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Phot.: Andrae.
Der Tigris bei Assur.
Neun Jahre verwandten Andrae und seine Mitarbeiter auf die
Freilegung der Festungswerke Assurs (vgl. „Die Festungswerke von
Assur“ von Walter Andrae. 2 Bde., 1913), denn ihre Bestimmung war
nicht nur wichtig für die Erkenntnis der ganzen Stadtanlage, für
Ermittlung ihrer Zugänge und zugleich des Verlaufs der wichtigsten
Handelsstraßen, sondern auch für die Geschichte der
Befestigungskunde überhaupt, da man assyrische Festungen bis
dahin nur ungenügend kannte. Die Arbeit war um so schwerer, als
die Mauern am Rande des Stadthügels naturgemäß am meisten der
Vernichtung ausgesetzt waren, und obendrein der Tigris den größten
Teil der Ostfront zerstört hatte.
Assur liegt auf der Spitze eines Ausläufers der Chanukekette,
und der Platz war für eine Festung wie geschaffen. Im Osten
bespülte ihn der schnellfließende, das ganze Jahr über tiefe Tigris,
ein Angriff von dort war also unmöglich. Im Norden fiel der Fels
(weicher Sandstein und Kieselkonglomerat) jäh nach einem
Stromarm ab, der trefflich als Festungsgraben diente. Am Rande
dieses noch erkennbaren Flußbettes hatten wir unser Lager
aufgeschlagen. Vor der Westfront erleichterten zwei kleine Täler die
Anlage von Gräben, die nur da zugeschüttet waren, wo Straßen zu
den Toren führten. Im Süden war eine Geländesenkung. Der einzige
Nachteil war, daß man von dem Hügelplateau im Westen aus in die
Stadt hineinsehen konnte. Deshalb baute man die Westmauer am
höchsten.
Das Alter der Festungsbauten Assurs ist sehr verschieden.
Andrae unterscheidet die archaische Zeit bis zur Mitte des 2.
vorchristlichen Jahrtausends, die altassyrische bis Ende des 2.
Jahrtausends, die jungassyrische vom Anfang des 1. Jahrtausends
bis Sargon, die spätassyrische unter Sargon und den Sargoniten bis
zur Zerstörung des assyrischen Reiches im Jahre 606 v. Chr., die
nachassyrische der Wiedereinwanderung unter den Neubabyloniern
und Cyrus (6. Jahrhundert) und die parthische Zeit, die ersten zwei
Jahrhunderte vor und nach Christus.
Phot.: Andrae.
Der Strand von Assur.
Aus vorgeschichtlicher Zeit haben sich keine Befestigungen
gefunden, nur Grundmauern von Häusern, Feuerstätten und
Kanälen. An der Ostseite führte man schon zu Anfang des 2.
Jahrtausends Mauern auf, um die Stromfahrt zu beherrschen und
das Ufer gegen die Erosion zu schützen. Diese Mauern befestigte
Adadnirari I. in altassyrischer Zeit. Davon ist noch vieles erhalten.
Auch legte man Landeplätze und Treppen am Ufer an. An der
Nordostecke der Stadt lag der Assurtempel mit der Front nach
Norden, und an der Nordwestecke der Palast Tukulti-Ninibs I. auf
seiner ungeheuren Plattform.
In jungassyrischer Zeit baute Salmanassar III. im Westen und
Südwesten eine äußere und eine innere senkrechte Mauer, auf
denen je eine Fahrstraße hinlief. Blaugelbe und schwarzweiß
glasierte Ziegel schmückten die Zinnen. Nach seiner Regierung,
aber vor Sargon, verfiel die innere Mauer; an ihrer Stelle entstanden
Wohnhäuser, und davor legte man eine niedrigere Mauer an.
In spätassyrischer Zeit führten Sargon und Sanherib noch
mancherlei Verbesserungen aus. Die Achämeniden dagegen ließen
die Befestigungen unverändert, und auch in der parthischen Zeit
wurde nichts daran getan.
Aus der Zeit Salmanassars III. grub man sieben Tore aus. Jedes
Tor flankierten zwei Türme; nach innen waren Wachtstuben,
Rampen und Treppen, die zur Mauerzinne hinaufführten. Eines der
Tore hieß Abul gurgurri, das Stadttor der Metallarbeiter; die übrigen
sind bisher namenlos. Die Zapfen der gewaltigen Flügel des
Gurgurritores, zylinderförmige Basaltblöcke, sind noch vorhanden.
Verkohlte Zedernholzbalken lassen auf eine Feuersbrunst schließen.
Zwei sargonitische Kalksteinblöcke an diesem Tor tragen Sanheribs
Namen. Eine Bildsäule Salmanassars III., die im Gurgurritor stand,
besitzt jetzt das Ottomanische Museum in Konstantinopel, eine
andere, die den König auf seinem Throne sitzend darstellt, das
Britische Museum. Beide sind in Lebensgröße.
Der ebenfalls ausgegrabene, offenere Zugang von Norden her,
den man nicht als Tor bezeichnen kann, hieß Muschlal und wird
schon Ende des 3. Jahrtausends auf Ziegelinschriften erwähnt.
Adadnirari I. in altassyrischer Zeit ließ ihn erneuern; auch die
jungassyrische Zeit unter Salmanassar III. kennt ihn. Unter Sanherib
heißt es: „Der Palast Muschlal in der Stadt Assur“, und bei
Assarhaddon: „Bît muslalu, das am Palast der Stadt Assur liegt, ließ
ich aufs neue erbauen als Ein- und Ausgang“.
Straßen an der inneren Mauer stammen aus spätassyrischer
Zeit; sie erinnern an die Straßen Pompejis und der heutigen Städte
des Orients.
Professor Andrae beschreibt ausführlich alle Einzelfunde, die an
den Mauern gemacht wurden, Ziegelkanäle, Straßen und Häuser,
Abflußtrommeln, Poternen, Wehrgänge, Turmtreppen, Bastionen,
emaillierte Terrakottareliefs, Kupferbecken, Konsolen, Haken und
Pfeilspitzen aus Bronze, Gräber und Ziegel mit Inschriften, von
denen folgende aus der Zeit Salmanassars III. als Probe angeführt
sei: „Salmanassar, der König des Alls, König des Landes Assur, der
Sohn des Assurnasirpal, des Königs des Landes Assur. Erobernd
herrschte ich vom großen Meer beim Lande Amurru gegen
Sonnenuntergang bis zum Meer beim Lande Kaldu, genannt Marratu
(d. h. der Salzstrom). Da brach ich die Ruinen der früheren
Festungsmauer meiner Stadt Assur nieder, die Tukulti-Ninib,
Salmanassars Sohn, ehedem gebaut hatte; ich erreichte ihren
Grund; von ihrem Fundament bis zu ihrer Brustwehr fügte und
vollendete ich sie; prächtiger und gewaltiger als zuvor machte ich
sie. Meine Tafeln und Urkunden brachte ich an. Ein zukünftiger Fürst
soll ihre Ruinen wieder aufrichten und meinem Namen wieder seinen
Platz einräumen, dann wird Assur seine Gebete erhören.“
Salmanassar gedachte also der kommenden Jahrtausende, die
seinen Namen vergessen könnten. Dann sollten die Steine für ihn
reden!
Andraes Grabungsmethode in den Ruinen Assurs war eine
andere als die Koldeweys in Babylon. Er zog 5 Meter breite
„Suchgräben“ quer über das ganze Stadtgebiet; sie laufen je 100
Meter voneinander entfernt parallel von der Westmauer bis nach
dem Tigrisufer im Osten. Stieß solch ein Graben auf Reste von
Palästen, Mauern, Toren, Häusern, Kanälen usw., so grub man
seitwärts weiter, bis der ganze Fund bloßgelegt war. Manchmal
zwangen Bodengestaltung oder neuere mohammedanische
Grabstellen zur Aufgabe des 100-Meter-Zwischenraums. Solch ein
unregelmäßiger Graben führte in den Jahren 1909–1911 zur
Entdeckung der merkwürdigen Königspfeiler im Winkel zwischen
dem breiten Nordteil und dem schmalen Südteil der Stadt. (Vgl. „Die
Stelenreihen in Assur“ von Walter Andrae, Leipzig, 1913).
Diese Pfeiler stammen aus der Zeit zwischen dem 14. und 7.
Jahrhundert v. Chr. Sie sind flach, oben abgerundet und tragen eine
Inschrift oder ein Reliefbild der Personen, zu deren Gedächtnis sie
errichtet wurden. Die größten sind aus Basalt und nennen Tukulti-
Ninib I., Semiramis und Assurnasirpal III.; kleinere sind mit den
Namen anderer Könige und hoher Beamten bezeichnet. Einer aus
körnigem, gelbgrauem Kalkstein zeigt das Bild einer Palastdame
Sardanapals. Sie sitzt, nach rechts gewendet, auf einem Thron, ist
mit Armbändern und Ohrringen geschmückt, trägt Rosetten auf den
Schultern und auf ihren üppigen, den Rücken herabwallenden
Locken eine Königskrone; in der Linken hält sie eine Blume, die
Rechte streckt sie nach oben. Das Gesicht entspricht dem
Schönheitsideal des Orients: volle runde Wangen, kräftiges Kinn,
gerade, scharf gezeichnete Nase, schön geschwungene, breite
Augenbrauen und lachende Lippen.
Phot.: Schölvinck.
Ein Suchgraben in Assur.
Phot.: Schölvinck.
Das deutsche Expeditionshaus in Assur.
Einundzwanzigstes Kapitel.
Erlebnisse auf einer
Etappenstraße.
Giara.
Das Bahnhofsgebäude von Giara hatte nur einen bewohnbaren
Raum, eine ungewöhnlich kühle, gewölbte Kammer, in der der
Stationsvorsteher unter einem von Fliegen umschwirrten
Mückennetz an Ruhr erkrankt darniederlag und aus einem primitiven
Filtrierapparat, einem großen Lehmkrug mit porösem Boden, Wasser
tropfen ließ. Hier mußten wir die heißesten Tagesstunden abwarten,
denn die Temperatur draußen war allmählich unerträglich geworden.
Schon morgens um 7 Uhr hatte sie 31 Grad betragen, um 1 Uhr
stieg sie auf 41,2 und anderthalb Stunden später auf 42,6 Grad.
Konsul Schünemanns persischer Schimmel hatte einen Hitzschlag
und Kolik und außerdem Blutegel in Gaumen und Hals. Noch am
Morgen war das Tier ganz frisch gewesen; jetzt legte es sich im
Schatten des Stalles nieder und verendete. Auch im Schlund der
andern Pferde hatten sich beim Trinken Blutegel festgebissen, und
unsere Kutscher befreiten sie mit vieler Mühe von diesen
Plagegeistern.
In der Kranken- und Fliegenstube von Giara zu übernachten, war
unmöglich. Am Spätnachmittag machten wir uns daher zur nächsten
Station Schura auf, die fünf Stunden entfernt sein sollte. Nahe bei
Giara hatten wir ein ziemlich tief und steil eingeschnittenes Tal zu
passieren, auf dessen nackter Sohle Salzkristalle schimmerten und
Erdpechquellen zutage traten. Der Herzog und Busse ritten voraus;
Schölvinck und ich folgten in der Droschke und fuhren in einer
Morastrinne fest. Die Pferde mußten ausgespannt, der Wagen
zurückgeschoben und ein anderer Weg versucht werden. Nicht
besser erging es dem vorausfahrenden Automobil, das weiter vorn in
einem Graben saß und nicht weiter konnte. Wir luden das Gepäck
ab, aber der Wagen rührte sich nicht vom Fleck, und wir mußten
warten, bis die ganze übrige Kolonne nachgekommen war. Darüber
wurde es dunkel, und im Westen erhob sich drohend eine
Wolkenwand, die den Mond verdeckte. Nach langem Warten kamen
die andern, und mit vereinten Kräften machten wir erst das Auto
wieder flott, das nunmehr jeden einzelnen Wagen über die
schwierige Stelle hinüberziehen mußte; die müden Tiere allein
hätten das nicht fertiggebracht. Drei Stunden kostete uns dieser
Graben — eine schöne Etappenstraße!
Dann ging es weiter, Stunde auf Stunde in stockfinsterer Nacht;
die Lampen des Autos wiesen den Weg. Endlich leuchtete vor uns
der Schein eines Feuers auf: es war Schura, aber noch in weiter
Ferne. Ein neuer Graben hielt die Wagen auf; unsere Droschke kam
glücklich hinüber, und endlich tauchte die hohe Mauer des
Stationsgebäudes aus dem Dunkel hervor. Hastig aßen wir auf dem