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Universität zu Köln

Philosophische Fakultät
Institut für Medienkultur und Theater

Basismodul 1: Grundlagen der Medien- und Kulturtheorie


Übung: Schreib- und Wissenschaftspraxis
Peter Podrez
SoSe 2023

Hausarbeit zum Thema:

Medienreflexion und Gegenwartsbezug in Black Mirror: The Entire


History of You

Vorgelegt von:

Tina Tomic
Dürener Str. 120
50931 Köln
Email: ttomic@smail.uni-koeln.de

Matrikelnummer: 7409891
Fachsemester: 2
Studiengang: BA Medienkulturwissenschaft (Medieninformatik)

Abgabe: 11.09.23
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung .................................................................................................................................... 3

2. Medienreflexion........................................................................................................................... 3

3. Black Mirror ............................................................................................................................... 4


3.1 The Entire History of You .............................................................................................................. 4

4. Analyse ........................................................................................................................................ 5
4.1 Methodik ......................................................................................................................................... 6
4.2 Das Grain........................................................................................................................................ 6
4.3 Auswirkungen: Möglichkeiten, Konsequenzen und Gefahren .................................................... 7

5. Realitätsbezug ............................................................................................................................. 9
5.1 Digitale Erinnerungen ................................................................................................................... 9
5.2 Die nahe Zukunft ......................................................................................................................... 10

6. Fazit .......................................................................................................................................... 11

Literaturverzeichnis ........................................................................................................................... 12

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1. Einleitung

Technologische Fortschritte der Medien prägen unsere Gesellschaft seit Jahrzehnten.


Audiovisuelle Medien, die Kinematographie, die Videographie, sie alle haben bei ihrem
Startschuss nicht nur für Aufsehen, Fragen, Kritik und Wertschätzung gesorgt, sondern
haben unsere generelle mediale Wahrnehmung nach und nach erweitert. Jedoch liegt dieses
Wachstum medialer Aufnahmemöglichkeiten nicht nur in der Erfindung neuer Medien,
sondern ebenfalls in der Herausbildung bereits bestehender, in der Gesellschaft adaptierter
Medien. So können auch verschieden Medien miteinander verbunden werden, um ein neues,
noch praktischeres, noch kompakteres Medium zu erstellen. Das Handy zum Beispiel, so
wie wir es heute kennen. Es kombiniert die grundsätzliche Idee von Telefon, Kamera und
Videograf mit technischen Fortschritten. Man kann, so leicht und schnell wie noch nie, Fotos
und Videos aufnehmen, bekannte anrufen und zudem noch viele andere Gadgets für
Kommunikation und Unterhaltung nutzen. Die Massenkultur hat sich durch das kompakte
Gerät, was in jede Hosentasche passt, angeeignet, sein/ihr Umfeld aufzunehmen. Man macht
Fotos von seiner Familie und Freunden, fotografiert schön angerichtetes Essen in
Restaurants, filmt jeden lustigen, besonderen, ersten Moment, Geburtstage, Konzerte, die
ersten Schritte des Kindes. Man will alles Erlebte aufnehmen, festhalten, und man kann seine
Erinnerungen digital abspeichern. Nun stelle man sich vor, man könnte einen Chip in seinen
Kopf implementieren lassen, der alles Wahrgenommene aufnimmt, sodass man es sich im
Nachhinein, zu jeder Zeit und an jedem Ort anschauen kann. Genau um dieses Szenario geht
es in der Folge „The Entire History of You“ der britischen Sci-Fi Serie „Black Mirror“.
Diese Hausarbeit reflektiert ein Medium, was es so in unserer Gesellschaft noch nicht gibt,
und untersucht zusammenhängend, welches Medium in der Folge vorgestellt wird, welche
Einflüsse es auf das Leben des Protagonisten hat, und was das wiederrum über den Umgang
mit bereits bestehenden, in der gegenwärtigen Gesellschaft adaptierten Medien aussagt.

2. Medienreflexion

Reflexion bedeutet, etwas prüfend zu betrachten. (Duden) Im Zusammenhang mit Medien


beschreibt die Medienreflexion die Betrachtung von Medien auf andere Medien. Medien
sind dafür geschaffen, um wahrgenommen zu werden. Nicht nur Menschen beobachten und
reflektieren Medien, sondern auch Medien selbst reflektieren andere Medien, wodurch sie
wiederrum sich selbst untersuchen (Kirchmann, Ruchatz 2014, 9). Für Medien ist es aber

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auch beinahe unausweichlich, andere Medien zu beobachten. Ein Aufsatz, eine Arbeit, auch
diese Arbeit, fungiert als Text, der andere Texte zitiert, also ein anderes Medium zur
Betrachtung zieht, um sein eigenes Medium darstellen zu können.
Sie fungieren als „Zentrales Instrument gesellschaftlicher Selbstbeschreibung“ (16).
Medienreflexion untersucht also nicht nur mehrere Medien auf ihre Wechselwirkung,
sondern befasst sich gleichzeitig mit den daraus entstehenden Erkenntnissen über, zum
einen, die Gesellschaft. „[So] gibt es Medien auch nicht für sich, sondern die jeweiligen
sozialen Systeme definieren, was als Medium - als Möglichkeitshorizont, als akzeptables
Spektrum an alternativen Formen – für sie in Frage kommt“ (Kirchmann und Ruchatz 2014,
19, zit. nach Luhmann 1998, 165-173). Reflexion fördert eine herausgebildete
Medienkompetenz, da man sich kritisch mit Medien auseinandersetzten muss, um sich über
ihren vermittelten Mehrwert bewusst zu werden.

3. Black Mirror

Black Mirror (Brooker, 2011) ist eine britische Sci-Fi Serie, die auf Ideen futuristischer
Realitäten basiert. Seit der Veröffentlichung der ersten Staffel in 2011 erfährt die Serie große
Aufmerksamkeit. Alle Folgen tragen denselben dystopischen Unterton. Der Fokus liegt
dabei auf technologisch weit entwickelten Realitäten und hinterfragt gleichzeitig den
gegenwärtig ablaufenden Technologiewandel. Die Serie besteht aus mehreren
Kurzgeschichten, die alle innerhalb einer Folge abgeschlossen werden.

3.1 The Entire History of You

„The Entire History of You“ ist die dritte Folge der ersten Staffel der Serie „Black Mirror“.
Im deutschen wurde die Folge zu „Das transparente Ich“ übersetzt. Die von Jesse Armstrong
verfasste Folge wurde am 18.12.2011 auf der Streaming Seite „Netflix“ erstveröffentlicht.
Sie spielt im Jahr 2050. Die für die Analyse wichtige Handlung beginnt mit Liam, gespielt
von Toby Kebell. Liam, der Protagonist, ist ein Anwalt mittleren Alters. Er befindet sich zu
Beginn der Folge in einer Leistungsbeurteilung. Nach dem Gespräch sitzt Liam in einem
Taxi, und dem Rezipienten wird zum ersten Mal das grain vorgestellt. Liams Iris wird von
einer Art Sensor überzogen, und er spielt das Bewerbungsgespräch an einer Art
durchsichtigen Leinwand ab. Er stoppt das Video, zoomt an seine Gesprächspartner und
untersucht deren Mimik und Gestik, um herauszufinden, wie gut seine Chancen stehen, den
Job zu behalten. Liam kommt bei einer Dinner-Party an. Er benutzt sein grain, und spielt

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eine Erinnerung ab, um sich an den Namen der Gastgeberin zu erinnern. Er betritt das Haus
und begrüßt die Gäste. Sein Fokus liegt auf seiner Freundin, Ffion. Sie wiederrum scheint in
einem intensiven Gespräch mit Jonas zu sein, den sie Liam daraufhin vorstellt. In der
darauffolgenden Szene am Esstisch nutzt ein weiterer Gast seinen grain als
Unterhaltungsmittel, indem er eine Erinnerung einer Partynacht abspielen lässt. Eine Frau,
ebenfalls am Tisch sitzend, berichtet davon, dass ihr grain vor einigen Monaten gestohlen
wurde, und dass sie seitdem ohne das Medium lebt. Auf der Heimfahrt zeigt Liam Ffion sein
Berufsgespräch und die beiden diskutieren seine Chancen anhand von einer Analyse der
Berater. Liam sitzt anschließend im Wohnzimmer und spielt die Konversation zwischen
Jonas und Ffion wiederholt ab. Er wird immer misstrauischer und löchert Ffion mit
vorwurfsvollen Fragen. Die beiden streiten sich. Liam entschuldigt sich, und der Rezipient
sieht dem Paar anschließend beim Geschlechtsverkehr zu. Liam und Ffion haben jedoch
keinen aktiven Geschlechtsverkehr miteinander haben, sondern erinnern sich beide an einen
vergangenen Liebesakt. In der nächsten Folge analysiert Liam erneut den vorherigen Abend.
Ffion gibt nach weiteren Diskussionen zu, dass sie und Jonas mal ein Verhältnis miteinander
hatten, was ungefähr sechs Monate lang ging. Liam erinnert sich, dass Jonas während des
Essens davon berichtet hat, dass er sich gerne an vergangene Liebhaberinnen erinnert, und
die Erinnerung des Geschlechtsverkehrs über sein grain abspielt. Liam analysiert Ffions
Reaktion auf die Aussage, und kommt auf den Verdacht, dass Jonas über seine intimen
Momente mit Ffion gesprochen hat. Betrunken und wütend, macht er sich auf den Weg zu
Jonas, um ihn zu zwingen, seine Erinnerungen an Ffion zu löschen. Als Jonas die
Erinnerungen löscht, kann Liam die Standbilder der „Wahrnehmungsgalerie“ sehen. Auf
einem Standbild erkennt er Ffion in seinem eigenen Bett. Er erfährt, dass Ffion sich 3 Tage
nach einer Beziehungspause, mit Jonas getroffen hat. Er fordert sie dazu auf, ihm ihre
Erinnerung an den Geschlechtsverkehr zu zeigen, um sich vergewissern zu können, dass sie
verhütet hat. Liam befürchtet, dass Jonas der biologische Vater seines Sohnes ist. Die
Handlung springt zu Liam, der durch eine verlassene Wohnung läuft. Rückblicke von seinem
Sohn und von Ffion deuten darauf hin, dass das Kind von Jonas sein könnte. Die endgültige
Antwort bleibt für den Rezipienten ungewiss. Die Folge endet mit Liam, der sich das grain
eigenständig entfernt.

4. Analyse

Anschließend analysiere ich

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4.1 Methodik

„Ein Medium a lässt sich bestimmen in Bezug auf ein Medium b, wobei man eine
gemeinsame Bezugsgröße c benötigt. Der Vergleich findet ebenfalls in einem Medium (d)
statt, das intrikater weise in der Regel mit einem der verglichenen Medien identisch ist. Und
der Vergleich vollzieht sich in einer Form (einem Text, einem Bild o. ä) (e)“ (Fohrmann
2004, 7). Auf den untersuchten Fall angewendet, kommt man zu folgendem Ergebnis. Das
Medium a, das in der Folge vorgestellte grain, soll mit dem Medium b, einer Episode der
Serie „Black Mirror“ verglichen werden. Da der Vergleich ebenfalls im Rahmen der Serie
untersucht wird, gilt b = d. Die Bezugsgröße c stellt den Rahmen meiner Arbeit dar, befasst
sich also hauptsächlich mit der Analyse des vorgestellten Mediums in Rückbezug zu
technologischen Fortschritten, ihrer Konsequenzen und Auswirkungen und auf den
Vergleich der gegenwärtigen Relevanz der Thematik. Der Vergleich vollzieht sich in Text
in Form von einer Hausarbeit (e).

4.2 Das Grain

Das zu analysierende Medium ist das in der Folge vorgestellte grain. Bei dem grain handelt
es sich um ein Implantat, eingefügt in die das alles mit den Ohren und Augen
Wahrgenommene des Nutzers aufnimmt, abspeichert, und unabhängig von Ort oder Zeit
abspielen kann. Während dem Abspielen bildet sich ein Sensor im Auge, Brooker beschreibt
das Auge während der Nutzung als „milked out“ (Brooker 2018). Vergangene
Wahrnehmungen können audiovisuell auf dem Auge oder auf eine digital erzeugte Leinwand
abgespielt werden. Es ist dem/der Nutzer*in möglich, die Aufnahme anzuhalten, zu
verkleinern/vergrößern, und sie damit auf Details zu untersuchen. Das Medium kann
Lippenlesen, und hat einen Speicher, der 30 Jahre eines Lebens speichern kann. Außerdem
erfährt der Rezipierende, dass Erinnerungen gelöscht werden können. In „The Entire History
of You” wird das grain fest in den Alltag aller vorgestellten Charaktere eingebunden.
Der/Die Rezipient*in beobachtet eine Realität, in der das grain streng in der Gesellschaft
etabliert ist. Der Fokus liegt dabei auf dem Protagonisten, und seiner Nutzung. Außerdem
erfährt der Rezipierende, dass es keine Pflicht ist, ein grain zu besitzen. Eine alte Freundin
von Ffion berichtet, dass sie sich nach einem Diebstahl ihres Implantats gegen ein Leben mit
dem Implantat entschieden hat. Die Reaktionen auf ihre Verweigerung zeigen eine Kritik,
die auf der Grundlage von starker Überzeugung des Mediums basiert. Das grain zeigt sich
als ein von der Gesellschaft äußerst wertgeschätztes und positiv assoziiertes Medium.

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Zudem ist auffällig, dass Liam und sein Umfeld wohlhabend sind. So könnte man vermuten,
dass nur die obere Schicht der Gesellschaft sich ein grain leisten kann. Nun zu der
Verwendung des grains. Das grain wird nicht nur im privaten Gebrauch, sondern auch im
sozialen Kontext benutzt. Liam benutzt das grain, um seine Leistungsbeurteilung zu
analysieren. Er bittet Ffion aber zum Beispiel auch nach einer Zweitmeinung, und zeigt auch
ihr das Gespräch. So versuchen die Gäste Liam aber zum Beispiel auch dazu aufzufordern,
seine Leistungsevaluation mit ihnen zu teilen, damit sie es alle bewerten können. Während
dem Essen zeigt ein Gast den Anderen alte Aufnahmen einer Feier, um sich zusammen daran
erinnern zu können. Erlebtes wird also immer wieder neu aufgegriffen, und miteinander
geteilt. Das grain fungiert also ebenfalls als Unterhaltungsmittel. Um sicherstellen zu
können, ob Liam eine Gefahr darstellt, bittet ein Polizeibeamter ihn darum, ihm seine letzten
24 Stunden abzuspielen. Auch Liam und Ffion überprüfen den Alltag ihres Sohnes über die
Aufnahmen seines grains. Das grain wird also ebenfalls als ein Sicherheitsmedium
wahrgenommen, und die persönlichen Erfahrungen können als ein Beweismittel der
Unschuld oder der generellen Aktivitäten dienen.

4.3 Auswirkungen: Möglichkeiten, Konsequenzen und Gefahren

Der Rezipierende beobachtet im Laufe der Folge den emotionalen Zusammenbruch des
Protagonisten. Außerdem symbolisiert die Handlung, inwiefern menschliche Gefühle durch
technologische Einflüsse beeinflusst werden können. Liams leichte Eifersucht verwandelt
sich im Laufe der Folge zu einer Hyperfixierung. Der/Die Zuschauer*in betrachtet das grain
durchläufig als ein fragwürdiges, angsteinflößendes Medium. Liam aber durchgeht
innerhalb der Episode einen Sinneswandel. Zu Anfang vom Medium überzeugt, beweist es
sich stark in seinen Alltag adaptiert. Trotzdem entfernt Liam sich sein grain am Ende der
Folge. Dem/Der Zuschauer*in werden verschieden Einflüsse vermittelt. So bietet das grain
mehrere Optionen, die je nach Standpunkt, und je nach Situation sowohl positive als auch
negative Eigenschaften in sich tragen. Das grain trägt zum einen den Vorteil, dass man sich
nicht nur an schöne Momente erinnern, sondern sie durch das Wiederabspielen auch
audiovisuell wiedererleben kann. Die Gäste schauen sich am Esstisch zum Beispiel
Erinnerungen aus den vergangenen Jahren an. Durch die Möglichkeit, jeden erlebten
Moment wiederholt abspielen zu können, hyperfokussiert sich Liam auf den Verdacht, dass
seine Frau ein Verhältnis zu Jonas hatte, von dem er nichts weiß. Er vertieft sich immer mehr
in die Thematik, analysiert jegliche Momente, analysiert Ffions Ausdrucksweise und ihre

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Reaktionen gegenüber Jonas. Sein Verdacht und seine Eifersucht verschlimmerten sich
dadurch, dass er überhaupt erst die Möglichkeit dazu hat, seine Wahrnehmung wieder zu
erleben. Nachdem Liam betrunken zu Jonas fährt, um ihn zu konfrontieren, erleidet er eine
Bewusstheitsstörung. Über das grain kann er seine vorherigen Handlungen visuell abspielen,
und sich zurückzuerinnern. Temporäre anterograde Amnesien (umgs. Blackouts)
beschreiben die Beeinträchtigung des Gehirns, über einen bestimmten Zeitraum neue
Erinnerungen aufzunehmen, und abzuspeichern. (Zorumski 2016). Hauptauslöser sind
Alkohol und Stresszustände. Erinnerungen können zudem illusionär und inkonstant sein.
Menschen meinen sich an Geschehnisse erinnern zu können, die in dieser Art, oder die erst
garnicht, existent sind. Dafür kann es verschiedene Gründe geben. So können traumatische
Erinnerungen beispielsweise dazu führen, dass unser Gedächtnis bestimmte Momente oder
Abschnitte des Lebens komplett verdrängt (Terr 1991, 10-20). Andere Psychologische
Experimente, wie unter Anderem das Lost in the mal Experiment, zeigen, dass sich
Menschen auch an Sachverhalte erinnern können, die ihnen garnicht widerfahren sind
(Loftus, Pickrell 1995, 720-725). Durch einen grain könnte man die Fragen einer
verfälschten Erinnerung ganz einfach lösen, was sich als ein weiterer Vorteil herausstellt.
Gleichzeitig kann es aber auch, wie uns Liams Fall zeigt, gefährlich sein, jede Erinnerung
im Nachhinein aufgreifen zu können.
Die Folge behandelt ebenfalls die Frage der Überwachung. Bei Liams Flughafenkontrolle
bittet der Beamte ihn darum, ihm die letzten 24 Stunden abzuspielen. Der Polizist schaut
sich Liams Erinnerungen im Schnelldurchlauf an, um sicherzustellen, dass Liam keine
Gefahr darstellt. Liam und Ffion sind in der Lage, sich den Tag ihres Sohnes aus seinen
Augen anzuschauen, um somit feststellen zu können, ob die Babysitterin eine vernünftige
Arbeit leistet. Diese Kontrolle, kann zwar vor Gefahren schützen, gefährdet aber gleichzeitig
die Privatsphäre der Nutzer. Alles, was die Charaktere tun und alles was sie miterleben, wird
festgehalten. Wie sicher die Daten des grains dabei verschlüsselt sind, ist unsicher. Eine der
Gäste berichtet von einem Diebstahl ihres grains. Sie erwähnt, dass es öfter zu Diebstählen
kommt. So stellt das Medium eine erhöhte Gefahr gegenüber der Privatsphäre dar. Es kommt
nicht selten vor, dass digitale Systeme ihre Nutzer überwachen, ihre Daten verkaufen, oder
vor fremden Einflüssen (wie Hackern) gefährdet sind. Da das grain die Identität und das
Leben der Nutzer aufs Detail dokumentiert, könnte es zu Identitätsdiebstählen oder
Erpressungen kommen. (Hagen, Lysne 2016, 87) Diese Art der Überwachung ist aber nicht
nur bei Fremdeinblicken gefährlich, sondern kann auch dazu führen, dass man sich selbst
schadet. Liam entwickelt eine starke Fixierung auf den Verdacht, dass Jonas und Ffion ein

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romantisches Verhältnis miteinander hatten, was von höherer Bedeutung ist, als es Ffion
zugibt. Er fängt an jede Interaktion, die er mitbekommen hat, detailliert zu analysieren.
Außerdem verliert das Leben der Charaktere an einer gewissen Persönlichkeit. Liam und
Ffion haben keinen Geschlechtsverkehr miteinander, sondern aktivieren beide zeitgleich
ihren grain, um sich an einem vergangenen Akt zu erregen. Zudem kann auch das Löschen
der Erinnerungen eher negative Auswirkungen haben. All das kann aus der Gegenwart
beängstigend wirken, wird aber von den Charakteren als selbstverständlich wahrgenommen.
Ffion versucht, ihre Erinnerungen zu löschen. Aber nun stellt sich folgende Frage: Inwiefern
beeinflussen unsere Erinnerungen unsere soziale Identität?

5. Realitätsbezug

Um das grain in einen gegenwärtigen Kontext zu setzen, muss man untersuchen, mit
welchem modernen Medien es sich in den Vergleich setzen lässt. Das Abspielen der
Erinnerungen über das grain erinnert rein technisch an das Abspielen eines Videos über ein
Smartphone oder ein anderes Endgerät. Die dauerhafte Nutzung erinnert gleichzeitig an das
Internet.

5.1 Digitale Erinnerungen

Der Mensch strebt danach, Erinnerungen festzuhalten. Durch Medien kann er diesem
Streben auf besonders kompakte, schnelle Art nachgehen. Er filmt Momente, an die er sich
erinnern möchte, und von denen er seinen Freunden und Bekannten berichten möchte.
(Harrison 2002, 87-111) Seit der Erfindung des Smartphones und des Internets ist das
Verlangen nach dem Festhalten von Momenten deutlich gestiegen. Schon im Jahr 2012
wurden mehr als 3 Billionen Fotos aufgenommen und davon 300 Millionen pro Tag, nur auf
Facebook, geteilt (Schwartz 2013). 1,2 Milliarden Fotos wurde 2013 auf allen sozialen
Medien geteilt (Statista Research Departement 2014). Die Nutzung sozialer Medien ist
seitdem deutlich gestiegen. So vergleicht man ein Konzert des 20. Jahrhunderts mit einem
im 21. Jahrhundert. Neben der Menschenmenge und der Bühne wedeln Tausende von
Handys in der Luft, die das Konzert aufnehmen. Dabei beweisen Studien, dass Erinnerungen
schneller in Vergessenheit geraten, wenn Menschen erwarten, dass sie auf das Erlebte im
Nachhinein noch zugreifen können (Sparrow, Liu, Wegner 201, 333).

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Auch wenn Aufnahmen also hauptsächlich zur Erhaltung besonderer, erinnerungswürdiger
Momente benutzt werden, und sie Menschen untereinander unterhalten sollen, mindern sie
unterbewusst unser Erinnerungsvermögen. Trotzdem strebt die moderne Gesellschaft nach
einem digitalen Austausch.

5.2 Die nahe Zukunft

Inwiefern ist das vorgestellte Medium relevant für unsere Gegenwart?


Es stellt sich, wie auch in anderen Black Mirror Folgen, die Frage, wie weit, oder besser
gesagt: wie nah das Geschehen von unserer Zukunft entfernt ist. Im Juni 2023 kündigt Apple
ein neues Produkt an, die Apple Vision Pro. Ähnliche Erfindungen gab es auch schon davor,
wie zum Beispiel die „Google Glass“, die 2013 aber endgültig eingestellt wurde. Die Apple
Vision Pro ist eine Brille, die alle Funktionen eines Smartphones erfüllt, und noch mehr
Innovation bietet. Der prägnante Unterschied zum Smartphone ist, dass die Brille eine Art
Leinwand in das wahrgenommene Umfeld projektiert, der Nutzer also nicht mehr dazu
gezwungen ist, sich auf einen kleinen rechteckigen Bildschirm zu fokussieren, die
Funktionen bleiben gleich. Die Erfindung erinnert an das grain. Die neue Technologie
beweist, so wie es auch schon viele andere technologische Erfindungen geschafft haben,
dass dystopische Weltbilder, so wie sie dem/der Zuschauer*in in Black Mirror präsentiert
werden, tatsächlich realistisch sein können. Dieser Realitätsbezug beschreibt ebenfalls, wie
schnell ein technologischer Fortschritt von Vorsicht bis zur vollständigen Übernahme in den
Alltag verläuft. Medien, denen die Menschen einst skeptisch gegenübergetreten waren, sind
heut zu Tage fester Bestandteil des Lebens. So kann das grain in den Vergleich mit der
heutigen bereits bestehenden Technologie gesetzt werden. Um alle Vorteile der modernen
Welt nutzen zu können, sind die Menschen dazu aufgefordert, digital zu leben. 82% der
deutschen Bevölkerung nutzen soziale Medien (Digital Index, 2021/2022). Man kann zwar
ohne Digitalität leben, jedoch wird es einem in unserer Gesellschaft deutlich an
Kommunikation und Unterhaltung fehlen. Darüber hinaus ist unsere Welt schon so digital
geworden, dass selbst Schulen und Universitäten zu digitalen Plattformen greifen. Man kann
von einer gesellschaftlichen Erwartungshaltung, gegenüber einer digitalen Ausstattung,
sprechen. Wenn man diese Digitalität ablehnt, kann man kein Teil des schnellen, digitalen,
kompakten Spektrums sein. In der Folge wird Liam süchtig danach, sein grain zu benutzen,
um an mehr Informationen zu kommen. Auch diese Sucht, und die anderen dargestellten
Konsequenzen des Mediums kann man in die Gegenwart einordnen, wenn man sich mit dem
heutigen Umgang mit Smartphones beschäftigt. Auch in unserer Realität herrschen Sucht-,

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und Überwachungsprobleme, Leute leiden unter cyberbullying (Mobbing im Rahmen des
Internets), eignen sich neue Verhaltensmuster an, und schränken sich durch die übermäßige
Nutzung des Mediums sozial so wie auch persönlich eher ein, als seine Möglichkeiten
positiv zu nutzen. (Walton 2021, 105) Nicht zuletzt kann man den Umgang mit dem grain
mit dem Umgang mit dem Internet vergleichen. Die Menschen neigen dazu, zu viele
Informationen über sich im Internet zu teilen. Die Folge macht darauf aufmerksam, wie
einfach es ist, Daten zu stehlen, und regt den Rezipierenden dazu an, über seinen Umgang
mit persönlichen Daten nachzudenken. Dabei bleibt die Frage, ob auch unsere Zukunft von
technologischen Fortschritten überführt werden wird, offen.

6. Fazit

Die Serie Black Mirror ist dafür bekannt, vor der Zukunft zu warnen. Die Folge macht auf
viele Gefahren der „sharing society“ aufmerksam, und beweist mal wider, dass ein Medium
nur dann eine gute Chance darstellt, wenn es auch vernünftig benutzt wird.
So hat der Zuschauende, genau wie das grain ebenfalls die Eigenschaft, dass er
zurückspulen kann und die Erlebnisse der Figuren abspielen kann. Die Überwachung, die
innerhalb des Mediums stattfindet, existiert also auch außerhalb, innerhalb der
Medienreflexion. RELEVANZ?

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Literaturverzeichnis

Duden: https://www.duden.de/node/119540/revision/1274570

Terr, Lenore: Childhood traumas: an outline and overview. In: American Journal of Psychiatry
(Hrsg.): 148 (1). Januar 1991, S. 10–20.

Elizabeth F. Loftus, Jacqueline E. Pickrell: The Formation of False Memories. In: Psychiatric
Annals. Nr. 12, Dezember 1995, S. 720–725.

https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rja&uact=8&ved=2
ahUKEwifktihwKKBAxVEh_0HHdpdDfcQFnoECCoQAQ&url=https%3A%2F%2Fwww.spektru
m.de%2Ffrage%2Fwarum-loest-zu-viel-alkohol-einen-blackout-
aus%2F1394835&usg=AOvVaw2RrtaxEsEUDAgvSPcfatPG&opi=89978449

Brooker, Charlie; Jones, Annabel; Arnopp, Jason (November 2018). "The Entire History of
You". Inside Black Mirror. New York City: Crown Publishing Group. ISBN 9781984823489.

Dr. Janne Hagen Dr. Olav Lysne

https://doi.org/10.1177/0956797613504438

Harrison B. (2002). Photographic visions and narrative inquiry. Narrative Inquiry, 12, 87–111.

Sparrow B., Liu J., Wegner D. M. (2011). Google effects on memory: Cognitive
consequences of having information at our fingertips. Science, 333, 476–478.

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Selbstständigkeitserklärung

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