstein
1969, S. 216). Am unteren Ende finden sich die Stufen manipulation und therapy,
was interessanterweise auch educate einschließt, hier im Sinne von „help them
[Mieter:innen in einem sozialen Wohnungsbauprojekt] adjust their values and
attitudes to those of the larger society“. Die mittleren Stufen umfassen informing,
consultation und placation, wobei zwar Informationen von den sogenannten
Powerholders geteilt werden, aber oft durch Ein-Weg-Kommunikation ohne
reale Möglichkeiten für Feedback und Dialog. Heutzutage ermöglichen u. a.
soziale Medien solche, auch unaufgeforderte, Meinungsäußerungen, jedoch
ohne Garantie, auch gehört zu werden. Die obigen Stufen der Partizipations-
leiter sind partnership, designated power und citizen control, wobei Ein-
flussnahme und Einwirkung auf Entscheidungen stattfinden (Arnstein 1969,
S. 217 ff.). Wenn auch die Typologie von Arnstein (1969) eine ältere, simpli-
fizierte Darstellung ausgehend von anderen Kontexten als der Unternehmens-
kommunikation, einschließlich der IR-Kommunikation aufweist, wird deutlich,
dass Partizipation sehr unterschiedlich verstanden werden kann und in sehr
unterschiedlichen Erscheinungsformen auftreten kann. Darauf aufbauend legen
wir in der vorliegenden Studie ein tentatives Verständnis von partizipations-
orientierter IR-Kommunikation zugrunde, wobei ein Unternehmen – über die
formalisierten Kanäle wie Hauptversammlung hinaus – den offenen Austausch
mit (potenziellen) Investor:innen ermöglicht, unterstützt und initiiert und diese
dann auch Einfluss auf u. a. Quantität und Qualität der IR-Kommunikation wie
Themen, Formate und strategische Ausrichtung gewinnen. Dabei betrachten wir
Partizipation vor allem als Mittel zur Beziehungspflege.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Kommunikationsprozesse
generell dynamischer, dialogischer und vernetzter werden und daher auch
weniger geordnet, vorhersehbar, überschaubar, planbar und kontrollierbar.
Mit dem laufenden Wandel weg von der klassischen Einwegkommunikation,
dem ‚ehemaligen Publikum‘ und der single authorship im traditionellen Sinne
(Sandvik 2018; Gulbrandsen und Just 2020, S. 261) ist auch die Unternehmens-
kommunikation im Allgemeinen zunehmend als Kollaboration zu verstehen,
wobei die Mitgestaltung und Partizipation von Stakeholder:innen u. a. Kreativi-
tät, Innovation und engere Beziehungen zu engagierten Stakeholder:innen ermög-
lichen. Wenn es aber zum Teilbereich der IR-Kommunikation kommt, scheint der
Handlungsspielraum hierfür eher eingeschränkt.
Zur Partizipation in der Investor … 153
Zur Beantwortung der Forschungsfrage nach den Möglichkeiten und Grenzen der
Partizipation von Stakeholder:innen in der IR-Kommunikationwurden wurden
zwei qualitative, explorative Forschungsinterviews (vgl. Brinkmann und Kvale
2015) mit zwei IR-Praktiker:innen zweier deutscher Aktiengesellschaften aus
dem SDAX bzw. dem DAX durchgeführt, wobei sowohl theoretische als auch
praxisbezogene Perspektiven zur Geltung gebracht werden sollen. Durch diese
Interviews war es möglich, einen tieferen Einblick in die Einstellungen und
praktischen Erfahrungen von IR-Teams zu gewinnen. Als Ausgangspunkt für
die Interviews wurde ein Interviewleitfaden mit drei übergeordneten, zentralen
Themen erstellt: 1) IR-Kommunikation, 2) Medienstrategie und 3) Partizipation.
Die Interviews fanden während der Covid-19-Pandemie im Mai bzw. August
2021 über Zoom statt, dauerten 68 bzw. 32 min und wurden nach Absprache auf-
gezeichnet, anonymisiert und daraufhin Wort-für-Wort in einer formellen, wort-
wörtlichen Schriftsprache transkribiert (vgl. Brinkmann und Kvale 2015, S. 207).
Die so erhobenen Daten wurden im Weiteren inhaltsanalytisch untersucht, wobei
die thematische Inhaltsanalyse teils deduktiv und teils induktiv angelegt war
(vgl. Braun und Clarke 2006; Saldaña 2009; Mayring 2020), damit auf der einen
Seite die von uns im Voraus gewählten Themen und Codes sichergestellt werden
konnten, und auf der anderen Seite auch solche Themen und Codes in Betracht
gezogen werden konnten, die zu neuen Einsichten führen konnten. Als Beispiel
für induktiv entstandene Themen sei hier der mehrfache Bezug auf die Covid-19-
Pandemie und ihre Auswirkungen auf die IR-Praxis erwähnt.
einen Einblick in die für diesen Beitrag zentrale Frage zu gewinnen, inwieweit ein
partizipationsorientierter IR-Ansatz tatsächlich praktiziert wird. Um das Potenzial
des partizipationsorientierten IR-Ansatzes in der Praxis einschätzen zu können,
wenden wir uns mit dem dritten Themenkomplex Grenzen des Beziehungsaufbaus
zu. Der vierte und letzte Themenkomplex, IR-Kommunikation in Zeiten der Covid-
19-Pandemie, dient dazu, Einsichten zu den Folgen der Pandemie für die IR-Arbeit
zu gewinnen. Auszüge aus den Interviews dienen der Illustration der wichtigsten
Aspekte. Die beiden Interviewpersonen werden im Folgenden als IP #1 (Inter-
viewperson #1) bzw. IP #2 (Interviewperson #2) angeführt. Die Zahlen in eckigen
Klammern verweisen auf Textblöcke in der jeweiligen Transkription.
Im Großen und Ganzen Transparenz schaffen und durch ein gewisses Level an
Transparenz auch den nötigen Kontext geben zu können, eigentlich in erster Linie
natürlich versuchen, relativ transparent über die Unternehmenslage aufzuklären
und das aber dann auch noch in den Kontext einbetten, weil Zahlen sagen eben
doch nicht alles und auch Pressemitteilungen und Berichte sagen auch nicht alles,
sondern tatsächlich auch noch mal im Gespräch, im Dialog, auch noch mal auf-
nehmen, was sind dann die Rückfragen und dann entsprechend Kontext zu geben.
160 M. G. Ditlevsen und A. G. J. Pedersen
Ich denke, das ist auch der große Mehrwert dann, dass man [ein] möglichst, ja,
verlässliches Bild des Unternehmens, zum Stand des Unternehmens, des Unter-
nehmenserfolgs gerade zeichnet. (IP #2 [5])
[…] Reporting ist Basis und wirklich Basis aus Erwartungshaltung auch, die muss
erfüllt werden und darüber hinaus ist dann tatsächlich der direkte Austausch immer
noch, würde ich jetzt sagen, der wertvollste. (IP #2 [20])
Diese Praxis entspricht einer neuen Ära der IR-Praxis. Wie die jährlichen IR-
Studien von CDR, zeigen, gilt seit 2015 als eine der höchsten Prioritäten der IR-
Arbeit, die Investor:innen in der Weise „auszubilden“ oder „aufzuklären“ (vom
Englischen educate), dass sie ein eingehendes Wissen über und Verständnis für
die Unternehmensstrategie aufbauen (CDR 2015, S. 6; 2016, S. 20; 2017, S. 9;
2018, S. 7; 2019, S. 30; 2020, S. 10). Zu bemerken ist hier, dass sich educate
zwar auf der Partizipationsleiter von Arnstein (1969/2007) findet, aber am
unteren Ende der Partizipationsskala. Abhängig davon, wie educate genauer ver-
standen und praktiziert wird, lassen sich dabei Potenziale für einen partizipations-
orientierten Kommunikationsansatz erkennen.
Zusammenfassend deuten die Ergebnisse, was die generelle Auffassung der IR-
Funktion seitens der interviewten Personen betrifft, an, dass die Grundlage für den
partizipationsorientierten IR-Ansatz in der Praxis schon vorhanden ist; gleichzeitig
wird aber auch erkennbar, dass das oben skizzierte Spannungsfeld zwischen IR
als Compliance und IR als Beziehungsmanagement durchaus die IR-Arbeit stark
prägt. Wie das zum Ausdruck kommt, ist Thema des nächsten Abschnitts.
dass er in der Praxis kein unbekanntes Phänomen zu sein scheint. Nur wird
der partizipationsorientierte Ansatz eher mit der Unternehmensmarke und der
Produktentwicklung verbunden und weniger mit der IR-Funktion. IP #2 ([9])
spricht so z. B. von einer klaren Trennlinie zwischen der Markenkommunikation
und der IR- oder Finanzkommunikation, wobei der partizipationsorientierte
Ansatz innerhalb der Markenkommunikation voll eingesetzt wird, was aber nicht
der Fall ist in der IR-Kommunikation. Als zweite Einsicht gilt jedoch auch, dass
Zeichen des indirekten partizipationsorientierten Ansatzes zu erkennen sind,
wie auch aus den obigen Ausführungen zur Bedeutung der Interaktion ersicht-
lich wurde. Investor:innen und weitere IR-Stakeholder:innen haben so z. B. mit-
unter Einfluss auf die Quantität und Qualität der angebotenen Informationen
und auch auf die Themenwahl. IP #2 ([6]) berichtet beispielsweise von einer
steigenden externen Forderung nach Bereitstellung besonderer Informationen
im Bericht über Nachhaltigkeitsthematiken. IP #1 ([5]) erlebt sogar in jüngster
Zeit immer mehr Treffen mit Investor:innen als Barbecues, weil das IR-Team
das Gefühl hat, von den Investor:innen „gegrillt“ zu werden, was als Beispiel des
starken externen Drucks auf das IR-Team mit Blick auf die Bereitstellung von
spezifischen Informationen gesehen werden kann. Schließlich wird erwähnt, dass
Aktionäre spürbar Einfluss auf die Unternehmensstrategie auszuüben versuchen,
wie aus dem folgenden Zitat zu erkennen ist:
[…] so ein Thema wie Hauptversammlungen ist natürlich der Moment im Jahr,
wo extrem viel Ownership beansprucht wird dann auch, also wo die Shareholder
natürlich sagen, was sie wollen und was ihnen gefällt oder zu gewissen Themen
abgestimmt wird; das auf jeden Fall, da haben sie den rechtlichen Rahmen, das ist
so das Mindeste, was sie bekommen; ich möchte aber sagen, das glaube ich schon
auch, und das hat natürlich dann auch mit good relationship building zu tun, dass es
mit den relevantesten Investoren schon eine Art give and take ist, – ich glaub, da hat
man einfach so ein Gespür, was … also wenn da Themen aufkämen die jeder zweite
Investor benennen würde und sagen das geht nicht – das hat schon so eine Art Co-
Construction oder in dem Sinne eine Art von …. Ja, die haben ja auch eine Teilhabe
am Unternehmen, da ist schon Aktivismus auch da und im besten Fall allerdings
natürlich ein Engagement und ein gegenseitiges (Engagement), das ist jetzt nicht:
‚Mach das nicht, wir verkaufen‘, was einfach gar nicht möglich ist, weil sie long
Holder sind, insofern eher dahingehend gedacht oder deren Anreiz ist ja tatsächlich
to change for the better, also uns in die richtigen, aus deren Augen, in die richtigen
Bahnen zu lenken … oder einfach nur besser aufgestellt, ich glaub, so würde ich
sagen. (IP #2 [20])
Wie gezeigt wird die Beziehungsbildung und -pflege in der Praxis für wichtig
gehalten, und der partizipationsorientierte Ansatz gilt auch als Thema unter den
beiden IR-Praktiker:innen, was uns zum nächsten Themenkomplex weiterleitet.
162 M. G. Ditlevsen und A. G. J. Pedersen
Die Ergebnisse der thematischen Analyse deuten darauf hin, dass nicht nur in der
IR-Literatur (vgl. oben), sondern auch in der IR-Praxis die Regulierung als eine
Barriere für den Beziehungsaufbau betrachtet wird. Die Interviewpersonen sehen
damit das Element, das die IR-Funktion in ihrer reinsten Form definiert, und
zwar IR als die Einhaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen durch Bericht-
erstattung, als die bedeutendste Barriere für erweiterte, pro-aktive Maßnahmen
der Beziehungsbildung (z. B. IP 1 [8]; IP #2 [8]). Die interviewten Personen
erleben im Allgemeinen dabei immer mehr Einschränkungen ihrer Handlungs-
spielräume für die Planung und Ausführung von Kommunikationseinsätzen.
Als Hauptursachen für die Einschränkung der Handlungsspielräume durch die
starke Regulierung werden zwei Faktoren erwähnt. Zum einen werden fehlende,
vor allem finanzielle, aber auch menschliche, Ressourcen für freiwillige, nicht-
regulierte Aktivitäten genannt, die eine Voraussetzung für den Beziehungs-
aufbau sind; es kostet viel Geld, „und das ist schwierig“, wie IP #1 ([16]) sagt.
Zum zweiten wird „gefühlte Angst“ (IP #1 [8]) vor eventuellen Verstößen
gegen Regeln als Barriere der für die Beziehungsbildung und -pflege nötigen
Kommunikationsmaßnahmen erwähnt, wie aus folgendem Zitat zu erkennen ist:
Ja, es wird immer anstrengender und mühseliger und [die Regulierung] zerstört
auch viel. […] Weil wir auch eine Datenbank haben, seit 18 Jahren, wann wir wen
getroffen haben und was wir besprochen haben und da hat die Regulierung gerade
im Datenschutz Einschnitte gemacht, gerade auf der Beziehungsebene. Neustens
ist die Regulierung auch wirklich anstrengend. Man muss da als IR-Manager schon
multitalentiert sein in den verschiedenen Bereichen: Zahlen, Kommunikation und in
Zukunft auch sehr viel mehr Jura, um da mithalten zu können, weil wir auch die
kleinsten Vergehen, wenn man seine geplanten Finanzveröffentlichungstermine nicht
publiziert, gibt es hunderttausende von Euro Strafe, nur wenn man es nicht in einem
System eingetragen hat, da reicht die Website nicht aus, wo man es sagt – man will
nichts geheim halten – wenn man es nicht über diesen Kanal gemacht hat, das gibt’s
immer wieder, dann gibt’s hunderttausende von Euro Strafe und das wäre bei uns
eine Gewinnwarnung direkt. Es bezahlt auch keine Versicherung so was und das ist
halt dann auch so eine, kann man fast sagen, gefühlte Angst, dass man da irgendwas
vergisst, falsch macht, zu spät macht, was eigentlich keine große Absicht ist. Immer
wieder diese Angst, ja, hat man das jetzt alles rechtzeitig gemacht. (IP #1 [8])
IP #1 erwähnt eine weitere Folge der starken Regulierung, und zwar, dass sie
gleichzeitig zu einer starken Standardisierung der IR-Kommunikation führen
könnte ([16]); erstens, weil die Regulierung wie schon erwähnt den Handlungs-
spielraum stark begrenzt, und zweitens, weil die Unternehmensführung vieler
Zur Partizipation in der Investor … 163
Unternehmen die Möglichkeit nutzen könnte, nur ihre Pflicht zu erfüllen und
sonstige freiwillige IR-Maßnahmen zu unterlassen, wie aus folgendem Zitat
ersichtlich ist:
Leider ist es oft in der Welt so, dass gefragt wird, was müssen wir machen – das
wird dann auch gemacht – und dann ist es in Zeiten nicht nur von Corona, sondern
auch von cost cutting und allem so, dass man dann gerne die Kürteile weg-
lässt, dann werden die Hauptversammlungen standardisierter, dann werden die
Geschäftsberichte standardisiert und in gewisser Weise auch das Image, die Marke,
standardisiert. (#1 [16])
Auf der einen Seite könnte die Standardisierung der IR-Arbeit durch-
aus als attraktiv betrachtet werden. Standardisierung wird von gesetzlichen
Bestimmungen, Standards wie z. B. International Accounting Standards (IAS),
International Financial Reporting Standards (IFRS) oder dem Bezugsrahmen
für integrierte Unternehmensberichterstattung (Integrated Reporting), und
schließlich von Kodizes wie z. B. dem deutschen Corporate Governance Kodex
vorangetrieben, um die für das Überleben der Finanzmärkte nötigen Bausteine
Transparenz, Vertrauen und Legitimität u. a. durch die Sicherung von wichtigen
und über Unternehmen und Branchen hinweg vergleichbaren Informationen
zu erzielen. Standardisierung könnte vor diesem Hintergrund durchaus einen
guten Ausgangspunkt für die praktische Umsetzung der einen von insgesamt
zwei Grundfunktionen der IR-Kommunikation (vgl. z. B. Ditlevsen 2006,
2012) bilden, die als Vermittlung eines den tatsächlichen Verhältnissen ent-
sprechenden Bildes bekannt ist. Auf der anderen Seite würde sich eine zu starke
Standardisierung der IR-Kommunikation, wie von IP #1 dargestellt, deswegen
auf die Ausübung der zweiten Subfunktion der IR-Kommunikation, die als die
positive Vermarktung des Unternehmens bezeichnet wird, negativ auswirken,
weil einem Unternehmen damit viel weniger Kommunikationsmaßnahmen zur
Verfügung stehen würden, um sich von anderen vergleichbaren Unternehmen als
besonders attraktives Investitionsobjekt abzuheben.
Bevor wir zum vierten und letzten Themenkomplex „IR-Kommunikation
in Zeiten der Covid-19-Pandemie“ kommen, möchten wir noch kurz
zusammenfassen, welche Einsichten in die Möglichkeiten und Grenzen eines
partizipationsorientierten IR-Ansatzes durch die beiden qualitativen Inter-
views gewonnen werden konnten. Wir haben vor allem erfahren, dass die für
den partizipationsorientierten IR-Ansatz erforderliche Anerkennung der ver-
änderten Rahmenbedingungen der Medien- und Kommunikationslandschaft wie
der Beziehungsbildung in der Praxis gegeben ist. Gleichzeitig wird auch deutlich,
164 M. G. Ditlevsen und A. G. J. Pedersen
dass der Ansatz jedoch wenig praktiziert wird, und wenn, dann eher indirekt
dadurch, dass besonders Investor:innen einen Einfluss auf das Informations-
angebot und auch auf Inhalte der Unternehmensstrategie ausüben. Es wurde
auch deutlich, dass besonders die starke Regulierung aus mehreren Gründen
als Hindernis bei der Umsetzung eines stärkeren partizipationsorientierten IR-
Ansatzes in die Praxis gesehen wird, weil sie im Allgemeinen in unterschied-
licher Weise zur Einschränkung der Handlungsspielräume für IR-Praktiker:innen
führt.
Diese erlebte Barriere stimmt mit Bedenken aus der IR-Fachliteratur
überein, die darauf aufmerksam macht, dass, wenn besonders engagierte oder
aktivistische Investor:innen den Dialog mit dem Unternehmen häufiger als andere
Investor:innen suchen, dies zur selektiven Weitergabe von Informationen führen
kann und dies zu einer Privilegierung, was gegen das Gleichbehandlungsprinzip
verstoßen würde (Langenbucher et al. 2022, S. 100).
Kommen wir nun zum vierten Themenkomplex, und zwar zur IR-Kommunikation
in Zeiten der Covid-19-Pandemie. Der Interviewleitfaden enthielt zwar keine
expliziten Fragen zur Lage der IR-Arbeit während der Covid-19-Pandemie,
weil das Augenmerk auf IR-Arbeit im Allgemeinen lag. Im Interview mit IP #1
wird im Gegensatz zum Interview #2 jedoch mehrmals unaufgefordert hervor-
gehoben, wie anders die IR-Arbeit in dieser Periode verlaufe. Die unten wieder-
gegebenen Erfahrungen stammen somit lediglich aus dem Interview mit IP #1.
IP #1 erwähnt an mehreren Stellen, dass es in dieser Periode noch schwieriger
(gewesen) sei, Beziehungen aufzubauen, was auch zu erwarten war, wenn die
fehlenden Möglichkeiten, sich physisch zu treffen, bedacht werden. IP #1 spricht
sogar davon, dass während der Pandemie von „eine[r] andere[n] IR“ zu sprechen
sei (IP #1 [3]), die als „sehr passiv“ ([3]), aber auch re-aktiv zu bezeichnen
sei, indem das IR-Team nicht unterwegs sei, sondern lediglich gestellte Fragen
beantworte. Geplante IR-Aktivitäten wie Roadshows, Konferenzen wurden
„virtuell abzudecken“ versucht ([3]). Auch die gesetzlich erforderliche Hauptver-
sammlung fand während der Pandemie virtuell statt, was aus einer finanziellen
Perspektive weitaus kostengünstiger ist als eine physisch abgehaltene. Aus
einer partizipationsorientierten Perspektive ist interessant, wie IP #1 die nicht
geregelten Teile der traditionellen Hauptversammlung als eine der besten
Möglichkeiten der Beziehungsbildung und -pflege hervorhebt, sich jedoch
Zur Partizipation in der Investor … 165
gleichzeitig die Frage stellt, inwieweit diese Möglichkeit auch virtuell genutzt
werden kann ([16]). Das wird erst zu einem späteren Zeitpunkt erkennbar sein.
Eine weitere Änderung der IR-Arbeit zur Zeit der Covid19-Pandemie bezieht
sich auf die Nachfrage nach Informationen im Allgemeinen, die in der Periode
stark gestiegen sei. Vor allem wird der als Kern der IR-Arbeit betrachteten IR-
Website eine noch größere Bedeutung zugeschrieben. Der Seitenabruf der
betreffenden IR-Website habe sich während der Covid-19-Pandemie zum Zeit-
punkt des Interviews vervierfacht ([12]). Dabei – so die Erfahrung von IP #1 –
sei besonders die Nachfrage nach Informationen zur Marktlage und -ent-
wicklung stark gestiegen. Es handele sich dabei um ein Thema, das grundsätz-
lich jederzeit von Interesse sei, weil es als ein wichtiger Teil der Equity Story der
betreffenden Gesellschaft zu sehen sei. Unter Equity Story wird „[d]ie Geschichte
der Errungenschaften eines Unternehmens und des Investitionspotenzials seiner
Aktien [verstanden], die vermittelt wird, um einen Eindruck von seiner Fähig-
keit zu vermitteln, in Zukunft erfolgreich zu sein“ (Ditlevsen 2022: 160). Die
Marktlage und deren Entwicklung ist aber eben auch ein Thema, das sich „durch
Corona noch mal intensiviert“ habe ([4]).
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass IP #1 – wie alle anderen IR-
Kommunikationsverantwortlichen – in Zeiten der Covid-19-Pandemie neue Wege
hat gehen müssen. Wie zu erwarten war, bedient sich IP #1 zum Ausgleich der
fehlenden physischen Präsenz der Video-Treffen und virtueller Konferenzen.
Darüber hinaus hat sich die IR-Website als ein noch stärkeres Medium für die
IR-Kommunikation mit Stakeholder:innen gezeigt. Die gewählten, vorhandenen
Kommunikationsmaßnahmen deuten darauf hin, dass die Beziehungsbildung und
-pflege in der vergangenen Periode gelitten hat.
Eine letzte, für unsere Zwecke besonders interessante Frage ist jedoch,
inwieweit Hauptversammlungen, Roadshows und IR-Konferenzen zukünftig
häufiger virtuell abgehalten werden, um Kosten einzusparen, wie von IP #1
angedeutet wird. Für einen partizipationsorientierten IR-Ansatz würde das eine
große Barriere bedeuten und die schon wenigen Möglichkeiten der Beziehungs-
bildung und -pflege noch stärker beschränken.
nutzen lassen und wie virtuelle Plattformen die Möglichkeiten der Stakeholder-
partizipation beeinflussen. Im Anschluss daran sind ferner die Unsicherheiten
und die Verletzlichkeit der Geschäftswelt und deren Umfeld weiter im Blick
zu behalten, die durch die Pandemie deutlich geworden sind. Dazu zählen die
Themen, die während der Pandemie besonders nachgefragt worden sind. Es wird
besonders interessant sein, die Entwicklung dieser Bereiche zu verfolgen, weil
sie wahrscheinlich einen Einfluss auf die Menge und Art der Bereitstellung von
Informationen auch in solchen Zeiten haben werden, die vor der Pandemie nicht
als Krisenzeiten erachtet wurden und somit auch einen unmittelbaren Einfluss auf
die IR-Praxis haben werden.
Des Weiteren ergeben sich daraus weitere mögliche Forschungsfragen, etwa
was die Bedeutung von Investor:innen und ihre Investitionen für die weltweite
Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit angeht. Genauso wie Konsumierende
mit ihren Kaufentscheidungen ‚Treiber des Wandels‘ sein können, können auch
Investor:innen mit ihren Investitionsentscheidungen eine entscheidende Rolle für
eine nachhaltige Zukunft spielen.
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Zur Partizipation in der Investor … 169
Anne Grethe Julius Pedersen, Dr. (PhD), Associate Prof., Department of Culture and
Learning, Aalborg University, Dänemark. Promotion 2007 in Sprachwissenschaft an der
Universität Aalborg zu Investor Relations Newsletters als Textsorte. Seit 2007 Forschung
und Lehrtätigkeit in den Bereichen Unternehmenskommunikation und Unternehmens-
führung mit Schwerpunkten in Nachhaltigkeitskommunikation und CSR, Stakeholder-
dialog, Partizipation, Krisenkommunikation, Soziale Medien, Kultur und Globalisierung.
Kommunikationsanwendungen mit Big
Data und KI – technisch fortschrittlich,
aber sozial bedenklich? Eine kritische
Diskussion zum aktuellen Stand
in Forschung und Praxis aus Sicht des
Relationship Marketing
Zusammenfassung
Gefahren nach einem kurzen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung
aufgezeigt und Implikationen für Wissenschaft und Praxis abgeleitet.
Schlüsselwörter
Hier setzt der vorliegende Beitrag an. Aufgezeigt werden soll ein aktueller
Stand dazu, wo soziale Gefahren von Big Data und folglich verknüpften
Anwendungen der KI bestehen und welche Implikationen sich daraus für eine
hierauf basierende Kommunikation von Unternehmen und ein auch auf sozial
verantwortliches Verhalten von Unternehmen achtendes (Relationship) Marketing
ergeben.
Um den Begriff Big Data und konkret das big zu definieren, werden in der
bestehenden Literatur heute oft die sogenannten „V-Eigenschaften“ herangezogen
(vgl. z. B. Dorschel und Dorschel 2015, S. 7; Fasel und Meier 2016, S. 6;
Schüller 2018, S. 115; Engels und Goecke 2019, S. 7 f.), die Engels und Goecke
(2019, S. 7) folgend vor allem auf Laney (2001) zurückgehen:
• volume,
• variety,
• velocity.
Hinsichtlich des Ansatzes, big (data) über volume, also die Quantität der Daten
zu messen, besteht das Problem darin, dass sich hier nicht sinnvoll eine exakte
Zahlenangabe – z. B. in Byte – nennen lässt, da sich die Dimensionen ständig
verändern (Engels und Goecke 2019, S. 7 f.). Oft wird dabei in der Literatur das
Mooreʼsche Gesetz (1965) zitiert, das heute als Verdoppelung der Rechenleistung
innerhalb von 12–24 bzw. 18 Monaten interpretierbar ist (Dorschel und Dorschel
2015, S. 7), was wiederum eng in Verbindung zu einer Studie zur Verdoppelung
des weltweit vorhandenen Datenvolumens ca. alle zwei Jahre zu sehen ist
(Rudolph und Linzmajer 2014, S. 13 nach Dorschel und Dorschel 2015, S. 7).
Entsprechend ergibtt es mehr Sinn, statt Bytes o. ä. andere, weichere
Indikatoren, die zeitpunktunabhängig gelten, zu verwenden. Insbesondere
Engels und Goecke (2019, S. 7 f.) folgend, ist ein geeigneter Indikator demnach,
ob eine Verarbeitung mit herkömmlichen Methoden bzw. technologischen
Standards nicht mehr oder nur noch mit verteilten IT-Systemen möglich ist.
176 E. Landmann et al.
Der Bezug zu volume vorher ist erkennbar (Dorschel und Dorschel 2015, S. 7 f.)
und entsprechend die Interpretation von Engels und Goecke (2019, S. 8) sehr
nachvollziehbar, dass es bei Daten für eine Klassifikation als Big Data spricht,
wenn diese mit so hoher Geschwindigkeit erzeugt werden, dass sie dadurch
unter Umständen nicht komplett gespeichert werden können bzw. eine komplette
Speicherung eine besondere Herausforderung darstellt.
Erwähnt sei noch – ohne hier weiter ins Detail zu gehen – dass die V-Eigen-
schaften diverse Erweiterungen erfahren haben, u. a. in Form von (vgl. z. B.
Firican 2017; Engels und Goecke 2019, S. 7 f.):
Ein weiteres Merkmal, das einen grundlegenden Unterschied von Big Data zu
klassischer (quantitativer) Marktforschung darstellt, ist das bei Big Data nicht
als zwingend vorausgesetzte Vorhandensein von Untersuchungshypothesen
vor der Datenanalyse (vgl. z. B. Mainzer 2014, S. 699). Hier liegt zweifelsohne
eine besondere Chance, auch losgelöst von bestehenden Theorien, Strukturen
in Daten entdecken und entsprechende neue Schlussfolgerungen ziehen zu
können (ebd.). Gleichzeitig besteht gerade hier aber natürlich auch das Risiko
von Fehlinterpretationen, insbesondere, wenn fälschlicherweise eine Unter-
stellung von Kausalitäten aufgrund von Korrelationen erfolgt (Theobald und Föhl
2015, S. 121). Dieses Merkmal verdeutlicht auch, wie alt Big Data eigent-
lich ist: Bereits die Babylonier nutzten Datenverknüpfungen dahingehend, dass
Wirtschafts- und Ernteergebnisse ebenso wie astronomische Ereignisse und
Planetenkonstellationen auf Tontafeln erfasst und daraus Zusammenhänge
abgleitet wurden – ohne den Anspruch, die tatsächliche Kausalität dahinter zu
erklären (Mainzer 2014, S. 697 f.). Zusätzlich wird medial vielmals das Bild
verbreitet, Big-Data-Grundlagen seien objektiv und vollständig (Lupton 2015;
Hannah-Moffat 2019).
Die Merkmale von Big Data stehen dabei in engem Zusammenhang mit den
aktuellen Herausforderungen, denen sich das Themenfeld gegenübersieht. Der
systematischen Darstellung hierzu bei Theobald und Föhl (2015, S. 118 ff.)
folgend, sind neben den bereits genannten Aspekten u. a. die Problematik der
Ausdrucksvarianz bei vielen digitalen Materialien (u. a. in Form von Synonymen,
Homonymen, Dialekten, Fehlschreibweisen, Humor, Ironie, Theobald und Föhl
2015, S. 118 f.), die Interpretation multimedialer Daten (die unterschied-
liche Methoden für Bild-, Text-, Ton- und Videoanalysen erfordert und die Ver-
knüpfung von Daten nochmal komplexer macht, Theobald und Föhl 2015, S. 120)
sowie die Kontextabhängigkeit und der Vergangenheitsbezug von Daten (was
insbesondere bei Strukturbrüchen und Disruptionen die Eignung der Daten für
Vorhersagen sehr einschränkt, Theobald und Föhl 2015, S. 120 f.) zu nennen.
Obgleich Daten die Grundlage vieler wissenschaftlicher Ansätze bilden, sind
diese nicht immer automatisch ohne Verzerrungen zu betrachten (Ford et al.
2018).
Eine weitere besondere Herausforderung ist die Verknüpfung von Big Data
mit künstlicher Intelligenz.
178 E. Landmann et al.
Mittlerweile oft in Zusammenhang mit Big Data findet in der aktuellen Dis-
kussion das Themenfeld Künstliche Intelligenz (KI; international AI für artificial
intelligence) Beachtung. KI ist dabei keineswegs eine neue Erscheinung,
sondern wird schon relativ lange – z. B. bei Schachcomputern – eingesetzt
(Engels und Goecke 2019, S. 10) und erlangt in verschiedensten Bereichen
zunehmend Relevanz (Boyd und Wilson 2017).
Einige Autoren (u. a. auch die bereits mehrfach erwähnten Engels und Goecke
2019) sehen eine Abgrenzung zwischen Big Data und KI darin, dass bei Big Data
Datenformen – eben z. B. in Form der erwähnten V-Eigenschaften – im Vorder-
grund der Betrachtungen stehen, während es bei KI Algorithmen sind. Auf dieser
Grundlage ziehen sie den Schluss:
Big Data ist eine Voraussetzung für künstliche Intelligenz; aber künstliche
Intelligenz ist keine Voraussetzung für Big Data. Big Data kann demnach ohne KI
existieren. Für gute Ergebnisse im Sinne ausreichender Datenmengen zum Lernen
kommt KI aber nicht ohne Big Data aus. (Engels und Goecke 2019, S. 9)
Smart Data (Theobald und Föhl 2015), bei einem weiter gefassten Verständnis ist
diese Unterteilung jedoch überflüssig.
Eine Anwendung, die die Nutzungsmöglichkeiten von Big Data zusammen mit
KI insbesondere für das Marketing und u. a. für die Kommunikation von Unter-
nehmen und Organisationen besonders verdeutlicht, ist Predictive Analytics (PA).
PA versucht – wie die klassische Marktforschung auch – Vorhersagen über das
Verhalten von Zielgruppen zu erstellen, nutzt dabei aber explizit Big Data und
Ansätze der KI (Martin 2015; Mauerer 2021). Dass die Grenzen dabei durchaus
fließend sein können und nach heutigem Verständnis Big Data und PA die Markt-
forschung nicht ersetzen, sondern symbiotisch ergänzen (Gottstein 2017), sei in
diesem Zusammenhang am Rande erwähnt.
Im Marketing wird mittels PA versucht, aufgrund von bisherigem Kaufver-
halten zukünftiges vorherzusagen und den Kund:innen entsprechend ,passendeʻ
Produkte und/oder die zugehörige ,passendeʻ Kommunikation anzubieten. Hier
gibt es eine Geschichte, die sich in verschiedenen Versionen in der Literatur
und auch im Internet findet und entsprechend hinsichtlich ihres Wahrheits-
gehaltes im Detail zumindest kritisch zu hinterfragen ist und die auch weitere
Fragen bezüglich Repräsentativität und statistischen Fehlern aufwirft (Schüller
2018, S. 113 ff.). Allerdings verdeutlicht sie so gut die Grundidee von PA, dass
sie hier in Kurzform – der Version von Schüller (2018, S. 113) folgend – dar-
gestellt sei: In den USA kaufte eine junge Frau regelmäßig im selben Supermarkt
ein, über eine Kundenkarte wurden die Einkaufsdaten erfasst – und erhielt eines
Tages einen Rabatt-Gutschein für Produkte für schwangere Frauen. Der Vater
der jungen Frau protestierte dagegen beim Filialleiter, weil er dachte man wolle
so junge Frauen zur Schwangerschaft verführen. Es war jedoch genau anders-
herum: Die junge Frau war tatsächlich schwanger, und der Algorithmus hatte
dies herausgefunden, angeblich, weil schwangere Frauen (unbewusst) bestimmte
Kombinationen von Produkten kaufen.
Das Beispiel zeigt die Potenziale der neuen technischen Methoden, und die
Anwendungsfelder erweitern sich stetig. Hinsichtlich seiner Kund:innen nutzt
z. B. Netflix schon seit mehreren Jahren einen Algorithmus, der basierend auf
dem bisherigen Nutzer:innenverhalten Nutzer:innen in Segmente einordnet
und diesen dann spezielle Trailer – für das Segment passend – für neue Filme
und Serien zeigt (Meyer 2018). Die Anwendungsmöglichkeiten haben aber
längst auch andere Bereiche als nur Endverbraucher:innen und deren „digitale
180 E. Landmann et al.
Big Data und damit verbunden KI sowie PA können nach heutigem Erkenntnis-
stand aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden (Dorschel und Dorschel
2015, S. 8 ff.):
• Technische Sicht: Aus technischer Sicht geht es bei Big Data um Hardware,
Software und Methoden, die zur Verarbeitung und Analyse großer Mengen
unstrukturierter Daten genutzt werden können und damit verbundene Frage-
stellungen wie z. B. die Entwicklung, Installation, Durchführung und
Beschleunigung von entsprechenden technischen Prozessen.
• Ökonomische Sicht: Aus ökonomischer Sicht versucht Big Data, Daten als
Ressource zu nutzen, u. a. um bessere und schnellere Entscheidungen zu
treffen.
• Gesellschafts- und rechtspolitische Sicht: Aus dieser Perspektive steht die
Frage im Vordergrund, was Big Data an Nutzen, Akzeptanz, Reaktanz und
Gefahren für die Gesellschaft und den Staat mit sich bringt und in welchem
Kontext hier Normen, Gesetze und insbesondere auch der Datenschutz von
Relevanz sind.
Kommunikationsanwendungen mit Big Data … 181
3.1.1 Rassismus
Ein in Zusammenhang mit Big Data und Rassismus oft angebrachtes Bei-
spiel ist Googles Gesichtserkennungssoftware, welche people of color (POC)
als Gorillas klassifizierte (Jones 2020). Dabei ist es essentiell anzumerken, dass
nicht die KI selbst rassistisch handelte, sondern diese Handlungsstränge durch
die Menschen, welche die Algorithmen schreiben und die durch ihre Methoden
und Anlernprozesse den eigenen – u. U. unbewussten – Rassismus reproduzieren
und damit Ungleichheiten normalisieren (Daniels 2015; Gillborn et al. 2018), ein-
gearbeitet werden. Oftmals wurde z. B. bei einer solchen Erkennungssoftware
europäische Haut als Standardeinstellung vorgenommen, weshalb es, kombiniert
mit veralteten einseitigen Datensätzen, zu Fehlerkennungen kam (Daniels 2015;
Gillborn et al. 2018; Metcalf und Crawford 2016; Constanza-Chock 2020;
Nikunen 2021).
Ein weiteres Beispiel für Rassismus, welcher u. a. durch Big Data ausgelöst
wurde, liefert COMPAS. Dabei handelt es sich um ein System, mit welchem die
Wahrscheinlichkeit analysiert wurde, dass inhaftierte oder verurteilte Personen,
bei welchen über eine frühzeitige Entlassung verhandelt wurde, erneut rück-
fällig werden. Studien zeigten dabei, dass das System POC doppelt so oft als
potenzielle Wiederholungstäter:innen einstufte. Auch hier zehrte die Datenbasis
aus einem Satz, welcher vorrangig weiße Männer inkludierte und POC auto-
matisch als höhere Risikogruppe einstufte (Hannah-Moffat 2019).
182 E. Landmann et al.
Auf der Suche nach Gründen für diesen Rassismus und zur Vermeidung
desselben sollte folglich insbesondere die Datenbasis betrachtet werden – die
Gewichtung innerhalb der Big Data-Menge verschiedenster Aspekte von Identi-
tät, Ethnizität und weiteren Aspekten (besonders mit Blick auf marginalisierte
Gruppen) muss ausgewogen divers sein, um den Systemen die Grundvoraus-
setzungen zu geben, fundierte Aussagen zu treffen. Daher ist es besonders für
Forscher:innen essentiell, diese vorsichtig zu betrachten und nicht als fehlerfrei
und objektiv zu übernehmen (Ford et al. 2018; Gillborn et al. 2018; Nikunen
2021). Mixed Methods bzw. das Einbeziehen von qualitativen Daten können hier
auch einen wichtigen Beitrag leisten (Chakravartty et al. 2018; Nikunen 2021).
3.1.2 Diskriminierung
Durch die Vorauswahl und Selektion von Daten mittels Big Data-Datensätzen
entfällt oft ein Kommunikationsblock, der sonst zwischen Kund:innen und
Unternehmen stattgefunden hätte. Durch das Outsouring an digitale/technische
Systeme, welche nur nach bestimmten, zuvor eingearbeiteten Kriterien bewerten,
können große strukturelle Asymmetrien entstehen. D. h. Unternehmen, welche
große Datensätze erwerben können, erhalten mehr Macht, indem sie Einzel-
personen beobachten und kategorisieren können. Ein Beispiel liefern Ver-
sicherungsunternehmen, welche aufgrund der Datengrundlage Risiken nicht mehr
auf eine große Gruppe verteilen, sondern eben jene aussondern, die laut Daten-
analyse für das Unternehmen wenig profitabel sind (Winter 2016).
Durch eine solche Kategorisierung, welche nur auf Daten basiert, ent-
stehen aber auch Fehler, die ohne eine genauere Interpretation seitens eines/r
Mitarbeiter:in oder die fehlende Kommunikation und somit auch Bindung zum/r
Kund:in entstehen können.
Eine starke Normverletzung hinsichtlich der Diskriminierung wird
durch einen sich verstärkenden bzw. mindestens reproduzierten Gendergap
repräsentiert, was am Beispiel von HR-Departments anzuführen ist. Der Posting-
Algorithmus von Google Ads, dem Werbesystem des Unternehmens Google,
zeigte beispielsweise Werbung für Managementpositionen (und ähnliches) signi-
fikant öfter bei Personen an, deren Browserprofil eher einem Mann als einer
Frau zuzuordnen war (Datta et al. 2015). Weiterhin entscheiden Algorithmen
oftmals in einer eher maskulinen, rationalen subjektfreien Objektivität. Ent-
sprechend wird bei der Performancebewertung von Mitarbeiter:innen emotionale
Intelligenz vernachlässigt und verstärkt auf einen rein quantitativen Output
geachtet (Prietl 2019). Folglich werden vermehrt Personen gefördert, welche
auch im Job den eher maskulin geprägten Entscheidungsprozessen folgen. Hier-
bei schließt sich auch der Kreis erneut zu den Google Ads-Anzeigen, welche
Kommunikationsanwendungen mit Big Data … 183
(Metcalf und Crawford 2016; McDermott 2017) oder durch die Sammlung einer
Vielzahl von Daten Rückschlüsse auf die Person ermöglicht werden und somit
die Anonymität entfällt, hin zu einem Gefühl der Big Brother-Überwachung
(Winter 2016).
Eine weitere mögliche, hinter mangelndem Vertrauen und geringer Akzeptanz
stehende Ursache liegt in der fehlenden Transparenz und dem Verständnis für
technische Systeme, welche auf Big Data, PA und weiteren basieren. Sie werden
oft als eine black box empfunden (De Laat 2018; Hannah-Moffat 2019; Luk et al.
2021), in welche Daten eingespeist werden, auf unbekannte Art und Weise ver-
arbeitet werden und die dann ein Ergebnis ausgibt. Da Kund:innen meist schon
nicht wissen, welche Datengrundlage genutzt wird bzw. wie repräsentativ diese
ist (De Laat 2018) und noch weniger verstehen, wie die Systeme arbeiten, können
sie oft nicht nachvollziehen, wie bestimmte Ergebnisse zustande kommen (Luk
et al. 2021; Burke et al. 2019; Mittelstadt et al. 2016). Zusätzlich ist eine solche
Datengrundlage ständigen Anpassungen und Veränderungen unterlegen, was
die Systeme und das Verständnis sowie die Akzeptanz eben dieser komplexer
gestaltet (Danaher et al. 2017).
Big Data, Künstliche Intelligenz sowie Predictive Analytics gelten immer mehr
als das „neue Gold“ (Wagner 2018), und mit voranschreitender Digitalisierung
sowie einer steigenden Etablierung der genannten Systeme wächst auch deren
Einfluss nicht nur auf die Arbeitswelt und Wirtschaft, sondern auch und ins-
besondere auf die Gesellschaft (Castro und New 2016; Boyd und Wilson 2017).
Weiterhin eröffnen sich u. a. durch die Schnelligkeit und Zielgerichtetheit
besondere Verbesserungsmöglichkeiten für die Kommunikation von Unternehmen
und Organisationen mit ihren Anspruchsgruppen. Dadurch kann Zufriedenheit,
Loyalität und schlussendlich eine langfristige Beziehung zwischen Unternehmen
und Kund:in entstehen.
Dennoch sind diese digitalen Neuerungen nicht fehlerfrei und – wie an ver-
schiedenen Beispielen aufgezeigt werden konnte – nicht immer sozial verträglich.
Die in Kap. 2 erwähnten aktuellen Herausforderungen wie z. B. noch in vielen
Applikationen vorhandene Fehlklassifikationen, z. B. aufgrund von Sprachformen
wie Ironie, können dabei die in Kap. 3 aufgezeigten Probleme noch verstärken.
Daher ist auch Vorsicht mit dem Datenumgang geboten. Um Bedenken seitens
der Kund:innen abzubauen, sollte die Kommunikation über die gesammelten
und verwendeten Daten so transparent wie möglich geschehen. Auch sollte eine
Kommunikationsanwendungen mit Big Data … 185
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188 E. Landmann et al.
Florian U. Siems, Prof. Dr., ist seit 1.12.2013 Inhaber der Professur für Betriebswirt-
schaftslehre, insbesondere Marketing an der Technischen Universität Dresden. Vorherige
berufliche Stationen waren u. a. die RWTH Aachen University, die Fachhochschule Salz-
burg, die TU München sowie die Universität Basel. Neben seinen Tätigkeiten an Hoch-
schulen war und ist Florian Siems auch in der Praxis aktiv, u. a. als Consultant und Coach.
Sein Forschungsschwerpunkt ist das Relationship Marketing.
Bui Duc Nguyen, M. Sc., war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für
Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing an der Technischen Universität Dresden.
Zuvor erlangte er einen Master of Science mit den Schwerpunkten Controlling, Marketing
und Logistik an der Otto-Friedrich Universität in Bamberg. Heute ist er Mitarbeiter im
strategischen Produktmanagement bei der AOK PLUS in Dresden.
Fußballerisches soziales Engagement
oder redwashing? Framing von CSR-
Kommunikation in der Bundesliga
Martin Nielsen
Zusammenfassung
M. Nielsen (*)
Institut für Kommunikation und Kultur, Universität Aarhus, Aarhus C, Dänemark
E-Mail: mn@cc.au.dk
Schlüsselwörter
1 Einführung
auch ökologische und soziale Ziele zu verfolgen (vgl. z. B. Kentsch 2008a; Lauf-
mann 2018; Räker 2014). In diesem Beitrag werden deshalb die Vereine der
ersten deutschen Fußballbundesliga darauf hin untersucht, in welcher Form sie
soziale Initiativen, Projekte und Kooperationen auf ihrer jeweiligen Vereins- bzw.
Unternehmenswebsite publik machen und damit diese soziale Verantwortung
ausdrücken bzw. inszenieren. Die teilweise umfassende und prominente Dar-
stellung von unterschiedlichsten CSR-Maßnahmen durch Fußballvereine macht
die CSR-Kommunikation dieser Vereine zu einem geeigneten Analyseobjekt in
Bezug auf redwashing, da redwashing und gemeinhin alle Formen des X-washing
u. a. dadurch gekennzeichnet sind, dass sie positive Initiativen hervorheben und
dadurch Defizite in der unternehmerischen sozialen Verantwortung verbergen
können (vgl. Abschn. 5). Deshalb bietet sich das Konzept des (strategischen)
framing an (vgl. z. B. Oswald 2022), das gerade die Hervorhebung gegenüber der
Auslassung von Sachverhalten oder Perspektiven analysiert und damit geeignet
ist, auch die Ausklammerung von Missständen oder Widersprüchen in der CSR-
Kommunikation von Fußballvereinen zu untersuchen (vgl. Abschn. 4).
Zunächst werden in Abschn. 2 unternehmerische Zielsetzungen aus der
Perspektive der triple bottom line dargestellt und auf die soziale Verantwortung
von Unternehmen bezogen, die corporate social responsibility (CSR). Danach
wird die CSR-Kommunikation im Fußball kurz präsentiert und diskutiert
(Abschn. 3). Framing als spezifische strategische und analytische Perspektive
auf die CSR-Kommunikation von Fußballunternehmen ist Gegenstand von
Abschn. 4. Darauf folgen in Abschn. 5 einige Überlegungen zu Phänomenen des
X-washing sowie eine Übersicht über Typen des X-washing. Dem Abschn. 6, in
dem die empirischen Grundlagen des Beitrags vorgestellt werden, schließt sich
die Darstellung der Ergebnisse in Abschn. 7 an. Ein Fazit, eine kritische Dis-
kussion der Konsequenzen aus der Untersuchung sowie ein Ausblick (Abschn. 8)
beschließen den Beitrag.
2 Unternehmerische Zielsetzungen
lässt. Lange Zeit galt diese Eigentümer- oder Anlegerperspektive als die einzig
sinnvolle oder vielleicht sogar mögliche übergeordnete Sichtweise auf das unter-
nehmerische Handeln, Priorisieren von Optionen und Legitimieren der unter-
nehmerischen Existenz (Wöhe et al. 2020, S. 9).
2.1
Triple Bottom Line
Enriques und Richardson 2004). „Unter dem Strich“ werden nun nicht nur die
finanzielle Gewinn- und Verlustrechnung, sondern auch sozusagen die ökologische
und die soziale Gewinn- und Verlustrechnung angezeigt um den Erfolg eines Unter-
nehmens angemessen beurteilen zu können (vgl. dazu auch Brühl 2018, S. 29–37).1
Aus einer etwas anderen Warte betrachtet entsprechen oder überschneiden sich
diese Überlegungen zur Einbeziehung aller Stakeholder und nicht nur der Share-
holder mit dem Konzept der corporate social responsibility (CSR), der unter-
nehmerischen sozialen Verantwortung. Für beide Ansätze, den Stakeholderansatz
und den CSR-Ansatz, gilt, dass sie auf Nachhaltigkeit angelegt sind, d. h. dass
sie langfristig den Ressourcenverbrauch und das Entgegenkommen von viel-
fältigen und gemeinwohlorientierten Interessen fokussieren (Galbreath 2009).
Ein Unternehmen, eine Organisation oder eine Institution kann sich demzufolge
nicht ausschließlich auf finanzielle Zielgrößen beschränken. Um langfristig am
Markt bestehen zu können und nicht aus dem Wettbewerb ausscheiden zu müssen,
muss ein Unternehmen auch auf umweltbezogene und soziale Belange Rück-
sicht nehmen, indem es Ansprüchen der jeweiligen Stakeholdergruppen entgegen-
kommt und diese Rücksichtnahme und dieses Entgegenkommen auch überzeugend
und glaubwürdig kommuniziert. In diesem Zusammenhang ist CSR auch ein ent-
scheidender Pfeiler im Legitimierungskampf von Unternehmen (Raupp 2011).
3 CSR-Kommunikation im Fußball
Während CSR die konkreten Maßnahmen, Initiativen und Aktivitäten sind, die
ein Unternehmen zur Verwirklichung und Ausführung sozialer Verantwortlich-
keit ins Leben ruft, ist die CSR-Kommunikation das Kommunizieren über dieses
CSR-Handeln.
Die Frage der Zielfunktion bezieht sich auf die grundsätzliche Ausrichtung eines
Fußballunternehmens, die festlegt, unter welcher Prämisse ein derartiges Unter-
nehmen im Sinne einer dauerhaften Existenz am Markt handeln muss. Der vor-
liegende Artikel sieht die „Gewinnmaximierung unter Einhaltung eines bestimmten
sportlichen Erfolges“ als die geeignete Zielfunktion, da nur auf einer gesunden
finanziellen Basis der dauerhafte Fortbestand des Unternehmens sichergestellt ist.
(Lang 2013, S. 218).2
2 Etwas prägnanter wird es bei Hofmann und Zülch (2022) unter der Überschrift „Der
sportliche Erfolg ist Mittel zum Zweck“ formuliert. In dem Interview geht es u. a. um
die staatlichen Investitionen von Katar in den Fußballclub Paris Saint-Germain (vgl. auch
Brüggemann 2022, S. 43).
Fußballerisches soziales Engagement … 195
3.3.1 Clubfinanzen
Dort wären zunächst die Finanzen des Clubs. Vereine der ersten Bundesliga
erzielen Umsatzerlöse von etwa 4 Mrd. € (Behrenbeck et al. 2020; DFL 2022a),
die Wertschöpfung des „Systems Profifußball“ betrug 2019 11 Mrd. € (Behrenbeck
et al. 2020, S. 14), die Spielerkader sind mit insgesamt knapp 4,2 Mrd. € bilanziert,
wobei der Kader von Branchenprimus Bayern München mit 879 Mio. € den über
196 M. Nielsen
30fachen Wert des Kaders von Schlusslicht Bochum (45 Mio. €) hat (Transfer-
markt 2022). Die Spielergehälter machen mit 1,6 Mrd. € etwa 40 % der Ausgaben
der Clubs aus (DFL 2022a, S. 23). Im Durchschnitt verdient jeder Erstligaspieler
1,5 Mio. € jährlich, allerdings bei gewaltigen Unterschieden zwischen Topver-
dienern (z. B. Robert Lewandowski, bis zum Sommer 2022 bei Bayern München,
mit einem geschätzten Jahresgehalt von 19 Mio. €, vgl. Budzinski et al. 2021, S. 2)
und unterdurchschnittlich entlohnten Spielern.
Das schiere finanzielle Ausmaß des Fußballgewerbes legt es aus gesellschaft-
lichen (ethischen) und wirtschaftlichen (umverteilungsrelevanten) Gründen nahe,
dass Profifußballclubs einen Teil dieser Mittel breiteren Bevölkerungsschichten
oder Benachteiligten zu Gute kommen lassen, um damit dem Gemeinwohl zu
dienen (vgl. auch Kentsch 2008a).
3.3.2 Spielergehälter
Eine weitere Unstimmigkeit ergibt sich aus den konkreten Gehältern vor allem der
bestverdienenden Fußballer. Auch wenn die Gehaltsangaben mit großer Unsicher-
heit behaftet sind, weil sie auf Schätzungen vor allem der Medien beruhen, nicht
immer eindeutig zwischen Brutto- und Nettogehalt unterscheiden und oft auch
persönliche Werbe- und Sponsoreneinnahmen mit einbeziehen (vgl. Nielsen 2019,
S. 425), entzündet sich an ihnen regelmäßig eine Diskussion über deren Ange-
messenheit. Nicht nur einer Hartz-IV-Empfänger:in, einer Teilzeitkraft, einer
Gymnasiallehrer:in oder auch einer Führungskraft im mittleren Management (und
als gemeinsamer Nenner dieser und weiterer Gehaltsgruppen: Fußballfans) wird es
schwer zu vermitteln sein, warum ein Angestellter eines Fußballunternehmens einen
achtstelligen Betrag pro Jahr verdienen soll, wenn der Verein zugleich nur einen
minimalen Bruchteil der Gehaltsaufwendungen für soziale Projekte ausgibt. Die
Gehaltssumme für die Spieler der ersten Bundesliga betrug für die Spielzeit 2021/22
1,6 Mrd. €. Ein Bundesligaprofi verdiente 2019/20 durchschnittlich 2,0 Mio. € pro
Jahr (errechnet nach Statista 2022). Jeder Spieler der Startelf von Bayern München
dürfte demnach mindestens 10 Mio. € pro Jahr verdienen, Robert Lewandowski, der
damalige Topstar des Vereins, über 20 Mio. €. Dazu kommen Prämien, Boni sowie
Einnahmen aus individuellen Werbe- und Sponsoringverträgen.
Umstände zusammen: „Wir alle miteinander, die im Fußball arbeiten dürfen, sind
ein privilegierter Sauhaufen!“ (Küpper 2017, S. 189).
4
Framing: Kaschieren, Auslassen, Schweigen
Wie die Ergebnisse unten (vgl. Abschn. 7) noch zeigen werden, wird auf
den Homepages sämtlicher Erstligisten eine Vielzahl von relevanten, lobens-
werten und nützlichen, vor allem sozialen Projekten dargestellt. Eine Über-
prüfung, ob diese Projekte und Initiativen tatsächlich auch verwirklicht
werden, wäre ein zu umfangreiches Unterfangen. Darüber hinaus ist der Ver-
gleich von CSR-Kommunikation mit CSR-Handeln „semantisch unscharf“
(Altmeppen und Bracker 2018, S. 244). Ferner ist es abwegig anzunehmen, dass
solche Projekte fingiert würden. Dass sie ins Leben geführt werden, darf daher als
gesichert gelten, womit an dem sozialen Engagement der Vereine nichts auszu-
setzen ist und auch die Kommunikation darüber zunächst als zutreffend und stich-
haltig betrachtet werden kann.
Was jedoch infrage gestellt werden könnte, sind erstens die Art, wie darüber
berichtet wird, und zweitens die Dinge, über die nicht berichtet wird und die auch
nicht praktiziert werden. Diese etwaigen Auslassungen können wie in Abschn. 1
angedeutet mit dem Konzept des framing ermittelt werden.
Framing bedeutet in Bezug auf die (strategische) Unternehmenskommunikation
Rahmung und ist ein metaphorischer Ausdruck für den Umstand, dass in vor allem
der Medienberichterstattung und in der strategischen Unternehmenskommunikation
bestimmte Aspekte oder Perspektiven eines Sachverhalts oder eines Ereignisses
erwähnt und hervorgehoben, während andere verschwiegen oder abgeschwächt
werden (Cornelissen 2017, S. 149 f.; Elving et al. 2015; Entman 1993, S. 54; Fröh-
lich 2008, S. 589; Huck-Sandhu 2014, S. 659; Rössler 2008, S. 373; Scheufele
2014, S. 124). Framing fokussiert insbesondere die Hervorhebung bestimmter
Aspekte, die damit eine prominente Position in einer Botschaft, einem Text oder
in einem Diskurs zugewiesen bekommen und damit innerhalb des Rahmens der
Darstellung stehen. Mindestens genauso wichtig ist jedoch, vor allem auch in dem
vorliegenden Beitrag, was außerhalb des Rahmens der Darstellung steht. Framing
kann immer nur sinnvoll eingesetzt werden (als Kommunikationsstrategie) oder
ermittelt werden (als Analysestrategie), wenn sowohl das „Eingerahmte“ als auch
das „Ausgerahmte“ in Betracht gezogen werden:
Most frames are defined by what they omit as well as include, and the omissions of
potential problem definitions, explanations, evaluations, and recommendations may
be as critical as the inclusions in guiding the audience. (Entman 1993, S. 54).
Fußballerisches soziales Engagement … 199
Aus Sicht der Rezipierenden hängt die Wahrnehmung mit anderen Worten
„nicht nur davon ab, was ein Frame abbildet, sondern auch davon, was der
Frame (bewusst) ausblendet“ (Huck-Sandhu 2014, S. 659). In Anlehnung an
Watzlawik („Man kann nicht nicht kommunizieren.“) dürfte man „nicht nicht
framen können“ (vgl. auch Napierala 2021, S. 53), bzw. etwas differenzierter in
Anlehnung an Linke et al. (2004, S. 28 f.): Man kann nicht verhindern, dass ein
unbewusstes oder unabsichtliches Framen als empfängergerichtet und absichtlich
interpretiert wird. Unter der Voraussetzung, dass sowohl das Thematisieren als
auch das Nicht-Thematisieren intentionale kommunikative Handlungen sind, lässt
sich aus unternehmenskommunikativer Sicht eine Parallele zur Agenda-Setting-
Theorie herstellen. Aus dieser Perspektive lassen sich drei kommunikations-
strategische Ansätze unterscheiden:
Corporate Agenda Setting: Das Setzen von bisher noch nicht in der medialen
Öffentlichkeit wahrnehmbaren Themen, die in die Unternehmensreputation positiv
einzahlen und die für die Anspruchsgruppen dynamisch an Relevanz gewinnen.
Corporate Agenda Surfing: Das Unternehmensthema wird mit Themen assoziiert, die
bereits in der medialen Öffentlichkeit präsent sind und signifikant genutzt werden
Corporate Agenda Cutting: Der meist gefährliche und wenig erfolgsversprechende
Versuch, ein für die Reputation potenzielles Risikothema aus der medialen
Öffentlichkeit zu eliminieren. (Müller 2021, S. 37; vgl. auch Pfannenberg et al.
2019, S. 122; Aßmann und Pleil 2014, S. 592; Röttger 2014, S. 642).
5
X-washing
X-washing, colourwashing oder auch nur washing soll hier als Oberbegriff für alle
unternehmenskommunikativen Praktiken verwendet werden, die unternehmerische
CSR-Maßnahmen als umweltfreundlicher, sozial verantwortlicher, diversitäts-
toleranter, antirassistischer usw., also insgesamt positiver darstellen als sie es tat-
sächlich sind oder aber eher unbedeutende Maßnahmen hervorheben, um von
größeren Missständen abzulenken. Der Begriff X-washing versteht sich damit als
abstrakter Sammelbegriff für eine Reihe von spezifischeren washing-Begriffen.
Der Begriff ist außerordentlich produktiv (vgl. Tab. 1). Am unspezifischsten
ist der Ausdruck whitewashing, der generell das kommunikative Phänomen
bezeichnet, einen Sachverhalt als (sozialverantwortlich) positiver erscheinen zu
lassen, als er es tatsächlich ist (vgl. auch Altmeppen und Bracker 2018, S. 247:
„Weißwaschen“). Diese Bezeichnung als genereller Ausdruck für ‚Beschönigung‘
ist bereits länger im Allgemeinen (englischen) Wortschatz verankert und ent-
sprechend lexikalisiert (Cowie 1989, S. 1457).
Am bekanntesten und am weitesten verbreitet ist wahrscheinlich der Begriff
greenwashing (Whellams 2018), der eine CSR-Kommunikation bezeichnet, die
das Unternehmen als umwelt- oder klimafreundlicher darstellt, als es ist. Ana-
loge Wortbildungen vor allem mit Farben sind zunehmend im wissenschaft-
lichen, strategischen und publizistischen CSR-Kontext verbreitet. Dabei gibt es
durchaus auch unterschiedliche Definitionen. Zum Beispiel wird in diesem Bei-
trag redwashing als die kommunikative Überhöhung von sozialer Verantwortung,
Sozialverträglichkeit und Solidarität verstanden. Millington et al. (2019) inter-
pretieren den Begriff anders und deutlich spezifischer im Sinne der Darstellung
von Fracking (Methode zur Rohstoffgewinnung aus dem Erdboden) als vorteil-
haft für die kanadischen indigenen Völker. Ebenso kann blackwashing als das
Anschwärzen von Unternehmen durch Umweltverbände verstanden werden
(Koh et al. 2010), aber in Analogie zu den übrigen X-washing-Phänomenen
soll es in diesem Beitrag als eine unternehmerische Kommunikationspraxis
von Unternehmen verstanden werden, die sich als antirassistischer aus-
geben, als sie es in der Realität sind.3 Schließlich sei in diesem Kontext noch
3 Da -washing wie erwähnt sehr produktiv ist, ist es durchaus vorstellbar, dass noch
unbesetzte Stellen im Farbenschema zukünftig noch belegt werden. Beispielsweise läge
greywashing auf der Hand als Begriff Für CSR-Kommunikation, die ein Unternehmen
als älteren Menschen gegenüber größere Akzeptanz und Toleranz entgegenbringend aus-
weist als dies tatsächlich der Fall ist. Ähnliches gilt für brownwashing, das analog zu
blackwashing verwendet werden könnte, oder yellowwashing, das mit Bezugnahme auf
Menschen asiatischer Herkunft genutzt werden könnte.
Fußballerisches soziales Engagement … 201
das sogenannte sportwashing erwähnt, das die Praxis von vor allem Staaten
bezeichnet, durch umfangreiches Sportsponsoring (z. B. Katar als Ausrichter
der Fußballweltmeisterschaft 2022 oder Saudi-Arabien über seinen staatlichen
Investmentfonds als Käufer von Newcastle United) von sozialen Missständen und
Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land abzulenken (vgl. z. B. Dubinsky
2021; Kobierecki und Strożek 2021).
4 Zwischen den Extremen FCB und BOC liegen Vereine wie z. B. BSC (103 Mio. €
Umsatz), KOE (115 Mio. €) oder etwa BMG (160 Mio. €). Damit lassen sie sich mittel-
ständischen Unternehmen gleichsetzen (Ludwig und Fundel 2019, S. 3), während BVB
(349 Mio. €) oder RBL (376 Mio. €) sowie natürlich FCB (606 Mio. €) allmählich Umsatz-
zahlen vergleichbar mit denen von Konzernen aufweisen.
Fußballerisches soziales Engagement … 203
(Fortsetzung)
5 Dieniedrige Mitgliedszahl von RBL ist den Vereinssatzungen geschuldet ist, nach denen
keine stimmberechtigten Mitglieder, sondern nur Fördermitgliedschaften ohne Stimmrecht
vorgesehen sind.
204 M. Nielsen
Tab. 2 (Fortsetzung)
Kürzel Verein Grün- Mitglieder Homepage
dungsjahr (Statista 2022)
VFB VfB Stuttgart 1893 71.500 https://vfb.de/de
Verein für Bewegungs-
spiele
BSC Hertha BSC 1892 40.051 https://herthabsc.
Berliner Sport-Club com/de
S04 FC Schalke 04 1904 160.023 https://schalke04.de
Fußballclub
SVW SV Werder Bremen 1899 40.376 https://www.werder.de
Sportverein
7 Ergebnisse
• Der Bereich Bildung nimmt bei praktisch allen Vereinen viel Raum ein.
Zahlreiche Projekte wurden innerhalb dieses Bereiches ins Leben gerufen,
u. a. in Kooperation mit dem vereinsübergreifenden Projekt Lernort Stadion
(z. B. Lesen, Musik, Berufsbildung für den Nachwuchs, aber auch Medien-
kompetenzen, soziale Kompetenzen, Toleranz).
• Inklusion und Integration wird ebenfalls oft großgeschrieben (z. B. Diversität,
Toleranz, Vielfalt; insbesondere Angebote für Kinder, Jugendliche, Menschen
mit Behinderung kommunizieren die meisten Vereine).
• Gesundheit ist ebenfalls ein sehr stark vertretener Bereich. Dabei wird sowohl
auf das Thema ausgewogene Ernährung als auch auf Bewegung als Voraus-
setzung für generelles Wohlergehen fokussiert, z. B. in Bezug auf Diabetes-
Erkrankte; während sich die meisten Initiativen an Kinder und Jugendliche
206 M. Nielsen
wenden, finden sich auch Angebote z. B. für ältere Menschen mit Herzkreis-
laufbeschwerden oder übergewichtige Männer unter den Fans.
• Gemeinschaft, Solidarität und Fairness werden sehr häufig thematisiert. Sie
finden oft ihren Ausdruck in Hilfsbereitschaft, Spenden oder Schirmherr-
schaften (z. B. örtliche Tafeln).
• Antirassismus wird auch von den Verbänden unterstützt (DFL, DFB) und ist
entsprechend Teil des CSR-Programms praktisch aller Bundesligisten.
• Gewalt-, Drogen- und Mobbingprävention findet sich eher selten.
• Umwelt und Klima sind zentrale und durchgängige Themen. Vor allem
Energieformen (Ökostrom, Photovoltaik, Fernwärme, Holzpellets) spielen
eine Rolle, ebenso das Thema Wassereinsparung. Zudem wird eine Reihe von
Naturprojekten, darunter Aufforstung beschrieben.
• Ehrenamt und soziales Jahr werden von wenigen Clubs angesprochen.
• Antisemitismus-Prävention in der Form von vor allem Gedenkstättenfahrten
findet sich bei einigen Clubs.
7.1.3 Ausklammerungen
Bei der oben beschriebenen Vielfalt und dem großen Umfang an Nachhaltigkeits-
und CSR-Projekten sind Ausklammerungen auf den ersten Blick nicht aus-
zumachen. Vor dem Hintergrund der oben in Abschnitt 4 identifizierten
Problembereiche zeigt die Untersuchung der Vereinshomepages jedoch durchaus
Bereiche, die das framing ausschließt.
Allen voran kommt eine explizite oder eindeutige Thematisierung oder
auch nur Erwähnung der finanziellen Ungleichheiten nicht vor. Auf keiner
Website wurde die extreme wirtschaftliche Kluft zwischen Spielern und Fans
angesprochen. Dass die Vereine ihre Aktivitäten und den Spielbetrieb finanzieren
müssen, macht sie wegen der immensen Personalkosten abhängig von TV-Ver-
trägen, Sponsorengeldern und Transfererlösen sowie Ticket- und Merchandising-
einnahmen. Auch wenn TV-Einnahmen, Werbung und Sponsoring proportional
den Löwenanteil der Umsätze ausmachen, sind vor allem die kleineren Vereine
auch auf die Spieltagseinnahmen und den Verkauf von Merchandisingartikeln
angewiesen. Auf die Art finanzieren die Fans direkt die im Vergleich zu einem
Durchschnittsgehalt unverhältnismäßig hohen Gehälter der Spieler (und ihrer
Berater) mit, was indirekt auch für die TV-Rechte gilt: Auch das Fernsehpublikum
bezahlt über sein TV-Abonnement in hohem Maße für die Aktivitäten des Vereins.
Eine Perspektivierung der Größenverhältnisse (CSR-Ausgaben vs. z. B.
TV-oder Werbeeinnahmen) findet nicht statt, weil bei den umfangreichen
und vielfältigen CSR-Maßnahmen nur in den allerwenigsten Fällen der
konkrete finanzielle Aufwand beziffert wird. Diese Ausnahmen bilden z. B.
Fußballerisches soziales Engagement … 207
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Fußballerisches soziales Engagement … 211
Abstract
H. L. Pilny (*)
Fakultät Wirtschaftswissenschaften, Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insb.
Marketing, TU Dresden, Dresden, Germany
E-Mail: henrietta_leonie.pilny@tu-dresden.de
Keywords
Customer-to-customer interactions · Spatial distance · Social closeness ·
COVID-19
1 Introduction
The outbreak of the COVID-19 pandemic in 2020 led to severe risks to people’s
health (De Lusignan et al. 2020; Serafim et al. 2021), and governments around
the globe implemented measures to slow its rapid spread and tackle the crisis
(Dehning et al. 2020; WHO 2021). In addition to controlling transmission,
developing vaccination programs, and designing testing or quarantine policies
(Wells et al. 2021; Yu et al. 2021), containment and mitigation interventions for
enlarged distance between individuals were implemented (Vokó and Pitter 2020;
WHO 2021). In this context, Abel and McQueen (2020) called for cessation of
the use of the term social distance in favor of the terminology spatial distance
and social closeness to convey the duality of the principles that were required to
defeat the pandemic. Spatial distance, curfews and lockdowns entailed further
consequences for individuals, the economy, the environment, and society (Donthu
and Gustafsson 2020; Verma and Prakash 2020). The pandemic confronted
organizations with several challenges, such as forced reduction of labor,
shutdowns (Bartik et al. 2020; Seetharaman 2020), or the necessity of digital
technology in order to deal with spatial distance (Bai et al. 2021). In addition,
businesses faced changing consumer behavior such as panic buying (Hall et al.
2020), a shift toward spiritual consumption (Mehta et al. 2020), and reduced or
increased demand for certain products and services (Roggeveen and Sethuraman
2020). Therefore, it is not surprising that the pandemic has also been perceived
as a marketing crisis and that marketing science has already paid considerable
attention to its impact (Öztürk 2020). While the marketing focus has been on
specific sectors, such as tourism (Shin and Kang 2020) or fitness (Alexandris
et al. 2022), or on themes, such as changing consumer behaviors (Loxton et al.
2020; Areiza-Padilla et al. 2021), on-site customer-to-customer interactions (CCI)
have been less illuminated independently of specific sectors. This research field
understands the presence of other customers to be a significant part of customer
experiences in a service setting (Nicholls 2010; Rihova et al. 2015). As the need
arose during the pandemic crisis for spatial distance and social closeness between
individuals—and thus also customers—on-site CCI came to the fore. At the same
time, a crisis, such as the COVID-19 pandemic, as “a sequence of events that can
COVID-19 and On-Site Customer-to-Customer Interactions … 219
2 Theoretical Framework
In general, CCI occur both online (Gruen et al. 2006) and offline (Rihova et al.
2015). A considerable amount of marketing research has specifically focused on
CCI that take place away from the point of sale or the service provision, such as
word-of-mouth communication—online as well as offline (Rosario et al. 2019).
As boundaries between online and offline behavior become blurred, a distinction
between off-site and on-site CCI seems more suitable, with the latter understood
as “on-premises verbal and non-verbal behaviors by customers which influence
the service experience of other customers present in the service-setting” (Nicholls
and Gad Mohsen 2019: 800).
This type of influence has been widely investigated from several directions.
For instance, Zourrig and Chebat (2009) found that positive social exchanges
occurring within a line positively influenced customer evaluations of waiting
time. Wei et al. (2017) observed that CCI positively shaped customer self-
esteem and transcendent experiences at conferences. These studies also indicated
that interactions can be direct (e.g., concrete conversations) or indirect (e.g.,
customer B merely being part of the same physical service setting as customer A)
(Martin and Pranter 1989; Nicholls 2010). According to Nicholls (2020), a wide
range of on-site CCI exists, and he consequently organized it into a typology
containing nine categories, including a) shared use space, b) assigned space and
possessions, and c) information provision. The range of CCI also points to the
power needed by organizations to not only mitigate CCI-related damage but
also to facilitate CCI-related gain (Nguyen and Rosmaninho Menezes 2021).
Accordingly, managerial and strategic issues, such as compatibility management
or CCI-induced value creation, were identified by Nguyen and Rosmaninho
Menezes (2021) as main research domains in addition to psychological aspects or
theoretical approaches.
CCI in times of crises is a research area that was recognized years ago but
which has received scant attention and still today presents—to the best of the
author’s knowledge—an unfilled research gap (Elliott et al. 2005: 343; Nicholls
2010: 94). As crises occur in several forms with a broad range of consequences
and responses (Hwang and Lichtenthal 2000; Verhoeven et al. 2014), it is
assumed that CCI are influenced in different ways and to varying extents. As
previously indicated, the COVID-19 crisis has been accompanied by spatial
distance and social closeness. The following section takes a brief but close look
at these terms.
COVID-19 and On-Site Customer-to-Customer Interactions … 221
distance in the context of CLT has also detected a considerable impact from
spatial distance on individuals so that more distant objects or events lead to the
formation of higher mental construal (Trope and Liberman 2010). For instance,
individuals attribute the behavior of others to situational factors if these others
are spatially close rather than to enduring dispositions, and vice versa (Henderson
et al. 2006). While the former features are relatively concrete and contextual,
the latter are relatively general and decontextualized (Henderson et al. 2006). To
give an additional example, customers in tourism evaluate abstract promotional
messages (e.g., pictoral information on a hotel) of vacation providers more
positive when the destination is relatively far whereas concrete promotional
messages (e.g., textual information on hotel) can be more favorable for relatively
close destinations (Kim et al. 2016). Findings like this emphasize the importance
of psychological distance in the context of marketing (for an extensive overview
of the CLT’s integration into research, please see Adler and Sarstedt 2021).
3 Kano Model
theater tickets), the latter comprises attributes for which their absence instead
of presence positively correlates with satisfaction, and vice versa (e.g., buzzing
mosquitos in an open-air theater). For completeness, in empirical investigations,
a third additional type—questionable quality attributes—describes insufficient
understanding or accidently incorrect responses to the evaluation of attributes.
As shown, this model is not limited to products but also includes services.
Furthermore, it has already been applied in the context of CCI in order to
gather quality elements of CCI in social commerce (Liu and Luo 2019) and to
understand negative CCI and its management on passenger flights (Go and
Kim 2018). In contrast to these previous empirical investigations, the present
article does not strive for a clear classification of CCI into the types of quality
attributes on a questionnaire-based approach. It is assumed that CCI and
their classifications depend on different factors, such as sectors or individual
customer preferences and perceptions. Attention is thus paid to the organization’s
perspective and its opportunities and challenges by integrating value and effort
into the Kano model from a holistic perspective.
4.2 Opportunities
facemasks with a music band’s logo (also see Rihova et al. 2018: 372) could
facilitate the creation of network value for concertgoers.
In the course of this, it is necessary to note that multiple forms of value
could occur in different types of quality attributes (see Fig. 2, left-hand side).
As organizations only generate conditions for value creation, it may be difficult
to aim at the creation of a specific form. This points to the assumption that
challenges, particularly effort, accompany the generation of conditions for value
creation, as discussed in the following Sect. 4.3.
228 H. L. Pilny
4.3 Challenges
In order to generate conditions for value creation and bridge the gap between
spatial distance and social closeness, organizations need to tackle challenges
which are of a special nature during the pandemic. For instance, spatial distance
can lead to the attribution of customer B’s behavior to enduring dispositions
(Henderson et al. 2006), and this attribution may even be increased by the
collision of differing opinions which, in turn, increase the likelihood of this
attribution and hinder the generation of value creation (e.g., social value).
The reduced frequency of interactions and its negative link to social closeness
(Stephan et al. 2011: 397) may also be an obstacle. Furthermore, the covering
of a smile by a facemask could prevent the passing on of positive emotion
(signaled through a smile) and, thus, the creation of affective value, according to
the emotional contagion concept (Hatfield et al. 1993). It could also negatively
influence physical appearance and, consequently, support the negative emotion
of customer A (Lin et al. 2020). These examples only present a small selection;
further concrete challenges can be derived from the COVID-19-related
particularities, as shown in Fig. 1 in Sect. 4.1. These concrete challenges in single
incidents within on-site CCI categories call for a clear communication (primary
required effort). This communication must be targeted by the organizations
themselves, not only with respect to their employees but also stakeholders and, in
the course of the present article, particularly their customers.
This communication involves three secondary efforts (see Fig. 2, right-hand
side) which constitute clear managerial implications. As frontline employees
are confronted with new incidents between customers during the pandemic
(e.g., a verbal dispute regarding ignorance of hygiene regulations), so-called on-
the-job training might not be sufficient (Nicholls and Gad Mohsen 2019: 811).
Specific employee training should be implemented because prior training for
frontline employees is required for difficult on-site CCI (Kokko and Mäki 2009;
Nicholls 2010: 91; Nicholls and Gad Mohsen 2019: 811), and post training
time helps to process and learn for the future (Nicholls and Gad Mohsen 2019:
811). For instance, employees could be trained on how to support the design of
a pleasant atmosphere despite times of crises—which then promotes the creation
of value. Again, the extent of training could depend on the classification of the
CCI type of quality attribute. A focus not only on the direct organizations’ side
but also on face-to-face communication with customers raises the concept of
customer education (also see Nicholls 2010: 91), particularly for the prevention
of customer failure. This concept encompasses organization-induced learning
activities with the aim of sustainable, enhanced customer relationships by
COVID-19 and On-Site Customer-to-Customer Interactions … 229
5 Conclusions
The aim of the present article was to respond to two questions: In what way
has the COVID-19 pandemic influenced on-site CCI? What opportunities
and challenges does the pandemic entail for organizations with regard to on-
site CCI? An assumed increase in on-site CCI’s visibility and importance was
demonstrated with five central reasons. The opportunities for organizations
as the facilitators of the creation of functional, affective, social, and network
value were demonstrated, which comes along with effort, particularly employee
training, customer education and customer segmentation. The present article tries
to encourage organizations and science to take into account the Kano model as
a valuable tool to gain an understanding of organization-relevant on-site CCI.
The COVID-19 pandemic in particular not only allows for the visibility and
classification of on-site CCI but also enables organizations to manage on-site CCI
under certain circumstances and learn from experiences that can be useful in the
future. The pandemic also emphasizes the digital revolution with the increasing
importance of eCCI. Consequently, organizations, especially those performing in
the business-to-business context or specific sectors such as educational providers,
should pay attention to the management of on-site CCI taking place electronically
230 H. L. Pilny
by the formulation of clear rules. Taking into account the article’s scientific
implications, it enriches research on on-site CCI by putting this field into the
context of crises. Additionally, a distinction between spatial distance and social
closeness against the background of CLT underlined the need for careful handling
of these terms.
Nonetheless, the present article is not without its limitations. First, the ideas
presented here and their implications are based on a conceptual approach.
Second, the author did not select a specific sector on which to focus—a uni-
versal approach was chosen, which does not allow profound details. Third, the
comprehensiveness of the presented opportunities and challenges is not claimed.
Fourth, the dynamics and volatility of the pandemic should not be neglected; with
this in mind, the present article gives a snapshot of the situation in winter 2021–
2022 and its expected long-lasting outcomes based on the recent circumstances;
however, no concrete estimations about further developments can be made at this
point. These facts demonstrate the need for further research as well as its great
potential. The application of qualitative as well as quantitative methods can serve
for a deeper understanding. To provide concrete examples, the author suggests
addressing the following research questions: How do customers perceive (on-
site) CCI in crises times? To what extent can customers or organizations perceive
changes during these times and in what ways can science or practice explicitly
measure these changes? What role do sectors and their individual conditions
play in this regard? In what way are COVID-19-related changes in (on-site) CCI
comparable to other crises, which have not come along with the required spatial
distance and social closeness for virus containment?
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Zusammenfassung
S. Hellenthal
Gelnhausen, Deutschland
M. Stumpf (*)
Frankfurt am Main, Deutschland
E-Mail: info@marcus-stumpf.de
Schlüsselwörter
Ende 2019 wird in China eine rätselhafte Lungenerkrankung festgestellt und zum
Jahresende der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gemeldet (WHO 2020a).
Zu dieser Zeit nehmen die Menschen in Europa die Vorfälle in China aufgrund
der großen geografischen Distanz kaum wahr (Kirchler et al. 2020: 2). Die
Meldungen aus China werden jedoch immer häufiger und das unbekannte Virus
verbreitet sich schnell. Die Erkrankungen an COVID-19 nehmen sprunghaft zu
und bereits im Januar 2020 gibt es erste Krankheitsfälle in Europa. Nur wenige
Wochen später wird vielerorts der Ausnahmezustand verkündet (WHO 2020a).
Im März 2020 erklärt die WHO den COVID-19-Ausbruch offiziell zur Pandemie
und in Deutschland wird der erste Lockdown ausgerufen (WHO 2020b). Im
Zuge dessen müssen Restaurants, Bars, Läden, Spiel- und Sportplätze ebenso
wie Theater, Konzert- und Opernhäuser, Kinos, Schulen, Universitäten und
Ämter schließen (Bundesregierung 2020). Das gesellschaftliche und wirtschaft-
liche Leben wird auf das Nötigste heruntergefahren. Seitdem gibt es in Phasen
niedriger Inzidenzen Lockerungen der Beschränkungsmaßnahmen (z. B.
Öffnungen von Einzelhandel und Gastronomie) und in Phasen hoher Inzidenzen
strengere Beschränkungsmaßnahmen.1
In Zeiten dieser Pandemie, die zu starken Einschränkungen der wirtschaft-
lichen Aktivität führt, scheinen die Erkenntnisse der Verhaltensökonomie auf den
ersten Blick wenig relevant. Vordergründig stehen aus wirtschaftswissenschaft-
licher Sicht zuerst Lieferketten, Firmen- und Bankenliquidität sowie Arbeitsplätze
im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. Doch es gibt einen Bereich im
Zuge der Bekämpfung der Pandemie, in dem menschliches Verhalten und seine
1 EineAuflistung der politischen Maßnahmen findet sich auf der Internetseite des Bundes-
ministeriums für Gesundheit (BMG) (2021).
WYSIATI – Theorie und Ergebnisse einer empirischen Studie … 239
WYSIATI erleichtert es, jene Kohärenz und kognitive Leichtigkeit zu erreichen, die
dafür sorgt, dass wir eine Aussage als wahr akzeptieren. Es erklärt, wieso wir schnell
denken und in einer komplexen Welt partielle Informationen sinnvoll interpretieren
können. (Kahneman 2012: 115).
2 Heuristiken
Der Begriff Heuristik ist griechischen Ursprungs und bedeutet etwa ‚findenʻ
oder ‚entdeckenʻ (Gigerenzer und Gaissmaier 2011: 454; Beck 2014: 25). In der
Kognitionspsychologie werden unter Heuristiken einfache Entscheidungsregeln
oder auch „Faustregeln“ verstanden, die auf eine schnelle und effiziente Lösung
von Problemen unter ungünstigen Informationsbedingungen abzielen (Tversky
und Kahneman 1974: 1124; Hutchinson et al. 2005: 97 f.; Bucher et al. 2013: 393;
Schulz-Hardt et al. 2015: 190). Sie werden auf leicht zu erhaltende Informationen
angewendet und ermöglichen unter geringem Verarbeitungsaufwand, Ent-
scheidungen und Urteile einigermaßen treffsicher zu fällen (Strack und Deutsch
2002: 353). Heuristiken beruhen auf Erfahrungen, intuitiven Fähigkeiten und
kontextuellen Strukturen (Trommsdorff und Teichert 2011: 288). Sie sind robuste,
d. h. auf ähnliche Situationen übertragbare, schnell anwendbare, leicht erlern-
bare und meist unbewusste Regeln (Gigerenzer 2004: 62 ff.; Stephan 1999: 103).
WYSIATI – Theorie und Ergebnisse einer empirischen Studie … 241
2.2 Rekognitionsheuristik
mit einer größeren Einwohnerzahl häufiger in den Medien erwähnt und dadurch
eher erkannt werden (Gigerenzer 2007: 123). Demnach wäre das Erkennen
bzw. Nicht-Erkennen einer Stadt ein valider Hinweis auf ihre Einwohnerzahl
(Wentura und Frings 2013: 148 f.). Die Stärke dieses Zusammenhangs wird als
Rekognitionsvalidität bezeichnet (Goldstein und Gigerenzer 2002: 78).
Da die Rekognitionsheuristik den natürlichen Zusammenhang zwischen
Wiedererkennen und Kriterium ausnutzt, kann sie als „ökologisch rational“
angesehen werden (Goldstein und Gigerenzer 2002: 76). Kritisch diskutiert wird
jedoch, dass diese Heuristik nur verwendet werden kann, wenn eines der zu ver-
gleichenden Objekte unbekannt ist (Wentura und Frings 2013: 149). Die öko-
logische Rationalität der Rekognitionsheuristik beschreibt, dass ein Kriterium
(z. B. Großstädte) durch eine Mediatorvariable (z. B. Anzahl der Erwähnungen in
Zeitungen, Fernsehen, Internet oder auch von anderen Menschen) reflektiert wird
(Goldstein und Gigerenzer 2002: 78). Der Mediator beeinflusst dann die Wahr-
scheinlichkeit der Wiedererkennung (Goldstein und Gigerenzer 2002: 78).
2.3 Bestätigungsirrtum
2.4 Framing-Effekt
Nach Tversky und Kahneman wird unter einem frame (‚Rahmenʻ) die mentale
Repräsentation eines Entscheidungsproblems verstanden (Tversky und Kahn-
eman 1981: 453). Dieser Rahmen wird vom Entscheidungsträger zum einen durch
die Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen aus der Umwelt und zum
anderen durch die Aktivierung vorhandenen Wissens geschaffen (Tversky und
Kahneman 1981: 453). Wird ein Problem auf zwei unterschiedliche Weisen, jedoch
logisch äquivalent formuliert, so können allein aufgrund der verschiedenen Problem-
formulierungen unterschiedliche Entscheidungen entstehen (Gigerenzer 2007: 109;
Kahneman 2012: 115; Schmook et al. 2002: 289; Hoffmann und Akbar 2019: 119 f.).
Die Art und Weise, wie eine Sachlage dargestellt wird, der sogenannte Framing-
Effekt (Rahmungseffekt), beeinflusst somit die Entscheidungen und Einschätzungen
von Personen (Myers 2014: 376; McKenzie 2004: 874; Ebering 2005: 58 f.).
Der Framing-Effekt lässt sich aus der wohl einflussreichsten und empirisch
fundierten Theorie zur Klassifizierung und Erklärung von Entscheidungs-
anomalien – der Prospect Theory von Kahneman und Tversky – ableiten. Im
Fokus stehen dabei Entscheidungen unter Risiko bzw. Unsicherheit (Kahn-
eman und Tversky 1979: 263). Nach dieser Theorie wird der Nutzen für
den Entscheidungsträger nicht anhand des absoluten Nutzens gemessen,
sondern durch positive oder negative Abweichungen von einem Referenz-
punkt, das bedeutet als Gewinn bzw. Verlust, ausgedrückt (Gerrig et al. 2018:
372 f.). Außerdem wird von einer Verlustaversion des Entscheidungsträgers
244 S. Hellenthal und M. Stumpf
Die Hypothese H1 dient der Messung des Framing-Effektes. Sie beruht auf
der zuvor dargestellten Studie von Simon und Jerit (2007). Demnach gilt es
246 S. Hellenthal und M. Stumpf
anzusehen. Die Aussage, keinen Nutzen einer Impfung zu sehen, lehnen die
meisten Teilnehmer ab (87 %), ebenso wie die Aussage, absolut gegen jegliche
Art von Impfungen, aufgrund ihrer Schädlichkeit und Überflüssigkeit, zu sein
(87 %). Den Sinn einer jeden einzelnen Impfung würden sich etwa zwei Drittel
der Teilnehmenden (63 %) gut überlegen und die Mehrheit der Teilnehmenden
(61 %) lehnt die Aussage, dass Impfungen lediglich den Interessen der Pharma-
konzerne dienen, ab. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die Befragten
eine insgesamt positive Einstellung gegenüber Impfungen aufweisen.
Anschließend wurden die Probanden zu ihrer Einstellung gegenüber der
Corona-Impfkampagne der Bundesregierung befragt. Dazu sahen sie entweder
das Werbeplakat oder den Videoclip aus der Impfkampagne der Bundesregierung.
Dabei fand die Mehrheit der Befragten, dass die Impfkampagne die Notwendig-
keit von Impfungen aufzeigt, um das Pandemie-Geschehen eindämmen zu
können. Auch empfand die Mehrheit der Befragten die Impfkampagne als sinn-
voll, um mehr Menschen zu einer Impfung zu animieren, und als wichtig, um auf
die Bedeutung der Impfung aufmerksam zu machen. Zusammenfassend ist fest-
zuhalten, dass die Befragten eine insgesamt positive Einstellung gegenüber der
Impfkampagne haben.
Ob es einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen den Variablen
„Einstellung zu Impfungen im Allgemeinen“ und „Einstellung zur Corona-
Impfkampagne der Bundesregierung“ gibt (H2, Bestätigungsirrtum), konnte
mittels einer Korrelationsanalyse ermittelt werden. Demzufolge ergab sich
ein Korrelationskoeffizient von r ≈ 0,461. Dies entspricht einem eher starken
Zusammenhang. Die Irrtumswahrscheinlichkeit beträgt 0,000 und ist damit sehr
signifikant (p ≤ 0,001). Je positiver die Einstellung gegenüber Impfungen im All-
gemeinen ist, desto positiver ist damit auch die Einstellung zur Corona-Impf-
kampagne der Bundesregierung. Nachstehende Abb. 3 stellt den Zusammenhang
der Variablen grafisch dar. Zwar impliziert eine Korrelation keinen kausalen
Zusammenhang. Dennoch bestätigt dieses Ergebnis die Schlussfolgerungen aus
bereits vorliegenden, vergleichbaren Studien, dass Konsumenten bei ihren Ent-
scheidungen Bestätigungsfehler begehen. Bei ihren Entscheidungen beziehen sie
vor allem Fakten mit ein, die ihre eigne Meinung und Ansichten unterstützen.
Zur Überprüfung der Hypothese H3 wurde zunächst die Einstellung der
Probanden hinsichtlich der Impfstoffe Pfizer-Biontech, Moderna und eines
chinesischen Impfstoffs gemessen − ein chinesischer Impfstoff wurde hier bei-
spielhaft als Repräsentant für einen unbekannten Impfstoff gewählt. Dazu sahen
die Probanden Bilder der drei Impfstoffe (siehe Abb. 4) und gaben auf einer
Likert-Skala von 1–5 an, inwiefern sie dem entsprechenden Impfstoff vertrauen,
inwiefern sie über diesen informiert sind und inwiefern sie diesen als sicher
WYSIATI – Theorie und Ergebnisse einer empirischen Studie … 249
empfinden. In einem zweiten Schritt gaben die Befragten an, inwiefern sie den
Impfstoff aus den Medien, wie Zeitungen, Fernsehen und Social Media, kennen.
Es zeigte sich, dass die Probanden den Impfstoffen Pfizer-Biontech und Moderna
vertrauen, über diese informiert sind und diese als sicher empfinden. Auch sind
der Mehrheit der Befragten die beiden Impfstoffe aus den Medien bekannt. Dem
chinesischen Impfstoff vertrauen die Befragten hingegen weniger, sie empfinden
diesen als weniger sicher und fühlen sich über diesen nicht informiert.
250 S. Hellenthal und M. Stumpf
Insgesamt zeigt sich, dass die Probanden eine positive Einstellung gegen-
über den Impfstoffen Pfizer-Biontech und Moderna haben. Gegenüber dem
unbekannten chinesischen Impfstoff sind die Teilnehmenden der Studie negativ
eingestellt.
Um die Anwendung der Rekognitionsheuristik zu prüfen, wurde wiederum
eine Korrelationsanalyse durchgeführt. Dabei betrug der Korrelationsko-
effizient r = 0,567. Aus diesem Grund kann von einem sehr starken Zusammen-
hang gesprochen werden. Die Irrtumswahrscheinlichkeit liegt bei 0,000 und ist
somit sehr signifikant (p ≤ 0,001). Je bekannter der Impfstoff ist, desto positiver
ist die Einstellung diesem gegenüber (siehe Abb. 5). Auch wenn hier der kausale
Zusammenhang zwischen den beiden Variablen nicht explizit getestet wurde, so
bestätigt dieses Ergebnis dennoch die Erkenntnisse aus der Literaturrecherche,
wonach Konsumenten bei ihren Entscheidungen die Rekognitionsheuristik
anwenden und sich für das entscheiden, was ihnen bekannt ist.
Wie die Ergebnisse der Studie zeigen, werden Konsumenten unbewusst in ihren
Entscheidungen beeinflusst. Um schnell und einfach komplexe Entscheidungs-
probleme lösen zu können, wenden sie Heuristiken an. Dabei treffen sie
Entscheidungen u. a. auf Basis der Bekanntheit eines Objektes (Rekognitions-
heuristik). So haben sie eine positive Einstellung gegenüber den Impfstoffen von
WYSIATI – Theorie und Ergebnisse einer empirischen Studie … 251
Pfizer-Biontech und Moderna, die sie aus den Medien kennen. Dem unbekannten
chinesischen Impfstoff gegenüber sind die Konsumenten hingegen negativ ein-
gestellt. Dies verdeutlicht wiederum die Rolle von Medien auf die Verhaltens-
weisen und Entscheidungen, denn die Impfstoffe von Pfizer-Biontech und
Moderna wurden in den deutschen Medien intensiv thematisiert, wohingegen ein
vergleichbarer chinesischer Impfstoff kaum erwähnt wurde. Die Konsumenten
sollten sich folglich nicht nur für Alternativen entscheiden, die ihnen bekannt vor-
kommen. Denn auf diese Weise könnten sie wichtige Dinge übersehen oder falsch
einschätzen. Sie sollten vielmehr aufgeschlossen gegenüber Unbekanntem sein.
So kann in diesem Fall der chinesische Impfstoff genauso sicher und wirksam
sein wie die beiden bekannten Impfstoffe.
Ferner wird durch die Ergebnisse der Studie deutlich, dass die Konsu-
menten bei ihren Entscheidungen bevorzugt die eigene Meinung und die eigenen
Ansichten verfolgen (Bestätigungsirrtum). Dies konnte anhand des Zusammen-
hangs zwischen der Einstellung zu Impfungen im Allgemeinen und der Ein-
stellung zur Corona-Impfkampagne aufgezeigt werden. Auch hier kann eine
Offenheit und Objektivität gegenüber anderen Meinungen und Ansichten für den
Konsument vorteilhaft sein. Beispielsweise sollten sich Personen, die generell
eine negative Haltung gegenüber Impfungen haben, über die Corona-Impfung
ausführlich und sachlich informieren sowie diese nicht von vornherein ablehnen.
Auch hier spielt der Einfluss der Medien eine bedeutende Rolle. Dadurch, dass
Webseiten und soziale Netzwerke versuchen, algorithmisch vorherzusagen,
welche Informationen der Nutzer auffinden möchte, werden den Konsumenten
auch nur Informationen und Inhalte angezeigt, die deren eigene Meinung und
eigene Ansichten widerspiegeln. Als Nutzende von sozialen Netzwerken lesen sie
präferiert Meinungen oder folgen Menschen, die in ihr eigenes Weltbild passen,
und liken deren Beiträge. Der Algorithmus konfrontiert sie vor allem mit dem,
was ihrer eigenen Denkweise entspricht und blendet anderweitige Meinungen
aus. In der Corona-Situation werden sogenannte Corona-Gegner bzw. -Leugner in
ihren Ansichten und Denkweisen bestärkt, da ihnen vermehrt Beiträge angezeigt
werden, die ihren Annahmen entsprechen. Auf diese Weise gewinnen u. a. Ver-
schwörungstheorien und fake news zunehmend an Gewicht, da sie vorwiegend
solche Nutzende erreichen, die der Algorithmus für empfänglich hält. Die Konsu-
menten sollten folglich Akzeptanz gegenüber belegbaren Fakten zeigen, das
eigene Wissen hinterfragen sowie aufgeschlossen sein, den vorherrschenden
Mainstream objektiv zu hinterfragen.
Schließlich verdeutlichen die Ergebnisse der Studie die Bedeutung des
Framing-Effektes für das Entscheidungsverhalten von Konsumenten. Beispiels-
weise durch unterschiedliche Wortwahl und Sprache können Konsumenten
252 S. Hellenthal und M. Stumpf
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WYSIATI – Theorie und Ergebnisse einer empirischen Studie … 255
Sophia Hellenthal M.Sc. ist als Digital Market Communications Manager bei der
Evonik Industries AG tätig. Dabei zählen zu ihren Haupttätigkeitsbereichen Social Media
Marketing, Suchmaschinenoptimierung (SEO), Marketing Automation und digitales
Marketing. Neben ihrer beruflichen Tätigkeit bei einem weltweit führenden Spezialchemie-
konzern, absolvierte sie im Jahr 2021 erfolgreich ihr Masterstudium im Bereich Marketing
und Kommunikation an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management. Im
Rahmen ihrer Masterarbeit beschäftigte sie sich mit Konsumentenentscheidungen im Zuge
der Corona-Pandemie.
Zusammenfassung
A. Bittner-Fesseler
SRH Fernhochschule – The Mobile University, Riedlingen, Deutschland
E-Mail: angela.bittner-fesseler@mobile-university.de
A. Nelke (*)
HAM Hochschule für angewandtes Management, Ismaning, Deutschland
E-Mail: astrid.nelke@fham.de
Schlüsselwörter
1 Einleitung
Fordernde Zeiten sind immer auch ein fruchtbarer Boden für frische Ideen – in
diesem Sinne war die Krise auch der Anbeginn einer geradezu prototypischen Auf-
bruchszeit. (Gatterer und Horx 2020: 106)
Hier wird vom New Business Normal (Nelke 2022) gesprochen. Gemeint ist
damit das hybride Arbeiten in den vier Formen: tradiertes Büro, das sogenannte
Home-Office (engl. „working from home“), mobiles Arbeiten und Arbeiten
im Co-Workingspace. Unter „hybrid“ wird der Prozess der Adaptierung von
sogenannten Programmstrukturen eines umgebenden sozialen Systems durch ein
anderes System verstanden, wodurch Innovation und Lernen in Systemen ermög-
licht wird und ein neues System oder ein organisationales Subsystem entstehen
kann (Hoffjann 2021: 155).
Auch kurz vor der Covid-19-Pandemie stand die im Zuge der Digitalisierung
zwar als besonders wichtige, in der Praxis jedoch oft immer noch unter Miss-
achtung leidende Interne Kommunikation im Fokus der Forschung: Als größte
„organisatorische Herausforderungen“ für die Interne Kommunikation wurden in
der Befragung des Trendmonitor 2019 u. a. bei mehr als 40 % knappe personelle,
finanzielle und zeitliche Ressourcen zur Umsetzung von Projekten, veraltete
technische Infrastruktur oder andere technische Hürden und das damit ver-
bundene geringe Budget identifiziert und bei rund einem Drittel eine mangelnde
Unterstützung durch das Management (vgl. SCM 2019: 18). Die Hälfte der im
SCM-Trendmonitor Befragten gab an, im Arbeitsalltag auf kein schriftlich
fixiertes Konzept zurückgreifen zu können (SCM 2019: 14) – Bedingungen, die
es jedem Unternehmen schwer machen, unter den Ausnahmebedingungen einer
Pandemie intern gut vernetzt und wohlorganisiert zusammenarbeiten zu können.
2018: 10 f.). Zugleich wünschte sich ein Großteil der Belegschaften bereits vor
Covid-19 mehr Freiraum für die Umsetzung eigener Ideen. (ebd.: 11). Gerade in
den KMU ging die Einführung neuer Methoden und digitaler Technologien meist
auf die Initiative Einzelner zurück, obwohl dem Management eine entscheidende
Rolle zugekommen wäre.
Auf organisationaler Ebene kristallisierte sich heraus, dass über die Hälfte der
befragten Mittelständler das Thema Kommunikation als einen der wichtigsten
Teilbereiche der Digitalisierung ansieht, jedoch lediglich 13 % von ihnen Soft-
ware für die interne Zusammenarbeit einsetzt und nur 8 % vor der Pandemie
Videokonferenzen häufig für die Zusammenarbeit nutzten (Baethge und Boberach
2018: 11). Zugleich zeigte die Studie, dass infolge von Digitalisierung und
Technologieeinsatz Strukturveränderung stattfinden kann: Agile Methoden
und digitale bzw. Collaboration Tools wie Blogs, Social Networks, Scrum etc.,
die eigentlich für eine Verbesserung der internen Informationsflüsse eingesetzt
werden, unterstützen nicht nur eben diese Kommunikationsprozesse techno-
logisch, sondern führen organisatorisch zu dezentralen und enthierarchisierten
Teamstrukturen (Baethge und Boberach 2018: 14 f.): Die neue Zusammenarbeit
ermöglicht unternehmensübergreifende, standortverteilte oder auch virtuelle
Teamarbeit und das Entstehen von Interaktions- und Teamräumen in Unter-
nehmen – auch wenn dieser Trend bisher v. a. in Großunternehmen und Startups
zu beobachten war. Klassische mittelständische Unternehmen taten sich eher
schwer damit (Baethge und Boberach 2018: 16).
Im Ergebnis ändert sich das (Selbst-)Verständnis von Teams und die
Zusammenarbeit (Baethge und Boberach 2018: 15). Ebenso entstehen Trends
des New Business Normal, wie mobile Arbeit und neue Bürokonzepte, die
auf Interaktions- und Teamräume setzen. Dieser Zusammenhang kann über
Giddens Strukturationstheorie (Giddens 1997) erklärt werden: Dabei handelt
es sich um einen praxeologischen Ansatz der Sozialwissenschaften, der das
Subjekt als Akteur in die Organisationsstruktur mit einbezieht. Sie geht von
einer dialektischen Vermittlung zwischen Struktur und Handeln und damit von
deren Dualität aus. Diese wechselseitige Zuordnung besagt, dass Strukturen
durch Handeln erschaffen werden und menschliches Handeln soziale Strukturen
konstituiert und ermöglicht. Dabei werden die Strukturen durch den Strom des
Handelns der Menschen permanent reproduziert und dabei immer weiter modi-
fiziert. Illustrierend für das Wechselspiel kann der Einsatz agiler Methoden
gelten: Der Einsatz agiler Methoden führt zu Veränderungen in Teamstruktur,
Arbeitsweise und Zusammenarbeit (Studienergebnisse nach Baethge und
Boberach 2018: 30). Dies wiederum kann fördernd, aber auch hemmend auf die
Es geht nicht „um Schafe, die Führung benötigen“ … 263
künftige Nutzung und Akzeptanz dieser Methoden bei Management und Beleg-
schaft wirken. Veränderung im Verhalten der Menschen korrespondiert somit mit
Veränderung in der Struktur.
Auf die Pandemiesituation bezogen ist nach Giddens zu erwarten, dass durch
die mit dem Lockdown den Unternehmen oktroyierte Veränderung von Struktur
und Arbeitsmethoden sich Beziehungen und Verhalten der Unternehmensmit-
glieder verändern und sich dauerhaft an die neue Situation anpassen. Unter den
gewandelten Umweltbedingungen ist zu erwarten, dass auch nach dem Ende des
Lockdowns die neu erlernten Verhaltensweisen wenigstens teilweise beibehalten
werden. Dies betrifft beispielsweise die Flexibilität bei der Arbeitsplatz- und
-zeitgestaltung: Mit der Covid-19-Pandemie scheint sich der Abstand zwischen
Konzernen bzw. Start-ups und Mittelstand hinsichtlich flexibler Teamarbeit und
den Trends zur mobilen Arbeit verringert zu haben, auch wenn dort kein Effekt
wie beim IT-Konzern Google – weniger Vorschriften, mehr Individualität, mehr
Gestaltungsfreiraum jeden Tag (s. Medienbeitrag zu Google: Bauer 2021) –
erwartet werden kann.
Es stellt sich die Frage, wie sich die aktuelle Entwicklung in der
Digitalisierung im Kontext der Pandemie auf die Beschäftigten ausgewirkt hat
– ob sich der homo oeconomicus über den social man/virtual man zum neuen
„hybrid professional“ entwickelt hat – mit neuen, heute noch unbekannten
Eigenschaften? Welche Herausforderungen würde dies für Organisationen und
Führungskräfte mit sich bringen? Welche für die Interne Kommunikation?
Eine Befragung von Kommunikationsverantwortlichen von sieben Schweizer
Großkonzernen in 2020 – also der Frühzeit der Covid-19-Pandemie – deutete
bereits eine Tendenz an: „Die Mehrheit der befragten Kommunikationsver-
antwortlichen ist der Meinung, dass die Covid-19-Pandemie die Zusammen-
arbeit und damit auch die Interne Kommunikation nachhaltig verändert hat
bzw. weiter verändern wird“ (Krämer und Pfizenmayer 2020). Diese Studie zu
Herausforderungen der internen Kommunikation in Zeiten von Covid-19 zeigte,
dass die Mitarbeitenden in der Pandemie veränderte Erwartungen sowohl an die
Kommunikation ihrer Organisation als auch an das Interne Kommunikations-
management und die Kommunikation mit dem Management stellten. Es
wurde ein erhöhtes Informationsbedürfnis zur Zukunft der Organisation und
zum eigenen Arbeitsplatz sowie ein Wandel in den Themen der Internen
Kommunikation festgestellt wie „Zeitnahe Updates zu den aktuellen Ent-
wicklungen bzgl. Covid-19 und deren Auswirkungen auf die eigene Organisation
und die eigene Arbeitstätigkeit“ (Krämer und Pfizenmayer 2020).
264 A. Bittner-Fesseler und A. Nelke
Die vorliegende Studie untersucht die mit der Pandemie erfolgte Transformation
der Internen Kommunikation aus organisationaler Sicht in kleinen Unternehmen.
Im Mittelpunkt stand die Frage, ob unter Pandemiebedingungen ein Zusammen-
hang, und wenn ja, welcher Zusammenhang zwischen vorhandenen Strukturen,
veränderten Rahmenbedingungen und der Internen Kommunikation in Klein- und
Kleinstunternehmen (1 bis 50 Beschäftigte) nachzuweisen ist. Da die Covid-19-
Pandemie als Katalysator der Digitalisierung angesehen werden kann, wurde
die Beobachtung aus der Start-up-Forschung in den Mittelpunkt gestellt, dass
Klein- bzw. Kleinstunternehmen aufgrund ihrer Ressourcenknappheit stärker
als mittelständische Unternehmen oder Großunternehmen wie Konzerne mit
ihren Umweltbedingungen verwoben und von ihnen abhängig sind. Ausgehend
davon wurde untersucht, ob ein von der Pandemie ausgelöster (signifikanter)
Veränderungs- und Digitalisierungsschub in der Internen Kommunikation zu
beobachten war (ohne bei den untersuchten Unternehmen Teil ihres Geschäfts-
modells zu sein, wie z. B. beim eCommerce o. ä.). Beobachtbare Dimensionen
als Maßgaben des Handelns waren:
4 Erkenntnisse
Die Erhebung zeigte außerdem, dass bei den befragten Klein- und Kleinst-
unternehmen nur fünf Unternehmen ein eigenes Budget für die Interne
Kommunikation hat (5x ja, 6x dezidiert nicht). Eine Implikation daraus ist: Die
Wichtigkeit der Internen Kommunikation wird in Klein- und Kleinstunternehmen
häufig immer noch verkannt, wodurch die Arbeit der Internen Kommunikatoren
auch unter Pandemiebedingungen ihr Potenzial nicht ausschöpfen.
Die Digitalisierung spielt bei allen Befragten eine große bis sehr große Rolle:
• Vier hatten bereits vor der Pandemie umfassend remote gearbeitet, fast alle
setzen jetzt jedoch auf ein hohes Maß an Flexibilität, Mitbestimmung, Selbst-
organisation und Transparenz.
• Das Ausmaß virtuellen Arbeitens im Sinne der digitalen Transformation hat im
Ergebnis der Pandemie in allen kleinen Organisationen noch einmal deutlich
zugenommen.
• Festgestellt werden konnte, dass auch Kleinst- und Kleinunternehmen ihre
Arbeitsweise im Rahmen der Pandemie neu organisiert haben (fünf gaben an,
dass es nun neue Online-Formate und Arbeitsstrukturen gibt).
• Als typisch gaben die Befragten eine volatile Arbeitsweise und eine geringe
Standardisierung an. Gleichzeitig betonten sie die Notwendigkeit von Agili-
tät und rein virtuell arbeitenden Projektteams. Zu den weiteren Änderungen
in der Arbeitsorganisation zählte bei fünf von elf Unternehmen zum Beispiel,
dass eine Digitalisierungsoffensive gestartet wurde, neue Bürokonzepte wie
das papierlose Büro umgesetzt wurden. Teilweise wurden Telefone komplett
abgeschafft, wesentlich mehr Online-Meetings als zuvor durchgeführt und ins-
gesamt wahrnehmbar und offener kommuniziert. Als Tools für diese virtuelle
Zusammenarbeit wurden verschiedene professionelle Video-Conferencing-
Tools eingesetzt. Und: Es wurde durchweg häufiger kommuniziert.
• Insgesamt fand zudem mehr digitale Interaktion statt und dies wurde im
Unternehmen auch unterstützt. Bereits 2017 hatte eine Studie bereits in
Bezug auf die genutzten Kommunikationskanäle gezeigt, dass die ein-
gesetzten Instrumente meist digital ausgerichtet, schnell, aktuell und trans-
parent sind. In der sogenannten New Work-Transformation wird den genutzten
Kanälen hierbei besondere Wirksamkeit zugeschrieben, „welche nicht nur die
Informationsweitergabe vereinfachen und innovativ gestalten, sondern eine
Form des Dialogs möglich machen“ (vgl. Bruch und Block 2017: 48).
Die Wirksamkeit und das Vorgehen des veränderten Handelns wurden ledig-
lich in zwei Unternehmen evaluiert. Das Ergebnis zeigte, dass bei ihnen die
Es geht nicht „um Schafe, die Führung benötigen“ … 267
ufriedenheit der Beschäftigten durch die neue Arbeitsweise deutlich erhöht war.
Z
Bei den anderen Unternehmen fand keine direkte Evaluation statt.
Bei den bevorzugt kommunizierten Inhalten ergab die Befragung, dass es
sich vor allem um Sachinformation handelte. Hier stand – naturgemäß in einer
potenziell krisenhaften Situation – am häufigsten die aktuelle Entwicklung des
eigenen Unternehmens im Mittelpunkt der Internen Kommunikation. Danach
folgten Marktlage, Zukunft der Organisation, Entscheidungen des Managements
und die Zukunft des eigenen Arbeitsplatzes (Mehrfachnennungen möglich).
Bei neun von elf Unternehmen hat sich im Ergebnis der Covid-19-Pandemie
die Interne Kommunikation nachweislich verändert. Dies betrifft hauptsächlich
die technische Seite, die inhaltliche Seite jedoch weniger (sic!). Zudem wurde
eine bessere Dokumentation der Arbeit notwendig und die Flexibilität aller
Beschäftigten nahm zu. Im Ergebnis äußerten die Befragten, dass u. a. durch die
Art des Arbeitens wegen Covid-19 Vertrauen und Dankbarkeit in alle Richtungen
gestärkt wurden.
Es lässt sich sagen, dass die beobachteten dynamischeren Strukturen eine
flexiblere Arbeitsweise ermöglichten, diese jedoch eine höhere Anpassungs-
fähigkeit bei den Beschäftigten beispielsweise im Handling, in persönlichen
Kompetenzen sowie in der Wahl der Tools der virtuellen Zusammenarbeit
erfordert. Einer der Gründe dafür liegt in der Vielfalt der eingesetzten
Maßnahmen und Tools, die sich bisher einer Systematisierung entziehen: durch-
gehend unterschiedliche Kollaborationstools und Interaktionsangebote (Teams,
Trello, asana, redmine etc. mit Video/Lehrvideo, Meetings, Social Intranet-
Applikationen), ebenso die Nutzung der Social Media (mit Instagram, Facebook
etc.) sowie Klassiker wie Newsletter, Kataloge, Flyer, Präsentations-PDFs,
Einzelgespräche oder neue Formen wie Stand-ups. Die im Ergebnis erforder-
liche, erhöhte Anpassungsfähigkeit kann als eine idealtypische Demonstration der
Giddens’schen Strukturationstheorie angesehen werden.
Vergleicht man dies Befragungsergebnisse über die Kommunikationspraxis in
der Covid-19-Pandemie mit Benchmarks z. B. aus einer Studie aus der Zeit vor
der Pandemie (vgl. Rolke und Forthmann 2019 zur exzellenten Kommunikations-
arbeit) wird sichtbar, dass – verglichen mit der Kommunikationselite – im Ergeb-
nis der Entwicklung der vergangenen zwei bis drei Jahre auch in Klein- und
Kleinstunternehmen eine professionellere, vernetztere und stärker auf Gegen-
seitigkeit beruhende Kommunikationskultur zu beobachten ist, die sich u. a. in
angepassten agilen Arbeitsstrukturen und der Nutzung von Kommunikationstools
widerspiegelt, wenn auch immer noch nicht selten top-down.
268 A. Bittner-Fesseler und A. Nelke
Die Covid-19-Pandemie
Zu 2.: Der Ausbau und die Bündelung der digitalen Kanäle – also die
technische Seite der Kommunikation – wurde in den befragten KMU in der
Zeit der Krise verstärkt in den Fokus gerückt und auch in der Praxis umgesetzt.
Vergleichbare Ergebnisse zu Arbeitsmethoden und -tools zeigte auch hier das
frühe Untersuchungsergebnis zu Schweizer Großunternehmen, wobei auch fest-
gestellt wurde, dass es nötig ist, „[…] Mitarbeitende zu befähigen und zu unter-
stützen, die neuen digitalen Kommunikations- und Kollaborationskanäle auch zu
nutzen“ (Krämer und Pfizenmayer 2020). Die Verantwortung für diesen Trans-
formationsprozess – ähnlich wie bei der New Work-Transformation generell –
wird der Geschäftsleitung zugeordnet, die diese Verantwortung in den kleinen
Unternehmen auch wahrnimmt und in der Krise neue Strukturen schafft.
Aufgrund der bisherigen Erkenntnisse aus der vorgelegten Studie, was
im Einklang mit anderen Studien und Erfahrungsberichten steht (Engelhardt
2020; Krcmar und Wintermann 2020; Krämer und Pfizenmayer 2020; Gatterer
und Horx 2020) deuten sich für die Arbeitsorganisation durchaus langfristige
Änderungen aus der Covid-19-Pandemie an. „Mit überwältigender Mehrheit
von 92 % sehen die Expertinnen und Experten auch zukünftig Konferenztools
als integralen Bestandteil täglicher Arbeitsroutinen. In diesem Zusammen-
hang gehen die Befragten mit 76 % Zustimmung von einer Virtualisierung von
Präsenzformaten aus, was sich wiederum in der starken Zustimmung zu einem
zukünftig räumlich und zeitlich flexibleren Arbeitsleben ausdrückt“ (Krcmar
und Wintermann 2020: 10). „Neue Arbeitsmodelle […] sind zum Regelbetrieb
geworden. Damit wurde auch der Nachholbedarf bei Kompetenz und Kultur deut-
lich – und damit auch einige To-dos in Sachen Personal und Organisationsent-
wicklung. Technologien, die eigentlich schon selbstverständlich waren, aber in
so manchem Unternehmen noch als exotisch galten, sind nun eingeführt, werden
weiter optimiert – und nicht mehr verschwinden“ (Gatterer und Horx 2020: 106).
Zu 3.: Infolge der parallelen Entwicklung von Präsenz und remote in der
Covid-19-Pandemie entwickelte sich ein New Business Normal aus hybrider
Arbeitsweise und hybriden Arbeitsstrukturen auf Mikroebene. Bei dieser Ent-
scheidung agieren Unternehmen situationsbezogen. Infolge der Pandemie
wurden bereits Rollen und Arbeitsorganisationsformen angepasst, da es „eine
Digitalisierung im,Frontendʻ, ohne dass dies Auswirkungen auf die Situation
im,Back-endʻ hätte, […] nicht geben“ kann (Wintermann 2020: 660). Eine
vergleichbare Entwicklung konnte bereits bei Start-ups beobachtet werden
(Bittner-Fesseler und Nelke 2021), bei denen jedoch bereits mit der Gründung
hybride, mit der Pandemie dann jedoch überwiegend digital basierte, interne
Kommunikationsstrukturen aufgesetzt wurden.
270 A. Bittner-Fesseler und A. Nelke
6 Fazit
Auch Klein- und Kleinstunternehmen konnten sich der Wirkung der Pandemie
nicht entziehen. Konzepte wie virtuelles Arbeiten und Home-Office sind in der
Arbeitswelt der Kleinsten angekommen: Sie sind angenommen und werden
gelebt, „allerdings in einer Weise, die das Home-Office als freiwillige Wert-
schöpfungsmöglichkeit betrachtet und nicht als eine in allen Fällen gewünschte
Arbeitsform“ (Krcmar und Wintermann 2020: 11). Dies kann als Umgang einer
lebenden Organisation bzw. Unternehmung mit den Herausforderungen einer
komplexen Umwelt angesehen werden. Gerade für das in Deutschland dringend
benötigte Nachholen der betrieblichen digitalen Transformation bot die Covid-
19-Pandemie die Chance, „das Geschäftsmodell, die tradierten Logiken und Ent-
scheidungswege, den Antrieb des Unternehmens, wie den inneren Antrieb der
Menschen selbst“ (Wintermann 2020: 660) zu verändern. Für die Unternehmen
kam es darauf an, dass das Management Transformationsbereitschaft zeigte und
die Interne Kommunikation mit Ressourcen ausstattete, um in einer Krise die
Existenz zu sichern.
Es geht nicht „um Schafe, die Führung benötigen“ … 271
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274 A. Bittner-Fesseler und A. Nelke
Zusammenfassung
M. Mundorf (*)
Hochschule Kaiserslautern, Worms, Deutschland
E-Mail: margret.mundorf@hs-kl.de
E. Seidl
Institut für Theoretische und Angewandte Translationswissenschaft, Universität Graz,
Graz, Österreich
E-Mail: e.seidl@uni-graz.at
Schlüsselwörter
Unternehmens- und Wirtschaftskommunikation · Fachwissen ·
Fachsprachenwissen · Fachkommunikation im Studium ·
Sprachkompetenz · Kommunikative Kompetenz
Translator education must resist the current trend towards an increasingly dominant
focus on assistive technologies and foster an extended self-concept by developing
students’ intuition, creativity, ethical judgement and advisory skills. Greater weight
should therefore be given to transcreation, user-centred text production, intercultural
communication, conceptual transfer, ethics, risk, quality assurance and consultancy.
(Massey und Wieder 2019: 76)
282 M. Mundorf und E. Seidl
Fokussiert werden soll in diesem Beitrag jedoch eine LV speziell für DaF-
Studierende (C1), wobei der Titel der LV, „Deutsch: Sprach-, Text- und Kultur-
kompetenz IV“, exakt jene drei Kompetenzen umfasst, die nach Kadrić et al.
(2019) Gelingensbedingungen für transkulturelle Fachkommunikation sind:
Vorwissen. Mehr als zwei Drittel der Studierenden brachte internationalen und
mehrsprachigen Hintergrund mit, einige erlernten Deutsch nicht nur als Zweit-,
sondern sogar als Drittsprache. Viele Studierende verfügten über mehrjährige
Arbeitserfahrungen im nationalen und internationalen Kontext, einige über eine
Berufsausbildung, andere hatten den Studiengang bereits einmal gewechselt.
Die außerordentlich heterogene Studierendengruppe bearbeitete in acht Teams
acht verschiedene Teilthemen zu Kommunikationsmodellen, sozialpsychologischen
Grundlagen und Modellen, interkultureller Kommunikation, anwendungs-
orientierten Konzepten für Gesprächsführung, Argumentieren, Verhandeln und
Moderieren, Konfliktbearbeitung etc. Am Ende des Semesters präsentierten die
Teams ihre Projektarbeiten in mehreren digitalen Expert:innenkonferenzen, dis-
kutierten und vernetzten ihre (Teil-)Themen, indem sie Bezüge und Wechsel-
wirkungen zwischen ihren jeweiligen Projektthemen und dem übergreifenden
Modulthema der Kommunikation in Unternehmen/Wirtschaftskommunikation
herstellten.
Die Teams bestanden aus jeweils vier bis sechs Teammitgliedern mit
bestimmten Aufgaben und Rollen, die im Team ausgehandelt wurden. Diese
beinhalteten die Teamkoordination, das Erstellen einer Informationsüber-
sicht, das Erarbeiten einer Dramaturgie für die Abschlusspräsentation, deren
mediale Gestaltung, das Vernetzen mit den Themen der anderen Teams sowie die
Protokollführung etc. Die Lehrveranstaltung fand ein Semester lang wöchentlich
mit 2 SWS im 90-min-Format virtuell per Videokonferenz statt. Alle schriftlichen
Dokumentationen sowie die Abschlusspräsentation, bei der jedes Team seine
Ergebnisse im Rahmen einer Expert:innenkonferenz vorstellte und im Plenum
diskutierte, wurden arbeitsteilig im Team erarbeitet. Am Ende des Semesters
waren individuelle schriftliche Einzelreflexionen abzugeben. Die dazu vor-
gegebenen Fragen waren offen – mit Ausnahme einer Frage zur Evaluation der
Teamarbeit, bei der die Studierenden verschiedene Aspekte (wie z. B. gegen-
seitige Unterstützung, Arbeitsklima, Umgang mit Konflikten) auf einer Skala von
0 bis 10 bewerten sollten. Die Lernreflexion erfasste die Sicht der Studierenden
auf sechs Ebenen: 1) die individuellen Lernziele im Kontext der Teamaufgabe,
2) die Beschreibung und Dokumentation der eigenen Lernaktivitäten und Lern-
prozesse in der Lehrveranstaltung und innerhalb der Teamaufgabe, 3) die Ana-
lyse und Bewertung von günstigen und eher ungünstigen Bedingungen und
Einflussfaktoren auf die Lernaktivitäten und das individuelle Lernen innerhalb
der Teamarbeit, 4) die Evaluierung der eigenen (Lern-)Aktivitäten, insbesondere
der Umgang mit Anforderungen und Hindernissen und deren Bewältigung, 5) die
Planung künftiger Handlungsstrategien als Konsequenz aus der abgeschlossenen
Unternehmens- und Wirtschaftskommunikation … 287
1 Die Fragen (1) bis (5) orientierten sich an der Kriterienbeschreibung für die Ebenen der
reflexiven Praxis in der Portfolioarbeit, vgl. z. B. Bräuer (2003) sowie Bräuer und Keller
(2013).
288 M. Mundorf und E. Seidl
Nach dem Konzept des Constructive Alignment (Biggs und Tang 2011; Wildt
und Wildt 2011) ist die – sprachlich-kommunikativ bewerkstelligte – Team-
arbeit im Modul „Kommunikation im Unternehmen/Wirtschaftskommunikation“
292 M. Mundorf und E. Seidl
Meiner Erfahrung nach ist es ganz besonders wichtig, dass man offen und auf-
geschlossen auf seine Arbeitskollegen zugehen kann. Hierbei spielt Selbstbewusst-
sein, Empathie und Sprachfertigkeit eine große Rolle. Das kann man im Modul
„Kommunikation im Unternehmen“ gut erlernen. Letztlich macht die Anwendung
der Techniken den Unterschied, wozu wir besonders eingeladen wurden.
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Berlin: Frank & Timme.
Margret Mundorf, M.A., lehrt, berät und forscht selbstständig als Linguistin, zertifizierte
Schreibberaterin/Schreibtrainerin und Lehrbeauftragte zu den Schwerpunkten Sprache
und Wissensvermittlung; Fachkommunikation in Wirtschaft und Recht sowie Schreiben,
Digitalität und künstliche Intelligenz. Am Fachbereich Betriebswirtschaft der Hochschule
Kaiserslautern unterrichtet sie u. a. Wirtschaftskommunikation und Studienmethoden.
Sie ist Mitglied des Vorstands der Gesellschaft für Schreibdidaktik und Schreibforschung
(gefsus) e. V. und Mitglied des Heidelberger Arbeitskreises für Rechtslinguistik; außerdem
Herausgeberin der Reihe „Theorie und Praxis der Schreibwissenschaft“ des wbv Media
sowie Gründungsmitglied des Virtuellen Kompetenzzentrums „Schreiben lehren und lernen
mit Künstlicher Intelligenz“.
Eva Seidl ist Germanistin mit den Arbeitsschwerpunkten universitäre Deutsch als Erst-,
Zweit- und Fremdsprachenlehre sowie Aus- und Weiterbildung für Sprachlehrkräfte. Als
Lehrbeauftragte an der Universität Graz unterrichtet sie Deutsch am Zentrum für Weiter-
bildung, am Zentrum für Sprache, Plurilingualismus und Fachdidaktik und am Institut für
Theoretische und Angewandte Translationswissenschaft. Ihre Forschungsschwerpunkte
sind translationsorientierte Sprachenlehre, Mobilitätsprozesse von Studierenden und
fachsensible Hochschuldidaktik.
User Interface (UI) Design of Banks’
Web Pages and Its Influence
on Fostering Financial Literacy of Users
Through Informal Learning
Abstract
retention (t(35) = 2.19, p = 0.035) and transfer scores (t(35) = 2.2, p = 0.02).
These results are significant for using the UI design of web pages to integrate
and educate people on financial matters and enhance their financial well-being.
Keywords
1 Introduction
2 Financial Literacy
3 Informal Learning
swift adoption of financial mobile apps (French et al. 2020), and the impact of
the COVID-19 pandemic have all prompted learners to use online platforms to
learn about financial topics. Online learning alternatives have given self-directed
learners a useful tool through which informal learning is only a click away
(Song and Bonk 2016). Furthermore, since informal learning is often linked
with qualities such as interactive, interesting, and enjoyable (Peters and Romero
2019), online learning options have many ways to warrant these qualities.
However, Fürstenau and Hommel (2019) found that participants without prior
financial knowledge resulted in lesser efficacy of informal learning online,
specifically on banks’ web pages. This could be ascribed to the ineffective UI
design.
UI design is the design of a space where the interaction between a human and
a machine occurs (Myers 1998). The objective of UI design is to maximise
usability and user experience (Punchoojit and Hongwarittorrn 2017). However,
a lack of usability can impact the user experience negatively. Nielsen und
Molich (1990) observed that if a design is unable to satisfy the needs of users
(i.e., usefulness), then it is not essential that the design is easy to use (i.e.,
effectiveness). In the case of online learning, if a UI design of a web page is
perceived by the learner to be not useful, then it will impede learning (Masood
and Thigambaram 2015). Such a design will demotivate users to interact with that
web page again. Hence, the UI design of web pages should keep the users’ needs
in view (Seuken et al. 2012).
People learning about financial concepts on web pages are not under expert
supervision or a structured curriculum. If UI design does not support their needs,
it can distort their financial learning. This can have detrimental repercussions.
Low financial literacy can lead to bad financial decisions that may set up the
individual for substantial financial losses (Bucher-Koenen and Ziegelmeyer
2014). Alternatively, the UI design of web pages can be used as an opportunity
to effectively teach financial topics. To make a correct financial decision, an
individual often needs to have a high level of financial literacy (Lusardi 2012).
For that reason, the UI of web pages consisting of financial knowledge should be
designed in a way that is easy for the learner to understand. In this case, research-
based UI design principles that support online learning should be used.
306 A. Malik et al.
According to the CTML, the human brain consists of three memory stores (the
sensory memory, the working memory, and the long-term memory), and learning
proceeds as follows: The sensory memory receives information in pictorial and
verbal format. Then, only selected information is processed in the working memory.
In working memory, information is structured in separate cognitive representations.
These newly formed cognitive representations have to be integrated with the
relevant prior knowledge and can then be stored in the long-term memory.
Against the background of UI design and ML principles, our study aims to
investigate whether a bank’s web page that has a UI design in the form of ML
principles better supports potential customers in acquiring financial knowledge
about a mortgage loan than a web page without this kind of UI design.
Our overall research question (RQ) is as follows: Does applying ML
principles to the UI of a bank’s web pages support learners in acquiring financial
literacy about mortgages in the context of informal learning? This overall RQ was
subdivided into the following two more specific RQs:
6 Methodology
We ran a lab experiment with an experimental and control group design. The
participants were 37 students in a bachelor’s programme in economics and
business at a German university. Their mean age was 22 years, with a standard
deviation of 2.1 years. The proportion of women was 56 %. The participants were
randomly selected and randomly assigned to an experimental or control group.
Eighteen candidates were assigned to the experimental group.
Participants in the control and experimental groups were asked to explore the
information about mortgage loans given on the web pages of a bank (Hypo-
Vereinsbank in Germany). This bank was chosen randomly from among the top
10 German banks according to total assets. The experimental group explored the
web pages enhanced with ML principles (Fig. 1a, 1b), whereas the control group
explored the original web pages (Fig. 2). Everything else was the same as on the
control group’s web pages.
Both web pages show a loan calculator that takes data about the following
items: (i) purchase price, (ii) desired loan amount, (iii) term of fixed interest, and
(iv) repayment rate. Participants had to enter the data regarding a specific house
to be purchased, and then they received the results.
Figures 1a, 1b show the web page of the bank with the following ML
principles applied: The pre-training principle was applied by adding the pop-up
window of key terms. The multimedia principle was applied by adding dynamic
graphs that changed in real time according to the input data from the user. The
signaling principle was applied by adding colours and highlighting the important
text. The segmenting principle was applied by displaying results in segments,
such as monthly rate and remaining debt. The spatial contiguity principle was
applied where the input information of the loan calculator was represented next
to the graphs. The temporal contiguity principle was applied with the graphs
changing in real time as the input information changed. The coherence principle
was applied by removing the unnecessary repetition of results.
User Interface (UI) Design of Banks’ Web Pages … 309
6.3 Questionnaires
7. Temporal conti-
guity: When the
input information
in the calculator 1. Pretraining: It pops
changes, results up when page opens,
change simultane- and is then clickable
ously. anytime.
2. Signal-
ling: Co-
lours,
headings,
5. Spatial contiguity:
etc.
Loan calculator informa-
6. Coherence: Input tion along with dynamic
data repeats, unne- graphs as pictures.
cessarily, in the 3. Multimedia:
results section of the Graphs as
original website, pictures.
which in these web- 4. Segmenting: Results are presented in
pages is removed. segments separately; loan repayment
and remaining debt.
or ‘no’ to this item and the other items accordingly. To quantify the financial
interest, answers were given a score of 1 if ‘yes’ was checked and 0 if ‘no’ was
checked. A maximum score of 6 could be reached.
Financial literacy was examined by means of the ‘Big 3’ (Lusardi 2019)
financial literacy questionnaire, which consists of three items. It was developed
by Lusardi and Mitchell (2017) and has been used and validated across many
different contexts globally. Each item had three answer choices, of which only
one was correct. For each right answer, 1 point was given; for wrong answers, 0
points were given. Hence, the maximum score was 3.
The numeracy questionnaire was adopted from Banks and Oldfield (2007),
who originally designed and applied the questionnaire in the context of financial
literacy to measure numeracy skills. The questionnaire contained five items.
Correct answers were given a score of 1, with incorrect receiving a 0, so the
User Interface (UI) Design of Banks’ Web Pages … 311
Fig. 2 Original web page of HypoVereinsbank presented to the control group. It was
accessed in June 2019 from the bank’s official website: www.hypovereinsbank.de. The
original web page was in German language. The figure shown here was developed by the
authors based on the original. Note, that the original bank’s web page was replaced in the
meantime
6.4 Procedure
Participants first signed a consent form and were then seated in separate cabins
in a lab in front of a computer screen. The material on the screen was self-
explanatory. First, they completed the participant questionnaire, the Big 3
questions, and the numeracy skills questionnaire. After this, the participants were
introduced to four objectives. Each objective required them to complete a specific
task on the loan calculator of HypoVereinsbank. There was a time limit of 10 min
for each of these objectives. The first objective was to explore the loan calculator
web page so that the participants could become familiarised. The other objectives
were more interactive, in that the participants had to concentrate on relationships
between the calculator items. For example, one of the objectives said: ‘Change
repayment rate to different lower and higher points and see how it impacts the
monthly rate and remaining amount. Keep the following items constant at these
points: Purchase price: € 500,000, desired loan amount: € 300,000, fixed interest
term: 15 years.’
After the completion of all objectives, participants answered four ReQs
within a time limit of two minutes per ReQ. Then, four TrQs were presented to
be answered within a time limit of five minutes for each. Both ReQs and TrQs
appeared on screen one by one. Participants had no knowledge about the order
of the questions, and it was up to each participant’s discretion to move to the
next question within the given time frame. The total duration of the experiment
was approximately 60 min. Finally, participants did not receive any monetary
incentive for participation, nor was there a debriefing session at the end.
User Interface (UI) Design of Banks’ Web Pages … 313
At first, we tested whether, in the beginning of the study, the control and
experimental groups were equivalent in terms of the key characteristics of
the study’s context. A t-test analysis indicated that the groups did not differ
significantly (t(35) = 0.36, p = 0.72) in financial interest, financial literacy level,
and numeracy skills (Table 1). Therefore, we concluded that the random selection
procedure in forming groups was successful.
The main objective of this study was to determine, within the context of informal
learning, whether the UI design of a bank’s web pages contributes to increasing
the financial literacy of customers in terms of retention and transfer learning.
For that purpose, we tested our two hypotheses (see the research questions and
hypotheses section). Table 2 shows, for both groups, the means and standard
deviations of the total test scores, as well as the retention and transfer scores
separately. As summarised in the last column in Table 2, a t-test showed that
the experimental group performed significantly better than the control group on
the learning test, t(35) = 2.31, p = 0.027 (α < 0.05), yielding an effect size of
d = 0.76. Therefore, our overall hypothesis is supported in our data.
Furthermore, the first row of Table 2 shows that the experimental group
performed significantly better than the control group on the retention part,
t(35) = 2.19, p = 0.035 (α < 0.05), yielding an effect size of 0.77. Therefore, our
first subhypothesis is supported by our data. Finally, the second row in Table 2
shows that the experimental group performed significantly better than the control
group on the transfer part as well, t(35) = 2.31, p = 0.027 (α < 0.05), yielding an
effect size of 0.61. This means that we can also keep the second subhypothesis.
Table 2 Mean, standard deviation, p-values, and effect sizes of retention, transfer, and
total scores of both groups
Variables EG CG
M SD M SD p d
Retention 4 0.7 3 1.1 0.035 0.77
Transfer 11 4 8.8 4 0.027 0.61
Total 14.7 3.8 11.7 4.1 0.027 0.76
(Retention + Transfer)
TrQs were rated independently by two raters. Interrater reliability showed a dis-
parity of less than 5 % in their ratings, which remained after other disagreements
were resolved through consent.
7.3 Discussion
Overall, our hypotheses are supported by our data, which means there is evidence
that the UI design of a bank’s web pages (i.e., applying ML principles) has
an impact on increasing the financial literacy of users in the informal learning
context.
The need for informed financial decision-making is on the rise. The existence
of various factors around the world points towards this need. To illustrate, the
continuous amendments in the pension laws of several governments (Alonso-
García and Rosado-Cebrian 2021) against their respective citizens have left
people to plan for their retirements on their own. Furthermore, factors such as
college loans (Daniels and Smythe 2019) and consumerism (Amanda et al. 2018)
have led even younger people to make critical financial decisions that may affect
them for their lifetime. People need to develop financial competence to tackle the
compelling need to make informed financial decisions.
However, there is an up-taking trend of rapid development in the financial
sector in terms of increasing financial technologies (Azarenkova 2018). Techno-
logy and innovation contend with the traditional methods of financial services
delivery. This points to the issue that, given the prevalence of digitisation within
the wider spectrum of the financial world, it has become crucial to develop a
relevant financial competence that includes not only financial knowledge but
User Interface (UI) Design of Banks’ Web Pages … 315
also the digitalization aspect—for instance, the ease of interaction with financial
technologies. Even for users with a higher financial knowledge, a lack of ease in
learning about emerging financial technologies can still negatively impact users’
financial decisions. Within this context, new ways to increase financial literacy,
apart from classroom learning and the like, require further exploration. This
study explored UI, as this is where human-computer interaction (HCI) occurs.
Since this is a touchpoint, it could be investigated in further ways to develop the
requisite financial competence that is necessary today.
The results of this study can be applied in other online settings as well,
particularly those that aim to support understanding of complex financial products
or topics. Especially in the context of vocational or customer education, the
incorporation of UI design variables can be amplified to support elearning.
7.4 Limitations
Limitations of the study are that we applied several ML principles to the web
pages and cannot attribute learning to a single ML principle. Instead, this study
represents a holistic viewpoint, with the consequence that we do not know how
many principles should be applied and how they should be composed. However,
since many studies have focused exclusively on the effectiveness of one principle,
our study is unique in that we could show the effectiveness of a combination of
principles.
The comparatively small sample size and lower heterogeneity of participants,
as they were all students in a university, can be questioned, though the results
speak in favour of our hypotheses. Nevertheless, a replication study with a more
heterogeneous group of participants could help underpin the results.
In addition, the kind of environment used for informal learning to imitate
everyday lifelike situations may not have been sufficient. Future research
could investigate specific different elements of UI on websites and their impact
on the users—for example, the use of pictures. Pictures could be a strong
communication tool. Therefore, an area of examination could be the kind of
pictures within the financial context that can foster learning. Furthermore, another
area of investigation could be an analysis of the level of learners’ engagement
resulting from the UI design of a website within the financial context, since
engagement plays a key role in fostering learning.
316 A. Malik et al.
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Bärbel Fürstenau, Prof. Dr., TU Dresden, Faculty of Business and Economics, Chair
of Business Education and Management Training. Research expertise: development
and evaluation of complex learning environments; empathic interaction, resilience and
reflection of professionals; informal learning; multimedia learning; financial literacy;
concept maps and concept mapping, measuring complex knowledge. Teaching expertise:
various fields of business education and vocational education and training (e.g. foundations
and specifics of learning and instruction); human resource development (e.g. workplace
learning); research methods
Abstract
Keywords
“I know exactly how you feel!”—it is not only since the recent Covid-19
pandemic and the immense challenges it has brought that people are longing
for encouragement expressed through understanding and respectful inter-
actions in both their private and professional lives (Edmondson and Lei 2014).
For example, employees appreciate it when their supervisors take childcare into
consideration or when their team members notice their discomfort with new tasks
and therefore offer support. In common parlance, people label such situations
as ones of experienced empathy. Empathy represents a desirable character trait
in daily interactions (Roth et al. 2016a), as empathic people are compassionate
and show interest in their dialogue partners’ well-being (Schmitt 2003), allowing
them a sense of connection and empowerment that facilitates navigation through
their complex everyday lives (Davis 1996). However, although empathy gene-
rally arouses positive connotations (Roth and Altmann 2021) and is widely used
in everyday language (Roth et al. 2016a), the precise understanding of the term
remains diffuse (Singer and Decety 2011).
In addition to its frequent use in everyday language, there is also a growing
interest in empathy in various research disciplines, for example, in social science
(e.g. Gerdes and Segal 2011), pedagogy (e.g. Feshbach and Feshbach 2009), (social)
neuroscience (e.g. Pfeifer and Dapretto 2009) and organisational science (e.g. Clark
et al. 2019). Analogous to the imprecise use in everyday language, the mentioned
research disciplines provide a number of different empathy definitions and
conceptualization attempts (e.g. Batson 2009; Cuff et al. 2014). For organisational
Recipients’ Views on Empathy in Everyday Work Communication … 325
2.1 Sampling
The present study applied convenience sampling and considered a sample of ten
cases, i.e. interviewees I1–I10, working in the field of business administration in
Germany1, who reported on 20 everyday work situations in total.
The small number of cases allowed an in-depth examination of the selected
sample (Döring and Bortz 2016). The selected cases ranged in age from 25 to
61 years old. The average age was 38.9 years. To capture as many different
perspectives on empathy as possible, the sample included cases from different
branches, departments and positions. Table 1 summarizes the interviewees’ socio-
demographic data.
For the data collection, semi-structured interviews were conducted since they
encourage the interviewees to express personal views and feelings using their
own words. At the same time, the interview guide offered a structure that allowed
the comparison of statements (Döring and Bortz 2016; Flick 1999).
For the construction of the interview guide, the present study built upon
Becker et al.’s “structure of psycho-physical systems in person-environment
relation” (1987), as this model aims to describe and explain people’s experiences
and behaviours in detail. The model’s central assumption is that human behaviour
results from the interaction between an individual and environment. In a first
step, the individual perceives, for example, a PoE or LoE situation. This situation
1 Asthe interviews were conducted in German, the direct quotations given in this paper are
verbatim translations by the authors.
Recipients’ Views on Empathy in Everyday Work Communication … 327
triggers emotional, cognitive and motivational processes within the person and
finally the individual shows a reaction (Becker et al. 1987). The interview guide
depicted central components of the model and combined thematically related
questions in question areas (QAs).
Starting off with one PoE and one LoE situation as critical incidents (Flanagan
1954) in QA1, the subsequent QAs focused on frame conditions (QA2),
occasions when PoE and LoE situations occurred and their consequences (QA3),
experienced emotions during PoE and LoE situations (QA4), the interviewees’
goals and expectations associated with the described situations (QA5) and the
measures already taken or intended to pursue in order to achieve these goals
(QA6). Finally, QA7 offered space to express further thoughts and ideas on
received empathy.
2 I10 experienced PoE and LoE situations in different employment relationships. Therefore,
a distinction is made between LoE and PoE for department affiliation and branch
affiliation, respectively.
328 C. Muss and B. Fürstenau
The interviews were audio recorded and transcribed with reference to the
transcription rules established by Kuckartz (2010). The interviews’ lengths ranged
between 22 (interview 10) and 56 (interview 6) minutes. The average length of
the interviews was 37 min. To analyse the recorded material, the present study
applied a mixture of structuring and summarizing qualitative content ana-
lysis, according to Mayring (2015) and Kuckartz (2018). In the course of
the structuring content analysis, as the first step, seven main categories were
deductively derived from the interview guide and defined independently from the
collected data. Table 2 lists the seven main categories and shows their underlying
questions.
In a second step, inductively identified coding units from the transcribed
interview material were bundled into subcategories and allocated to the main
categories. To ensure consistent data allocation, a coding guideline (Mayring
2015) provided precise definitions, anchor samples and coding rules for all seven
main categories. Both steps were conducted for PoE and LoE situations.
3 Results
In sum, the interviews cover 20 everyday work situations, with each of the 10
interviewees (I1–I10) contributing one self-experienced PoE and one LoE
situation.
As the interviewees could choose their PoE and LoE situations individually
and without prior instructions, the dialogue partners they refer to represent
different hierarchical relationships with respect to the interviewees. Table 3
summarizes the hierarchical relationships of the interviewees with regard to
their dialogue partners and differentiates between peers, such as team members;
superiors, who are mostly equivalent to the interviewees’ heads of depart-
ment; and subordinates, for example, apprentices. While PoE situations were
experienced primarily in interactions with peers, the majority of interviewees
mentioned superiors as dialogue partners in LoE situations.
Starting from the self-experienced PoE and LoE situations, 426 interviewee
statements relevant to the research question (= coding units) could be identified
and assigned to the predefined main categories. While 208 coding units refer
to PoE situations, 218 coding units mention LoE situations. On average, each
interviewee contributes 43 coding units (Min = 30, Max = 52, SD = 6.8).
3.1 Occasions
(1) technical discussions that deal with a work-related topic, e.g. handovers (I4)
or shift schedules (I10);
(2) personal issue talks concerning, for example, insecurities (I5);
(3) cyclically recurring meetings, such as a weekly team jour fixe (I3);
(4) feedback meetings that are arranged with the intention of giving and/or
receiving feedback (i.a. I6) and
(5) corridor discussions, meaning informal talks taking place outside of official
meetings (I2).
In the first conversation, the positive one, I just went to him [the empathy sender], in
the middle of the day, totally spontaneously, and I started talking to him.
In terms of the number of coding units, frame conditions represent the most
relevant main category: 121 coding units reveal a multitude of different aspects
that influence PoE and LoE situations from the recipients’ points of view.
On an aggregated level, the coding units can be allocated to the following five
subcategories:
For both PoE and LoE situations, recipients mainly see other persons, primarily
the senders (e.g. in terms of their body language, character traits and expressive
abilities) or external factors (e.g. timeframes and interior design) as responsible
for frame conditions.
Recipients’ Views on Empathy in Everyday Work Communication … 331
For example, I3 attributes the success of their PoE situation to the sender’s
attitude:
It is simply his [the empathy sender’s] attitude, the way he [the empathy sender]
talks to me about the results of my work, that is satisfying.
In their LoE situation, I2 feels at the mercy of the sender’s indiscretion and states
the following:
So, for example, he [the non-empathy sender] lacks tact [...]. [He does not] ask, “Is
it okay with you?ˮ [...]
Yes, so for me, empathy is always something that you actively shape, yes, even if
you [...] just want to receive it.
Aside from that, the few frame conditions the recipients accredit exclusively to
themselves are unequally distributed between PoE (8 coding units) and LoE (only
4 coding units). This unequal distribution suggests that recipients tend to attribute
more empathy-supporting frame conditions to themselves. The responsibility for
LoE is passed on to the non-empathy senders.
3.3 Consequences
The subcategories for consequences structure the identified coding units (69) and
indicate who is affected by the respective consequences: senders, recipients, third
parties, such as team members or the organisation as a whole. More than 70 % of
all the identified coding units affect the recipients (either exclusively or together
with other groups of persons). As a consequence of PoE situations, the majority
of the interviewees address an improved basis for follow-up conversations. Thus,
receiving empathy positively influences further collaboration between empathy
senders and recipients. The recipients memorize comfortable experiences and
trust in similar developments in the future, including I8, who makes the following
declaration:
332 C. Muss and B. Fürstenau
In some way, it [the PoE situation] created, let’s say, a bond of trust. I really
appreciated that he [the empathy sender] reacted in such a positive way, and for the
future, I know that, if there’s really an issue, I can go to him and talk about it.
[...] it [further collaboration after the PoE situation] was familiar. Much more
familiar. You have another kind of closeness. Unspoken.
[...] the consequence for the staff probably was that [...] it [the LoE situation] did not
contribute to a good climate.
[...] the togetherness crumbles in such situations.
3.4 Emotions
Emotions stated in connection with PoE and LoE situations are multifaceted.
Seventy coding units reveal the interviewees’ perceived emotions before, during
and after empathy-relevant communication situations. Before PoE and LoE,
the emotions are diverse. The recipients characterize their emotions as positive,
neutral or negative. During PoE, all the interviewees experience positively
connoted emotions, such as joy, relaxation, ease and satisfaction. During LoE,
the recipients feel predominantly negative emotions, for example, uncertainty,
discomfort, tension and fear. These emotions mainly outlast the specific
occurrences described and persist afterward: nine interviewees state experiencing
positively connoted emotions after their PoE situations and all the interviewees
Recipients’ Views on Empathy in Everyday Work Communication … 333
mention feeling negatively connoted emotions after their LoE situations, which
are illustrated by the following quotes:
So it is like this: Afterwards [after the PoE situation], you felt satisfied, happy and
released, because she [the empathy sender] reacted in such a positive way. (I10)
[...] so, for me, eh, disappointment developed [after the LoE situation]. [...] In some
situations, this disappointment is still there, yes. (I3)
3.5 Goals
My ideal conception is always [...] that by acting empathically, one is neutral, one
can address topics, [...], one takes the other person seriously, one listens to the other
person. Yes, one reflects on the other’s words, and if you consider all these points,
yeah, the whole thing involves valuing, yes, then, in the end, you probably achieve a
good result. And that is the ideal conception.
3.6 Expectations
As with the goals, the coding units for expectations (21) can be divided
into interpersonal, technical and personal expectations, but, in contrast, the
expectations are not only optimistic regarding both PoE and LoE situations.
Taking into account existing circumstances, the recipients expect, for example,
misunderstandings and further escalations. For example, I10 even expects a lack
of understanding from the dialogue partner in the run-up to the PoE situation:
I thought that she [the empathy sender] would react kind of mean. [...] I expected
her [the empathy sender] to react in a negative way.
334 C. Muss and B. Fürstenau
(1) Prevention activities bundle together all the measures undertaken after
PoE and LoE situations, but before follow-up discussions, with the aim of
approaching the ideal state. Preparing for conversations (both professionally
and mentally) (I5, I7); creating a pleasant (i.a. I2), calm (i.a. I10), confidential
(i.a. I9) and solution-oriented atmosphere (i.a. I6) and assigning sufficient
time (i.a. I9) are intended action steps the interviewees want to take.
(2) A consensus orientation comprises approachable behaviours that the
interviewees would like to use as measures in future discussions. To
achieve their goals, they strive for open and honest interactions with their
dialogue partners, which allow for consensual solutions. For I5, a consensus
orientation is expressed through the following actions:
You somehow try to, yes, to guess the other person’s mood and then to bring
up a respective topic.
Recipients’ Views on Empathy in Everyday Work Communication … 335
Or you wait until she [the dialogue partner] is in a good mood. [...] you notice:
Ok, now, at the moment, she [the dialogue partner] feels good. [...] And only
then, you start talking to her.
(5) Reflection collects together all the measures that include consciously
thinking about PoE or LoE situations after they have occurred. The
interviewees consider how to implement their ideals in follow-up
discussions. This reflection can take place alone (i.a. I1) or together with
their dialogue partners (I4). For I1, reflection plays an important role,
especially after PoE situations:
You always have to reflect and ask yourself: Well, what happened there [in the
PoE situation]? Why did certain things happen? Yes, even if everything went well.
(6) After LoE situations, interviewees take mediation into account. They want
to involve neutral third parties as trust-building authorities in follow-up
discussions, as I5 explains below:
[...] you try to talk with your colleagues. You ignore him [the dialogue partner],
you decide on your own, even if it is not within your power. [...] Yes, it’s avoidance.
(8) Only one coding unit from I3 and in connection with a PoE situation
expresses how subordinate behaviour can be used as a measure to achieve
goals. I3 strives to meet their dialogue partner’s expectations in order to
receive empathy:
336 C. Muss and B. Fürstenau
I tried to meet his [the dialogue partner’s] expectations [...] so that he [the dialogue
partner] was not disappointed. [...] I know that this man [the dialogue partner]
works hard and that he appreciates high-quality work. That’s why I try to meet his
expectations, and, yes, to give him a treat by taking work off his shoulders.
Table 4 summarizes all the main categories with the corresponding subcategories
for both the PoE and LoE situations. The numbers in brackets indicate (1) the
overall number of coding units assigned to the respective subcategory and (2) the
number of interviewees that address the subcategory with one or more coding
units. As the interviewees can address the subcategories with different coding
units more than once, the first number in brackets may exceed the second one.
(continued)
Recipients’ Views on Empathy in Everyday Work Communication … 337
Table 4 (continued)
Emotions
Before PoE Before LoE
• Negative (5/5) • Negative (6/6)
• Neutral (5/5) • Neutral (5/5)
• Positive (3/3) • Positive (1/1)
During PoE During LoE
• Positive (10/10) • Negative (8/8)
• Neutral (2/2) • Neutral (3/3)
• Negative (1/1)
After PoE After LoE
• Positive (9/9) • Negative (10/10)
• Neutral (1/1)
• Positive (1/1)
Goals
PoE LoE
• Interpersonal (16/7) • Interpersonal (7/7)
• Technical (11/5) • Personal (4/3)
• Personal (2/2)
Expectations
PoE LoE
• Interpersonal (4/4) • Interpersonal (6/6)
• Technical (4/4) • Technical (3/3)
• Personal (3/3) • Personal (1/1)
Measures used to achieve goals
PoE LoE
• A consensus orientation (8/2) • Prevention (15/8)
• Prevention (6/3) • Readiness to engage in dialogue (11/6)
• Readiness to engage in dialogue (2/2) • Tactical-situational strategies (10/6)
• Tactical-situational strategies (2/2) • A consensus orientation (9/5)
• Reflection (2/1) • Avoidance (3/2)
• Subordination (1/1) • Mediation (3/2)
• Reflection (3/1)
4 Discussion
relations between themselves and their dialogue partners (i.e. at the interpersonal
level). Instead, their considerations also include groups and teams (i.e. the team
level), as well as the organisation as a whole (i.e. the organisational level). The
necessity of such a multi-level perspective on empathy in the organisational
context is also stressed by Burch et al. (2016). Burch et al. (2016: 183) underline
that “these levels [of empathy, e.g. the personal level, the interpersonal level,
the team level, the organisational level] exist simultaneously throughout the
organisation, thereby creating interactions among levels.” By revealing team-
related aspects and those related to the organisation as a whole as consequences
of interpersonal empathy experiences, the present exploratory interview study
meets Burch et al.’s (2016: 183–184) requirement to further conduct “research
[…] within [emphasis added] levels […], to […] strengthen the claims of a multi-
level model [of empathy in organisations]”. The recipients’ insights into these
multi-level consequences of PoE and LoE again emphasize empathy’s relevance
for interpersonal communication in organisations.
Third, the interviewees provide important insights into frame conditions that
influence the receiving or non-receiving of empathy from the recipients’ points
of view. Coding units reveal that the recipients see themselves in a rather passive
role and dependent on influencing factors outside of their area of control (see
frame conditions). At first glance, the high number of coding units reflecting
measures used to achieve goals (75) seems to contradict the interviewees’ self-
imposed passivity, which becomes apparent looking at the frame conditions.
The interview guide resolves this contradiction since QA6 focuses not only on
measures already taken but also on possible measures planned for the future.
This two-sided consideration leads to the conclusion that the interviewees have
recognized that they need to make a contribution in order to receive empathy
but that the majority of them have not yet done so. A possible reason for this
inactiveness could be that the recipients do not know how to put their ideas into
practice, e.g. how to communicate politely and convey a consensus orientation
or how to independently create a pleasant, calm, confidential and solution-
oriented atmosphere (see measures used to achieve goals). The supposed lack
of knowledge could, in turn, issue from the existing focus on empathy senders
when it comes to recommendations for action to increase empathy in daily inter-
actions in the workplace (e.g. Ebert and Pastoors 2018; Heim and Lindemann
2016; Pásztor and Gens 2010). Therefore, targeted training programmes, which
consider the recipients’ perspective and value the relational character of empathy
(Barrett-Lennard 1981; Davis 1996; van Dijke et al. 2020), are necessary to
further strengthen the recipients’ awareness of their active role in empathic
communication. These training programmes could build on the recipients’
340 C. Muss and B. Fürstenau
concrete proposals (see measures used to achieve goals) and offer practical
tools to facilitate implementation, thus representing an essential step towards
sustainably improving interpersonal communication in organisations.
References
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Clark, Malissa A., Melissa M. Robertson, and Stephen Young. 2019. “I feel your pain”:
A critical review of organizational research on empathy. Journal of Organizational
Recipients’ Views on Empathy in Everyday Work Communication … 343
Bärbel Fürstenau, Prof. Dr., TU Dresden, Faculty of Business and Economics, Chair
of Business Education and Management Training. Research expertise: development
and evaluation of complex learning environments; empathic interaction, resilience and
reflection of professionals; informal learning; multimedia learning; financial literacy;
concept maps and concept mapping, measuring complex knowledge. Teaching expertise:
various fields of business education and vocational education and training (e.g. foundations
and specifics of learning and instruction); human resource development (e.g. workplace
learning); research methods
Stressmanagement und
Resilienzförderung für zukünftige
Arbeitnehmer und Führungskräfte
während der Coronakrise
Zusammenfassung
Schlüsselwörter
1 Hintergrund
Die Gesundheit und die Resilienz von Studenten1 als (zukünftige) Arbeitnehmer
und Führungskräfte zu erhalten und auszubauen, scheint angesichts vielfältiger
Herausforderungen im Studium und Arbeitsleben immer wichtiger zu werden.
Die Zielgruppe der Studenten wirkt zudem bereits in das Arbeitsleben hinein,
da Studenten heutzutage meist schon frühzeitig nebenberuflich tätig sind (z. B.
durch eine Werkstudentenstelle) oder sich sogar neben dem Studium selbstständig
machen. Auch diese Doppelbelastung durch Studium und Arbeitstätigkeit macht
Gesundheitsförderung im Hochschulkontext bedeutsam. Es hat sich zudem gezeigt,
dass Gesundheit und Wohlbefinden von Studenten bereits aufgrund verschiedener
Einflussfaktoren, wie z. B. des Arbeitspensums im Studium, Veränderungen des
sozialen Umfelds oder finanzieller Abhängigkeiten, nicht immer langfristig auf-
rechterhalten werden können. Gesundheitliche Probleme und psychische Störungen
können die Folge sein (z. B. Auerbach et al. 2016). Laut einer Untersuchung von
Bailer et al. (2008) wiesen bereits 22,7 % der Studenten an einer deutschen Hoch-
schule eine psychische Störung auf, darunter beispielsweise Angststörungen und
1 Aus Gründen der Lesefreundlichkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung maskuliner,
darüber, ob und wie Studenten als aktuelle bzw. zukünftige Arbeitnehmer und
Führungskräfte durch erlerntes Stressmanagement und Resilienzförderung
präventiv gestärkt werden können, um zukünftig erfolgreich mit Heraus-
forderungen und Krisen umgehen zu können. Weiterhin ergeben sich Hinweise,
die bedeutsam für zukünftige Interventionen und weitere Forschung sind.
2 Methode
Die Intervention wurde in ein Masterseminar für Studenten an einer Fakultät für
Wirtschaftswissenschaften einer großen, deutschen Universität im Wahlpflicht-
bereich implementiert. Das Seminar beschäftigte sich mit den Themen Personal-
entwicklung und Gesundheitsförderung im Unternehmenskontext. An das Seminar
schloss sich als Praxisbeispiel für Gesundheitsförderung in der Praxis ein Training
zur Stressbewältigung an, welches die Studenten dann in der Rolle eines regulären
Workshop-Teilnehmers (d. h. losgelöst vom universitären Benotungskontext)
besuchten. Die gleichzeitige Teilnahme am Seminar und der Intervention wurde
transparent kommuniziert und Studenten konnten sich freiwillig für eine Teilnahme
entscheiden. Um gleichzeitig adäquate Kontrollgruppenteilnehmer zu akquirieren
und Drop-Outs zu verhindern, wurden die Teilnehmer gebeten, sich einen Kontroll-
gruppenpartner zu suchen, welcher ähnliche demografische Merkmale aufwies
(Alter, Studiengang, Geschlecht usw.). Dieser sollte zeitgleich an keinem ähn-
lichen Training/keiner ähnlichen Intervention teilnehmen. Zudem wurde um
Verschwiegenheit gegenüber diesem Partner bis zum Ende der Studie gebeten. Ins-
gesamt nahmen über zwei Semester 50 Studenten an der Studie teil, davon je 25 an
der Intervention und 25 als Kontrollgruppenpartner. Das Seminar (und damit die
Intervention) ging regulär über ein ganzes Semester und fand über 12–14 Wochen
einmal wöchentlich statt. Eine Seminareinheit dauerte zwischen 90 und 180 min.
Die Intervention ist eine, an die Zielgruppe adaptierte, Version des Stress-
bewältigungstrainings nach Kaluza (2015). Sie zielt sowohl auf die Beeinflussung
stresserzeugender Bedingungen als auch auf die Veränderung physiologisch-
emotionaler Stressreaktionen ab, womit das als gesundheitsförderliche und adaptiv
geltende problem- und emotionsortientierte Coping (Lazarus und Folkman 1984)
352 N. Peters und B. Fürstenau
unterstützt wird. Das Training basiert dabei auf kognitiv-behavioralen und Acht-
samkeitsansätzen. Methodisch enthalten sind u. a. psychoedukative Techniken,
Entspannungstraining, kognitive Restrukturierung zu positivem Umdenken,
systematisches Problemlösetraining und Zeitplanung (Kaluza 2015). Das Training
umfasst vier Hauptmodule und mehrere Nebenmodule, welche vom Trainer selbst
gewählt werden können. Aufgrund des digitalen Formats wurden alle Neben-
module bis auf „Sport und Bewegung“ berücksichtigt (Abb. 1). Die Potenziale
dieses Moduls als Unterstützungsmöglichkeit sowie dessen Umsetzung wurden
jedoch in verschiedenen Modulen angesprochen. Da die Intervention sämt-
liche Inhalte und Methoden umfasst, welche ebenso in Interventionen für
Resilienzförderung genutzt werden (u. a. Entspannungsübungen, kognitive
Restrukturierung, Zeitmanagement), ist davon auszugehen, dass das Training
sowohl dem Stressmanagement als auch der Resilienzförderung dient.
Semesterstart Semesterende
T1:
I K T2:
I K T2:
I K
Fragebogen Fragebogen Fragebogen
Teil 1 Teil 2 Teil 2
Online: Seminar/Intervention
I Interventionsgruppe
Ein Semester (ca. 12-14 Wochen) 6 Wochen K Kontrollgruppe
Abb. 2 Studiendesign
2.3.1 Stresserleben
Das Stresserleben bzw. Stressempfinden basiert laut Lazarus (1966) auf der
Bewertung der Stressoren und Situationen, nicht auf dem objektiven Eintreten der
Ereignisse selbst und definiert sich daher als „particular relationship between the
person and the environment that is appraised by the person as taxing or exceeding
his or her resources and endangering his or her well-being“ (Lazarus und Folkman
1984: 19). Auf Basis dieser Auffassung wurde zur Messung des Stresserlebens der
Studenten die verkürzte, aber laut Cohen und Williamson (1988) ebenso geeignete
Version (PSS10) der ursprünglichen Perceived Stress Scale (Cohen et al. 1983)
eingesetzt2. Teilnehmer schätzten zu jedem Item die Häufigkeit ihres Denkens
oder Fühlens auf einer 5-stufigen Likertskala von 0 (nie) bis 4 (sehr oft) ein. Die
2 Um die Höhe des Stresserlebens, Wohlbefindens und der Resilienz zu messen, wird bei
allen drei Messinstrumenten ein Summenwert gebildet. Aus Darstellungsgründen wird in
den folgenden Grafiken der reguläre Mittelwert verwendet. Ergebnisse bleiben von dem
Vorgehen unberührt.
354 N. Peters und B. Fürstenau
PSS10 wurde bereits vielfach zur Messung von Stressempfinden eingesetzt und
die psychometrischen Eigenschaften wurden mehrfach als gut und angemessen
eingestuft (z. B. Lesage et al. 2012; Nordin und Nordin 2013). Dies gilt auch für
die Gruppe der Studenten (z. B. Denovan et al. 2019; Smith et al. 2014).
2.3.2 Wohlbefinden
Die Ausprägung der Variable Wohlbefinden wurde über den 5-Item World Health
Organization Well-Being Index (WHO-5) erhoben, einer kürzeren Version des
WHO-10 (Bech et al. 1996). Das Instrument zielt auf die Messung von „mental well-
being“ ab und besteht aus einem eindimensionalen Selbstbeurteilungsverfahren. Mit
mental well-being ist hier das subjektive Wohlbefinden gemeint, welches „a person’s
evaluation of their own life – both emotionally and cognitively“ (Tov 2018: 2) auf-
greift. Dabei sieht die WHO positives, subjektives Wohlbefinden auch als Synonym
für oder Teil der mentalen Gesundheit, welche jedoch im Umkehrschluss nicht zu
verwechseln ist mit der bloßen Abwesenheit von Krankheit (Topp et al. 2015). Vor
diesem Hintergrund sind alle Items dieses Instruments positiv formuliert. Der Frage-
bogen WHO-5 wurde in seiner Kurzform innerhalb eines Projekts der WHO 1998
in Stockholm vorgestellt (Bech 2012). Insgesamt gilt der WHO-5 als einer der
bekanntesten und – aus psychometrischer Sicht gesehen – robustesten Fragebögen
(Bech 2012). Er ist in über 30 Sprachen validiert worden (Topp et al. 2015). Teil-
nehmer können die Aussagen des WHO-5 auf einer 6-stufigen Likertskala von 0 (zu
keinem Zeitpunkt) bis 5 (die ganze Zeit) einschätzen.
2.3.3 Resilienz
Der Begriff Resilienz wurde bereits auf unterschiedlichste Weise definiert. Unter
psychologischer Resilienz (von welcher hier gesprochen wird) wird jedoch
im Allgemeinen „positive adaption in the face of significant adversity“ (Luthar
et al. 2000: 543) oder „personal qualities that enable one to thrive in the face
of adversity“ (Connor und Davidson 2003: 76) verstanden. Um diese psycho-
logische Resilienz bei Studenten zu erheben, wurde die CD-Risc-Skala, d. h. die
Connor-Davidson Resilience Scale (Connor und Davidson 2003), genutzt. Die
Skala wurde entwickelt, um Resilienz reliabel zu messen. Sie kann sowohl in der
Allgemeinbevölkerung als auch in klinischen Studien angewandt werden (Connor
und Davidson 2003) und wurde schon häufiger zur Veränderungsmessung bei
Interventionen genutzt. Die Selbsteinschätzungsskala umfasst 25 Items, welche
auf einer 5-stufigen Likertskala von 0–4 (0 = stimmt überhaupt nicht; 4 = stimmt
vollständig) beantwortet werden. Die CD-Risc-Skala weist laut den Autoren eine
gute interne Konsistenz, Validität und Reliabilität auf, wurde in den letzten Jahr-
zehnten in über 70 Sprachen übersetzt (Davidson 2022) und ist daher eine der am
meisten genutzten Skalen zur Erhebung (psychologischer) Resilienz.
Stressmanagement und Resilienzförderung … 355
2.3.4 Copingstrategien
Copingstrategien beziehen sich auf “cognitive and behavioral efforts to manage
specific external and/or internal demands that are appraised as taxing or
exceeding the resources of the person” (Lazarus und Folkman 1984: 141). Sie
werden häufig unter dem Begriff “Bewältigungsstrategien” zusammengefasst.
Um die Ausprägung verschiedener Copingstrategien bei den Teilnehmern zu
messen, wurde der Brief COPE-Fragebogen von Carver (1997) genutzt. Dieser
ist eine gekürzte Version des ursprünglichen COPE Inventory-Fragebogens
(Carver et al. 1989), welcher auf dem transaktionalen Stressmodell nach Lazarus
und Folkman (1984) beruht. Dieser wurde aufgrund seines Umfangs von 60
Items von Carver et al. (1989) gekürzt und leicht abgeändert. Diese gekürzte
Version (Brief COPE) besteht aus 28 Items, von denen jeweils zwei in eine Kate-
gorie zusammengefasst werden. Die Copingstrategien lassen sich dabei grob in
adaptive (z. B. positives Um denken, Planen, instrumentelle Unterstützung) und
maladaptive Strategien (z. B. Selbstvorwürfe, Leugnen) und damit in funktional
und gesundheitsförderlich bzw. dysfunktional und risikoreich für die Gesund-
heit (Frost und Mierke 2013) einordnen. Die Beantwortung erfolgt auf einer
4-stufigen Likertskala von 0 (überhaupt nicht) bis 3 (sehr häufig).
3 Ergebnisse
Angeboten vor, an denen bereits ca. ein Viertel der Studenten teilgenommen
hatte. Insgesamt ließ sich jedoch eine Tendenz dahingehend feststellen, dass an
den Angeboten bisher eher nicht teilgenommen worden war (Abb. 3). Beweg-
gründe zur Teilnahme am Seminar waren vor allem das spezifische Interesse am
Thema und der Art des Seminars sowie die Erwartung dessen als Unterstützungs-
potenzial. Weitere deskriptive Daten (wie z. B. zu Vorwissen und nebenberuf-
licher Tätigkeit) der Teilnehmer sind in Tab. 1 zu finden.
3 Daeine Verletzung der Voraussetzung der Sphärizität vorlag, wurde eine Huynh–Feldt
Korrektur der Freiheitsgrade vorgenommen.
358 N. Peters und B. Fürstenau
Um die Entwicklung der Hauptvariablen über die drei Messzeitpunkte für die
Gruppen zu messen und dann zu vergleichen, wurde erneut eine ANOVA mit Mess-
wiederholung durchgeführt. Die Variable der Gruppierung als Interventions- oder
Kontrollgruppe war dabei der Zwischensubjektfaktor. Die Ergebnisse zeigen, dass
es keinen signifikanten Interaktionseffekt von Zeit und Gruppe für Stresserleben
(F (2,96) = 1.031, p = .361, ηp2 = .021) und Resilienz (F (2,96) = 1.767, p = .176,
ηp2 = .036) gab. Hingegen zeigt sich für die Variable Wohlbefinden ein signi-
fikanter Haupteffekt für den Faktor Zeit (F (2,96) = 3.602, p = .031, ηp2 = .070). Ein
Bonferroni-korrigierter post-hoc Test zeigte eine signifikante Veränderung des Wohl-
befindens für beide Gruppen zwischen T1 und T2 (p = .018). Die Mittelwerte sanken
bei beiden Gruppen zwischen diesen Messzeitpunkten. Ein signifikanter Interaktions-
effekt von Zeit und Gruppe konnte jedoch nicht gefunden werden (F (2,96) = .507,
p = .604, ηp2 = .010). Alle relevanten Werte für die Analyse der Variablen Stress-
erleben, Wohlbefinden und Resilienz finden sich in Tab. 2 und 3. Die grafische Dar-
stellung der Entwicklung von T1 bis T3 ist Abb. 4, 5 und 6 zu entnehmen.
Darüber hinaus gab es keinen signifikanten Interaktionseffekt von Zeit und
Gruppe bei den folgenden Copingstrategien: Ablenkung (F (2,96) = .970, p = .383,
ηp2 = .020), Aktives Bewältigen (F (2,96) = .309, p = .735, ηp2 = .006), Leugnen
(F (2,96) = .141, p = .868, ηp2 = .003), Verhaltensrückzug (F (2,96) = 1.106,
p = .335, ηp2 = .023), positives Umdenken (F (2,96) = .646, p = .526, ηp2 = .013),
Tab. 2 Entwicklung der Variablen Stresserleben, Wohlbefinden und Resilienz der Inter-
ventionsgruppe
Interventionsgruppe (n = 25)
T1 T2 T3
Variable M SD Msum SDsum M SD Msum SDsum M SD Msum SDsum
Stresserleben 1.41 .58 14.12 5.83 1.30 .57 13.04 5.66 1.41 .69 14.12 6.91
Wohlbefinden 3.02 .90 15.12 4.49 2.67 .69 13.36 3.46 2.62 .91 13.08 4.56
Resilienz 2.76 .37 69.12 9.19 2.89 .42 72.20 10.38 2.82 .46 70.44 11.40
Stressmanagement und Resilienzförderung … 359
4 Da eine Verletzung der Voraussetzung der Sphärizität vorlag, wurde eine Huynh–Feldt
Korrektur der Freiheitsgrade vorgenommen.
5 Da eine Verletzung der Voraussetzung der Sphärizität vorlag, wurde eine Huynh–Feldt
1
Stressmanagement und Resilienzförderung …
0
Aktive Positives Emotionale Instrumentelle Planen Humor Akzeptanz Religion/
Bewältigung Umdenken Unterstützung Unterstützung Meditation
für den Posttest (T2) und das Follow-Up (T3) weisen ähnliche Ergebnisse auf und
bestätigen den signifikanten Einfluss von Stressempfinden auf das Wohlbefinden.
Die lineare Regression der Variablen Resilienz und Stresserleben zeigt für den
Pretest, dass Resilienz einen signifikanten Einfluss auf das Stressempfinden
hat (F (1,48) = 32.435, p = .001). Hier konnte Resilienz 40 % der Streuung des
Stressempfindens erklären. Je höher der Resilienzwert, desto niedriger das Stress-
empfinden. Nach Cohen (1992) entspricht dies einem starken Effekt (f = .82).
Weitere Regressionsanalysen mit den Werten für die Messzeitpunkte T2 und T3
zeigten ähnliche Ergebnisse und bestätigten auch hier den signifikanten Einfluss
von Resilienz auf das Stressempfinden.
Die weiteren Ergebnisse zur Berechnung des Einflusses adaptiver Copingstrategien
auf das Stressempfinden und das Wohlbefinden zeigen einen signifikanten Einfluss
der Strategie „positives Umdenken“ auf Stresserleben (F (1,48) = 7.529, p = .009) und
Wohlbefinden (F (1,48) = 9.812, p = .003) für den Posttest. Weitere Regressionsana-
lysen für die jeweiligen Werte zu T3 bestätigten dies und ergaben ähnliche Ergebnisse.
Im Pretest (T1) wurden die Werte jedoch nicht signifikant.
Ziel der vorliegenden Studie war es, Studenten in der aktuellen Krisenzeit mit
einer digitalen Intervention zu unterstützen, um ihr Stressempfinden zu senken
sowie ihr Wohlbefinden und ihre Resilienz zu steigern. Ebenso sollten adaptive
Copingstrategien gestärkt werden. Aufgrund der hohen Prävalenz psychischer
Erkrankungen bei Studenten (z. B. Auerbach et al. 2016; Bailer et al. 2008),
welche in Zeiten der Coronapandemie besonders zum Tragen kommen kann,
sollte mit dieser Intervention auch ein Beitrag geleistet werden, potenziellen
psychischen Erkrankungen von Studenten präventiv entgegenzuwirken. Hier-
durch sollen (zukünftige) Arbeitnehmer und Führungskräfte unterstützt und besser
auf die VUCA-Arbeitswelt vorbereitet werden. Die Studie erforschte dabei den
Ansatz, eine bereits bekannte und validierte Stressmanagement-Intervention aus
dem Unternehmens- und klinischen Kontext (z. B. Buhmann et al. 2018; Kaluza
2000) im Universitätskontext anzuwenden und an die Zielgruppe der Studenten
zu adaptieren. Die Intervention wurde zudem in ein Seminar aus dem Wahlpflicht-
bereich implementiert. Dieses Vorgehen wurde, nach Kenntnis der Autoren, erst
einmal zuvor durchgeführt und dies von derselben Studienleitung (Peters 2021).
Mit der Digitalisierung der Intervention während der Coronapandemie ist nun eine
neue Herangehensweise und Durchführung erprobt und analysiert worden.
Die Ergebnisse zeigten zunächst, dass Alter, Geschlecht, Studiengang und eine
berufliche Nebentätigkeit keinen Einfluss auf die Entwicklung der Hauptvariablen
Stressmanagement und Resilienzförderung … 363
vorherrschen bzw. der „Leidensdruck“ groß genug sein, um die Bereitschaft für
eine (langfristige) Veränderung bezüglich des Stressmanagements aufzubringen
(Kaluza 2015). Da die Resilienz der Teilnehmer bereits vor der Intervention in
einem höheren Bereich lag und das Stressempfinden eher in einem mittleren bis
leicht erhöhten Bereich, könnte der notwendige Leidensdruck gefehlt haben, um
die entsprechende Motivation bzw. den Änderungswillen langfristig aufzubringen.
Ferner könnten weitere potenzielle Einflussfaktoren, die nicht gemessen
wurden, zur Erklärung der Ergebnisse herangezogen werden. Dazu zählen bei-
spielsweise die Persönlichkeit der Studienteilnehmer, die nachweislich in
Zusammenhang steht mit stressmindernden Faktoren, wie z. B. sozialer Unter-
stützung und spezifischen Copingstrategien (Matthews et al. 2017). In einer
Studie während der Coronapandemie konnte bereits gezeigt werden, dass
Neurotizismus der stärkste Prädiktor für eine weniger adaptive, psychologische
Funktionsfähigkeit war, sowohl als direkter Prädiktor als auch als indirekter über
einen geringeren Resilienzwert (Kocjan et al. 2021). Vor diesem Hintergrund
scheint es besonders relevant zu sein, in Zukunft die Persönlichkeitsstruktur der
Studienteilnehmer miteinzubeziehen. Dies gilt gerade auch im Hinblick darauf,
dass Studenten potenzielle zukünftige Führungskräfte sind und die bisherige
Forschung einen positiven Zusammenhang zwischen den Persönlichkeitsfaktoren
Gewissenhaftigkeit und Führungserfolg auf der einen und Extraversion und
Führungserfolg auf der anderen Seite aufzeigen konnte (Judge et al. 2002).
Ein weiterer Einflussfaktor auf die Teilnehmer könnten aber auch private Ver-
pflichtungen (z. B. Kinder oder pflegedürftige Angehörige) sein. Gerade durch den
Ausfall von Schulunterricht oder Betreuung in Kindergärten wurden Betroffene
einer besonderen Mehrfachbelastung ausgesetzt. Dies sollte in zukünftigen Studien
abgefragt werden, um starke Einflussfaktoren kontrollieren und analysieren zu können.
5 Limitationen
Die vorliegende Studie sollte auch unter dem Gesichtspunkt einiger Limitationen
betrachtet werden. Zunächst gibt es Einschränkungen hinsichtlich der Teil-
nehmer, da diese nicht per Zufall ausgewählt wurden, sondern sich aus eigenem
Interesse für das Masterseminar und damit das Training anmeldeten. Gleichzeitig
war auch die Kontrollgruppe nicht randomisiert, sondern die Teilnehmer suchten
sich entsprechende Kontrollgruppenpartner, die ihnen aus demografischer Sicht
ähnlich waren (Alter, Geschlecht, Studiengang). Es kann nicht ausgeschlossen
werden, dass Teilnehmer und Kontrollgruppenpartner sich über die Inhalte des
Seminars bzw. des Trainings austauschten. Zudem besteht die Stichprobe aus
zwei Kohorten, deren Bedingungen nicht exakt gleich waren (ein Winter- und
366 N. Peters und B. Fürstenau
Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Studie trotz ausbleibender, signifikanter
Gruppenunterschiede und signifikanter Interaktionseffekte, die Relevanz der
Gesundheitsprävention und damit der digitalen Intervention im Universitäts-
kontext aufzeigen konnte. Gleichzeitig bringt eine solche Implementierung aber
auch einige Herausforderungen mit sich. Die Intervention wurde ursprünglich für
berufstätige Personen entwickelt und erfolgreich angewandt (z. B. Kaluza 2000).
Anschließend erfolgte eine Adaptierung an den Universitätskontext, wobei sich
bereits wirksame Ergebnisse zeigten (Peters 2021). Bei der neuartigen Anpassung
der Digitalisierung des Trainings, welche während der Coronapandemie vor-
genommen wurde, ließen sich verschiedene Einflussfaktoren und Rahmen-
bedingungen ermitteln, welche die Wirksamkeit der Intervention beeinflusst
haben könnten. Das digitale Format, in Kombination mit sozialer Isolation und
anderen Stressoren während der Coronapandemie, erscheint hier besonders
bedeutsam. Aufgrund der zahlreichen Vorteile des Formats und bereits wirksamer
Interventionen hierzu vor der Pandemiesituation (Heber et al. 2017), kann die
digitale Intervention jedoch als geeignete Grundlage für die Ausgestaltung von
Stressmanagement und Resilienzförderung … 367
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Natalie Peters, research associate, lecturer and PhD student, TU Dresden, Faculty of
Business and Economics, Chair of Business Education and Management Training headed
by Prof. Dr. Bärbel Fürstenau. Research expertise: university students’ and employees’
mental health and coping; (digital and f2f) interventions to foster and maintain resilience,
well-being and healthy stress management. Teaching expertise: organizational psychology-
related and human resource development subjects, such as leadership and communication,
workplace/organizational learning, stress management and workplace health promotion.
Bärbel Fürstenau, Prof. Dr., TU Dresden, Faculty of Business and Economics, Chair
of Business Education and Management Training. Research expertise: development
and evaluation of complex learning environments; empathic interaction, resilience and
reflection of professionals; informal learning; multimedia learning; financial literacy;
concept maps and concept mapping, measuring complex knowledge. Teaching expertise:
various fields of business education and vocational education and training (e.g. foundations
and specifics of learning and instruction); human resource development (e.g. workplace
learning); research methods
Organisationale Resilienz in Zeiten der
COVID-19-Pandemie – eine empirische
Fallstudienanalyse in einem deutschen
Hightech-Unternehmen
Zusammenfassung
Schlüsselwörter
Krise · Organisationale Resilienz · Narrative Interviews · Empirische Fallstudie
1 Organisationale Resilienz
1.1 Resilienzbegriff
In der aktuellen Diskussion zur organisationalen Resilienz wird auch über die
möglichen Messmethoden und -kriterien gesprochen. Diese Messinstrumente
organisationaler Resilienz versuchen, a) diejenigen Eigenschaften, Ressourcen
und Handlungen eines Unternehmens zu identifizieren, die dessen Resilienz am
stärksten prägen, und b) ihre Ausprägungen zu erfassen und als Indikatoren sicht-
bar zu machen (vgl. Ritz 2015: 12–15).
Eines der bekanntesten Instrumente ist das Resilience Analysis Grid von
Hollnagel (2011: 7–13). Als Kategorien werden dort die Basiskomponenten
respond, anticipate, monitor und learn aufgeführt, die um die spezifischen
Fähigkeiten des zu analysierenden Systems (ein Unternehmen oder eine
Abteilung) erweitert werden. In Einzel- oder Gruppensettings diskutieren Mit-
arbeitende diese Fähigkeiten und hinterlegen sie mit einem Wert. Gängige andere
Instrumente sind der Resilience Check von Seidenschwarz und Pedell (2011:
157), das Benchmark Resilience Tool 53 von Whitman et al. (2014: 7–9), der
Resilienz-Kompass von Flüter-Hoffmann (2019: 18–23) und der Resilienz-Check
von Gebauer und Günther (2020: 21–23).
Der Organizational Resilience Index des BSI (British Standards Institution)
versucht, die Ausprägungen von organisationaler Resilienz in verschiedenen
Unternehmen zu vergleichen. Hierzu fragt er leitende Führungskräfte nach ihren
Einschätzungen zu folgenden Aspekten:
[…] how well do they perceive their business to be performing in key factors […]
and the impact they believe these factors have on long-term success. (BSI 2014; vgl.
auch Weick und Sutcliffe 2016: 31–35)
Organisationale Resilienz in Zeiten der COVID-19-Pandemie … 379
Whitman et al. (2013: 4–9) versuchen ebenfalls, durch Fragebögen einen Unter-
nehmensvergleich zu ermöglichen. Ihr Konzept betont drei Komponenten:
Führung und Kultur, Wandelbereitschaft und Netzwerke.
Es stellt sich die Frage, ob organisationale Resilienz überhaupt etwas objektiv
Erfassbares ist. Aus den bisherigen Ausführungen lassen sich drei Bedingungen
für die Zuschreibung von organisationaler Resilienz postulieren: a) Es muss
eine signifikante Störung im Normalverlauf der Organisation vorliegen. b) Die
Handlungsfähigkeit der Organisation muss während der Störung aufrechterhalten
bleiben. c) Es muss eine Bewältigung der Störung erfolgen.
Da Resilienz prinzipiell eine Kompetenz oder ein Potenzial ausdrückt, müsste
sie sich auch ohne Vorliegen einer Störung einer Organisation zuschreiben
lassen. Legt man jedoch die oben genannten Voraussetzungen an, lässt sich
organisationale Resilienz ausschließlich empirisch feststellen.
Eine weitere Frage im Zusammenhang mit der Messung organisationaler
Resilienz ist die nach der Objektivität. Messinstrumente erzeugen als Ergebnis
Diagramme und Grafiken, die auf den ersten Blick den Eindruck von Objektivität
erwecken. Die Erhebungen beruhen jedoch größtenteils auf Selbsteinschätzungen
der Befragten.
Das hier vorzustellende Forschungsprojekt setzt genau dort an. Es interessiert
sich für die den Selbsteinschätzungen zugrunde liegenden subjektiven
Erfahrungen der Menschen. Diese nimmt sie als empirisches Material für die
Erforschung organisationaler Resilienz.
Das Konzept der Geschichten erzählenden Organisation legt also vor allem den
Fokus auf die Konstruktion von Sinn und den dynamischen Prozess, durch den
Erfahrungen verständlich gemacht werden. Die Strukturen, welche Ordnung in
Organisationen schaffen, befinden sich dabei in einem kontinuierlichen Spannungs-
feld zwischen Stabilität und Wandel, um sich ständig wechselnden Umwelt- und
Rahmenbedingungen anzupassen und diese in sinnvolle Handlungsabläufe und
Deutungsschemas zu übersetzen. (Chlopczyk 2017a, b: 28)
Organisationen lassen sich also als narrative Systeme verstehen, weil ihre Identi-
täten, Strukturen und Abläufe durch Geschichten bestimmt sind: Geschichten,
die sich die Mitglieder einer Organisation über sich und andere erzählen;
Geschichten, die sie sich über ihre Organisation erzählen; Geschichten, die die
Organisation über ihre offiziellen Kommunikationsorgane nach innen und nach
außen erzählt; Geschichten, die die Außenwelt über die Organisation erzählt (vgl.
Erlach und Müller 2020: 40 f.).
Durch Geschichten erklären sich die Mitglieder einer Organisation die Ereignisse
und mitunter disparaten Erfahrungen im organisationalen Alltag und bringen sie
in sinnvolle zeitliche und inhaltliche Zusammenhänge. Narrative Strukturen sind
demnach die Voraussetzung, um Sinnhaftigkeit und Werte einer Organisation (er-)
leben zu können.
Lässt man die Mitarbeitenden von ihren Erfahrungen erzählen, treten diese
Geschichten und in ihnen die Annahmen und Glaubenssätze der Organisation
zutage. (Erlach und Müller 2020: 39)
Geschichten formen in den Köpfen der Mitglieder ein Bild der Organisation, das
als Wirklichkeit der Organisation wahrgenommen wird.
Organisationale Resilienz in Zeiten der COVID-19-Pandemie … 381
Ricoeurs Konzept der narrativen Identität ermöglicht über die Narration den
Brückenschlag von vielen individuellen zu einem kollektiven Bewusstsein einer
Organisation. Gleichzeitig erschließt es die Erfahrungen der Menschen als
Ansatzpunkt zur Suche nach der Essenz organisationaler Resilienz.
COVID-19 ist ein Ereignis, das Menschen und Unternehmen unversehens
widerfahren ist, als ein Phänomen, das bisherige Erfahrungen überstieg. Der
Schlüssel zur Bewältigung eines solchen Ereignisses besteht darin, das Erlebte
in einen Sinn- und Erfahrungshorizont zu integrieren und dadurch handlungs-
fähig zu werden. Es stellt sich also die Frage, wie Menschen in Organisationen
aus individuellen Wahrnehmungen einen gemeinsamen Sinn konstruieren und
wie diese Sinnkonstruktion in Handlungen Ausdruck findet. Da dieser Prozess,
wie oben aufgezeigt wurde, über Narrationen zugänglich gemacht werden kann,
wurde für das vorgestellte Forschungsprojekt die Methode der narrativen Inter-
views gewählt.
382 G.-M. Adenau und I. Scheuch
Die Datenerhebung fand im Mai und Juni 2020 durch virtuelle narrative Inter-
views statt. Befragt wurden 13 Mitarbeitende der Fachfunktion EHS (Environ-
mental Protection, Health Management, Safety). Die EHS-Expert:innen wurden
Organisationale Resilienz in Zeiten der COVID-19-Pandemie … 383
1 S.
Glaser und Strauss (1967: 1–6.): Drittes Gütekriterium: Die Befragten geben Rück-
meldung zur Evaluation der Ergebnisse (Kommunikative Validierung).
384 G.-M. Adenau und I. Scheuch
4 Forschungsergebnisse
Als zentrales Motiv erschien in den Erzählungen das Thema Identität, und zwar
im zweifachen Sinne: Zum einen referierten die Befragten auf sich in ihrer Rolle
als Krisenmanager:innen, zum anderen als Mitglieder der Funktion EHS. Die
Befragten zeigten ein hohes Maß an Identifikation mit der EHS-Organisation.
Sie beschrieben die Mitglieder dieser Organisation (und damit sich selbst) als
Menschen mit starker intrinsischer Leistungsbereitschaft, hoher Leistungsfähig-
keit und ausgeprägter individueller Resilienz. Zudem wurde die Bereitschaft
betont, Verantwortung und Führung zu übernehmen, insbesondere in Situationen,
in denen die formale Verantwortung nicht eindeutig geklärt war. Als Selbst-
beschreibung wurden Adjektive genannt wie bescheiden, tatkräftig, pragmatisch
und empathisch.2
Alle Befragten äußerten sich positiv und emotional bewegt über die Sinn-
haftigkeit und Bedeutsamkeit ihrer Arbeit in der EHS-Task-Force. Deutlich
erkennbar waren die tiefe Befriedigung und der Stolz darüber, für das physische
und psychische Wohlergehen der Menschen im Unternehmen zu sorgen. Als fach-
liche Gründe für ihre Leistungsfähigkeit wurden Erfahrungen in anderen Krisen-
situationen wie im Zusammenhang mit SARS oder Fukushima genannt sowie
ihre umfangreiche Ausbildung.
Mehr als die Hälfte der Befragten äußerte Stolz darüber, dass die EHS-
Organisation mit ihren Leistungen im Unternehmen wahrgenommen und wert-
geschätzt wird: Dies stehe im starken Kontrast zum normalen Arbeitsleben, in
dem sie häufiger den geschäftlichen Nutzen ihrer Tätigkeit rechtfertigen müssten.
Ein häufig repliziertes Ereignis war ein Konflikt zu Beginn der Krise
zwischen der EHS-Leitung und dem Geschäftsmanagement. Dieser Konflikt
drehte sich um unterschiedliche Auffassungen über den Ernst der Lage und über
die Angemessenheit von Maßnahmen. Die Konfliktformel Geschäftskontinui-
tät oder Sicherheit der Mitarbeitenden habe sich jedoch aufgrund intensiver
Kommunikation rasch zur Erfolgsformel Geschäftskontinuität durch Sicherheit
der Mitarbeitenden geändert.
4.2 Führungshandeln
Die Befragten wiesen auf die Bedeutung organisationaler Rahmenwerke für Not-
fallsituationen hin. Aufgrund der Charakteristik der Krise (global, umfangreich,
langandauernd) hätten die offiziellen Regelwerke aber bei Weitem nicht aus-
gereicht, die Krise zu bewältigen. Hierzu bedürfe es ihrer Meinung nach einer
neuen Art der Zusammenarbeit.
Zum Zeitpunkt der Interviews arbeitete mehr als die Hälfte der Befragten
bereits länger als fünf Jahre in der EHS-Organisation. Positive Erfahrungen in der
früheren Zusammenarbeit und ein gewachsenes Vertrauen waren ihrer Meinung
nach einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren bei der Krisenbewältigung.
Zum Gelingen der Zusammenarbeit innerhalb der EHS-Organisation trug laut
den Befragten auch der eingangs angeführte Aspekt der intrinsischen Motivation
bei. Dieser Punkt wurde in allen Gesprächen erwähnt.
Die Silos sind eingebrochen. Die Metapher der Silos wurde in den Inter-
views häufig im Kontext der Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen ver-
wandt. Sie deutet darauf hin, dass Geschäftsbereiche und Abteilungen mit wenig
Außenkontakt streng für sich allein arbeiten. In der Krise sei eine andere Art
der Zusammenarbeit nötig, die die Befragten mit Adjektiven wie pragmatisch,
kooperativ oder agil bezeichneten. Das Wort der Kulturveränderung fiel mehr-
fach.
Durch dieses neue Arbeiten mit schnellen kollektiven Lernschleifen sei rasch
eine hohe Lernkurve im Krisenmanagement erreicht worden.
Aber es zeigten sich auch Interessenskonflikte und Friktionen im Beziehungs-
geflecht.
Nach der Analyse wurden alle Ergebnisse, aber auch das Datenmaterial, unter der
Fragestellung betrachtet: Gibt es etwas, das tiefer geht als die identifizierten Kate-
gorien Identität, Führung und Zusammenarbeit? Etwas, das alle drei Elemente
Organisationale Resilienz in Zeiten der COVID-19-Pandemie … 387
Ereignisse, die uns bewegen und inzwischen den gesamten Globus erfassen, äußern
sich in Widerfahrnissen, die unserer Eigeninitiative vorauslaufen und auf die wir
wohl oder übel zu antworten haben. […] Trifft es jemanden oder stößt es jemandem
zu, so sind diese zwar daran beteiligt, aber nicht im Nominativ eines Sprechers oder
388 G.-M. Adenau und I. Scheuch
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Jianqin Jiang
Zusammenfassung
Schlüsselwörter
J. Jiang (*)
School of Foreign Languages, Tongji University, Shanghai, China
E-Mail: jianqinjiang@163.com
1 Einleitung
Schon Hartmann (1980) hat festgestellt, dass „all interlinguistic contrasts are
manifest in texts“, daher scheint die Analyse von Paralleltexten in unterschied-
lichen Sprachen ein geeignetes Mittel zu sein, die interkulturellen Unterschiede
aufzudecken.
Unter Paralleltexten sind Texte in unterschiedlichen Sprachen zu ver-
stehen, die der gleichen Textsorte angehören. Dabei können Textsorten als
„historisch und kulturell spezifische, gesellschaftlich verfestigte und formalisierte
Lösungen kommunikativer Probleme betrachtet [werden, deren] Funktion in
der Bewältigung, Vermittlung und Tradierung [menschlicher] Erfahrungen der
Lebenswelt besteht“ (Günthner 2001: 16). Die Kulturgeprägtheit von Textsorten
bedeutet, dass scheinbar gleiche Textsorten unterschiedliche Realisierungsformen
aufweisen können (Zhao 2011). Dabei steht die textuelle Spezifik einer Text-
sorte stets im Zusammenhang mit der zugrunde liegenden mentalen Kultur sowie
der sozialen Umgebung der jeweiligen Kulturgemeinschaft. Die Besonderheiten
der Realisierungsweise einer Textsorte wurzeln tief in der einschlägigen Kultur
und sind vom sozialen Leben beeinflusst. Daher sind sie durch die jeweiligen
geistigen Ressourcen erklärbar und sollten auch so erklärt werden, nicht nur um
die textuellen Besonderheiten besser zu verstehen, sondern auch um ein vertieftes
Verständnis für die kulturellen Zusammenhänge zu bekommen.
Die meisten interlingualen Analysen, die an empirischem Datenmaterial
durchgeführt werden, orientieren sich an Ansätzen zur Beschreibung und Klassi-
fikation von Textsorten (vgl. Adamzik 2001: 22). Das Hauptaugenmerk gilt
dann dem kontrastierenden Vorgehen auf der makrostrukturellen Ebene, indem
charakteristische Textteile einer Textsorte in den zu vergleichenden Textkorpora
intersprachlich identifiziert werden. Darüber hinaus wird oft auch die Illokutions-
strukturanalyse eingesetzt, die bei der Aufdeckung der dominierenden und
der abstützenden Illokutionen in Texten behilflich ist. In dem genannten Dis-
sertationsprojekt werden deutsche und chinesische Restaurantbewertungen hand-
lungstheoretisch analysiert und verglichen, was dann auch Aufschlüsse über die
Unterschiede in Bezug auf die Textfunktion geben kann.
396 J. Jiang
4 Das Korpus
Die deutschen Texte wurden auf der deutschen Seite von TripAdvisor gesammelt
und die chinesische Texte aus Dianping (大众点评). Beide Plattformen sind die
jeweils am stärksten verbreiteten im jeweiligen Land. Es wurden jeweils zehn
Restaurants in den Hauptstädten Berlin und Beijing nach folgenden Kriterien aus-
gewählt:
Selbstbezüglichkeit vs. Beziehungsgestaltung … 397
a) regionale Küche
b) mittlere Preisspanne
c) Top 10 bei TripAdvisor bzw. Dianping (aber keine Werbung)2
Bei jedem Restaurant wurden die 30 neuesten Bewertungen zwischen Juli und
September 2019 gesammelt. Dies ergibt ein Korpus mit 300 deutschen und 300
chinesischen Restaurantbewertungen. Die allermeisten der Texte wurden auch
kurz vor diesem Zeitpunkt veröffentlicht. Nur wenige deutsche Texte stammen
aus dem Jahr 2018, wenn nicht genügend aktuelle Texte vorhanden waren.
Da TripAdvisor eine internationale Plattform ist und Benutzer aus ver-
schiedenen Ländern dort Bewertungen veröffentlichen können, wurde noch
besonders darauf geachtet, dass die Benutzer Deutschland oder eine deutsche Ort-
schaft als Herkunft angeben. Angesichts der Anonymität des Internets kann man
zwar nicht sicherstellen, dass solche Informationen hundertprozentig stimmen.
Aber es wird davon ausgegangen, dass die durch dieses Verfahren gesammelten
Texte zumindest größtenteils von Muttersprachlern verfasst wurden und somit für
interlinguale Untersuchungen geeignet sind.
5 Methodischer Zugang
2 Das Kriterium, dass die Restaurants bei dem Ranking vorne stehen müssen, dient nicht
nur der Einfachheit der Durchführung, sondern hauptsächlich dazu, dass eine ausreichende
Zahl von Bewertungen gewährleistet werden kann. Gesponsorte Restaurants werden aus-
genommen.
398 J. Jiang
die zusätzliche Handlung oder aber eine Handlung über die zentrale Handlung
hinaus, im Prinzip unabhängig von dieser.“ Im genannten Dissertationsprojekt wird
die Handlungsstruktur deutscher und chinesischer Restaurantbewertungen heraus-
gearbeitet. Die Haupthandlung einer Restaurantbewertung stellt nämlich „das
Restaurant bewerten“ dar, die sich wiederum in vier Teilhandlungen unterteilen lässt,
nämlich „Speisen und Getränke bewerten“, „das Ambiente bewerten“, „den Service
bewerten“ und „den Preis bewerten“. Außerdem gibt es noch Zusatzhandlungen wie
„den Anlass nennen“, „Tipps für Besucher geben“, „Dank äußern“, „Empfehlungen
machen“ usw. Diese Struktur wird in Abb. 1 gezeigt. In den deutschen und
chinesischen Bewertungen kommen unterschiedliche (Teil-)Handlungen unter-
schiedlich häufig vor, sie werden auch unterschiedlich gewichtet und realisiert.
Da „das Restaurant bewerten“ den Hauptinhalt bildet, sind konkrete
Erwartungen und Bewertungsmaßstäbe genauer zu betrachten, d. h. welche
Kriterien soll ein Restaurant erfüllen, um als gut bewertet zu werden? Die
Bewertungskriterien für jeden Aspekt werden anhand der Texte empirisch-
induktiv ermittelt.
In die Textsorte Restaurantbewertung sind nämlich zwei Praktiken involviert.
Mithilfe von Abb. 2 kann der Zusammenhang verdeutlicht werden. Man geht
in ein Restaurant essen und kann in der Folge eine Restaurantbewertung im
Internet hinterlassen. Das Erlebnis des Restaurantbesuchs dient als Grundlage
des Schreibens. Auf der anderen Seite kann man anhand der Texte erkennen,
welche Kriterien jemand für relevant hält, um ein Restaurant bzw. einen
Restaurantbesuch zu bewerten. Die Textsorte Restaurantbewertung beinhaltet also
zweifaches Wissen, erstens was man alles mit der Textsorte Restaurantbewertung
(außer Bewerten noch) macht (die Handlungsstruktur) und zweitens wie man
ein Restaurant vor dem Hintergrund dieser Handlungsstruktur bewertet (die
Bewertungskriterien).
In dem Dissertationsprojekt werden die vollständige Handlungsstruktur und
sämtliche Bewertungskriterien der deutschen und chinesischen Restaurant-
bewertungen ermittelt und kulturkontrastiv verglichen.3 Im Rahmen des vor-
liegenden Beitrags werden diejenigen Ergebnisse dargestellt, die sich auf
individuell-persönliche und soziale Elemente in den Restaurantbewertungen
beziehen.
führt zu
Praktik 1 Praktik 2
ein Restaurant besuchen eine Restaurantbewertung schreiben
gibt Aufschlüsse über
6 Selbstbezüglichkeit in chinesischen
Restaurantbewertungen
Aus der Analyse geht hervor, dass sich die Rezensenten in den chinesischen
Bewertungen deutlich häufiger explizit auf sich selbst beziehen als diejenigen
der deutschen Bewertungen. Mit „selbst“ ist nicht nur der Textproduzent allein
gemeint, sondern es könnte auch sein, dass man sich auf die Personen bezieht,
mit denen man zusammen essen war. Die nachweisbaren Formen von Selbst-
bezüglichkeit werden im Folgenden in vier Punkten erläutert.
400 J. Jiang
Beispiel 1:
(,Wir haben die Sauer-scharf-Suppe bestellt. Die Kinder haben alles aufgegessen
und keinen Tropfen übrig gelassen.‘)5
4 In der chinesischen Esskultur bestellt nicht jeder für sich selbst, sondern es werden alle
Speisen in die Mitte des Tisches gestellt und jeder nimmt, was er will. Es handelt sich also
um eine Art Tischbuffet.
5 Alle chinesischen Bewertungen werden von der Verfasserin sinn- und stilgemäß ins
Deutsche übersetzt. Die lockere, informelle Ausdrucksweise und der zum Teil unvoll-
ständige Satzbau werden beibehalten. Der Übersichtlichkeit halber werden nur die ein-
schlägigen Stellen übersetzt und nicht die ganzen Texte. Entsprechende Stellen werden im
Original markiert.
Selbstbezüglichkeit vs. Beziehungsgestaltung … 401
Beispiel 2:
(,Xiaodiaolitang ist wirklich gehyped. Immer lange Schlange, jedes Mal muss
man ungefähr eine Stunde warten! Das macht mich wahnsinnig, aber meine
Familie wollte unbedingt hin. Ich hatte keine andere Wahl und musste die Qual
des Wartens ertragen!‘).
Beispiel 3:
(,Weil ich nichts Scharfes essen kann, habe ich nicht viel Auswahl, wenn ich mal
essen gehen möchte. Ich weiß nicht warum, die ganze Gastronomie von Beijing
scheint von der scharfen Sichuan-Küche erobert zu werden. Zum Glück gibt es in
der Nähe das Juqi. Es hat meinen Magen gerettet.‘).
402 J. Jiang
Beispiel 4:
(,Treffen von fünf Mädels. Wir hatten uns lange nicht mehr gesehen. Leider hatte
eine Freundin Fieber. Um das Treffen nicht absagen zu müssen, wollten wir einen
Ort in der Nähe von ihrer Wohnung aussuchen. Sishitongtang steht schon lange
auf meiner Wunschliste, so waren wir vor einigen Tagen hier.‘).
An diesem Beispiel wird ersichtlich, dass man auch sehr private Angelegen-
heiten (Krankheit einer Freundin) in chinesischen Online-Restaurantbewertungen
erwähnen kann. Außerdem kann im Eröffnungsteil die Handlung „Anlass
nennen“ mit Erzählungen kombiniert werden, wie zum Beispiel, was man vor
dem Restaurantbesuch gemacht hat und wie man zum Lokal gefunden hat. Wie
das folgende Beispiel zeigt, kann das ziemlich narrativ und ausführlich werden
und über die Hälfte des gesamten Textes ausmachen.
Beispiel 5:
verderben. Das Restaurant liegt im Untergeschoss, ist nicht leicht zu finden. Auf
dem Weg haben wir andere Leute auch nach diesem Restaurant fragen hören. Da
dachte ich, wir müssen uns beeilen. Dann sind wir noch schnell gerannt. Als wir
da waren, war es schon halb zwei. Aber man musste noch auf einen Tisch warten.
Zum Glück haben wir nicht lange gewartet.‘).
In den deutschen Bewertungen hingegen eröffnet man den Text häufig mit
einem Gesamteindruck von dem Restaurant, fängt sofort an mit der Bewertung
oder fängt mit einer Dankäußerung an. Wenn man doch den Anlass nennt, dann
normalerweise nur mit einem kurzen Satz, wie zum Beispiel „Wir sind mit
Freunden dort gewesen“ oder „Hatten 30. Hochzeitstag im ganz kleinen Kreis“,
und es wird nichts Näheres erzählt.
Beispiel 6:
(,Ich bin schon seit so vielen Jahren in Beijing und esse das erst zum ersten Mal.
Meine Freunde haben mich lange ausgelacht… Wir haben eine kleine Portion
bestellt. Ich mag es wirklich. Warum habe ich es nicht früher ausprobiert.‘).
Beispiel 7:
(,Man trifft sich mit alter Freundin und will ihr im Laufe des Abends alles
erzählen, was man in mehr als einem Jahr nicht erzählen konnte. Heute Abend
war es in Beijing auch gerade kühl mit leichtem Wind. Als wir nach dem Essen
einen Spaziergang gemacht haben, war es wie die alte Zeit in unserem Studium
vor vielen Jahren. Das sich mit der Zeit ansammelnde tiefe Verständnis, die Neu-
gier und Begeisterung, wenn man sich nach langer Zeit wiedersieht, machen die
Verabschiedung so schwer. Ich hoffe, dass es uns beiden weiter gut geht.‘).
Hier wird über tiefe Freundschaft und erlebte Gefühle erzählt. Die Passage gibt
den Lesern keine nützlichen Informationen, ist inhaltlich also für die Restaurant-
bewertung völlig irrelevant. Vielmehr scheint der Textproduzent nur die eigenen
Emotionen loswerden zu wollen. Der Text ist sozusagen mehr für ihn selbst
geschrieben als für die Leser.
Solche Inhalte kommen zwar nur in einem geringen Teil der Texte vor und
sie zählen deswegen nicht zu den wesentlichen Bestandteilen der Textsorte. Aber
es stellt ein auffälliges und interessantes Phänomen dar, zumal es einen großen
Selbstbezüglichkeit vs. Beziehungsgestaltung … 405
6.5 Zwischenfazit
7 Beziehungsgestaltung in deutschen
Restaurantbewertungen
Mit dem letzten Punkt hängen auch Benennungsformen für das Restaurant-
personal zusammen. In deutschen Bewertungen werden oft konkrete Personen
aus dem Serviceteam genannt. Im deutschen Korpus kommt das Restaurant-
personal 20-mal in der Form der Nennung des Vornamens, fünfmal in der
Konstruktion Herr/Frau + Nachnamen und zweimal über die Nennung von Vor-
und Nachnamen vor.
Neben Namen findet man noch Bezeichnungen wie Koch, Chefkoch, Chef,
Küchenchef, Gastwirt, Wirt, Maitre, Betreiber, Inhaber, Besitzer (sowie die
jeweilige weibliche Form) oder Ehepaar, Vater und Sohn/Tochter. Das deutet
darauf hin, dass man den Koch oder Wirt persönlich getroffen hat und auch die
Beziehung zwischen den Mitarbeitern kennt. Außerdem wird das Personal in
sechs Bewertungen als Gastgeber/in, Gastgeberteam oder Gastgeberfamilie
bezeichnet. Das Wort Gastgeber impliziert, dass zwischen den Kunden und dem
Personal nicht nur eine Geschäftsbeziehung besteht, sondern auch eine relativ
private, persönliche.
In chinesischen Bewertungen wird das Servicepersonal hingegen nur all-
gemein und unspezifisch bezeichnet als 服务员 (,Kellner‘), 小哥哥 (,kleiner
Bruder‘, Bezeichnung für unbekannte junge Männer) oder小姐姐 (,kleine
Schwester‘, Bezeichnung für unbekannte junge Frauen).
Beispiel 8:
Die Briefform stellt zwar eher eine Seltenheit dar. Aber im Zusammenwirken mit
den vorhin diskutierten Punkten weist die Tatsache, dass diese formale Option
gewählt werden kann und offensichtlich akzeptabel ist, wie auch die anderen
genannten Merkmale auf eine nähere, persönliche Beziehung zwischen Kunden
und dem Restaurantpersonal hin.
7.5 Zwischenfazit
8 Schlussbetrachtung
darauf hingewiesen, dass das Gefühl im Text tiefschürfend sein müsse (Zhao
2018: 257). Die Bildlichkeit und Emotionalität der chinesischen Schreibweise hat
ihren Grund zudem in der chinesischen Sprache selbst (ebd.: 258 ff.). Chinesisch
ist eine piktographische Sprache, d. h. die meisten Zeichenbildungsmethoden
stammen aus dem bildlichen Denken und verstärken die anschauliche Denk-
weise. Als eine analytische Sprache hat Chinesisch keine Morphologie. Aufgrund
dieser Sprachstruktur ist Chinesisch stark in der künstlerischen Darstellung, aber
schwach im logischen Ausdruck. Darüber hinaus wird diese Schreib- und Sprach-
tradition vermutlich durch die Schulbildung weiter tradiert und verstärkt. Lehker
(2001) hat zum Beispiel vier Aufsatzsorten in Deutschland und China verglichen
und kam zu dem Ergebnis, dass die affektive Ansprache der Rezipienten in den
klassischen vier chinesischen Aufsatzsorten eine große Rolle spielt, während
sie in den objektbezogenen deutschen Aufsatzsorten nicht üblich sei: Das Aus-
drücken von Gefühlen in 议论文(,chinesische Erörterung‘) ist ein gerechtfertigtes
Mittel. In 记叙文 (,chinesische Erzählung‘) steht nicht die Spannung im Vorder-
grund, sondern die Anrührung. Zusätzlich ist ein emotionaler Beschreibungsstil
im Gegensatz zu einem sachlichen üblich.
Die Schlussfolgerungen, die aus den empirischen intersprachlichen Ana-
lysen gezogen werden, sind immer der Gefahr ausgesetzt, zu allzu starken Ver-
allgemeinerungen oder gar kulturellen Stereotypisierungen zu führen. Untersucht
wurde nur eine ausgewählte Textsorte, die keine repräsentativen Aufschlüsse über
die chinesische oder die deutsche Kulturgemeinschaft gibt. Trotzdem können die
dargestellten Untersuchungsergebnisse und Schlussfolgerungen von Nutzen sein,
um die Besonderheiten beider Sprachen und Kulturen besser zu verstehen.
Literatur
Jianqin Jiang ist Doktorandin an School of Foreign Languages der Tongji Uni-
versität, China. Sie hat Germanistik studiert und beschäftigt sich mit kontrastiver Text-
linguistik (Chinesisch-Deutsch) und Lernersprache chinesischer Deutschlerner. Von 2019
bis 2022 hat sie einen Forschungsaufenthalt an der TU Darmstadt gemacht. Kontakt:
jianqinjiang@163.com.