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Vollständige eBook-Ausgabe der Hardcoverausgabe

© 2018 arsEdition GmbH, Friedrichstraße 9, 80801 München


Alle Rechte vorbehalten
Text: Sarah Welk
Cover- und Innenillustrationen: Anne-Kathrin Behl
Lektorat: Ulrike Hübner
Die Autorin wird vertreten durch die Autoren- und Projektagentur
Gerd F. Rumler, München

ISBN eBook 978-3-8458-2931-9


ISBN Printausgabe 978-3-8458-2197-9

www.arsedition.de

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Inhalt

Titel

Impressum

Wie ich mir überlege, wen ich zu meinem Geburtstag einlade, und
so richtig knallwütend werde

Wie ich mir selber einen Zahn rausgezogen habe

Wie wir der Zahnfee einen Brief geschrieben haben

Wie wir zusammen in den Spaßpark gegangen sind

Wie wir einen Klingelstreich machen und rausfinden wollen, ob


Frau Motz eine Hexe ist

Leseprobe aus dem Band "Lasse in der ersten Klasse"

Weitere Titel
Wie ich mir überlege, wen ich zu meinem

Geburtstag einlade, und so richtig

knallwütend werde

Ich bin Lasse und sechs Jahre und elf Monate und drei Wochen alt
und nächste Woche habe ich Geburtstag. 6 + 11 + 3 ist übrigens 20.
Das weiß ich, weil ich natürlich auch schon zur Schule gehe, und
da rechnen wir immer plus und minus, aber noch nicht mal und
geteilt. Das machen wir erst in der Zweiten.
Aber ich werde nicht 20, das ist ja klar.
Das wäre ja wohl ein bisschen lustig, wenn jemand, der 20 ist,
noch in die erste Klasse geht.
Da würde meine Lehrerin Frau Kastanienkötter sich aber
wundern. Also in echt werde ich natürlich sieben.

Zu meiner Geburtstagsfeier will ich alle Kinder aus meiner Klasse


einladen. Nur nicht Nico und Nadja, das sind nämlich Ärgerkinder.
Wenn Nadja zum Beispiel hinter mir geht, macht sie immer
meinen Schulranzen auf, und das will ich überhaupt nicht, weil der
dann ausleiert.
Und Nico hat mir einmal meinen neuen Raketenkugelschreiber
weggenommen, den hat Opa mir geschenkt, und mit dem schreiben
sogar echte Astronauten, wenn sie im Weltall rumfliegen.
Aber das habe ich dann Frau Kastanienkötter gesagt, und da
musste Nico mir meinen Stift zurückgeben und außerdem auch noch
ein Entschuldigungsbild für mich malen.

In meiner Klasse sind außer mir noch 23 andere Kinder, und 23


minus zwei sind 21. Deshalb muss ich jetzt 21 Raketenbilder malen.
Die will ich nämlich vorne auf die Einladungskarten kleben.
Ich kann richtig gute Raketen. Wenn ich groß bin, werde ich
Astronaut oder ganz vielleicht auch Maler.
Die ersten Bilder werden super. Aber das Malen dauert ganz
schön lange, mir tut sogar schon ein bisschen der Po weh vom
Sitzen. Irgendwie habe ich jetzt gar nicht mehr so viel Lust, und
deshalb mache ich ein bisschen Krikelkrakel.
Rica kriegt aber auf jeden Fall eine Rakete, weil sie ja meine
beste Freundin ist. Die male ich auch noch knallrot an, weil Rot ist
nämlich Ricas Lieblingsfarbe.
Und weil sie auch gerne Ritter mag, zeichne ich neben die Rakete
noch den Chef-Astronauten, der auch ein Ritter ist. Er hat keine
Rüstung an, sondern einen Raumanzug, das ist ja klar, und in der
Hand hält er ein Schwert.
Jetzt muss Mama nur noch hinten den Text draufschreiben, wann
die Kinder kommen sollen und solche Sachen, und schon bin ich
fertig. Mama sagt bestimmt, dass ich das auch schon selber kann.
Aber dann werde ich Nein sagen, weil mir das nämlich zu lange
dauert.

„Mama!“, rufe ich. „Komm mal schnell!“


Aber Mama antwortet nicht. Das ist komisch, weil sie nämlich
gerade im Badezimmer ist. Und das Badezimmer ist direkt neben
meinem Zimmer, und deshalb kann sie mich auf jeden Fall hören.
„MAMA!“, schreie ich jetzt richtig laut. „Du sollst kommen!!!“
Aber es passiert immer noch nichts, und deshalb renne ich zur
Badezimmertür und drücke die Klinke nach unten. Doch die Tür geht
nicht auf, weil sie nämlich abgeschlossen ist.
„Mama, Mama, Mama!“, rufe ich jetzt, und dabei drücke ich im
Takt auf die Klinke und trete unten immer abwechselnd mit beiden
Füßen so ein bisschen ans Holz.
„Sag mal, Lasse, spinnst du?“, höre ich Mamas Stimme von
drinnen. „Hörst du bitte SOFORT auf damit?“
Sie klingt ein bisschen dumpf, aber auch irgendwie sauer.
„Mama!“, rufe ich. „Aber das ist ein Notfall!“
Ich höre auf, mit den Füßen gegen das Holz zu hauen, weil
vielleicht geht die Tür sonst kaputt. Stattdessen klopfe ich lieber.
Da höre ich endlich ein Rauschen und kurz darauf reißt Mama
die Tür auf.
„Kann ich vielleicht EINMAL in Ruhe ins Bad gehen?“, fragt sie
und stemmt die Hände in die Hüften. „Nur ein einziges Mal?“
„Aber du musst meine Einladungskarten schreiben“, antworte ich
und lege den Kopf dabei schief.
Dann strecke ich meinen Arm aus und halte ihr meine
Raketenbilder direkt vor den Bauch.
Die schöne Karte für Rica habe ich extra ganz obendrauf getan,
damit Mama sie gleich sieht und staunt. Vielleicht will sie die sogar
an den Kühlschrank hängen, weil sie mir so gut gelungen ist, aber
das geht natürlich nicht, weil dann Rica ja nicht zu meiner Feier
kommen würde.
Und Mama staunt wirklich. Ihre Augen werden ganz groß und sie
zeigt mit dem Finger auf Ricas Superrakete mit dem
Ritterastronauten.
„Sag mal, Lasse?“, fragt sie dann. „Wie viele Einladungskarten
sind das denn?“
Ich halte den Stapel noch ein bisschen höher, fast unter Mamas
Nase. Aber Mama guckt gar nicht mehr richtig hin, sondern schaut
mir stattdessen direkt ins Gesicht.
„Lasse, ich habe dich etwas gefragt“, sagt sie.
„Einundzwanzig!“, antworte ich stolz.
„Hasi“, sagt Mama. „Du wirst sieben. Also darfst du sieben Kinder
einladen. Und nicht einundzwanzig.“
Ich gucke Mama an. Vielleicht war das ja ein Witz.
Manchmal machen Erwachsene das, dann sagen sie irgendwas,
aber in echt meinen sie was anderes, und dann ist das lustig.
Aber Mama lacht überhaupt nicht.
„Und außerdem“, sagt Mama. „Nächste Woche sind Herbstferien.
Da fahren ganz viele Kinder in Urlaub. Und deshalb machen wir den
Kindergeburtstag sowieso erst, wenn in zwei Wochen die Schule
wieder anfängt.“
„Mama“, sage ich, und dabei klingt meine Stimme so ein
bisschen zittrig, obwohl ich das gar nicht will. „Aber ich muss alle
Kinder aus meiner Klasse einladen. Weil sonst ist es nämlich
überhaupt kein richtiger Geburtstag. Rica darf auch immer alle
einladen.“
„Du bist aber nicht Rica“, antwortet Mama. „Und jetzt ist Schluss.“
Wenn Mama „Und jetzt ist Schluss“ sagt, heißt das, dass sie
nicht mehr weiter mit mir redet, sondern dass sie einfach bestimmt.
Und das darf sie eigentlich überhaupt nicht, weil ich nämlich selber
über mich bestimme.
„Mann, Mama“, schreie ich, und zwar so laut ich kann. „Ich will
das aber! Ich mach das auch einfach! Du bist so gemein, immer hast
du schlechte Laune! Genau wie Frau Motz!“
Frau Motz ist unsere Nachbarin und eigentlich heißt sie Frau
Lotz. Aber Papa nennt sie so, weil sie manchmal schimpft, wenn ich
zu laut spiele. Doch er sagt das natürlich nur, wenn sie es nicht hört.
Und dann drehe ich mich um und renne in mein Zimmer und
knalle die Tür hinter mir zu. Ich bin so wütend, so richtig, richtig
knallwütend. Auf Mama und auf alles.
Ich gucke auf meine Hand und da sind immer noch die Karten
drin. Ich hole aus und schleudere sie mit Karacho auf den Boden,
und dann trample ich darauf herum und kreische so laut ich kann,
damit Mama es hört.
Da sehe ich mein Kasperletheater an der Wand lehnen. Ich hebe
die Arme hoch und schubse es einfach um − und KNALL, donnert es
mitten auf meine schönen Einladungskarten. Die sind jetzt bestimmt
alle zerknickt und Mama ist schuld.
Und auf einmal geht die Wut aus meinen Armen und aus meinen
Beinen und aus meinem Bauch raus. Ich weiß gar nicht richtig,
warum.
Aus meinem Hals kommt stattdessen ein Schluchzer und dann
noch einer, und dann muss ich weinen, und zwar in echt. Weil ich
nämlich ganz alleine in meinem Zimmer bin und die Tür ist zu, und
niemand ist da, der mich tröstet.
Doch plötzlich bewegt sich die Klinke. Die Tür geht auf und
Mama steht vor mir.
„Jetzt komm mal her, du kleines Wutpaket“, sagt sie und breitet
die Arme aus. Ich stürze zu ihr und presse mein Gesicht ganz fest
an ihren Bauch und schlinge meine Arme um ihren Po.
„Mama“, schluchze ich. „Alle meine Einladungskarten sind
kaputt!“
„Das glaube ich nicht“, murmelt Mama in meine Haare. Sie drückt
mich an sich und gibt mir einen Kuss. „Die sind nicht kaputt. Die
liegen einfach platt wie Mortadella unter dem Kasperletheater.“
Mama schiebt mich ein bisschen nach hinten und guckt mir ins
Gesicht. „Sei mal still!“, sagt sie. „Ich glaube, ich habe gerade den
Ritterastronauten gehört!“
„Der kann doch nicht reden, Mama“, schniefe ich, aber dann bin
ich doch so leise wie möglich und lausche. Es klappt aber nicht so
richtig, weil ich auch noch die Nase hochziehen muss.
„Da!“, ruft Mama. Sie lässt mich los, geht in die Knie und drückt
ihr Ohr neben dem Kasperletheater auf den Boden. „Ich hab’s genau
gehört! Der Ritterastronaut hat gerade gesagt: ‚Häää? Was ist denn
hier los? Wieso ist es auf einmal dunkel? Ist es etwa schon Abend?
Ich will aber noch nicht ins Bett!‘“
„Das ist doch nur das Kasperletheater, Ritterastronaut!“, rufe ich
und muss kichern.
„Genau!“, antwortet Mama. „Und nun pass mal gut auf, was jetzt
passiert!“
Sie schiebt ihre Hände unter das Holz und ich fasse auf der
anderen Seite an und zusammen heben wir das Kasperletheater
nach oben.
Und da liegen alle meine Karten. Ganz platt und glatt. Der
Ritterastronaut und seine rote Rakete leuchten uns sofort entgegen,
sie sehen genauso toll aus wie vorher.
Nur eine einzige Karte hat einen winzig kleinen Knick. Und die
war sowieso nicht so schön.
Wie ich mir selber einen Zahn rausgezogen

habe

Also Mama und ich haben jetzt eine richtig gute Lösung gefunden.
Wir feiern zwei Mal: übermorgen mit Opa, da ist mein echter
Geburtstag, und nach den Ferien noch einmal mit den Kindern.
Mama hat jetzt gesagt, wenn ich dann nur sieben Kinder einlade,
darf ich mir als Ersatz ganz alleine ausdenken, was ich übermorgen
machen will!
Und soll ich euch mal sagen, was ich mir überlegt habe? Ich
möchte, dass wir in den Spaßpark fahren. Und zwar nicht nur Mama,
Papa, Opa und ich, sondern auch noch Rica. Die ist nämlich nicht
verreist, weil ihre Mutter sich ein Bein gebrochen hat. Zum Glück.
Ich finde es eigentlich nirgendwo schöner als im Spaßpark. Da
gibt es ziemlich viele Tiere, sogar Löwen. Am besten gefallen mir
aber die Pinguine, die sehen so lustig aus, wenn sie laufen. Noch
toller sind aber die Karussells. Sie haben da mindestens 50 oder 100
verschiedene, auch eine Schiffschaukel und sogar eine
Loopingbahn.
Wisst ihr, was eine Loopingbahn ist? Da rast man mit so einem
kleinen Wagen auf Schienen und macht einen ÜBERSCHLAG. Also
natürlich ist man dabei angeschnallt, sonst würde man rausfallen,
und das wäre ja wohl zu gefährlich.
Ob ich mich in die Loopingbahn traue, weiß ich noch nicht genau.
Aber in die anderen Karussells gehe ich auf jeden Fall, und man
kann da so oft fahren, wie man will! Wenn man fertig ist, stellt man
sich einfach wieder hinten an der Schlange an, und zack!
Spaßpark ist wirklich das Beste auf der Welt. Wenn ich
erwachsen bin, dann eröffne ich vielleicht selber einen und dann
kann ich den ganzen Tag Karussell fahren, und das ist dann mein
Beruf.
Nur eine Sache ist ein bisschen blöd. Ich habe jetzt ja ziemlich
viele Einladungskarten übrig, nämlich 13 schöne und eine
zerknickte. Aber zum Glück habe ich auch schon eine Idee: Die
schenke ich nämlich einfach alle Opa.
Niemand kennt sich so gut mit Raketen aus wie er, einmal durfte
ich bei ihm sogar einen echten Start von einer Rakete im Fernsehen
sehen.
Und deshalb freut Opa sich bestimmt, wenn ich die alle
aneinanderklebe, und dann hat er eine riesige Raketenschlange. Die
kann er sich vielleicht über sein Bett hängen.
Und darum rufe ich ihn jetzt auch sofort an. Es dauert zehnmal
Klingeln, bis er endlich abhebt.
„Opa“, rufe ich. „Du musst vorbeikommen, ich habe nämlich eine
Superüberraschung für dich!“
„Ist das wahr?“, fragt Opa. „Na, dann sause ich jetzt wohl besser
gleich los.“
„Gib Schub!“, antworte ich. Das sagen Opa und ich immer, wenn
wir wollen, dass der andere sich beeilt. Das machen echte
Astronauten nämlich auch so. Ich stelle mich sofort ans Fenster und
warte.
„Lasse“, sagt Mama, „du brauchst da eigentlich noch nicht zu
stehen. Es dauert mindestens eine Viertelstunde, bis Opa hier ist.“
„Wie lange ist denn eine Viertelstunde?“, frage ich, weil ich das
nämlich überhaupt nicht richtig weiß.
„So lange, wie man braucht, um drei Eier zu kochen“, antwortet
Mama. „Hintereinander.“
Aber ich finde, das ist nicht sehr lang, und deshalb bleibe ich am
Fenster sitzen. Mit der Zunge drücke ich von hinten an meinen
Wackelzahn, aber nicht zu doll, weil es nämlich wehtut. Ich traue
mich nicht, ihn mit einem Ruck rauszureißen, denn dann kommt
vielleicht Blut.
Rica hat sogar schon DREI Zahnlücken, und sie sagt, dass da
RICHTIG VIEL Blut kommt.
Ich halte den Zahn vorsichtig zwischen zwei Fingern und ruckle
ein kleines bisschen.
Er klappt nach vorne um und vor lauter Schreck lasse ich ihn
sofort wieder los. Jetzt hängt er wirklich nur noch an einem winzigen
Faden aus Haut. Mein Herz klopft ganz laut.
Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen, kneife die Augen zu
und sperre den Mund auf, so weit ich kann. Dann halte ich den
Hängezahn mit zwei Fingern fest und zähle bis drei, und bei drei
drehe ich ihn ein winziges Stück.
In meinem Kopf macht es ganz leise „knurps“. Ich reiße die
Augen auf und kann es kaum glauben: Zwischen meinen Fingern ist
der Zahn! In echt! Ich habe mir selber einen Zahn rausgezogen und
es tat beinahe überhaupt nicht weh! Und Blut kommt auch nicht.
Also fast nicht.
„MAMA!“, brülle ich, so laut ich kann. „MAAAMAAA! Es ist was
passiert!!! KOMM!!!“
Ich höre, wie in der Küche ein Stuhl quietscht, und dann knallt es
laut und dann stöhnt Mama „Aua, so ein Mist“.
Und dann höre ich, wie sie die Tür aufreißt.
Sie steht im Wohnzimmer und Papa ist hinter ihr und beide
sehen erschrocken aus.
„Lasse, was ist passiert? Ist alles gut bei dir?“, fragt Mama.
Papa guckt ihr über die Schulter, und seine Stirn ist ganz faltig,
so als würde er sich Sorgen machen.
Ich grinse sie an und ziehe dabei die Oberlippe ein Stück nach
oben, damit sie meine Zahnlücke sehen können.
„Ich hab mi selba den Saan rausgesogen“, sage ich. „Und es
komd fasch kei Blud.“ Dann grinse ich noch ein bisschen doller und
strecke Mama und Papa meine Hand mit dem Zahn entgegen.
Beide kommen ganz nah zu mir und gucken.
„Wow“, sagt Papa. „Nicht schlecht. Der ist ja riesig. Und den hast
du ganz alleine rausgezogen?“
Ich nicke und in meinem Bauch hüpft irgendwas. Das fühlt sich
immer so an, wenn ich mich richtig doll freue.
Ich bin mir nicht ganz sicher, aber vielleicht kann ich ja auch
Astronaut werden, und immer wenn ich nicht auf dem Mond bin,
dann bin ich Spaßparkbesitzer und an manchen Tagen auch noch
Zahnarzt. Ich muss Opa fragen, ob das geht.
„Zeig mir noch mal die Zahnlücke“, sagt Mama.
Ich reiße den Mund auf.
„Ich glaube es nicht“, sagt sie. „Was für ein großes Kind.
Wahnsinn.“
Und dann gibt sie mir einen Knallkuss auf die Stirn. Auf den
Mund geht ja nicht, weil der steht immer noch offen.

Ich mag auch nicht so gerne Küsse auf den Mund, das finde ich
ein bisschen eklig. Und ich bin ja auch kein Baby mehr.
„Dann hast du jetzt ja sogar zwei tolle Sachen, auf die du dich
freuen kannst“, sagt Mama. „Übermorgen hast du Geburtstag und
heute Nacht kommt auch noch die Zahnfee! Du bist wirklich ein
Glückskind.“
Daran hatte ich überhaupt noch nicht gedacht. Die Zahnfee!
Von Rica weiß ich genau, wie das funktioniert, nämlich so: Man
muss den rausgefallenen Zahn abends unter das Kopfkissen legen.
Und wenn man dann nachts schläft, kommt die Zahnfee und
mopst den Zahn weg und stattdessen legt sie ein Geschenk unter
das Kissen.
Rica hat gesagt, am besten macht man abends auch noch das
Fenster ein Stück auf, damit die Zahnfee reinfliegen kann.
„Willst du den Zahn nicht vielleicht jetzt sofort unter das Kissen
legen?“, fragt Papa. „Damit wir ihn nicht verlieren?“
Aber das will ich auf keinen Fall.
„Nein, Papa“, antworte ich. „Ich will mir den Zahn noch ganz oft
angucken. Den verlier ich NATÜRLICH nicht.“ Und dann stecke ich
ihn in meine Hosentasche. Und zwar ganz nach unten.
„Wie du meinst“, sagt Papa und zieht die Nase kraus.
Dann dreht er sich zu Mama um. „Aber hat denn außer mir hier
niemand Hunger? Oder kann dieser zahnlose kleine Opa sowieso
nichts kauen?“
Ich boxe Papa in den Bauch, aber nur aus Spaß. „Ey, ich bin kein
Opa!“, rufe ich. „Du bist selber ein Opa! Und zwar ein richtig lahmer!“
„HOAAAAH“, brüllt Papa. „Ich bin ein lahmer Opa? Dich krieg ich,
du Lauselümmel!“
Und dann rast er hinter mir her durch die ganze Wohnung, und
ich flitze weg und wir hopsen in mein Zimmer und durchs ganze Bett,
bis ich keine Luft mehr kriege und so lachen muss, dass mir der
Bauch wehtut. Und dann schnappt Papa mich und hält mich hoch
über seinen Kopf. Ich strample und kichere und dabei gucke ich
auch noch aus dem Fenster, und da sehe ich Opa. Also natürlich
den echten.
„Lass mich runter“, schreie ich. „Opa kommt!“
Und da setzt Papa mich auf den Boden und ich flitze zur Tür.
Also, wenn Opa gleich meine Zahnlücke sieht, dann fällt der um.
In echt.
Wie wir der Zahnfee einen Brief geschrieben

haben

Ich reiße die Tür auf und winke wie verrückt.


„Opa!“, rufe ich. „Guck mal!“ Und dabei sperre ich den Mund
ganz weit auf.
Opa bleibt wie angewurzelt stehen.
„Oha!“, ruft er. „Was ist das denn? Dir fehlt ja ein Zahn!“
„Den habe ich ganz alleine rausgezogen!“, rufe ich. „Das habe
ich mich getraut, obwohl dabei RICHTIG VIEL Blut gekommen ist!
Guck mal!“
Ich schiebe die Hand in meine Hosentasche, aber als Erstes
finde ich nur ein Kaugummipapier. Dann einen Knopf. Ich wühle
noch einmal und schließlich ziehe ich die ganze Hosentasche
einfach nach außen und schüttle sie.
Aber außer dem Papier und dem Knopf ist nichts drin, nicht das
allerkleinste Fitzelchen!
„Mein Zahn!“, schreie ich. „Mein Zahn ist weg!“ Und dann sause
ich zurück in mein Zimmer, weil mir der aus der Tasche gefallen sein
muss, als Papa mich so durchgeschüttelt hat.
Ich suche überall: im Bett und auf dem Teppich und unter dem
Schrank, aber der Zahn ist nirgends zu finden. Und dann schießen
mir Tränen in die Augen und mein Hals wird ganz eng, sodass ich
fast nicht mehr atmen kann.
Opa ist mir nachgekommen. Er hockt sich zu mir auf den Boden
und nimmt mich in den Arm.
„Ist doch nicht so schlimm“, sagt er. „Die Lücke ist doch noch da.
Und die sieht super aus.“
„A-a-a-ber die Zahahahanfeee“, schluchze ich. „Ohohohne den
Zaaaahn krieg ich kein Geschehehehenk.“
„Ach so“, murmelt Opa. „Das wusste ich nicht.“ Dabei kratzt er
sich am Kopf. Plötzlich hellt sich sein Gesicht auf. „Ich hab’s!“, ruft
er. „Du schreibst der Zahnfee einen Brief!“
„Meinst du, das geht?“, frage ich. Eigentlich glaube ich das
nämlich nicht, weil wir ja gar nicht wissen, wo sie wohnt.
„Sicher geht das“, sagt Opa. „Ich habe der Zahnfee früher oft
geschrieben. Wir legen den Brief einfach unter dein Kopfkissen. Und
wenn sie heute Nacht deinen Zahn sucht, dann findet sie ihn.“
Ich wische mir die Nase an meinem Ärmel ab. Was für ein Glück,
dass Opa sich mit allen Sachen so gut auskennt.
„Komm, mein Kleiner“, sagt er und zieht mich hoch. „Wir fangen
sofort an, weil wir ja gar nicht genau wissen, wann diese Elfe
kommt.“
Da erkläre ich Opa erst mal, dass die Zahnfee immer nur nachts
die Zähne einsammelt und dass sie außerdem keine Elfe ist,
sondern eine Fee. Das ist nämlich etwas anderes.
Wir gehen in die Küche und setzen uns an den Tisch.
„Habt ihr Hunger?“, fragt Papa. „Papa, wir haben jetzt leider
keine Zeit für dich“, sage ich, weil das stimmt ja auch. „Opa und ich
müssen was Wichtiges erledigen.“
„Oha“, sagt Papa. „Na, dann mache ich euch nur kurz einen
Kakao.“

„Für mich bitte mit Strohhalm“, sage ich schnell, weil mir nämlich
gerade eingefallen ist, dass ich den einfach durch die Zahnlücke
stecken kann, und dann kann ich trinken, ohne den Mund
aufzumachen.
„Und was schreiben wir jetzt?“, frage ich und drehe mich zu Opa
um.
„Na ja“, antwortet er. „Ganz oben in einem Brief müsste eigentlich
stehen ‚Liebe Zahnfee‘. Man könnte auch ‚Hallo Zahnfee‘ schreiben.
Oder ‚Sehr geehrte Zahnfee‘, aber das passt vielleicht nicht so gut.“
Ich kaue oben am Bleistift und denke nach. Ich kaue so doll, dass
ich sogar schon ein paar Holzkrümel im Mund habe. Deshalb nehme
ich schnell einen Schluck Kakao, und das mit dem Strohhalm
funktioniert wirklich!
„Ich schreibe ‚Liebe Zahnfee‘“, sage ich schließlich. „Weil dann
freut sie sich bestimmt, dass ich sie lieb finde.“
„Gute Idee“, antwortet Opa und nickt.
Und dann fällt mir plötzlich noch was ein, aber ich weiß nicht, ob
das geht. Mein allerallergrößter Wunsch auf der Welt ist nämlich ein
echter Astronautenanzug. Den habe ich gesehen, als wir meine
Schultasche gekauft haben: Er ist aus ganz dünnem weißen Stoff
und es ist sogar ein richtiger Helm dabei.
„Opa“, frage ich. „Kann ich der Zahnfee aufschreiben, was sie mir
für ein Geschenk bringen soll?“
Opa wiegt den Kopf hin und her.
„Hmm“, antwortet er. „Wünschen darf man sich alles. Man weiß
halt nur nicht, ob man es auch kriegt. Also ich denke, das kannst du
ruhig aufschreiben.“
Und deshalb mache ich das dann auch. Am Ende sieht der Brief
so aus:
„Der Brief ist super“, sagt Opa. „Du musst dir keine Sorgen mehr
machen. Das klappt auf jeden Fall.“
Ich bin ganz schön stolz. Eigentlich ist es mit Brief und ohne
Zahn sogar besser als mit Zahn und ohne Brief, weil sonst hätte die
Zahnfee das mit dem Astronautenanzug ja gar nicht gewusst.
Aber jetzt habe ich noch ein anderes Problem. Das ist mir aber
ein bisschen peinlich und deshalb sage ich es nicht.
Opa guckt mich an.
„Warum siehst du denn so bedröppelt aus?“, fragt er. Ich kaue
auf meiner Lippe herum und antworte nicht.
„Na komm, jetzt mal raus mit der Sprache!“, ruft Opa und legt mir
eine Hand auf die Schulter.
„Ich finde das ein bisschen unheimlich“, murmele ich.
„Was findest du unheimlich?“, fragt Opa.
„Dass da nachts so eine Fee in meinem Zimmer herumfliegt und
an meinem Kissen fummelt, wenn ich schlafe“, antworte ich.
„Aber die ist doch winzig klein“, versucht Opa mich zu beruhigen.
„Trotzdem“, sage ich.
„Hm“, murmelt Opa. „So habe ich das noch gar nicht gesehen.
Eigentlich hast du recht. Ich fände das auch nicht so gut.“ Jetzt kaut
er auch auf seiner Lippe herum.
„Aber vielleicht muss der Brief ja gar nicht unter deinem Kissen
liegen“, schlägt er dann vor. „Wir könnten ihn doch auch ins
Badezimmer bringen, das Fenster aufmachen und die
Badezimmertür von außen abschließen, damit die Zahnfee nicht im
ganzen Haus herumfliegt.“
Das ist wirklich eine Superidee, finde ich.
„Und damit sie weiß, wo sie reinmuss, hängen wir einfach noch
außen ein Schild ans Fenster“, sage ich.
Und genau so machen wir es. Ich hole eine große Pappe und
male eine Zahnfee in die Ecke und Opa schreibt in riesigen roten
Buchstaben „Zahnfee hier lang“ und daneben malt er einen Pfeil.
Dann gehen wir in den Garten und kleben das Schild ans
Badezimmerfenster.
Unsere Nachbarin Frau Lotz steht hinter der Hecke und guckt.
Sie guckt immer. Und sieht ein bisschen grimmig aus und schüttelt
den Kopf. Auch wie immer.
„Hallo“, ruft Opa und lächelt und winkt und ich mache das
Gleiche. Frau Lotz winkt aber nicht zurück, sie presst nur die Lippen
zusammen und nickt kurz zu uns herüber. Dann verschwindet sie im
Haus.
Opa dreht sich wieder um, stemmt die Hände in die Hüften und
guckt auf unser Schild. „Perfekt“, sagt er. „Die Elfe kann kommen.
Ich hoffe nur, sie fürchtet sich nicht vor Frau Motz.“
„Meinst du das ernst?“, frage ich und kriege ein bisschen
Bauchgrummeln, weil das wäre ja wirklich blöd.

„Nein“, sagt Opa. „Die Fee kann doch zaubern. Wenn Frau Motz
grimmig guckt, dann sagt sie einfach:, Ene, mene, mehnt, du bist
jetzt mal gelähmt.‘ Und dann kann Frau Motz sich nicht mehr
rühren.“
„Nie mehr?“, frage ich.
„Na ja, bevor die Fee wieder abfliegt, sagt sie natürlich:, Ene,
mene, lohr, alles wie zuvor.‘ Und dann kann Frau Motz sich auch
wieder bewegen. Sonst wäre das doch ziemlich gemein, oder?“
Aber ich fände es eigentlich ganz gut, wenn Frau Motz mal einen
ganzen Tag lang festgezaubert wäre.

Als Mama mich abends ins Bett bringt, erkläre ich ihr, dass wir nicht
Hände und Gesicht waschen können und Zähne putzen auch nicht,
weil das Badezimmer ja versperrt ist.
Aber Mama sagt, wir können die Tür ruhig noch einmal
aufschließen, weil die Zahnfee erst nachts kommt. Und außerdem
müssten Papa und sie vielleicht auch noch mal aufs Klo, bevor sie
ins Bett gehen.
„Aber ihr geht ja erst nachts ins Bett“, rufe ich. „Vielleicht stört ihr
dann die Zahnfee! Könnt ihr nicht vielleicht im Garten Pipi machen?“
Aber Mama sagt, das geht auf keinen Fall. „Papa und ich
könnten höchstens an die Tür klopfen und rufen: ‚Achtung Zahnfee,
ich muss mal aufs Klo‘, damit sie sich noch schnell verstecken
kann“, schlägt Mama vor.
Und das ist auch eine ganz gute Idee, finde ich.
Als ich im Bett liege, kann ich erst gar nicht einschlafen, weil ich
so aufgeregt bin. Vielleicht kann ich den Astronautenanzug ja auch
mal zur Schule anziehen! Ich weiß aber nicht genau, ob es dann mit
oder ohne Helm besser ist. Das muss ich noch mit Rica besprechen.
Am nächsten Morgen wache ich ganz früh auf.
Ich schiebe das Rollo ein Stückchen nach oben und sehe, dass
es nicht mehr schwarzdunkel ist, sondern graudunkel und dass
außerdem Frau Motz schon in ihrem Garten steht und Blumen gießt.

Ich gucke sie mir ganz genau an, weil ich rausfinden will, ob sie
nachts vielleicht festgezaubert war, aber eigentlich sieht sie so aus
wie immer. Dann höre ich, dass Papa schon unten ist und das
Frühstück macht. Ich springe aus dem Bett und rase die Treppen
hinunter.
„Hast du etwa schon geduscht?“, rufe ich.
„Nein“, antwortet Papa. „Sehe ich so aus?“ Und so sieht er
wirklich nicht aus, seine Haare sind nämlich noch sehr strubbelig
und auf seiner Backe ist eine rote Strichfalte vom Kissen.
Ich bin ganz erleichtert, weil natürlich will ich als Erster ins
Badezimmer gehen und nachgucken, ob die Zahnfee da war!
Ich renne zur Tür und schließe sie auf.
Und tatsächlich. Auf dem Badewannenrand liegt ein Päckchen!
Ich laufe hin und nehme es in die Hand. Es ist nicht sehr groß
und ganz flach. Das fühlt sich überhaupt nicht so an, als wäre da ein
Astronautenanzug drin. Oh nein! Vielleicht kann die Zahnfee ja gar
nicht lesen!
Papa steht in der Badezimmertür.
„Guck mal, Lasse“, sagt er. „Da hängt ein Brief am Päckchen.“
Und tatsächlich, jetzt entdecke ich ihn auch.
„Bitte Papa, kannst du mir den vorlesen?“, frage ich.
Ich will den nicht selber lesen, weil das dauert bei mir immer so
lange. Und ich will jetzt sofort wissen, was da drinsteht, weil ich habe
überhaupt noch nie einen echten Brief gekriegt! Und schon gar nicht
von einer Fee!
Papa reißt den Umschlag auf und liest:
Daran hatte ich überhaupt nicht gedacht! Feen sind ja winzig,
deshalb können sie natürlich auch nur kleine Sachen tragen.
Ich reiße das Geschenkpapier auf und kann kaum glauben, was
in dem Päckchen ist: nämlich Wandsticker, die so aussehen, als
wären sie Fenster von einer Rakete.
Wenn ich die in meinem Zimmer an die Wand klebe, dann kann
ich richtig gut spielen, dass mein Bett ein echtes Raumschiff ist. Ich
muss gleich Opa anrufen und ihm das erzählen. Und Mama natürlich
auch, die ist nämlich schon bei der Arbeit.
„Nein, Lasse“, sagt Papa. „Das geht nicht, Opa schläft noch und
Mama hat erst in einer Stunde Pause. Ich würde sagen, du ziehst
dich jetzt erst mal an und danach frühstücken wir beide zusammen.“
Und so machen wir es.
Ich laufe in mein Zimmer und öffne die Kleiderschranktür. Und
plötzlich spüre ich etwas unter meinem Fuß. Irgendetwas Piksiges.
Ich hebe ihn hoch und gucke nach, und wisst ihr, was da an meiner
Ferse klebt? Der Zahn!

„PAPA!!!“, schreie ich. „Ich habe meinen Zahn wiedergefunden!“


„Wie toll!“, ruft Papa aus der Küche. „Du bist wirklich ein
Glückskind!“
Und ich glaube, das stimmt. Weil eigentlich war es ja gut, dass
mein Zahn weg war. So konnte die Fee ihn nicht mitnehmen und ich
kann ihn jetzt noch allen Leuten zeigen, und ich habe das Geschenk
und einen echten Feenbrief.
Und dann habe ich morgen auch noch Geburtstag. Und das ist
eigentlich das Beste von allem.
Wie wir zusammen in den Spaßpark

gegangen sind

Ich wache auf und habe gleich so ein feierliches Gefühl. Ich kann
hören, dass Papa duscht und Mama in der Küche pfeift, aber
natürlich stehe ich nicht auf, das darf man nämlich nicht, wenn man
Geburtstag hat.
Aber hoffentlich merken Mama und Papa, dass ich wach bin!
Weil sonst muss ich vielleicht noch eine Stunde lang im Bett liegen,
und das ist ewig! Dafür muss man 60-mal bis 60 zählen!
Ich bin ganz leise und lausche, und auf einmal höre ich, dass
Mama ein Streichholz anmacht und kurz später noch eins. Da weiß
ich, dass sie jetzt die Kerzen an meinem Geburtstagskuchen
angezündet hat und dass es gleich losgeht.
Mama und Papa flüstern unten an der Treppe, und jetzt knarren
die Stufen und schon geht meine Tür auf. Juhu!
Mama hat ein Tablett in der Hand mit drei Kakaobechern drauf
und meinem Geburtstagskuchen mit sieben Kerzen.
Das ist Marmorkuchen, das weiß ich schon, weil ich den nämlich
am liebsten mag. Und Papa hält einen Wäschekorb fest, und der ist
anscheinend ziemlich schwer, und ich kann schon sehen, dass da
Geschenke drin sind.
Beide fangen direkt an zu singen, und zwar: „Zum Geburtstag
viel Glück!“
Eigentlich mag ich es gerne, wenn jemand ein Geburtstagslied
für mich singt, dann fühle ich mich irgendwie noch feierlicher als
sowieso schon, aber gleichzeitig ist es mir auch ein bisschen
peinlich.
Ich weiß nämlich immer nicht so genau, wo ich hingucken soll.
„Zum Geburtstag viel Glück“ ist aber ein gutes Lied, weil es nämlich
kurz ist. Es gibt auch noch „Wie schön, dass du geboren bist“, das
hat richtig viele Strophen, und deshalb mag ich das nicht so gerne.
„Alles Gute zum Geburtstag, Knöpfchen“, ruft Mama und gibt mir
einen Kuss.
„Lasse, mein Herzjunge, dass du jetzt schon sieben bist!“, sagt
Papa. „Als du geboren wurdest, das war wirklich der schönste Tag
überhaupt für Mama und mich!“
Und dann drückt er mich mit dem einen Arm an sich und mit dem
anderen Mamas Beine, die steht nämlich neben dem Bett und Papa
sitzt auf der Kante.
Aber jetzt will ich sofort meine Geschenke auspacken. Deshalb
schiebe ich Papa von mir weg und drehe mich zu dem Wäschekorb
um.
„Welches zuerst?“, frage ich.
„Ganz egal“, sagen Mama und Papa genau gleichzeitig und dann
müssen wir alle drei lachen.
Ich glaube, das größte Päckchen hebe ich mir bis zum Schluss
auf, deshalb nehme ich erst mal ein kleines blaues.
Und wisst ihr, was da drin ist? Ein Schlüsselanhänger für mein
Fahrradschloss. Der ist richtig super, weil wenn man den Schlüssel
nicht findet, kann man pfeifen, und dann spielt der Anhänger eine
Melodie, und man weiß, wo er ist. In echt!
Außerdem kriege ich noch ein Raumschiffbuch, ein kleines Auto
zum Selberbauen und fünf Unterhosen.
Also die Unterhosen finde ich jetzt nicht so toll, aber die anderen
Sachen sind super. Und am Schluss mache ich das größte
Päckchen auf, und darin ist ein echtes Ritterschwert! Rica fällt um,
wenn sie das sieht.
Als ich fertig ausgepackt habe, kommen Mama und Papa in mein
Bett und wir quetschen uns alle zusammen unter meine Decke. Also
Papa passt nur halb drunter, bei ihm guckt das Bein raus und der
Bauch.
Mama hebt ganz vorsichtig das Tablett auf unsere Knie und dann
trinken wir Kakao und essen Marmorkuchen und reden. Das finde
ich so gemütlich! Also ich glaube nicht, dass es woanders noch
gemütlicher ist als bei uns.
Ich will aber natürlich nicht die ganze Zeit liegen bleiben, weil
gleich fahren wir ja los in den Spaßpark! Und Opa kommt! Und Rica!
Als es klingelt, rase ich sofort zur Tür. Da stehen Opa und Rica,
beide mit Geschenk, und das ist natürlich am allerbesten, weil dann
muss ich nicht mehr warten.
Ricas Geschenk packe ich zuerst aus. Und wisst ihr, was drin ist?
Eine Supersoaker. Das ist eine Wasserpistole, aber in Groß.
„Mit der kann man zehn Meter weit schießen“, sagt Rica und
klingt ganz stolz. „Sogar bis zu Frau Motz!“
Papa nimmt gerade einen Schluck Kakao, aber jetzt verschluckt
er sich auf einmal so, dass seine Augen ein bisschen nach vorne
rausstehen und er richtig husten muss.
„Kann ich die ausprobieren?“, rufe ich, weil Papa so laut ist.
„Später“, sagt Mama und klopft Papa auf den Rücken. „Wir
wollen gleich los!“
Und das stimmt natürlich. Deshalb reiße ich jetzt ganz schnell
das Papier von Opas Geschenk auf.
Und jetzt ratet mal, was ich kriege? Darauf kommt ihr nie.
Den Astronautenanzug! In echt!
„Opa“, schreie ich und hopse in die Luft und in seine Arme. Und
dann strample ich aber sofort, damit er mich wieder runterlässt, und
rufe: „Guck mal, Mama! Papa, sogar mit Helm!!“ Und dabei hüpfe ich
und hopse und halte den Anzug in die Luft.
„Den will ich anziehen!“, rufe ich. „Bitte Mama!“
Und Mama nickt und lacht und dann ziehe ich mich so schnell an
wie noch nie. Die Autofahrt zum Spaßpark ist schon richtig lustig.
Mama fährt, weil sie das nämlich besser kann als Papa, und Opa
sitzt vorne. Hinten sitzen Rica und Papa und ich in der Mitte.
Es ist ein bisschen eng, besonders weil der Helm auf meinem
Kopf so groß ist. Das ist so eine Plastikkugel, die man hinten
aufklappen kann. Und dann macht man sie wieder zu, aber man
kann natürlich noch was sehen, weil das Plastik ja durchsichtig ist,
und atmen geht auch, weil vor dem Mund ist so ein Schiebeschlitz,
den kann man öffnen, damit Luft reinkommt.

Es klingt nur ein bisschen komisch, wenn ich spreche, irgendwie


dumpf, aber das ist bei echten Astronauten ja genauso.

Als wir am Park sind, bezahlt Papa und dann gehen wir erst mal
rein.
Direkt hinter dem Eingang sind die ganzen Tiere. Ich will
eigentlich nicht so gerne bei den Löwen vorbeigehen, weil die finde
ich ein bisschen unheimlich.
Also ich weiß natürlich, dass die ja alle eingesperrt sind und nicht
rauskönnen. Aber vielleicht springt ja doch mal einer über den
Wassergraben, und das ist mir zu gefährlich.
„Aber Lasse“, sagt Mama. „Die können wirklich nicht raus. Nie.
Und falls es doch einer hinkriegen würde, dann wäre der
wahrscheinlich sogar lieb.“
„Löwen sind nicht lieb“, ruft Rica und guckt ganz wichtig. „Die
fressen sogar Menschen auf. Das habe ich mal im Fernsehen
gesehen. Da war ein Mann und … “
„Wie auch immer“, unterbricht Papa sie. „Wenn Lasse nicht zu
den Löwen will, gehen wir eben zu den Pinguinen. Schließlich hat er
heute Geburtstag.“
Und so machen wir es dann.

Und stellt euch mal vor, die Pinguine werden gerade gefüttert!
Der Tierpfleger wirft ihnen immer Fische hin und dann watscheln sie
los und springen ins Wasser und schwimmen so schnell wie Raketen
zu ihrem Fressen.
„So!“, ruft der Wärter plötzlich. „Gibt es denn hier jemanden, der
sich traut, unsere Brillenpinguine zu füttern?“
Rica meldet sich so schnell, dass ich ihren Arm richtig an
meinem Helm vorbeizischen sehe. Gleichzeitig nimmt sie mit ihrer
anderen Hand mein Handgelenk und reißt es mit nach oben, sodass
wir uns jetzt beide melden.
„Ich sehe schon zwei mutige Kinder“, ruft der Tierpfleger und
guckt in unsere Richtung.
„Lasse hat heute Geburtstag!“, ruft Rica und schüttelt dabei
meine Hand in der Luft.
„Fantastisch!“, antwortet der Tierpfleger und kommt zu uns
herüber. „Wie alt bist du denn geworden, Lasse?“
Und dabei hält er mir das Mikrofon vor den Helm. Alle gucken
mich an, und irgendwie ist mir das ein bisschen unangenehm, und
mein Herz schlägt so doll, dass mein ganzer Bauch wackelt.
„Sieben“, murmele ich, weil meine Stimme nicht so richtig
funktioniert.
„Soll ich dir mal den Helm aufmachen?“, flüstert Papa in mein
Ohr.
Ich nicke, so schnell ich kann. Mir ist nämlich ganz schön heiß.
Und vielleicht finden die Leute das auch komisch, dass ich einen
Astronautenanzug anhabe, und lachen heimlich.
Papa öffnet hinten den Verschluss und ich ziehe mir ruckzuck
den Helm vom Kopf und drücke ihn Papa in die Hand.
„Sieben“, krächze ich noch einmal, aber jetzt ganz schön laut.
„Wunderbar!“, ruft der Tierpfleger. „Herzlichen Glückwunsch!
Dann darfst du dir den ersten Fisch aussuchen. Aber nicht
aufessen!“
Die Leute lachen alle, aber ich finde, das ist nicht so ein guter
Witz. Ich esse doch keinen Fisch! Und erst recht keinen, der nicht
gekocht und an dem auch noch der Kopf dran ist!
„Und du bist also Lasses kleine Freundin und willst ihn vielleicht
mal heiraten?“, sagt der Pfleger jetzt zu Rica.
Rica greift mit der linken Hand in den Eimer und tippt sich mit der
rechten an die Stirn. „Du hast ja eine Meise!“, ruft sie und die Leute
lachen wieder alle.
Das finde ich richtig gut, dass sie das gesagt hat, und mutig
auch. Der Kopf vom Tierpfleger ist jetzt ein bisschen rot, und er
macht den Mund auf, um etwas zu sagen.
Aber da holt Rica schon aus und schleudert ihren Fisch mitten
zwischen die Pinguine. Ich schmeiße meinen schnell hinterher. Und
schon schnattern und flitzen alle durcheinander, und ich freue mich
richtig, weil ich genau sehe, dass mein Lieblingspinguin meinen
Fisch kriegt.
Die Zuschauer applaudieren und Rica verbeugt sich. Dabei stößt
sie mir ein bisschen ihren Ellenbogen in die Seite, und da verbeuge
ich mich natürlich auch.
„Willst du deinen Helm wiederhaben?“, fragt Papa, als wir
weitergehen. Aber ich sage Nein, weil der mir nämlich im Moment zu
unbequem ist.
„Guck mal!“, schreit Rica. „Die Loopingbahn!“ Und tatsächlich.
Über den Baumwipfeln rast gerade der kleine Zug vorbei und die
Passagiere kreischen richtig laut.
Rica greift meine Hand und wir rennen los.
„Wir sitzen ganz vorne, ja?“, ruft sie und guckt mich an. Ich
wackle so ein bisschen mit dem Kopf hin und her, weil ich nicht weiß,
ob ich mich das traue. Also überhaupt mit der Loopingbahn zu
fahren, meine ich. Aber eigentlich will ich schon ganz gerne.
Im Laufen drehe ich mich zu Opa um. „Was passiert, wenn der
Zug entgleist?“, rufe ich.
„Der kann nicht entgleisen“, antwortet Opa. „Kannst du mir
glauben.“
Rica nickt so doll, dass ihre Haare wackeln.
„Aber ich will nicht ganz vorne sitzen“, sage ich zu ihr und bleibe
stehen.
„Gut!“, ruft Rica. Dann gehen wir in den zweiten Wagen!“
„Und was meinst du, Hasi“, sagt Papa und schaut Mama an. „Nur
du und ich? Ganz alleine im ersten Wagen? So wie früher?“
Mama lacht und schüttelt den Kopf.
„Bittebittebittebitte“, sagt Papa und guckt ein bisschen so wie ein
kleiner niedlicher Hund. Dann fängt er plötzlich an zu grinsen.
„Ich setze sogar meinen Helm für dich auf! Flieg mit mir zu den
Sternen“, ruft er und streckt die Hand nach Mama aus. Dabei schiebt
er sich die Plastikkugel über den Kopf und lässt sie hinten
zuschnappen.
Jetzt lacht Mama richtig.
„Du bist echt ein Spinner!“, sagt sie und dann nimmt sie Papas
Hand und läuft mit ihm zur Loopingbahn.
„Und du, Opa?“, frage ich.
„Ich hole Eis für alle!“, antwortet er und strahlt mich an.
Und da rennen Rica und ich auch los und setzen uns in den
Wagen hinter Mama und Papa.
Es macht so „sssst“, und über unseren Köpfen sinken Bügel
herab, die uns ganz fest in den Sitz drücken. Das ist, damit man
nicht rausfällt, wenn der Wagen einen Überschlag macht. Mama ist
auch schon angeschnallt, aber bei Papa stimmt irgendwas nicht.
Ach du liebes bisschen! Der Bügel passt nicht über den Helm!
Diese komische Metallschlaufe kommt immer wieder nach unten,
drückt von oben auf das Plastik und macht ständig so „ssst, ssst,
ssst“, und Papa wird die ganze Zeit im Takt rauf und runter in die
Polster gedrückt und dabei fingert er ganz hektisch hinten am
Verschluss herum.
„HAALLLLOOOO!!!“, ruft er, aber es ist nicht sehr laut, sondern
eher dumpf, weil er ja den Helm aufhat. „HIER STIMMT WAS
NICHT!!!!“
Und dabei winkt er mit beiden Armen gleichzeitig.
Mama dreht sich zu Papa und versucht jetzt auch, den Helm
aufzumachen, aber nun klappt es überhaupt nicht mehr, weil beide
gleichzeitig am Verschluss rumfummeln.
Aber auf einmal kommt ein neues Geräusch, nämlich „pffffft“. Und
alle Bügel gehen wieder nach oben.

„Da haben wir ja mal wieder einen besssssonderen


Spasssssvogel an Bord!“, tönt eine Stimme aus dem Lautsprecher.
„Mitfahrt bitte nur ohne Helm, die Herrschaften! Das gilt auch für
Weltraumcowboys!“
Mama versucht jetzt, Papa den Helm einfach so vom Kopf zu
ziehen, aber das geht natürlich nicht, weil der ist ja zu eng am Hals.
„Braucht ihr Hilfe, Turteltäubchen?“, kommt wieder die
Lautsprecherstimme. „Vorschlag zur Güte: Ihr steigt aus, löst das
Helmproblem und steigt in der nächsten Runde wieder zu!“
Und das ist ja eigentlich eine gute Idee, finde ich. Mama und
Papa klettern aus dem Wagen und Papas Kopf ist ganz rot. Vielleicht
kommt das, weil Mama gerade so am Helm gezogen hat. Aber
vielleicht auch, weil jetzt alle Leute gucken und manche sogar mit
dem Finger auf ihn zeigen. Dabei darf man das ja eigentlich gar
nicht!
Mama schaut sich um und dann schlingt sie ihre Arme ganz fest
um Papas Taille und gibt ihm einen dicken Kuss mitten auf den
Helm. Dann dreht sie sich um und winkt den Leuten zu und alle
klatschen und winken zurück und freuen sich.
Und jetzt winkt Papa auch, und er muss dabei sogar grinsen, das
sehe ich genau. Und da bin ich froh, weil er mir vorher fast ein
bisschen leidgetan hat.
Aber jetzt kann ich nicht mehr gucken, weil nämlich die Bügel
runtergehen. Wegen der Helmgeschichte hatte ich gar keine Zeit, so
richtig Angst zu kriegen!

Der Zug zuckelt erst mal ganz gemütlich einen steilen Berg hinauf.
Er bleibt eine kleine Sekunde stehen und dann rast er auf einmal mit
Riesenkaracho nach unten und dann wieder nach oben in den
Looping, so schnell, dass ich meine Füße ganz doll nach vorne
stütze und mich mit den Händen am Bügel festklammere und
gleichzeitig so laut kreische wie noch nie in meinem Leben.
Rica kreischt auch und der Wind saust durch mein Gesicht und
mein ganzer Körper kribbelt von den Füßen sogar bis zu den
Haaren, und am liebsten würde ich die ganze Welt umarmen, so toll
ist das.
Als die Fahrt zu Ende ist, wollen Rica und ich sofort noch mal,
aber jetzt hat Opa das Eis geholt, und deshalb essen wir das erst
mal alle zusammen auf.
Papa hat den Helm nicht mehr auf dem Kopf und mit ihm ist auch
gar nichts passiert.
Also mit dem Helm, meine ich. Er sieht noch genauso schön aus
wie vorher und hat keinen Kratzer und der Verschluss geht jetzt auch
wieder.
Danach fahren wir noch einmal alle zusammen und sogar Opa
kommt mit, und dann probieren wir alle Karussells aus, die es
außerdem noch gibt, sogar die Wildwasserbahn.
Also Spaßpark ist wirklich das Beste auf der Welt. Genauso gut
ist eigentlich nur noch echter Kindergeburtstag. Und bis dahin dauert
es jetzt ja auch nicht mehr so lange.
Wie wir einen Klingelstreich machen und

rausfinden wollen, ob Frau Motz eine Hexe

ist

„Mama“, rufe ich. „Wie spät ist es?“ Heute feiern wir nämlich endlich
meinen Kindergeburtstag.
„Fünf vor drei!“, antwortet Mama aus der Küche. „Die Gäste
kommen jeden Moment!“
Aber das stimmt nicht. Ich starre nach draußen, doch es hält
überhaupt kein Auto an, und ich sehe niemanden, den ich kenne.
Außer Frau Lotz, aber die ist natürlich nicht eingeladen.
Dabei sollen doch sieben Kinder kommen! Um drei Uhr! Ich habe
jetzt Tom eine Einladungskarte gegeben, der sitzt in der Schule
neben mir und der ist auch mein Freund.
Und dann noch Finja, die immer so leise redet, und Jojo und Max
und Ahmed und natürlich auch Bent, der kann übrigens schon ganz
alleine Pfannkuchen machen, das kommt, weil sein Vater Koch ist.
Und dann auch noch Rica, aber das ist ja sowieso logisch.
„Mama!“, rufe ich. „Und wie spät ist es jetzt?“
„Vier vor drei“, antwortet Mama, und genau in dem Moment sehe
ich, dass ein Auto anhält und Rica aussteigt.
„Mama!!!“, brülle ich. „Rica kommt!“
Und da hält noch ein Auto und Tom klettert nach draußen, und
dann hält noch eins, in dem sitzen Finja und Bent, und dann hält
auch noch der Bus an und Ahmed und Jojo steigen zusammen mit
Jojos Mutter aus, und gleichzeitig biegt auch noch Max mit dem
Fahrrad um die Ecke, der wohnt nämlich ganz in der Nähe.
„Mama!“, rufe ich. „Jetzt kommen alle!“
Und schon klingelt es und ich reiße sofort die Tür auf und die
Kinder drängeln sich rein und schütteln mir die Hand und sagen
„Herzlichen Glückwunsch nachträglich“ und drücken mir ihre
Geschenke in die Hand, und ich weiß gar nicht mehr, was ich als
Erstes machen soll.
„Hallo!“, ruft Mama und „Schön, dass ihr da seid!“ und „Gebt mir
mal eure Jacken!“ und „Legt eure Geschenke mal auf den
Geschenketisch, wir machen gleich Flaschendrehen“, und da
nehmen alle Kinder mir die Geschenke wieder weg und bringen sie
zu der Bank, auf der auch schon das Ritterschwert liegt und die
Supersoaker.
„Cool“, schreit Ahmed und schnappt sich das Schwert. „Wollen
wir kämpfen?“
Und Tom nimmt die Supersoaker und dreht sich im Kreis und
brüllt: „Dadadadadadada“, so als wäre es ein echtes
Maschinengewehr.
„So“, sagt Papa. „Jetzt ist Schluss. Legt die Wasserpistole und
das Schwert mal wieder hin, es gibt gleich Kuchen.“
„Das ist keine Wasserpistole“, ruft Rica. „Das ist eine
Supersoaker und die schießt zehn Meter weit!“
„Wie spät ist es?“, fragt Papa und dreht sich zu Mama um.
„Drei nach drei“, antwortet Mama und lacht.
„Uff“, stöhnt Papa und dann schiebt er Ahmed und Tom vor sich
her in die Küche und nimmt ihnen dabei auch noch die Waffen ab.

Wir machen beim Kindergeburtstag immer Flaschendrehen, und das


geht so: Alle müssen sich im Kreis hinsetzen und dann legt man eine
leere Flasche in die Mitte und dreht sie. Und auf wen dann die Spitze
zeigt, der darf dem Geburtstagskind sein Geschenk geben, und das
Geburtstagskind, also ich, darf es auspacken.
Und dann wird wieder gedreht und dann ausgepackt und immer
so weiter. Ich finde das gut, weil Geschenkeauspacken ist ja mit das
Beste am Geburtstag und so dauert das richtig lange.
Ich kriege Supersachen: ein Comic-Heft und einen echten Fünf-
Euro-Schein, der an einer Tafel Schokolade klebt, einen Porsche aus
Metall, der selber fahren kann, dann zwei Sachen, die ich nicht mehr
weiß, und als letztes Geschenk das allerbeste: einen
Geheimschriftstift.
Mit dem kann man geheime Sachen auf ein ganz normales
Papier schreiben, und man sieht überhaupt nichts, keinen
Buchstaben und kein Wort. Aber hinten an dem Stift ist so eine
kleine Lampe, und wenn man die anschaltet und auf das Papier
leuchtet, kann man die Wörter plötzlich lesen! Die leuchten dann in
so Bläulich-Gelb!
Also das ist auf jeden Fall richtig praktisch. Wenn ich zum
Beispiel mal eine Bande gründe oder so und ich bin der Chef, dann
kann ich den anderen Bandenmitgliedern echte
Geheimanweisungen schreiben.
„Wer hat denn jetzt Kuchenhunger?“, ruft Mama, und da melden
sich alle und schreien „ich, ich, ich“ durcheinander.
Und dann rasen wir in die Küche und setzen uns an den Tisch,
der ist richtig super geschmückt mit Gummifröschen, die man
aufessen kann, und Papptellern, auf denen Astronauten sind.
Und es ist ganz toll lustig. Alle quasseln durcheinander und
Ahmed kippt mit seinem Stuhl um, und Rica will sich selber
einschenken, aber dann knallt ihr die Apfelsaftflasche auf den
Boden, aber das macht nichts, wir haben ja Fliesen, die kann man
ganz leicht wischen.

Tom und ich versuchen, uns gegenseitig die Gummifrösche in


den Mund zu schießen, das ist aber ganz schön schwierig, denn
manchmal knallen sie auch einfach an den Kühlschrank oder ans
Fenster.
Nur Finja sagt nicht so viel, aber die redet sowieso meistens
nicht. Und Bent auch nicht. Aber bei ihm kommt das, weil er so
gerne Kuchen mag und die ganze Zeit isst.
„Hallo Kinder!“, ruft Papa. Also ich glaube zumindest, dass er das
ruft, hören kann ich ihn nämlich nicht, weil es so laut ist. Jetzt winkt
er noch mit den Armen, aber das hilft auch nicht.
Da sehe ich, dass Mama sich die Finger in den Mund steckt, und
ich halte mir schnell die Ohren zu. Ich weiß nämlich schon, was jetzt
passiert: Mama pfeift.
Und zwar nicht leise „Hänschen klein“ oder so, sondern eigentlich
wie ein Schiedsrichter beim Fußball. Richtig knallelaut und schrill.
Ich übe das auch immer, aber ich kann das nicht so richtig. Man
muss irgendwie die Zunge einklappen und die Finger
obendraufdrücken und dann pusten. Aber bei mir kommt immer kein
Pfiff, sondern nur Spucke.
„Jieeppp“, macht der Pfiff. Und dann noch einmal länger:
„Jiiiiiieeeeeepppppp!!!!“
Und auf einmal sind alle gleichzeitig still und starren Mama an.
Nur Bent kaut noch.
„Wir machen jetzt Schatzsuche!“, ruft Papa. „Wer als Erstes
draußen ist!“
„Den Kuchen kannst du mitnehmen, Bent“, sagt Mama und fängt
an, den Tisch abzuräumen.
Wir rasen alle zur Tür, und es ist ein riesiges Durcheinander, weil
alle Kinder ihre Jacken suchen und ihre Schuhe.
„Brauch ich eine Mütze?“, fragt Finja Papa, aber Papa sagt, nein,
es ist nicht kalt.
„So“, ruft Papa, als alle fertig sind. „Die Schatzsuche geht jetzt
so: Ich habe hier ein Foto. Ihr überlegt euch, was darauf zu sehen
ist, und an der Stelle sucht ihr dann das nächste Bild. Und immer so
weiter, bis ihr am Ende den Schatz findet.“
„Das ist eine Ecke von meiner Schaukel“, schreie ich, weil ich
das sofort erkenne, und renne los.
Alle anderen kommen natürlich mit.
Als wir noch nicht mal ganz da sind, brüllt Ahmed schon: „Da ist
das nächste Bild!“
Und tatsächlich: Oben am Schaukelseil klemmt ein Foto. Und
dann geht es immer so weiter, wir sind so schnell wie Raketen.
Auch das Bild am Spielhaus finden wir sofort und danach das am
Erdhügel und richtig babyeinfach ist das Versteck am dicken Stein
an unserer Auffahrt. Nur den Schatz selber müssen wir ein ganz
kleines bisschen länger suchen, aber dann entdecken wir ihn in
einem großen Eimer im Sandkasten.
Es sind Bonbons drin und Tattoos, die man mit Spucke auf die
Haut machen kann, und dann für jeden ein Plastikfisch, den muss
man ins Wasser legen und drei Wochen drinlassen, und dann wird
der ZEHNMAL so groß, steht auf der Verpackung.

„Und was machen wir jetzt, Papa?“, frage ich und schaue ihn an.
Alle anderen gucken auch.
Papa kratzt sich am Kopf. „Tja“, sagt er. „Dann gehen wir mal
wieder rein.“
Aber als er die Tür aufmacht, steht Mama im Flur. „Was wollt ihr
denn schon hier?“, fragt sie.
„Irgendwie dachte ich, die brauchen länger“, antwortet Papa und
wir gucken dabei alle so rechts und links an ihm vorbei.
„Ich müsste mal wohin“, sagt Papa und schiebt sich an Mama
vorbei in Richtung Badezimmer.
Mama stemmt die Hände in die Hüften und schaut ihm nach,
aber nur einen kleinen Moment.
„Ihr bleibt noch zum Spielen im Garten, Kinder“, sagt sie dann.
„Lasses Papa kommt gleich nach.“
Und da drehen wir uns alle wieder um und laufen zurück zur
Schaukel.

Rica stellt sich natürlich auf das große Schaukelbrett und ich auf das
kleinere neben sie, weil ich habe ja Geburtstag und außerdem ist
das meine Schaukel.
„Ich weiß, was wir jetzt machen!“, ruft Rica. „Wir spielen jetzt
Fangen, aber so, dass der Fänger mit der Supersoaker auf die
anderen zielen muss. Und wen er trifft, der muss ins Gefängnis!“
Das finde ich super, und deshalb rase ich schnell rein und
schleiche mich zu meinem Geburtstagstisch, um Ricas Geschenk zu
holen.
Mama staubsaugt, die hört nichts, und Papa sehe ich gar nicht.
Wir haben draußen einen Wasserhahn, an dem immer der
Gartenschlauch hängt, da fülle ich die Supersoaker auf, und fertig ist
die Laube.
Aber als ich wieder zu den anderen komme, warten die gar nicht
auf mich, sondern sie reden ganz aufgeregt über etwas anderes,
nämlich über Frau Motz.
„Das ist eine Hexe“, sagt Rica gerade. „Hundertprozentig.“
„Aber woher willst du das denn wissen?“, fragt Tom.
Rica antwortet nicht, sondern zeigt stattdessen mit dem Finger
auf den Balkon nebenan.
„Der Rabe“, sagt sie und macht dabei ein ganz wichtiges Gesicht.
„So einen haben nur echte Hexen.“
Ich drehe mich um und gucke hoch und dann falle ich fast um.
Auf dem Balkon von Frau Motz sitzt nämlich wirklich ein Rabe.
Kein echter, sondern einer aus Plastik, aber er ist genauso groß wie
ein lebender und genauso schwarz.
Und plötzlich wird mir alles klar. Meine Knie werden ganz weich
und ein bisschen zittrig.
Rica hat recht. Frau Motz ist eine Hexe, und die Zahnfee hat sie
wirklich nicht festgezaubert, weil sie das nicht geschafft hat.
„Aber es gibt gar keine echten Hexen“, flüstert Finja.
„Klar gibt es die“, zischt Rica.
Und dann erklärt sie uns, was wir jetzt machen sollen. Wir
schleichen uns alle zusammen zur Tür von Frau Motz und klingeln.
Dann warten wir aber natürlich nicht ab, bis sie aufmacht, sondern
wir rennen schnell weg und verstecken uns in der Hecke.
„Und von da aus gucken wir dann in den Flur und da stehen
Hexensachen rum. Jede Wette. Ihr Besen und so“, behauptet Rica.
Also ich weiß nicht. Das traue ich mich glaube ich nicht. Aber ich
will das nicht so gerne sagen, weil die anderen mich dann vielleicht
auslachen.
„Einer muss natürlich in der Hecke sitzen mit der Supersoaker,
und der ist unser Geleitschutz“, erklärt Rica weiter.
Ich bin mir nicht so sicher, was ein Geleitschutz ist, aber
wahrscheinlich soll der schießen, wenn es gefährlich wird.

Rica weiß solche Sachen immer, weil sie jeden Tag fernsehen
darf, das ist echt toll.
Ich darf auch fernsehen, aber nur manchmal. Mama sagt immer,
ich soll lieber spielen, aber das verstehe ich nicht so richtig.
Weil ich kann ja auch erst fernsehen und danach noch spielen.
„Das mach ich!“, rufen Tom und Ahmed gleichzeitig und melden
sich.
„Tom ist der Geleitschutz“, sagt Rica und dreht sich zu Ahmed.
„Dich brauchen wir vorne.“
Und dann machen wir alles so, wie Rica gesagt hat. Sogar Finja
geht mit. Deshalb laufe ich jetzt auch hinter den anderen her, obwohl
mir irgendwie ganz grummelig im Bauch ist.
Die Gartentür von Frau Motz quietscht ein bisschen, aber sonst
ist es ganz still. Nur mein Herz pocht ziemlich laut. Ahmed und Rica
schleichen ganz vorne, dahinter Max und Jojo, dann kommen Finja
und Bent und ich bin ganz hinten. Tom sitzt natürlich in der Hecke.
Als wir kurz vor der Eingangstür sind, hebt Rica plötzlich die
Hand und macht so ein Stoppzeichen für uns. Deshalb bleiben wir
alle stocksteif stehen.
Sie lauscht und dann gibt sie Ahmed einen kleinen Schubs und
er macht einen Sprung nach vorne und drückt auf die Klingel.
Der Ton schrillt so laut durch den stillen Garten, dass mir fast die
Ohren explodieren.
Ich mache einen Riesenhopser in die Luft, und dabei drehe ich
mich um und rase los wie noch nie, und zack, springe ich in die
Hecke.
Und dann passiert alles gleichzeitig.
Hinter mir schreit plötzlich jemand ganz laut auf, und als ich mich
umschaue, sehe ich, dass alle anderen auch in der Hecke sitzen,
nur nicht Finja.
Die liegt stattdessen direkt vor der Haustür von Frau Motz. Oh
weh, die ist hingefallen!
„Schnell!“, brülle ich, und dann klappe ich den Mund wieder zu,
weil nämlich genau in dem Moment die Tür aufgeht.
Frau Motz glotzt Finja an und sie sieht richtig grimmig aus. Finja
starrt Frau Motz an und guckt dabei irgendwie wie ein zittriges
Kaninchen, und ihr Knie hält sie dabei auch fest, das blutet nämlich.
„Tom!“, brüllt Rica auf einmal. „Mach schon! Die zaubert gleich!!!“
Und da drückt Tom endlich auf den Knopf von der Supersoaker
und der Wasserstrahl zischt über den ganzen langen Rasen. Aber
leider nicht an den Kopf von Frau Motz, sondern nur an die
Hauswand über ihr.
„Was ist denn hier los?“, donnert plötzlich eine Stimme durch den
Vorgarten. „Ich glaube, ich spinne!“
Aber das war nicht Frau Motz. Das war Papa. Er steht auf einmal
da und sieht leider auch richtig grimmig aus, eigentlich noch
grimmiger als Frau Motz.
Papa marschiert mit Riesenschritten zur Hecke, genau an die
Stelle, an der Tom sitzt, und greift mit beiden Händen zwischen die
Blätter.
Als er sie wieder rausholt, hält er mit der einen die Supersoaker
fest und mit der anderen Tom.
„Rauskommen, alle!“, kommandiert er jetzt und das machen wir
auch. Ich laufe zu Papa, und am liebsten würde ich seine Beine
umarmen, aber das tue ich doch nicht. Ich stelle mich neben die
anderen und gucke auf den Rasen.
„Das war doch nur, weil Frau Motz eine Hexe ist!“, ruft Ahmed.
„Ruhe!“, zischt Papa. Und dann etwas lauter: „Mitkommen!“
Und damit geht er auf Frau Motz zu.
„Bitte entschuldigen Sie, Frau Lotz“, sagt Papa ganz freundlich.
„Ich weiß auch nicht, was in die Kinder gefahren ist. Aber wir waren
ja auch mal jung,
nicht wahr?“

Und dabei lächelt er sie so ganz lieb an, aber Frau Motz lächelt
nicht zurück.
Wir stehen jetzt alle hinter Papa und er dreht sich zu uns um.
„Sagt ‚Entschuldigung‘, Kinder“, fordert er uns auf.
„Entschuldigung“, sagen wir alle im Chor.
„Gut“, sagt Papa. „Also nochmals: Es tut mir leid. So etwas
kommt nicht wieder vor. Versprochen“, und dabei geht er langsam
rückwärts zum Gartentor und wir anderen auch. Finja kommt mit, die
ist natürlich wieder aufgestanden.
Frau Motz schaut uns nach und dabei schüttelt sie den Kopf und
dann schließt sie endlich die Tür.
„Puh, das war knapp“, murmelt Rica und dreht sich zu Papa um.
„Gut, dass du gekommen bist“, strahlt sie ihn an und rast los in
unseren Garten. Die anderen rennen hinterher, nur ich bleibe noch
einen Moment bei Papa stehen.
„Bist du sauer?“, frage ich ihn.
„Nein“, sagt Papa. „Obwohl das eine echte Idiotenaktion von
euch war.“
Ich nicke.
„Du … “, sage ich ganz leise, weil mir das ein bisschen peinlich
ist. „Ist Frau Motz eine echte Hexe?“
Papa zieht die Augenbrauen hoch. „Es gibt keine echten Hexen,
Lasse“, antwortet er. „Und deshalb ist Frau Lotz auch keine.“
Und weil Papa mich nie anschwindelt, weiß ich, dass das stimmt.
Ich bin so froh, dass ich an ihm hochspringe und meine Arme um
seinen Hals schlinge.
Papa klopft mir mit der Hand auf den Popo. „Dann flitz mal los“,
sagt er und ich springe ab und renne zu den anderen.
Wir spielen, bis es fast schon dunkel wird und alle Kinder wieder
abgeholt werden, und es ist richtig lustig.
Als ich abends im Bett liege, kann ich erst gar nicht einschlafen,
weil ich immer noch so froh bin. Rund um mein Bett habe ich alle
Geschenke aufgebaut, damit ich morgen früh gleich losspielen kann.
Das war wirklich ein richtiger Supergeburtstag. Und ich freue mich
jetzt schon darauf, dass ich bald acht werde.
eISBN 978-3-8458-2930-2

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– LESEPROBE –
Wie wir meinen Schulranzen gekauft haben

Ich bin Lasse, und wenn ich groß bin, dann werde ich Astronaut oder
Wurstverkäufer. Das weiß ich noch nicht genau, weil eigentlich ist beides
gut. Wenn man Astronaut ist, dann hat man eine eigene Rakete und kann
zum Mond fliegen, wann man will. Aber wenn man Wurstverkäufer ist, dann
kann man am Tag hundert Scheiben Mortadella essen und immer ohne
Brot, und das ist natürlich auch super. Mama sagt, das kann ich mir noch in
Ruhe überlegen. Weil jetzt komme ich ja erst mal in die Schule.
Wenn man sich so richtig auf etwas freut, also ich meine, nicht nur ein
bisschen, sondern so ganz und gar, dann vergeht die Zeit irgendwie
überhaupt nicht, finde ich. Bis zum ersten Schultag muss ich noch 37 Mal
schlafen. 37 Mal ist so viel, dass ich es kaum aushalten kann. Über mein
Bett habe ich deshalb ein Blatt Papier mit 37 Kästchen gehängt und jeden
Morgen streiche ich eins durch.
Ich habe einen echten Astronautenkugelschreiber von Opa. Mit dem
schreiben auch WIRKLICHE Astronauten, wenn sie zum Mond fliegen.
Aber wenigstens gehen Mama und Papa und ich heute schon mal
meinen Schulranzen kaufen. Das ist auch toll, wenn auch nicht ganz so toll,
wie endlich richtig zur Schule zu gehen. Ich weiß noch nicht genau, was für
einen ich nehmen soll. Opa sagt, das Wichtigste ist, dass es kein
Babyranzen ist, also keiner mit Blümchen drauf oder Schnullern oder
himmelblau. Aber so einen hätte ich ja sowieso nicht genommen.
„Am liebsten hätte ich einen Raketenranzen“, sage ich zu Opa, als ich
mit ihm telefoniere.
„Einen RAKETENRANZEN?“, ruft Opa. „Wie toll! Als ich klein war, da
gab es nur Ranzen mit nichts drauf. Und die waren auch noch braun.“
Also wenn ich echt einen Raketenranzen finde, dann darf Opa sich den
mal ausleihen. Das ist schon mal klar. Aber sonst keiner.

„Wir brauchen einen Schulranzen“, sagt Mama, als wir ins Geschäft
kommen, und da dreht sich die Verkäuferin sofort zu mir um und schüttelt
mir die Hand.
„Der ist doch für dich“, lacht sie und hat ganz weiße Zähne. „Dann bist
du also mein Kunde. Ich bin Ines und du?“
„Lasse“, murmle ich.
„Rede doch mal ein bisschen lauter“, sagt Mama, „sonst versteht man
dich ja gar nicht!“
Das finde ich jetzt ziemlich peinlich, und deshalb sage ich überhaupt
nichts mehr. Mama guckt mich streng an, aber Ines tut so, als hätte sie gar
nichts gehört, und ruft: „Wie soll dein Schulranzen denn aussehen, Lasse?“
Die ist wirklich richtig nett. Und sie riecht auch gut. Deshalb lächle ich
sie an und sage ganz laut: „Ich möchte bitte einen Raketenschulranzen.“
„Ohhh“, antwortet Ines. „Na, dann komm mal mit.“
Papa läuft schon die ganze Zeit im Laden herum. Jetzt winkt er mir, weil
er an einem Tisch steht, auf dem ganz viele Schulranzen liegen. Über dem
Tisch und an dem Tisch hängen Schilder mit großen roten Zahlen und
daneben Schilder mit kleinen schwarzen Zahlen und die schwarzen Zahlen
sind durchgestrichen.
„Lasse, guck mal“, ruft er. „Hier sind richtig tolle Schultaschen! Ich habe
schon eine mit einem Wald und Rehen gefunden, du magst doch Rehe
gern, oder?“
„Papa, ich will doch keine Rehschultasche!“, rufe ich und ich bin fast ein
bisschen wütend.
„Oder hier!“, brüllt Papa und hält einen anderen Ranzen hoch. „Mit
Rennwagen! Der ist doch super!“
„Mann, Papa“, antworte ich. „Ich will einen RAKETENRANZEN.“ Und
dann drehe ich mich einfach um und laufe hinter Ines her.
Hinten im Geschäft hängt eine Kette, mit der eine große Ecke
abgetrennt ist, das heißt, dass man da nicht einfach so reingehen darf. Aber
Ines hebt die Kette hoch und sagt zu mir: „Deinen Ranzen finden wir hier in
unserer Spezial-Raumfahrtabteilung.“

Ich kann es kaum glauben. Eine Spezial-Raumfahrtabteilung! Das ist


wirklich ein Superladen!
Ich schlüpfe unter der Kette durch und schaue mich um.
In den Regalen liegen Planeten-Puzzles und Star-Wars-Lego und
Raketenbastelsets.
„Guck mal“, sagt Ines und zeigt mir zwei große Aufkleber, die aussehen
wie runde Fenster, und dahinter fliegen Sterne und Raketen vorbei und der
Mond ist auch mit drauf. „Die kann man im Kinderzimmer an die Wand
kleben, und dann denkt man, vor dem Fenster ist das Weltall.“
Die finde ich auf jeden Fall schon mal super. Aber am allerbesten ist der
Astronautenanzug. Das ist ein Overall mit Reißverschluss, der ist weiß und
an den Armen und an der Brust sind Abzeichen aufgenäht, und dazu gehört
ein richtiger Helm. Der sieht wirklich genauso aus wie in echt.
„Darf ich den mal anfassen?“, frage ich und Ines nickt. Ich reibe den
Stoff zwischen meinen Fingern, und der ist ganz dünn und weich,
wahrscheinlich, damit man auf dem Mond nicht schwitzt.
Und genau in dem Moment hör ich Mama. „Wir kaufen keinen
Astronautenanzug, Lasse“, sagt sie und guckt ziemlich streng.
„Das weiß ich doch, Mama“, antworte ich, obwohl ich das jetzt wirklich
richtig blöd finde. Aber Mama redet gar nicht weiter mit mir, sondern dreht
sich zu Ines um.
„Haben Sie in Ihrer Raumfahrtabteilung denn auch Schultaschen?“, fragt
sie und klingt ein bisschen genervt. Ich weiß gar nicht richtig, warum.
„Natürlich“, antwortet Ines und lacht. Und dann stellt sie zwei
verschiedene Ranzen vor mir auf. „Du kannst in aller Ruhe gucken, Lasse!“,
sagt sie. „Und du darfst sie natürlich auch aufmachen.“
Die erste Schultasche ist ein bisschen kleiner als die andere und
dunkelblau. Oben auf dem Deckel ist ein Mond aufgemalt, auf dem eine
Katze sitzt. Also den finde ich schon mal nicht so toll. Wie soll denn bitte
eine Katze auf den Mond kommen?
Der andere gefällt mir aber richtig gut.
Auf dem ist ein Bild von einer Rakete, die gerade startet.
Ich mache den Deckel auf, und als ich ihn hochklappe, kommt plötzlich
ein Geräusch. In echt jetzt!
Es scheppert ein bisschen und rauscht, und dann sagt eine Stimme:
„Three – Two – One – GO!“
Das ist Englisch. Und von Opa weiß ich auch, was das heißt, nämlich:
„Drei – Zwei – Eins – Los!“
Einmal durfte ich einen echten Raketenstart im Fernsehen sehen, und
da machen die das auch so. Sie rufen ganz laut: „Three – Two – One –
GO!“, damit die Astronauten wissen, dass sie jetzt losfliegen müssen.
„Mama!“, schreie ich so laut ich kann und bin ganz aufgeregt. „Hast du
das gehört? Der kann reden! Und das ist genauso wie in echt! Den nehme
ich!“
Mama guckt ein bisschen unglücklich. „Ich weiß ja nicht, Lasse“, sagt
sie. „Ich könnte mir vorstellen, dass deine Lehrerin es nicht so lustig findet,
wenn dein Ranzen jedes Mal ‚Three – Two – One – GO!‘ brüllt, wenn du
etwas herausholst.“
„Bitte, Mama“, bettle ich. „Bitte, bitte, bitte, bitte, bitte.“
„Man kann den Ton auch ausstellen“, mischt Ines sich ein und zwinkert
mir zu.
Mama seufzt und guckt Papa an. „Na ja“, sagt sie dann. „Wenn man den
Ton ausstellen kann, dann geht das vielleicht.“
„Juchhuhh!!!“, rufe ich. „Jippieh!!!!“, und dann renne ich zu Mama und
falle ihr um den Hals, weil ich mich so freue.
Mama drückt mich und sagt: „Aber darauf müssen Papa und ich uns
verlassen können, Lasse. Wenn deine Lehrerin sagt, du musst den Ton bei
deinem Ranzen abstellen, dann stellst du ihn ab!“
Das finde ich ein bisschen komisch, weil das ist ja sowieso klar. Wenn
eine Lehrerin etwas sagt, muss man das ja machen.
Ich schleppe den Ranzen zur Kasse und Mama und Papa laufen hinter
mir her. Ines wartet schon. „Wir haben übrigens auch noch eine passende
Schultüte“, ruft sie.
Aber Mama schüttelt den Kopf. „Vielen Dank“, antwortet sie und klingt
sehr energisch. „Die bastle ich selber.“
Das finde ich eigentlich blöd, aber jetzt gerade ist es mir egal.
Ines piept den Ranzen ab und Papa pfeift durch die Zähne.
„Ui“, sagt er: „Echter Raketenranzen, echte Mondpreise.“
Mama dreht sich zu Papa um. „Hast du noch Geld dabei?“, fragt sie und
zieht eine Grimasse, die ziemlich lustig aussieht. Und dann legt sie einen
ganzen Stapel Geldscheine auf den Tresen und Papa noch ziemlich viele
obendrauf.
Ines fragt, ob sie den Schulranzen einpacken soll. Aber das will ich
natürlich auf keinen Fall, weil ich ihn sofort aufsetzen möchte.
„Junge, Junge“, sagt Papa, als er mich mit der Raketenschultasche auf
dem Rücken sieht. „Da ist unser Lasse auf einmal so groß.“ Und dabei
nimmt er Mamas Hand, und ich kann sehen, dass er sie drückt. Mama
guckt mich auch an und lächelt und dann wischt sie sich mit der anderen
Hand ganz kurz über die Augen.
„Aber wirklich“, sagt sie. „Kaum zu glauben. Mein kleines Kerlchen.“
Dann dreht sie sich um und gibt Papa einen Knallkuss auf den Mund.
Ich halte mir schnell die Hand vors Gesicht, damit sie mich nicht aus
Versehen auch küsst.
„Keine Angst“, sagt Mama und lacht. „Ich weiß doch, dass man das bei
Schulkindern nicht darf.“ Und dann strubbelt sie mir durch die Haare,
sodass sie in alle Richtungen abstehen.
Das sollte bei Schulkindern eigentlich auch verboten sein, finde ich.
Aber das sage ich nicht. Stattdessen setze ich noch einmal den Ranzen ab
und mache die Klappe auf. Und als er „Three – Two – One – GO“ ruft,
schnappe ich ihn mir und rase los. Wie ein echter Astronaut.
eISBN 978-3-8458-2705-6

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