Sie sind auf Seite 1von 1005

Johanna Dorer

Brigitte Geiger stereotype eventuell interessannt -


Brigitte Hipfl sekundärliteratur, muss man schauen
Viktorija Ratković Hrsg. S. 141

Handbuch
Medien und
Geschlecht
Perspektiven und Befunde der
feministischen Kommunikations-
und Medienforschung
Handbuch Medien und Geschlecht
Johanna Dorer • Brigitte Geiger •
Brigitte Hipfl • Viktorija Ratković
Hrsg.

Handbuch Medien und


Geschlecht
Perspektiven und Befunde der
feministischen Kommunikations- und
Medienforschung

mit 5 Abbildungen und 4 Tabellen


Hrsg.
Johanna Dorer Brigitte Geiger
Universität Wien Universität Wien
Wien, Österreich Wien, Österreich

Brigitte Hipfl Viktorija Ratković


Universität Klagenfurt Universität Klagenfurt
Klagenfurt, Österreich Klagenfurt, Österreich

Veröffentlicht mit Unterstützung von


Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Alpen-Adria-Universität Klagen-
furt Fakultät für Kultur- und Bildungswissenschaften der Alpen-Adria Universität Klagenfurt
MA 57 – Frauenservice Wien

ISBN 978-3-658-20706-9 ISBN 978-3-658-20707-6 (eBook)


https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Springer VS
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht
ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung
und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in
diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur
Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte
des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten.
Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in
diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die
Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes,
etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und
Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral.

Lektorat: Barbara Emig-Roller


Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und
ist ein Teil von Springer Nature.
Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Vorwort

Ein Handbuch Medien und Geschlecht ist ein essentielles Werk im Bereich der
Kommunikationswissenschaft. Es hat seinen festen Platz im Fach selbst und strahlt
auch in die Nachbardisziplinen aus. Das war nicht immer so, und allein dieser
Sachverhalt gibt zu denken und ist zu würdigen. Die Geschichte der kommunikati-
ons- und medienwissenschaftlichen Geschlechterforschung begann in den 1970er-
Jahren, angeregt von politischen Analysen der Frauenbewegung und kritischen
Selbstreflexionen der Gesellschaftswissenschaften selbst und damit auch im Fach-
gebiet der Publizistik-, Kommunikations- und Medienwissenschaft. Sie setzte sich
fort in Kämpfen um akademische Anerkennung und um akademische Positionen.
Sie war getragen von Theorieentwicklungen, methodologischen und erkenntnistheo-
retischen Diskursen und von empirischer Forschung, die völlig neue Fragen stellten,
zum Teil auch neue Methoden anwandten, aufregende neue Befunde hervorbrachten
und letztlich fruchtbringend auch in den Mainstream des Faches Eingang fanden.
Nicht, dass diese Position der feministischen Kommunikations- und Medienfor-
schung auf ewig gesichert wäre, aber eine beachtliche Etablierung lässt sich kon-
statieren, zugleich aber auch eine frische, innovative Offenheit für Neuentwick-
lungen und Selbstreflexionen.
Es ist dies nicht der erste Sammelband, der einen Überblick zu Medien und
Geschlecht liefert. Wenn man vergleichbare Publikationen über die Jahre betrachtet,
wird uns die historische Entwicklung unserer Mediengesellschaft vor Augen ge-
führt, der unfassbar dynamische soziale Wandel, der Druck der Transformations-
prozesse, in denen wir uns befinden. Mit dieser Dynamik eng verbunden vollzieht
sich die Entwicklung des Faches in seinem Gegenstandsverständnis, seiner Metho-
dologie und Theorienbildung. Vor allem die Dimensionen und Formen der Media-
tisierung und Digitalisierung schlagen allerorten und vielfältig zu Buche. Um hier
nur einige wenige Aspekte zu nennen: Social Media haben die alten Grenzen von
Privatheit und Öffentlichkeit durcheinander gewirbelt; Mediatisierung lässt uns
Körperlichkeit neu betrachten; die Aneignung digitaler Techniken schlägt sich in
neuen Alltagspraktiken und Vergnügungen nieder; Gewaltverhältnisse physischer
wie kommunikativer Art werden neu und, wie ich finde, umfassender und mutiger
betrachtet; die Übergangszonen zu benachbarten Forschungsfeldern und Disziplinen
werden ausgeschöpft, etwa in der Kreation neuer Ansätze wie Intersektionalität;

V
VI Vorwort

Empowerment erscheint fast durchgehend als ein selbstverständliches Erkennt-


nisinteresse.
Dieses Handbuch bietet mit seiner Bestandsaufnahme der Forschungserkennt-
nisse allen Leser*innen enorm viele Anregungen, ob im Studium, in der weiterfüh-
renden Forschung oder in der Medienpraxis. Die kommunikationswissenschaftliche
Genderforschung/feministische Kommunikations- und Medienforschung hat heute
eine thematische Breite und eine analytische Tiefenschärfe erreicht, die wundervoll,
beeindruckend und inspirierend ist. Es ist mir ein Anliegen, über die nüchterne
Betrachtung hinaus mit diesen Worten meine Anerkennung für dieses Handbuch,
meine Wertschätzung für alle an dieser Publikation Beteiligten auszusprechen,
verbunden mit der Hoffnung, dass das Wissenschaftsfeld der kommunikations-
und medienwissenschaftlichen Genderforschung weiter so blühen und gedeihen
möge.

Irene Neverla
Inhaltsverzeichnis

Medien und Geschlecht. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1


Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl und Viktorija Ratković

Teil I Theorien, Modelle, Zugänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

Feministische Theorie als Fundament feministischer


Kommunikationswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
Johanna Dorer
Theoretische Perspektiven: Gleichheit, Differenz, soziale Konstruktion
und Dekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
Elisabeth Klaus
Feministische Medien- und Kommunikationswissenschaft als
kritische Gesellschaftsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
Tanja Thomas
Phänomene des Werdens: Intersektionalität, Queer, Postcolonial,
Diversity und Disability Studies als Orientierungen für die
Medienforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
Waltraud Ernst
Queer Media Studies – Queering Medienwissenschaften . . . . . . . . . . . . 73
Katrin Köppert
Doing Media Theory: Feministische Medientheorie als künstlerische
Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
Gabriele Jutz
Feministische Filmforschung ................................. 99
Kristina Pia Hofer
Männlichkeiten in den Filmwissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
Sebastian Fitz-Klausner
Affekttheorie – Gender, Medien und die Politik von Affekten . . . . . . . . 125
Brigitte Hipfl

VII
VIII Inhaltsverzeichnis

Geschlechterstereotype und Geschlechterrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141


Martina Thiele
Sichtbarkeit. Epistemologie und Politik eines Schlüsselbegriffs
analoger und digitaler Medienrealitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
Johanna Schaffer

Teil II Epistemologie, Methodologie und Methoden . . . . . . . . . . . 171

Feministische Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie .............. 173


Kirstin Mertlitsch
Intersektionalität: Methodologische und methodische
Herausforderung für die feministische Medienforschung . . . . . . . . . . . 183
Assimina Gouma und Johanna Dorer

Methodologiedebatten und Methodeneinsatz in der


kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung ......... 199
Susanne Kinnebrock

Methaphern-, Frame- und Diskursanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215


Susanne Kirchhoff
Die Analyse latenter Frames und Narrative durch szenisches
Verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
Friederike Herrmann

Kollektive Erinnerungsarbeit – ein partizipativer, kritischer


Forschungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
Brigitte Hipfl

Ethnographische Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261


Sigrid Kannengießer

Teil III Medienproduktion, Medieninhalte, Medienrezeption . . . . 269

Medienproduktion: Journalismus und Geschlecht ................ 271


Susanne Keil und Johanna Dorer
Berufsfeld Öffentlichkeitsarbeit/PR und Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . . 287
Romy Fröhlich

Medieninhalte: Geschlechterrepräsentationen und


-(de)konstruktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
Martina Thiele

Werbung und Gender-Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321


Christina Holtz-Bacha
Inhaltsverzeichnis IX

Feministische Werbekritik zwischen Selbstregulierung und


Aktivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335
Ulli Weish
Feministische Rezeptionsforschung populärer Medien . . . . . . . . . . . . . 349
Brigitte Hipfl
Domestizierungsansatz: Medienaneignung und
Geschlechterordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
Raik Roth und Jutta Röser
Social Media: Zwischen Selbstrepräsentation und Unsichtbarkeit,
Empowerment und Sexismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381
Tanja Carstensen

Teil IV Historische Medienforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393

Historische „Frauenzeitschriften“. Von der Lektüre für


Frauen zur Frauenbewegungspresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395
Matthias Marschik, Wolfgang Duchkowitsch und Bettina Biron
Radiogeschichte: Vergeschlechtlichung des frühen Rundfunks in
Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411
Monika Pater und Uta C. Schmidt
Historische TV-Forschung oder die Nachhaltigkeit von Fernsehen
und Feminismus im 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427
Monika Bernold
Geschichte im Fernsehen und Geschlecht ....................... 441
Renée Winter
Anfänge feministischer Filmtheorie und Filmwissenschaft . . . . . . . . . . 453
Andrea Braidt
Genealogie neuer Kommunikationstechnologien und Geschlecht.
Zu den Anfängen des Internets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467
Johanna Dorer
Feministische Linguistik – Sprachkritik im Kontext der Neuen
Frauenbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483
Susanne Hochreiter

Teil V Medien im Kontext von Politik und Ökonomie . . . . . . . . . . 493

Öffentlichkeit herausfordern? Feministische Perspektiven auf


Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495
Regina Köpl
X Inhaltsverzeichnis

Media Governance, supranationale Medienpolitik und


Feminismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509
Bruktawit Ejigu Kassa, Izabela Korbiel, Krisztina Rozgonyi,
Lisa Winter und Katharine Sarikakis

Politische Kommunikation und Geschlecht. Politikerinnen in


den Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529
Christina Holtz-Bacha

Rechtspopulismus und Geschlecht im Internet: Wie rechtspopulistische


Parteien Geschlecht und Sexualität verhandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543
Birgit Sauer

Medienindustrie und Geschlecht: Ökonomische und machtpolitische


Aspekte globaler Medienproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553
Bruktawit Ejigu Kassa, Olga Kolokytha, Izabela Korbiel, Krisztina
Rozgonyi und Katharine Sarikakis

Filmindustrie: Branchenkultur mit Gender Bias . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571


Elizabeth Prommer und Skadi Loist

Queere Filmkultur: Produktionsformen und Infrastruktur ......... 585


Skadi Loist

Teil VI Frauenbewegungen und Feminismus und/in Medien . . . . 595

Die Neue Frauenbewegung in den Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597


Imke Schmincke

Feministische Medien und Öffentlichkeit: Zeitschriften der Neuen


Frauenbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609
Brigitte Geiger

Digitale Öffentlichkeiten und feministische Protestkulturen . . . . . . . . . 629


Ricarda Drüeke

Feministische Veranstaltungs-Öffentlichkeiten ................... 641


Rosa Reitsamer

Feminismen, Kunst und Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 651


Romana Hagyo

Transnationale Frauenbewegungen im medientechnologischen


Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661
Sigrid Kannengießer

Kommunikation, Sprache und Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671


Susanne Hochreiter
Inhaltsverzeichnis XI

Teil VII Gewalt-, Dominanzverhältnisse und/in Medien . . . . . . . . . 689

Medienethik und feministische Medienforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . 691


Larissa Krainer und Sigrid Kannengießer

Geschlechtsbasierte Gewalt: Berichterstattung, Diskurse und


feministische Interventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 701
Brigitte Geiger und Birgit Wolf

Antifeminismus und Antigenderismus in medialen und digitalen


Öffentlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 721
Isolde Aigner und Ilse Lenz

Gewaltverhältnisse und Sprache .............................. 731


María do Mar Castro Varela

Hate Speech im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 739


Kathrin Ganz

Teil VIII Differenzen und/in Medien ........................ 749

Migrantinnen in der Medienproduktion ........................ 751


Bärbel Röben

Migrant*innen in Medientexten als Thema der Medien- und


Kommunikationswissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763
Viktorija Ratković und Assimina Gouma

Whiteness und Geschlecht ................................... 779


Giuliana Sorce

Klasse und Geschlecht. Zur Repräsentation von vergeschlechtlichter


Klasse im Reality-TV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 793
Irmtraud Voglmayr

Alter(n) als soziale Konstruktion – Mediale Bilder vom Alter(n) im


Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 807
Irmtraud Voglmayr

Kritische Männlichkeitenforschung und Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 821


Paul Scheibelhofer, Stefan Sulzenbacher und Johannes Sengelin

Mediensport: Gender und Intersektionalität im Sportressort und


in der Sportberichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 835
Johanna Dorer und Matthias Marschik

Mehrsprachigkeit, Gender und Medien im linguizistischen Kontext . . . 853


Assimina Gouma und Judith Purkarthofer
XII Inhaltsverzeichnis

Teil IX Medienkultur – Populärkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 865

Visuelle Kommunikation und Gender-Konstruktionen . . . . . . . . . . . . . 867


Karin Liebhart
Medienpädagogik und Gender, Medien- und Genderkompetenz ..... 883
Caroline Roth-Ebner
Psychologische Zugänge zu Medien und Geschlecht:
Medienpsychologie und Sozialpsychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 899
Nicola Döring
Frauenzeitschriften und Männerzeitschriften .................... 915
Kathrin Friederike Müller
Geschlechterbilder im Kinderfernsehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 929
Maya Götz
Wer schön sein will . . . Körpernormen und Schöhnheitsdiskurse
in den Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 937
Julia Elena Goldmann und Liesa Herbst
Hollywood-Stars und Social Media Celebrities ................... 951
Martina Schuegraf
Videoproduktion auf YouTube: Die Bedeutung von
Geschlechterbildern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 963
Nicola Döring
Digitale Spiele als Gegenstand feministischer Game Studies . . . . . . . . . 975
Astrid Ebner-Zarl
Vom Pornografieverbot zu den Porn Studies: Perspektiven auf
Pornografie(n) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 989
Angela Tillmann

Teil X Zukunft der feministischen Medienforschung . . . . . . . . . . . 1005

Macht- und diskriminierungskritische Professionalisierung von


Wissensproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1007
Susanne Lummerding
Feministische Kommunikations- und Medienforschung:
Rückblick – Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1017
Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl und Viktorija Ratković
Autor*innenverzeichnis

Isolde Aigner Bochum, Deutschland


Monika Bernold Universität Wien, Wien, Österreich
Bettina Biron Zentrum für Infrastrukturelle Sicherheit, Universität für Weiterbil-
dung Krems, Krems, Österreich
Andrea Braidt Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Universität
Wien, Wien, Österreich
Tanja Carstensen Ludwig-Maximilians-Universität, München, Deutschland
María do Mar Castro Varela Alice Salomon Hochschule, Berlin, Deutschland
Johanna Dorer Universität Wien, Wien, Österreich
Nicola Döring Institut für Medien und Kommunikationswissenschaft, Technische
Universität Ilmenau, Ilmenau, Deutschland
Ricarda Drüeke Fachbereich Kommunikationswissenschaft, Universität Salzburg,
Salzburg, Österreich
Wolfgang Duchkowitsch Universität Wien, Wien, Österreich
Astrid Ebner-Zarl Fachhochschule St. Pölten, St. Pölten, Österreich
Waltraud Ernst Institut für Frauen- und Geschlechterforschung, Johannes Kepler
Universität Linz, Linz, Österreich
Sebastian Fitz-Klausner Linz, Österreich
Romy Fröhlich Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung,
LMU München, München, Deutschland
Kathrin Ganz Margherita-von-Brentano-Zentrum, Freie Universität Berlin, Ber-
lin, Deutschland
Brigitte Geiger Universität Wien, Wien, Österreich
Julia Elena Goldmann Universität Salzburg, Salzburg, Österreich

XIII
XIV Autor*innenverzeichnis

Maya Götz IZI, Bayerischer Rundfunk, München, Deutschland


Assimina Gouma Institut für Inklusive Pädagogik, Pädagogische Hochschule
Oberösterreich, Linz, Österreich
Romana Hagyo Akademie der bildenden Künste Wien, Wien, Österreich
Liesa Herbst Universität Salzburg, Salzburg, Österreich
Friederike Herrmann Kath. Universität Eichstätt-Ingolstadt, Eichstätt, Deutschland
Brigitte Hipfl Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich
Susanne Hochreiter Universität Wien, Wien, Österreich
Kristina Pia Hofer Universität für angewandte Kunst Wien, Wien, Österreich
Christina Holtz-Bacha Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Nürn-
berg, Deutschland
Gabriele Jutz Abteilung für Medientheorie, Universität für angewandte Kunst,
Wien, Österreich
Sigrid Kannengießer ZeMKI, Universität Bremen, Bremen, Deutschland
Bruktawit Ejigu Kassa Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft,
Universität Wien, Wien, Österreich
Department of Journalism and Mass communication, Haramaya University, Dire
Dawa, Äthiopien
Susanne Keil Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Sankt Augustin, Deutschland
Susanne Kinnebrock Universität Augsburg, Augsburg, Deutschland
Susanne Kirchhoff Universität Salzburg, Salzburg, Österreich
Elisabeth Klaus Fachbereich Kommunikationswissenschaft und Interuniversitäre
Einrichtung Wissenschaft und Kunst, Universität Salzburg, Salzburg, Österreich
Olga Kolokytha Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft,
Universität Wien, Wien, Österreich
Regina Köpl Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien, Wien, Österreich
Katrin Köppert Institut für Geschichte und Theorie der Gestaltung, Universität der
Künste Berlin, Berlin, Deutschland
Izabela Korbiel Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft,
Universität Wien, Wien, Österreich
Larissa Krainer Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich
Ilse Lenz Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland
Autor*innenverzeichnis XV

Karin Liebhart Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien, Wien,


Österreich
Department of Sociology, University of Trnava, Trnava, Slowakei
Skadi Loist Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, Potsdam, Deutschland
Susanne Lummerding Universität Wien, Wien, Österreich
Matthias Marschik Universität Wien, Wien, Österreich
Kirstin Mertlitsch Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich
Kathrin Friederike Müller Institut für Kommunikationswissenschaft, Westfäli-
sche Wilhelms-Universität Münster, Münster, Deutschland
Monika Pater Universität Hamburg, Hamburg, Deutschland
Elizabeth Prommer Universität Rostock, Rostock, Deutschland
Judith Purkarthofer Germanistische Linguistik, Universität Duisburg-Essen,
Essen, Deutschland
Viktorija Ratković Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich
Rosa Reitsamer Institut für Musiksoziologie, Universität für Musik und darstel-
lende Kunst Wien, Wien, Österreich
Bärbel Röben Attendorn, Deutschland
Jutta Röser Institut für Kommunikationswissenschaft, Universität Münster, Müns-
ter, Deutschland
Raik Roth Institut für Medienforschung und Medienpädagogik, Technische Hoch-
schule Köln, Köln, Deutschland
Caroline Roth-Ebner Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft,
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich
Krisztina Rozgonyi Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft,
Universität Wien, Wien, Österreich
Katharine Sarikakis Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft,
Universität Wien, Wien, Österreich
Birgit Sauer Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien, Wien, Österreich
Johanna Schaffer Visuelle Kommunikation, Kunsthochschule Kassel, Kassel,
Deutschland
Paul Scheibelhofer Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Innsbruck,
Innsbruck, Österreich
Uta C. Schmidt Universität Duisburg-Essen, Essen, Deutschland
Imke Schmincke Ludwig-Maximilians-Universität München, München, Deutschland
XVI Autor*innenverzeichnis

Martina Schuegraf Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskul-


tur (GMK), Bielefeld, Deutschland
Johannes Sengelin Wien, Österreich
Giuliana Sorce Institut für Medienwissenschaft, Eberhard-Karls-Universität Tü-
bingen, Tübingen, Deutschland
Stefan Sulzenbacher Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Univer-
sität Wien, Wien, Österreich
Martina Thiele Institut für Medienwissenschaft, Universität Tübingen, Tübingen,
Deutschland
Tanja Thomas Institut für Medienwissenschaft, Eberhard Karls Universität Tübin-
gen, Tübingen, Deutschland
Angela Tillmann Institut für Medienforschung und Medienpädagogik, TH Köln,
Köln, Deutschland
Irmtraud Voglmayr Universität Wien, Wien, Österreich
Ulli Weish Universität Wien, Wien, Österreich
Lisa Winter Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Universität
Wien, Wien, Österreich
Renée Winter Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien, Wien, Österreich
Birgit Wolf Frauenhelpline, Verein AÖF Autonome Österreichische Frauenhäuser,
Wien, Österreich
Mank, Österreich
Medien und Geschlecht. Einleitung

Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl und Viktorija Ratković

Zusammenfassung
In der Kommunikations- und Medienwissenschaft hat sich in den letzten 30
Jahren ein feministisches Forschungsfeld entwickelt, das in seiner gesamten
Breite kaum mehr überblickt werden kann. Ziel des Handbuchs Medien und
Geschlecht ist es, die vielfältigen theoretischen Ansätze und Zugänge sowie
Studien der feministischen Kommunikations- und Medienforschung – mit
Schwerpunkt deutschsprachiger Raum – zu systematisieren und überblicksartig
zusammenzufassen. Die Beiträge des Handbuchs verstehen sich als Einstieg in
die jeweilige Thematik mit umfangreicher weiterführender Literatur, um das
Fachgebiet rasch weiter erschließen zu können.

Schlüsselwörter
Feministische Kommunikations- und Medienwissenschaft ·
Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung · Gender
Media Studies

In der Kommunikations- und Medienwissenschaft hat sich in den letzten 30 Jahren


ein feministisches Forschungsfeld entwickelt, das in seiner gesamten Breite kaum
mehr überblickt werden kann. Die umfangreiche wissenschaftliche Beschäftigung
mit verschiedensten Themen feministischer Kommunikations- und Medienforschung
hat immer wieder Anlass dazu gegeben, in Einführungsbänden, Überblicks-

J. Dorer (*) · B. Geiger


Universität Wien, Wien, Österreich
E-Mail: johanna.dorer@univie.ac.at; brigitte.geiger@univie.ac.at
B. Hipfl · V. Ratković
Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich
E-Mail: brigitte.hipfl@aau.at; viktorija.ratkovic@aau.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 1
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_85
2 J. Dorer et al.

Monografien oder in Sammelbänden1 das Forschungsfeld zu systematisieren und für


Genderforscher:innen aufzubereiten. Auch in Bibliografien2 wurde und wird ver-
sucht, den Forschungsbestand zu dokumentieren. Durch die Interdisziplinarität der
feministischen Wissenschaft und der Kommunikationswissenschaft ist eine beacht-
liche Breite des Forschungsbereichs entstanden. Entsprechend konnte unser An-
spruch, in diesem Handbuch das gesamte Themen- und Forschungsfeld abzudecken,
nicht gänzlich gelingen. Die verbliebenen Leerstellen sollen zur weiteren Forschung
anregen und können in neuen Beiträgen für die Online-Ausgabe des Handbuchs, der
‚lebendigen Variante‘ der gedruckten Form, bearbeitet werden.
Ziel des Handbuchs Medien und Geschlecht ist es, die vielfältigen theoretischen
Ansätze und Zugänge sowie Studien der feministischen Kommunikations- und
Medienforschung – mit Schwerpunkt deutschsprachiger Raum – zu systematisieren
und überblicksartig zusammenzufassen. Ein besonderes Anliegen war uns dabei,
neben der deutschen und internationalen feministischen Forschung auch oft weniger
sichtbare österreichische Wissenschaftszugänge und Forschungsarbeiten zu berück-
sichtigen, für die Schweiz ist uns das leider nicht geglückt. Gängige Bezeichnungen
wie feministische Kommunikations- und Medienwissenschaft, kommunikationswis-
senschaftliche Geschlechterforschung sowie Gender Media Studies werden dabei im
Handbuch gleichberechtigt nebeneinander verwendet.
Die Beiträge des Handbuchs verstehen sich als Einstieg in die jeweilige Thematik
mit umfangreicher weiterführender Literatur, um das Fachgebiet rasch weiter erschlie-
ßen zu können. Für die Beiträge war eine einheitliche Struktur angestrebt, die Art der
inklusiven Schreibweise war den Autor:innen freigestellt. Uns war es wichtig und auch
eine Vorgabe an die Autor:innen, einen klaren Überblick über zentrale Definitionen, den
Entstehungskontext des Forschungsbereichs und eine Einordnung sowie Kommentie-
rung der wichtigsten Entwicklungen zu geben, wegweisende Studien hervorzuheben
sowie Anregungen für eine Weiterentwicklung anzuführen. Das stellte sich, wie wir
beim Schreiben der eigenen Beiträge erlebt und von Autor:innen rückgemeldet bekom-
men haben, als herausfordernde Aufgabe heraus, noch erschwert dadurch, dass die
Beiträge von ihrem Umfang her begrenzt waren. Dies führte oft zu mehreren Runden
der Überarbeitung, auf die sich unsere Autor:innen dankenswerterweise auch einließen.
Das nun vorliegende Ergebnis gibt uns darin recht, dass sich die teils mühevolle Arbeit
an den Beiträgen wirklich gelohnt hat.
Die Idee zu diesem Handbuch reicht mehr als sieben Jahre zurück. Die Umsetzung
des Vorhabens stellte für uns Herausgeberinnen eine enorme Herausforderung dar, die
sich erst im Laufe der Zeit in all ihren Facetten zeigte. Für die daher nicht selten
langen, aber produktiven Diskussionen zu inhaltlichen und formalen Aspekten war
unser Wissen aus unterschiedlichen Perspektiven und Standpunkten hilfreich. Brigitte

1
Angerer und Dorer 1994; Fröhlich und Holtz-Bacha 1995; Klaus 1998; Klaus et al. 2001; Dorer
und Geiger 2002; Lünenborg und Maier 2013; Peters und Seier 2016; Thomas und Wischermann
2020, für den englischsprachigen Raum: van Zoonen 1994; Dines und Humez 1995; Ross
et al. 2020.
2
Fröhlich und Holtz-Bacha 1993; Klaus und Reiterer 2021.
Medien und Geschlecht. Einleitung 3

Geiger hat ihre Erfahrungen und ihr Wissen sowohl aus der feministischen Praxis als
auch der feministischen Lehre und Forschung eingebracht. Als Gründungsmitglied
des feministischen Dokumentationsarchivs STICHWORT. Archiv der Frauen- und
Lesbenbewegung. Bibliothek, Dokumentation, Multimedia in Wien (gegründet 1982)
und durch ihre über 30-jährige Lehr- und Forschungstätigkeit als externe Universitäts-
lektorin an den kommunikations- und medienwissenschaftlichen Instituten der Uni-
versitäten Wien, Salzburg und Klagenfurt verfügt sie über ein enorm breites, für das
Handbuch unverzichtbares Detailwissen zu unterschiedlichen Aspekten der Frauen-
bewegung und feministischer Medienforschung. Viktorija Ratković, feministische
Forscherin am Zentrum für Friedensforschung und Friedensbildung der Universität
Klagenfurt, hat die Diskussionen mit ihrem intersektionalen und dekolonialen Blick-
winkel bereichert und aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur nachfolgenden Generation
feministischer Forscherinnen den intergenerationalen Dialog beflügelt und damit
wichtige Anregungen in das Handbuch einfließen lassen. Ebenfalls an der Universität
Klagenfurt hat Brigitte Hipfl am Institut für Medien- und Kommunikationswissen-
schaft seit Mitte der 1980er-Jahre in Forschung und Lehre den Zusammenhang von
Kommunikation, Kultur und Geschlecht bearbeitet. In diesem Zeitraum war sie bis
2019 auch Mitglied der Gremien, die sich für ein universitätsweites Angebot an
Lehrveranstaltungen zu feministischer Wissenschaft und Gender Studies und für die
Einbindung externer Expert:innen3 einsetzen. Johanna Dorer engagierte sich bereits
Anfang der 1990er-Jahre in der feministischen Medienforschung und initiierte am
Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien den
Aufbau eines feministischen Forschungsschwerpunkts inklusive Betreuung feministi-
scher Abschlussarbeiten sowie die Implementierung von Lehrveranstaltungen und
Modulen zur feministischen Medienforschung im Studienplan.4 Zahlreiche externe
Universitätslektorinnen und etliche Gastprofessorinnen brachten Geschlechter-Wissen
und innovative Ansätze in die feministische Lehre ein.
Ein so umfangreiches Projekt kann nur mit Unterstützung vieler realisiert werden.
Unser großer Dank gilt zunächst und vor allem all unseren geduldigen und
engagierten Beiträger:innen, ohne die dieses Werk nicht hätte zustande kommen
können. Darüber hinaus haben uns viele mit Austausch und Anregungen zu ver-
schiedenen Aspekten des Handbuchs unterstützt: Besonders bedanken möchten wir
uns bei Monika Bernold, Regina Köpl, Matthias Marschik, Irmtraud Voglmayr und
für wertvolle Beiträge in der Konzeptionsphase des Handbuchs bei unseren Salz-
burger Kolleginnen Ricarda Drüeke, Martina Thiele5 und insbesondere Elisabeth
Klaus.

3
Wie z. B. Fulbright-Gastprofessor:innen mit Gender-Schwerpunkt aus den USA.
4
Unterstützt und gefördert haben die Umsetzung der damalige Institutsvorstands Prof. Wolfgang
R. Langenbucher und der Studienprogrammleiter Ass.Prof. Klaus Lojka. Damals neu und außer-
gewöhnlich war auch die Vereinbarung, jährlich eine Wissenschaftlerin mit thematischem Gender-
bezug als Gastprofessorin an die Universität Wien zu holen wie Elisabeth Klaus, Eva Warth,
Waltraud Cornelißen, Margreth Lünenborg, Irene Neverla, Susanne Kinnebrock u. a.
5
Martina Thiele ist inzwischen an der Universität Tübingen tätig.
4 J. Dorer et al.

Ein besonderer Dank gilt weiters unserer Verlags-Lektorin Barbara Emig-Roller


und Projektmanagerin Kerstin Zeiger, die mit viel Geduld und Umsicht den Fort-
gang des Handbuchs professionell betreut haben.
Für finanzielle Unterstützung des Projekts danken wir der Magistratsabteilung für
Frauen der Gemeinde Wien, dem Institut für Medien- und Kommunikationswissen-
schaft der Universität Klagenfurt sowie der Fakultät für Kulturwissenschaften der
Universität Klagenfurt.

Literatur
Angerer, Marie-Luise, und Johanna Dorer, Hrsg. 1994. Gender und Medien. Theoretische Ansätze,
empirische Befunde und Praxis der Massenkommuikation: ein Textbuch zur Einführung. Wien:
Braumüller.
Dines, Gail, und Jean M. Humez. 1995. Gender, race and class in media. Thousand
Oaks/London: Sage.
Dorer, Johanna, und Brigitte Geiger, Hrsg. 2002. Feministische Kommunikations- und Medienwis-
senschaft. Ansätze, Befunde und Perspektiven der aktuellen Entwicklung. Wiesbaden: West-
deutscher Verlag.
Fröhlich, Romy, und Christina Holtz-Bacha. 1993. Frauen und Massenkommunikation. Eine
Bibliographie. Bochum: Universitätsverlag Brockmeyer.
Fröhlich, Romy, und Christina Holtz-Bacha. 1995. Frauen und Medien. Eine Synopse der deut-
schen Forschung. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Klaus, Elisabeth. 1998. Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung. Zur Bedeutung
der Frauen in Massenmedien und im Journalismus. Opladen: Westdeutscher Verlag. (Zweite
um eine Einleitung erweiterte Auflage: 2005. Wien: Lit-Verlag).
Klaus, Elisabeth, Jutta Röser, und Ulla Wischermann, Hrsg. 2001. Kommunikationswissenschaft
und Gender Studies. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Klaus, Elisabeth, und Sophia Reiterer. 2021. Literaturübersicht: Kommunikationswissenschaftliche
Geschlechterforschung. https://kowi.uni-salzburg.at/wp-content/uploads/2021/01/Bibliogra
phie_Gender_Media_Studies_Stand27012021.pdf. Zugegriffen am 06.10.2021.
Lünenborg, Margreth, und Tanja Maier. 2013. Gender Media Studies. Eine Einführung. Konstanz/
München: UTB.
Peters, Kathrin, und Andrea Seier, Hrsg. 2016. Gender & Medien-Reader. Zürich: Diaphanes.
Ross, Karen, Ingrid Bachmann, Valentina Cardo, Sujata Moorti, und Marco Scarcelli, Hrsg. 2020.
The international encyclopedia of gender, media, and communication. Hoboken: Wiley.
Thomas, Tanja, und Ulla Wischermann, Hrsg. 2020. Feministische Theorie und Kritische Medien-
kulturforschung. Ausgangspunkte und Perspektiven. Bielefeld: transcript.
Zoonen, Liesbet van. 1994. Feminist media studies. London: Sage.
Teil I
Theorien, Modelle, Zugänge
Feministische Theorie als Fundament
feministischer
Kommunikationswissenschaft

Johanna Dorer

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
2 Feministische Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
3 Entwicklungen in der feministischen Theoriebildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
4 Paradigmenwechsel: die de-/konstruktivistische Wende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
5 Feministische Theorie in der Kommunikationswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

Zusammenfassung
Die feministische Kommunikations- und Medienwissenschaft kann nicht losge-
löst von den unterschiedlichen Entwicklungen der feministischen Theorie be-
trachtet werden. War es zuerst die Frauenforschung (women’s studies), die Männ-
lichkeit als Norm und Weiblichkeit als von der Norm abweichend analysierte, so
wird mit der Geschlechterforschung (gender studies) nicht nur der Forschungs-
schwerpunkt auf beide Geschlechter gelegt, sondern es geht damit auch ein
Paradigmenwechsel in den Grundlagen der feministischen Theorie einher. Mit
der de-/konstruktivistischen Wende sind theoretische und erkenntnistheoretische
(epistemologische) Positionen neu formuliert worden. Fragen nach dem Herstel-
lungsprozess von Geschlecht (Doing Gender), nach der Dekonstruktion des sex/
gender-Systems, nach der Berücksichtigung weiterer Differenzkategorien wie
Ethnizität, „Rasse“, Klasse, sexuelle Orientierung, Inter/Transgeschlechtlichkeit,
Alter, Religionszugehörigkeit u. a. werden zentral und bedurften einer kritischen
Reflexion und Reformulierung feministischer Basiskategorien. Nach wie vor

Leicht erweiterte und korrigierte Fassung meines Beitrags in Dorer und Klaus (2008, S. 91–100).
Mein Dank gilt Gitti Geiger und Brigitte Hipfl für ihre kritischen Kommentare.

J. Dorer (*)
Universität Wien, Wien, Österreich
E-Mail: johanna.dorer@univie.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 7
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_1
8 J. Dorer

stellt sich feministische Theorie als ein heterogenes, unabgeschlossenes Theo-


riegebäude dar, das sich immer wieder neuen Herausforderungen stellt und
gerade angesichts aktueller Entwicklungen wieder neue Fragen ins Zentrum der
Betrachtung zu rücken hat.

Schlüsselwörter
Feministische Theorie · Poststrukturalismus · De-/Konstruktivismus ·
Feministische Epistemologie · Frauenforschung · Geschlechterforschung ·
Feministische Medien- und Kommunikationswissenschaft

1 Einleitung

Wohl wenige Theorien haben innerhalb kurzer Zeit in sämtlichen Disziplinen eine
derartige Verbreitung gefunden wie die feministische Theorie. Daher ist Benhabibs
(1993, S. 9) Diagnose, sie zu den bedeutendsten und avanciertesten Denkströmun-
gen der heutigen intellektuellen und universitären Kultur der westlichen Demokra-
tien zu zählen, unwidersprochen zuzustimmen. Dass wir heute auf eine vielfältige,
stark ausdifferenzierte feministische Medienforschung bzw. kommunikationswis-
senschaftliche Frauen- und Geschlechterforschung1 blicken können, hat mit dieser
enormen Bedeutung der feministischen Denkströmung zu tun. Es hat aber auch mit
dem die feministische Theorieentwicklung stets begleitenden, stark selbstreflexiven
Moment zu tun, das die verschiedenen Disziplinen vor neue Herausforderungen
stellte. Gerade der im Folgenden näher ausgeführte Paradigmenwechsel, der eine
de-/konstruktivistische Wende in der feministischen Theoriebildung einleitete, führ-
te auch zu einer bis heute anhaltenden wissenschaftstheoretischen Diskussion, zu
einer Kritik und Reformulierung theoretischer Ansätze sowie zu verschiedenen
Versuchen der Systematisierung der feministischen Medienforschung.2

2 Feministische Theorie

Feministische Medienforschung bedient sich unterschiedlicher feministischer Theo-


riezugänge. Es handelt sich dabei also nicht um ein einheitliches, in sich abge-
schlossenes Theorieprojekt, sondern um eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze und
Denkmöglichkeiten, um einen vielstimmigen, aber auch kontroversen Diskurs, der
sich im Laufe der Erforschung zunehmend weiterentwickelt, verändert und ausdif-
ferenziert hat. Typisch für die feministische Theorie ist dabei ihre Bereitschaft,
unorthodoxe Denkwege einzuschlagen, sowie eine kritische und kreative Aneignung
und Verknüpfung verschiedener Theorie- und Erkenntnistraditionen vorzunehmen

1
Die Begriffe werden hier synonym verwendet, vgl. dazu: Dorer und Klaus (2003, S. 550).
2
Vgl. zu früheren Entwicklungen und Systematisierungen Angerer und Dorer 1994 sowie Klaus
1998, 2005. Zuletzt auch: Lünenborg und Maier 2013.
Feministische Theorie als Fundament feministischer . . . 9

(Becker-Schmidt und Knapp 2000; Hark 2001; Kroll 2002; Becker und Kortendiek
2004; Babka und Posselt 2016).
Feministische Theorie ist nach Nagl-Docekal (1999, S. 8–9) und Ernst (1999,
S. 32) nicht über einen gemeinsamen Gegenstandsbereich „Frau“ oder „Geschlecht“
zu bestimmen, sondern basiert auf einem gemeinsamen Erkenntnisinteresse, das die
Produktion von Wissen zur Aufdeckung und Transformation von epistemischen und
sozialen Geschlechterhierarchien umfasst. Feministische Theorie ist also keine
Theorie des Geschlechts, sondern lässt sich nur über eine bestimmte Erkenntnisper-
spektive definieren, die Asymmetrien der gesellschaftlichen Geschlechterkonstruk-
tion in den Blick nimmt.
Feministische Theorie und Forschung hat sich dabei immer einer doppelten
Herausforderung zu stellen: Einerseits geht es um die Entwicklung theoretischer
Konzepte und Modelle zur Analyse hierarchischer Geschlechterverhältnisse und
-zuschreibungen, andererseits um die Entwicklung politischer Strategien zur Besei-
tigung gesellschaftlicher Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts (Angerer
und Dorer 1994, S. 12). Nach Ernst (1999, S. 32) führen die vielfältigen Verknüp-
fungen von Geschlechterhierarchien mit anderen sozialen Hierarchien wie etwa
„Rasse“, Klasse, Ethnizität, sexuelle Orientierung, Alter dazu, dass epistemische,
politische und moralische Prozesse für die Einzelnen jeweils unterschiedlich gestal-
tet sind und damit Prozesse der Emanzipation immer sowohl individuell als auch
kollektiv zu analysieren sind.
Obgleich die feministische Theorie ein heterogenes, von Widersprüchen, Dis-
sonanzen und Divergenzen gekennzeichnetes Denkgebäude darstellt, ist die Be-
zeichnung im Singular sinnvoll. Denn die additive Vervielfältigung feministischer
Theorien berge nach Hark (2001, S. 11) immer die Gefahr einer Hierarchisierung
entlang hegemonialer Machtrelationen in sich. Das bedeutet, dass sich zum Beispiel
westliche feministische Theorieansätze als zentrale, nicht-westliche als periphere
Ansätze hierarchisch ordnen ließen. Zudem könne allein durch die Verwendung des
Plurals die Vielfalt der unterschiedlichen Ansätze nicht hinreichend bezeichnet
werden, sodass die Verwendung des Singulars die beste Möglichkeit darstellt.
Den unterschiedlichen feministischen Theoriezugängen ist aber Folgendes ge-
meinsam (Angerer und Dorer 1994, S. 12; Hark 2001, S. 9–11):

• Feministische Theorie versteht sich nicht nur als Geschlechterkritik, sondern auch
als Gesellschafts- und Wissenschaftskritik.
• Auch die eigene Theoriebildung erfolgt in kritischer Reflexion des gewählten
Standpunkts, so dass es immer wieder zu einer Reformulierung feministischer
Basiskategorien und Theorieansätze kommt.
• Interdisziplinarität in den theoretischen Zugängen und empirischen Methoden ist
unabdingbare Voraussetzung feministischer Erkenntnis.
• Die Geschlechter-Ideologie betrifft und hierarchisiert alle gesellschaftlichen Be-
reiche und ist mit anderen Kategorien wie Klasse, „Rasse“, Ethnizität und
Begehren/sexuelle Orientierung verschränkt.
10 J. Dorer

• Feministische Theorie ist nicht auf eine erkenntnistheoretische Ebene beschränkt,


sondern zielt immer auch auf die Überwindung von Geschlechterhierarchien in
der Gesellschaft und somit auf eine Umsetzung in die politische Praxis.

3 Entwicklungen in der feministischen Theoriebildung

Spätestens seit den 1980er-Jahren rücken in der feministischen Theoriebildung neue


erkenntnistheoretische Fragestellungen in den Vordergrund. Gingen feministische
Wissenschafterinnen zuvor davon aus, dass Erkenntnissubjekt und Erkenntnispro-
zess voneinander abhängig sind und Erkenntnis auf theoretisierter Erfahrung beruht
– was bis dahin als Prämisse der Standpunktheorie galt –, so bringen Poststruk-
turalismus und Postmoderne einen Denkansatz ein, der das Subjekt als Effekt gesell-
schaftlicher Diskurse konzipiert. Demnach sind weder Erkenntnis noch Wahrheit
länger als Grundlagen wissenschaftlichen Wissens anzusehen, sondern ausschließ-
lich Machtkonstellationen, die wissenschaftliches Wissen erst hervorbringen. Neben
einer Neukonzeption des Subjekts waren es aber auch die Kritik Schwarzer Frauen,
von Frauen des globalen Südens und lesbischer Frauen sowie postkoloniale Theorie
und Queer-Theorie, die ein Kollektivsubjekt Frauen, ein gemeinsames Wir, in Frage
stellten. Kritisch hinterfragt wurde damit die standpunkttheoretische Basis feminis-
tischer Forschung, nämlich dass Frauen auf Grund gesellschaftlicher Entwicklung
und historischer Erfahrung einen anderen Standort des Denkens und der Erkenntnis
einbringen würden als Männer und die postulierte Rationalität und Objektivität
lediglich eine aus männlicher Erfahrung gewonnene Subjektivität wäre (Angerer
und Dorer 1994, S. 13–16).3
Mit der epistemologischen Debatte, bei der Standpunkttheorien einerseits weiter-
entwickelt wurden, poststrukturalistische Theorien andererseits an Bedeutung ge-
wonnen haben, ging gleichzeitig eine Neuorientierung der Women’s Studies in
Richtung Gender Studies einher. Waren in der Frauenforschung vor allem der
Ausschluss von Frauen, das Männliche als die gesellschaftliche Norm, Gleichheit
versus Differenz die bestimmenden Themen, so verlagerte sich die feministische
Debatte in der Genderforschung auf die Frage, wie Geschlecht individuell, struktu-
rell und symbolisch in einer Gesellschaft hergestellt und aufrechterhalten wird. Für
die Frauenforschung war es wichtig, die eigene Geschichte, die eigenen
(Diskriminierungs-)Erfahrungen zu rekonstruieren. Wesentlich für diesen Ansatz
war die Kritik, dass gesellschaftliche Institutionen und gesellschaftliche Wissens-
produktion männlich dominiert sind, sodass Frauen als die von der Norm abwei-
chenden und defizitären Subjekte begriffen wurden. Die Norm wurde als ge-
schlechtsneutral, geschlechtslos bzw. androzentrisch angenommen, das Weibliche
war das Ausgeklammerte, das Ausgeschlossene. Frauen sind auch sprachlich im
generischen Maskulinum nicht explizit benannt, sondern nur mitgemeint. Frauen
waren so gesehen Opfer einer patriarchalen Gesellschaftsordnung. Im Gegensatz

3
Ausführlich dazu: Seifert 1992; Harding 1990.
Feministische Theorie als Fundament feministischer . . . 11

dazu radikalisiert die Geschlechterforschung die Denaturalisierung von Geschlecht,


die das sex/gender-Modell anstrebt, und geht nun von einer grundlegenden sozialen
und kulturellen Konstruktion von Geschlecht aus (Angerer und Dorer 1994,
S. 9–12).
Diese Entwicklung von der Frauenforschung zur Genderforschung findet in den
drei Konzepten Gleichheitsansatz, Differenzansatz und Geschlechterforschung bzw.
De-/Konstruktion ihre systematisierende Entsprechung (Klaus 1998).
In der Folge führte diese erkenntnistheoretische Diskussion zu einer Neuorien-
tierung in der feministischen Theoriebildung. Einerseits erfuhr die Standpunkttheo-
rie eine Reformulierung und Neukonzeption, andererseits differenzierte sich die
poststrukturalistische und konstruktivistische feministische Debatte aus.

4 Paradigmenwechsel: die de-/konstruktivistische Wende

Die vielfältigen neuen Denkansätze in der feministischen Theorie führten zu einem


Paradigmenwechsel. Angelpunkt dabei ist eine de-/konstruktivistische Konzeption
von Geschlecht. Das bedeutet, dass nun davon ausgegangen wird, dass der Ge-
schlechterdualismus ein Ergebnis sozialer und historischer Prozesse darstellt und die
Geschlechterdifferenz somit ein sozio-kulturelles Konstrukt und nicht ein Effekt
eines natürlichen Unterschieds ist. Nicht nur das gesellschaftlich zugeschriebene
soziale Geschlecht (gender), sondern auch das biologische Geschlecht (sex) wird als
sozial konstruiert aufgefasst. Natur und Kultur, Sex und Gender werden in der
sozialen Praxis erst hervorgebracht und sind nicht etwas vorab natürlich Gegebenes.
Geschlechterdifferenzen werden in einem komplexen sozialen Prozess von Hand-
lungen, Fremd- und Selbstpositionierungen, Bedeutungszuschreibungen und Legi-
timierungen erst konstituiert, erst dann erfolgt die Verankerung in der sozialen
Realität als natürlich erscheinende Differenz. Diese anti-essenzialistische Konzepti-
on von Geschlecht hat spätestens in den 1980er-Jahren (Goffman 2001 [1977];
Haraway 1995 [1985]; Laclau und Mouffe 1991 [1985]; Lauretis 1987; West und
Zimmermann 1987) die Trennung von biologischem und sozialem Geschlecht im
sex/gender-Modell hinterfragt und aufgehoben.
Mit der de-/konstruktivistischen Wende rücken neue Fragestellungen in den
Vordergrund: Zum einen geht es um Fragen, wie Geschlecht immer wieder neu
hergestellt wird und welche Mechanismen, Bedeutungen und Effekte sich erkennen
lassen. Andererseits geht es um die Infragestellung des Systems heterosexueller
Zweigeschlechtlichkeit insgesamt, d. h. um die Frage, wie Geschlecht, Identität,
Sexualität und Psyche als eine die symbolische Ordnung generierende „heterosexu-
elle Matrix“ (Butler 1995, 2001) eine derart umfassende Wirkmächtigkeit entfalten
können und damit zusammenhängend, wie diese Heteronormativität nun auch ver-
ändert werden kann.
Der Paradigmenwechsel führte zu einer Reihe unterschiedlicher Strömungen in
der feministischen Theoriebildung. Gemeinsam ist den de-/konstruktivistischen
Ansätzen nach Pühl et al. (2004, S. 20–22):
12 J. Dorer

• erstens die anti-essenzialistische Auffassung von Geschlecht,


• zweitens eine Radikalisierung der Subjektkritik und eine Neukonzeption von
Subjekt und Subjektivität, sowie
• drittens eine veränderte Auffassung vom Verhältnis von Subjekt und Politik.

Ausgangspunkt feministischer Forschung ist von nun an, dass ein Verständnis von
Geschlecht als Konstruktion Basis jeglicher feministischer Theoriebildung und For-
schung ist. Gleichzeitig kann aber von einem einheitlichen konstruktivistischen Ver-
ständnis nicht gesprochen werden. Mit der Konstruktionsthese sind also recht unter-
schiedliche Positionen verbunden, die grob gesprochen in folgende drei Strömungen
unterteilt werden können: Zu unterscheiden sind zum einen die sozialkonstruktivisti-
schen und ethnomethodologischen Ansätze, zum zweiten die poststrukturalistischen
Ansätze und zum dritten erkenntnistheoretische Positionen (Pühl et al. 2004, S. 20–22;
Wetterer 2004a, S. 123–138; Maihofer 2004; Hark 2001).

4.1 Sozialkonstruktivistische und ethnomethodologische


Ansätze

Sozialkonstruktivistische und ethnomethodologische Ansätze gehen davon aus, dass


die Herstellung von Geschlecht als situationsabhängiges, meist unbewusstes All-
tagshandeln vonstatten geht. Geschlecht und Geschlechterunterscheidung sind damit
Effekte sozialer Interaktionen, Effekte eines unablässigen Doing Gender. Der Prozess
des Doing Gender verläuft dabei auf der Ebene der Darstellung und Handlung.
Alltägliche Gewohnheiten und Routinen sowie selbstverständliche soziale Praktiken,
die die Geschlechterdifferenz erst hervorbringen, sind dabei Gegenstand feministischer
Analysen. Die mikrosoziologischen Ansätze des Doing Gender untersuchen vor allem,
wie Konstruktionsprozesse von Geschlecht in der alltäglichen Praxis funktionieren.
Während sich ethnomethodologische Ansätze auf den empirischen Nachweis der
Konstruktion von Geschlecht konzentrieren, setzen sozialkonstruktivistische Studien
die Konstruiertheit von Geschlecht theoretisch voraus.
Nachteil dieser mikrosoziologischen Analysen ist, dass damit strukturelle Asym-
metrien und die Stabilität des Systems der Zweigeschlechtlichkeit meist nicht erklärt
werden können, da sich die Forschung stärker auf den individuellen Interaktions-
prozess konzentriert und weniger auf die Effekte des Doing Gender.4 Ausgangspunkt
für eine mikrosoziologische Betrachtung von Geschlecht waren ursprünglich ethno-
logische Studien, Studien über Transsexualität sowie der symbolische Interaktionis-
mus (Pühl et al. 2004, S. 16). Der Beginn dieser Forschungsrichtung ist eng mit den
Arbeiten von Goffman (2001 [1977]) und Garfinkel (1967) verbunden. Die aktuelle
Debatte dieser Ansätze in der feministischen Theoriebildung kreist heute um die
Frage, wie neben der Mikroanalyse wieder verstärkt strukturelle und institutionelle

4
Vgl. dazu die Kritik von Pühl et al. (2004, S. 16) und Maihofer (2004, S. 35–36) sowie die Antwort
darauf von Wetterer (2004b).
Feministische Theorie als Fundament feministischer . . . 13

Reproduktionsmechanismen von Differenz in den Blick genommen werden könnten


(Wetterer 2004b). Nach Maihofer (2004, S. 34–39) liefert Goffman mit seiner Kon-
zeption von „institutionellen Genderismen“ selbst eine gute Erklärung dafür, wie
strukturelle und individuelle Mechanismen auf komplizierte Weise ineinander greifen.
Durch eine Re-Lektüre dieser Konzeption wäre damit auch eine sinnvolle Verbindung
zwischen sozialkonstruktivistischen und diskurstheoretischen/poststrukturalistischen
Positionen möglich.
Auch der Begriff der Dekonstruktion wird in der sozialkonstruktiven Debatte
unterschiedlich verwendet. Er bezeichnet zum einen das politische Komplement des
konstruktivistischen Nachdenkens, zum anderen die Re-Konstruktion des Herstel-
lungsmodus der Differenz (Gildemeister und Wetterer 1992, S. 246, 249–251; Wette-
rer 2004b, S. 59). Häufiger jedoch wird in mikrosoziologischen Ansätzen der Begriff
Dekonstruktion mit Konstruktivismus oder Kritik gleichgesetzt.

4.2 Poststrukturalistische Ansätze

Die zweite Denkrichtung des Konstruktivismus, der Poststrukturalismus, vereint


verschiedene Theorien und Konzepte, denen die Kritik am Strukturalismus gemein-
sam ist, d. h., sprachliche und gesellschaftliche Strukturen werden nicht mehr als fix
Vorgegebenes, als geschlossene, statische Totalität verstanden, sondern als dyna-
mische Prozesse der Bedeutungskonstruktion interpretiert. Eine feministische Neuin-
terpretation und Weiterentwicklung erfolgt dabei im Rahmen poststrukturalistischer
Ansätze v. a. von Jacques Derridas Sprachphilosophie und Dekonstruktivismus, der
Diskursanalyse Michel Foucaults und der Neopsychoanalyse nach Jacques Lacan.
Ausgangspunkt dieser Ansätze ist, dass Sprache nicht Realität ausdrückt, sondern
Bedeutungen erst hervorbringt. Das System der Sprache ist damit der Ort und der
Modus, in dem – bzw. wie mittels Bedeutungszuweisungen und Bezeichnungspraxen
in einem kontinuierlichen Prozess – Realität konstituiert wird. Männlichkeit und
Weiblichkeit sind demnach keine fixierbaren Identitäten, sondern durch Sprache
konstituierte Bedeutungsfelder. Zum „linguistic turn“ liefert nun die Diskursanalyse
den gesellschafts-theoretischen Rahmen, wie Subjektkonstitution und symbolische
Ordnung ineinander greifen und Effekte der Normalisierung und Naturalisierung der
Zweigeschlechtlichkeit (re)produzieren, während die Neopsychoanalyse den Aspekt
der Internalisierung der diskursiven Norm durch die Psyche fokussiert. Geschlecht
wird nun als diskursive Konstruktion gefasst, d. h. als Effekt gesellschaftlicher Dis-
kurse. Als entscheidende Kraft zur Konstituierung und Veränderung von Diskursen
gilt dabei die Verbindung von Wissen und Macht.5
Im poststrukturalistischen Kontext erhält der Begriff Dekonstruktion auch eine
andere Bedeutung als in der sozialkonstruktivistischen Debatte. Der Begriff geht auf
Jacques Derrida zurück, der damit ein Verfahren in drei Schritten bezeichnet: Rekon-

5
Die Grundgedanken der poststrukturalistischen Strömungen haben Angerer und Dorer (1994,
S. 14–16) anderorts ausführlicher dargestellt.
14 J. Dorer

struktion, kritische Zerlegung und Neuformulierung (Neukonstruktion) von Begrif-


fen, Symbolen, Metaphern, Texten oder Diskursen. Feministische Dekonstruktion
meint nun ein kritisches Lektüreverfahren, bei dem es darum geht, natürlich erschei-
nende Dualismen, gesellschaftliche Artikulationen6 und Fixierungen kritisch zu
hinterfragen, zu zerlegen, die Grenzen, das Undarstellbare und Unsagbare der
diskursiven Formation sichtbar zu machen, um sodann die dekonstruierten Elemente
neu zusammenzusetzen. Das dekonstruktivistische Verfahren inkludiert dabei die
selbstkritische Reflexion des eigenen Standpunkts, ist doch auch bei diesem Ver-
fahren von einer diskursiv produzierten Wissensposition auszugehen.
Die kritische Weiterentwicklung und unterschiedliche Schwerpunktsetzung post-
strukturalistischer Zugänge führte zu unterschiedlichen, zum Teil sich überschnei-
denden, neuen feministischen Theorieansätzen und Konzepten wie im Folgenden
ausgeführt werden soll.
Am bekanntesten sind die Arbeiten von Judith Butler geworden, die in einer
(hybriden) Verbindung der Foucault’schen Diskursanalyse mit sprachtheoretischen
Ansätzen (Derrida, Austin u. a.) die Dekonstruktion des sex/gender-Systems sowie
eine erst später von den Queer Studies aufgegriffene Kritik der Heteronormativität
(Konzept der heterosexuellen Matrix) formulierte. Mit dem Konzept der Performa-
tivität entwickelte sie eine Erklärung für die Aufrechterhaltung und Verfestigung der
Geschlechterordnung sowie für die Potenziale ihrer Veränderbarkeit. Performativität
bedeutet dabei, dass durch konkretes Handeln (performative Akte) die alltägliche
Wiederholung der hegemonialen Norm der Zweigeschlechtlichkeit erfolgt. In der
ständigen Wiederholung und Reinszenierung der Norm wird (Geschlechter-)Identi-
tät erst hervorgebracht. Im zwangsweisen Zitieren (Wiederholen) der Norm liegt
nach Butler aber auch das Veränderungspotenzial, da dabei – etwa durch eine neue
Kontextualisierung – Bedeutungsverschiebungen oder Umdeutungen sprachlicher
Äußerungen vorgenommen werden können. (Butler 1995, 1998) Eine Weiterent-
wicklung der Foucault’schen Diskursanalyse und seines Konzeptes der „Selbstdis-
ziplinierung“ erfolgte unter Rekurs auf Lacans neopsychoanalytische Subjekttheo-
rie. Butlers Theorie der Subjektformation zielt auf die Frage, wie die (Regulierungs-)
Macht funktioniert, so dass es zu einer psychischen Einverleibung der Norm kommt.
(Butler 2001)
Eine hegemonietheoretische Position wurde vor allem durch Chantal Mouffe
(Laclau und Mouffe 1991 [1985]) entwickelt. Unter Rekurs auf die Foucault’sche
Diskursanalyse, neomarxistische und hegemonietheoretische Ansätze (insbes. nach
Antonio Gramsci) versteht Mouffe die Dekonstruktion eines essenzialistischen (und
damit auch politisch-feministischen) Subjekts gerade als notwendige Bedingung für
feministisches Handeln, da erst so die „Möglichkeitsbedingungen für die Austra-
gung einer ‚agonistischen‘ Konfrontation zwischen in Konflikt getretenen Gesichts-
punkten“ hergestellt werden können (Mouffe 2001, S. 17). Ihr Konzept des Antago-

6
Artikulation wird von Laclau und Mouffe (1991, S. 155) in Anlehnung an Karl Marx als nicht
notwendige, aber sich als natürlich gerierende Verbindung mehrerer Elemente verstanden.
Feministische Theorie als Fundament feministischer . . . 15

nismus/Agonismus7 geht davon aus, dass Gleichheit im Sinne von Äquivalenz nur
als Anerkennung der Vielfältigkeit und Differenz zu betrachten ist.8 Der Dualismus
von öffentlicher und privater Sphäre wäre nach Mouffe somit nicht aufzuheben,
sondern zu dekonstruieren und neu zu artikulieren.
Queer-theoretische Positionen kritisieren, beginnend in den 1980er-Jahren, den
gesellschaftlichen Heterozentrismus und die Heterosexualität als System der Hete-
ronormativität und Zwangssexualität (Kraß 2003; Polymorph 2002; Jagose 1997;
Degele 2007). Im Zentrum der Kritik steht die Dekonstruktion der hetero/homo-
Binarität und die Erweiterung der Gender-Kategorie um die Kategorie Sexualität
bzw. Begehren. Demnach wird davon ausgegangen, dass eine heterosexuelle Matrix
in gesellschaftlichen Formationen, Institutionen und Individuen wirksam ist, welche
Ein- und Ausschlüsse produziert und als normative, nicht hinterfragte gesellschaft-
liche Vorgabe fungiert. Fokus der Queer Studies sind die Uneindeutigkeit von
Geschlecht und deren gesellschaftliche Effekte. In der wissenschaftlichen Diskussi-
on wurde die Queer-Theorie mit der von Teresa de Lauretis herausgegebenen Zeit-
schrift „differences“ 1991 eingeführt. Die Queer-Theorie verbindet die Fou-
cault‘sche Diskursanalyse und die von Laclau und Mouffe (1991) entwickelte
Hegemonietheorie mit sprachphilosophischen Positionen und postmodernen Identi-
tätstheorien; sie ist vor allem mit den Arbeiten von Judith Butler, Sabine Hark (1999)
und Antke Engel (2002) verbunden.
Eine Weiterentwicklung feministischer Theorie erfolgte ferner durch die post-
koloniale Theorie (einführend u. a. Gutiérres Rodríguez 2004 sowie Räthzel 2004).
Hier sind v. a. zwei Richtungen von Bedeutung: Zum einen wird durch die Kritik
Schwarzer und Farbiger Frauen am westlichen Feminismus nicht nur die Differenz
zwischen Frauen, sondern auch die Thematisierung von Rassismus und weißem
Feminismus in die Theoriediskussion eingebracht. Zum anderen werden im Rahmen
der Globalisierung aller Bereiche koloniale und postkoloniale Effekte im Kontext
von Geschlecht thematisiert, insbesondere auf der Ebene der globalen Ökonomie,
der Sexualität, der Repräsentation und des politischen Aktivismus. Themen sind
etwa die Konstruktion und Bedeutung von Weißsein, eine Redefinition der „Dritten-
Welt-Frau“, die Kritik an der dualen Konstruktion „Dritte-Welt-Frau“ als Opfer und
„emanzipierte westliche Frau“, Migration und Asylpolitik, Repräsentation von Mi-
grantinnen etc. Gayatri Spivak (1988) entwickelte das Konzept der Subalternität, mit
dem sie aufzeigt, wie subalterne (unterprivilegierte) bzw. (post)koloniale Subjekt-
positionen diskursiv (z. B. durch ihre koloniale Geschichte) produziert und zum
Schweigen gebracht und wie diese durch die Datenerfassung der globalen Institu-
tionen (des Welthandels, der Weltpolitik etc.) in hegemoniales Wissen transformiert
werden und ihnen dadurch bestimmte Positionierungen vorgegeben werden. We-
sentlich ist, dass es nicht um eine marginalisierte Perspektive ganz allgemein geht,

7
Vereinfacht gesprochen handelt es sich bei einem Antagonismus um ein Verhältnis zwischen
Feinden, bei einem Agonismus um ein Verhältnis zwischen Gegnern. (Mouffe 2005, S. 52).
8
Vgl. dazu die Weiterentwicklung der Debatte „Gleichheit versus Differenz“ in Richtung „Gleich-
heiten und Differenzen“ in: Butler und Laclau (1998).
16 J. Dorer

sondern um verschiedene marginalisierte Subjektpositionen, die im Rahmen der


kolonialen Strukturen in sehr unterschiedlicher Weise Ausbeutung erfahren haben
(Castro Varela und Dhawan 2015, S. 185). In diesem Sinne gibt Spivak zu bedenken,
dass eine privilegierte migrantische Subjektposition bzw. „migrantische Selbstreprä-
sentation als per se Marginalisierte des Nordens eine Aberkennung des dominanten
Status vis-a-vis dem Süden“ bedeutet (Spivak zit. n. Castro Varela und Dhawan
2015, S. 315). Es wäre daher notwendig, Strategien und Taktiken sowie die eigene
Verstrickung in globale kapitalistische Systeme zu überdenken (Castro Varela und
Dhawan 2015, S. 315). Die postkolonialen Studien führten dazu, dass Überschnei-
dungen und das Zusammenwirken unterschiedlicher Kategorien wie Geschlecht,
„Rasse“, Ethnizität, Klasse, Sexualität u. a. stärker in den Blick genommen werden.
Mit dem Konzept der Intersektionalität (Crenshaw 1989) wird die Überlagerung,
Überschneidung und Kreuzung unterschiedlicher Differenzkategorien analysiert,
wobei von einer gegenseitigen Konstituierung und Durchdringung von Subjekt
und Struktur im Sinne einer diskursiven Produktion ausgegangen wird.9 Um hier
nicht wieder bezüglich einzelner Kategorien einen genuinen Kern essenzialistisch zu
unterstellen, schlägt Walgenbach (2012) vor, stattdessen von interdependenten Ka-
tegorien zu sprechen.

4.3 Erkenntnistheoretische Ansätze

Die feministische Wissenschaftstheorie und -kritik (v. a. als Naturwissenschafts- und


Technikkritik) entwickelte unterschiedliche erkenntnistheoretische Ansätze. Ge-
meinsam ist den Ansätzen nach Singer (2005, S. 28–39), dass sie von der These
der Situiertheit des Wissens ausgehen. Der von Sandra Harding und Donna Haraway
eingeführte Begriff des „situierten Wissens“ bedeutet, dass wissenschaftliches Wis-
sen sowohl situiert als auch kontextabhängig ist, weil Wissenssubjekte historisch,
sozial, ökonomisch und kulturell verortet sind. Denn gesprochen wird immer von
einer bestimmten gesellschaftlichen und sozialen Position aus, mit einem bestimm-
ten historischen Wissen und im Rahmen bestimmter kultureller Normen, Werte und
Erfahrungen und innerhalb bestimmter Denktraditionen. Aber auch von wem und in
welcher Institution wissenschaftliches Wissen produziert wird und welches Wissen
im Wissenschaftsdiskurs akzeptiert wird, verweist auf die Kontextabhängigkeit der
Wissensproduktion und deren hegemoniale Strukturen. Wissenschaftliches Wissen
ist demnach auch als Ausdruck von Machtverhältnissen zu sehen (Singer 2004,
S. 258, 2005, S. 29).
Im Rahmen der erkenntnistheoretischen Ansätze werden heute, Sandra Hardings
Einteilung folgend, drei unterschiedliche Positionen diskutiert: die feministische
Standpunkttheorie, der feministische Empirismus und feministische postmoderne
Ansätze (Harding 1990, S. 22; Singer 2005, S. 36–38, 163–213).

9
Einführend dazu: Walgenbach 2012.
Feministische Theorie als Fundament feministischer . . . 17

Während der feministische Empirismus davon ausgeht, dass die empirische


Evidenz Grundlage der Erkenntnis ist, problematisieren und radikalisieren post-
moderne Ansätze10 vor allem die Konsequenzen des Konzepts des situierten Wis-
sens. Denn wenn immer nur von einem bestimmten Standpunkt aus gesprochen
werden kann, stellt sich auch die Frage, wie dann Konzepte von Vernunft, Univer-
salität, Objektivität, Wahrheit etc. neu zu denken sind.
Die klassische Standpunkttheorie fordert eine engagierte Position ein (Singer
2005, S. 169). Das heißt, sie geht nicht von einer einzelnen subjektiven Erfahrung
aus, sondern von einer objektiven Verortung, im Sinne einer kritischen Position.
Denn kulturelle und soziale Verstrickungen in gesellschaftliche Verhältnisse müssen
immer wieder kritisch reflektiert werden (Singer 2005, S. 204). Die Standpunkt-
theorie wurde maßgeblich durch die poststrukturalistischen Ansätze sowie queere
und postkoloniale Kritik weiterentwickelt. Nicht mehr die gemeinsame Erfahrung
von Frauen steht im Mittelpunkt, sondern eine Position, die von marginalisierten
Standpunkten (als Blick von unten) eingenommen wird. Die Kritik Schwarzer
Frauen richtet sich auf die epistemische Auslassung ihrer Erfahrungen und Lebens-
verhältnisse, was einen Standpunkt Schwarzer Frauen erforderlich macht. Harding
(1994, S. 228) erweiterte später ihre Standpunkttheorie um die Standpunkte aller
Marginalisierten. Für die neuen/reformulierten feministischen Standpunkttheorien
sind nun Marginalität, Dezentrierung und Dialog die zentralen Dimensionen der
wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung. Patricia Hill Collins plädiert für eine
dialogische Standpunkttheorie im Sinne eines solidarischen kritischen Dialogs
unter Marginalisierten, wo keinem Standpunkt der Vorzug gegeben wird. Außerdem
fordert sie zu einer Dezentrierung der hegemonialen Wissensproduktion und deren
dominanten Wissensansprüche durch Marginalisierte auf (Collins 1990 zit. n. Singer
2005, S. 200).
Die de-/konstruktivistische Wende in der feministischen Theoriebildung hat nicht
nur Auswirkungen auf theoretische und erkenntnistheoretische Überlegungen, son-
dern auch auf die Frage nach der Handlungsfähigkeit des erkennenden Subjekts.
Wenn die antiessenzialistische Neuorientierung das Sprechen von Frauen, Margina-
lisierten, Migrantinnnen als ein gemeinsames „Wir“ verunmöglicht, so steht damit
auch ein Grundpfeiler der feministischen Theorie – ihr Anspruch auf Umsetzung in
die politische Praxis – in Frage. Spivak (1996, S. 214) führt den Begriff des
Strategischen Essentialismus in die Diskussion ein und meint damit nicht ein
essenzialisierendes kollektives Bewusstsein, sondern Subjektpositionen, die es Ak-
teur_innen mit unterschiedlicher Identifikation ermöglichen, solidarisch eine poli-
tische Umsetzung zu verfolgen. Politische Handlungsfähigkeit als wesentliches
Element der feministischen Theorie ist demnach ebenso in deren Kritik und
Reformulierung einzubeziehen.

10
Der Begriff inkludiert in dieser Verwendung neben postmodernen Identitätskonzeptionen auch
semiotische, neopsychoanalytische und diskurstheoretische Ansätze, die aber im engeren Sinne
nicht zur Postmoderne gezählt werden. V. a. in der US-feministischen Wissenschaft erfolgt meist
eine Gleichsetzung von Poststrukturalismus und Postmoderne. Singer (2005, S. 36–38) übernimmt
mit ihrer Einteilung nach Sandra Harding diese Ungenauigkeit.
18 J. Dorer

Erkenntnistheoretische Probleme und Fragen nach politischer Handlungsfähig-


keit werden aktuell besonders im Kontext von Positionen wie dem Neuen Materia-
lismus und kritischen Posthumanismus in der feministischen Theorie neu und auch
kontrovers diskutiert. Wie Materie und Materialität konstruktiv in die feministische
Debatte eingebracht werden können, wird dabei auch in der Auseinandersetzung mit
älteren feministischen Konzepten (öko-feministische, sozial-ökologische Ansätze,
feministische Science- and Technology Studies) zu klären versucht (Löw et al.
2017).

5 Feministische Theorie in der


Kommunikationswissenschaft

Die Feministische Theorie liefert das Fundament und den Rahmen für die kritische
Analyse von Geschlecht und weiteren Differenzkategorien in gesellschaftlichen Kom-
munikationsprozessen. Die feministische Medienwissenschaft als interdisziplinäres
Fachgebiet der kommunikationswissenschaftlichen Disziplin hat sich seit den 1990er-
Jahren ausdifferenziert und nach und nach neuere Erkenntnisse der feministischen
Theorie aufgegriffen. Dabei erfordert die rasche Entwicklung der feministischen Theo-
riebildung ein doppeltes intellektuelles Engagement, nicht nur die aktuellen Theorie-
entwicklungen in der kommunikationswissenschaftlichen Main/Malestream-Forschung,
sondern auch jene in der feministischen Theoriediskussion zu rezipieren und adäquat
umzusetzen.
Seit den 2000er-Jahren wird in der feministischen Medienforschung mehrheitlich
von einem konstruktivistischen Verständnis von Geschlecht ausgegangen. Die The-
men haben sich dabei stark erweitert und umfassen heute den gesamten gesellschaft-
lichen Kommunikationsprozess (Dorer et al. 2019), wenngleich auch noch zahlreiche
Leerstellen auszumachen sind (Dorer 2002; Dorer und Hipfl 2013). Dabei erweist sich
in der empirischen Forschung immer wieder der sozialkonstruktivistische Ansatz, mit
dem die Prozesshaftigkeit des Doing Gender im medialen Produktions- und Rezepti-
onsprozess untersucht wird, als besondere Herausforderung. Auch das Konzept der
Intersektionalität stellt sich in der empirischen Umsetzung (Winker und Degele 2009)
als schwierig heraus. Oft wird eine Beschränkung auf zwei Differenzkategorien, wie
zum Beispiel Geschlecht und Ethnizität, vorgenommen, sodass eine Reihe weiterer
Ungleichheitskategorien gar nicht in den Blick geraten können. Eine dekonstruktivis-
tische Herangehensweise lässt sich vor allem in Bezug auf die wissenschaftliche
Beschäftigung mit Basiskonzepten und grundlegenden Begriffen der Kommunikati-
onswissenschaft auffinden. Dualismen wie Öffentlichkeit versus Privatheit, Informa-
tion versus Unterhaltung, Nachrichten- versus Meinungsjournalismus, öffentlich-
rechtlicher Rundfunk versus kommerzieller Rundfunk, Qualitätsmedien versus Bou-
levardmedien etc. werden auf die implizite geschlechtliche Codierung hinterfragt und
dekonstruiert. Aber auch die Frage, wie Geschlecht im kommunikationswissenschaft-
lichen Kontext neu zu denken ist (Ernst 2002) oder im Medienrezeptionsprozess in
einer sehr komplexen Weise wirksam wird (Ang und Hermes 1994), lässt sich dem
dekonstruktivistischen Vorgehen zuordnen.
Feministische Theorie als Fundament feministischer . . . 19

6 Fazit

Mit der Frage nach den Erfolgen des Feminismus hat Nancy Fraser (2009, 2013)
eine Diskussion angeregt, die aktuell zu einer neuen kritischen Reflexion feministi-
scher Theorieproduktion geführt hat. Fraser (2009) erinnert daran, dass der Neo-
liberalismus mit seinen bekannten Ausformungen von Deregulierung, Privatisie-
rung, Wettbewerb, Abbau von staatlichen Sozialleistungen, Individualisierung und
persönliche Verantwortlichkeit zuerst in Ländern des globalen Südens zu Verwer-
fungen v. a. zum Nachteil für Frauen (Ausbeutung von Frauenarbeit, Verschuldung
durch Mikrokredite) führte, während in sogenannten westlichen Ländern Ziele des
Feminismus umgedeutet bzw. resignifiziert wurden. Die Kritik am Androzentrismus
mutierte zu Forderungen nach Gleichstellungsmaßnahmen, die vielen Frauen auch
neue Wege eröffneten. Einher damit ging auch in der feministischen Theoriepro-
duktion eine Veränderung vom Postulat der Umverteilung bzw. der Beschäftigung
mit politischer Ökonomie hin zu Fragen der Anerkennung von Identität und kul-
tureller Differenz. Zwar erfuhr die vormals meist nur theoretisch bzw. rhetorisch
proklamierte globale Solidarität durch neue Kommunikationstechnologien eine
praktische Grundlage (etwa transnationale Protestaktionen), doch blieben in der
internationalen Öffentlichkeit viele globale Themen (Frauenarmut, globale Unge-
rechtigkeit) zugunsten von Themen wie der sexualisierten Gewalt ausgeblendet. Mit
der weltweiten Finanzkrise 2007/08 wurden auch in sogenannten westlichen Län-
dern die Auswirkungen neoliberaler Wirtschaftspolitik offensichtlich. Fraser (2009)
plädiert daher dafür, basierend auf ökonomischer Kritik, die drei Dimensionen
Umverteilung, Anerkennung und Repräsentation gemeinsam zu denken.
Gesellschaftliche Veränderungen und Verschiebungen, die sich durch die Aus-
wirkungen von Neoliberalismus, Globalisierung (Fraser 2013), Prekarisierung (Lo-
rey 2012), Digitalisierung, Aushöhlung der Demokratie und demokratischer Er-
rungenschaften (Mouffe 2005) und zunehmend selbstdisziplinierender und
-optimierender Individuen (McRobbie 2010) ergeben haben, verlangen nach einer
Neuausrichtung in der feministischen Theorie. Sabine Hark (2013, S. 67) erinnert
daran, dass die Probleme der zweiten Welle des Feminismus nach wie vor ungelöst
sind und daher einer feministischen Theoretisierung bedürfen. Auf der Tagesord-
nung stünden nicht nur Themen wie Zuständigkeit von Frauen für die Reproduktion,
sondern auch Rechtlosigkeit, mangelnder Zugang zu Behausung und Bildung,
Armut, Sexismus, Heteronormativität, Rassismus und Gewalt u. a. Es handelt sich
dabei vorwiegend um Themen, die über die in den letzten Jahren in der feministi-
schen Theorie umfassend diskutierten Identitätspolitiken hinausgehen. Das bedeutet,
sich vermehrt mit sozialer Gerechtigkeit und imperialer Lebensweise (Ulrich Brand)
zu beschäftigen und Perspektiven der kritischen Theorie, der Globalisierungstheo-
rien, Kapitalismuskritik und deren emanzipatorische Ansätze wieder verstärkt in die
feministische Theorie einzubringen.
Das bedeutet aber auch, Widersprüche und Spannungen im feministischen Denken
ernst zu nehmen, wenn Feminismus in ambivalenter Verflechtung von Rassismus und
Sexismus in der politischen Auseinandersetzung auftritt und nur schwer zu einer der
Realität angemessenen Form der Kritik zu führen vermag (Hark und Villa 2017).
20 J. Dorer

Denn längst sind in der politischen Praxis Bewegungen entstanden, die die Instru-
mentalisierung feministischer Ideen vorantreiben. Dazu zählen etwa jene Prozesse,
die unter dem Titel Femonationalismus (Faris 2011) zusammen zu fassen sind,
bei dem nationalistisch-fremdenfeindliche Ideologien mit feministischen Idealen
verknüpft werden, oder unter dem Titel Homonationalismus (Puar 2007), bei dem
LGBT-Anliegen benutzt werden, um Rassismus und Xenophobie zu rechtfertigen.
Dazu ist es wesentlich, die Widersprüche des Feminismus klar zu benennen,
Feminismus als zunehmend universitär verankertes Wissen für Privilegierte einer-
seits und vielstimmige, globale und lokale, widersprüchliche Praxis andererseits.
Ziel feministischer Theorie müsste es nach Hark (2013, S. 71) also sein, nicht eine
„neue kanonisierte Disziplin zu werden, sondern Modi der Produktion von Wissen
zu entwickeln, die an den Widersprüchen der Zeit orientiert sind und zugleich über
diese hinausweisen“. Sie empfiehlt, „die Kunst des Nein-Sagens zu üben“ und
gleichzeitig der „Lust am dissonanten Widerstreit inkommensurabler Perspektiven
(zu) frönen“ und gleich welchen Ausgangs in Konversation zu bleiben und Koali-
tionen zu pflegen.

Literatur
Ang, Ien, und Joke Hermes. 1994[1991]. Gender and/in media consumption. In Gender und
Medien. Theoretische Ansätze, empirische Befunde und Praxis der Massenkommunikation,
Hrsg. Marie-Luise Angerer und Johanna Dorer, 114–133. Wien: Braumüller.
Angerer, Marie-Luise, und Johanna Dorer. 1994. Auf dem Weg zu einer feministischen Medien-
und Kommunikationstheorie. In Gender und Medien. Theoretische Ansätze, empirische Befunde
und Praxis der Massenkommunikation, 8–23. Wien: Braumüller.
Babka, Anna, und Gerald Posselt. 2016. Gender und Dekonstruktion. Begriffe und kommentierte
Grundlagentexte der Gender- und Queer Theorie. Wien: facultas.
Becker, Ruth, und Beate Kortendiek, Hrsg. 2004. Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung.
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Becker-Schmidt, Regina, und Gudrun-Axeli Knapp. 2000. Feministische Theorien zur Einführung.
Hamburg: Junius.
Benhabib, Seyla. 1993. Feminismus und Postmoderne. Ein prekäres Bündnis. In Der Streit um die
Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart, Hrsg. Seyla Benhabib, Judith
Butler, Drucilla Cornell, und Nancy Fraser, 9–11. Frankfurt a. M.: Fischer.
Butler, Judith. 1995 [Engl. 1993]. Körper von Gewicht. Berlin: Berlin Verlag.
Butler, Judith. 1998 [Engl. 1997]. Haß spricht. Berlin: Berlin Verlag.
Butler, Judith. 2001 [Engl. 1997]. Psyche der Macht. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Butler, Judith, und Ernesto Laclau. 1998. Gleichheiten und Differenzen. Eine Diskussion via
E-mail. In Das Undarstellbare der Politik, Hrsg. Judith Butler, Simon Critchley, Ernesto Laclau,
und Slavoj Žižek, 238–253. Wien: Turia & Kant.
Castro Varela, Maria do Mar, und Nikita Dhawan. 2015 [2005]. Postkoloniale Theorie: Eine
kritische Einführung, 2., komplett überarb. u. erw. Aufl. Bielefeld: transcript.
Collins, Patricia Hill. 1990. Black feminist thoughts: Knowledge, Consciousness, and the politics of
empowerment. Boston: Unwin Hyman.
Crenshaw, Kimberlé. 1989. Demarginalizing the intersection of race and sex: A black feminist
critique of antidiscrimination doctrine, feminist theory and antiracist politics. University of
Feministische Theorie als Fundament feministischer . . . 21

Chicago Legal Forum 1:139–167. http://chicagounbound.uchicago.edu/uclf/vol1989/iss1/8.


Zugegriffen am 11.09.2018.
Degele, Nina. 2007. Gender/Queer Studies. Eine Einführung. Paderborn: Wilhelm Fink.
Dorer, Johanna. 2002. Diskurs, Medien und Identität. Neue Perspektiven in der feministischen
Kommunikations- und Medienwissenschaft. In Feministische Kommunikations- und Medien-
wissenschaft, Hrsg. Johanna Dorer und Brigitte Geiger, 53–78. Wiesbaden: Westdeutscher
Verlag.
Dorer, Johanna, und Brigitte Hipfl. 2013. Current perspectives and future challenges in feminism
and media studies. International Journal of Media & Cultural Politics 9(3): 305–313.
Dorer, Johanna, und Elisabeth Klaus. 2003. Feministische Medienforschung. In Öffentliche Kom-
munikation, Hrsg. Günter Bentele, Hans-Bernd Brosius, und Otfried Jarren, 550–564. Opladen:
Westdeutscher Verlag.
Dorer, Johanna, und Elisabeth Klaus. 2008. Feministische Theorie in der Kommunikationswissen-
schaft. In Theorien in der Kommunikationswissenschaft, Hrsg. Carsten Winter, Andreas Hepp,
und Friedrich Krotz, 91–112. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Dorer, Johanna, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Victorija Ratković, Hrsg. 2019. Handbuch
Medien und Geschlecht. Perspektiven und Befunde der feministischen Kommunikations- und
Medienforschung. Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0.
Engel, Antke. 2002. Wider die Eindeutigkeit. Sexualität und Geschlecht im Fokus queerer Politik
der Repräsentation. Frankfurt a. M.: Campus.
Ernst, Waltraud. 1999. Diskurspiratinnen. Wie feministische Erkenntnisprozesse die Wirklichkeit
verändern. Wien: Milena.
Ernst, Waltraud. 2002. Zur Vielfältigkeit von Geschlecht. Überlegungen zum Geschlechterbegriff in
der feministischen Medienforschung. In Feministische Kommunikations- und Medienwissen-
schaft. Ansätze, Befunde und Perspektiven der aktuellen Entwicklung, Hrsg. Johanna Dorer und
Brigitte Geiger, 33–52. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Faris, Sara. 2011. Die politische Ökonomie des Femonationalismus. Feministische Studien 29(2):
321–334.
Fraser, Nancy. 2009. Feminismus, Kapitalismus und die List der Geschichte. Blätter für deutsche
und internationale Politik 8:43–57.
Fraser, Nancy. 2013. Neoliberalismus und Feminismus: Eine gefährliche Liaison. Blätter für
deutsche und internationale Politik 12:29–31.
Garfinkel, Harold. 1967. Studies in ethnomethodology. Englewood Cliffs: Prentice Hall.
Gildemeister, Regine, und Angelika Wetterer. 1992. Wie Geschlechter gemacht werden. In Tradi-
tionen Brüche. Entwicklungen feministischer Theorie, Hrsg. Gudrun-Axeli Knapp und Angelika
Wetterer, 201–254. Freiburg: Kore.
Goffman, Erving. 2001 [Engl. 1977]. Interaktion und Geschlecht. Frankfurt a. M.: Campus.
Gutiérres Rodríguez, Encarnación. 2004. Postkolonialismus, Subjektivität, Rassismus und Ge-
schlecht. In Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung, Hrsg. Ruth Becker und Beate
Kortendiek, 239–247. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Haraway, Donna, Hrsg. 1995 [Engl. 1985]. Ein Manifest für Cyborgs. In Die Neuerfindung der
Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen, 33–72. Frankfurt a. M.: Campus.
Harding, Sandra. 1990 [1986]. Feministische Wissenschaftstheorie. Zum Verhältnis von Wissen-
schaft und sozialem Geschlecht. Hamburg: Argument.
Harding, Sandra. 1994. Das Geschlecht des Wissens. Frauen denken die Wissenschaft neu. Frank-
furt a. M./New York: Campus.
Hark, Sabine. 1999. Deviante Subjekte. Die paradoxe Politik der Identität, 2., völlig überarb. Aufl.
Opladen: Leske und Budrich.
Hark, Sabine. 2001. Einleitung. In Dis/Kontinuitäten: Feministische Theorie, Hrsg. Sabine Hark,
9–15. Opladen: Leske und Budrich.
Hark, Sabine. 2013. Feministische Theorie heute: Die Kunst ‚Nein‘ zu sagen. Feministische Studien
31(1): 65–71.
22 J. Dorer

Hark, Sabine, und Paula-Irene Villa. 2017. Unterscheiden und herrschen. Ein Essay zu den
ambivalenten Verflechtungen von Rassismus, Sexismus und Feminismus in der Gegenwart.
Bielefeld: transcript.
Jagose, Annamarie. 1997. Queer theory. An introduction. New York: New York University.
Klaus, Elisabeth. 1998. Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung. Opladen/Wies-
baden: Westdeutscher Verlag. (2. Aufl.: 2005. Wien: Lit).
Kraß, Andreas, Hrsg. 2003. Queer Denken. Queer Studies. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Kroll, Renate, Hrsg. 2002. Metzler Lexikon. Gender Studies. Stuttgart/Weimar: Metzler.
Laclau, Ernesto, und Chantal Mouffe. 1991 [Engl. 1985]. Hegemonie und radikale Demokratie.
Wien: Passagen Verlag.
Lauretis, Teresa de. 1987. Technologies of gender. Bloomington: Indiana University Press.
Lorey, Isabell. 2012. Die Regierung der Prekären. Wien/Berlin: Turia & Kant.
Löw, Christine, Katharina Volk, Imke Leicht, und Nadja Meisterhans, Hrsg. 2017. Feministische
Perspektiven auf Materialität und Materialismus. Opladen: Verlag Barbara Budrich.
Lünenborg, Margreth, und Tanja Maier. 2013. Gender Media Studies. Konstanz: UVK.
Maihofer, Andrea. 2004. Geschlecht als soziale Konstruktion – eine Zwischenbetrachtung. In under
construction? Hrsg. Urte Helduser, Daniele Marx, Tanja Paulitz, und Katharina Pühl, 33–43.
Frankfurt a. M./New York: Campus.
McRobbie, Angela. 2010. Top Girl. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechter-
regimes. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Mouffe, Chantal. 2001. Feministische kulturelle Praxis aus anti-essentialistischer Sicht. In
Feministische Perspektiven, Hrsg. Chantal Mouffe und Jürgen Trink, 11–22. Wien: Turia
& Kant.
Mouffe, Chantal. 2005. Exodus und Stellungskrieg. Die Zukunft radikaler Politik. Wien: Turia
& Kant.
Nagl-Docekal, Herta. 1999. Feministische Philosophie. Frankfurt a. M.: Fischer.
Polymorph, Hrsg. 2002. (K)ein Geschlecht oder viele? Berlin: Querverlag.
Puar, Jasbir K. 2007. Terrorist assemblages: Homonationalism in queer times. Durham/London:
Duke University Press.
Pühl, Katharina, Tanja Paulitz, Daniela Marx, und Urte Helduser. 2004. Under construction?
Konstruktivistische Perspektiven in feministischer Theorie und Forschungspraxis – Zur Ein-
führung. In Under construction?, Hrsg. Urte Helduser, Daniela Marx, Tanja Paulitz, und
Katharina Pühl, 11–30. Frankfurt a. M./New York: Campus.
Räthzel, Nora. 2004. Rassismustheorien: Geschlechterverhältnisse und Feminismus. In Handbuch
Frauen- und Geschlechterforschung, Hrsg. Ruth Becker und Beate Kortendiek, 248–256.
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Seifert, Ruth. 1992. Entwicklungslinien und Probleme der feministischen Theoriebildung. In
Traditionen Brüche. Entwicklungen feministischer Theorie, Hrsg. Gudrun-Axeli Knapp und
Angelika Wetterer, 255–286. Freiburg: Kore.
Singer, Mona. 2004. Feministische Wissenschaftskritik und Epistemologie. In Handbuch Frauen-
und Geschlechterforschung, Hrsg. Ruth Becker und Beate Kortendiek, 257–266. Wiesbaden:
VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Singer, Mona. 2005. Geteilte Wahrheit. Feministische Epistemologie, Wissenssoziologie und Cul-
tural Studies. Wien: Löcker.
Spivak, Gayatri Chakravorty. 1988. Can the subaltern speak? In Marxism and the interpretation
of culture, Hrsg. Cary Nelson und Lawrence Grossberg, 271–313. Urbana: University of
Illinois.
Spivak, Gayatri Chakravorty. 1996. The Spivak reader, Hrsg. Donna von Landry und Gerald
MacLean. New York/London: Routledge.
Walgenbach, Katharina. 2012. Intersektionalität – eine Einführung. http://portal-intersektionalitaet.
de/theoriebildung/ueberblickstexte/walgenbach-einfuehrung/. Zugegriffen am 11.09.2018.
Feministische Theorie als Fundament feministischer . . . 23

West, Candace, und Don H. Zimmermann. 1987. Doing gender. Gender & Society 1(2): 125–151.
Wetterer, Angelika. 2004a. Konstruktion von Geschlecht: Reproduktionsweisen von Zwei-
geschlechtlichkeit. In Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung, Hrsg. Ruth Becker und
Beate Kortendiek, 122–131. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Wetterer, Angelika. 2004b. Widersprüche zwischen Diskurs und Praxis. Gegenstandsbezug und
Erkenntnispotenziale einer sozialkonstruktivistischen Perspektive. In under construction? Hrsg.
Urte Helduser, Daniele Marx, Tanja Paulitz, und Katharina Pühl, 58–67. Frankfurt a. M./New York:
Campus.
Winker, Gabriele, und Nina Degele. 2009. Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten.
Bielefeld: transcript.
Theoretische Perspektiven: Gleichheit,
Differenz, soziale Konstruktion und
Dekonstruktion

Elisabeth Klaus

Inhalt
1 Einleitung: Entwicklungslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
2 Gleichheitsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
3 Differenzansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
4 Paradigmenwechsel hin zum Konstruktivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
5 Sozialer Konstruktivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
6 Dekonstruktivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
7 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

Zusammenfassung
Im Verlauf der Entwicklung der kommunikationswissenschaftlichen Geschlech-
terforschung kamen vielfältige theoretische Zugänge zum Einsatz, um die Ver-
bindungen von Geschlecht und Medien sowie Kommunikation zu erforschen.
Genderforscher*innen reflektierten dabei stets den Stellenwert der Basiskategorie
Geschlecht, deren Komplexität mit der steigenden Zahl an Studien und Veröffent-
lichungen zunehmend deutlicher wurde. Entlang der verschiedenen Bedeu-
tungs- und Deutungsebenen der Kategorie Geschlecht lassen sich vier Ansätze
als unterschiedliche Perspektiven der Gender Media Studies identifizieren.
Gleichheitsansatz, Differenzansatz, sozialer Konstruktivismus und Dekon-
struktivismus stellen unterschiedliche Blickrichtungen der kommunikations-
wissenschaftlichen Geschlechterforschung dar, wobei keiner dieser Ansätze
überholt ist, sondern diese jeweils eine Kritik- und Kontrollfunktion füreinan-
der haben.

E. Klaus (*)
Fachbereich Kommunikationswissenschaft und Interuniversitäre Einrichtung Wissenschaft und
Kunst, Universität Salzburg, Salzburg, Österreich
E-Mail: elisabeth.klaus@plus.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 25
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_2
26 E. Klaus

Schlüsselwörter
Gleichheitsansatz · Differenzansatz · Sozialer Konstruktivismus ·
Dekonstruktivismus · Fachgeschichte

1 Einleitung: Entwicklungslinien

Für das Entstehen einer eigenständigen kommunikationswissenschaftlichen Frauen-


und Geschlechterforschung1 waren die feministischen Kämpfe in den 1970er-Jahre
entscheidend. Diese so außerordentlich einflussreiche soziale Bewegung differen-
zierte sich vielfältig aus und bestand aus zahlreichen Richtungen. Besonders pro-
minent waren dabei liberale, radikalfeministische und sozialistisch-marxistische
Positionen vertreten. Diese zeichneten sich durch jeweils unterschiedliche Gesell-
schaftsvorstellungen aus, betonten andere Problembereiche im Geschlechterverhält-
nis und setzten auf verschiedene Strategien im Emanzipationskampf.
Auch in der sich entwickelnden Frauen- und Geschlechterforschung fanden sich
diese unterschiedlichen Perspektiven wieder, denn die politischen Fragen, die der
Feminismus aufwarf, verlangten nach einer wissenschaftlichen Bearbeitung. Erst-
mals haben Marie-Luise Angerer und Johanna Dorer in ihrem Textbuch „Gender
und Medien“ 1994 eine grundlegende Unterscheidung zwischen „Frauenforschung“
und „Genderforschung“ vorgenommen und den Übergang von Frauenforschung
(Fokus auf Frauen und das Weibliche als die Abweichung von der Norm) hin zu
de-/konstruktivistischen Ansätzen der Genderforschung als „Paradigmenwechsel in
der feministischen Forschung“ (Angerer und Dorer 1994, S. 9) bezeichnet. Sie
unterscheiden ferner erkenntnistheoretische Positionen (Standpunkttheorien versus
Poststrukturalismus/Postmoderne) von politischen Positionen (liberaler, sozialisti-
scher und radikaler Ansatz) des Feminismus (Angerer und Dorer 1994, S. 13–18).
Elisabeth Klaus hat dann 1998 (überarb. Neuauflage 2005; auch 2002) im Zuge
einer umfassenden Aufarbeitung des damaligen Forschungsstandes zwischen drei
Ansätzen der kommunikationswissenschaftlichen Gender Studies unterschieden.
Die damals vorliegenden Studien ließen sich dem Gleichheitsansatz, dem Differenz-
ansatz oder dem (De-)Konstruktivismus2 zuordnen (Klaus 2005). Diese Untertei-
lung spiegelte eine in der feministischen Bewegung virulente Auseinandersetzung
wider, zunächst zwischen Gleichheitsbestrebungen und der Anerkennung der Diffe-
renz weiblicher und männlicher Lebensmuster. Durch konstruktivistische Perspek-
tiven haben diese beiden Ansätze in den 1990er-Jahren eine wichtige Ergänzung
erfahren. Das drückte sich in der nunmehr breit übernommenen Bezeichnung „Gen-
der Studies“ aus und führte in der Folge zu einer weiteren Ausdifferenzierung. Aus
diesem Grund haben Margreth Lünenborg und Tanja Maier dann 2013 in ihrem

1
Ich gebrauche im Folgenden gender und Geschlecht als Synonyme, ebenso Geschlechterfor-
schung und Gender Studies sowie kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung und
Gender Media Studies.
2
In der 1. Auflage 1998 noch „Geschlechterforschung“ genannt.
Theoretische Perspektiven: Gleichheit, Differenz, soziale Konstruktion und . . . 27

Lehrbuch „Gender Media Studies. Eine Einführung“ zwischen interaktionistischem


und diskurstheoretischem Konstruktivismus unterschieden. Angesichts der theoreti-
schen wie empirischen Weiterentwicklung der kommunikationswissenschaftlichen
Gender Studies ist das eine sinnvolle Ergänzung. Gleichheitsansatz, Differenz-
ansatz, sozialer Konstruktivismus und Dekonstruktivismus bestimmen vier grund-
legende Perspektiven, die bis heute in den Gender Studies vielfach Verwendung
finden.

2 Gleichheitsansatz3

Der Gleichheitsansatz steht am Beginn der Entwicklung der kommunikationswis-


senschaftlichen Geschlechterforschung, die sich zunächst als Frauenforschung for-
miert. Der Fokus der ersten Studien (z. B. Küchenhoff 1975; Leinfellner 1983;
Schmerl 1984) liegt – das gibt dieser Perspektive ihren Namen – auf der Gleichbe-
rechtigung von Mann und Frau. Geschlecht wird dabei vor allem als ein individu-
elles Merkmal und eine Rolle gesehen, die Menschen einnehmen. In seiner wissen-
schaftlichen Orientierung knüpft der Gleichheitsansatz damit an das Versprechen der
Aufklärung an, die die Freiheit und Gleichheit aller Menschen als Ideal postuliert.
Die Forschung richtet sich darauf, die Diskriminierung von Frauen in Medien und
Gesellschaft zu belegen, geschlechtsspezifische Sozialisationsprozesse zu unter-
suchen und stereotype Rollenzuweisungen zu beobachten. Mit der Unterscheidung
zwischen dem biologischen Geschlecht (¼ sex) und dem sozialen Geschlecht
(¼ gender) wird deren vermeintlich natürliche Verbindung widerlegt: Zwischen der
biologischen Zuordnung zu einer binär gedachten Geschlechterkategorie als Mann
oder Frau auf der einen Seite und spezifischen sozialen Rollen und individuellen
Eigenschaften auf der anderen besteht ein Unterschied. Dabei werden Weiblichkeit
und Männlichkeit durch Stereotype definiert, die sich in hohem Maße als kulturell
invariant und zeitlich stabil herausstellen (vgl. für einen Überblick Eckes 2010;
Thiele 2015, S. 234–285).
Im Sinne des Gleichheitsansatzes wird in den frühen Gender Media Studies die
Bedeutung von Frauen in den Medien als das Andere-Besondere-Mindere unter-
sucht. Dass Männer als Norm gelten, findet ihren Ausdruck sowohl in den Frauen-
bildern der Massenmedien als auch in der spezifischen Positionierung von Journa-
listinnen in den Redaktions- und Verlagshierarchien. Studien in der Perspektive des
Gleichheitsansatz deckten – in der prägnanten Formulierung von Gaye Tuchman
(1980) – die Annihilierung und Trivialisierung von Frauen durch die Medien auf. Im
Mittelpunkt dieser Forschungsanstrengungen steht also die Kritik an medialen
Geschlechterrepräsentationen. Gefragt wird, ob das Vorkommen von Männern und
Frauen in den Medien und die Art und Weise ihrer Darstellung die gesellschaftlichen

3
Ich bleibe bei der Einführung von Gleichheits- und Differenzansatz im damaligen Sprachgebrauch
und spreche verkürzend von ‚Frauen‘ und ‚Männern‘, obwohl die binäre Geschlechterfestlegung
und die Heteronormativität auch bereits damals kritisiert wurden.
28 E. Klaus

Gegebenheiten widerspiegeln und der Gleichberechtigungsnorm entsprechen (zur


Problematik eines solchen Vorgehens Maier 2018).
Neben dem Forschungsschwerpunkt „Medieninhalte“ erhielt auch die Stellung
von Frauen im „Männerberuf Journalismus“ Beachtung. Irene Neverla und Gerda
Kanzleitner (1984) diagnostizierten eine horizontale und vertikale Segmentation in
den Massenmedien, die Frauen von Führungspositionen weitgehend ausschloss und
ihnen Arbeitsbereiche zuwies, die mit den Geschlechterstereotypen korrespondier-
ten. Bis heute ist dieses Forschungsinteresse in der Medien- und Kommunikations-
wissenschaft präsent, vor allem an den Schnittstellen von Wissenschaft und Politik
bzw. Medienbetrieben. So erfasst etwa das „Global Media Monitoring Project“4 alle
fünf Jahre an einem Stichtag die Präsenz von Männern und Frauen in den verschie-
denen Nachrichtenmedien und als Produzierende von Nachrichten in vielen Ländern
der Welt. Wie wichtig solche Erhebungen weiterhin bleiben, zeigen auch die Studien
der MaLisa-Stiftung, etwa zur Repräsentanz von Frauen in der Film- und Fernseh-
produktion (Prommer und Linke 2019).
Aus der Perspektive des Gleichheitsansatzes bringen die Massenmedien ein
gesellschaftliches Machtverhältnis zum Ausdruck, das Frauen qua Sozialisation
und Rollenvorgaben aufgezwungen wird und ihnen als etwas Äußerliches entgegen-
tritt. Ein Beispiel dafür liefert Laura Mulveys (1975) programmatischer Beitrag zum
Hollywood-Film, in dem sie – auf die Psychoanalyse zurückgreifend – festhält, dass
den Frauen u. a. durch die Kameraführung ein männlicher Blick aufgezwungen
werde. So wichtig eine solche Perspektive ist, so ist damit aber zugleich ein Problem
verbunden: Frauen werden als Opfer der Gesellschaft präsentiert, als eigenständig
handelnde Personen kommen sie in der Forschung kaum vor. Auch berücksichtigten
die Forderungen, dass Journalistinnen wie ihre Kollegen Leitungspositionen ein-
nehmen und in die Politik- und Wirtschaftsressorts drängen sollten, nicht die Kosten,
die dies unter patriarchalen und kapitalistischen Arbeits- und Lebensbedingungen
verursacht. Implizit wurden damit traditionelle Männlichkeitsvorstellungen und
Lebensverläufe abermals als das Allgemeine und die Norm gesetzt. Damit blieb
das eigenwillige Medienhandeln von Rezipientinnen ebenso im Dunkeln wie der
große Beitrag, den Frauen zur Entwicklung des Journalismus geleistet haben (Klaus
und Wischermann 2013; Kinnebrock und Klaus 2013). Ein weiteres Problem des
Gleichheitsansatzes ergibt sich daraus, dass die erwähnten Konzepte – wie etwa
Geschlechterstereotype und Rollenbilder, Annihilierung und Trivialisierung von
Frauen durch die Medien, Segmentation des Berufsfeldes – so überzeugend sie für
eine kritische Zustandsbeschreibung sind, tendenziell Veränderungen und Entwick-
lungsprozesse unterschätzen (vgl. beispielhaft für Stereotype die Argumentation von
Knapp 1995, auch 2020). Solche Fragen und Probleme lenkten den Blick auf eine
andere Forschungstradition, den Differenzansatz.

4
Vgl. https://waccglobal.org/our-work/global-media-monitoring-project-gmmp/ und https://waccg
lobal.org/gmmp-results-glacial-progress-towards-media-gender-equality-25-years-on/. Zugegriffen
am 03.08.2021.
Theoretische Perspektiven: Gleichheit, Differenz, soziale Konstruktion und . . . 29

3 Differenzansatz

Der Differenzansatz nimmt die Unterschiede zwischen den Geschlechtern in den


Blick. Dabei lassen sich zunächst drei deutlich voneinander abweichende theoreti-
sche Perspektiven unterscheiden, die wiederum die Verknüpfung zwischen feminis-
tischen Bewegungen und feministischer Wissenschaft zeigen: der Kulturelle
Ökofeminismus (für einen Überblick: Thiessen 2010), der (italienische) Differenz-
feminismus (Libreria delle donne di Milano 1991; für die Kommunikationswissen-
schaft: Keil 2000) und die Geschlechterdifferenz als Strukturzusammenhang (u. a.
Becker-Schmidt und Knapp 1987). Die erste Position ist in den Gender Studies
heute praktisch nicht mehr anzutreffen, auch wenn sie in Alltagstheorien und in
der Populärkultur weiterhin stark präsent ist.5 Denn letztlich muss dabei auf
Stereotypisierungen und Biologismen zurückgegriffen werden, so dass Mann und
Frau – im Gegensatz zur Forschungslage – als zwei grundlegend, wesensmäßig
verschiedene Geschlechtergruppen definiert werden. Der italienische Differenzfemi-
nismus versucht, männliche und weibliche Eigenschaften umzudeuten und neu zu
bewerten, um so Frauen Perspektiven jenseits einer patriarchalen Gesellschaft zu
eröffnen. Auch hier bleibt aber das Problem der tendenziellen Reproduktion binärer
Geschlechtervorstellungen und die damit einhergehende begrenzte Anwendbarkeit
in der Forschung.
Weiterhin relevant ist die dritte Perspektive, die die Geschlechterdifferenz als
gesellschaftlichen Strukturzusammenhang begreift. Vor allem Soziologinnen und
Historikerinnen haben darauf verwiesen, dass Geschlechterdifferenzen nur zu ver-
stehen sind, wenn der mit dem Gleichheitsansatz verbundene Fokus auf Individuen
und binäre Geschlechterrollen erweitert und demgegenüber die gesellschaftlichen,
durch vielfältige Hierarchien und Machtbeziehungen gekennzeichneten Strukturen
und das sozio-historische So-geworden-Sein von Geschlechtertrennungen analysiert
werden (Becker-Schmidt und Knapp 1987; Beer 1990). Geschlecht ist dann eine
zentrale gesellschaftliche Strukturkategorie, deren Relevanz sich auch hinter dem
Rücken der sozialen Akteur*innen entfaltet, u. a. in den historisch sich unter dem
Ausschluss von Frauen entwickelnden wichtigen gesellschaftlichen Institutionen.
Die in Kirchen, Universitäten, Parlamenten oder Medien wirkenden, ausschließlich
von Männern fixierten Normen, Werte und Arbeitsstrukturen wurden nun intensiv
untersucht. Diese vergeschlechtlichten Kontexte rahmen das Handeln der Individuen
und präfigurieren geschlechtergebundene Verhaltensweisen, Bewertungen und
Positionierungen.
In der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung hat sich das
Forschungsinteresse in der Tradition des Differenzansatzes vor allem auf die
Ansprüche und Erwartungen von Frauen und Männern als im Mediensystem Handeln-
de gerichtet. Ausgehend von der Feststellung ihrer unterschiedlichen sozio-

5
Davon zeugen etwa Bücher und Filme wie „Bridget Jones. Schokolade zum Frühstück“ oder
„Warum Frauen nicht einparken können und Männer nicht zuhören“ (für eine Kritik vgl. Herbst
2015; McRobbie 2010).
30 E. Klaus

kulturellen Positionierung wurde vermutet, dass Rezipientinnen Medien anders


nutzen und Journalistinnen anders arbeiten als Männer. „Gibt es einen weiblichen
Journalismus?“, hat Susanne Keil 1992 gefragt – und damit die Leitfrage dieser
Forschungsbemühungen auch für andere Bereiche der Kommunikationsforschung
formuliert: Gibt es weibliche Genrepräferenzen und Programmvorlieben (z. B. Röser
und Kroll 1995)? Gibt es ein weibliches Nutzungsverhalten (z. B. Cornelißen 1994)?
Im Rahmen solcher Forschungsinteressen wurden wichtige Ergebnisse erzielt, weil
Frauen nun auch als Handelnde in den Blick gerieten und selber zu Wort kamen. Die
Abwertung der „weiblichen“ Medieninteressen zeigte sich dabei als Produkt der im
Mediensystem wirkenden Geschlechterhierarchien, so etwa in der Forschung zu
Frauenzeitschriften (z. B. Müller 2010; Röser 1992). Als Alternative zu den sich an
die Zielgruppe Frauen wendenden Mainstreammedien rückten aber auch feministische
Öffentlichkeiten und feministische Medienproduktionen ins Zentrum (Geiger 1987;
Wischermann 2003; Zobl und Drüeke 2012).
Insgesamt erwies sich die Kategorie Geschlecht methodisch und inhaltlich als
vielfältiger, als die Differenzforschung angenommen hatte (Marci-Boehncke et al.
1996). Es zeigte sich, dass geschlechterdifferente Herangehensweisen an den Jour-
nalismus wie auch an die Rezeption von Medienangeboten empirisch nur in Einzel-
fällen belegt werden können. Frauen und Männer bilden keine klar voneinander
unterscheidbaren Gruppen, denn die Überschneidungen zwischen den Genusgrup-
pen überwiegen, und die Unterschiede innerhalb der Genusgruppen zeigen sich
jeweils als größer als zwischen ihnen. Dies weist auf theoretische Probleme des
Differenzansatzes hin. Nur als Diskriminierte, nicht als aktiv handelnde Subjekte
bilden Frauen eine einheitliche Gruppe. Indem die Frage nach einer „spezifisch
weiblichen“ Herangehensweise die Gruppe der Frauen einheitlich als Abweichung
von der Norm beschreibt, bestätigt sie zudem ihren zweitrangigen Status im Medien-
system, unabhängig davon, welche Intention ihr zugrunde liegt. Deshalb liegen dem
„Beschreiblichen am Weiblichen“, an den als „Frauen“ erscheinenden oder sich
verstehenden sozialen Subjekten genau jene Geschlechtervorgaben und -stereotype
zugrunde, die die Geschlechterhierarchie fundieren (Becker-Schmidt und Knapp
1987). Immer wenn Weiblichkeit beschrieben wird, wenn auf Eigenschaften der
Frauen verwiesen wird, werden Geschlechterstereotype aufgerufen.
Eine Antwort im Streit zwischen Gleichheits- und Differenzfeminismus hat die
Historikerin Barbara Böttger schon 1990 gegeben: „Gleichheit und Differenz sind
[. . .] keine unversöhnlichen Gegensätze, sondern sie bedingen einander. Ohne
Gleichheit kann es keine Vielfalt anderer Lebensweisen und symbolischer Ordnun-
gen geben, ohne diese Verschiedenheit wäre Gleichheit nur ein Abbild des Beste-
henden“ (Böttger 1990, S. 296). Auch für die Wissenschaft ist das eine wichtige
Erkenntnis, denn Gleichheits- und Differenzansatz allein weisen jeweils spezifische
Schwächen auf, die nur überwunden werden können, wenn beide Perspektiven in
den konkreten Forschungsvorhaben zum Einsatz kommen. Gender ist nicht nur ein
Individualmerkmal, sondern darüber hinaus eine Strukturkategorie, die ihre Wir-
kung auch jenseits des Wollens der einzelnen sich als Männer oder Frauen ver-
stehenden Subjekte entfaltet.
Theoretische Perspektiven: Gleichheit, Differenz, soziale Konstruktion und . . . 31

Gleichheits- und Differenzansatz haben gemeinsame (erkenntnis)theoretische


Ausgangspunkte, die in den Gender Studies zunehmend problematisiert wurden.
Die selbstreflexive Arbeit an der für die Gender Media Studies zentralen Kategorie
Geschlecht machte das Paradoxon deutlich, dass diese Forschung, die doch eigent-
lich das Genderregime hinterfragen will, dieses durch ihren Fokus auf Geschlecht
immer zugleich miterschafft. Jede Benennung von Geschlechterdifferenzen erhält
diese eben zugleich auch aufrecht. Diese Einsicht hat die Türen für einen grund-
legenden Paradigmenwechsel geöffnet.

4 Paradigmenwechsel hin zum Konstruktivismus

Gleichheits- und Differenzansatz gehen von zwei Voraussetzungen aus, die sich als
theoretisch unzureichend erwiesen haben. Sie sind erstens einem Realismus ver-
pflichtet, der annimmt, dass es jenseits der Medien und jenseits der sozialen Subjekte
eine unhintergehbare und empirisch zu erfassende gesellschaftliche Realität gibt, die
als Maßstab für die Repräsentationsleistungen der Medien wie für das Medien-
handeln von Menschen gelten kann (vgl. hier und im Folgenden Drüeke et al.
2017; Klaus 2020). Zum zweiten hinterfragen diese Ansätze zwar die kulturellen
Zuweisungen an die Geschlechter, aber nicht deren biologische Stabilität. Die Zwei-
geschlechtlichkeit, dass es Männer und Frauen gibt, bleibt eine der Grundlagen der
Forschung. Beiden Voraussetzungen widerspricht der Konstruktivismus, der „die
Realität“ stets als eine individuelle oder soziale Konstruktion versteht, die nicht
unabhängig von den sozialen Subjekten zu erfassen ist. Die Geschlechterbinarität
gilt dabei als eine der folgenreichsten dieser Konstruktionen. Damit sind Gleich-
heitsansatz und Differenzansatz gleichermaßen der Kritik des Essenzialismus aus-
gesetzt; weil sie Heteronormativität und Heterosexismus nicht weiter hinterfragen,
tragen sie zu deren Stabilisierung bei.
Demgegenüber versteht der Konstruktivismus die Zweigeschlechtlichkeit als
kulturelle und soziale Konstruktion, die die Ausdrucksformen der Subjekte – ihre
Gefühle, ihren Verstand, ihre Körper – prägt. Nicht das Aufspüren und die Heraus-
arbeitung von Differenzen oder das normative Setzen auf Gleichberechtigung leiten
dann die Forschungsbemühungen, sondern die Dekonstruktion von Geschlechter-
polaritäten, weil diese Unterschiede machen, hervorbringen, produzieren. Entspre-
chend werden jene Prozesse herausgearbeitet, die das gendering der Medienorgani-
sationen ermöglichen und das doing gender der mit Medien in Beziehung tretenden
Menschen kennzeichnen. Geschlechterunterschiede, die sich in der Medienproduk-
tion, den -inhalten oder der -rezeption zeigen, werden nun als Mittel zur Ausarbei-
tung, Darstellung und Aufrechterhaltung der Zweigeschlechtlichkeit gesehen.
Daraus ergeben sich weitere Kritikpunkte am Gleichheits- und Differenzansatz,
etwa an derem verkürzten Verständnis von medialer Repräsentation, die als gegeben
und relativ leicht entschlüsselbar angenommen wird. Mit dieser Vorstellung von
Repräsentation ist die implizite Annahme verbunden, dass das (repräsentativ) Gese-
hen- und Dargestelltwerden notwendig positiv sei und der Emanzipation diene.
Demgegenüber fokussiert der Konstruktivismus auf „Ambivalenzen der Sichtbar-
32 E. Klaus

keit“ (Schaffer 2008; Maier 2018). Gerade wenn es um die Präsenz marginalisierter
Gruppen in der Gesellschaft geht, ist Sichtbarkeit häufig nicht mit Anerkennung
verbunden.6
Schließlich steht auch die Rolle von Wissenschaft und die der Wissenschaft-
ler*innen zur Disposition, weil Gleichheits- wie Differenzansatz zwar die Ver-
wobenheit von Forschung und Wissenschaft in die patriarchale Gesellschaft thema-
tisieren, jedoch gleichwohl davon ausgehen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse
prinzipiell transparent und wahr sein könnten. Aus den hier genannten Gründen ist
die erkenntnistheoretische Position des Konstruktivismus heute eine der Voraus-
setzungen der Gender Studies. In der kommunikationswissenschaftlichen Ge-
schlechterforschung ist er in zwei seiner zentralen Varianten präsent: dem sozialen
Konstruktivismus und dem Dekonstruktivismus.

5 Sozialer Konstruktivismus

Der soziale Konstruktivismus fokussiert auf die interaktive und soziale Konstruktion
der Zweigeschlechtlichkeit. Erstmals haben 1987 Candace West und Don Zimmer-
mann vom doing gender gesprochen. Weiblichkeit und Männlichkeit waren
demzufolge nicht nur etwas, das den Individuen von außen zugewiesen wurde, viel-
mehr wurde Geschlecht nun als etwas gesehen, das Menschen tun und ausüben
(Hagemann-White 1984). Die amerikanische Kommunikationswissenschaftlerin
Lana Rakow (1986, S. 21) hat diese doppelte Bedeutung des Geschlechts in der
folgenden Definition zum Ausdruck gebracht: „Gender is both something we do and
something we think with, both a set of social practices and a system of cultural
meanings.“ Die sozialen Subjekte erschaffen demnach in ihrem Denken, ihren sozia-
len Interaktionen und ihren mikropolitischen Aktivitäten zugleich ihr Geschlecht und
(re)produzieren, stabilisieren oder verändern so „das symbolische System der Zwei-
geschlechtlichkeit“ (Hagemann-White 1984).
Lünenborg und Maier (2013) haben diesen Zugang als „interaktionistischen
Konstruktivismus“ bezeichnet. „Er identifiziert Formen des doing gender, die dem
sozialen und symbolischen Handeln eingeschrieben sind“, und untersucht „[p]rimär
[. . .] auf der Mikroebene der handelnden Subjekte [. . .], wie die symbolische Ord-
nung der Zweigeschlechtlichkeit hergestellt, fortgeschrieben und herausgefordert
wird.“ (Lünenborg und Maier 2013, S. 22) Die sozial-konstruktivistische Perspek-
tive der Gender Studies ist also handlungstheoretisch verortet und schließt hierbei
insbesondere an den Symbolischen Interaktionismus (vgl. Krotz 2008) und an Goff-
mans Rahmentheorie (2001) an (dazu auch Dorer und Klaus 2008).
Geschlecht verweist aber nicht nur auf die soziale Ordnung als Strukturzusam-
menhang, sondern weitergehend auch auf die symbolischen und kulturellen Formen,
in denen sich zweigeschlechtliche Denkprozesse und Handlungsweisen verfestigt
haben. Als soziale Konstruktion gefasst, lassen sich die vergeschlechtlichten Tätig-

6
Für den digitalen Raum liefert Drüeke (2019) dazu Beispiele.
Theoretische Perspektiven: Gleichheit, Differenz, soziale Konstruktion und . . . 33

keiten und das gendering von Institutionen umfassender analysieren. Studien, die
von der Perspektive des sozialen Konstruktivismus ausgehen, beinhalten deshalb
implizit oder explizit eine Kritik an den Normen, Verfahrensweisen und Prozessen
innerhalb der Institutionen, da sie die sozial-kulturelle Herstellung der Geschlech-
terdifferenz aufdecken, gerade dort, wo deren Wirkungen auf den ersten Blick
unsichtbar sind oder andersherum sich reaktiv als Folge eines spezifischen Unter-
suchungsdesigns ergeben.
Inzwischen liegen zahlreiche Studien vor, die Medieninhalte als symbolische
Deutungsrahmen im Hinblick auf die darin enthaltenen Geschlechterkonstruktionen
thematisieren. So hat ein Forschungsteam unter Leitung von Margreth Lünenborg
und Jutta Röser mediale Repräsentationen von Führungspersonen aus Politik, Wirt-
schaft und Wissenschaft untersucht (veröffentlicht unter dem Titel „Ungleich mäch-
tig“ 2012). Die Studie konnte zeigen, wie mit und durch Medien geschlechtsspezi-
fische Bilder von Macht und Einfluss hergestellt werden, die sowohl auf tradierte
Männlichkeitsvorstellungen als auch auf modernisierte Geschlechterkonstruktionen
zurückgreifen. Medien adressieren und positionieren ihre Rezipient*innen als ‚Män-
ner‘ oder ‚Frauen‘ und liefern damit Material zum ‚performing identity‘ und zum
doing gender, das allerdings oft komplexer ausfällt, als es die Angebote selber
nahelegen. Ute Bechdolf (1999) hat in ihrer Studie „Puzzling Gender“ herausgear-
beitet, wie Jugendliche das Angebot an Musikvideos dazu nutzen, ihre geschlecht-
lichen Identitäten auszuhandeln. Für das Berufsfeld Journalismus hat Wiebke
Schoon (2009) auf der Basis der Sozialtheorie von Pierre Bourdieu eine umfassende
Analyse des Gendering im Berufsfeld Journalismus vorgelegt, indem sie das mediale
Geschlechterverhältnis als historisch gewordene, damit auch veränderbare soziale
Praxis analysiert. Sie legt dar, wie etwa die Geschlechterhierarchie durch den
journalistischen Berufsmythos unbegrenzter Arbeitszeiten, die vermeintliche Objek-
tivität der Berichterstattung und Konkurrenzrituale aufrechterhalten wird. Auf die
damit ausgeübte symbolische Gewalt reagieren Journalistinnen mit unterschiedli-
chen Taktiken. Die Rezeption von Gewaltdarstellungen in den Medien thematisiert
eine Studie von Jutta Röser (2000). Sie zeigt, dass das Handeln der befragten
Männer und Frauen in die gesellschaftlichen Bedeutungsrahmen von Geschlecht,
Medien und Gewalt eingebunden ist. In der Folge lassen sich Medienaneignungs-
prozesse nicht als geschlechtsspezifisch begreifen, sondern als jeweils kontextuierte
Positionierungen gegenüber einem Medientext.
Ein Nachteil der sich auf Goffman oder den symbolischen Interaktionismus
stützenden Forschung ist, dass „strukturelle Asymmetrien und die Stabilität des
Systems der Zweigeschlechtlichkeit meist nicht erklärt werden können, da sich die
Forschung stärker auf den individuellen Interaktionsprozess konzentriert und weni-
ger auf die Effekte des ‚Doing Gender‘“ (Dorer und Klaus 2008, S. 8). Bei Be-
trachtung des individuellen Handelns bleiben aber die Rahmenbedingungen, die
darin einfließen und dieses präfigurieren, meist unsichtbar. Wie die damit verbun-
denen Grenzen der Erkenntnis erweitert werden und die herrschenden Geschlechter-
konstruktionen destabilisiert werden können, das herauszuarbeiten ist ein zentrales
Anliegen dekonstruktivistischer Perspektiven.
34 E. Klaus

6 Dekonstruktivismus

Fokussiert der soziale Konstruktivismus also wesentlich die Interaktionen der so-
zialen Subjekte und die daraus erwachsenden relativ stabilen Deutungsmuster, die
das symbolische System der Zweigeschlechtlichkeit aufrechterhalten, so nimmt der
Dekonstruktivismus die Art und Weise der diskursiven und sprachlichen Bedeu-
tungsproduktion in den Blick. Der Dekonstruktivismus ist mit dem Namen von
Jacques Derrida verbunden, der einen Dreischritt bestehend aus Rekonstruktion,
kritischer Zerlegung und Neuformulierung postuliert, um gesellschaftliche Bedeu-
tungen offenzulegen und zu verschieben (vgl. dazu Dorer 2019). Hier werden unter
Dekonstruktivismus weitergehend auch poststrukturalistische Perspektiven, beson-
ders Ausführungen von Michel Foucault und Judith Butler, sowie die neueren
Visual, Postcolonial oder auch Critical Whiteness Studies subsumiert. Denn sie
alle basieren auf einer Kritik an den gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen
durch die De- und Rekonstruktion unserer als selbstverständlich angenommenen
Wissensbestände.
Seit Mitte der 1990er-Jahre ist in den Sozialwissenschaften eine Hinwendung zur
Linguistik und insbesondere zur Sprechakttheorie sowie eine Neukonzeptionierung
des Diskursbegriffs durch Michel Foucault zu beobachten. Die Sprechakttheorie
arbeitet heraus, dass Reden und Sprechen, die verwendeten Worte, Konzepte,
Metaphern oder Begriffe folgenreich sind, weil Sprache mit der Benennung von
Objekten zugleich Handlungen hervorruft und in diesem Sinne, das, was wir als
„Realität“ begreifen, überhaupt erst erschafft. Sinngebungs- und Repräsentations-
prozesse sind demnach sprachlich verfasst. Der Foucault‘sche Diskursbegriff be-
schreibt die Art und Weise, wie machtvolles „Wissen“ produziert wird, Aussagen,
die unhinterfragt und nahezu unhinterfragbar als wahr gelten. Für Foucault sind
Diskurse „Flüsse von Wissensvorräten durch die Zeit“ (Jäger 2004, S. 23–24), die zu
einem gegebenen Zeitpunkt nur noch jene Wissensbestände mitführen, die Macht
stabilisieren. Mit dieser Bestimmung des Diskurses bleibt jedoch die Möglichkeit
verbunden, den Diskurs zurückzuverfolgen – Foucault verwendet hierfür den Be-
griff der Genealogie bzw. der Archäologie –, um ihn zu dezentrieren und zu dekon-
struieren (Hoy 1998 mit Bezug insbesondere auf Foucault 1981, 1987).
Die amerikanische Poststrukturalistin, Philosophin und Aktivistin Judith Butler
hat auf beide theoretischen Zugänge, die Sprechakttheorie und den Foucault’schen
Wissens- und Diskursbegriff, in ihrem 1991 auf deutsch erschienenen Band „Das
Unbehagen der Geschlechter“ rekurriert (vgl. auch Butler 1997). Ihre Arbeiten
haben einen Paradigmenwechsel im Denken über die Kategorie Geschlecht einge-
leitet. Butler stellt das bis dato zentrale Paradigma der Gender Studies, die Trennung
zwischen sex und gender,7 dem biologischen und dem sozial-kulturellen Geschlecht,

7
Dass die Trennung von sex und gender eine einheitliche und zentrale Grundlage der frühen
Frauen- und Geschlechterforschung war, die dann von den dekonstruktivistischen Gender Studies
überwunden worden wäre, ist derzeit das dominante Narrativ der Gender Studies. Diese Fort-
schrittserzählung, so Tanja Paulitz (2021) sei jedoch problematisch, u. a. weil sie durch die Gender
Studies überhaupt erst etabliert worden sei und die vorhergehenden Phasen vermutlich zu stark
vereinfache. Deshalb bedürfe das Narrativ einer genaueren Untersuchung und Rekonstruktion.
Theoretische Perspektiven: Gleichheit, Differenz, soziale Konstruktion und . . . 35

grundlegend in Frage. Sie arbeitet heraus, dass bereits die Markierung von zwei,
und genau zwei, biologischen Geschlechtern, ihre Benennung als Mann und Frau,
eine kulturelle Tat ist. Das ‚Wissen‘ um zweigeschlechtliche Körper, binär kodierte
Sexualität und ein heterosexuelles Begehren ist Effekt eines immer wieder aufs
Neue wiederholten Sprechaktes, oder anders formuliert: ihrer ständigen Reiteration
und performativen Hervorbringung. Die Dekonstruktion dieses „Geschlechterwis-
sens“ wird damit zu einem wichtigen Moment, um Diskurse zu verändern und die
darin eingeschriebenen Machtverhältnisse zu verschieben. Unsichtbare und in die
Unsichtbarkeit, Prekarität oder Illegalität gedrängte Identitäten erhalten einen
wichtigen Stellenwert in Butlers Gendertheorie, weil sie die Annahme der Ubiqui-
tät von Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit verstören und ehemals stabile
Kategorien dezentrieren können. Das ist einer der Ausgangspunkte der Queer
Studies.
Der mit den dekonstruktivistischen Gender Studies verbundene Perspektiven-
wechsel hat auch in der Kommunikationswissenschaft zu neuen Forschungsfragen,
neuen Themensetzungen und veränderten theoretischen und methodischen Heran-
gehensweisen geführt. Die dekonstruktivistische Perspektive beinhaltet die Mög-
lichkeit aufzudecken, wie Dualismen und Differenzsetzungen in den Medien daran
beteiligt sind, ein binäres, hierarchisches, hierarchisierendes und heteronormatives
Geschlechterregime aufrecht zu erhalten.
So hat Johanna Dorer (2004) herausgearbeitet, wie die Kommunikationswissen-
schaft binäre Geschlechtercodes und damit Geschlechterhierarchien im Journalis-
mus und in verwandten Medienberufen (re)produziert. Mit Hilfe der historischen
Biografieforschung konnte deutlich werden, dass Frauen im vermeintlichen Männer-
beruf Journalismus schon lange präsent sind und diesen mitgeprägt haben, aber ihr
Beitrag u. a. durch die Fokussierung auf festangestellte Redakteur*innen in der
Kommunikationsgeschichte unsichtbar gemacht wurde (vgl. dazu Kinnebrock
et al. 2014). Wie in Medienpraxis und Kommunikationswissenschaft durch ver-
meintlich neutrale Begrifflichkeiten die Geschlechterdifferenz mitkonstruiert wird,
zeigen kritische Überlegungen zu zentralen und selbstverständlich verwendeten
binären Ordnungskategorien wie Information und Unterhaltung (Klaus 1996; revi-
sited 2019) oder Fakt und Fiktion (Klaus und Lünenborg 2002). Tanja Thomas et al.
(2011) haben Gouvernementalitätspraktiken analysiert und gezeigt, wie etwa be-
stimmte Genres als Teil eines Wissensregimes „an der (Re)Produktion hegemonialer
Vorstellungen über gesellschaftliche Ordnungen [. . .] mitwirken“ (Thomas 2012,
S. 215).
Insgesamt finden unter der Perspektive des Dekonstruktivismus Körper und
körperbasierte Praktiken, die in Medien erscheinen und durch diese produziert
werden, ebenso wie mediale Identitätsräume und Raumproduktionen stärkere Be-
achtung (z. B. Angerer 2000; Hipfl et al. 2004; Drüeke 2013). Durch die Darstellung
von ‚illegitimen Körpern‘ (Butler 1997, S. 40) in medialen Körperinszenierungen –
wie beispielsweise von Dragqueens, Transpersonen oder Homosexuellen – kann
analysiert werden, welche Körper intelligibel sind und welche nicht. So konnte die
feministische Fernsehforschung zeigen, dass die Darstellung queerer Hauptfiguren
vor allem für eine Stabilisierung tradierter Geschlechterrollen genutzt wird. Queere
36 E. Klaus

Sexualität und queeres Begehren werden in den Sendungen normalisiert und in ein
heterosexuelles Raster gepresst (Bleicher 2013; Maier 2007).
Sowohl der soziale Konstruktivismus als auch der Dekonstruktivismus haben die
Forschungstätigkeit der Media Gender Studies in den vergangenen Jahrzehnten stark
beeinflusst. Weil vor allem der Dekonstruktivismus Wissensregime in Frage stellt,
sind Ergebnisse und Begrifflichkeiten der dekonstruktivistischen Forschung jedoch
stärker von Alltagserfahrungen und Selbstbeschreibungen der sozialen Subjekte
entfernt, als das für die frühen Gender (Media) Studies gilt. Darin steckt eine
Vermittlungsproblematik, die ein Grund dafür sein mag, dass die ursprüngliche
Verbindung zwischen feministischen Bewegungen und Gender Studies sich gelöst
hat und problematischer geworden ist (Knapp 2012).

7 Fazit

Die zentralen Gegenstandsbereiche und die Forschungsaktivitäten der kommunika-


tionswissenschaftlichen Gender Studies lassen sich mit den vier hier vorgestellten
Ansätzen erfassen. Dabei stellen diese aber keine sich notwendig und stets konfliktär
gegenüberstehenden Forschungsstränge dar. Konkrete Studien sind eher selten über-
schneidungsfrei entlang dieser Klassifikationen einzuordnen. Es handelt sich viel-
mehr um heuristische Perspektiven, die zum Zwecke empirischer Forschung einge-
nommen werden. Dabei werden andere Dimensionen der Basiskategorie Geschlecht
jedoch stets mitaufgerufen und können auch nicht gänzlich ignoriert werden. So lässt
sich das Beharrungsvermögen von Genderingprozessen im Berufsfeld Journalismus
nicht erklären, ohne gleichermaßen die Frage nach den Lebensperspektiven der darin
agierenden Kommunikator*innen und den dort wirkenden ideologischen Konstruk-
tionen zu stellen. Ebenso können die häufig geschlechterkonformen Antworten von
Befragten zu ihren Medienvorlieben nicht angemessen ausgewertet und interpretiert
werden, wenn nicht zugleich die Frage nach der Struktur der Medienprodukte und
der darin eingeschlossenen kulturellen Konstruktionen von Geschlecht gestellt wird.
Ein Beispiel dafür liefert eine Studie zu Nachrichten von Andrea Prenner (1995),
die diese selber als sozialkonstruktivistisch bezeichnet. Das Ziel der Arbeit ist aber
dem Gleichheitsansatz verbunden: Männer und Frauen sollen in den Nachrichten
gleichberechtigt repräsentiert werden. Zu Beginn nimmt die Studie dann eine Dif-
ferenzperspektive ein, weil sie zwischen einer ‚Männerrealität‘, die sich in den
Nachrichten spiegele, und einer ‚Frauenrealität‘ unterscheidet, die hierin zu kurz
käme. Prenner zeigt nun, dass bevorzugt über solche Ereignisse berichtet wird, bei
denen die Akteur*innen Männer sind, und zwar unabhängig von ihrem Nachrichten-
wert. Damit weist sie im Sinne des sozialen Konstruktivismus nach, dass die
Männerdominanz in den Nachrichten keine objektive Realität spiegelt, sondern
erst durch die Nachrichtenredaktionen erschaffen wird. Die Nachrichtenwerttheorie
zeige sich angesichts dessen als unzureichend und müsse, so Prenner, um einen
Androzentrismusfaktor ergänzt werden. Schließlich entspricht die Kritik an einer
Kommunikationswissenschaft, die implizit Geschlechterdualismen und Geschlech-
terhierarchien reproduziert, einer dekonstruktivistischen Blickrichtung. Wie in die-
Theoretische Perspektiven: Gleichheit, Differenz, soziale Konstruktion und . . . 37

ser Studie zeigt eine genauere Analyse, dass die in diesem Beitrag unterschiedenen
vier Perspektiven der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung in
den vorgelegten Arbeiten oft ineinanderfließen. Die verschiedenen Blickrichtungen
der Gender Media Studies ergänzen und befruchten sich also gegenseitig.
In den Gender Studies allgemein und in der kommunikationswissenschaftlichen
Geschlechterforschung im Besonderen wird die Kategorie Geschlecht heute zu-
gleich als soziale und kulturelle Konstruktion gesehen. Damit sind Forschungspro-
jekte, die das mediale Handeln von ‚Männern‘ und ‚Frauen‘ thematisieren, theo-
retisch höchst problematisch, da sie die Annahme des Geschlechterdualismus zur
Voraussetzung haben und so die symbolische Konstruktion der Zweigeschlechtlich-
keit reproduzieren. Zugleich bleiben solche Studien aber sinnvoll und notwendig, da
die Analyse gesellschaftlicher Ungleichheiten als Folgen dieser Konstruktion wei-
terhin ein zentrales Anliegen feministischer Forschung ist. Gelöst wird dieses
Dilemma mit dem Konzept des so genannten ‚strategischen Essentialismus‘, der
zum Zwecke der Untersuchung gesellschaftlicher Ungerechtigkeit an handelnden
Akteur*innen festhält und damit auch ein Subjekt Frau oder Mann als Unter-
suchungskategorie zulässt. (Spivak 2009 [1993]; Mackenthun 2017)
Die Ergebnisse solcher Projekte müssen dann allerdings im Weiteren unter der
Prämisse der sozialen und kulturellen Konstruiertheit von Geschlechterdifferenzen
diskutiert und kontextualisiert werden. Zugleich gilt auch andersherum, dass dekon-
struktivistische Ausarbeitungen vermittlungsfähig bleiben und ihre Relevanz für
eine nachhaltige Gesellschaftsveränderung zeigen müssen. Wenn die Behauptung
stimmt, dass diese eine Verschiebung bewirkt haben, derzufolge nicht die Ge-
schlechterverhältnisse, sondern die Geschlechtsunterscheidungen im Mittelpunkt
des Interesses stehen (Knapp 2018, S. 25), dann wird die weiterhin bestehende
gesellschaftspolitische Bedeutung von Gleichheits- und Differenzansatz deutlich.
Denn Analysen der Geschlechterverhältnisse bleiben für gesellschaftsrelevante
kommunikationswissenschaftliche Gender Studies zentral (siehe auch Thomas
2019). Gleichheits- und Differenzansatz, sozialer Konstruktivismus und Dekon-
struktivismus sind gerade in ihrer gleichzeitigen Existenz und in ihren parallelen
Forschungsanstrengungen produktiv, weil sie dann eine Kontroll- und Kritikfunk-
tion füreinander wahrnehmen können.

Literatur
Angerer, Marie-Luise. 2000. body options. Körper.spuren.medien.bilder (¼ Cultural Studies,
Bd. 2). Wien: Turia und Kant.
Angerer, Marie-Luise, und Johanna Dorer. 1994. Auf dem Weg zu einer feministischen Kom-
munikations- und Medientheorie. In Gender und Medien. Theoretische Ansätze, empirische
Befunde und Praxis der Massenkommunikation, Hrsg. Marie-Luise Angerer und Johanna Dorer,
8–23. Wien: Braumüller.
Bechdolf, Ute. 1999. Puzzling Gender. Re- und De-Konstruktionen von Geschlechterverhältnissen
im und beim Musikfernsehen. Weinheim: Deutscher Studien Verlag.
Becker-Schmidt, Regina, und Gudrun-Axeli Knapp. 1987. Geschlechtertrennung – Geschlechter-
differenz. Suchbewegungen sozialen Lernens. Bonn: Neue Gesellschaft.
38 E. Klaus

Beer, Ursula. 1990. Geschlecht, Struktur, Geschichte. Soziale Konstituierung des Geschlechter-
verhältnisses. Frankfurt a. M./New York: Campus.
Bleicher, Joan Kristin. 2013. Alte Rollenbilder im Neuen Fernsehen. Aspekte der Genderperfor-
manz in Reality-Formaten. In Sexy Media? Gender/Queertheoretische Analysen in den Medien-
und Kommunikationswissenschaften, Hrsg. Skadi Loist, Sigrid Kannengießer, und Joan Kristin
Bleicher, 47–68. Bielefeld: transcript.
Böttger, Barbara. 1990. Das Recht auf Gleichheit und Differenz. Elisabeth Selbert und der Kampf
der Frauen um Art. 3 II Grundgesetz. Mit einem Vorwort von Ute Gerhard. Münster: West-
fälisches Dampfboot.
Butler, Judith. 1991. Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Butler, Judith. 1997. Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Frankfurt
a. M.: Suhrkamp.
Cornelißen, Waltraud. 1994. Fernsehgebrauch und Geschlecht. Zur Rolle des Fernsehens im Alltag
von Frauen und Männern. Opladen/Wiesbaden: Westdt. Verlag.
Dorer, Johanna. 2004. Öffentlichkeitsarbeit und Journalismus. Anmerkungen zu einem geschlecht-
lich codiertem Verhältnis. In Quo vadis Public Relations? Auf dem Weg zum Kommunikations-
management: Bestandsaufnahmen und Entwicklungen, Hrsg. Juliane Raupp und Joachim
Klewes, 79–89. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Dorer, Johanna. 2019. Feministische Theorie als Fundament feministischer Kommunikationswis-
senschaft. In Handbuch Medien und Geschlecht, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte
Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-
0_1-1.
Dorer, Johanna, und Elisabeth Klaus. 2008. Feministische Theorie in der Kommunikationswissen-
schaft. In Theorien der Kommunikations- und Medienwissenschaft. Grundlegende Diskussio-
nen, Forschungsfelder und Theorieentwicklungen, Hrsg. Carsten Winter, Andreas Hepp, und
Friedrich Krotz, 91–112. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Drüeke, Ricarda. 2013. Politische Kommunikationsräume im Internet. Zum Verhältnis von Raum
und Öffentlichkeit. Bielefeld: transcript.
Drüeke, Ricarda. 2019. Digitale Öffentlichkeiten und feministische Protestkulturen. In Handbuch
Medien und Geschlecht, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija
Ratković. Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_42-1.
Drüeke, Ricarda, Elisabeth Klaus, und Martina Thiele. 2017. Eine Genealogie des Konstruktivis-
mus in der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung. Medien und Kommuni-
kationswissenschaft 65(2): 219–235.
Eckes, Thomas. 2010. Geschlechterstereotype: Von Rollen, Identitäten und Vorurteilen. In Hand-
buch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie, Hrsg. Ruth Becker und
Beate Kortendiek, 3., erw. Aufl., 178–189. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Foucault, Michel. 1987. Sexualität und Wahrheit. Der Wille zum Wissen. Frankfurt a. M.:
Suhrkamp.
Foucault, Michel. 1981. Archäologie des Wissens, 16. Aufl. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Geiger, Brigitte. 1987. Weibliche Identität und Frauenöffentlichkeit. Am Beispiel autonomer Frau-
enzeitschriften. Wien: Dissertation.
Goffman, Erving. 2001. Das Arrangement der Geschlechter. In Interaktion und Geschlecht, Hrsg.
Erving Goffman, 105–158. Frankfurt a. M.: Campus. (Englische Originalausgabe 1977).
Hagemann-White, Carol. 1984. Sozialisation: Weiblich – Männlich? Opladen: Leske und Budrich.
Herbst, Liesa. 2015. Von Natur aus anders. Die Biologisierung der Geschlechterdifferenz und ihre
Renaissance in populären Sachbüchern. Münster/Hamburg: Lit.
Hipfl, Brigitte, Elisabeth Klaus, und Uta Scheer, Hrsg. 2004. Mediale Identitätsräume. Körper und
Geschlecht in den Medien. Bielefeld: transcript.
Hoy, David Couzens. 1998. Foucault and the critical theory. In The later Foucault: Politics and
philosophy, Hrsg. Jeremy Moss, 18–32. London/Thousand Oaks/New Delhi: Sage.
Jäger, Siegfried. 2004. Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung, 4. Aufl. Münster: Unrast.
Theoretische Perspektiven: Gleichheit, Differenz, soziale Konstruktion und . . . 39

Keil, Susanne. 1992. Gibt es einen weiblichen Journalismus? In Der andere Blick. Aktuelles zur
Massenkommunikation aus weiblicher Sicht, Hrsg. Romy Fröhlich, 37–54. Bochum: Brockmeyer.
Keil, Susanne. 2000. Einsame Spitze? Frauen in Führungspositionen im öffentlich-rechtlichen
Rundfunk. Münster/Hamburg: Lit.
Kinnebrock, Susanne, und Elisabeth Klaus. 2013. Zur Pfadabhängigkeit der Kommunikatorfor-
schung. Eine Spurensuche aus Perspektive der Gender Studies. Medien und Kommunikations-
wissenschaft 61(4): 496–513.
Kinnebrock, Susanne, Elisabeth Klaus, und Ulla Wischermann. 2014. GrenzgängerInnentum als
terra incognita der KommunikatorInnenforschung? Zum Potenzial von Autobiographien für die
historische Berufsfeldforschung. Medien & Zeit 29(4): 5–15.
Klaus, Elisabeth. 1996. Der Gegensatz von Information ist Desinformation, der Gegensatz von
Unterhaltung ist Langeweile. Rundfunk und Fernsehen 44(3): 402–417.
Klaus, Elisabeth. 2002. Perspektiven und Ergebnisse der Geschlechterforschung in der Medien-
und Kommunikationswissenschaft. Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis 25(61):
11–31. https://doi.org/10.25595/920.
Klaus, Elisabeth. 2005. Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung. Zur Bedeutung
der Frauen in den Massenmedien und im Journalismus, 2., korr. und ak. Aufl. Münster/
Hamburg: Lit.
Klaus, Elisabeth. 2019. Der Gegensatz von Information ist nicht unbedingt Desinformation
und manchmal ist Langeweile ein Weg zur Unterhaltung. kommunikation.medien, (11): 1–20.
Online unter: http://eplus.uni-salzburg.at/JKM/periodical/titleinfo/4517377. Zugegriffen am
19.11.2019.
Klaus, Elisabeth. 2020. Gleichheit, Differenz, Konstruktion und Dekonstruktion. Ansätze feminis-
tischer Forschung revisited. In Feministische Theorie und Kritische Medienkulturanalyse.
Ausgangspunkte und Perspektiven, Hrsg. Tanja Thomas und Ulla Wischermann, 201–216.
Bielefeld: transcript.
Klaus, Elisabeth, und Margreth Lünenborg. 2002. Journalismus: Fakten, die unterhalten – Fiktio-
nen, die Wirklichkeiten schaffen. In Grundlagentexte zur Journalistik, Hrsg. Irene Neverla, Elke
Grittmann, und Monika Pater, 100–113. Konstanz: UVK.
Klaus, Elisabeth, und Ulla Wischermann. 2013. Journalistinnen. Eine Geschichte in Biografien und
Texten 1848–1990. Münster/Wien: Lit.
Knapp, Gudrun-Axeli. 1995 bzw. 2020. Unterschiede machen: Zur Sozialpsychologie der Hie-
rarchisierung im Geschlechterverhältnis. In Das Geschlechterverhältnis als Gegenstand der
Sozialwissenschaften, Hrsg. Regina Becker-Schmidt und Gudrun-Axeli Knapp, 163–194.
Frankfurt a. M.: Campus. (Gekürzter und kommentierter Nachdruck 2020 In Feministische
Theorie und Kritische Medienkulturanalyse. Ausgangspunkte und Perspektiven. Hrsg. Tanja
Thomas und Ulla Wischermann, 227–239. Bielefeld: transcript).
Knapp, Gudrun-Axeli. 2012. Im Widerstreit. Feministische Theorie in Bewegung. Wiesbaden: VS.
Knapp, Gudrun-Axeli. 2018. Auf ein Neues!? Feministische Kritik im Wandel der Gesellschaft. In
Geschlecht, Differenz und Identität, Hrsg. David Meier-Arendt, Christiane Schmitt, Julian Heß,
Jan Schäfer, und Marcus Beisswanger, 16–25. Darmstadt: TUPrints. https://www.asta.tu-
darmstadt.de/sites/default/files/atoms/files/geschlecht20differenz20identitacc88t20tu20
prints.pdf. Zugegriffen am 25.01.2022.
Krotz, Friedrich. 2008. Handlungstheorien und Symbolischer Interaktionismus als Grundlage
kommunikationswissenschaftlicher Forschung. In Theorien der Kommunikations- und Medien-
wissenschaft. Grundlegende Diskussionen, Forschungsfelder und Theorieentwicklungen, Hrsg.
Carsten Winter, Andreas Hepp, und Friedrich Krotz, 29–47. Wiesbaden: VS.
Küchenhoff, Erich. 1975. Die Darstellung der Frau und die Behandlung von Frauenfragen im
Fernsehen. Eine empirische Untersuchung einer Forschungsgruppe der Universität Münster.
Stuttgart: Kohlhammer.
Leinfellner, Christina. 1983. Das Bild der Frau im TV. Salzburg: Neugebauer.
Libreria delle donne di Milano. 1991. Wie weibliche Freiheit entsteht. Eine neue politische Praxis,
3. Aufl. Berlin: Orlanda-Frauenverlag.
40 E. Klaus

Lünenborg, Margreth, und Tanja Maier. 2013. Gender Media Studies. Eine Einführung.
Konstanz: UVK.
Lünenborg, Margreth, und Jutta Röser, Hrsg. 2012. Ungleich mächtig. Das Gendering von Füh-
rungspersonen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft und in der Medienkommunikation.
Bielefeld: transcript.
Mackenthun, Gesa. 2017. Essentialismus, strategischer. In Handbuch Postkolonialismus und
Literatur, Hrsg. Dirk Göttsche, Axel Dunker, und Gabriele Dürbeck, 142–144. Stuttgart:
J.B. Metzler. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05386-2_23.
Maier, Tanja. 2007. Gender und Fernsehen. Perspektiven einer kritischen Medienwissenschaft.
Bielefeld: transcript.
Maier, Tanja. 2018. Von der Repräsentationskritik zur Sichtbarkeitspolitik. In Kommunikations-
wissenschaftliche Gender Studies. Zur Aktualität kritischer Gesellschaftsanalyse, Hrsg. Ricarda
Drüeke, Elisabeth Klaus, Martina Thiele, und Julia Elena Goldmann, 77–90. Bielefeld:
transcript.
Marci-Boehncke, Gudrun, Petra Werner, und Ulla Wischermann, Hrsg. 1996. BlickRichtung Frau-
en. Theorien und Methoden geschlechtsspezifischer Rezeptionsforschung. Weinheim: Deutscher
Studien Verlag.
McRobbie, Angela. 2010. Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechter-
regimes. Wiesbaden: VS. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92293-5.
Müller, Kathrin Friederike. 2010. Frauenzeitschriften aus der Sicht ihrer Leserinnen: Die Rezeption
von „Brigitte“ im Kontext von Biografie, Alltag und Doing Gender. Bielefeld: transcript.
Mulvey, Laura. 1975. Visual pleasure and narrative cinema. Screen 16(3): 6–18.
Neverla, Irene, und Gerda Kanzleiter. 1984. Journalistinnen. Frauen in einem Männerberuf.
Frankfurt a. M./New York: Campus.
Paulitz, Tanja. 2021. Die Überwindung der Sex/Gender Unterscheidung als Errungenschaft der
Gender Studies? Zur Problematik eines dominanten Narrativs. feministische studien 39(2):
352–372. https://doi.org/10.1515/fs-2021-0036.
Prenner, Andrea. 1995. Zur Konstruktion von Männerrealität in den Nachrichtenmedien. Bochum:
Brockmeyer.
Prommer, Elizabeth, und Christine Linke. 2019. Ausgeblendet. Frauen im deutschen Film und
Fernsehen. Köln: Halem.
Rakow, Lana F. 1986. Rethinking gender research in communication. Journal of Communication
36(4): 11–26.
Röser, Jutta. 1992. Frauenzeitschriften und weiblicher Lebenszusammenhang. Themen, Konzepte
und Leitbilder im sozialen Wandel. Opladen: Westdt.
Röser, Jutta. 2000. Fernsehgewalt im gesellschaftlichen Kontext. Eine Cultural Studies-Analyse
über Medienaneignung in Dominanzverhältnissen. Wiesbaden: Westdt. Verlag.
Röser, Jutta, und Claudia Kroll. 1995. Was Frauen und Männer vor dem Bildschirm erleben:
Rezeption von Sexismus und Gewalt im Fernsehen. Düsseldorf: Dokumente und Berichte des
Ministeriums für die Gleichstellung von Frau und Mann des Landes Nordrhein-Westfalen.
Schaffer, Johann. 2008. Ambivalenzen der Sichtbarkeit. Über die visuellen Strukturen der Aner-
kennung. Bielefeld: transcript.
Schmerl, Christiane. 1984. Das Frauen- und Mädchenbild in den Medien. Opladen: Leske und
Budrich.
Schoon, Wiebke. 2009. Gendering im Berufsfeld Journalismus: Ein Überblick über Empirie und
Theorie sowie die Integration der Sozialtheorie Pierre Bourdieus. Münster: Lit.
Spivak, Gayatri Chakravorty. 2009 [1993]. In a word: Interview. In Outside in the teaching
machine, Hrsg. Gayatri Chakravorty Spivak, 1–26. New York/London: Routledge.
Thiele, Martina. 2015. Medien und Stereotype. Konturen eines Forschungsfeldes. Bielefeld:
transcript.
Thiessen, Barbara. 2010. Vom „Ökofeminismus“ zum „Cyberfeminismis“. In Handbuch Frauen-
und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie, Hrsg. Ruth Becker und Beate Kor-
tendiek, 3., erw. Aufl., 37–45. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Theoretische Perspektiven: Gleichheit, Differenz, soziale Konstruktion und . . . 41

Thomas, Tanja. 2012. Zwischen Konformität und Widerständigkeit: Populärkultur als Vergesell-
schaftungsmodus. In Banale Kämpfe. Sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven auf
Geschlechterverhältnisse in der Populärkultur, Hrsg. Paula-Irene Villa, Julia Jäckel, Zara
S. Pfeiffer, Nadine Sanitter, und Ralf Steckert, 211–228. Wiesbaden: VS.
Thomas, Tanja. 2019. Feministische Medien- und Kommunikationswissenschaft als kritische
Gesellschaftsanalyse. In Handbuch Medien und Geschlecht, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte
Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/
978-3-658-20712-0_3-1.
Thomas, Tanja, Steffi Hobuß, Merle-Marie Kruse, und Irina Hennig, Hrsg. 2011. Dekonstruktion
und Evidenz: Ver(un)sicherungen in Medienkulturen. Königstein/Taunus: Ulrike Helmer.
Tuchman, Gaye. 1980. Die Verbannung von Frauen in die symbolische Nichtexistenz durch die
Massenmedien. Fernsehen und Bildung 14(1–2): 10–43.
West, Candace, und Don Zimmermann. 1987. Doing gender. Gender & Society 1(2): 125–151.
Wischermann, Ulla. 2003. Frauenbewegungen und Öffentlichkeiten um 1900. Netzwerke, Gegen-
öffentlichkeiten, Protestinszenierungen. Königstein: Ulrike Helmer.
Zobl, Elke, und Ricarda Drüeke, Hrsg. 2012. Feminist media. Participatory spaces, networks and
cultural citizenship. Bielefeld: transcript.
Feministische Medien- und
Kommunikationswissenschaft als kritische
Gesellschaftsanalyse

Tanja Thomas

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
2 Bezugpunkte feministischer Medien- und Kommunikationswissenschaft: Marxismus,
Ideologietheorie und Kritische Theorie der Frankfurter Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
3 Poststrukturalistische und dekonstruktivistische Einflüsse auf feministische Medien- und
Kommunikationswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
4 Gegenwärtige Herausforderungen einer feministischen Medien- und
Kommunikationswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
5 Fazit: Perspektiven und Potenziale feministischer Medien- und
Kommunikationsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

Zusammenfassung
Feministische (Medien- und Kommunikations-)Wissenschaft hat sich mit
verschiedenen Traditionen Kritischer Theorie verbündet – mit marxistischer
Theorie oder der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule – und in Ausei-
nandersetzung mit postkolonialen, queeren Theorien und den Cultural Studies
poststrukturalistische und dekonstruktivistische Ansätze entwickelt. Der Bei-
trag verbindet die Darstellung der Bezugnahmen auf diese zentralen Traditi-
onslinien – die freilich in sich heterogen sind und zwischen denen es zudem
durchaus eine Reihe von Vermittlungsversuchen gibt – mit Hinweisen auf empi-
rische Untersuchungen zur Bedeutung von Geschlecht in Medienkulturen. Gegen-
wärtige Herausforderungen und offene Fragen an feministische Medien- und

T. Thomas (*)
Institut für Medienwissenschaft, Eberhard Karls Universität Tübingen, Tübingen, Deutschland
E-Mail: tanja.thomas@uni-tuebingen.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 43
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_3
44 T. Thomas

Kommunikationsforschung werden angesichts von Wissenschafts-, Medien- und


Gesellschaftswandel aufgezeigt und damit knapp diskutiert, unter welchen Bedin-
gungen derzeit kritische Theoriebildung, Forschung und Wissensproduktion stehen
und wie feministische Kommunikations- und Medienwissenschaft behindert wird –
was sie als eine auf Gerechtigkeit zielende Wissensproduktion einzufordern noch
dringlicher werden lässt.

Schlüsselwörter
Kritische Theorie · Cultural Studies · Postcolonial Studies · Queer ·
Feministische Theorie

1 Einleitung

„Mehr feministische und kritische Theorie!“ lauten Appell und Überschrift eines
Schwerpunkheftes der Zeitschrift feministische studien im Jahr 2018. Die im Heft
versammelten Texte rufen in Erinnerung, dass feministische Theoriebildung im Zuge
der zweiten Frauenbewegung nach 1968 als entschiedene und radikale Kritik der
‚herrschenden‘ Wissenschaft, wie sie an den Universitäten gelehrt wurde, entstand.
Nicht geringer ist die Sorge um Hochschulen als Ort der kritischen Reflexion gesell-
schaftlicher Entwicklungen, da kritische Theorie und Analyse an den Hochschulen
heute vor besonderen Herausforderungen stehen – auf Seiten der Lehrenden aufgrund
der Reorganisation des akademischen Wissensfeldes mit einer Orientierung auf Wett-
bewerbsfähigkeit, Benchmarking, Evaluationen, neuen Rhythmisierungen von Drittmit-
telprojekt zu Drittmittelprojekt sowie auf Seiten der Studierenden durch Studienge-
bühren, modularisierte Studiengänge und den Zwang zur effizienten Orientierung an
kanonisierten Wissensvorgaben, die auch zu veränderten Selbstverständnissen beitra-
gen.1 Auch angesichts gegenwärtig die Demokratie vielfach herausfordernder gesell-
schaftlicher Entwicklungen gerät kritische Wissenschaft mehr und mehr unter Druck.
Umso notwendiger ist es, die Traditionslinien, Erkenntnispotenziale und emanzipatori-
schen Ansprüche kritischer Wissenschaft zu stärken und im wissenschaftlichen Diskurs
präsent zu halten. Darauf zielt auch der vorliegende Beitrag mit einer Betonung der
Gemeinsamkeiten Kritischer Theorietraditionen, an die feministische Kommunikations-
und Medienforschung anknüpfen: Diese verstehen sich erstens immer auch als Wissen-
schafts- und Gesellschaftskritik, reflektieren zweitens den eigenen gewählten Stand-
punkt der Wissensproduktion und streben damit an, auch die eigenen Basiskategorien
und Theorieansätze zu reformulieren, und sie zielen schließlich drittens auf eine Über-
windung hierarchischer gesellschaftlicher Verhältnisse – sie inkludieren die Umsetzung
in eine politische Praxis (Dorer und Klaus 2008, S. 93).

1
Dem Wandel der Hochschulen widmen sich aus feministischer Sicht das Schwerpunktheft
34(1) der feministischen studien (Camus et al. 2016), zudem Hark und Hofbauer 2018.
Feministische Medien- und Kommunikationswissenschaft als kritische . . . 45

2 Bezugpunkte feministischer Medien- und


Kommunikationswissenschaft: Marxismus,
Ideologietheorie und Kritische Theorie der Frankfurter
Schule

Für ein Anschließen an marxistische Theorien und Ideologietheorien in der


Geschlechterforschung plädiert im deutschsprachigen Kontext an prominenter Stelle
Frigga Haug (2004, 2009, 2010, 2015). Geschlechterverhältnisse versteht Haug als
Produktionsverhältnisse, die Fragen von Arbeitsteilung, Herrschaft, Ausbeutung,
Ideologie, Politik, Recht, Moral, Sexualität, Körper, Sprache bestimmen. Zur Unter-
suchung weiblicher Vergesellschaftung hat Frigga Haug die Methode der Erinne-
rungsarbeit entwickelt; sie soll den Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher
Produktion und Selbstformung, Gesellschaftsveränderung und Selbstveränderung
erkenn- und bearbeitbar werden lassen. In Zusammenarbeit mit Brigitte Hipfl (Haug
und Hipfl 1995) wurde diese Methode bereits früh auf kommunikationswissen-
schaftliche Fragestellungen angewandt und in Folge von Johanna Dorer weiterent-
wickelt, u. a. „um geschlechtliche Selbstpositionierungen im Prozess der Medien-
aneignung bezogen auf das männlich codierte Feld der politischen Berichterstattung
zu untersuchen“ (2008, S. 175). Damit konnten beispielsweise Studien, die eine
größere Informationsorientierung des männlichen Publikums aufgrund repräsentati-
ver Befragungen aufzeigen woll(t)en, mit dem Befund konfrontiert werden, dass
Begriffe wie Information, Unterhaltung oder politische Berichterstattung in hohem
Maße geschlechtlich codiert sind und dieser Umstand auf die Selbstkonstruktion im
Rezeptionsprozess Auswirkungen hat (Dorer 2008, S. 185).
Auf die (klassische) Kritische Theorie der so genannten Frankfurter Schule als
Ausgangspunkt der gesellschaftstheoretischen Rahmung ihrer kritischen Geschlech-
terforschung2 verweisen Klinger und Knapp (2007, S. 29). Die Kritische Theorie
wird dabei durchaus auch zu einem zentralen Referenzpunkt der feministischen
Medien- und Kommunikationswissenschaft, die sich im Einklang sieht mit den
Ansprüchen auf Emanzipation aus versklavenden, unmenschlichen und unwürdigen
Bedingungen (Drüeke und Klaus 2017). Diese Theorietradition formuliert des
Weiteren die Prämisse, weder Menschen noch Geschichte im Singular des Univer-
salismus zu denken, sie kritisiert die hegemoniale Stellung der Ökonomie und ist
gekennzeichnet durch ein explizit utopisches Moment, das für die Zukunft nicht nur
Wachstum und Innovation von Produkten erwartet, sondern auf die Erfüllung des
Versprechens zielt, das sich die moderne Gesellschaft selbst gegeben hat, seit sie die
Ideen von Freiheit, Gleichheit und Solidarität zu den Prinzipien ihrer Verfassung
gemacht hat. Vergleichsweise wenige feministische kommunikations- und medien-
wissenschaftliche Arbeiten stellen explizit einen Bezug zwischen den Arbeiten von

2
Wie auch im Weiteren deutlich wird, bewegen sich Argumentationen häufig theoretisch an
Schnittfeldern: In der Tradition von Kritischer Theorie, die mit der marxistischen verwoben ist,
entwickelte beispielsweise Regina Becker-Schmidt 1985 ihre These von der doppelten Vergesell-
schaftung von Frauen und betonte, dass diese nicht nur materiell-ökonomische, sondern auch
ideologisch-herrschaftliche Implikationen hat (Becker-Schmidt 2004).
46 T. Thomas

Theodor W. Adorno und Max Horkheimer als Vertretern der ersten Generation
Kritischer Theorie und einer Geschlechterforschung auf der Ebene der Medienin-
halte oder der Medienrezeption her. Gründe dafür sind laut Klaus und Thiele (2007,
S. 147) u. a. in einem „undifferenzierten Publikumsbegriff“ zu suchen, der „das
Publikum als bedrohliche Masse von manipulierbaren KonsumentInnen“ erscheinen
lässt und Auswege lediglich in der Gewinnung von Verfügungsmacht über die
Produktionsmittel der Medien sieht.
Deutlicher präsent in gegenwärtigen medien- und kommunikationswissenschaft-
lichen Arbeiten sind die Bezugnahmen auf Vertreter der zweiten Generation der
Frankfurter Kritischen Theorie – und hier insbesondere auf Jürgen Habermas (1995),
dessen Hauptaugenmerk sich auf die Frage der Sicherung der demokratischen
Öffentlichkeit richtet. Die prominent von Nancy Fraser (2001) vorgebrachte Kritik
an seinem Öffentlichkeitsmodell, den Vorstellungen von deliberativer Demokratie
und politischer Öffentlichkeit, bezüglich derer Habermas den Ausschluss von
Frauen zunächst ausblendete, ist von der feministischen Medien- und Kommunika-
tionswissenschaft aufgegriffen worden. Dies hat theoretische wie empirische Pro-
jekte befördert (Wischermann 2003) und wirkt instruktiv bis in aktuelle Arbeiten zu
feministischen Internetöffentlichkeiten hinein (Drüeke und Klaus 2017).
Vorliegende Arbeiten zur politischen Ökonomie von Medien (im deutsch-
sprachigen Raum z. B. Arbeiten von Horst Holzer, Andrea Grisold, Manfred Kno-
che, Werner A. Maier, Christian Fuchs) verbinden marxistische und kritische Über-
legungen, insofern jedwede Kommunikation aus den beiden Perspektiven heraus als
durch das kapitalistische Gesellschaftssystem und kapitalistische Eigentumsverhält-
nisse strukturiert analysiert wird. In einer feministischen Verbindung materialisti-
scher kritischer Theorien mit emanzipatorischen Zielen (Ansatzpunkte liefert
z. B. Ganz 2017) liegen Potenziale für eine Medienforschung, die noch auszuloten
sind. Ansätze für eine feministische Gesellschafts- und Techniktheorie und eine
emanzipatorische Politik zu entwickeln ist damit eine Herausforderung gegenwärti-
ger Forschung, die an Arbeiten feministischer Theoretiker*innen wie Rosi Braidotti,
Donna Haraway und Lisa Nakamura anknüpfen kann.

3 Poststrukturalistische und dekonstruktivistische


Einflüsse auf feministische Medien- und
Kommunikationswissenschaft

Poststrukturalistische bzw. dekonstruktivistische Überlegungen aufnehmende, auch


als ‚postmodern‘ bezeichnete Ansätze,3 die auch in der feministischen Medien- und
Kommunikationsforschung aufgegriffen werden, nehmen im Vergleich zur klassi-
schen Kritischen Theorie deutlich eine andere Perspektive ein. Trotz aller Hetero-

3
Knapp (1998, S. 28) unterscheidet dabei postmoderne Theorien und Theorien der Postmoderne:
Postmoderne Theorien betrachten Postmoderne als epistemologische Position, während Theorien
der Postmoderne diese als Epochenbegriff auffassen.
Feministische Medien- und Kommunikationswissenschaft als kritische . . . 47

genität poststrukturalistisch orientierten Denkens lassen sich Grundcharakteristika


herausarbeiten: Ein gemeinsames Element z. B. besteht darin, Kritik nicht mit
Urteilen, sondern mit der steten Infragestellung von Handeln auf Grundlage von
Kategorien in Verbindung zu bringen. Ein solches Verständnis von Kritik zielt nicht
darauf zu bewerten, welche Bedingungen, Praktiken, Wissensformen, Diskurse gut
oder schlecht sind. Kritik zielt darauf, das spezifische System der Bewertung offen
zu legen (Butler 2009, S. 225) und zu zeigen, wie Wissen und Macht miteinander
verwoben sind, so dass scheinbare Gewissheiten (etwa entlang von Kategorisierun-
gen) bestehende Ordnungen affirmieren und alternative verwerfen. Sabine Hark
(2009, S. 29) etwa beschreibt feministische Kritik als Praxis, die Regime der Ver-
ständlichkeit daraufhin befragt, wessen und welches (geschlechtliche und sexuelle)
Sein und Sprechen ermöglicht und wessen Sein und Sprechen verunmöglicht wird –
auch durch feministisches Wissen. Seit den 1990er-Jahren werden Dekonstruktions-
ansätze auch in der Medienforschung aufgegriffen. Im deutschsprachigen Kontext
untersucht früh etwa Ute Bechdolf (1997) Musikvideos in verschiedenen Fernseh-
sendern; dabei stellte sie für die 1990er-Jahre fest, dass die vielstimmigen Diskurse
über Weiblichkeit und Männlichkeit im Dispositiv der Zweigeschlechtlichkeit ange-
siedelt sind, dennoch aber im Anschluss an Foucault und Butler Verschiebungen und
Verwischungen innerhalb der dichotomen Geschlechterorganisation denkbar wer-
den. An solche poststrukturalistisch fundierte Überlegungen knüpfen Arbeiten jün-
gerer Autor*innen an (wie etwa Beiträge in Thomas et al. 2011; Villa et al. 2012).
Aus einer queer-feministischen Sicht begreift beispielsweise Antke Engel den
Abbau von sozialen Hierarchien und Normalitätsregimen als das zentrale Element
von Gesellschaftskritik. Die queer-feministischen Forderungen beinhalten aus einer
solchen Perspektive keine positiven Setzungen oder abstrakt vereinheitlichte Ziele
wie egalitäre Partizipation, individuelle Freiheit oder Verteilungsgerechtigkeit
(Engel 2005, S. 276). Dennoch lassen sich klare Urteilskriterien bereitstellen, um
kontextspezifisch zu fragen, ob konkrete Hierarchien und konkrete Normalitäts-
zwänge abgebaut oder verstärkt werden. Die Frage, welche Hierarchien und Norma-
litäten als problematisch angesehen werden, soll dabei bewusst offen gehalten
werden und politisch umstritten sein – Vertreter*innen streben mit den Kriterien
der Denormalisierung und Enthierarchisierung einen relativen normativen Horizont
an. Mit dem Ziel, das Wissen um die Verwobenheit von kulturellen und sozio-
ökonomischen Strukturen in politisches Handeln zu übersetzen, sollen auf diese
Weise zugleich kulturelle, soziale wie politische Unterdrückungsmechanismen
grundlegend in Frage gestellt werden. Queer Media Studies beziehen sich auf
unterschiedliche theoretische und philosophische Strömungen, wie etwa einen von
Adrienne Rich vertretenen marxistischen, radikalen und lesbischen Feminismus
oder einen maßgeblich von Judith Butler geprägten queerfeministischen, dekon-
struktiven Poststrukturalismus (Rauchut 2019). Früher als im Bereich der Fernseh-
analyse, wo Serien wie The L-Word (Braidt 2009; Maier 2010; Hohenberger 2011;
Strube 2012) oder etwa Transparent (Krauß 2018) untersucht werden und danach
gefragt wird, wie in tradierte heteronormative Repräsentationen und Blickregime
interveniert werden kann (Loist 2018; Maier 2018), wurde die Forschungsrichtung
im Bereich der Filmanalyse aufgenommen (Butler 1993). Entsprechend rief die
48 T. Thomas

Filmwissenschafterin Ruby Rich schon Anfang der 1990er-Jahre ein ‚Queer New
Cinema‘ aus (zuletzt Brunow und Dickel 2018).
Verbindungen zwischen verschiedenen gesellschaftstheoretischen Bezugnah-
men schafft u. a. Angela McRobbie, die als prominente feministische Stimme der
Cultural Studies mit dem Band „Top Girls“ auch in der deutschsprachigen Debatte
sehr präsent geworden ist. Sie greift auf poststrukturalistische wie auf ideologie-
theoretische Elemente zurück und begründet ihre Schlussfolgerungen u. a. mit
Analysen von Fernsehsendungen, Filmen und Werbeanzeigen: Ihre Arbeiten und
ihre Kritik u. a. am „Warenfeminismus“, der weder politische noch ökonomische
Verhältnisse hinterfragt, sind zu einem Bezugspunkt vielfältiger Analysen etwa
von popfeministischen Zeitschriften (Thomas und Kruse 2013) sowie von Cas-
tingshows wie „Germany’s Next Topmodel“ und deren Rezeption (Stehling 2011,
2015) geworden.
Den Bezug auf poststrukturalistische Überlegungen und Verbindungen zur mar-
xistischen Theorie suchen teilweise Postkoloniale Theorieansätze wie auch Vertre-
ter*innen der Critical Studies of Whiteness. Die Heterogenität des Forschungsfeldes
macht es schwierig, postkoloniale Theorien knapp zu charakterisieren; die Untersu-
chung von Machtformen – Ethnozentrismus bzw. Eurozentrismus „als kulturelle
Varianten von Kolonialismus und Neokolonialismus“ – sowie „ein Interesse an der
diskursiven Macht und den globalen Effekten des Neoliberalismus“ (Kerner 2009,
S. 253) werden verbunden mit einer Kritik u. a. an dichotomisierenden Differenz-
setzungen. Gayatri Chakravorty Spivak und Chandra Talpade Mohanty sind in
diesem Kontext als zentrale feministische Referenzen zu nennen; sie verfolgen
ähnliche Agenden, ihr theoretischer Hintergrund ist dabei erkennbar unterschiedlich:
Spivaks Arbeiten haben ihr die Bezeichnung „feministisch marxistische Dekon-
struktivistin“ (MacCabe 1998, zit. nach Castro und Dhawan 2005, S. 57) eingebracht,
Mohanty steht für Standpunktfeminismus und Sozialkonstruktivismus (ausführlich
Kerner 2009).4 Einen Überblick zu medien-, kommunikations- und kulturwissen-
schaftlichen Arbeiten, die sich auf Postkoloniale Theorien beziehen, liefert Ulrike
Bergermann (2012). Sie teilt diese in verschiedene Felder ein und verweist beispiels-
weise auf Arbeiten, die Sprache, Sprechen und Schrift in ihrer Verwobenheit mit
Visualität, Blick, Räumlichkeit und Perspektive als konstitutive Elemente in der
Hervorbringung von ‚othering‘ erkennbar machen, und benennt Gayatri Chakra-
vorty Spivak, Homi Bhabha und Benedict Anderson als wichtige Referenzen. Wenig
diskutiert sind Verschränkungen von Überlegungen der Critical Whiteness Studies,
von postkolonialen Theorien und Feminismus, die weiterführende Potenziale auch
für medien- und kommunikationswissenschaftliche Studien offenlegen könnten.
Kerner (2009) erinnert an Hazel Carby, die schon in den 1980er-Jahren appellierte:
„White Women listen! Black Feminism and The Boundaries of Sisterhood“. Carby
nahm die heute unter den Stichworten „Intersektionalität“ (Winker und Degele 2009)

4
Castro und Dhawan (2005, S. 63) weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Spivak nicht
zwischen Feminismus, Dekonstruktion und Marxismus zu vermitteln suche, sondern es ihr daran
gelegen sei, Leerstellen und Begrenzungen aufzuzeigen – dies ziele auf ein dekonstruktives
„Wieder-Lesen“ Marx’scher Konzepte.
Feministische Medien- und Kommunikationswissenschaft als kritische . . . 49

oder „Interdependenz“ (Walgenbach et al. 2007) formulierte Einsicht vorweg, dass


Geschlecht nicht von anderen Kategorien wie Klasse, Ethnizität, ‚Rasse‘, Alter,
Hautfarbe entkoppelt werden kann. Wie der Ansatz der Intersektionalität als ein
Versuch, die Verwobenheit von Ungleichheitskategorien und Herrschaftsverhältnis-
sen zu berücksichtigen, auch für eine empirisch fundierte Internetforschung genutzt
werden kann, demonstrieren Carstensen und Winker (2012). Weiterführende Per-
spektiven eröffnet u. a. das Schwerpunktheft „Intersektionalität“ des Medien Jour-
nals aus dem Jahr 2014, die Herausforderungen empirischer Umsetzung inter-
sektional angelegter Studien in der Kommunikations- und Medienwissenschaft
diskutiert Martina Thiele (2019) (siehe auch Gouma und Dorer 2019).

4 Gegenwärtige Herausforderungen einer feministischen


Medien- und Kommunikationswissenschaft

Als gesellschaftstheoretisch fundierter Forschungsansatz ist die feministische


Medien- und Kommunikationswissenschaft durch Veränderungen im Wissen-
schaftssystem, durch medientechnologische sowie gesellschaftliche Entwicklungen
gefordert – nur schlaglichtartig können hier einige daraus resultierende Herausfor-
derungen angesprochen werden:
Auf den eingangs geschilderten Wandel der Hochschulen mit den entsprechenden
Herausforderungen reagieren feministische Forscher*innen mit Konzepten wie
„slow scholarship“ (Hartman und Darab 2012; Mountz et al. 2015), das solidari-
sche Wissensproduktion gegen einen durchkapitalisierten Wissensbetrieb zu eta-
blieren versucht und zunehmend Öffentlichkeit über dessen Bedingungen herstellt.
In der ‚unternehmerischen Hochschule‘ sind Verwertbarkeitsansprüche an wissen-
schaftliche Wissensproduktion mit Transparenz und verbesserter Entscheidungsqua-
lität verheißenden quantifizierenden Verfahren verbunden, die scheinbar objektive
Beurteilungskriterien herstellen – die Autorinnen des von Hark und Hofbauer (2018)
edierten Bandes diskutieren u. a. die Folgen dieser Entwicklungen für Gender
Studies, Karriereverläufe von Wissenschaftler*innen sowie mögliche Entgegnun-
gen. Ebenso wie feministische Theoriebildung dem Objektivitäts- und Wahrheitsan-
spruch tradierter akademischer Wissenschaft die Reflexion der Situierung des eige-
nen Wissens, der Erkenntnisperspektiven und -strategien entgegengesetzt und neue
epistemologische und politische Praktiken entwickelt hat (Harding 1991; Haraway
1995), sind das Verständnis und die Bedingungen von ‚Vermessung‘‚ aber auch
‚Verwertbarkeit‘ immer wieder neu zu dekonstruieren und politisch zu reflektieren:
Verstehen wir feministische Theorie als Denkform, die sich zentral auf das norma-
tive Konzept von Gerechtigkeit bezieht – und hier mache ich keinen kategorischen
Unterschied zwischen Ansätzen in der Tradition der Kritischen Theorie der Frank-
furter Schule bis hin zu poststrukturalistischen feministischen Ansätzen, die sich
zwar universalisierenden Ansprüchen, aber keineswegs einem normativen Horizont
entziehen –, dann ist auch öffentlich viel mehr zu diskutieren, wie Wissenschaft für
mehr Gerechtigkeit in ‚verwertbare‘ Praxis übersetzt werden kann, wie Forschende
basierend auf Erkenntnissen um situiertes Wissen und privilegierte Positionen der
Wissensproduktion in „Arbeitsbündnissen“ (Resch und Steinert 2003) bessere
50 T. Thomas

Bedingungen herstellen können für eine emanzipatorische5 und demokratiebeför-


dernde Wissenschaft.
Feministische Medien- und Kommunikationswissenschaft ist zudem besonders
durch medientechnologische Entwicklungen hinsichtlich Theorieentwicklung und
empirischer Forschung herausgefordert: Digitalisierungsprozesse produzieren eine
neue „feministische Baustelle“, sie „restrukturieren das Politische und das Soziale“
(Freudenschuss 2014, S. 9). Bisher liegen auch fast vier Jahre nach dem Erscheinen
eines Schwerpunktheftes der femina politica zum Thema Digitalisierung zwischen
Utopie und Kontrolle im deutschsprachigen Kontext noch nicht allzu viele Beiträge
einer feministischen Medien- und Kommunikationsforschung vor, die sich einge-
hender dem Problem stellen – obschon, so Freudenschuss (2014, S. 19), „feminis-
tische Denklinien und Praxen – in der Problemanalyse ebenso wie in deren politisch-
theoretischer Bearbeitung – [. . .] ein kritisches und konstruktives Werkzeug für
diese Baustellen“ bieten. Diese betreffen – hier folge ich im Wesentlichen der
instruktiven Dimensionierung der Forschungsfelder durch Freudenschuss (2014,
S. 9) – die digitalen Infrastrukturen (und damit ihre Materialität und/oder ideolo-
giekritische Perspektiven auf „algorithmic governance“) und korrespondierende
Subjektivierungsweisen, neue Handlungsräume durch digitale Technologien in sich
verändernden Öffentlichkeiten (die u. a. Begegnungsräume und Kommunikations-
praxen für transnationalen feministischen Aktivismus, schnelle Intervention und
Solidarisierung, aber auch Ausschlüsse, Überwachung, Kontrolle und maskulinisti-
sche, antifeministische Angriffe ermöglichen), veränderte Perspektiven auf ‚Kör-
perSubjekte‘, Körperbilder und Körperpolitiken im Netz (etwa in Games) oder neue
Denkweisen und Wissenspolitiken (etwa des Erinnerns, Publizierens, Archivierens).
Schließlich fordern gesellschaftliche Entwicklungen wie das Erstarken rechtspo-
pulistischer Bewegungen die feministische Medien- und Kommunikationswissen-
schaft heraus, indem sie europaweit das gleichstellungspolitisch Erreichte in Frage
stellen. Angesichts der Erweiterung der Angriffe auf diejenigen, die sich an Univer-
sitäten, in Einrichtungen der Gleichstellungspolitik und der sozialen Arbeit für die
Rechte von Frauen* einsetzen und angesichts antifeministischer medialer Diskurse,
die sich – eingedenk etwa des hier nur exemplarisch erwähnten, im April 2018 in Die
Zeit publizierten Beitrags über „totalitären Feminismus“ von Jens Jessen – auch
weite Öffentlichkeitsarenen erschlossen haben, kommt der Stärkung einer For-
schungslandschaft, die den Feminismusbegriff explizit positiv aufgreift und vertei-
digt, große Bedeutung zu. Eine Neujustierung des Öffentlichkeitsbegriffs (Drüeke
und Klaus 2014, 2017), Analysen u. a. der „ambivalenten Verflechtungen von
Rassismus, Sexismus und Feminismus in der Gegenwart“ sowie die Rolle medialer
Diskurse im Kontext der Kölner Silvesternacht im Jahr 2015/2016 (Hark und Villa
2017) und auch digitaler feministischer Intervention (Drüeke und Zobl 2013, 2016
diskutieren dies mit Blick auf den Hashtag #aufschrei, Kornemann 2018 auch unter
Einbezug des Hashtags #ausnahmslos) sind dabei Herausforderungen für eine femi-

5
Der Emanzipationsbegriff ist dabei freilich selbst zu reflektieren (vgl. hierzu u. a. Birkle et al.
2012) und zu bedenken, dass kritische Theorie als intellektuelles Projekt nicht umstandslos in
emanzipatorische Praxis mündet (Hark 2005, S. 69).
Feministische Medien- und Kommunikationswissenschaft als kritische . . . 51

nistische Medien- und Kommunikationswissenschaft, die sich an der Kritik an einer


diskursiven „Fundamentalisierung“ und deren gesellschaftlichen Folgen (Dietze
2016) beteiligen will.

5 Fazit: Perspektiven und Potenziale feministischer Medien-


und Kommunikationsforschung

„Feministische Denklinien und Praxen“, so möchte ich mit Freudenschuss (2014,


S. 19) noch einmal bekräftigen, liefern „in der Problemanalyse ebenso wie in deren
politisch-theoretischer Bearbeitung [. . .] ein kritisches und konstruktives Werkzeug“
für feministische Forschung in Medienkulturen. Ein Aufarbeiten feministischer
Theoriebildung unterschiedlicher gesellschaftstheoretischer Fundierung auch im
deutschsprachigen Raum (Peters und Seier 2016; Thomas und Wischermann
2019), wie sie nicht zuletzt mit dem vorliegenden Band betrieben wird, erweitert
dabei die Voraussetzungen für eine (inter-)disziplinär wie gesellschaftlich bedeut-
same feministische Medien- und Kommunikationsforschung. Feministische Wissen-
schaft liefert darüber hinaus strategische Überlegungen für eine eingreifende politi-
sche Praxis. So hat Chanda Talpade Mohanty (1988) vorgeschlagen, jenseits einer
homogenisierenden und Differenzen ignorierenden Bezugnahme auf ein Kollektiv-
subjekt ‚Frau‘ „strategische Koalitionen basierend auf Generalisierungen und pro-
visorischen Einheitlichkeiten“ zu entwickeln. Gayatri Chakravorty Spivak (1993)
hat in Forschung und Politik für einen ‚strategischen Essentialismus‘ (Spivak 1993)
plädiert, Gabriele Dietze mit Ela Haschemi Yekani und Beatrice Michaelis (2007)
für einen ‚strategischen Kategorialismus‘. Die von Antke Engel (2005) vorgeschla-
gene Methode der ‚VerUneindeutigung‘ (Engel 2005) von kategorialen Zuordnun-
gen oder die von Isabell Lorey (2008) geforderte ‚Entunterwerfung‘, mit der sie
„reflektierte Unfügsamkeit“ nicht als Praxis Einzelner, sondern als kollektiven
Prozess entwirft, liefern vielfältige Anregungen auch für solidarische Projekte einer
‚slow scholarship‘ und für eine auf Gerechtigkeit zielende Medien- und Kommuni-
kationsforschung. Dabei bleiben Forderungen nach Orten und Ressourcen zentral,
die es feministischen (Medien- und Kommunikations-)Wissenschaftler*innen,
Gender-Expert*innen und ‚kompetenten Gesellschaftsmitgliedern‘ ermöglichen,
in ein produktives Ringen um gesellschaftstheoretisch fundierte kritische Positio-
nen in transdisziplinären Projekten einzutreten, um diese auch in Öffentlichkeiten
zu tragen, in denen diese ausgesprochen wie gehört und erfahren werden können.

Literatur
Bechdolf, Ute. 1997. Vom Ultra-Sexismus zum emanzipatorischen Innovationsraum? Geschlecht in
Musikvideos. Das Argument 223:787–798.
Becker-Schmidt, Regina. 2004. Doppelte Vergesellschaftung von Frauen: Divergenzen und Brü-
ckenschläge zwischen Privat- und Erwerbsleben. In Handbuch Frauen- und Geschlechterfor-
schung. Theorie, Empirie, Methoden, Hrsg. Ruth Becker und Beate Kortendiek, 62–71. Wies-
baden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
52 T. Thomas

Bergermann, Ulrike. 2012. Postkoloniale Medienwissenschaft. Mobilität und Alterität von Ab/Bil-
dung. In Schlüsselwerke der Postcolonial Studies, Hrsg. Julia Reuter und Alexandra Karentzos,
267–279. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Birkle, Carmen, Ramona Kahl, Gundula Ludwig, und Susanne Maurer. 2012. Emanzipation und
feministische Politiken. Verwicklungen, Verwerfungen, Verwandlungen. Sulzbach: Ulrike Hel-
mer.
Braidt, Andrea. 2009. „This is the way we live . . . and love“. Zur Konstruktion von Liebesver-
hältnissen in der seriellen Erzählung von The L Word. In Love me or leave me – Liebes-
konstrukte in der Populärkultur, Hrsg. Doris Guth und Heide Hammer, 89–105. Frankfurt
a. M.: Campus.
Brunow, Dagmar, und Simon Dickel. 2018. Queer Cinema. Mainz: Ventil.
Butler, Judith. 1993. Bodies that matter. New York: Routledge.
Butler, Judith. 2009. Was ist Kritik? Ein Essay über Foucaults Tugend. In Was ist Kritik? Hrsg.
Rahel Jaeggi und Thilo Wesche, 221–247. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Camus, Celine, Katharina Kreissl, und Aline Oloff. Hrsg. 2016. Universitäten im Wandel –
Innenansichten aus der reformierten Hochschule. Feministische Studien 34(1).
Carstensen, Tanja, und Gabriele Winker. 2012. Intersektionalität in der Internetforschung. Medien
und Kommunikationswissenschaft 60(1): 3–23.
Castro Varela, María do Mar, und Nikita Dhawan. 2005. Postkoloniale Theorie. Eine kritische
Einführung. Bielefeld: transcript.
Dietze, Gabriele. 2016. Das ‚Ereignis Köln‘. Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politik-
wissenschaft 25(1): 93–102. https://doi.org/10.3224/feminapolitica.v25i1.23412.
Dorer, Johanna. 2008. Geschlechterkonstruktion im Prozeß der Rezeption politischer Berichterstat-
tung. In Medien – Politik – Geschlecht. Feministische Befunde zur politischen Kommunikati-
onsforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, und Regina Köpl, 172–187. Wiesbaden:
VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Dorer, Johanna, und Elisabeth Klaus. 2008. Feministische Theorie in der Kommunikationswissen-
schaft. In Theorien der Kommunikations- und Medienwissenschaft. Grundlegende Diskussio-
nen, Forschungsfelder und Theorieentwicklungen, Hrsg. Carsten Winter, Andreas Hepp, und
Friedrich Krotz, 91–112. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Drüeke, Ricarda, und Elisabeth Klaus. 2014. Öffentlichkeiten im Internet: Zwischen Feminismus
und Antifeminismus. Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft 23(2):
59–70.
Drüeke, Ricarda, und Elisabeth Klaus. 2017. Medien im Spannungsfeld zwischen Kulturindustrie,
Neoliberalismus und Medienhandeln. Das Spektrum kritischer Medienanalyse. In Handbuch
Kritische Theorie, Hrsg. Ulrich Bittlingmeyer, Alex Demirovic, und Tatjana Freytag. Wiesba-
den: Springer VS. [Online First].
Drüeke, Ricarda, und Elke Zobl. 2013. #aufschrei als GegenÖffentlichkeit – eine feministische
Intervention in den Alltagssexismus? Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politikwis-
senschaft 22(3): 125–128.
Drüeke, Ricarda, und Elke Zobl. 2016. Online feminist protest against sexism: the German-
language hashtag #aufschrei. Feminist Media Studies, 16(1): 35–54.
Engel, Antke. 2005. Entschiedene Interventionen in der Unentscheidbarkeit. Von queerer Identitäts-
kritik zu VerUneindeutigung als Methode. In Forschungsfeld Politik. Geschlechterkategoriale
Einführung in die Sozialwissenschaften, Hrsg. Cilja Harders, Heike Kahlert, und Delia Schind-
ler, 259–283. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Fraser, Nancy. 2001. Transnationalisierung der Öffentlichkeit. Legitimität und Effektivität der
öffentlichen Meinung in der postwestfälischen Welt. In Die halbierte Gerechtigkeit, Hrsg.
Nancy Fraser, 224–253. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Freudenschuss, Magdalena. 2014. Digitalisierung: eine feministische Baustelle – Einleitung. Femi-
nina Politica. Zeitschrift für Politikwissenschaft 23(2): 9–21.
Ganz, Kathrin. 2017. Vom freien Internet zur postdigitalen Gesellschaft. Politische Ökonomie im
Diskurs der Netzbewegung. PROKLA 47(186/1): 27–42.
Feministische Medien- und Kommunikationswissenschaft als kritische . . . 53

Gouma, Assimina, und Johanna Dorer. 2019. Intersektionalität: Methodologische und methodische
Herausforderung für die feministische Medienforschung. In Handbuch Medien und Geschlecht:
Perspektiven und Befunde der feministischen Kommunikations- und Medienforschung, Hrsg.
Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesbaden: Springer
Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_81-1.
Habermas, Jürgen. 1995. Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einem Kriterium
der bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Haraway, Donna. 1995 [engl. 1991]. Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen.
Frankfurt a. M./New York: Campus.
Harding, Sandra. 1994 [engl. 1991]. Das Geschlecht des Wissens. Frauen denken Wissenschaft neu.
Frankfurt a. M./New York: Campus.
Hark, Sabine. 2005. Dissidente Partizipation. Eine Diskursgeschichte des Feminismus. Frankfurt
a. M.: Suhrkamp.
Hark, Sabine. 2009. Was ist und wozu Kritik? Über Möglichkeiten und Grenzen feministischer
Kritik heute. Feministische Studien 27(1): 22–35.
Hark, Sabine, und Johanna Hofbauer, Hrsg. 2018. Vermessene Räume, gespannte Beziehungen.
Unternehmerische Universitäten und Geschlechterdynamiken. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Hark, Sabine, und Paula Irene Villa. 2017. Unterscheiden und Herrschen. Ein Essay zu den
ambivalenten Verflechtungen von Rassismus, Sexismus und Feminismus in der Gegenwart.
Bielefeld: transcript.
Hartman, Yvonne, und Sandy Darab. 2012. A call for slow scholarship. A case study on the
intensification of academic life and its implications for policy. Review of Education, Pedagogy,
and Cultural Studies 34(1–2): 49–60.
Haug, Frigga. 2004. Sozialistischer Feminismus: Eine Verbindung im Streit. In Handbuch Frauen-
und Geschlechterforschung, Hrsg. Ruth Becker und Beate Kortendiek, 49–55. Wiesbaden: VS
Verlag für Sozialwissenschaften.
Haug, Frigga. 2009. Feministische Initiative zurückgewinnen – eine Diskussion mit Nancy Fraser.
In Das Argument 281: Elemente eines neuen linken Feminismus, 393–409. Hamburg: Argu-
ment.
Haug, Frigga, Hrsg. 2010. Briefe aus der Ferne. Anforderungen an ein feministisches Projekt heute.
Hamburg: Argument.
Haug, Frigga. 2015. Der im Gehen erkundete Weg. Marxismus – Feminismus. Hamburg: Argument.
Haug, Frigga, und Brigitte Hipfl. 1995. Sündiger Genuß? Filmerfahrungen von Frauen. Hamburg:
Argument.
Kerner, Ina. 2009. Jenseits organischer Schwesternschaft. Zu Feminismus, postkolonialen Theorien
und Critical Whiteness Studies. In Kritik des Okzidentalismus. Transdisziplinäre Beiträge zu
(Neo)Orientalismus und Geschlecht, Hrsg. Gabriele Dietze, Claudia Brunner, und Edith Wen-
zel, 251–270. Bielefeld: transcript.
Klaus, Elisabeth, und Ricarda Drüeke, Hrsg. 2017. Öffentlichkeiten und gesellschaftliche Aushand-
lungsprozesse. Theoretische Perspektiven und empirische Befunde. Bielefeld: transcript.
Klaus, Elisabeth, und Martina Thiele. 2007. Spannungsfelder zwischen Politischer Ökonomie und
Cultural Studies. In Politische Ökonomie der Medien, Hrsg. Christian Steininger, 137–159.
Wien/Berlin: Lit.
Klinger, Cornelia, und Gudrun Axeli Knapp. 2007. Achsen der Ungleichheit – Achsen der
Differenz. Verhältnisbestimmungen von Klasse, Geschlecht, „Rasse“, Ethnizität. In Achsen
der Ungleichheit. Zum Verhältnis von Klasse, Geschlecht und Ethnizität, Hrsg. Cornelia Klin-
ger, Gudrun Axeli Knapp, und Birgit Sauer, 19–41. Frankfurt a. M.: Campus.
Knapp, Gudrun-Axeli, Hrsg. 1998. Kurskorrekturen. Feminismus zwischen Theorie und Postmo-
derne. Frankfurt a. M.: Campus.
Kornemann, Laureen. 2018. Die Sexismus-Debatte in der deutschen Öffentlichkeit – Brüderle
vs. #aufschrei. In Politischer Journalismus im Fokus der Journalistik, Hrsg. Margreth Lünen-
borg und Saskia Sell, 369–390. Wiesbaden: Springer VS.
54 T. Thomas

Krauß, Florian. 2018. Ist Trans das neue Queer? Transgender Repräsentationen in der Webserie
TRANSPARENT. In Queer Cinema, Hrsg. Dagmar Brunow und Simon Dickel, 165–189.
Mainz: Ventil.
Loist, Skadi. 2018. Please Relax Now. Vika Kirchenbauers Interventionen in Repräsentations- und
Rezeptionsregime. In Anerkennung und Sichtbarkeit. Perspektiven für eine kritische Medien-
kulturforschung, Hrsg. Tanja Thomas, Lina Brink, Elke Grittmann, und Kaya de Wolff,
235–252. Bielefeld: transcript.
Lorey, Isabell. 2008. Kritik und Kategorie. Zur Begrenzung politischer Praxis durch neuere
Theoreme der Intersektionalität, Interdependenz und Kritischen Weißseinsforschung. http://
www.eipcp.net/transversal/0806/lorey/de. Zugegriffen am 25.12.2018.
Maier, Tanja. 2010. Das Alltägliche im Nicht-Alltäglichen. Geschlecht, Sexualität und Identität in
THE L WORD. In Alltag in den Medien – Medien im Alltag, Hrsg. Jutta Röser, Tanja Thomas,
und Corinna Peil, 104–118. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Maier, Tanja. 2018. Von der Repräsentationskritik zur Sichtbarkeitspolitik. In Kommunikationswis-
senschaftliche Gender Studies. Zur Aktualität kritischer Gesellschaftsanalyse, Hrsg. Ricarda
Drüeke, Elisabeth Klaus, Martina Thiele, und Julia Elena Goldmann, 77–90. Bielefeld: tran-
script.
Mohanty, Chandra Talpade. 1988. Aus westlicher Sicht: feministische Theorie und koloniale
Diskurse. Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis: Modernisierung der Ungleichheit –
Weltweit, 11(23): 149–162.
Mountz, Alison, et al. 2015. For slow scholarship: A feminist politics of resistance through
collective action in the neoliberal university. ACME: An International Journal for Critical
Geographies 14(4): 1235–1259.
Peters, Kathrin, und Andrea Seier, Hrsg. 2016. Gender & Medien-Reader. Zürich: Diaphanes.
Rauchut, Franziska. 2019. Queer (Media) Studies. In Feministische Theorie und Kritische Medien-
kulturanalyse, Hrsg. Tanja Thomas und Ulla Wischermann, 127–140. Bielefeld: transcript.
Resch, Christine, und Heinz Steinert. 2003. Die Widerständigkeit der Kunst. Entwurf einer Inter-
aktionsästhetik. Münster: Westfälisches Dampfboot.
Spivak, Gayatri Chakravorty. 1993. Ouside the teaching machine. London: Routledge.
Stehling, Miriam. 2011. Die ‚Unternehmerin ihrer selbst‘ im Reality TV: Geschlechtsspezifische
Anrufungen und Aushandlungen in Germany’s Next Topmodel. In Dekonstruktion und Evi-
denz: Ver(un)sicherungen in Medienkulturen, Hrsg. Tanja Thomas, Steffi Hobuß, Merle-Marie
Kruse, und Irina Hennig, 112–129. Sulzbach am Taunus: Ulrike Helmer Verlag.
Stehling, Miriam. 2015. Die Aneignung von Fernsehformaten im transkulturellen Vergleich. Eine
Studie am Beispiel des Topmodel-Formats. Wiesbaden: Springer.
Strube, Miriam. 2012. Dressed for success. Lifestyle and The L Word. In Banale Kämpfe? Sozial-
und kulturwissenschaftliche Perspektiven auf Gesellschaftsverhältnisse in der Populärkultur,
Hrsg. Paula Irene Villa, Julia Jäckel, Zara S. Pfeiffer, Nadine Sanitter, und Ralf Steckert,
195–210. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Thiele, Martina. 2019. Intersektionalität und Kommunikationsforschung: Was mit Medien?
In Feministische Theorie und Kritische Medienkulturanalyse, Hrsg. Tanja Thomas und Ulla
Wischermann, 163–178. Bielefeld: transcript.
Thomas, Tanja, und Merle-Marie Kruse. 2013. „Post“– „Pop“– „Pseudo“? – Zur Diskussion
popfeministischer Zeitschriften als Arenen der (Re-)Artikulation feministischer Öffentlichkei-
ten. In Neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit(en) – Öffentlichkeitstheorien und Ungleichhei-
ten: Eine Bestandsaufnahme aus der Perspektive der Gender Studies, Hrsg. Birgit Riegraf,
163–190. Münster: Westfälisches Dampfboot.
Thomas, Tanja, und Ulla Wischermann, Hrsg. 2019. Feministische Theorie und Kritische Medien-
kulturanalyse. Bielefeld: transcript.
Thomas, Tanja, Steffi Hobuß, Irina Hennig, und Merle-Marie Kruse, Hrsg. 2011. Dekonstruktion
und Evidenz: Ver(un)sicherungen in Medienkulturen. Sulzbach/Taunus: Ulrike Helmer Ver-
lag.
Feministische Medien- und Kommunikationswissenschaft als kritische . . . 55

Villa, Paula Irene, Julia Jäckel, Zara S. Pfeiffer, Nadine Sanitter, und Ralf Steckert, Hrsg.
2012. Banale Kämpfe. Perspektiven auf Populärkultur und Geschlecht. Wiesbaden: Sprin-
ger VS.
Walgenbach, Katharina, Gabriele Dietze, Antje Hornscheidt, und Kerstin Palm. 2007. Gender als
interdependente Kategorie. Neue Perspektiven auf Intersektionalität, Diversität und Heteroge-
nität. Opladen/Farmington Hills: Barbara Budrich.
Winker, Gabriele, und Nina Degele. 2009. Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten.
Bielefeld: transcript.
Wischermann, Ulla. 2003. Frauenbewegungen und Öffentlichkeiten. Netzwerke, Gegenöffentlich-
keiten und Protestinszenierungen einer sozialen Bewegung um 1900. Königstein: Ulrike Helmer
Verlag.
Phänomene des Werdens:
Intersektionalität, Queer, Postcolonial,
Diversity und Disability Studies als
Orientierungen für die Medienforschung

Waltraud Ernst

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
2 Jenseits von Geschlechterbinarität und Heteronormativität: Queer Studies . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
3 Intersektionalität oder Postkategorialität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
4 Behindert werden: Disability Studies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
5 Diversity oder Queerversity? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
6 Postkolonial – dekolonial – postmigrantisch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
7 Fazit: Medien und Geschlecht als Phänomene des Werdens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

Zusammenfassung
Medien und Geschlecht können als vielfältig miteinander verknüpfte Phänomene
des Werdens erforscht werden. Diese methodologische Betrachtung untersucht
Medialisierung von Geschlecht und Vergeschlechtlichung von Medien daher als
Prozesse, die intersektional mit anderen Kategorisierungen und Diskriminierun-
gen verknüpft sind. Unter Berücksichtigung von Intersektionalität sowie Per-
spektiven aus den Queer, Postcolonial, Diversity und Disability Studies werden
Orientierungen für eine anti-rassistische, queer-feministische Medienforschung
entwickelt. Als epistemologische Orientierung dient der agentielle Realismus
Karen Barads, der Forschungsprozesse ebenso in diese Phänomene des Werdens
einschließt.

Schlüsselwörter
Intersektionalität · Queer · Postcolonial Studies · Diversity · Disability Studies ·
Agentieller Realismus

W. Ernst (*)
Institut für Frauen- und Geschlechterforschung, Johannes Kepler Universität Linz, Linz, Österreich
E-Mail: waltraud.ernst@jku.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 57
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_6
58 W. Ernst

1 Einleitung

Medien und Geschlecht können als ambivalente, historisch vielfältige sowie vielfäl-
tig miteinander verknüpfte und widersprüchliche Phänomene des Werdens erforscht
werden. Eine aktuelle methodologische Betrachtung anti-rassistischer, queer-femi-
nistischer Medienforschung unter Berücksichtigung von Intersektionalität sowie
Perspektiven aus den Diversity, Queer, Postcolonial und Disability Studies scheint
daher vielversprechend. Um diesen vielfältigen Verknüpfungen Rechnung zu tragen,
wird vorgeschlagen, Medialisierung und Vergeschlechtlichung als Prozesse zu unter-
suchen, in denen Medien und Geschlecht erst im sozio-kulturellen Zusammenhang
hergestellt werden und Ausdruck finden bzw. verständlich werden.
Um Prozesse der vergeschlechtlichten Medialisierung und der medialisierten
Vergeschlechtlichung zu verstehen, ist es darüber hinaus relevant, die materielle,
soziale und insbesondere auch die virtuelle Basis dieser Prozesse zu berücksichtigen
(Ernst 2020). Das heißt, Medien basieren auf Medientechnologien, durch welche
Zugänge zur Erkenntnis und Gestaltung von Wirklichkeit ermöglicht und gesteuert
werden (Schmidt 2021). Daher werden Medien hier auch als Werkzeuge verstanden,
das heißt, es wird gefragt, wie Prozesse der vergeschlechtlichten Medialisierung und
der medialisierten Vergeschlechtlichung untersucht werden können, die dominante
Medienstrategien unterwandern, diese entlarven oder diesen sogar entgegenstehen
und alternative Sichtweisen bzw. Analysen der Wirklichkeit anbieten (Nakamura
2002, 2013, 2020).
Die Vergeschlechtlichung in, von und durch Medien umfasst vielschichtige und
machtvolle Prozesse, die es zu erforschen gilt – gerade weil Medien das, was als
Wirklichkeit gilt, nicht nur vermitteln, sondern durch ihre weite Verbreitung und
vielfältige Nutzung auch hervorbringen (Thomas und Wischermann 2020; Dorer
und Geiger 2002). Wird Geschlecht dabei als Binarität hervorgebracht, als Unter-
scheidung zwischen zwei sich ausschließenden Geschlechtern Frau und Mann, die
als normal oder natürlich erscheint, muss dieser Hervorbringungsprozess aus Sicht
einer kritischen, transformativen und postkategorialen Mediengeschlechterfor-
schung näher untersucht werden. Ebenso muss analysiert werden, welche Rolle
vielfältiges erotisches Begehren und Vergnügen, sexuelle Praktiken und Beziehun-
gen in solchen medialen Normierungs-, Normalisierungs- und Naturalisierungspro-
zessen von Geschlecht spielen (Butler 2009). Wird Heterosexualität als einzige
denkbare Wirklichkeit inszeniert, oder wird bisexuelle, lesbische und schwule Liebe
als ebenso real präsentiert? Werden sexuelle Orientierungen als fix, angeboren und
unveränderbar dargestellt, oder (wie) erhält die Fluidität erotischer Bezogenheiten,
die Widersprüchlichkeit sexueller Praktiken und Vielfalt von Vergnügen, Beziehun-
gen und Lebensweisen medialen Raum? (Wie) werden plurisexuelle Orientierungen
und Identitäten thematisiert (Maliepaard und Baumgartner 2021)? Wird Geschlecht
dabei als z. B. europäisch, national oder scheinbar neutral, isoliert („frei“) von
anderen Hierarchisierungen inszeniert, müssen die medialen Herstellungsprozesse
untersucht werden, welche die mediale Normalisierung und scheinbare Neutralität
dieser Inszenierungen erzeugen. Denn wie gezeigt werden wird, ist die Ver-
geschlechtlichung von Personen, Gruppen oder Dingen immer aufs engste mit
Phänomene des Werdens: Intersektionalität, Queer, Postcolonial, Diversity . . . 59

anderen sozialen Normierungen und Hierarchisierungen verknüpft. Aufgrund von


tradierten diskriminierenden Vorstellungen – Rassismen, Klassismen, (Hetero-)
Sexismen und Ableismen – ist dies nicht allen Mediendesigner*innen, Mediennut-
zer*innen und Medienforscher*innen gleich bewusst. Daher wird im Folgenden
erläutert, welche konkreten Untersuchungen theoretische und methodische Orien-
tierung für eine intersektionale oder anti-rassistische queer-feministische Medien-
forschung, -produktion und -nutzung bieten können.

2 Jenseits von Geschlechterbinarität und


Heteronormativität: Queer Studies

Gibt es einen medialen Weg aus der repetitiven Normierung und Naturalisierung von
Geschlechtern und Sexualitäten als binär und heterosexuell? Queer Theory (Jagose
2001) und Queer Media Studies (Köppert 2019) haben hierfür Forschungsansätze
und -fragen vorgelegt. So beschreibt Jagose im genannten Referenzwerk, wie die
kritische Pointe der Queer Theory dort am greifbarsten wird, „wo der normative
Zusammenschluß von anatomischem Geschlecht, sozialem Geschlecht und Sexua-
lität kritisiert wurde. Das ist genau für diejenigen Versionen von Identität, Commu-
nity und Politik von zentraler Bedeutung, die scheinbar ‚natürlich‘ aus diesem
Zusammenschluß hervorgehen. Indem es sich weigert, eine feste Form anzunehmen,
hält queer eine Beziehung aufrecht zum Widerstand gegen alles, was das Normale
auszeichnet.“ (Jagose 2001, S. 127–128) Dieses subversive analytische Potenzial
von Queer Studies hinsichtlich Normen, Normativität und Normalisierung, vor
allem bezüglich (hetero-)normativ sexualisierter Vergeschlechtlichungen, heben
auch noch 20 Jahre später Wiegman und Wilson hervor: „While its focus and
theoretical inheritances vary, antinormativity reflects a broad understanding that
the critical force of queer inquiry lies in its capacity to undermine norms, challenge
normativity, and interrupt the processes of normalization – including the norms and
normativities that have been produced by queer inquiry itself.“ (Wiegman und
Wilson 2015, S. 4) „Queer thinking“ wird hier als auseinandersetzungsfähige,
mobile und dezentrale Praxis dargelegt (Wiegman und Wilson 2015, S. 3), die
methodisch auch auf die Untersuchung medialer Normierungsprozesse anwendbar
ist. Dabei ist es von Bedeutung, im Einzelnen genau herauszuarbeiten, wo und wie
die Normativität etabliert wird und sich manifestiert (Greif 2019). Erst dann ist zu
klären, auf welche Weise die Orientierung an einer „Antinormativität“ bei der
Medienproduktion und -nutzung sowie insbesondere bei der Medienforschung ins
Spiel gebracht werden kann. Im Folgenden wird dieser Ansatz des Sichtbarmachens
und Aufbrechens von Normativität durch einige methodisch und thematisch weg-
weisende Beispiele präzisiert.
Nicht alle Medien sind digital. Je nach Funktion (z. B. Wahlwerbung, Produkt-
werbung) stellen Plakate im öffentlichen Raum machtvolle und ausdruckstarke
mediale Instrumente dar. So untersucht Sushila Mesquita die „Herstellung normali-
sierender Sichtbarkeit“ durch eine Plakatkampagne für die Volksabstimmung zum
Schweizer Partnerschaftsgesetz im Jahr 2005 und kommt zu dem Ergebnis, dass
60 W. Ernst

„über das Zitieren des heteronormativen Bilderrahmens eine anerkennungswürdige


Sichtbarkeit von Schwulen und Lesben hergestellt [wurde], die wesentlich auf deren
verniedlichender Entsexualisierung und Entpolitisierung beruht.“ (Mesquita 2015,
S. 83). Es gelang zwar, die Mehrheit (58 %) der Schweizer Wahlbevölkerung zur
Zustimmung zu bewegen, die Plakate veranschaulichen Mesquita zufolge allerdings
nur zu deutlich, dass das Schweizer Partnerschaftsgesetz ein klar definiertes Nor-
malisierungsangebot für ganz bestimmte schwullesbische Partner*innenschaften
macht, „um diese dann als Fürsorge- bzw. Verantwortungsgemeinschaften zu for-
matieren“ (Mesquita 2015, S. 77). Die Autorin arbeitet die einzelnen Normalisie-
rungsaspekte schrittweise nachvollziehbar und detailliert heraus, daher kann die
Arbeit als methodische Orientierung für weitere anti-rassistische, queer-feministi-
sche Medienforschung dienen.
In ähnlich präziser Weise vermag eine Studie zur historischen Entfaltung des
Diskurses zum „Transsexuellengesetz“ in Deutschland die Verschiebungen in der
Normativität von Geschlechtervorstellungen im Laufe eines über 50-jährigen Pro-
zesses aufzuzeigen. Adrian de Silva (2018) veranschaulicht die Diskursivität von
Geschlecht in der interdisziplinären Debatte zur Reform des Transsexuellengesetzes
2009. Dabei wird die Gültigkeit, bestimmte geschlechtliche Verkörperungen als
‚gesund‘ und ‚normal‘ von anderen als ‚krank‘ oder ‚abnormal‘ zu unterscheiden,
in Frage gestellt. Obwohl die Reform auf der gesetzlichen Ebene nicht stattgefunden
hat, kommt der Autor zu dem Ergebnis, dass unter dem Druck sozialer Bewegungen
die Heterogenität geschlechtlicher Verkörperungen und Geschlechterbinarität selbst
politische Themen geworden sind. Dabei kommt – am Rande – auch die Rolle der
Medien und der Medialisierung zur Sprache. Demnach zeigen diese Entwicklungen,
dass die Hegemonie der Heteronormativität als soziale Konstruktion dynamisch,
umkämpft und prinzipiell verhandelbar ist (de Silva 2018). Für die anti-rassistische,
queer-feministische Medienforschung stellt diese Arbeit eine methodische Orientie-
rung dar, da die Spannweite und Verschränkung zwischen Rechtsdiskurs, Sexologie,
Trans(gender)bewegung und Medien offengelegt wird. Die diskursive Herstellung
und Deutung von Geschlecht wird so offensichtlich, und sie ermöglicht, Geschlecht
als prinzipiell veränderbar zu verstehen. Dieses Verständnis von Geschlecht als nicht
prinzipiell und statisch binär ist genau die Pointe für eine an den Queer Studies
orientierte Medienforschung.
Was konstituiert Natürlichkeit? Karen Barad (2015) kommt in ihrer Studie Trans-
materialities zu Materialisierungsprozessen aus der Perspektive der Quantenfeld-
theorie zum Ergebnis, dass es eine immerwährende Frage bleibt, was Natürlichkeit
konstituiert (Barad 2015). Aus den elektromagnetischen Phänomenen zwischen
Elektronen und Photonen auf der Grundlage der Unbestimmtheit von Materie, Zeit
und Energie schließt sie auf eine prinzipielle ontologische Unbestimmtheit, ein
Un/Geschehenmachen von Identität, welches die Grundlagen des Nicht/Seins er-
schüttert (Barad 2015, S. 401). Damit begründet Barad auf der epistemologischen
Ebene eine immerwährende Erneuerbarkeit der Vorstellungsräume von trans und
queer. Das Ziel ist dabei nicht, diese zu universellen Eigenschaften zu machen,
sondern Universalität insgesamt zu überwinden und der Bedeutung radikaler Spezi-
fität von Materialität als sich wiederholende Materialisierung Gewicht zu verleihen:
Phänomene des Werdens: Intersektionalität, Queer, Postcolonial, Diversity . . . 61

„What is needed is not a universalization of trans or queer experience stripped of all


its specificities (as inflected through race, nationality, ethnicity, class, and other
normalizing apparatuses of power), setting these terms up as concepts that float
above the materiality of particular embodied experiences, but to make alliances with,
to build on an already existing radical tradition (a genealogy going back at least to
Marx) that troubles nature and its naturalness ,all the way down‘.“ (Barad 2015,
S. 413) Das heißt, die prinzipielle Offenheit, Veränderbarkeit, Verbundenheit und
Spezifität jeder körperlichen (Geschlechter-)Erfahrung ermöglicht vielfältige politi-
sche Bündnisse gegen normalisierende Machtapparate. Eine solche epistemische
Unbestimmtheit und prinzipielle Offenheit von Geschlecht ist auch für mediale
Apparate und ihre Erforschung richtungsweisend, sowohl hinsichtlich der Medien-
produktion als auch hinsichtlich der Mediennutzung.
Die Verwobenheit der Geschlechterdifferenzierung mit anderen sozialen – kon-
ventionellen – Differenzierungsmustern in medialen Prozessen ist daher ein wichti-
ges Forschungsfeld. Indem Medien Vorstellungen von Wirklichkeit vermitteln, sind
sie (un-)umstritten wirkungsvoll und verstrickt in normalisierende Machtapparate.
Daher ist zu untersuchen, wie Differenzierung betont oder verschleiert werden kann,
welche menschliche Differenz durch bzw. in Medien erst Beachtung findet oder
sogar erst hergestellt wird. Welche Bedeutung wird durch mediale Differenzierungs-
politiken bestimmten Differenzen zugeschrieben? (Wie) wird Differenz als relevant,
als notwendig hierarchisch etabliert? Wie können diese Prozesse methodisch geleitet
erforscht werden, um die Rolle von Medien bei der Herstellung bzw. Überwindung
gesellschaftlicher Ungleichheit zu analysieren? Wann und wie findet Diskriminie-
rung in und durch Medien statt oder wird verharmlost? Wie wird Diskriminierung
medial dekonstruiert, entlarvt oder überwunden?

3 Intersektionalität oder Postkategorialität?

Intersektionalität wird, wie Gouma und Dorer (2019) erläutern, als „eine herrschafts-
kritische Herangehensweise“ verstanden, „um die gegenseitige Durchdringung so-
zialer Ungleichheitskategorien [. . .] in Verbindung mit den verschiedenen Ebenen
der gesellschaftlichen Diskurse, Institutionen und Subjektpositionierungen zu theo-
retisieren und zu erforschen“ (S. 1). Dies ist für das Verständnis medialer Ver-
geschlechtlichung von zentraler Bedeutung. Die Intersektionalitätsforschung ist
dabei in den letzten Jahren selbst einer kritischen Reflexion unterzogen worden,
die zur Präzisierung der Problematik beiträgt. So diskutiert Julia Schuster (2021)
25 zum Teil nur scheinbar intersektionale Argumentationen in feministischen Me-
dientexten nach der ‚Silvesternacht in Köln 2015‘ und schlägt zur Präzisierung eine
Orientierung am Begriff des „femonationalism“ (Farris 2017) für ein Verständnis
von sexualisiertem Rassismus vor.
Encarnación Gutiérrez Rodriguez kritisiert die (deutschsprachige) Intersektiona-
litätsforschung aufgrund ihrer Ignoranz gegenüber jenen, welche die „Gleichzeitig-
keit von Unterdrückungsverhältnissen“ im eigenen Leben ebenso wie in der Gesell-
schaft schon viel früher aufgezeigt haben und daraus einen theoretischen und einen
62 W. Ernst

aktivistischen Impuls generiert haben (Gutiérrez Rodríguez 2011, S. 83). Entspre-


chend entwickelt sie in Auseinandersetzung mit Patricia Hill Collins die Notwendig-
keit eines „Denken[s] in Relationen und die Wahrnehmung von Simultaneität“
(S. 88) und betont die interaktive Prozesshaftigkeit der Vergeschlechtlichung in
Herrschaftsverhältnissen: „Prozesse der Feminisierung oder Maskulinisierung sind
demnach einerseits in Zusammenhang mit historischen Ereignissen wie denen des
Kolonialismus, Imperialismus und des modernen/kolonialen Weltsystems in Bezie-
hung zu setzen und andererseits mit gesellschaftlichen Verhältnissen und institu-
tionalisierten kulturellen Praktiken, in denen hegemoniale Verständnisse in den
Alltagsverstand übertragen und von den Subjekten performativ angeeignet und
verkörpert werden.“ (Gutiérrez Rodríguez 2011, S. 89) Vergleichbar mit Barads
Ansatz, allerdings auf einer anderen theoretischen Grundlage, entwirft sie mit Jasbir
Puar ein Wirklichkeitsverständnis der „Beweglichkeit und Flexibilität von gesell-
schaftlichen Prozessen“, was „einen analytischen Zugang, der zugleich Fixierung,
Verschiebung, Auflösung und Rekreation denkt“, nötig macht (Gutiérrez Rodríguez
2011, S. 97). Jasbir Puar problematisiert im Zusammenhang mit Intersektionalität,
dass weiße Frauen, insbesondere Forscherinnen, Intersektionalität häufig nicht auf
sich beziehen, d. h. ihr eigenes Weißsein nicht reflektieren (Eggers et al. 2009).
Dagegen stellt Puar klar: „Die Theorie der Intersektionalität geht davon aus, dass alle
Identitäten intersektional gelebt und erfahren werden, sodass Identitätskategorien
einander überschneiden und dadurch destabilisieren, und dass alle Subjekte intersek-
tional sind, unabhängig davon, ob sie dies anerkennen oder nicht.“ (Puar 2011, S. 2)
Ähnlich wie Gutiérrez Rodriguez schlägt Puar vor, Intersektionalität als Assemblage
zu lesen, um den menschlichen Körper als abgeschlossenes organisches Ding zu
dekonstruieren (Puar 2011, S. 6).
Gutiérrez Rodriguez zufolge ist eine „Theorie der Gesellschaft, die die sozialen
Zusammenhänge als Widersprüche denkt“ (S. 100), nötig. „Erst dann“, so schreibt
die Soziologin, „kann die komplexe Verschränkung von staatlichen Anrufungsprak-
tiken, kolonialen Bezeichnungspraktiken, rassistischen Beschreibungsformeln er-
fasst werden, die in einer kapitalistischen, heteronormativen und biopolitischen
Produktions- und Verwertungslogik eingebettet sind.“ (Gutiérrez Rodríguez 2011,
S. 97) Diese Erkenntnis von sozialer Wirklichkeit scheint auf die theoretische
Erforschung von Medialität und die praktische, transformative Kraft von Medien
übertragbar.
Intersektionalitätsforschung als Betrachtung individueller Merkmale und Erfah-
rungen problematisiert auch Cornelia Klinger. Ähnlich wie Gutiérrez Rodriguez
kritisiert sie, dass die Verwendung des Terminus Intersektionalität in den letzten
Jahrzehnten eine Tendenz erkennen lässt, die lediglich auf die Frage abzielt, „wie
sich (Diskriminierungs-)Erfahrungen unterschiedlicher Genese auf Wahrnehmung
und Empfindung [. . .] auswirken, das heißt, wie die Zugehörigkeit [. . .] zu mehreren
solcher Gruppierungen von den Einzelnen erlebt wird, wie sie deren Identität prägt.“
(Klinger 2013, S. 38) Das erscheint ihr zu kurz gegriffen hinsichtlich der Wirkung
von Intersektionalität und ihrer historisch entstandenen Eingebundenheit in gesell-
schaftliche Herrschaftsverhältnisse: „Ohne den Bezug zu den Herrschaftsverhält-
nissen und ihren Strukturkategorien [Kapitalismus, Patriarchat, Nationalismus/Ko-
Phänomene des Werdens: Intersektionalität, Queer, Postcolonial, Diversity . . . 63

lonialismus/Imperialismus], in deren Zusammenhang sie stehen, können die indivi-


duellen Erfahrungen lediglich als subjektive Befindlichkeiten und partikulare han-
dicaps erfasst werden“ (Klinger 2013, S. 59). Hinsichtlich medialer Wirkmächtigkeit
heißt das, dass nicht nur erforscht werden muss, was dargestellt wird, sondern auch
der umfassendere Bedeutungsrahmen des Dargestellten.
In vergleichbarer Weise kann der Bedeutungsrahmen auch für die Rechtsaus-
legung stark gemacht werden und im Zuge dessen der Diskriminierungsprozess
gegenüber von Diskriminierungsmerkmalen in einem „postkategorialen“ Ansatz
in den Vordergrund treten. Ulrike Lembke und Doris Liebscher entwickeln in ihrer
Kritik am Intersektionalitätskonzept in der Rechtsdogmatik den Vorschlag eines
„postkategorialen Antidiskriminierungsrechts“, das „die essentialisierende Zu-
ordnung zu einer oder mehreren hierarchisch angeordneten sozialen Gruppen
mit benachteiligender Intention oder Wirkung“ als das die Diskriminierung pro-
duzierende und rechtlich zu adressierende Problem erkennt und nicht besondere
Persönlichkeitsmerkmale oder Gruppenzugehörigkeit (Lembke und Liebscher
2014, S. 283). Auf diese Weise würden „individuelle Diskriminierungserfahrun-
gen in den Kontext unterschiedlicher Herrschaftsverhältnisse, Ressentiments,
Normvorstellungen und daraus resultierender Identifizierungen“ gestellt und der
„Fokus nicht mehr auf die Prüfung von Merkmalen, sondern von Diskriminie-
rungsprozessen“ gelenkt (S. 282). Die Autorinnen zeigen also auf diese Weise,
inwiefern ein postkategorialer Ansatz die „Gesellschaftlichkeit von Diskriminie-
rung“ sowie „komplexe mehrdimensionale Diskriminierungserfahrungen“ ins
Zentrum der Rechtsprechung rücken kann (S. 290). Für die Medienforschung
eröffnet ein solcher postkategorialer Ansatz die Möglichkeit, Prozesse diskrimi-
nierender medialer Interaktion zum Thema zu machen (im Sinne eines „doing
discrimination“) und zu fragen, wie wird in und durch Medien diskriminiert (oder
privilegiert), anstatt wer oder was wird in und durch Medien diskriminiert (oder
privilegiert).
In diesen Kritiken wird deutlich, dass eine Orientierung von Forschungsmetho-
den an zugeschriebenen oder erfragten Merkmalen oder Gruppen-Zugehörigkeiten
von Personen leicht das transformative Ziel und den aktivistischen Ursprung von
Intersektionalität, also die Überwindung von mehrdimensionaler Diskriminierung
sowie das Aufzeigen und die Kritik an historisch identifizierbaren Herrschaftsstruk-
turen, die faktisch noch immer wirksam sind, verfehlen kann. Daraus geht hervor,
dass auch in der anti-rassistischen, queer-feministischen Medienforschung die Pro-
zesse und Prozeduren interaktiver sozialer Bezogenheit, die Zuschreibungspraxen,
das Wie des „doing discrimination“, die Strukturen der Unterdrückung (stärker) in
den Fokus der Hypothesenbildung der Forschungsansätze rücken sollten. Daraus
ergeben sich folgende Fragen: Wie kann der Vielfältigkeit menschlicher Existenz in
der Medienforschung mehr Raum gegeben werden? Wie kann menschliche Existenz
in ihrer wandelbaren Verflochtenheit und Uneindeutigkeit zum Forschungsthema
gemacht werden? Wie können Prozesse der Entprivilegierung der Privilegierten
durch Medien(forschung) angestoßen werden? Wie kann anti-rassistische, queer-
feministische Medienforschung Barrieren in und durch Medien identifizieren und
wegräumen?
64 W. Ernst

4 Behindert werden: Disability Studies

Prozesse der Diskriminierung zu erforschen, anstatt persönliche Merkmale in den


Blickpunkt zu stellen, fordern auch aktuelle Ansätze der Disability Studies, die
sich die Erforschung von Behinderungen als soziale bzw. sozial legitimierte
Praktiken und Prozesse zur Aufgabe machen. Schon in den 1980er-Jahren entstand
ein kollaboratives Buch von behinderten Frauen, welches das Ineinanderwirken
von Behinderung und Geschlecht untersuchte und einen bis heute innovativen
Forschungsansatz des „Forschens mit“ bzw. einen im heutigen Sinne autoethno-
grafischen Ansatz des Selbstbeforschens und des Selbstschreibens einem Ansatz
des „Forschens über“ vorzieht (Boll et al. 1988). Seit den 1980er-Jahren konnten
sich die Disability Studies auch im deutschsprachigen Raum als universitäre
Disziplin etablieren und intersektionale Aspekte von Behinderung und Geschlecht
so weiter erforscht werden (DiStA – Disability Studies Austria 2018). Sowohl
Geschlecht als auch Behinderung werden hier als gesellschaftliche Konstrukte
verstanden, die im Alltag, im Austausch mit anderen Menschen und Institutionen
ständig hergestellt werden (Jacob et al. 2010). Dabei wird die Mehrdimensionalität
von Diskriminierung nicht als Ausnahme, sondern als häufige Realität heraus-
gearbeitet (Zinsmeister 2010). Anne Waldschmidt betont ebenso die Notwendig-
keit, Geschlecht und Behinderung intersektional zu denken (Waldschmidt 2013,
2014): „Empirisch gesehen ist kein Mensch ‚nur‘ behindert, sondern immer zu-
gleich dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugehörig.“ (Waldschmidt
2013, S. 151)
Amie Hamraie fragt insbesondere danach, wie diese Praktiken des Behindert-
Werdens überwunden werden können, insbesondere im Zuge eines Wegräumens
von behindernden Aspekten der Bebauung, technischer Geräte, sozialen Verhal-
tens oder gesetzlicher Normen sowie in den tradierten diskriminierenden Vorstel-
lungen nicht-behinderter Gesellschaftsmitglieder (Hamraie 2013; Hamraie und
Fritsch 2019). Ingunn Moser erforscht, auf welche Weise Differenzen wie Behin-
derung, Geschlecht und Klasse in soziotechnischen Praktiken interaktiv her-
gestellt und abgebaut werden (Moser 2006). So können bereitgestellte Hilfsmittel
wie Computer und andere Medientechnologien die soziale Teilhabe erleichtern
und so „Normalität“ herstellen oder die Behinderung verschärft erleben lassen,
wenn sie für spezifische Personen in spezifischen Situationen nicht passen: „Lo-
cating the enactments of gender, class, and disability in situated sociotechnical
practices and relations, it becomes clear that there are different, and so multiple,
alternative realities being enacted. And it enacts the subject as complex and
slipping between different positions.“ (Moser 2006, S. 558) In diesem Zusam-
menhang erlangen Menschen mit Behinderungen eine wichtige Rolle bei der
Entwicklung und Reflexion von partizipativen Forschungsmethoden (Goeke und
Kubanski 2012). Dies ist für die Medienproduktion, Mediennutzung und ganz
besonders für die Erforschung von Medieninhalten sowie Medientechnologien
wichtig, um Diskriminierungsfaktoren und -prozesse aufzudecken und zu über-
winden.
Phänomene des Werdens: Intersektionalität, Queer, Postcolonial, Diversity . . . 65

5 Diversity oder Queerversity?

Aus dem bisher Erörterten wird deutlich, dass für eine anti-rassistische, queer-
feministische Medienforschung nicht Differenzen, Unterschiede oder die Vielfalt
menschlicher Existenzweisen und deren Verwobenheit das zu erklärende Phäno-
men, das Explanandum darstellen, sondern Prozesse, mit Hilfe derer aus fluidem
uneindeutigem menschlichen Werden und Sein beherrschbare Differenzierungen
herausgeschnitten werden, im Sinne von Karen Barads „agential cuts“ (Barad
2007, 2012). Das zeigen Ansätze aus den Queer Studies genauso wie kritische
Ansätze in der Intersektionaliltätsforschung oder den Disability Studies. Entspre-
chend entwirft Antke Engel, in einer kritischen Weiterentwicklung von Diversity
Studies, eine Orientierung an „queerversity“ als Prinzip für eine politische Praxis
(Engel 2021): „As a political corrective, an ethical attitude, and an aesthetic
strategy the principle of queerversity combines the avowal of multiplicity, ambi-
guity, and alterity with struggles against discrimination, social inequalities, and the
intersectional complexity of regimes of domination. Queerversity as a political
corrective criticizes the exclusions, normalizations, and hierarchizations that go
along with particular measures and institutional formations built on categorizati-
on.“ (Engel 2021, S. 12) Die Kategorisierung selbst wird als problematische
Realität benannt, die hinsichtlich ihrer Verwertbarkeit für Hierarchisierungspro-
zesse analysiert werden soll. Entsprechend wird ein anti-, post- oder transkatego-
rialer Ansatz gefordert.
Doch nicht nur die Differenzierungspraktiken, die Vielfalt einer scheinbar greif-
baren und abgrenzbaren Verwertung zuführen, stehen in der Kritik. Diversitäts-
politik wird auch hinterfragt, wenn sie als Alibi im neoliberalen System funktioniert.
So thematisieren Nikita Dhawan und Maria do Mar Castro Varela im Anschluss an
Sarah Ahmed die Unwirksamkeit von Diversitätspolitiken, wenn sie nur rhetorisch
eingesetzt werden: „The effect is that the non-performative rhetoric prevents com-
batting that which it pretends to abolish“ (Dhawan und Castro Varela 2016, S. 21).
Das heißt, Institutionen brüsten sich oftmals mit Diversity-Zertifizierungen oder
Lippenbekenntnissen zur Diversität, die es praktisch extrem schwierig machen,
Ausschlüsse und Diskriminierung zu thematisieren. Daher ist den Autorinnen zu-
folge eine Kontextualisierung von Intersektionalitätspolitik und Diversitätsmanage-
ment im neoliberalen Pluralismus unabdingbar, da hier Differenzen als Alibi kon-
sumiert werden, damit sie eben gerade keinen spürbaren Unterschied machen, also
keine Infragestellung von Privilegierung darstellen: „It is imperative to situate the
,mainstreaming‘ of intersectionality politics and diversity management within the
historical and economic landscape of neoliberal pluralism and global capitalism that
consumes difference as an alibi so that it does not make a difference.“ (Dhawan und
Castro Varela 2016, S. 22) In ihrer Conclusio sprechen sich die Autorinnen aller-
dings im Anschluss an Gaytri Chakravorty Spivaks Strategie der „affirmative sabo-
tage“ dafür aus, Diversität und Intersektionalität effektiv politisch einzusetzen, da
wir sie nicht nicht wollen können. Dafür erachten sie eine Neugestaltung und
Ergänzung jener Normen für unumgänglich, die diesen Ansätzen zugrunde liegen.
66 W. Ernst

Dies kann demnach durch eine Untersuchung dessen geschehen, was vor und
jenseits der Norm dessen liegt, was aktuell als legitime politische Subjektivität gilt.
Dhawan und Castro Varela fordern hierfür eine konsequent transnationale Perspek-
tive, die historisch informiert und sowohl lokal als auch global verortet ist. Denn nur
in der politischen Praxis kann demnach das Subjekt feministischer Politik entstehen
und Sprache als Handlung performativ wirksam werden. Für die Medienforschung
bedeutet das vor allem auch ein konsequentes Hinterfragen und Dekonstruieren von
„labeling“-Prozessen und davon, wer repräsentiert wen oder was in welchem Kon-
text und auf welche Weise.

6 Postkolonial – dekolonial – postmigrantisch?

Manuela Boatcâ zeichnet die interne Politik der Differenz in Europa historisch nach,
die untrennbar mit der Geschichte der Moderne verknüpft ist: „Genauso, wie die
Geschichte Europas mit der Geschichte derjenigen nicht-europäischen Regionen
verflochten ist, die es eroberte, mit denen es Handel trieb, oder gegen die es sich
verteidigte, ist auch die Geschichte der Moderne durch Kolonialismus, Imperialis-
mus, Sklaverei und Kriegsführung geprägt worden und bis heute damit untrennbar
verbunden.“ (Boatcă 2010, S. 354) Die Soziologin problematisiert den identitäts-
politischen Diskurs der Europäischen Union, der nur eines der „multiplen Europas
zum einzig gültigen hochstilisiert“: „Damit dient ein diskursives Modell, das Euro-
päität als Einheit bzw. als Einzigartigkeit definiert, dazu, die Vielfalt des postkolo-
nialen und postimperialen Europas als Manko zu verkennen sowie mittels der
eingangs diskutierten Moralgeografie des Kontinents eine interne Politik der Diffe-
renz zu reproduzieren, die nur in das Gegenteil von Einheit münden kann.“ (Boatcă
2010, S. 355) Damit setzt die Autorin das außereuropäische (post-)koloniale Denken
und Handeln mit dem innereuropäischen auf erhellende Weise in Beziehung und
macht deutlich, wie historische diskursive Prozesse der Abgrenzung und Ausgren-
zung schleichend hierarchische Differenzierung erzeugen.
Die Aufdeckung der Entstehung und Konsolidierung des modernen Europas auf
Kosten derer, die den europäischen Kolonialmächten unterlegen sind, liegt im Fokus
postkolonialer und dekolonialer Forschung. Nikita Dhawan und Maria do Mar
Castro Varela unterscheiden postkoloniale und dekoloniale Ansätze vor allem hin-
sichtlich ihrer geografischen Ausrichtung. Sie teilen den Fokus auf die Kontinuität
epistemischer, ökonomischer und politischer (post-)kolonialer Macht- und Herr-
schaftsverhältnisse. Demnach sind die postkolonialen Studien (aus Sicht der deko-
lonialen Theoretiker*innen) eher auf „Asien und einige wenige arabische und afri-
kanische Räume“ ausgerichtet, während dekoloniale Studien „verstärkt die Prozesse
der frühen Kolonialisierung Lateinamerikas und der Karibik“ im Blick haben (Cas-
tro Varela und Dhawan 2015, S. 319). Den Autor*innen zufolge „sieht die post-
koloniale Agenda nicht nur eine Re-Positionierung europäischer Erkenntnissysteme
vor, sondern auch den Versuch, die lange Geschichte imperialer Interventionen und
deren nicht umkehrbaren Folgen für die kolonialen Anderen transparent zu machen.“
(Castro Varela und Dhawan 2015, S. 339) An solchen epistemischen Prozessen des
Phänomene des Werdens: Intersektionalität, Queer, Postcolonial, Diversity . . . 67

Transparent-Machens von (De-)Kolonisierung für jene, die Zielscheiben der Dis-


kriminierung sind, können Medien und ihre Erforschung einen wichtigen Anteil
haben.
Im Buch Pädagogik im globalen postkolonialen Raum. Bildungspotenziale von
Dekolonisierung und Emanzipation erörtern Protagonist*innen aus migrantischen
Selbstorganisationen „in Europa die Notwendigkeit im Rahmen kritischer Bildungs-
arbeit, das paternalistische Ziel der Befreiung ,Anderer‘ zu problematisieren und
Machtverhältnisse unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Positionierungen
aller Akteur_innen im pädagogischen Prozess zu thematisieren.“ (COMPA et al.
2019, S. 18) Es geht den Herausgeber*innen dabei um einen demokratischen
Anspruch, um Menschenwürde für alle und das Dekonstruieren der hegemonialen
Narrative, dass demokratische Institutionen an einen Nationalstaat mit homogener
Geschichte gekoppelt sein müssen (COMPA et al. 2019, S. 19). Sie verstehen
kulturelle und spirituelle Vielfalt sowie Bewegungsfreiheit als „Grundlagen mensch-
lichen Seins“. Hier wäre zu untersuchen, inwiefern Medien diese Impulse zur
Demokratisierung aufgreifen. Welche Medien können auf welche Weise als Werk-
zeuge einer dekolonialen bzw. postkolonialen Orientierung und Transformation eine
Allianz bilden? Welche Methoden der kollektiven (Medien-)Bildung sind hier vor-
stellbar und durchführbar?
Auch Fatima El-Tayeb setzt in ihrem Buch Undeutsch. Die Konstruktion des
Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft auf die Möglichkeit von dekolonialer
Bildung: „das Verständnis von Europa als postkolonialem Kontinent verlangt viel-
mehr auch eine Neubewertung seiner faschistischen und sozialistischen Vergangen-
heit. Wie das aussehen kann wird deutlich, wenn sich Europa von seiner internalis-
tischen Geschichte und dem evolutionären Zeitmodell abwendet und beginnt,
von seinen ,Anderen‘ zu lernen.“ (El-Tayeb 2016, S. 224) Unter der Überschrift
„Deutschland intersektional und postmigrantisch“ beschreibt El-Tayeb die proble-
matischen diskriminierenden Zustände in Deutschland. Auch sie hält an Intersek-
tionalität als brauchbarem politischen Analysemodell fest, hält ein Plädoyer für „ein
Durchbrechen des destruktiven Kreislaufs von Ausgrenzung und Verleugnen“ und
fordert „die fundamentale Aushandlung von Rechten, von Zugehörigkeit, von Teil-
habe und von Positionen“ (El-Tayeb 2016, S. 232). Daran anschließend können
nicht nur die Positionierungen verschiedener Medien untersucht werden, sondern
auch die Mediennutzung engagierter Organisationen für eine wirklich demokrati-
sche Zukunft.

7 Fazit: Medien und Geschlecht als Phänomene des Werdens

Aus dem Vorangegangenen wird deutlich, dass Forschungsprozesse in ähnlicher


Weise wie Medien und Geschlecht als Phänomene des Werdens, des Hervorbringens
und des Gestaltens verstanden werden können. Mit dem agentiellen Realismus hat
Karen Barad eine solche Sicht auf wissenschaftliche Erkenntnis – selbst auf natur-
bzw. technowissenschaftliche Forschung – als feministisches Projekt vorgelegt
(Barad 2007, 2012). Danach wird die zu erkennende Wirklichkeit weniger in einem
68 W. Ernst

Außerhalb des Forschungsprozesses oder des Labors gesehen und erforscht, erkannt,
erfasst oder erklärt, und weniger in einem Akt des Erkennens eines vom Erkennen
unabhängigen Projekts, Objekts oder Zusammenhangs. Vielmehr beginnt der For-
schungsprozess – und damit die Hervorbringung des zu erforschenden Phänomens –
schon mit der Problemstellung, der Hypothese und der Formulierung der For-
schungsfrage derer, die in der klassischen Erkenntnistheorie als Erkenntnissubjekt
bezeichnet werden. Im agentiellen Realismus stellen Erkenntnissubjekte gerade
Teile des zu erforschenden Phänomens dar. Sie sind nicht einzelne, autonome
Subjekte, sondern Teil einer Assemblage von Akteur*innen, zu denen auch die zu
messenden, zu erklärenden und zu erforschenden Gegenstände gehören. Ebenso ist
der Forschungsapparat, d. h. die methodische oder experimentelle Vorgehensweise
ein Teil, ein Aspekt des zu erforschenden Phänomens. Dies erfordert eine neue
Relevanz der ethischen und politischen Verantwortung schon bei der Auswahl und
Definition des Forschungsgegenstands, des Problems, das erkannt, beschrieben
und/oder erklärt werden soll: Was wird als gegeben vorausgesetzt? Was wird in
Frage gestellt? Die zu erforschenden materiell-diskursiven Zusammenhänge sind
ebenso in ihrer Aktivität zu verstehen, die letztendlich nicht vollständig berechenbar
wird. Sie bringen allerdings das zu erforschende Phänomen auf aufregende, erkenn-
bare und beschreibbare Weise mit hervor.
Für die Medienforschung ergibt sich daraus eine methodische Öffnung des
Forschungsprozesses hin zur bewussteren Einbeziehung der zu Beforschenden in
partizipativen Forschungsprozessen (Gouma et al. 2014; Thomas et al. 2019).
Assimina Gouma (2020) diskutiert in ihrem Buch Migrantische Mehrsprachigkeit
und Öffentlichkeit ausführlich und kritisch Möglichkeiten und Grenzen partizipati-
ver Forschung im Zusammenhang mit einem mehrsprachigen Radioprojekt: „Par-
tizipative Forschung ist kein ,Rezept‘, sie ist auch kein ,Heilmittel‘ der Sozialwis-
senschaft. Die Euphorie, die mit dieser Methode in Verbindung steht, beruht auf dem
Versprechen, durch Partizipation Machtverhältnisse innerhalb und außerhalb der
Forschungspraxis zu hinterfragen und zu destabilisieren.“ (Gouma 2020, S. 103)
Partizipative Forschung versteht sie in Anlehnung an Paulo Freire und feministische
Forschung in enger Verwandtschaft mit Aktionsforschung als ein Zusammendenken
von Partizipation und kritischen Prozessen der Emanzipation. Dabei bedeutet „der
Anspruch einer emanzipativen Intervention“, wie ihn partizipative Forschung und
Aktionsforschung oft formulieren, „eine Forschungspraxis, die koloniales Verlernen
umsetzt, ohne Differenzen zu negieren“ (Gouma 2020, S. 110).
Im Zusammenhang mit Produzent*innen von Medientechnologien (Computer-
spiele und Suchmaschinen) entwickelte Doris Allhutter mit Kolleg*innen die aus der
Frauenbewegung der 1970er-Jahre stammende Methode der Erinnerungsarbeit für
die Technikforschung weiter (Allhutter et al. 2008). Medienentwickler*innen kön-
nen in Verfahren des Mind Scriptings (Allhutter 2012) in Gruppenprozessen nach
(unbewussten) stereotypen Vorannahmen bezüglich der Mediennutzer*innen „be-
fragt“ werden oder nach wichtigen Entscheidungen, die sie in der Medienentwick-
lung getroffen haben oder nach „richtig guten“ Medieninhalten (Stories, Bilder). In
einem anonymisierten dekonstruktiven Gruppenverfahren können so unbewusste
Einstellungen zu Personen, zu Medieninhalten und deren Gesellschaftsbezug ins-
Phänomene des Werdens: Intersektionalität, Queer, Postcolonial, Diversity . . . 69

gesamt offengelegt werden und einem kollegialen und gemeinschaftlichen Reflexi-


onsprozess zugeführt werden. Affektive Bezüge von Nutzer*innen zu ihren Medien
könnten auf eine ähnliche Weise „antikategorial“ in Gruppenprozessen zur Sprache
kommen, wie Allhutter und Hofmann am Beispiel von Entwickler*innen von
Computerspielen und Nutzer*innen von Motorsägen herausgearbeitet haben (All-
hutter und Hofmann 2014).
Partizipatorische Methoden, die in der Technikforschung entwickelt wurden, kön-
nen auch für die Medienforschung eingesetzt werden und umgekehrt, im Zusammen-
hang mit der Produktion und Erforschung von Medientechnologien und -anwendun-
gen überschneiden sich diese beiden Disziplinen ja sogar (Ernst 2019). Dabei können
Phänomene der „VerUneindeutigung“ (Engel 2002) von Geschlechtern und Sexuali-
täten in den Mittelpunkt der Fragestellungen rücken. Wie können Medien als Apparate
Eindeutigkeiten hervorbringen oder VerUneindeutigung personaler Identität und Inter-
aktion ermöglichen? Wie kann hierfür das Zusammenspiel als ein Aufeinanderange-
wiesensein von Medienproduktion und Mediennutzung erforscht werden?
In diesem Zusammenhang könnte – ähnlich den Ladyfest-Studien (Ommert 2009)
– untersucht werden, inwiefern Organisationsmodelle von kollektiven medialen Pro-
zessen wie z. B. Filmfestivals, in denen nicht hegemoniale – also privilegierte –
Geschlechteridentitäten und sexuelle Orientierungen im Mittelpunkt stehen, als me-
diale Prozesse community-stärkend und identitätsstiftend wirken und so die normative
Ordnung aufweichen können. Darüber hinaus wäre zu fragen, inwiefern eine Orien-
tierung am aktivistischen, partizipativen Forschen gerade im Zusammenhang von
Medienproduktion, Mediennutzung und Medienforschung ein gewinnbringender me-
thodischer Ansatz wäre. Anstatt ein Wissen über X zu produzieren, wäre ein Forschen
mit XYZ einzuüben und gemeinsam, quasi im Erklären, wären im Sinne von Barads
agentiellem Realismus neue Phänomene hervorzubringen.

Literatur
Allhutter, Doris. 2012. Mind scripting: A method for deconstructive design. Science, Technology &
Human Values 37(6): 684–707.
Allhutter, Doris, und Roswitha Hofmann. 2014. Affektive Materialitäten in Geschlechter-Technik-
verhältnissen Handlungs- und theorie-politische Implikationen einer antikategorialen Ge-
schlechteranalyse. Freiburger Zeitschrift für Geschlechterstudien 20(2): 59–78.
Allhutter, Doris, Edeltraud Hanappi-Egger, und Sara John. 2008. Mind Scripting: Zur Sichtbarma-
chung von impliziten Geschlechtereinschreibungen in technologischen Entwicklungsprozessen.
In Gender und Diversity in den Ingenieurwissenschaften und der Informatik, Hrsg. Barbara
Schwarze, Michaela David, und Bettina C. Belker, 153–165. Bielefeld: UVW Universitäts
Verlag Webler.
Barad, Karen. 2007. Meeting the universe halfway: Quantum physics and the entanglement of
matter and meaning. Durham/London: Duke University Press.
Barad, Karen. 2012. Agentieller Realismus: Über die Bedeutung materiell-diskursiver Praktiken.
Edition Unseld 45. Berlin: Suhrkamp. Aus dem Englischen von Jürgen Schröder.
Barad, Karen. 2015. Transmaterialities. Trans*/Matter/Realities and queer political imaginings.
GLQ: A Journal of Lesbian and Gay Studies 21(2–3): 387–422. https://doi.org/10.1215/
10642684-2843239.
70 W. Ernst

Boatcă, Manuela. 2010. Multiple Europas und die interne Politik der Differenz. In Globale, multiple
und postkoloniale Modernen. Zentrum und Peripherie 7, Hrsg. Manuela Boatcă und Willfried
Spohn, 341–357. München/Mering: Rainer Hampp.
Boll, Silke, Theresia Degener, Carola Ewinkel, Gisela Hermes, Bärbel Kroll, Sigrid Lübbers, und
Susanne Schnartendorf, Hrsg. 1988. Geschlecht: behindert – besonderes Merkmal: Frau: Ein
Buch von behinderten Frauen. Materialien der AG SPAK 68, 3. Aufl. München: AG-SPAK-
Publ.
Butler, Judith. 2009. Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen.
Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Castro Varela, María do Mar, und Nikita Dhawan. 2015. Postkoloniale Theorie: Eine kritische
Einführung. 2., komplett überarb. Aufl. Bielefeld: transcript.
COMPA, maiz, das kollektiv, und Entschieden gegen Rassismus und Diskriminierung. 2019.
Pädagogik im globalen postkolonialen Raum: Bildungspotenziale von Dekolonisierung und
Emanzipation. Weinheim/Basel: Beltz Juventa.
Dhawan, Nikita, und Maria do Mar Castro Varela. 2016. „What difference does difference make?“:
Diversity, intersectionality, and transnational feminist politics. Wagadu 16:9–43.
DiStA – Disability Studies Austria. 2018. Diskussionspapier: Behinderungsforschung. http://bidok.
uibk.ac.at/library/dista-diskussionspapier.html. Zugegriffen am 25.01.2021.
Dorer, Johanna, und Brigitte Geiger, Hrsg. 2002. Feministische Kommunikations- und Medienwis-
senschaft. Ansätze. Befunde und Perspektiven der aktuellen Entwicklung. Wiesbaden: West-
deutscher Verlag.
Eggers, Maureen Maisha, Grada Kilomba, Peggy Piesche, und Susan Arndt, Hrsg. 2009. Mythen,
Masken und Subjekte: Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Münster: Unrast.
El-Tayeb, Fatima. 2016. Undeutsch. Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen
Gesellschaft. Bielefeld: transcript.
Engel, Antke. 2002. Wider die Eindeutigkeit: Sexualität und Geschlecht im Fokus queerer Reprä-
sentation. Frankfurt a. M.: Campus.
Engel, Antke. 2021. Queering gender equality: UN SDG 5 beyond the sex_gender binary. In
Transitioning to gender equality, Hrsg. Christa Binswanger und Andrea Zimmermann, 1–17.
Basel: MDPI.
Ernst, Waltraud. 2019. Technikverhältnisse: Methoden feministischer Technikforschung. In Hand-
buch Interdisziplinäre Geschlechterforschung, Hrsg. Beate Kortendiek, Birgit Riegraf, und
Katja Sabisch, 447–455. Wiesbaden: Springer.
Ernst, Waltraud. 2020. Feministische Netzpolitik und Netzaktivismus. In Feministische Theorie
und Kritische Medienkulturanalyse: Ausgangspunkte und Perspektiven. Critical Studies in
Media and Communication 19, Hrsg. Tanja Thomas und Ulla Wischermann, 523–537. Biele-
feld: transcript.
Farris, Sara. 2017. In the name of women’s rights: The rise of femonationalism. Durham: Duke
University Press.
Goeke, Stephanie, und Dagmar Kubanski. 2012. Menschen mit Behinderungen als GrenzgängerIn-
nen im akademischen Raum – Chancen partizipatorischer Forschung. Forum: Qualitative
Social Research 13 (1): 1–29.
Gouma, Assimina. 2020. Migrantische Mehrsprachigkeit und Öffentlichkeit. Linguizismus und
oppositionelle Stimmen in der Migrationsgesellschaft. Wiesbaden: Springer VS.
Gouma, Assimina, und Johanna Dorer. 2019. Intersektionalität: Methodologische und methodische
Herausforderung für die feministische Medienforschung. In Handbuch Medien und Geschlecht:
Perspektiven und Befunde der feministischen Kommunikations- und Medienforschung, Hrsg.
Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesbaden: Springer
Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_81-1.
Gouma, Assimina, Waltraud Ernst, Kim Carrington, und Luzenir Caixeta. 2014. Self-defence IT:
Migrant women and ICTs strategies. In GenderIT 2014: Proceedings of the second conference
on gender and IT appropriation; science and practice in dialogue – Forum for interdisciplinary
exchange; May 7–9, 2014, University of Siegen, Germany, Hrsg. Volker Wulf, 1–9.
Phänomene des Werdens: Intersektionalität, Queer, Postcolonial, Diversity . . . 71

Siegen/New York: European Society for Socially Embedded Technologies; ACM Digital
Library. https://dl.acm.org/doi/abs/10.5555/2670296.2670302. Zugegriffen am 26.02.2021.
Greif, Elisabeth. 2019. Verkehrte Leidenschaft. Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von
Strafrecht und Medizin. Wien: Jan Sramek.
Gutiérrez Rodríguez, Encarnación. 2011. Intersektionalität oder: Wie nicht über Rassismus spre-
chen? In Intersektionalität revisited: Empirische, theoretische und methodische Erkundungen,
Hrsg. Sabine Hess, Nikola Langreiter, und Elisabeth Timm, 77–100. Bielefeld: transcript.
Hamraie, Aimi. 2013. Designing collective access: A feminist disability theory of universal design.
Disability Studies Quarterly 33(4): 1–28. http://dsq-sds.org/article/view/3871/3411. Zugegrif-
fen am 21.12.2015.
Hamraie, Aimi, und Kelly Fritsch. 2019. Crip technoscience manifesto. Catalyst: Feminism,
Theory, Technoscience 5(1): 1–34.
Jacob, Jutta, Swantje Köbsell, und Eske Wollrad, Hrsg. 2010. Gendering Disability: Intersektionale
Aspekte von Behinderung und Geschlecht. Gender Studies und Queer Studies. Bielefeld:
transcript.
Jagose, Annamarie. 2001 [1996]. Queer Theory: Eine Einführung. Berlin: Querverlag.
Klinger, Cornelia. 2013. Überkreuzende Identitäten – Ineinandergreifende Strukturen: Plädoyer für
einen Kurswechsel in der Intersektionalitätsdebatte. In ÜberKreuzungen: Fremdheit, Ungleich-
heit, Differenz. Forum Frauen- und Geschlechterforschung, Hrsg. Cornelia Klinger und Gudrun-
Axeli Knapp. 2. Aufl., 38–67. Münster: Westfälisches Dampfboot.
Köppert, Katrin. 2019. Queer Media Studies – Queering Medienwissenschaften. In Handbuch
Medien und Geschlecht: Perspektiven und Befunde der feministischen Kommunikations- und
Medienforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković.
Wiesbaden: Springer Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_71-1.
Lembke, Ulrike, und Doris Liebscher. 2014. Postkategoriales Antidiskriminierungsrecht? – Oder:
Wie kommen Konzepte der Intersektionalität in die Rechtsdogmatik?. In Intersektionelle Be-
nachteiligung und Diskriminierung. Soziale Realitäten und Rechtspraxis, Hrsg. Veronika Apos-
tolovski, Isabella Meier, Simone Philipp, Karin M. Schmidlechner, und Klaus Starl, 261–290.
Baden-Baden: Nomos.
Maliepaard, Emiel, und Renate Baumgartner, Hrsg. 2021. Bisexuality in Europe: Sexual citizenship,
romantic relationships, and bi+ identities. Global Gender. London/New York: Routledge.
Mesquita, Sushila. 2015. „Liebe ist . . .“. Visuelle Strategien der Normalisierung und das Schweizer
Partnerschaftsgesetz. In Mehr(wert) queer – Queer Added (Value): Visuelle Kultur, Kunst und
Gender-Politiken – Visual Culture, Art, and Gender Politics, Hrsg. Barbara Paul und Johanna
Schaffer, 71–87. Bielefeld: transcript.
Moser, Igunn. 2006. Sociotechnical practices and difference: On the interferences between dis-
ability, gender, and class. Science, Technology & Human Values 31(5): 537–564. https://doi.org/
10.1177/0162243906289611.
Nakamura, Lisa. 2002. Cybertypes: Race, ethnicity, and identity on the internet. New York/London:
Routledge.
Nakamura, Lisa. 2013. Avatars and the visual culture of reproduction on the web. In Feminist and
queer information studies reader, Hrsg. Patrick Keilty und Rebecca Dean, 187–226. Sacramen-
to: Litwin Books.
Nakamura, Lisa. 2020. Estranging digital racial terrorism after COVID-19. How to become a high-
tech anti-discrimination activist collective, Linz, 11. September. https://www.jku.at/institut-fuer-
frauen-und-geschlechterforschung/veranstaltungen-archiv/tagungen-des-ifg/ifgars-electronica-
festival-2020-how-to-become-a-high-tech-anti-discrimination-activist-collective/. Zugegriffen
am 25.01.2021.
Ommert, Alek. 2009. The use of social network software for queer-feminist activism, using the
example of Ladyfest. Civil Media Conference, Salzburg, 5. November.
Puar, Jasbir. 2011. „Ich wäre lieber eine Cyborg als eine Göttin.“ Intersektionalität, Assemblage und
Affektpolitik. Inventiones (01): 1–12. https://transversal.at/transversal/0811/puar/de. Zugegrif-
fen am 29.01.2021.
72 W. Ernst

Schmidt, Francesca. 2021. Netzpolitik: Eine feministische Einführung. Politik und Geschlecht –
kompakt 3. Leverkusen: Barbara Budrich.
Schuster, Julia. 2021. A lesson from ‚Cologne‘ on intersectionality: Strengthening feminist argu-
ments against right-wing co-option. Feminist Theory 22(1): 23–42. https://doi.org/10.1177/
1464700120921077.
Silva, Adrian de. 2018. Negotiating the borders of the gender regime: Developments and debates on
trans(sexuality) in the Federal Republic of Germany, Gender Studies. Bielefeld: transcript.
https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-4441-8/negotiating-the-borders-of-the-gender-re
gime/. Zugegriffen am 28.01.2021.
Thomas, Tanja, Merle-Marie Kruse, und Miriam Stehling, Hrsg. 2019. Media and participation in
post-migrant societies. London: Rowman & Littlefield.
Thomas, Tanja, und Ulla Wischermann, Hrsg. 2020. Feministische Theorie und Kritische sMedien-
kulturanalyse: Ausgangspunkte und Perspektiven. Critical Studies in Media and Communica-
tion 19 Bielefeld: transcript.
Waldschmidt, Anne. 2013. Geschlecht und Behinderung intersektional denken: Anschlüsse an
Gender Studies und Disability Studies. In Gender in Bewegung: Aktuelle Spannungsfelder der
Gender und Queer Studies, Hrsg. Elke Kleinau, Dirk Schulz, und Susanne Völker, 151–163.
Bielefeld: transcript.
Waldschmidt, Anne. 2014. Macht der Differenz: Perspektiven der Disability Studies auf Diversität,
Intersektionalität und soziale Ungleichheit. Soziale Probleme – Zeitschrift für soziale Probleme
und soziale Kontrolle 25(2): 173–192.
Wiegman, Robyn, und Elizabeth A. Wilson. 2015. Introduction: Antinormativity’s queer conven-
tions. Differences: A Journal of Feminist Cultural Studies 26(1): 1–25.
Zinsmeister, Juttta. 2010. Diskriminierung ist (fast) immer mehrdimensional: „Rasse“, Geschlecht
und Behinderung aus rechtlicher Sicht. In Gendering Disability: Intersektionale Aspekte von
Behinderung und Geschlecht. Gender Studies und Queer Studies, Hrsg. Jutta Jacob, Swantje
Köbsell, und Eske Wollrad, 113–130. Bielefeld: transcript.
Queer Media Studies – Queering
Medienwissenschaften

Katrin Köppert

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
2 Zentrale Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
3 Entwicklungslinien und Gegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
4 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

Zusammenfassung
Neben der Medialisierung nicht-heteronormativer Geschlechter und Sexualitäten
bzw. der queeren Vergeschlechtlichung von Medien(-körpern) und medialen
Räumen stellt das Queering von Medienwissenschaften eine dritte Option einer
Annäherung an die sich gegenseitig bedingenden Felder der Queer Studies und
Medienwissenschaften dar. Im Zuge der Veränderungen des Fernsehens erleben
insbesondere die Queer Television Studies einen Auftrieb.

Schlüsselwörter
Queering · Intime Öffentlichkeit · Politiken des Privaten · Performative
Medienontologie · Queer Film · Queer Television Studies

K. Köppert (*)
Institut für Geschichte und Theorie der Gestaltung, Universität der Künste Berlin, Berlin,
Deutschland
E-Mail: k.koeppert@udk-berlin.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 73
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_71
74 K. Köppert

1 Einleitung

Würden Gender Media Studies und Queer Media Studies heute nebeneinanderge-
stellt, ließe sich eine klar zu umreißende Differenz nicht leicht ausmachen. Zu sehr
sind ihre Gegenstandsbereiche, Genealogien und Perspektivierungen miteinander
verstrickt. Fast könne behauptet werden, der Unterschied zwischen einer feministi-
schen und auf die Emanzipation von Frauen (ohne Sternchen) orientierten Medien-
wissenschaft wie zum Beispiel die frühe Feministische Filmwissenschaft und den an
der Entnaturalisierung von Geschlecht interessierten Gender Media Studies im
Anschluss an Michel Foucault und Judith Butler sei größer.1 Denn sind nicht auch
Queer Media Studies wie die Gender Media Studies an Fragen der durch Medien
informierten Denaturalisierung von Geschlecht interessiert? Wenngleich der für
Queere Theorie wesentlichen Argumentationslinie folgend Sexualität im Zentrum
der Analyse queerer Medienwissenschaft steht,2 ist es doch zu allererst Geschlecht,
das – wider einer „Metaphysik der Substanz“ (Butler 1991 [1990], S. 49) – als
Konstruktion beschrieben und der Untersuchung (medialisierter) sexueller Identität
zu Grunde gelegt wurde. So bezog sich Michel Foucault in seinem für die Queer
Studies zentralen Buch Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit auf sexuelle
Identität weniger als sexuelle Praktik denn als geschlechtliche Identität (Foucault
1983 [1976], S. 47) und markierte die Frage der Sexualität als eine des Geschlechts.
Und auch der diskursbegründende3 Text Queerer Theorie Gender Trouble (Das
Unbehagen der Geschlechter, Butler 1991 [1990]) von Judith Butler operiert mehr-
heitlich im Diskursfeld gendertheoretischer Fragen. Eine Grenze zwischen Gender
Media Studies und Queer Media Studies zu ziehen, scheint somit hinfällig und
keinesfalls produktiv. Gleichzeitig taucht die Frage auf, was eine gesonderte Ausei-
nandersetzung mit Queerer Medienwissenschaft rechtfertigt und sogar notwendig
macht. Welchen epistemologischen Mehrwert ergibt die Verlagerung des Schwer-

1
In dieser zugegebenermaßen etwas konstruierten Gegenüberstellung verbirgt sich dennoch ein
nicht zu leugnender Gesichtspunkt, der mit der Wissensgeschichte des Feminismus bzw. den
Gender Studies im Zusammenhang steht. Denn obwohl es Judith Butler im Rahmen ihres für die
Gender und Queer Theory zentralen Buches Gender Trouble (Das Unbehagen der Geschlechter,
Butler 1991 [1990]) nicht darum ging, eine Grenzziehung zwischen Feminismus und Gender
Studies herzustellen, legte sie Wert darauf zu betonen, dass sich Feminismus der Kritik stellen
müsse, Politiken der Identität mitunter essentialistisch geführt zu haben (Butler 1995, S. 53). Die
sich im Anschluss an Butlers Thesen richtende Rezeption (Butler 1995, S. 9–12) – so lässt sich auch
feststellen – hat im Weiteren ähnlich wie Butler selbst eine Verantwortung dafür zu tragen, dass
Feminismus und Gender-Theorie durchaus als in Differenz zueinanderstehend wahrgenommen
werden.
2
Gayle Rubin führt in ihrem Essay Thinking sex: Notes for a radical theory of the politics of
sexuality 1984 aus, dass Sexualität nicht auf die Kategorie Geschlecht reduziert werden könne
(Rubin 1993 [1984], S. 22).
3
Kathrin Peters verweist auf Judith Butlers Buch Gender Trouble als diskursbegründend, weil die
enorme und unerwartete Resonanz nicht nur Butler selbst überraschte, sondern die Kraft verdeut-
licht, die sich im Anschluss an die Kontextverschiebung, die Butler für den Feminismus bewirkt
hatte, entzündete (Peters 2020).
Queer Media Studies – Queering Medienwissenschaften 75

punkts weg von Gender hin zu queer, das eben doch nicht nur für geschlechtsbezo-
gen nicht-konforme Praktiken steht. Wenn wir uns die Etymologie des Wortes
einerseits4 und die in radikale Politiken US-amerikanischer AIDS-aktivistischer
Bewegungen ab Ende der 1980er-Jahre eingewobene Wiederkehr des für Diffamie-
rung und Hassrede stehenden Terms andererseits5 in Erinnerung rufen, dann lernen
wir, dass queer mit nicht-konformen sexuellen Praktiken appliziert ist, die Aspekte
des filth und des Abjekten inkludieren. Eben dieser von queer im Sinne radikaler
politischer Praktiken des Verdrehten, Versauten und Perversen ausgehenden Qualität
möchte ich im Folgenden für Fragen von Medien und Medienwissenschaft nach-
spüren.

1.1 Queer (Media) Studies

Queer Studies entstanden Ende der 1980er-Jahre aus einer Gemengelage sozialer
Bewegungen, aktivistischer Protestformen und akademischer Diskurse. Heute mit
dem Vorwurf konfrontiert, es handele sich um ein ausschließlich akademisches
Projekt (Feddersen 2019), lassen sich die Queer Studies – entgegen mancher Ver-
suche der Dehistorisierung bzw. Entkoppelung6 – nicht außerhalb eines aktivisti-
schen Aufbegehrens gegen die offen homophobe Politik der USA im Zuge der
AIDS-Epidemie verorten (Jagose 2001 [1996], 2009). Das Aufbegehren als für
queere Politiken AIDS-aktivistischer Bewegungen zentrale Praxis hat sich in den
akademischen Kontext eingeschrieben. So lassen sich die Queer Studies nicht nur als
eine analytische Rekonstruktion der sozial gestifteten Kohärenz von sex – gender –
desire oder als „theoretische Aufmerksamkeit“ gegenüber dem Regime der Hetero-
sexualität (Hark und Stephan 2005, S. 285) verstehen, sondern als eine Intervention
in eben dieses, an bestimmte (institutionelle) Parameter der Wissensproduktion

4
Queer meint der Etymologie zufolge schräg, aber auch seltsam. Das Wort wird auf die altenglische
Wurzel cwer für krumm oder ungerade bzw. die indogermanische twerkw für wenden zurückge-
führt, bald aber schon als pejorative Attributierung von deplatzierten, störenden, übertriebenen,
verdrehten, versauten und perversen Objekten bzw. Subjekten genutzt (Grahn 1984, S. 276; Leap
1996, S. 101; Poole 2004, S. 145). Spätestens in den 1920er-Jahren wurde der Begriff in den USA
als alltagssprachliches Schimpfwort für vornehmlich homosexuelle Männer unter anderem auch im
Zusammenhang von Selbstbezeichnungen genutzt (Chauncey 1994, S. 101). Im Verlauf des 20.
Jahrhunderts hat es sich zum Schmähwort für gleichgeschlechtliches Begehren ohnegleichen
entwickelt (Dynes et al. 1990, S. 1091).
5
Die Umdeutung des Wortes von einem Schimpfwort zu einer Selbstbezeichnung, später dann zu
einer Beschreibung für eine Theorie lässt sich einerseits als politische Antwort auf die im Kontext
der AIDS-Epidemie wiedererstarkenden homophoben Ressentiments verstehen. Andererseits ist die
„Fehlaneignung“ der verletzenden Rede (Butler 2010 [1997], S. 70) darauf zurückzuführen, dass
der Term in die Verantwortung genommen werden sollte, dem antifeministischen turn innerhalb des
schwul-lesbischen Diskurses entgegenzutreten (de Lauretis 1991, S. iv–vii).
6
Paula-Irene Villa vertritt bezogen auf die Gender Studies die These, dass „[sie] nicht der akade-
mische Arm eines politischen Emanzipationsprojektes“ sind. Emanzipation sei demnach lediglich
„empirisches Objekt der Forschung“ (Villa 2017), nicht aber politischer Einsatz der Forschung
an sich.
76 K. Köppert

gekoppelte Machtregime. Dass Queere Theorie immer wieder innerhalb von Uni-
versitäten problematisiert wird bzw. in dem Moment zum Problem erhoben wird,
wenn sie Probleme anspricht (Ahmed 2017, S. 36–39), verdeutlicht die Intervention,
die sie herzustellen in der Lage ist. Sie als Sensationalismus zu rezipieren (Doyle
2015, S. 9; Ahmed 2017, S. 37), markiert, wie sehr sie Irritationen auszulösen
vermag und wie wenig sie eine auf Konformität hin orientierte theoretische Perspek-
tivierung darstellt. Doch damit nicht genug: Queer Studies in ihrer Referenz auf
aktivistische Formen des Protests haben nicht nur einen Bezug auf Modi des
Aufbegehrens, der Streitlust (Butler 2017), des Dissens (Butler 2011), der Militanz
(Crimp 2002 [1989]), der spaßverderbenden Beschwerde (Ahmed 2014, 2017)
beibehalten, sondern dies in den Zusammenhang der Entwicklung anderer als nur
akademischer Schreibweisen (Cixous 2008; Cvetkovich 2012), theatral-ironischer
Pädagogiken der Ansteckung (Ronell 2010, vgl. auch Jay 2011), künstlerischer
Forschungen (Lorenz 2012) und medialer Technologien (Blas und Cárdenas 2013)
gestellt. Der performative, intervenierende Charakter Queerer Theoriebildung, der
sich dadurch auszeichnet, den Gegenstand, den es zu untersuchen gilt, in Form einer
durch ihre Methoden erzeugten Abweichung, Verschiebung oder Transformation
herzustellen (de Lauretis 1991, S. iv),7 ist damit an die Frage der Medialität – des
Diskurses, der Schrift, des Theaters, der Medientechnologien – gebunden. Sich
Queere Medienwissenschaft auch darüber zu erschließen, die Medialität Queerer
Theorie zu beachten, bedeutet das Feld auszuweiten. Neben der Analyse von Gender
und Sexualität in medialen Formaten bzw. von Medien als queeren Konfigurationen
geht es immer auch um den dekonstruktiven Einsatz von queer in den Medienwis-
senschaften, der unmittelbar an seine Medialität heranführt.

1.2 Queering Medienwissenschaft

Queer Media Studies werden gemeinhin durch zwei sich gegenseitig bedingende
Herangehensweisen gekennzeichnet (Peters und Seier 2016, S. 13). Zum ersten
beschäftigen sie sich mit an Medien geknüpfte Darstellungsweisen, die Geschlecht
und Sexualität hervorbringen. Dies ermöglicht zu verstehen, welche Mechanismen
am Werk sind, Geschlechternormen und normative Vorstellungen von Sexualität und
Begehren zu produzieren. Wie Geschlechter, Körper und Begehrensrelationen unter
medialen Bedingungen intelligibel, also sag- und lesbar werden (Seier 2007), lässt
sich über diese erste Konzeptionierung nachvollziehen. Zum zweiten markiert die
Verklammerung von Queer Studies und Medienwissenschaft die Erkenntnis, dass
Medien selbst keine unhintergehbaren Entitäten bilden, sondern gleichermaßen wie
Geschlecht und Sexualität hervorgebracht werden (Krämer 2004; Peters 2020).

7
Theresa de Lauretis, die 1991 bestimmend für die Begriffsbildung Queerer Theorie war, hebt die
doppelte Schwerpunksetzung hervor: „Queer Theory betont zweierlei – die konzeptionelle und
spekulative Arbeit neuer Diskursproduktion sowie die notwendig kritische Arbeit der Dekonstruk-
tion dieser Diskurse und dessen, was diese verschweigen.“ (de Lauretis 1991, in der Übersetzung
v. Hark und Stephan 2005, S. 286).
Queer Media Studies – Queering Medienwissenschaften 77

Innerhalb spezifischer, historischer Konstellationen werden Medien erzeugt und


ergeben erst dann Sinn, wenn sie diskursiv eingebunden, das heißt dem Diskurs
nicht äußerlich sind.
Eine dritte (und sicherlich nicht letzte) Herangehensweise wäre, sich den media-
len Praktiken Queerer Theorie zuzuwenden, um einerseits die Politiken des Ver-
drehens, Pervertierens, Versauens stärker in den Fokus zu nehmen und andererseits
die performativen, intervenierenden Effekte Queerer Theoriebildung auf die Medi-
enwissenschaften zu untersuchen und schließlich auch zu würdigen – nicht um sie zu
kanonisieren, wohl aber in ihrer transformativen und die Medienwissenschaften zur
Selbstreflektion anstiftenden Kraft anzuerkennen. Ich nenne diesen dritten Zugang
Queering Medienwissenschaft und expliziere ihn hier vorerst auf den zweiten
Teilaspekt bezogen.
Je nachdem von welcher lokalen Perspektive auf die Medienwissenschaften
geschaut wird, lässt sich ein anderer Grad der Bezugnahme oder gar Implementie-
rung Queerer Theorie erkennen.8 Für den deutschsprachigen Raum gilt, dass Queer
Studies in den selbst noch jungen Medienwissenschaften kaum als kanonisiert gelten
können.9 Nun ließe sich behaupten, dass die Leerstellen im Kanon Ergebnis des der
Queeren Theorie inhärenten Anspruchs sind, sich gegenüber vereinheitlichenden
Definitionen, feststehenden Begriffsbildungen und institutionellen Zugriffen zu
verweigern. Mit dieser Behauptung würde aber nicht nur unsichtbar gemacht, dass
Queer Theory durchaus einen Prozess der Institutionalisierung durchlaufen hat, was
sich mittlerweile in der ein oder anderen Denomination medienwissenschaftlicher
Professuren durchschlägt.10 Es wäre auch dem für die Queer Theory wichtigen
Ansatz nicht Rechnung getragen, Machtverhältnisse im Anschluss an politische,
mediale Verfahren des Streits, des Aufbegehrens, des parodierenden Wiederholens
und dekonstruktiven Übertreibens zu problematisieren und zu destabilisieren. Die
länger ausgebliebene Rezeption ließe sich folglich auch darauf zurückführen, dass
Queere Theorie den weitgehend männlich determinierten Medienwissenschaften11
unliebsamer Stachel ist, insbesondere angesichts der Thematisierung der auf Trans-
formation hin ausgerichteten Performativität, das heißt des durch Wiederholung sich
vollziehenden Hervorarbeitens von Unerwartetem und Ungewusstem, auch Unbe-

8
Mit den Journalen Feminist Media Studies und Queer Studies in Media & Popular Culture wird
deutlich, dass Queere Medienwissenschaft in den USA weitgreifender verankert ist.
9
Kathrin Peters führt im Anschluss an Marie Luise Angerer sowie Andrea Seier und Eva Warth aus,
dass während queer- und gendertheoretische Ausführungen zur Performativität im weitgehend
männlichen Kanon des Fachs Medienwissenschaft keine Berücksichtigung gefunden haben, sie
umso intensiver in der feministischen Film- und Medienwissenschaft rezipiert worden seien (Peters
2020; vgl. auch Angerer 1999; Seier und Warth 2002).
10
Neben den Professuren soll auch die AG Gender/Queer Studies und Medienwissenschaften der
Gesellschaft für Medienwissenschaft und der von ihr ausgelobte Preis Best Publication Award
Gender & Medien erwähnt werden.
11
Kathrin Peters behauptet, dass im Zuge der Kanonisierung der Medienwissenschaft als Kultur-
wissenschaft neben Marshall McLuhan Walter Benjamin, Paul Virilio, Jean Baudrillard, Vilém
Flusser und Friedrich Kittler zu festen Größen geworden seien, wohingegen von den feministischen
und gendertheoretischen Perspektiven lange kaum Notiz genommen wurde (Peters 2005, S. 326).
78 K. Köppert

wusstem. Da es sich bei den Queer Studies eben nicht nur um Methoden und
Instrumentarien der kritischen Analyse von Medien, Bildern und Technologien im
Rahmen ihrer institutionellen Produktions- und Rezeptionskontexte (Brandes und
Adorf 2008, S. 8) handelt, sondern um an Medien und Technologien gebundene
performative Praktiken, riskante Wissensgrenzgänge (Butler 2011, S. 237), Experi-
mente (Engel 2008) oder Selbstversuche (Preciado 2016 [2008]; Cvetkovich 2012),
weisen sie über fachspezifische Gewissheiten hinaus, an denen sie letztlich aber
gemessen werden. Solange wissenschaftliche Disziplinen und Forschungsbereiche
als Apparate der Verwaltung des status quo in Bezug auf disziplinäre Grenzabste-
ckungen operieren, solange werden Queer Media Studies auf die hinteren Plätze
verwiesen. Queere Ansätze werden somit auf die Position des kann reduziert. Sie
können der forschenden Auseinandersetzung mit Medien hinzugefügt werden, sind
für die Medienwissenschaft aber nicht konstitutiv. Diese Feststellung verführt dazu,
Gegenstände und Konzepte für die Erarbeitung einer queeren Position nur aus den
Beschreibungen der Medienwissenschaft als disziplinärem Feld abzuleiten. Von den
Konzepten, Methodologien und eben auch medialen Verfahren queerer Theorie zu
lernen, um zu verstehen, wie queer die Medienwissenschaften schon immer waren,
tritt entsprechend in den Hintergrund. Ein Queering von Medienwissenschaft heißt
folglich auch, sich – vermittelt durch Ansätze der Anfechtung und Transformation –
den eigenen Durchlässigkeiten bewusst zu werden, um von diesen ausgehend die als
Schicksal begriffenen Normen in den Kreislauf von Iteration und Resignifikation
(Butler 1995 [1993], S. 295–296) zu überführen. Queering Medienwissenschaft ist
also mehr, als queer in den Medien und Medien in den Queer Studies aufzuspüren.
Es impliziert im Sinne eines queer reading (Sedgwick 1985) oder queer commentary
(Berlant und Warner 1995), die Medienwissenschaften als genuin queer zu verste-
hen, um von da aus Konventionen und Normen anzufechten, umzudeuten, zu
veruneindeutigen (Engel 2002).

2 Zentrale Konzepte

2.1 Repräsentation

Für die Queer Studies und deren Interesse, die Dimension von Geschlecht und
Sexualität im Zusammenhang von Subjektivierungsweisen und Vergesellschaftun-
gen zu untersuchen und zu transgressieren, war und ist der Begriff der Repräsenta-
tion zentral. Neben seinem epistemologischen und politischen Sinngehalt der Ver-
gegenwärtigung bzw. Vertretung (Figge 2016, S. 109) bedeutet er auf der Ebene der
medialen Darstellung innerhalb Queerer Theorien die Konstruktion eines Sichtbar-
keitsverhältnisses, das heißt die performative und nicht repräsentative Herstellung
von Bedeutung im Moment des Zu-Sehen-Gebens von Geschlecht und Sexualität
(Schade und Wenk 2011, S. 119). Da der performative Gehalt an zeitlich, räumlich
und medientechnologisch situierte Bedingungen geknüpft ist, wohnt diesem Begriff
der Repräsentation immer schon die Kehrseite des Nicht-Sichtbaren inne. Es kann
nie alles gezeigt werden. Mit keiner Darstellung kann an allen Orten dieser Welt, zu
Queer Media Studies – Queering Medienwissenschaften 79

allen Zeiten unserer Wahrnehmung das Gleiche repräsentiert werden. Daraus resul-
tiert nicht nur die Übereinkunft, Wissen als genuin situiert anzuerkennen (Haraway
1988), sondern die Aufgabe, sich der Ambivalenz der Sichtbarkeit (Schaffer 2008)
zuzuwenden, um nicht vorschnell auf die Frage der Sichtbarkeit als einzig möglicher
Option queerer Repräsentation abzuheben. So kann zwar das Zeigen eines Körpers
die „vermeintlichen Normalitäten und Normativitäten im Feld von Politik, Ökono-
mie und Kultur“ (Paul 2008, S. 320) auf für queere Politiken produktive Weise
kritisieren, aber gleichzeitig die Unsichtbarkeit der realen Mächte, die diese Körper
zurichten, hervorbringen. Andersherum kann das Ausbleiben einer figürlichen Dar-
stellung queere Subjektivitäten und Räume des Begehrens erzeugen (Brandes und
Adorf 2008, S. 10), weil durch die Negation die Rezeption insofern herausgefordert
wird, als wir aufgefordert werden, uns neu in Verbindung dazu zu setzen, was Sehen
und Erkennen bedeutet (Schade und Wenk 2011, S. 119). Dies vermag etwas
Imaginäres freizusetzen, das – insofern es Normen potenziell enthoben ist – schräge,
queere Bilder zu erzeugen in der Lage ist. Weitere medienwissenschaftliche Kon-
zeptionen, die Ambivalenzen der Sichtbarkeit zu thematisieren und für queere
Lesarten zugänglich zu machen, sind unter anderem das Kippbild (Michaelsen
2017), die Mimikry (Lorenz 2009), das Besetzen (Schaffer 2008).

2.2 Performativität

Performativität ist Queer Theory inhärent. Judith Butler diskutierte in Gender


Trouble Geschlecht und Sexualität als Akte der Wiederholung, die uns zu einem
Bild von Weiblichkeit und Männlichkeit führen, das intelligibel ist und uns als
natürlich und wahrhaft erscheint. Insofern sich dieses Bild jedoch nur an den Idealen
orientiert, sind Verfehlungen vorprogrammiert. Ideale können nie erreicht werden,
weswegen der Performativität ein queeres Potenzial innewohnt, das heißt eine
Grenzüberschreitung, die möglich ist (Butler 2016 [2013], S. 575).
Mit dem Thema der Grenzüberschreitung eröffnet Erika Fischer-Lichte ihre
Einführung Performativität (Fischer-Lichte 2012). Beschreibungen der Maßlosig-
keit des Körpereinsatzes und der Intensität ermöglichen, Performativität als Theatra-
lität zu denken, ohne sie damit auf den Theaterbegriff zu beschränken (Fischer-
Lichte 2012, S. 29). Der Aufführungscharakter von Geschlecht und Sexualität
bezieht sich somit auch auf andere (mediale) Öffentlichkeiten wie Versammlungen
(Butler 2015). Versammlungen sind somit nie nur sprachlich basierte Artikulations-
räume von Forderungen zur Abschaffung von sozialer Benachteiligung, sondern
solche der körperlichen, affektiven und medialen Inszenierung und performativen
Realisierung ebenjener Forderungen. Räume, die in den Zusammenhang mit diesen
performativen Aufführungen gebracht werden, können dabei weit über solche der
Straße und des Protests hinausgehen. Manchmal befinden sie sich inmitten von
Universität (Figge 2019), manchmal im Archiv (Köppert 2015) oder der Videothek
(Berlant und Warner 2005 [1998], S. 83), öfter auf Facebook oder in Web-Videos
(Tedjasukmana 2018). Immer jedoch handelt es sich um intime Öffentlichkeiten
(Berlant 1997, 2008, S. viii), die komplexe Konstellationen des Alltäglichen, Priva-
80 K. Köppert

ten und Politischen adressieren. Folge dieser Adressierung ist, die Grenzverwi-
schung der kulturphilosophisch getrennten Sphären der politischen Öffentlichkeit
und individualistischen Privatheit (Arendt 2007 [1958]; Habermas 1990 [1962])
wahrzunehmen. Performativität aus Perspektive von Queer Theory zu betrachten,
ermöglicht daher auch, die Vermischung (medialer) Räume bzw. die Intermedialität
(Hoenes und Paul 2018) hervorzuheben und queer als einen „Raum der Eingänge
und Ausgänge“ zu konzeptionieren, der keine Gemeinschaft konstituiert, sondern
eine „nicht-systematisierte[]“ Ansammlung – eine Versammlung, die „inkommen-
surable[n] Register[n]“ folgt (Berlant und Warner 2005 [1998], S. 92).

2.3 Performative Medienontologie

Ein weiterer Aspekt, der mit dem Begriff der Performativität einhergeht und aus
medienwissenschaftlicher Perspektive interessiert, ist die Möglichkeit, Handlungs-
macht (agency) von Bildern, Artefakten und Apparaten zu denken. Mit agency ist im
Sinne einer queeren Perspektive auf Performativität nicht der Subjektstatus von
Dingen, also die Fähigkeit souveräner und kreativer Ursprung zu sein, gemeint.
Stattdessen geht es um die Anerkennung von (Medien-)Dingen, die im komplexen
Gefüge aus menschlichen, technischen und ästhetischen Elementen nicht-souverän
(Seier 2016, S. 506), also clumsy, störanfällig, unbestimmt wirken. Veruneindeuti-
gungen, wie sie auf Geschlechterperformances und Sexualitätsdarstellungen bezo-
gen innerhalb queerer Überlegungen diskutiert werden, finden Eingang in das
Denken von Materialität und Medialität. Dieses ist vor allem von Phänomenen
bestimmt, die Medien als dynamische und in ihrer Ontologie unbestimmte begreif-
bar machen, als ontologische Queerness sozusagen (Barad 2015). Wellenüberlage-
rungen (Barad 2003), Äther (Villarejo 2013), Atmosphären (Ahuja 2015), Gerüche
(Sobchack 2013; Marks 2013) schreiben sich aus einer queer-feministisch naturwis-
senschaftlichen Perspektive in die Medienwissenschaften ein, wo sie als Wahrneh-
mungsmedien dem marginalisierten Terrain „gewöhnlicher Verbreitungsmedien“
(Luhmann 1997, S. 197; Leschke 2003, S. 17) zugeschlagen werden. Wahrneh-
mungsmedien, die nicht primär der symbolischen Verständigung, sondern der Ver-
breitung dienen, erlebten über den Link zum Massenmedialen kulturhistorisch eine
Marginalisierung. Hier setzt queer insofern an, als es Potenziale für die Neukonfigu-
rierung sozialer Verhältnisse freisetzt, die sich nicht ausschließlich an symbolischen
Ordnungen des Geschlechts oder Kategorien des Menschlichen ausrichten.

3 Entwicklungslinien und Gegenstände

Mit Blick auf die Entwicklungslinie ist queertheoretische Medienanalyse von den
drei großen F’s – Fotografie, Film, Fernsehen – geprägt. Hier soll neben Film
vornehmlich dem Queerem Fernsehen Aufmerksamkeit geschenkt werden. Dies
begründet sich unter anderem durch zwei die Queer Television Studies enorm
antreibende Zäsuren: Die erste lässt sich auf das Jahr 1997 datieren, das Jahr der
Queer Media Studies – Queering Medienwissenschaften 81

coming-out-Episode der Sitcom Ellen, die – so Dana Heller – eine Einteilung der
Queer Television Studies in eine Zeit davor und danach12 bewirkte (Heller 2011).
Die zweite Zäsur stellt das Angebot von Video-on-Demand seit 2007 dar und die
damit einhergehende Produktion von Serien, deren Inhalte nicht mehr durch die
klassischen Medienkonzerne kontrolliert wurden und die sich sukzessive einem
diverseren Publikum öffneten. Die den Streaming-Diensten zugewiesene Rolle,
Fernsehen und Kino revolutioniert zu haben, wirkt sich auf die Präsenz queerer
Charaktere – mittlerweile auch im öffentlich-rechtlichen bzw. Bezahlfernsehen –
aus. Die sich auf deren Erforschung stützenden Queer Television Studies – mit stark
US-amerikanischem Einschlag – kommen ähnlich wie die Zuschauer innen kaum
noch hinterher, sich der medialen Sichtbarkeit queeren Personals zu widmen.

3.1 Queer Film

Während im deutschsprachigen Raum erst 2018 der erste Sammelband zu Queerem


Kino erschien (Brunow und Dickel 2018), lassen sich die Anfänge queerer Film-
theorie und -wissenschaft vor allem im englischsprachigen Kontext auf die späten
1970er-Jahren datieren, also der Zeit der sexuellen Emanzipationsbewegung im
Anschluss an die Stonewall Riots. Von diesen frühen Anfängen an ist queere
Filmtheorie davon geprägt, sich zum einen dem queer reading (Sedgwick 1985)
kanonischer Filme und zum anderen der Theoretisierung queerer Filme zu widmen.
Zentrale Studien wie Screening the Sexes von Parker Tyler (Tyler 1993 [1973]) und
The Celluloid Closet von Vito Russo (Russo 1981) bezogen sich auf die Frage der
Repräsentation von Homosexualität im Mainstream-Film. Arbeiten wie Now you see
it: Studies on Lesbian and Gay Film von Richard Dyer (Dyer 2013 [1990]) hingegen
verdeutlichten an Beispielen schwuler und lesbischer Filme, was das Archiv queerer
Lebens- und Liebensweisen, Gesten und Stile charakterisiert. Ihrer Zeitlichkeit
entsprechend – also noch vor der Ausformulierung queerer Theorien in den
1990er-Jahren – lesen sich die genannten Pionierarbeiten als Protokolle der affirma-
tiven Identifizierung mit dem emanzipativen Gehalt schwul-lesbischer Bewegungen.
Mit Texten zum New Queer Cinema (Rich 2013) rückten Repräsentationen von
Queerness in den Fokus, die nicht auf die Integration in normativ strukturierte
Gesellschaftsentwürfe wie die reproduktive Familie bestanden (Tedjasukmana
2016, S. 8). Diese Ausdifferenzierung steht auch im Zusammenhang mit der soge-
nannten anti-sozialen These innerhalb queerer Theorie. Leo Bersani (Bersani 1999)
und Lee Edelman (Edelman 2004) hatten in Abwendung von normativen und
liberalen Vorstellungen der Anerkennung von lesbischwultrans Personen für die
Bekräftigung des nicht auf Reproduktion ausgerichteten Stigmas ungezügelter
homosexueller Fleischeslust geworben. Dass vor diesem Hintergrund anstelle des

12
Die These der Periodisierung der Queer Television Studies vor und nach der coming-out-Episode
findet ihre Bestätigung darin, dass der populärste Blog, der sich der Sichtbarkeit von lesbischen
Repräsentationen im TV widmet, After Ellen heißt.
82 K. Köppert

Hochzeitsbanketts (Lee Ang 1993 The Wedding Banquet) schwule Schurken (Tom
Kalin 1992 Swoon, Todd Haynes 1991 Poison) ins Zentrum der Aufmerksamkeit
rückten oder Themen wie in früheren Filmen verhandelte sexuelle Praktiken wie
zum Beispiel Klappensex (Frank Ripploh 1980 Taxi zum Klo) und orgiastische
Feiern körperlicher Ambiguitäten (Jack Smith 1963 Flaming Creatures) wiederent-
deckt wurden (Diederichsen et al. 2006), scheint wenig verwunderlich (Doty 2000,
S. 321–322).
Im Zuge der Digitalisierung formiert sich nun ein Queeres Post-Cinema, das „die
Explorierung neuer medientechnischer Landschaften mit der Kritik an biopoliti-
schen Subjektivierungen und neoliberalem Kapitalismus verbindet“ (Deuber-
Mankowsky 2017). Gleichzeitig geht es darum, Post-Kino als eine medientechno-
logische und ästhetische Logik aufzufassen, die in Queerness wurzelt, wobei im
Zuge des Chthulucene13 (Haraway 2016) Figuren der Kontingenz und Praktiken des
Prekären wie zum Beispiel composting (Haraway 2016), leaking/loitering (Chun
und Friedland 2015), contaminating (Tsing 2015) oder poisoning (Blas 2018) für
sexuelle Subjektivierungsweisen zunehmend relevant werden.

3.2 Queer TV

Die Fernsehwissenschaft beschäftigt sich im Spektrum queerer Themensetzung


mit der Erforschung von Medientexten, die sich aufgrund der Sexualität der
Produzent*innen oder des Publikums oder aufgrund von Geschlechterreferenzen
als queer benennen lassen (Aaron 2013, S. 169), wobei letzteres im Zuge des
Postfeminismus seit Ende der 1990er-Jahre dehnbar geworden ist. Insbesondere
am Beispiel von Sex and the City (HBO, 1998–2004) wird diskutiert, wie sich der
spielerische und nicht mehr an Operationen sozialer Machtstrukturen interessierte
Umgang mit Geschlechterdifferenz und weiblichem Begehren auch als queere
Ästhetik der Denaturalisierung (Gerhard 2005) bzw. gegen-essentialistische ästhe-
tische Erfahrung (Dang 2017) behaupten lässt. Ähnlich verhält es sich mit The L
Word (Showtime, 2004–2009). Denn obwohl es sich hier um den Einblick in eine
weiße westlich-kosmopolitische Welt weiblichen Begehrens handelt, das anders
als bei Sex and the City auf Gleichgeschlechtlichkeit beruht, wurde oft gefragt, ob
die vorgestellten Repräsentationen lesbischer Sexualität als queer im Sinne radi-
kaler Politiken der Infragestellung des heteronormativen Blicks auf das sexuell
Andere zu verstehen sind. Dabei wird The L Word aufgrund der Privilegierung der
femme, des Paares und der nur wenig sex-positiven, perversen sexuellen Handlun-
gen eher als restriktiv rezipiert (Chambers 2009; Beirne 2008; Maier 2010).
RuPaul’s Drag Race (VH1, 2009–lfd.) – ein anderer ‚Star‘ der Queer TV Studies
– wird da schon etwas ambivalenter besprochen. Wird der Reality Show einmal die

13
In Abgrenzung zum Begriff des Anthropozäns geht es Haraway mit dem Chthuluzän um ein
Zeitalter des Lernens vom Leben anderer Arten in ihrem Werden.
Queer Media Studies – Queering Medienwissenschaften 83

Platzierung in den durch Praktiken der queeren Zitation und Zirkulation gewon-
nenen Netzwerken des Begehrens im TV (Shetina 2018) attestiert und somit zu
Zeiten von Trump die Chance einer Revitalisierung queeren Widerstands zuge-
wiesen (Greenhalgh 2018), wird ihr ein anderes Mal die (neokoloniale) Kommo-
difizierung und Spektakularisierung queerer Körper und kultureller Praktiken wie
culture jamming und drag vorgehalten (Gudelunas 2016; Hodes und Sandoval
2018; Upadhyay 2019).
Oft ernüchtert von der durch das heteronormative Regime vereinnahmten
Darstellung queerer Protagonist innen und ihrer Beziehungen, lässt sich die
Hinwendung zu queer-reading-Strategien beobachten, die, trotz der Abwesen-
heit queeren Personals, das subversive Vergnügen herausarbeiten, Queerness im
Mainstream repräsentiert zu sehen (Heller 2011, S. 676; vgl. auch Doty 1993).
Queere Fernsehwissenschaft stellt demnach ähnlich wie die Filmwissenschaft
auch ein archäologisches Projekt dar, sprich ein retrospektives Queering der
Fernsehgeschichte (Sullivan 2003). Aaron problematisiert jedoch dieses Projekt
als romantisierende Wiederentdeckung einer queeren Vergangenheit, die oft mit
dem neo-liberalen Impuls des Mainstream-TVs einhergehe, LGBTIQ -Themen
zu vereinnahmen (Aaron 2013, S. 170; Becker 2004 [1998], 2006; McCarthy
2005). Als aktuelles Beispiel kann die Serie Transparent (Jill Soloway 2014-lfd.)
des Streaming-Dienstes Amazon Prime angeführt werden. Die darin nostalgisch
verklärten Blicke auf die Cross-Dresser-Szene der 1990er-Jahre sowie das sexu-
elle ‚Babylon Berlin‘ der Weimarer Republik verführen scheinbar dazu, die
Einbettung queerer Lebensweisen in die neoliberale Gegenwart eines Wohl-
stands, der ohne sichtbarer Arbeit einfach da zu sein scheint, an den Rand der
Analyse zu drängen (Haschemi Yekani 2015; Villarejo 2015). Gegenbeispiel
könnte hierzu überraschenderweise Mad Men (AMC, 2007–2015) sein: Die in
Mad Men breit angelegte Nostalgie würde hier nicht eskapistische Flucht sein,
sondern Katalysator der Verhandlung, was queer gegenwärtig noch meint: „anti-
homophobic unmasking of past injustice, neo-liberal faith in identity politics that
celebrates diversity and inclusion, [or] a more transgressive queer challenge to
normativity itself.“ (Hennessee 2017)
Mit Nostalgie als der sehnsuchtsvollen Hinwendung zu einer Vergangenheit, die
gegebenenfalls queerer war als vermutet, ist ein Verhältnis von queer zu Zeit und
Zeitlichkeit beschrieben. Dieses steht bei Amy Villarejo (2013) im Zentrum queerer
Fernsehwissenschaft. Sie interessiert, wie Fernseh-Zeit (television time) Queerness
organisiert und verändert (Villarejo 2013, S. 17). So untersucht sie beispielsweise,
wie technische Neuerungen wie Multikanal-Fernsehen oder Satellitenfernsehen,
Formate wie Reality-TVoder Sitcoms und Raumanordnungen (Fernsehen vom Sofa,
vom Bett, in der U-Bahn) Einfluss darauf haben, wie queer als Modus der Verzöge-
rung oder der Retrospektion gelebt wird und entsprechend straight time, also nach
vorn gerichtete und ohne Brüche imaginierte Zeitlichkeiten heteronormativer
Genealogien, herausfordert. Insofern versteht sie Fernsehen auch als ein Medium,
das ermöglicht, Gesellschaftsverhältnisse der Zukunft auf nicht heteronormative
Weise zu allegorisieren. Nostalgie im Kontext genderqueerer Serienformate ließe
sich demnach als die Zeitlichkeit der Zukunft bezeichnen: Zukunft, so Villarejo,
84 K. Köppert

wird die Zeit des Melodrams sein (Villarejo 2013, S. 29), was schon immer irgend-
wie camp14 war.

4 Ausblick

Wie anfällig Medien für ihre Theoretisierbarkeit sind, das heißt, wie affin Medien
sind, Theorien zu begründen, ist abhängig von ihrer sozialen Relevanz (Leschke
2003, S. 16). Erst wenn Medien innerhalb sozialer Beziehungen relevant wurden,
setzte sich die Wissenschaft mit ihnen auseinander. Im Feld queerer Relationen zum
einen und queerer Denkweisen zum anderen stellt sich jedoch die Frage nach dem,
was sozio-kulturell relevant ist, anders. Müssten aus Sicht nicht-heteronormativer
Ansätze zur Produktion und Rezeption von Medien nicht ganz andere als nur die drei
großen F´s ins Blickfeld Queerer Medienwissenschaft gelangen? Müssten nicht eher
auch informelle Medien wie Mail-Order-Kataloge, Flyer, Dating-CD-Roms Gegen-
stand der Analyse sein? Bestimmt im Feld von queer nicht vor allem auch die Sub-
und Amateurkultur die Herstellung und den Gebrauch von Medien (Regener und
Köppert 2015)? Sind nicht auch der Alltag und die sich im Alltag ereignenden
Phänomene wie Gerüchte (Bruns 2017), Klatsch und Tratsch (Siegel 2006) als
queere Medien zu verstehen? Und wie können wir mit digitalen Störungsquellen
wie Glitch (Strick 2012), Spam (Paasonen 2009), Viren (Parikka 2007) und Bots
(Sinders 2016) aus queerer Sicht weiter und intensiver – queerer – arbeiten? Wenig
ist das nicht, für das noch offene Feld der Queeren Medienwissenschaft.

Literatur
Aaron, Michele. 2013. Zu einer queeren Fernsehtheorie. Erweiterte Bilder ohne romantisierenden
Queer-Blick. In Sexy Media? Gender/Queertheoretische Analysen in den Medien-und Kommu-
nikationswissenschaften, Hrsg. Skadi Loist, Sigrid Kannengießer, und Joan Kristin Bleicher,
169–186. Bielefeld: transcript.
Ahmed, Sara. 2014. Willful subjects. Durham: Duke University Press.
Ahmed, Sara. 2017. Living a feminist life. Durham/London: Duke University Press.
Ahuja, Neel. 2015. Intimate atmospheres: Queer theory in a time of extinctions. GLQ: A Journal of
Lesbian and Gay Studies 2–3(21): 365–385.
Angerer, Marie-Luise. 1999. Body Options: Körper, Spuren, Medien, Bilder. Wien: Turia + Kant.
Arendt, Hannah. 2007 [1958]. Vita activa oder Vom tätigen Leben. München: Piper.
Barad, Karen. 2003. Posthumanist performativity. Towards an understanding of how matter comes
to matter. Signs: Journal of Women in Culture and Society 28(3): 801–831.
Barad, Karen, Hrsg. 2015. Die Queere Performativität der Natur. In Verschränkungen, 15–172.
Berlin: Merve.
Becker, Ron. 2004 [1998]. Prime-time television in the gay nineties: Network television, quality
audiences, and gay politics. In Television Studies Reader, Hrsg. Robert C. Allen und Annette
Hill, 389–403. London: Routledge.

In Susan Sontags Notes on ‚Camp‘ wird das Verhältnis von camp, also der sich in parodistischer
14

Übertreibung übenden Attitüde, zur Vergangenheit als „äußerst sentimental“ beschrieben (Sontag
2012 [1966], S. 327).
Queer Media Studies – Queering Medienwissenschaften 85

Becker, Ron. 2006. Gay TV and straight America. New Brunswick: Rutgers University Press.
Beirne, Rebecca. 2008. Lesbians in television and text after the new millennium. New York:
Palgrave Macmillan.
Berlant, Lauren. 1997. The queen of America goes to Washington City. Durham/London: Duke
University Press.
Berlant, Lauren. 2008. The female complaint. The unfinished business of sentimentality in American
culture. Durham: Duke University Press.
Berlant, Lauren, und Michael Warner. 1995. What does queer theory teach us about X? PMLA
110(3): 343–349.
Berlant, Lauren, und Michael Warner. 2005 [1998]. Sex in der Öffentlichkeit. In Outside. Die
Politik queerer Räume, Hrsg. Mathias Haase, Marc Siegel, und Michaela Wünsch, 77–103.
Berlin: b_books.
Bersani, Leo. 1999. The culture of redemption. New York: New York University Press.
Blas, Zach, und Micha Cárdenas. 2013. Imaginary computational systems: Queer technologies and
transreal aesthetics. AI & Society 28(4): 559–566.
Blas, Zach in conversation with Jasmina Tumbas. 2018. The ectoplasmic resistance of queer: Metric
mysticism, libidinal art, and how to think beyond the internet. ASAP Journal. http://asapjournal.
com/the-ectoplasmic-resistance-of-queer/. Zugegriffen am 13.03.2019.
Brandes, Kerstin, und Sigrid Adorf. 2008. „Indem es sich weigert, eine feste Form anzunehmen“ –
Kunst, Sichtbarkeit, Queer Theory. FKW//Zeitschrift für Geschlechterforschung und Visuelle
Kultur 45:5–11.
Brunow, Dagmar, und Simon Dickel. 2018. Queer cinema. Mainz: Ventil.
Bruns, Karin. 2017. „Moral Panics?“ Gerücht und Outing. Zeitschrift für Medienwissenschaften 16:
134–139.
Butler, Judith. 1991 [1990]. Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Butler, Judith. 1995 [1993]. Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts.
Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Butler, Judith. 2010 [1997]. Haß spricht. Zur Politik des Performativen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Butler, Judith. 2011. Kritik, Dissens, Diszplinarität. Zürich: diaphanes.
Butler, Judith. 2015. Notes towards a performative theory of assembly. Cambridge/London:
Harvard University Press.
Butler, Judith. 2016 [2013]. Von der Performativität zur Prekarität. In Gender und Medien-Reader,
Hrsg. Kathrin Peters und Andrea Seier, 573–589. Zürich/Berlin: Diaphanes.
Butler, Judith im Gespräch mit Anna-Lena Scholz. 2017. Ich kann nicht alles kontrollieren. Die
Zeit, Nr. 34, 17. August 2017. https://www.zeit.de/2017/34/judith-butler-philosophin-kontrolle-
feminismus-interview. Zugegriffen am 06.03.2019.
Chambers, Samuel A. 2009. The queer politics of television. London: I.B. Tauris.
Chauncey, George Jr. 1994. Gay New York. Gender, urban culture, and the making of the gay male
world. New York: Harper Collins.
Chun, Wendy Hui Kyong, und Sarah Friedland. 2015. Habits of leaking: Of sluts and network
cards. differences. A Journal of Feminist Cultural Studies 26(2): 1–28.
Cixous, Helene. 2008. Benjamin nach Montaigne. Wien: Passagen.
Crimp, Douglas, Hrsg. 2002 [1989]. Mourning and militancy. In Melancholia and moralism.
Essays on AIDS and queer politics, 129–150. Cambridge/London: MIT Press.
Cvetkovich, Ann. 2012. Depression: A public feeling. Durham/London: Duke University Press.
Dang, Sarah-Mai. 2017. Gossip, women, film, and chick flicks. London: Palgrave Macmillan UK.
De Lauretis, Teresa. 1991. Queer theory. Lesbian and gay sexualities. differences. A Journal of
Feminist Cultural Studies 3(2): iii–xviii.
Deuber-Mankowsky, Astrid. 2017. Queers post-cinema. Berlin: August.
Diederichsen, Diedrich, Christine Frisinghelli, Christoph Gurk, Matthias Haase, Juliane Reben-
tisch, Martin Saar, und Ruth Sonderegger. 2006. Golden Years. Materialien und Positionen zu
queerer Subkultur und Avantgarde zwischen 1959 und 1974. Graz: Camera Austria.
Doty, Alexander. 1993. Making things perfectly queer: Interpretating mass culture. Minneapolis:
University of Minnesota Press.
Doty, Alexander. 2000. Flaming classics: Queering the film canon. New York/London: Routledge.
86 K. Köppert

Doyle, Jennifer. 2015. Campus sex, campus security. South Pasadena: Autonomedia.
Dyer, Richard. 2013 [1990]. Now you see it: Studies in lesbian and gay film. London/New York:
Routledge.
Dynes, Wayne R., Warren Johansson, William A. Percy, und Stephen Donaldson. 1990. Encyclo-
pedia of homosexuality. New York: Garland.
Edelman, Lee. 2004. No future: Queer theory and the death drive. Durham/London: Duke
University Press.
Engel, Antke. 2002. Wider die Eindeutigkeit. Sexualität und Geschlecht im Fokus queerer Politik
der Repräsentation. Frankfurt a. M.: Campus.
Engel, Antke. 2008. Das Bild als Akteur – das Bild als Queereur. Methodologische Überlegungen
zur sozialen Produktivität der Bilder. FKW // Zeitschrift für Geschlechterforschung und Visuelle
Kultur 45:12–25.
Feddersen, Jan. 2019. Unsere Queergida: So wird „cis, weiss, männlich“ diffamiert. Mannschaft
Magazin. 6. April. http://mannschaft.com/2019/04/06/unsere-queergida-so-wird-cis-weiss-maenn
lich-diffamiert/. Zugegriffen am 06.03.2019.
Figge, Maja. 2016. Repräsentation – Einleitung. In Gender und Medien-Reader, Hrsg. Kathrin
Peters und Andrea Seier, 109–117. Zürich/Berlin: Diaphanes.
Figge, Maja. 2019. „Reden = Leben“ Zur Ästhetik des Präsentischen in 120 bpm. Vortrag beim
Symposium Queeres Kino | Queere Ästhetiken als Dokumentationen des Prekären, 25. bis 27.
April 2019, veranst. v. Astrid Deuber-Mankowsky und Philipp Hanke. Bochum.
Fischer-Lichte, Erika. 2012. Performativität. Eine Einführung. Bielefeld: transcript.
Foucault, Michel. 1983 [1976]. Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1. Frankfurt a. M.:
Suhrkamp.
Gerhard, Jane. 2005. Sex and the city. Carrie Bradshaw’s queer postfeminism. Feminist Media
Studies 5(1): 37–49.
Grahn, Judy. 1984. Another mother tongue: Gay words, gay worlds. Boston: Beacon Press.
Greenhalgh, Ella. 2018. „Darkness turned into power“: Drag as resistance in the era of Trumpian
reversal. Queer Studies in Media & Popular Culture 3(3): 299–319.
Gudelunas, David. 2016. Culture jamming (and tucking): RuPaul’s Drag Race and unconventional
reality. Queer Studies in Media & Popular Culture 1(2): 231–249.
Habermas, Jürgen. 1990 [1962]. Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer
Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Haraway, Donna. 1988. Situated knowledges: The science question in feminism and the privilege of
partial perspective. Feminist Studies 14(3): 575–599.
Haraway, Donna. 2016. Staying with the trouble. Making kin in the chthulucene. Durham: Duke
University Press.
Hark, Sabine und Inge Stephan. 2005. Queer Studies. In Gender@Wissen: Ein Handbuch der
Gender-Theorien, Hrsg. Christina von Braun, 285–303. Köln/Weimar/Wien: Böhlau.
Haschemi Yekani, Elahe. 2015. Nostalgisches Fernsehen und queeres Altern in Transparent. Blog
Feministische Studien, http://blog.feministische-studien.de/2015/04/nostalgisches-fernsehen-
und-queeres-altern-in-transparent/. Zugegriffen am 15.02.2018.
Heller, Dana. 2011. Visibility and its discontents. GLQ: A Journal of Lesbian and Gay Studies
17(4): 665–676.
Hennessee, David. 2017. Queer nostalgia in Mad Men. Queer Studies in Media & Popular Culture
2(2): 213–226.
Hodes, Caroline, und Jorge Sandoval. 2018. RuPaul’s Drag Race: A study in the commodification
of white ruling-class femininity and the etiolation of drag. Studies in Costume & Performance
3(2): 149–166.
Hoenes, Josch, und Barbara Paul, Hrsg. 2018. Perverse assemblages: Queering heteronormativity
inter/medially, An introduction. In Perverse assemblages: Queering heteronormativity inter/
medially, 6–24. Berlin: Revolver.
Jagose, Annamarie. 2001 [1996]. Queer Theory: Eine Einführung. Berlin: Querverlag.
Jagose, Annamarie. 2009. Feminism’s queer theory. Feminism & Psychology 19:157–174.
Queer Media Studies – Queering Medienwissenschaften 87

Jay, Martin. 2011. Avital Ronell’s Fighting Theory. Artforum 49(9). https://www.artforum.com/
print/201105/avital-ronell-s-fighting-theory-28050. Zugegriffen am 11.03.2019.
Köppert, Katrin. 2015. Queere Archive des Ephemeren. Raum, Gefühl: Unbestimmtheit. sub
\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung 3(2): 67–90. http://www.zeitschrift-suburban.
de/sys/index.php/suburban/article/view/187. Zugegriffen am 11.03.2019.
Krämer, Sybille, Hrsg. 2004. Performativität und Medialität. Paderborn: Fink.
Leap, William. 1996. Word’s out. Gay men’s english. Minneapolis: University of Minnesota Press.
Leschke, Rainer. 2003. Einführung in die Medientheorie. München: Fink.
Lorenz, Renate. 2009. Aufwändige Durchquerungen. Subjektivität als sexuelle Arbeit. Bielefeld:
transcript.
Lorenz, Renate. 2012. Queer art. Bielefeld: transcript.
Luhmann, Niklas. 1997. Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Maier, Tania. 2010. Das Alltägliche im Nicht-Alltäglichen. Geschlecht, Sexualität und Identität in
„The L Word“. In Alltag in den Medien – Medien im Alltag, Hrsg. Jutta Röser, Tanja Thomas,
und Corinna Peil, 104–118. Wiesbaden: Springer.
Marks, Laura U. 2013. Thinking multisensory culture. In Carnal aesthetics: Transgressive imagery
and feminist politics, Hrsg. Bettina Papenburg und Marta Zarzycka, 144–157. London: Tauris.
McCarthy, Anna. 2005. Crab people from the center of the earth. GLQ: A Journal of Lesbian and
Gay Studies 11(1): 97–101.
Michaelsen, Anja. 2017. Kippbilder der Familie. Ambivalenz und Sentimentalität moderner Adop-
tion in Film und Video. Bielefeld: transcript.
Paasonen, Susanna. 2009. Irregular fantasies, anomalous uses: Pornography spam as boundary
work. In The spam book. On viruses, porn, and other anomalies from the dark side of digital
culture, Hrsg. Jussi Parrikka, 161–179. Cresskill: Hampton Press.
Parikka, Jussi. 2007. Digital contagions: A media archaeology of computer viruses. New York:
Peter Lang.
Paul, Barbara. 2008. Kunstgeschichte, Feminismus und Gender Studies. In Kunstgeschichte. Eine
Einführung, Hrsg. Hans Belting, Heinrich Dilly, Wolfgang Kemp, Willibald Sauerländer, und
Martin Warnke, 297–336. Berlin: Reimer.
Peters, Kathrin. 2005. Media Studies. In Gender@Wissen. Ein Handbuch der Gender-Theorien,
Hrsg. Christina von Braun und Inge Stephan, 325–344. Köln/Weimar/Wien: Böhlau.
Peters, Kathrin. 2020. Gender und Queer Studies (Judith Butler). In Schlüsselwerke der Medien-
philosophie, Hrsg. Ivo Ritzer, 121–135. Wiesbaden: Springer.
Peters, Kathrin, und Andrea Seier. 2016. Gender & Medien. Einleitung. In Gender und Medien-
Reader, Hrsg. Peters, Kathrin und Andrea Seier, 9–19. Zürich/Berlin: Diaphanes.
Poole, Ralph J. 2004. Lust-Ordnungen oder die neue Ethik sexueller Normen. In Gender Studies:
Wissenschaftstheorien und Gesellschaftskritik, Hrsg. Therese Frey Steffen, Caroline Rosenthal,
und Anke Väth, 139–162. Würzburg: Königshausen & Neumann.
Preciado, Paul. 2016 [2008]. Testo Junkie. Sex, Drogen und Biopolitik in der Ära der Pharmapor-
nographie. Berlin: b_books.
Regener, Susanne, und Katrin Köppert. 2015. Privat/öffentlich. Mediale Selbstentwürfe von Homo-
sexualität. Wien/Berlin: Turia + Kant.
Rich, B. Ruby. 2013. New queer cinema: The director’s cut. Durham/London: Duke University
Press.
Ronell, Avital. 2010. Fighting theory. Urbana: University of Illinois Press.
Rubin, Gayle. 1993 [1984]. Thinking sex: Notes for a radical theory of the politics of sexuality. In
The Lesbian and Gay studies reader, Hrsg. Henry Abelove, Michele Aina Barale, und David
M. Halperin, 3–44. New York: Routledge.
Russo, Vito. 1981. The celluloid closet. Homosexuality in the movies. New York: Harper & Row.
Schade, Sigrid, und Silke Wenk. 2011. Studien zur Visuellen Kultur. Einführung in ein transdiszi-
plinäres Forschungsfeld. Bielefeld: transcript.
Schaffer, Johanna. 2008. Ambivalenzen der Sichtbarkeit. Über die visuellen Strukturen der Aner-
kennung. Bielefeld: transcript.
88 K. Köppert

Sedgwick, Eve Kosofsky. 1985. Between men: English literature and male homosocial desire.
New York: Columbia University Press.
Seier, Andrea. 2007. Remediatisierung. Die performative Konstitution von Gender und Medien.
Berlin: Lit.
Seier, Andrea. 2016. Agency – Einleitung. In Gender und Medien-Reader, Hrsg. Kathrin Peters und
Andrea Seier, 503–514. Zürich/Berlin: Diaphanes.
Seier, Andrea, und Eva Warth. 2002. Perspektivverschiebungen: Zur Geschlechterdifferenz in Film-
und Medienwissenschaft. In Genus. Geschlechterforschung/Gender Studies in den Kultur- und
Sozialwissenschaften, Hrsg. Hadoumod Bußmann und Renate Hof, 83–111. Stuttgart: Kröner.
Shetina, Michael. 2018. Snatching an archive: Gay citation, queer belonging and the production of
pleasure in RuPaul’s Drag Race. Queer Studies in Media & Popular Culture 3(2): 143–158.
Siegel, Marc. 2006. Gossip ist fabelhaft/Queere Gegenöffentlichkeiten und „Fabulation“. Texte zur
Kunst 61:8–79.
Sinders, Caroline. 2016. Queer your bots: The bot builder roundtable. https://www.autostraddle.
com/queer-your-bots-the-bot-builder-roundtable-333806/. Zugegriffen am 14.02.2018.
Sobchack, Vivian. 2013. The dream olfactory: On making scents of cinema. In Carnal aesthetics:
Transgressive imagery and feminist politics, Hrsg. Bettina Papenburg und Marta Zarzycka,
121–143. London: I.B. Tauris.
Sontag, Susan, Hrsg. 2012 [1966]. Anmerkungen zu ‚Camp‘. In Kunst und Antikunst: 24 literari-
sche Analysen, 322–341. Frankfurt a. M.: Fischer.
Strick, Simon. 2012. The Straight Screen: Begradigungsarbeiten am iPhone. Feministische Studien
2:228–244.
Sullivan, Nikki. 2003. A critical introduction to queer theory. Edinburgh: Edinburgh University
Press.
Tedjasukmana, Chris. 2016. Queere Theorie und Filmtheorie. In Handbuch Filmtheorie, Hrsg.
Bernhard Groß und Thomas Morsch, 1–16. Wiesbaden: Springer.
Tedjasukmana, Chris. 2018. Das Netzvideo als Flaschenpost. Sylvia Rivera und queere Filmge-
schichte. In Queer Cinema, Hrsg. Simon Dickel und Dagmar Brunow, 56–67. Mainz: Ventil.
Tsing, Anna. 2015. The mushroom at the end of the world. Princeton: Princeton University Press.
Tyler, Parker. 1993 [1973]. Screening the sexes: Homosexuality in the movies. New York: Da Capo.
Upadhyay, Nishant. 2019. „Can you get more American than Native American?“: Drag and settler
colonialism in RuPaul’s Drag Race. Cultural Studies 33(3): 480–501.
Villa, Paula-Irene. 2017. The Sargnagel talks back: Eine Replik auf die „EMMA“. https://missy-
magazine.de/blog/2017/07/12/the-sargnagel-talks-back-eine-replik-auf-die-emma/. Zugegriffen
am 06.03.2019.
Villarejo, Amy. 2013. From ethereal queer. Durham/London: Duke University Press.
Villarejo, Amy. 2015. Jewish, queer-ish, trans, and completely revolutionary: Jill Soloway’s
„Transparent“ and the new television. Film Quarterly 69(4): 10–22.
Doing Media Theory: Feministische
Medientheorie als künstlerische Praxis

Gabriele Jutz

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
2 Feministische Medientheorien seit den 1990er-Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
3 Künstlerische Praktiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

Zusammenfassung
Vielfältige Formen zeitgenössischer Medienkunst zeigen das Ineinandergreifen von
feministischer Medientheorie und künstlerischer Praxis. Die Reflexion von Medien
mittels künstlerischer Strategien („Doing Media Theory“) ist ein wichtiges Korrektiv
gegenüber einer allein mit sprachlichen Mitteln agierenden Theorie.

Schlüsselwörter
Feministische Medienkunst · Feministische Medientheorie · Experimentalfilm ·
Feministische Kunstpraxis · Künstlerische Forschung

1 Einleitung

Schon der Begriff „Medienkunst“ wirft Fragen auf, ist doch Kunst generell medial
vermittelt. Selbst eine Engführung auf apparative Medien, wie im vorliegenden Beitrag,
trägt nur bedingt zur Klärung bei. Zur Abgrenzung von herkömmlichen, analogen

G. Jutz (*)
Abteilung für Medientheorie, Universität für angewandte Kunst, Wien, Österreich
E-Mail: gabriele.jutz@uni-ak.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 89
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_61
90 G. Jutz

Medien wurde der Begriff „Neue Medien“ eingeführt, der jedoch nicht minder proble-
matisch ist, da er so unterschiedliche Technologien und Praktiken wie digitales Video,
Computerkunst, Virtual-Reality-Inszenierungen, interaktive Installationen, Game Art
und „Netzkunst“ vereint. Was einst als neue Technologie galt – Video in den 1970er-
Jahren, Computer in den 1980er-Jahren und Internet in den 1990er-Jahren –, ist längst
im Mainstream angekommen. Wer heute von „Medienkunst“ spricht, bezieht sich auf
die Vergangenheit. Gepaart mit dem Adjektiv „feministisch“ wirkt „Medienkunst“ wie
aus der Zeit gefallen: „Feminism has fallen from vogue in contemporary art, and all but
disappeared from new media art and its discourses“ (Behar und Ruzanka 2011, o. S.).
Trotz dieses ernüchternden Befundes möchte ich am Terminus „Feministische
Medienkunst“ festhalten. Als gemeinsamer Nenner für Medien, die auf einer tech-
nischen Apparatur basieren, besitzt „Medienkunst“ nach wie vor distinktiven Wert.
Obwohl im Zeichen des Postfeminismus – insbesondere in seiner neoliberalen
Variante – es keineswegs selbstverständlich ist, dass feministische Anliegen auf
der Agenda von Künstlerinnen stehen, lassen sich gerade in jüngerer Zeit zahlreiche
Beispiele für medienkünstlerische Auseinandersetzungen mit der Kategorie
„Geschlecht“ finden. Was für „Medienkunst“ als Dachbegriff für die hier verhan-
delten künstlerischen Praktiken spricht, ist seine medienreflexive Konnotation.
Sowohl der Experimental- bzw. Avantgardefilm1 als auch die „Neue Medienkunst“2
gelten als hochgradig selbstreferenziell. Ihr Anliegen, Medien mittels Kunst zu
reflektieren, kann als „direct theory“ (Small 1994) bezeichnet werden. Was den
Umgang mit den Herausforderungen einer mediatisierten Welt betrifft, so konzidiert
Rosi Braidotti feministischer Medienkunst sogar einen Vorsprung gegenüber femi-
nistischer Theoriebildung: „There is no question that the creative spirits have a head
start over the masters of meta discourse [. . .]. [A]fter years of post-structuralist
theoretical arrogance, philosophy lags behind art [. . .] in the difficult struggle to
keep up with today’s world“ (Braidotti 1997, S. 525).
Doch was bedeutet es, wenn Diskurs und künstlerische Praxis ineinandergreifen und
Denken sich in Tun – „Doing Media Theory“ – niederschlägt? Diese Frage wird im
Folgenden anhand von zeitgenössischen Beispielen feministischer Medienkunst ausge-
führt.

1
Ich verwende hier ununterschieden „Avantgardefilm“ und „Experimentalfilm“ für filmkünstle-
rische Arbeiten, die auf analogen audiovisuellen Medien basieren – von den Anfängen in den
1910er-Jahren bis zur Gegenwart.
2
Historisch entstanden die „neuen Medien“ im Gefolge des Aufstiegs digitaler Technologien und sind
eng mit der Demokratisierung von Computertechnologie verbunden. Lovink (2006) beschreibt „Neue
Medienkunst“ als „transitorische und hybride Kunstform, als multidisziplinäre ‚Wolke‘ von Mikro-
Praxen“. Der Begriff „neue Medien“ wird bei Manovich (2001, S. 27–61) ausführlich diskutiert.
Doing Media Theory: Feministische Medientheorie als künstlerische Praxis 91

2 Feministische Medientheorien seit den 1990er-Jahren

Während die klassische feministische Filmtheorie den Experimentalfilm erst mit


einiger Verspätung für sich entdeckte,3 stießen feministische Filmtheorien bei Fil-
memacherinnen auf breites Echo. Dies mag daran liegen, dass Auseinandersetzun-
gen mit Gender, Identität und Repräsentation schon lange vor der Etablierung einer
feministischen Filmtheorie Mitte der 1970er-Jahre ins weibliche Experimentalfilm-
schaffen Eingang gefunden hatten. Erst ab den 1990er-Jahren sollten Kunst und
Theorie auf Augenhöhe kommunizieren, wozu die Verbreitung neuer Medien- und
Kommunikationstechnologien beitrug. Die Aufmerksamkeit, die dem „Cyberspace“
und „virtueller Realität“4 sowohl von theoretischer als auch von künstlerischer Seite
zuteil wurde, trug wesentlich zur Verzahnung von Theorie und Praxis bei.
Bereits 1985 hatte Donna Haraway in ihrem berühmten Cyborg-Manifest (Hara-
way 1985) die Metapher der Cyborg geprägt, ein Hybrid aus Maschine und Orga-
nismus, das sämtliche Binarismen zu überwinden versprach und zum Leitbild einer
technophilen feministischen Avantgarde avancierte (Harrasser 2004). Die Frage, ob
neue Medientechnologien – allen voran das Internet – für feministische Anliegen
genutzt werden können, wurde von Anfang an kontrovers diskutiert, wobei tech-
noutopische und technokritische Positionen einander gegenüber standen. Über aka-
demische Kreise hinaus Verbreitung fand der Begriff „Cyberfeminismus“ dank
Sadie Plant (1993, 1997). Plant zufolge bieten Computer und Netz die Möglichkeit,
eine Allianz von Feminismus und Technologie zu schmieden, da die Eigenschaften
und Praktiken des Internets aufs Engste mit Weiblichkeit verbunden seien. Zu den
Beispielen, die Plant anführt, zählen das Herstellen nicht-linearer Netzwerke und
eine kollaborative Praxis, wie von feministischen Gruppen seit jeher praktiziert; die
Fähigkeit kybernetischer Systeme, sich selbst zu replizieren; die Aufwertung des
Haptischen durch berührungssensitive Interfaces und die taktilen Welten der virtu-
ellen Realität. Schon die Etymologie von „net“ oder „web“ erinnert an die Tätigkeit
des Webens: „[The computer] emerges out of the history of weaving, the process so
often said to be the quintessence of women’s work“ (Plant 1995, S. 46). Plants
optimistischer Sicht des Cyberspace wurde nicht zu Unrecht vorgeworfen, dass sie
geschlechtsspezifische Zuschreibungen zementieren würde. Andere wiederum sahen
darin eine Ermutigung für Frauen, sich digitale Technologien anzueignen.
Ein konstanter Topos feministischer Cyberutopien ist die Fantasie vom Ver-
schwinden des Körpers im Cyberspace. Virtuelle Welten eröffneten die Möglichkeit
einer selbst gewählten Identität, unabhängig von Geschlecht, Rasse oder Klasse;

3
Nennenswerte Ausnahmen sind Mellencamps Indiscretions (1990) und Rabinovitz’ Points of
Resistance (1991).
4
Die Begriffe „Cyberspace“ und „Virtual Reality“ sind nicht identisch, obwohl sie bisweilen
synonym verwendet werden: „Cyberspace is the electronic matrix in which the simulations of
virtual reality operate; virtual reality systems are a means to access that space“ (Thornham 2007,
S. 129).
92 G. Jutz

damit verbunden war die Hoffnung, dass das Internet Ungleichheiten beseitigen
würde. Während Sherry Turkle (1997) und Lisa Nakamura (2002) den virtuellen
Wechsel der Identität als befreiende feministische Strategie betrachteten, wurde das
subversive Potenzial entkörperlichter Kommunikation von anderen Theoretikerin-
nen bestritten (Braidotti 1997; Kendall 1998; Daniels 2009). Die nächste Phase
cyberfeministischer Theoriebildung nahm von rigiden Binarismen Abstand. Gängi-
ge Oppositionen wie online/offline, virtuell/real, Körperlichkeit/Körperlosigkeit,
Technoenthusiasmus/Technokritik wurden infrage gestellt und durch komplexere
Erklärungsmodelle ersetzt. Das Internet an sich, so der Tenor, sei weder frauen-
freundlich noch frauenfeindlich. Vielmehr besitze es das Potenzial, „to facilitate
empowerment, oppression, and all points in between“ (Blair et al. 2009, S. 128).
Damit wurde auch der vereinfachenden Sicht, technologische Systeme wie das
Internet seien bloß „Werkzeuge“, deren Gebrauch allein Frauen mit Macht ausstatten
würde, eine Absage erteilt. Zentral für komplexere Erklärungsmodelle ist nicht nur
das Verabschieden kruder binärer Oppositionen, sondern auch die Einsicht, dass
Medien- und Kommunikationstechnologien selbst in Machtstrukturen eingebettet
sind und sowohl ihre Produktion als auch ihr Gebrauch einer historischen Kon-
textualisierung bedürfen.

3 Künstlerische Praktiken

Zeitgenössische Künstlerinnen definieren ihre Arbeiten nicht länger über ein


bestimmtes Medium. „Neue“ Medien sind selbstverständlicher Bestandteil des
künstlerischen Spektrums, aber auch angeblich überholte, analoge Medien werden
wiederentdeckt. Die künstlerischen Arbeiten, die ich im Folgenden vorstelle, profi-
tieren zum einen von feministischer Film- und Medientheorie. Zum anderen erwei-
tern sie deren Verständnis, bereichern es um neue Facetten und dringen in Sphären
vor, die einer allein mit sprachlichen Mitteln agierenden Theorie verschlossen sind.

3.1 Aktivismus, Intervention, Kollaboration

Künstlerinnen nutzen das Internet auf vielfältige Weise, wobei das Medium häufig
für aktivistische, interventionistische und kollaborative Zwecke zum Einsatz kommt.
So nahm etwa Cornelia Sollfranks Female Extension (1997) einen Wettbewerb für
Netzkunst der Hamburger Kunsthalle mit dem Titel „Extension“ zum Anlass,
288 internationale Netzkünstlerinnen zu erfinden, denen sie vollständige Post- und
E-Mail-Adressen zuordnete. Für einen Teil dieser Künstlerinnen generierte Sollfrank
mit Hilfe eines Computerprogramms individuelle Netzkunstprojekte. Während sich
die Kunsthalle über die hohe Beteiligung von Künstlerinnen freute, gingen die
Geldpreise allesamt an männliche Künstler. Die unentdeckt gebliebene Intervention
klärte Sollfrank in einer Presseerklärung auf.
Doing Media Theory: Feministische Medientheorie als künstlerische Praxis 93

Die Künstlerin und Software-Entwicklerin Danielle Sucher stellt unter dem Titel
Jailbreak the Patriarchy (2011) eine Erweiterung für den Webbrowser Chrome zur
Verfügung, der Pronomen und andere geschlechtsspezifische Wörter in ihr männ-
liches oder weibliches Pendant umwandelt. Dermaßen „gejailbreaked“ liest sich
etwa ein Wikipedia-Eintrag zum Thema „Women’s Suffrage“ folgendermaßen:
„Men’s suffrage is the right of men to vote and to run for office“ (Rüst 2013, o. S.).
Miranda Julys und Harrell Fletchers netzbasiertes Projekt Learning to Love You
More (2003–2009) nutzt intensiv die kollaborativen Möglichkeiten des Internet. Die
Besucher der Website learningtoloveyoumore.com5 bekamen verbale Handlungsan-
leitungen, die sie in Form von Zeichnungen, Videos, Fotos oder Texten ausführten
und die sodann von July und Fletcher online gestellt wurden. „Photograph a scar and
write about it“, „Feel the news“ oder „Make a protest sign and protest“ lauteten
einige dieser Anweisungen, denen Menschen aus aller Welt folgten. Julys Interesse
für Kooperationen auf der Basis jeweils aktueller Medientechnologien zeigte sich
bereits 1995, als das damals 21-jährige „Riot Grrrl“ ein Projekt mit dem Titel Joanie
4 Jackie initiierte, das in der Mehrheit unbekannte Filmemacherinnen und deren
Arbeiten durch „video chain letters“ sichtbar machte. Frauen und Mädchen waren
aufgefordert, ein kurzes Video herzustellen, das July ohne zu selektieren auf einer
Videokassette veröffentlichte. Jeder „Videokettenbrief“ enthielt insgesamt zehn
Kurzfilme und wurde – zusammen mit einem Schreiben jeder Filmemacherin – an
die Beiträgerinnen versandt, was zu Feedback und Kooperationen führte.6
Cornelia Sollfranks Hack, der geschlechtsbedingte Exklusionsmechanismen im
Kunstbetrieb aufzeigt, Danielle Suchers Browser-Erweiterung, die für geschlechts-
spezifische Sprache sensibilisiert und Miranda Julys Projekte, die von offensiver
Inklusion zeugen, greifen Anliegen von Künstlerinnen der 1960er- und 1970er-Jahre
auf. Dabei nutzen sie die jeweils neuesten, ihnen zur Verfügung stehenden Medien-
technologien (Video, Internet) und agieren gemäß der Devise: „Online power only
matters if it translates into offline power“ (Ricker Schulte 2011, S. 737).

3.2 Weibliche Appropriation

Im Kontext zeitgenössischer feministischer Medienkunst entfaltet die Strategie der


Aneignung oder Appropriation von vorgefundenem ästhetischem Material gerade
dann ihr kritisches Potenzial, wenn, wie am Beispiel von Jen Proctors A Movie by
Jen Proctor (Proctor 2010–2012) gezeigt werden soll, Künstlerinnen auf männliche

5
Seit 1. Mai 2009 nehmen July und Fletcher keine Zusendungen mehr entgegen. Die Webseite
wurde 2010 vom San Francisco Museum of Modern Art erworben, wo das Projekt in Form eines
Online-Archivs zur Verfügung steht.
6
2003 übergab July das Projekt an das Bard College, wo weitere vier Videokettenbriefe produziert
wurden. 2017 schenkte July den physischen Bestand des Archivs dem Getty Research Institute.
Eine Dokumentation des Projekts findet sich auf http://www.joanie4jackie.com.
94 G. Jutz

„Meisterwerke“ zugreifen. Proctors Video ist eine direkte Replik auf Bruce Conners
kanonischen Experimentalfilm A Movie (1958), der zur Gänze aus Found Footage,
gefundenem und nicht vom Künstler selbst hergestelltem Filmmaterial, hergestellt
ist. Bestand Conners Fundus aus zufällig entdeckten Zelluloidstreifen, so griff
Proctor bei ihrem Unterfangen, den Inhalt von A Movie nahezu Einstellung für
Einstellung „nachzustellen“, auf die schier unerschöpflichen Bildwelten des Internet
zurück. Das Resultat ist ein kritischer Kommentar sowohl zur zeitgenössischen
Medienkultur als auch zur weiblichen Aneignung bekannter männlicher Kunst-
werke.
Conners A Movie ist eine rasante Collage von Filmmaterial unterschiedlicher
Herkunft: Schnipsel von Western und ethnografischen Filmen, Aufnahmen von
Atomexplosionen, Verkehrsunfällen und Autorennen, Reisefilme und Striptease-
Szenen prallen hier in einer bizarren Gegenüberstellung von Horror und Humor
aufeinander. Proctors Ansatz bestand darin – ausgehend von Conners Film – auf
YouTube und LiveLeak gezielt nach Bildmaterial zu suchen, das geeignet erschien,
den denotativen Inhalt jeder einzelnen Einstellung von Conners Film wiederzuge-
ben, zugleich aber dem unterschiedlichen sozialen, historischen und technologi-
schen Kontext Rechnung zu tragen. An jener Stelle etwa, wo Conner vor Hunger
weinende Schwarze zeigt, finden sich in Proctors Remake weinende Teenager.
„[Today] images of [. . .] privileged adolescents weeping are more ubiquitous than
images of real victims of natural disaster or war, and [. . .] such images are largely
performed explicitly for the camera [. . .]“, erklärt Proctor (MacDonald 2015,
S. 331). Hier wird über das Inhaltliche hinaus ein weiteres Merkmal zeitgenössischer
Medienkultur sichtbar: Während die Bilder, die Conner in den 1950er-Jahren zur
Verfügung standen, aus unterschiedlichen Kameraperspektiven aufgenommen wur-
den, häufen sich in Proctors Video subjektive Einstellungen: „[It’s] all about ME,
documenting MY point of view, giving it priority“, kommentiert Proctor (MacDo-
nald 2015, S. 333). Die Verfügbarkeit von mobilen, kleinformatigen Kameras ver-
führt dazu, das „Ich“ in einer nie dagewesenen Weise zu inszenieren. Diese Proli-
feration subjektiver Blickwinkel ist eines der wesentlichen Merkmale der
Internetkultur.
Proctors Aneignung eines männlichen „Meisterwerks“ darf als genderpolitische
Geste verstanden werden. Ein Vergleich der jeweiligen Eröffnungssequenz macht
dies deutlich: Da, wo im Original wiederholt „Bruce Conner“ in leinwandfüllenden
Lettern erscheint, ist im Remake, gleichfalls in riesigen Buchstaben, „Jen Proctor“
zu lesen. Es entbehrt nicht an subversivem Humor, dass nun der Name einer kaum
bekannten Künstlerin jenen Platz besetzt, der vordem von einem männlichen Autor
reklamiert wurde. Damit nicht genug: Proctor versieht ihren Namen mit animierten
Sternchen, so dass er künstlich glitzert und fügt ihn auch in den Filmtitel ein: „A
Movie by Jen Proctor“. Dieses Überdeterminieren von auktorialer Instanz ist eine
kritische Auseinandersetzung mit Kategorien wie Autorschaft und Originalität.
Indem Proctor von einem weiblichen Standpunkt aus Conners nahezu hysterische
Insistenz auf Urheberschaft nicht nur imitiert, sondern zu übertreffen versucht,
macht sie auf die Lächerlichkeit dieser männlichen Geste aufmerksam.
Doing Media Theory: Feministische Medientheorie als künstlerische Praxis 95

3.3 Medienarchäologische Perspektiven

Seit den frühen 1990er-Jahren lässt sich die Tendenz beobachten, dass in zeitgenössi-
schen Kunstpraktiken zunehmend „überholte“, „veraltete“ Medien und Techniken zum
Einsatz kommen (Jutz 2011). Anzeichen anachronistischer Technizität finden sich
insbesondere in Arbeiten, die im Feld der Medienarchäologie verankert sind.
In ihrem Projekt Embroidered Text Messages (2009) stickt Ginger Anyhow kurze
Textnachrichten inklusive Brief-Icon und Datum auf grob gewebten Baumwollstoff.
Das Übersetzen einer neuen Kommunikationstechnologie in die Sprache einer
Jahrtausende alten Technik, die vor allem von Frauen ausgeübt wurde, soll einen
Anlass geben, das Verhältnis von Gender und Technologie zu überdenken. Em-
broidered Text Messages ist aber auch ein Kommentar zu den berührungssensitiven
Interfaces und Touch-Screens, die in unserer digitalen Kultur dominieren. Entgegen
der Annahme, dass sich der Übergang von einem optischen zu einem haptischen
Wahrnehmungsmodus erst mit dem Digitalen vollzogen habe (Parikka 2012, S. 23),
zeigt Anyhow, dass eine Technik wie Sticken ebenso auf die Hand angewiesen ist
wie das Verfassen von Textnachrichten (SMS) auf dem Mobiltelefon.
Medienarchäologische Ansätze fordern zu einer Revision einer an linearem Fort-
schritt orientierten Sicht von Technik auf, wobei der Blick auf vergangene Medienkul-
turen zum Verständnis der Gegenwart beitragen soll. In ihren Arbeiten mit unterschied-
lichen, teils vergessenen Medien verbindet Zoe Beloff genderrelevante Themen,
Narration und medienarchäologische Reflexion. Ihr stereoskopischer Kurzfilm Shadow
Land or Light from the Other Side (2000) basiert auf der gleichnamigen Autobiografie
(1897) des britischen Mediums Elizabeth d’Espérance, deren Fähigkeiten bei spiritisti-
schen Sitzungen zum Einsatz kamen. Für die filmische Umsetzung des Stoffes wählte
Beloff eine 16mm-Stereo-Bolex-Kamera, die es gestattet, dreidimensionale Filme her-
zustellen. In der Geschichte filmischer Aufzeichnungsverfahren blieb diese aus den
1950er-Jahren stammende Kamera eine Marginalie, da es für die Projektion der 3-D-
Filme einer besonderen Linse bedurfte und die ZuschauerInnen außerdem Spezialbrillen
tragen mussten. Für Beloff erschien die Stereo Bolex jedoch die geeignete Apparatur,
das Interesse der viktorianischen Gesellschaft an Spiritismus und Illusionismus zum
Ausdruck zu bringen. Schon der Titel von Beloffs Film – Shadow Land or Light from
the Other Side – ist mehrdeutig, reflektiert er doch zum einen die Welt des Übersinn-
lichen, zum anderen aber auch das Filmmedium selbst. Der Begriff des Mediums wird
bei Beloff nicht zuletzt geschlechtsspezifisch gewendet, indem sie das Funktionieren
von Medien mit patriarchalen Vorstellungen von Weiblichkeit in Verbindung bringt:
„[T]he film explores the psychological underpinnings of this psychic projection, foun-
ded on a deep ambivalence around the role of women. The female medium was
considered an especially suitable conduit to the next world because of her ‚passive
nature‘“ (Beloff o. J.). Medien wie Frauen werden demzufolge ihrer Aufgabe umso
besser gerecht, je unsichtbarer und unauffälliger sie bleiben. Anhand von Shadow Land
entwirft Beloff eine alternative Genealogie von virtueller Realität, die nicht erst mit dem
Cyberspace beginnt.
96 G. Jutz

4 Fazit

Feministische Medienkunst stellt ein wichtiges Korrektiv gegenüber sprachbasierter


Theoriebildung dar und ist heute vielfältiger denn je. Genderkritische Interventionen
durch Hacking (Sollfrank), Software-Manipulation (Sucher), globale Netzwerke
(July) oder digitale Appropriation (Proctor) vertrauen auf die Möglichkeiten aktuel-
ler Medien- und Kommunikationstechnologien. Parallel dazu wenden sich zeitge-
nössische Künstlerinnen (Anyhow, Beloff) auch vergangenen Medienkulturen zu,
indem sie – einem medienarchäologischen Impetus folgend – obsolete Techniken
und Technologien neu in Gebrauch nehmen.
„Alte“ wie „neue“ Medien mittels Kunst zu reflektieren ist praxisorientierte
Forschung. Die daraus resultierenden Artefakte verstehen es, Affekt und Resonanz
auszulösen und erweitern dadurch das Spektrum diskursbasierter feministischer
Medientheorie.

Literatur
Behar Katherine und Silvia Ruzanka. 2011. Open dialogue, feminism and new media art: Hot or
not? Media-N. Journal of the New Media Caucus 7(2). http://median.s151960.gridserver.com/?
page_id=449. Zugegriffen am 03.01.2018.
Beloff, Zoe. Homepage. http://www.zoebeloff.com.
Beloff, Zoe. o. J. Shadow land or light from the other side. http://www.zoebeloff.com/pages/
shadowland.html. Zugegriffen am 03.01.2018.
Blair, Kristine, Radhika Gajjala, und Christine Tulley, Hrsg. 2009. Webbing cyberfeminist practice:
Communities, pedagogies, and social action. Cresskill: Hampton Press.
Braidotti, Rosi. 1997. Cyberfeminism with a difference. In Feminisms, Hrsg. Sandra Kemp und
Judith Squires, 520–529. Oxford/New York: Oxford University Press.
Daniels, Jessie. 2009. Rethinking cyberfeminism(s): Race, gender, and embodiment. Women’s
Studies Quarterly 37(1,2): 101–124.
Haraway, Donna. 1985. Manifesto for Cyborgs: Science, technology and socialist feminism in the
1980s. Socialist Review 80: 65–108.
Harrasser, Karin. 2004. Von der Cyborg zur Hystorie und zurück. Narration in Theorie, Kunst und
Politik. In Medien der Kunst. Geschlecht, Metapher, Code, Hrsg. Susanne von Falkenhausen,
30–40. Marburg: Jonas Verlag.
Jutz, Gabriele. 2011. Retrograde technicity and the cinematic avant-garde: towards a new dispositif of
production. Recherches sémiotiques/Semiotic Inquiry. Cinéma & Technologie/Cinema & Techno-
logy, Hrsg. André Gaudreault und Martin Lefebvre, 31(1-2-3): 75–94.
Kendall, Lori. 1998. Meaning and identity in ‚cyberspace‘: The performance of gender, class, and
race online. Symbolic Interaction 21(2): 129–153.
Lovink, Geert. 2006. Neue Medienkunst: Das coole Obskure. Erkundungen abseits des offiziellen
Diskurses. http://networkcultures.org/geert/neue-medienkunst-das-coole-obskure/. Zugegriffen
am 03.01.2018.
MacDonald, Scott, Hrsg. 2015. Jennifer Proctor. In Avant-Doc. Intersections of documentary and
avant-garde cinema, 325–335. Oxford: Oxford University Press.
Manovich, Lev. 2001. The language of new media. Cambridge, MA: MIT Press.
Mellencamp, Patricia. 1990. Indiscretions. Avant-garde film, video, & feminism. Bloomington/In-
dianapolis: Indiana University Press.
Nakamura, Lisa. 2002. Cybertypes: Race, ethnicity, and identity on the internet. New York:
Routledge.
Doing Media Theory: Feministische Medientheorie als künstlerische Praxis 97

Parikka, Jussi. 2012. What is media archaeology? Cambridge: Polity Press.


Plant, Sadie. 1993. Beyond the screens: Film, cyberpunk and cyberfeminism. Variant 14:12–17.
Plant, Sadie. 1995. The future looms: Weaving women and cybernetics. In Cyberspace/Cyber-
bodies/Cyberpunk, Hrsg. Mike Featherstone und Roger Burrows, 45–64. London: Sage.
Plant, Sadie. 1997. Zeros and ones: Digital women and the new technoculture. London: Fourth
Estate.
Proctor, Jen. 2010–2012. A movie by Jen Proctor. http://cargo.jenniferproctor.com/filter/Video/A-
Movie-by-Jen-Proctor. Zugegriffen am 03.01.2018.
Rabinovitz, Lauren. 1991. Points of resistance. Women, power & politics in the new York avant-
garde cinema, 1943–71. Urbana: University of Illinois Press.
Ricker Schulte, Stephanie. 2011. Surfing feminism’s online wave: The internet and the future of
feminism. Feminist Studies 37(3): 726–744.
Rüst, Annina. 2013. Feminist internet software. Media-N. Journal of the New Media Caucus (9)1.
http://median.newmediacaucus.org/tracing-newmediafeminisms/feminist-internet-software. Zuge-
griffen am 03.01.2018.
Small, Edward S. 1994. Direct theory. Experimental film/video as major genre. Carbondale/
Edwardsville: Southern Illinois University Press.
Thornham, Sue. 2007. Women, feminism and media. Edinburgh: Edinburgh University Press.
Turkle, Sherry. 1997. Life on the screen: Identity in the age of the internet. Cambridge, MA: MIT
Press.
Feministische Filmforschung

Kristina Pia Hofer

Inhalt
1 Einleitung. Die Gegenwart: Vielheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
2 Blick, Code, Subjektivierung: Film als Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
3 Produktion, Rezeption, Technologie: Film als (historische) Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
4 Körper, Materialität, Affekt: Film als Phänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

Zusammenfassung
Die gegenwärtige feministische Filmforschung zeichnet sich durch eine Vielfalt
der Zugänge aus. Die verschiedenen Strömungen erklären die Entstehung
filmisch-visueller Bedeutung bevorzugt über die Decodierung von Film als Text,
über die Analyse (historischer) Produktions- und Rezeptionspraxen von Film
oder über die Auseinandersetzung mit Filmerleben als materiellem, affektivem
Phänomen.

Schlüsselwörter
Kino · Blick · Subjekt · Zuschauer_in · Feministische Filmtheorie

K. P. Hofer (*)
Universität für angewandte Kunst Wien, Wien, Österreich
E-Mail: kristina-pia.hofer@uni-ak.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 99
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_60
100 K. P. Hofer

1 Einleitung. Die Gegenwart: Vielheiten

Feministische Filmforschung der Gegenwart1 zeichnet sich durch die Vielfalt ihrer
Zugänge aus. Obwohl auch frühe oder ‚klassische‘ feministische Ansätze zum Film
durchaus diverse Ziele und Strategien verfolgen, sind theoretische und methodische
(und damit politische) Schwerpunkte aktuell noch breiter gestreut: Mit Laura Mul-
vey und Anna Backman Rogers (2015, S. 11) lässt sich von einer Pluralisierung der
Perspektiven als einer wesentlichen Entwicklung des Feldes sprechen, mit Diana
Pozo (2015a, S. 187) von einer Expansion der Begriffe, die zur Diskussion gestellt
werden. Diese Erweiterungen sind unter anderem auf folgende, sich überkreuzende
Bewegungen zurückzuführen:

a) Die Vielheit von Feminismusbegriffen: Welche Politiken als empanzipatorisch


gelten können, wessen Interessen und Identitäten sie vertreten, welche normati-
ven Skripte und Privilegien durch sie herausgefordert oder bestätigt werden, wer
in ihrem Rahmen zum Subjekt ermächtigender Äußerungen geraten kann und
wer/was unsichtbar/ausgeschlossen bleibt, ist Gegenstand lebhafter aktueller
Debatten (Mulvey und Rogers 2015, S. 11; Pozo 2015a, S. 187, 2015b, S. 195).
b) Die interdisziplinäre Offenheit der feministischen Filmwissenschaft: Mit ihrem
Interesse an Geschlecht und Film als Kategorien (Pozo 2015a, S. 187), an
politischen und formalen Fragen (Klippel 2016, S. 1), an gesellschaftlicher und
technisch-medialer Betrachtung von Bildproduktion, -dissemination und -rezep-
tion (Leyda et al. 2016, S. 976–978) intervenieren gegenwärtige feministische
Filmwissenschaftler_innen oft wesentlich in benachbarten Disziplinen wie etwa
Kulturwissenschaften, Medientheorie und Philosophie (Braidt 2016, S. 23; siehe
auch Klippel 2016, S. 14; Smelik 2016, S. 4).
c) Die Neuverortung, „relocation“ beziehungsweise „Remediatisierung“ von Film/
Kino (Casetti 2016; Seier 2007): Stand ‚Film‘ in den Anfängen feministischer
Theorieentwicklung noch für ein fotochemisches Verfahren, dessen Produkt über
analoge Projektion im halböffentlichen, abgedunkelten Raum (‚Kino‘) einem
Kollektiv (‚Zuschauer_innen‘) zugeführt wurde, bezeichnet der Begriff heute
mitunter ein sehr viel breiteres Spektrum an Praktiken, Technologien, Räumen
und Subjektpositionen (Cobb und Tasker 2016, Abs. 3). Er kann zum Beispiel
Heimvideosysteme wie VHS und DVD (Mulvey 2006) oder Online-Strea-
mingdienste wie Netflix (Colman 2014, S. 76–78) miteinschließen, die eine Neu-
verhandlung etablierter filmwissenschaftlicher Paradigmen wie etwa Blick (gaze),
Index oder Apparatus nahelegen (Mulvey 2015, S. 18; Pozo 2015a, S. 187, 2015b,
S. 200).

1
Parallel zum langen Gegenwartsbegriff der Filmtheorie (zum Beispiel bei Buckland 2015) bezieht
sich auch dieser Beitrag auf Publikationen von den 1990er-Jahren bis heute, wenn er von gegen-
wärtiger Filmforschung spricht.
Feministische Filmforschung 101

Im Folgenden werden einige ausgewählte Ansätze besprochen, die diese Bewe-


gungen auf jeweils unterschiedliche Art reflektieren. Als Achse der Differenzierung
dient dabei die Frage, wie die Ansätze bevorzugt die Entstehung filmisch-visueller
Bedeutung zu erklären suchen: über die Decodierung von Film als Text, über die
Analyse (historischer) Produktions- und Rezeptionspraxen oder über die Auseinan-
dersetzung mit Filmerleben als materiellem, affektivem Phänomen.

2 Blick, Code, Subjektivierung: Film als Text

Die Annäherung an Film als Text, dessen Grammatik von tief liegenden, geschlech-
terpolitisch bedeutsamen Strukturen geprägt ist und den es deshalb zu decodieren
gilt, stellt in den feministischen Filmwissenschaften eine wichtige Traditionslinie
dar. Seit den 1970er-Jahren thematisieren von psychoanalytischen, poststrukturalis-
tischen und marxistischen Überlegungen inspirierte Autorinnen wie Claire Johnston
oder Laura Mulvey, wie Film an sich, das heißt, kraft seiner (audio-)visuellen
Komposition, Zuseher_innen als vergeschlechtlicht zu positionieren (in anderen
Worten: zu subjektivieren) vermag. Ziel ist hier, das versteckte Wirken von (gesell-
schaftlicher) Ideologie und/oder (psychischem) Unbewussten in den Filmbildern
aufzudecken. So fragt Laura Mulvey (1975), wie generische visuelle Erzählweisen
im klassischen Hollywoodkino (wie zum Beispiel die Gleichsetzung von Kamera-
perspektive mit der Perspektive des männlichen Protagonisten und die Präsentation
von weiblichen Figuren als Spektakel auf Distanz) hierarchische Blickbeziehungen
festschreiben, die eine männlich-heterosexuelle Subjektivierung der Zusehenden
nicht nur privilegieren, sondern andere Dispositionen von Geschlecht, Begehren
und Schaulust praktisch verunmöglichen. Auch Claire Johnston (1973) beschreibt
Filmsprache als eine Instanz, die gesellschaftliche und psychische Realität nicht
einfach nur abbildet, sondern hervorbringt. Sie argumentiert, dass jedes filmische
Mittel in jeder Form von Kino (also continuity editing im Hollywoodfilm genauso
wie das cinéma vérité europäischer Künstler_innen) so lange hegemoniale Ge-
schlechterideologien naturalisiert, solange es sein Verhältnis zu diesen Ideologien
nicht offensiv thematisiert. Wesentlich für diese frühen feministischen Zugänge zu
Film als Text ist, dass sie für die Umcodierung filmischer Sprache als politische
Strategie argumentieren und sich für die Entwicklung von visuellen Codes stark
machen, die Filmschaffende ermächtigen sollen, sexistische Subjektivierungspro-
zesse im System Kino zu stören (Pozo 2015a, S. 189; Klippel 2016, S. 5).
Wenn auch nicht mehr ganz so prominent wie in den 1970er- und 1980er-Jahren
beschäftigen Kernthemen psychoanalytischer und ideologiekritischer Ansätze, wie
die Suche nach feministischer Ästhetik und Autor_innenschaft oder die Frage nach
den subjektivierenden Wirkweisen des Zuseher_innenblicks, viele feministische
Filmforschende bis heute (Chaudhuri 2003, S. 1–3; Cobb und Tasker 2016, Abs. 2–3;
Klippel 2016, S. 14). Wichtig wird dabei ab den 1990er-Jahren zunehmend eine
intersektionale Perspektive, die die Produktion der Kategorie Geschlecht in Ver-
schränkung mit anderen Differenzkategorien zu fassen versucht, wie etwa Richard
Dyers White (1997), das die Repräsentation von ‚normaler‘ Männlichkeit und
102 K. P. Hofer

Weiblichkeit in westlichen Medientexten als eng an das Weiß-Sein von filmischen


Figuren geknüpft identifiziert. Oft handelt es sich auch um kritisches Umarbeiten der
ursprünglichen Konzepte, wie etwa die zahlreichen Versuche zeigen, entgegen
Mulveys Vorschlag eines ausschließlich männlich, heterosexuell und implizit auch
Weiß und bourgeois identifizierten gaze verschiedene Möglichkeiten des Blickens
aus der Perspektive nicht-heteronormativer Subjektpositionen aufzuzeigen (Pozo
2015a, S. 190, 2015b, S. 198–200; Braidt 2016, S. 24–26; Klippel 2016, S. 5–7;
Smelik 2016, S. 2–3). So zeichnet zum Beispiel Carol Clover (1992) nach, wie sich
das spezielle Schauvergnügen junger, männlicher Zuseher am Horrorfilm daraus
speist, dass genretypische visuelle Erzählweisen es ihnen erlauben, sich als gleich-
zeitig Monster und Opfer, männlich und weiblich, Inhaber des sadistisch-
voyeuristischen Blicks und verstümmeltes, gequältes Objekt einer solchen Betrach-
tung zu imaginieren. Jack [Judith] Halberstam (2005, S. 83–92) erörtert, wie in
Kimberly Peirces Spielfilm Boys Don’t Cry (1999) nicht nur ein von Gewalt durch-
zogener heteronormativ-männlicher, sondern auch ein lesbisch-weiblicher und ein
Transgender-Blick zum Einsatz kommen. Dabei unterstreicht letzterer über das
Kapern einer klassischen Schuss-Gegenschuss-Strategie die Hinlänglichkeit der
Subjektposition des trans-identifizierten Protagonisten („sufficiency of the transgen-
der subject“, Halberstam 2005, S. 88, Hervorhebung im Original): In einer Szene, in
der der Körper des Protagonisten Brandon Teena gewaltsam entkleidet und somit als
nicht-heteronormativ-männlich zur Schau gegeben werden soll, zeigt die Kamera
Teena als zwei Figuren, die sich anblicken, und nimmt dabei jeweils den Blick der
einen Person auf die andere ein. Da eine Figur ausgeliefert und nackt ist, die andere
aber unberührt und bekleidet, wird die In-sich-Zweigeteiltheit (in „the activity of
looking and the passivity of spectacle“, Halberstam 2005, S. 88) des Transgender-
Blicks begreifbar. Einen ideologiekritischen Gegenentwurf zu psychoanalytischen
Modellen der Subjektivierung formuliert bell hooks in ihrem Konzept des opposi-
tionellen Blicks (hooks 1992, S. 115–132). Sie weist darauf hin, dass die Grammatik
des Hollywoodkinos Schwarzen Zuseherinnen keine Möglichkeit zur Identifikation
einräumt: Als Teil hegemonialer, kolonialer visueller Kultur codiert es Weiblichkeit
als Weiß, indem es Schwarze weibliche Subjektpositionen entweder völlig unsicht-
bar macht oder aber zur Demarkation des Nicht-Begehrenswerten, Unweiblichen
einsetzt. hooks lokalisiert Schwarze, weibliche Schaulust deshalb in der bewussten
Disidentifikation mit den Filmbildern, im kritischen Hinterfragen des Gezeigten
sowie im Erlernen der aktiven Ablehnung von verletzenden Repräsentationsformen.

3 Produktion, Rezeption, Technologie: Film als (historische)


Praxis

Der starken Textorientierung vieler semiotischer und psychoanalytischer Publika-


tionen stehen Ansätze gegenüber, die Geschlechterverhältnisse in Film und Kino
kontextuell, über außerfilmische Felder, besonders über die historisch, sozial und
lokal spezifischen Umstände ihrer Produktion, Dissemination und Rezeption, zu
erschließen suchen. Methodisch basieren diese Arbeiten auf empirischen Daten,
Feministische Filmforschung 103

wie etwa Interviews, Statistiken und teilnehmenden Beobachtungen, und/oder der


Auseinandersetzung mit archivalischen Quellen.
Diese Ansätze rekurrieren zum einen auf das von Beginn an starke Interesse
feministischer Filmforschung an den strukturellen Bedingungen weiblicher Autor_in-
nenschaft (Pozo 2015a, S. 189; Braidt 2016, S. 27; Klippel 2016, S. 8). Ein Beispiel für
eine aktuelle, quantitative Auseinandersetzung mit Geschlecht in verschiedenen Berei-
chen der Filmindustrie (Mainstream- und Independentproduktion, Festivals, Kritik) sind
die Studien von Martha Lauzen (2016a, b, 2017), die ein nach wie vor ungleiches
Kräfteverhältnis zwischen weiblichen und männlichen Akteur_innen zu Ungunsten von
Frauen („celluloid ceiling“) feststellen. Auf qualitativer Ebene finden Berichte über die
Arbeit von Frauen und (queer_)feministischen Kollektiven in Film, Video und Online-
Medien zum Beispiel in eigenen Sektionen der Zeitschrift Camera Obscura („Women
Working“ und „In Practice“) laufend Berücksichtigung.
Zum anderen entwickeln sich empirische Ansätze aus der Kritik an den als zu
wenig differenziert begriffenen theoretischen Modellen der Zuschauer_innenschaft,
die textbasierte Herangehensweisen zur Verfügung stellen können (Pozo 2015a,
S. 190). So betont etwa auch bell hooks, dass der von ihr beschriebene oppositionelle
Blick kein gegebener, quasi-essenzieller Bestandteil Schwarzer weiblicher Film-
wahrnehmung ist, sondern vielmehr von den Zuschauerinnen in Auseinandersetzung
mit ihrem historischen, politischen Alltag erarbeitet werden muss (hooks 1992,
S. 128; siehe auch Pozo 2015b, S. 199). Das Konzept der Zuschauer_in als
bewusste, situierte kulturelle Akteurin in der empirischen Welt spielt eine wichtige
Rolle in von den britischen Cultural Studies inspirierten feministischen Ansätzen,
wie zum Beispiel in Jacqueline Bobos Black Women as Cultural Readers (1995).
Bobo interviewt hier Schwarze amerikanische Zuschauerinnen zu ihrem Umgang
mit stereotypen Repräsentationen im Mainstreamkino und zeigt, wie die Frauen
rassistischen Inhalten Widerstand entgegenhalten, sie gleichzeitig aber auch gegen
den Strich („against the grain“, Bobo 1995, S. 55) lesen und damit eigene, sie
ermächtigende Inhalte aus dem Text generieren, die nicht primär in ihm angelegt
sind. Methodisch ähnlich, aber ohne Berücksichtigung von Rassifizierung als
Kategorie, legt Jackie Stacey mit Star Gazing: Hollywood Cinema and Female
Spectatorship (1993) ein soziologisches Korrektiv für textbasierte feministische
Blickkonzepte vor. Sie zeichnet weibliches Schauvergnügen am klassischen Holly-
woodkino über Briefe nach, in denen sich Zuseherinnen – ungeachtet der reaktionä-
ren Ausrichtung vieler Filmtexte – mit Stars wie Betty Davis und Katharine Hepburn
durchaus begehrlich in Beziehung setzen.
Zwei inhaltliche Felder, denen während der letzten drei Dekaden in der feminis-
tischen Filmforschung vermehrt Aufmerksamkeit zukommt, nämlich Porn Studies
und Forschung zum frühen Kino, verschränken die Fragen nach der agency von
Zuseher_innen produktiv mit jenen nach strukturellen Bedingungen der Filmpro-
duktion und -dissemination. Besonders gewinnbringend geschieht dies in jenen
Studien, die Technologien der (audio-)visuellen Aufzeichnung und Wiedergabe als
historisch spezifische und kontingente Dispositive in ihre Analyse miteinbeziehen.
So diskutieren etwa Heide Schlüpmann (1990), Miriam Hansen (1991) und Giuliana
Bruno (1993) die erstaunlich vielfältigen, oft interaktiven Handlungsspielräume, die
104 K. P. Hofer

sich weiblichen Zuseherinnen bis in die späten 1920er-Jahre durch frühe Praxen der
Filmvorführung – zum Beispiel in den von der proletarischen Klasse frequentierten
Lichtspielhäusern des deutschen Kaiserreichs – eröffneten. Catharine Russel (2002)
macht diese Überlegungen zum Ausgangspunkt einer umfassenden Dekonstruktion
des Konzepts des statischen, von Filmbild und Projektion passiv in seinem Bann
gehaltenen Publikums als Norm der Filmwahrnehmung, indem sie aufzeigt, wie
nachhaltig mobiles (weibliches) Blicken sowohl das frühe als auch das postklassi-
sche, digitale Kino konstituiert. Im Kontext der Porn Studies knüpfen sich Diskus-
sionen um Geschlecht, Interaktion und Blickmobilisierung aktuell oft an die Figur
der selbstermächtigenden, vom Fan zur Produzent_in gewordenenen „Prosumer_in“2
und deren Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb der sich in digitalen Öffentlichkeiten
neu ausdifferenzierenden Produktionsverhältnisse, wie zum Bespiel in den Sammel-
bänden von Linda Williams (2004), Feona Attwood (2010) und Tristan Taormino
et al. (2013).

4 Körper, Materialität, Affekt: Film als Phänomen

Das sich seit den 1990er-Jahren in den Geistes- und Kulturwissenschaften verdich-
tende Interesse an verkörperten (embodied ) Aspekten der (menschlichen) Wahrneh-
mung bringt auch in der feministischen Filmforschung Ansätze hervor, die die Rolle
von Affekten, also von sich körperlich in der Zuschauer_in manifestierenden emo-
tionellen Regungen und Intensitäten, thematisieren (Koivunen 2015, S. 97). Ausge-
hend von der Beobachtung, dass die Ausformung des Zuseher_innenblicks vor allem
in „Film-Körper-Genres“ („body genres“, Williams (2009 [1991]) wie Horrorfilm,
Melodrama oder Pornografie nicht nur (rationalen wie unbewussten) psychischen
Prozessen der Auseinandersetzung mit Bild und Ton unterworfen ist, sondern maß-
geblich auch ihrem viszeralen Erleben,3 lenken diese Ansätze ihren Blick auf jene
Dynamiken, die sich zwischen der individuellen Betrachter_in und dem Film zum
Zeitpunkt ihres Aufeinandertreffens entfalten. Filmerleben erscheint damit als Pro-
zess, in dem verschiedenartige, aber gleichsam lebendige, performative, sich über
den Verlauf der Zeit verändernde, materielle Körper – nämlich jener des Films und
der ihn vermittelnden Technologie(n), jener der umgebenden Architektur(en) und
jener der Betrachter_in – in eine Austauschbeziehung treten.
Ein oft zitiertes Beispiel für affektiv-materielle feministische Kritik ist das Kon-
zept der haptischen Visualität (haptic visuality), wie es Laura Marks in The Skin of
the Film (2000) und Touch (2002) vorstellt. Ausgehend von phänomenologischen
Überlegungen und der Filmtheorie Gilles Deleuzes beschreibt Marks ihren Blick auf

2
Die Bezeichnung „Prosumer_in“ beschreibt hier Mediennutzer_innen, die von ihnen nachgefragte
Inhalte (mit-)hervorbringen und kollaborativ zirkulieren lassen und so ein binäres Verständnis von
(aktiver) Produktion und (passivem) Konsum potentiell in Frage stellen (Reichert 2008, S. 68–69).
3
Viszerales Erleben bezeichnet hier körperliche Empfindungen, im Zuge derer sich Gefühle in nicht
unmittelbar vom Bewusstsein gesteuerten Regungen (zum Beispiel als Schwitzen, Zittern, Weinen
oder in sexueller Erregung) in der Rezipient_in manifestieren.
Feministische Filmforschung 105

interkulturelles Kino und Film/Video im Kontext zeitgenössischer Kunst als multi-


sensorisch angelegt, genauer, als neben dem Seh- auch den Tastsinn aktivierend.
Wesentlich für die Filmwahrnehmung ist somit die Nähe zwischen Betrachter_in
und Bild: Bedeutung erschließt sich hier aus dem direkten Kontakt mit filmischen
Texturen und aus dem Versuch durch die Zuschauer_in, deren affektiver Ladung im
eigenen Körper nachzuspüren. So beschreibt Marks etwa für Peggy Aweshs found-
footage-Film The Color of Love (1994), wie ein erotisches Begehren der Betrachter_in
vom rhythmischen Pulsieren von Farbstrudeln, die durch den sichtbaren Verfall von
Filmstreifen und Emulsion ins Bild eingebracht werden, hervorgerufen werden kann
(Marks 2002, S. 100–101).
Affektorientierte feministische Filmforscher_innen verstehen diese „mimetische“
Form filmischer Repräsentation („mimetic representation“, Marks 2000, S. 139) als
Gegenentwurf zu traditionellen Repräsentationskonzepten, die Distanz zum Gegen-
stand und eine klare Trennung zwischen betrachtendem Subjekt und Objekt der
Betrachtung voraussetzen, und lokalisieren im Kollaps dieser Trennung das politi-
sche Potenzial ihres Ansatzes. So argumentiert zum Beispiel auch Vivian Sobchack
(2004), dass verkörperte Filmwahrnehmung empathische Dynamiken der Bezug-
nahme an die Stelle der Beherrschung des filmischen Materials und der im Film
dargestellten Objekte/Figuren treten lässt und somit einlädt, das Verhältnis zwischen
differenten Körpern auch abseits bestehender (visueller) Herrschaftsverhältnisse zu
imaginieren. Susanna Paasonen (2011, S. 165–205) setzt die Denkfigur der hapti-
schen Visualität ebenfalls ein, um dem frühen feministisch-filmwissenschaftlichen
Fokus auf den kontrollierenden und voyeuristischen Blick eine methodologische
Alternative, nämlich das Ausloten der Resonanzen („resonance“) zwischen audio-
visuellen Texturen, Technologien der Vermittlung und dem affektiven Sensorium der
Betrachter_in entgegenzusetzen. Dies veranschaulicht sie im Kontext von online
disseminierten pornografischen Filmen und Videos wie zum Beispiel auf Amateur-
websites, in deren Clips Paasonen die Zuseher_in nicht nur von den dargestellten
sexuellen Handlungen, sondern auch von Detail und Körnung der ebenfalls im Bild
sichtbaren häuslichen Umgebung der Darsteller_innen affiziert sieht (Paasonen
2011, S. 98). Eine der wenigen Autor_innen, die den multisensorischen, affektiven
Dynamiken des Austauschs auch in Bezug auf das Hören nachspürt, ist Davina
Quinlivan (2012). Sie versucht anhand der haptischen Darstellung des Atems auf der
Tonebene von Isaac Juliens True North (2007) und Derek Jarmans Blue (1993) zu
zeigen, dass sich Schaulust auch an Regungen entzünden kann, die das Kino kaum
sichtbar zu machen vermag.
Marie-Luise Angerer diagnostiziert, dass sich Affekttheorien insofern von Psy-
choanalyse und Ideologiekritik unterscheiden, als dass sie ein vom menschlichen
Subjekt weitgehend losgelöstes Verständnis von Begehren an die Stelle des subjekt-
zentrierten (freudschen und foucaultschen) Sexualitätsdispositiv stellen, d. h., sie
zielen auf das Aufzeigen von Kreuzungspunkten in menschlichen, tierischen, pflanz-
lichen, bakteriellen und technologisch-materiellen Regungen und Reproduktions-
logiken (Angerer 2014, S. 34–35). Dies wird besonders bei Autor_innen deutlich,
die ihre Deleuze-Lektüre weniger phänomenologisch auslegen als nach den
106 K. P. Hofer

Gesichtspunkten des material turn4 (Koivunen 2015, S. 106). So theoretisieren etwa


Barbara Kennedy (2000) und Elena del Rio (2008) Film als Ereignis („event“), das
nicht menschliche, libidinöse, diskursive (Blick-)Beziehungen verhandelt, sondern
vorrangig die Übertragung von Intensität zwischen (menschlichen und nicht-
menschlichen) materiellen Körpern. Eine Gegenüberstellung von libidinösen und
affektiven Dispositiven filmischen Begehrens, auch in Hinblick auf ihren Ausdruck
über Filmmusik, findet sich bei Patricia Pisters (2003). Das Materiell-Physiologische
begreifen diese Ansätze vor allem in Hinblick auf seine Potezialität: Von Interesse
sind weniger Körper, wie sie gegenwärtig verstanden und klassifiziert werden,
sondern vielmehr, wie sie sich in Zukunft – verändert und möglicherweise freier,
gerechter – entfalten könnten (Koivunen 2015, S. 106).
Wie Anu Koivunen bemerkt, lässt die unterschiedliche Schwerpunktlegung in der
Zeitlichkeit von Körpern und (materiellen) Strukturen affekttheoretische Ansätze oft
in Spannung mit poststrukturalististischen feministischen Strömungen erscheinen,
die meist explizit thematisieren, welche (auch korporealen) Subjektpositionen in
Anbetracht von historischen und gegenwärtigen Normierungen und Herrschafts-
und Gewaltverhältnissen überhaupt zur Verfügung stehen (Koivunen 2015,
S. 106–108). Besonders auffällig wird dies in affektorientierten Ansätzen, deren
feministische Kritik ohne für die Disziplin historisch unumgängliche Identitäts- und
Differenzkategorien wie Geschlecht, Klasse oder Rassifizierung auszukommen
scheint. Sehen einige Autor_innen genau in dieser „subjektfreien Kritik“ („subject-
less critique“, Eng et al. 2005, S. 3) das Potenzial, feministische Projekte mit
queeren Anliegen zu verbinden, mahnen andere ein, dass ohne eine (wie auch immer
geartete) Auseinandersetzung mit Subjekten keine feministische Politik zu machen
sei (Koivunen 2010; Angerer 2014, S. 25).

5 Fazit

Wie Kristin Lené Hole, Dijana Jelača, E. Ann Kaplan und Patrice Petro in ihrem
Vorwort zum aktuellen Routledge Companion to Cinema and Gender (2017) fest-
stellen, lädt die Vielzahl an politischen Ansätzen und thematischen Spezialisierun-
gen in der gegenwärtigen feministischen Filmforschung zum „Dezentrieren“
(„decentering“, S. 1) der Disziplin ein. Dieser Prozess sei aber keinesfalls mit einer
Schwächung feministischer Interventionen in das Feld ‚Kino‘ gleichzusetzen, son-
dern im Gegenteil als ein wichtiges Potenzial zu erkennen. (Geschlechter-)
Emanzipatorische Projekte, so das Autor_innenkollektiv, bräuchten Vielheiten, da
sie mit komplexen Fragestellungen konfrontiert wären, die von einzelnen, isolierten
Perspektiven immer nur partiell beantwortet werden könnten (Hole et al. 2017,
S. 3–5). Wenn dies tatsächlich der Fall ist, dann hat dieser Beitrag gezeigt, dass
feministischer Filmforschung (im Plural) nicht nur eine sehr produktive Gegenwart,
sondern wohl auch eine arbeitsintensive Zukunft beschieden ist.

4
Zu material turn und Repräsentation siehe Kristina Pia Hofer und Marietta Kesting (2017).
Feministische Filmforschung 107

Literatur
Angerer, Marie-Luise. 2014. Affekt und Repräsentation – Blick und Empfinden. FKW Zeitschrift
für Geschlechterforschung und visuelle Kultur 55:26–37. https://www.fkw-journal.de/index.
php/fkw/article/view/1268. Zugegriffen am 24.05.2017.
Attwood, Feona, Hrsg. 2010. porn.com. Making sense of online pornography. New York: Peter
Lang.
Bobo, Jacqueline. 1995. Black women as cultural readers. New York: Columbia University Press.
Braidt, Andrea B. 2016. Feministische Filmtheorie. Einleitung. In Gender & Medien-Reader, Hrsg.
Kathrin Peters und Andrea Seier, 23–29. Zürich: diaphanes.
Bruno, Giuliana. 1993. Streetwalking on a ruined map: Cultural theory and the postmodern.
Berkeley: University of California Press.
Buckland, Warren. 2015. Contemporary film theory. In The Routledge encyclopedia of film theory,
Hrsg. Edward Branigan und Warren Buckland, 112–116. London: Routledge.
Casetti, Francesco. 2016. The relocation of cinema. In Post-cinema. Theorizing 21st-century film,
Hrsg. Shane Denson und Julia Leyda, 569–615. Falmer: Reframe Books.
Chaudhuri, Shohini. 2003. Feminist film theorists. Laura Mulvey, Kaja Silverman, Teresa de
Lauretis, Barbara Creed. London: Routledge.
Clover, Carol. 1992. Men, women, and chain saws. Gender in the modern horror film. Princeton:
Princeton University Press.
Cobb, Shelley, und Yvonne Tasker. 2016. Feminist film criticism in the 21st century. Film criticism
40(1). https://doi.org/10.3998/fc.13761232.0040.107.
Colman, Felicity. 2014. Film theory: Creating a cinematic grammar. London: Wallflower Press.
del Rio, Elena. 2008. Deleuze and the cinemas of performance: Powers of affection. Edinburgh:
Edinburg University Press.
Dyer, Richard. 1997. White. Essays on race and culture. London: Routledge.
Eng, David L., Jack J. Halberstam, und José Esteban Muñoz. 2005. What’s queer about queer
studies now? Social Text 23(3–4): 1–17.
Halberstam, Jack [Judith]. 2005. In a queer time and place. Transgender bodies, subcultural lives.
New York: New York University Press.
Hansen, Miriam. 1991. Babel and babylon: Spectatorship in American silent film. Cambridge:
Harvard University Press.
Hofer, Kristina Pia, und Marietta Kesting. 2017. Introduction. Dated formats now: Material practices
in audiovisual art. FKW Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur 61:4–15. https://
www.fkw-journal.de/index.php/fkw/article/view/1389/1391. Zugegriffen am 02.08.2017.
Hole, Kristin Lené, Jelača Dijana, E. Ann Kaplan, und Patrice Petro, Hrsg. 2017. The Routledge
companion to cinema and gender. London: Routledge.
Hooks, Bell. 1992. Black looks. Race and representation. Boston: South End Press.
Johnston, Claire, Hrsg. 1973. Women’s cinema as counter-cinema. In Notes on women’s cinema,
24–31. London: Society for Education in Film and Television.
Kennedy, Barbara. 2000. Deluze and cinema: The aesthetics of sensation. Edinburgh: Edinburgh
University Press.
Klippel, Heike. 2016. Feministische Filmtheorie und Genderforschung. In Handbuch Filmtheorie,
Hrsg. Bernhard Groß und Thomas Morsch. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/
978-3-658-09514-7.
Koivunen, Anu. 2010. An affective turn? Reimagining the subject of feminist theory. In Disturbing
differences: Working with affect in feminist readings, Hrsg. Marianne Liljeström und Susanna
Paasonen, 8–29. London: Routledge.
Koivunen, Anu. 2015. The promise of touch: Turns to affect in feminist film. In Feminisms.
Diversity, difference, and multiplicity in contemporary film cultures, Hrsg. Laura Mulvey und
Anna Backman Rogers, 97–110. Amsterdam: Amsterdam University Press.
Lauzen, Martha. 2016a. Women in independent film, 2015–2016. Center for the study of women in
TV and film, San Diego State University. http://womenintvfilm.sdsu.edu/files/2016%20Indepen
dent_Women_Report.pdf. Zugegriffen am 24.05.2017.
108 K. P. Hofer

Lauzen, Martha. 2016b. Thumbs down 2016: Top film critics and gender. Center for the study of
women in TV and film, San Diego State University. http://womenintvfilm.sdsu.edu/files/2016_
Thumbs_Down_Report.pdf. Zugegriffen am 24.05.2017.
Lauzen, Martha. 2017. The ceiling: Behind-the-scenes employment of women on the top 100, 250,
and 500 films of 2016. http://womenintvfilm.sdsu.edu/wp-content/uploads/2017/01/2016_Cel
luloid_Ceiling_Report.pdf. Zugegriffen am 24.05.2017.
Leyda, Julia, Rosalind Galt, und Kylie Jarrett. 2016. Post-cinema, digitality, politics. In Post-
cinema. Theorizing 21st-century film, Hrsg. Shane Denson und Julia Leyda, 976–990. Falmer:
Reframe Books.
Marks, Laura U. 2000. The skin of the film: Intercultural cinema, embodiement, and the senses.
Durham: Duke University Press.
Marks, Laura U. 2002. Touch. Sensuous theory and multisensory media. Minneapolis: University of
Minnesota Press.
Mulvey, Laura. 1975. Visual pleasure and narrative cinema. Screen 16(3): 6–18. https://doi.org/
10.1093/screen/16.3.6.
Mulvey, Laura. 2006. Death 24x a second: Stillness and the moving image. Chicago: Chicago
University Press.
Mulvey, Laura. 2015. Introduction: 1970s feminist film theory and the obsolescent object. In
Feminisms. Diversity, difference, and multiplicity in contemporary film cultures, Hrsg. Laura
Mulvey und Anna Backman Rogers, 17–26. Amsterdam: Amsterdam University Press.
Mulvey, Laura, und Anna Backman Rogers, Hrsg. 2015. Preface. In Feminisms. Diversity, diffe-
rence, and multiplicity in contemporary film cultures, 10–14. Amsterdam: Amsterdam Univer-
sity Press.
Paasonen, Susanna. 2011. Carnal resonance. Affect and online pornography. Cambridge: MIT
Press.
Pisters, Patricia. 2003. The matrix of visual culture. Working with Deleuze in film theory. Stanford:
Stanford University Press.
Pozo, Diana. 2015a. Feminist film theory, core concepts. In The Routledge encyclopedia of film
theory, Hrsg. Edward Branigan und Warren Buckland, 187–194. London: Routledge.
Pozo, Diana. 2015b. History of feminist film theory. In The Routledge encyclopedia of film theory,
Hrsg. Edward Branigan und Warren Buckland, 195–202. London: Routledge.
Quinlivan, Davina. 2012. The place of breath in cinema. Edinburgh: Edinburgh University Press.
Reichert, Ramón. 2008. Amateure im Netz. Selbstmanagement und Wissenstechnik im Web 2.0.
Bielefeld: transcript.
Russel, Catharine. 2002. Parallax historiography. The Fl^aneuse as cyberfeminist. In A feminist
reader in early cinema, Hrsg. Jennifer M. Bean und Diane Negra, 552–570. Durham: Duke
University Press.
Schlüpmann, Heide. 1990. Unheimlichkeit des Blicks. Das Drama des frühen deutschen Kinos.
Frankfurt a. M.: Stroemfeld.
Seier, Andrea. 2007. Remediatisierung. Die performative Konstitution von Gender und Medien.
Münster: LIT.
Smelik, Anneke. 2016. Feminist film theory. In The Wiley Blackwell encyclopedia of gender and
sexuality studies, Hrsg. Nancy A. Naples, 1–5. Hoboken: Wiley. https://doi.org/10.1002/
9781118663219.wbegss148.
Sobchack, Vivian. 2004. Carnal thoughts. Embodiement and moving image culture. Berkeley:
University of California Press.
Stacey, Jackie. 1993. Star gazing: Hollywood cinema and female spectatorship. London: Rout-
ledge.
Taormino, Tristan, Constance Penley, Celine Parreñas Shimizu, und Mireille Miller-Young. 2013.
The feminist porn book: The politics of producing pleasure. New York: The Feminist Press.
Williams, Linda, Hrsg. 2004. Porn studies. Durham: Duke University Press.
Williams, Linda. 2009 [1991]. Filmkörper: Gender, Genre und Exzess. Aus dem Amerikanischen
von Andrea B. Braidt. montage AV 18(2): 10–30.
Männlichkeiten in den Filmwissenschaften

Sebastian Fitz-Klausner

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
2 Männlichkeitenforschung – Ausbildung einer Disziplin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
3 Männlichkeiten im Film . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

Zusammenfassung
Die filmwissenschaftliche Beschäftigung mit Männlichkeiten kann auf eine kom-
plexe Geschichte mit multiplen Einflüssen und Entwicklungslinien zurückbli-
cken, die auf vielfältige Weise das Zusammenspiel aus männlichen Identitäten,
Körperkonstruktionen und Visualitäten betrachten. Eine wichtige Rolle spielte
hierbei Laura Mulveys Konzept des male gaze. Davon ausgehend sind wichtige
Themenkomplexe Fragen der Erotisierung und Performativität von Männlich-
keiten, ihre Heterogenität und hierarchische Strukturierung sowie die Krise(n) der
Männlichkeit.

Schlüsselwörter
Männlichkeiten · Filmwissenschaft · Körperlichkeit · Psychoanalyse ·
Intersektionalität · Poststrukturalismus

S. Fitz-Klausner (*)
Linz, Österreich
E-Mail: sebastian.fitz-klausner@jku.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 109
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_82
110 S. Fitz-Klausner

1 Einleitung

Der Beginn der filmwissenschaftlichen Beschäftigung mit Männlichkeiten wird meist


entlang einer Reihe von zentralen Publikationen aus dem anglo-amerikanischen Raum
auf die erste Hälfte der 1990er-Jahre datiert (u. a. Lehman 2007, S. ix; Powrie et al.
2004). Zu diesen zählen u. a. Male spectatorship and Hollywood star acting (Bingham
1990), Screening the Male (Cohan und Hark 1993), Spectacular Bodies (Tasker 1993),
Running Scared (Lehman 2007 [1993]), Hard Bodies (Jeffords 1994), You Tarzan
(Kirkham und Thumim 1993a) und deren Folgepublikation Me Jane (Kirkham und
Thumim 1995).1 Diese kanonisierten Texte sind das Resultat langer sowie langsamer
Aushandlungsprozesse innerhalb feministischer Diskurse in einer Wissenschaftsland-
schaft, die in diesem Kontext insbesondere von Laura Mulveys (1975) Konzeption des
male gaze geprägt ist. Auf diesen Spuren thematisiert dieser Artikel den historischen
Kontext der Männlichkeitenforschung und die Entwicklung zentraler Themenkom-
plexe, die bis heute in der filmwissenschaftlichen Männlichkeitenforschung von
Relevanz sind.

2 Männlichkeitenforschung – Ausbildung einer Disziplin

Wissenschaftshistorische Diskussionen fixieren zumeist das Jahr 1987 als den Be-
ginn der Männlichkeitenforschung (Erhart 2016, S. 14), da zu diesem Zeitpunkt drei
zentrale sozialwissenschaftliche Publikationen erschienen, Changing Men (Kimmel
1987a), The Making of Masculinities (Brod 1987a) und Gender and Power (Connell
1987), denen Tagungen, Journals bzw. Spezialausgaben2 sowie weitere Institutiona-
lisierungsprozesse teils vorangingen, jedoch v. a. folgten (Kimmel 1987b, S. 19;
Connell 2000, S. 17–18). Diesen Entwicklungen gingen langjährige Aushandlungs-
prozesse voraus, die zum einen die Position von „male feminists“ (d. h. von [cis-]
männlichen Autoren) im feministischen Diskurs und zum anderen frühere Diskus-
sionen zu Männlichkeiten betreffen. So war selbst der Begriff (New) Men’s Studies
umstritten, entstammt er doch ursprünglich feministischen Kreisen, um androzen-
trische Forschung zu kritisieren. Während ein Teil der feministischen Kritik partiell
direkt adressiert wurde, indem sich das aufkommende Feld etwa explizit gegen die
reaktionäre Männlichkeitsbewegung sowie Androzentrismus positionierte, waren
andere Aspekte schwieriger zu debattieren. Entsprechend wurden v. a. Probleme
der Konkurrenz um die wenigen institutionellen Mittel für geschlechterwissenschaft-
liche Forschung sowie der Reproduktion privilegierter, da männlich codierter

1
Trotz der zeitlichen Nähe und psychoanalytischen Filmanalysen bleibt What a man’s gotta do
(Easthope 1990 [1986]) zumeist ungenannt, da dieser nicht auf den filmwissenschaftlichen Diskurs
referiert, sondern (ähnlich Theweleit 2005 [1977/1978]) eine allgemein (pop)kulturelle Analyse
anstellt.
2
U. a. „Special issue on men“ (Journal of Social Issues, 1978), „Men, Masculinities and Social
Theory“ (British Sociological Association, September 1988), erste Ausgabe von The Journal of
Men’s Studies (1992).
Männlichkeiten in den Filmwissenschaften 111

Sprechrollen im feministischen Diskurs lange Zeit als dringende Fragen im Umfeld


der Männlichkeitenforschung verhandelt (Brod 1987b; Showalter 1987).
Vor der Formierung der (New) Men’s Studies war die Forschung zu Männlich-
keiten im englisch- und deutschsprachigen Raum seit den 1930er-Jahren maßgeblich
von der Geschlechtsrollenidentitätstheorie (sex role theory) geprägt, die sich nicht
nur aufgrund ihrer essenzialistischen sowie differenzgeschlechtlichen Ausrichtung
jeglicher Art von Machtanalyse entzog (Connell 1987, S. 47–54; Hoch 2004 [1979],
S. 95; Kimmel 1987b, S. 12), sondern v. a. auch stabilisierende Wirkung besaß; denn
ihr Ziel war in erster Linie die Wiederherstellung von Geschlechtsrollen, sodass die
Theorie selbst Teil des Diskurses um die „Krise der Männlichkeit“ war (Erhart 2016,
S. 12). Unter diesem Gesichtspunkt ist die Bedeutung von The Myth of Masculinity
(Pleck 1982), einer systematisch-kritischen Diskussion der gesamten Literatur zur
sex role theory, zu sehen, aber das Werk ist keinesfalls die einzige zentrale Arbeit
dieser Phase. Ende der 1970er-Jahre finden sich etwa Forderungen nach der Ein-
beziehung von race und Rassifizierung in die Theoretisierung von Maskulinitäten
(Hoch 2004 [1979]). Einzelne Pionierarbeiten zu marginalisierten Männlichkeiten,
wie etwa Robert Staples Monografie Black Masculinity (2004 [1982]) und Sander
L. Gilmans Auseinandersetzung mit dem jüdischen männlichen Körper (Gilman
1991), erschienen parallel zu Diskussionen über normative Männlichkeiten – wenn
sie diesen nicht sogar vorangingen. Texte der gay studies adressierten früh nicht nur
Marginalisierungs- sowie Alterierungsprozesse, sondern v. a. auch den Konstrukti-
onscharakter von Maskulinitäten (Brod und Kaufman 1994, S. 5). Hervorzuheben ist
hier insbesondere Klaus Theweleits Monografie Männerfantasien (2005 [1977/
1978]), da diese erstens mit dem Zeitpunkt ihres Erscheinens Ende der 1970er-
Jahre eine frühe deutschsprachige Publikation darstellt, die selbst im englischspra-
chigen Raum stark rezipiert wurde (Erhart 2016, S. 13). Zweitens nähert sich
Theweleit mit einem postfreudianisch-psychoanalytischen Ansatz „harten“ Männ-
lichkeiten sowie deren Verdrängungsprozessen von homoerotischem Begehren und
greift damit zentralen queertheoretischen Diskussionen der nächsten Jahre voraus
(u. a. Sedgwick 1985).
Trotz dieser pluralen Stränge konnte sich v. a. R.W. Connells Konzept der
hegemonialen Männlichkeit (Connell 1987) als Standard der frühen Männlichkei-
tenforschung etablieren, da es eine Reihe von Erkenntnissen in einem theoretischen
Rahmen fassbar machte und seine Offenheit die Adaption in den unterschiedlichsten
Feldern erleichterte – wie etwa in den Filmwissenschaften, wo es ab den 1990er-
Jahren zunehmend sowohl explizit (u. a. Cohan 1997, S. 35; Hißnauer und Klein
2002b, S. 28; Powrie et al. 2004; Kaltenecker 1993) als auch implizit (u. a. Morag
2009, S. 26; Rieser 2002) zum Einsatz kam. Ursprünglich konzipiert in einem
unveröffentlichten Essay 1976 (Connell 1987, S. xiv), orientiert sich Connells
Konzept an Gramscis Hegemonie-Modell, um Männlichkeiten als historische und
kulturelle Konstrukte zu theoretisieren, die als soziale Praxis prozesshaft in
dynamisch-hierarchischen Machtfeldern produziert werden. Der Fokus auf die Plu-
ralität von Männlichkeiten verschiebt den Blick von einer rein inter- zu einer
zusätzlich intrageschlechtlichen Dimension, die hegemoniale, komplizenhafte und
untergeordnete Männlichkeiten sowie weiters Marginalisierung (bzgl. u. a. race)
112 S. Fitz-Klausner

umfasst. Mit Rückgriff auf Gramscis Definition versteht Connell unter hegemonialer
Männlichkeit weder zwangsweise die mächtigste noch größte Gruppe, sondern „die
kulturelle Dynamik, durch die eine Gruppe eine Führungsposition beansprucht und
aufrechterhält“ (Connell 2005 [1995], S. 77). Dieses Verständnis von Männlichkeit
gilt zu einem spezifischen Zeitpunkt als akzeptierteste Antwort auf die Frage nach
der Legitimität des Patriarchats, indem es institutionelle Macht und kulturelle Ideale
vereint und somit ihren Vormachtanspruch naturalisiert. In weiterer Folge wird die
Vorrangstellung stabilisiert, indem sich komplizenhafte Männlichkeit an diesem
Verständnis orientiert. Denn anders als hegemoniale Männlichkeit positioniert sich
die komplizenhafte Männlichkeit nicht an vorderster „Front“ (Connell 2005 [1995],
S. 79), profitiert allerdings von der patriarchalen Dividende, indem sie sich unter-
stützend an ihren Idealen ausrichtet. Zugleich werden gewisse Männlichkeiten aktiv
ausgeschlossen, indem sie in Alteritätsprozessen symbolisch mit weiblich codierten
Eigenschaften aufgeladen und somit als „effeminiert“ abgewertet werden. Während
andere Autor*innen (u. a. Norden 1995; Staples 2004 [1982]) derartige Prozesse
entlang einer ganzen Reihe von intersektional wirkenden Machtkategorien (race,
disability, Klasse usw.) theoretisieren, fokussiert Connell exklusiv auf Homosexua-
lität. Um weitere Machtkategorien adressieren zu können, führt Connell Marginali-
sierung als eine zusätzliche Dimension ein, die es erlaubt, die komplexen Inter-
aktionen und Dependenzen mit weiteren Machtkategorien zu analysieren, wie etwa
die systematische Abwertung von Personengruppen bei simultaner Glorifizierung
Einzelner als Männlichkeitsideal (z. B. Schwarze Sportstars) (Connell 2005 [1995],
S. 67–81).
Trotz Kritik – am bedeutsamsten seitens Demetrakis Z. Demetriou (2001) aus
u. a. postkolonialer Perspektive – bleibt das Modell aufgrund der Pluralität von
Männlichkeiten, der doppelten Relationalität (inter-/intrageschlechtlich), des Fokus
auf soziale Praxis und seiner Adaptierfähigkeit eines der wichtigsten Konzepte der
Männlichkeitenforschung – was sich später auch in den Filmwissenschaften ab-
zeichnet.

3 Männlichkeiten im Film

Obwohl sich sozialwissenschaftliche Studien auf der Suche nach Männlichkeits-


idealen gern auf das Kino (und andere Medien) beziehen (u. a. Connell 1987, S. 185;
Hoch 2004 [1979], S. 96–99), dienen die Filmbeispiele dabei lediglich der Ver-
anschaulichung, ohne dass Bezüge zu relevanten filmwissenschaftlichen Diskussio-
nen hergestellt werden, die maßgeblich von Mulveys Arbeiten geprägt waren.
Infolgedessen mangelte es der Männlichkeitsdebatte v. a. in den 1980er-Jahren an
produktiven Kontakten zwischen sozial- und filmwissenschaftlichen Diskursen
(Powrie et al. 2004, S. 2).
Getrennt von den sozialwissenschaftlichen Entwicklungen sind die Pionierarbei-
ten in der ersten Phase filmwissenschaftlicher Analysen von Männlichkeiten v. a. von
zwei Traditionslinien geprägt: Einmal sind dies (primär) inhaltsanalytische Diskus-
sionen von Stereotypen mit oftmals enzyklopädischem Anspruch. Ähnlich Molly
Männlichkeiten in den Filmwissenschaften 113

Haskell in ihrer kanonisierten Publikation From Reverence to Rape (1974) thema-


tisiert Joan Mellen in Big Bad Wolves (1977) die (Verfalls-)Geschichte von Kino-
männlichkeiten. Dabei stellt die Autorin die normative harte Männlichkeit der
1970er-Jahre einem Spektrum (u. a. sanfter) Männlichkeiten früherer Perioden
gegenüber. Demgemäß ist Mellens Suche in erster Linie von der Kritik toxischer
Männlichkeiten („distorting and cruel masculine mystique“, Mellen 1977, S. 345)
sowie dem Hervorheben progressiver („[h]umane styles of masculinity“, Mellen
1977, S. 345) geprägt. Darüber hinaus schneidet die Autorin viele Themen an, die in
weiterer Folge zentral im Feld werden (u. a. Effemination, männliche Sexualisie-
rung, Schwarze Maskulinität, homoerotische Homosozialität).
Unmittelbar an den letzten Punkt knüpft die zweite Traditionslinie an: Wie in
allen Disziplinen der (New) Men’s Studies leisteten die gay studies auch in den
Filmwissenschaften unverzichtbare Pionierarbeit. Publikationen wie Richard Dyers
1977 editierte Sonderausgabe von Jump Cut namens Gays and Film (Kaplan 2000,
S. 3) und Vito Russos The Celluloid Closet (Russo 1987 [1981]) enthalten frühe
Diskussionen zu Heteronormativität, zur Konstruktion von Männlichkeiten sowie
zur Hierarchisierung von Männlichkeiten mittels Effemination des homosexuellen
Mannes (Dyer 2002 [1983]; Russo 1987 [1981], S. 3–61).
Entlang dieser Diskussionen nähert sich Anfang der 1980er-Jahre eine Reihe von
Autor*innen dem Mulvey’schen Paradigma, um es Stück für Stück aus v. a. hetero-
normativitätskritischer Perspektive (Heterosexismus, Zweigeschlechtlichkeit, feh-
lende Intersektionalität u. ä.) zu problematisieren. Die Kritik sowie zentrale, eng
miteinander verwobene Linien der Männlichkeitenforschung formierten sich an drei
Axiomen Mulveys: an der exklusiv weiblichen to-be-looked-at-ness, der Homoge-
nität von Männlichkeiten und der Eindimensionalität des Identifikationsprozesses.
Wie im Folgenden ausgeführt, wurden entlang dieser Linien u. a. die Erotisierung
von Männlichkeiten, ihre Heterogenität und hierarchische Strukturierung sowie die
(masochistische, auch genussvolle) Identifikation mit kriselnden Männlichkeiten
diskutiert.

3.1 Männlichkeiten als Spektakel

Insbesondere die vergeschlechtlichte Dichotomisierung der to-be-looked-at-ness,


welche der Männlichkeit ihre Objektifizierung aberkennt, zieht sich als zentrales
Thema durch die diversen Publikationen. So nützen Kirkham und Thumim die Frage
nach der männlichen to-be-looked-at-ness als Ausgangspunkt von You Tarzan
(Kirkham und Thumim 1993b, S. 11–12), während die Star Studies, die sich
ohnedies früh von der Psychoanalyse distanzierten (Weingarten 2004, S. 21), Männ-
lichkeit als Spektakel sowie als performatives, fragiles Konstrukt beleuchteten
(Cohan 1997, S. 26). Cohan und Hark (1993) stellen dem Band Screening the Male
sogar den Nachdruck von Steve Neales Grundlagentext Masculinity as Spectacle
von 1982 voran, um sich klar zu positionieren. Zwar deutlich am Mulvey’schen
Konzept orientiert, kritisiert Neale (1993 [1982]) die Vorstellung eines vermeintlich
widerspruchsfreien Identifikationsprozesses, da (selbst männliche) Rezeption stets
114 S. Fitz-Klausner

ein Oszillieren zwischen narzisstischer Identifikation mit dem Ideal-Ich (moi) und
dem sadomasochistischen Begehren gegenüber männlichen Idealfiguren bedeutet.
Ähnlich Sedgwicks Ausführungen (1985) zum homosocial desire können männliche
Körper als „erotic object of another male look“ und „homosexual voyeurism“ (Neale
1993 [1982], S. 13–14) nur im Moment ihrer Verdrängung in Erscheinung treten.
Entsprechend wird das Begehren den Körpern gegenüber verdeckt, indem diese als
Objekte von (männlich codierter) Aggression und Gewalt umgedeutet werden
(„looks are marked not by desire, but rather by fear, or hatred, or aggression“, Neale
1993 [1982], S. 18).
Aufgrund der Popularität von Neales Text in der Diskussion zu Männlichkeit als
erotisches Objekt (u. a. Green 1984) kam das Actionkino als zentraler Ort der
Männlichkeitsproduktion sowie des homoerotischen Begehrens zunehmend in den
Blick, da dort das Zusammenspiel von Begehren und Gewalt sichtbar wird (u. a. Kirk-
ham und Thumim 1993a; Tasker 1993; Halberstam 1998, S. 3–5; hierzu auch
Scheibelhofer et al. 2019). Wichtige Impulse gingen in diesem Kontext von Richard
Dyer (1982) aus, der in einem ersten Schritt auf die spezifischen Vergeschlecht-
lichungsprozesse in Mulveys Modell eingeht. Entsprechend der vergeschlechtlichten
Dichotomisierung von Aktivität/Passivität bzw. Sehen/Gesehen-Werden negieren
männliche Models die eigene (weiblich codierte) Passivität, indem ihr Blick (auf
das oder jenseits des Publikums gerichtet), ihre angespannte Haltung und ihr Körper
Zeugnis von Aktivität ablegen. Ihre Muskulatur als solche gilt als Beweis für
Ausdauerkraft, Härte und letztendlich Aktivität.
In einem zweiten Schritt und im Zuge von Forderungen nach Intersektionalität
refokussiert Dyer in White (1997) den Blick auf die Rassifizierung von Filmtech-
nologie und v. a. die Historisierung von whiteness als Konstrukt, das ethnozentrisch
unmarkiert blieb. Am Beispiel des Abenteuerkinos im (post)kolonialen Setting
diskutiert Dyer den muskulösen Weißen Körper als Diskursfragment Weißer Männ-
lichkeit zur Legitimierung Weißer Vorherrschaft, von der andere Körper aus-
geschlossen werden. Indem etwa die Darstellung auf explizit Weiß konnotierte
(Bild)Traditionen rekurriert (u. a. christliche Märtyrer-Ikonografie, als Weiß ver-
kannte antike Statuen, Übermensch-Diskurs), wird dieser „gebaute“ Körper (body-
building) zum Beleg Weißer Überlegenheit, da er seine idealisierte Härte durch
Standfestigkeit und Widerständigkeit gegen jegliche Schmerzen erreiche. Im Kon-
trast zu nicht-Weißen Körpern, deren rassifizierte Nähe zur „Wildnis“ Dyer schon
früher kommentierte (Dyer 1982, S. 67–68), wären die Muskeln Weißer Männer
keineswegs Beleg von Animalität (i. e. naturgegeben), sondern vielmehr Ausdruck
psychischer Überlegenheit (Dyer 1997, S. 146–183).
Grundlegend markiert White auch ein tendenzielles Abwenden von psychoana-
lytischen Modellen (Identifikation, Begehrensstrukturen) hin zu Cultural Studies
und poststrukturalistischen Herangehensweisen. Während in weiterer Folge einzelne
Autor*innen wie etwa Peter Lehman (2007) den gänzlich entkleideten Körper in den
Fokus nahmen, um v. a. das Unbehagen an der (Nicht-)Darstellung von Penissen als
Teil patriarchalischer Kulturen kritisch zu reflektieren, führen andere (u. a. Tasker
1993; Halberstam 1998) die Diskussion auf die nächste (poststrukturalistische)
Stufe, indem sie Maskulinität gänzlich vom cis-männlichen Körper entkoppeln. In
Männlichkeiten in den Filmwissenschaften 115

vorangegangenen Diskussionen wurde Vermännlichung von weiblichen Figuren in


erster Linie parallel zur Effemination als othering von non-normativen Weiblich-
keiten diskutiert, um sie als unnatürlich abzuwerten (u. a. Dyer 2002, S. 30–37;
Theweleit 2005). Selbst in den wenigen Analysen positiver Maskulinisierung ver-
harrt dieser Vergeschlechtlichungsprozess bei der Aufnahme männlich kodierter
Charaktereigenschaften und Handlungen, ohne die Weiblichkeit des Körpers zu
hinterfragen (u. a. Clover 1993 [1992], S. 21–64). Dagegen konzipiert Yvonne
Tasker musculinity als „physische Definition von Maskulinität im Sinne von ent-
wickelter Muskulatur“ (Tasker 1993, S. 3), die von jedem Körper performt werden
kann. Im Kontrast zu früheren Diskussionen hebt Tasker Maskulinität entsprechend
als performative Praxis hervor, deren Diskursivierung jedoch zugleich ihrem Unter-
suchungsgegenstand, dem weiblichen Actionstar, klare Schranken setzt, da ihr
Auftreten stets in verschiedenen Vergeschlechtlichungs- und Rassifizierungsprozes-
sen eingebettet ist. Während Schwarzen (Cis-)Frauenkörpern Stereotypen aggressi-
ver Sexualität ohnedies eingeschrieben sind, werden andere Körper etwa über ihre
Verbindung zu Mutterschaft oder mittels (Hetero-)Sexualisierung vergeschlecht-
licht, um das Unbehagen über die performte Maskulinität für ein heterosexuelles
männliches Publikum zu zerstreuen (Tasker 1993, S. 14–34). Einen Schritt radikaler
ist das Konzept der female masculinity, das Jack Halberstam sowohl in kulturellen
Texten als auch Praxen verortet. Keineswegs reine Imitation einer vermeintlich
natürlichen Männlichkeit ist female masculinity sowohl zentraler Bestandteil im
Aushandlungsprozess von Maskulinitäten als auch Aspekt dekonstruktivistischer
Diskussionen zur „dominant masculinity“, indem Maskulinität als Konstrukt sicht-
bar gemacht und die „naturalisierte Beziehung zwischen Männlichkeit und Macht“
(Halberstam 1998, S. 2) aufgelöst wird.
Folglich werden Maskulinitäten zunehmend von Cis-Männern entkoppelt und in
ihrer Performativität und Zeichenhaftigkeit betrachtet, jedoch bleibt deren Körper
dennoch der bevorzugte Spielort der Diskussionen (Bauer et al. 2007, S. 13). Trotz-
dem erlauben derartige dekonstruktivistische sowie performative Ansätze selbst in
diesem reduzierten Ausmaß, interne Spannungen bei hegemonialer Männlichkeit zu
verorten. Galten die Muskelkörper von cis-männlichen Actionstars v. a. in den Sozi-
alwissenschaften als beliebtestes, da vermeintlich eindeutiges Beispiel normativer
Maskulinität, können sie nun als Zeugnis ihrer eigenen Performativität gelesen wer-
den, da ihre musculinity (wie bei anderen Körpern) auch nur symbolischer bzw.
diskursiver Natur ist (Morsch 2002, S. 54–55). Insbesondere in Rückbezug auf Mary
Ann Doanes „Maskerade“ und Judith Butlers Ausführungen zur Performativität
(u. a. Holmlund 1993; Cohan 1997) werden Vergeschlechtlichungsprozesse nun
entlang ihrer Zeichenhaftigkeit (Handlungen, Körperlichkeiten, Eigenschaften, Insze-
nierung u. ä.) zum Thema gemacht (Hißnauer und Klein 2002b, S. 19–20).

3.2 Alterität und Hierarchien innerhalb von Männlichkeiten

Mulveys Dichotomisierung von Blickstrukturen (Sehen/Gesehen-Werden) geht


mit einer Homogenisierung von Geschlechtlichkeit einher (männlich/weiblich), die
116 S. Fitz-Klausner

schon früh kritisiert wurde. So weist – als Teil einer allgemeinen Problematisierung
von eindimensionalen, stabilen Identifikationsprozessen (siehe etwa Mayne 1993) –
Ian Green die exklusive Identifikation mit männlichen Figuren zurück, da in spezi-
fischen Kontexten etwa „schwache, unsichere“ Männlichkeiten „unangemessen für
männliche Identifikation“ (Green 1984, S. 40) seien. Während die eigentliche Dis-
kussion von intersektionalen Perspektiven in der ersten Phase filmwissenschaftlicher
Männlichkeitenforschung weitgehend ein Randthema blieb (u. a. Silverman 1992;
Wiegman 1993), wurde die Pluralität von Männlichkeiten, ähnlich den Ausführun-
gen Connells, relativ früh in einem Machtfeld situiert. In diesem wurde die Über-
legenheit von normativen Männlichkeiten durch die Exklusion von negativen (oft-
mals weiblich codierten) Eigenschaften produziert, indem jene auf marginalisierte
Männlichkeiten projiziert wurden (u. a. Russo 1987; Theweleit 2005). Während der
Protagonist der Gefahr kühl und stoisch ins Auge sieht, brechen die Nebenfiguren in
‚hysterische‘ Panik aus.
In komplexer Reziprozität führt der Prozess der Effemination kulturell und
historisch spezifische Zuschreibungen, intersektional wirkende Machtkategorien
(u. a. race, Sexualität, dis/ability) sowie etablierte Bildtraditionen zusammen. So
wurde etwa jüdische Männlichkeit (race) im 19. Jahrhundert abgewertet und
letztendlich aus der hegemonialen Männlichkeit exkludiert, indem jüdisch kon-
notierten männlichen Körpern diskursiv u. a. ein physisch schwaches Nervenge-
wand eingeschrieben wurde, das dem weiblichen ähnle (z. B. Hysterie). Entspre-
chend war diesen das zeitgenössische Ideal des disziplinierten Soldatenkörpers
verwehrt – trotz aller gegenteiliger Zeugnisse (Gilman 1991). Judith Doneson
zeigt in ihrer Analyse von Vergeschlechtlichungsprozessen in Filmen zur Shoah,
wie das Judentum in seiner Passivität gegenüber einem aktiven nicht-jüdischen
Widerstand verweiblicht wird (Doneson 1997, S. 140–142). In ihrer Diskussion
von Schindler’s List (1993) hebt die Autorin v. a. die Beziehung zwischen Oskar
Schindler und Itzhak Stern hervor, wobei die weiblich kodierten (Haus)Arbeiten
sowie seine unterstützende Position Stern zur „Frau hinter dem erfolgreichen
Mann“ (Doneson 1997, S. 146) machen. Entsprechend sind derartige Marginali-
sierungsprozesse auf multiple Weise in heteronormative Strukturen eingebettet:
Nicht nur werden negative, da weiblich kodierte Eigenschaften zur Abwertung
von männlichen Figuren bzw. Männlichkeiten eingesetzt, oftmals werden die
diversen Männlichkeiten auch in heterosexistische Beziehungen zueinander ge-
stellt – wobei in beiden Fällen die Frage offenbleibt, ob diese Lesarten den Filmen
eingeschrieben oder ein Produkt der Analyse sind. Entsprechend kritisiert Klaus
Rieser (2002) die Eindimensionalität der Effeminierungsargumentation innerhalb
von akademischen Diskussionen, da diese heteronormative Einschreibungen oft-
mals unbewusst reproduzieren. Eine unreflektierte Verwendung des Effeminie-
rungsarguments läuft nämlich Gefahr, „die widersprüchliche Natur von Männ-
lichkeit“ (Rieser 2002, S. 81) zu verschütten, indem eindimensional
„Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“ gegenübergestellt werden und somit deren
Gleichzeitigkeit negiert wird.
Männlichkeiten in den Filmwissenschaften 117

3.3 Männlichkeiten in der Krise

Teilweise als Kritik an dem Diskurs, dass sich Männer in einer Krise befänden,
teilweise als Zeichen einer vermeintlichen Veränderung der Gesellschaft dominierte
die „Krise der Männlichkeit“ seit Anbeginn die Diskussionen der (New) Men’s
Studies (Brod 1987b, S. 190–191; Erhart 2016, S. 14). Analog war auch eine ganze
Reihe von frühen Texten zu Männlichkeiten im Film von dieser Thematik geprägt,
um u. a. Mulveys Axiom zur zwanghaften Identifikation mit dem (männlichen)
Ideal-Ich (moi) auf der Leinwand zu problematisieren. Neben der Sonderausgabe
von Camera Obscura namens Male Trouble, deren Herausgeberinnen das Narrativ
teils bedienen, teils verneinen (Penley und Willis 1988), stechen v. a. zwei frühe
Publikationen hervor: Kaja Silvermans Monografie Male Subjectivity at the Margins
(1992) und Pam Cooks Masculinity in Crisis? (1982). Cook spricht die „Krise der
Männlichkeit“ nicht nur früh an, sondern setzt sich mit dieser auch kritisch aus-
einander. So sieht sie in der „Krise“ keine „radical critique of masculinity“, sondern
einzig den Sinn, „that we can mourn its loss“ (Cook 1982, S. 39–40), nämlich den
Verlust einer „normalen“ Männlichkeit. Im Kontrast zu sozialkonstruktivistischen
Perspektiven produziert dieser Diskurs Geschlecht nämlich als ein „coherent system
of some kind“ (Connell 2005 [1995], S. 84), weshalb die Rhetorik um die Krise
privilegierte hegemoniale Männlichkeit abermals ins Zentrum rückt, um sie
(in adaptierter Form) erneut zu legitimieren (u. a. Mädler 2008; Robinson 2000;
siehe hierzu auch Scheibelhofer et al. 2019).
Oftmals gilt in diesem Kontext die Verwundbarkeit und Viktimisierung von
Vertretern der hegemonialen Männlichkeit als Ausgangspunkt für ein Narrativ des
(kathartischen) Ausbruchs (Mädler 2008, S. 230–232). Dass aber masochistische
und sadistische Begehren (abermals im Kontrast zu Mulvey) komplexer im Subjekti-
vierungsprozess verankert sein können, zeigt Silvermans psychoanalytische Dis-
kussion von männlicher Subjektivität und Masochismus in Male Subjectivity at the
Margins. Die Autorin analysiert Männlichkeit (bzw. deren Verlust) als Spektakel,
indem sie Mulveys Konzept mit Jacques Lacans diversen Diskussionen zu Blick-
strukturen rückkoppelt (Silverman 1992, S. 130) – aber anders als etwa bei Dyer ist
das Thema dem Interesse an Subjektivierung hintangestellt. Im Kontrast zum ver-
meintlich normalen Identifikationsangebot zeichnet sie Alternativen nach, indem sie
auf „deviante“, der phallischen Logik nicht entsprechende, Männlichkeiten fokus-
siert (Silverman 1992, S. 1). Anhand des Films It’s a wonderful Life (1946) diskutiert
Silverman schon zehn Jahre zuvor die „forcierte Identifikation vom männlichen
Subjekt mit einem ‚schwachen‘ und ‚kastrierten‘ Vater“, die auf den ersten Blick
paradox wirkt, da doch „Passivität und Masochismus gewöhnlich mit dem weibli-
chen Subjekt assoziiert“ werden (Silverman 2000 [1981], S. 100–101). Während die
Autorin in dieser frühen Publikation Kastration noch in Bezug auf die Nichterfüllung
kultureller maskulinistischer Erwartungshaltungen als persönliche Krise definiert
(Silverman 2000 [1981], S. 106), verschiebt sich ihr Blick in der Monografie auf
den Umgang mit Umbrüchen der symbolischen Ordnung im Gefolge von Kriegen,
Bürgerrechtsbewegung und Feminismus sowie der resultierenden Krise männlicher
118 S. Fitz-Klausner

Subjektivität („crisis of male subjectivity“) (Silverman 1992, S. 50–53). In einer Zeit


zunehmenden Interesses an Traumatologie in den Kulturwissenschaften konzeptua-
lisiert die Autorin das historische Trauma, das sich in einer zwanghaften Fixierung
auf einen „männlichen Mangel“ manifestiert (Silverman 1992, S. 63) und sogar zum
„Spektakel des Verlust“ wird, als Bindestück zwischen persönlicher und gesell-
schaftlicher Krise (Silverman 1992, S. 63–67).
In Krisentexten fallen somit kulturelle und körperliche Verwundbarkeit oftmals
zusammen, sodass diese verwundeten (Männer-)Körper nicht nur Sinnbild einer
gesellschaftlichen Krise werden (Robinson 2000, S. 6, 88), sondern auch die Legi-
timität der Krise erhöhen, da doch hier nichts anderes als die „physische ‚Existenz-
berechtigung‘“ den Helden, und somit der hegemonialen Männlichkeit, abge-
sprochen wird (Weingarten 2004, S. 260). Dementsprechend werden oftmals
beeinträchtigte Cis-Männerkörper als Visualisierungsform eingesetzt, da zum einen
Behinderung ohnedies eine gängige Projektionsfläche sowie einen Aushandlungs-
raum für Verwundbarkeiten darstellt (Shakespeare 1994, S. 297–298). Zum anderen
signalisieren sie aufgrund der symbolischen Verbindung von Weiblichkeit und
Behinderung den Ausschluss von hegemonialen Männlichkeitspraxen (u. a. Mander-
son und Peake 2005; Connell 2005 [1995], S. 54). Doch in Analysen wird dieser
Aspekt selten kritisch reflektiert, da die Autor*innen kulturelle Narrative der
(vergeschlechtlichten) Codierung von Behinderung oftmals reproduzieren (etwa
O’Brien 1995; Morag 2009). Im Kontext ihrer psychoanalytischen Ausrichtung
beschreibt Silverman (1992) amputierte Unterarme als „intolerable difference“
(S. 70) und rückt diese in die Nähe des weiblichen Körpers. Letztendlich ist die
Amputation zuallererst das „most traumatic feature“ (S. 74) eines Films, da sie
visuell „male lack“ sichtbar mache, welche andernfalls (auf fetischistische o. ä.
Weise) verdrängt werde. Trotz der Nähe zwischen Gender Studies und Disability
Studies sowie konstanten Annäherungen in den letzten Dekaden bleibt eine gewisse
zurückhaltende Distanz erhalten (Garland-Thomson 2011, S. 13–14), die sich auch
in wissenschaftliche Argumentation sowie Analysen einschreibt, sodass insbeson-
dere die unreflektierte Rezitation kanonisierter Werke problematische Auswirkun-
gen haben kann.

3.4 Männlichkeiten in den deutschsprachigen


Filmwissenschaften

„Die deutschsprachige Forschung zur filmischen Repräsentation von Männlichkeit


steckt [. . .] noch in den Kinderschuhen“ (Fenske 2008, S. 16). So skizziert Uta Fenske
2008 kritisch die Situation im deutschsprachigen Raum. Doch trotz der scharfen Worte
zeigen sich schon seit den frühen 1980er-Jahren Parallelentwicklungen zum anglo-
amerikanischen Raum: In einem frühen Artikel gesteht Miriam Hansen (1982) der
Erotisierung von Rudolph Valentino subversives Potenzial zu, indem sie dessen
Inszenierung entlang Mulvey und dem freudianischen Konzept des Masochismus
liest. Ähnliche Diskussionen zu Blickstrukturen und Männlichkeiten finden sich
u. a. auch bei Gabriele Jutz, die kritisch gegenüber der Leerstelle von heterosexueller
Männlichkeiten in den Filmwissenschaften 119

Männlichkeit in Analysen „inter- wie auch intrasexuelle“ (Jutz 1992, S. 144) Blick-
hierarchien vorschlägt, und in einer Sonderausgabe von Frauen und Film (Männer die
ins Auge gehen), in der v. a. Annette Brauerhoch (1986) und die deutsche Übersetzung
von Dyers Don’t Look Now (Dyer 1986 [1982]) (muskulöse) Männerkörper im
Spannungsverhältnis von Aktivität/Passivität und Sadismus/Masochismus lesen. Ne-
ben dieser Fokussierung auf den Blick stechen insbesondere die beiden Abschluss-
arbeiten (Diplom bzw. Dissertation) von Georg Tillner (1993) und Siegfried Kalten-
ecker (1993) heraus, die sich unter Rückbezug auf Silverman mit der Konstitution von
maskuliner Subjektivität, aber auch (im Falle Kalteneckers) mit Krisennarrativen und
dekonstruktivistischen Ansätzen nach Judith Butler beschäftigen.
Warum äußert sich dann Fenske so kritisch? Trotz einzelner Publikationen
können wir anders als im angloamerikanischen Raum in den 1990er- und 2000er-
Jahren nur langsame Entwicklungen und Institionalisierungsprozesse wahrnehmen.
Abgesehen von wenigen Sammelbänden zum Thema (Hißnauer und Klein 2002a;
Horst und Kleis 2002) finden sich in der Regel nur vereinzelte Beiträge zu Männ-
lichkeiten im Film auf Tagungen3 sowie in Sammelbänden und Sonderausgaben zu
Medialitäten (u. a. Bassett 1998; Brauerhoch 1994; Seeßlen 2001) bzw. zu Männ-
lichkeiten (u. a. Haschemi Yekani 2007; Heckner 2007; Renz 2002; Zahlmann
1998), manchmal sogar ganze Sektionen (u. a. Penkwitt 2004; Steffen 2002; Strunk
2002). Thematisch ist aber von Anfang an ersichtlich, dass die deutschsprachigen
filmwissenschaftlichen Arbeiten zu Männlichkeiten in einem engen Verhältnis zu
den englischsprachigen Diskussionen stehen. Theorien, Themen und Konzepte
werden aufgegriffen und vertieft,4 was sich u. a. auch in den nach 2000 zunehmen-
den Monografien deutlich abzeichnet: von Star Studies und dem spektakulären
männlichen Star-Körper (Weingarten 2004) zu Vergeschlechtlichung in maskuli-
nistischen Genres (Weidinger 2006). Bezeichnenderweise haben sich 2008 gleich
drei Monografien gänzlich oder zumindest zum Teil dem Thema der „Krise der
Männlichkeit“ im Film verschrieben (Fenske 2008; Kappert 2008; Mädler 2008).

4 Fazit

Die wissenschaftshistorische Formierung von Männlichkeitenforschung innerhalb


der Filmwissenschaften ist grundlegend plural, da sie nur im Kontext von multi-
dimensionalen Aushandlungsprozessen entlang von (trans)disziplinären Paradigmen

3
Abseits einer Grazer, wissenschaftlich begleiteten Filmschau namens Von bewegten Männern in
bewegten Bildern im Jahr 1997 (Kaltenecker 1997) finden sich einzelne frühe Filmbeiträge in den
Tagungen des Arbeitskreises für interdisziplinäre Männerforschung (seit 2001) und der Frankfurter
kunsthistorischen Tagung Zur Repräsentation von Männlichkeit in der Kunst und in den visuellen
Medien (2000) (Fend und Koos 2002).
4
Während v. a. Autor*innen anderer Disziplinen (z. B. Germanistik: Renz 2002, Geschichte:
Zahlmann 1998) nur zum Teil auf filmwissenschaftliche Diskussionen und Theorien referieren,
zeigt sich allerdings eine Verwandtschaft entlang der Themenkomplexe (u. a. Körperlichkeit, Per-
formativität).
120 S. Fitz-Klausner

zu verstehen ist. Teilweise war es eine aktive Bewegung weg von psychoanalyti-
schen Ansätzen (Lehman 1993, S. 8–9; Cohan 1997, S. 26) sowie der damit
einhergehenden Problematisierung eindimensionaler Identifikation (Mayne 1993),
teilweise eine Orientierung an poststrukturalistischen und performativen Perspektiven
(Hißnauer und Klein 2002b, S. 19), und teilweise waren die filmwissenschaftlichen
Entwicklungen einfach nur in allgemeineren wissenschaftlichen Diskussionen zu
Männlichkeiten eingebettet. Entsprechend sind die besprochenen Themen – die
Objektifizierung von Körpern, Performativität entlang kultureller Narrative, die
Entkopplung vom cis-männlichen Körper, Intersektionalität und Pluralität von
Männlichkeiten – lediglich Schlaglichter komplexerer Entwicklungen, die jedoch
essenzielle Fundamente der Disziplin bilden und um die herum sich bis heute
zentrale Diskussionen formieren: So diskutiert Sally Chivers (2011) die Verschrän-
kung von Männlichkeiten, dis/ability und age im Kontext der „Krise der Männ-
lichkeit“, während Stella Bruzzi (2013) Männlichkeit gänzlich vom Körper löst,
indem sie den vergeschlechtlichten Stil im Actiongenre analysiert. Selbst Terrance
H. McDonalds Konzeption von Männlichkeiten als „relations, becomings and the
unthought“ (McDonald 2018, S. 267) mithilfe von Deleuze führt ihn abermals
u. a. zur „Krise der Männlichkeit“ und Performativität.

Literatur
Bauer, Robin, Josch Hoenes, und Volker Woltersdorff. 2007. Männlichkeit ist für alle da. Aber was
ist Männlichkeit? Einleitung der Herausgeber. In Unbeschreiblich Männlich. Heteronormativi-
tätskritische Perspektiven, Hrsg. Robin Bauer, Josch Hoenes, und Volker Woltersdorff, 12–26.
Hamburg: MännerschwarmSkript.
Bassett, Drew. 1998. Muskelmänner. Stallone, Schwarzenegger und die Entwürfe des Maskulinen.
In Unter die Haut. Signaturen des Selbst im Kino der Körper, Hrsg. Jürgen Felix, 93–114.
St. Augustin: Gardez.
Bingham, Dennis Patrick. 1990. Male spectatorship and Hollywood star acting. Dissertation. Ann
Arbor. https://etd.ohiolink.edu/!etd.send_file?accession¼osu1487684245465453&disposition
¼inline. Zugegriffen am 20.04.2020.
Brauerhoch, Annette. 1986. Glanz und Elend der Muskelmänner. Konfrontation mit einem Genre.
Frauen und Film 40:20–26.
Brauerhoch, Annette. 1994. Sein und Schein. Zur Differenz männlicher und weiblicher Schönheit
im Film. In „Bei mir bist Du schön.“ Die Macht der Schönheit und ihre Konstruktion im Film,
Hrsg. Ernst Karpf, Doron Kiesel, und Karsten Visarius, 33–60. Marburg: Schüren.
Brod, Harry, Hrsg. 1987a. The making of masculinities. The new men’s studies. New York:
Routledge.
Brod, Harry. 1987b. The new men’s studies. From feminist theory to gender scholarship. Hypatia
2(1): 179–196.
Brod, Harry, und Michael Kaufman. 1994. Introduction. In Theorizing masculinities, Hrsg. Harry
Brod und Michael Kaufman, 1–10. Thousand Oaks/London/New Delhi: Sage.
Bruzzi, Stella. 2013. Men’s Cinema. Masculinity and mise en scène in Hollywood. Edinburgh: Univ.
Press.
Chivers, Sally. 2011. The silvering screen. Old age and disability in cinema. Toronto/Buffalo/
London: Univ. of Toronto Press.
Cohan, Steven. 1997. Masked men. Masculinities and the movies in the fifties. Bloomington/India-
polis: Indiana Univ. Press.
Männlichkeiten in den Filmwissenschaften 121

Cohan, Steven, und Ina Rae Hark, Hrsg. 1993. Screening the male. Exploring masculinities in
hollywood cinema. London/New York: Routledge.
Clover, Carol J. 1993 [1992]. Men, women, and chainsaws. Gender in the modern horror film.
Princeton: Princeton Univ. Press.
Connell, R. W. 1987. Gender and power. Society, the person and sexual politics. Cambridge: Polity
Press.
Connell, R. W. 2000. Die Wissenschaft von der Männlichkeit. In Männlichkeitsentwürfe. Wand-
lungen und Widerstände im Geschlechterverhältnis, Hrsg. Hans Bosse und Vera King, 17–28.
Frankfurt a. M.: Campus.
Connell, R. W. 2005 [1995]. Masculinities. Berkeley/Los Angeles: Univ. of California Press.
Cook, Pam. 1982. Masculinity in crisis? Screen 23(3–4): 39–46.
Demetriou, Demetrakis Z. 2001. Connell’s concept of hegemonic masculinity. A critique. Theory
and Scoiety 30:337–361.
Doneson, Judith. 1997. The image lingers. The feminization of the Jew in Schindler’s list.
In Spielberg’s holocaust. Critical perspectives on Schindler’s list, Hrsg. Yosefa Loshitzky,
140–152. Bloomington: Indiana Univ. Press.
Dyer, Richard. 1982. Don’t look now. Screen 23(3–4): 61–73.
Dyer, Richard. 1986 [1982]. „Don’t Look Now.“ Die Unstimmigkeiten des männlichen Pin-up.
Frauen und Film 40:13–19.
Dyer, Richard. 1997. White. Milton Park/New York: Routledge.
Dyer, Richard. 2002 [1983]. Seen to be believed. Some problems in the representations of
gay people as typical. In The matter of images. Essays on representation, Hrsg. Richard Dyer,
19–49. London/New York: Routledge.
Easthope, Antony. 1990 [1986]. What a man’s gotta do. The masculine myth in popular culture.
New York: Routledge.
Erhart, Walter. 2016. Deutschsprachige Männlichkeitsforschung. In Männlichkeit. Ein interdiszi-
plinäres Handbuch, Hrsg. Stefan Horlacher, Bettina Jansen, und Wieland Schwanebeck, 11–25.
Stuttgart: Metzler.
Fend, Mechthild, und Marianne Koos. 2002. Tagung/Publikationsankündigung: „Zur Repräsenta-
tion von Männlichkeit in der Kunst und in den visuellen Medien“. Zeitschrift für Germanistik
12(2): 355–357.
Fenske, Uta. 2008. Mannsbilder. Eine geschlechterhistorische Betrachtung von Hollywoodfilmen
1946–1960. Bielefeld: transcript.
Garland-Thomson, Rosemarie. 2011. Integrating disability, transforming feminist theory. In Femi-
nist disability studies, Hrsg. Kim Q. Hall, 13–47. Bloomington: Indiana Univ. Press.
Gilman, Sander L. 1991. The Jew’s body. New York/London: Routledge.
Green, Ian. 1984. Malefunction. A contribution to the debate on masculinity in the cinema. Screen
25(4–5): 36–48.
Halberstam, Jack. 1998. Female masculinity. Durham/London: Duke Univ. Press.
Hansen, Miriam. 1982. S.M. Rodolfo. Frauen und Film (33):19–33.
Haskell, Molly. 1974 [1973]. From reverence to rape. Middlesex/Baltimore/Victoria/Markham:
Penguin Books.
Haschemi Yekani, Elahe. 2007. Transgender-Begehren im Blick. Männliche Weiblichkeiten als
Spektakel im Film. In Unbeschreiblich männlich. Heteronormativitätskritische Perspektiven,
Hrsg. Robin Bauer, Josch Hoenes, und Volker Woltersdorff, 264–278. Hamburg: Männer-
schwarm.
Heckner, Elke. 2007. Ost-westliche Verführungsszenarien. Inszenierung von Geschlecht unter dem
Zeichen der Kapitalismuskritik. In Unbeschreiblich männlich. Heteronormativitätskritische
Perspektiven, Hrsg. Robin Bauer, Josch Hoenes und Volker Woltersdorff, 279–290. Hamburg:
Männerschwarm.
Hißnauer, Christian, und Thomas Klein, Hrsg. 2002a. Männer – Machos – Memmen. Männlichkeit
im Film. Mainz: Bender.
122 S. Fitz-Klausner

Hißnauer, Christian, und Thomas Klein. 2002b. Visualität des Männlichen. Skizzen zu einer
filmsoziologischen Theorie von Männlichkeit. In Männer – Machos – Memmen. Männlichkeit
im Film, Hrsg. Christian Hißnauer und Thomas Klein, 17–48. Mainz: Bender.
Hoch, Paul. 2004 [1979]. White hero black beast. Racism, sexism and the mask of masculinity. In
Feminism and masculinities, Hrsg. Peter F. Murphy, 93–107. Oxford/New York: Oxford Univ.
Press.
Holmlund, Chris. 1993. Masculinity as multiple masquerade. The ‚mature‘ Stallone and the
Stallone clone. In Screening the male. Exploring masculinities in Hollywood cinema, Hrsg.
Steven Cohan und Ina Rae Hark, 213–229. London/New York: Routledge.
Horst, Sabine, und Constanze Kleis, Hrsg. 2002. Göttliche Kerle. Männer – Sex – Kino. Berlin:
Bertz.
Jeffords, Susan. 1994. Hard bodies. Hollywood masculinities in the Regan era. New Brunswick:
Rutgers Univ. Press.
Jutz, Gabriele. 1992. Schaulust und Kasernendrill. Überlegungen zum militärischen Narrativen am
Beispiel Fred Zinnemanns „From Here to Eternity“ (USA 1953). L'homme. Zeitschrift für
feministische Geschichtswissenschaft 3(1): 129–154. https://doi.org/10.25595/1222.
Kaltenecker, Siegfried. 1993. Spie(ge)lformen der Identität: Männlichkeit und Differenz im Kino.
Dissertation. Wien
Kaltenecker, Siegfried. 1997. Von bewegten Männern in bewegten Bildern. Heterosexuelle Männ-
lichkeiten im Kino. EuroPROFEM. http://www.europrofem.org/contri/2_02_de/de-imag/01de_
ima.htm. Zugegriffen am 28.03.2021.
Kaplan, E. Ann. 2000. Introduction. In Feminism and film, Hrsg. E. Ann Kaplan, 1–16.
Oxford/New York: Oxford Univ. Press.
Kappert, Ines. 2008. Der Mann in der Krise. Oder: Kapitalismuskritik in der Mainstreamkultur.
Bielefeld: transcript.
Kimmel, Michael, Hrsg. 1987a. Changing men. New directions in research on men and masculinity.
Newbury Park/Beverly Hills/London/New Delhi: Sage.
Kimmel, Michael. 1987b. Rethinking „masculinity“. New direction in research. In Changing men.
New directions in research on men and masculinity, Hrsg. Michael Kimmel, 9–24. Newbury
Park/Beverly Hills/London/New Delhi: Sage.
Kirkham, Pat, und Janet Thumim, Hrsg. 1993a. You Tarzan. Masculinity, movies and men.
New York: St. Martin’s Press.
Kirkham, Pat, und Janet Thumim. 1993b. You Tarzan. In You Tarzan. Masculinity, movies and men,
Hrsg. Pat Kirkham und Janet Thumin, 11–26. New York: St. Martin’s Press.
Kirkham, Pat, und Janet Thumim, Hrsg. 1995. Me Jane. Masculinity, movies and women. London:
Lawrence & Wishart.
Lehman, Peter. 2007 [1993]. Running scared. Masculinity and the representation of the male body.
Detroit/Michigan: Wayne State University Press.
Mädler, Kathrin. 2008. Broken Men. Sentimentale Melodramen der Männlichkeit. Krisen von
Gender und Genre im zeitgenössischen Hollywoodfilm. Marburg: Schüren.
Manderson, Leonore, und Susan Peake. 2005. Men in commotion. Disability and the performance
of masculinity. In Bodies in commotion. Disability and performance, Hrsg. Carrie Sandahl und
Philip Auslander, 230–242. Ann Arbor: Univ. of Michigan Press.
Mayne, Judith. 1993. Cinema and spectatorship. London/New York: Routledge.
McDonald, Terrance H. 2018. Mediated masculinities. The forms of masculinity genre film, 1990–
1999. Dissertation. St. Catharines, Ontario. https://dr.library.brocku.ca/handle/10464/13355.
Zugegriffen am 28.03.2021.
Mellen, Joan. 1977. Big bad wolves. Masculinity in the American film. New York: Pantheon Books.
Morag, Raya. 2009. Defeated masculinity. Post-traumatic cinema in the aftermath of war. Brussels:
Peter Lang.
Morsch, Thomas. 2002. Muskelspiele. Männlichkeitsbilder im Actionkino. In Männer – Machos –
Memmen. Männlichkeit im Film, Hrsg. Christian Hißnauer und Thomas Klein, 49–74. Mainz:
Bender.
Männlichkeiten in den Filmwissenschaften 123

Mulvey, Laura. 1975. Visual pleasure and narrative cinema. Screen 16(3): 6–18.
Neale, Steve. 1993 [1983]. Masculinity as spectacle. Reflections on men and mainstream cinema. In
Screening the male. Exploring masculinities in Hollywood cinema, Hrsg. Steven Cohan und Ina
Rae Hark, 9–20. London/New York: Routledge.
Norden, Martin F. 1995. Resexualization of the disabled war hero in „Thirty seconds over Tokyo“.
Journal of Popular Film & Television 23(2): 50–55.
O’Brien, Margaret. 1995. Changing places? Men and women in Oliver Stone’s Vietnam. In Me
Jane. masculinity, movies and women, Hrsg. Pat Kirkham und Janet Thumim, 263–272.
London: Lawrence & Wishart.
Penkwitt, Meike, Hrsg. 2004. Screening Gender. Geschlechterkonstruktion im Kinofilm. Freiburger
Frauenstudien 14.
Penley, Constance, und Sharon Willis. 1988. Editorial: Male trouble. Camera Obscura 6(2): 4–5.
https://doi.org/10.1215/02705346-6-2_17-4.
Pleck, Joseph H. 1982 [1981]. The myth of masculinity. Cambridge: The Massachusetts Institute of
Technology.
Powrie, Phil, Bruce Babington, und Ann Davies. 2004. Introduction: Turning the male inside out. In
The trouble with men. Masculinities in European and Hollywood Cinema, Hrsg. Phil Powrie,
Bruce Babington und Ann Davies, 1–15. London/New York: Wallflower Press.
Renz, Tilo. 2002. „You mean, if you was a guy . . .“. Kimberly Peirces Film „Boys Don’t Cry“,
gelesen mit Judith Butlers Konzeption des Körpers. Zeitschrift für Germanistik 12(2): 334–344.
Rieser, Klaus. 2002. Feminized men or non-hegemonic masculinities? In Masculinities – Masku-
linitäten. Mythos – Realität – Repräsentation – Rollendruck, Hrsg. Therese Steffen, 77–91.
Weimar/Stuttgart: J.B. Metzler.
Robinson, Sally. 2000. Marked Men: White masculinity in crisis. New York: Columbia Univ. Press.
Russo, Vito. 1987 [1981]. The celluloid closet. Homosexuality in the movies. New York: Harper-
Collins Publ.
Scheibelhofer, Paul, Stefan Sulzenbacher und Johannes Sengelin. 2019. Kritische Männlichkeiten-
forschung und Medien. In Handbuch Medien und Geschlecht, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte
Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/
978-3-658-20712-0_9-1.
Sedgwick, Eve Kosofsky. 1985. Between men. English literature and male homosocial desire.
New York: Columbia Univ. Press.
Seeßlen, Georg. 2001. Haut-Ich und Körper-Bild. Über die Repräsentanz eines rechten Männer-
körpers im Kino. In No Body is Perfect. Körperbilder im Kino, Hrsg. Margrit Frölich, Reinhard
Middel, und Karsten Visarius, 97–110. Marburg: Schüren.
Shakespeare, Tom. 1994. Cultural representation of disabled people. Dustbins for disavowal?
Distability & Society 9(3): 283–299. https://doi.org/10.1080/09687599466780341.
Showalter, Elaine. 1987. Critical cross-dressing. Male feminists and the woman of the year. In Men
in feminism, Hrsg. Alice Jardine und Paul Smith, 116–132. New York/London: Routledge.
Silverman, Kaja. 2000 [1981]. Male subjectivity and the celestial structure. It’s a wonderful life. In
Feminism and film, Hrsg. E. Ann Kaplan, 100–118. Oxford/New York: Oxford Univ. Press.
Silverman, Kaja. 1992. Male subjectivity at the margins. New York/London: Routledge.
Staples, Robert. 2004 [1982]. Black masculinity. The black male’s role in American society. In
Feminism and masculinities, Hrsg. Peter F. Murphy, 121–135. Oxford/New York: Oxford Univ.
Press.
Steffen, Therese, Hrsg. 2002. Masculinities – Maskulinitäten. Mythos – Realität – Repräsentation –
Rollendruck. Weimar/Stuttgart: J.B. Metzler.
Strunk, Marion, Hrsg. 2002. Gender game. Tübingen: Konkursbuch/Claudia Gehrke.
Tasker, Yvonne. 1993. Spectacular bodies. Gender, genre and the action cinema. London/New York:
Routledge.
Theweleit, Klaus. 2005 [1977/1978]. Männerphantasien 1+2. München/Zürich: Piper.
Tillner, Georg. 1993. Der Mann als Lichtspiel der Geschichte. Zu Erbauung des männlichen
Subjekts und der Ermittlung gesellschaftlicher Wirklichkeit im Spielfilm. Wien: Dipl.-Arbeit.
124 S. Fitz-Klausner

Weidinger, Martin. 2006. Nationale Mythen – männliche Helden. Politik und Geschlecht im
amerikanischen Western. Frankfurt a. M.: Campus.
Weingarten, Susanne 2004. Bodies of evidence. Geschlechtsrepräsentationen von Hollywood-Stars.
Marburg: Schüren.
Wiegman, Robyn. 1993. Feminism, ‚The boyz‘, and other matters regarding the male. In Screening
the male. Exploring masculinities in Hollywood cinema, Hrsg. Steven Cohan und Ina Rae Hark,
173–193. London/New York: Routledge.
Zahlmann, Stefan. 1998. Geregelte Identität. Männlichkeitskonzepte und Partnerschaft im Spielfilm
der DDR. In MannBilder. Ein Lese- und Quellenbuch zur historischen Männerforschung, Hrsg.
Wolfgang Schmale, 221–266. Berlin: Berlin/Spitz.
Affekttheorie – Gender, Medien und die
Politik von Affekten

Brigitte Hipfl

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
2 Affektstudien als Gesellschaftskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
3 Affekttheorien und kritische Geschlechterforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
4 Affekte, Medien und Öffentlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
5 Fazit und Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

Zusammenfassung
Der aktuelle affective turn steht für eine Intensivierung der Erforschung der
gesellschaftspolitischen Bedeutung von scheinbar persönlichen Gefühlen und
für Versuche, das komplexe Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit besser
zu verstehen. Die unterschiedlichen theoretischen Ausrichtungen und Schwer-
punktsetzungen, die die Affektstudien kennzeichnen, reichen in der sozial- und
kulturwissenschaftlichen Affektforschung von praxeologischen, ethnografischen,
phänomenologischen und deleuzianischen Zugängen bis zu ökonomischen Per-
spektiven. Affektforschung hat für die kritische Geschlechterforschung und die
Medienforschung großes Potenzial, indem sie die gesellschaftliche und politische
Relevanz emotionaler Dynamiken sowohl für die Aufrechterhaltung bestehender
Verhältnisse als auch für deren Transformationen deutlich machen kann.

Schlüsselwörter
Affekt · Affektive Öffentlichkeiten · Affektive Ökonomien · Assemblage · Bad
feelings · Intime Öffentlichkeiten · Structures of feeling · Politik von Affekten

B. Hipfl (*)
Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich
E-Mail: brigitte.hipfl@aau.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 125
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_11
126 B. Hipfl

1 Einleitung

Mit dem verstärkten wissenschaftlichen Interesse an emotionalen Prozessen, Gefüh-


len und Affekten in jüngster Zeit, das auch als affective turn (Clough und Halley
2007) bezeichnet wird, haben sich die Affektstudien als neues, boomendes Feld
etabliert. Unter diesem Label sammeln sich unterschiedliche Zugänge in den Sozial-,
Geistes- und Kulturwissenschaften, die die Überzeugung teilen, dass Affekte und
Emotionen grundlegende Bestandteile sozialer Prozesse sind (Stewart 2007; Gregg
und Seigworth 2010; Slaby und von Scheve 2019). Die Auseinandersetzung mit der
Bedeutung und Bewertung affektiver Dynamiken ist nicht neu, sondern war bereits
in der Antike ein zentrales Thema. Zwar hat es bereits dort schon geschlechtliche
Konnotationen gegeben (Newmark 2008), aber erst im bürgerlichen Zeitalter hat
sich eine Geschlechtsspezifik der Gefühle durchgesetzt, die Catherine Newmark
(2008) als „weibliches Leiden – männliche Leidenschaften“ und Rolf Löchel (2006)
als „Frauen sind ängstlich, Männer sollen mutig sein“ zusammenfasst. Neben Frauen
wurden auch andere soziale Gruppen, die als schutzbedürftig, vernunftfern, (cha-
rakterlich) schwach gelten, wie „Kinder, Jugendliche, psychisch Kranke, primitive
Menschen, Bauern, Immigranten, Schwarze, Slum-Bewohner“ (Lutz 1988, S. 62 zit.
in Osterkamp 1999, S. 1339) als ‚emotional‘ eingestuft. Damit sind allerdings auch
Zuschreibungen wie authentisch, natürlich, spontan und lebendig verknüpft, womit
eine Form lebendiger Kraft angesprochen wird, die Menschen mit diesen Attributen
zu einer potenziellen Bedrohung der bestehenden symbolischen Ordnung macht.
Diese Bedrohung kann nach Osterkamp (1999, S. 1343) am besten dadurch unter
Kontrolle gehalten werden, dass die herrschenden Interessen und Normen von den
Menschen möglichst verinnerlicht werden – was vielfach über die Regulierung von
Gefühlen funktioniert. Die Erforschung der Komplexität und Ambivalenz von
Gefühlen in den aktuellen Affektstudien verfolgt das Ziel, die gesellschaftliche
und politische Relevanz emotionaler Dynamiken deutlich zu machen, und zwar
sowohl für die Aufrechterhaltung bestehender Verhältnisse als auch für deren Trans-
formationen.

2 Affektstudien als Gesellschaftskritik

Affektstudien problematisieren die Vorstellung, Gefühle seien natürlich, privat und


individuell. Wie Landweer (2018, S. 8) hervorhebt, verstehen sich die gegenwärti-
gen Affektstudien, die am Schnittpunkt von Feminismus, postkolonialer Theorie,
Queertheorie und Cultural Studies entstanden sind, im Unterschied zur (älteren)
Emotionsforschung explizit politisch. Sie fungieren „. . . als eine Form der Gesell-
schaftskritik, die Affekte als gleichzeitig intime und unpersönliche Phänomene
begreift und dabei die Dimension des Gesellschaftlichen und Politischen und die
Dimension des Persönlichen und Individuellen als unauflösbar verflochten denkt“
(Baier et al. 2014, S. 20). Die Rede von einem affective turn hat jedoch auch
skeptische und kritische Reaktionen ausgelöst (Angerer 2007). Eingewendet wird,
dass das theoretische Interesse an Affekten und Gefühlen so neu doch wohl nicht sei
Affekttheorie – Gender, Medien und die Politik von Affekten 127

und die Proklamation eines affective turn nicht die Genealogie feministischer Ana-
lysen von Emotionen und Affekten vergessen lassen soll (Pedwell und Whitehead
2012, S. 118). So war mit dem Leitspruch der zweiten Frauenbewegung in den
1970er-Jahren „Das Private ist politisch“ die Vorstellung verknüpft, mit der Artiku-
lation von Erfahrungen und Gefühlen im Rahmen von Selbsterfahrungsgruppen
einen ersten Schritt in Richtung einer Veränderung der patriarchalen Verhältnisse
zu setzen (Baier et al. 2014, S. 20–21; Cvetkovich 1992, S. 1). Queer women of
color kritisieren, dass ihre Analysen der komplexen, von Kolonisierungsprozessen
bestimmten Affekte und Gefühle und wie diese als politische Mittel eingesetzt
werden können, in den aktuellen, als Weiß diagnostizierten Affektstudien kaum
aufgegriffen werden (Rowe und Royster 2017; Garcia-Rojas 2017).

2.1 The many lives of affect

Die aktuelle Wende zu Affekten wird als Reaktion auf die in den Kultur- und
Sozialwissenschaften gegen Ende des 20. Jahrhunderts vorherrschende Fokussie-
rung auf Sprache und Diskurse gesehen. Das Interesse richtet sich nun auf Kräfte, die
über Diskurse hinausgehen, womit insbesondere körperliche Dynamiken, Intensitä-
ten und Transformationen ins Blickfeld rücken (Seigworth und Gregg 2010, S. 1). Es
ist jedoch schwierig, sich in den „many lives of affect“ (Hemmings 2005, S. 147), in
denen der rezente affective turn zum Ausdruck kommt, zurechtzufinden. Denn auf
die Frage, was genau mit Affekt gemeint ist, gibt es weder eine einfache noch eine
einheitliche Antwort (Seigworth und Gregg 2010, S. 3). So gibt es nicht „die eine
Ursprungserzählung und nicht die eine Theorie der Affekte“ (Degener und Zim-
mermann 2012, S. 8), wohl aber Debatten und spezifische Texte, die besonders
einflussreich waren. Konkret sind dies zwei Texte – der von Eve Kosofsky Sedgwick
und Adam Frank herausgegebene Silvan Tomkins Reader (1995) und ein Aufsatz
von Brian Massumi (1995) –, die mit unterschiedlichen theoretischen Konzepten
Prozesse des Affizierens und Affiziert-Werdens beschreiben. In der Affekttheorie
des Psychologen Tomkins geht es um angeborene menschliche Affekte, die als
grundlegende Antriebskraft menschlichen Verhaltens gesehen werden. Beeinflusst
von Darwin und systemtheoretischem Denken legt Tomkins in Abgrenzung von der
Psychoanalyse eine Konzeption von Affekten vor, wonach unsere Relationen zu
anderen von Affekten bestimmt sind. Wir entwickeln komplexe Affekttheorien – das
sind unsere affektiven Erfahrungen, an die wir uns in unseren Reaktionen in neuen
Situationen erinnern –, mit denen wir uns mit der eigenen Position in der sozialen
Welt auseinandersetzen. Nach Tomkins bewegen sich die einzelnen in einem Kreis-
lauf aus Gefühlen und Reaktionen, was er z. B. mit der ansteckenden Wirkung des
Lächelns oder Gähnens veranschaulicht (Hemmings 2005, S. 552). Tomkins hebt die
unterschiedlichen Intensitäten von Affekten hervor und konzipiert sie als Affekt-
Paare, die er in positive (Interesse und Neugier, Freude und Aufregung), neutrale
(Überraschung und Bestürzung) und negative (Stress und Angst, Furcht und
Schreck, Zorn und Wut, Scham und Erniedrigung, Ekel) unterscheidet (Angerer
2014, S. 402). Scham kommt eine zentrale Rolle unter diesen Affekten zu und ist ein
128 B. Hipfl

Thema, das von queer-feministischen Theoretiker*innen stark bearbeitet wird.


Scham funktioniert nach Tomkins in sozialen Beziehungen und hat sowohl damit
zu tun, wie jemand wahrgenommen wird, aber auch, wie wir uns selbst wahrnehmen.
Scham tritt auf, wenn etwas, das wir anstreben, von denjenigen, deren Anerkennung
wir anstreben, gestört oder zurückgewiesen wird. Wie Sally Munt (2008) betont,
steckt in Scham ein transformatives Potenzial, indem eine Auseinandersetzung mit
gesellschaftlichen Normen und Erwartungen wie auch mit dem eigenen Selbstver-
ständnis ausgelöst wird.
Für Brian Massumi sind Affekte – ausgehend von der Affekttheorie des Phi-
losophen Spinoza und deren Weiterentwicklung durch Deleuze und Guattari –
ebenfalls etwas Relationales, aber verstanden als eine Kraft, die zwischen Personen,
Körpern, Dingen wirksam wird und deshalb nicht einzelnen Individuen zugeschrie-
ben werden kann. Massumi hält es für wichtig, zwischen Affekten und Emotionen zu
unterscheiden. Affekte sind Kräfte, die den emotionalen Erfahrungen vorausgehen
und dazu führen, dass wir überhaupt etwas fühlen. Affekte selbst gelten als weder
gut noch schlecht, die zentrale Frage bezieht sich immer darauf, was Affekte tun,
was sie produzieren. Affekte beziehen sich auf die Intensität körperlicher Erfahrun-
gen, Emotionen auf die Qualität, die diesen Erfahrungen unter Verwendung sozio-
kulturell verfügbarer Kategorien (wie z. B. Angst oder Wut) zugeschrieben wird
(Massumi 1995, S. 88–89). Affekte und Emotionen sind demnach untrennbar mit-
einander verknüpft, folgen aber, so Massumi, unterschiedlichen Logiken. Massumis
Differenzierung zwischen Affekten und Emotionen wird in den Affektstudien nicht
von allen geteilt, häufig werden die Begriffe synonym verwendet. Was inzwischen in
den Affektstudien breit akzeptiert wird, ist die auf Spinoza zurückgehende Annah-
me, dass Körper affizieren und affiziert werden.1 Allerdings wird die mit der Kon-
zeption des Affektiven als intensive, dynamische Relationen zwischen Körpern
einhergehende Infragestellung bislang dominierender Denkmuster, die von klar
voneinander getrennten Einheiten und Dualismen wie Objekt und Subjekt ausgehen,
nicht durchgehend mitgetragen. Ein relationales Verständnis problematisiert Vorstel-
lungen, dass bereits existierende Elemente mit anderen interagieren und sich even-
tuell verändern, und betont vielmehr, dass sich diese Elemente gerade in und durch
diese Relationen konstituieren.2
Zu den unterschiedlichen Theoretisierungen von Affekten kommt dazu, dass in
den Affektstudien grundverschiedene intellektuelle Haltungen aufeinandertreffen,
die sie zu einem höchst umkämpften Feld machen (Slaby 2018, S. 53). Mit intel-
lektueller Haltung meint Jan Slaby die jeweiligen Zugangsweisen zu Affekten sowie
die damit einhergehenden Fragestellungen und Zielsetzungen. Er differenziert zwi-

1
Auch damit wird unterschiedlich gearbeitet. Obwohl bei Spinoza, Deleuze und Guattari mit
Körpern auch nicht-menschliche Körper, also auch andere Lebewesen sowie materielle Dinge
gemeint sind, bleibt der Großteil der bislang vorliegenden Arbeiten auf menschliche Körper und
menschliche Erfahrungen fixiert.
2
Im neuen Materialismus und Posthumanismus finden sich vergleichbare Konzeptionen wie
Ko-Konstitution, wechselseitige Verflochtenheit, distribuierte Agency – siehe dazu Waltraud
Ernst (2021).
Affekttheorie – Gender, Medien und die Politik von Affekten 129

schen drei Haltungen und diskutiert die unterschiedlichen orientierenden Perspekti-


ven exemplarisch anhand von jeweils einer Wissenschaftler*in: Die Haltung des
Metaphysikers (Brian Massumi), die Haltung der Forscherin (Margaret Wheterell)
und die Haltung der Aktivistin (Sara Ahmed). Freilich gibt es auch innerhalb dieser
Ausrichtungen unterschiedliche Grundannahmen und Perspektiven, sowie Überlap-
pungen und darüber hinaus noch andere Entwicklungen. So verweist Slaby (2018,
S. 60) auf eine postdisziplinär-kulturanalytische Perspektive, wie sie etwa von
Melissa Gregg (2006, 2018) vertreten wird, und eine medien- und technikkritische
Orientierung, die sich z. B. bei Patricia Clough (2018), Mark Hansen (2015) oder
Marie-Luise Angerer (2017) findet. Angerer, die sich als eine der ersten im deutsch-
sprachigen Raum mit Affekten auseinandergesetzt hat (Angerer 2007), arbeitet
insbesondere zur Verbindung von Affektforschung und Medientechnologien, kon-
kret zu neuen Umwelt-Technologie-Mensch-Vernetzungen und zu affective compu-
ting (Angerer 2017; Angerer und Bösel 2016).

2.2 Kultur- und sozialwissenschaftliche Affekt-Forschung

In der kultur- und sozialwissenschaftlichen Forschung zu Affekten lassen sich vier


Orientierungen ausmachen. Ein Weg, der insbesondere in soziologischen und sozial-
psychologischen Zusammenhängen vorgeschlagen wird, ist die Integration von
Affektanalysen in Praxistheorien (Reckwitz 2016; Wetherell 2012). Aus praxeolo-
gischer Perspektive wird jede soziale Ordnung als Arrangement routinierter Prakti-
ken verstanden und darauf verwiesen, dass diese Praktiken immer auch affektiver
Natur sind (Reckwitz 2016, S. 104, 108). Affekte sind demnach nicht etwas Indivi-
duelles, sondern etwas Soziales, das sich auf körperliche Lust-Unlust-Erregungen
bezieht (Reckwitz 2016, S. 104). Margaret Wetherell sieht in dem Konzept der
affektiven Praktiken eine produktive Möglichkeit der Verknüpfung von Diskursen
und affektiv-emotionalen Dimensionen. Dieser Zugang ist u. a. in der deutsch-
sprachigen medien- und kommunikationswissenschaftlichen Forschung auf große
Resonanz gestoßen (Lünenborg et al. 2018).
Eine zweite Richtung fokussiert auf den gelebten Alltag und dessen affektive
Dynamiken. Dies ist eine Orientierung, die sich bereits in Raymond Williams’
Interesse an den komplexen whole ways of life und structures of feeling einer Kultur
findet (Williams 1958, 1977). Zwei Ausrichtungen dieser Orientierung in den
rezenten Affektstudien sollen hier vorgestellt werden. Das ist zum einen Kathleen
Stewarts (2007) ethnografischer Zugang zu ordinary affects, die die Atmosphäre des
Alltags ausmachen. Ihre aufmerksamen und feinfühligen Beobachtungen von All-
tagsszenen (z. B. in einem Cafe oder bei einem Ausflug), die sie in kurzen Vignetten
skizziert, vermitteln ein Gefühl für die Intensitäten und emergierenden Relationen,
die die affektive Beschaffenheit des Alltagslebens kennzeichnen, und machen zu-
dem deutlich, wie all dies mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen verknüpft ist.
Zum anderen sind dies die stärker von phänomenologischen und psychoanalytischen
Konzepten geprägten Arbeiten Sara Ahmeds. Mit Konzepten wie stickiness, affecti-
ve economies und orientation veranschaulicht sie das Zusammenspiel von Diskursen
130 B. Hipfl

und Emotionen und wie sich dies in leiblichen Erfahrungen niederschlägt (Ahmed
2004a, b; Slaby 2018). Ahmed erklärt an Beispielen wie Fremdenhass und Othering,
wie die wiederholte Verwendung abwertender Bezeichnungen für bestimmte soziale
Gruppen dazu führt, dass diese Bezeichnungen an deren Körpern haften bleiben
(stick) und sie in einem Assoziationsraum verankern, in dem zusätzliche, auf eine
Geschichte früherer Assoziationen zurückgehende, abwertende Bedeutungen auf-
gerufen werden (können). Ahmed spricht von affektiven Ökonomien, in denen sich
die affektiv-sinnlichen Wirkungen von Emotionen als soziale Positionierungen von
Körpern und als Grenzziehungen zwischen Körpern materialisieren. Mit zunehmen-
der Intensität der Zirkulation verstärkt sich die affektive Wirkung (Ahmed 2004b,
S. 119–121). Die Verknüpfungen, die im Zuge dieser Prozesse entstehen, können
sich verhärten und zu Orientierungen werden. Damit ist das gemeint, „was manche
Personen, aber längst nicht alle, in bestimmte Räume und Gefüge bruchlos einbindet
und darin in Vertrautheit gleichsam aufgehen lässt“ (Slaby 2018, S. 74). Ahmed
diskutiert dies u. a. am Beispiel von white privilege: Im Großteil der sozialen Räume
der westlichen Welt fühlen sich Weiße Körper wohl, während sie von Nicht-Weißen
Körpern als Blockaden, Schranken und als schmerzliche Beschränkung körperlich
erlebt werden (Ahmed 2007, S. 158).
Eine dritte Orientierung beruht auf der Deleuze’schen Ontologie, in der von
dynamischen Kräftefeldern und einer relationalen Konzeption von Körpern aus-
gegangen wird (Coleman und Ringrose 2013). Hier erweist sich insbesondere das
Konzept der Assemblage als hilfreiches theoretisches Werkzeug, das auf das Pro-
zesshafte und Dynamische, das sich Verändernde fokussiert (Buchanan 2020; Hipfl
2018). Mit dem Konzept der Assemblage werden Dinge oder Phänomene als Gefüge
verstanden, die durch Mannigfaltigkeit gekennzeichnet und immer nur vorüber-
gehend stabil sind. So lässt sich etwa ein Selfie auf Instagram als eine Assemblage
fassen, bei der zumindest die folgenden Komponenten miteinander verknüpft sind:
die Mediennutzer*innen; ein bestimmter Ort oder Anlass; das Handy und seine
Affordanzen; Apps, mit denen die Bilder bearbeitet werden können; der Online-
dienst Instagram, auf dem Fotos von den User*innen geteilt, gelikt, getaggt werden
und diese Daten gleichzeitig mithilfe von Algorithmen analysiert und zu einem
Beispiel der gegenwärtigen Form des (affektiven) Kapitalismus werden; sowie die
Aufmerksamkeitsökonomie als Kraft, die das Begehren der Mediennutzer*innen
vereinnahmen kann (Hess 2015; Karppi et al. 2016; Hipfl und Pilipets 2020). Im
Konzept der Assemblage sind die Relationen zwischen den verschiedenen Kom-
ponenten entscheidend. Sie sind die spezifischen Möglichkeitsbedingungen, die die
Elemente einer Assemblage zusammenhalten (Nail 2017, S. 25). Im Beispiel der
Instagram-Selfies bildet das Bedürfnis der Nutzer*innen nach Konnektivität eine
wesentliche Grundlage für die Zirkulation von Affekten, aus der Kapital geschlagen
wird. Dabei werden Kräfte (wie dominante gesellschaftliche Diskurse und Normen)
wirksam, die auf die Erhaltung bzw. auf den Weiterbestand bestehender Relationen
ausgerichtet sind. Dazu kommen andere Kräfte, wie z. B. (unerwartete) Ereignis-
se, wodurch sich die Relationen verändern können. Diese Dynamik historisch-
spezifischer Machtverhältnisse wird in der Terminologie von Deleuze und Guattari
als ständig stattfindende Prozesse der De- und Re-Territorialisierung bezeichnet.
Affekttheorie – Gender, Medien und die Politik von Affekten 131

Assemblagen leiten uns an, bei spezifischen Situationen und Phänomenen immer
nach den komplexen Relationen zu fragen, welche diese Phänomene zu je spezi-
fischen Zeitpunkten hervorbringen, und dies als einen fortlaufenden Prozess zu
verstehen. Am Beispiel von Instagram-Selfies wird offensichtlich, dass sich diese
Assemblagen durch die diversen Praktiken (wie das Hochladen neuer Bilder, liking,
tagging, flagging etc.) ständig ändern. Wie gesellschaftliche Kräfte wirksam sind,
zeigt sich etwa an der vorherrschenden Ästhetik der digitalen Selbstporträts oder
auch bei den Ergebnissen von Suchanfragen, die dominante gegenderte und ras-
sisierte Vorstellungen reflektieren (siehe etwa Gerrard und Thornham 2020). Gleich-
zeitig verändern sich Assemblagen durch das Dazukommen neuer Elemente, wobei
allerdings im Voraus nicht abschätzbar ist, welche Konsequenzen dies hat. Die
analytische Arbeit mit Assemblagen besteht darin, herauszufinden, wie Assembla-
gen funktionieren und was sie produzieren, um auf diese Weise Einsichten in die
Politik von Affekten zu gewinnen.
Ein vierter Zugang legt mit Begriffen wie affektives Kapital, affektiver Kapita-
lismus und affektive Arbeit den Fokus auf die ökonomischen Dimensionen von
Affekten bzw. auf die Affektivität von Arbeit (Hardt und Negri 2004; Penz und
Sauer 2016; Karppi et al. 2016). Beispiele dafür finden sich in allen Bereichen, in
denen unser Begehren angesprochen und unser Vermögen, zu affizieren und affiziert
zu werden, als Ware bzw. als Serviceleistung oder Managementstrategie vermarktet
wird. Aus postoperaistischer Perspektive wird affektive Arbeit von Hardt und Negri
als Resultat des Wandels westlicher Industriegesellschaften zu einer auf den Um-
gang mit Informationen und auf Dienstleistungen orientierten Ökonomie diskutiert,
in der mit der Herstellung immaterieller Produkte wie Wissen, Kommunikation,
Beziehungen und Gefühle die größte Wertschöpfung im gegenwärtigen Kapitalis-
mus erzielt wird (Hardt und Negri 2004, S. 126–130; Hipfl 2014; Penz und Sauer
2016, S. 63–66). Gleichzeitig verweisen Hardt und Negri jedoch auch auf das
ermächtigende Potenzial, das in affektiver Arbeit – die als Produktion des Lebens,
als lebendige Arbeit gesehen wird – steckt. Die feministische Forschungstradition
der Auseinandersetzung mit affektiver Arbeit in Form der Problematisierung ge-
schlechtsspezifischer Arbeitsteilung und der damit einhergehenden Abwertung von
Reproduktionsarbeit, die Kapitalismus in jeder Phase unterstützt, sowie Theoretisie-
rungen von Sorgearbeit kommen bei Hardt und Negri aber nur am Rande vor (Penz
und Sauer 2016, S. 69). Ein eindrucksvolles Beispiel einer feministischen Analyse
affektiver Arbeit ist Encarnacion Gutiérrez Rodríguez’ Studie zu migrantischen
Hausarbeiterinnen (Gutiérrez Rodríguez 2010, 2014). Diese Studie macht deutlich,
dass ein Ernstnehmen von Affekten heißt, alles, was uns als soziale Wesen ausmacht
– und dazu gehören unsere Beziehungen und all die Dynamiken und Intensitäten, die
aufgrund von geschlechtlichen und globalen Ungleichheiten, historischen Zuschrei-
bungen und Abgrenzungen, aber auch durch neue Relationen aktiviert werden –,
ernst zu nehmen. Nicht übersehen werden sollen bei den Dynamiken affektiver
Arbeit aber auch freud- und lustvolle sowie mögliche widerständige Aspekte (Penz
und Sauer 2016, S. 71). Das Zusammenspiel all dieser Faktoren lässt sich bei
sozialen Medien besonders gut veranschaulichen (Pybus 2015).
132 B. Hipfl

3 Affekttheorien und kritische Geschlechterforschung

Die kritische Hinterfragung des common sense, Gefühle als etwas Privates, Indivi-
duelles und Natürliches zu verstehen, eint kritische Geschlechterforschung und
Affektstudien. Beide Zugänge problematisieren die binäre Konstruktion von Ver-
stand/Gefühl, Geist/Körper, privat/öffentlich etc. sowie die damit einhergehende,
hierarchisch strukturierte, binäre Konstruktion von Geschlecht (Landweer 2018,
S. 2). Die Affektstudien verstärken mit ihrem Fokus „beyond the naturalized figure
of the feeling woman“ (Greyser 2012, S. 102) und dem differenzierteren Verständnis
der komplexen Relationen von Privatem und Öffentlichem die feministische Werk-
zeugkiste und weisen über das kritische Aufzeigen sozialer Konstruktionen hinaus.
Affektstudien eröffnen einen Weg, um die für feministische Theorie immer schon
zentrale Frage der Verschränkung von Ontologie und Epistemologie (Hemmings
2012, S. 148–149) besser zu verstehen.
Die Beschäftigung mit dem Affektiven in feministischen und queeren Kontexten
ist jedoch für die Forscher*innen voller widersprüchlicher Gefühle, oft anstrengend
und schmerzhaft (Cvetkovichs 1992, S. 1; Probyn 2005; Berlant 2008, S. vii, S. 30;).
So schwingt immer auch die historische sozio-kulturelle Verknüpfung von Weiblich-
keit mit dem Affektiven mit bzw. werden Gefühle wie Scham und Angst re-aktiviert.
Doch wie Ahmed unter Bezug auf Audre Lorde (Ahmed 2010, S. 215–216) ausführt,
geht es nicht darum, Schmerz zu vermeiden oder zu überwinden, sondern heraus-
zufinden, was den Schmerz auslöst, denn „feelings might be how structures get
under our skin“ (Ahmed 2010, S. 216). Die politische Relevanz von Gefühlen wird
bei allen Prozessen, die eine Naturalisierung sozialer Unterschiede anhand von
Geschlecht, Sexualität und/oder Rasse zum Ziel haben, besonders deutlich (Land-
weer 2018; Blickstein 2019).
Eine Richtung in der Auseinandersetzung mit der Politik von Affekten zeigt die
Sackgassen auf, die häufig mit positiv konnotierten, auf die Zukunft ausgerichteten
kollektiven Gefühlen einhergehen. Jack Halberstam (2010 ) problematisiert z. B. an
Queer-Jugendliche adressierte Kampagnen wie „It gets better!“, mit denen nahege-
legt wird, sich an die Hoffnung auf eine Veränderung zum Positiven zu klammern.
Ähnlich argumentieren Lauren Berlant (2011), die von cruel optimism spricht, und
Sara Ahmed (2010), die das Versprechen von Glück problematisiert. Berlants Kon-
zept cruel optimism beschreibt eine Dynamik des Feststeckens (stuckness), die die
Gegenwart kennzeichnet. Konkret ist damit die emotionale Bindung an spezifische
Vorstellungen von einem guten Leben gemeint, die aber aufgrund zunehmender
Prekarität gesellschaftlich nicht mehr gestützt werden. Die Hoffnung, dass es trotz-
dem möglich ist, bleibt aufrecht und behindert gerade dadurch die Entwicklung der
Personen. Ahmed (2010, S. 62) diskutiert die moralische Ökonomie des Glück-
lichseins. Happiness ist für sie eine affektive Form der Orientierung und meint das
durch Erziehung und Medien vermittelte Versprechen von Glück, das auf der Basis
von gendered happiness scripts mit gesellschaftlich als erstrebenswert geltenden
Lebensformen verknüpft ist (Ahmed 2010, S. 54, 59). Weibliches/feministisches/
queeres Begehren, das sich auf anderes richtet, gilt als troublemaking, als feminist
killjoy, weil damit anderen (z. B. den Eltern) das Glück und Wohlbefinden verwehrt
Affekttheorie – Gender, Medien und die Politik von Affekten 133

würde, das auf sozial positiv sanktionierten Lebensweisen ihrer Kinder beruht. Wie
Ahmed (2010, S. 62) betont, eröffnet aber gerade das troublemaking Wege aus den
gesellschaftlich dominanten Glücksversprechen und deren einschränkendem Hori-
zont.
Eine zweite Richtung fokussiert auf als unproduktiv konnotierte Gefühle, auf bad
feelings wie Scham, Angst, Depression, die für queer-feministische Theoretiker*in-
nen und Aktivist*innen zum Ausgangspunkt politischer Intervention werden (siehe
auch von Bose et al. 2015, S. 10). Halberstam (2011) stellt gegen den gesellschaft-
lich vorherrschenden Druck, positiv zu denken und ständig an sich zu arbeiten, um
erfolgreich zu sein, das Potenzial, das in Misserfolgen liegt. Für Halberstam (2011,
S. 3) machen es die mit Misserfolg einhergehenden negativen Affekte wie Enttäu-
schung, Desillusionierung und Verzweiflung möglich, „to poke holes in the toxic
positivity of contemporary life“, die strukturelle Ungleichheiten verdeckt. Unter der
Bezeichnung Feel Tank hat sich in Chicago (später auch in New York, Austin,Texas
und Toronto) eine Gruppe von Aktivist*innen, Künstler*innen und, Theoretiker*in-
nen zusammengeschlossen, um ausgehend von der gegenwärtigen Gefühlsstruktur,
die sie als politische Depression charakterisieren, nach dem Potenzial für Widerstand
zu fragen, das in bad feelings’ wie Hoffnungslosigkeit, Apathie, Angst, Verzweif-
lung, Ambivalenz, Gelähmtheit liegt (Feel Tank Manifesto 2012). Einflussreiche
Affekttheoretikerinnen wie Lauren Berlant und Ann Cvetkovich sind Mitinitia-
tor*innen dieser Bewegung, die ungewöhnliche Protestformen nutzt – wie etwa
jährliche Parades of the Politically Depressed, bei denen die Teilnehmenden
(in Pyjamas und Hausschuhen) Transparente mit der Aufschrift Depressed? It might
be political tragen. In ironischer Form wird damit Depression pathologisierenden
Zuschreibungen entzogen, ein scheinbar privates Problem öffentlich gemacht und
aus sozialer Isolierung durch die kollektive Aktion eine neue, intimisierte Form von
Gegenöffentlichkeit (Tedjasukmana 2015, S. 22).
Eine dritte Richtung setzt sich damit auseinander, wie Politik mit Gefühlen
gemacht wird – und zwar sowohl mit dem Ziel der Aufrechterhaltung bestehender
sozialer Ordnungen und Machtverhältnisse als auch für Intentionen, diese zu ver-
ändern (Slaby und Bens 2019; Bargetz 2018). Ausgangspunkt ist, dass affektive
Bindungen und spezifische Sentiments eine wesentliche Grundlage für (politische)
Gemeinschaften (welcher Größenordnung auch immer) sind und dass die je spezi-
fischen Machtdynamiken einer Differenzierung in minder- und höherwertige Men-
schen insbesondere auf affektiver Ebene wirksam sind. In diesem Sinn kann Ras-
sisierung als paradigmatischer affektiver Prozess verstanden werden, wie Tamar
Blickstein (2019) unter Bezug auf Frantz Fanon argumentiert. Ann Stoler (2004)
macht am Beispiel der niederländischen Kolonialpolitik im 19. Jahrhundert in West-
indien deutlich, dass das Management affektiver Stimmungen in den Kolonien für
die Aufrechterhaltung der imperialen Machtrelationen besonders wichtig war. Auch
die gegenwärtigen Nationalstaaten „govern through affect“ (Fortier 2010), indem
bestimmte kollektive Gefühle mobilisiert werden, die von den Bürger*innen geteilt
werden sollen und damit zu Differenzierungen zwischen denen, die als gleich, und
solchen, die als anders eingestuft werden, führen (Ayata 2019). Dies schlägt sich
etwa in den USA in der Normalisierung der Vorstellung nieder, junge Schwarze
134 B. Hipfl

Männer seien gefährlich und gewalttätig (Ayata 2019, S. 336). Eine Mobilisierung
von Sentiments, die sich auf Geschlecht, Sexualität und Rasse beziehen und in einer
Gefühlsstruktur mündet, die Gabriele Dietze als Ethnosexismus (Dietze 2019) be-
zeichnet, kennzeichnet aktuelle Ausprägungen von Rechtspopulismus in Westeuro-
pa (Dietze und Roth 2020). Dietze verweist auf zwei Gelenkstellen, an denen
Rassismus und Sexismus miteinander verknüpft werden: „die Behauptung, die
eigenen Frauen seien durch fremde Männer gefährdet . . . (und) . . . die Sorge, als
hegemoniale ‚Rasse‘ und Geschlecht auszusterben“ (Dietze 2019, S. 9). Die Über-
tragung solch gefühlsaufgeladener Botschaften, die dazu führt, dass „die mitgeteil-
ten Inhalte . . . affektiv gefühlte Evidenz“ bekommen, nennt Dietze Affektbrücke.

4 Affekte, Medien und Öffentlichkeiten

In der Medien- und Kommunikationswissenschaft ist gerade in den Bereichen, die


sich auf die Vermittlungsprozesse zwischen Individuellem und Kollektivem bezie-
hen – wie Populärkultur, Öffentlichkeiten, die Nutzung sozialer Medien – ein
verstärktes Interesse an Affekten zu beobachten. Allerdings ist der Anteil an empi-
rischen Arbeiten noch immer gering und gilt als Desiderat (Lünenborg und Maier
2019, S. 141). Die methodischen Zugänge umfassen (Auto-)Ethnografien, Inter-
views, Beobachtungen, Inhalts- und Filmanalysen und BigData-Analysen (Papacha-
rissi 2016; Highmore 2017; Hipfl 2020; Lünenborg und Maier 2019; Sundén 2015;
Pilipets und Paasonen 2020; Lünenborg et al. 2021).
Als einflussreicher Vorläufer der Affektstudien gilt Raymond Williams, dessen
Konzept structures of feeling auf kollektive Sensibilitäten sozialer Gruppen unter
historisch-spezifischen Bedingungen verweist (Williams 1958, 1977). Mit structures
of feeling ist eine Konfiguration von Elementen gemeint, ein von Impulsen und
Beschränkungen bestimmtes Fühlen-und-Denken, das zum Ausdruck bringt, wie
sich das Leben unter historisch-spezifischen Bedingungen anfühlt. In Kunst und
Literatur lassen sich nach Williams diese kollektiven Stimmungen (und vor allem
auch das Aufkommen neuer Formen des Fühlens- und-Denkens) besonders gut
erkennen, wie er für unterschiedliche Generationen und Klassen (jedoch nicht für
Genderfragen) herausgearbeitet hat. Historisch-spezifische kulturelle Sensibilitäten
sind immer durch spezifische Formen des Selbstverständnisses, von Handlungs-
möglichkeiten, sozialen Differenzierungen, Ambivalenzen etc. charakterisiert. Für
den Medienproduktionsbereich wurden diese Fragen z. B. im Rahmen der Tagung
Doing Women’s Film and Television Histories III bearbeitet. Mit der inhaltlichen
Schwerpunktsetzung auf structures of feeling wurde untersucht, wie sich die Arbeits-
bedingungen und -kulturen von Frauen in der Film- und Fernsehindustrie im 20.
Jahrhundert angefühlt und welche Möglichkeiten sie eröffnet haben (Ball et al.
2020).
Das Konzept structures of feeling wird in der kommunikationswissenschaftlichen
und queer-feministischen Forschung weiterentwickelt, wobei insbesondere Fragen
zur Politik von Gefühlen bearbeitet werden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf durch
Medien hergestellte affektive Öffentlichkeiten (Papacharissi 2016; Lünenborg 2020;
Affekttheorie – Gender, Medien und die Politik von Affekten 135

Adlung et al. 2021). Lauren Berlant, eine der profiliertesten Theoretikerinnen in


diesem Feld, entwickelt in ihrer Analyse US-amerikanischer Populärkultur eine
Kritik der Politik von Gefühlen (Berlant 1997, 2008, 2011). Diese Medienangebote
kreieren intime Öffentlichkeiten, in denen sich gesellschaftliche Strukturen als intime
Erfahrungen manifestieren, die die Mediennutzer*innen miteinander teilen. Konkret
sind dies emotional besetzte Erwartungen im Hinblick darauf, was als gutes Leben
gilt, wie bestimmte Handlungen interpretiert werden, worauf gehofft werden kann,
welche Kompromisse eingegangen werden können etc. Die Mediennutzer*innen
bringen bereits ein spezifisches, auf kollektiven Prozessen beruhendes Weltverständ-
nis und emotionales Wissen mit und erkennen sich in den medialen Angeboten
wieder. Auch wenn sich die Details der medialen Geschichten nicht mit den realen
sozialen Lebensbedingungen der Mediennutzer*innen decken, geben sie ihnen das
Gefühl „you are not alone (in your struggles, desires, pleasures)“ (Berlant 2008,
S. ix). Im Buch The Female Complaint (2008) veranschaulicht Berlant an Beispielen
der massenmedial vermarkteten women’s culture, wie seit dem 19. Jahrhundert
weibliches Jammern ( female complaint)3 als Ausdruck einer vergeschlechtlichten
Gefühlsstruktur fungiert – nämlich, dass Frauen auf Gefühle, auf romantische Liebe
ausgerichtet sind, immer wieder enttäuscht werden, aber die Hoffnung nicht auf-
geben. Damit sind Frauen über soziale Differenzen hinweg bereits vertraut, mit den
intimate publics wird dies verstärkt und damit auch eine Orientierung an konven-
tionellen Formen von Weiblichkeit. Berlant spricht von einem sentimentalen Ver-
trag, der Unterdrückungsverhältnisse aufrechterhält, indem die Fantasie, in der
Zukunft dem angestrebten Gefühl nahe zu kommen, zum Preis der Unterdrückung
von machtvoller analytischer und politischer Wut bestehen bleibt (Berlant 2014,
S. 110). Gleichzeitig betont sie, dass die Orientierung an Konventionalität auch als
Auseinandersetzung mit der Frage der Zugehörigkeit zu dieser von Liebe bestimm-
ten Lebenswelt zu sehen ist.
Affektive und intime Öffentlichkeiten bilden sich nun immer mehr in sozialen
Medien (Dobson et al. 2018). Ihr politisches Potenzial wird unterschiedlich einge-
schätzt, wie am Beispiel der Positionen von Mendes, Ringrose und Keller (2019)
und Sundén und Paasonen (2019, 2020) illustriert werden kann. Mendes und
Kolleginnen (2019) betonen auf der Basis ihrer empirischen Fallstudien zur Frage,
wie Feminist*innen digitale Plattformen nutzen, das affektive Vermögen der von den
interviewten Feminist*innen initiierten mediatisierten Intimität, ein Gefühl von
Gemeinschaft und gegenseitiger Unterstützung herzustellen, das auch zu Verände-
rungen im realen Leben führt (Mendes et al. 2019, S. 103, 109). Die persönlichen
Geschichten funktionieren als affektive Währung (affective currency), die Mädchen
und Frauen ermuntert, sich in affektiver Solidarität auf Basis der miteinander
geteilten Erfahrungen zu verbinden. Damit lassen sich dystopische Theorien des
kommunikativen Kapitalismus (wie etwa von Jodi Dean), wonach soziale Medien

3
Das ambivalente Bedeutungsfeld, das mit dem englischen ‚complaint‘ angesprochen ist und von
Klagen bis zu Kritik reicht, wird von Brigitte Bargetz (2018) mit dem im Deutschen ebenfalls
ambivalenten Jammern gefasst.
136 B. Hipfl

nur individualisierte Fantasien von Veränderung stützen, ohne dass es zu tatsäch-


lichen Transformationen sozialer Relationen kommt, in Frage stellen (Mendes et al.
2019, S. 103, 123). Im Unterschied dazu problematisieren Sundén und Paasonen am
Beispiel der #MeToo-Bewegung die „politics of sentiment . . . formed around feeling
good together, in the midst of everything that is bad“ (Sundén und Paasonen 2019,
S. 4). Die feministische Taktik von #MeToo ist, in die Kreisläufe von Beschämen
und Scham einzugreifen und Scham von den Opfern auf die Täter und die Mit-
wissenden zu verschieben. Empörung und Wut sind die Grundlage der affektiven
Homophily, der love of feeling the same, (Sundén und Paasonen 2019, S. 4). Damit
werde, so die Autorinnen, die stickiness von Scham jedoch nicht aufgehoben,
weshalb sie für den queer-feministischen Einsatz von Lachen, Ironie und vor allem
Absurdität plädieren. Dort ist Raum für divergierende Gefühle sowie mit der affek-
tiven Entladung durch das Lachen auch eine potenzielle Erweiterung von Hand-
lungsmöglichkeiten gegeben. Sundén und Paasonen (2020) schätzen das Verhältnis
zwischen der affektiven Energie, die in sozialen Medien mobilisiert wird, und
tatsächlichen gesellschaftlichen Veränderungen skeptisch ein. Online-Initiativen
sind auf die Geschwindigkeiten der Aufmerksamkeitsökonomie abgestimmt und
dadurch gekennzeichnet, dass Intensitäten in den sozialen Medien rasch wieder
abflauen. Dagegen erfordert die Nachhaltigkeit von Kritik und neuen Entwicklungen
nach Kaarina Nikunen (2019) Praktiken des Zuhörens und der Kooperation.

5 Fazit und Herausforderungen

Die Vielfältigkeit der theoretischen Konzeptionen und methodischen Zugänge, die


Affektstudien charakterisieren, soll mit Hynnä et al. (2019) nicht als Problem,
sondern als Inspiration für das gemeinsame Vorhaben, affektiven Prozessen auf die
Spur zu kommen, gesehen werden. Übereinstimmend wird von Prozessen des
Affizierens und Affiziert-Werdens ausgegangen und damit von der Tatsache, dass
Affekte als Bindemittel fungieren und verschiedene Komponenten verknüpfen. Dies
ist nicht per se gut oder schlecht, wohl aber ist einer kritischen Analyse zu unter-
ziehen, was diese Verknüpfungen produzieren. Wessen Handlungsfähigkeit wird
erweitert bzw. verringert? Welche Sentiments werden gestützt bzw. in Frage gestellt,
und welche (neuen) kollektiven Stimmungen formieren sich? In welcher Weise
schlagen sich diese Dynamiken in den sozialen Relationen nieder – welche Gefühle
des Dazugehörens entwickeln sich, und wie hängen diese mit sozialen Differenzie-
rungen, mit Exklusion, Marginalisierung, Othering bzw. Inklusion, Solidarisierung
zusammen? Affektstudien sensibilisieren uns, eigene Empfindungen – auch in
unseren Aktivitäten als Forscher*innen – ernst zu nehmen, da darin gesellschaftliche
Strukturen als Möglichkeitsbedingungen zum Ausdruck kommen, und bei Gefühlen
von Zugehörigkeit zu hinterfragen, woher diese rühren und was sie ‚tun‘. Und wir
sind gefordert, nachzudenken, wie wir in affektive Dynamiken, die destruktiv,
unterdrückend, ausschließend sind, eingreifen und diese durchbrechen können.
Das ist kompliziert, weil solche Interventionen zwar auch auf affektiver Ebene
Affekttheorie – Gender, Medien und die Politik von Affekten 137

erfolgen sollen, aber Wirkungen bei Affekten nie exakt vorhersehbar sind, da sich
ständig neue Verknüpfungen ergeben können.

Literatur
Adlung, Shari, Margreth Lünenborg, und Christoph Raetzsch. 2021. Pitching gender in a racist
tune: The affecrtive publics of the #120decibel campaign. Media and Communication 9(2):
16–26. https://doi.org/10.17645/mac.v9i2.3749.
Ahmed, Sara. 2004a. The cultural politics of emotion. Edinburgh: Edinburgh University Press.
Ahmed, Sara. 2004b. Affective economies. Social Text 22(2): 117–139.
Ahmed, Sara. 2007. A phenomenology of whiteness. Feminist Theory 8(2): 149–168.
Ahmed, Sara. 2010. The promise of happiness. Durham: Duke University Press.
Angerer, Marie-Luise. 2007. Vom Begehren nach dem Affekt. Zürich/Berlin: diaphanes.
Angerer, Marie-Luise. 2014. Affekt: Scham und Paranoia. In Affekt und Geschlecht. Eine einfüh-
rende Anthologie, Hrsg. Angelika Baier, Christa Binswanger, Jana Häberlein, Yv Eveline Nay,
und Andrea Zimmermann, 401–421. Wien: Zaglossus.
Angerer, Marie-Luise. 2017. Affektökologie: Intensive Milieus und zufällige Begegnungen. Lüne-
burg: meson press.
Angerer, Marie-Luise, und Bernd Bösel. 2016. Total affect control. Digital Culture & Society 2(1):
41–52.
Ayata, Bilgin. 2019. Affective citizenship. In Affective societies. Key concepts, Hrsg. Jan Slaby und
Christian von Scheve, 330–339. Milton Park/New York: Routledge.
Baier, Angelika, Christa Binswanger, Jana Häberlein, Yv Eveline Nay, und Andrea Zimmermann.
2014. Affekt und Geschlecht. Eine Einleitung in Affekt-Theorien aus einer feministischen,
queeren und post/kolonialen Perspektive. In Affekt und Geschlecht. Eine einführende Antholo-
gie, Hrsg. Angelika Baier, Christa Binswanger, Jana Häberlein, Yv Eveline Nay, und Andrea
Zimmermann, 11–54. Wien: Zaglossus.
Ball, Vicky, Pat Kirkham, und Laraine Porter. 2020. Structures of feeling: Contemporay research in
women’s film and broadcasting history. Women’s History Review 29(5): 759–765.
Bargetz, Brigitte. 2018. Der sentimentale Vertrag. Eine politische Theorie der Affekte und das
unvollendete liberale Projekt. Leviathan 46(1): 37–58.
Berlant, Lauren. 1997. The queen of America goes to Washington City. Essays on sex and citizen-
ship. Durham/London: Duke University Press.
Berlant, Lauren. 2008. The female complaint. The unfinished business of sentimentality in American
culture. Durham/London: Duke University Press.
Berlant, Lauren. 2011. Cruel optimism. Durham/London: Duke University Press.
Berlant, Lauren. 2014. Das Subjekt wahrer Gefühle: Schmerz, Privatheit und Politik. In Affekt und
Geschlecht. Eine einführende Anthologie, Hrsg. Angelika Baier, Christa Binswanger, Jana
Häberlein, Yv Eveline Nay, und Andrea Zimmermann, 87–116. Wien: Zaglossus.
Blickstein, Tamar. 2019. Affects of racialization. In Affective societies. Key concepts, Hrsg. Jan
Slaby und Christian von Scheve, 152–165. Milton Park/New York: Routledge.
Bose, Käthe von, Ulrike Klöppel, Katrin Köppert, Karin Michalski, und Pat Treusch. 2015.
Einleitung. In I is for impasse. Affektive Queerverbindungen in Theorie_Aktivismus_Kunst,
9–15. Berlin: b-books.
Buchanan, Ian. 2020. Assemblage theory and method. London/New York: Bloomsbury.
Clough, Patricia T. 2018. The user unconscious. On affect, media, and measure. Minneapolis:
University of Minnesota Press.
Clough, Patricia T., und Jean Halley, Hrsg. 2007. The affective turn: Theorizing the social. Durham:
Duke University Press.
Coleman, Rebecca, und Jessica Ringrose. 2013. Deleuze and Research Methodologies. Edinburgh:
Edinburgh University Press.
138 B. Hipfl

Cvetkovich, Ann. 1992. Mixed feelings: Feminism, mass culture, and Victorian sensationalism.
New Brunswick: Rutgers University Press.
Degener, Ursula, und Andrea Zimmermann. 2012. Politik der Affekte. Freiburger Zeitschrift für
Geschlechterstudien 20(2): 5–23.
Dietze, Gabriele. 2019. Sexueller Exzeptionalismus. Überlegenheitsnarrative in Migrationsabwehr
und Rechtspopulismus. Bielefeld: transcript.
Dietze, Gabriele, und Julia Roth. 2020. Right-wing populism and gender. European perspectives
and beyond. Bielefeld: transcript.
Dobson, Amy Shields, Brady Robards, und Nicholas Carah. 2018. Introduction. In Digital intimate
publics and social media, Hrsg. Amy Shields Dobson, Brady Robards, und Nicholas Carah,
xix–xxviii. Basingstoke: Palgrave Macmillan.
Ernst, Waltraud. 2021. Phänomene des Werdens. Intersektionalität, Queer, Postcolonial, Diversity
und Disability Studies als Orientierungen für die Medienforschung. In Handbuch Medien und
Geschlecht, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković.
Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Feel Tank Manifesto. 2012. https://feeltankchicago.net/. Zugegriffen am 05.08.2020.
Fortier, Anne-Marie. 2010. Proximity by design? Affective citizenship and the management of
unease. Citizenship Studies 14(1): 17–30.
Garcia-Rojas, Claudia. 2017. (Un)Disciplined futures: Women of color feminism as a disruptive to
white affect studies. Journal of Lesbian Studies 21(3): 254–271.
Gerrard, Ysabel, und Helen Thornham. 2020. Content moderation: Social media’s sexist assem-
blages. New Media & Society 22(7): 1266–1286.
Gregg, Melissa. 2006. Cultural studies’ affective voices. Basingstoke: Palgrave Macmillan.
Gregg, Melissa. 2018. Counterproductive. Time management in the knowledge economy. Durham/
London: Duke Unversity Press.
Gregg, Melissa, und Gregory J. Seigworth, Hrsg. 2010. The affect theory reader. Durham/London:
Duke University Press.
Greyser, Naomi. 2012. Beyond the „feeling woman“: Feminist implications of affect studies.
Feminist Studies 38(1): 84–112.
Gutiérrez Rodríguez, Encarnacion. 2010. Migration, domestic work and affect. New York: Rout-
ledge.
Gutiérrez Rodríguez, Encarnacion. 2014. Haushaltsarbeit und affektive Arbeit: über Feminisierung
und Kolonialität von Arbeit. PROKLA 44(1): 71–91.
Halberstam, Jack. 2010. It get’s worse . . . Social Text online 20. November 2010. socialtextjournal.org.
Zugegriffen am 20.06.2020.
Halberstam, Judith. 2011. The queer art of failure. Durham/London: Duke University Press.
Hansen, Mark B. N. 2015. Feed-forward: On the future of twenty-first-century media. Chicago:
University of Chicago Press.
Hardt, Michael, und Antonio Negri. 2004. Multitude. Krieg und Demokratie im Empire.
Frankfurt/New York: Campus.
Hemmings, Clare. 2005. Invoking Affect. Cultural theory and the ontological turn. Cultural Studies
19(5): 548–567.
Hemmings, Clare. 2012. Affective solidarity: Feminist reflexivity and political transformation.
Feminist Theory 13(2): 147–161.
Hess, Aaron. 2015. The selfie assemblage. International Journal of Communication 9(1):
1629–1645.
Highmore, Ben. 2017. Cultural feelings. Mood, mediation and cultural politics. London/New York:
Routledge.
Hipfl, Brigitte. 2014. Zur „affektiven“ Arbeit von Medien: Herausforderungen für die Kommuni-
kations- und Medienwissenschaft. Medien Journal 38(2): 5–19.
Hipfl, Brigitte. 2018. Affect in media and communication studies: Potentials and assemblages.
Media and Communication 6(3): 5–14. https://doi.org/10.17645/mac.v6i3.1470.
Affekttheorie – Gender, Medien und die Politik von Affekten 139

Hipfl, Brigitte. 2020. Tote Mädchen lügen nicht – Jugend-Medien-Kulturen als Assemblagen. In
Pädagogische Anthropologie der Jugendlichen, Hrsg. Sara Blumenthal, Stephan Sting, und
Jörg Zirfas, 303–317. Weinheim: Beltz Juventa.
Hipfl, Brigitte, und Elena Pilipets. 2020. Digital youth assemblages: Affective entanglements of
sharing (anti-)selfies on Instagram. Medien Journal 44(2): 19–32.
Hynnä, Kaisu, Mari Lehto, und Susanna Paasonen. 2019. Affective body politics of social media.
Social Media + Society October–December: 5(4): 1–5.
Karppi, Tero, Lotta Köhkönen, Mona Mannevuo, Mari Pajala, und Tanja Sihvonen. 2016. Affective
capitalism: Investments and investigations. Ephemera. Theory & Politics in Organization 16(4):
1–13.
Landweer, Hilge. 2018. Gefühle: Von der Geschlechter- und der Emotionsforschung zu den Affect
Studies. In Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung, Hrsg. Beate Kortendiek, Birgit
Riegraf und Katja Sabisch. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-12500-
4_61-1.
Löchel, Rolf. 2006. Frauen sind ängstlich, Männer sollen mutig sein. Geschlechterdifferenz und
Emotion bei Immanuel Kant. Kant-Studien 97(1): 50–78.
Lünenborg, Margret. 2020. Affective publics: Understandung the dynamic formation of public
articulations beyond the public sphere. In Public spheres of resonance. Constellations of affect
and language, Hrsg. Anne Fleig und Christian von Scheve, 30–48. London/New York: Rout-
ledge.
Lünenborg, Margreth, und Tanja Maier. 2019. Analyzing affective media practices by the use of
video analysis. In Analyzing affective societies. Methods and methodologies, Hrsg. Antje Kahl,
140–161. London/New York: Routledge.
Lünenborg, Margreth, Tanja Maier, und Claudia Töpper. 2018. Affekte als sozial-relationales
Phänomen medialer Kommunikation: Affekttheorien für die Medienforschung nutzbar machen.
Studies in Communication and Media 7(3): 425–453.
Lünenborg, Margreth, Tanja Maier, Claudia Töpper, und Laura Suna. 2021. Affektive Medienprak-
tiken. Emotionen, Körper, Zugehörigkeiten im Reality TV. Wiesbaden: Springer VS.
Massumi, Brian. 1995. The autonomy of affect. Cultural Critique 31:83–109.
Mendes, Kaitlynn, Jessica Ringrose, und Jessalynn Keller. 2019. Digital feminist activism. Girls
and women fight back against rape culture. New York: Oxford University Press.
Munt, Sally R. 2008. Queer attachments. The cultural politics of shame. Hampshire/Burlington:
Ashgate.
Nail, Thomas. 2017. What is an assemblage? Substance 46(1): 21–37.
Newmark, Catherine. 2008. Weibliches Leiden – männliche Leidenschaften. Zum Geschlecht in
älteren Affektenlehren. Feministische Studien 26(1): 7–18.
Nikunen, Kaarina. 2019. Media solidarities. Emotions, power and justice in the digital age.
London: Sage.
Osterkamp, Ute. 1999. Gefühle, Emotionen. In Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus,
Hrsg. Wolfgang Frtz Haug, Bd. 4, 1329–1347. Hamburg: Argument.
Papacharissi, Zizi. 2016. Affective publics: Sentiment, technology, and politics. Oxford: Oxford
University Press.
Pedwell, Carolyn, und Ann Whitehead. 2012. Affecting feminism: Questions of feeling in feminist
theory. Feminist Theory 13(2): 115–129.
Penz, Otto, und Birgit Sauer. 2016. Affektives Kapital. Die Ökonomisierung der Gefühle im
Arbeitsleben. Frankfurt/New York: Campus.
Pilipets, Elena, und Susanna Paasonen. 2020. Nipples, memes, and algorithmic failure: NSFW
critique of Tumblr censorship. New Media & Society. https://doi.org/10.1177/
1461444820979280.
Probyn, Elspeth. 2005. Blush: Faces of shame. Minneapolis: University of Minnesota Press.
Pybus, Jennifer. 2015. Accumulation affect: Social networks and their archives of feelings. In
Networked affect, Hrsg. Ken Hillis, Susanna Paasonen, und Michael Petit, 234–249. Cambridge,
MA: MIT Press.
140 B. Hipfl

Reckwitz, Andreas. 2016. Praktiken und ihre Affekte. Zur Affektivität des Sozialen. In Kreativität
und soziale Praxis. Studien zur Sozial- und Gesellschaftstheorie, Hrsg. Andreas Reckwitz,
97–114. Bielefeld: transcript.
Rowe, Aimee Carrillo, und Francesca T. Royster. 2017. Loving transgressions: Queer of color
bodies, affective ties, transformative community. Journal of Lesbian Studies 21(3): 243–253.
Sedgwick, Eve Koskofsky, und Adam Frank. 1995. Shame and its sisters. A Silvan Tomkins reader.
Durham/London: Duke University Press.
Seigworth, Gregory J., und Melissa Gregg. 2010. An inventory of shimmers. In The affect theory
reader, Hrsg. Melissa Gregg und Gregory J. Seigworth, 1–28. Durham/London: Duke Univer-
sity Press.
Slaby, Jan. 2018. Drei Haltungen der Affect Studies. In Stimmungen und Atmosphären, Hrsg.
Larissa Pfaller und Basil Wiesse, 53–81. Wiesbaden: Springer.
Slaby, Jan, und Jonas Bens. 2019. Political affect. In Affective societies. Key concepts, Hrsg. Jan
Slaby und Christian von Scheve, 340–351. Milton Park/New York: Routledge.
Slaby, Jan, und Christian von Scheve, Hrsg. 2019. Affective societies. Key concepts. Milton
Park/New York: Routledge.
Stewart, Kathleen. 2007. Ordinary affects. Durham/London: Duke University Press.
Stoler, Ann. 2004. Affective states. In A companion of anthropology of politics, Hrsg. David Nugent
und Jean Vincent, 4–20. Oxford: Blackwell.
Sundén, Jenny. 2015. A sense of play. Affect, emotion and embodiment in World of Warcraft. In
Working with affect in feminist readings. Disturbing differences, Hrsg. Marianne Liljeström und
Susanna Paasonen, 45–57. London / New York: Routledge.
Sundén, Jenny, und Susanna Paasonen. 2019. Inapporpriate laughter: Affective homophily and
the unlikely comedy of #MeToo. Social Media + Society 5(4). https://doi.org/10.1177/
2056305119883425.
Sundén, Jenny, und Susanna Paasonen. 2020. Who’s laughing now? Feminist tactics in social
media. Cambridge, MA/London: MIT Press.
Tedjasukmana, Chris. 2015. Feel bad movement. Affekt, Aktivismus und queere Gegenöffentlich-
keiten. In I is for impasse. Affektive Queerverbindungen in Theorie_Aktivismus_Kunst, Hrsg.
Käthe von Bose, Ulrike Klöppel, Katrin Köppert, Karin Michalski, und Pat Treusch, 19–32.
Berlin: b-books.
Wetherell, Margaret. 2012. Affect and emotions: A new social science understanding. London:
Sage.
Williams, Raymond. 1958. Culture and society. 1780–1950. New York: Columbia University Press.
Williams, Raymond. 1977. Marxism and literature. Oxford: Oxford University Press.
Geschlechterstereotype und
Geschlechterrollen

Martina Thiele

Inhalt
1 Einleitung: Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
2 Theoretische Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
3 Geschlechterstereotype in den Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
4 Fazit: Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154

Zusammenfassung
Die feministische Forschung zu medialen Geschlechterstereotypen setzte mit
Beginn der Zweiten Frauenbewegung ein. In den Blick genommen werden
seitdem Stereotypinhalte, ihre Produktion und Rezeption. Grundlage der empiri-
schen Forschung ist eine theoretische Auseinandersetzung mit Stereotypen, die
Disziplinen übergreifend geführt wird. Beteiligt sind neben der Psychologie und
Sozialpsychologie, kultur-, geistes- und sozialwissenschaftliche Fächer sowie als
Querschnittsdisziplin die Gender Studies.
Kommunikations- und medienwissenschaftliche Studien zu Geschlechterste-
reotypen sind überwiegend Medieninhaltsanalysen, untersucht wurden vor allem
Printmedien und Werbung. Neben Differenzierungen und Modernisierungen
belegen die Studien eine hohe Beständigkeit medialer Geschlechterstereotype.
Forschungslücken bestehen hinsichtlich Rezeption und Wirkungen, zudem muss
sich die Forschung weiter epistemologischen Herausforderungen stellen.

Schlüsselwörter
Stereotypdefinitionen · (Dys-)funktionen von Stereotypen ·
Geschlechterstereotype und -rollen · Intersektionalität · Kernel-of-truth debate

M. Thiele (*)
Institut für Medienwissenschaft, Universität Tübingen, Tübingen, Deutschland
E-Mail: martina.thiele@uni-tuebingen.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 141
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_10
142 M. Thiele

1 Einleitung: Definitionen

Definitionen von Stereotyp sind zahlreich und unterscheiden sich in ihren Akzentuie-
rungen. Der Publizist Walter Lippmann, der den Begriff aus der Fachsprache des
Druckens übernommen hat, bezeichnete Stereotype als „pictures in our heads“. Diese
„Bilder in unseren Köpfen“, so Lippmann in seinem 1922 erschienenen Buch Public
Opinion, würden die Wahrnehmung maßgeblich bestimmen: „We are told about the
world before we see it. We imagine most things before we experience them. And those
preconceptions, unless education has made us acutely aware, govern deeply the whole
process of perception.“ (Lippmann 1998 [1922], S. 90) Im Verlauf des 20. Jahrhun-
derts sind Stereotype häufig als fehlerhaft und realitätsinadäquat definiert worden,
zugleich gibt es Definitionen, die Stereotype eher neutral als kognitive Schemata
beschreiben und Stereotypisierung als Prozess, der auf Kategorisierung und Attribu-
ierung beruht (Thiele 2015, S. 26 ). Kategorisierung meint die Einteilung von
Menschen oder auch Objekten in (soziale) Gruppen, Typen oder Klassen; Attribuie-
rung die Zuschreibung von positiven wie negativen Eigenschaften. Die kognitive
Dimension wird bei Stereotyp-Definitionen hervorgehoben. Beim Vorurteil kommt
noch eine affektive Dimension hinzu, um die stärkere „Gefühlsgeladenheit“ von
Vorurteilen zu betonen. Diskriminierung schließlich weist neben der kognitiven und
affektiven Dimension eine konative auf, was bedeutet, dass Einstellungen und Ge-
fühlen gegenüber Angehörigen einer sozialen Gruppe Handlungen – möglicherweise
diskriminierende – folgen. (Petersen und Six-Materna 2006, S. 430–436)
Stereotype sind aber nicht nur „Bilder in unseren Köpfen“, sie sind auch
konkrete, materielle (Sprach-)Bilder in den Medien, die sowohl im Text als auch
durch ein einzelnes Bild (Foto, Karikatur) oder eine Bildfolge (Comic, Filmse-
quenz) vermittelt werden. Relevant ist die Unterscheidung zwischen Stereotypen
als Kognitionen oder materialisierten Bildern für kommunikationswissenschaftli-
che Studien u. a. deshalb, weil sie die Forschungsbereiche und Untersuchungsme-
thoden bestimmt. Je nachdem, ob Stereotypenforschung als Medieninhalts- bzw.
Repräsentationsforschung betrieben wird oder sich mit denen befasst, die stereo-
type Inhalte (re-)produzieren (Kommunikatorinnen wie Rezipientinnen), kommt
ein anderer Stereotyp-Begriff zum Tragen.

1.1 Auto-, Hetero- und Metastereotype

Wer aber stereotypisiert, wer sind die Stereotypisierten? Wer bildet warum welche
Stereotype in Bezug auf wen oder was? Um diese unterschiedlichen Bezugnahmen
zu kennzeichnen, werden die Begriffe Autostereotyp oder Selbstbild, Heterostereo-
typ oder Fremdbild und Metastereotyp verwendet. Dabei gibt das Heterostereotyp
immer auch Auskunft über das Autostereotyp, denn wenn „die anderen“ so und also
„anders“ sind, ergibt sich daraus, wie „wir“ sind. Über Mitglieder der „outgroup“
liegen meist weniger Informationen vor. Heterostereotype weisen daher häufig einen
geringeren Grad an Komplexität auf und tendieren ins Negative. Autostereotype
hingegen betonen stärker positive Eigenschaften bzw. solche Eigenschaften, die von
der eigenen Gruppe positiv gesehen werden. Die gemeinhin positive Bewertung der
Geschlechterstereotype und Geschlechterrollen 143

„ingroup“ schließt aber eine selbstkritische, gar von Minderwertigkeitsgefühlen und


Selbsthass gekennzeichnete Sicht auf die eigene Gruppe nicht aus.
Bestimmt wird das eigene Verhalten auch durch ein vermutetes Auto- und
Heterostereotyp, d. h. anzunehmen, die anderen würden mich/uns so sehen, oder
anzunehmen, die anderen dächten, ich/wir sähen uns so etc. Diese Art von Stereo-
typen werden als Metastereotype bezeichnet und definiert als „[. . .] a person’s beliefs
regarding the stereotype that outgroup members hold about his or her own group.“
(Vorauer et al. 1998, S. 917) Metastereotype basieren also auf Annahmen, die
innerhalb einer Gruppe (= Ingroup) über eine Fremdgruppe (= Outgroup) und deren
Annahmen über sie selbst und andere – etwa Angehörige der Ingroup – bestehen.

1.2 Subkategorien und Substereotype

Kategorien und Stereotype sind selten eindeutig, häufig versammeln sie mehrere
Merkmalsausprägungen, zuweilen Widersprüchliches. Das lässt sich gut am Beispiel
von Geschlechterstereotypen nachvollziehen. Sie beruhen auf der Kategorisierung
nach Geschlecht (zumeist genau zwei Geschlechtern, nämlich „weiblich“ und
„männlich“) und sexueller Orientierung sowie der wiederholten Zuschreibung von
mehr oder weniger positiven Eigenschaften. Doch gibt es neben der Unterscheidung
nach Geschlechtern und sexueller Orientierung weitere Differenzierungen bzw.
Subkategorien, z. B. im Falle von „Frau“ Subkategorien wie „Rentnerin“, „Mäd-
chen“, „Hausfrau“, „Direktorin“, „Touristin“. Merkmale, die sich auf diese Subka-
tegorien beziehen, können sich überschneiden, im Widerspruch zueinander stehen
oder mit anderen Kategorien, z. B. Alter, Ethnizität oder Tätigkeit/Beruf, verbunden
sein. Auf diese Unterschiede innerhalb einer Kategorie verweist auch der Begriff der
sozialen Rolle, worunter die Soziologie und Sozialpsychologie spezifische Anfor-
derungen verstehen, die an soziale Akteurinnen entsprechend ihrer Position gestellt
werden. Wenn verschiedene Rollen, beispielsweise Berufs- und Geschlechterrollen,
mit widersprüchlichen Erwartungen verbunden sind, kann das zu Rollenkonflikten
führen.
So findet sich neben den Begriffen Geschlechterstereotyp und Geschlechterkli-
schee auch der der Geschlechterrolle (Alfermann 1996; Eagly und Karau 2002). Mit
Geschlechterrollen sind bestimmte normative Erwartungen verbunden, die ihrerseits
durch geschlechterstereotype Zuschreibungen entstanden sind, bspw. Erwartungen
an eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung oder ein ‚rollenkonformes‘ Verhalten.
Thomas Eckes (2010, S. 178) sieht sowohl bei Geschlechterrollen als auch -stereo-
typen deskriptive und präskriptive Anteile. Während die deskriptiven Anteile tradi-
tionelle und auch kulturübergreifende Annahmen darüber umfassen, wie ‚Frauen‘
und ‚Männer‘ ‚sind‘, welche Eigenschaften sie haben und wie sie sich verhalten,
beziehen sich die präskriptiven Anteile auf Annahmen darüber, wie ‚Männer‘ und
‚Frauen‘ sein sollen. Stereotypisierung dient letztlich, so Stuart Hall (2004, S. 144)
„der Aufrechterhaltung der sozialen und symbolischen Ordnung.“ [. . .] „Sie klassi-
fiziert Menschen entsprechend einer Norm und konstruiert die Ausgeschlossenen als
‚anders‘“. (Hall 2004, S. 145)
144 M. Thiele

2 Theoretische Positionen

Die theoretische Auseinandersetzung mit Stereotypen ist bestimmt durch die Dis-
kussion über den Wahrheitsgehalt bzw. die Realitätsadäquanz von Stereotypen, die
sog. kernel-of-truth-debate, des weiteren durch die Frage nach individuellen wie
gesellschaftlichen Funktionen und Dysfunktionen von Stereotypen, schließlich
durch Überlegungen zu Intersektionalität und ihrer Bedeutung für die Stereotypen-
und Vorurteilsforschung.

2.1 Realitätsadäquanz von Stereotypen

Dass Stereotype schon aufgrund von Verkürzung und Verallgemeinerung wenig mit
„realen“ Vorkommnissen und realen Personen zu tun haben, klingt in den meisten
Stereotyp-Definitionen an. „Wenig“ deutet aber auf einen Rest, ein Körnchen Wahr-
heit, das eine Aussage, sei sie noch so stereotyp, enthält. Über diesen Rest sind
zahlreiche Debatten geführt worden, in die wissenschaftliche Literatur sind sie unter
dem Stichwort „kernel-of-truth-debate“ eingegangen (Lee et al. 1995; Ryan et al.
1996; Filipp und Mayer 1999; Hornsey 2008).
Haben Stereotype nun nichts oder doch zumindest ein bisschen mit der Realität
zu tun? Beiden auf den ersten Blick so gegensätzlichen Positionen gegenüber dem
Wahrheitsgehalt von Stereotypen ist gemein, dass sie die Erfassung „der“ Realität
bzw. einen Abgleich mit der Realität prinzipiell für möglich halten. Sie unterschei-
den sich jedoch in der Perspektive: während die einen den Anteil der Nichtüberein-
stimmung des Stereotyps mit „der“ Realität hervorheben, betonen die anderen den
Anteil der Übereinstimmung.
Vertreterinnen (radikal-)konstruktivistischer Theorien ziehen indes aus erkennt-
nistheoretischen Gründen in Zweifel, dass ein Abgleich mit „der“ Realität machbar
und (empirisch) sinnvoll ist. So lassen sich zwei Positionen unterscheiden, eine
„realistische“ und eine „konstruktivistische“: Während Vertreterinnen der realitäts-
bezogenen Orientierung den Gehalt von Stereotypen und Vorurteilen an „der“
Realität messen und zu dem Ergebnis „verzerrte Darstellung“ oder aber „ein Körn-
chen Wahrheit“ gelangen, geht es den Konstruktivistinnen darum, die Erzeugung,
Verbreitung und möglichen Wirkungen von Stereotypen und Vorurteilen zu unter-
suchen. (Thiele 2015, S. 57) In diese Richtung argumentieren auch Sigrun-Heide
Filipp und Anne-Kathrin Mayer. Selbst wenn es sich bei einem Stereotyp als Ver-
knüpfung von Kategorisierung und Attribuierung nicht um eine falsche Verknüp-
fung handeln sollte, läge der Fehler aber darin, „diese Verknüpfung als naturgegeben
zu deuten, statt als Ausdruck sozialer Rollenzuweisungen“ (Filipp und Mayer 1999,
S. 63). Von Bedeutung, so die Autorinnen, sei weniger die Frage nach dem
Wahrheitsgehalt von Stereotypen als die Frage nach den Funktionen, die Stereotype
für Einzelne und Gruppen erfüllen. (Filipp und Mayer 1999, S. 65)
Schließlich gibt es zwischen diesen Positionen vermittelnde Sichtweisen, die als
„sozialkonstruktivistisch“ oder „rekonstruktivistisch“ bezeichnet werden. Kai Hafez
beschreibt jenen „Mittelweg“ wie folgt: „Der rekonstruktivistische Ansatz geht einer-
Geschlechterstereotype und Geschlechterrollen 145

seits davon aus, dass natürliche wie auch gesellschaftliche Realität weitgehend unab-
hängig vom Subjekt (etwa dem Journalisten) existent sind und vom Subjekt rekonstru-
iert werden können, weil in der Regel Teile der vermittelten Realitätsentwürfe intersub-
jektiv bestätigt werden können, was überhaupt erst die Basis dafür legt, dass Menschen
sich kommunikativ verständigen können, dass jedoch andererseits Realität zu komplex
ist, um als Ganzes erfassbar zu sein und daher selektiert, transformiert und insofern
tatsächlich konstruiert wird.“ (Hafez 2002, S. 17)
Prognostizieren lässt sich, dass solange Stereotypenforschung betrieben wird,
auch die Frage nach dem Wahrheitsgehalt von Stereotypen kontrovers diskutiert
wird. Hier stoßen mit Konstruktivismus und Realismus unterschiedliche wissen-
schaftstheoretische Konzepte aufeinander, die zu unterschiedlichen Fragestellungen
und Hypothesen, Forschungsdesigns und Ergebnissen führen. Gerade auch für die
kommunikationswissenschaftliche Stereotypenforschung und die Gender Media
Studies ist die kernel-of-truth-Debatte von Bedeutung, da stereotype journalistische
Berichterstattung und Werbung häufig mit dem Hinweis auf das „Körnchen Wahr-
heit“, das doch in jedem Stereotyp stecke, begründet wird.

2.2 (Dys-)Funktionen von Stereotypen

Eine andere Begründung für den Rückgriff auf Stereotype sind die Funktionen, die
sie für das Individuum und für soziale Gruppen erfüllen. Auf sie wird in der
wissenschaftlichen Debatte über Stereotype immer wieder verwiesen. Nur wenige
Wissenschafterinnen kritisieren grundsätzlich den in der Stereotypenforschung
vorherrschenden Funktionalismus (Thiele 2015, S. 60–76) oder setzten sich wie
die Linguistin Uta Quasthoff mit dem „Dilemma der Vorurteilsforschung“ (Quas-
thoff 1973, S. 148) auseinander. Es besteht darin, dass die kognitive Ressourcen
schonende Funktion von Stereotypen und Vorurteilen im Sinne von „Komplexitäts-
reduktion“ mit Blick auf das Individuum positiv bewertet wird, für Gruppen oder die
Gesellschaft als ganze aber die Gefahr besteht, Opfer von auf Denkökonomie
beruhenden Stereotypen und Vorurteilen zu werden. So können sich die für das
Individuum nützlichen Funktionen für die Gemeinschaft als eher schädlich erweisen
– und umgekehrt. Zusammenfassen lassen sich die verschiedenen Funktionen und
Dysfunktionen von Stereotypen unter 1. Wissen, Orientierung, Komplexitätsreduk-
tion, 2. Abwehr, Verteidigung, Vermeidung von Dissonanzen, 3. Identitätsbildung,
-stabilisierung und Integration, 4. Desintegration, schließlich ist 5. von einer politi-
schen Funktion die Rede, die auch als propagandistische oder ideologische Funktion
von Stereotypen bezeichnet wird.

2.3 Arten von Stereotypen und Intersektionalität

Metaanalysen der bisherigen Forschung zu Stereotypen belegen, dass die meisten Studien
zu Nationen- und Geschlechterstereotypen durchgeführt worden sind. (Dovidio et al.
2010, S. 3–28) Andere Stereotyparten, etwa Religions-, Alters- und Klassenstereotype,
146 M. Thiele

wurden demgegenüber lange Zeit vernachlässigt, stoßen inzwischen aber auf größeres
Interesse. Deutlich zeigt sich, wie sehr wissenschaftliche Beschäftigung mit spezifischen
Stereotyparten durch soziale und politische Kontexte bestimmt und Konjunkturen unter-
worfen ist. (Thiele 2015, S. 381–386)
Doch verlaufen die Grenzen zwischen den spezifischen Stereotypen bzw. Stereo-
typarten nicht eindeutig, wie oben im Abschnitt zu Subkategorien und Substereoty-
pen bereits dargelegt wurde. Stereotype Zuschreibungen beziehen sich selten auf nur
eine Kategorie. Vielmehr kommt es zu Verschränkungen und Interdependenzen,
weswegen auch in der Stereotypenforschung intersektionale Ansätze inzwischen
mehr Beachtung finden (Thiele 2015, S. 79, 2017, 2019). Ausgangspunkt der Über-
legungen zum Zusammenhang von Stereotypenforschung und Intersektionalität ist
die Definition von Stereotypen als Denkschemata, die auf Kategorisierung und
Attribuierung beruhen. Weil häufig mehrere Kategorien miteinander verschränkt
sind, spricht man in der Stereotypenforschung auch von Stereotypkomplexen oder
von Stereotypen und Substereotypen. Und hier ist die Verbindung zu Intersektiona-
lität gegeben. Denn die zentralen Fragen innerhalb der Intersektionalitätsdebatte
lauten, ob und wie welche verschiedenen sozialen Kategorien miteinander verbun-
den sind, wie sich Wechselwirkungen gestalten und wie das Zusammenwirken
verschiedener Kategorien zu Hierarchisierungen und sozialer Ungleichheit führt.
Ziel intersektionaler Forschung ist, multiple Ungleichheitsstrukturen zu analysieren.
Anhaltend sind jedoch die Diskussionen über den Stellenwert einzelner sozialer
Kategorien, die Zahl der zu untersuchenden Kategorien und die Art und Weise ihres
Miteinander-Verschränktseins. Gabriele Winker und Nina Degele, die sich 2009
intensiv mit Intersektionalität auseinandergesetzt haben, halten fest, dass das Kon-
zept keine theoretische Begründung liefere, „warum gerade Rasse, Klasse und
Geschlecht die zentralen Linien der Differenz markieren. Auch andere Kategorien
wie Alter, Generativität, Sexualität, Religion, Nationalität oder Behinderung könn-
ten Berücksichtigung finden“ (Winker und Degele 2009, S. 15).
So bleibt offen, welche Kategorien in welchen sozialen Kontexten bzw. „Domi-
nanzkulturen“ (Rommelspacher 1995) jeweils wichtiger bzw. entscheidender sind und
was für oder gegen eine Hierarchisierung von Kategorien spricht. Das betrifft einzelne
Kategorien ebenso wie die Trias race, class, gender, denn fraglich ist, ob sich patriar-
chale oder rassistische Strukturen allein aus den ökonomischen Verhältnissen ableiten
lassen. Fortgeführt wird damit die Diskussion über Masterkategorien bzw. das, was in
marxistischer Tradition unter Haupt- und Nebenwiderspruch verhandelt wird (siehe
etwa Dowling et al. 2017). Ausdruck dieser Debatte ist auch die Unterscheidung
zwischen Struktur- und Differenzkategorien (Lenz 2010, S. 159; Aulenbacher 2008),
wobei erstere, auf der Strukturebene angesiedelt, Prozesse und Verhältnisse innerhalb
der kapitalistischen Akkumulationslogik beschreiben; Differenzkategorien hingegen,
auf der Ebene der symbolischen Repräsentation und auf der Identitätsebene angesiedelt,
vielfältiger sein können (Winker und Degele 2009). Cornelia Klinger (2008, S. 42–43)
nennt Arbeit, Körper und Fremdheit als allgemeine Strukturkategorien, von denen
ausgegangen werden müsse, um Nationalismus/Imperialismus, Kapitalismus und das
Patriarchat als Herrschaftsverhältnisse, die an diese Kategorien anknüpfen, zu kritisie-
Geschlechterstereotype und Geschlechterrollen 147

ren. Nur so könne die „metaphor of intersectionality“1 produktiv – und das meint in
Richtung Veränderung der bestehenden Verhältnisse – verwendet werden.
Mit der Zeit erfährt der Begriff Intersektionalität eine Neujustierung und teilweise
Ausdifferenzierung, je nachdem, ob eine eher interkategoriale oder intrakategoriale
Zugangsweise (McCall 2001) gewählt wird. Während erstere von gesellschaftlichen
Strukturen und Strukturkategorien wie etwa Klasse, „Rasse“, Geschlecht ausgeht
und Überschneidungen zwischen diesen betrachtet, fordern Vertreterinnen intraka-
tegorialer Perspektiven, soziale Kategorien tatsächlich als sich gegenseitig durch-
dringend und „interdependent“ zu denken und dabei Differenzen und Ungleichhei-
ten innerhalb sozialer Gruppen sowie daraus folgende Inklusionen und Exklusionen
in den Blick zu nehmen. Dieser Ansatz drückt sich beispielsweise aus in dem
Buchtitel Gender als interdependente Kategorie. Neue Perspektiven auf Intersek-
tionalität, Diversität und Heterogenität (Walgenbach et al. 2007) oder in Über-
legungen zu Transkulturelle[r] Intrasektionalität als Perspektive in der geschlech-
tertheoretischen Migrationsforschung (Kannengießer 2012). Poststrukturalistische
und (de-)konstruktivistische Ansätze erweitern die Debatte über Intersektionalität
um antikategoriale und antiessentialistische Positionen (siehe etwa Lorey 2008,
2010; Purtschert und Meyer 2010; Horscheidt 2014; Tuider 2015). Sie haben zur
Folge, dass Fragen der Macht und politischen Durchsetzungsfähigkeit auch in der
Debatte über Geschlechter- und Sexualitätsstereotype erneut gestellt werden, denn
wer hat die Macht, Stereotype zu (de-)konstruieren?

3 Geschlechterstereotype in den Medien

Medien und Kommunikation spielen im Prozess der Erzeugung und Vermittlung von
Stereotypen eine wesentliche Rolle. Internationale Vergleichsstudien wie das Global
Media Monitoring Project (GMMP 2015) bestätigen ebenso wie nationale Studien
bis heute jenes Ergebnis, das die US-amerikanische Kommunikationswissenschaft-
lerin Gaye Tuchman schon 1978 (dt. 1980) in The Symbolic Annihilation Of Women
by the Mass Media formuliert hat: Massenmedien drängen Frauen in die symboli-
sche Nichtexistenz oder aber sie stereotypisieren und trivialisieren sie. Ihre mediale
Sichtbarkeit ist also durchaus ambivalent (Schaffer 2008), da zumeist mit Stereoty-
pisierung verbunden. Dabei sind die Unterschiede, was Vorkommen und Inhalte der
Geschlechterstereotype anbelangt, zwischen verschiedenen Arten von Medien
(Print-/audio-visuelle und Online-Medien), zwischen fiktionalen und non-fiktiona-
len Gattungen sowie Werbung und redaktioneller Berichterstattung nicht ausrei-
chend untersucht. Die vorliegenden Studien bestätigen jedoch, dass in den letzten
vier Jahrzehnten nur geringe Fortschritte in Richtung höhere mediale Präsenz von

1
Klinger weist zu Beginn ihres Beitrags (2008, S. 39) auf die terminologische Unterscheidung, die
Patricia Hill Collins zwischen „interlocking structures of oppression“ und „the metaphor of
intersectionality“ getroffen hat, um damit einerseits die gesellschaftliche, andererseits die individu-
elle Ebene der Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher Ungleichheit zu kennzeichnen, die aber
ohne Frage miteinander verbunden sind.
148 M. Thiele

Frauen und weniger stereotype Geschlechterrepräsentationen zu verzeichnen sind.


Im Folgenden werden einige wichtige Studien aus dem deutschsprachigen Raum zu
medialen Geschlechterstereotypen vorgestellt.

3.1 Ausgewählte Studien

Das Internationale Jahr der Frau 1975 befördert auch im deutschsprachigen Raum
die Forschung zu medialen Geschlechterstereotypen (Küchenhoff 1975; Fabris und
Kreuzhuber 1976). Die Küchenhoff-Studie, in der erstmals umfassend Die Darstel-
lung der Frau und die Behandlung von Frauenfragen im Fernsehen untersucht
wurden und auf die sich Forscherinnen bis heute beziehen, konstatiert eine stereo-
type Darstellung, denn „neben dem traditionellen Leitbild der Hausfrau und Mutter
steht das Leitbild der jungen, schönen und unabhängigen Frau“ (Küchenhoff 1975,
S. 241). Auffällig sei zudem, dass „die Fernsehfrau unpolitisch“ sei, eine „Mittel-
schichtorientierung“ vorherrsche und die Berufstätigkeit von Frauen ausgeblendet
bleibe (Küchenhoff 1975, S. 241). Ähnlich lauten die Ergebnisse einer Studie, die
Christine Leinfellner Anfang der 1980er-Jahre für das Österreichische Fernsehen
durchführt. Leinfellner kritisiert „geschlechtsspezifische Klischees“, wonach der
Mann „aktiv“, „mit mehr Fähigkeiten und Begabungen ausgestattet“ gezeigt werde
als die „passive, nie aggressive“ Frau (Leinfellner 1983, S. 112). Kein Thema seien
in den Sendungen des ORF Hausarbeit und Mehrfachbelastungen der Frauen. Be-
rufstätigkeit beschränke sich bei Frauen auf einige wenige Berufe, während das
Berufsspektrum bei Männern deutlich breiter sei (Leinfellner 1983, S. 111). Beson-
ders in den Eigenproduktionen des ORF träten „hausbackene“ Frauentypen auf, die
„wenig attraktiv“ seien, „kaum Gesprächsthemen“ hätten und „in Ausbildung, Beruf
und Intelligenz“ ihrem Partner unterlegen seien (Leinfellner 1983, S. 112). Die
Studie gelangt zu dem Schluss, dass das Fernsehen auf die veränderten sozialen
Verhältnisse zu langsam reagiere.
Das gleiche gilt für die Werbung. Erving Goffmans zuerst 1976 erschienene Studie
Gender Advertisements, für die er über 500 Anzeigen analysiert und kategorisiert hat,
macht darauf aufmerksam, wie Geschlechterunterschiede (aber auch Statusunter-
schiede und Unterschiede innerhalb einer Geschlechterkategorie) in der Werbung
hergestellt werden (Goffman 1979; dt. 1981). Eine wichtige Rolle spielen Größenver-
hältnisse („relative size“), Berührungen („the feminine touch“), Rangordnungen
(„function ranking“), die sich sowohl in beruflichen als auch privaten, familiären
Kontexten widerspiegeln, ritualisierte Unterwerfungsgesten („the ritualization of sub-
ordination“) sowie ein Widerrufen und Einschränken spontan geäußerter Gefühle
(„licensed withdrawal“). Untersuchungen zu Werbung in audiovisuellen Medien be-
stätigen und ergänzen Goffmans Ergebnisse dahingehend, dass auch beim Einsatz von
Ton und bewegten Bildern Interaktionsrituale, Gestiken und Mimiken feststellbar sind,
die Geschlechterdifferenzen reproduzieren. So erscheinen Männer z. B. dynamisch,
weil sie sich im Raum bewegen, ihn durchmessen, Frauen statisch, weil sie in
sitzender oder liegender Position gezeigt werden. Männer überragen die anderen,
Frauen sind optisch und verbal unterlegen. Wenn sie beispielsweise wegen Flecken,
Geschlechterstereotype und Geschlechterrollen 149

Gefrierbrand, kratziger Pullover oder Rändern an den frisch gespülten Gläsern in


Panik verfallen und mit sich überschlagender Stimme nach Hilfe rufen, vermittle auch
das ein bestimmtes Bild von Frauen (Schmerl 1994, S. 138).
So werden Frauen wie Männer in den Medien stereotyp präsentiert, jedoch
erscheint „er“ in einer machtvolleren, überlegenen Position. Männer handeln, treffen
Entscheidungen, sind die Experten und erklären den anderen – Frauen, Kindern und
untergebenen Männern – die Welt. Während die Frauen auf Heim und Familie
bezogen sind, bewältigen Männer „das wirkliche Leben“. Sie zieht es „hinaus“, sie
erleben Abenteuer, sie „stehen ihren Mann“ im Berufsleben. Gezeigt werden aber
nicht die ganz normalen, zuweilen anstrengenden oder monotonen Berufe, sondern
die prestigeträchtigen Professionen wie Anwalt, Arzt, Manager, Wissenschaftler
oder Künstler. Davon profitieren dann auch die Ehefrauen, die in der Werbung
z. B. als „Zahnarztfrau“ Zahnpasta empfehlen dürfen.
Mit den politischen, gesellschaftlichen und technologischen Veränderungen seit
den 1990er-Jahren gehen auch Veränderungen in den medialen Geschlechterreprä-
sentationen einher. Brigitte Spieß (1992, 1994) untersucht diese Veränderungen an
mehr als 600 zwischen 1989 und 1991 ausgestrahlten TV-Werbespots. „Ausstiegs-
varianten aus der traditionellen Frauenrolle“ ließen sich allerdings nur in einigen,
wenigen Spots finden. Neben dem Substereotyp der „bescheidenen, pflichtbewuss-
ten Rentnerin“ sei manchmal nun auch das der „unkonventionellen alten Frau“
anzutreffen. Ehefrauen und Mütter sind weiterhin für das Wohlergehen der Familie
und das behagliche Zuhause zuständig, aber man billige ihnen zuweilen Expertin-
nentum zu. Bei der nun häufiger in TV-Spots anzutreffenden berufstätigen Frau
erkennt Spieß eine gewisse Widersprüchlichkeit in der Inszenierung, da die „Karri-
erefrau“ trotz des beruflichen Erfolges immer auch den Ansprüchen an Schönheit,
Jugendlichkeit, Charme und Erotik zu genügen hat. Insgesamt sieht die Forscherin
die Weiblichkeitsbilder in der Werbung „zwischen Konvention und Innovation“
changieren; traditionelle Stereotype würden zwar konserviert, doch erschienen
Frauen selbstbewusster, unabhängiger, aktiver, insgesamt beweglicher und ihre
Handlungsspielräume seien größer (Spieß 1994, S. 422–423).
Traditionelle Männerstereotype zeigen Männer als Entscheider und Chef, als
Fachmann, Experten, kompetenten Macher, Familienoberhaupt oder als Abenteurer,
den es hinauszieht in die große, weite Welt, als einsamen Wolf, der ungebunden und
weitgehend unverstanden ist, oder auch als Macho, der von sich selbst und seiner
Wirkung auf Frauen überzeugt ist. Die in Folge der 1968er-Revolte entstehenden
neuen sozialen Bewegungen, insbesondere die Frauen- und Homosexuellenbewe-
gung, erschüttern diese traditionellen Bilder von Männlichkeit und forcieren neue
Männlichkeitsentwürfe. Das Spektrum möglicher Lebensentwürfe erweitert sich.
Die Rede ist vom „neuen“, „modernen“ Mann, und die Marktforschung identifiziert
urbane, zahlungskräftige männliche Zielgruppen, die bereit sind, für Kosmetik,
Bodystyling, Mode, Lifestyle etc. Geld auszugeben.
In den 1990er-Jahren werden Männer in der Werbung folglich auch Gegenstand
kommunikationswissenschaftlicher Forschung (Krohne 1995; Zurstiege 1998). Kon-
statiert wird eine Ausdifferenzierung männlicher Rollenbilder; mit den traditionellen
männlichen Rollenklischees würde z. T. gebrochen. „Die Bandbreite von Männer-
150 M. Thiele

profilen reicht mittlerweile von dümmlich bis intelligent, von schön bis hässlich, von
feinfühlig bis gefühllos, von kindlich bis erwachsen oder von albern bis humorlos
[. . .].“ (Krohne 1995, S. 151) Die Akzeptanz der vielfältigeren Repräsentationen von
Männlichkeit erklärte der Autor mit Individualisierungsprozessen und dem allgemei-
nen Wertewandel. Guido Zurstiege erhebt mittels Inhaltsanalyse, wie sich Repräsen-
tationen von Männlichkeiten von den 1950er bis in die 1990er-Jahre in der Anzeigen-
werbung der Zeitschriften Brigitte, stern und auto, motor und sport verändert haben.
Sie hat vom Umfang her zugenommen, und auch die Zahl der repräsentierten Männer
ist in den beiden Zeitschriften, deren Leserschaft überwiegend männlich ist, deutlich
gestiegen. Ein Trend, mit Männern Männer anzusprechen und Männer als Männer
anzusprechen, ist erkennbar. Mittels Faktorenanalyse gelangt der Autor zu einer
Typenbildung mit u. a. dem „Alleskönner“, dem „erfolgreichen“ und dem „attrakti-
ven“ Mann, dem „Praktiker“ und dem „Familienvater“. (Zurstiege 1998, S. 164) Das
Spektrum an Eigenschaften und somit die Zahl an präsentierten Männertypen variiert
von Zeitschrift zu Zeitschrift. Vorherrschend ist dennoch ein Männerbild, das „ihn“ als
erfolgreich, sachlich, sportlich, tüchtig zeigt. Die Eigenschaftszuschreibungen erwei-
sen sich über den gesamten Untersuchungszeitraum als stabil und bestätigen frühere
Ergebnisse (Kotelmann und Mikos 1981).
Im neuen Jahrtausend stellt Christina Holtz-Bacha im Sammelband Stereotype?
Frauen und Männer in der Werbung (Holtz-Bacha 2011) die neuesten Ergebnisse
zum Thema vor. Mit ihrer Frage, ob in der Fernsehwerbung inzwischen „mehr als
Frühjahrsputz und Südseezauber“ stattfinde, greifen Holtz-Bacha und Vennemann
ein Ergebnis auf, das für Kotelmanns und Mikos’ 1981 erschienene Studie titelge-
bend war und das Mikos einige Jahre später noch einmal überprüft hat (Mikos 1988).
Die Auswertung aller in die Stichprobe gelangten Spots ergibt hinsichtlich des
Vorkommens von Männern und Frauen, der Rollen, in denen sie zu sehen sind,
sowie der beworbenen Produkte für Männer Folgendes: „88 Clips (21 %) zeigen in
der Hauptrolle Männer. Diese werben hauptsächlich für Männerkosmetik, Rasier-
bedarf, Autos, Bier, Fast Food und Baumärkte. Außerdem sind Männer häufig
Experten auf verschiedenen Gebieten wie Kaffee, Schokolade, Versicherungen oder
Toilettenreiniger.“ (Vennemann und Holtz-Bacha 2011, S. 90) In 236 Clips (55 %)
kommen Frauen allein oder mit anderen vor, 102 Clips (24 %) kommen ohne
Personendarstellung aus.
Die Autorinnen erkennen eine breite Palette an Frauentypen, die Rollen der
Hausfrau und Mutter hätten eine Aufwertung erfahren, insgesamt erscheinen die in
den TV-Spots dargestellten Frauen „selbstbewusst, unabhängig, zielstrebig, dabei
unbeschwert und lebensfroh.“ (Vennemann und Holtz-Bacha 2011, S. 97) Bevorzugt
werden Frauen in der Freizeit gezeigt, und da träten sie zuweilen in Rollen auf, „die
sich nicht eindeutig bestimmten Stereotypen zuordnen lassen“ (Vennemann und
Holtz-Bacha 2011, S. 95). Sie werden der Kategorie „die Unkonventionelle“ zuge-
ordnet. Die Beschreibungen ihres Auftretens in den Spots deuten auf Brüche mit den
bekannten, traditionellen Frauen-Stereotypen, denn die Frauen sind abenteuerlustig,
dreist, draufgängerisch, verschwenderisch und scheuen auch vor sexistischer Anma-
che attraktiver Männer nicht zurück. Dabei sind sie aber weiterhin ganz überwiegend
jung, schlank, attraktiv.
Geschlechterstereotype und Geschlechterrollen 151

In der redaktionellen Berichterstattung sowie in fiktionalen wie non-fiktionalen


Genres in Film und Fernsehen hat sich im neuen Jahrtausend ebenfalls nicht viel
verbessert. 2010 veröffentlichen Melanie Magin und Birgit Stark eine Drei-Länder-
Studie zu Geschlechterstereotypen in der Presse, bei der die Berichterstattung in je
einer österreichischen, deutschen und Schweizer Qualitäts-, Boulevard- und Regio-
nalzeitung untersucht wird. Forschungsleitend ist die Annahme, dass sich nicht nur
empirische Belege für die Beständigkeit von Geschlechterstereotypen finden lassen,
sondern auch für deren Auflösung. Neu sei der Ansatz, so die Autorinnen, „Akteure
aus sehr unterschiedlichen Themenbereichen zu erfassen und andererseits auf die
Messung von Geschlechterattributen in dichotomisierter Form zu verzichten“
(Magin und Stark 2010, S. 383). In ihrer „von der dekonstruktivistischen Geschlech-
terforschung inspirierten“ (Magin und Stark 2010, S. 383) Studie fragen die Auto-
rinnen nach der massenmedialen Konstruktion von Männlichkeit und Weiblichkeit
und wollen trotz der so unterschiedlichen theoretischen Prämissen und Verständnisse
von Geschlecht, „eine Synthese von Gleichheitsansatz und Dekonstruktivismus
vornehmen“ (Magin und Stark 2010, S. 390).
Ihre Ergebnisse bezeichnen die Autorinnen selbst als „ambivalent“ (Magin und Stark
2010, S. 399 und 400). Die traditionellen Geschlechterstereotype und Geschlechterrol-
len, in denen Männer und Frauen vorkommen, sind weiterhin vorhanden, ebenso die
Zusammenhänge, in denen Männer und Frauen präsentiert werden. Das bestätigen auch
Margreth Lünenborg und Jutta Röser (2012) durch ihre Studie Ungleich mächtig. Zum
Gendering von Führungspersonen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Sie ist die
erste Studie im deutschsprachigen Raum, in der mediale Macht- und Geschlechterre-
präsentationen auf einer breiten empirischen Basis quantitativ und qualitativ für drei
gesellschaftliche Bereiche untersucht wurden. Die Forscherinnen konstatieren, dass
zwar insgesamt „die Erfolge und die beruflichen Leistungen der weiblichen Spitzen-
kräfte in weiten Teilen anerkannt“, doch männliche Spitzenkräfte weiterhin „mit Kraft,
Kampf und Stärke assoziiert“ würden (Maier und Lünenborg 2012 S. 116). Sowohl
Boulevard- als auch Qualitätsmedien reproduzierten dichotome Geschlechterskripte und
riefen „neoliberale Prämissen auf. Wirtschaft und Politik werden als steter Kampf und
Wettbewerb präsentiert und auch in der Wissenschaft scheint nur Erfolg zu haben, wer
härter als jede/r andere arbeitet. Durchsetzungsfähigkeit wird in allen Feldern als das
zentrale Charakteristikum einer Spitzenkraft benannt. Die mediale Berichterstattung
entwirft damit eine von Konkurrenz geprägte Welt, in der sich Frauen wie Männer nach
feststehenden Regeln zu bewähren haben.“ (Maier und Lünenborg 2012 S. 116)
Um Audiovisuelle Diversität geht es einem Forscherinnenteam (Prommer und
Linke 2017; 2019) von der Universität Rostock bei ihrer Auftragsstudie zu
Geschlechterdarstellungen im deutschen Fernsehen und in Kinofilmen. Ein ausge-
wogenes Geschlechterverhältnis können die Forscherinnen weder im Fernsehpro-
gramm noch im Kino feststellen. Auch wenn es um das Alter der Protagonistinnen
sowie Funktionen und Kontexte geht, sind die Ergebnisse eindeutig und weisen auf
Geschlechterstereotype. Zur Anwendung kam bei der Studie u. a. der sog. Bechdel-
Test, bei dem drei Fragen zum medialen Inhalt gestellt werden: 1. Gibt es zwei
Frauen, die auch namentlich genannt werden? 2. Sprechen diese Frauen miteinan-
der? 3. Sprechen sie über etwas anderes als über Männer und Beziehungen? Beson-
152 M. Thiele

ders besorgniserregend sind die Ergebnisse zum Kinderfernsehen. Auch dort


dominieren die männlichen Figuren, nur jede vierte ist weiblich (Prommer und
Linke 2017, S. 17, 2019).
Aktuelle Ergebnisse zusammenfassend setzen Medien also weiterhin auf Zwei-
geschlechtlichkeit und die Inszenierung von Geschlechterdifferenzen. Zwar deutet
einiges auf etwas mehr inhaltliche Vielfalt bei den Stereotypinhalten und eine
Ausdifferenzierung der Geschlechterrollen, doch sind durch Substereotype nicht
weniger Stereotype verbreitet. In manchen Bereichen zeichnen sich gar Rückschritte
ab. So kritisieren Forscherinnen (z. B. Carstensen 2007) das sogenannte Gender-
Marketing und die dadurch forcierte Pinkification als Backlash und fordern gemein-
sam mit Eltern, Pädagoginnen und Werbewatchgroups eine Abkehr von ge-
schlechtsspezifischer und -stereotyper Werbung bzw. strengere Gesetze.

3.2 Wirkungen von Geschlechterstereotypen

Die mediale Verbreitung von Geschlechterstereotypen wirft Fragen nach der Wir-
kung auf. Sicher kann von Kultivierungseffekten ausgegangen werden. Von frühes-
ter Kindheit an mit Geschlechterstereotypen konfrontiert, bilden sie die Grundlage
unseres (vermeintlichen) Geschlechterwissens. Die Kenntnis positiver wie negativer
Geschlechterstereotype bleibt nicht ohne Einfluss auf die Bildung von Selbst- und
Fremdbildern bzw. Auto-, Hetero- und Metastereotypen und damit auf unser Ver-
halten. Zu den in diesem Zusammenhang auftretenden Phänomenen zählen selfful-
filling prophecy und stereotype threat.
Ersteres meint, dass etwas, von dem man vermutet, dass es so sein wird, dann
tatsächlich eintritt, weil man vermutet, dass es so sein wird – und sich entsprechend
verhält. Auf die realen Folgen von letztlich auf ungeprüften Annahmen beruhenden
Realitätsdefinitionen haben schon William Isaac und Dorothy Swaine Thomas 1928
verwiesen: „If men define situations as real, they are real in their consequences.“
(Thomas und Thomas 1928, S. 572) Diese Aussage ging als „Thomas-Theorem“ in
die Wissenschaftsgeschichte ein.
Stereotype threat erklären Claude M. Steele und Jefferson Aronson so: „It focuses
on a social-psychological predicament that can arise from widely-known negative
stereotypes about one’s group. It is this: the existence of such a stereotype means that
anything one does or any of one’s features that conform to it make the stereotype
more plausible as a self-characterization in the eyes of others, and perhaps even in
one’s own eyes.“ (Steele und Aronson 1995, S. 797) Befürchten Personen, dass sie
aufgrund von negativen Gruppenstereotypen beurteilt werden, beeinflusst das ihr
Verhalten – und zwar häufig dahingehend, dass sie das negative Stereotyp bestäti-
gen. Diese „Drohfunktion“ von Stereotypen kann fatale Folgen haben: Beispiels-
weise schneiden Testpersonen schlechter bei Aufgaben ab, deren Lösung ihrer
Gruppe nicht zugetraut wird. Auch distanzieren sich Personen von jenen Bereichen,
in denen sie mit negativen Stereotypen konfrontiert werden könnten, was z. B. bei
der Studien- und Berufswahl oder im Berufsleben dazu führt, dass trotz vorhandener
Qualifikation bestimmte Karrieren von vornherein ausgeschlossen erscheinen (Kel-
Geschlechterstereotype und Geschlechterrollen 153

ler 2008). Mediale Geschlechterstereotype sind so gesehen nicht belanglos, sie


wirken sich auf unser Verhalten und das gesellschaftliche Miteinander aus.

4 Fazit: Herausforderungen

Mediale Geschlechterstereotype zählen neben Nationenstereotypen zu den am häu-


figsten untersuchten Stereotyparten. Untersucht wurden vor allem Printmedien,
insbesondere Zeitschriften- sowie Fernsehinhalte. Radio und Onlinemedien sind
hingegen bislang kaum Gegenstand der Forschung zu Geschlechterstereotypen.
Was die Unterscheidung zwischen redaktionellen Beiträgen und Werbung anbelangt,
steht letztere im Fokus des Forschungsinteresses. Insgesamt dominiert die Medien-
inhaltsforschung, es mangelt an Rezeptions- und Wirkungsstudien. Nicht selten
bleiben die in Auftragsstudien erhobenen Daten unter Verschluss, weil sie eindeutig
belegen, wie wenig sich doch in Sachen Geschlechterrepräsentationen verändert hat.
Forschung zu Geschlechterstereotypen ist daher notwendig, dabei sieht sich die
kommunikations- und medienwissenschaftliche Forschung vor diverse Herausfor-
derungen gestellt (Thiele 2015, S. 390). Zum einen ist das Verhältnis von Theorie
und Empirie zu klären, da der Perspektivwechsel, der mit der theoretischen Orien-
tierung in Richtung (De-)konstruktion und einer Kritik identifizierenden Denkens
einhergeht, nicht ohne Folge für die empirische Forschung bleibt, die auf Kategori-
enbildung und Bipolaritäten beruht: denn wie lässt sich Geschlecht erforschen, ohne
dichotome und biologisch hergeleitete Geschlechterdifferenzen implizit zu reprodu-
zieren? Kritische Stereotypenforschung, ob sie nun auf quantitative oder qualitative
Methoden setzt, steht vor dem epistemologischen Problem, dass sie genau das
voraussetzen muss und möglicherweise im Forschungsprozess reproduziert, was
eigentlich kritisiert, gar dekonstruiert werden soll. Doch geht es nicht nur um die
„Tücken einer Kategorie“ (Kinnebrock et al. 2012), sondern vielmehr um die
Tücken der Kategorisierung schlechthin. Kategorisierung, Klassifizierung und Typi-
sierung gelten als unvermeidliche kognitive Prozesse und daher in gewisser Weise
als verzeihlich. Stereotypisierung indes „reduziert, essentialisiert, naturalisiert und
fixiert ‚Differenz‘“ (Hall 2004, S. 144). Erst die Stereotypisierung schafft nach dieser
Lesart das Problem, denn sie ist negativ. Doch hat die intensive Befassung mit
Stereotyp-Definitionen und den Ergebnissen der bisherigen Stereotypenforschung
zu der Erkenntnis geführt, dass bereits die Kategorisierung das Problem ist. Im
Prozess der Stereotypisierung ist sie folgenreicher als die Attribuierung, die wer-
tende Eigenschaften hinzufügt. Daher erfordert zukünftige Stereotypenforschung
eine tiefergehende Befassung mit dem Prozess der Kategorisierung und seinen
Ergebnissen: Kategorien wie „Ethnie“, „Klasse“ oder „Geschlecht“ etc. Sie sind
nicht als Entitäten, sondern als soziale Konstrukte zu begreifen, deren Miteinander-
Verschränktsein eine weitere Herausforderung für die zukünftige Stereotypen- und
Intersektionalitätsforschung darstellt.
Zum anderen ist eine kritische Auseinandersetzung mit den individuellen wie
gesellschaftlichen (Dys-)Funktionen von Stereotypen vonnöten. Die (angeblich)
kognitive Ressourcen schonende Funktion von Stereotypen wird zumeist für das
154 M. Thiele

Individuum als positiv bewertet, für soziale Gruppen oder die Gesellschaft als Ganze
aber besteht die Gefahr, Opfer von auf Denkökonomie beruhenden Stereotypen zu
werden. Nicht selten verwechselt die in der Tradition funktionalistischer Forschung
stehende empirische Forschung Ursachen und Wirkungen; die behaupteten Funk-
tionen von Stereotypen werden dann zur Legitimierung ihres Vorhandenseins he-
rangezogen. Eine (ideologie-)kritische Auseinandersetzung mit den Funktionen von
Stereotypen ist bislang nur von wenigen Autorinnen geleistet worden. Hier ist ein
Anknüpfen an vorhandene Theoriebestände der Gender und Queer Studies sinnvoll,
wenngleich das performative Dilemma der Benennung und Sichtbarmachung von
Stereotypen selbst noch im Akt des De-Konstruierens und Sich-Widersetzens beste-
hen bleibt. „Umkehrungen“, wie Stuart Hall (2004, S. 159) die Versuche nennt, den
gegenwärtigen Repräsentationsregimes etwas entgegenzusetzen, sind dennoch mög-
lich, Geschlechterstereotype langfristig durchaus veränderbar.

Literatur
Alfermann, Dorothee. 1996. Geschlechterrollen und geschlechtstypisches Verhalten. Stuttgart:
Kohlhammer.
Aulenbacher, Brigitte. 2008. Geschlecht als Strukturkategorie: Über den inneren Zusammenhang
von moderner Gesellschaft und Geschlechterverhältnis. In Geschlechterdifferenzen –
Geschlechterdifferenzierung. Ein Überblick über gesellschaftliche Entwicklungen und theoreti-
sche Positionen, Hrsg. Sylvia Marlene Wilz, 139–166. Wiesbaden: Springer.
Carstensen, Tanja. 2007. Gender Marketing – Das Revival der Differenz. http://www.feministi
sches-institut.de/marketing/. Zugegriffen am 28.08.2018.
Dovidio, John F., Miles Hewstone, Peter Glick, und Victoria M. Esses, Hrsg. 2010. Prejudice,
stereotyping and discrimination: Theoretical and empirical overview. In The sage handbook of
prejudice, stereotyping and discrimination, 3–28. Los Angeles: Sage.
Dowling, Emma, Silke van Dyk, und Stefanie Graefe. 2017. Rückkehr des Hauptwiderspruchs?
Anmerkungen zur aktuellen Debatte um den Erfolg der Neuen Rechten und das Versagen der
Identitätspolitik. Prokla 47(188): 411–420.
Eagly, Alice H., und Steven J. Karau. 2002. Role congruity theory of prejudice toward female
leaders. Psychological Review 109:573–598.
Eckes, Thomas. 2010. Geschlechterstereotype: Von Rollen, Identitäten und Vorurteilen. In Hand-
buch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorien, Methoden, Empirie, Unter Mitarbeit von
Barbara Budrich, Ilse Lenz, Sigrid Metz-Göckel, Ursula Müller und Sabine Schäfer, Hrsg. Ruth
Becker und Beate Kortendiek, 3., erw. u. durchge. Aufl., 178–189. Wiesbaden: Springer.
Fabris, Hans-Heinz, und Hertha Kreuzhuber. 1976. Das internationale Jahr der Frau 1975 und die
Darstellung von Frauenthemen in den österreichischen Massenmedien. Eine Untersuchung der
Berichterstattung österreichischer Druckmedien über die Themen „Internationales Jahr der
Frau 1975“, „Berufliche und soziale Stellung der Frau“, „Diskriminierung“ und „Emanzipa-
tion (Gleichberechtigung)“. Wien: Bundesministerium für Soziale Verwaltung.
Filipp, Sigrun-Heide, und Anne-Katrin Mayer. 1999. Bilder des Alters. Altersstereotype und die
Beziehung zwischen den Generationen. Stuttgart/Berlin/Köln: Kohlhammer.
GMMP. 2015. Who makes the news? Global media monitoring project. http://cdn.agilitycms.com/
who-makes-the-news/Imported/reports_2015/global/gmmp_global_report_en.pdf. Zugegriffen am
03.03.2019.
Goffman, Erving. 1976. Gender Advertisements. Studies in the Anthropology of Visual Communi-
cation 3(2): 69–154.
Geschlechterstereotype und Geschlechterrollen 155

Goffman, Erving. 1979. Gender advertisements. New York/Hagerstown/San Francisco/London:


Harper & Row.
Goffman, Erving. 1981. Geschlecht und Werbung, Aus dem Amerikanischen von Thomas Lindquist.
Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Hafez, Kai. 2002. Die politische Dimension der Auslandsberichterstattung. Bd. 1 Theoretische
Grundlagen. Baden-Baden: Nomos.
Hall, Stuart. 2004. In Ideologie, Identität Repräsentation. Ausgewählte Schriften 4, Hrsg. Juha
Koivisto und Andreas Merkens. Hamburg: Argument.
Holtz-Bacha, Christina, Hrsg. 2011 [2008]. Stereotype? Frauen und Männer in der Werbung,
2. Aufl. Wiesbaden: Springer.
Hornsey, Matthew. 2008. Kernel of truth or motivated stereotype? Interpreting and responding to
negative generalizations about your group. In Stereotype dynamics. Language-based approa-
ches to the formation, maintenance, and transformation of stereotypes, Hrsg. Yoshihisa Kashi-
ma, Klaus Fiedler, und Peter Freytag, 316–337. Mahwah: Lawrence Erlbaum Associates.
Horscheidt, Lann. 2014. Entkomplexisierung von diskriminierungsstrukturen durch intersektiona-
lität. http://portal-intersektionalitaet.de/theoriebildung/ueberblickstexte/hornscheidt/. Zugegrif-
fen am 28.02.2019.
Kannengießer, Sigrid. 2012. Transkulturelle Intrasektionalität als Perspektive in der geschlechter-
theoretischen Migrationsforschung. In Kann die Migrantin sprechen? Migration und Ge-
schlechterverhältnisse, Hrsg. Ulrike Brandl, Elisabeth Klaus, Eva Hausbacher, und Ingrid
Schmutzhart, 24–40. Wiesbaden: Springer.
Keller, Johannes. 2008. Stereotype als Bedrohung. In Stereotype, Vorurteile und soziale Diskrimi-
nierung. Theorien, Befunde und Interventionen, Hrsg. Lars-Eric Petersen und Bernd Six, 88–96.
Weinheim/Basel: Beltz, PVU.
Kinnebrock, Susanne, Eva Dickmeis, und Sarah Stommel. 2012. Gender – Methodologische
Überlegungen zu den Tücken einer Kategorie. In Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht in
Bewegung. Forschungsperspektiven der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterfor-
schung, Hrsg. Tanja Maier, Martina Thiele, und Christine Linke, 81–97. Bielefeld: transcript.
Klinger, Cornelia. 2008. Überkreuzende Identitäten – Ineinandergreifende Strukturen. Plädoyer für
einen Kurswechsel in der Intersektionalitätsdebatte. In ÜberKreuzungen. Fremdheit, Ungleich-
heit, Differenz, Hrsg. Cornelia Klinger und Gudrun-Axeli Knapp, 38–67. Münster: Westfäli-
sches Dampfboot.
Kotelmann, Joachim, und Lothar Mikos. 1981. Frühjahrsputz und Südseezauber. Die Darstellung
der Frau in der Fernsehwerbung und das Bewusstsein von Zuschauerinnen. Baden-Baden:
E. Baur.
Krohne, Stefan. 1995. It’s a Men’s World. Männlichkeitsklischees in der deutschen Fernsehwer-
bung. In Werbung, Medien und Kultur, Hrsg. Siegfried J. Schmidt und Brigitte Spieß, 136–152.
Opladen: Westdeutscher Verlag.
Küchenhoff, Ernst. 1975. Die Darstellung der Frau und die Behandlung von Frauenfragen im
Fernsehen. Eine empirische Untersuchung einer Forschungsgruppe der Universität Münster.
Stuttgart: Kohlhammer.
Lee, Yueh-Ting, Lee J. Jussim, und Clark R. McCauleyu, Hrsg. 1995. Stereotype accuracy. Toward
appreciating group experiences. Washington: American Psychological Association.
Leinfellner, Christine. 1983. Frau und Berufswelt im österreichischen Fernsehen. Sekundäraus-
wertung zu der im Auftrag des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung durchge-
führten Studie über „Das Bild der Frau im österreichischen Fernsehen“. Wien: o.V.
Lenz, Ilse. 2010. Intersektionalität: Zum Wechselverhältnis von Geschlecht und sozialer Ungleich-
heit. In Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorien, Methoden, Empirie, Unter
Mitarbeit von Barbara Budrich, Ilse Lenz, Sigrid Metz-Göckel, Ursula Müller, und Sabine
Schäfer, Hrsg. Ruth Becker und Beate Kortendiek, 3., erw. u. durchge. Aufl., 158–165.
Wiesbaden: Springer.
Lippmann, Walter. 1998 [1922]. Public Opinion. With a new introduction by Michael Curtis,
2. Aufl. New Brunswick/London: Transaction Publishers.
156 M. Thiele

Lorey, Isabell. 2008. Kritik und Kategorie. Zur Begrenzung politischer Praxis durch neuere
Theoreme der Intersektionalität, Interdependenz und Kritischen Weißseinsforschung. http://
eicp.net/transversal/0806/lorey/de/print. Zugegriffen am 01.03.2019.
Lorey, Isabell. 2010. Konstituierende Kritik. Die Kunst, den Kategorien zu entgehen. In Kunst der
Kritik, Hrsg. Birgit Mennel, Stefan Nowotny, und Gerald Raunig, 47–64. Wien: Turia + Kant.
Lünenborg, Margreth, und Jutta Röser, Hrsg. 2012. Ungleich mächtig. Das Gendering von Füh-
rungspersonen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in der Medienkommunikation. Biele-
feld: transcript.
Magin, Melanie, und Birgit Stark. 2010. Mediale Geschlechterstereotype. Eine ländervergleichende
Untersuchung von Tageszeitungen. Publizistik 55(4): 383–404.
Maier, Tanja, und Margreth Lünenborg. 2012. „Kann der das überhaupt?“ Eine qualitative Text-
analyse zum Wandel medialer Geschlechterrepräsentationen. In Ungleich mächtig. Das Gende-
ring von Führungspersonen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in der Medienkommuni-
kation, Hrsg. Margreth Lünenborg und Jutta Röser, 65–126. Bielefeld: transcript.
McCall, Leslie. 2001. Complex inequality. Gender, class and race in the new economy.
New York/London: Routledge.
Mikos, Lothar. 1988. Frühjahrsputz revisited. Das Frauenbild in der Fernsehwerbung hat sich kaum
verändert. medium 18(4): 54–56.
Petersen, Lars-Eric, und Iris Six-Materna. 2006. Stereotype. In Handbuch der Sozialpsychologie
und Kommunikationspsychologie, Hrsg. Hans-Werner Bierhoff und Dieter Frey, 430–436.
Göttingen: Hogrefe.
Prommer, Elizabeth, und Christine Linke. 2017. Audiovisuelle Diversität? Geschlechterdarstellungen
in Film und Fernsehen in Deutschland. https://www.uni-rostock.de/fileadmin/uni-rostock/UniHo
me/Presse/Pressemeldungen/Broschuere_din_a4_audiovisuelle_Diversitaet_v06072017_V3.pdf.
Zugegriffen am 03.03.2019.
Prommer, Elizabeth, und Christine Linke. 2019. Ausgeblendet: Frauen in Fernsehen und Film. Mit
einem Vorwort von Maria Furtwängler. Köln: Herbert von Halem.
Purtschert, Patricia, und Katrin Meyer. 2010. Die Macht der Kategorien. Kritische Überlegungen
zur Intersektionalität. http://portal-intersektionalitaet.de/theoriebildung/ueberblickstexte/horn
scheidt/. Zugegriffen am 17.03.2019.
Quasthoff, Uta. 1973. Soziales Vorurteil und Kommunikation. Eine sprachwissenschaftliche Ana-
lyse des Stereotyps. Ein interdisziplinärer Versuch im Bereich von Linguistik, Sozialwissenschaft
und Psychologie. Frankfurt a. M.: Athenäum.
Rommelspacher, Birgit. 1995. Dominanzkultur. Texte zu Fremdheit und Macht. Berlin: Orlanda.
Ryan, Carey S., Bernadette Park, und Charles M. Judd. 1996. Assessing stereotype accuracy:
Implications for understanding the stereotyping process. In Stereotypes and stereotyping, Hrsg.
Neil C. Macrae, Charles Stangor, und Miles Hewstone, 121–157. New York/London: The
Guilford Press.
Schaffer, Johanna. 2008. Ambivalenzen der Sichtbarkeit. Über die visuellen Strukturen der Aner-
kennung. Bielefeld: transcript.
Schmerl, Christiane. 1994. Die schönen Leichen aus Chromodioxyd und aus Papier. Frauenbilder in
der Werbung. In Gender und Medien. Theoretische Ansätze, empirische Befunde und Praxis der
Massenkommunikation: Ein Textbuch zur Einführung, Hrsg. Marie-Luise Angerer und Johanna
Dorer, 134–151. Wien: Braumüller.
Spieß, Brigitte. 1992. Frauenbilder in der Fernseh-Werbung. Gefangen zwischen alten Leitbildern
und neuen Rollenvorstellungen. In Frauenbilder im Fernsehen. Beiträge und Materialien einer
Fachtagung vom 25. bis 27. August 1991 in Augsburg, Hrsg. Dieter Schmidt-Sinns,
Bd. 321, 91–108. Bonn: Schriftenreihe Bundeszentrale für Politische Bildung.
Spieß, Brigitte. 1994. Weiblichkeitsklischees in der Fernsehwerbung. In Die Wirklichkeit der
Medien, Hrsg. Klaus Merten, Siegfried J. Schmidt, und Siegfried Weischenberg, 408–426.
Opladen: Westdeutscher Verlag.
Steele, Claude M., und Joshua Aronson. 1995. Stereotype threat and the intellectual test-
performance of African-Americans. Journal of Personality and Social Psychology 69(5):
797–811.
Geschlechterstereotype und Geschlechterrollen 157

Thiele, Martina. 2015. Medien und Stereotype. Konturen eines Forschungsfeldes. Bielefeld: tran-
script.
Thiele, Martina. 2017. Kategorien, Stereotype, Intersektionalität. In Von der Reflexion zur Dekon-
struktion? Kategorien, Typen und Stereotype als Gegenstand junger Forschung. Beiträge zur
zweiten under.docs-Fachtagung zu Kommunikation, Hrsg. Barbara Metzler, Julia Himmelsbach,
Diotima Bertel, Andreas Riedl, Lara Möller, Unter Mitarbeit von Christian Berger, Paul Hah-
nenkamp, Barbara Klaus, und Michael Schwinghammer, 15–32. Wien: danzig & unfried.
Thiele, Martina. 2019. Intersektionalität und Kommunikationsforschung: was ist mit Medien? In
Feministische Theorie und kritische Medienkulturanalyse. Ausgangspunkte und Perspektiven,
Hrsg. Tanja Thomas und Ulla Wischermann, 163–177. Bielefeld: transcript.
Thomas, William Isaac, und Dorothy Swaine Thomas. 1928. The child in America. Behavior
problems and programs. New York: Knopf.
Tuchman, Gaye. 1978. The symbolic annihilation of women by the mass media. In Hearth and
home. Images of women in the mass media, Hrsg. Gaye Tuchman, Arlene Kaplan Daniels, und
James Benét, 3–38. New York: Oxford University Press.
Tuchman, Gaye. 1980. Die Verbannung von Frauen in die symbolische Nichtexistenz durch die
Massenmedien. Fernsehen und Bildung 14(1–2): 10–43.
Tuider, Elisabeth. 2015. Dem Abwesenden, den Löchern und Rissen empirisch nachgehen: Vor-
schlag zu einer dekonstruktivistisch diskursanalytischen Intersektionalitätsanalyse. In Intersek-
tionalität und Forschungspraxis. Wechselseitige Herausforderungen, Hrsg. Mechthild Beres-
wil, Folkert Degenring, und Sabine Stange, 172–191. Münster: Westfälisches Dampfboot.
Vennemann, Angela, und Christina Holtz-Bacha. 2011. Mehr als Frühjahrsputz und Südseezauber?
Frauenbilder in der Fernsehwerbung und ihre Rezeption. In Stereotype? Frauen und Männer in
der Werbung, Hrsg. Christina Holtz-Bacha, 76–106. Wiesbaden: Springer.
Vorauer, Jacquie, Kelley Main, und Gordon O’Conell. 1998. How do individuals expect to be
viewed by members of lower status groups? Content and implications of meta-stereotypes.
Journal of Personality and Social Psychology 75(4): 917–937.
Walgenbach, Katharina, Gabriele Dietze, Antje Hornscheidt, und Kerstin Palm. 2007. Gender als
interdependente Kategorie. Neue Perspektiven auf Intersektionalität, Diversität und Heteroge-
nität. Opladen/Farmington Hills: Barbara Budrich.
Winker, Gabriele, und Nina Degele. 2009. Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten.
Bielefeld: transcript.
Zurstiege, Guido. 1998. Mannsbilder – Männlichkeit in der Werbung. Eine Untersuchung zur
Darstellung von Männern in der Anzeigenwerbung der 50er-, 70er- und 90er-Jahre. Opladen:
Westdeutscher Verlag.
Sichtbarkeit. Epistemologie und Politik
eines Schlüsselbegriffs analoger und
digitaler Medienrealitäten

Johanna Schaffer

Inhalt
1 ‚Sichtbarkeit‘ als Redefigur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
2 Kritiken am Topos Sichtbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
3 Sichtbarkeit, digitalisierte Medienrealitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

Zusammenfassung
Trotz jahrzehntelang geäußerter Kritik erweist sich der Begriff Sichtbarkeit
immer noch als brauchbar, um Herrschaftskritik zu betreiben und die Umvertei-
lung gesellschaftlicher Ressourcen zu fordern (‚Mehr Sichtbarkeit für . . .‘). In
kritischen Diskussionskontexten zu digitalen Medienrealitäten ist der Begriff
allerdings grundlegend anders konnotiert. Hier lagert er neben dem Begriff der
Überwachung, verliert also die oppositionelle Konnotation, die er vor allem in
den 1980er-Jahren gewann, und affirmativ verwendet steht er vornehmlich für
Internetpräsenz. Die dargestellten Kritiken an der Verwendung des Begriffs
weisen auf die entmaterialisierenden und naturalisierenden ideologischen Effekte
dieser Redefigur hin und arbeiten die mediale/materielle Bedingtheit der Dimen-
sion, die mit Sichtbarkeit bezeichnet ist, heraus. In den Diskussionspraktiken
kritischer Netzaktivist*innen und Coder*innen lassen sich zudem Begriffe wie
Permeabilität und Exponiertheit finden, und mit whisper (flüstern) und listen
(zuhören, lauschen) Metaphern, die andere Sinnesrealitäten ansprechen, um so
der konzeptuellen Reduktion, zu der Sichtbarkeit tendiert, mit einem umfangrei-
cheren medienpolitischen Vokabular zu entgegnen.

J. Schaffer (*)
Visuelle Kommunikation, Kunsthochschule Kassel, Kassel, Deutschland
E-Mail: johanna.schaffer@uni-kassel.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 159
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_8
160 J. Schaffer

Schlüsselwörter
Sichtbarkeit · Transparenz · Form · Materialität · Netzaktivismus

1 ‚Sichtbarkeit‘ als Redefigur

‚Sichtbarkeit‘ ist eine zentrale Redefigur vor allem oppositioneller politischer Rhe-
toriken. Nach wie vor wird der Begriff analog zu dem der Anerkennung verwendet,
um für minorisierte Subjektivitäten und Wissensformen Geltung, Recht und damit
auch Ressourcen gesellschaftlicher Gestaltungsmacht einzufordern (mehr Sichtbar-
keit für . . .!). So betitelt beispielsweise Viviane Namaste (2000) ihre umfangreiche
Beschreibung der diskursiven Auslöschung der Anwesenheit von Transpersonen
und von Transwissen, auch durch queere Theorieprojekte, mit Invisible Lives. Als
Bestandteil eines oppositionellen, und hier vor allem des feministischen politischen
Vokabulars beginnt Sichtbarkeit im deutschen Sprachraum in den 1980er-Jahren zu
zirkulieren.1 Metaphorisch verwendet, verweist der Begriff auf gesellschaftliche
Durchsetzungskraft, öffentliche Präsenz und damit verbunden symbolische Aner-
kennung („Frauenforschung sichtbar machen“, Appel et al. 1985). Sein Einsatz
verstärkt sich in den 1990er-Jahren, und intensiviert sich noch einmal um ein
Vielfaches seit den 2000er-Jahren. Zeitgleich sind Projekte zu Sichtbarkeit am
Entstehen des Forschungsfeldes der Visuellen Kultur beteiligt (Foster 1988 als
eine der ersten; Mirzoeff 2016 als eine der jüngsten und, wie auch die folgenden,
politisch prononcierten; Kravagna 1997 und Holert 2000 als frühe, auch sehr
politisierte, bzw. Schade und Wenk 2012 für eine neuere deutschsprachige Ein-
führung). In dem Sammelband Anerkennung und Sichtbarkeit. Perspektiven für eine
kritische Medienkulturforschung halten die Herausgeberinnen fest, dass „Anerken-
nung und Sichtbarkeit . . . zu Schlüsselbegriffen vielfältiger öffentlicher Identitäts-
politiken und politischer Auseinandersetzungen um den Zugang zu ökonomischen,
gesellschaftlichen und kulturellen Ressourcen avanciert [sind]“ (Thomas et al. 2017,
S. 11). Der Begriff ist also mit Identitätspolitiken verbunden, und folglich mit
politischen Rhetoriken, die sich weniger auf relationale Strukturen und Prozesse
denn auf isolierbare Einheiten konzentrieren. Zwei Gründe lassen sich anführen für
die politische Aufladung, die er in den letzten dreißig Jahren erfahren hat. Der erste
hat mit der epistemologischen, der zweite mit der politischen Verfasstheit der

1
Sichtbar in die Titelsuchfunktion des Katalogs der Österreichischen Nationalbibliothek eingege-
ben ergibt 36 Einträge bis 1973, 53 Einträge 1974–1987, 300 Einträge 1988–2002 und 2264 nach
2002. Bis Anfang der 1980er-Jahre sind die Arbeiten, die sichtbar im Titel tragen, naturwissen-
schaftlich, verkehrstechnisch oder christlich-theologisch. Erst ab den 1980er-Jahren nimmt der
Begriff in seiner metaphorischen Verwendung im Sinne von gesellschaftlicher Macht und öffentli-
cher Präsenz zu, und zwar gleichzeitig mit dem Anstieg von Publikationen zu Computerisierung
und Digitalität (Stand 27.12.2017; vergleichbare Ergebnisse zu visibility im Katalog der British
Library).
Sichtbarkeit. Epistemologie und Politik eines Schlüsselbegriffs . . . 161

Gesellschaftsordnung zu tun, in der Sichtbarkeit im Zuge politischer Rhetoriken


Verwendung findet.

1.1 Sichtbarkeit, epistemologisch

Sichtbarkeit ist etymologisch mit Sehen verbunden, und damit mit einer der grund-
legenden epistemologischen, also Wissen und Erkenntnis betreffenden Leitmeta-
phern westlicher Gesellschaften. Stephen Tyler (1984) legt dar, dass dieses Na-
heverhältnis zwischen Sehen, Denken und Wissen vor allem für die als
indogermanisch klassifizierten Sprachen gilt. Deren Gesellschaften behandeln das
Sehen als hegemonialen Sinn, dem andere Sinne wie der des Hörens, Schmeckens
oder die Kinästhetik als Bewegungsempfindung nur nachgereiht sind. Die enge
Verbindung von physiologischem Sehen mit Wissen, Wirklichkeit und Wahrheit
ist jedoch eine nachmittelalterliche, vor allem durch die Aufklärung begründete. Den
Gesellschaftsordnungen der westlichen Antike und des christlichen Mittelalters galt
das gebildete Seelenauge als erkenntnisleitend, dem physiologische Auge wurde
misstraut (Schleusener-Eichholz 2007). Und in der Tat ist Sichtbarkeit als Topos
politischer Rhetoriken eben deswegen so produktiv, weil sich in dem Konzept
zentrale Dimensionen gesellschaftlicher Realität treffen: die politische, die ästheti-
sche und die epistemologische, also die Bedingungen des Wissens und der Erkennt-
nis (Einsicht!) betreffende Dimension. Also lässt sich mit Sichtbarkeit viel gleich-
zeitig adressieren: sinnliche, das heißt auch subjektive und verkörperte
Wahrnehmung, dann die Wissensordnung, in der diese begründet ist, sowie die
damit verbundenen gesellschaftlichen Strukturen und schließlich die Frage, wie
diese allesamt gesellschaftlich strukturierten Dimensionen mit politischen Rechten
verknüpft sind. Und der Begriff Sichtbarkeit hilft, über Darstellungen als Felder der
Repräsentation zu sprechen, darin Abwesenheiten zu markieren und diese Abwe-
senheiten in ihrer Verbindung zu systematischem und strukturellem Ausschluss zu
thematisieren.

1.2 Sichtbarkeit, politisch

Zum anderen aber ist die Vorstellung der Sichtbarkeit engstens mit den politischen
Idealen der liberalen Demokratie verbunden. Besonders deutlich arbeitet Hannah
Arendt dies in ihrer Beschreibung des öffentlichen Raumes als Raum der geteilten
auditiven und visuellen Wahrnehmung heraus. Das Wort ‚öffentlich‘, schreibt sie,
bedeutet

„daß alles, was vor der Allgemeinheit erscheint, für jedermann sichtbar und hörbar ist,
wodurch ihm die größtmögliche Öffentlichkeit zukommt. Daß etwas erscheint und von
anderen genau wie von uns selbst als solches wahrgenommen werden kann, bedeutet
innerhalb der Menschenwelt, daß ihm Wirklichkeit zukommt. Verglichen mit der Realität,
die sich im Gehört- und Gesehenwerden konstituiert, führen selbst die stärksten Kräfte
162 J. Schaffer

unseres Innenlebens – die Leidenschaften des Herzens, die Gedanken des Geistes, die Lust
der Sinne – ein ungewisses, schattenhaftes Dasein, es sei denn, sie werden verwandelt,
gleichsam entprivatisiert und entindividualisiert, und so umgestaltet, daß sie eine für öffent-
liches Erscheinen geeignete Form finden“ (Arendt 2002 [1972], S. 62–63).

Verschiedene Dinge sind bemerkenswert an dieser Beschreibung: zuerst die


Betonung der realitätskonstitutiven Funktion des Wahrgenommenwerdens, denn
wirklich ist, was von mehreren auf dieselbe Weise wahrgenommen wird; dann die
gleichzeitige Erwähnung der visuellen und der auditiven Dimension (und keiner
anderen); und drittens fehlt zwar eine Konzeption der Medialität von Öffentlichkeit,
aber es wird die Frage nach der Form gestellt. In der Frage danach, welche Form eine
spezifische Darstellung haben muss, um öffentlich sichtbar werden zu können,
unterscheiden sich Hannah Arendts Formulierungen von zahlreichen anderen, die
Sichtbarkeit meist in Begriffen der Quantifizierbarkeit verhandeln. Unbestimmt
bleibt allerdings bei Arendt, wie, von wem und wodurch das Geeignete einer Form
definiert wird, durch die etwas vom schattenhaften Privaten ins „blendend uner-
bitterliche Licht“ der Öffentlichkeit tritt (Arendt 2002 [1972], S. 64). Eine von
Arendt an dieser Stelle gesetzte Fussnote kommentiert lapidar, „dass es aus diesem
Grunde unmöglich ist, eine Biografie eines Sklaven zu schreiben oder eine Charak-
terskizze von ihm zu geben“ (S. 428). Hier zeigt sich die fundamental politische
Dimension der Form. Denn sie eignet sich, um Subjekt- und Personenstatus zu
konstituieren und zu gewähren und ebenso, ihn vorzuenthalten. Siba N’Zatioula
Grovogui arbeitet heraus, wo Hanna Arendts Texte statt eindeutiger Kritik an
Rassismus und Kolonialismus signifikante Ambivalenzen und Leerstellen aufwei-
sen. Er kommt aber auch zu dem Schluss, dass Theoretiker*innen bis heute „immer
noch gewisse Probleme mit der Vorstellung [haben], dass ‚schwarze‘ des Lesens
unkundige Sklaven Rechte mit universalem Charakter formulieren konnten“ (Gro-
vogui 2016, S. 63).

2 Kritiken am Topos Sichtbarkeit

In ihrer 2016 publizierten Studie Talking Back beschreibt Claudia Unterweger die
Arbeit der 2005 in Wien gegründeten Recherchegruppe zu Schwarzer österreichi-
scher Geschichte. Das Buch folgt den Taktiken, die die Recherchegruppe entwickelt,
um den historischen Protagonismus Schwarzer Menschen zu betonen und
„Schwarze Menschen als Subjekte sichtbar zu machen“ (Unterweger 2016,
S. 212). Jedoch weist Unterweger auch darauf hin, dass die vorgeblich evidente
Sichtbarkeit rassifizierter Differenzen davon ablenkt, dass eben diese Sichtbarkeit
ein Effekt rassistischer Herrschaftsmechanismen und „zugunsten der hegemonialen
Gruppe definiert“ ist (Unterweger 2016, S. 22). Auch Josch Hoenes kritisiert in
seiner Arbeit Transmännlichkeiten im Bild westliche Academia für deren „Formen
der Sichtbarkeit“ (Hoenes 2014, S. 15), die Trans-Personen den Status als Protago-
nist*innen der Wissensproduktion vorenthält, sie aber als Objekte des Wissens
behandelt, „mutiert [. . .] zum Tier oder zur fortschrittlichen Lerntechnologie“ (Hoe-
Sichtbarkeit. Epistemologie und Politik eines Schlüsselbegriffs . . . 163

nes 2014, S. 15). Beide Arbeiten bestehen normenkritisch darauf, dass weit über die
Frage der gesellschaftlichen Inklusion hinaus auch die Prozesse und Praktiken der
Sichtbar- und der Unsichtbarmachung Teil gemeinsamer politischer Reflexionen
sein müssen (Butler 2015, S. 5–6).

2.1 Wie, in welcher Form sichtbar

Oft geäußert ist mittlerweile also der Gedanke, dass Sichtbarkeit keine quanititativ
beurteilbare Qualität ist, im Sinne von mehr Sichtbarkeit gleich mehr gesellschaft-
liche Macht. Wäre dies so, dann müsste in den Gesellschaften des postindustriellen
Nordens/Westens die Macht primär in den Händen junger, weißer, halb bekleideter
Frauen liegen (Phelan 1993, S. 10). Ebenso gilt es zu untersuchen, ob Formen der
Darstellung bzw. Sichtbarkeit bestehende Herrschaftsverhältnisse affirmieren oder
unterwandern. Das lässt sich gut an wahl- oder spendenwerbenden Kampagnen
diskutieren, die auf deutschsprachige Mainstream-Öffentlichkeiten abzielen und
die Präsenz von Schwarzen und PoC (People of Color) Protagonist*innen visuell
signifizieren. Üblicherweise folgen die Visualisierungsentscheidungen dieser Medi-
enprodukte Castinglogiken, die in rassialisierenden Typologien begründet sind. Für
die im Jahr 2000 lancierte Plakatkampagne „Einbürgerung“, erstellt von der Kölner
Agentur Hansen Kommunikation im Auftrag der damaligen Bundesbeauftragten für
Ausländerfragen Marieluise Beck, hieß das zum Beispiel, mit Portraitfotografien
von Personen zu arbeiten, denen durch Textzeilen Herkünfte („Warschau, Braza-
ville, Istanbul“) zugeordnet wurden. Zu diskutieren ist, ob sich diese auf rassialisie-
renden Typologien beruhenden Projekte eignen, um antirassistische Kritiken an
gesellschaftlichen Ausschlüssen und Abwertungen zu formulieren (Schaffer 2008,
S. 92–104). Oft wird zudem betont, dass Sichtbarkeit und ebenso Unsichtbarkeit
nicht einfach gegeben sind, sondern im Verhältnis zu bestehenden Normen und
Identitätsvorgaben hergestellt werden; dass sie somit in engster Verbindung zu
bestehenden Macht/Wissensstrukturen artikuliert und verwaltet werden (Holert
2000, S. 20). Denn die Forderung nach ‚Sichtbarkeit für . . .‘ bedeutet immer auch
eine Affirmation bestehender Normen der Sichtbarkeit, bzw genauer: der Lesbarkeit,
innerhalb derer eben diese Sichtbarkeit eingeklagt wird (Schaffer 2008). Also
erfordert die Herstellung von Sichtbarkeit eine „Anpassungsleistung“ (Mesquita
2011, S. 14) an bestehende Normen, um in ein bestehendes Privilegiensystem
eingeschlossen zu werden – das aber immer noch viele_s ausschließt. Eden Osucha
beispielsweise kritisiert die TV-Serie The L Word und deren entpolitisierende narra-
tive Gesten dafür, dass in ihr Weißsein nicht nur als Norm, sondern als konstitutive
Grundlage fungiert, um von lesbischen Lebensformen zu erzählen (Osucha 2009).
Als limitierend kritisiert wird auch die binäre, d. h. Entweder-oder-Anordnung
von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Sichtbarkeit ist darin meist der positiv bewer-
tete Term, wobei in den 2000er-Jahren auch das Konzept der Unsichtbarkeit positive
Besetzung erfährt, in einer leichten Verschiebung als Unwahrnehmbarkeit beispiels-
weise bei den Theoretiker*innen, die aus der Perspektive der Autonomie der
Migration (z. B. Papadopoulos et al. 2008) argumentieren. Was so der Aufmerk-
164 J. Schaffer

samkeit entgeht, ist, wie sich Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit gegenseitig modulie-
ren und neue Sichtbarkeiten alte Sichtbarkeiten verdrängen. Die gegenwärtige
Aufmerksamkeit der Unterhaltungsindustrie für Transpersonen suggeriert beispiels-
weise, Transsubjektivitäten gäbe es erst jetzt, und verdrängt ältere Weisen Trans zu
sein ebenso wie andere nicht-konforme Geschlechterpraktiken (zu deren Geschichte
Baumgartinger 2017 und Guggenheimer et al. 2013).
Eindrücklich sind auch die Kritiken einer affirmativen Verwendung von Sicht-
barkeit, die darauf hinweisen, dass Hypervisibilität als exzessive Ausgesetztheit an
die Blicke anderer eine Gewaltdimension benennt. Kobena Mercer beispielsweise
zeigt auf, wie „Hyperblackness“ in der Medien- und Unterhaltungsindustrie als
„neues Regime multikultureller Normalisierung“ (Mercer 2016, S. 196) dazu dient,
durch Klassismus gezogene Differenzen zu verdecken. Und schließlich ist mit
Unsichtbarkeit auch keineswegs generell ein Status der Machtlosigkeit verbunden,
ganz im Gegenteil definiert sich die Wirkmacht gesellschaftlicher Normen gerade
über ihre Unsichtbarkeit.

2.2 Materialität/Medialität der Sichtbarkeit

Als Topos, also als gängige Figur eingesetzt, impliziert Sichtbarkeit ebenso wie
Unsichtbarkeit nahezu immer die Naturalisierung ihrer Herstellung, und das heißt
auch die Unbedachtheit ihrer medial/materiell bedingten Herstellungsprozesse, denn
„Sichtbarkeit ist eben nicht Transparenz, sondern ein Anspruch, den es sorgfältig zu
untersuchen gilt“ (Treichler et al. 1998, S. 3). Eine prominente Beschreibung der
medial-materiellen Bedingtheit von Sichtbarkeit findet sich in der Auseinanderset-
zung zu „Perspektive als symbolische Form“ – so der Titel des Aufsatzes, den der
Kunsthistoriker Erwin Panofsky 1927 veröffentlicht. Darin deutet er die weitrei-
chenden epistemologischen Konsequenzen der Zentralperspektive als „Darstel-
lungsdispositiv“ an (Damisch 2010, S. 11), das die westliche Welt bis jetzt bestimmt.
In der Vorstellung eines geometrisch vereinheitlichten Raumes und eines einäugigen
Blicks gründend, begleitet die Etablierung der Zentralperspektive „nicht zufällig“
Beginn und Aufstieg der „modernen Anthropokratie“ (Panofsky 1998 [1927],
S. 756), also der humanistisch-neuzeitlichen Vorstellung der Zentralität und der
Herrschaft des Menschen über sich selbst. Drei fundamentale Achsen der Kritik an
dieser Konzeption des souveränen Subjekts bilden sich in der zweiten Hälfte des
zwanzigsten Jahrhunderts heraus: die psychoanalytische, die marxistische und die
feministische. Alle drei operationalisieren die medientheoretische Frage der Zen-
tralperspektive als ideologische Form. Psychoanalytisch dekonstruiert Jacques La-
can, ansetzend an der ideologischen Geometrie der Zentralperspektive, das ihr
implizite cartesianische Subjekt als Illusion, wenn auch als notwendige, und stellt
dieser Subjektillusion das durch Begehren und Unbewusstes dezentrierte und
gespaltene Subjekt entgegen (Lacan 1986 [1949]). Feministische filmtheoretische
Arbeiten und die marxistischen Apparatustheorien der 1960er- und 1970er-Jahre
knüpfen hier an. Sie weisen auf die Strukturgleichheit von Kamera bzw. kinemato-
grafischem Apparat und Zentralperspektive hin, die beide das blickende Subjekt am
Sichtbarkeit. Epistemologie und Politik eines Schlüsselbegriffs . . . 165

Ursprung der Bedeutungsproduktion positionieren (Baudry 1993 [1970]; Comolli


2003 [1980]); für feministische Kritik und Weiterentwicklung vgl. Rose 1996
[1986]; Hentschel 2001). Besonders die Apparatustheorie arbeitete heraus, dass
die Analogie des kinematischen Apparates (Betrachter_in, Projektor, Leinwand)
mit dem zentralperspektivischen Darstellungsmodus wesentliche ideologische
Effekte hat. Sie begünstigt die Vorstellung des menschlichen Subjekts als Zentrum
und Ursprung jeglicher Bedeutung, sich selbst und seiner Handlungen vollständig
bewusst. Die feministischen Kritiken betonen, dass dieses Subjekt allerdings nicht
einfach menschlich ist, sondern in mehrfacher Entsprechung normativer Vorgaben,
männlich, bürgerlich und individualistisch (Iversen 2005, S. 194).
Ein zweites einflussreiches Beispiel der Diskussionen zur Materialität des Feldes
der Sichtbarkeit stellen film- und fototheoretische Arbeiten vor allem der 1990er-
Jahre dar, die beschreiben, dass und wie Rassismus und Antisemitismus zutiefst
eingelassen sind in visuelle Medien, Apparaturen und Blickverhältnisse (z. B. hooks
1994 [1992]; Dyer 1997). Rassismus und Antisemitismus sind zu wesentlichen
Teilen visuelle Ideologien. Sie bedürfen des visuellen Feldes, um gesellschaftlich
hergestellte rassistische Unterscheidungen als körperlich sichtbare Evidenzen zu
behaupten. Rassismus als Konzeption der Vormachtstellung gründet auf der Fest-
stellung biologischer Unterschiede, die als visuell evidente begründet werden, auch
wenn diese Begründung unsicher und trügerisch bleibt. „Gesellschaftlicher Wert,
verwandelt in Wahrnehmung“ nennt Matthew F. Jacobson diesen komplexen Pro-
zess, den er in der US-amerikanischen Medienkultur des 19. und 20. Jahrhunderts
nachzeichnet, die Jüd*innen sowohl als weiß konstruiert wie auch als Andere
markiert. Er erinnert auch an die Geschichte der Visibilisierung irischer Menschen,
die in englischsprachigen Zusammenhängen während des 19. Jahrhunderts als
Schwarz markiert wurden (Jacobson 2000 [1998]). Ableiten lässt sich aus der
Geschichte des visuellen Lexikons des Rassismus und des Antisemitismus, dass
dieses Lexikon gelernt werden muss und historischen Veränderungen unterliegt. Das
heißt auch, dass es veränderbar ist.

3 Sichtbarkeit, digitalisierte Medienrealitäten

In den kritischen Auseinandersetzungen zu digitalisierten Medienrealitäten und


vernetzten digitalen Kommunikationstechnologien ist Sichtbarkeit wesentlich stär-
ker mit Ambivalenz aufgeladen als in den Zusammenhängen politischer Rhetoriken,
und es treten andere begriffliche Verknüpfungen in den Vordergrund. Sichtbarkeit
lagert direkt neben dem Begriff der Überwachung.

3.1 Transparenz als ästhetisches Ideal und als kompensatorische


Geste

Eng ist in diesem Diskussionsraum rund um Sichtbarkeit und Überwachung die


Verbindung mit der Metapher der Transparenz. Diese wiederum bezeichnet ein
166 J. Schaffer

ästhetisch-kulturell-politisches Ideal des Westens und ist, darauf weist Samuel


Weber (in Phillips 2011) hin, ein christlich-religiöses Erbe. In einer umfassenden
filmwissenschaftlichen Arbeit zu Weißsein als ästhetischer Norm des Westens/glo-
balen Nordens zeigt Richard Dyer, wie profund die darin herrschenden Darstel-
lungskonventionen und ästhetischen Standards mit der Qualität der Transparenz, mit
heller, lichter Durchsichtigkeit verbunden sind. Gestützt werden diese ästhetischen
und epistemologischen Standards durch Medien und Technologien, die auf Licht
basieren (Dyer 1997). Dyer diskutiert Film und Fotografie, aber zweifelsohne
beerben Monitore und Screens diese Repräsentationstradition nicht nur, sie treiben
sie weiter. Zudem haftet ihnen Transparenz als charakteristische Qualität speziell gut
an, und also gelingt es in digitalen Medienrealitäten besonders, ihre Materialität und
damit ihre Gemachtheit zu verleugnen. Damit aber „aus Computern Transparenzma-
schinen werden, muss die Tatsache, dass sie rechnen – dass sie Text und Bilder
generieren und nicht bloß repräsentieren oder reproduzieren, was andernorts exis-
tiert – vergessen werden“ (Chun 2016, S. 279). Immer wieder halten Kritiker*innen
fest, dass der Vorstellung der Transparenz, ebenso wie der der Sichtbarmachung,
„eine fetischistische Struktur engeschrieben ist“ (Hentschel 2001, S. 70). Denn „sie
lenkt von den Grenzen des Repräsentationssystems ab, in dem sie an die Stelle eines
Mangels an Darstellbarkeit das Ideal einer Fülle an maximaler Sichtbarkeit setzt“
(Hentschel 2001, S. 70). Ähnlich beschreibt Wendy Hui Kyong Chun die immense
Bedeutung, die Transparenz gegenwärtig sowohl im Zusammenhang mit Produkt-
design wie auch in politischen und wissenschaftlichen Diskursen besitzt, als „kom-
pensatorische Geste“. Denn in Zeiten, da „unsere Maschinen mehr und mehr ohne
uns lesen und schreiben, während unsere Maschinen immer unlesbarer werden,
sodass Sehen nicht länger Wissen garantiert (falls es das jemals getan hat)“ (Chun
2016, S. 279), suggeriert die Ästhetik der Transparenz: Durchblick.

3.2 Performativität der Überwachung

Im Kontext digitaler und vernetzter Kommunikationsrealitäten knüpfen sich an die


Begriffe Sichtbarkeit und Überwachung primär Diskussionen zu Schutz der und
Recht auf Privatheit. Besonders im Kontext der Diskussionen zu Überwachung sind
aber sowohl der Begriff der Sichtbarkeit wie auch die Diskussionen zu Privatheit nur
bedingt hilfreich, wenn es darum geht, kritisch herrschende Verhältnisse und die in
ihnen angelegten Entwicklungen zu problematisieren. Denn auch hier lenkt die
Metapher der Sichtbarkeit ab von der Performativität, d. h. aktiven Produktivität
ihrer Bedingungen. Denn unbeachtet bleibt, dass Überwachung nicht passive Beob-
achtung, sondern aktive Produktion von Kategorien, Erzählungen und Normen ist
(Cohen 2008, S. 181). Überwachungstechnologien und Sicherheitsrhetoriken sind
daran beteiligt, Vorstellungen normativ vergeschlechtlichter und rassialisierter Kör-
per und Verhaltensweisen zu re/produzieren. Damit bedeutet mehr Sicherheit erhöh-
te Unsicherheit für all jene, die impliziten Normen von weiß-heteronormativ-gesund
Sichtbarkeit. Epistemologie und Politik eines Schlüsselbegriffs . . . 167

nicht entsprechen (Baumgartinger 2017, S. 77). Die vom U.S. Department of


Homeland Security ausgegebene Warnung, dass „männliche Bombenleger sich als
Frauen verkleiden, um genauerer Kontrolle zu entgehen“ (zit. nach Beauchamp
2009, S. 356) verdeutlicht zum Beispiel, wie staatlich forcierte Überwachungs-
und Sicherheitspolitiken zutiefst mit der Aufrechterhaltung und Durchsetzung nor-
mativ vergeschlechtlichter Körper und Verhaltensweisen verbunden sind. Und die
Forderung nach Schutz von Privatheit erweist sich sichtlich als unbrauchbar, um der
Normalisierung der Überwachung und Kontrolle von Räumen, Bewegungen und
Verhaltensweisen effektiv entgegenzutreten.
Wie wenig sich die Kategorie der Privatheit eignet, um digital gestützte Herr-
schaftsverhältnisse zu kritisieren, zeigt sich auch, folgt man dem, was Medien-
theoretiker*innen mit „algorithmischer Gouvernementalität“ (Rouvroy und Berns
2013) als zeitgenössische digital basierte Regierungsform beschreiben. Algorith-
misch basiertes Lenken oder Regieren kommt aus den Feldern des Marketing und
der Sicherheitspolitiken, fokussiert Relationen und Massen und nicht Individuen,
basiert auf statistischer Quantifizierung, Analyse und Korrelation und ist präemptiv,
d. h. entwirft in die Zukunft. Abweichendes Verhalten und Ungehorsam wird nicht
durch direkte Zwangsausübung verhindert, sondern durch die Vorwegnahme von
Entscheidungsmöglichkeiten (Rouvroy und Berns 2013), o. S. [S. 2 und 7]). Wenn
zudem Militär und andere staatliche und private Sicherheitsinstanzen dabei sind, ein
Regime technologisch verstärkter Identifikationstechniken, das auf Maschinenler-
nen, Wissenserkundung in Datenbasen, Datenabbau und Social-Media-Intelligenz
beruht (Suchman et al. 2017), immer umfassender durchzusetzen, dann lässt sich
umso emphatischer behaupten: Sichtbarkeit ist Identifizierbarkeit ist Effekt von
Identifikationstechnologien. Also ist im Zusammenhang digitaler Realität der Schutz
ohnehin unmöglicher „Privatheitsblasen“ (Chun und Friedland 2015, S. 4) nicht
unbedingt der geeignetste Weg, vernetzte kritisch-politische Handlungsfähigkeit zu
stärken, schreiben die Medientheoretikerinnen und -praktikerinnen Wendy Hui
Kyong Chun und Sarah Friedlander. „Wichtiger sei, rechtlich und praktisch die
Möglichkeiten zu erweitern, dass wir öffentlich Risiken eingehen können, ohne
dafür attackiert zu werden“ (Chun und Friedland 2015, S. 4).
Gleichzeitig stellt nicht Privatheit, aber Anonymität als gewählte oder gezielt
hergestellte Unsichtbarkeit gerade für Netzaktivist*innen eine notwendige Taktik
dar, so betont die Künstlerin und Coderin Isabel Paehr. Teil der Praktiken von
Netzaktivist*innen und aktivistischen Coder*innen ist neben der Arbeit an Code
im übrigen auch die Arbeit an Metaphern. Denn „das ‚Auge‘ und die ‚Kamera‘ sind
mit den Überwacher*innen verknüpft“ (Paehr 2018), und so adressiere der von Open
Whisper Systems erfundene Messenger Signal eben Sprechen und Hören; abgesehen
davon, dass sein Protokoll open-source ist, sein Code also offengelegt wird, und
Nachrichten von User*innen Ende-zu-Ende verschlüsselt sind – im Gegensatz zu der
Verborgenheit der Codes in den Apparaturen der Überwacher*innen, die dann
kompensatorisch auf der Ebene des Designs mit Transparenz als Fetisch und Illusion
verkleidet werden.
168 J. Schaffer

4 Fazit

Mit ‚Sichtbarkeit‘ kann man zwar schnell zur Thematisierung von Herrschaftsver-
hältnissen gelangen, für die Kritik an Effekten von Normen und Prozeduren der
Normalisierung eignet der Begriff sich in seiner bisherigen Ausarbeitung allerdings
wenig. Das ist freilich ein Problem, wenn Rouvroy und Berns Recht haben mit ihrer
Diagnose, dass algorithmische Gouvernementalität fundamentale Konsequenzen
dafür hat, wie Normen entstehen und wie sie Gehorsam hervorrufen (Rouvroy und
Berns 2013, o. S.). Mitbedacht werden sollte zudem, dass Sichtbarkeiten immer auch
ein Effekt von Identifikationstechnologien sind und diese in zunehmend militarisier-
ten Zeiten mit immer umfassenderen Gewaltprozessen in Verbindung stehen.
Ein Vorschlag zum Abschluss wäre, komplexen Situationen mit der Erweiterung
eines kritikfähigen Vokabulars zu begegnen. Statt ‚Sichtbarkeit‘ ließe sich zum
Beispiel der Begriff ‚Exposure‘ weiter verfolgen, der zwar in seiner deutschen
Übersetzung mit ‚Exponiertheit‘ den Verweis auf den fotografischen Belichtungs-
prozess verliert; mit dem sich aber, auch um den überbordenden Rhetoriken der
Privatheit entgegenzutreten, auf Hanna Arendts oben angeführtes Öffentlichkeits-
konzept und ihre Metapher „des blendend unerbitterlichen Lichts“ zurück kommen
lässt, das eine entschieden andere Charakteristik aufweist als das Transparenz-Licht.
Lohnend scheint mir auch der begriffliche Vorschlag, die Forderung nach Transpa-
renz durch das Konzept der Permeabilität zu ersetzen, denn Permeabilität ist ent-
schieden materiell konnotiert (vgl. Paehr et al. 2017). Drittens bleibt spannend,
denjenigen medientheoretischen Überlegungen zu folgen, die digitale Praktiken
aus transgeschlechtlicher, antirassistischer und PoC-Perspektive beschreiben. Denn
hier werden provozierende und auf Zukunft ausgerichtete Metaphern entworfen, die
die gesellschaftlichen Gewaltpraktiken des militarisiert-neoliberalen Kapitalismus
mit „Sichtbarkeitsmodulationen auf der Grundlage mutierbarer, flackernder Signifi-
kanten“ (Cárdenas 2015) aus der Perspektive der Überlebensnotwendigkeit kurz-
schließen.

Literatur
Appel, Christa, Ute Eberlein, Ulrike Müller, Annedore Prengel, Pia Schmid, Brigitte Schultz, Gisela
Sitalis, und Corinna Willfuhr. Hrsg. 1985. „Frauenforschung sichtbar machen“: Dokumentation
zur Frauenwoche Universität Frankfurt. Fachbereich Erziehungswissenschaften. Frankfurt
a. M.: Frauenliteraturvertrieb.
Arendt, Hannah. 2002 [1972]. Vita Activa oder Vom tätigen Leben. München/Zürich: Piper.
Baudry, Jean-Louis. 1993 [1979]. Ideologische Effekte erzeugt vom Basisapparat. Übers. Gloria
Custanze und Siegfried Zielinski. Eikon. Internationale Zeitschrift für Fotografie und Medien-
kunst 5:34–43.
Baumgartinger, Persson. 2017. Trans Studies. Historische, begriffliche und aktivistische Aspekte.
Wien: Zaglossus.
Beauchamp, Toby. 2009. Artful concealment and strategic visibility: Transgender bodies and
U.S. state surveillance after 9/11. Surveillance and Society 6(4): 356–366.
Butler, Judith. 2015. Notes toward a performative theory of assembly. Cambridge, MA/London:
Harvard University Press.
Sichtbarkeit. Epistemologie und Politik eines Schlüsselbegriffs . . . 169

Cárdenas, Micha. 2015. Shifting futures: Digital trans of color praxis. Ada: A Journal of Gender,
New Media, and Technology 6. https://doi.org/10.7264/N3WH2N8D. Zugegriffen am
02.01.2018.
Chun, Wendy Hui Kyong. 2016 [2004]. Über Software oder: Die Beharrlichkeit visuellen Wissens.
Übers. Katarina Maly und Susanne Kimm. In Gender & Medien-Reader, Hrsg. Kathrin Peters
und Andrea Seier, 279–302. Zürich/Berlin: diaphanes.
Chun, Wendy Hui Kyong, und Sarah Friedland. 2015. Habits of leaking: Of sluts and network
cards. Differences: A Journal of Feminist Cultural Studies 26(2): 1–28.
Cohen, Julie. 2008. Privacy, Visibility, transparency, and exposure. Georgetown public law and
legal theory research paper no. 1012068. http://scholarship.law.georgetown.edu/facpub/805.
Zugegriffen am 02.01.2018.
Comolli, Jean-Louis. 2003 [1980]. Maschinen des Sichtbaren. Übers. Christoph Wieland, Guntram
Geser und Robert F. Riesinger. In Der kinematografische Apparat. Geschichte und Gegenwart
einer interdisziplinären Debatte, Hrsg. Robert Riesinger, 63–81. Münster: Nodus Publikatio-
nen.
Damisch, Hubert. 2010 [1987]. Der Ursprung der Perspektive. Übers, Hrsg. Heinz Jatho. Berlin/
Zürich: diaphanes.
Dyer, Richard. 1997. White. London/New York: Routledge.
Foster, Hal, Hrsg. 1988. Vision and viusuality. Dia Art Foundation New York. New York: The New
Press.
Grovogui, Siba N’Zatioula. 2016 [2006]. Geist, Körper und Mut. Elemente eines postkolonialen
Menschenrechtsdiskurses. Übers. Franziska Müller. In Postkoloniale Politikwissenschaft. Theo-
retische und empirische Zugänge, Hrsg. Aram Ziai, 49–70. Bielefeld: transcript.
Guggenheimer, Jacob, Utta Isop, Doris Leibetseder, und Kirstin Mertlitsch, Hrsg. 2013. „When we
were gender ...“ – Geschlechter erinnern und vergessen. Analysen von Geschlecht und Ge-
dächtnis in den Gender Studies, Queer-Theorien und feministischen Politiken. Bielefeld: tran-
script.
Hentschel, Linda. 2001. Pornotopische Techniken des Betrachtens. Raumwahrnehmung und
Geschlechterordnung in visuellen Apparaten der Moderne. Marburg: Jonas Verlag.
Hoenes, Josch. 2014. Nicht Frosch – nicht Laborratte: Transmännlichkeiten im Bild. Eine kunst-
und kulturwissenschaftliche Analyse visueller Politiken. Bielefeld: transcript.
Holert, Tom, Hrsg. 2000. Imagineering: visuelle Kultur und Politik der Sichtbarkeit. Köln: Okta-
gon.
hooks, bell. 1994 [1992]. Der oppositionelle Blick. Schwarze Frauen als Zuschauerinnen. Übers.
Karin Meissenburg. In Black Looks. Popkultur, Medien, Rassismus, Hrsg. Bell hooks, 145–165.
Berlin: Orlanda Frauenverlag.
Iversen, Margaret. 2005. The discourse of perspective in the twentieth century: Panofsky, Damisch,
Lacan. Oxford Art Journal 28(2): 191–202.
Jacobson, Matthew F. 2000 [1998]. Looking jewish, seeing jews. In Theories of race and racism. A
reader, Hrsg. Les Back und John Solomos, 238–252. London/New York: Routledge.
Kravagna, Christian, Hrsg. 1997. Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur. Berlin: Edition ID-
Archiv.
Lacan, Jaques. 1986 [1949]. „Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion“. Übers. Peter
Stehlin. In Jacques Lacan. Schriften I, Hrsg. Norbert Haas, 61–70. Weinheim/Berlin: Quadriga.
Mercer, Kobena. 2016. Travel & see. Black diaspora art practices since the 1980s. Durham: Duke
University Press.
Mesquita, Sushila. 2011. Ban Marriage. Ambivalenzen der Normalisierung aus queer-
feministischer Perspektive. Wien: Zaglossus.
Mirzoeff, Nicholas. 2016. How to see the world: An introduction to images, from self-portraits to
selfies, maps to movies, and more. New York: Basic Books.
Namaste, Vivian. 2000. Invivisble lives. The erasure of transsexual and transgendered people.
Chicago: University of Chicago Press.
Osucha, Eden. 2009. Fear of a pale ‚planet‘: whiteness on the L Word. in media res. a media commons
project. http://mediacommons.org/imr/2009/09/24/fear-pale-planet-whiteness-l-word. Zugegrif-
fen am 02.01.2018.
170 J. Schaffer

Paehr, Isabel. 2018. Arbeit an widerständigen Metaphern und an Code. http://isabelpaehr.com/


texts/widerstaendische-metaphern-und-code. Zugegriffen am 24.02.2018.
Paehr, Isabel, Mike Huntemann, und Jörn Röder. 2017. Invisible machines. In Privacy Arena.
Kontroversen um Privatheit im digitalen Zeitalter, Hrsg. Joel Baumann und Jörn Lamla, 28–41.
Kassel: Kassel University Press.
Panofsky, Erwin. 1998 [1927|. Die Perspektive als symbolische Form. In Erwin Panofsky. Deutsch-
sprachige Aufsätze II, Hrsg. Karen Michels und Martin Warnke, 664–757. Berlin: Akademie
Verlag.
Papadopoulos, Dimitris, Niamh Stephenson, und Vassilis Tsianos. 2008. Escape routes. Control
and subervsion in the 21st century. London/Ann Arbor: Pluto Press.
Phelan, Peggy. 1993. Unmarked. The politics of performance. London/New York: Routledge.
Phillips, John W. P. 2011. Secrecy and transparency. An interview with Samuel Weber. Theory,
Culture and Society 28(7): 158–172.
Rose, Jacqueline. 1996 [1986]. Sexualität im Feld der Anschauung. Übers. Catherina Zakravsky.
Wien: Turia + Kant.
Rouvroy, Antoinette, und Thomas Berns. 2013. Algorithmic governmentality and prospects of
emancipation. Disparateness as a precondition for individuation through relationships? Übers.
Elizabeth Libbrecht. https://www.academia.edu/27829161. Zugegriffen am 02.01.2018.
Schade, Sigrid, und Silke Wenk. 2012. Studien zur visuellen Kultur. Einführung in ein transdiszi-
plinäres Forschungsfeld. Bielefeld: transcript.
Schaffer, Johanna. 2008. Ambivalenzen der Sichtbarkeit. Über die visuellen Strukturen der Aner-
kennung. Bielefeld: transcript.
Schleusener-Eichholz, Gudrun. 2007. Sehen. In Wörterbuch der philosophischen Metaphern, Hrsg.
Ralf Konersmann, 368–375. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Suchman, Lucy, Karolina Follis, und Jutta Weber. 2017. Tracking and targeting: Sociotechnologies
of (in)security. Science, Technology, and Human Values 42(6): 1–20.
Treichler, Paula A., Lisa Cartwright, Constance Penley. 1998. The visible woman. Imaging tech-
nologies, gender, and science. New York, London: New York University Press.
Thomas, Tanja, Lina Brink, Elke Grittmann, Tanja Thomas, und Kaya de Wolff, Hrsg. 2017.
Anerkennung und Sichtbarkeit. Perspektiven für eine kritische Medienkulturforschung. Biele-
feld: transcript.
Tyler, Stephen. 1984. The vision quest in the west, or what the mind’s eye sees. Journal of
Anthropological Research 40(1): 23–40.
Unterweger, Claudia. 2016. Talking Back. Strategien Schwarzer österreichischer Geschichtsschrei-
bung. Wien: Zaglossus.
Teil II
Epistemologie, Methodologie und Methoden
Feministische Erkenntnis- und
Wissenschaftstheorie

Kirstin Mertlitsch

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
2 Situiertes Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
3 Feministische Standpunkttheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
4 Feministischer Empirismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
5 De/konstruktivistische und postmoderne Epistemologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
6 Postkoloniale, dekoloniale und intersektionale Epistemologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
7 Ausblick: Posthumanismus und New Materialism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
8 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

Zusammenfassung
Ausgangspunkt feministischer Erkenntnis- und Wissenschaftstheorien ist die
Kritik am Androzentrismus und Sexismus in den Wissenschaften, so auch in
der Medien- und Kommunikationswissenschaft. Grundlegende Begriffe sind
dabei feministische Epistemologien, die wissenschaftsgeschichtliche und wissen-
schaftssoziologische Aspekte miteinschließen, sowie situiertes Wissen, das den
jeweiligen Standpunkt der Forschenden berücksichtigt. Konzepte der feministi-
schen Standpunkttheorien, des feministischen Empirismus und Zugänge de/kon-
struktivistischer und de- bzw. postkolonialer Epistemologien, ebenso wie aktuelle
epistemologische Ansätze zu Diversität, Intersektionalität, Posthumanismus und
New Materialism sind die zentralen Diskurse der feministischen Erkenntnis-
theorie, die auch immer Fragen der Objektivität implizieren.

K. Mertlitsch (*)
Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich
E-Mail: Kirstin.Mertlitsch@aau.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 173
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_12
174 K. Mertlitsch

Schlüsselwörter
Feministische Erkenntnistheorie · Feministische Wissenschaftstheorie ·
Feministische Epistemologie · Situiertes Wissen · Feministische
Standpunkttheorien

1 Einleitung

Eine zentrale Frage der feministischen Erkenntnistheorien wurde von Lorraine Code
am Beginn der 1980er-Jahre in ihrem gleichnamigen Beitrag gestellt: „Is the sex of
the knower epistemologically significant?“ (Code 1981, S. 267–276). Code fragt, ob
das Geschlecht der/des Wissenden (Forschenden) erkenntnistheoretisch relevant ist.
Damit nimmt sie eine neue Perspektive in der Debatte zu klassischen Erkenntnis-
theorien ein. Denn erkenntnistheoretische Fragen werden meist folgendermaßen
formuliert: Was kann ich wissen? Was heißt Erkenntnis? Was ist das Subjekt und
das Objekt von Erkenntnis? Und unter welchen Bedingungen ist Erkenntnis mög-
lich? Ausgangspunkt der feministischen Kritik an klassischen erkenntnistheoreti-
schen Positionen ist, dass das Subjekt der Erkenntnis nicht neutral und unabhängig
von sozialen und politischen Positionen betrachtet werden kann. Feministische
Theoretiker_innen monieren seit den 1980er-Jahren v. a. in europäischen und anglo-
amerikanischen Kontexten die Geschlechtsblindheit und Abwertung von „weibli-
chen Denkpositionen“ innerhalb der Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften
(Alcoff und Potter 1993; Ernst 1999; Harding 1990, 1991; Hartsock 1983; Nagel-
Docekal 2008; Singer 2005).
Der Begriff Feministische Epistemologie, der von feministischen Theoretiker_in-
nen oft synonym mit feministischer Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie verwen-
det wird, lässt sich folgendermaßen ableiten: Erkenntnistheorie versteht sich als „die
Wissenschaft vom Wesen und den Prinzipien der Erkenntnis vom [...] Ursprung, den
Quellen, Bedingungen und Voraussetzungen, vom Umfang, von den Grenzen der
Erkenntnis“ (Gethmann 1972, S. 683). Wissenschaftstheorie (Epistemologie) befasst
sich hingegen mit den theoretischen Reflexionen, Grundlagen und Methoden der
Wissenschaft im Allgemeinen, d. h., sie befasst sich damit, wie wissenschaftliches
Wissen erzeugt wird (Felt et al. 1995, S. 19; Pulte 2004, S. 982). In der deutsch-
sprachigen Forschung werden die Begriffe Erkenntnistheorie und Epistemologie
meist synonym verwendet. Aber genau genommen ist der Begriff Epistemologie
weit umfassender, weil er erkenntnistheoretische Fragen impliziert und über diese
hinausgeht. Denn Epistemologie beinhaltet auch wissenschaftsgeschichtliche und
wissenschaftssoziologische Auseinandersetzungen, die die Denk- und Machtver-
hältnisse bei der Produktion von wissenschaftlichem Wissen thematisieren (Singer
2005, S. 27–28).
Die Perspektive auf Geschlecht ermöglicht es feministischen Wissenschaftstheo-
retiker_innen, die vermeintlich neutrale männliche Position innerhalb der wissen-
schaftlichen Diskurse als androzentrischen Blickwinkel aufzudecken und die
Abwertung von weiblichen Denk- und Erfahrungshorizonten als sexistisch zu ana-
Feministische Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie 175

lysieren (Singer 2008, S. 285). Feministische Epistemologien, schreibt Waltraud


Ernst, haben gezeigt, dass „wissenschaftliche Erkenntnisse gerade nicht frei sind von
verschiedenen sozialen Positionen, politischen Perspektiven und partikularen Ein-
sichten, sondern androzentrische, sexistische oder patriarchale Konstruktionen von
Wirklichkeit als allgemeingültige Erkenntnis darstellen“ (Ernst 1999, S. 251). Femi-
nistische Epistemologie kritisiert damit grundlegend eine erkenntnistheoretische
Position, die vorgibt „objektiv“ und unabhängig von Körperlichkeit, Geschichtlich-
keit und Macht- und Herrschaftsverhältnissen zu sein (Singer 2008, S. 285).
In der kommunikationswissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterforschung,
die mit den 1970er-Jahren ihre Arbeit aufnimmt, geht es darum, Lücken und
Leerstellen der bisherigen Forschung aufzuzeigen und das Gendering in Medienin-
stitutionen und im Forschungsbereich der Kommunikations- und Medienwissen-
schaften zu analysieren (Angerer und Dorer 1994, S. 10; Wischermann 2018, S. 17).
Ziel der feministischen Medien- und Kommunikationswissenschaften ist es, den
gesamten Medienprozess von der Produktion über Medieninhalte und Medienrezep-
tion in Hinblick auf geschlechterdifferenzierende Strukturen und die Prozessse des
Doing Gender zu untersuchen sowie Basiskategorien der kommunikationswissen-
schaftlichen Mainstreamforschung, etwa Begriffe und Dualismen wie Öffentlichkeit
und Privatheit, Information und Unterhaltung, zu dekonstruieren, um so neue Sicht-
weisen zu eröffnen. Der feministische Ansatz erweist sich dabei als Prozess der
Entgrenzung, der immer auch alternative Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit
Medien impliziert und der Medienkritik und Wissenschaftskritik als Gesellschafts-
kritik versteht (Dorer und Klaus 2008, S. 93, S. 107–108; Thomas 2013).

2 Situiertes Wissen

Gemeinsam ist den verschiedenen Ansätzen der feministischen Epistemologien,


dass sie von einem Konzept des Situierten Wissens (situated knowledges) ausgehen
(Anderson 2017; Singer 2008, S. 286; Dorer und Klaus 2008, S. 99–100). Dem
epistemologischen Konzept liegt die Annahme zugrunde, dass wissenschaftliches
Wissen situiert und kontextabhängig ist, weil Wissenssubjekte historisch, sozial,
ökonomisch und kulturell verortet sind. Die These der Situiertheit des Wissens
wurde von Donna Haraway und Sandra Harding in die feministischen Debatten
eingeführt. Sie kritisieren damit die traditionellen Erkenntnis- und Wissenschaftstheo-
rien, die einen vermeintlich objektiven und abstrahierten Forschungsstandpunkt „view-
from-nowhere“ annehmen (Haraway 1995, S. 73–97; Harding 1991, S. 138–163). Dem
Konzept des Situierten Wissens nach sind Forschungsperspektiven plural, partial,
begrenzt und die Herstellung von Wissen oft androzentrisch und heteronormativ ge-
prägt. Nach Mona Singer kann mit Hilfe des Konzepts des Situierten Wissens veran-
schaulicht werden, dass wir von bestimmten gesellschaftlichen Positionen, aus einer
bestimmten Geschichte heraus, aus spezifischen Erfahrungen und aus bestimmten
kulturellen Werten und Normen sprechen. Wissenssubjekte seien weiters von spezifi-
schen Denksozialisationen, von Interessen und Weltbildern und einer körperlichen
Verfasstheit, durch materielle Bedingungen und soziale und natürliche Umwelten beein-
176 K. Mertlitsch

flusst (Singer 2008, S. 286). Donna Haraway spricht von einer Vielzahl partialen,
verortbaren, kritischen Wissens, das mehr Objektivität und durch Positionierung mehr
Verantwortung verspricht (Haraway 1995, S. 82). Sie stellt in ihrem Beitrag „Situiertes
Wissen“ (1995) Fragen dazu, wie wir erkennen bzw. sehen können:

„Wie können wir sehen? Von wo aus können wir sehen? Welche Grenzen hat die Sicht?
Wofür sollen wir sehen? Mit wem kann man sehen? Wer hat mehr als einen Standpunkt?
Wer wird borniert? Wer trägt Scheuklappen? Wer interpretiert das visuelle Feld? Welche
anderen sensorischen Fähigkeiten wollen wir neben der Vision kultivieren?“ (Haraway
1995, S. 87)

Für Haraway bedeutet feministische Objektivität daher situiertes Wissen. Diese


These wirft für Vertreter_innen unterschiedlicher feministischer Epistemologien die
Frage auf, in welcher Weise situiertes und verortbares Wissen überhaupt objektiv
und verallgemeinerbar sein kann.

3 Feministische Standpunkttheorien

Das bedeutendste feministisch-epistemologische Konzept ist die feministische


Standpunkttheorie (Ernst 1999, S. 66; Singer 2008, S. 287–288). Dieser Ansatz geht
davon aus, dass die Erfahrung von Frauen eine objektivere Sicht in wissenschaftli-
chen Forschungen gewährleistet und damit auch der Realität adäquatere Forschungs-
aussagen und -ergebnisse hervorbringt als traditionelle Wissenschaften. Nancy Hart-
sock, die bekannteste Vertreterin der feministischen Standpunkttheorie, leitet ihr
Konzept von der marxistischen Theorie und dem von Marx begründeten historischen
Materialismus ab. Dieser geht davon aus (und in seiner Weiterführung insbesondere
auch Lukács), dass der Blickwinkel auf die Welt und die darin relevanten Probleme
von den faktischen Lebensumständen der betroffenen Menschen bestimmt wird. Im
Falle der Arbeiter_innen ist das u. a. deren existenzielle Abhängigkeit vom Verkauf
ihrer Arbeitskraft sowie der Arbeitsbedingungen, denen sie ausgesetzt sind. In eben
dieser Weise wird auch das feministische Bewusstsein von Frauen hauptsächlich
durch den ihnen zugewiesenen Platz in der Gesellschaft und die geschlechtssegre-
gierte Arbeit, also von Reproduktionsarbeit bestimmt. Der proletarische Standpunkt
und auch der feministische Standpunkt, der die Position der Unterprivilegierten
einnimmt, kann, so Hartsock, die gesellschaftlichen Verhältnisse besser beschreiben
und verändern (Hartsock 1983, 1987, S. 167). Bei den Erfahrungen und Lebensum-
ständen von Frauen anzuknüpfen – „starting off research from women’s lives“ –, ist
nach Sandra Harding (1991, S. 48) daher die beste Methode, um eine objektivere
Sichtweise auf gesellschaftliche Probleme zu erlangen. Harding zufolge setzen daher
feministische Erkenntnistheorien Erkennen und Sein in Beziehung und stellen damit
eine Alternative zu jenen Erkenntnistheorien dar, die die hegemonialen Wissen-
schaften rechtfertigen (Harding 1990, S. 21). Die feministische Standpunkttheorie
wurde jedoch durch postmoderne, queere und post- und dekoloniale Ansätze als zu
Feministische Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie 177

generalisierend, weil auf eine weibliche, westliche, universale Position der Unter-
drückungs- und Lebenserfahrung reduziert, kritisiert (Alcoff und Potter 1993; Col-
lins 1990). Sandra Harding hat in ihren späteren Schriften die klassische feministi-
sche Standpunkttheorie erweitert. Ausgehend vom Standpunkt aller Marginalisierten
und durch das Einbeziehen möglichst vieler Perspektiven soll eine weniger verzerrte
Wissensproduktion und somit eine strong objectivity erreicht werden: „Standpoint
theories argue for ‚starting off thought‘ from the lives of marginalized peoples;
beginning in those determinate, objective locations in any social order will generate
illuminating critical questions that do not arise in thought that begins from dominant
group lives“ (Harding 1993, S. 56). Dieser Zugang impliziert nicht nur die Unter-
schiedlichkeit der Erfahrungen und Emanzipationserfahrungen von Frauen, sondern
aller marginalisierter Gruppen.

4 Feministischer Empirismus

Der kontextuelle Empirismus von Helen Longino und die naturalisierte Epistemo-
logie von Lynn Hankinson Nelson zählen zu den wichtigsten Ansätzen des feminis-
tischen Empirismus, der sich durch evidenzbasierte Erkenntnis- und Wissenspro-
duktion auszeichnet (Longino 1990; Nelson 1990; Singer 2008). Longino und
Nelson gehen davon aus, dass wissenschaftliches Wissen nicht individuell, sondern
durch gemeinsame Praxen in Forschungsgemeinschaften hervorgebracht wird. Wäh-
rend bei klassischen empiristischen Positionen Gegebenes bzw. positive Tatsachen
als Untersuchungsgegenstände vorausgesetzt werden und Wissen durch Methoden
der Beobachtung, Messung und die Durchführung von Experimenten erzeugt wird,
vertreten Longino und Nelson den Ansatz, dass das wissenschaftliche Wissen ein
Ergebnis von sozialen Interaktionen und Aushandlungsprozessen in wissenschaftli-
chen Kollektiven ist (Longino 1990, S. 80; Ernst 1999, S. 125; Rolin 2011, S. 26).
Wissenschaft ist Longino und Nelson zufolge eine soziale Aktivität, findet in
sozialen Zusammenhängen statt und ist daher auch nicht wertfrei. Longino definiert
den kontextuellen Empirismus folgendermaßen:

„Er ist empirisch insofern er Erfahrung als die Grundlage von Wissensansprüchen in den
Naturwissenschaften betrachtet. Er ist kontextuell in seinem Beharren auf der Relevanz des
Zusammenhangs – sowohl des Zusammenhangs der Annahmen, die die Argumentation
unterstützen, als auch des sozialen und kulturellen Zusammenhangs, der wissenschaftliche
Forschung trägt.“ (Longino, zit. nach Ernst 1999, S. 126)

Nach Longino und Nelson kann wissenschaftliche Forschung durch feministische


Akteur_innen, die epistemische Positionen einnehmen, verändert werden. Insgesamt
basieren die Ansätze der beiden Wissenschaftstheoretiker_innen auf einem demo-
kratischen Wissenschaftsverständnis, weil Objektivität in der Wissensproduktion
durch Interaktionen, diverse Standpunkte und Kritik zustandekommen kann (Inte-
mann 2011, S. 113).
178 K. Mertlitsch

5 De/konstruktivistische und postmoderne Epistemologien

Mit den de/konstruktivistischen und postmodernen Denkansätzen verändern sich die


Grundlagen der feministischen Epistemologien entscheidend, weil die Idee von
Wahrheit, Vernunft und letztlich einer objektiven Erkenntnis in Frage gestellt wird.
Stattdessen wird davon ausgegangen, dass wissenschaftliches Wissen eine Kon-
struktion und nicht frei von Machtverhältnissen ist (Angerer und Dorer 1994,
S. 14; Ernst 1999, S. 151–242; Singer 2008, S. 289). Relevant dabei ist die
Annahme, wie Ernst schreibt, dass weder Wissen noch Wirklichkeit außerhalb des
sozialen Raums existieren. Das heißt demzufolge, dass in epistemischen Konstruk-
tionsprozessen Personen, die in einem sozialen Raum positioniert sind, ausgewählte
Objekte, Zusammenhänge, theoretische und empirische Gegebenheiten untereinan-
der in Beziehung setzen. In diesem Konstruktionsprozess wird also wissenschaftli-
ches Wissen durch Benennen und Erklären erzeugt, und es wird nicht davon
ausgegangen, dass natürliche Gesetzmäßigkeiten bestehen, die erst entdeckt werden
müssen (Ernst 1999, S. 241). Entsprechend hat in der feministischen Theorie auch
ein Paradigmenwechsel hin zu de/konstruktivistischen Konzepten von Geschlecht
stattgefunden. De/konstruktivistische Ansätze gehen davon aus, dass Geschlecht
nicht natürlich gegeben, sondern das Ergebnis von sozialen und historischen Kon-
struktionsprozessen ist. Damit verbunden sind auch Fragen, wie Geschlecht (Doing
Gender) und ein System heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit (Heteronormativi-
tät) hergestellt werden. Die Idee eines weiblichen oder männlichen Standpunkts wird
durch die Queer Studies dekonstruiert, die nun von einer Geschlechterpluralität und
der Uneindeutigkeit von Geschlecht ausgehen. (Butler 1991)
De/konstruktivistische Epistemologien setzen voraus, dass situiertes Wissen und
der jeweilige Forschungsstandpunkt mit kulturellen, sozialen, ökonomischen und
politischen Verhältnissen verwoben und daher auch nicht frei von Machtkonstella-
tionen sind. Wissensansprüche und Erkenntnisse sind daher nicht allgemeingültig,
sondern partial, beschränkt auf eine bestimmte Lokalität, veränderbar und perspek-
tivisch. Infrage gestellt wird damit auch die Idee eines autonomen und rationalen
Subjekts der Erkenntnis, da das Wissenssubjekt selbst erst durch Macht- und Herr-
schaftsverhältnisse konstituiert wird. (Singer 2008, S. 290)

6 Postkoloniale, dekoloniale und intersektionale


Epistemologien

Post- und dekoloniale Ansätze kritisieren ebenso die Setzung eines universalen
Wissenssubjekts und damit auch die klassische feministische Standpunkttheorie.
Patricia Hill Collins hat das Konzept eines black feminist standpoint entwickelt,
das die Ermächtigung von afroamerikanischen Frauen forciert und zugleich euro-
zentrische, koloniale, rassistische und sexistische Machtverhältnisse in Frage stellt
(Collins 1990; Singer 2008, S. 290). Ähnliche Ansätze vertritt der Chicana Femi-
nismus von Gloria Anzaldúa und Cherríe Moraga, die Grenzerfahrungen und -wahr-
nehmungen als zentral für Denken und Erkennen annehmen und den hegemonialen
Feministische Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie 179

westlichen Denkvoraussetzungen entgegensetzen (Anzalduá und Moraga 1983).


Walter Mignolo (2011) denkt diese Idee des border thinking weiter und bringt in
diesen Zusammenhang den Ansatz des Epistemischen Ungehorsams ein, der eine
Entkoppelung von modernem, aufklärerischem und kolonialem Denken meint und
sich globalen Entwürfen widersetzt. Das Konzept der epistemischen Gewalt, an dem
sich dieser Ansatz orientiert, wurde von Gayatri Chakravorty Spivak eingeführt. Es
bezeichnet koloniale Wissenstraditionen und Wissensformationen, die für Formen
von politischer Gewalt und für Macht- und Herrschaftsverhältnisse stehen (Spivak
2011).
Diese epistemologischen post- und dekolonialen Ansätze haben schon sehr früh
intersektionale Perspektiven in der feministischen Erkenntnis- und Wissenschafts-
theorie vorweggenommen. Nicht Gender als Analysekategorie allein, sondern in
Überkreuzung mit anderen Kategorien wie etwa Ethnizität, Sexualität, Klasse/
Schicht, Nation, Alter, Religion und Lokalität ermöglichen eine machtkritische
feministische Epistemologie (Alcoff und Potter 1993, S. 3). Dazu schreibt Heidi
E. Grasswick (2011, S. xv): „Focusing on power relations and their impact on the
production of knowledge, feminist epistemologists early on broadened their scope
beyond gender, incorporating such divisions of race, class and sexuality into their
analyses and leading some to view their projects more broadly as ‚liberatory
epistemologies‘ encompassing any and all axes of oppression“.
Konzepte und Ansätze, die sich mit Diversity und Intersektionalität auseinander-
setzen, um komplexe Macht- und Herrschaftsverhältnisse, die sich durch weitere
Achsen der Differenz ergeben, kritisch zu analysieren, wurden bereits von Longino,
Nelson und Harding in den 1980er-Jahren antizipiert und werden aktuell als situa-
tional diversity und als epistemic diversity (Fehr 2011) weiterbearbeitet.

7 Ausblick: Posthumanismus und New Materialism

Für die Gender Media Studies sind weiters von den zahlreichen weiterführenden
Themenfeldern der feministischen Wissenschafts- und Erkenntnistheorie, die mit
politisch-ethischen Fragen verbunden sind, insbesondere die posthumanen und
neuen materialistischen Denkansätze von Karen Barad (2007), Rosi Braidotti
(2014) und Donna Haraway (2018) zu nennen, die die Verschränkung der Dichoto-
mien Natur/Kultur, Mensch/Nichtmensch aus ethischer Perspektive thematisieren
und damit anthropozentrische und/oder androzentrische Erkenntnisstandpunkte hin-
terfragen. Diese Zugänge kritisieren die Zentralstellung des menschlichen Subjekts
und machen deutlich, dass Materie aktiv tätig und wirkmächtig ist. Daraus geht auch
ein neues Verständnis von Ontologie hervor. Beide Richtungen sind verknüpfbar mit
Debatten zu Demokratie, Gerechtigkeit, ökologischen Krisen, der Klimakatastrophe,
der Tierrechtsbewegung sowie mit Digitalisierung und künstlicher Intelligenz.
Insbesondere die Konzepte der Intraaktion und des agentiellen Schnitts von
Karen Barad (2012), die zu den wichtigsten Ansätzen des Neuen Materialismus
zählen, sind in Hinblick auf erkenntnistheoretische Fragen der neuen Medien rele-
vant. Barad zufolge ist Materialität aktiv tätig und nicht passiv gegeben. In einem
180 K. Mertlitsch

intraaktiven Prozess wird Materie tätig und etwa als Phänomen erkennbar in der
Verschränkung zwischen Beobachter_in und Beobachtetem. Das (Forschungs-)
Subjekt und das (Forschungs-)Objekt sind unzertrennlich und bilden zusammen
mediale Phänomene (vgl. Barad 2012, S. 20). Diese entstehen fortwährend in
intraaktiven Prozessen und werden erst durch sogenannte agentielle Schnitte
bestimmt. Das Konzept der Intraaktion beschreibt die Handlungs- und Wirkmäch-
tigkeit von Materie und ein permanentes dynamisches interaktives Werden in seiner
Unabschließbarkeit. In diesem Zusammenhang spricht Barad auch von Ontoepiste-
mologie, weil Phänomene in Erkenntnisprozessen entstehen bzw. „die Untersuchung
von Erkenntnispraktiken innerhalb des Seins“ vollzogen wird (Barad 2012, S. 100).
Der material turn, der eine neue Ontologie entwirft und damit auch ein erkenntnis-
theoretisches Verständnis tief greifend verändert, wird daher auch als „neue Meta-
physik“ oder als „Revolution des Denken“ bezeichnet (Dolphijn und van der Tuin
2012, S. 13 und S. 85).

8 Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die kritischen Gender Media Studies aktuell
vor der politisch-ethischen Frage stehen, wie mediales Wissen hergestellt werden
kann, sodass Demokratie und Gerechtigkeit befördert werden. Daher bleiben für die
Gender Media Studies weiterhin feministisch-epistemologische Herausforderungen
virulent, Objektivitäts- und Wahrheitsansprüche mit Ansätzen eines situierten, par-
teilichen und lokalen Wissens in Verbindung zu bringen, ohne jedoch zu Relativis-
mus oder Universalismus zurückzukehren: Wie können revidierte Objektivitätsan-
sätze aussehen? Wie kann Wissen über partiale und parteiliche Wissensformen
hinaus hergestellt werden? Was kann als „wahres“ Wissen gelten? Und wie kann
eine gemeinsame verantwortliche Wissensproduktion gestaltet sein? Ernst schreibt,
dass Wirklichkeit insgesamt die Konstruktion eines interaktiven, multilateralen
Prozesses ist, an der Personen teilhaben und in die sie eingreifen (Ernst 1999,
S. 243). Ähnlich argumentiert Singer, bezugnehmend auf Hannah Arendt, wenn
sie formuliert, dass die Wahrheit letztlich zwischen uns entsteht, ohne damit eine
konstruktive Willkür zu meinen (Singer 2005, S. 261). Ein Erkenntnisprozess wäre
demnach ein unabgeschlossener, sozialer und epistemischer Erfahrungsprozess, an
dem Menschen partizipieren und in den sie auch intervenierend eingreifen, wobei für
eine feministische Epistemologie der Gender Media Studies vor allem ethische und
politische Fragen zentral bleiben.

Literatur
Alcoff, Linda, und Elizabeth Potter. 1993. Feminist epistemologies. London: Routlege.
Anderson, Elizabeth. 2017. Feminist epistemology and philosophy of science. In The Standford
encyclopedia of philosophy. Hrsg. Edward N. Zalta. Metaphysics Research Lab: Standford Univer-
sity. https://plato.stanford.edu/entries/feminism-epistemology/. Zugegriffen am 15.10.2018.
Feministische Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie 181

Angerer, Marie-Luise, und Johanna Doer, Hrsg. 1994. Auf dem Weg zu einer feministischen
Kommunikations- und Medientheorie. In Gender und Medien. Theoretische Ansätze, empiri-
sche Befunde und Praxis der Massenkommunikation, 8–23. Wien: Braumüller.
Anzalduá, Gloria, und Cherríe Moraga. 1983. This bridge is called my back. Writings by radical
women of color. New York: Kitchen Table.
Barad, Karen. 2007. Meeting the universe halfway. Quantum physics and the entanglement of
matter and meaning. Durham: Duke University Press.
Barad, Karen. 2012. Agentieller Realismus. Frankfurt a. M.: Edition Unseld.
Braidotti, Rosi. 2014. Posthumanismus. Leben jenseits des Menschen. Frankfurt a. M.: Campus.
Butler, Judith. 1991. Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Code, Lorraine. 1981. Is the sex of the knower epistemologically significant? Metaphilosophy 12:
267–276.
Collins, Patricia Hill. 1990. Black feminist thought: Knowledge, consciousness, and the politics of
empowerment. Boston: Unwin Hyman.
Dolphijn, Rich, und Iris van der Tuin. 2012. New materialism: Interviews & cartographies. Ann
Arbor: University of Michigan Library/Open Humanities Press.
Dorer, Johanna, und Elisabeth Klaus. 2008. Feministische Theorie in der Kommunikationswissen-
schaft. In Theorien der Kommunikations- und Medienwissenschaft : grundlegende Diskussio-
nen, Forschungsfelder und Theorieentwicklungen, Hrsg. Carsten Winter, Andreas Hepp, und
Friedrich Krotz, 91–112. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Ernst, Waltraud. 1999. Diskurspiratinnen: Wie feministische Erkenntnisprozesse die Wirklichkeit
verändern. Wien: Milena.
Fehr, Carla. 2011. What is in it for me? The benefits of diversity in scientific communities. In Feminist
epistemology and philosophy of science: Power in knowledge, Hrsg. Heidi E. Grasswick,
133–155. Dordrecht: Springer.
Felt, Ulrike, Helga Nowotny, und Klaus Taschwer. 1995. Wissenschaftsforschung: eine Einführung.
Frankfurt a. M.: Campus.
Gethmann, C. F. 1972. Erkenntnistheorie. In Historisches Wörterbuch der Philosophie, Hrsg.
Joachim Ritter et al., Bd. 2, 683–690. Darmstadt: Schwabe Verlag.
Grasswick, Heidi E. 2011. Feminist epistemology and philosophy of science: Power in knowledge.
Heidelberg: Springer.
Haraway, Donna. 1995. Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Frankfurt
a. M./New York: Campus.
Haraway, Donna. 2018. Unruhig bleiben. Frankfurt a. M.: Campus.
Harding, Sandra. 1990. Feministische Wissenschaftstheorie. Zum Verhältnis von Wissenschaft und
sozialem Geschlecht. Hamburg: Argument Verlag.
Harding, Sandra. 1991. Whose science? Whose knowledge? Thinking from women’s lives. Chicago/
Turbian: Cornell University Press.
Harding, Sandra. 1993. Rethinking standpoint epistemology: What is „strong objectivity“? In Femi-
nist epistemologies, Hrsg. Linda Alcoff und Elizabeth Potter, 49–82. New York: Routledge.
Hartsock, Nancy. 1983. The feminist standpoint: Developing the ground for a specifically feminist
historical materialism. In Discovering reality: Feminist perspectives on epistemology, metaphy-
sics, methodology, and philosophy of science, Hrsg. Sandra Harding und Merrill Hintikka,
283–310. Dordrecht/Boston/London: D. Reidl Publishing Company.
Hartsock, Nancy. 1987. The feminist standpoint: Developing the ground for a specifically feminist
historical materialism. In Feminism & methodology, Hrsg. Sandra Harding, 157–190. London/
Bloomington: Indiana University Press.
Intemann, Kristen. 2011. Diversity and dissent in science: Does democracy always serve feminist
aims? In Feminist epistemology and philosophy of science: Power in knowledge, Hrsg. Heidi
E. Grasswick, 133–155. Dordrecht: Springer.
Longino, Helen. 1990. Science as social knowledge. Princeton: Princeton University Press.
Mignolo, Walter. 2011. Geopolitik des Wahrnehmens und Erkennens. (De)Kolonialität, Grenzden-
ken und epistemischer Ungehorsam. eicip 09. http://eipcp.net/transversal/0012/mignolo/de.
Zugegriffen am 17.08.2018.
182 K. Mertlitsch

Nagl-Docekal. 2008. Feministische Philosophie: Wie Philosophie zur Etablierung geschlechterge-


rechter Bedingungen beitragen kann. In Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung, Hrsg.
Ruth Becker und Beate Kortendiek, 295–304. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Nelson, Lynn Hankinson. 1990. Who knows: From Quine to a feminist empiricism. Philadelphia:
Temple University Press.
Pulte, Hermann. 2004. Wissenschaftstheorie, Wissenschaftsphilosophie. In Historisches Wörter-
buch der Philosophie, Hrsg. Joachim Ritter, Karlfried Gründer, und Gottfried Gabriel,
Bd. 12, 973–981. Basel: Schwabe Verlag.
Rolin, Kristina. 2011. Conextualism in feminist epistemology and philosophy of science. In
Feminist epistemology and philosophy of science: Power in knowledge, Hrsg. Heidi
E. Grasswick, 133–155. Dordrecht: Springer.
Singer, Mona. 2005. Geteilte Wahrheit: Feministische Epistemologie, Wissenssoziologie und Cul-
tural Studies. Wien: Löcker.
Singer, Mona. 2008. Feministische Wissenschaftskritik und Epistemologie: Voraussetzungen, Posi-
tionen, Perspektiven. In Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung, Hrsg. Ruth Becker und
Beate Kortendiek, 285–294. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Spivak, Gayatri Chakravorty. 2011. Can the subaltern speak? Postkolonialität und subalterne
Artikulation. Wien: Turia + Kant.
Thomas, Tanja. 2013. Feministische Medien- und Kommunikationswissenschaft. Positionen zu
Gesellschaftskritik, Erkenntniskritik und Emanzipationsvision. In Normativität in der Kommu-
nikationswissenschaft, Hrsg. Matthias Karmasin, Matthias Rath, und Barbara Thomaß, 397–420.
Wiesbaden: Springer VS.
Wischermann, Ulla. 2018. Frauen- und Geschlechterforschung in der Kommunikations- und
Medienwissenschaft. In Kommunikationswissenschaftliche Gender Studies. Zur Aktualität kri-
tischer Gesellschaftsanalyse, Hrsg. Ricarda Drüeke, Elisabeth Klaus, Martina Thiele, und Julia
E. Goldmann, 57–76. Bielefeld: transcript.
Intersektionalität: Methodologische und
methodische Herausforderung für die
feministische Medienforschung

Assimina Gouma und Johanna Dorer

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
2 Methodologische Überlegungen zur Intersektionalitätsforschung:
Typologie, Analysebenen, Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
3 Methoden der Intersektionalitätsforschung und empirische Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

Zusammenfassung
Intersektionalität ist eine herrschaftskritische Herangehensweise, um die gegen-
seitige Durchdringung sozialer Ungleichheitskategorien wie Geschlecht,
„Rasse“, Ethnizität, Klasse und Sexualität in Verbindung mit den verschiedenen
Ebenen der gesellschaftlichen Diskurse, Institutionen und Subjektpositionierun-
gen zu theoretisieren und zu erforschen. Indem gesellschaftliche Diskurse nicht
losgelöst von einer alles umgebenden Medienwelt entstehen, sind Medien als
Ko-Produzenten von Machtverhältnissen für das Konzept der Intersektionalität
besonders interessant. Dabei ist Intersektionalität für die Medienforschung in
mehrfacher Hinsicht eine methodologische und methodische Herausforderung.

A. Gouma
Institut für Inklusive Pädagogik, Pädagogische Hochschule Oberösterreich, Linz, Österreich
E-Mail: assimina.gouma@univie.ac.at
J. Dorer (*)
Universität Wien, Wien, Österreich
E-Mail: johanna.dorer@univie.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 183
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_81
184 A. Gouma und J. Dorer

Schlüsselwörter
Intersektionalität · Methodologie · Methoden · Medien · Feministische
Medienforschung · Intersektionale Empirie

1 Einleitung

In der Medien- und Kommunikationswissenschaft beschäftigt sich die Geschlech-


terforschung mit Fragen der Ungleichheit, mit Differenzen und hierarchischen
Ordnungsmustern auf den Ebenen der Produktion, der Medieninhalte sowie im
Rezeptions- und Aneignungsprozess. Dabei sind Fragen von Ungleichheit nicht
allein auf das Geschlechterverhältnis beschränkt. Vor allem in internationalen
feminist media studies waren Studien zu sozialen Ungleichheiten, die sich aus
der Kategorie gender in Verbindung mit den Kategorien race and class ergeben,
schon Anfang der 1990er-Jahre Thema, so z. B. im Sammelband „Women Making
Meaning“ (Rakow 1992) oder im umfangreichen Reader „Gender, Race and Class
in Media“ (Dines und Humez 1995). In der deutschsprachigen Medienforschung
wurde ein intersektionaler Ansatz eher spät aufgegriffen. Im von Ulla Wischer-
mann und Tanja Thomas (2008) herausgegebenen Band werden erstmals Medien-
studien zusammengetragen, die sich ganz konkret mit mehreren Achsen der
Differenz beschäftigen, mit einem Fokus auf Gender in Verbindung mit Klassen-
zugehörigkeit, Ethnizität und Sexualität. Migrationsstudien und queer studies
waren hier wichtige Impulsgeber. 2014 greift ein Medien Journal mit dem Schwer-
punkt „Intersektionalität“ (Drüeke et al. 2014) das Konzept auf, unter dem heute
die Herausforderungen der komplexen Verschränkungen von Kategorien, Diffe-
renzen und Machtverhältnissen für soziale Bewegungen wie den Feminismus,
politische Praxis und eine gesellschaftskritische Forschung vorrangig verhandelt
werden.
Begriff und Konzept der Intersektionalität gehen auf die US-amerikanische
Bewegung Schwarzer Frauen in den 1970er-Jahren zurück und sind explizit von
der Juristin und Menschenrechtsaktivistin Kimberlé Crenshaw (1989) als neuer
Ansatz Ende der 1980er-Jahre in die feministische Debatte eingeführt worden. Mit
dem Begriff intersectionality bezeichnet sie die wechselseitige Verflechtung von
unterschiedlichen Herrschaftsverhältnissen, die sich durch die Trias gender, race and
class konstituieren. Die Situation der Mehrfachdiskriminierung vergleicht Crenshaw
mit der wirkmächtigen Metapher der Straßenkreuzung, an der Schwarze Frauen von
verschiedenen Seiten nicht nur sexistische, sondern auch rassistische Diskriminie-
rung erfahren können. Das Konzept wendet sich gegen vereinheitlichende und
additive Perspektiven und geht demgegenüber von einer Kreuzung und Überschnei-
dung von unterschiedlichen Ungleichheitskategorien aus. Dabei kommt es zu einer
wechselseitigen Durchdringung und Konstituierung von gesellschaftlichen Struktu-
ren und individuellen Positionierungen. Dieser Prozess entfaltet sich im Rahmen
gesellschaftlicher Macht- und Herrschaftsverhältnisse.
Während in der US-Forschung Intersektionalität mit der feministischen Bewe-
gung Schwarzer Frauen und den critical race studies (hooks 1992; Collins 1990;
Intersektionalität: Methodologische und methodische Herausforderung . . . 185

Davis 1998; Gutiérrez Rodríguez 2011) verbunden ist, konnte die Trias gender,
race and class nicht einfach auf europäische und deutsche Verhältnisse übertragen
werden. Knapp (2005a) erinnert an die unterschiedlichen historischen Entwicklun-
gen, was den Begriff „Rasse“ in Verbindung mit der NS-Vergangenheit betrifft,
sowie an die marxistische Tradition, die den Diskurs der Klassenzugehörigkeit
mitbestimmt. Gleichzeitig betont sie – wie auch andere feministische Forscherinnen
– dass das Konzept der Intersektionalität wesentlich zu einer elaborierten Debatte in
der feministischen Theorieentwicklung beiträgt: Ungleichheit innerhalb und zwi-
schen sozialen Gruppen einerseits und gesellschaftliche Machtverhältnisse anderer-
seits können so neu zusammen gedacht werden. (Knapp 2013; Lutz et al. 2013;
McCall 2005; Davis 2013; Winker und Degele 2009; Yuval-Davis 2013; Walgen-
bach 2013; Collins und Bilge 2016)
In der regen wissenschaftlichen Debatte zum Konzept der Intersektionalität gibt
es einige wesentliche Aspekte, die als gemeinsame Basis gelten. Trotz unterschied-
licher Zugänge ist die Konzentration auf Macht- und Herrschaftsverhältnisse
entscheidend. Diese gelten als Grundlage und Resultat von sozialen Differenzen
bzw. Differenzierungen, die Ungleichheiten konstituieren und als Legitimations-
grundlage für Ausgrenzung und Diskriminierung einerseits und für Inklusion und
Privilegierung andererseits dienen. Geschlecht, „Rasse“/Ethnizität, Klasse und
Sexualität sind jene zentralen Kategorien sozialer Ungleichheit, die Gesellschaften
strukturieren und für Subjekte quasi als Platzanweiser in der Gesellschaftsordnung
fungieren. Intersektionalität betont das komplexe Ineinanderwirken von Sexismus,
Rassismus, Klassismus und Homophobie in einer Gesellschaft. Im Zentrum einer
Intersektionalitätsanalyse stehen die Wechselwirkungen von gesellschaftlichen
Strukturen und Differenzkategorien sowie der Prozess der gegenseitigen Konsti-
tuierung in ganz spezifischen (gesellschaftlichen, historischen, geografischen,
sozialen, medialen) Kontexten. Als gemeinsame Basis gelten weiters die theoreti-
schen Diskussionen um soziale Gerechtigkeit und Anerkennung. Auch über die
doppelte Anforderung der wissenschaftlichen Theoriebildung einerseits und
Umsetzung in der politischen und sozialen Praxis andererseits herrscht Überein-
stimmung in den verschiedenen Zugängen. (Lutz et al. 2013; McCall 2005; Davis
2013; Yuval-Davis 2013; Walgenbach 2013; Collins und Bilge 2016; Degele 2019)
Parallel zum Erfolg des Intersektionalitätsansatzes entwickelte sich das Konzept
der Diversity für Unternehmen und Organisationen. Ein klarer Unterschied zwischen
den beiden Konzepten liegt in der Schwerpunktsetzung. Geht es bei Intersektiona-
lität um systemische Ungleichheit und um ein politisches Anliegen, so betonen
Diversity-Konzepte die Vielfalt. Ziel des Konzepts der Intersektionalität ist die
Dekonstruktion bzw. Kritik von Herrschafts- und Machtverhältnissen, die sich in
Gesellschaftsstrukturen und Subjektivierungsprozessen auffinden lassen, während
das Diversity-Konzept auf Inklusion der Verschiedenheit abzielt und dabei zur
Individualisierung beiträgt. Ferner unterscheiden sich die beiden Konzepte in ihrer
theoretischen Fundierung. Während intersektionale Ansätze einen Beitrag zur Theo-
riebildung mit politischem Anspruch implizieren, sind Diversity-Konzepte Manage-
mentinstrumente bzw. politische Instrumente (der EU, UNO), um eine Vielfalt an
Subjektpositionen in Organisationen herzustellen, wobei Machtfaktoren und Macht-
strukturen meist unberücksichtigt bleiben. (Degele 2019, S. 346; Meyer 2017,
186 A. Gouma und J. Dorer

S. 143; Collins und Bilge 2016, S. 186; Knapp 2005b; Gutiérrez Rodríguez 2011;
Hagemann-White 2011; Drüeke et al. 2014, S. 3).

2 Methodologische Überlegungen zur


Intersektionalitätsforschung: Typologie, Analysebenen,
Kategorien

Eine besondere Herausforderung der Intersektionalitätsforschung besteht darin, die


Verschränkung und Verwobenheit von Strukturen in Institutionen und Gesellschaft
mit Identitätsdimensionen und Alltagshandeln herauszuarbeiten. Es geht um inter-
sektionale Muster, die sich aus dem Zusammenspiel von unterschiedlichen Macht-
strukturen und der Frage, wie Menschen gleichzeitig positioniert werden und sich
selbst bezüglich multipler Kategorien wie Geschlecht, Klasse, „Rasse“/Ethnizität
und Sexualität positionieren, ergeben. (Knapp 2005a; Klinger et al. 2007; Lutz et al.
2013; Christensen und Qvotrup Jensen 2012; Meyer 2017) Daraus folgt, dass im
intersektionalen Ansatz verschiedene Differenzkategorien nicht einfach additiv auf-
summiert werden, da Diskriminierungsformen, wie Sexismus, Rassismus, Klassis-
mus oder Heteronormativität nicht unabhängig voneinander entstehen und existie-
ren. Das Erkenntnisinteresse zielt demnach darauf ab, herauszufinden, wie sich
unterschiedliche soziale Differenzierungen gegenseitig konstituieren und ein kom-
plexes System der Ungleichheit erzeugen und legitimieren.
Kennzeichen intersektionaler Analysen ist daher ihre Komplexität, wobei das
Prozesshafte, das Relationale und die dynamischen Kräfte, die eine spezifische
gesellschaftliche Position erst erzeugen, genauer in den Blick zu nehmen sind.
(McCall 2005) Leslie McCalls (2005) Typologie von drei möglichen Zugängen,
um die Komplexität adäquat empirisch zu erfassen, gehört zu den bekanntesten und
meist rezipierten Beiträgen zur Intersektionalitätsforschung. Jeder dieser Zugänge
(antikategorialer, intrakategorialer und interkategorialer Ansatz) verfolgt unter-
schiedliche Erkenntnisinteressen und Herangehensweisen und erfasst unterschiedli-
che Effekte von Intersektionalität (weiterführend Meyer 2017, S. 103–105; Degele
2019, S. 344–345).
Der antikategoriale Ansatz problematisiert die Kategorien an sich und fragt, ob
eine einheitliche Einteilung der Menschen in Gruppen überhaupt möglich ist. Es
geht also um eine Kritik bzw. Dekonstruktion der Kategorien selbst, aber auch um
eine Kritik an der Depolitisierung und Vereinnahmung universitärer Intersektionali-
tätsforschung (Gutiérrez Rodríguez 2011; Lorey 2011) Methodisch ist daher eine
eher theoretische Annäherung mittels dekonstruktivistischer und genealogischer
Herangehensweisen sinnvoll.
Der intrakategoriale Ansatz hingegen stellt die sozialen Kategorien nicht grund-
sätzlich in Frage, sondern konzentriert sich auf die Komplexität des Untersuchungs-
designs. Dabei wird ausgehend von einer Basiskategorie – etwa Geschlecht – auf
weitere interne Differenzen fokussiert (z. B. Arbeiterklasse, Ethnizität), oft mittels
narrativer und ethnographischer Methoden. Identität wird also mehrdimensional
verstanden, und der intrakategoriale Ansatz kann dazu führen, dass neue Subjektka-
tegorien identifiziert werden können. Verbleibt die Analyse nicht lediglich auf der
Intersektionalität: Methodologische und methodische Herausforderung . . . 187

Ebene der Identitätskonzepte (wie etwa meist bei quantitativen Analysen), können in
innovativer Weise Überschneidungen und Verschränkungen der Kategorien in einem
größeren gesellschaftlichen Zusammenhang interpretiert werden. Dieser Ansatz ist
daher für die sozialwissenschaftliche Forschung mit qualitativen Methoden und
Einzelfall-Studien am zugänglichsten.
Beim interkategorialen Ansatz stehen Beziehungen, Relationen und Vergleiche
zwischen den sozialen Gruppen bzw. Kollektiven im Zentrum, wobei Kategorien
provisorisch und strategisch vorausgesetzt werden. Komplexität wird bei diesem
Ansatz als Differenzierung mittels Einführung mehrerer sozialer Gruppen verstan-
den (z. B. Mann, Frau kombiniert mit Arbeiter-, Mittel-, Oberklasse und weiss,
schwarz, was zwölf zu vergleichende Gruppen ergibt). (McCall 2005, S. 1786)
Während Knapp (2008) sozialstrukturelle Verankerungen und Wechselwirkungen
betont, wird empirisch (v. a. in sozialpsychologischen Studien) den quantitativen
Methoden der Vorzug gegeben, bei denen die Ungleichheit der Gruppen statistisch
erfasst wird, was zu differenzierten, quantitativen Vergleichsdaten führt, jedoch die
gesellschaftlichen Strukturen von Ungleichheit nicht hinreichend erfasst.
Die Komplexität des Intersektionalitätskonzepts bedeutet aber auch, dass ver-
schiedene Ebenen der Analyse miteinbezogen werden, die dann sowohl verglei-
chend berücksichtigt als auch in die sie bestimmenden Kontexte eingebettet werden
müssen. (Christensen und Qvotrup Jensen 2012, S. 111) Dabei sind sowohl die
Strukturebene als auch die individuelle Ebene zentral für die Analyse. (Yuval-Davis
2013; Kerner 2009; Lutz et al. 2013; Winker und Degele 2009; Meyer 2017)
Unter Rückgriff auf Floyd Anthias Überlegungen schlägt Lutz (2015) einen
Analyserahmen vor, der vier Ebenen berücksichtigt: erstens die Ebene der Diskri-
minierung, die sich auf Erfahrungen von gesellschaftlich Marginalisierten gründet,
zweitens die Ebene der Akteur_innen, die das konkrete Handeln in der intersubjek-
tiven Praxis berücksichtigt, drittens die Ebene der Institutionen mit ihren spezifi-
schen hierarchieproduzierenden Strukturen und Wirkweisen sowie viertens die
Ebene der symbolischen und diskursiven Repräsentation, das sind jene in der
Gesellschaft und in Medien zirkulierenden Zuschreibungspraxen an eine soziale
Gruppe. Diese vier Analyseebenen müssten in der empirischen Erforschung zudem
in ihrer gegenseitigen Durchdringung Berücksichtigung finden. Erst dann kann eine
intersektionale Analyse das kritische Potenzial entfalten, das für die Handlungs-
fähigkeit und das Empowerment benachteiligter sozialer Gruppen notwendig ist.
Ina Kerner (2009) geht bei der Systematisierung der zu berücksichtigenden
Kontexte von drei Ebenen aus. Die erste Ebene betrifft persönliche Zugänge (Sub-
jektivität, Einstellungen, Interaktionen), die zweite die Organisationsebene, fokus-
siert auf Hierarchisierung und Diskriminierungsformen, die dritte epistemische
Zugänge, die sich in Wissen, Diskursen, Symbolen und Bildern erfassen und vor
allem auch über Medienanalysen untersuchen lassen.
Auch Winker und Degele (2009, 2011) gehen bei ihren methodologischen Über-
legungen davon aus, dass verschiedene Ungleichheit generierende Kategorien sowie
die Verwobenheit und Wechselwirkungen zwischen diesen Kategorien auf drei ver-
schiedenen Ebenen zu analysieren sind, und zwar auf der Ebene der Identität und
interpersonalen Subjektivierung, der Ebene der gesellschaftlichen und sozialen Struk-
188 A. Gouma und J. Dorer

turen sowie der Ebene der symbolischen Repräsentationen. Damit sollen auf der
Makro- und Mesoebene soziale Strukturen, die durch Organisationen und Institutio-
nen wirksam werden, auf der Mikroebene unterschiedliche Subjektkonstitutionen und
individuelle Identitätsbildung und auf der Repräsentationsebene die in einer Gesell-
schaft bedeutsamen Symbole und Diskurse erfasst und in Beziehung gesetzt werden.
Um nicht vorweg Ungleichheitskategorien zu fixieren, schlagen Winker und Degele
(2009, 2011) neben der auf der Strukturebene deduktiv gesetzten Kategorien (Gender/
Sexualität, Klasse, „Rasse“, Körper) für die Identitäts- und Repräsentationsebene ein
induktives, offenes Vorgehen vor, wo am Beginn der Forschungsarbeit die Anzahl der
Kategorien nach oben offen ist.
Sie plädieren damit für ein differenziertes Vorgehen bei einer für die Konzeption
eines intersektionalen Forschungsdesigns zentralen Frage, die einer ausführlichen
Diskussion bedarf: Welche und wie viele Kategorien werden miteinbezogen, und wie
werden Kategorien in der empirischen Forschung ermittelt – werden sie induktiv
entwickelt oder fix vorausgesetzt?
Einigkeit besteht nach Meyer (2017) darin, dass soziale Kategorien wie Geschlecht,
Klasse, „Rasse“/Ethnizität und Sexualität etc. nicht lediglich als Differenz-, sondern
als Ungleichheitskategorien zu verstehen sind. In ihrer Mehrdeutigkeit konstruieren
Kategorien je nach gegebenem Kontext entweder eine Form von sozialer Identifika-
tion oder einen sozialen Standort (als Platzanweisung), sodass sie einerseits auf
Identitäten und andererseits auf Herrschaftsstrukturen, die unterschiedliche Machtef-
fekte haben, verweisen. Beide Aspekte sind Gegenstand von Intersektionalitätsstu-
dien. Denn die Differenzierungs-, Abgrenzungs- und Ausschlussprozesse, die
Identitäten (von Individuen und Gruppen) formieren, schlagen sich in machtförmigen
Differenzierungspraktiken nieder und sind dann als Effekte von Macht- und Herr-
schaftsverhältnissen zu analysieren. Das bedeutet ferner, dass Ungleichheitskategorien
binäre, asymmetrische Strukturen (Mann – Frau, Kapital – Arbeit, wir – sie etc.)
hervorbringen, die nicht nur ihre soziale Konstruiertheit verdecken, sondern als natür-
lich gegeben (essenzialistisch) erscheinen. (Meyer 2017, S. 94–99)
Daraus ergibt sich auch, welche Kategorien für die Analyse in Frage kommen. Vier
Ansätze lassen sich hier unterscheiden. (Meyer 2017, S. 127–140) Der erste Ansatz
leitet aus theoretischen und theoriegeschichtlichen Überlegungen die unbedingte Not-
wendigkeit der drei bzw. vier Masterkategorien Geschlecht, Klasse, „Rasse“/Ethnizität
und Sexualität ab. Der zweite Ansatz wägt je nach Analyseebene und Kontext des
Untersuchungsgegenstandes die Relevanz der einzubeziehenden Kategorien ab und
sieht nur für die Strukturebene die Notwendigkeit von drei bzw. vier Masterkategorien
vor, während er auf der Identitätsebene für eine Offenheit der Kategorien plädiert. Der
dritte Ansatz kennt keine Beschränkung auf die Masterkategorien, sondern ist offen für
viele Kategorien. Bedingung für eine sinnvolle Auswahl ist allerdings der Bezug auf ein
herrschaftskritisches Verständnis von Differenz, d. h. hierarchische Dualität, Ein- und
Ausschließungsprozesse, Normierungs- und Spaltungsprozesse etc. Der vierte Ansatz
lässt Anzahl und Inhalt der Kategorien ebenfalls offen, macht diese aber abhängig
davon, inwieweit Ausschlüsse und blinde Flecken sowie eine neue Sicht auf Machtver-
hältnisse sichtbar werden und ob damit ein emanzipatorisches Potenzial verbunden ist.
Bezüglich der Anzahl der zu untersuchenden Kategorien ist weiters zu bedenken, dass
Intersektionalität: Methodologische und methodische Herausforderung . . . 189

aus forschungstechnischen Gründen der Handhabbarkeit bei aller Offenheit aber auch
eine Beschränkung bzw. Fokussierung auf einige wenige Kategorien (vor allem auf der
Strukturebene) notwendig und sinnvoll sein kann.
Bei der Analyse ist zudem zu beachten, dass die offensichtlichste Kategorie nicht
immer die wichtigste sein muss. So schlägt Mary Matsuda (1991, S. 1189) vor, die
„andere Frage“ zu stellen. Sie meint damit, wenn etwas rassistisch aussieht, sollte
zuerst auch die Frage danach gestellt werden, wo hier das Patriarchat beteiligt ist,
wenn etwas sexistisch aussieht, sollte auch die Frage gestellt werden, wo hier
Heterosexismus vorkommt, und wenn etwas homophob erscheint, sollte man fragen,
wo hier Klasseninteressen eine Rolle spielen.

3 Methoden der Intersektionalitätsforschung und


empirische Umsetzung

Ausgangspunkte für die Konzeption einer intersektionalen empirischen Studie sind


ganz allgemein Überlegungen zu Ungleichheitsverhältnissen, welche Kategorien
jeweils relevant sind und dass sowohl die gesellschaftlich-strukturelle als auch die
individuelle und die symbolische-diskursive Ebene in ihren Verschränkungen zu
berücksichtigen sind. Intersektionale Studien integrieren also nicht nur mehrere
Kategorien, sondern auch verschiedene Analyseebenen und kombinieren unter-
schiedliche Methoden und Zugänge.
Eine konkrete Anleitung, wie eine intersektionale Fragestellung empirisch umzu-
setzen ist, haben Winker und Degele (2009, S. 79–97, 2011) vorgelegt. Ihr Modell
der intersektionalen Mehrebenanalyse beschreibt ein Verfahren in acht Schritten. In
einem ersten Abschnitt (Schritte 1–4) erfolgt die Auswertung einzelner Fälle, die
mittels qualitativer Interviews und Beobachtung erhoben wurden. Man beginnt mit
der Beschreibung der Identitätskonstruktionen, in einem zweiten Schritt folgt die
Identifikation der symbolischen Repräsentationen, und in einem dritten Schritt
werden die Bezüge zu Sozialstrukturen hergestellt. Auf jeder der drei Ebenen
werden jeweils relevante Kategorien identifiziert. In einem vierten Schritt werden
dann die Wechselwirkungen der zentralen Kategorien herausgearbeitet. Der zweite
Abschnitt des Modells beginnt mit dem Vergleich und einer Typenbildung der
unterschiedlichen Identitätskonstruktionen, im sechsten Schritt werden die Ergeb-
nisse durch Strukturdaten ergänzt und Herrschaftsverhältnisse analysiert, gefolgt
durch einen siebenten Schritt der Vertiefung der Analyse der Repräsentationen und
einem abschließenden achten Schritt, der die Wechselwirkung in einer Gesamtschau
herausarbeitet. (Winker und Degele 2009, 2011; Carstensen und Winker 2012a, b)
Intersektionalitätsforschung rekurriert dabei nicht auf eine eigene Methode, son-
dern bedient sich einer Vielzahl von Methoden. Wie McCall (2005) in ihrer – nach
Erkenntnisinteresse differenzierten – Typologie ausführt, sind sämtliche Methoden
der Sozialwissenschaft für die empirische Analyse von intersektionalen Fragestel-
lungen geeignet. Qualitativen Methoden wird aber generell Priorität eingeräumt, da
diese besonders gut geeignet sind, die Verschränkung sowie die Prozesshaftigkeit
von Analyseebenen und Differenzkategorien als ein intersektionales Phänomen zu
190 A. Gouma und J. Dorer

erklären. Quantitative Methoden hingegen eignen sich nur beschränkt, da eine


Offenheit der Kategorien nicht gegeben ist und die Komplexität intersektionaler
Fragestellungen nicht adäquat statistisch erfasst werden kann. In der Regel kommt
daher eine Mehrzahl an (meist qualitativen) Methoden zum Einsatz, aber auch ein
Mixed-Methods-Ansatz, wo qualitative mit quantitativen Erhebungen kombiniert
werden.

3.1 Quantitative Methoden: Vielfalt und methodische


Herausforderung

Bezüglich qualitativer Methoden kommt das gesamte Spektrum der in der Sozial-
wissenschaft angewandten Methoden zum Einsatz (van Zoonen 1994; Meyer 2017,
S. 108; Hankivsky und Grace 2015): von ethnografischen Methodenansätzen über
sämtliche Formen von Interviews, wie narrative oder fokusierte Interviews, Leitfa-
deninterviews, Experteninterviews, biografische Interviews und Gruppeninterviews,
teilnehmende Beobachtung, semiotische Analyse, Diskursanalyse, Textanalyse bis
zur Kollektiven Erinnerungsarbeit nach Frigga Haug (1987, 1999), Haug und Hipfl
(1995). Zur Anwendung kommen ferner Dokumentenanalysen, Tagebuchaufzeich-
nungen, der Ansatz der Aktionsforschung sowie qualitative Medientext- und Medi-
eninhaltsanalysen.
Interviews sind in der Intersektionalitätsforschung eine zentrale Forschungsme-
thode, sei es als Teil einer ethnografischen Feldforschung oder als eigenständige
Methode in einem Methoden-Mix. Auf die Besonderheiten in der Interviewsituation,
die bei einer intersektionalen Forschung zu beachten sind, geht Lutz (2015,
S. 40–42) ein. Drei Aspekte sind dabei von Bedeutung. Erstens ist es für die
Interviewer_innen wichtig, die Situiertheit der eigenen Person wie auch jene der
interviewten Person zu reflektieren. Dabei sollte es seitens der Interviewer_innen
nicht zu einer – wie unter anderem von Butler (1991, S. 210) als „Verlegenheits-
klausen“ bezeichneten – Situierung der eigenen Person als weiß, heterosexuell und
der Mittelschicht angehörend kommen. Der/die Interviewer_in sollte offen und
sensibel dafür sein, welche Differenzkriterien der/die Befragte selbst in das Inter-
view einbringt. Intersektionalität muss darnach zweifach berücksichtigt werden: in
den Narrationen der Interviewten und in der Analyse durch die Forscher_innen.
Zweitens ist zu berücksichtigen, dass Interviewte ihre Differenzkategorien selbst in
Verbindung mit bestimmten erlebten Situationen einbringen und dass die primär von
ihnen genannte Kategorie nicht immer die wichtigste und entscheidende Ungleich-
heitsdimension sein muss. Als dritten Aspekt führt Lutz (2015) die Ebene der
Machtverhältnisse an. Dabei geht es darum, Befragte nicht aufgrund von diskrimi-
nierenden gesellschaftlichen Strukturen sofort als Opfer (von Rassismus, Sexismus
etc.) zu bewerten, sondern herauszufinden, wie Individuen in einer bestimmten
Situation, in bestimmten Raum- und Zeit-Kontexten das Zusammenwirken ihrer
verschiedenen Differenzkategorien unterschiedlich verhandeln und sich einmal als
Gewinner_in und ein anderes Mal als Verlierer_in sehen können. Lutz (2015) spricht
Intersektionalität: Methodologische und methodische Herausforderung . . . 191

hier wesentliche Aspekte an, die ganz allgemein für die Auswertung intersektionaler
Analysen relevant sind.
Die ethnografische Methode nimmt eine besondere Stellung ein. Zum einen, weil
ethnografische Feldforschung durch die Kombination mehrerer Methoden die
Komplexität von Kategorien auf verschiedenen Ebenen analysieren, zum anderen,
weil das zeitlich ausgedehnte Forschen im Feld zu sehr diffizilen, facettenreichen
Erkenntnissen führen kann. Allerdings ist der Forschungsaufwand enorm, sodass es in
der Medienforschung erst wenige Beispiele dafür gibt. Christensen und Qvotrup
Jensen (2012, S. 113) zeigen, wie sie intersektionale Forschung mit einer ethnografi-
schen Methode und einem Mixed-Method-Ansatz umsetzen. Ausgehend von der
Festsetzung von den drei Differenzkategorien Geschlecht, Klasse und Ethnizität und
den Ebenen Identität, Struktur und Repräsentation umfasst die ethnografische For-
schung qualitative Tiefeninterviews sowohl mit Personen ethnischer Minoritäten als
auch der Majorität sowie eine teilnehmende Beobachtung an 37 Meetings in je einer
Organisation der beiden Gruppen. Zusätzlich wurden eine Diskursanalyse der Medi-
eninhalte in lokalen und internationalen Medien sowie eine quantitative Umfrage zu
sozialen und symbolischen Profilen der Region durchgeführt. Damit konnten diskri-
minierende und stereotypisierende Medieninhalte mit der differenzierten Aneignung
durch Migranten und Migrantinnen in ihrem Alltag verknüpft und so adäquate
Medienstrategien zur Inklusion sowie medienpädagogische Konzepte zum Empower-
ment entwickelt werden.
Besonders deutlich kann der Prozess des „doing intersectionality“ aber auch in
Gruppendiskussionen hervortreten, wenn die Teilnehmer_innen der Gruppe verschie-
dene Diskriminierungserfahrungen miteinander teilen und ihre individuellen Sicht-
weisen einbringen. Gouma (2019) hat in ihrer Studie zu Medien, Mehrsprachigkeit
und Linguismus mit einem Methoden-Mix aus Gruppen- und Expert_inneninterviews
kombiniert mit Tagebuchaufzeichnungen rekonstruiert, wie unterschiedlich Minoritä-
ten ihre migrantische Identität und Sprachpraktiken (Dialekte, Erst- und Zweitsprache)
verhandeln. Die von Migrantinnen angewandten unterschiedlichen Medien- und Anti-
rassismusstrategien, um soziale Ungleichheiten zu überwinden, korrespondieren
stärker mit Geschlechter- und Klassenverhältnissen.
Das Interview (in unterschiedlichsten Varianten) kommt bevorzugt in Rezeptions-
studien zur Anwendung und wird in der Regel mit Medientextanalysen – vornehmlich
der Diskursanalyse – kombiniert, um die Subjektebene mit der Repräsentationsebene
intersektional aufeinander zu beziehen. Eine aktuelle Studie (Hametner et al. 2019)
zeigt mittels Kritischer Diskursanalyse nach Jäger (2012), wie in Frauenzeitschriften
Musliminnen über das Kopftuch dichotomisiert und entsprechend den „westlichen“
Schönheitsnormen und den „westlichen“ Werten als emanzipiert und normal versus
nicht-emanzipiert und als „die Andere“ klassifiziert werden. Die Analyse der narrati-
ven Interviews mit Rezipientinnen ergibt ein aufgefächertes Bild eines negotiated und
oppositional readings. Die medial vermittelte Stereotypisierung wird einerseits dif-
ferenziert im Medienalltag von Musliminnen verhandelt, andererseits sehen Migran-
tinnen auch Wege des Empowerments, indem sie die Notwendigkeit, sich gegen diese
mediale Zuschreibungen zur Wehr zu setzen, erkennen und als aktive Handlungsauf-
forderung auffassen.
192 A. Gouma und J. Dorer

Ähnlich gehen Lünenborg und Fürsich (2014a, b) vor, indem sie 54 Deutsche
Fernseh-Shows (fiction und non-fiction) mittels Inhaltsanalyse untersuchen und den
Ergebnissen der in Fokusgruppen erhobenen Praxis der Medienaneignung durch
Migrant_innen gegenüberstellen. Auf beiden Ebenen, sowohl jener der Medieninhalte
als auch der Ebene des migrantischen Publikums, erfolgt eine Konstruktion der
„Anderen“. Obgleich Lünenborg und Fürsich ihre Studie als intersektionale Studie
mit den Differenzkategorien Geschlecht und Ethnizität konzipierten, erkannten sie im
Laufe der Forschung den entscheidenden Einfluss der Kategorie Klasse und konnten
durch ihr offenes Verfahren diese weitere Kategorie berücksichtigen. (Lünenborg und
Fürsich 2014a, S. 972) Die Verflechtung medialer Konstruktionen von ethnischer und
geschlechtlicher Andersheit mit der Klassendifferenz verstärkt zum einen Abgrenzun-
gen, erlaubt den sich in der Mittelschicht positionierenden befragten Migrantinnen
zum anderen potenziell entsolidarisierende Distanzierungsstrategien, insbesondere
wenn neoliberale individualisierte Erfolgsideologien akzeptiert werden.
Besondere Aufmerksamkeit in der intersektionalen, wie auch schon zuvor in der
feministischen, Medienforschung haben Casting-Shows erlangt. Die dem neoliberalen
Imperativ eines Selbstmanagements folgenden TV-Shows stehen in der Kritik, ein
„postfeministisches“ Subjekt, gekennzeichnet durch Selbstdisziplinierung, Selbstopti-
mierung sowie Negierung gesellschaftlicher Ungleichheiten, als Norm einer modernen
Gesellschaft zu propagieren. Die Studien von Gabriele Dietze (2012) oder Katharina
Knüttel (2012) argumentieren diskurstheoretisch, dass „Rasse“/Ethnizität insbesondere
in „Deutschland sucht den Superstar“ als Normalisierungs- und Inklusionsnarrativ
fungiert und diesbezüglich Privatsender inklusiver als öffentlich-rechtliche
TV-Anstalten agieren. Die beiden Studien zeigen auch, dass v. a. in „Germany’s Next
Topmodel“ eine so gewonnene „kulturelle Staatsbürgerschaft“ nur innerhalb eines
Rahmens, den ein westlicher Schönheitsdiskurs vorgibt, Gültigkeit hat.
Schon in den 2000er-Jahren haben Beverley Skeggs und Helen Wood (2012)
Casting-Shows und ihr Publikum mit einer intersektionalen Herangehensweise
untersucht. Das Neue an ihrer Studie war, dass sie nicht nur Interviews, Fokusgrup-
pen und Textanalyse als Methode verwendeten, sondern auch Affekte der Rezipien-
t_innen unterschiedlicher Ethnizität und unterschiedlicher Klassenzugehörigkeit
mittels „text-in-action viewing sessions“ erhoben, um unbewusst erzeugte Affekte
empirisch zu erfassen. Auch in ihrer Studie haben sich Klassenverhältnisse als
bedeutsamer als die weiteren Achsen der Differenz wie Geschlecht, „Rasse“ und
Ethnizität herauskristallisiert.

3.2 Quantitative Forschung: Bedeutung, Beschränkung


und Kritik

Die Verwendung quantitativer Methoden erfolgt in der Intersektionalitätsforschung


nicht nur seltener, sondern es wird auch häufig der geringere Beitrag für den Erkennt-
nisgewinn kritisiert. Als ein wichtiges Argument, das für die Anwendung quantitativer
Forschungsmethoden spricht, wird deren bessere Verwertbarkeit angeführt, um mit
Intersektionalität: Methodologische und methodische Herausforderung . . . 193

hard facts politisch argumentieren und politische Veränderungen einleiten zu können.


Quantitative Forschungsergebnisse sind somit notwendige Basis für Aktivitäten der
Frauen- und Minderheitenbewegungen. Dabei wird auf den von Gayatri Spivak
(1996, S. 214, 1988) eingeführten Begriff des „strategischen Essentialismus“ zurück-
gegriffen, der nicht als essenzialisierendes kollektives Bewusstsein zu verstehen ist,
sondern als Subjektposition, die es Akteur_innen mit unterschiedlichen Identitäts-
dimensionen ermöglicht, eine solidarische, politische Handlungsfähigkeit zu erlangen.
Die für die feministische und intersektionale Forschung relevanten quantitativen
Daten sind meist Ergebnis einfacher Forschungsdesigns und auf Häufigkeiten
beschränkt. Beispielsweise sind quantitative Daten zum Berufsfeld Journalismus
relevant, denn sie belegen den geringen Frauenanteil, vor allem in höheren Positio-
nen, und sie belegen den marginalen Anteil von Journalistinnen mit Migrationshin-
tergrund. In der Regel sind es die Berufsverbände der Journalist_innen, die ein
Monitoring ihrer Mitglieder nach mehreren Differenzkriterien vornehmen. In den
USA beispielsweise dokumentiert die American Society of Newspaper Editors
(2017) seit 1974 den Anteil von Journalist_innen of colour, aufgeschlüsselt nach
„Rasse“/Ethnizität und differenziert nach Geschlecht und beruflicher Position. Diese
Erhebungen verfolgen aber keine differenzierte intersektionale Analyse, sondern das
Monitoring ist auf ein „body counting“ beschränkt. Im deutschsprachigen Raum
fehlen derartige Daten gänzlich. (Röben 2019) In internationalen Vergleichsstudien
zum Journalismus werden Daten nicht nach „Rasse“/Ethnizität aufgeschlüsselt,
differenziert wird lediglich nach Geschlecht, ohne aber die hierarchische Position
mitzuberücksichtigen. (Worlds of Journalism Study 2016) Es gibt also keine quan-
titative intersektionale Studie zum journalistischen Berufsfeld.
Häufig werden quantitative Studien als Ausgangspunkt genommen, um mit einer
Erweiterung durch eine intersektionale Perspektive und der Anwendung qualitativer
Methoden innovative Erkenntnisse zu erlangen. So ist etwa der geringe Frauenanteil in
Sportredaktionen Ausgangspunkt intersektionaler Forschung, um neben Geschlecht
nach „Rasse“/Ethnizität und Homosexualität im Sportressort zu fragen. (Dorer et al.
2020) Lünenborg und Fürsich (2014a, b) beispielweise erweitern die geschlechtsspe-
zifische Journalismusforschung um die Kategorien Ethnizität und Klasse. Eine inter-
national vergleichende Studie (in Frankreich, Deutschland und UK) bezieht Erkennt-
nisse der Genderforschung betreffend patriarchaler Organisationsstrukturen sowie
vertikaler und horizontaler Segmentation des journalistischen Berufsfeldes auf musli-
mische Journalistinnen in minority/ethnic media. Die Journalistinnen erfahren zwar
bezüglich der Struktur ähnliche Diskriminierungen, sind aber davon überzeugt, dass
sie durch das Einbringen neuer Themen ein Empowerment ihrer migrantischen (und
muslimischen) Rezipientinnen fördern können. (Rigoni 2012) Konsequenzen fehlen-
der Migrant_innen in Medienredaktionen zeigen sich nicht nur in einer Unangemes-
senheit medialer Repräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund, sondern
eben auch in einem Mangel an innovativen Formen der Berichterstattung (Gouma
2012).
Eine intersektionale Herangehensweise mit qualitativen Methoden ermöglicht
auch, Ergebnisse der Mainstreamforschung inhaltlich und methodisch zu hinterfra-
194 A. Gouma und J. Dorer

gen, und versteht sich dann als Kritik und Korrektiv zu Erkenntnissen quantitativer
Forschung. Dies betrifft zum Beispiel die Frage nach der Wirkung sexistischer
Medieninhalte. Die zur Zeit sehr populäre, quantitative Herangehensweise in der
Mainstreamforschung, die von einer simplen Stimulus-Response-These ausgeht,
besagt, dass die allgegenwärtigen, sexualisierten Medieninhalte zu einem verzerrten
Körperbild und zu einem geringeren Selbstwertgefühl bei jungen Mädchen führen.
Linda Duits und Liesbet van Zoonen (2013) greifen die seit den 1980er-Jahren
bestehende Kritik der feministischen Forschung an Sexualisierung auf, die allerdings
erst mit einem Report der American Psychological Association (APA 2007) zu einer
breiten öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion führte. Mit einer intersek-
tionalen, ethnografischen Herangehensweise zeigen sie, wie differenziert sich junge
Frauen verschiedener Ethnizität sexualisierte Medieninhalte aneignen und wie diese
in sehr unterschiedlicher Weise damit umgehen. Schwarze, muslimische Schüle-
rinnen und weiße Mädchen der Mehrheitsgesellschaft an nicht konfessionellen
Schulen sind keineswegs einheitliche Gruppen, die generell als Opfer sexistischer
Medieninhalte gelten können. Vielmehr gibt es auch innerhalb der ethnischen
Gruppen große Unterschiede darin, mediale Formen von Sexismus kritisch in den
Medienalltag zu integrieren. Mit ihrer differenzierten Analyse kritisieren und korri-
gieren Duits und van Zoonen das simple Stimulus-Response-Modell der quantitati-
ven Wirkungsforschung, ohne aber die grundsätzliche Kritik an der zunehmenden
Sexualisierung von Medieninhalten, welche einen gesellschaftlichen Diskurs der
Normalisierung in Gang gesetzt hat, in Frage zu stellen.
Anstrengungen, um quantitative Verfahren für die Intersektionalitätsforschung
sinnvoll anzuwenden, wurden von Scott und Siltanen (2017) unternommen. Sie
prüfen unter Berücksichtigung der Komplexität der intersektionalen Analyse, wie
verschiedene Typen von Regressionsanalysen für die Erforschung intersektionaler
Fragestellungen einzusetzen sind. Als entscheidende Dimensionen, die sie aus der
Diskussion zur Intersektionalität extrahieren und für ihre quantitative Methodik
identifizieren, gelten erstens Kontexte, zweitens heuristische Herangehensweisen,
um die relevanten Ungleichheitskategorien zu identifizieren, und drittens Adressie-
rung der komplexen Struktur der Ungleichheit. Ergebnis ihrer Überlegungen sind
drei Typen von Regressionsanalysen, bei denen Kontexte in unterschiedlicher Weise
(ein Kontext als höhere Ordnung der Interaktion, Vergleich verschiedener Kontexte
oder Kontexte als höhere Ordnungsebene der Analyse) Berücksichtigung finden.
Anhand von Beispielen zeigen sie (für eine soziologische und nicht medienwissen-
schaftliche Fragestellung), dass der multiplen Regressionsanalyse das größte Poten-
zial innewohnt, um intersektionale Fragestellungen quantitativ zu erforschen. Nach-
teil dieser Methode ist, dass Kategorien fix vorgegeben werden müssen und so mit
der fehlenden Offenheit und der Begrenzung auf wenige Kategorien eine Einschrän-
kung des Erkenntnisgewinns verbunden ist. Eine weitere Einschränkung ergibt sich
auch durch die hohe Anforderung an die Auswahl der Kontextkategorien, an ein
stringentes Daten-Set sowie durch die Notwendigkeit, dass die relevanten Kontext-
daten auch verfügbar sein müssen. Eine Anwendung für medienwissenschaftliche
Fragestellungen steht bislang noch aus.
Intersektionalität: Methodologische und methodische Herausforderung . . . 195

4 Fazit

Intersektionalitätsforschung ist für die Kommunikationswissenschaft ein wichtiger


Ansatz, um neue Fragestellungen und innovative Forschungsdesigns zu entwickeln.
Medienwissenschaftliche Studien werden damit nicht einfacher. Die Berücksichti-
gung mehrerer Analyseebenen und mehrerer sozialer Differenzkriterien verlangt
nach einem komplexen Forschungsdesign und einer aufwendigen Forschungstätig-
keit und nicht zuletzt nach einer Aufsatzlänge, die den Vorgaben wissenschaftlicher
Journals zuwider läuft. (Degele 2019, S. 374) Dies ist in den nach wirtschaftlichen
Kriterien orientierten Universitätssystemen westlicher Gesellschaften eine enorme
Herausforderung. Auch die für die Intersektionalitätstheorie wichtige Grundlage,
Theorie, wissenschaftliche Praxis und Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse
in eine politische Praxis zu verbinden, lassen sich mit heutigen Diskursen der
Wissensproduktion kaum vereinbaren. Denn die Übernahme gesellschaftlicher Ver-
antwortung in Form eines Engagements in der sozialen und gesellschafts-politischen
Praxis steht im Widerspruch zu den heute geltenden Normen und Praxen im Wis-
senschaftsbetrieb und im Widerspruch zu einer derzeit geforderten wissenschaftli-
chen Normalbiografie. (Hark und Hofbauer 2018)

Literatur
American Society of Newspaper Editors (ASNE). 2017. Minority employment in daily newspapers.
http://asne.org/content.asp?pl=140&sl=129&contentid=129. Zugegriffen am 06.07.2019.
APA. 2007. Report of the APA Task Force on the sexualization of girls. Washington, DC: American
Psychological Association.
Butler, Judith. 1991. Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt: Suhrkamp.
Carstensen, Tanja, und Gabriele Winker. 2012a. Intersektionalität in der Internetforschung. Medien
& Kommunikationswissenschaft 60(1): 3–23.
Carstensen, Tanja, und Gabriele Winker. 2012b. Von Gender & Internet zu Intersektionalität & Web
2.0. Über notwendige Verschiebungen in der Analyse sozialer Ungleichheiten. In Ungleichheit.
Medien- und kommunikationssoziologische Perspektiven, Hrsg. Christian Stegbauer, 223–242.
Wiesbaden: Springer.
Christensen, Ann-Dorte, und Sune Qvotrup Jensen. 2012. Doing intersectional analysis: Methodo-
logical implications for qualitative research. NORA – Nordic Journal of Feminist and Gender
Research 20(2): 109–125.
Collins, Patricia Hill. 1990. Black feminist thought. New York: Routledge.
Collins, Patricia Hill, und Sierma Bilge. 2016. Intersectionality. Cambridge: Polity Press.
Crenshaw, Kimberlé W. 1989. Demarginalizing the intersection of race and sex: A Black feminist
critique of antidiscrimination doctrine, feminist theory and antiracist politics. University of
Chicago Legal Forum 1:139–167. http://chicagounbound.uchicago.edu/uclf/vol1989/iss1/8.
Zugegriffen am 6.7.2019.
Davis, Angela. 1998. The Angela Y. Davis reader. Malden: Blackwell.
Davis, Kathy. 2013 [2008]. Intersektionalität als „Buzzword“. Eine wissenschaftssoziologische Per-
spektive auf die Frage „Was macht eine feministische Theorie erfolgreich?“ In Fokus Intersektiona-
lität. Hrsg. Helma Lutz, María Teresa Herrera Vivar, und Linda Supic, 59–74, Wiesbaden: Springer.
Degele, Nina. 2019. Intersektionalität: Perspektiven der Geschlechterforschung. In Handbuch
Interdisziplinärer Geschlechterforschung, Hrsg. Beate Kortendiek, Birgit Riegraf, und Katja
Sabisch, 341–348. Wiesbaden: Springer.
196 A. Gouma und J. Dorer

Dietze, Gabriele. 2012. „Against-Type-Casting“ Migration – Casting Shows und kulturelle Vielfalt.
In Intersektionalität und Kulturindustrie, Hrsg. Katharina Knüttel und Martin Seeliger,
163–185. Bielefeld: transcript.
Dines, Gail, und Jean Humez, Hrsg. 1995. Gender, race and class in media. A text-reader.
Thousand Oaks/London/New Delhi: Sage.
Dorer, Johanna, Assimina Gouma, und Matthias Marschik. 2020 in press. Intersectionality in sport
journalism. In The International Encyclopedia of Gender Media & Communication, Hrsg.
Karen Ross. Chichester/West Sussex: Wiley.
Drüeke, Ricarda, Elisabeth Klaus, und Martina Thiele. 2014. Intersektionalität. Medien Journal 38:3.
Duits, Linda, und Liesbeth van Zoonen. 2013. Zum Umgang mit Sexualisierung. In Sexy Media?
Hrsg. Skadi Loist, Sigrid Kannengießer, und Joan K. Bleicher, 89–112. Bielefeld: transcript.
Gouma, Assimina. 2012. Migration und Kritischer Journalismus – integrativ oder antirassistisch?
Medien Journal 36(3): 35–46.
Gouma, Assimina. 2019. Medien und Mehrsprachigkeit. Intersektionelle Perspektiven auf Lingui-
zismus in der Migrationsgesellschaft. Wiesbaden: Springer.
Gutiérrez Rodríguez, Encarnación. 2011. Intersektionalität oder: Wie nicht über Rassismus spre-
chen? In Intersektionalität revisited. Empirische, theoretische und methodische Erkundungen,
Hrsg. Sabine Hess, Nikola Langreiter, und Elisabeth Timm, 77–100. Bielefeld: transcript.
Hagemann-White, Carol. 2011. Intersektionalität als Herausforderung für die Geschlechterfor-
schung. In Intersektionalität zwischen Gender und Diversity. Theorien, Methoden und Politiken
der Chancengleichheit, Hrsg. Sandra Smykalla und Dagmar Vinz, 20–35. Münster: Westfäli-
sches Dampfboot.
Hametner, Katharina, Natalie Rodax, Katharina Steinicke, Anna Mayer, Lena Landertinger, und
Isabell Jacob Prado. 2019. „Cool! Bikini and lingerie instead of Burka!“ – the discursive
representation of Muslim women in Austrian women’s magazines. Feminist Media Studies.
https://doi.org/10.1080/1468777.2019.1583679. Zugegriffen am 6.7.2019.
Hankivsky, Olena, und Daniel Grace. 2015. Understanding and emphasizing differences and
intersectionality in multimethod and mixed methods research. In Oxford handbook of multime-
thod and mixed methods research inquiry, Hrsg. Sharlene Hesse-Biber und Burke Johnson,
110–127. Oxford: Oxford University Press.
Hark, Sabine, und Johanna Hofbauer, Hrsg. 2018. Vermessene Räume, gespannte Beziehungen.
Unternehmerische Universitäten und Geschlechterdynamiken. Frankfurt: Suhrkamp Wissenschaft.
Haug, Frigga. 1987. Female sexualization: A collective work of memory. London: Verso.
Haug, Frigga. 1999. Vorlesungen zur Einführung in die Erinnerungsarbeit. The Duke Lectures.
Hamburg: Argument.
Haug, Frigga, und Brigitte Hipfl. 1995. Sündiger Genuß? Hamburg: Argument.
hooks, bell. 1992. Black looks. Race and representation. Boston: South End Press.
Jäger, Siegfried. 2012. Kritische Diskursanalyse, 6., überarb. Aufl. Münster: Unrast.
Kerner, Ina. 2009. Alles intersektional? Zum Verhältnis von Rassismus und Sexismus. Feministi-
sche Studien 27(1): 36–50.
Klinger, Cornelia, Gudrun-Axeli Knapp, und Birgit Sauer, Hrsg. 2007. Achsen der Ungleichheit.
Zum Verhältnis von Klasse, Geschlecht und Ethnizität. Frankfurt/New York: Campus.
Knapp, Gudrun-Axeli. 2005a. Race, class, gender. Reclaiming baggage in fast travelling theories.
European Journal of Women’s Studies 12(3): 249–265.
Knapp, Gudrun-Axeli. 2005b. „Intersectionality“ – ein neues Paradigma feministischer Theorie?
Zur transatlantischen Reise von „Race, Class and Gender“. Feministische Studien 23(1): 68–81.
Knapp, Gudrun-Axeli. 2008. Intersectionality – ein neues Paradigma der Geschlechterforschung?
In Was kommt nach der Geschlechterforschung? Zur Zukunft der feministischen Theoriebil-
dung, Hrsg. Rita Casale und Barbara Rendtorff, 33–53. Bielefeld: transcript.
Knapp, Gudrun-Axeli. 2013. „Intersectional Invisibility“: Anknüpfungen und Rückfragen an ein
Konzept der Intersektionalitätsforschung. In Fokus Intersektionalität, Hrsg. Helma Lutz, María
Teresa Herrera Vivar, und Linda Supic, 243–264. Wiesbaden: Springer.
Intersektionalität: Methodologische und methodische Herausforderung . . . 197

Knüttel, Katharina. 2012. Schöne schwarze Frau macht Karriere? Intersektionale Ambivalenzen in
„Germany’s Next Topmodel“. In Intersektionalität und Kulturindustrie, Hrsg. Katharina Knüttel
und Martin Seeliger, 131–159. Bielefeld: transcript.
Lorey, Isabell. 2011. Von den Kämpfen aus. Eine Problematisierung grundlegender Kategorien. In
Intersektionalität revisited. Empirische, theoretische und methodische Erkundungen, Hrsg.
Sabine Hess, Nikola Langreiter, und Elisabeth Timm, 101–116. Bielefeld: transcript.
Lünenborg, Margreth, und Elisabeth Fürsich. 2014a. Media and the intersectional other. The
complex negotiation of migration, gender, and class on German television. Feminist Media
Studies 14(6): 959–975.
Lünenborg, Margreth, und Elisabeth Fürsich. 2014b. Intersektionalität und „The Other“. Medien
Journal 38(3): 7–20.
Lutz, Helma. 2015. Intersectionality as method. Journal of Diversity and Gender Studies 2(1–2):
39–44.
Lutz, Helma, María Teresa Herrera Vivar, und Linda Supik, Hrsg. 2013. Fokus Intersektionalität.
Bewegungen und Verortungen eines vielschichtigen Konzepts, 2. Aufl. Wiesbaden: Springer.
Matsuda, Mary. 1991. Beside my sister. Facing the enemy: Legal theory out of coalition. Standford
Law Review 43(6): 1183–1192.
McCall, Leslie. 2005. The complexity of intersectionality. Signs 30(3): 1771–1800.
Meyer, Katrin. 2017. Theorien der Intersektionalität. Hamburg: Junius.
Rakow, Lana F., Hrsg. 1992. Women making meaning. New York/London: Routledge.
Rigoni, Isabelle. 2012. Intersectionality and mediated cultural production in a globalized post-
colonial world. Ethnic and Racial Studies 35(5): 834–849.
Röben, Bärbel. 2019. Migrantinnen in den Medien. In Handbuch Medien und Geschlecht, Hrsg.
Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesbaden: Springer.
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_64-1. Zugegriffen am 06.07.2019.
Scott, Nicholas, und Janet Siltanen. 2017. Intersectionality and quantitative methods: Assessing
regression from a feminist perspective. International Journal of Social Methodology 20(4):
373–385.
Skeggs, Beverley, und Helen Wood. 2012. Reacting to reality television: Performance, audience
and value. London: Routledge.
Spivak, Gayatri Chakravorty. 1988. Can the subaltern speak? In Marxism and the interpretation of
culture, Hrsg. Cary Nelson und Lawrence Grossberg, 271–313. Urbana: University of Illinois.
Spivak, Gayatri Chakravorty. 1996. The Spivak reader. New York/London: Routledge.
Walgenbach, Katharina. 2013. Postscriptum: Intersektionalität. In Fokus Intersektionalität. Bewe-
gungen und Verortungen eines vielschichtigen Konzepts, Hrsg. Helma Lutz, María Teresa
Herrera Vivar, und Linda Supik, 265–277. Wiesbaden: Springer.
Winker, Gabriele, und Nina Degele. 2009. Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheit.
Bielefeld: transcript.
Winker, Gabriele, und Nina Degele. 2011. Intersectionality as multi-level analysis: Dealing with
social inequality. European Journal of Women’s Studies 18(1): 51–66.
Wischermann, Ulla, und Tanja Thomas, Hrsg. 2008. Medien – Diversität – Ungleichheit. Zur
medialen Konstruktion sozialer Differenz. Wiesbaden: Springer.
Worlds of Journalism Study. 2016. Sociodemographic backgrounds. http://www.worldsofjourna
lism.org/research/2012-2016-study/data-and-key-tables/. Zugegriffen am 06.07.2019.
Yuval-Davis, Nira. 2013. Jenseits der Dichotomie von Anerkennung und Umverteilung: Inter-
sektionalität und soziale Schichtung. In Fokus Intersektionalität. Bewegungen und Verortungen
eines vielschichtigen Konzepts, Hrsg. Helma Lutz, María Teresa Herrera Vivar, und Linda
Supik, 243–264. Wiesbaden: Springer.
Zoonen, Liesbet van. 1994. Feminist media studies. London/Thousand Oaks/New Delhi: Sage.
Methodologiedebatten und
Methodeneinsatz in der
kommunikationswissenschaftlichen
Geschlechterforschung

Susanne Kinnebrock

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
2 Entwicklung von Methodologiedebatten und Methodeneinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
3 Ausblick: Neue Methoden in der Kommunikationswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210

Zusammenfassung
Seit etwa 50 Jahren betreibt die kommunikationswissenschaftliche Geschlechter-
forschung im deutschsprachigen Raum empirische Forschung. Sie hat dabei
eigenständige methodologiekritische Perspektiven entwickelt und den Anspruch
empirisch-kommunikationswissenschaftlicher Aussagen auf Allgemeingültigkeit
und Geschlechtsneutralität häufig in Frage gestellt. Das Methodenrepertoire
wandelte sich mit den verschiedenen theoretischen Ansätzen. Während sich die
frühe kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung auf Frauen kon-
zentrierte und dabei Unterschiede sowie Diskriminierungen v. a. mithilfe stan-
dardisierter Inhaltsanalysen und Befragungen dokumentierte, entwickelte sich
spätestens im Zuge des Differenzansatzes eine Präferenz für qualitative Verfah-
ren. Sie erschienen geeigneter, um individuelle Kommunikationserfahrungen von
Frauen, ihre Subjektpositionierungen und differenten Lesarten zu erfassen. Unter
(de-)konstruktivistischem Paradigma wandte sich die kommunikationswissen-
schaftliche Geschlechterforschung vermehrt der Analyse grundlegender Muster
der Vergeschlechtlichung zu. Das „doing gender“ im alltäglichen Medienhandeln,
aber auch Dualismen in medialen Diskursen werden inzwischen v. a. mithilfe von
Methodentriangulationen beleuchtet.

S. Kinnebrock (*)
Universität Augsburg, Augsburg, Deutschland
E-Mail: susanne.kinnebrock@phil.uni-augsburg.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 199
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_13
200 S. Kinnebrock

Schlüsselwörter
Feministische Methodologiekritik · Qualitative Methoden · Quantitative
Methoden · Feminist Media Studies · Kommunikationswissenschaftliche
Geschlechterforschung

1 Einleitung

Zahlreiche Untersuchungen der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechter-


forschung1 gehen empirisch vor und berühren damit zumindest implizit Fragen von
Methodologie und Methode. Explizit widmete sich bereits die frühe feministisch
inspirierte (Medien-)Forschung der 1970er und 1980er dem Zusammenhang von
Wissenschaftstheorie, Methodologie und empirischen Methoden – und verband sie
mit einer heftigen Kritik am „malestream“ empirischer Sozialforschung (Oakley
1998, S. 707; siehe auch Rakow 1986; Dervin 1987). Methodologische Debatten
stellen damit eine lange Traditionslinie in der kommunikationswissenschaftlichen
Geschlechterforschung dar. Und doch ist ein Überblick über die Methoden in diesem
Feld nicht leicht zu strukturieren.
Das liegt zunächst daran, dass Geschlechterforschung auch in der Kommunika-
tions- und Medienwissenschaft quer zu den gängigen Forschungsfeldern liegt.
Geschlechterperspektiven können in empirischen Studien zunächst im Bereich der
Medienproduktion bzw. Kommunikator*innenforschung angelegt werden, dann im
Bereich des individuellen Medienhandelns, was Medienaneignung und -nutzung,
aber auch -rezeption und -wirkung einschließt, und schließlich im Bereich der
Medieninhalte und öffentlichen Diskurse. Kurzum, zumeist lassen sich Studien mit
Geschlechterperspektive mindestens doppelt verorten – im Bereich der Geschlech-
terforschung und einem weiteren kommunikationswissenschaftlichen Feld –, und in
Summe decken sie nahezu alle Felder der Kommunikations- und Medienwissen-
schaft ab. Dementsprechend forschen sie auch mit sehr unterschiedlichen, für die
jeweiligen Felder typischen Methoden. Originär feministische Methoden sind weder
in der Kommunikations- und Medienwissenschaft noch in den Sozialwissenschaften
entstanden (Althoff et al. 2017, S. 440).
Darüber hinaus erweist es sich als Trugschluss, dass Geschlecht als zentrale
Analysekategorie der Geschlechterforschung so eindeutig konturiert sei, dass es
als leitender Kompass durch die Vielzahl an Studien und kommunikationswissen-
schaftlichen Feldern fungieren könne. Geschlecht als Analysekategorie hat ganz

1
Es wird in diesem Beitrag die Bezeichnung kommunikationswissenschaftliche Geschlechterfor-
schung verwendet, die als eine Art Dachbezeichnung für verschiedene methodologische und
theoretische Strömungen innerhalb der geschlechtersensiblen Medien-, Kommunikations- und
Öffentlichkeitsforschung fungiert. Das heißt, es sollen hier sowohl frühe Ansätze der kommunika-
tionswissenschaftlichen Frauenforschung, die feministische Medienforschung, Feminist Media
Studies, Gender Media Studies und Queer Media Studies als eingeschlossen betrachtet werden
(siehe auch die Überblicksdarstellung von Wischermann 2018).
Methodologiedebatten und Methodeneinsatz in . . . 201

eigene „Tücken“ (Honegger und Arni 2001; Kinnebrock et al. 2012), was bei der
Definition anfängt: Geschlecht wird zum einen biologisch bzw. sozial-kategoriell
gefasst, um Personen als Mann oder Frau zuzuordnen (englisch: sex). Zum anderen
fungiert Geschlecht als duales System der Bedeutungszuweisung, mittels dessen
nicht nur Verhaltensweisen und Gegenstände, sondern letztlich die gesamte soziale
Welt als feminin oder maskulin etikettiert werden (englisch: gender). Wie „sex“ und
„gender“ als komplex verflochtene Wissenssysteme zueinander in Beziehung gesetzt
werden, ist nicht nur Gegenstand zahlreicher theoretischer Abhandlungen, sondern
auch eine Frage der Empirie. Denn zum einen stellt sich die Frage, wie „sex“ und
„gender“ empirisch operationalisiert werden, zum anderen sind multiple Interaktio-
nen mit weiteren relevanten Sozialkategorien (z. B. sexuelle Identität, Alter, Ethnie,
Herkunft, Milieu) und Kontexten (z. B. spezifisches Medienangebot, Situation,
umgebende Strukturen) zu berücksichtigen. Nicht ohne Grund werden in jüngerer
Zeit für empirische Forschungen der kommunikationswissenschaftlichen Ge-
schlechterforschung zunehmend queere, intersektionale und postkoloniale Perspek-
tiven eingefordert (z. B. Goel 2021; Mertlitsch 2019; Gouma und Dorer 2019), so
dass sich der Gegenstandsbereich der kommunikationswissenschaftlichen Ge-
schlechterforschung zunehmend ausweitet.
Neben der adäquaten Definition und Einbettung von Geschlecht als theoretische
Analysekategorie ist beim empirischen Arbeiten eine weitere „Tücke“ der Kategorie
Geschlecht zu berücksichtigen: Empirische Studien im Allgemeinen (und umso
mehr solche, die mit standardisierten Verfahren arbeiten) nehmen am Anfang Kate-
gorisierungen vor – v. a. auch entlang des biologischen bzw. binär-sozialkategorialen
Geschlechts. Einmal gesetzt, durchziehen diese Kategorisierungen den ganzen For-
schungsprozess sowie dessen Ergebnisse. In der Folge läuft Geschlechterforschung
leicht Gefahr, genau das, was eigentlich hinterfragt werden sollte, nämlich die
grobschlächtige, biologisch begründete Geschlechterdifferenz Mann – Frau, zu
reproduzieren. Dies haben Regine Gildemeister und Angelika Wetterer (1992)
auch als „Reifizierung“ von Zweigeschlechtlichkeit v. a. durch die frühe Frauen-
forschung kritisiert.
Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, Methodologie und tatsächliche Methoden
sind im Bereich der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung engs-
tens miteinander verwoben. Sandra Harding, eine einflussreiche feministische Er-
kenntnis- und Wissenschaftstheoretikerin, hat Methoden („methods“) als Techniken
beschrieben, die der empirischen Generierung von Evidenzen dienen (Harding 1987,
S. 2). Methodologien hingegen versteht sie als Logiken, die hinter den jeweiligen
Methoden stehen („a theory or analysis how research does or should proceed“,
Harding 1987, S. 3) und zugleich der Reflexion der konkret eingesetzten Methode
dienen. „Epistemologies“ oder erkenntnistheoretische Betrachtungen wiederum ana-
lysieren die Bedingungen, wie Wissen zustande kommt, und betten damit methodo-
logische Überlegungen in größere wissenschaftliche und gesellschaftliche Zusammen-
hänge ein. Dazu gehört die Analyse, wer ein Wissen erlangen und verbreiten kann
(„knowers“) und was tatsächlich als verbürgtes Wissen („knowledge“) zählt. Dabei ist
es nicht allein die über Methoden gewonnene empirische Evidenz, die eine
202 S. Kinnebrock

wissenschaftliche Erkenntnis zum verbürgten Wissen oder gar Allgemeingut macht,


sondern durchaus auch die Anschlussfähigkeit einer Erkenntnis an dominante gesell-
schaftliche Vorstellungen oder Ideologien. Wissen ist immer auch zeitgenössisch-
gesellschaftlich situiert (Harding 1987, S. 3; Haraway 1988, S. 576–577; Ehlers und
Zachmann 2019, S. 15–17).
Feministische Kritik setzte an den herrschenden, aber kaum hinterfragten erkennt-
nistheoretischen Grundlagen von wissenschaftlichem Wissen an – wie der vorschnel-
len Verallgemeinerung des „männlichen Normalfalls“ verbunden mit einer methodo-
logischen Unbedarftheit, weibliche Lebenszusammenhänge samt ihrer Eigenlogiken
tatsächlich zu erfassen. Das heißt, die feministische Kritik zielte auf erkenntnistheo-
retische Grundlagen sowie Methodologie und stellte damit das vorherrschende Wis-
senschaftsverständnis und bestehende Objektivitätsansprüche fundamental in Frage.
Reine Methodendebatten, die nur der Optimierung von einzelnen Erhebungs- und
Auswertungstechniken gelten, sind im Bereich der sozialwissenschaftlichen und kom-
munikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung hingegen rar (Althoff et al.
2017, S. 439).
Der erkenntnistheoretische Impetus hinter feministischer Methodenkritik erklärt
die Gliederung dieses Beitrags. Weitgehend entlang der Zeitachse und historisch
gewachsener Paradigmen kommunikationswissenschaftlicher Frauen-, Geschlech-
ter- und aktuell Queerforschung wird methodologische Kritik vorgestellt sowie auf
den zeit- und feldtypischen Methodengebrauch verwiesen.2 Dabei wird auch auf die
methodologischen Debatten innerhalb der sozialwissenschaftlichen Frauen- und
Geschlechterforschung Bezug genommen, denn die Überschneidungsbereiche und
Bezugnahmen zwischen v. a. soziologischer und kommunikationswissenschaftlicher
Geschlechterforschung sind im Bereich der empirischen Methoden beachtlich. Da
weder die Vielzahl an kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterstudien noch
die verschiedenen empirischen Methoden en detail erläutert werden können, sind
viele Literaturverweise integriert, die zum einen auf grundlegende kommunikations-
wissenschaftliche Methodenlehrbücher verweisen, zum anderen auf Best-Practice-
Beispiele der Methodenanwendung im Bereich der Geschlechterforschung.

2
Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass für sogenannte Paradigmenwechsel (Kuhn 1962) oder
Denkstilwechsel (Fleck 1935) normalerweise kaum ein fester Zeitpunkt zu bestimmen ist, weil
Paradigmenwechsel in der Wissenschaft längerfristige Prozesse darstellen. Zum anderen ist zu
bedenken, dass Paradigmen i. d. R. nicht ausgetauscht werden, sondern parallel weiterbestehen,
wobei je nach Zeitabschnitt bestimmte Paradigmen dominanter sind, andere dafür stärker in den
Hintergrund treten. Und schließlich folgen empirische Studien oft nicht einem (oft ex-posteriori
definierten) Paradigma in Reinform, sondern setzen komplexe Studiendesigns um, so dass ihre
Befunde schließlich anschlussfähig an unterschiedliche Paradigmen sind bzw. auch entlang unter-
schiedlicher Paradigmen interpretiert werden können. Die in diesem Beitrag erfolgte Zuordnung von
empirischen Methoden und Studien zu Gleichheitsansatz, Differenzansatz und (De-)Konstruktivismus
stellt einen Strukturierungsversuch dar, der Grenzfälle der Studienzuordnung, die Parallelität von
unterschiedlichen Paradigmen und die Problematik gesetzter zeitlicher Zäsuren damit nicht in Abrede
stellt.
Methodologiedebatten und Methodeneinsatz in . . . 203

2 Entwicklung von Methodologiedebatten und


Methodeneinsatz

2.1 Gleichheitsansatz und Methodeneinsatz

Im Vergleich zu angelsächsischen Ländern hat sich die kommunikationswissen-


schaftliche Frauenforschung im deutschsprachigen Raum spät entwickelt (Klaus
2005, S. 41). Vorausgegangen waren zunächst Aktivitäten der zweiten Frauenbewe-
gung sowie der Frauenhochschulbewegung (Metz-Göckel 2019), im Zuge derer
u. a. frauenbezogene Leerstellen sozialwissenschaftlicher Forschung massiv kriti-
siert wurden. Zudem gab eine vielzitierte Studie zum Frauenbild im Fernsehen, die
das bundesdeutsche Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit anlässlich des
Jahres der Frau 1975 in Auftrag gegeben hatte, klare Hinweise darauf, dass Muster,
die später als „Marginalisierung“ (oder gar „symbolic annihilation“) und „Triviali-
sierung“ von Frauen bezeichnet wurden (Tuchman 1978) bundesdeutsche Medien-
darstellungen durchzogen (Küchenhoff 1975). Dies gab nicht nur Anlass zu femi-
nistischer Medienkritik, sondern auch zu weiteren empirischen Studien, die in den
1970er- und 1980er-Jahren bevorzugt Frauen – als Kommunikatorinnen, Medien-
handelnde und Sujet von Mediendiskursen – in den Mittelpunkt stellten. Dabei
konnten auch für Frauen als Medienschaffende im Journalismus (z. B. Neverla
und Kanzleiter 1984; Keuneke et al. 1997) und in den PR (z. B. Fröhlich et al.
2005) Marginalisierungs- und Segregationstendenzen festgestellt werden. Diese
frühen Studien, die heute primär dem Repräsentanz- oder Gleichheitsansatz zuge-
ordnet werden (Klaus 2005, siehe auch Capecchi 2014), fokussierten häufig auf die
fehlende Gleichheit zwischen Männern und Frauen, die z. B. in verzerrten Frauen-
darstellungen oder ungleichen Berufsmöglichkeiten ihren Ausdruck fand (und
findet). Empirisch orientierten sich diese Studien am (damals) gängigen Methoden-
repertoire der Kommunikationswissenschaft, wobei zur Erhebung des medialen
Frauenbilds v. a. standardisierte Inhaltsanalysen (siehe Rössler 2017) eingesetzt
wurden, um Marginalisierung, Trivialisierung und Diskriminierung von Frauen
darzulegen (z. B. Leinfellner 1983; Weiderer 1995; Pfannes 2004; Magin und
Stark 2010; Prommer und Linke 2019). Die Befragung (siehe Scholl 2018) von
Medienschaffenden erfolgte ebensoft standardisiert, aber bisweilen auch kombiniert
mit offenen Fragen und entsprechend qualitativer Auswertung (z. B. Freise und
Drath 1977; Neverla und Kanzleiter 1984).
Studien in der Tradition des Gleichheitsansatzes haben zuweilen beachtliche
politische Schlagkraft entwickelt, weil sie zum einen Geschlechterhierarchien of-
fenlegten, die demokratischen Gleichheitsversprechen offensichtlich entgegenlau-
fen. Zudem war ihre Methodenwahl wenig angreifbar, bedienten sich diese Studien
ja etablierter sozialwissenschaftlicher Methoden wie standardisierter Inhaltsanalysen
und verschiedener Befragungsformen (siehe mit internationalem Bezug auch Ca-
pecchi 2014; Mendes und Carter 2008, S. 1704). Das heißt, der Objektivitäts-
anspruch v. a. standardisierter sozialwissenschaftlicher Verfahren wurde von diesen
Studien weder in Frage gestellt noch ein komplexerer Geschlechterbegriff
204 S. Kinnebrock

angewendet. Die Studienergebnisse selbst wurden primär entlang der Mann-Frau-


Differenz interpretiert, wobei in standardisiert vorgehenden Studien viele Facetten
des weiblichen Lebenszusammenhangs, die multiplen sozialen Positionierungen von
Frauen und schließlich Identitätsentwürfe jenseits des klassischen Frau-Seins oft
unbeleuchtet blieben.

2.2 Differenzansatz und feministische Methodologiedebatten

Innerhalb der kommunikationswissenschaftlichen Frauenforschung entwickelte sich


in den späten 1970er- und 1980er-Jahren ein zweiter Strang, dessen Kritik stärker
auf wissenschaftsinhärente blinde Flecken als auf gesellschaftliche Ungleichheits-
verhältnisse zielte. Inhaltlich gingen Studien, die dem Differenzansatz zugeordnet
werden, weiterhin von der Mann-Frau-Differenz aus, versuchten aber nun, die unter
dem Gleichheitsparadigma oft unterbelichtete weibliche Lebenssphäre differenzier-
ter zu erfassen und positiv zu deuten (Klaus 2005, S. 51–58). Sie stellten weniger auf
die (meist defizitäre) Positionierung von Frauen im Vergleich zu Männern ab,
sondern auf die Vielfältigkeit des weiblichen Lebenszusammenhangs und Medien-
gebrauchs. In der Folge traten neben Kommunikatorinnen (z. B. Keil 2000) v. a. Re-
zipientinnen, ihre komplexen Geschlechtsidentitäten, variierenden (Geschlechter-)
Rollen und die vielfältigen Lesarten von Medienangeboten stärker in den Vorder-
grund (exemplarisch Röser 1992, 2000; Röser et al. 2019). Methodisch implizierte
das eine Schwerpunktverlagerung hin zu qualitativen Methoden der Medien- und
Kommunikationsforschung – z. B. zu (Tiefen-)Interviews, zu Gruppendiskussionen
und zu Beobachtungen (siehe Methodenüberblicke von Wagner und Schönhagen
2021; Gehrau 2017), mit deren Hilfe individuelle Kommunikationserfahrungen und
Subjektpositionierungen genau erfasst werden sollten. Zudem kamen qualitative
textanalytischen Verfahren zum Einsatz, die auch Tiefenstrukturen von Medien-
inhalten und polyseme Botschaften zu identifizieren vermögen, wie z. B. hermeneu-
tische Verfahren, Diskursanalysen und qualitative Inhaltsanalysen. Das dahinterste-
hende Anliegen war, soziale Realität (v. a. den weiblichen Lebenszusammenhang) in
seinen eigenen Logiken zu erfassen und zu verstehen. Diese Vorgehensweise erin-
nert heute an die Methodologie der Grounded Theory (Pentzold et al. 2018),
allerdings fokussierten die frühen Studien des Differenzansatzes stärker auf die
Rekonstruktion von Einzelfällen, während spätere Studien mit (de-)konstruktivisti-
schem Ansatz vermehrt auf Muster der Vergeschlechtlichung abzielten. Im europä-
ischen Raum orientierten sich die Studiendesigns der geschlechtersensiblen Kom-
munikationsforschung zudem an den britischen Cultural Studies (McIntosh und
Cuklanz 2014; Mendes und Carter 2008). Denn beide Forschungsstränge, Cultural
Studies wie Studien unter Differenzparadigma, stellten die Bedeutung von Medien
für weniger beachtete Bevölkerungsgruppen in den Mittelpunkt, fokussierten auf
den Alltag und trennten – im Gegensatz zur medienpsychologisch geprägten kom-
munikationswissenschaftlichen Rezeptionsforschung – weniger zwischen Medien-
inhalt und seiner Wahrnehmung durch Rezipierende. Vielmehr steht das Zusammen-
spiel zwischen Produktion(sbedingungen), Medieninhalt und Rezeption im Zentrum
Methodologiedebatten und Methodeneinsatz in . . . 205

holistisch angelegter Medienanalysen der Cultural Studies (Bilandzic et al. 2015,


S. 222–231; siehe auch Pickering 2008).
Im US-amerikanischen Raum hingegen arbeitete sich die kommunikationswis-
senschaftliche Geschlechterforschung stärker an standardisierten Methoden ab
(Sprague und Zimmerman 1989) und versuchte, in diese komplexe Gender-
Operationalisierungen zu integrieren – u. a. durch das In-Beziehung-Setzen von
biologischem Geschlecht und Geschlechtsrollenorientierungen. Das geschah und
geschieht beispielsweise mithilfe des (mehrfach überarbeiteten und übersetzten)
Bem Sex Roles Inventory (1974) oder ähnlichen standardisierten Instrumenten
bzw. Skalen, die v. a. innerhalb der (Medien-)Psychologie entwickelt worden sind
(siehe z. B. den Überblick von Smiler und Epstein 2010 und als Anwendungs-
beispiel Döring 2013). Grundsätzlich spielen in medienpsychologischen Studien zu
geschlechtsspezifischen Rezeptionsweisen und Medienwirkungen standardisierte
Befragungen im Experimentaldesign eine große Rolle (siehe Döring 2020 und
zum Experiment an sich Koch et al. 2019), während Experimentanordnungen in
anderen Bereichen der kommunikationswissenschaftlichen Frauen- und Geschlech-
terforschung äußerst rar sind.
Die inhaltliche Hinwendung zum weiblichen Lebenszusammenhang und Me-
diengebrauch wurde vorbereitet von einer substanziellen Methodologiedebatte in-
nerhalb der sozialwissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterforschung. Auch
wenn die Protagonist*innen der Debatte überwiegend Soziolog*innen waren,
wurde sie auch innerhalb der Kommunikationswissenschaft intensiv rezipiert
(z. B. Drüeke 2016). Die „Methodischen Postulate der Frauenforschung“ der Sozio-
login Maria Mies stellen hier einen viel zitierten Meilenstein dar. Mies plädierte
1978 in ihrem einflussreichen, mehrfach nachgedruckten Aufsatz für eine enge
Verzahnung von Frauenforschung und Frauenbewegung: Parteilichkeit für und
Solidarität mit Frauen sollten Antrieb, Emanzipation das Ziel von feministischer
Forschung sein. Zudem vertrat Mies die These, dass speziell im Bereich der Frauen-
forschung Frauen immer zugleich Forschende und Betroffene seien und deshalb die
Rolle von neutralen Beobachterinnen kaum einnehmen könnten. Um sich den
tatsächlichen Lebensumständen von Frauen zu nähern, dürfe man keine Hierarchien
zwischen Forschenden und Beforschten aufmachen, wie dies v. a. die anonymisier-
ten standardisierten Verfahren täten.3 Quantitative Methoden wurden als herrschafts-
stabilisierende Instrumente abgelehnt, für offene, qualitative Methoden wurde plä-
diert (Brück et al. 1992, S. 32–35; siehe auch Müller 2010).
Obgleich Mies‘ Prinzipien der Parteilichkeit und Betroffenheit auch innerhalb der
soziologischen Frauenforschung relativiert und z. T. sogar abgelehnt wurden, leite-
ten sie doch eine grundsätzliche Debatte über den Autonomieanspruch von Wissen-
schaft gegenüber politischen Zielsetzungen ein, in deren Verlauf sowohl Ent-
deckungszusammenhang als auch Begründungszusammenhang von empirischer

3
Siehe für eine ähnliche Debatte im US-amerikanischen Raum z. B. den Sammelband „Beyond
Methodology“ von Fonow und Cook 1991 sowie die Monografien „Liberating Method“ von
DeVault 1999 und „Feminism and Method“ von Naples 2003.
206 S. Kinnebrock

Forschung stärker thematisiert wurden (Sturm 2010, S. 405–406). Weiterhin dürfte


die Auseinandersetzung mit Mies’ Postulaten die Skepsis gegenüber standardisierten
Methoden der empirischen Sozialforschung gefördert haben, zumindest entwickelte
sich innerhalb der sozialwissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterforschung eine
Präferenz für qualitative Verfahren (Behnke und Meuser 1999, S. 15). Die „Passung“
(Ayaß 2006, S. 419) von qualitativen Methoden und Gender Studies, die Liesbet van
Zoonen auch für die Kommunikationswissenschaft konstatierte (1994, S. 128), ist
dem Umstand geschuldet, dass sich qualitative Verfahren besonders gut eignen,
subtile Prozesse des „doing gender“ offenzulegen und deren multiple Kontexte zu
berücksichtigen.
Die Affinität der kommunikationswissenschaftlichen Frauen- und Geschlechter-
forschung zu qualitativen Methoden (Drüeke 2016, S. 577) spiegelt sich auch in Hand-
und Lehrbüchern für qualitative Methoden, die im deutschsprachigen Raum erschie-
nen sind. Sie integrieren zunehmend Kapitel zum theoretisch-methodologischen Input
der Geschlechterforschung bzw. zur praktischen Methodenanwendung im Feld der
kommunikations- und medienwissenschaftlichen Geschlechterforschung (z. B. Ayaß
2006 in Ayaß und Bergmann 2006; Drüeke 2016 in Averbeck und Meyen 2016;
Lünenborg und Maier 2018 in Pentzold et al. 2018). Dies lässt sich für kommunika-
tionswissenschaftliche Einführungsbücher in die standardisierten Methoden nicht
konstatieren, wie auch der Mainstream der empirisch-standardisierten Sozialforschung
der methodologischen Kritik der Frauen- und Geschlechterforschung oft skeptisch
begegnete, sie ignorierte oder gar abwehrend reagierte. Die Skepsis bezog sich dabei
nicht nur auf methodologische Kritik und Denkanstöße der frühen feministischen
Frauenforschung, sondern gleichermaßen auf „postmoderne“, de facto poststruktura-
listische Herangehensweisen (exemplarisch Schnell et al. 2008, S. 115–117), die seit
den 1990er-Jahren die sozialwissenschaftliche Geschlechterforschung zunehmend
prägten.

2.3 (De-)Konstruktivismus

Von den verschiedenen poststrukturalistischen Ansätzen reüssierte innerhalb der


deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft v. a. der Konstruktivismus, der
ebenso wie der Dekonstruktivismus für die kommunikationswissenschaftliche Ge-
schlechterforschung prägend wurde (Drüeke et al. 2017). Der (De-)Konstruktivis-
mus (Klaus 2005) geht davon aus, dass Medien keine Spiegel sozialer Realität sein
können (und steht damit dem Gleichheitsansatz der kommunikationswissenschaftli-
chen Frauenforschung diametral gegenüber). Er zielt darauf, Muster von Medien-
wirklichkeiten in den Fokus zu nehmen. Mit Blick auf Geschlecht interessiert, wie
Zweigeschlechtlichkeit bzw. das „doing gender“ bei der Produktion, Präsentation
und Aneignung von Medieninhalten (re-)produziert wird.
Für empirische Analysen bedeutet das zunächst, dass kulturelle Manifestationen
und Diskurse daraufhin untersucht werden, wie mit Dualismen operiert, der Gegensatz
von Männlichkeit und Weiblichkeit konstruiert und die dargestellte Realität damit
vergeschlechtlicht wird. Dabei kommen verschiedene Formen der Diskursanalyse zum
Methodologiedebatten und Methodeneinsatz in . . . 207

Einsatz (siehe als Methodenüberblick z. B. Fraas und Pentzold 2016 und als Anwen-
dungsbeispiel die Dekonstruktion des Internets als „männlich“ von Dorer 2001).
Ebenso werden Inhaltsanalysen – quantitative wie qualitative – weiterhin genutzt
(z. B. Kinnebrock und Knieper 2008), wobei die für eine Dekonstruktion notwendige
Vielfalt der Perspektiven vermehrt über Methodentriangulation (d. h. Methodenkom-
binationen) hergestellt wird. Methodentriangulation wurde z. B. in einer größer an-
gelegten Studie zur medialen Darstellung weiblicher Führungskräfte (Lünenborg und
Röser 2012) angewandt, die quantitative wie qualitative Inhaltsanalysen mit einer
Bildanalyse (zur Methode der Bildanalyse siehe Grittmann 2019) kombinierte und
schließlich noch um Expertinneninterviews ergänzte. In ähnlicher Weise verband ein
Projekt über „Migrantinnen in den Medien“ eine quantitative Inhaltsanalyse der
Berichterstattung mit einer Rezeptionsanalyse, um u. a. Intersektionalität, d. h. das
Interagieren von Differenzkategorien wie Ethnizität und Geschlecht, herauszuarbeiten
(Lünenborg et al. 2014). Der Erkenntniszugewinn von solchen multipel perspekti-
vierten Studien liegt darin, dass ihre Designs Phänomene von unterschiedlichen Seiten
beleuchten und damit nicht nur eine summarisch reflektierende, sondern auch eine
empirisch begründete Dekonstruktion von a priori gesetzten Vorannahmen erlauben.
Auch die Bedeutung der Kategorie Geschlecht kann so im Zusammenspiel mit
anderen Differenzkategorien beleuchtet und ggf. relativiert werden.
Weiterhin fokussieren Studien, die sich dem (De-)Konstruktivismus in seiner
Ausprägung als Interaktionistischer Konstruktivismus (Degele 2008) zuordnen las-
sen, auf menschliches Handeln, wobei genauer analysiert wird, wie dadurch Ge-
schlecht dar- und hergestellt wird („doing gender“). Als handelnde Personen können
dabei sowohl Kommunikator*innen im Bereich der Medienproduktion im Zentrum
stehen als auch Mediennutzer*innen samt ihrer Rezeptionsweisen und schließlich
auch sog. Produser*innen, die v. a. in Sozialen Medien Inhalte gleichermaßen
produzieren und nutzen.
In der (de-)konstruktivistischen Kommunikator*innenforschung kommen ver-
mehrt hoch-qualitative Befragungsformen zum Einsatz – z. B. narrative oder bio-
graphische Interviews. Sie zielen auf die Erhebung von individuellen und situations-
spezifischen Erfahrungen, versuchen aber gleichzeitig deren Schilderungen entlang
gängiger Erzähl- und Deutungsmuster (z. B. dualistische Identitätsbeschreibungen)
zu dekonstruieren (z. B. Lünenborg 1997; Lünenborg und Maier 2018). Diesen
Ansatz verfolgen auch Studien, die entweder (geschlechtsspezifische) Berufserfah-
rungen retrospektiv mittels Oral History erfragen und in der jeweiligen Zeit, in der
sie gemacht wurden, verorten (z. B. Klaus et al. 1993) oder mittels historisch-
hermeneutischer Analysen von Ego-Dokumenten vergangene Erfahrungen mit
dem Gendering im jeweiligen Berufsfeld rekonstruieren (z. B. Klaus und Wischer-
mann 2013; Kinnebrock et al. 2014).
Im Bereich des Medienhandelns von Rezipient*innen wird analysiert, wie Ge-
schlecht im Alltag dar- und hergestellt wird und sich dadurch auf gesellschaftlicher
Ebene binäre Geschlechtsidentitäten verfestigen – oder ggf. auch durch widerspens-
tiges „undoing gender“ auflösen. Die Muster der Dualisierung und Vergeschlecht-
lichung werden dabei in der Regel mit situations- und kontextsensiblen qualitativen
Verfahren der Befragung bzw. Gruppendiskussion und Beobachtung analysiert.
208 S. Kinnebrock

Das heißt, dass sich die methodischen Präferenzen von Studien mit Differenzansatz
und (De-)Konstruktivismus ähneln, doch unterscheiden sie sich hinsichtlich ihrer
Perspektiven auf die Untersuchungsgegenstände und der Art und Weise, wie (die
gleichen) Methoden eingesetzt werden. Geschlecht als Analysekategorie kommt
nicht mehr allein zentrale Bedeutung zu. Zusätzliche Differenzkategorien (darunter
Sexualität/Begehren und damit verbunden individuelle Erfahrungen mit Heteronor-
mativität) sowie Kontextspezifika werden in Studien der kommunikationswissen-
schaftlichen Geschlechter- und Queerforschung berücksichtigt, um die Bedeutung
von (Geschlechter-)Identitäten für das Medienhandeln noch differenzierter analysie-
ren zu können (z. B. Bechdolf 1999; Dorer 2008; Duits und van Zoonen 2011).
Dabei gewinnen komplexe und kontextsensible ethnomethodologische Verfahren
zunehmend an Bedeutung (siehe auch den Beitrag von Sigrid Kannengießer 2019).
Ebenso ist die Methode der Erinnerungsarbeit, die darüber hinaus feministisch-
emanzipatorischen Potenzial entfalten kann, hier einzuordnen (Haug und Hipfl
1995; Hipfl 2021).
Wie schon zuvor auf die feministische Methodologiekritik reagierte der Main-
stream der standardisiert vorgehenden empirischen Sozialwissenschaft teilweise skep-
tisch auf die (de-)konstruktivistische Wende in der Geschlechterforschung. Die Re-
aktionen reichen von einer fundamentalen Verkennung der Erkenntnispotenziale
qualitativer Verfahren (Schnell et al. 2008, S. 115) bis hin zu einem Übersehen von
feministischer Methodologiekritik. Es fällt zumindest auf, dass kommunikationswis-
senschaftliche Einführungsbücher zu standardisierten Methoden kaum thematisieren,
wo feministische Kritik ansetzt und welche Erhebungs- und Analyseverfahren im
Rahmen von Geschlechterstudien weiterentwickelt wurden (z. B. Klammer 2005;
Scheufele und Engelmann 2009; Möhring und Schlütz 2013; Brosius et al. 2015).
Daraus lässt sich schließen, dass die Methodologiedebatten der Geschlechterforschung
kaum Einfluss auf den kommunikationswissenschaftlichen Diskurs zu standardisierten
Methoden genommen haben. Umgekehrt ist aber auch eine vergleichsweise geringe
Beschäftigung der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechter- und aktuell
Queerforschung mit standardisierten Methoden und ihren Logiken festzustellen (Kin-
nebrock et al. 2012; Browne und Nash 2016, S. 11), obgleich neue multivariate
Analyseverfahren durchaus Potenziale bergen, das biologische Geschlecht im Ana-
lyseprozess hintanzustellen und die Dekonstruktion bestehender Differenzkategorien
zu unterstützen, indem sie z. B. multiple Identitäten mithilfe von empirisch vorfind-
baren Attributbündeln abbilden. Das heißt, auch mit standardisierten Methoden lässt
sich jenseits des Mann-Frau-Dualismus arbeiten und damit „sex“ wie „gender“ hin-
terfragen (z. B. Kinnebrock 2012).

3 Ausblick: Neue Methoden in der


Kommunikationswissenschaft

Im Zuge der Mediatisierung hat sich Kommunikation zunehmend auf digitale


Kanäle verlagert – auf digitale Plattformen der beruflichen Zusammenarbeit, Soziale
Netzwerke oder Mediatheken, die „klassische“ Medienangebote digital zugänglich
Methodologiedebatten und Methodeneinsatz in . . . 209

machen. In vielen Bereichen der Kommunikationswissenschaft sind Online-


Erhebungen und die Analyse digitaler Kommunikate inzwischen die Regel. Dabei
werden standardisierte und qualitative Methoden der empirischen Kommunikations-
forschung nicht nur adaptiert für Online-Bedingungen (siehe den Überblick von
Welker 2018), sondern es kommen auch neue Erhebungsverfahren und Analyseme-
thoden hinzu. Im Bereich der Erhebung sind neuartige Daten entstanden: Logfile-
Analysen zeichnen Online-Nutzung sekundengenau nach, Kommunikationsbezie-
hungen werden mit Netzwerkanalysen erfasst, Mobilität mit Geotagging erhoben,
Körperfunktionen in digitale Körperdaten transformiert, und schließlich lassen sich
Medien- und Kommunikationsinhalte, die im Netz lagern, automatisiert abschöpfen.
Damit entstehen Konvolute unterschiedlichster Daten, für die adäquate Interpretati-
onsroutinen erst noch entwickelt werden müssen. Das fängt bei der Reflexion der
(zuweilen unklaren) Entstehungsbedingungen dieser neuartigen Datenkonvolute an,
umfasst den Umgang mit der Verschiedenartigkeit der Datengrundlagen (die eben
nicht nur text- und bildbasiert sind) und erfordert schließlich – schon allein aufgrund
der ansonsten kaum bewältigbaren Datenmengen – den Einsatz neuartiger Ana-
lyseverfahren (siehe Rogers 2013; Atteveldt und Peng 2021). Beim Textmining
beispielsweise werden menschliche, automatisierte oder algorithmische Codierun-
gen kombiniert, um schließlich Sinnstrukturen in großen Textmengen offenzulegen
(siehe Manderscheid 2019). Auffallend ist, dass Geschlechteraspekte in diesen
neuen kommunikationswissenschaftlichen Methodenfeldern bislang noch eine ge-
ringe Rolle spielen – weder als theoretische Ausgangspunkte von Studien noch bei
der Debatte methodenimmanenter Problematiken. Mit Blick darauf, dass algorith-
misch hergestellte Information durchaus in der Kritik steht, Ungleichverhältnisse zu
verstärken (Leavy 2018; O’Neil 2016), tut sich hier für die kommunikationswissen-
schaftliche Geschlechterforschung ein neues Arbeitsfeld auf – sowohl was inhalt-
liche Aspekte als auch Methodeninnovation anbelangt.

4 Fazit

Die kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung hat sich, was die


Wahl ihrer Methoden anbelangt, nicht einfach in den kommunikationswissenschaft-
lichen Methodenkanon eingereiht, sondern schon sehr früh eigenständige methodo-
logische Perspektiven und Kritik formuliert. Dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit
und Geschlechtsneutralität empirisch gewonnener Aussagen hat sie zunächst For-
schungen entgegengesetzt, die Unterschiede zwischen Frauen und Männern, was ihr
Medienhandeln und ihre Repräsentanz in Massenmedien anbelangt, v. a. mithilfe
standardisierter Inhaltsanalysen und Befragungen dokumentierten. Spätestens mit
dem Differenzansatz entwickelte sich eine Präferenz für qualitative Verfahren, die
geeigneter erschienen, individuelle Kommunikationserfahrungen von Frauen, ihre
Subjektpositionierungen und differenten Lesarten zu erfassen. Mit dem (De-)
Konstruktivismus trat schließlich der Blick auf Muster des alltäglichen „doing
gender“ und auf die Vergeschlechtlichungstendenzen in medialen Darstellungen in
den Vordergrund. Mithilfe von Methodentriangulation konnten zudem weitere
210 S. Kinnebrock

Differenzkategorien erfasst, Geschlecht mit ihnen in Bezug gesetzt und damit


zuweilen auch relativiert werden. Insgesamt bleibt für die kommunikationswissen-
schaftliche Geschlechterforschung die Vielfältigkeit der methodische Zugänge kenn-
zeichnend, stammen sie nun aus dem Bereich der standardisierten Methoden, der
qualitativen Methoden oder auch der neuen digitalen Methoden.

Literatur
Althoff, Martina, Mechthild Bereswill, und Birgit Riegraf. 2017. Feministische Methodologien und
Methoden: Traditionen, Konzepte, Erörterungen, 2., erw. und Ak. Aufl. Wiesbaden: Springer VS.
Atteveldt van, Wouter. 2021. In Computational methods for communication science, Hrsg.
Tai-Quan Peng. New York: Routledge.
Averbeck-Lietz, Stefanie, und Michael Meyen, Hrsg. 2016. Handbuch nicht standardisierte Me-
thoden in der Kommunikationswissenschaft. Wiesbaden: Springer VS.
Ayaß, Ruth. 2006. Gender Studies. In Qualitative Methoden der Medienforschung, Hrsg. Ruth
Ayaß und Jörg Bergmann, 406–422. Reinbek: Rowohlt.
Ayaß, Ruth, und Jörg Bergmann, Hrsg. 2006. Qualitative Methoden der Medienforschung. Rein-
bek: Rowohlt.
Bechdolf, Ute. 1999. Puzzling Gender: Re- und Dekonstruktion von Geschlecht im und beim
Musikfernsehen. Weinheim: Deutscher Studienverlag.
Behnke, Cornelia, und Michael Meuser. 1999. Geschlechterforschung und qualitative Methoden.
Opladen: Leske und Budrich.
Bem, Sandra L. 1974. The measurement of psychological androgyny. Journal of Counseling &
Clinical Psychology 42(2): 155–162.
Bilandzic, Helena, Holger Schramm, und Jörg Matthes. 2015. Medienrezeptionsforschung. Kon-
stanz/München: UVK.
Browne, Kath, und Catherine J. Nash. 2016. Queer methods and methodologies: an introduction. In
Queer methods and methodologies: intersecting queer theories and social science research,
Hrsg. Kath Browne und Catherine J. Nash, 1–23. London: Routledge.
Brosius, Hans-Bernd, Alexander Haas, und Friederike Koschel. 2015. Methoden der empirischen
Kommunikationsforschung: Eine Einführung, 7. Aufl. Wiesbaden: Springer VS.
Brück, Brigitte, Heike Kahlert, Marianne Krüll, Helga Milz, Astrid Osterland, und Ingeborg
Wegehaupt-Schneider. 1992. Feministische Soziologie: Eine Einführung. Frankfurt a.
M./New York: Campus.
Capecchi, Saveria. 2014. Methodological problems in gender and media research. Quality and
Quantity 48(2): 837–844.
Degele, Nina. 2008. Gender/Queer Studies. Paderborn: Wilhelm Fink/UTB.
Dervin, Brenda. 1987. The potential contribution of feminist scholarship to the field of communi-
cation. Journal of Communication 37(4): 107–120.
DeVault, Marjorie L. 1999. Liberating method: feminism and social research. Philadelphia: Temple
University Press.
Döring, Nikola. 2013. Zur Operationalisierung von Geschlecht im Fragebogen: Probleme und
Lösungsansätze aus Sicht von Mess-, Umfrage-, Gender- und Queer-Theorie. Gender – Zeit-
schrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft 5(2): 94–113.
Döring, Nikola. 2020. Psychologische Zugänge zu Medien und Geschlecht: Medienpsychologie
und Sozialpsychologie. In Handbuch Medien und Geschlecht, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte
Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.
1007/978-3-658-20712-0_32-1.
Dorer, Johanna. 2001. Internet und Geschlecht: Berufliche und private Anwendungspraxen der
neuen Technologie. In Gender Studies und Kommunikationswissenschaft, Hrsg. Elisabeth
Klaus, Jutta Röser, und Ulla Wischermann, 241–266. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Methodologiedebatten und Methodeneinsatz in . . . 211

Dorer, Johanna. 2008. Geschlechterkonstruktion im Prozess der Rezeption politischer Berichterstat-


tung. In Medien – Politik – Geschlecht: Feministische Befunde zur politischen Kommunikations-
forschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, und Regina Köpl, 172–187. Wiesbaden: VS.
Drüeke, Ricarda. 2016. Gender und Medien als Gegenstand qualitativer Forschung in der Kom-
munikationswissenschaft. In Handbuch nicht standardisierte Methoden in der Kommunikati-
onswissenschaft, Hrsg. Stefanie Averbeck-Lietz und Michael Meyen, 573–585. Wiesbaden:
Springer VS.
Drüeke, Richarda, Elisabeth Klaus, und Martina Thiele. 2017. Eine Genealogie des Konstruktivis-
mus in der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung. Medien & Kommunika-
tionswissenschaft 65(2): 219–235.
Duits, Linda, und Liesbet van Zoonen. 2011. Coming to terms with sexualization. European
Journal of Cultural Studies 14(5): 491–506.
Ehlers, Sarah, und Karin Zachmann, Hrsg. 2019. Wissen und Begründen: Evidenz als umkämpfte
Ressource in der Wissensgesellschaft. Baden-Baden: Nomos.
Fleck, Ludwik. 1980 [1935]. Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache:
Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Fonow, Mary M., und Judith A. Cook, Hrsg. 1991. Beyond methodology: Feminist scholarship as
lived research. Bloomington und Indianapolis: Indiana University Press.
Fraas, Claudia, und Christian Pentzold. 2016. Diskursanalyse in der Kommunikationswissenschaft.
In Handbuch nicht standardisierte Methoden in der Kommunikationswissenschaft, Hrsg. Ste-
fanie Averbeck-Lietz und Michael Meyen, 227–240. Wiesbaden: Springer VS.
Freise, Heinrich, und Jochen Draht. 1977. Die Rundfunkjournalistin. Berlin: Volker Spiess.
Fröhlich, Romy, B. Sonja, und Peters und Eva-Maria Simmelbauer. 2005. Public Relations: Daten
und Fakten der geschlechtsspezifischen Berufsforschung. München/Wien: Oldenbourg.
Gehrau, Volker. 2017. Die Beobachtung als Methode in der Kommunikations- und Medienwissen-
schaft, 2. Aufl. Konstanz: UVK/UTB.
Gildemeister, Regine, und Angela Wetterer. 1992. Wie Geschlechter gemacht werden: Die soziale
Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit und ihre Reifizierung in der Frauenforschung. In
Traditionen, Brüche: Entwicklung feministischer Theorie, Hrsg. Gudrun-Axeli Knapp und
Angelika Wetterer, 201–254. Freiburg: Kore.
Goel, Urmila. 2021. Intersektional Forschen – kontextspezifisch, offen, selbst-reflexiv. In Hand-
buch Intersektionalitätsforschung, Hrsg. Astrid Biele Mefebue, Andrea Bührmann, und Sabine
Grenz. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-26613-4_16-1.
Gouma, Assimina, und Johanna Dorer. 2019. Intersektionalität: Methodologische und methodische
Herausforderung für die feministische Medienforschung. In Handbuch Medien und Geschlecht,
Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesbaden:
Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_81-1.
Grittmann, Elke. 2019. Methoden der Medienbildanalyse in der Visuellen Kommunikationsfor-
schung: Ein Überblick. In Handbuch Visuelle Kommunikation, Hrsg. Katharina Lobinger,
527–546. Wiesbaden: Springer VS.
Haraway, Donna. 1988. Situated knowledges: the science question in feminism and the privilege of
partial perspective. Feminism Studies 14(3): 575–599.
Harding, Sandra. 1987. Introduction: Is there a feminist method? In Feminism and methodology,
Hrsg. Sandra Harding, 1–14. Boomington: Indiana University Press.
Haug, Frigga, und Brigitte Hipfl, Hrsg. 1995. Sündiger Genuß? Filmerfahrungen von Frauen.
Hamburg: Argument.
Hipfl, Brigitte. 2021. Kollektive Erinnerungsarbeit – ein partizipativer, kritischer Forschungsansatz.
In Handbuch Medien und Geschlecht, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und
Viktorija Ratković. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_15-1.
Honegger, Claudia, und Caroline Arni, Hrsg. 2001. Gender: Die Tücken einer Kategorie. Zürich:
Chronos.
Kannengießer, Siegrid. 2019. Ethnographische Forschung. In Handbuch Medien und Geschlecht,
Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesbaden:
Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_16-1.
212 S. Kinnebrock

Keil, Susanne. 2000. Einsame Spitze? Frauen in Führungspositionen im öffentlich-rechtlichen


Rundfunk. Lit: Münster.
Keuneke, Susanne, Markus Kriener, und Miriam Meckel. 1997. Von Gleichem und Ungleichem.
Frauen im Journalismus. Rundfunk und Fernsehen 45(1): 30–45.
Kinnebrock, Susanne. 2012. Puzzling gender differently? A comparative study of newspaper
coverage in Austria, Germany and Switzerland. Interactions: Studies in Communication &
Culture 2(3): 197–208.
Kinnebrock, Susanne, Elisabeth Klaus, und Ulla Wischermann. 2014. GrenzgängerInnentum als
terra incognita der KommunikatorInnenforschung? Zum Potenzial von Autobiographien für die
historische Berufsfeldforschung. medien & Zeit 29(4): 5–15.
Kinnebrock, Susanne, und Thomas Knieper. 2008. Männliche Angie und weiblicher Gerd? Visuelle
Geschlechter- und Machtkonstruktionen auf Titelseiten von politischen Nachrichtenmagazinen.
In Frauen, Politik und Medien, Hrsg. Christine Holtz-Bacha, 83–103. Wiesbaden: VS.
Kinnebrock, Susanne, Sarah Stommel, und Eva Dickmeis. 2012. Gender: Methodologische Über-
legungen zu den Tücken einer Kategorie. In Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht in Bewe-
gung: Forschungsperspektiven der kommunikations- und medienwissenschaftlichen Geschlech-
terforschung, Hrsg. Tanja Maier, Martina Thiele, und Christine Linke, 81–97. Bielefeld:
transcript.
Klammer, Bernd. 2005. Empirische Sozialforschung: Eine Einführung für Kommunikationswissen-
schaftler und Journalisten. Konstanz: UVK/UTB.
Klaus, Elisabeth. 2005. Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung: Zur Bedeutung
der Frauen in den Massenmedien und im Journalismus. Aktualisierte und korrigierte Neuauf-
lage. Münster/Hamburg: Lit.
Klaus, Elisabeth, Angela Engler, Alexa Godbersen, Annette Lehrmann, und Anja Meyer, Hrsg.
1993. Medienfrauen der ersten Stunde: „Wir waren ja Trümmerfrauen in diesem Beruf“. Zürich
und Dortmund: eFeF-Verlag.
Klaus, Elisabeth, und Ulla Wischermann. 2013. Journalistinnen: Eine Geschichte in Biographien
und Texten 1848-1990. Münster: Lit.
Koch, Thomas, Christina Peter, und Philipp Müller. 2019. Das Experiment in der Kommunikations-
wissenschaft. Grundlagen, Durchführung und Auswertung experimenteller Forschung. Wies-
baden: Springer VS.
Küchenhoff, Erich. 1975. Die Darstellung der Frau und die Behandlung von Frauenfragen im
Fernsehen. Stuttgart: Kohlhammer.
Kuhn, Thomas S. 1962. The structure of scientific revolutions. Chicago: University of Chicago
Press.
Leavy, Susan. 2018. Gender bias in artificial intelligence: the need for diversity and gender theory in
machine learning. GE18: Proceedings of the 1st International Workshop on Gender Equality in
Software Engineering: 14–16.
Leinfellner, Christine. 1983. Das Bild der Frau im TV. Salzburg: Neugebauer.
Lünenborg, Margreth. 1997. Journalistinnen in Europa: Eine international vergleichende Analyse
zum Gendering im sozialen System Journalismus. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Lünenborg, Margreth, und Tanja Maier. 2018. Interviews als Form der Produktionsanalyse. Ein
Praxiseinblick in die Forschung im Kontext der Gender Media Studies. In Praxis Grounded
Theory: Theoriebezogenes empirisches Forschen in medienbezogenen Lebenswelten: Ein Lehr
und Arbeitsbuch, Hrsg. Christian Pentzold, Andreas Bischof, und Nele Heise, 169–189. Wies-
baden: Springer VS.
Lünenborg, Margreth, Christine Linke, Lisa Konrad, Katharina Fritsche, und Stefan Flecke. 2014.
Geschlecht und Ethnizität in audiovisuellen Medien. Methodologische und methodische He-
rausforderungen intersektionaler Medieninhaltsanalyse. In Medien, Öffentlichkeit und Ge-
schlecht in Bewegung: Forschungsperspektiven der kommunikations- und medienwissenschaft-
lichen Geschlechterforschung, Hrsg. Tanja Maier, Martina Thiele, und Christine Linke, 99–114.
Bielefeld: transcript.
Methodologiedebatten und Methodeneinsatz in . . . 213

Lünenborg, Margreth, und Jutta Röser, Hrsg. 2012. Ungleich mächtig: Das Gendering von Füh-
rungspersonen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in der Medienkommunikation. Biele-
feld: transcript.
McIntosh, Heather, und Lisa Cuklanz. 2014. Feminist media research. In Feminist research
practice: a primer, Hrsg. Sharlene Nage Hesse-Biber, 2. Aufl., 264–295. Los Angeles: Sage.
Magin, Melanie, und Birgit Stark. 2010. Mediale Geschlechterstereotype: Eine ländervergleichende
Untersuchung von Tageszeitungen. Publizistik 55(4): 383–404.
Manderscheid, Katharina. 2019. Text Mining. In Handbuch Methoden der empirischen Sozial-
forschung, Hrsg. Nina Baur und Jörg Blasius. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/
978-3-658-21308-4_79.
Mertlitsch, Kristin. 2019. Feministische Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie. In Handbuch Me-
dien und Geschlecht, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija
Ratković. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_12-1.
Mendes, Kaitlynn, und Cynthia Carter. 2008. Feminist and gender media studies: a critical over-
view. Sociology Compass 2(6): 1701–1718.
Metz-Göckel, Siegrid. 2019. Frauenhochschulbewegung: Selbstermächtigung und Wissenschafts-
kritik. In Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung, Hrsg. Beate Kortendiek, Birgit
Riegraf, und Katja Sabisch, 1033–1042. Wiesbaden: Springer VS.
Mies, Maria. 1978. Methodische Postulate zur Frauenforschung – dargestellt am Beispiel der
Gewalt gegen Frauen. Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis 1(1): 41–63.
Möhring, Wiebke, und Daniela Schlütz, Hrsg. 2013. Handbuch standardisierte Erhebungsverfah-
ren in der Kommunikationswissenschaft. Wiesbaden: Springer VS.
Müller, Christa. 2010. Parteilichkeit und Betroffenheit: Frauenforschung und politische Praxis. In
Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. 3., erw.
u. durchgeseh. Aufl. Hrsg. Ruth Becker und Beate Kortendiek, 340–343. Wiesbaden: VS.
Naples, Nancy A. 2003. Feminism and method: ethnography, discourse analysis and activist
research. New York/London: Routedge.
Neverla, Irene, und Gerda Kanzleiter. 1984. Journalistinnen: Frauen in einem Männerberuf.
Frankfurt a. M.: Campus.
Oakley, Ann. 1998. Gender, methodology and people’s ways of knowing: some problems with
feminism and the paradigm debate in social science. Sociology 32(4): 707–731.
O’Neil, Cathy. 2016. Weapons of math destruction: how big data increases inequality and threatens
democracy. New York: Crown Archetype.
Pentzold, Christian, Andreas Bischof, und Nele Heise, Hrsg. 2018. Praxis Grounded Theory:
Theoriebezogenes empirisches Forschen in medienbezogenen Lebenswelten: Ein Lehr- und
Arbeitsbuch. Wiesbaden: Springer VS.
Pickering, Michael, Hrsg. 2008. Research methods for cultural studies. Edinburgh: Edinburgh
University Press.
Pfannes, Petra. 2004. Powerfrau, Quotenfrau, Ausnahmefrau . . .? Die Darstellung von Politike-
rinnen in der deutschen Tagespresse. Marburg: Tectum.
Prommer, Elizabeth, und Christine Linke. 2019. Ausgeblendet: Frauen im deutschen Film und
Fernsehen. Köln: Halem.
Rakow, Lana F. 1986. Rethinking gender research in communication. Journal of communication
36(4): 11–26.
Röser, Jutta. 1992. Frauenzeitschriften und weiblicher Lebenszusammenhang: Themen, Konzepte
und Leitbilder im sozialen Wandel. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Röser, Jutta. 2000. Fernsehgewalt im gesellschaftlichen Kontext: Eine Cultural Studies-Analyse
über Medienaneignung in Dominanzverhältnissen. Wiesbaden: VS.
Röser, Jutta, Kathrin Friederike Müller, Stephan Niemand, und Ulrike Roth, Hrsg. 2019. Das
mediatisierte Zuhause im Wandel: Eine qualitative Panelstudie zur Verhäuslichung des Inter-
nets. Wiesbaden: Springer VS.
Rössler, Patrick. 2017. Inhaltsanalyse, 3., völlig überarb. Aufl. Konstanz: UVK/UTB.
214 S. Kinnebrock

Rogers, Richard. 2013. Digital methods. Cambridge, MA: MIT Press.


Schnell, Rainer, Paul Hill, und Elke Esser. 2008. Methoden der empirischen Sozialforschung, 8.,
unveränd. Aufl. München/Wien: Oldenbourg.
Scheufele, Bertram, und Ines Engelmann. 2009. Empirische Kommunikationsforschung. Konstanz:
UVK/UTB.
Scholl, Armin. 2018. Die Befragung, 4., bearb. Aufl. Konstanz: UVK/UTB.
Smiler, Andrew P., und Marina Epstein. 2010. Measuring gender: Options and issues. In Handbook
of gender research in psychology, Hrsg. Joan C. Crisler und Donald R. McCreary, 133–157.
New York: Springer.
Sprague, Joey, und Mary K. Zimmerman. 1989. Quality and quantity: Reconstructing feminist
methodology. The American Sociologist 20(1): 71–86.
Sturm, Gabriele. 2010. Forschungsmethodologie: Vorüberlegungen für eine Evaluation feministi-
scher (Sozial-)Forschung. In Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Metho-
den, Empirie. 3., erw. u. durchgeseh. Aufl. Hrsg. Ruth Becker und Beate Kortendiek, 400–408.
Wiesbaden: VS.
Tuchman, Gaye. 1978. The symbolic annihilation of women by the mass media. In Hearth and
home: Images of women in mass media, Hrsg. Gaye Tuchman, Arlene Kaplan Daniels, und
James W. Benet, 3–38. Oxford: Oxford University Press.
Wagner, Hans, und Philomen Schönhagen, Hrsg. 2021. Qualitative Methoden der Kommunikati-
onswissenschaft. Baden-Baden: Nomos.
Weiderer, Monika. 1995. Das Frauen- und Männerbild im Deutschen Fernsehen: Eine inhalts-
analytische Untersuchung der Programme von ARD, ZDF und RTLplus, 2. Aufl. Regensburg:
Roderer.
Welker, Martin. 2018. Computer- und onlinegestützte Methoden für die Untersuchung digitaler
Kommunikation. In Handbuch Online-Kommunikation, Hrsg. Wolfgang Schweiger und Klaus
Beck. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-18017-1_21-1.
Wischermann, Ulla. 2018. Frauen- und Geschlechterforschung in der Kommunikations- und
Medienwissenschaft. In Kommunikationswissenschaftliche Gender Studies: Zur Aktualität kri-
tischer Gesellschaftsanalyse, Hrsg. Ricarda Drüeke, Elisabeth Klaus, Martina Thiele, und Julia
Elena Goldmann, 57–75. Bielefeld: transkript.
Zoonen, Lisbet van. 1994. Feminist media studies. London: Sage.
Methaphern-, Frame- und Diskursanalyse

Susanne Kirchhoff

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
2 Metaphernanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
3 Frameanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
4 Diskursanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

Zusammenfassung
Die methodischen Ansätze von Metaphern-, Frame- und Diskursanalysen verei-
nen eine Reihe von Gemeinsamkeiten. In ihren Forschungsperspektiven treffen
sie sich vor allem darin, dass die wirklichkeitskonstituierende Dimension von
Sprache in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses gestellt wird. Dennoch
lassen sich Unterschiede in der Herangehensweise, den theoretischen Grundlagen
und Begriffen ausmachen. Anhand von Beispielen aus der Forschung wird
gezeigt, welche Bedeutung die Metaphern, Frames und Diskurse für die Kon-
struktion von Geschlecht und insbesondere für das Doing Gender in und mit
Medien erlangen können.

Schlüsselwörter
Metaphernanalyse · Frameanalyse · Diskursanalyse · Doing Gender ·
Forschungsmethode und Geschlecht

S. Kirchhoff (*)
Universität Salzburg, Salzburg, Österreich
E-Mail: susanne.kirchhoff@sbg.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 215
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_14
216 S. Kirchhoff

1 Einleitung

Bei Metaphern-, Frame- und Diskursanalysen handelt es sich um drei unterschied-


liche empirische Methoden mit jeweils eigenen Forschungstraditionen, die jedoch
auch eine Reihe von Gemeinsamkeiten aufweisen. Die offensichtlichste ist, dass jede
– anders als viele andere Methoden – bereits im Namen einen theoretischen Begriff
enthält und daher eine entsprechende Perspektive auf den Untersuchungsgegenstand
vorgibt. Vor allem ist den Ansätzen aber die konstruktivistische Annahme gemein,
dass durch Sprache Wirklichkeit hergestellt wird. Weitere Überschneidungen erge-
ben sich hinsichtlich des Untersuchungsgegenstandes – der Bedeutungskonstruktion
in (Medien-)Texten – und der konkreten Analyseverfahren.
Weil sie von einer wirklichkeitskonstituierenden Dimension der Sprache ausge-
hen, eignen sich die drei Ansätze gut für die Analyse von Doing-Gender-Prozessen,
aber auch für Repräsentationskritik. Anhand der Verwendung von Metaphern und
Frames kann jeweils herausgearbeitet werden, wie Geschlecht im sprachlichen
Handeln hergestellt wird, während die Beschäftigung mit Diskursen zeigt, wie
historisch kontingentes Wissen über Geschlecht öffentlich ausgehandelt wird.

2 Metaphernanalyse

2.1 Kognitive Metapherntheorie

Ihre auf Analogien basierende Struktur macht Metaphern zu einem wichtigen Mittel
für das Verständnis der uns umgebenden Welt. Bereits 1936 hatte Ivor A. Richards
argumentiert, dass die Metapher kein primär sprachliches Phänomen, sondern „in
allererster Linie Austausch und Verkehr von Gedanken, eine Transaktion zwischen
Kontexten ist. Denken ist metaphorisch und verfährt vergleichend; daraus leiten sich
die Metaphern der Sprache her“ (Richards 1983, S. 35).
Seit Anfang der 1980er-Jahre findet die wirklichkeitskonstituierende Dimension
von Metaphern durch die kognitive Metapherntheorie von George Lakoff und Mark
Johnson zunehmend das Interesse der Forschung. Die Theorie besagt im Kern, dass
„die Metapher nicht nur eine Frage von Sprache, also von Worten allein“ ist, sondern
dass „die menschlichen Denkprozesse weitgehend metaphorisch ablaufen. Das
meinen wir, wenn wir sagen, daß das menschliche Konzeptsystem metaphorisch
strukturiert und definiert ist“ (Lakoff und Johnson 1998, S. 14).
Zunächst einmal liegt jeder Metapher implizit eine Vergleichsstruktur zugrunde.
Das Beispiel „Unsere Nation wurde aus dem Wunsch nach Freiheit geboren [born]“
(Lakoff und Johnson 1998, S. 90) macht einen komplexen Prozess wie die Entste-
hung einer Nation unserem Verständnis zugänglich, indem er mit einem einfacheren
Prozess – der Geburt – verglichen wird. In einer metaphorischen Aussage werden
jedoch immer nur Teile der Bedeutung eines Wortes auf ein anderes übertragen (bei
vollständiger Bedeutungsgleichheit würde es sich um ein Synonym handeln). Dieser
Prozess wird als „highlighting and hiding“ bezeichnet (Lakoff und Johnson 1998,
S. 18): Indem Metaphern einzelne Aspekte eines Gegenstands hervorheben und
Methaphern-, Frame- und Diskursanalyse 217

andere verbergen, bilden sie Wirklichkeit nicht einfach ab, sondern liefern Interpre-
tationen – Konstruktionen – von Wirklichkeit, die Aufschluss über die jeweils
zugrunde liegende Weltsicht liefern, und so Texte und gesellschaftliche Diskurse
miteinander verbinden (Koller 2005, S. 206).
Darüber hinaus verstehen Lakoff und Johnson (1998, S. 11) sprachlich realisierte
Metaphern als Ausdruck von kognitiven metaphorischen Konzepten („conceptual
metaphors“). Sätze wie „Unsere Nation wurde aus dem Wunsch nach Freiheit
geboren“ sind Teil eines Musters, nach dem der Geburtsakt systematisch auf die
Schöpfung physischer, aber auch abstrakter Entitäten bezogen wird. Weitere Bei-
spiele wie „Seine Bücher sind Produkte seiner fruchtbaren [fertile] Fantasie“,
„Deine Taten werden nur Gewalt erzeugen [breed]“ und „Universitäten sind Brut-
kästen [incubators] für neue Ideen“ lassen sich einem gemeinsamen Konzept
„Schöpfung ist Geburt“ zuordnen (Lakoff und Johnson 1998, S. 90). Metaphorische
Konzepte sind also ein zentraler Bestandteil unseres Denkens und werden im
unreflektierten Gebrauch einer Vielzahl alltäglicher Metaphern sichtbar, so etwa in
den hier zitierten Geburtsmetaphern, die geschlechtsbezogene Konnotationen bein-
halten.
Die kognitive Metapherntheorie ist in den vergangenen Jahren in verschiedene
Richtungen weiterentwickelt worden. Einen wichtigen Input lieferte die theoretische
Modellierung der konzeptuellen Integration von Informationen durch die „concep-
tual blending theory“ von Gilles Fauconnier und Mark Turner (2002). Zoltán Kövec-
ses (2005) beschäftigt sich dagegen mit der kulturübergreifenden Universalität und
der Variation von Metaphern. Tatsächlich weisen viele Metaphern eine ausgeprägte
Kulturspezifik auf. Wenn die metaphorischen Konzepte aber kulturellen Einflüssen
unterliegen, dann müssen sie durch Sprache als Informations- bzw. Bedeutungsträger
vermittelt werden. Maarten Michiel Leezenberg (1995, S. 120–122) geht deshalb
davon aus, dass Sprache und konzeptuelles System sich wechselseitig beeinflussen,
statt den Vorrang des einen vor dem anderen anzunehmen.
Eine ähnliche Perspektive nimmt die sozialwissenschaftlich orientierte Erweite-
rung der kognitiven Metapherntheorie von Rainer Hülsse (2003) ein. Er argumen-
tiert, dass Kognitionen allein nicht ausreichen, um den Gebrauch von Metaphern –
speziell von konventionellen, sog. „toten“ Metaphern – zu erklären (Hülsse 2003,
S. 220–221). Er schlägt daher einen diskursiven Metaphernansatz vor, der an
poststrukturalistische Diskurstheorien anschließt. Metapherngebrauch geschieht
demnach in der Regel automatisch und unhinterfragt, weil bestimmte Diskurse
bestimmte Metaphern bereits vorgeben, mit deren Hilfe Gegenstände gedacht und
ausgesprochen sowie Handlungsspielräume abgesteckt werden (Hülsse 2003,
S. 225–226). Damit eröffnen sich der Metaphernanalyse neue Möglichkeiten, da
sie nun nicht mehr nur mit dem Erscheinen von Metaphern, ihrer Strukturierung in
metaphorischen Konzepten sowie den kognitiven Implikationen und ihren (potenzi-
ellen) Auswirkungen auf die Rezipient_innen befasst ist. Vielmehr kann sie um
relevante Fragen der Diskursforschung erweitert werden, insbesondere danach, an
welchen Positionen in Diskursen welche Metaphern erscheinen, wie sie im Zeitver-
lauf aktualisiert werden und wie sich durch Metapherngebrauch Macht und Wissen
in Form von hegemonialen Bedeutungszuschreibungen verschränken.
218 S. Kirchhoff

Ein Verfahren der systematischen Metaphernanalyse, das auf Lakoffs und John-
sons Verständnis von metaphorischen Konzepten zurückgreift und es für die Sozi-
alwissenschaften nutzbar macht, schlägt Rudolf Schmitt (2017) vor. Es besteht im
Wesentlichen aus sieben Arbeitsschritten, die u. a. die Recherche der für diesen
Gegenstand kulturell üblichen Metaphern und die Reflexion des eigenen Gebrauchs
von Metaphern beinhalten. Außerdem berücksichtigt es das Zusammentragen aller
im Text verwendeten Metaphern, die anschließende Rekonstruktion der metaphori-
schen Konzepte und die vergleichende Interpretation, insbesondere in Hinblick auf
Highlighting und Hiding, Konzeptualisierung von Handlungen, Erfahrungen und
Emotionen sowie fehlende Konzepte im Rahmen der theoretisch kulturell bzw.
diskursiv verfügbaren Alternativen.

2.2 Metaphern und Gender

Besondere Aufmerksamkeit erfahren die kognitive Metapherntheorie und


verwandte Ansätze in der Forschung über politische Kommunikation, z. B. in
Diskursen zu Migration (Jung et al. 2000); Europa (Musolff 2004); Geopolitik
(Helmig 2008) und Krieg (Kirchhoff 2010). In den Gender Studies wird der
Gebrauch von Metaphern dagegen bisher eher selten analysiert oder theoretisiert,
obwohl u. a. bereits Meryl Altman (1990) in ihrer kritischen Auseinandersetzung
mit der kognitiven Metapherntheorie darauf hingewiesen hat, dass viele metapho-
rische Konzepte vergeschlechtlichte Konnotationen haben (z. B. „Schöpfung ist
Geburt“) und der Gebrauch von Metaphern auch ein Mittel des Doing Gender ist.
Die theoretische Leerstelle ist umso auffälliger, als Lakoff und Johnson neben
kulturellen auch körperliche Erfahrungen als Quelle von Metaphern annehmen.
Metaphorische Konzepte wie „glücklich ist oben“ und Aussagen wie „Ich bin in
Hochstimmung“ entstünden demnach aufgrund des Wohlbefindens, wenn der Kör-
per aufgerichtet ist (sog. „Embodiment“, Lakoff und Johnson 1998, S. 28–30; zur
Kritik daran z. B. Zinken 2002). Die feministische Forschung zeigt jedoch, dass
Geschlecht immer in Körper – und damit auch in körperliche Erfahrungen – einge-
schrieben ist, ohne diese Erfahrungen zu naturalisieren (u. a. Lünenborg und Maier
2013, S. 16–17). Ein einfacher, unmittelbarer Zusammenhang zwischen biologi-
schen Körpern und kognitiven Konzepten muss daher zugunsten einer stärkeren
Orientierung auf kulturelle und historische Kontexte zurückgewiesen werden.
Für die Forschung ist darüber hinaus vor allem das Doing Gender durch und in
Metaphern von Interesse, d. h. die Frage, wie Geschlecht im alltäglichen Gebrauch
von Metaphern konstruiert und wie die Geschlechterordnung mittels metaphorischer
Konzepte hergestellt wird. Im Anschluss an die Unterscheidung von Ang und
Hermes (1991) sind Metaphern erstens ein Bestandteil von Geschlechterdefinitio-
nen, weil sie mit Hilfe der Vergleichsstrukturen nahelegen, was es heißt, „wie ein
Mann“ oder „wie eine Frau“ zu sein. Zweitens können Metaphern die Möglichkeiten
der Handlungsräume und Positionierungen der Geschlechter mit beeinflussen, und
schließlich drittens sozialen Subjekten als Bausteine von Geschlechteridentitäten
dienen.
Methaphern-, Frame- und Diskursanalyse 219

Hinsichtlich Geschlechterdefinitionen sind bspw. hart, kalt, präzise, kraftvoll


u. a. den metaphorischen Geschlechtsstereotypen für Männlichkeit zuzuordnen,
weich, warm, fließend, schwach dagegen den weiblichen Stereotypen (Melnick
1999, zit. nach Schmitt 2009a). In Bezug auf Geschlechterpositionierungen zeigt
bspw. Martin (1991), wie in wissenschaftlichen Texten Spermien i. d. R. als aktiv
bzw. aggressiv, Eizellen dagegen als passiv beschrieben werden. Auf diese Weise
werden kulturell geprägte Bedeutungen naturalisiert. Rudolf Schmitt (2009b)
demonstriert, wie Männer in Interviews das Trinken von Alkohol mit „kämpfe-
rischen“ Zuschreibungen versehen und so den eigenen Alkoholkonsum zur Ausge-
staltung von Geschlechteridentität nutzen – in diesem Fall als Ausweis einer von
ihnen selbst so verstandenen „harten“ bzw. „echten“ Männlichkeit.
Allerdings laufen auch Metaphernanalysen zu Geschlechterrepräsentationen und
Doing Gender Gefahr, den Gegenstand, den sie analysieren möchten, selbst zu
konstruieren (ausführlich dazu Schmitt 2017, S. 405–439). Umso wichtiger ist, dass
die Forschenden metaphorisches Sprechen nicht vorschnell als typisch weiblich/
männlich deklarieren, sondern vielmehr darauf achten, wie die Untersuchten selbst
Doing Gender betreiben, wie sie geschlechtstypische Zuweisungen vornehmen,
relativieren oder in ihre Alltagspraxis umsetzen (Schmitt 2009a). Sowohl für die
Interpretation empirischer Daten als auch für wissenschaftliche Diskurse ist daher
eine kritische Position erforderlich, die nicht nur die in Diskursen wirksamen
Ideologien sichtbar macht, sondern auch die eigene Perspektive hinterfragt.

3 Frameanalyse

3.1 Kognitive Frames und Medienframes

Der Soziologe Erving Goffman (1974) beschreibt Frames als Deutungsrahmen, die
an ein Ereignis, eine Handlung oder einen Gegenstand angelegt werden und auf
diese Weise die neue Information in den eigenen Wissenshorizont einfügen und
damit schlussendlich ermöglichen, in einer sozialen Situation (angemessen) zu
interagieren: „[The term frame denotes] ‚schemata of interpretation‘ that enable
individuals ‚to locate, perceive, identify and label‘ occurences within their life space
and the world at large“ (Goffman 1974, S. 21).
Kognitive Frames entstehen in der permanenten Auseinandersetzung von Men-
schen mit ihrer Umgebung (Reese 2001, S. 11) und sind daher immer in den Kontext
der jeweiligen Kultur eingebettet (Van Gorp 2007). Bertram Scheufele und Ines
Engelmann (2016, S. 445) schlagen deshalb vor, Frames auf drei Ebenen zu betrach-
ten: (1) auf der kognitiven Ebene als Wahrnehmungs- und Bewertungsrahmen, die
sich (2) auf der diskursiven Ebene in Kommunikation mit anderen etablieren und
verändern und sich (3) in Diskursprodukten wie Nachrichtentexten, politischen
Reden etc. manifestieren.
Um die verschiedenen Verortungen von Frames genauer zu lokalisieren, kann auf
der kognitiven Ebene zunächst zwischen journalistischen Frames und Rezipienten-
Frames sowie den strategischen Frames weiterer Kommunikator_innen, etwa aus
220 S. Kirchhoff

Politik und Wirtschaft, unterschieden werden (u. a. Matthes und Kohring 2004;
Dahinden 2006, S. 106–107).
Die Frames in der Berichterstattung können wiederum die Wahrnehmung von
Sachverhalten bei den Rezipient_innen beeinflussen, und zwar entweder in Form
einer Aktvierung oder Veränderung bestehender Frames oder einer Etablierung
neuer Frames.
Schließlich muss Framing (als Etablierung von Bedeutungszuschreibungen) auch
von Agenda Setting (als Etablierung von Themenrangfolgen) und Priming (als
Etablierung von Bewertungsmaßstäben) abgegrenzt werden (Scheufele und Tewks-
bury 2007).
Im Prozess des Framings fließen zum einen die kognitiven Deutungsrahmen der
Journalist_innen in ihre Berichterstattung ein (Frame-Setting), zum anderen bemü-
hen sich Kommunikator_innen bewusst, ihre Deutungen strategisch in den Medien
zu verankern (Frame-Building, Scheufele und Engelmann 2016, S. 444). Wie
Framingprozesse im Journalismus funktionieren ist u. a. in zwei frühen, grundle-
genden Arbeiten von Todd Gitlin (2003, Erstveröff. 1980) und Gaye Tuchman
(1978) untersucht worden. Beide beschreiben Medien als soziale Institutionen, die
spezifische, ideologiegeprägte Formen von Wissen hervorbringen, wobei die Repro-
duktion einer bestimmten Realität in den Nachrichten primär dazu diene, den
gesellschaftlichen Status quo zu legitimieren. Die etablierten Routinen der Bericht-
erstattung, d. h. die nicht hinterfragten Deutungsrahmen der Journalist_innen und
ihre Vorstellungen von Ausgewogenheit und Objektivität erzeugen eine bestimmte
Art von Deutungsrahmen in Texten bzw. Medienframes (für eine ausführliche
Diskussion der Begrifflichkeiten Potthoff 2012, S. 29–78). Aus der Forschung über
die Mobilisierungsstrategien und -potenziale sozialer Bewegungen stammt die
Unterscheidung von diagnostic, prognostic und motivational frames. Framing wird
hier als Ansatz verwendet, um den Kampf um die Produktion, Mobilisierung und
Gegenmobilisierung von Ideen und Bedeutungen in den Blick zu nehmen (Benford
und Snow 2000, S. 613). Soziale Bewegungen entfalten ihr Mobilisierungspotenzial
demnach, wenn es ihnen gelingt, ihre eigenen Deutungsrahmen mit denen der
Adressat_innen in Einklang zu bringen ( frame alignment) und so Resonanz ( frame
resonance) zu erzeugen. Frames sind dann besonders effektiv bzw. resonant, wenn
sie konsistent und empirisch belegbar sind, von glaubwürdigen Personen artikuliert
werden, für die Angesprochenen relevante Anliegen betreffen und an ihre eigene
Lebenswelt bzw. an eigene Erfahrungen sowie an vorhandene Deutungsmuster an-
knüpfen (Benford und Snow 2000, S. 619–621).
Im Rahmen einer Frame-Analyse können Medienframes sowohl induktiv als
auch deduktiv mit quantitativen und qualitativen Verfahren untersucht werden,
außerdem als holistische Frames oder als einzelne Frame-Elemente. Empirischen
Untersuchungen wird zumeist Robert Entmans Definition des Framing-Prozesses
zugrunde gelegt, weil sie besonders gut operationalisierbar ist (Matthes und Kohring
2004, S. 62). Für Entman bestehen Frames in Nachrichtentexten aus vier Elementen:
„To frame is to select some aspects of a perceived reality and make them more salient
in a communicating text, in such a way as to promote a particular problem definition,
Methaphern-, Frame- und Diskursanalyse 221

causal interpretation, moral evaluation and/or treatment recommendation for the


item described“ (Entman 1993, S. 52).
In induktiven Forschungsprozessen werden die Frames im Rahmen der Auswer-
tung aus dem Material heraus gebildet. Quantitativ geschieht dies bspw. indem
zunächst die vier Frame-Elemente als Kategorien mit unterschiedlichen Merkmals-
ausprägungen kodiert und die im Material vorkommenden Frames anschließend
mittels Cluster- oder Faktorenanalysen (z. B. Dahinden 2006) identifiziert werden.
Ein detaillierter Vorschlag zur qualitativen induktiven Frameanalyse, der seiner-
seits an der (Medien-)Diskursforschung orientiert ist, wurde von Pan und Kosicki
(1993) vorgelegt. Nachrichtentexte werden abschnittsweise anhand der syntakti-
schen Struktur, dem Script, der thematischen Struktur und der rhetorischen Mittel
untersucht. Für einzelne Artikel kann mit diesem – allerdings relativ aufwendigen –
Verfahren gezeigt werden, wie ein Frame über verschiedene Ebenen des Textes
hinweg aufgespannt wird. Induktive Frameanalysen lassen sich darüber hinaus aber
auch mit anderen etablierten Methoden kombinieren, so z. B. der qualitativen
Inhaltsanalyse nach Mayring, bei der mit Hilfe von Paraphrasierungen Frame-
Elemente im Material herausgearbeitet und dann als Kategorien quantifiziert werden
können (exemplarisch z. B. Jecker 2014).
Für eine deduktiv vorgehende Studie werden Frames theoretisch gebildet, aus
existierender Forschung übernommen oder mittels eines Pretests am Material ermit-
telt. Hilfreich ist die Orientierung an sogenannten „Basis-“, „Master-“ oder „Meta-
frames“, die zu den grundlegenden Bestandteilen des Wissens in einer Kultur gehören
und routinemäßig auf unterschiedliche Gegenstände angewendet werden können
(Benford und Snow 2000, S. 619; Dahinden 2006, S. 106–108). Alternativ können
Schlüsselwörter, Metaphern, Argumente, Beispiele und Bilder zur Identifizierung
von Frames genutzt werden oder auch wiederholt auftretende Verben, Adjektive,
Adverbien, Substantive etc., weil davon ausgegangen wird, dass jeder Frame über
ein eigenes, charakteristisches Vokabular verfügt (Hertog und McLeod 2001). Diese
vorab gebildeten Frames können in quantitativ-deduktiven (z. B. Eilders und Lüter
2000) oder qualitativ-deduktiven (z. B. Meier 2010) Untersuchungen Verwendung
finden.

3.2 Framing Gender

Empirische Studien der Gender Studies, die explizit mit dem Framing-Ansatz
arbeiten, sind insgesamt selten und konzentrieren sich zumeist auf Medienframes.
Aussagen über Framing-Effekte und -Prozesse lassen sich indirekt im Rahmen des
Differenzansatzes aus Studien zur Rezeption von Medieninhalten durch Männer und
Frauen, zur Diskussion über einen „weiblichen“ Journalismus sowie zu geschlechts-
bezogenen Erfahrungen in Redaktionen ableiten (Lünenborg und Maier 2013,
S. 85–95).
Den Gender Studies zuzurechnende Analysen von Medienframes sind zum einen
auf einzelne Themen bezogen (bspw. zu verschleierten Frauen in Europa: Rosenberger
und Sauer 2012). Auch das strategische Framing feministischer Bewegungen wird
222 S. Kirchhoff

thematisiert (Ferree 2003). Zum anderen wird untersucht, wie Feminismus selbst in
den Medien gerahmt wird (bspw. feministische und islamistische Frauenorganisa-
tionen in der Türkei, Aldikacti 2001; Feminismus in den USA, Lind und Salo 2002).
Im Rahmen des MAGEEQ-Projektes (2003–2005), in dem das Policy Framing von
Maßnahmen zu Gender Equality in mehreren europäischen Ländern, darunter auch
Österreich, untersucht wurde, wurde dagegen ein eigener methodologischer Ansatz
entwickelt (Verloo 2005). Auf theoretischer Ebene kombiniert diese Critical Frame
Analysis Überlegungen zum Framing sozialer Bewegungen mit diskursanalytischen
Machtanalysen und der gendertheoretischen (De-)Konstruktion von Geschlecht. Auf
methodischer Ebene werden Frame-Elemente mittels eines der Grounded Theory
entlehnten Verfahrens in offenen Kategorien ermittelt (Verloo 2005, S. 25).
Der Fokus liegt demnach auf Beschreibungen der Medienberichterstattung, aber
der Framing-Ansatz bietet auch andere Möglichkeiten. Insbesondere können
Erkenntnisse aus dem reichen Fundus der Forschung über Framing-Strategien für
den Feminismus nutzbar gemacht werden. Frame-Alignment, d. h. die strategische
Ausrichtung eigener Frames auf die Frames der Adressat_innen kann bspw. für die
Zustimmung für feministische Anliegen von Bedeutung sein (Walby 2011, S. 73–75).

4 Diskursanalyse

4.1 Diskurs und Dispositiv

Im allgemeinsprachlichen Gebrauch meint „Diskurs“ eine Diskussion, eine Debatte


bzw. einen Austausch über ein Thema. In den Sozialwissenschaften wird damit
i. d. R. entweder unter Berufung auf Jürgen Habermas jener (ideale) Ort bezeichnet,
an dem ein vernünftiger Konsens über Normen und Geltungsansprüche erzielt wird
– im Unterschied zum einfachen kommunikativen Handeln, das diese Normen als
wahr bzw. richtig voraussetzt (Habermas 1984, S. 118–120); oder er steht in der
Tradition von Michel Foucaults Analysen von Macht- und Wissensordnungen. Die
Methode der Diskursanalyse schließt an das letztere Begriffsverständnis an. Diskurs
meint bei Foucault drei verschiedene Dinge: 1. im Singular das Gebiet aller Aussa-
gen und deren gemeinsame Charakteristika, 2. im Plural individualisierbare Gruppen
von Aussagen, die thematisch gebündelt werden können, und 3. die diskursive
Praxis als regulierte Praxis, die eine bestimmte Gruppe von Aussagen hervorbringt
(Parr 2014, S. 234). Im Mittelpunkt der Analysen von Foucault steht die Ordnung
des Diskurses, das Machtgefüge, das einen Diskurs steuert und begrenzt, ihm also
seine Gestalt gibt. Diese Steuerung geschieht sowohl durch repressive Mechanismen
wie Ausschließung, Diskursverknappung und Regulierung des Zugangs zum Dis-
kurs, die eine Restriktion dessen ermöglichen, was in einer Gesellschaft gesagt
werden kann, als auch durch affirmative Strategien der Selbstdisziplinierung (Fou-
cault 1991, S. 13, 1983, S. 93–95). Im Rahmen seiner Machtanalysen beschäftigt
sich Foucault vor allem mit dem Verhältnis von Macht und Wissen. Indem in einem
Diskurs Dingen bestimmte Bedeutungen verliehen werden, wird dort Wissen pro-
duziert. Diskursive Mechanismen unterscheiden „Falsches“ von „Wahrem“, das
Methaphern-, Frame- und Diskursanalyse 223

dann als Wissen gilt. Da diese Unterscheidung entweder Ein- oder Ausschließung in
den Kanon des tradierten Wissens (und der Normen, Wertvorstellungen etc.) bedeu-
tet, beruhen Wahrheit und Wissen letztendlich auf einem System von Machtver-
hältnissen. Für Foucault sind daher Macht und Wissen untrennbar miteinander
verbunden (Foucault 1978, S. 34 und S. 51–53). Die Aufgabe der Diskursanalyse
ist es, die Kontingenz der Wissensordnungen in ihrem jeweiligen historischen
Kontext sichtbar zu machen.
Mittlerweile steht eine Vielzahl diskursanalytischer Methoden zur Verfügung, die
eine stärker textanalytische oder eine stärker soziologische Orientierung haben oder
auch beide miteinander kombinieren. Keller (2011, S. 109–111) unterscheidet zwi-
schen einer eher (sozio-)linguistisch orientierten, einer eher auf die Mikroebene
sprachlicher Interaktion in einem situativen Kontext ausgerichteten „discourse ana-
lysis“ und den poststrukturalistisch beeinflussten „Diskurstheorien“. Letztere fokus-
sieren auf die gesellschaftliche Mikro- und Makroebene des Sprachgebrauchs und
greifen dabei stärker auf die Arbeiten von Michel Foucault, Ernesto Laclau, Chantal
Mouffe u. a. sowie die Tradition der Cultural Studies zurück. Die „Kritische
Diskursanalyse“ (z. B. Jäger 2015) vermittelt zwischen der diskursanalytischen
und diskurstheoretischen Perspektive und vereint Elemente von beiden.
Eine wichtige Erweiterung hat die Diskursanalyse durch den Begriff des Dispo-
sitivs erfahren. Das Dispositiv ist „ein entschieden heterogenes Ensemble, das
Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entschei-
dungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philoso-
phische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebenso wie
Ungesagtes umfasst. Soweit die Elemente des Dispositivs. Das Dispositiv ist das
Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann“ (Foucault 1978,
S. 119–120).
In den vergangenen Jahren sind gerade auch im deutschsprachigen Raum ver-
schiedene Vorschläge für die Analyse von Dispositiven gemacht worden. Bührmann
und Schneider (2008) sowie Jäger (2015) behandeln dabei Dispositive und Diskurse
gleichrangig, wohingegen Keller (2011, S. 235) Dispositive als „Infrastruktur“ von
Diskursen versteht, in der sich die diskursiven Bedeutungskonstruktionen materia-
lisieren. Die Gemeinsamkeit besteht darin, dass nun das Interesse nicht allein den
Textaussagen und den Mechanismen ihrer Hervorbringung gilt, sondern auch den
nicht-diskursiven Praktiken. Letztere umfassen die unreflektierten, symbolisch auf-
geladenen Handlungsweisen, die Diskurse stützen und aktualisieren (Wrana und
Langer 2007; Bührmann und Schneider 2008, S. 46–50; Keller 2011, S. 256), die
Subjektivierung, mit der Akteur_innen den Diskurs „einverleiben“ (Bührmann und
Schneider 2008, S. 68–75), sowie die materiellen Vergegenständlichungen und
symbolischen Objektivationen, d. h. die materiellen und immateriellen Gegenstän-
den, die der Diskurs und die nicht-diskursiven Praktiken hervorbringen (Bührmann
und Schneider 2008, S. 58–59). Analysiert werden sollen vor allem die Beziehungen
– bzw. das „Netz“ (s. o.) – zwischen diesen drei Elementen, die einander wechsel-
seitig hervorbringen.
Sozialwissenschaftliche Untersuchungen haben sich u. a. mit dem Ausländer-
oder Migrationsdispositiv (Dirim 2015), Sterbe-/Todesdispositiv (Bührmann und
224 S. Kirchhoff

Schneider 2008), Bildungsdispositiv (Gille 2013) und Klimadispositiv (Thiele 2014)


befasst. In der Kommunikations- und Medienwissenschaft ist der Dispositivbegriff
seit Jean-Louis Baudry’s (1994) Ausführungen zum Kinodispositiv, welches das
Zusammenwirken der spezifischen technischen Gegebenheiten des Mediums, der
zeitlichen Dimension und der räumlichen Anordnung bei der Rezeption mit den
jeweiligen kulturellen Wahrnehmungsmustern, psychischen Dispositionen und
gesellschaftlichen Konventionen bezeichnet, verankert (vgl. die sog. Apparatustheo-
rien). Mittlerweile sind verschiedene Mediendispositive beschrieben worden, so
etwa das Fernsehdispositiv (Hickethier 1995), Internetdispositiv (Neumann 2002),
Computerspieldispositiv (Mosel 2009), Social-Media-Dispositiv (Zajic 2015) und
Dispositiv der Mobiltelefonie (Mitrea 2006). Als deren gemeinsame Klammer gilt,
dass Mediendispositive „aus dem Zusammenwirken von technischen Bedingungen,
gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen, normativ-kulturellen Faktoren und men-
talen Entsprechungen auf der Seite der Zuschauer/innen“ (Hickethier 2012, S. 21)
sowie den Routinen ihres habitualisierten Medienkonsums entstehen. Ihre Funktion
besteht darin, „die Wahrnehmung der Medien [zu regeln], indem sie Gewissheiten
und unhinterfragte Selbstverständlichkeiten schaffen, den Blick und das Ohr auf das
Gezeigte hin akzentuieren“ (Hickethier 2012, S. 21). Demgegenüber nehmen
Johanna Dorer und Matthias Marschik (Dorer 2008) mit dem Informations- bzw.
Kommunikationsdispositiv sowie Thomas Steinmaurer (2016) mit dem Dispositiv
der Konnektivität jeweils eine leichte Perspektivverschiebung vor. Sie stellen die
Interaktions- bzw. Kommunikationsprozesse sowie die Verfasstheit von Öffentlich-
keit und Privatheit ins Zentrum. Gleiches gilt für Klaus-Dieter Altmeppen (2007),
der mit dem Organisationsdispositiv des Journalismus die organisationale Verfasst-
heit des Journalismus fokussiert.

4.2 Diskurs und Gender

Die Gender Studies haben sich seit ihrer Entstehung umfassend mit dem Poststruk-
turalismus und speziell mit Foucaults Diskurs- und Machtanalysen auseinanderge-
setzt (für einen Überblick Thomas 2013; Wedl 2014). Zwischen Diskurstheorie und
feministischen/queeren Theorien besteht eine enge Verbindung, die sich aus der
Perspektive der letzteren auf ihren Untersuchungsgegenstand ergibt: Geschlecht
als gesellschaftliche Konstruktion lässt sich als eine diskursiv erzeugte Wissensord-
nung im Sinne Foucaults verstehen. Vorstellungen über Männer und Frauen, Männ-
lichkeit und Weiblichkeit sind nicht „natürlich“, sie entstehen vielmehr aus den
Mechanismen der Aussagenproduktion in spezifischen historisch-soziokulturellen
Kontexten, wobei hegemoniale Bedeutungszuschreibungen – die Unterscheidung
von wahrem und falschem Wissen über Geschlecht(er) – immer als Ergebnis von
Machtspielen zu verstehen sind.
Die erkenntnistheoretische wie forschungspraktische Herausforderung besteht
dementsprechend in einer fortwährenden Kritik der Geschlechterrepräsentationen
bzw. der Reflexion darüber, dass alle – auch eigene – Wahrnehmungsweisen von
Geschlecht Konstruktionen sind, die Wirklichkeit strukturieren. Die Dekonstruktion
Methaphern-, Frame- und Diskursanalyse 225

von Geschlecht versucht dementsprechend das Nicht-Gesagte, scheinbar Selbstver-


ständliche freizulegen und die Konstruktionen als Konstruktionen sichtbar zu
machen (Hark 2001, S. 363–364). Genderdiskurse werden daraufhin befragt, welche
Techniken des Ausschlusses aus dem Diskurs, aber auch der Selbstdisziplinierung
die Möglichkeiten des Sagbaren – bzw. konkret die Geschlechterrepräsentationen
und -identitäten – beschränken.
Repräsentationskritik in den Gender Studies umfasst sowohl semiotische (Rela-
tion der Zeichen zueinander) als auch diskurstheoretische (Relation von Macht und
Wissen) Herangehensweisen (Hark 2001, S. 358). Während sich Erstere darauf
konzentrieren, wie Bedeutung in Texten hergestellt wird, fragen Letztere nach der
Politik von Geschlechterrepräsentationen (Lünenborg und Maier 2013, S. 42–43
und 108). Mit diskursanalytischen Mitteln kann analysiert werden, welche Wissens-
ordnungen bezüglich Geschlecht sich im Zeitverlauf durchsetzen, wie Geschlechter-
repräsentationen in Institutionen und sozialen Praktiken fortgeschrieben oder auch
verändert werden und wie sie in Form von Geschlechteridentitäten in das Selbst
integriert werden.
Diskursanalytische Arbeiten beschäftigen sich mit folgenden Themen:

1. den (scheinbar) „neuen“ Geschlechterrepräsentationen in den Medien, insbeson-


dere mit sog. „starken“ Frauen, aber auch mit Repräsentationen von Männlich-
keit,
2. der medial-diskursiven Aushandlung von Geschlecht im Zusammenhang mit
u. a. Migration, Krieg und Gewalt,
3. den Mediendiskursen über Feminismus, Postfeminismus, Elitenfeminismus,
Antifeminismus und Maskulinismus,
4. der wechselseitigen Konstituierung von Genre(handeln) und (Performativität)
von Geschlecht sowie
5. der Konstruktion von Heteronormativität und queeren sexuellen Identitäten in
Medientexten (vgl. den Überblick in Lünenborg und Maier 2013, S. 107–109).

Im Werk Foucaults erscheint der Begriff „Dispositiv“ zum ersten Mal prominent
in „Der Wille zum Wissen“ (frz. 1976, dt. 1977), das als Teil einer Dispositivge-
schichte der Sexualität konzipiert ist. Foucault entfaltet hier ein Verständnis von
Sexualität (und Geschlecht), das gerade nicht nach seiner repressiven Unterdrückung
fragt, sondern vielmehr nach der wissens- und machtpolitischen Konstellation, die
im 19. Jahrhundert – dem Gegenstand der Analyse – eine „umfassende Apparatur
zur Ausbildung und Bewahrung einer Verpflichtung zum Bekenntnis der Wahrheit
über die Sexualität“ (Raffnsøe et al. 2011, S. 38) hervorgebracht hat.
Als weiteres Beispiel entwerfen Andrea Bührmann und Werner Schneider (Bühr-
mann und Schneider 2008, S. 120–122, s. o.) – basierend auf ihrem Vorschlag für
eine Methode der Dispositiv-Forschung – ein Untersuchungsdesign für das Ge-
schlechterdispositiv, mit dem das Verhältnis von diskursiven und nicht-diskursiven
Praktiken, von Diskurs und Subjektivierungsweisen, von diskursiven Praktiken und
symbolischen Objektivierungen bzw. materiellen Vergegenständlichungen sowie von
Geschlechterdispositiv und sozialem Wandel analysiert werden kann. Die Autor_innen
226 S. Kirchhoff

diagnostizieren für gegenwärtige moderne Gesellschaften – zumindest im eigenen


kulturellen Kontext – eine Verunsicherung, in der bisherige Geschlechterdifferenzen
zunehmend dysfunktional werden. Gesellschaften versuchen daher, „Handlungssi-
cherheiten und Deutungsgewissheiten“ (Bührmann und Schneider 2008, S. 124) in
Bezug auf Geschlecht herzustellen, die sich bspw. in Diagnoserichtlinien zur
Geschlechtsbestimmung, geschlechtstypisierenden Operationen, Ausweisdokumen-
ten und der Kennzeichnung öffentlicher Toiletten manifestieren, die die Vergegen-
ständlichungen diskursiver und nichtdiskursiver Praktiken sind (Bührmann und
Schneider 2008, S. 125).
Die Relevanz der Medien für die Technologien des Selbst, mit denen Geschlecht
subjektiviert wird, zeigen z. B. Ute Bechdolf (1999) anhand der Rezeption von
Musikvideos und Tanja Thomas (2008) anhand der Teilnahme an der Castingshow
„Germany’s Next Top Model“. Es sind diese Selbst-Technologien, durch die sich
Subjekte als Geschlechts-Subjekte konstituieren, und dies nicht nur im sozialen
Geschlecht, sondern auch in ihren Körpern, ihren Emotionen und ihrem Begehren
(Hark 2001, S. 359). Zusammenfassend sind es die in die Dispositive eingeschrie-
benen, vielfältigen Machtbeziehungen, die die Konstituierung von Subjekten über-
haupt erst ermöglichen.

5 Fazit

Im Verhältnis von Metaphern, Frames und Diskursen bilden Metaphern die kleinste
Analyseeinheit und können sowohl für die Untersuchung von Frames als auch von
Diskursen eine wichtige Rolle einnehmen. Metaphern werden häufig als zentrales
Mittel der Analyse von Frames (u. a. Hertog und McLeod 2001, S. 141; Dahinden
2006, S. 79–80) und Diskursen (u. a. Jäger 2015, S. 55–57) angesehen, allerdings
gelten sie dabei vor allem als ein sprachliches Phänomen und werden dementspre-
chend den rhetorischen bzw. narrativen Mitteln zugeordnet (z. B. Pan und Kosicki
1993, S. 61; Keller 2011, S. 266; Jäger 2015, S. 103). Versteht man Metaphern
jedoch im Anschluss an die kognitive Metapherntheorie (Lakoff und Johnson 1998)
als Ausdruck kognitiver Konzepte bzw. untersucht im Rahmen eines diskursiven
Metaphernansatzes (Hülsse 2003), welche Funktion sie im Kampf um Bedeutungen
erfüllen, dann schlägt die Analyse von Metaphern eine Brücke zwischen sich in
Texten und Praktiken manifestierenden Diskursen einerseits und kognitiven Rah-
mungen von Wirklichkeit sowie gesellschaftlichen Möglichkeitsräumen für Hand-
lungen andererseits (vgl. dazu ausführlicher Kirchhoff 2010, S. 144–148).
Frames und Diskurse sind insofern miteinander verbunden, als die Framingstra-
tegien verschiedener Akteur_innen, die sich in Medienframes niederschlagen, einen
Diskurs prägen. Die Diskurstheorie bietet – anders als Metapherntheorie und Fra-
mingansatz – das theoretische und interpretative Instrumentarium, um die sozialen
Praktiken bzw. die historische Kontextualisierung dieser Frames zu analysieren. Sie
kann Wissensordnungen zu einem gegebenen Zeitpunkt beschreiben, die Machtkon-
stellationen bei der Konstituierung hegemonialen Wissens aufzeigen, die involvier-
ten Akteur_innen benennen und die Art und Weise sichtbar machen, in der institu-
Methaphern-, Frame- und Diskursanalyse 227

tionelle und individuelle Akteur_innen, ihre Praktiken, Subjektformungen und


Handlungsprodukte vom Diskurs durchdrungen sind.
In Bezug auf Fragestellungen der kommunikationswissenschaftlichen Geschlech-
terforschung lassen sich mittels metaphorischer Konzepte und Framing die medialen
Repräsentationen von Geschlecht beschreiben. Bedeutungszuschreibungen in Tex-
ten lassen sich sowohl als Medienframes analysieren, indem Frame-Bestandteile
(Problemdefinition, Ursachenzuschreibungen, Bewertungen, Lösungen) und/oder
framing devices (Schlüsselwörter, Kohärenz etc.) herausgearbeitet werden, als auch
anhand von sprachlich realisierten Metaphern als Ausdruck mentaler Repräsentatio-
nen in Medientexten. Diskurs- und Dispositivanalysen zeigen das historisch kontin-
gente Wissen über Geschlecht, Sexualität etc. als Ergebnis von Machtspielen. Alle
drei Methoden ermöglichen es, die medialen Wirklichkeitskonstruktionen in Bezug
auf Geschlecht herauszuarbeiten. Damit ist die explizit kritische Wissenschaftsper-
spektive der Diskursanalyse implizit auch in die Metaphern- und Frameanalyse
eingeschrieben und kann für den gesellschaftskritischen Anspruch der kommunika-
tionswissenschaftlichen Geschlechterforschung nutzbar gemacht werden.

Literatur
Aldikacti, Gul Muhsine. 2001. Framing, culture, and social movements: A comparison of feminist
and Islamist women’s movements in Turkey. Dissertation. http://repository.upenn.edu/disserta
tions/AAI3003586. Zugegriffen am 06.07.2017.
Altman, Meryl. 1990. How not to do things with metaphors we live by. College English 52(5):
495–506.
Altmeppen, Klaus-Dieter. 2007. Das Organisationsdispositiv des Journalismus. In Journalismus-
theorie Next Generation: Soziologische Grundlegung und theoretische Innovation, Hrsg. Klaus-
Dieter Altmeppen, Thomas Hanitzsch, und Carsten Schlüter, 281–302. Wiesbaden: Springer.
Ang, Ien, und Joke Hermes. 1991. Media in/and consumption. In Mass media and society, Hrsg.
James Curran und Michael Gurevitch, 307–328. London: Arnold. (wiederabgedruckt in: 1994.
Gender und Medien, Hrsg. Marie-Luise Angerer und Johanna Dorer, 114–133, Wien: Braumül-
ler.)
Baudry, Jean-Louis. 1994. Das Dispositiv. Metapsychologische Betrachtungen des Realitätsein-
drucks. Psyche 48(11): 1047–1074.
Bechdolf, Ute. 1999. Puzzling Gender. Re- und Dekonstruktion von Geschlechterverhältnissen im
und beim Musikfernsehen. Weinheim: Deutscher Studien Verlag.
Benford, Robert D., und David A. Snow. 2000. Framing processes and social movements. An
overview and assessment. Annual Review of Sociology 26:611–639.
Bührmann, Andrea D., und Werner Schneider. 2008. Vom Diskurs zum Dispositiv. Eine Einführung
in die Dispositivanalyse. Bielefeld: transcript.
Dahinden, Urs. 2006. Framing. Eine integrative Theorie der Massenkommunikation. Konstanz: UVK.
Dirim, Inci. 2015. Der herkunftssprachliche Unterricht als symbolischer Raum. In Impulse für die
Migrationsgesellschaft: Bildung, Politik und Religion, Hrsg. Inci Dirim, Ingrid Gogolin, Dag-
mar Knorr, Marianne Krüger-Potratz, Drorit Lengyel, Hans H. Reich, und Wolfram Weiße,
61–74. Münster: Waxmann.
Dorer, Johanna. 2008. Das Internet und die Genealogie des Kommunikationsdispositivs. Ein
medientheoretischer Ansatz nach Foucault. In Kultur – Medien – Macht, Hrsg. Andreas Hepp
und Rainer Winter, 353–365. Wiesbaden: Springer.
Eilders, Christiane, und Albrecht Lüter. 2000. Germany at war. Competing framing strategies in
German public discourse. European Journal of Communication 15(3): 415–428.
228 S. Kirchhoff

Entman, Robert M. 1993. Framing: Toward clarification of a fractured paradigm. Journal of


Communication 43(4): 51–58.
Fauconnier, Gilles, und Mark Turner. 2002. The way we think. Conceptual blending and the mind’s
hidden complexities. New York: Basic Books.
Ferree, Myra Marx. 2003. Resonance and radicalism. Feminist framing in the abortion debates of
the United States and Germany. American Journal of Sociology 109(2): 304–344.
Foucault, Michel. 1978. Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit. Berlin:
Merve.
Foucault, Michel. 1983. Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1. Frankfurt a. M.:
Suhrkamp.
Foucault, Michel. 1991. Die Ordnung des Diskurses. Frankfurt a. M.: Fischer.
Gille, Annette Silvia. 2013. Die Ökonomisierung von Bildung und Bildungsprozessen aus dispo-
sitivanalytischer Sicht. In Verortungen des Dispositiv-Begriffs. Analytische Einsätze zu Raum,
Bildung, Politik, Hrsg. Johannah Caborn Wengler, Britta Hoffarth, und Lukasz Kumiega,
73–89. Wiesbaden: Springer.
Gitlin, Todd. 2003. The whole world is watching. Mass media in the making and unmaking of the
new left. With a new preface. Berkeley/Los Angeles/London: University of California Press.
Goffman, Erving. 1974. Frame analysis. Cambridge: Harvard University Press.
Habermas, Jürgen. 1984. Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns.
Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Hark, Sabine. 2001. Feministische Theorie – Diskurs – Dekonstrukion. In Handbuch sozialwissen-
schaftliche Diskursanalyse. Band 1: Theorien und Methoden, Hrsg. Reiner Keller, Andreas
Hirseland, Werner Schneider, und Willy Viehöver, 353–371. Opladen: Leske und Budrich.
Helmig, Jan. 2008. Metaphern in geopolitischen Diskursen. Raumrepräsentationen in der Debatte
um die amerikanische Raketenabwehr. Wiesbaden: Springer.
Hertog, James K., und Douglas M. McLeod. 2001. A multiperspectival approach to framing
analysis: A field guide. In Framing public life. Perspectives in media and our understanding
of the social world, Hrsg. Stephen D. Reese, Oscar H. Gandy, und August E. Grant, 139–161.
London/Mahwah: Lawrence Erlbaum.
Hickethier, Knut. 1995. Dispositiv Fernsehen. Skizze eines Modells. montage AV 4(1): 63–84.
Hickethier, Knut. 2012. Film- und Fernsehanalyse. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler.
Hülsse, Rainer. 2003. Sprache ist mehr als Argumentation. Zur wirklichkeitskonstituierenden Rolle
von Metaphern. Zeitschrift für Internationale Beziehungen 10(2): 211–246.
Jäger, Siegfried. 2015. Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung. Münster: Unrast/Edition.
Jecker, Constanze. 2014. Entmans Framing-Ansatz. Theoretische Grundlegung und empirische
Umsetzung. Konstanz: UVK.
Jung, Matthias, Thomas Niehr, und Karin Böke. 2000. Ausländer und Migranten im Spiegel der
Presse. Ein diskurshistorisches Wörterbuch zur Einwanderung seit 1945. Wiesbaden: West-
deutscher Verlag.
Keller, Reiner. 2011. Wissenssoziologische Diskursanalyse. Grundlegung eines Forschungspro-
gramms. Wiesbaden: Springer.
Kirchhoff, Susanne. 2010. Krieg mit Metaphern – Mediendiskurse über 9/11 und den ‚war on
terror‘. Bielefeld: transcript.
Koller, Veronika. 2005. Critical discourse analysis and social cognition. Evidence from business
media discourse. Discourse & Society 16(2): 199–224.
Kövecses, Zoltán. 2005. Metaphor in culture. Universality and variation. Cambridge/New York/
Melbourne: Cambridge University Press.
Lakoff, George, und Mark Johnson. 1998. Leben in Metaphern. Heidelberg: Carl Auer.
Leezenberg, Maarten Michiel. 1995. Contexts of metaphor. Semantic and conceptual aspects of
figurative language interpretation. Amsterdam: Institute for Logic, Language and Computation,
Universiteit van Amsterdam.
Lind, Rebecca A., und Colleen Salo. 2002. The framing of feminists and feminism in news and
public affairs programs in U.S. electronic media. Journal of Communication 52(1): 211–228.
Methaphern-, Frame- und Diskursanalyse 229

Lünenborg, Margreth, und Tanja Maier. 2013. Gender media studies. Konstanz: UVK.
Martin, Emily. 1991. The egg and the sperm. How science has constructed a romance based on
stereotypical male-female roles. Signs 16(3): 485–501. http://web.stanford.edu/~eckert/PDF/
Martin1991.pdf. Zugegriffen am 16.02.2017.
Matthes, Jörg, und Matthias Kohring. 2004. Die empirische Erfassung von Medien-Frames. Medien
& Kommunikationswissenschaft 52(1): 56–75.
Meier, Stefan. 2010. Bild und Frame: Eine diskursanalytische Perspektive auf visuelle Kommuni-
kation und deren methodische Operationalisierung. In Globalization, discourse, media in a
critical perspective, Hrsg. Anna Duszak, Julian House, und Lukasz Kumiega, 370–392.
Warschau: Warschau Universitätsverlag.
Melnick, Burton. 1999. Cold hard world \ warm soft mommy: Gender and metaphors of hardness,
softness, coldness, and warmth. Psyart – A Hyperlink Journal for the Psychological Study of the
Arts, 09.12.1999. http://psyartjournal.com/article/show/melnick-cold_hard_world_warm_soft_
mommy_gender_a. Zugegriffen am 15.05.2017.
Mitrea, Oana Stefana. 2006. Understanding the mobile telephony usage patterns. The rise of the
mobile communication „Dispositif“. Darmstadt: Dissertation. http://tuprints.ulb.tu-darmstadtde/
651/1/thesis_mitrea.pdf. Zugegriffen am 24.07.2017.
Mosel, Michael. 2009. Gefangen im Flow? Ästhetik und dispositive Strukturen von Computerspie-
len. Glückstadt: Hülsbusch.
Musolff, Andreas. 2004. Metaphor and political discourse. Analogical reasoning in debates about
Europe. New York/Houndmills: Palgrave MacMillan.
Neumann, Arndt. 2002. Das Internet-Dispositiv. Tiefenschärfe – Zentrum für Medienkultur WS 2002/
2003, 10–13. http://www.slm.uni-hamburg.de/imk/tiefenschaerfe/tiefenschaerfe_Winter2002_03.
pdf. Zugegriffen am 13.12.2016.
Pan, Zhongdang, und Gerald M. Kosicki. 1993. Framing analysis: An approach to news discourse.
Political Communication 10(1): 55–75.
Parr, Rolf. 2014. Diskurs. In Foucault Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Hrsg. Clemens
Kammler, Rolf Parr, und Johannes Ulrich Schneider, 233–237. Stuttgart/Weimar: Metzler.
Potthoff, Matthias. 2012. Medien-Frames und ihre Entstehung. Wiesbaden: Springer.
Raffnsøe, Sverre, Marius Gudman-Høyer, und Morten S. Thaning. 2011. Foucault. Studienhand-
buch. München: Fink UTB.
Reese, Stephen D. 2001. Prologue – Framing public life. A bridging model for media research. In
Framing public life. Perspectives on media and our understanding of the social world, Hrsg.
Stephen D. Reese, Oscar H. Gandy, und August E. Grant, 7–31. Mahwah/London: Lawrence
Erlbaum.
Richards, Ivor Armstrong. 1983. Die Metapher. In Theorie der Metapher, Hrsg. Anselm Haver-
kamp, 31–52. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. [Original: The Philosophy of
Rhetoric, Oxford UP 1936, gekürzt].
Rosenberger, Sieglinde, und Birgit Sauer. 2012. Politics, religion and gender. Framing and
regulating the veil. London: Routledge.
Scheufele, Bertram, und Ines Engelmann. 2016. Framing und Journalismus. In Handbuch Journa-
lismustheorien, Hrsg. Martin Löffelholz und Liane Rothenberger, 443–456. Wiesbaden: Springer.
Scheufele, Dietram A., und David Tewksbury. 2007. Framing, agenda setting, and priming: The
evolution of three media effects models. Journal of Communication 57(1): 9–20.
Schmitt, Rudolf. 2009a. Metaphernanalyse und die Konstruktion von Geschlecht. Forum Qualitative
Sozialforschung 10(2). http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/rt/printerFriendly/1004/
2740. Zugegriffen am 05.03.2017.
Schmitt, Rudolf. 2009b. Kampftrinker und andere Helden. Zur metaphorischen Selbstinszenierung
eines Geschlechts. In Körperkonstruktionen und Geschlechtermetaphern. Zum Zusammenhang
von Rhetorik und Embodiment, Hrsg. Maren Bidwell-Steiner und Veronika Zangl, 133–148.
Innsbruck/Bozen/Wien: Studienverlag.
Schmitt, Rudolf. 2017. Systematische Metaphernanalyse als Methode der qualitativen Sozialfor-
schung. Wiesbaden: Springer.
230 S. Kirchhoff

Steinmaurer, Thomas. 2016. Permanent vernetzt. Zur Theorie und Geschichte der Mediatisierung.
Wiesbaden: Springer.
Thiele, Matthias. 2014. Vom Medien-Dispositiv- zum Dispositiv-Netze-Ansatz. Zur Interferenz von
Medien- und Bildungsdiskurs im Klima-Dispositiv. In Medien – Bildung – Dispositive. Beiträge
zu einer interdisziplinären Medienbildungsforschung, Hrsg. Julius Othmer und Andreas Weich,
87–108. Wiesbaden: Springer
Thomas, Tanja, Hrsg. 2008. Körperpraktiken und Selbsttechnologien in einer Medienkultur. Zur
gesellschaftstheoretischen Fundierung aktueller Fernsehanalyse. In Medienkultur und soziales
Handeln, 219–237. Wiesbaden: Springer.
Thomas, Tanja. 2013. Feministische Kommunikations- und Medienwissenschaft. Positionen zu
Gesellschaftskritik, Erkenntniskritik und Emanzipationsvision. In Normativität in der Kommu-
nikationswissenschaft, Hrsg. Matthias Karmasin, Matthias Rath, und Barbara Thomaß,
397–420. Wiesbaden: Springer.
Tuchman, Gaye. 1978. Making News. A study in the construction of reality. New York/London: The
Free Press.
Van Gorp, Baldwin. 2007. The constructionist approach to framing. Bringing culture back
in. Journal of Communication 57(1): 60–78.
Verloo, Mieke. 2005. Mainstreaming gender equality in Europe. A critical frame analysis approach.
The Greek Review of Social Research 117(1): 11–34.
Walby, Sylvia. 2011. The future of feminism. London: Polity Press.
Wedl, Juliette. 2014. Diskursforschung in den Gender Studies. In Diskursforschung. Ein interdiszi-
plinäres Handbuch, Hrsg. Johannes Angermuller, Martin Nonhoff, Eva Herschinger, Felicitas
Macgilchrist, Martin Reisgigl, Juliette Wedl, Daniel Wrana, und Alexander Ziem, Bd. 1,
276–299. Bielefeld: transcript.
Wrana, Daniel, und Antje Langer. 2007. An den Rändern der Diskurse. Jenseits der Unterscheidung
diskursiver und nicht-diskursiver Praktiken. Forum Qualitative 8(2). http://www.qualitative-
research.net/index.php/fqs/rt/printerFriendly/253/557. Zugegriffen am 04.07.2017.
Zajic, Melita. 2015. The social media dispositive and monetization of user-generated content. The
Information Society 31(1): 61–67.
Zinken, Jörg. 2002. Imagination im Diskurs. Zur Modellierung metaphorischer Kommunikation und
Kognition. Bielefeld: Universität Bielefeld. https://pub.uni-bielefeld.de/publication/2304889#.
Zugegriffen am 04.07.2017.
Die Analyse latenter Frames und Narrative
durch szenisches Verstehen

Friederike Herrmann

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
2 Erkenntnistheoretische Grundlagen der Analyse latenter Frames . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
3 Narratives Framing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
4 Szenisches Verstehen als Zugang zu latenten Narrativen und Frames . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
5 Die Entwicklung von Hypothesen nach dem Konzept des abduktiven Schließens . . . . . . . 239
6 Beispiel: Schritte einer exemplarischen Analyse des narrativen Framings in einem
journalistischen Beitrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
7 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

Zusammenfassung
Latente Frames und Narrative sind eine spezifische Form des Framing, die nicht
manifest im Text erkennbar ist. Diese Frames und Narrative stellen – häufig
performativ – einen übergreifenden Deutungszusammenhang her, innerhalb des-
sen Fakten und Ereignisse ausgewählt, in spezifischer Form dargestellt und
verstanden werden. Sie präformieren, meist unbemerkt und unbewusst, unser
Wahrnehmen und Denken. Versteckte Diskriminierungen, Stereotype und Zu-
schreibungen können durch die Analyse solcher Frames sichtbar gemacht werden
als Teil eines unbeabsichtigten Doing Gender. Als methodischer Zugang zur
Analyse latenter Frames eignet sich das szenische Verstehen, die Hypothesenbil-
dung erfolgt auf der Grundlage des abduktiven Schließens.

Das Konzept zum latenten Framing entwickelte ich im regelmäßigen Austausch mit der Soziologin
und Psychoanalytikerin Ilka Quindeau. Ihr danke ich für inspirierende Gespräche und zahlreiche
Hinweise auf weiterführende Theorien.

F. Herrmann (*)
Kath. Universität Eichstätt-Ingolstadt, Eichstätt, Deutschland
E-Mail: friederike.herrmann@ku.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 231
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_17
232 F. Herrmann

Schlüsselwörter
Narrative · Szenisches Verstehen · Latente Frames · Tiefenhermeneutik ·
Abduktion

1 Einleitung

Als latente Frames gelten Frames, die nicht explizit in der Kommunikation formu-
liert sind. Das Konzept knüpft an den Framing-Begriff an, den der Soziologe Erving
Goffman in den siebziger Jahren entwickelt hat (Goffman 2016). Goffman bezieht
sich in seiner Theorie auf Interaktionen, durch die solche Deutungsrahmen evoziert
werden. Die Interaktionen können im Austausch zwischen zwei Menschen stattfin-
den, aber ebenso beispielsweise im Moment des Verstehens eines Textes, also
zwischen Rezipient_innen und dem Produkt von Autor_innen. Goffman geht davon
aus, dass unsere Wahrnehmung und unser Verstehen des Alltags durch Frames
geformt sind. Frames sind Deutungsmuster, durch die unsere Erfahrungen erst Sinn
erhalten. Ohne solche Interpretationsrahmen blieben sie zusammenhangslos und
ohne Bedeutung. Kommunikation ohne Framing wäre im Wortsinne sinnlos. Das
unterscheidet Frames beispielsweise von Stereotypen, die nur in bestimmten Zu-
sammenhängen verwendet werden und Teile eines Frames sind. Frames sind allge-
genwärtig. Wir framen immer.
Sieht man etwa ein Kind auf der Straße spielen, spricht mit einem Freund über
sein letztes Geburtstagsfest oder liest einen Text, werden in der jeweiligen Situation
Deutungsrahmen evoziert. Sie geben der Situation einen Zusammenhang und sind
mit Affekten verknüpft. Dabei ist nicht nur der Inhalt des Gesagten oder des
Handelns entscheidend, sondern auch die Kommunikationssituation, die Interaktion
der Beteiligten. So kann eine eigentlich inhaltlich positive Schilderung eines Ge-
burtstagsfestes von Gefühlen der Langeweile und des Überdrusses begleitet sein.
Diese können in der Kommunikationssituation performativ durch das Arrangement,
beispielsweise durch eine bestimmte Tonlage oder Gesten und Mimik, hervorgeru-
fen worden sein. In geschriebenen Texten wird die Kommunikationssituation oft
durch Erzählfiguren, durch das Arrangement der Inhalte performativ gestaltet. Dies
lässt sich am Beispiel Zeitungstext erläutern: Der Frame steht nicht einfach in der
Nachricht oder ist im Kopf der Rezipient_in vorhanden. Er entsteht im Moment des
Verstehens einer Nachricht, im Raum zwischen Text und Rezipient_in.
Dieses Framing kann die manifeste Aussage eines Beitrages in sein Gegenteil
verkehren. So kann beispielsweise in der scheinbar freundlichen Bereitschaft, einer
jungen Kollegin etwas erklären zu wollen, in Wirklichkeit performativ eine unaus-
gesprochene Abwertung stecken. Der Ratgeber kann damit bewusst oder unbewusst
seine Dominanz demonstrieren wollen oder gar der Kollegin Unfähigkeit unterstel-
len. Für ein solches Framing ist das Arrangement, die Performance einer Kommu-
nikation oder eines Medienbeitrages mindestens ebenso wichtig wie die expliziten
Die Analyse latenter Frames und Narrative durch szenisches Verstehen 233

Inhalte. Diskriminierende Frames können so unbemerkt, oft auch unbeabsichtigt und


ungewollt, ihre Wirkung entfalten.
Stereotype und Ideologien werden durch Frames oft reproduziert, ohne dass dies
den Kommunizierenden bewusst ist. Das gilt auch für das Doing Gender, die
Konstruktion von Geschlecht. Goffman hat das Konzept des Framing im Sinne einer
kritischen, nicht affirmativen Wissenschaft verstanden. Sein Ziel war es, dass wir
Rahmen, nach denen wir unsere Alltagserfahrungen einordnen und verstehen,
erkennen und uns bewusst machen. So sei es möglich, problematische und unge-
wollte Sinnzuschreibungen zu erkennen und zu verändern. Die Framing-Analyse ist
insofern ein aufklärerisches Konzept. Sie kann ein Doing Gender in Medienbei-
trägen aufdecken; auch dann, wenn die Geschlechterzuschreibungen nicht manifest
im Beitrag erscheinen, sondern unbeabsichtigt und unbemerkt im Deutungsrahmen
enthalten sind, den ein Beitrag evoziert.

2 Erkenntnistheoretische Grundlagen der Analyse latenter


Frames

Kommunikation ist immer in einen Kontext eingebettet und von Interaktionen


begleitet. Das Verstehen beruht nicht nur auf dem manifesten Inhalt des Mitgeteilten.
Das übersehen manche Framing-Modelle, wenn sie allzu mechanistisch und sche-
matisch davon ausgehen, dass bestimmte Begriffe stets bestimmte Frames hervor-
rufen (Herrmann 2019). Sie setzen einen einfachen und wiederholbaren Ursache-
Wirkungs-Zusammenhang voraus, den es in Sprache und Kommunikation so
eindeutig nicht gibt. Auch die Vorstellung, dass Frames entweder im Medienbeitrag
oder im Kopf der Rezipient_innen stecken, klammert den Aspekt der Interaktion aus,
den Prozess und die Dynamik der Entstehung von Bedeutungen aus der jeweiligen
Kommunikationssituation.
Bedeutungen von Sprache, von Begriffen sind nicht wie naturwissenschaftliche
Gegenstände eindeutig festlegbar. Sie sind Resultat einer Dynamik, eines Prozesses.
Wir würden vielleicht vermuten, dass die Aussage, jemand sei ein ehrenwerter Mann
mit einem positiven Frame verknüpft ist. Aber eine der berühmtesten Reden der
Rhetorik zeigt uns das Gegenteil: In Shakespeares Drama „Julius Caesar“ wiederholt
Antonius in seiner Rede immer wieder: „Brutus ist ein ehrenwerter Mann“ und führt
gleichzeitig diese Aussage geschickt ad absurdum. Am Ende hat er sein Publikum
davon überzeugt, dass Brutus ein Verräter ist – obwohl oder besser: sogar, weil er ihn
ohne Unterlass einen „ehrenwerten Mann“ nennt.
Mit Sprache ist so etwas möglich. Eine schöne Heilige kann eine bewunderns-
werte Person sein – aber die Wendung „das ist mir eine schöne Heilige“ hat einen
ganz anderen Sinn. Sprache und im weiteren Sinne Kommunikation kann durch
kleinste Nuancen aus Hell Dunkel machen, kann Bedeutungen in ihr Gegenteil
verkehren, kann ironisieren oder auch nur nuancieren. Als Gegenstand wissenschaft-
licher Forschung unterliegt deshalb die Analyse menschlichen Handelns, als das wir
234 F. Herrmann

Sprache, Sinn- und Bedeutungsgebung verstehen, anderen Regeln als naturwissen-


schaftliche Gegenstände.
Georg Henrik von Wright hat hierfür den Unterschied zwischen Erklären und
Verstehen eingeführt (Wright 1991): Auch wenn beide Worte in der Alltagsbedeu-
tung nahe beieinander liegen, bezeichnen sie im wissenschaftlichen Kontext höchst
Unterschiedliches. Ziel des Erklärens ist es, einen Ursache-Wirkungs-Zusammen-
hang aufzudecken: Immer wenn A eingesetzt wird, passiert B. Immer wenn ich
Salzsäure auf Zink gieße, entsteht Zinkchlorid. Der Ausgang vieler naturwissen-
schaftlicher Experimente ist in dieser Weise reproduzierbar und prognostizierbar und
lässt sich generalisieren. Sprache ist nicht so eindeutig festlegbar. Allzu technische
und mechanische Modelle ihrer Analyse mögen wunderbar überprüfbar und falsifi-
zierbar erscheinen, gehen jedoch sehr leicht am Gegenstand vorbei. Nicht jeder, der
Brutus einen ehrenwerten Mann nennt, meint das auch so. Gerade um die oben
genannten Zusammenhänge unbewussten, nicht manifest in den Beiträgen erkenn-
baren Framings nachzuvollziehen, ist das schematische Konzept eines Ursache-
Wirkungs-Zusammenhanges ungeeignet.
Hier greift das Prinzip des Verstehens, das einer anderen Erkenntnislogik folgt
und dessen Ziel nicht die einfache kausale Vorhersagbarkeit und Wiederholbarkeit
ist. Verstehen ist das Prinzip, nach dem wir menschliches Handeln und speziell die
Kommunikation untersuchen können. Wright führt als Beispiel aus der Geschichts-
wissenschaft das Attentat von Sarajewo vom 28. Juni 1914 an (Wright 1991, S. 130).
Auch wenn das Attentat gerne im nichtwissenschaftlichen Sprachgebrauch als
Ursache des ersten Weltkrieges bezeichnet wird, ist dies nicht einer naturwissen-
schaftlich eindeutigen Ursache vergleichbar, wie es das Zusammentreffen von Salz-
säure und Zink für die Entstehung von Zinkchlorid ist. Der Erste Weltkrieg ist nicht
in diesem Sinne kausal aus den Schüssen herleitbar, das Geschehen ist weder
reproduzierbar noch generalisierbar, eine solche Generalisierbarkeit und eindeutige
kausale Herleitung ist auch gar nicht das Ziel der Forschung.
Will man solche Vorgänge wissenschaftlich untersuchen, greift vielmehr der
Begriff des Verstehens eines einmaligen Ereignisses oder einer Handlung, auch einer
Sprachhandlung: Ich kann versuchen, einige der Dynamiken nachzuvollziehen, die
in Folge der Schüsse zur Julikrise und zum Kriegsausbruch geführt haben. Aber das
beschreibt kein Naturgesetz wie die Reaktion von Zink auf Salzsäure. Menschliches
Handeln lässt sich nicht im naturwissenschaftlichen Sinne kausal erklären.
Ein Richtig oder Falsch gibt es im erkenntnistheoretischen Zugang des Verste-
hens nicht. Schon gar nicht die Vorstellung von einer abschließend gefundenen
Wahrheit. Es handelt sich um Interpretationen, die im wissenschaftlichen Sinne
begründet und transparent dargestellt werden. Sie erheben aber nicht den Anspruch,
den Prozess des Verstehens eines Textes oder Ereignisses endgültig abschließen zu
können.
In der Analyse des Doing Gender durch latente Frames und Narrative in der
Medienkommunikation wird dementsprechend der Einzelfall untersucht. Ziel der
Forschung ist es, diskriminierende Frames zu benennen und verstehend nachzuvoll-
ziehen, wie sie in der Kommunikationssituation evoziert wurden.
Die Analyse latenter Frames und Narrative durch szenisches Verstehen 235

3 Narratives Framing

In den vergangenen Jahren hat die Analyse des Erzählens eine Renaissance erfahren.
Unter der Kategorie Narrativität werden in ganz unterschiedlichen wissenschaftli-
chen Fachgebieten auch nicht-fiktionale „Wirklichkeitserzählungen“ untersucht
(z. B. Klein und Martínez 2009). Manche sprechen gar von einem narrative turn
(Nünning 2011/12, S. 87). Man geht davon aus, dass Narrative eine Struktur unseres
Denkens und Verstehens darstellen, die sonst unverbundene Fakten und Ereignisse
in eine zeitliche Abfolge und einen Zusammenhang stellen.Einen Konsens über die
wissenschaftliche Definition des Begriffs Narrativ gibt es auch innerhalb der litera-
turwissenschaftlichen Erzähltheorie nicht (zur Problematik der Begriffsdefinition vgl.
z. B. Bietz 2013, S. 81–94). Dennoch lassen sich zwei Aspekte identifizieren, die in fast
allen Studien als wesentlich genannt werden und die zur Beschreibung des narrativen
Framing geeignet sind: Das ist zum einen die zeitliche Dimension von Narrativen, und
zum anderen sind es die Beziehungen, die zwischen den einzelnen Elementen des
Narratives hergestellt werden, beispielsweise zwischen den Akteur_innen und den
Orten. Betrachtet man den zeitlichen Verlauf, bietet dieses „In-Beziehung-Setzen“ eine
Herleitung von Ursachen, Begründungen und Erklärungen. Im Zeitverlauf geschilderte
Ereignisse werden in einem Zusammenhang antizipiert (Nünning 2011/12, S. 90–91;
Miskimmon et al. 2013, S. 5). So verwandeln sich „Ereignisse in eine zusammen-
hängende Geschichte [. . .], die zwischen vergangenen Erfahrungen, Gegenwart und
künftigen Erwartungshorizonten vermittelt“ (Viehöver 2014, S. 137). Narrative haben
also einen dreifachen Zeitbezug: Sie machen Aussagen über Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft.
Verschiedene Autor_innen haben gezeigt, wie journalistische Beiträge – auch
vermeintlich nur Fakten enthaltende Nachrichten – durch Narrative geformt oder
nach Fiske „prewritten“ sind (Fiske 1987, S. 296; vgl. auch Herrmann 2016a;
Hickethier 1997; Luginbühl et al. 2004; Lünenborg 2005). Diese Narrative bestim-
men die Auswahl der Fakten und das Arrangement des Beitrages, beispielsweise den
Aufbau. Aus dieser Perspektive ist die Vorstellung falsch, Medienbeiträge könnten
Ausschnitte von Wirklichkeit einfach abbilden oder gar nur Daten und Fakten
wiedergeben. Medienbeiträge organisieren Ereignisse, sie strukturieren und inter-
pretieren sie nach bestimmten vorgängigen Mustern. Das können beispielsweise
Narrative sein.
Ein solcher narrativer Frame gewann beispielsweise Dominanz nach den Ereig-
nissen der Kölner Silvesternacht 2015/16. Nach den Übergriffen junger Männer vor
allem nordafrikanischer Herkunft auf Frauen auf dem Kölner Domplatz wurde das
Narrativ aktiviert, dass Migranten aufgrund ihrer ethnischen und kulturellen Her-
kunft Frauen belästigen und missbrauchen und sich dadurch deutlich von deutschen
Männern unterscheiden. Dieses Narrativ war Teil eines zweiten, übergeordneten
Narrativs, das im Herbst 2015 in der Bunderepublik entstanden war: Es besagte,
dass Deutschland durch die Flüchtlinge überfordert sei, in der Krise stecke und
deshalb dringend Maßnahmen ergreifen müsse (Herrmann 2016a). Die Übergriffe
der Männer erschienen als Ausdruck dieser angeblichen Gefährdung Deutschlands.
236 F. Herrmann

Vor dem Hintergrund dieser Narrative wurde dann auch die Vergewaltigung und
Ermordung einer jungen Frau in Freiburg Ende 2016 interpretiert. Als damals als
Tatverdächtiger ein afghanischer Flüchtling festgenommen wurde, erschien die Tat
in der Berichterstattung geradezu wie eine logische Folge der Aufnahme von Flücht-
lingen in Deutschland (hierzu und zum Folgenden Herrmann 2018). Die Tat wurde
zu einem national intensiv diskutierten Ereignis, obwohl Vergewaltigungen und
Morde in der Regel kein Thema der überregionalen Medien sind. Doch nun schien
es plötzlich zwingend, dass dieses Ereignis bundesweit im Rahmen der „Flücht-
lingskrise“ diskutiert wird. Medien wie die Bild-Zeitung problematisierten das
Frauenbild der Flüchtlinge, als sei dies die logische Voraussetzung von Vergewalti-
gung und Mord und als gäbe es keine Frauendiskriminierung unter der deutschen
Bevölkerung. Als Einzeltat eines bestimmten kriminellen Mannes schien die Frei-
burger Tat in der breiten Öffentlichkeit nicht mehr diskutierbar. Im Gegenteil wurden
in der Folge auch weitere Belästigungen von Frauen durch Migranten im Rahmen
dieses Narrativs überregional diskutiert. Da solche Taten von Deutschen bislang
meist ein regionales Thema waren (oder im Fall von Belästigungen gar nicht
berichtet wurde), verstärkte diese zunehmende Berichterstattung den Eindruck,
solche Taten würden vor allem von Flüchtlingen begangen. Besonnene Stimmen
sahen sich genötigt, auf die eigentlich selbstverständlich bekannte Tatsache zu
verweisen, dass auch deutsche Männer belästigen, vergewaltigen und morden.
Das Beispiel zeigt, wie machtvoll Narrative sind, indem sie kausale Zusammen-
hänge konstruieren, die im öffentlichen Diskurs Deutungshoheit gewinnen können.
Die Medien wirken als wichtiger Motor des öffentlichen Diskurses, wenn sie die
Narrative wiederholen und fortschreiben. Analysen von solchen Narrativen des
öffentlichen Diskurses wurden bislang vor allem von Politologen und Soziologen
vorgelegt (Gadinger et al. 2014; Miskimmon et al. 2013; Viehöver 2006, 2015).
Wenige Studien adaptieren diesen Ansatz auch für die Kommunikationswissenschaft
(Herrmann 2016a, b, 2018).
Analysen des narrativen Framings eignen sich insbesondere, um unbewusste und
ungewollte Diskriminierungen und Stereotypisierungen in öffentlichen Diskursen
und in Medienbeiträgen sichtbar werden zu lassen und damit auch ein unbemerktes
Doing Gender offenzulegen.

4 Szenisches Verstehen als Zugang zu latenten Narrativen


und Frames

Latente Narrative und Frames entstehen im Moment der Interaktion einer Rezipien-
t_in mit einem Beitrag. Sie entstehen in der Kommunikationssituation, man kann
sagen im Raum zwischen Rezipient_in und Beitrag. Sie werden vom Medienbeitrag
evoziert, sind aber nicht manifest in ihm enthalten. Diese Frames werden im Moment
der Rezeption aktiviert, in der Interaktion mit dem Beitrag. Insofern sind latente
Frames weder allein durch Inhaltsanalysen noch allein durch Rezeptionsstudien zu
erfassen, denn die Botschaft entsteht erst im Moment des Verstehens.
Die Analyse latenter Frames und Narrative durch szenisches Verstehen 237

Für die Analyse dieses Moments, der Kommunikationssituation, eignet sich der
Zugang des szenischen Verstehens, den der Sozialpsychologe Alfred Lorenzer
entwickelt hat (Lorenzer 1976). Der menschlichen Erfahrung des Verstehens liegt
nach diesem sozialisationstheoretischen Ansatz ursprünglich eine interaktive Situa-
tion zugrunde. Wie sich ein Wort und eine Interaktionsform verbinden, macht
Lorenzer am Beispiel der „Spracheinführung in Lebenssituationen“ deutlich (Loren-
zer 1986). So lernt ein Kleinkind vielleicht im vergnüglichen Spiel mit dem Vater
das Wort Ball kennen. Damit wird das Wort Ball realitätshaltig, es wird eine Szene,
und es werden auch Affekte damit verbunden.
Zu einem Begriff gibt es natürlich im Laufe eines Lebens nicht nur eine Inter-
aktion und eine Szene. Man darf sich also dieses Konzept des Spracherwerbs nicht
zu konkretistisch vorstellen. Es ist nicht so, dass das Erleben des Kindes eins zu eins
beim Erwachsenen auftaucht. Aber die Botschaft, die wir später einmal hören,
verbindet sich mit den unbewusst vorhandenen Szenen, die wir mit diesem Begriff
erlebt haben. Sprache ist in dieser Struktur verankert: Verstehen ist stets szenisch
organisiert. Die affektive Färbung der Sprache bleibt in Worten und Begriffen latent
enthalten. Darum ist auch die Muttersprache ganz anders affektiv besetzt als später
erlernte Sprachen.
Das aber ist nicht nur individuell, sonst wäre Verständigung nicht möglich. Die
Kultur, die Gesellschaft prägen die Szenen und das Verstehen mit. In der oben
genannten Ballszene kann die Kultur beispielsweise über die Erfahrungen des Vaters
wirksam werden. Er vermittelt etwa in der Szene, dass Ball mit Spiel und dem
Gefühl des Vergnügens verbunden ist und nicht mit Ehrfurcht und Stillesein, wie es
bei einem heiligen Gegenstand der Fall wäre. Darum gibt es gemeinsame Frames in
einer Kultur, wir verstehen ähnlich.
Das Konzept des szenischen Verstehens kann erklären, warum Wörter, Erzählfi-
guren und ganze Diskurse, warum alles sprachliche Geschehen mit bestimmten
Frames verknüpft wird, die affektiv besetzt sind und interaktiv gestaltet werden.
Die Botschaft eines Medienbeitrages verbindet sich mit den im Kopf vorhandenen
Bildern, die sich aus individueller Erfahrung und deren gesellschaftlich-kultureller
Überformung entwickelt haben.
Man muss in der Auseinandersetzung mit Medienbeiträgen drei Arten von
Szenen unterscheiden (siehe Tab. 1): Da sind zum einen die manifesten Szenen
eines Beitrages, die explizit geschildert werden. Journalistinnen und Journalisten
lernen in ihrer Ausbildung, wie sie solche realen Szenen zeigen oder formulieren, sie
nutzen diese, um Texte attraktiv und lebendig zu gestalten. Diese Szenen beschrei-
ben Menschen in ihrem Handeln und sind insbesondere ein Stilmittel in Reportagen
und Features. Wir sehen oder lesen da beispielsweise eine Szene, in der Kanzlerin
Angela Merkel und der CSU-Politiker Horst Seehofer ein Streitgespräch über das
Flüchtlingsthema führen und Horst Seehofer eine Obergrenze fordert.
Es gibt zweitens die impliziten Szenen, die zwischen den Zeilen stehen. Während
äußerlich nur von dem Streitgespräch die Rede ist, entsteht in den Köpfen des
Publikums vielleicht die Idee einer Beziehung zwischen den Protagonisten, etwa,
dass Seehofer wie ein pubertärer Junge gegen die als „Mutti“ geframte Merkel
aufmuckt.
238 F. Herrmann

Tab. 1 Drei Dimensionen des Szenischen


Szenen der
Manifeste Szenen Implizite Szenen Kommunikationssituation
Szenen im erzählerischen Szenen „zwischen den Verstehen ist nicht nur
Sinne, in denen Akteure Zeilen“.Beispiel: Explizit rational, sondern immer auch
handeln und die explizit in wird rein faktisch von affektiv. Affekte entstehen im
journalistischen Beiträgen inhaltlichen Differenzen Moment des Verstehens, in
beschrieben oder gezeigt zwischen dem CSU-Politiker der Interaktion zwischen
werden. Beispiel: Angela Horst Seehofer und Angela Medienprodukt und
Merkel und Horst Seehofer, Merkel berichtet. Im Kopf des Rezipient_innen. Beispiel:
wie sie miteinander Publikums entsteht die Idee, Ein Gefühl der
diskutieren, im Reportagestil dass Seehofer wie ein Überforderung oder
werden auch ihre Mimik, unartiger Junge gegen Merkel Hilflosigkeit angesichts der
Gestik und Tonlage aufmuckt. zahllosen Berichte über
dargestellt. Flüchtlinge.

Und es gibt drittens noch eine ganz andere Szene, die Szene der Kommunikati-
onssituation, die zwischen dem Medienbeitrag und der Rezipient_in entsteht. Sie
könnte beispielsweise ein Gefühl der Überforderung oder Hilflosigkeit enthalten, das
sich bei der Rezipient_in angesichts der erneuten kontroversen Debatte um das
Flüchtlingsthema einstellt. Selbst Menschen, die Flüchtlingen positiv gegenüber-
stehen, könnten aus dieser affektiven Färbung heraus das Thema Flüchtlinge mit
dem Gefühl der Überforderung verbinden. Dies ist die Szene, aus der ein narrativer
Frame entsteht. Diese Szene wird im szenischen Verstehen untersucht. Sie ist nicht
unabhängig von der Gestaltung des Beitrages, aber nicht unmittelbar in ihm auffind-
bar.
Diese verschiedenen Dimensionen des Szenischen fügen sich zum Arrangement
eines Medienbeitrages, evozieren die Erzählfiguren: die manifesten Inhalte oder
Szenen, die impliziten Szenen und die Interaktion zwischen Text und Rezipient_in.
Lorenzer (1976) spricht von einer „hermeneutischen Doppelstrategie“: Die erzählten
Inhalte werden zu einem Teil der Kommunikationssituation und damit des szeni-
schen Verstehens. Das szenische Verstehen ist insofern im Raum zwischen Aussagen
und Rezipient_innen anzusiedeln, es fokussiert einen Prozess.
Es ist der Prozess der Einbindung von Rezipient_innen in einen Medienbeitrag,
beispielsweise einen Text. Damit unterscheidet sich dieses Verfahren sowohl von
kommunikationswissenschaftlichen Verfahren, die Texte als Produkt unabhängig
von der Rezeptionssituation inhaltsanalytisch betrachten, als auch von Verfahren,
die allein das Ergebnis der Rezeption analysieren. Vergleichbar im Zugang zum Text
über die Rezeption sind Ansätze, die die Aneignung von Texten durch ein Publikum
untersuchen wie die Attributionstheorie (Schwarz 2014), das Framing aus Rezipien-
t_innensicht (Kühne 2014; Matthes 2014) oder auch die Erinnerungsarbeit (Hipfl
2015, 2021). Von ihnen unterscheidet sich das szenische Verstehen jedoch dadurch,
dass es die Aufmerksamkeit auf die nicht bewussten Interaktionen richtet, die ein
Text evoziert. Auch von den Encoding/Decoding-Modellen der Cultural Studies
(Hall 1999; Lünenborg und Maier 2013, S. 124–126) lässt es sich durch diese
Fokussierung abgrenzen.
Die Analyse latenter Frames und Narrative durch szenisches Verstehen 239

Dieses Vorgehen darf also nicht als Rezeptionsanalyse missverstanden werden. Es


folgt der hermeneutischen Einsicht, dass die Bedeutung eines Textes oder Beitrags
sich erst im Moment des Verstehens erschließt. In der feministischen Filmanalyse
wurde ein ähnliches Konzept verfolgt und gezeigt, wie einerseits der Blick der
Rezipient_innen von der Kameraführung determiniert wird und andererseits die
Aneignung der Filme geschlechtsspezifisch präformiert ist (Koch 1989, S. 125–136).
Um es an dem oben angedeuteten Beispiel Flüchtlinge zu vertiefen: Im Oktober
2015 war Flucht das beherrschende Thema der deutschen Nachrichtenmedien, in
den wichtigsten Fernsehnachrichten nahm es mehr als die Hälfte der gesamten
Sendezeit ein. Im Mittelpunkt stand die innenpolitische Debatte zum Thema (vgl.
hierzu und zum Folgenden Herrmann 2016a). Ganz unabhängig vom Inhalt trans-
portierte die schiere Menge der Berichterstattung performativ ein Zuviel, das mit
dem Thema Flüchtlinge verknüpft wurde. Beim Publikum konnte durch die Dauer-
berieselung über eine ergebnislose Debatte ein Gefühl der Überforderung und
Hilflosigkeit entstehen. Auch wer, wie die meisten Deutschen, im Alltag nichts mit
Flüchtlingen zu tun hatte, krisenfrei und unverändert weiterlebte, konnte so den
Eindruck gewinnen, dass sein Land in einer schweren Krise steckte. Das Narrativ,
das entstand, erinnerte an das Märchen vom überkochenden Brei, der sich nicht
stoppen lässt und schließlich das ganze Land überschwemmt. Dieses Narrativ hing
nicht von den konkreten Inhalten der Beiträge ab, es spielte keine Rolle, ob sie
wohlwollend oder kritisch über die Situation berichteten. Es wurde durch die
Performanz hervorgerufen, die in diesem Fall in der massiven Dauerberichterstat-
tung über das Flüchtlingsthema lag. Die Performanz manifestiert sich im Arrange-
ment eines Textes oder Diskurses. Unabhängig von den Inhalten der Berichte
entstand so ein Gefühl der Überforderung und Hilflosigkeit beim Publikum.

5 Die Entwicklung von Hypothesen nach dem Konzept des


abduktiven Schließens

Am Anfang der Analyse latenter Frames steht eine überraschende Beobachtung, die
sich mit dem vorhandenen Wissen nicht verstehen lässt. Zu diesen Beobachtungen
entwickeln Forscher_innen Hypothesen. Im oben genannten Beispiel war es die
überraschende Beobachtung der Gefühle von Überforderung und Hilflosigkeit durch
das Thema Flüchtlinge bei Fernsehzuschauer_innen. Es entstand die Hypothese,
dass das Ausmaß der Berichterstattung diese Gefühle beim Publikum hervorruft.
Für die Hypothesenbildung zu solchen neuen wissenschaftlichen Beobachtungen
hat der Semiotiker Charles S. Peirce den Begriff des abduktiven Schließens einge-
führt. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war das philosophische Problem, wie es
in der Wissenschaft zu wirklich neuartigen und überraschenden Erkenntnissen
kommen kann. Wie gehen Wissenschaftler_innen mit Beobachtungen um, die sich
mit bisherigem Wissen oder vertrauten Regeln nicht verstehen lassen? Sie suchen
eine neue Regel oder Erklärung. Aber wie entsteht diese, und warum finden sie aus
der Unendlichkeit der Möglichkeiten eine plausible Hypothese?
240 F. Herrmann

Peirce ging aufgrund von Experimenten davon aus, dass die Prozesse, die der
Wahrnehmung wirklich etwas Neues hinzufügen, nicht vollständig kontrollierbar
und bewusst sind (vgl. hierzu Sebeok und Umiker-Sebeok 1982, S. 36–39). Eine
Hypothesenbildung erscheine insofern immer blitzartig, indem vorhandene Ele-
mente zu etwas Neuem zusammengefügt werden. Diese Form der Entwicklung einer
Hypothese nannte Peirce den „abduktiven Schluss“. Er bezeichnete ihn als ersten
vorbereitenden „Schritt in Richtung wissenschaftlichen Denkens“. Abduktion ist
„der Schritt der Annahme einer Hypothese oder eines Satzes, der zur Vorhersage
desjenigen führen würde, was als überraschende Tatsachen erschiene“ (Peirce zit.
nach Sebeok und Umiker-Sebeok 1982, S. 37–38). Er unterschied davon die grund-
sätzlich anderen Denkweisen der Deduktion und Induktion, die zur Überprüfung
einer Hypothese oder zur Vorhersage ihre Konsequenzen dienen.
Das abduktive Schließen, wie es Peirce entwickelt hat, beruht auf unbewussten
Abläufen. Von den alltäglichen „Geistesblitzen“ unterscheidet sich diese wissen-
schaftliche Denkform dadurch, dass sie einer logischen Kritik und Überprüfung
zugänglich ist (Sebeok und Umiker-Sebeok 1982, S. 37). Sie muss plausibel und
überzeugend sein. Die Hypothese wird anschließend am Material überprüft. Finden
sich dort keine Belege, die die Annahme stützen, wird sie verworfen und eine neue
Hypothese gesucht. Hätte sich etwa im obigen Beispiel gezeigt, dass es keine über-
mäßige Berichterstattung über Flüchtlinge gab, hätte die Hypothese in Frage gestellt
werden müssen.

6 Beispiel: Schritte einer exemplarischen Analyse des


narrativen Framings in einem journalistischen Beitrag

Die Methode des szenischen Verstehens wurde bislang in der Kommunikationswis-


senschaft kaum angewandt, aufgegriffen wurde sie in anderen Kultur- und Gesell-
schaftswissenschaften, etwa in der Sozialpsychologie oder auch für die Analyse von
Literatur (Lorenzer 1986; Ottomeyer 1992; Trescher 1990; Wieser 1994). Herrmann
(2016b) hat die Methode erstmals für die Kommunikationswissenschaft adaptiert
und am Beispiel eines Artikels der Süddeutschen Zeitung (SZ) die Konstruktion von
Geschlecht in einem Narrativ erläutert. Der Artikel befasste sich vordergründig mit
einer Veröffentlichung Monica Lewinskys im Jahr 2014. Monica Lewinsky resü-
mierte darin ihre fast zwanzig Jahre zurückliegende Affäre mit dem damaligen
amerikanischen Präsidenten Bill Clinton, die weltweit Aufsehen erregt hatte. Der
Artikel in der SZ ist ein Hintergrundbericht. Er hält die Regeln des Journalismus ein,
er erläutert und ordnet ein, enthält jedoch manifest keine kommentierenden Ele-
mente, keine expliziten Wertungen und ergreift nicht Partei. Eine Analyse durch das
szenische Verstehen kann jedoch zeigen, dass durch das Arrangement des Textes
diskriminierende Geschlechterstereotype zu Monica Lewinsky und insbesondere
eine Bewertung der Persönlichkeit von Hillary Clinton evoziert werden.
Im Folgenden wird beispielhaft die Analyse dieses latenten Narrativs skizziert,
um die Schritte dieses Verfahrens zu veranschaulichen.
Die Analyse latenter Frames und Narrative durch szenisches Verstehen 241

Ausgangspunkt war eine Irritation über diesen Artikel. Im Nachdenken über die
Auslöser des Affektes der Irritation stellte sich die Vorstellung ein, dass der Autor
des Artikels Hillary Clinton ablehnt und eine Art Zickenkrieg zwischen den Frauen
schildert. Es wurde die Hypothese aufgestellt, dass in diesem Text Hillary Clinton als
Täterin und Lewinsky als Opfer erschien und dabei auch Geschlechterklischees wie
der Zickenkrieg bedient wurden. Bemerkenswert erschien plötzlich auch, dass Bill
Clinton in dem Artikel keine Rolle spielte, obwohl ihm doch eher die Rolle des
Täters gebührte als ausgerechnet seiner Frau.
Der Artikel wurde den Teilnehmer_innen eines Seminars vorgelegt. Sie wurden
aufgefordert, ihre Affekte zu dem Artikel, seinen Protagonist_innen und möglichst
auch zum Autor zu notieren. Anschließend sollten sie die Szenerie wie in einem
Bühnenbild zeichnen. Die Teilnehmer_innen des Seminars entwarfen ein Bühnen-
bild, in dem Hillary Clinton wie eine Furie einer verängstigten und unglücklichen
Monica Lewinsky gegenübersteht. Beide Frauen haben eine unsympathische Rolle,
die typische Geschlechtsstereotype aufgreift. Hillary Clinton aber scheint als Gewin-
nerin aus der Affäre hervorzugehen, während alles Unglück der Verliererin Monica
Lewinsky aus der Verfolgung durch die rachsüchtige Hillary entsteht. Bill Clinton
wurde am Rand der Bühne platziert, er „überließ den Frauen das Theater“, wie es
eine Teilnehmerin formulierte.
In der anschließenden Analyse der Inhalte, von Konstruktion und Wortwahl des
Artikels konnte gezeigt werden, wie durch das Arrangement des Textes das beschrie-
bene Szenario entstanden war. Entscheidend dafür war, wie und an welcher Stelle
des Artikels bestimmte Informationen eingefügt wurden, so dass sie aufeinander zu
folgen schienen und ein Narrativ entstand. Auch die jeweils eingenommenen Per-
spektiven, einzelne Formulierungen und Begriffe trugen zu dem Eindruck bei
(genauer Herrmann 2016b).
Diese konkrete Analyse steht bei diesem Verfahren immer am Ende des Vorge-
hens und dient der Hypothesenprüfung. Das szenische Verstehen fokussiert zunächst
die Kommunikationssituation und entwickelt dazu Hypothesen im Sinne des abduk-
tiven Schließens. Was in der Kommunikationssituation passiert, lässt sich weder
durch Inhaltsanalyse der Beiträge noch durch Befragung von Rezipient_innen er-
schließen. Beobachtet werden muss die Kommunikationssituation selbst und insbe-
sondere auch die in ihr auftauchenden Affekte. Forscher_innen untersuchen dies
auch an der eigenen Reaktion auf einen Medienbeitrag oder Diskurs. Die erste Frage
muss immer sein: Welche Affekte evoziert die Kommunikationssituation?
Zur Präzisierung und Anreicherung der Hypothese und zur Prüfung ihrer Plausi-
bilität kann der Austausch mit anderen Personen gesucht werden, im obigen Beispiel
wurden Seminarteilnehmer_innen einbezogen. Ziel ist dabei nicht, ein scheinbar
objektives Ergebnis zu erarbeiten, das es in der Analyse von Kommunikation nicht
geben kann. Der Austausch kann jedoch zu einem besseren Verständnis des Pro-
blems oder Medienbeitrages beitragen.
Häufig drängt sich bei in diesem Vorgehen ungeübten Personen die kognitive
Auseinandersetzung mit den manifesten Inhalten des Beitrages in den Vordergrund.
Hier kann es hilfreich sein, die Kommunikationssituation wie in einer Bühnenszene
242 F. Herrmann

aufzuzeichnen: Wo stehen Autor_in und die verschiedenen Protagonist_innen des


Textes, wie sind sie aufeinander bezogen, welche Charaktereigenschaften schreiben
wir ihnen zu?

7 Fazit

In der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung kann die Analyse


von latenten Frames und Narrativen neuen Erkenntnisgewinn zur Konstruktion von
Geschlecht bieten. Studien aus Politikwissenschaft und Soziologie zeigen, wie
solche Frames und Narrative den öffentlichen Diskurs formen (vgl. Gadinger et al.
2014; Miskimmon et al. 2013; Viehöver 2006, 2015). Die latenten Frames und
Narrative transportieren diskriminierende Muster, die nicht offen zur Sprache kom-
men. Medienbeiträge evozieren Gefühle, Ängste und Vorurteile. Narrative können
diesen Gefühlen einen Zusammenhang geben, der sie scheinbar schlüssig wirken
lässt. Gerade viele populistische Aussagen bedienen sich solcher Narrative. Das
Vorgehen bei ihrer Analyse ähnelt der Ideologiekritik, es richtet sich gegen die
praktische Ideologie, die in Narrativen enthalten sein kann.
Speziell im Fachgebiet der Journalistik können Analysen von latenten Frames und
Narrativen zu einer wissenschaftlich fundierten Medienkritik beitragen. Dies ist auch
relevant für die journalistische Praxis: Es gilt, diskriminierende und stereotypisierende
Muster bewusst zu machen, die in Medienbeiträgen versteckt sein können – oft trotz
eigentlich anderer Absicht.
Journalismus hat die Möglichkeit, latente Frames und Narrative sichtbar zu
machen, sie auf einer Metaebene anzusprechen und ihre Wirkungsweisen dem
Publikum bewusst zu machen. Gerade Narrative überzeugen nicht in erster Linie
auf einer rationalen Ebene (Nünning 2011/12, S. 93), darum reicht es meist nicht,
gegen sie zu argumentieren. Journalist_innen sollten trainiert werden, latente Nar-
rative des öffentlichen Diskurses zu identifizieren, um über sie aufklären und sie dem
Publikum bewusst machen zu können. Solche Offenlegung kann die Wirkungsmacht
der Narrative einschränken.

Literatur
Bietz, Christoph. 2013. Die Geschichten der Nachrichten. Eine narratologische Analyse teleme-
dialer Wirklichkeitskonstruktionen. Trier: Wissenschaftlicher Verlag.
Fiske, John. 1987. Television culture: Popular pleasures and politics. London/New York: Methuen.
Gadinger, Frank, Sebastian Jarzebski, und Taylan Yildiz, Hrsg. 2014. Politische Narrative. Kon-
zepte – Analysen – Forschungspraxis. Wiesbaden: Springer VS.
Goffman, Erving. 2016 [1980]. Rahmen-Analyse. Ein Versuch über die Organisation von Alltags-
erfahrungen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Hall, Stuart. 1999. Kodieren/Dekodieren. In Cultural Studies. Grundlagentexte zur Einführung,
Hrsg. Roger Bromley, Udo Göttlich, und Carsten Winter, 92–110. Lüneburg: zu Klampen.
Herrmann, Friederike. 2016a. Das Märchen vom überkochenden Brei. Narrative in der medialen
Berichterstattung zum Flüchtlingsthema im Herbst 2015. Communicatio Socialis 49(1): 6–20.
Die Analyse latenter Frames und Narrative durch szenisches Verstehen 243

https://www.ejournal.communicatio-socialis.de/index.php/cc/article/viewFile/1161/1159. Zugegrif-
fen am 15.04.2017.
Herrmann, Friederike. 2016b. Diskriminierung zwischen den Zeilen. Szenisches Verstehen – Das
Doing Gender in der Kommunikationssituation journalistischer Texte. In Eine Frage der Ethik?
Eine Ethik des Fragens. Interdisziplinäre Untersuchungen zu Medien, Ethik und Geschlecht,
Hrsg. Sigrid Kannengießer, Larissa Krainer, Claudia Riesmeyer, und Ingrid Stapf, 95–110.
Weinheim: Beltz.
Herrmann, Friederike. 2018. Das Verschwinden von Fakten in der Berichterstattung. Überlegungen
zur Analyse von Narrativen des öffentlichen Diskurses am Beispiel des Flüchtlingsthemas. In
Schneller, bunter, leichter: Kommunikationsstile im medialen Wandel, Hrsg. Lisa Blasch, Daniel
Pfurtscheller, und Thomas Schröder, 37–53. Innsbruck: Innsbruck University Press.
Herrmann, Friederike. 2019. Böse Wölfe, gute Wölfe. Eine Verteidigung des Konzeptes der
Framing-Analyse. Epd Medien 17:6–8.
Hickethier, Knut. 1997. Das Erzählen in der Welt der Fernsehnachrichten. Überlegungen zu einer
Narrationstheorie der Nachrichten. Rundfunk und Fernsehen 45(1): 5–18.
Hipfl, Brigitte. 2015. Lesarten des Eigenen mithilfe der kollektiven Erinnerungsarbeit. Ide. infor-
mationen zur deutschdidaktik 39(2): 74–81.
Hipfl, Brigitte. 2021. Kollektive Erinnerungsarbeit – ein partizipativer, kritischer Forschungsansatz.
In Handbuch Medien und Geschlecht, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und
Viktorija Ratković. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_15-1.
Klein, Christian, und Matías Martínez, Hrsg. 2009. Wirklichkeitserzählungen: Felder, Formen und
Funktionen nichtliterarischen Erzählens. Stuttgart: J.B. Metzler.
Koch, Gertrud. 1989. „Was ich erbeute sind Bilder“. Zum Diskurs der Geschlechter im Film. Basel/
Frankfurt a. M.: Stroemfeld/Roter Stern.
Kühne, Rinaldo. 2014. Emotionale Wirkungen von Kommunikatoren- und Journalisten-Frames. In
Journalismus und (sein) Publikum. Schnittstellen zwischen Journalismusforschung und Rezep-
tions- und Wirkungsforschung, Hrsg. Wibke Loosen und Marco Dohle, 301–316. Wiesbaden:
Springer VS.
Lorenzer, Alfred. 1976. Die Wahrheit der psychoanalytischen Erkenntnis. Ein historisch-
materialistischer Entwurf. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Lorenzer, Alfred, Hrsg. 1986. Kultur-Analysen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Luginbühl, Martin, Kathrine Schwab, und Harald Burger. 2004. Geschichten über Fremde. Eine
linguistische Narrationsanalyse von Schweizer Fernsehnachrichten von 1957 bis 1999. Bern:
Peter Lang.
Lünenborg, Margreth. 2005. Journalismus als kultureller Prozess. Zur Bedeutung von Journalis-
mus in der Mediengesellschaft. Ein Entwurf. Wiesbaden: VS.
Lünenborg, Margreth, und Tanja Maier. 2013. Gender media studies. Eine Einführung. Konstanz:
UVK.
Matthes, Jörg. 2014. Framing. Baden-Baden: Nomos.
Miskimmon, Alister, Ben O’Loughlin, und Laura Roselle. 2013. Strategic narratives. Communi-
cation power and the new world order. New York/London: Taylor & Francis.
Nünning, Vera. 2011/12. Narrativität als interdisziplinäre Schlüsselkategorie. In Jahresbericht des
Marsilius-Kollegs. https://www.marsilius-kolleg.uni-heidelberg.de/md/einrichtungen/mk/publi
kationen/mk_jb_05_narrativitaet_als_interdisziplinaere_schluesselkategorie.pdf. Zugegriffen
am 14.04.2017.
Ottomeyer, Klaus. 1992. Prinzip Neugier. Einführung in eine andere Sozialpsychologie. Unter
Mitarbeit von Michael Wieser. Heidelberg: Asanger.
Schwarz, Andreas. 2014. Die Relevanz von Ursachen- und Verantwortungszuschreibungen im
Kontext von Nachrichtenproduktion und-rezeption: Theoretische und methodische Potenziale
von Attributionstheorien. In Journalismus und (sein) Publikum. Schnittstellen zwischen Jour-
nalismusforschung und Rezeptions- und Wirkungsforschung, Hrsg. Wibke Loosen und Marco
Dohle, 275–300. Wiesbaden: Springer VS.
244 F. Herrmann

Sebeok, Thomas A., und Jean Umiker-Sebeok. 1982. „Du kennst meine Methode“. Charles
S. Peicre und Sherlock Holmes. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Trescher, Hans-Georg. 1990. Theorie und Praxis der Psychoanalytischen Pädagogik. Mainz:
Matthias-Grunewald-Verlag.
Viehöver, Willy. 2006. Diskurse als Narrationen. In Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskurs-
analyse, Band 1, Theorien und Methoden, Hrsg. Reiner Keller, Andreas Hirseland, Werner
Schneider, und Willy Viehöver, 179–208. Wiesbaden: Springer VS.
Viehöver, Willy. 2014. Erzählungen im Feld der Politik, Politik durch Erzählungen. Überlegungen
zur Rolle der Narrationen in den politischen Wissenschaften. In Politische Narrative. Konzepte
– Analysen – Forschungspraxi, Hrsg. Frank Gadinger, Sebastian Jarzebski, und Taylan Yildiz,
67–91. Wiesbaden: Springer VS.
Viehöver, Willy. 2015. Narration und Interpretation. Überlegungen zum hermeneutischen Struktu-
ralismus Paul Ricoeurs. In Diskurs – Interpretation – Hermeneutik: Zeitschrift für Diskursfor-
schung, Hrsg. Reiner Keller, Werner Schneider, und Willy Viehöver, 211–260. Beiheft 3(1).
Weinheim: Beltz/Juventa.
Wieser, Michael. 1994. Szenisches Verstehen. Ein erster theoretischer Erkundungsversuch. Psy-
chotherapie Forum 2:6–19.
Wright, Georg Henrik von. 1991 [1974]. Erklären und Verstehen. Frankfurt a. M.: Hain.
Kollektive Erinnerungsarbeit – ein
partizipativer, kritischer Forschungsansatz

Brigitte Hipfl

Inhalt
1 Einleitung: Zum Entstehungszusammenhang kollektiver Erinnerungsarbeit . . . . . . . . . . . . . . 246
2 Umsetzung und Praxis kollektiver Erinnerungsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
3 Kollektive Erinnerungsarbeit und Gender-Medien-Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256

Zusammenfassung
Kollektive Erinnerungsarbeit ist eine partizipative, feministische Methode, die
von Frigga Haug in den 1980er-Jahren als Reaktion auf Frauen-Erfahrungen
ausschließende gesellschaftskritische Theorien und als Möglichkeit, die eigene
Beteiligung an Vergesellschaftungsprozessen zu untersuchen, entwickelt wurde.
Die im Kollektiv erfolgenden Analysen von Erinnerungen an eigene Erfahrungen
zielen auf eine Erweiterung der Handlungsfähigkeit ab. Die Methode wird breit
rezipiert, wobei die theoretischen Grundannahmen laufend aktualisiert und die
methodischen Schritte ebenfalls je nach Kontext adaptiert werden.

Schlüsselwörter
Kollektive Erinnerungsarbeit · Kollektive Biografie · Vergesellschaftung ·
Subjektivierung · Handlungsfähigkeit

B. Hipfl (*)
Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich
E-Mail: brigitte.hipfl@aau.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 245
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_15
246 B. Hipfl

1 Einleitung: Zum Entstehungszusammenhang kollektiver


Erinnerungsarbeit

Die kollektive Erinnerungsarbeit wurde von der deutschen Soziologin Frigga Haug
in den 1980er-Jahren als feministische Intervention in die zu der Zeit vorherrschen-
den Praktiken der Wissensproduktion und als politisches Projekt zur Befreiung der
Frau entwickelt. Damals führten die Impulse der ‚neuen Frauenbewegung‘, nicht nur
kapitalistische Ausbeutung, sondern auch patriarchale Herrschaft zu kritisieren, für
sozialistische Feministinnen wie sie zu Kämpfen und Spannungen. So resultierte der
Anspruch, die Geschlechterverhältnisse kritisch in den Blick zu nehmen, in Kon-
flikten sowohl mit der Arbeiterbewegung (deren zentrale Frage die Klassenfrage
war) als auch mit dem Marxismus (in dem sich die ‚Frauenfrage‘ auf die Einbezie-
hung von Frauen in die Erwerbsarbeit bzw. ein besseres Familienleben beschränkte)
(Haug 2008). Feministische Theorie und feministischer Aktivismus waren darauf
ausgerichtet, die gesellschaftlichen Verhältnisse, die Frauen unterdrücken, zu pro-
blematisieren und zu verändern. Frauen galten als Opfer unterdrückerischer Struk-
turen. In einem aufsehenerregenden Vortrag unter dem Titel „Frauen – Opfer oder
Täter?“ problematisiert Haug im Rahmen der Berliner Volksuni 1980 diese Sicht. Sie
stellt dagegen, dass Frauen zwar unterdrückerische Strukturen vorfinden, diese aber
nur weiter bestehen können, wenn sie von ihnen unterstützt und damit aufrecht-
erhalten werden. „Der Vergesellschaftungsprozess ist . . . eine Aktivität, in der auf
jeder Stufe Einwilligung hergestellt werden muss“ (Haug 1988, S. 244). Haug
argumentiert, dass Einwilligung als Tat zu verstehen ist, womit sich die Möglichkeit
eröffnet, dass Frauen auch etwas anderes tun und damit etwas verändern können. Sie
schlägt vor, am Beispiel alltäglicher Situationen die Zustimmung von Frauen zu
unterdrückerischen Verhältnissen zu erforschen, um „die Eingriffspunkte heraus-
zufinden, die uns fähig machen, selber zu handeln“ (Haug 1988, S. 247). Das ist kein
leichtes Unterfangen, da die Organisation von Zustimmung stark über ‚Verführung‘
läuft – wie z. B. über Vorstellungen von Glück durch ewige Liebe. Für Forschungs-
und Lernprozesse dieser Art braucht es eine eigene Lernkultur, handelt es sich dabei
doch um einen „Verunsicherungsprozess besonders krisenhaften Ausmaßes, eine
Krise, die sich allein nicht aushalten lässt“ (Haug 1988, S. 248).
Inspiriert von den positiven Aspekten der Selbsterfahrungsgruppen in der zweiten
Frauenbewegung, in denen eigene Erfahrungen mit anderen geteilt wurden, ent-
wickelt sie gemeinsam mit Mitgliedern der Gruppe Frauenformen die Methode der
kollektiven Erinnerungsarbeit. Diese Methode geht jedoch über die Praktiken von
Selbsterfahrungsgruppen hinaus, indem die Erfahrungen rigoros analysiert und
theoretisch bearbeitet werden. Ausgehend davon, dass unsere eigenen Erfahrungen
Beispiele für je spezifische Positionierungen in und Verarbeitungsweisen von gesell-
schaftlichen Normen, Ansprüchen, Erwartungen, Beschränkungen etc. sind, schlägt
Haug vor, diese Erfahrungen und damit uns selbst zum Gegenstand der Forschung
zu machen. Die Analyse der Erfahrungen eröffnet Einsichten in Subjektivierungs-
prozesse und davon ausgehend Ansatzpunkte für Veränderungen in Richtung einer
Erweiterung unserer Handlungsfähigkeit. Haug argumentiert befreiungstheoretisch,
indem sie die gesellschaftlich nahegelegten Formen von Weiblichkeit als ein
Kollektive Erinnerungsarbeit – ein partizipativer, kritischer . . . 247

Gefängnis versteht, aus dem es sich für eine freiere Zukunft zu befreien gilt (Haug
1999a, S. 15). Dies ist eine durchaus herausfordernde Arbeit. Denn wenn wir davon
ausgehen, „daß herrschende Kultur und Ideologie auch durch uns selbst reproduziert
werden, . . . müssen wir im gleichen Zug diese Bereiche studieren, die außer uns
existieren und die wir doch auch produzieren“ (Haug 1999b, S. 38). Dazu kommt die
Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen, die oft auch schmerzhaft ist. Dafür
ist die Entwicklung der Methode selbst ein Beispiel, wie Haug anschaulich skizziert.
Sie spricht von dem Schock, als sie in der Frauengruppe realisierten, trotz ihres
Wissens und ihrer kritischen Haltung „mit Herz und Verstand, mit Gefühl und
Vernunft in diese Gesellschaft verstrickt“ zu sein (Haug 1999a, S. 20). Daraus ergab
sich für sie die Notwendigkeit, gerade diese Verstrickungen zu erforschen, um sich
aus ihnen lösen zu können.

2 Umsetzung und Praxis kollektiver Erinnerungsarbeit

Für Haug ist kollektive Erinnerungsarbeit auch ein Beispiel für eine Form von
Frauenkultur, die gemeinsames Forschen und Lernen ermöglicht. Das Datenmaterial
sind eigene Erfahrungen, die als Erinnerungen verschriftlicht werden. Sowohl für die
Erhebung dieser Daten als auch für die Arbeit mit ihnen hat Haug Richtlinien
entwickelt.

2.1 Methodische Richtlinien nach Haug1

Für Haug ist wichtig, mit der Methode in einem Kollektiv zu arbeiten, da nur in
Gruppen das Potenzial, das in der Erforschung eigener Erfahrungen liegt, wirklich
ausgeschöpft werden kann. Vor dem Hintergrund, dass es um Erfahrungen von
Vergesellschaftung geht, die ja alle gemacht haben, sind im Kollektiv alle Mitglieder
sowohl Forschungssubjekte als auch -objekte. Die übliche Differenzierung zwischen
Forscher*innen auf der einen Seite und Objekten der Forschung auf der anderen fällt
damit weg. Das Kollektiv fungiert als dialogischer Raum, in dem über die Ausei-
nandersetzung mit gegenläufigen Erfahrungen und anderen möglichen Handlungs-
optionen sowie durch kritische Widerrede ein gemeinsamer, emanzipierender Lern-
prozess stattfinden kann.
Im Idealfall wird Erinnerungsarbeit von einer Gruppe praktiziert, die zusammen-
gekommen ist, um ein spezifisches Thema zu bearbeiten.2 Ist das nicht der Fall,
besteht der erste Schritt darin, ein gemeinsames Thema zu finden. Dieses Thema
wird als eine alltagssprachliche Frage formuliert, die sich auf den gelebten Alltag der

1
Die Ausführungen zur Methode beruhen auf Haug 1999a und b.
2
Hinsichtlich der Gruppengröße empfiehlt Haug, dass alle die Möglichkeit haben sollten, sich an
den einzelnen Schritten aktiv zu beteiligen. Auf der Basis ihrer Erfahrungen ist das bei bis zu
12 Personen gut möglich, bei mehr Personen ist es sinnvoll, Untergruppen zu bilden.
248 B. Hipfl

Gruppenmitglieder bezieht und als Trigger fungiert, der bei allen Erinnerungen
auslöst. Ein Beispiel ist etwa die von Haug in einem Kollektiv bearbeitete Fra-
gestellung „Als ich einmal Angst hatte“ (Haug und Hauser 1991). Für das Schreiben
der Erinnerungen gilt: Es soll nur eine Erfahrung, also nur eine Szene beschrieben
werden, diese jedoch möglichst detailliert, ohne Analysen, Erklärungen oder biogra-
fische Kontextualisierungen. Empfohlen wird, die Erinnerungsszene in der dritten
Person zu schreiben, da diese Verfremdung der Erzählperson die Autorin zu einer
genaueren Beschreibung veranlasst. Der Umfang der Erinnerungsszenen sollte nicht
mehr als eine Seite sein. All diese Hinweise sind in den theoretischen Grundlagen
dieses Zugangs begründet: Der Fokus auf einzelne Szenen (und nicht auf biogra-
fische Berichte) resultiert aus dem Interesse an den jeweiligen Positionierungen in
spezifischen Situationen (und an der darin zum Ausdruck kommenden Handlungs-
fähigkeit), wobei es nicht darum geht, die einzelnen Personen zu analysieren. Mit der
Aufforderung, die Erinnerungsszene möglichst detailliert zu beschreiben, soll er-
reicht werden, dass auch Dinge niedergeschrieben werden, die als unwichtig, chao-
tisch o. ä. erscheinen und bei den üblichen Selbstdarstellungen im Allgemeinen
ausgeblendet werden. Haug empfiehlt, zwischen der Formulierung der Forschungs-
frage, des Triggers, und dem Schreiben etwas Zeit einzuplanen (zumindest eine
Nacht), um den unterschiedlichen Schreib-Gewohnheiten der Teilnehmerinnen
Raum zu geben.
Der zweite methodische Schritt besteht in der Analyse der verschriftlichten
Erinnerungsszenen. Dafür sollten alle mit den theoretischen Grundannahmen –
wie Konstruiertheit der eigenen Persönlichkeit, Tendenz der Eliminierung von
Widersprüchen, Konstruktion von Bedeutung und Politik mit Sprache – vertraut
sein. In der (nicht immer bewussten) Auseinandersetzung mit gesellschaftlich an-
gebotenen und zugeschriebenen Subjektpositionen und kulturellen Erzählungen
konstruieren wir uns als Subjekte mit je spezifischer Handlungsfähigkeit. In diesen
Konstruktionen findet sich die Tendenz, Widersprüche zu eliminieren und ein
möglichst stimmiges Bild sowohl für uns selbst als auch für andere zu entwickeln.
Die Anleitung, die Erinnerungsszenarien möglichst detailliert zu verfassen, eröffnet
jedoch einen Weg, an den auf den ersten Blick unwichtig oder nicht passend
erscheinenden Details solche Eliminierungen zu erkennen und Ansatzpunkte für
mögliche andere Entwicklungen zu finden. Da die kollektive Erinnerungsarbeit vor
allem Arbeit an Texten ist, ist es wichtig, die politische Dimension von Sprache zu
verstehen. Sprache ist nicht bloß neutrales Mittel, sondern immer auch Ausdruck
gesellschaftlicher Konventionen und Normen, die uns als sprachliche Formulierun-
gen nahegelegt werden.
Die einzelnen Analyseschritte zielen darauf ab, die „suggestive Bedeutungshaf-
tigkeit“ (Haug 1999b, S. 40) der Texte zu zerstören und einfühlende Interpretationen
zu verhindern. Die gemeinsame Arbeit im Kollektiv beginnt jedoch im ersten Schritt
gerade mit dieser Praktik. Der im Folgenden beschriebene Ablauf wiederholt sich für
jede Erinnerungsszene. Es wird eine Geschichte, die für alle in ausgedruckter Form
bereitgestellt wird, ausgewählt und vorgelesen. Danach wird kurz gesammelt, was
als Botschaft der Autorin verstanden wird, und das Ergebnis des einfühlenden
Kollektive Erinnerungsarbeit – ein partizipativer, kritischer . . . 249

Verstehens als These oder auch in Form eines Sprichwortes3 zusammengefasst. Als
nächstes beginnt die sprachliche Analyse der Texte, mit der die in den Erinnerungs-
szenen konstruierten Bedeutungen in ihre Bausteine zerlegt werden und Distanz zum
Text hergestellt wird.4 Haug hat dafür ein Schema entwickelt, das die Verwendung
der Methode auch in nicht-wissenschaftlichen Kontexten ermöglichen soll und mit
einem einfachen Eintragen von Analyseelementen in Spalten5 beginnt. Zunächst
geht es um die Analyse der sprachlichen Konstruktion des erzählenden Subjekts,
indem untersucht wird, welche Aktivitäten, Emotionen und Motivationen in welcher
Weise vorkommen. In die Spalte der Aktivitäten werden alle Verben, die sich auf das
erzählende Subjekt beziehen, eingetragen. In einer nächsten Spalte werden Worte,
die sich auf Emotionen der Autorin beziehen, notiert. Eine dritte Spalte ist für die
Motivation der Autorin vorgesehen, wobei hier neben dem Eintragen der dafür in
Frage kommenden Worte bereits eine erste Abstraktion in Form einer Rekonstruk-
tion erfolgt. Weiters ist eine Spalte für sprachliche Besonderheiten, die sich in den
Konstruktionen des erzählenden Subjekts zeigen, vorgesehen: Welche Formen von
Verben kommen vor, werden Konjunktiv oder Floskeln etc. verwendet? Auch für
alle anderen, im Text vorkommenden Subjekte (das können Menschen, aber auch
unpersönliche Subjekte oder etwa Dinge mit Subjektstatus sein) werden diese
Spalten eingerichtet und bearbeitet. Den Abschluss bilden zwei Spalten, in denen
Leerstellen bzw. Widersprüche (die darauf verweisen, dass etwas fehlt, um die Szene
plausibel zu machen) aufgelistet werden.
Auf der Basis dieser Analyseschritte ist es nun möglich, analytische Aussagen
darüber zu machen, wie das erzählende Subjekt und die anderen konstruiert werden.
Gearbeitet wird nun nur mehr mit den ausgefüllten Tabellen, es wird nicht mehr auf
die Erinnerungsszene selbst zurückgegriffen. Dabei wird auch herausgearbeitet, ob
in den Konstruktionen Verknüpfungen, die nicht notwendigerweise gegeben sind,
als selbstverständlich vorkommen. Das Ergebnis der Analyseschritte wird schließ-
lich als These formuliert und von Haug als Problemverschiebung bezeichnet. Die
Autorinnen können eine zweite Fassung der Erinnerungsszene schreiben, in der die
angesprochenen Leerstellen und Widersprüche aufgegriffen werden. Allerdings
weist Haug darauf hin, dass dort genauso Strategien der Widerspruchseliminierung
zu finden sind und keinesfalls davon ausgegangen werden kann, dass die beschrie-
benen Erinnerungen immer ‚wahrer‘ werden. Wohl aber werden die Konstruktions-
weisen der Autorinnen besser erkennbar.
Von besonderer Relevanz im Analyseprozess sind die Diskussionen in der Grup-
pe, denn in diesen Diskussionen werden Verbindungen zu vorherrschenden Dis-
kursen, strukturellen Bedingungen, gesellschaftlichen Zwängen etc. wie auch zu
Theorien hergestellt. Darüber hinaus werden in der Gruppe alternative Positionie-
rungen diskutiert. Wie Haug betont, werden die Forschungsergebnisse ertragreicher,

3
Haug hält Sprichworte für besonders gut geeignet, da sie Beispiele für Alltagstheorien sind, in
denen wir ‚denk-fühlen‘.
4
Hier zeigt sich eine große Nähe zur Diskursanalyse.
5
Eine Darstellung dieses Schemas findet sich u. a. bei Bitschnau und Hinteregger (2001).
250 B. Hipfl

wenn es die Rahmenbedingungen erlauben, zusätzliches Material zur Frage, was als
‚normal‘ gilt, einzubeziehen – wie etwa soziologische und historische Studien,
literarische Beispiele und Fotografien als eine andere Form von Erinnerungsarbeit
sowie Populärkultur (z. B. Ratgeberliteratur, verschiedene Medien).
Die Dekonstruktion der Erinnerungsszene macht neue Zusammenhänge sichtbar,
aus denen sich eine neue Forschungsfrage bzw. eine Verschiebung der ursprüng-
lichen Frage ergibt, die dann wieder mit all den Schritten der Erinnerungsarbeit
bearbeitet werden kann. Insofern ist Erinnerungsarbeit ein kontinuierlicher Prozess,
der über Jahre laufen kann. Vor dem Hintergrund, dass jede Erinnerung eine spezi-
fische Möglichkeit beschreibt, sich in den Gefügen aus gesellschaftlichen Struktu-
ren, Konventionen, Zuschreibungen, Begehren etc. zu positionieren, lassen sich aus
den Ergebnissen der Analysen der einzelnen Erinnerungsszenarien verallgemeiner-
bare Aussagen entwickeln.
Bei Haug werden alle Schritte der Erinnerungsarbeit durchgehend von allen
Teilnehmerinnen umgesetzt. Das heißt, die Aufhebung der Differenzierung zwi-
schen Subjekten und Objekten der Forschung wird konsequent durchgezogen,
allerdings braucht es eine Person, die für die Leitung des Prozesses zuständig ist.
Haug spricht von einem „lebenden Widerspruch“ (Haug 1999b, S. 41), da es eine
Leitung braucht, „die zugleich als Nicht-Leitung auftritt, als eine unter anderen, und
dabei gefordert ist als Gleiche und Ungleiche in einem“. Der gemeinsame For-
schungs- und Lernprozess kann (wie jede Form von Lernen) Verunsicherung aus-
lösen, weshalb ein sorgsamer und respektvoller Umgang miteinander wichtig und
darauf zu achten ist, niemanden zu verletzen oder zu beurteilen. Hilfreich ist, immer
wieder deutlich zu machen, dass nicht die Autorinnen, sondern deren sprachliche
Konstruktionen analysiert werden und dabei keine ‚Wahrheiten‘ über die Autorinnen
herausgearbeitet, sondern diese als Beispiele für mögliche Positionierungen in
gegebenen Strukturen verstanden werden.
Für Haug ist Erinnerungsarbeit ein emanzipatorisches Lernprojekt, bei dem der
Prozess selbst schon ein wesentliches Ziel ist. Durch die gemeinsam erarbeiteten
Einsichten in gesellschaftliche Kräfte und Subjektivierungsprozesse wird die Selbst-
reflexion verstärkt und die Handlungsfähigkeit erweitert. Haug grenzt den von ihr
entwickelten methodischen Zugang explizit von Therapie ab. Zudem verweist sie
darauf, dass verschiedenste Variationen der Methode möglich sind.

2.2 Adaptionen und Weiterentwicklungen der kollektiven


Erinnerungsarbeit

Haug hat im Rahmen ihrer Forschungsaufenthalte in den USA, Australien und


Kanada wie auch mit ins Englische übersetzten Texten (Haug 1987, 1992) weltweit
Forscher*innen inspiriert, mit dieser Methode zu arbeiten. In Zusammenhängen, in
denen es um Fragen des eigenen Geworden-Seins und gegenwärtiges wie auch
zukünftiges Selbstverständnis, um Subjektivierungsprozesse, gesellschaftliche Un-
gleichheiten und die Wirkweise von Machtverhältnissen geht, findet dieser Zugang
großen Zuspruch. Es überrascht nicht, dass die Methode insbesondere in queer-
Kollektive Erinnerungsarbeit – ein partizipativer, kritischer . . . 251

feministischen, rassismuskritischen und politisch-aktivistischen (z. B. Hipfl 2002,


2020; Johnson 2018; Stutelberg 2020) sowie in pädagogischen Kontexten – von der
Lehrer*innen-Bildung (z. B. Ortner und Thuswald 2012; Witt-Löw 2020; Mitchell
et al. 2020; Schrittesser und Witt-Löw 2022) bis zur politischen Erwachsenenbil-
dung und der Arbeit mit Geflüchteten (z. B. Stier in Stitz et al. 2020; Collective
Memory-Work Panels 2021) – aufgegriffen wurde. Kollektive Erinnerungsarbeit
wurde z. B. von einer Gruppe von Frauen in der Pension zur Erforschung der
eigenen Positionierungen zu den gesellschaftlichen Diskursen zu älteren Frauen
(Onyx et al. 2020) bzw. von profeministischen, älteren Männern zu ihren Relationen
zu Männlichkeits-Diskursen (Barber et al. 2016) genutzt. Kollektive Erinnerungs-
arbeit bietet auch eine Möglichkeit der Erforschung der gegenderten und affektiven
Dimensionen akademischer Arbeit und wird selbst als Gegenpol zu den kompetiti-
ven und individualisierenden Praktiken der zunehmend von neoliberalen Prinzipien
bestimmten Universitäten erlebt (Gannon et al. 2018, S. 266–267).
War Haug bei der Einführung der Erinnerungsarbeit beeinflusst von der deut-
schen kritischen Psychologie, von Foucault, Ideologiekritik und der feministischen
Kritik am Marxismus (Stephenson und Kippax 2017, S. 143), stehen jetzt neue
theoretische Konzepte mit anderer Terminologie zur Verfügung, um diese Prozesse
zu fassen. Das hat zu Variationen, Abwandlungen und Weiterentwicklungen der
Methode geführt. Die bislang umfassendste theoretische Weiterentwicklung wurde
in der Forschungsgruppe um Bronwyn Davies vorangetrieben. Die Methode wurde
in Kollektive Biografie (Collective Biography) umbenannt, und es werden poststruk-
turalistische Konzepte genutzt – zu Beginn insbesondere von Foucault und Butler
(Davies und Gannon 2006a), später von Deleuze und vom neuen feministischen
Materialismus (Wyatt et al. 2011; Davies und Gannon 2012; Davies 2021). Im
Unterschied zu Haug, die die Methode der Erinnerungsarbeit in Auseinandersetzung
mit und Kritik an Marxismus und kritischer Psychologie entwickelte, sehen Davies
et al. in poststrukturalistischen Theorien ein theoretisches Werkzeug, das ihnen
bereits zur Verfügung steht, um ‚natürlich‘ erscheinende Sichtweisen und Alltags-
phänomene in Frage zu stellen (Davies und Gannon 2006c, S. 4). Mit kollektiver
Biografie entwickeln sie Praktiken, mit denen die konstitutiven Effekte vorherr-
schender gesellschaftlicher Diskurse sichtbar, fühlbar und hörbar werden und in
der Bearbeitung als veränderbar wahrgenommen werden (Davies und Gannon
2006c, S. 5). Es geht um ‚subjects-in-process‘, und die Erinnerungsszenarien werden
als erinnerte ‚moments of being‘ verstanden, die sich im Prozess des Schreibens und
Bearbeitens verändern, wodurch auch die Teilnehmenden in vielfältiger Weise
bewegt werden. Sie verwenden dafür die Bezeichnung mo(ve)ment, um zum Aus-
druck zu bringen, wie in dieser ethisch-reflexiven Forschungspraxis die Aufmerk-
samkeit auf spezifische erinnerte Momente mit möglichen Veränderungen verknüpft
ist (Davies und Gannon 2006b, S. x).
Später verweisen sie u. a. auf ein Paradox der Methode der kollektiven Biografie,
wenn mit Erinnerungen individueller Teilnehmer*innen gearbeitet wird, um damit
das Konzept des individuellen humanistischen Subjekts zu dekonstruieren (Davies
und Gannon 2012, S. 357). Es wird nicht mehr wie bei Haug von Mittäterschaft
gesprochen, sondern unter Rückgriff auf Karen Barads Konzepte entanglement und
252 B. Hipfl

intra-action betont, dass nicht von bereits gegebenen Subjekten und deren Hand-
lungen ausgegangen werden kann, da Subjekte erst in einem ‚entanglement‘ ver-
schiedener Kräfte und in Intra-Aktionen hervorgebracht werden. Kollektive Biogra-
fie wird nicht länger als reflexive, sondern als diffraktive6 Arbeit verstanden, bei der
dem Zuhören mit allen Sinnen und affektiven Resonanzen eine zentrale Rolle
zukommt. Darüber hinaus wird zur Kenntnis genommen, dass nach Barad jede
Forschungsmethode ein Apparat ist, der die Welt in bestimmter Weise konstituiert
(Davies und Gannon 2012, S. 369–371, 373). Ein ‚retooling‘ der kollektiven
Erinnerungsarbeit aus der Perspektive des neuen feministischen Materialismus fin-
det sich auch bei Lorenz-Meyer (2015).
Auch hinsichtlich der Art und Weise, wie mit den verschiedenen Formen dieses
methodischen Zugangs gearbeitet wird, gibt es große Unterschiede. Die Methode
wird z. B. in bestehenden Strukturen wie Lehrveranstaltungen und Weiterbildungs-
veranstaltungen eingesetzt, wobei eine Person die Moderation übernimmt und die
einzelnen bei der Umsetzung der Methode begleitet, selbst aber meist keine Erinne-
rungsszenen schreibt (z. B. Dorer 2000, 2008; Gonick 2015; Witt-Löw 2020;
Johnson 2018; Stitz et al. 2020). Die Methode wird auch für Forschungsprozesse
im Rahmen von Qualifizierungsarbeiten wie Diplom-, Masterarbeit oder Dissertati-
on genutzt, wobei in manchen Fällen der kollektive Analyseprozess wegfällt und die
Auswertung von der Forscherin/dem Forscher allein gemacht wird (z. B. Remy-
Berzencovic 2000; Stocker 2002; Bauer 2006; Kodym 2012). Und schließlich wird
die Methode als eine Form der Arbeit in Fokus-Gruppen verwendet (Hamm 2020,
S. 67–82). Es werden auch eigene Strukturen für die Arbeit mit der Methode
geschaffen. Diese reichen von Aufrufen für Kollektive, die sich für mehrstündige
Sitzungen face-to-face oder online treffen, bis zu mehrtägigen bis einwöchigen
Klausur-Settings, denen Phasen folgen, in denen die nächsten Arbeitsschritte einzeln
gemacht und dann wieder in der Gruppe diskutiert werden, die sich über Jahre
erstrecken können. In welcher Weise Erinnerungsarbeit umgesetzt wird, ergibt sich
aus den jeweiligen Fragestellungen, spezifischen Kontexten und Möglichkeiten
(McLeod und Thomson 2009, S. 30). So wurde in einem Forschungskollektiv der
Fokus nicht auf die detaillierte Dekonstruktion der einzelnen Erinnerungsszenarien,
sondern auf Ähnlichkeiten, Unterschiede und Elemente, die sich in mehreren Er-
innerungen finden, gerichtet (Crawford et al. 1992). Oder Erinnerungen wurden
nicht nur anhand von Texten bearbeitet, sondern auch anhand von Fotografien,
Zeichnungen, Gedichten, Filmen, digitalen Artefakten und Image-Theater nach
Augusto Boal (wie etwa bei Gannon et al. 2014; Mitchell et al. 2020). Überhaupt
zeigt sich, dass in der Arbeit mit dieser Methode in den verschiedenen Kollektiven
ständig neue Variationen entstehen (Gannon et al. 2018, S. 268). Ein guter Überblick
über verschiedene Formen der Umsetzung findet sich bei Hamm (o. J., 2020, 2021).

6
Diffraktion ist ebenfalls ein Barad’sches Konzept, das sie von Haraway übernimmt und weiter-
entwickelt. Gemeint ist damit ein Denken in Verschränkungen, das die Intra-Aktionen verschiede-
ner Elemente (Theorien, Körper, Praktiken) umfasst (Weibel 2013).
Kollektive Erinnerungsarbeit – ein partizipativer, kritischer . . . 253

2.3 Herausforderungen der kollektiven Erinnerungsarbeit

Damit mit kollektiver Erinnerungsarbeit produktiv gearbeitet werden kann, sollte bei
der Organisation mitbedacht werden, wie sich Vertrauen unter den Beteiligten
entwickeln kann. Dafür haben sich Workshops von mehreren Tagen bis zu einer
Woche als günstig erwiesen. Davies hat z. B. Klausuren organisiert, in denen neben
der Forschung auch Zeit für andere gemeinsame Tätigkeiten (wie z. B. Kochen)
eingeplant war (Davies 2006, S. 186). Ein Forschungs-Freiraum in diesem Ausmaß
(mit oder ohne Funding) ist jedoch nicht immer möglich; einfacher ist es, einzelne
Halbtage oder Tage zu organisieren. Jedenfalls ist bei der Planung kollektiver Lern-
prozesse mit zu berücksichtigen, dass ein auf Augenhöhe funktionierender Prozess
unter Zeitdruck kaum möglich ist (Stitz et al. 2020).
Wird die kollektive Erinnerungsarbeit tatsächlich durchgehend im Kollektiv
gemacht, ist nach Davies (2006, S. 186) die Freiwilligkeit der Teilnahme wichtig.
Denn die Methode funktioniert nur, wenn die Themen, die bearbeitet werden, für alle
so interessant sind, dass sie sich auf den durchaus herausfordernden Forschungs-
prozess einlassen. Sie betont wie Haug, dass es eine Person braucht, die darüber
hinaus die Leitung und damit auch die Verantwortung übernimmt, die Gruppen-
dynamik im Blick zu haben. Denn ein Forschungskollektiv ist keine homogene
Gruppe, sondern oft hierarchieübergreifend zusammengesetzt (z. B. Lehrende und
Studierende), wobei gerade die Differenzen in der Gruppe die Analyse bereichern
(Stephenson und Kippax 2017, S. 151; Ortner und Thuswald 2012, S. 76–80).
Davies spricht hier eine Form von Verantwortung an, die sich grundlegend von
der Responsibilisierung des Individuums in der gegenwärtig bestimmenden Rheto-
rik des Neoliberalismus mit dem Fokus auf Selbst-Technologien, Markförmigkeit
und Konkurrenz unterscheidet. Die kollektive Erinnerungsarbeit zeichnet sich da-
gegen durch Offenheit gegenüber den sich entfaltenden, dynamischen Prozessen
aus, die es den Gruppenmitgliedern ermöglicht, in der gemeinsamen Arbeit neue
Einsichten zu gewinnen (Davies 2006, S. 184). Gleichzeitig können nicht bearbei-
tete Machtrelationen die Produktivität der Methode beeinträchtigen. Das kann dazu
führen, dass einzelne Geschichten nicht so ernst genommen werden, sich einzelne
Autor*innen durch die Analysen der anderen Mitglieder in ihrem Selbstverständnis
bedroht fühlen bzw. das Forschungsprojekt nicht zu Ende gebracht wird oder sich
die Gruppe auflöst (Clare und Johnson 2000).
Die Verschriftlichung der Analysen im Kollektiv erweist sich ebenfalls als he-
rausfordernd, handelt es sich doch um eine Vorgangsweise, die nicht der üblichen
akademischen Praktik entspricht und erfordert, das eigene Ego zurückzustellen
(Davies und Gannon 2006d). So berichten die Autorinnen, dass das gemeinsame
Schreiben oft an der Kippe stand – wenn z. B. ein Text nach mehreren Runden fertig
zu sein schien und plötzlich wieder eine Verbindung zu einem neuen Konzept
hergestellt wurde. Sie sprechen von den Schwierigkeiten, die Einfügungen von
anderen zu streichen, zu korrigieren, und verweisen auf einen Prozess voller
Schweiß und Tränen.
Wie ertragreich kollektive Erinnerungsarbeit ist, hängt nicht in erster Linie
davon ab, die von Haug vorgeschlagenen analytischen Schritte möglichst genau
254 B. Hipfl

umzusetzen, sondern vor allem davon, was das Kollektiv für die Analyse einbrin-
gen kann: Welche verschiedenen Lesarten und Fragen zu den jeweiligen Erinne-
rungsszenarien, welche für das Themenfeld relevanten Theorien und Forschungs-
felder, welches Wissen über politische Strategien und Taktiken und welche
Vorstellungen von anderen Formen des Seins können für Interventionen in die
bearbeitete soziale Problematik fruchtbar gemacht werden (Stephenson und Kip-
pax 2017, S. 152–153).

3 Kollektive Erinnerungsarbeit und Gender-Medien-


Forschung

Es gibt nur wenige Studien, in denen die Methode speziell zur Erforschung von
Medien-Erfahrungen eingesetzt wird. Diese unterscheiden sich sowohl hinsichtlich
ihrer theoretischen Untermauerung als auch in der methodischen Umsetzung, wobei
nicht immer alle Schritte im Kollektiv durchlaufen werden. Im Vergleich zur
herkömmlichen Rezeptionsforschung, die von Fragen nach Wirkungen, Identifika-
tionen bzw. Aushandlungsprozessen bestimmt ist, steht bei den Arbeiten mit Erin-
nerungsszenarien die Frage nach den von Medien ausgehenden Kräften in den
komplexen und widersprüchlichen Dynamiken von Subjektivierungsprozessen im
Mittelpunkt.
Haug und Hipfl (1995) haben Filmerfahrungen von Frauen mit der Erinnerungs-
arbeit untersucht, wobei sich die Fragestellungen, die im Rahmen einer Lehrver-
anstaltung in Österreich bzw. in Deutschland bearbeitet wurden, auf das Spannungs-
feld zwischen urteilendem Verstand und genießendem Gefühl beziehen. „Als mich
ein Film berührte, den ich schlecht fand“, „Heute lass ich mir ein Gefühl machen“,
und „Weibliches Vergnügen an Filmen, in denen fast ausschließlich Männer vor-
kommen“ waren die Trigger, zu denen Erinnerungen zu Pretty Women und Schlaflos
in Seattle sowie zu Horrorfilmen und Indianerfilmen geschrieben und dann in
mehreren Gruppen analysiert wurden. Zentrales Ergebnis ist, dass es in allen Texten
der Frauen um das „Gefühl ‚zu fühlen‘“ (Haug 1995, S. 173) geht und Gefühl und
Vernunft als strikt voneinander getrennt konstruiert werden. Es kommen Leiden-
schaften, Sehnsüchte und Hoffnungen zum Ausdruck, die allerdings an die
Filme gebunden bleiben und damit das transformative Potenzial von Gefühlen
(in Verknüpfung mit Vernunft) für ein eigenes erfülltes, freud- und lustvolles Leben
nicht produktiv wird.
Mit einer leicht abgewandelten Variante des Haug’schen Zugangs erforschte
Johanna Dorer (2000) Ende der 1990er-Jahre gemeinsam mit Ulrike Weihs und
Studierenden in mehreren Lehrveranstaltungen den Zusammenhang von Geschlech-
terkonstruktionen und Internet-Nutzung. Die Grundlage bildeten Erinnerungen an
Einstiegserfahrungen, die von Frauen zum Thema „Als ich das erste Mal ins Internet
einstieg“ und von Frauen und Männern zum Thema „Das erste Mal in einem Chat“
verfasst wurden. In der Analyse finden sich die damals vorherrschenden, hierar-
Kollektive Erinnerungsarbeit – ein partizipativer, kritischer . . . 255

chisch strukturierten Konstruktionen des Verhältnisses von Geschlecht und Technik


(weibliche Technikscheu und männliche Technikkompetenz), wobei sich jedoch in
den Konstruktionen der Frauen ein Widerspruch zwischen kognitiver und emotio-
naler Ebene zeigt, den Dorer (2000, S. 51) als „einschließenden Ausschluß“ be-
zeichnet. So setzen sich die Autorinnen der Erinnerungsszenarien kritisch mit der
damals neuen Technologie, ihren Affordanzen und möglichen gesellschaftlichen
Folgen auseinander, während sie sich gleichzeitig als unsicher und inkompetent
konstruieren.
Den Umgang mit politischer Berichterstattung untersuchte Dorer gemeinsam mit
Doris Althutter und Birgit Wolf (Dorer 2008) wiederholt in Lehrveranstaltungen zu
Beginn der 2000er-Jahre, wobei Erinnerungsszenen zu Themen wie „Wie er/sie sich
auf dem Laufenden hält“ und „Ein politisches Ereignis, das sie bewegte“, verfasst
wurden. Die Analysen erbringen deutlich unterschiedliche Konstruktionen der weib-
lichen und männlichen Student*innen, die Ausdruck der geschlechtlichen Konnota-
tionen der Begriffe Information, Unterhaltung und politische Berichterstattung sind
und diese sowohl reproduzieren als auch durchbrechen. In den Subjektkonstruktio-
nen der männlichen Autoren findet sich durchgehend das gesellschaftlich als männ-
lich codierte Interesse an Information und Politik, das allerdings oft nicht über die
Aufzählung verschiedener Medien hinausgeht. In den Texten der Studentinnen
finden sich Spuren des gesellschaftlich vorherrschenden Diskurses, dass Frauen an
Unterhaltung orientiert seien, und zwar in komplexen Konstruktionen, in denen
Medieninhalte hinsichtlich ihrer Relevanz für den eigenen Lebenskontext bewertet
werden und die binäre Konstruktion von Information und Unterhaltung durch-
brochen wird.
Davies et al. (2006) arbeiten mit ihrem Zugang der kollektiven Biografie zu
Erinnerungen an Kinderbücher, die sie als Schulmädchen mit Begeisterung gelesen
haben. In der Analyse beziehen sie sich sowohl auf die Kinderbücher als auch auf die
Erinnerungen an ihre Lese-Erlebnisse und auf theoretische Konzepte. Als zentrales
Thema kristallisieren sich dabei moralische Fragen rund um weibliche Subjektivität
heraus. Es zeigt sich, dass in den Erinnerungen keine klare Trennung zwischen den
fiktiven Charakteren und den Autorinnen erfolgt und die Autorinnen stark in die
Gefühlswelt der Erzählungen involviert sind. Die Studie von Dana Kivel und Corey
Johnson (2009) ist eine von mehreren (Dunlap und Johnson 2018), in denen einzelne
Elemente der kollektiven Erinnerungsarbeit genutzt werden, um Erinnerungen von
Männern an erste Medienerfahrungen zu erheben, die sich auf Vorstellungen von
Männlichkeit beziehen. Dabei stand nicht die rigorose Analyse der von den Teil-
nehmenden verfassten Erinnerungsszenarien im Mittelpunkt, sondern die durch die
Szenarien ausgelösten Diskussionen über medial vermittelte gesellschaftliche Kon-
ventionen von Männlichkeit.
Aus einer feministisch-Deleuz’schen Perspektive untersuchten Gottschall et al.
(2013) mittels kollektiver Biografie populärkulturelle Medien, die für die Mitglieder
des Kollektivs in ihrer Mädchenzeit wichtig waren. In der Analyse wird nicht von
Effekten der Medien auf die Mädchen gesprochen, sondern von sich aus den Körper-
Medien-Relationen ergebenden affektiven Gefügen und Prozessen des Werdens.
256 B. Hipfl

Wie sie u. a. am Beispiel einer Erinnerung an die starken körperlichen Reaktionen


auf ein Musikvideo mit Cindy Lauper illustrieren, können solche Affizierungen
durch Medien sowohl neue Möglichkeiten eröffnen als auch behindern.

4 Fazit

Die bis heute bestehende Faszination für die Methode hat damit zu tun, dass zentrale
Einsichten aus der Frauenbewegung für die Forschung nutzbar gemacht werden:
dass wir uns verbünden müssen, dass Veränderungen zu mehr Geschlechterdemo-
kratie gemeinsame Anstrengung erfordern und eine der zentralen Fragen immer die
nach der eigenen Beteiligung an der Aufrechterhaltung bestehender Verhältnisse ist.
Die ermächtigende Wirkung, die allein schon vom Kennenlernen der kollektiven
Erinnerungsarbeit ausgeht, hängt mit dem Anspruch der Methode zusammen, den
Haug (2003, S. 208) so formuliert: „Erinnerungsarbeit ist der Versuch, Selbstblo-
ckierungen durch Gang-und-gäbe-Zurechtlegungen, Widersprüche, die eliminiert
und geglättet sind, Fallen, in die man gegangen ist, Alternativen, die man ausschlug,
herauszuarbeiten, um die Möglichkeit bereitzustellen, Gegenwart und Zukunft durch
Kenntnis des eigenen Wegs dorthin besser gestaltbar zu machen“. Gerade auch für
die Auseinandersetzung mit medialen Bildern und Diskursen, mit den verschiedenen
Kommunikations- und Informationstechnologien sowie den damit verknüpften Sub-
jektpositionen, Versprechungen von Zugehörigkeit und Anerkennung, aber auch
Praktiken des Ausschließens und des Othering eröffnet dieser Zugang produktive
Forschungsmöglichkeiten.

Literatur
Barber, Randy, Vic Blake, Jeff Hearn, David Jackson, Richard Johnson, Zbyszek Luczynski, und
Dan McEwan. 2016. Men’s stories for a change: Ageing men remember. Champaign: Common
Ground Publishing.
Bauer, Lisa. 2006. Geschlechtsspezifische Rezeption der Politikberichterstattung. Darstellung der
Konstruktion von Geschlecht im medialen Alltag mit Hilfe der Kollektiven Erinnerungsarbeit.
Unveröffentlichte Diplomarbeit. Universität Wien.
Bitschnau, Karoline, und Manuela Hinteregger. 2001. Kollektive Erinnerungsarbeit. In Wie kommt
Wissenschaft zu Wissen? Einführung in die Forschungsmethodik und Forschungspraxis, Hrsg.
Theo Hug, 342–355. Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren.
Clare, Marietta, und Richard Johnson. 2000. Method in our madness? Identity and power in a
memory work method. In Memory and methodology, Hrsg. Susannah Radstone, 197–224.
London/Oxford/New York/New Delhi/Sydney: Bloomsbury.
Collective Memory-Work Panels. 2021. https://vimeo.com/collectivememorywork. Zugegriffen am
18.05.2021.
Crawford, June, Susan Kippax, Jenny Onyx, Una Gault, und Pam Benton. 1992. Emotion and
gender. Constructing meaning from memory. London/Newbury Park/New Delhi: Sage.
Davies, Bronwyn. 2006. Collective biography as ethically reflexive practice. In Doing collective
biography, Hrsg. Bronwyn Davies und Susanne Gannon, 182–189. Maidenhead: Open Univer-
sity Press.
Kollektive Erinnerungsarbeit – ein partizipativer, kritischer . . . 257

Davies, Bronwyn. 2021. Entanglement in the world’s becoming and the doing of new materialist
inquiry. London/New York: Routledge.
Davies, Bronwyn, und Susanne Gannon, Hrsg. 2006a. Doing collective biography. Maidenhead:
Open University Press.
Davies, Bronwyn, und Susanne Gannon. 2006b. Prologue. In Doing collective biography, Hrsg.
Bronwyn Davies und Susanne Gannon, ix–x. Maidenhead: Open University Press.
Davies, Bronwyn, und Susanne Gannon. 2006c. The practices of collective biography. In Doing
collective biography, Hrsg. Bronwyn Davies und Susanne Gannon, 1–15. Maidenhead: Open
University Press.
Davies, Bronwyn, und Susanne Gannon. 2006d. A conversation about the struggles of collaborative
writing. In Doing collective biography, Hrsg. Bronwyn Davies und Susanne Gannon, 114–144.
Maidenhead: Open University Press.
Davies, Bronwyn, und Susanne Gannon. 2012. Collective biography and the entangled enlivening
of being. International Review of Qualitative Research 5(4): 357–376.
Davies, Bronwyn, Susanne Gannon, Helen McCann, Phoenix de Carteret, Danielle Stewart, und
Barb Watson. 2006. Reading fiction and the formation of feminine character. In Doing collective
biography, Hrsg. Bronwyn Davies und Susanne Gannon, 35–60. Maidenhead: Open University
Press.
Dorer, Johanna. 2000. Geschlechterkonstruktionen in der Aneignung und Anwendung des Internet.
Ergebnisse einer qualitativen Studie. medien & Zeit 15(2): 40–51.
Dorer, Johanna. 2008. Geschlechterkonstruktion im Prozess der Rezeption politischer Bericht-
erstattung. In Medien – Politik – Geschlecht. Feministische Befunde zur politischen Kommuni-
kationsforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, und Regina Köpl, 172–187. Wiesba-
den: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Dunlap, Rudy, und Corey W. Johnson. 2018. How does media consumption contribute to the
understandings of manhood according to race and sexual identity. In Collective memory work. A
methodology for learning with and from lived experience, Hrsg. Corey W. Johnson, 29–42.
New York/London: Routledge.
Gannon, Susan, Susan Walsh, Michele Byers, und Mythili Rajiva. 2014. Deterritorializing collect-
ive biography. International Journal of Qualitative Studies in Education 27(2): 181–195.
https://doi.org/10.1080/09518398.2012.737044.
Gannon, Susanne, Sarah Powell, und Clare Power. 2018. On the thresholds of legitimacy: A
collaborative exploration of being and becoming academic. In Feeling academic in the neo-
liberal university. Feminist flights, fights and failures, Hrsg. Yvette Taylor und Kinneret Lahad,
261–280. Cham: Palgrave Macmillan.
Gonick, Marnina. 2015. Producing neoliberal subjectivities: Literacy, girlhood, and collective
biography. Cultural Studies – Critical Methodologies 15(1): 64–71. https://doi.org/10.1177/
1532708614557322.
Gottschall, Kristina, Susanne Gannon, Jo Lampert, und Kelli McGraw. 2013. The Cindy Lauper
affect: Bodies, girlhood and popular culture. Girlhood Studies 6(1): 30–45.
Hamm, Robert. 2020. „De-romanticised and very . . . different“. Models for distinguishing practical
applications of collective memory-work. Other Education: The Journal of Educational Alter-
natives 9(1): 53–90.
Hamm, Robert. 2021. Kollektive Erinnerungsarbeit. Anwendungen, Variationen, Adaptionen welt-
weit. Hamburg: Argument.
Hamm, Robert. o.J. Memory-Work Erinnerungsarbeit. https://www.roberthamm.net/wp/eingang/.
Zugegriffen am 20.06.2021.
Haug, Frigga. 1987. Female sexualization. A collective work of memory. London: Verso.
Haug, Frigga. 1988. Frauen – Opfer oder Täter? In Erziehung zur Weiblichkeit. Argument Sonder-
band 45, Hrsg. Frigga Haug, 239–248. Berlin/Hamburg: Argument.
Haug, Frigga. 1992. Beyond female masochism. Memorywork and politics. London: Verso.
Haug, Frigga. 1995. Der ausgehebelte Widerspruch. Fragen an eine feministische Kultur. In
Sündiger Genuß? Filmerfahrungen von Frauen, Hrsg. Frigga Haug und Brigitte Hipfl,
172–179. Hamburg: Argument.
258 B. Hipfl

Haug, Frigga. 1999a. Vorlesungen zur Einführung in die Erinnerungsarbeit. Berlin/Hamburg:


Argument.
Haug, Frigga. 1999b. Selbstbeobachtung als tragendes Element in der Methode der Erinnerungs-
arbeit: Themenschwerpunkt: Introspektion als Forschungsmethode. Journal für Psychologie
7(2): 36–42.
Haug, Frigga. 2003. Erinnerung an Lernen. Journal für Psychologie 11(2): 194–213.
Haug, Frigga. 2008. Sozialistischer Feminismus: Eine Verbindung im Streit. In Handbuch Frauen-
und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. 2., erw. u. ak. Aufl., Hrsg. Ruth
Becker und Beate Kortendiek, 52–58. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Haug, Frigga, und Kornelia Hauser, Hrsg. 1991. Die andere Angst. Berlin: Argument.
Haug, Frigga, und Brigitte Hipfl, Hrsg. 1995. Sündiger Genuß? Filmerfahrungen von Frauen.
Hamburg: Argument.
Hipfl, Brigitte. 2002. Erinnerungsarbeit als Methode der Cultural Studies. In Die Unruhe des
Denkens nutzen. Emanzipatorische Standpunkte im Neoliberalismus, Hrsg. Jutta Meyer-Siebert,
Andreas Merkens, Iris Nowak, und Victor Rego Diaz, 77–88. Hamburg: Argument.
Hipfl, Brigitte. 2020. Erinnerungsarbeit – Feministische und queere Interventionen in Medien-
kulturen. In Feministische Theorie und Kritische Medienkulturanalyse, Hrsg. Tanja Thomas
und Ulla Wischermann, 383–389. Bielefeld: transcript.
Johnson, Corey W., Hrsg. 2018. Collective memory work. A methodology for learning with and
from lived experience. New York/London: Routledge.
Kivel, Dana K., und Corey W. Johnson. 2009. Consuming media, making men: Using collective
memory work to understand leisure and the construction of masculinity. Journal of Leisure
Research 41(1): 110–134.
Kodym, Nadine. 2012. Geschlechtsspezifische Rezeption in der Sportberichterstattung. Darstel-
lung der Konstruktion von Geschlecht mit der Methode der Kollektiven Erinnerungsarbeit.
Unveröffentlichte Magisterarbeit. Universität Wien.
Lorenz-Meyer, Dagmar. 2015. Retooling memory-work as re-enactment. In Teaching with feminist
materialisms, Hrsg. Peta Hinton und Pat Treusch, 83–98. Utrecht: ATGENDER. The European
Association for Gender Research, Education and Documentation.
McLeod, Julie, und Rachel Thomson. 2009. Memory-work. In Researching social change. Quali-
tative approaches, Hrsg. Julie McLeod und Rachel Thompson, 15–32. Los Angeles/London/
New Delhi/Singapore/Washington: Sage.
Mitchell, Claudia, Kathleen Pithouse-Morgan, und Daisy Pillay. 2020. Mosaic-ing memory in
teacher education and professional learning: Imagining possibilities for collective memory-
work. Other Education: The Journal of Educational Alternatives 9(1): 7–30.
Onyx, Jenny, Carol Wexler, Trees McCormick, Dianne Nicholson, und Trina Supoit. 2020. Agents
of their own well-being: Older women and memory-work. Other Education: The Journal of
Educational Alternatives 9(1): 136–157.
Ortner, Rosemarie, und Marion Thuswald. 2012. In Differenzen schreiben – Kollektive Erinne-
rungsarbeit zu pädagogischen Situationen. In Exploring differences. Zur Vermittlung von For-
schung und Bildung in pädagogischer Praxis, Hrsg. Rosemarie Ortner, 65–81. Wien: Löcker.
Remy-Berzencovic, Nicole. 2000. Geschlechterstereotype im Internet. Eine qualitative Unter-
suchung weiblicher Online-Erfahrungen anhand der Methode der kollektiven Erinnerungs-
arbeit. Unveröffentlichte Diplomarbeit. Universität Wien.
Schrittesser, Ilse, und Kerstin Witt-Löw. 2022. Schulgeschichten in der Lehrer:innenbildung. Über
den Einsatz von Kollektiver Erinnerungsarbeit in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Bad
Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.
Stephenson, Niamh, und Susan Kippax. 2017. Memory work. In The Sage handbook of qualitative
research in psychology, Hrsg. Carla Willig und Wendy Stainton Rogers, 141–156. London/
Thousand Oaks/New Delhi/Singapore: Sage.
Stitz, Melanie, Franziska Stier, und Robert Hamm. 2020. Eckpunkte in der Kollektiven Erinne-
rungsarbeit: Im Gespräch über Methode, Haltung und Herangehensweise. Other Education: The
Journal of Educational Alternatives 9(1): 390–402.
Kollektive Erinnerungsarbeit – ein partizipativer, kritischer . . . 259

Stocker, Ursula. 2002. Verstand versus Gefühl. Unveröffentlichte Diplomarbeit. Universität Kla-
genfurt.
Stutelberg, Erin Beeman. 2020. This is a story about a blue line: Race and bodies colliding in the
hallway. Other Education: The Journal of Educational Alternatives 9(1): 91–111.
Weibel, Fleur. 2013. Diffraktion: ein Phänomen, eine Praktik und ein Potential feministischer
Kritik. Femina Politica – Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft 22(1): 108–114.
Witt-Löw, Kerstin. 2020. Collective memory-work for teacher training. Other Education: The
Journal of Educational Alternatives 9(1): 359–373.
Wyatt, Jonathan, Ken Gale, Susanne Gannon, und Bronwyn Davies. 2011. Deleuze & collaborative
writing. An immanent plane of composition. New York: Peter Lang.
Ethnographische Forschung

Sigrid Kannengießer

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
2 Ethnographische Ansätze in der kommunikations- und medienwissenschaftlichen
Geschlechterforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
3 Reflexion der Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

Zusammenfassung
In der kommunikations- und medienwissenschaftlichen Geschlechterforschung
verfolgen ethnographische Arbeiten das Ziel, die Relevanz und die Bedeutung
von Medien und (medial vermittelter) Kommunikation für Geschlechterkonstruk-
tionen und -verhältnisse im Alltag zu analysieren. Unter Einsatz ethnographischer
Methoden kann u. a. untersucht werden, welche Rolle Medieninhalte im Prozess
der Herstellung von Geschlechteridentitäten spielen und wie sich Personen Medien
für die Herstellung ihrer Geschlechtsidentität aneignen. Dabei ist das Besondere
ethnographicher Forschung, dass die Prozesse der Herstellung von Geschlechts-
identitäten und Geschlechterverhältnissen im Alltag untersucht werden.

Schlüsselwörter
Ethnographie · Virtuelle Ethnographie · (teilnehmende) Beobachtung ·
Qualitatives Interview · Feministische Perspektiven

S. Kannengießer (*)
ZeMKI, Universität Bremen, Bremen, Deutschland
E-Mail: sigrid.kannengiesser@uni-bremen.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 261
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_16
262 S. Kannengießer

1 Einleitung

Ethnographie ist eine Methode, mit der Wissenschaftlerinnen das Alltagshandeln


von Menschen, ihre Sinnkonstruktionen und ihre Lebenswelten untersuchen. Sie
ermöglicht den Forschenden, durch eine längere und unmittelbare Beobachtung des
Forschungsfeldes soziales Leben zu analysieren (Ayaß 2016, S. 335). Charakteris-
tisch für ethnographische Forschung sind die längere Teilnahme im Forschungsfeld,
Flexibilität in der Forschungsstrategie und Besonderheiten ethnographischen Schrei-
bens (Lüders 2000, S. 391). In der traditionellen Ethnographie und der Kulturan-
thropologie wird die Ethnographie vorwiegend genutzt, um andere Kulturen zu
erforschen, während die sozialwissenschaftliche Ethnographie „die Kulturen der
eigenen Gesellschaft“ (Lüders 1994, S. 390) erforscht.
Während sich ethnographische Forscherinnen traditionell lange im Feld einer
fremden Kultur aufhalten, verfolgt die „fokussierte Ethnographie“ das Ziel, einen
besonderen Ausschnitt der (eigenen) Kultur in den Blick zu nehmen (Knoblauch
2001, S. 125). Es geht darum, Vertrautes, selbstverständlich Erscheinendes zu
untersuchen (Ayaß 2016, S. 337). In der Ethnographie kommt eine Kombination
aus verschiedenen qualitativen Methoden zum Einsatz. Da ethnographisches Arbei-
ten immer Feldforschung ist, kommt der teilnehmenden Beobachtung eine zentrale
Rolle zu (Ayaß 2016, S. 337). Darüber hinaus wird ein Methodenspektrum eingesetzt,
das vom einfachen Gespräch über vertiefende, informelle Gespräche, narrative Inter-
views, teilstrukturierte qualitative Interviews und Gruppeninterviews, die in bestimmten
Zeitabschnitten wiederholt werden können, über Tagebuchanalysen bis zu Bild- und
Filmanalysen reicht (Lindner 2000, S. 70). Auch wenn nur eine Methode eingesetzt
wird, „ist das, was sie zur Ethnographie macht, eine Einbettung in den Kontext einer
andauernden teilnehmenden Beobachtung.“ (Breidenstein et al. 2015, S. 71)
Die Beobachtung kann teilnehmend oder nicht-teilnehmend sein, d. h., die
forschende Person wird entweder selbst Teil der Gruppe der zu Beforschenden oder
sie nimmt eine außenstehende Beobachterposition ein (Flick 2009, S. 282). Mit Hilfe
der Beobachtung taucht der/die Forscherin ein in die Alltagswelt anderer und
beobachtet – angeleitet durch präzise Forschungsfragen und einen Beobachtungs-
leitfaden (Schöne 2003, o. S.) – das Handeln der Beobachteten und die sozialen
Gefüge, in denen die Personen agieren. Die Forscherinnen beobachten, was immer
sich im Feld ergibt (Ayaß 2016, S. 338).
Die zweite sehr häufig verwendete ethnographische Forschungsmethode sind
Interviews. „Im Rahmen ethnographischer Forschung können alle möglichen For-
men von qualitativen Interviews geführt werden“ (Breidenstein et al. 2015, S. 80).
Wichtig ist auch hier die Kontextualisierung des Interviews. Mit Interviews kann
die/der Forschende durch verschiedene Frageformen Einblicke in die Lebenswelt
der Beforschten erhalten (Spradley 1979) und kann die Perspektive der Beforschten
und ihre Sinnzuschreibungen rekonstruieren. Durch einen Leitfaden strukturiert,
gehören ethnographische Interviews zur Kategorie der Leitfadeninterviews. Beson-
ders für ethnographische Interviews ist, dass das Interview offen geführt wird, d. h.,
der/die Interviewerin spontan auf neu auftretende Aspekte im Interview eingeht, und
dass der Kontext des Interviews und der Interviewten berücksichtigt wird.
Ethnographische Forschung 263

Die Arbeit im Feld bedeutet auch, dass der/die Ethnographin körperlich anwe-
send ist und die verschriftlichten Ethnographien immer auch das Ergebnis der
Interaktionen im Feld sind (Ayaß 2016, S. 338–339).
Ziel der Ethnographie ist eine „dichte Beschreibung“ (Geertz 2009) einer Kultur
(oder von Ausschnitten einer Kultur), mit der diese durch die forschende Person
nicht nur beschrieben, sondern aufgrund der Vertrautheit mit dem Kontext und den je
spezifischen kulturellen Referenzsystemen interpretiert wird. Für die Interpretation
ethnographischer Daten ist es nicht nur notwendig, die historischen und theoreti-
schen Kontexte sowie die strukturellen Bedingungen untersuchter Subjekte und ihrer
Kultur einzubeziehen, sondern auch die gesammelten Daten in Bezug zu bestehen-
den Theorien zu setzen (Willis 2000).

2 Ethnographische Ansätze in der kommunikations- und


medienwissenschaftlichen Geschlechterforschung

Erste ethnographisch orientierte medienwissenschaftliche Arbeiten mit Geschlech-


terbezug entstanden im Kontext der Cultural Studies. Da in den Cultural Studies die
Rezeption und Aneignung der Produkte der Populär- und Massenkultur als ein in
den Alltag integrierter Prozess des Aushandelns konzipiert ist, wurde von Anfang an
ein ethnographischer Zugang forciert. So hat etwa James Lull (1990) auf der Basis
teilnehmender Beobachtungen und von Interviews das Fernsehen in der Familie als
Teil der Familiendynamik beschrieben, und Ann Gray (1992) untersuchte, in wel-
cher Weise Videorekorder von Frauen genutzt werden. Allerdings wurde in vielen
Medienaneignungsstudien zwar davon gesprochen, einem ethnographischen Zugang
zu folgen, aber de facto wurde kaum im Feld gearbeitet, sondern nur Textanalysen,
Interviews und Gruppendiskussionen durchgeführt, wie Virginia Nightingale (1993)
problematisiert.
Ethnographische Arbeiten in der kommunikations- und medienwissenschaftli-
chen Geschlechterforschung verfolgen das Ziel, die Relevanz und Bedeutung von
Medien und (medial) vermittelter Kommunikation für Geschlechterkonstruktionen
und -verhältnisse im Alltag zu analysieren. Unter Einsatz ethnographischer Metho-
den kann u. a. untersucht werden, welche Rolle Medien(inhalte) im Prozess der
Herstellung von Geschlechteridentitäten spielen, wie sich Personen Medien für die
Herstellung ihrer Geschlechtsidentität aneignen und welche Relevanz Medien und
(medial vermittelte) Kommunikation für die Verhältnisse zwischen Geschlechtern
zukommt. Dabei ist das Besondere ethnographischer Forschung, dass sie die Pro-
zesse der Herstellung von Geschlechtsidentitäten und Geschlechterverhältnissen im
Alltag untersucht. Ethnographische Forschung nimmt auch Macht- und Herrschafts-
verhältnisse zwischen unterschiedlichen Geschlechtergruppen in den Blick und legt
sowohl diskriminierende Geschlechtszuschreibungen als auch ungleiche Geschlech-
terverhältnisse offen. Gefragt wird auch, wie Medien für die Ermächtigung diskri-
minierter und marginalisierter Geschlechtergruppen und für Geschlechtergerechtig-
keit bedeutsam werden können. Ethnographische Studien, die Frauen in den Fokus
und Fragen nach Geschlechtergerechtigkeit stellen, können eine „feministische
264 S. Kannengießer

Perspektive“ einnehmen, also das normative Ziel der „Aufdeckung geschlechtsspe-


zifischer Ungleichheiten und die Gleichberechtigung von Frauen“ (Finke 2003,
S. 482) verfolgen, die Methode selbst ist jedoch nicht feministisch (Reinharz
1992, S. 241). Ethnographischen Methoden sind aber auch Widersprüche in Hin-
blick auf feministische Zielsetzungen inhärent, zum einen, weil die Beforschten
einer größeren Verwundbarkeit ausgesetzt werden, zum anderen, weil die Produkte
des Forschungsprozesses weniger den Beforschten als den Forschenden selbst
dienen (Stacey 1988, zum zweiten Aspekt s. u. und Kannengießer 2014,
S. 132–133).
Geschlecht wird auch in der ethnographischen Forschung zunehmend nicht
isoliert, sondern durch eine „intersektionale Perspektive“ (Knapp 2008, S. 44), also
im Wechselverhältnis mit weiteren sozio-kulturellen Kategorien wie Ethnizität,
Sexualität oder Alter in den Blick genommen. Die sozio-kulturellen Kategorien sind
dabei als prozesshaft zu denken, die performativ hergestellt werden.
Ethnographische Forschung wird in der kommunikations- und medienwissen-
schaftlichen Geschlechterforschung vor allem in der Medienaneignungsforschung
eingesetzt, um die Rolle von Geschlecht in der alltäglichen Aneignung von Medien
zu verstehen. Studien fokussieren oftmals ein Einzelmedium und untersuchen, wie
medial repräsentierte Geschlechterbilder für die Herstellung der Geschlechtsiden-
titäten der Rezipierenden genutzt werden. Untersucht wird z. B. die Aneignung von
Fernsehserien und Soap Operas mittels ethnographischer Interviews (Seiter et al.
1994; Miao 2018) oder die Rezeption von Musikvideos durch Männer und Frauen
(Bechdolf 1999) bzw. junge Mädchen (Duits und van Zoonen 2013). Dabei wird mit
Einsatz qualitativer Interviews die Perspektive der Beforschten und ihre Sinnzu-
schreibungen rekonstruiert. Ethnographische Studien zeigen, dass die Rezipierenden
mediale Geschlechterbilder für ihr „doing gender“, also den Herstellungsprozess ihrer
Geschlechtsidentität heranziehen, dies jedoch nicht nur affirmativ, sondern durchaus
auch mit einer kritischen Perspektive, indem sich die Rezipierenden von den media-
len Geschlechter(vor)bildern auch distanzieren (z. B. Duits und van Zoonen 2013).
Ethnographische Methoden verändern sich vor dem Hintergrund des Wandels
ihres Forschungsgegenstandes: Durch die Etablierung von Internetmedien steht die
kommunikations- und medienwissenschaftliche Geschlechterforschung vor der He-
rausforderung, ihre ethnographischen Verfahren für die Erforschung der „neuen“
Medien weiterzuentwickeln (Mangelsdorf 2017).
Die Aneignung von Internetmedien wird mit „traditionellen“ ethnographischen
Methoden wie qualitativen Interviews, die offline durchgeführt werden, erforscht.
Ahrens (2009) untersucht etwa mit ethnographischen Interviews, inwiefern über den
Prozess der Aneignung von Internetmedien im Alltag traditionelle Geschlechterver-
hältnisse fortgesetzt werden oder ob die verstärkte Internetnutzung von Frauen zu
Geschlechtergerechtigkeit führen kann.
Müller und Röser (2017) analysieren die Second-Screen-Nutzung, also den
Umgang mit mobilen Medientechnologien parallel zur Fernsehnutzung (Busemann
und Tippelt 2014, S. 409), im häuslichen Zusammenleben von Paaren. Eine ethno-
graphische Herangehensweise ermöglicht in dieser Studie die Rekonstruktion der
Ethnographische Forschung 265

Perspektive der einzelnen Personen sowie ihr Handeln in (hier heterosexuellen)


Paarbeziehungen. In dieser Studie wurden qualitative Interviews zeitgleich mit den
Partnerinnen durchgeführt, zudem das Zuhause der Paare durch Wohnungsbege-
hungen beobachtet und in Fotografien festgehalten, an welchen Orten sich klassische
und digitale Medien befinden (Müller und Röser 2017, S. 144). So konnte in der
Studie herausgearbeitet werden, dass der häusliche Alltag und das Zusammenleben
in Paarbeziehungen die „Second-Screen-Nutzung“ stark beeinflusst.
Jenson und de Castell (2011, S. 168) untersuchen in einer ethnographischen
Studie die Aneignung von Spielekonsolen durch Mädchen und Frauen und argu-
mentieren, dass der Einsatz ethnographischer Methoden ihnen ermöglicht habe, die
Rolle des Geschlechts bei der Aneignung der Spielekonsolen gezielt und nuanciert
herauszuarbeiten.
Wie Frauen und Frauenorganisationen digitale Medien für die Ermächtigung von
Frauen und zur Entwicklung von Geschlechtergerechtigkeit nutzen, wird z. B. von
Kannengießer (2014) untersucht. In einer Teilstudie zum Ermächtigungspotenzial
von Workshops für digitales Geschichtenerzählen mit Sexarbeiterinnen in Südafrika
wird durch die Kombination von Beobachtungen und qualitativen Interviews
gezeigt, dass die Frauen sich von der Produktion ihrer digitalen Geschichten eine
Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse wünschen, dass diese Hoffnung aber auf-
grund des begrenzten Ermächtigungspotenzial der Workshops enttäuscht werden
muss (Kannengießer 2012).
Ethnographische Forscherinnen erheben ihr Material auch in den Online-
Medien selbst und führen (teilnehmende) Beobachtungen in Weblogs, Foren,
sozialen Netzwerkseiten oder bei Online-Kommentaren durch. Diese Form ethno-
graphischer Forschung, welche in Internetmedien stattfindet, wird auch als virtuelle
Ethnography (Hine 2000) oder Nethnography (Kozinets 2010) bezeichnet. Bozdag
(2013, S. 200) zeigt durch eine Nethnography in Online-Foren auf Websites der
türkischen und marokkanischen Diaspora in Deutschland, dass die Geschlechterbil-
der in fiktiven digitalen Geschichten, die in diesen Foren geschrieben werden,
bestimmten Moralvorstellungen entsprechen. So werden hier sexuelle Themen
tabuisiert und Nutzerinnen, die Sexualität in ihren Geschichten thematisieren, in
Online-Kommentaren kritisiert oder durch die Administratorinnen sanktioniert.
Nach Ayaß (2016, S. 342) besteht die Herausforderung hier darin, den Kontext der
Akteurnnen nicht aus den Augen zu verlieren und sich eben nicht nur auf die
sprachlichen Konstruktionen im Netz zu konzentrieren.
Ethnographische Methoden untersuchen also online und offline die alltägliche
Bedeutung von Medien für die Herstellung von Geschlecht.

3 Reflexion der Methode

Eine große Herausforderung für die kommunikations- und medienwissenschaftliche


Geschlechterforschung ist es, die untersuchte Geschlechterkategorie als eine pro-
zesshafte zu analysieren und nicht als fixe Kategorie. Gerade dies kann durch einen
266 S. Kannengießer

ethnographischen Zugang gelingen, wenn wie in der traditionellen ethnographischen


Forschung die Herstellung der Geschlechtsidentität (in den Medien oder mit Hilfe
von Medien) über einen längeren Zeitraum beobachtet wird.
Wenn Beobachtungen online oder offline durchgeführt werden, gebietet es die
Forschungsethik, die Beobachtung den beobachteten Subjekten transparent zu
machen, also den Beforschten mitzuteilen, dass sie beforscht werden, und um ihre
Einwilligung zu bitten. Des Weiteren muss die jeweilige Perspektive der Forschen-
den von diesen selbst im Forschungsprozess kritisch reflektiert werden. Denn auch
im ethnographischen Forschungsprozess spielt z. B. das Geschlecht der forschenden
Person selbst eine Rolle. So kann die Zugehörigkeit zu einer beforschten Geschlech-
tergruppe z. B. mehr Offenheit der Beforschten gegenüber der/dem Forschenden
ermöglichen oder auch Zurückhaltung bewirken (Kannengießer 2014, S. 132–133).
Auch hier ist eine intersektionale Perspektive relevant, denn nicht nur das Geschlecht
der Forschenden, sondern auch weitere soziale Kategorien wie ihre/seine Nationalität,
Ethnizität oder Sexualität können den Kontakt zu den Beforschten beeinflussen und
damit auch den Forschungsprozess. Im Forschungsprozess werden Geschlecht und
weitere soziale Kategorien andauernd hergestellt: Die Praktiken des „doing gender“,
„doing ethnicity“ etc., die von Forschenden und Beforschten während des For-
schungsprozesses erfolgen, müssen in die Reflexion einbezogen werden.
Ebenso ist kritisch zu reflektieren, in welcher Weise die Ergebnisse ethnographi-
scher Forschung durch den/die Forschenden, der/die die Daten erhebt, auswertet und
interpretiert, geprägt sind. Hierdurch kann auch die Reproduktion von Machtver-
hältnissen offengelegt werden (Parameswaran 2001). In dem von Clifford und
Marcus herausgegebenen Sammelband „Writing Culture: The Poetics and Politics
of Ethnography“ (1986), der eine tiefgreifende Diskussion in der Ethnologie und
Anthropologie ausgelöst hat, wird eine Reflexion vor allem auch für den Schreib-
prozess eingefordert. Konkret werden Darstellungen der Forschungssubjekte als
Andere problematisiert und Vorschläge zur Einbeziehung der Stimmen der For-
schungssubjekte gemacht. Beispiele für ethnographische Forschung in der kommu-
nikations- und medienwissenschaftlichen Geschlechterforschung, in der die eigene
Forschendenposition und die Kontexte und Diskurse, in denen die Forschenden
eingebettet sind, hinterfragt werden, finden sich bei Kannengießer (2014,
S. 132–133) oder Bechdolf, die in ihrer Studie zur Aneignung von Musikvideos
ihren eigenen Musikkonsum reflektiert (Bechdolf 1999). Noch stärker zugespitzt
wird das Ernstnehmen der Subjektivität von Forschung in autoethnographischen
Methoden, in denen der/die Forscherin die eigenen Erfahrungen bearbeitet, um eine
Kultur zu verstehen (Adams et al. 2015). Ausgangspunkt ist dabei, dass individuelle
Erfahrungen nie nur für diese Person allein relevant sind, „sondern dass jede
Geschichte Anschlussmöglichkeiten für die Geschichten anderer bereithält“ (Ploder
und Stadlbauer 2013, S. 376). Autoethnographien verfolgen nicht das Ziel, Bedeu-
tungen zu rekonstruieren oder Erforschtes zu repräsentieren, vielmehr sind die
Verstehensprozesse selbst Gegenstand dieses Ansatzes (Ploder und Stadlbauer
2013, S. 378).
Ethnographische Forschung 267

4 Fazit

Ein ethnographisches Vorgehen, das dem Alltagshandeln von Menschen und ihren
Sinnkonstruktionen nachgeht, kann mithelfen, die Rolle und Bedeutung von Medien
und medienvermittelter Kommunikation für die Herausbildung der Geschlechtsiden-
tität, die Gestaltung von Geschlechterverhältnissen und für Schritte in Richtung
Geschlechtergerechtigkeit zu verstehen.
Voraussetzung dafür ist nicht nur ein offenes Vorgehen im Feld, sondern auch ein
hohes Maß an Selbstreflektion durch die forschende Person. In jüngster Zeit ent-
standene Netzwerke für qualitative Forschung und Methoden1 bieten Forschenden
Möglichkeiten für den Austausch auch über ethnographisches Vorgehen.

Literatur
Adams, Tony E., Stacy Holman Jones, und Carolyn Ellis. 2015. Autoethnograpy. Oxford: Oxford
University Press.
Ahrens, Julia. 2009. Going online, doing gender: Alltagspraktiken rund um das Internet in
Deutschland und Australien. Bielefeld: transcript.
Ayaß, Ruth. 2016. Medienethnographie. In Handbuch nicht standardisierter Methoden in der
Kommunikationswissenschaft, Hrsg. Stefanie Averbeck-Lietz und Michael Meyen, 335–346.
Wiesbaden: Springer.
Bechdolf, Ute. 1999. Puzzling Gender. De- und Rekonstruktionen von Geschlechterverhältnissen
im und beim Musikfernsehen. Weinheim: Dt. Studien.
Bozdag, Cigdem. 2013. Aneignung von Diasporawebsites. Eine medienethnografische Untersu-
chung in der marokkanischen und türkischen Diaspora. Wiesbaden: Springer.
Breidenstein, Geord, Stefan Hirschhauer, Herbert Kalthoff, und Boris Nieswand. 2015. Ethnogra-
phie. Die Praxis der Feldforschung, 2. Aufl. Konstanz: UTB.
Busemann, Katrin, und Florian Tippelt. 2014. Second Screen. Parallelnutzung von Fernsehen und
Internet. Media Perspektiven (7–8): 408–416.
Clifford, James, und George E. Marcus, Hrsg. 1986. Writing culture. The poetics and politics of
ethnography. Berkeley: University of California Press.
Duits, Linda, und Liesbet van Zoonen. 2013. Zum Umgang mit Sexualisierung. In Sexy Media?
Gender/Queertheoretische Analysen in den Medien- und Kommunikationswissenschaften, Hrsg.
Skadi Loist, Sigrid Kannengießer, und Joan Kristin Bleicher, 89–112. Bielefeld: transcript.
Finke, Barbara. 2003. Feministische Ansätze. In Theorien der Internationalen Beziehungen, Hrsg.
Siegfried Schieder und Manuela Spindler, 477–504. Opladen: Barbara Budrich.
Flick, Uwe. 2009. Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. Reinbek: Rowohlt.
Geertz, Clifford. 2009 [1973]. Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme.
Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Gray, Ann. 1992. Video playtime. The gendering of a leisure technology. London: Routledge.
Hine, Christine. 2000. Virtual ethnography. London: Sage.
Jenson, Jennifer, und Suzanne de Castell. 2011. Girls@Play. An ethnographic study of gender and
digital gameplay. Feminist Media Studies 11(2): 167–179.

1
Siehe z. B. das Netzwerk Qualitative Methoden (https://netzwerqualitativemethoden.word
press.com) oder das Netzwerk Qualitative Forschung an der Universität Graz (https://netz
werk-qualitative-forschung.uni-graz.at).
268 S. Kannengießer

Kannengießer, Sigrid. 2014. Translokale Ermächtigungskommunikation. Medien, Globalisierung,


Frauenorganisationen. Wiesbaden: Springer.
Kannengießer, Sigrid. 2012. Digital storytelling to empower sex workers: warning, relieving and
liberating. In Feminist media. Participatory spaces, networks and cultural citizenship, Hrsg.
Elke Zobel und Ricarda Drüeke, 238–249. Bielefeld: transcript.
Knapp, Gudrun-Axeli. 2008. ‚Intersectionality‘ – ein neues Paradigma der Geschlechterforschung?
In Was kommt nach der Genderforschung? Zur Zukunft der feministischen Theoriebildung,
Hrsg. Rita Casale und Barbara Rendtorff, 33–53. Bielefeld: transcript.
Knoblauch, Hubert. 2001. Fokussierte Ethnographie: Soziologie, Ethnologie und die neue Welle
der Ethnographie. Sozialer Sinn 2(1): 123–141.
Kozinets, Robert. 2010. Nethnography. Doing ethnographic research online. London: Sage.
Lindner, Rolf. 2000. Paul Willis und das Centre for Contemporary Cultural Studies. In Qualitative
Forschung. Ein Handbuch, Hrsg. Uwe Flick, Ernst von Kardorff, und Ines Steinke, 63–71.
Reinbek: Rowohlt.
Lüders, Christian. 1994. Von der teilnehmenden Beobachtung zur ethnographischen Beschreibung.
Ein Literaturbericht. In Bilanz qualitativer Forschung. Bd. II: Methoden, Hrsg. Eckard König
und Peter Zedler, 311–342. Weinheim: Deutscher Studien Verlag.
Lüders, Christian. 2000. Beobachten im Feld und Ethnographie. In Qualitative Forschung. Ein
Handbuch, Hrsg. Uwe Flick, Ernst von Kardorff, und Ines Steinke, 384–401. Reinbek:
Rowohlt.
Lull, James. 1990. Inside family viewing: Ethnographic research on television’s audiences.
London/New York: Routledge.
Mangelsdorf, Marion. 2017. Geschlechtersensitive und partizipative Ethnografie im Kontext digi-
taler Medien. In Handbuch Soziale Praktiken und Digitale Alltagswelten, Hrsg. Heidrun Friese,
Gala Rebane, Marcus Nolden, und Miriam Schreiter, 1–9. Wiesbaden: Springer. https://doi.org/
10.1007/978-3-658-08460-8_50-1.
Miao, Lingling. 2018. Is fantasy just fantasy? An ethnography of female fanship: Viewing Sex and
the City. Feminist Media Studies 18(3): 475–488.
Müller, Kathrin Friederike, und Jutta Röser. 2017. Wie Paare Second Screen beim Fernsehen
nutzen: Eine ethnografische Studie zur Mediatisierung des Zuhauses. In Ko-Orientierung in
der Medienrezeption. Praktiken der Second Screen-Nutzung. Hrsg. Udo Göttlich, Luise Heinz,
und Martin R. Herbers, 137–155. Wiesbaden: Springer.
Nightingale, Virginia. 1993. What’s ‚ethnographic‘ about ethnographic audience research? In
Australien cultural studies: A reader, Hrsg. John Frow und Meaghan Morris, 149–161. Sydney:
Allen & Unwin.
Parameswaran, Radhika. 2001. Feminist media ethnography in India: Exploring power, gender, and
culture in the field. Qualitative Inquiry 7(1): 69–103.
Ploder, Andrea, und Johanna Stadlbauer. 2013. Autoethnographie und Volkskunde? Zur Relevanz
wissenschaftlicher Selbsterzählungen für die volkskundlich-kulturanthropologische For-
schungspraxis. Österreichische Zeitschrift fürVolkskunde 116(3–4): 373–404.
Reinharz, Shulamit. 1992. Feminist methods in social research. Oxford: Oxford University Press.
Seiter, Ellen, Hans Borchers, Gabriele Kreutzner, und Eva-Maria Warth. 1994. Don’t treat us like
we’re so stupid and naive: Toward an ethnography of soap opera viewers. In Gender und
Medien. Theoretische Ansätze, empirische Befunde und Praxis der Massenkommunikation: Ein
Textbuch zur Einführung, Hrsg. Marie Angerer und Johanna Dorer, 161–180. Wien: Braumüller.
Schöne, Helmar. 2003. Die teilnehmende Beobachtung als Datenerhebungsmethode in der Politik-
wissenschaft. Methodologische Reflexion und Werkstattbericht. Forum Qualitative Sozialfor-
schung 4(2), Art. 20, o. S. http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0302202. Zugegriffen am
16.01.2018
Spradley, James P. 1979. The ethnographic interview. New York: Holt, Rinehart & Winston.
Stacey, Judith. 1988. Can there be a feminist ethnography? Women’s Studies International Forum
11(1): 21–27.
Willis, Paul. 2000. The ethnographic imagination. Cambridge: Polity.
Teil III
Medienproduktion, Medieninhalte,
Medienrezeption
Medienproduktion: Journalismus und
Geschlecht

Susanne Keil und Johanna Dorer

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
2 Geschlechterverhältnisse in der journalistischen Produktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
3 Theoretische Überlegungen und Systematisierungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

Zusammenfassung
Journalismus galt lange Zeit als Männerberuf. Aktuelle Erhebungen zeigen, dass
zunehmend Frauen im Journalismus tätig sind, wenngleich in den meisten Län-
dern der Frauenanteil noch deutlich unter der 50 %-Grenze liegt. Weniger Ver-
änderung ist in Bezug auf Führungspositionen auszumachen, die nach wie vor
männerdominiert sind. Die Zunahme von Journalistinnen geht maßgeblich auf
den Wandel gesellschaftlicher Geschlechterdiskurse und auf Fraueninitiativen der
letzten Jahrzehnte sowie auf die Implementierung von Gleichstellungsmaßnah-
men in den Medienorganisationen zurück. Die feministische Forschung hat sich
bereits sehr früh mit der Beteiligung von Frauen an der Medienproduktion be-
schäftigt. Verbunden damit ist bis heute die Diskussion, ob eine Zunahme an
Journalistinnen auch eine Veränderung des Journalismus bewirken kann. Die
Theoretisierung von Gender und Journalismus sowie die Systematisierung des
Forschungsfelds begleiten die bisherige Forschung.

S. Keil (*)
Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Sankt Augustin, Deutschland
E-Mail: Susanne.Keil@h-brs.de
J. Dorer
Universität Wien, Wien, Österreich
E-Mail: johanna.dorer@univie.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 271
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_18
272 S. Keil und J. Dorer

Schlüsselwörter
Medienproduktion · Journalistinnen · Führungspositionen · Quotierung ·
Horizontale und vertikale Segmentation

1 Einleitung

Mit dem Begriff Medienproduktion wird im weitesten Sinn die Herstellung einer
Vielzahl unterschiedlicher Medieninhalte bezeichnet. Medieninhalte entstehen dabei
in öffentlich-rechtlichen und privaten Medienorganisationen, in Film- und Fernseh-
produktionsfirmen, Verlagshäusern, Kommunikations- und Werbeagenturen sowie
in Abteilungen für Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen, staatlichen Einrichtun-
gen, politischen und gesellschaftlichen Organisationen. Zudem produzieren zahlrei-
che Blogger_innen im Internet mit mehr oder weniger professionellem Anspruch
Texte, Fotos, Audios und Videos. Vor allem im Internet verschwimmen die vormals
klaren Grenzen zwischen Medienproduktion und Medienrezeption, was zu der
neuen Kategorie der Produser (Producer und User) führte.
Im Folgenden wird – wie in der Kommunikationswissenschaft üblich – eine
Fokussierung auf die Produktion von Medieninhalten durch professionelle Journa-
list_innen und die in diesem Kontext entstandenen wissenschaftlichen Befunde
vorgenommen.
Pionierarbeit hierzu leisteten Neverla und Kanzleiter (1984) mit ihrer Berufsfeld-
studie, die sich erstmals aus geschlechtssensibler Perspektive mit dem Journalismus
als Männerberuf beschäftigte. Sie erhoben für Deutschland nicht nur einen geringen
Frauenanteil von 17 %, sondern stellten auch innerhalb des journalistischen Berufs-
feldes eine horizontale und vertikale Segmentation fest. Horizontale Segmentation
meint dabei, dass Journalistinnen eher in weiblich codierten, politikfernen Ressorts
sowie in den weniger prestigeträchtigen Medien, also eher jenseits klassischer
Medien wie Rundfunk und Tageszeitungen tätig sind. Die vertikale Segmentation
bezieht sich auf die hierarchische Position und meint: Je höher und einflussreicher
die Positionen innerhalb eines Medienunternehmens sind, desto weniger Journalis-
tinnen sind dort vertreten (Neverla und Kanzleiter 1984).
Von dieser bahnbrechenden Studie gingen wichtige Impulse für die weitere
Forschung und die journalistische Praxis aus. Angeregt wurde eine bis heute aktuelle
Diskussion um Fördermaßnahmen wie Frauenquote, Frauenförderpläne und Gleich-
stellungsbeauftragte, welche zuerst in öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
beginnend Anfang der 1990er-Jahre umgesetzt wurden. Ausgeklammert blieb vorerst
aber eine Quotendiskussion für Aufsichtsgremien. (Holtz-Bacha 1994, S. 102, 107)
Mit der Forderung nach mehr Journalistinnen in der Medienproduktion wurde auch
die Frage angestoßen, ob sich damit die Unterrepräsentanz und diskriminierende
Darstellung von Frauen in den Medieninhalten ändern würde (Keil 1992), eine
Diskussion, die heute sehr differenziert geführt wird (Keil 2001; Klaus 2005;
Lünenborg und Maier 2013; Dorer 2017).
Medienproduktion: Journalismus und Geschlecht 273

2 Geschlechterverhältnisse in der journalistischen


Produktion

2.1 Historischer Rückblick

Journalismus als Profession konstituierte sich im Kontext bürgerlicher Geschlechter-


dualismen von Öffentlichkeit und Privatheit als Männerberuf. Doch im Zuge der
historischen Aufarbeitung wurde bald klar, dass trotz der Zugangsbeschränkungen
(Ausschluss aus Journalistenorganisationen, Stempelsteuer, restriktive Zugangsbedin-
gungen, u. a.) Frauen wesentlich stärker am Journalismus beteiligt waren, als ursprüng-
lich angenommen (Kinnebrock 2008; Kinnebrock et al. 2009a, b, c; Klaus 2002; Klaus
und Wischermann 2013). Die Forschung beschäftigte sich zuerst mit Einzelbiografien
(Klaus et al. 1993). In diesem Rahmen ist auch die von Klaus und Wischermann (2013)
vorgelegte Sozial- und Berufsgeschichte von Journalistinnen zu sehen. Sie dokumen-
tieren Biografien und Texte bedeutender Journalistinnen zwischen den Jahren 1848 und
1990 und zeigen damit die Bandbreite von Themen, von journalistischen und literari-
schen Stilen sowie des beruflichen Selbstverständnisses von Journalistinnen auf, und
sie verweisen auf den entscheidenden Einfluss gesellschaftlicher Umbrüche und die
Wechselwirkungen von Frauenbewegungen und Journalismus.
Erst in jüngster Zeit liefern kollektivbiografische Studien Daten zur tatsächlichen
Beteiligung von Frauen im Journalismus der damaligen Zeit. So etwa weisen
Seethaler und Oggolder (2009, S. 10) für die Erste Republik in Österreich
(1918–1934) einen Anstieg des Journalistinnen-Anteils in Tageszeitungen von 4 %
auf 9 % nach. Grund für den raschen Anstieg waren Erfolge der Ersten Frauenbe-
wegung, wie das Wahlrecht 1918, formale Gleichstellung in der Bildung und im
Journalistenverein Concordia sowie generell die Umbruchsituation nach dem Ersten
Weltkrieg, die zu einer umfangreichen Gründung von Parteizeitungen und zur
Etablierung der Massenpresse führte. Gerade die sozialdemokratische und kommu-
nistische Partei und deren Parteipresse eröffneten Frauen ein wachsendes Betäti-
gungsfeld. (Seethaler und Oggolder 2009, S. 15; Klaus und Wischermann 2013,
S. 351–364; Dorer et al. 2017, S. 18–21).

2.2 Frauenanteile im Journalismus

Bei der Erhebung von Frauenanteilen in Medienorganisationen geht es primär um


die Frage von Geschlechtergerechtigkeit. Gab es früher kaum Daten zu Frauenan-
teilen, so sind derzeit zahlreiche vergleichende Studien mit mehr oder weniger
großen Unterschieden verfügbar.1 Dies sind zum einen die EU-weite Studie des
European Institute for Gender Equality (EIGE 2013, S. 17), die einen durchschnitt-

1
Eine erste vergleichende Studie aus der Geschlechterperspektive für „westliche“ Länder wurde von
Fröhlich und Lafky (2008) vorgelegt, zuvor hatte Margreth Lünenborg (1997) in ihrer Journalis-
musstudie drei europäische Länder verglichen.
274 S. Keil und J. Dorer

lichen Frauenanteil im Journalismus von 44 % ausweist, oder die weltweit verglei-


chende Studie „Global Report on the Status of Women in the News Media“ (Beyerly
und IWMF 2011, S. 380), die einen Frauenanteil von 35 % (inklusive des techni-
schen und administrativen Personals) erhoben hat. Zum anderen gibt es Studien, die
nicht explizit einen Genderaspekt verfolgen, wie die „Worlds of Journalism Study“
(2016), die einen Frauenanteil für Deutschland, Österreich und die Schweiz von
rund 40 % angibt (Steindl et al. 2017, S. 413; Lohmann und Seethaler 2016;
Dingerkus et al. 2016). Etwas geringer fällt die Beteiligung von Frauen in nicht
vergleichenden Länderstudien für Österreich (37 %) und die Schweiz (35 %) aus
(Hummel et al. 2013, S. 11; Wyss und Keel 2010; Leonarz 2010).
EU-weit variiert der Frauenanteil im Journalismus zwischen 37 % in Belgien und
72 % in Lettland (Worlds of Journalism Study 2016).2 Vor allem in skandinavischen
Ländern lag der Frauenanteil schon 2011 bei rund 50 % und darüber (EIGE 2013;
Worlds of Journalism Study 2016). Auffallend bei den ländervergleichenden Studien
ist, dass in nord- und osteuropäischen Ländern die Beteiligung von Frauen in der
Medienproduktion deutlich höher liegt als in westeuropäischen Ländern. Dagegen
stagniert der Anteil in den Medienorganisationen in den USA seit Jahrzehnten bei
rund einem Drittel (Lünenborg und Maier 2013, S. 80), während westeuropäische
Länder in den letzten Jahrzehnten deutlich aufgeholt haben (Lünenborg 1997; Klaus
2005, S. 151–162; Lünenborg und Maier 2013, S. 79–81; Dorer 2002, S. 148). Ein
Aufholprozess im Ausbildungsbereich zeichnete sich bereits vor vielen Jahren
ab. Die Zahl der Absolventinnen journalistischer Ausbildungen bzw. Studiengänge
stieg kontinuierlich an und liegt derzeit europaweit bei durchschnittlich zwei Drittel
(Fröhlich 1995; Dorer 2001, S. 141; EIGE 2013, S. 17).
Die Gründe für die unterschiedlichen Journalistinnenanteile und deren Entwick-
lung sind vielfältig. Eine Rolle spielt die zeitlich ungleiche Öffnung des Rundfunk-
markts für private Anbieter. Während sich dadurch für Journalistinnen in einigen
europäischen Ländern eher verbesserte Möglichkeiten für einen Berufseinstieg
boten, suchten Absolventinnen in Ländern mit späterer Privatisierung des Rund-
funkbereichs im journalismusnahen Berufsfeld Public Relations tätig zu werden
(Dorer 2004). Die Ausdifferenzierung der Medienlandschaft und damit die höhere
Anzahl an Arbeitsplätzen trugen aber generell zu einem einfacheren Einstieg von
Frauen in den Journalismusberuf bei (Klaus 2005, S. 158–161). Der seit den 1990er-
Jahren stattfindende Trend in Richtung Kommerzialisierung, Personalisierung und
Unterhaltungsorientierung des Journalismus erleichterte Frauen aufgrund von ge-
schlechtsspezifischen Kompetenzzuschreibungen hier beruflich Fuß zu fassen (Lü-
nenborg und Maier 2013, S. 91; Dorer 2017, S. 159–160).
Ein weiterer Grund liegt im gesellschaftlichen Wandel durch die Frauenemanzi-
pation, die durch die zweite Frauenbewegung in Gang gesetzt wurde, was den hohen
Frauenanteil in den nordeuropäischen Ländern erklärt. Nach der EU-weiten Studie
(EIGE 2013, S. 39, 42) sind auch die Instrumente der Gleichstellungspolitik und die

2
Die Anzahl der in den verschiedenen Ländern befragten Journalistinnen und Journalisten variiert
allerdings von 167 in Irland bis zu 909 Befragten in der Schweiz.
Medienproduktion: Journalismus und Geschlecht 275

Implementierung von Frauenfördermaßnahmen maßgeblich an der Erhöhung des


Frauenanteils in Medienorganisationen beteiligt und haben insbesondere in öffent-
lich-rechtlichen Rundfunkorganisationen zu einer Zunahme an Journalistinnen ge-
führt.
Der vergleichsweise hohe Frauenanteil in osteuropäischen Ländern korrespon-
diert zum einen mit der vor der Transformation geltenden Staatsideologie, die der
Gleichheit der Geschlechter eine bedeutende Rolle eingeräumt hat. So etwa lag in
der DDR in den 1990er-Jahre der Journalistinnenanteil bei 63 % (Lünenborg 1997,
S. 129), in Bulgarien liegt er derzeit bei 64 %, in Rumänien bei 63 % (Worlds of
Journalismus Study 2016). Nicht Frauenfördermaßnahmen, sondern umfangreiche
staatliche Einrichtungen (zur Kinderbetreuung, Verpflegung in Betrieben, Entlas-
tung von Versorgungsarbeiten etc.) ermöglichen die Berufstätigkeit von Frauen
(Dorer 2017, S. 162). Zum anderen ist ein Grund für den hohen Frauenanteil sicher
auch im geringen Stellenwert, den der Journalismus in diesen Ländern hat, zu sehen.
Denn noch immer gilt: Je bedeutsamer und einflussreicher eine berufliche Tätigkeit
ist, desto weniger Frauen üben sie aus.

2.3 Journalistinnen in Führungspositionen – vertikale


Segmentation

Nach wie vor gibt es im Journalismus eine vertikale Segmentation, die auch oft mit
dem Begriff der „gläsernen Decke“ umschrieben wird. Als unsichtbare Barriere setzt
sie Grenzen in der Karrierelaufbahn (Fröhlich und Lafky 2008; Steiner 2014).
EU-weit beträgt der Frauenanteil an Führungspositionen in Medienorganisationen
nur knapp ein Drittel. In den höchsten Entscheidungsgremien (Vorstandsmitglieder)
sind Frauen mit nur 21 % vertreten (EIGE 2013, S. 34, 50). Dabei gelingt der
Aufstieg in öffentlich-rechtlichen Medieninstitutionen (35 %) eher als in privaten
(29 %) (EIGE 2013, S. 28). Am geringsten fällt der Frauenanteil mit 29 % bei
Zeitungen aus. (EIGE 2013, S. 29) Die länderspezifischen Unterschiede korrespon-
dieren mit der Gesamtheit des Frauenanteils in Medienorganisationen. Während ost-
und nordeuropäische Länder deutlich überdurchschnittlich viele Journalistinnen in
Führungspositionen aufweisen, liegt Österreich (30 %) knapp unter und Deutschland
(20 %) deutlich unter dem Durchschnitt der EU-Länder (EIGE 2013, S. 91).
Die Beobachtung, dass sich in Online-Redaktionen der Ein- und Aufstieg für
Frauen leichter gestaltet, weil es sich wie bei der Einführung des privaten Rundfunks
Mitte der 1980er-Jahre in Deutschland um ein neues Medium mit zunächst weniger
Prestige und weniger festgefahrenen Strukturen handelt (Bok 2013, S. 44), lässt sich
2018 anhand systematischer Erhebungen nur zum Teil bestätigen. In vier der acht
von Pro Quote untersuchten Leitmedien liegt der vom Verein berechnete Frauenan-
teil an den Machtpositionen in den Online-Publikationen über dem in den Printme-
dien, so zum Beispiel bei Stern Online mit 50,0 Prozent (Print 34,4 %) oder bei Zeit
Online mit 41,3 Prozent (Print 31,4 %). Bei den anderen vier Leitmedien, etwa beim
Spiegel und bei der FAZ, ist der sogenannte Frauenmachtanteil in den Print-Publi-
kationen etwas höher (Pro Quote 2018).
276 S. Keil und J. Dorer

Noch kaum erforscht ist die Beteiligung von Frauen in den obersten Führungs-
gremien global agierender Medienkonzerne. Die durch Konzentrationsprozesse (hori-
zontal, vertikal und diagonal) entstandenen Medienkonglomerate wie der Disney-
Konzern, die US-News Corporation oder Time Warner in den USA, Vivendi in
Frankreich und die Bertelsmann AG in Deutschland vermindern mit ihren Cross-
Ownership-Aktivitäten nicht nur den intermedialen Wettbewerb, sondern haben auch
die Medieninhalte und Arbeitsmärkte für Journalist_innen unter Kontrolle (Dorer
2017, S. 169). Nach Byerly (2014a, S. 108) sind in den zehn größten international
agierenden Medienkonzernen knapp 17 % weibliche Vorstandsmitglieder. Und sie
resümiert in ihrer detailreichen Analyse, dass der Frauenanteil in entscheidungsrele-
vanten Positionen gerade durch den Prozess der Konzentration im Zuge von Zusam-
menschlüssen der größten US- und europäischen Medienkonzerne gesunken ist. Diese
Entwicklung zeigt laut Byerly (2014b, S. 323), dass Medienkonglomerate zur Kon-
solidierung männerdominierter ökonomischer und politischer Macht beitragen und die
Teilnahme von Frauen durch die Verstärkung struktureller Barrieren behindern.
Die Gründe für diese Unterrepräsentanz in Führungspositionen sind sowohl auf
der gesellschaftlichen Ebene, der Organisationsebene als auch der individuellen
Ebene angesiedelt. Besonders häufig haben sich Studien mit Organisations- und
Redaktionskulturen beschäftigt, die wiederum von gesellschaftlichen Geschlechter-
diskursen beeinflusst sind. Als entscheidende Faktoren wurden dabei geschlechter-
stereotype Arbeitszuweisungen, fehlende Netzwerke, die zu Informationsungleich-
gewichten führen, informelle und intransparente Personalentscheidungen, männlich
codierte journalistische Standards, Kommunikationsstile und Konkurrenzrituale
ausgemacht (EIGE 2013, S. 24–36; Klaus 2005; Weish 2003; Dorer 2002; Keil
2000; Lünenborg 1997; Angerer und Lummerding 1995; Neverla und Kanzleiter
1984). Wie allerdings der Prozess des „doing gender while doing journalism“ im
Detail funktioniert, bedarf weiterer Analysen, die – laut Lünenborg (2008, S. 168) –
sowohl prozessual als auch stärker kontextgebunden sein müssten.
Als weiteren Grund für den sehr langsamen Anstieg von Journalistinnen in
Führungspositionen sieht das Europäische Institut für Gleichstellung (EIGE 2013)
im Fehlen von organisationsinternen Maßnahmen zur Gleichstellung. Dazu gehören
Gleichstellungspläne, Gleichbehandlungsbeauftragte, verbindliche Quotenregelun-
gen, Mitarbeiterschulungen in Gleichstellungsfragen, Mentoring-Programme, regel-
mäßiges Monitoring der gesetzlichen Maßnahmen sowie gesetzliche Regelungen
zur Gleichstellung am Arbeitsplatz. EU-weit kommen aber nur in etwa der Hälfte der
Medienbetriebe organisationsinterne Gleichstellungspolitiken zur Anwendung. Ein
entsprechendes Kontrollgremium oder eine Abteilung für Fragen zu Gleichstellung
und Diversity hat nur ein Viertel (EIGE 2013, S. 37). Praktische Maßnahmen wie
etwa die Installierung von Mentoring-Programmen sind nur in knapp 9 % der
Medienorganisationen zu finden (EIGE 2013, S. 40). Es zeigte sich aber, dass genau
dort, wo Gleichstellungsmaßnahmen ergriffen werden, insbesondere bei öffentlich-
rechtlichen Medienorganisationen, der Frauenanteil in Führungspositionen deutlich
höher liegt und entsprechende Gleichstellungspolitiken zur Geschlechtergerechtig-
keit im Journalismus beitragen können (EIGE 2013, S. 39–42).
Als effizient haben sich auch Initiativen von Journalistinnen in Form von infor-
mellen und organisierten Netzwerken erwiesen. Keil (2000) verweist auf die bereits
Medienproduktion: Journalismus und Geschlecht 277

in den 1990er-Jahren entstandenen Netzwerke von Journalistinnen, die ähnlich wie


ihre männlichen Kollegen auch Seilschaften bilden, um junge Nachwuchsjournalis-
tinnen zu fördern und sich gegenseitig den Aufstieg zu erleichtern.
Der im Jahr 2012 von namhaften Journalistinnen in Deutschland gegründete
Verein „Pro Quote“ ist ein weiteres Beispiel für eine effiziente Vernetzung. Die
Initiative, die sich für eine 50 %-Frauenquote bei Führungspositionen in Medienor-
ganisationen einsetzt, verfolgt ihr Ziel mittels öffentlichkeitswirksamer Kampagnen
und Diskussionen sowie der Vernetzung und Beratung von Journalistinnen und
einem kontinuierlichen Monitoring des Frauenanteils in entscheidungsrelevanten
Positionen. Innerhalb weniger Jahre konnte so ein deutlicher Anstieg von Frauen
in Führungspositionen bei Qualitätsmedien (z. B. Spiegel auf 38,0 %, die Zeit auf
31,4 %) dokumentiert werden (Pro Quote 2018).

2.4 Journalistinnen in Mediengattungen und Ressorts –


horizontale Segmentation

Die geschlechtsspezifische Verteilung nach Ressortzugehörigkeit, die noch Anfang


der 1990er-Jahre in den deutschsprachigen Ländern klar nachweisbar war, hat sich
zunehmend eingeebnet. Dies liegt nicht nur an gestiegenen Journalistinnen-Anteilen
in den Ressorts Wirtschaft, Politik, Nachrichten, Wissenschaft und Sport, sondern
auch daran, dass rund 40 % der Journalist_innen nicht mehr ressortgebunden tätig
sind (Lünenborg 2008; Lünenborg und Maier 2013, S. 82; Steindl et al. 2017,
S. 418). Das Sport-Ressort ist aber nach wie vor von Journalisten (in Deutschland:
86 %, Österreich: 88 %) dominiert, während in den Ressorts Service und Lifestyle,
Gesundheit, Bildung/Wissenschaft mehr Frauen beschäftigt sind (Steindl et al. 2017,
S. 419; Kaltenbrunner et al. 2008, S. 149; Hummel et al. 2013, S. 22). Die wenigen
empirischen Studien, die es zum noch jungen Ressort Technik und/oder Computer
gibt, zeigen eine eindeutige männliche Dominanz (Anczikowski 2008, S. 18; Hum-
mel et al. 2013, S. 149). Dies dürfte auch für den Datenjournalismus und den
Umgang mit Big Data in Nachrichtenredaktionen gelten, ein Bereich, der in Zukunft
stark an Bedeutung gewinnen wird.
Bezüglich der Mediengattungen Zeitung, Zeitschrift, Radio, Fernsehen und On-
linemedien lässt sich aber nach wie vor eine horizontale Segmentation feststellen. So
sind Journalistinnen in Tageszeitungen deutlich und in Nachrichtenagenturen sogar
sehr stark unterrepräsentiert, während sie im Bereich der Publikumszeitschriften
überrepräsentiert sind (Steindl et al. 2017, S. 416; Hummel et al. 2013, S. 147).

2.5 Doing gender und journalistisches Handeln

Mit der Forderung nach einem höheren Frauenanteil im Journalismus war meist die
Vorstellung verbunden, dass dies zu einer anderen Berichterstattung führen würde
(Ross 2014). Eine Vorstellung, die insbesondere auch in breit angelegten internatio-
nalen Studien, wie „Women and the Media“ (EIGE 2013), dem „Global Report on
278 S. Keil und J. Dorer

the Status of Women in News Media“ (Byerly und IWMF 2011) oder dem Global
Media Monitoring Project (GMMP 2015), implizit als Subtext enthalten ist.
Die Frage „Gibt es einen weiblichen Journalismus?“ wurde Anfang der 1990er-
Jahre zuerst von Susanne Keil (1992) aufgegriffen. Diskutiert wurde, ob es Unter-
schiede im journalistischen Stil, der journalistischen Darstellungsform, in der jour-
nalistischen Herangehensweise, in der Themenselektion und -aufbereitung oder im
journalistischen Selbstverständnis gibt, ob ein „anderer Blick“ – durch unterschied-
liche Lebenspraxen und unterschiedliche Erfahrungen in Redaktionen und im Alltag
bedingt – einen Einfluss auf die Berichterstattung hätte (Keil 2001, 2002; Lünenborg
1997; Klaus 2005).
Die Beantwortung der Frage erweist sich als komplex und widersprüchlich. „Nein,
aber . . .“ lautet der Befund von Elisabeth Klaus (2005), Journalistinnen würden sich
systematisch von ihren männlichen Kollegen weder in ihrer Arbeitsweise noch in
ihrem journalistischen Selbstverständnis unterscheiden, es gäbe allenfalls manchmal
ein themen- und situationsspezifisches Abweichen von gängigen journalistischen
Praxen. Vielmehr würden sich Unterschiede in der Themenselektion und Themenbe-
handlung erst durch einen explizit feministischen Zugang von Journalistinnen und bei
manchen Themen mit explizitem Geschlechterbezug zeigen (Klaus 2005, S. 193). Die
Schwierigkeit, geschlechtsspezifische Differenzen festzumachen, liegt nicht nur im
theoretischen Zugang, der durch einen differenztheoretischen Ansatz geprägt ist,
sondern auch in der methodischen Herangehensweise. Denn in quantitativen wie auch
in qualitativen Befragungen zum Selbstverständnis und zu Arbeitsroutinen spielen
normative Vorstellungen von der journalistischen Arbeitsweise ebenso eine Rolle wie
gängige gesellschaftliche Geschlechterdiskurse, die die Befragten unbewusst reprodu-
zieren. Zudem kritisierten Lünenborg und Maier (2013, S. 87) die Fragestellung an
sich. Ihrer Meinung nach müsste heute mit einer dekonstruktivistischen Herangehens-
weise das Augenmerk auf das stete Aushandeln von journalistischen Normen und
Praktiken gelegt und einem theoretischen Ansatz des „doing gender while doing
journalism“ gefolgt werden. Im Zentrum der Fragestellung steht dann die Verbindung
zwischen geschlechtsgebundenen und professionellen Praktiken. Denn weder wird
das Geschlecht mit der Übernahme einer professionellen Rolle abgelegt noch gänzlich
überlagert, Geschlecht ist deshalb auch nicht determinierend für professionelles Han-
deln (Lünenborg und Maier 2013, S. 87).
Einen ganz anderen Ansatz, um die Frage nach der Veränderbarkeit – im Sinne
einer gendersensiblen Berichterstattung – zu beantworten, wählt Djerf-Pierre (2011).
Sie verknüpft die Metadaten des Global Media Monitoring Projekts (GMMP 2005)
mit verschiedenen Demokratie-Indices und sämtlichen international erhobenen Gen-
der-Equality-Indikatoren,3 die die Fortschritte eines Landes in Bezug auf die Gleich-
stellung messen. In Verbindung mit den GMMP-Daten zum Autorinnenanteil an der

3
Dazu gehört der Gender Gap Index des World Economic Forums, der die Gleichberechtigung in
einem Land nach mehreren Kriterien misst, der OECD-Index zum Frauenanteil in nationalen
Parlamenten, der Women’s and economics and social rights Index nach Cingranelli und Richards,
der Frauenrechte auf der gesetzlichen Ebene abbildet, und die Equality Scale nach Ingelhart und
Norris, die Einstellungen zu Geschlechterfragen misst.
Medienproduktion: Journalismus und Geschlecht 279

Berichterstattung kann Djerf-Pierre (2011) den empirischen Nachweis erbringen,


dass der Journalistinnen-Anteil keinen Einfluss auf eine geschlechtergerechte Be-
richterstattung hat. Ausschlaggebend für eine geschlechtersensible Berichterstattung
in einem Land sind zum einen die gesellschaftliche Entwicklung der Emanzipation
und zum anderen ein öffentlicher und privater gesellschaftlicher Diskurs, der sich
auf Gleichberechtigung als gesellschaftlich akzeptierte Norm stützt (Djerf-Pierre
2011).

2.6 Arbeitsbedingungen und Organisationskulturen

Die meisten genderorientierten Journalismusstudien haben sich auch mit den


Arbeitsbedingungen für Journalistinnen beschäftigt. Erhoben wurden dabei die
unterschiedliche Einkommenssituation von Journalistinnen und Journalisten, Bar-
rieren in Bezug auf die berufliche Karriere von Journalistinnen, das ungleiche Ge-
schlechterverhältnis zwischen Festangestellten und Freien, die Schwierigkeit der
Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Journalistinnen sowie Besonderheiten
von Redaktionskulturen, wie etwa raue Umgangsformen und sexuelle Belästigung
in Redaktionen sowie zahlreiche andere berufliche Alltagspraxen (Neverla und
Kanzleiter 1984; Angerer 1994; Angerer und Lummerding 1995; Lünenborg 1997;
Keil 2000; Dorer 2002; Weish 2003; Klaus 2005; Fröhlich und Lafky 2008).
Eine internationale Vergleichsstudie (Byerly und IWMF 2011, S. 381–390) zeigt,
dass es Gehaltsunterschiede auf Grund des Geschlechts nach wie vor gibt. Aktuelle
Daten zu Österreich (Hummel et al. 2012, 2013) und Deutschland (Steindl et al.
2017) bestätigen diesen Befund, obwohl Journalistinnen einen höheren Ausbildungs-
tand vorweisen als die männlichen Kollegen. Die geringste Gehaltsdifferenz gibt es in
den unteren Hierarchiestufen, die Schere öffnet sich dann sehr deutlich, je höher die
Position innerhalb des Medienunternehmens ist.
Die zunehmende Konzentration, die Zusammenlegung und der Wegfall von
Redaktionen, der Trend zum crossmedialen Arbeiten auch innerhalb von Medienor-
ganisationen sowie Prozesse des Outsourcings haben zu einer Erhöhung der Arbeits-
belastung bei den Festangestellten und zu immer prekäreren Arbeitsverhältnissen bei
befristet Beschäftigten und Freien geführt. Dies dürfte – soweit Zahlen dazu verfüg-
bar sind – sowohl Journalistinnen als auch Journalisten betreffen (Prandner und
Letter 2012). Während der klassische Arbeitstag bei einer Tageszeitung bis vor
kurzem kaum mit den Betreuungszeiten von Kindern in Einklang gebracht werden
konnte, ermöglicht das Prinzip „online first“ nun eine größere Flexibilität bezüglich
Vereinbarkeit von Familie und Journalismus. Auf der höchsten Hierarchieebene sind
Frauen allerdings nach wie vor meist kinderlos (Bok 2013, S. 61). Und wie bereits
aus früheren Studien bekannt ist, gibt es mit steigendem Alter auch immer weniger
Journalistinnen in den Redaktionen, denn die Familiengründung führt noch immer
zu einem Karriereknick (Lünenborg 1997; Dorer 2002; Klaus 2005; Leonarz 2010).
Weitere Merkmale der Organisationskultur sind für den österreichischen Journa-
lismus von Weish (2003) untersucht worden. Sie hat im Umgang mit Konkurrenz
eine Double-bind-Situation für Frauen festgestellt, die dazu führt, dass Journalistinnen
280 S. Keil und J. Dorer

zum Teil Kampfsituationen um höhere Positionen vermeiden. Konkurrenzkämpfe


werden vorzugsweise unter Statusgleichen und unter vorwiegend Gleichgeschlecht-
lichen ausgetragen, wodurch eine Solidarisierung unter Frauen erschwert wird
(Weish 2003, S. 168–195).
Bereits länger ist das Problem der sexuellen Belästigung im Journalismus als
wichtiges Phänomen der Diskriminierung und der gezielten Verhinderung von
Frauenkarrieren bekannt, allerdings bislang noch wenig aufgearbeitet. Als illegiti-
mes, aber effizientes Mittel in einem hoch konkurrenzbetonten Umfeld wird es von
männlichen Kollegen gezielt zur Durchsetzung eigener Karrierechancen gerade bei
jüngeren Journalistinnen eingesetzt (Dorer 2002; Weish 2003; Ross 2004; North
2007, 2016). Die internationale Studie „Violence and Harassment against Women in
News Media“ (Barton et al. 2014) berichtet, dass knapp die Hälfte der Journalistin-
nen weltweit sexuelle Belästigung in der eigenen Medienredaktion erfährt. Mit
Einschüchterungen, Drohungen oder Missbrauch während ihrer Berufsausübung,
meist durch männliche Vorgesetzte und Mitarbeiter am Arbeitsplatz, sind insgesamt
zwei Drittel der Journalistinnen konfrontiert (Barton et al. 2014). Hinzu kommt, dass
Journalistinnen zunehmend mit Hasspostings und Online-Harassment konfrontiert
sind, vor allem Journalistinnen jener Ressorts, die nach wie vor männerdominiert
sind wie das Technik- und Sportressort (Adams 2017; Antunovic 2018).

3 Theoretische Überlegungen und


Systematisierungsversuche

In den letzten Jahren wurde vermehrt versucht, theoretische Überlegungen zu


Geschlecht und Medienproduktion voranzutreiben sowie die bisherigen wissen-
schaftlichen Erkenntnisse zu systematisieren.
So etwa haben Lünenborg und Maier (2013, S. 77–79) basierend auf der von
Degele (2008) verwendeten Differenzierung zwischen Gleichheitsansatz, Differenz-
ansatz, Interaktionistischem Konstruktivismus und Diskurstheoretischem Dekonstruk-
tivismus eine Systematisierung der bisherigen Befunde zur Journalismusforschung
vorgenommen. Die mehrheitlich quantitativen Erhebungen zur horizontalen und
vertikalen Segmentation, also zu Frauenanteilen in Medienorganisationen und in
den unterschiedlichen Ressorts sowie in unterschiedlichen hierarchischen Positio-
nen, ordnen sie dem Gleichheitsansatz zu. Die Frage, ob Journalistinnen anders
berichten und mit einem anderen beruflichen Selbstverständnis die Berichterstattung
verändern würden, sehen sie in der Tradition des Differenzansatzes. Die Verbindung
von Geschlecht und journalistischem Handeln in den Redaktionen im Sinne des
„doing gender while doing journalism“ entspricht der Perspektive des Konstruktivis-
mus interaktionistischer Prägung, während sie für den Dekonstruktivismus im For-
schungsbereich der Medienproduktion bislang kaum Anwendungsbeispiele finden.
Einen weiteren Systematisierungsversuch unternehmen Klaus und Kirchhoff
(2016). Sie unterscheiden die Paradigmen Subjekt, System und Kultur/Gesellschaft.
Frühe Studien zur horizontalen und vertikalen Segmentation sowie die Frage nach
Medienproduktion: Journalismus und Geschlecht 281

einem „weiblichen Journalismus“ sehen sie dem Paradigma Subjekt zugehörig. Dem
Paradigma Systemtheorie schreiben sie – wie Keil (2000) – eine beschränkte Er-
klärungskraft zu, während sie das Paradigma Kultur/Gesellschaft – und hier insbe-
sondere die Cultural Studies – für weitere Forschungsarbeiten sowohl auf der Mikro-,
Meso- und Makroebene als zukunftsweisend betrachten.
Von Interesse war anfänglich insbesondere die Frage, inwiefern soziologische
Theorien und Ansätze ein Erklärungspotenzial für die Journalismus- und Geschlech-
terforschung bereitstellen. Die Anwendung der Systemtheorie erlaube es nach Keil
(2000) zwar beispielsweise, den Handlungsspielraum von Journalistinnen und Jour-
nalisten in den Medienorganisationen auszuloten, die spezifischen Rahmenbedin-
gungen der redaktionellen Arbeit in den Blick zu nehmen und zu fragen, inwieweit
Medienproduzentinnen in Führungspositionen Einfluss auf Medieninhalte nehmen
können. Wegen der den Medienorganisationen immanenten Machtverhältnisse
erwies sich aber die Anwendung der Cultural Studies als wesentlich zielführender.
Dieser Ansatz legt den Fokus auf das kulturelle Aushandeln von Bedeutungen, mit
denen das Veränderungspotenzial von Journalistinnen in Redaktionen weit besser
analysiert werden kann (Keil 2002; Lünenborg 2001, S. 136–138).
Bourdieus Habitus-Konzept wurde von Wiebke Schoon (2009) aufgegriffen und
zuvor schon von Ulrike Weish (2003) auf das Konkurrenzverhalten in Medienre-
daktionen angewandt. Weish zeigt, dass ein geschlechterstereotyper Habitus in der
journalistischen Praxis wirksam wird, der sich in geschlechtsspezifischen Konkur-
renzstrategien und journalistischen Praxen manifestiert und Journalistinnen oft zum
Nachteil gereicht. Untersucht wurde, welche Durchsetzungsmethoden bei verschie-
denen Medien als legitim oder illegitim gelten, welche geschlechtsspezifischen
Umgangsformen es gibt und wie diese in verschiedenen Hierarchie- und Alters-
segmenten bewertet werden. Eine bedeutende Rolle spielen dabei die gesellschaft-
lichen Geschlechterzuschreibungen, die den journalistischen Habitus beeinflussen
und im Redaktionsalltag als legitimes Konkurrenzverhalten bewertet werden. Weish
gelingt es herauszuarbeiten, wie gesellschaftliche Geschlechterstereotype und ge-
schlechterdifferenter Habitus in Redaktionen ineinander greifen, aber nicht notwen-
dig deterministisch verbunden sein müssen. Denn geschlechterstereotype Zuschrei-
bung und geschlechterstereotypes Verhalten sind ambivalent. Und ein weiblich
codiertes Verhalten kann in bestimmten Situationen sogar zielführend sein (Weish
2003, S. 164–194).
Neben soziologischen Theorien waren auch die Erprobung und Anwendung
dekonstruktivistischer Verfahren für die feministische Medienforschung von Inte-
resse. Das komplexe mehrdimensionale Gender-Konzept, das von Ang und Hermes
(1994) mit einem dekonstruktivistischen Ansatz für den Rezeptionsprozess entwi-
ckelt wurde, hat Elisabeth Klaus (2002) auf den Medienproduktionsprozess ange-
wandt. Ang und Hermes unterscheiden zwischen den gesellschaftlich produzierten
Diskursen zum Geschlecht, den Geschlechterdefinitionen, den geschlechtlich zuge-
wiesenen Orten und Handlungsoptionen, den Geschlechterpositionierungen, und
den von den einzelnen tatsächlich eingenommenen geschlechtlichen Positionen,
den Geschlechteridentifikationen. Klaus (2002) macht deutlich, dass gesellschaftli-
che Geschlechterdefinitionen – wie etwa der lange Zeit vorherrschende gesellschaft-
282 S. Keil und J. Dorer

liche Konsens, Journalismus wäre ein Männerberuf und Männlichkeit mit sachlicher
Berichterstattung und Professionalität untrennbar verbunden – eine bedeutende
Rolle im Professionalisierungsprozess spielten. Als Ausdruck der Geschlechterpo-
sitionierungen im Mediensystem macht sie den nach wie vor geringen Frauenanteil
in Leitungspositionen sowie die Positionszuweisung von Journalistinnen zu weib-
lich codierten und von Journalisten zu den prestigeträchtigen Ressorts aus. Mit dem
Begriff der Geschlechteridentifikationen diskutiert Klaus (2002) die verschiedenen
Handlungsmöglichkeiten und Selbstpositionierungen von Journalistinnen in Medi-
enredaktionen im Rahmen vorgegebener Redaktionsstrukturen.
Die Dichotomisierung von informationsorientierten und unterhaltungsorientier-
ten Genres im Journalismus, versehen mit entsprechender Wertigkeit, ist eine Kon-
struktion der Mainstreamforschung. Mittels dekonstruktivistischen Verfahrens hat
Klaus (2008) diesen gängigen Dualismus von Information und Unterhaltung als
wissenschaftliches Artefakt entlarvt. Sie kritisiert nicht nur die explizite Hierarchisie-
rung, die Information höher als Unterhaltung einstuft, sondern auch die Verknüpfung
mit der Geschlechterkategorie. Empirischen Befunden der Nutzungsforschung, die die
Informationsorientierung von Männern und die Unterhaltungsorientierung von
Frauen belegen würden, weist Klaus grundlegende wissenschaftliche Mängel in
der Kategorienbildung nach. Verletzt wurden die für die Kategorienbildung maßge-
blichen Faktoren Ausschließlichkeit, Eindeutigkeit und Vollständigkeit. Indem
Klaus den Dualismus von Information und Unterhaltung und seine geschlechter-
hierarchischen Zuschreibungen dekonstruiert, markiert sie zugleich eine Neukon-
zeption von informationsorientiertem und unterhaltungsorientiertem Journalismus
bzw. seiner Mischformen (Klaus 2008).
Zur Theoretisierung feministischer Erforschung der Medienproduktion legt
Johanna Dorer (2017, S. 172–175) ein Drei-Ebenen-Modell vor, das das Ineinan-
dergreifen der Ebene der gesellschaftlichen Diskurse, der Ebene des Medien-/Jour-
nalismusdispositivs und der Ebene der redaktionellen Praxen in den Mittelpunkt der
Analyse stellt. Es geht dabei um eine theoretische Einbettung bisheriger und zukünf-
tiger Medienproduktionsforschung. Auf der Ebene der gesellschaftlichen Diskurse
sind Fortschritte von Gleichberechtigung in einer Gesellschaft, Wirk- und Mobili-
sierungskraft feministischer Bewegungen, Vernetzung feministischer Aktivitäten
oder Spill-over-Effekte aus queer-/feministischen Öffentlichkeiten in Mainstream-
Medien zu analysieren. Ziel ist es, die Wechselwirkungen zwischen den Kontinuitä-
ten bzw. Brüchen in gesellschaftlichen Geschlechterdiskursen und den Geschlechter-
und Diversitätsaspekten im Journalismus sowie in Medienorganisationen und global
agierenden Medienkonzernen/Medienkonglomeraten zu erfassen. Auf der Ebene des
Medien-/Journalismusdispositivs geht es darum, die Relevanz, den Relevanzverlust
bzw. die Bedeutungsverschiebung von Journalismus durch gesellschaftliche Verän-
derungen, politische, medienpolitische und juristische Maßnahmen mit Geschlech-
teraspekten in Medien und Medienredaktionen in Beziehung zu setzen. Unter
Einbeziehung von unterschiedlichen journalistischen Kulturen und unterschiedli-
chen ökonomischen Rahmenbedingungen der Medienproduktion in verschiedenen
Ländern/Regionen sind die Auswirkungen auf die Medienproduktion nach Diffe-
renzkriterien wie Geschlecht, Ethnizität, Queerness etc. zu analysieren. Auf der
Medienproduktion: Journalismus und Geschlecht 283

Ebene redaktioneller Praxen, die die Re- und Dekonstruktion der Prozesse von
doing gender (doing ethnicity, doing diversity) umfasst, geht es um die Selbstposi-
tionierung von Journalist_innen im Produktionsprozess. Diese ist mit institutionellen
Arbeitsabläufen und journalistischen Routinen sowie mit gesellschaftlichen Diskur-
sen und Zuschreibungspraxen, was als männlich und weiblich zu gelten hat, zu
kontextualisieren. Dazu gehört auch die Dekonstruktion journalistischer Werte und
Normen wie etwa Objektivität, Neutralität sowie standardisierter Handlungsabläufe,
wie sie etwa durch Selektionsvorgaben und Rechercherichtlinien in Redaktionen
vorzufinden sind.

4 Fazit

Das Monitoring von Frauenanteilen wird weiterhin wichtig bleiben, um feministi-


sche Forderungen nach Geschlechtergerechtigkeit nicht aus dem Blick zu verlieren.
Doch daneben sind Theoretisierung und Reflexion voranzutreiben und die großen
Entwicklungen im Journalismus aus der Geschlechterperspektive zu analysieren.
Dies betrifft zum einen die stärkere Berücksichtigung der intersektionalen Betrach-
tung, denn Studien zu Migrantinnen in der Medienproduktion stehen erst am
Anfang. Auch der Umstand, dass sich Journalistinnen zunehmend sexualisierten
Angriffen im Netz ausgesetzt sehen und antifeministische Bewegungen zunehmen,
ist eine neue Herausforderung für Journalistinnen. Zum anderen geht es um den
gesamten Bereich der Digitalisierung. Durch die zunehmende partielle Übernahme
der Medienproduktion durch Maschinen, wo mittels Roboter-Journalismus Algo-
rithmen zur Suche, zum Sortieren und zur Erstellung von News eingesetzt werden,
werden Kenntnisse aus der Informatik immer wichtiger (Thurman et al. 2017).

Literatur
Adams, Catherine. 2017. „They go for gender first“. The nature and effect of sexist abuse of female
technology journalists. Journalism Practice. https://doi.org/10.1080/17512786.2017.1350115.
Anczikowski, Katharina. 2008. Berufsrolle und Selbstverständnis von Technikjournalisten. In
Technikjournalismus, Hrsg. Andreas Schümchen und Deutscher Fachjournalistenverband,
17–28. Konstanz: UVK.
Ang, Ien, und Joke Hermes. 1994 [1991]. Gender and/in media consumption. In Gender und
Medien. Theoretische Ansätze, empirische Befunde und Praxis der Massenkommunikation,
Hrsg. Marie-Luise Angerer und Johanna Dorer, 114–133. Wien: Braumüller.
Angerer, Marie-Luise. 1994. Ohne Echo – ohne Hall. Medialer Feminismus am Beispiel des
Österreichischen Rundfunks. In Medien und Gender. Theoretische Ansätze, empirische Befunde
und Praxis der Massenkommunikation, Hrsg. Marie-Luise Angerer und Johanna Dorer, 77–93.
Wien: Braumüller.
Angerer, Marie-Luise, und Susanne Lummerding. 1995. Frauen in der österreichischen Kulturin-
dustrie. Wien: Bundeskanzleramt.
Antunovic, Dunja. 2018. „We wouldn’t say it to your facees“: Online harassment, women sports
journalists, and feminism. Feminist Media Studies. https://doi.org/10.1080/14680777.2018.1446454.
Barton, Alan, Hannah Strom, und IWMF. 2014. Violence and harassment against women in the
news media. A global picture, Hrsg. International Women’s Media Foundation. https://www.
284 S. Keil und J. Dorer

iwmf.org/wp-content/uploads/2014/03/Violence-and-Harassment-against-Women-in-the-News-
Media.pdf. Zugegriffen am 18.03.2018.
Bok, Anna. 2013. Frauen in führenden Positionen im Journalismus. Eine empirische Untersuchung
in Redaktionen in Deutschland. Unveröffentlichte Masterarbeit, Universität Hamburg.
Byerly, Carolyn M. 2014a. Women and media control. Feminist interrogations at the macro-level. In
The Routledge companion to media and gender, Hrsg. Cynthia Carter, Linda Steiner, und Lisa
McLaughlin, 105–115. London/New York: Routledge.
Byerly, Carolyn M. 2014b. Media conglomeration and women’s interests: A global concern.
Feminist Media Studies 14(2): 322–326.
Byerly, Carolyn M., und IWMF. 2011. Global report on the status of women in the news media.
Washington: Unesco, International Women’s Media Foundation. https://www.iwmf.org/our-
research/global-report/. Zugegriffen am 30.01.2018.
Degele, Nina. 2008. Gender/Queer studies. Paderborn: Fink, UTB.
Dingerkus, Filip, Guido Keel, und Vinzenz Wyss. 2016. Country Report: Journalists in Switzerland.
Worlds of Journalism Study. https://www.zhaw.ch/storage/linguistik/forschung/journalistik/
Swiss_Journalists_Report_Switzerland_IAM_ZHAW.pdf. Zugegriffen am 30.01.2018.
Djerf-Pierre, Monika. 2011. The difference engine. Gender equality, journalism and the good
society. Feminist Media Studies 11(1): 43–52.
Dorer, Johanna. 2001. Aus- und Weiterbildung für Journalistinnen und Journalisten. Historische
Entwicklung und Stand der Ausbildungssituation in Österreich. Publizistik 46(4): 383–402.
Dorer, Johanna. 2002. Berufliche Situation österreichischer Journalistinnen. Eine Bestandsauf-
nahme empirischer Befunde. In Feministische Kommunikations- und Medienwissenschaft.
Ansätze, Befunde und Perspektiven der aktuellen Entwicklung, Hrsg. Johanna Dorer und
Brigitte Geiger, 138–169. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Dorer, Johanna. 2004. Öffentlichkeit oder Journalismus. Anmerkungen zu einem geschlechtlich
codierten Verhältnis. In Quo vadis Public Relations? Hrsg. Juliana Raupp und Joachim Klewes,
79–98. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Dorer, Johanna. 2017. Geschlechterverhältnisse in Medienorganisationen. Wie weiter? In Was
bleibt vom Wandel, Hrsg. Susanne Kirchhoff, Dimitri Prandner, Rudolf Renger, Gerit Götzen-
brucker, und Ingrid Aichberger, 159–178. Baden-Baden: Nomos.
Dorer, Johanna, Gerit Götzenbrucker, und Roman Hummel. 2017. Politik mit Berühmtheit. Promi-
Journalisten und -Journalistinnen in der politischen Arena. Medien Journal 41(4): 17–32.
European Institute for Gender Equality (EIGE). 2013. Women and the media. Advancing gender
equality in desicion-making in media organisations. Luxembourg: Publications Office of the
European Union. http://EIGE.europa.eu/sites/default/files/documents/MH3113742ENC-Women-
and-Media-Report-EIGE.pdf. Zugegriffen am 30.01.2018.
Fröhlich, Romy. 1995. Ausbildung für Kommunikationsberufe. In Frauen und Medien. Eine
Synopse der deutschen Forschung, Hrsg. Romy Fröhlich und Christina Holtz-Bacha, 97–135.
Opladen: Westdeutscher Verlag.
Fröhlich, Romy, und Sue Lafky. 2008. Women journalists in the western world. What surveys tell
us. Cresskill: Hampton Press.
GMMP. 2005. Who makes the news. Global media monitoring project. Hrsg. World Association for
Christian Communication, London. http://cdn.agilitycms.com/who-makes-the-news/Imported/
reports_2005/gmmp-report-en-2005.pdf. Zugegriffen am 18.03.2018.
GMMP. 2015. Who makes the news. Global Media Monitoring Project. Hrsg. World Association
for Christian Communication, London. http://cdn.agilitycms.com/who-makes-the-news/Impor
ted/reports_2015/global/gmmp_global_report_en.pdf. Zugegriffen am 18.03.2018.
Holtz-Bacha, Christina. 1994. Wenn Frauen den Journalismus erobern oder: Was bringt die
Quotierung. In Gender und Medien. Theoretische Ansätze, empirische Befunde und Praxis
der Massenkommunikation, Hrsg. Marie-Luise Angerer und Johanna Dorer, 102–109. Wien:
Braumüller.
Hummel, Roman, Susanne Kirchhoff, und Dimitri Prandner. 2012. „We used to be queens and now
we are slaves.“ Working conditions and career strategies in the journalistic field. Journalism
Practice 6(5–6): 722–731.
Medienproduktion: Journalismus und Geschlecht 285

Hummel, Roman, Susanne Kirchhoff, und Dimitri Prandner. 2013. Medienkarrieren im Umbruch.
Projektbericht. Salzburg. http://www.uni-salzburg.at/fileadmin/multimedia/Kommunikationswissen
schaft/documents/Aktuelles/PR/MedienkarrierenUmbruch_2013.pdf. Zugegriffen am 30.01.2018.
Kaltenbrunner, Andy, Matthias Karmasin, Daniela Kraus, und Astrid Zimmermann. 2008. Der
Journalisten-Report. Österreichs Medien und ihre Macher. Wien: facultas.
Keil, Susanne. 1992. Gibt es einen weiblichen Journalismus? In Der andere Blick, Hrsg. Romy
Fröhlich, 37–54. Bochum: Brokmeyer.
Keil, Susanne. 2000. Einsame Spitze? Frauen in Führungspositionen im öffentlich-rechtlichen
Rundfunk. Münster/Hamburg/London: LIT.
Keil, Susanne. 2001. Medienfrauen in Führungspositionen. „Gibt es einen weiblichen Journalis-
mus?“ revisited. In Kommunikationswissenschaft und Gender Studies, Hrsg. Elisabeth Klaus,
Jutta Röser, und Ulla Wischermann, 144–162. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Keil, Susanne. 2002. Medientheorie und ‚Geschlecht‘. In Gesellschaftstheorie und Mediensystem.
Interdisziplinäre Zugänge zur Beziehung von Medien, Journalismus und Gesellschaft, Hrsg.
Claus Eurich, 85–98. Münster/Hamburg/London: LIT.
Kinnebrock, Susanne. 2008. Journalismus als Frauenberuf anno 1900: Eine quantitativ inhaltsana-
lytische sowie quellenkritische Auswertung des biografischen Lexikons „Frauen der Feder“.
RatSWD Research Note 21:2–22.
Kinnebrock, Susanne, Wolfgang Duchkowitsch und Christian Schwarzenegger. 2009a. Revisiting
journalism as a profession in the 19th century: Empirical findings on women journalists in
Central Europe. The European Journal of Communication Research 34(2): 107–124. https://doi.
org/10.1515/comm.2009.009.
Kinnebrock, Susanne, Wolfgang Duchkowitsch, und Christian Schwarzenegger, Hrsg. 2009b.
Journalism as a female profession. medien & zeit 24(2).
Kinnebrock, Susanne, Wolfgang Duchkowitsch, und Christian Schwarzenegger, Hrsg. 2009c.
Journalismus als Frauenberuf. medien & zeit 24(3).
Klaus, Elisabeth. 2002. Aufstieg zwischen Nähkränzchen und Männerkloster. Geschlechterkon-
struktionen im Journalismus. In Feministische Kommunikations- und Medienwissenschaft.
Ansätze. Befunde und Perspektiven der aktuellen Entwicklung, Hrsg. Johanna Dorer und
Brigitte Geiger, 170–190. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Klaus, Elisabeth. 2005 [1998]. Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung. Zur
Bedeutung der Frauen in den Massenmedien und im Journalismus. Ak. u. korr. Neuaufl.
Münster/Hamburg/London: Lit.
Klaus, Elisabeth. 2008 [1996]. Der Gegensatz von Information ist Desinformation, der Gegensatz
von Unterhaltung ist Langeweile. In Medien – Politik – Geschlecht. Feministische Befunde zur
politischen Kommunikationsforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, und Regina Köpl,
51–64. Wiesbaden: Springer.
Klaus, Elisabeth, und Susanne Kirchhoff. 2016. Journalismustheorien und Geschlechterforschung.
In Handbuch Journalismustheorien, Hrsg. Martin Löffelholtz und Liane Rothenberger,
523–536. Wiesbaden: Springer.
Klaus, Elisabeth, und Ulla Wischermann. 2013. Journalistinnen. Eine Geschichte in Biographien
und Texten 1848–1990. Berlin/Münster/Wien/Zürich/London: LIT.
Klaus, Elisabeth, Angelika Engler, Alexa Godbersen, Annette Lehmann, und Anja Meyer, Hrsg.
1993. „Wir waren ja die Trümmerfrauen in diesem Beruf“. Medienfrauen der ersten Stunde.
Dortmund: Edition Ebersbach.
Leonarz, Martina. 2010. Journalistinnen in der Schweiz avanciert. Medienheft 2:1–12. http://www.
medienheft.ch/uploads/media/2010_LeonarzMartina_02.pdf. Zugegriffen am 30.01.2018.
Lohmann, Marie-Isabell, und Josef Seethaler. 2016. Journalists in Austria. Country Report der
Worlds of Journalism Study. https://epub.ub.uni-muenchen.de/30966/1/Country_report_Aust
ria.pdf. Zugegriffen am 30.01.2018.
Lünenborg, Margreth. 1997. Journalistinnen in Europa. Eine international vergleichende Analyse
zum Gendering im sozialen System Journalismus. Opladen: Westdeutscher Verlag.
286 S. Keil und J. Dorer

Lünenborg, Margreth. 2001. Geschlecht als Analyseperspektive in der Journalismusforschung. In


Kommunikationswissenschaft und Gender Studies, Hrsg. Elisabeth Klaus, Jutta Röser, und Ulla
Wischermann, 124–143. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Lünenborg, Margreth. 2008. Die Aufmacher. Geschlechterverhältnisse im Politikressort. In Medien
– Politik – Geschlecht. Feministische Befunde zur politischen Kommunikationsforschung, Hrsg.
Johanna Dorer, Birigtte Geiger, und Regina Köpl, 155–171. Wiesbaden: Springer VS.
Lünenborg, Margreth, und Tanja Maier. 2013. Gender Media Studies. Eine Einführung. Konstanz:
UVK.
Neverla, Irene, und Gerda Kanzleiter. 1984. Journalistinnen. Frauen in einem Männerberuf.
Frankfurt a. M.: Campus.
North, Louise. 2007. Newsroom discourse of sexually harassing behaviour. Feminist Media Studies
7(1): 81–96.
North, Louise. 2016. Damaging and daunting: Female journalists’ experiences of sexual harassment
in the newsroom. Feminist Media Studies 16(3): 459–510.
Prandner, Dimitri, und Martina Letter. 2012. Jung, weiblich und Journalistin: Endstation Prekariat?
momentum 1(3): 153–164.
Pro Quote. 2018. „Der Spiegel“ und „Stern Online“ liegen beim Frauenmachtanteil an der Spitze.
Pressemitteilung vom 15. August 2018. https://www.pro-quote.de/der-spiegel-und-stern-online-
haben-die-meisten-frauen-in-fuehrungspositionen/. Zugegriffen am 13.03.2023.
Ross, Karen. 2004. Sex at work: Gender politics and newsroom culture. In Gender and newsroom
cultures: Identities at work, Hrsg. Marijan de Bruin und Karen Ross, 145–162. Cresskill:
Hampton Press.
Ross, Karen. 2014. Women in media industries in Europe: What’s wrong with this picture. Feminist
Media Studies 14(2): 326–330.
Schoon, Wiebke. 2009. Gendering im Berufsfeld Journalismus: Ein Überblick über Empirie und
Theorie sowie die Integration der Sozialtheorie Pierre Bourdieus. Münster: LIT.
Seethaler, Josef, und Christian Oggolder. 2009. Die Stellung der Frau in der Wiener Tagespresse der
Ersten Republik. Medien Journal 24(3): 4–16. Ebenso in: Westminster Papers in Communica-
tion and Culture 8(3): 73–98. https://doi.org/10.16997/wpcc.134.
Steindl, Nina, Corinna Lauerer, und Thomas Hanitzsch. 2017. Journalismus in Deutschland.
Aktuelle Befunde zu Kontinuität und Wandel im deutschen Journalismus. Publizistik 62(4):
401–423. https://doi.org/10.1007/s11616-017-0378-9.
Steiner, Linda. 2014. Glassy architectures in journalism. In The Routledge companion to media and
gender, Hrsg. Cynthia Carter, Linda Steiner, und Lisa McLaughlin, 620–631. London/New York:
Routledge.
Thurman, Neil, Konstantin Dörr, und Jessica Kunert. 2017. Journalists get hands-on with robo-
writing. Professionals consider news automation’s capabilities and consequences. Digital Jour-
nalism 5(10): 1240–1259.
Weish, Ulrike. 2003. Konkurrenz in Kommunikationsberufen. Kooperationsstrukturen und Wett-
bewerbsmuster im österreichischen Journalismus. Wiesbaden: Deutscher Universitätsverlag.
Worlds of Journalism Study. 2016. Sociodemographic backgrounds. http://www.worldsofjourna
lism.org/research/2012-2016-study/data-and-key-tables/. Zugegriffen am 30.01.2018.
Wyss, Vinzenz, und Guido Keel. 2010. Schweizer Journalismuskulturen im sprachregionalen
Vergleich: Eine quantitative Längsschnittuntersuchung zu Strukturmerkmalen und Einstellun-
gen. In Medienkultur im Wandel, Hrsg. Andreas Hepp, Marco Höhn, und Jeffrey Wimmer,
245–260. Konstanz: UVK.
Berufsfeld Öffentlichkeitsarbeit/PR
und Geschlecht

Romy Fröhlich

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
2 Feminisierung der PR – Zur Komplexität von Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
3 Studien der deutschsprachigen Forschung zur Feminisierung der PR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
4 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298

Zusammenfassung
Die frühen Arbeiten der deutschsprachigen PR-Feminisierungsforschung erweisen sich
im Rückblick als starker Impulsgeber für die allgemeine PR-Berufsfeldforschung in
Deutschland, Österreich und der Schweiz. Mittlerweile hat sich die deutschsprachige
PR-Geschlechterforschung von den angloamerikanischen Vorbildern emanzipiert und
kann auf eine eigenständige Forschungstradition zurückblicken. Der Beitrag skizziert
die wichtigsten Etappen und Erkenntnisse dieser Entwicklung und kontrastiert sie, wo
sinnvoll und nötig, mit der entsprechenden angloamerikanischen Forschung.

Schlüsselwörter
PR-Berufsfeldforschung · Geschlechterforschung · Feministische Ansätze ·
Feminisierung · Gender-switch · Doing gender · Horizontale und vertikale
Segmentation

R. Fröhlich (*)
Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung, LMU München, München,
Deutschland
E-Mail: romy.froehlich@ifkw.lmu.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 287
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_46
288 R. Fröhlich

1 Einleitung

Geschlecht als Thema im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit/PR taucht erstmals im


Zusammenhang mit der Debatte um die Feminisierung des Berufsfelds auf. Den
Beginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzung im deutschsprachigen Raum
markieren die Beiträge von Fröhlich und Creedon (1990, 1993; Fröhlich 1994).
Sie diskutieren US-Befunde, in denen ein starker Anstieg von Frauen im PR-Be-
rufsfeld überwiegend negativ interpretiert wurde. Die Debatte war gekennzeichnet
von Befürchtungen über einen Zusammenhang zwischen dem steigenden Frauenan-
teil in den PR einerseits sowie sinkendem gesellschaftlichen Ansehen, abnehmen-
dem organisationalen Einfluss, niedrigen Gehältern und Prestigeverlust für den
gesamten PR-Berufsstand andererseits. Die ersten kommunikationswissenschaftli-
chen Arbeiten zur deutschsprachigen PR-Geschlechter-Forschung erschienen dann
Anfang bis Mitte der 1990er-Jahre (Baerns 1991; Dorer 1995) – z. T. auch schon mit
ersten empirischen Befunden über Zuschreibungen zu Tätigkeits- und Expertisekon-
zepten von Männlichkeit und Weiblichkeit in den PR (Dees 1996; Dees und Döbler
1997). Diese frühen Arbeiten der PR-Feminisierungsforschung haben auch den
Anstoß für die deutschsprachige PR-Berufsfeldforschung allgemein gegeben.
Der seit dem Ende der 1990er-Jahre beobachtbare Trend eines steigenden Frau-
enanteils führte zu zahlreichen Studien, die mehr (Redlich 1995; Fröhlich et al.
2005; Schiel und Pawlitzek 2012) oder weniger (Röttger 2000; Wienand 2003;
Bentele et al. 2005, 2007, 2008, 2009, 2012, 2015) explizit den anhaltenden
Feminisierungstrend des Berufsstands PR in Deutschland statistisch begleiteten.
Auch in Österreich (Dorer 1995, 2004; Zowack 2000; Sigl 2011) und der Schweiz
(Röttger et al. 2003) folgten überwiegend deskriptiv angelegte Berufsfeldstudien,
wenn diese auch nicht in jedem Fall explizit genderspezifisch angelegt waren
und/oder nur spezielle Branchensegmente des Berufsfelds untersuchten. In keinem
anderen Berufsfeld zeichnete sich innerhalb eines Jahrzehnts ein derart klar erkenn-
barer gender-switch – ein Geschlechterwechsel von einem Männerberuf hin zu
einem Frauenberuf – ab. (Fröhlich 2015, S. 670).
In Deutschland ist aktuell von einem Frauenanteil von mindestens 53 % auszu-
gehen, wobei er in bestimmten Branchen-Bereichen wie z. B. im Agentursegment
mit 69 % deutlich überdurchschnittlich ausfällt, im öffentlichen Dienst mit 38 %
unterdurchschnittlich (Fröhlich et al. 2005, S. 81). Die Zahlen von Fröhlich et al.
(2005) sind bisher die einzigen repräsentativen für Deutschland.1 Für Österreich und
die Schweiz liegen bisher keine repräsentativen Zahlen vor. Die Feminisierung der
PR ist aber ein internationaler Trend. Je nach Land schwanken die Frauenanteile
zwischen 75 % in Australien und 57 % in Italien (Fröhlich 2015, S. 669–670, 675).
Und auch im internationalen Vergleich bestätigt sich der Befund von Fröhlich et al.

1
Der von Bentele et al. 2015 ermittelte Frauenanteil von 57 % repräsentiert lediglich die Rücklauf-
quote aus der Befragung der Autoren. Außerdem sind Befragungen von Mitgliedern berufsständi-
scher Vereinigungen nicht repräsentativ für das Berufsfeld insgesamt. Die überwiegende Zahl der
Studien wählt aber genau diesen Feldzugang, weil sich damit der Rekrutierungsaufwand in Grenzen
hält.
Berufsfeld Öffentlichkeitsarbeit/PR und Geschlecht 289

(2005): Zwischen einzelnen Berufssegmenten gibt es z. T. erhebliche Unterschiede


(z. B. PR-Agenturen vs. PR-Abteilungen in Unternehmen; Wirtschaft vs. non-profit
Organisationen).
Vor diesem Hintergrund macht die Feminisierungsforschung mittlerweile den
Großteil der deutschsprachigen und internationalen PR-Berufsfeldforschung allge-
mein aus. Entwicklung und Genese der deutschsprachigen Forschung sind ohne die
einschlägigen angloamerikanischen Studien-Kontexte nur schwer nachvollziehbar,
sodass im Folgenden, wo nötig und angebracht, Bezüge zur angloamerikanischen
Forschung hergestellt werden. Nur so können originäre Entwicklungen und Leis-
tungen der deutschsprachigen PR-Forschung verdeutlicht und adäquat eingeordnet
werden.

2 Feminisierung der PR – Zur Komplexität von


Begrifflichkeiten

2.1 Quantitative und qualitative Feminisierung

Was wird unter der ‚Feminisierung‘ des PR-Berufsfelds verstanden? Zunächst muss
man zwischen quantitativer und qualitativer Feminisierung unterscheiden. Fröhlich
(2015, S. 670) bestimmt quantitative Feminisierung eines Berufsfelds als „die
Entwicklung einer überdurchschnittlich starken quantitativen Zunahme weiblicher
Berufstätiger. Als Referenzebene für ‚überdurchschnittlich‘ können dabei (. . .) ent-
weder Vergleiche mit entsprechenden Feminisierungsentwicklungen in der Arbeits-
welt allgemein oder speziell mit entsprechenden Entwicklungen in ähnlichen oder
vergleichbaren Berufen dienen.“ Wie Fröhlich zeigt, verläuft die quantitative Femi-
nisierung der PR in Deutschland in diesem Sinne tatsächlich überdurchschnittlich.
Ihren Recherchen zufolge hat in keinem anderen Berufsfeld und damit auch in
keinem anderen vergleichbaren Beruf wie z. B. dem Journalismus in den letzten
Jahrzehnten der Anteil weiblicher Berufstätiger so stark zugenommen wie in der PR.
Als qualitative Feminisierung der PR definiert Fröhlich (2015, S. 671) „Entwick-
lungen und Phänomene (. . .), die sich als Folge der rein quantitativen Feminisierung
eines Berufsfeldes unter inhaltlichen, handwerklichen oder berufsständischen
Aspekten zeigen und ergeben wie z. B. die (mögliche) Veränderung organisationaler
Prozesse, der Abläufe, Handlungsweisen oder des Verhaltens (. . .), die (mögliche)
Entstehung eines neuen Berufsverständnisses, die Herausbildung neuer/anderer
ethischer Handlungsüberzeugungen usw. Qualitative Feminisierung steht also für
die (beobachtbaren oder angenommenen) Veränderungen in der Anwendung und
Ausübung eines Berufs, wenn dieser einen deutlichen Anstieg des Anteils von
Frauen unter den Beschäftigten verzeichnet“.
In der US-amerikanischen PR-Berufsfeldforschung wurde die qualitative Femi-
nisierung der PR erstmals Anfang der 1990er-Jahre thematisiert und hierzu eine
optimistische Perspektive entwickelt. Im Fokus stand die These, dass Frauen im
Vergleich zu Männern über bessere kommunikative Kompetenzen verfügten, wovon
das PR-Berufsfeld nur profitieren könne. In der Folge erschienen zahlreiche theore-
290 R. Fröhlich

tische Arbeiten, die die quantitative Feminisierung der PR mit der These von der
qualitativen Verbesserung des Handelns und Verhaltens der PR-Branche insgesamt
in Verbindung brachten (z. B. Aldoory 1998, 2005; Aldoory und Toth 2002; O’Neil
2003). Die Vertreterinnen dieser Sichtweise gehen davon aus, dass es so etwas wie
ein typisch „weibliches Kommunikations- und Handlungsverhalten“ gibt, das inso-
fern für den PR-Beruf von großem Vorteil ist, da es hier um Konfliktvermeidungs-
und -reduktionskompetenz, um ausgleichende und wertschätzende Kommunikation,
um Beschwichtigung und Kompromiss geht. Frauen, so die These, würden das
besser beherrschen als Männer, deren Kommunikation und Verhalten/Handeln eher
auf Wettbewerb und Dominanz ausgerichtet seien. Die quantitative Feminisierung
der PR verschaffe also „feminist values“ den Durchbruch im Berufsfeld (Grunig
et al. 2000), wodurch es zu einem qualitativ aufgewerteten, ethischeren PR-Handeln
komme, das intendierte persuasive Wirkungen von PR besser, schneller und nach-
haltiger erreichen könne als männlich geprägte PR (Hon et al. 1992; Creedon 1991).
Hon (1995) sprach in diesem Zusammenhang von einer „feminist theory of women
in public relations“, Grunig et al. (2000, S. 63) von der „revolution of the heart“.
Damit wurde den bis dahin überwiegend negativ interpretierten Folgen der quanti-
tativen Feminisierung eine explizit positive Perspektive entgegengesetzt. Diese
frühen theoretischen Ansätze der US-amerikanischen Forschung zur qualitativen
Feminisierung der PR wurden dort nicht wirklich weiterverfolgt. Einige empirische
Studien der US-amerikanischen Forschung belegten aber, dass Frauen und Männer
in den PR zum Teil sehr unterschiedliche Vorstellungen vom Beruf haben und auch
unterschiedliche Erfahrungen mit und im PR-Beruf machen (z. B. Krider und Ross
1997; Aldoory und Toth 2004; Choi und Hon 2002; Andsager und Hust 2005). Ohne
es explizit zu benennen, lieferten diese Studien damit erste Hinweise auf Doing
gender-Prozesse, wonach das soziale Geschlecht nicht als eine biologisch vorgege-
bene, unveränderbare Eigenschaft, sondern als das Produkt performativer Tätigkei-
ten, gesellschaftlicher Zuschreibungen, kultureller Normen etc. verstanden wird und
diese die Eigenwahrnehmung und Fremdwahrnehmung beeinflussen.

2.2 Horizontale und vertikale Segmentation

Die quantitative Feminisierung hat bisher weder in den USA noch im deutschsprachi-
gen Raum zu einer gleichberechtigten Verteilung der Geschlechter auf unterschiedlichen
Hierarchiestufen geführt. Obwohl PR-Frauen die Mehrheit im Berufsfeld stellen, schei-
nen sie im Laufe ihrer Berufskarriere an die sogenannte gläserne Decke (glass ceiling)
zu stoßen. Die gesellschaftlichen, organisationalen und strukturellen Ursachen für die
unsichtbare Barriere sind für die Betroffenen selbst oft schwer zu identifizieren. Diese
vertikale Arbeitsmarktsegmentation zeigt sich beispielsweise bei den 30 Dax-Un-
ternehmen, die nur zu 10 % Kommunikationschefinnen haben (Ernst 2013).
Darüber hinaus hat die quantitative Feminisierung der PR bisher auch nicht zu einer
gleichberechtigten Verteilung der Geschlechter über unterschiedliche Teilsegmente
des Berufsfelds geführt. Diese horizontale Segmentation zeigt sich z. B. bei
PR-Agenturen im Vergleich zu PR-Abteilungen in Unternehmen: PR-Frauen arbeiten
Berufsfeld Öffentlichkeitsarbeit/PR und Geschlecht 291

deutlich häufiger als PR-Männer in weniger prestigeträchtigen und schlechter bezahl-


ten PR-Arbeitsfeldern (Fröhlich et al. 2005, S. 81). Die PR-Branche ist also trotz
Feminisierung von einer vertikalen und horizontalen Segmentation gekennzeichnet.
Dieser Befund gilt auch international.
Angesichts der schon lange sichtbaren hohen Frauenanteile in der PR-Ausbildung
und beim Berufseinstieg wäre zu erwarten, dass eine vertikale und horizontale
Segmentation im PR-Berufsfeld seltener vorkommt als in männerdominierten Beru-
fen. In den USA ist der gender-switch spätestens seit Mitte der 1980er-Jahre sowohl
im PR-Berufsfeld als auch überdeutlich in der PR-Ausbildung (Dozier 1988) ein
Fakt. Auch in Deutschland hätte der hohe Frauenanteil, der in der PR-Ausbildung
schon vor 25 Jahren bis zu 79 % je nach Ausbildungsprogramm erreichte (Fröhlich
2002, S. 226–228) und im Berufseinstieg bereits vor 15 Jahren 62 % ausmachte
(Fröhlich et al. 2005, S. 83), längst zu einer adäquaten Geschlechterverteilung über
Hierarchien und Segmente hinweg führen müssen. Und in Folge dieser Entwicklung
hätten sich auch Gehaltsunterschiede zwischen den Geschlechtern schon längst
angleichen müssen.2 Auch im Zusammenhang mit der These, dass Frauen die
besseren Kommunikatorinnen wären, hätten PR-Frauen in den letzten Jahren auf
den Hierarchieleitern in Agenturen und organisationalen PR-Abteilungen schon längst
in großer Zahl nach oben kommen müssen, und sie müssten auch gleichberechtigter
bezahlt werden, als es tatsächlich der Fall ist. In US-amerikanischen Studien wurden
zur Klärung karriererelevanter Unterschiede zwischen PR-Frauen und -Männer schon
früh einschlägige Faktoren wie Alter, Ausbildung, Teilzeit bzw. Karriereunterbrechun-
gen, Dauer der Berufszugehörigkeit etc. kontrolliert; überwiegend blieb nur die
Kategorie Geschlecht als Erklärung übrig (z. B. Aldoory und Toth 2002, S. 122).
Deshalb kritisiert die einschlägige PR-Forschung einen allzu unbekümmerten
Umgang mit dem Begriff Feminisierung (Grunig et al. 2002, S. 183), weil er über
die weiter bestehende vertikale und horizontale Segmentation hinwegtäusche.

3 Studien der deutschsprachigen Forschung zur


Feminisierung der PR

Die frühen angloamerikanischen Berufsfeldstudien zur Feminisierung der PR haben


die deutschsprachige Medien- und Kommunikationsforschung zu eigenen deskrip-
tiven Studien inspiriert. Wie bereits gezeigt, ergaben sich dabei ganz ähnliche
Befunde. Auf Basis dieser Arbeiten der 1990er-Jahre folgten theoretische und

2
Laut aktuellster Erhebung von Bentele et al. (2015) beträgt in Deutschland der pay-gap zwischen
PR-Frauen und -Männern brutto € 20.000/Jahr. Er lässt sich datenanalytisch nicht allein durch
höhere Teilzeitquoten, niedrigeres Alter und niedrigere Positionen bei Frauen erklären (vgl. auch
Fröhlich et al. 2005, S. 86–98). Dieser Unterschied hat sich im Laufe der letzten zehn Jahre kaum
verändert. Hassenstein (2016) konnte zeigen, dass Alter, Berufserfahrung und Leitung bei männ-
lichen Pressesprechern den größten Einfluss auf die Höhe ihres Einkommens haben, bei Presse-
sprecherinnen dagegen nicht. Zum gender pay-gap im britischen Berufsfeld siehe CIPR 2018, CIPR
& WIPR 2017, PRCA 2018.
292 R. Fröhlich

empirische Studien, anhand derer man erkennen kann, dass sich das deutschspra-
chige Feld vom angloamerikanischen zu emanzipieren begann.

3.1 Gendering, doing gender und Dekonstruktion als


Erklärungsansätze

Am Anfang stand die Kritik an der bestehenden US-amerikanischen Forschung. Ihr


wurde vor allem entgegengehalten, sich zu sehr auf Rollen- und Managementtheo-
rien zu konzentrieren und Aspekte wie z. B. organisationale, ökonomische und
gesellschaftliche (Macht)Strukturen auszublenden. Röttger (2001) beklagt zudem,
dass so der Prozess des Gendering nicht hinreichend analysiert werden könne.
Zeitgleich kritisiert auch Lüdke (2001), dass die US-amerikanischen Studien neuere
Erkenntnisse der feministischen Forschung weitgehend ignorieren würden. Sie
fordert eine radikale Dekonstruktion der PR-Feminisierungsforschung amerikani-
scher Prägung und empfiehlt, die immer wieder bemühten theoretischen Ansätze,
nämlich das Rollenkonzept (Dozier und Broom 1995) sowie das PR-Exzellenz-
projekt und das Professionalisierungsparadigma (Grunig et al. 2000, 2001) in Hin-
blick auf deren Brauchbarkeit für die Feminisierungsforschung zu hinterfragen
(Lüdke 2001, S. 182).
Diese nur in der deutschsprachigen Literatur geführte kritische Debatte der
angloamerikanischen Forschung konnte international nicht rezipiert werden. Dass
die ForscherInnen in den USA und UK entsprechende kritische Ansätze nicht auch
autonom entwickelt haben, ist erstaunlich, denn die Mehrzahl dieser frühen Studien
verweist ja selbst darauf, dass Geschlecht sozial konstruiert ist. Für entsprechende
theoretische und methodologische Konzeptionen blieb diese Erkenntnis dann aber
weitgehend folgenlos.
Kürzlich legte schließlich Kim Golombisky (2015) eine fundamentale und für die
zukünftige PR-Forschung richtungsweisende Aufarbeitung dieser Defizite vor. Sie
kritisiert an der bisherigen angloamerikanischen PR-Feminisierungsforschung, dass
sie zu stark auf PR-PraktikerInnen (Mikro-Ebene; vor allem den „(w)hite heterose-
xual able-bodied professional“, Golombisky 2015, S. 390) und (PR-)Organisationen
(Meso-Ebene) fokussiere, anstatt auch die Zielgruppen von PR zu betrachten. Ferner
kritisiert sie an der Forschung, dass ganz überwiegend (nur) soziologische und hin
und wieder psychologische Modelle und Verständnisse von Gender rezipiert würden
und im Übrigen die Forschung im ‚weißen‘ Kosmos der führenden Industrienationen
verharre (first world) und nur äußerst selten Gender überhaupt definiere.3 Ein
weiterer zentraler Kritikpunkt ist, dass bisherige PR-Berufsfeldforschung überwie-
gend (nur) auf liberale oder radikale Feminismus-Theorien zurückgreife, die aber

3
Ähnlich kritisch äußert sich auch Fitch (2015). Sie verbindet feministische PR-Feminisierungs-
ansätze mit Makro-Ansätzen zur Funktion von PR für und in modernen Gesellschaften und grenzt
die feministisch orientierte PR-Berufsfeldforschung ab zu patriarchalen und kapitalistischen Ideo-
logien theoretischer und angewandter PR.
Berufsfeld Öffentlichkeitsarbeit/PR und Geschlecht 293

nur die Sichtweise der „first world notions of equality“ (S. 390) zuließen. Golom-
bisky (2015) schlägt vor, die Perspektive von ‚gender equality‘ hin zu ‚social justice‘
zu ändern. Die Perspektive der sozialen Gerechtigkeit, so die Autorin, böte viel eher
die Möglichkeit einer umfassenderen Betrachtung von Menschen und Publika – nun
auch unter intersektionalen Aspekten (Alter, Ethnie, Geschlecht, sexuelle Orien-
tierung etc.) – und schließe darüber hinaus auch die Betrachtung von PR als
berufliche Praxis, als wissenschaftliche Disziplin und als soziales Phänomen mit
ein. Zugleich warnt sie davor, hierbei ein allzu europäisches Verständnis von sozialer
Gerechtigkeit zugrunde zu legen, was einmal mehr zur Exklusion von Sichtweisen
aus anderen Regionen der Welt führen würde.
Demgegenüber hat die deutschsprachige PR-Feminisierungsforschung schon
deutlich früher die theoretischen Lücken der angloamerikanischen Forschung
benannt und entsprechende theoretische Ansätze entworfen. Bereits zur Jahrtausend-
wende entwickelte Fröhlich (2001, 2002, 2004, 2015; Fröhlich et al. 2005,
S. 140–158) ihre These zur „Freundlichkeitsfalle“, in der sie speziell die Annahmen
der US-amerikanischen Forschung über die (vermeintlich) besseren Kommunika-
tionstalente von PR-Frauen im Vergleich zu PR-Männern auf den Prüfstand stellte
und sich kritisch mit den Behauptungen zu ‚feminist values in PR‘ und zur ‚revo-
lution of the heart‘ auseinandersetzte. Der Ansatz der „Freundlichkeitsfalle“ geht
nicht von ‚natürlich‘ gegebenen weiblichen Fähigkeiten aus, sondern davon, dass es
der geschlechtsspezifische Mythos von den vermeintlich besseren Kommunikations-
fähigkeiten von Frauen ist, der PR-Praktikerinnen unvorteilhafte Stereotypisierun-
gen zuschreibt und so zu Diskriminierungen führt. Wer zulässt, dass man ihr eine
bessere Kommunikationsfähigkeit als Männern zuschreibt – unabhängig von den
tatsächlichen Fähigkeiten – und wer sich dann auch zulange darauf verlässt, dass
diese Fremdzuschreibung einen Qualifikationsvorsprung gegenüber männlichen
Kollegen darstellt, geht in die Falle dieses spezifischen Doing-gender-Prozesses:
Die zugeschriebenen und möglicherweise in der Sozialisation erworbenen Fähigkei-
ten mögen vielleicht beim Einstieg helfen, werden aber beim Verbleib im Beruf und
Aufstieg zu einem Nachteil, „wenn der ‚weiche‘ Kommunikationsstil von Frauen
(. . .) mit mangelnder Durchsetzungs- und Konfliktfähigkeit oder schwach ausgebil-
deten Führungsqualitäten gleichgesetzt wird – ein Effekt, den ich als ‚Freundlich-
keitsfalle‘ bezeichne: Die betroffenen Frauen müssen und können ohne Probleme
den zunächst an sie gestellten Erwartungen gerecht werden, und zwar nicht zuletzt
auch deshalb, weil diese externe Erwartungshaltung durchaus auch ihrer eigenen
entspricht (. . .). Sie verlassen sich dann aber wohl zu lange Zeit darauf, dass es
gerade ihre geschlechtsspezifischen kommunikativen Fähigkeiten sind, die ihnen das
Fortkommen in Kommunikationsberufen sichern.“ (Fröhlich 2002, S. 240)
Zum beschriebenen Doing-gender-Prozess durch Umkodierung dürfte es vor
allem in hoch kompetitiven Aufstiegsszenarien für Führungs- und Leitungspositio-
nen kommen. Das an und für sich ‚freundliche‘ Stereotyp von der besonderen
kommunikativen Begabung wirkt bei Frauen möglicherweise als Innovations- und
Entwicklungsbremse, denn es zementiert bestehende gesellschaftliche und berufli-
che Verhaltenserwartungen an Frauen und erschwert als dominante geschlechterste-
reotype Erwartungshaltung Veränderungen im weiblichen Selbstkonzept. Umge-
294 R. Fröhlich

kehrt wird ein Abweichen von den geschlechterstereotypen Erwartungen – z. B. die


Übernahme männlicher Verhaltensweisen wie z. B. eines ‚harten‘ Kommunikations-
stils – in der Regel scharf sanktioniert. Die üblichen Bezeichnungen als ‚Zicke‘,
‚Mannweib‘ oder ‚karrieregeil‘ repräsentieren sprachliche Sanktionierungsmecha-
nismen. (Fröhlich 2015, S. 681) Eine empirische Überprüfung des theoretischen
Erklärungskonzepts „Freundlichkeitsfalle“ im Rahmen der PR-Feminisierungsfor-
schung steht bisher noch aus.
Aus ähnlichem Unbehagen mit theoretischen Lücken der angloamerikanischen
PR-Feminisierungsforschung entwickelt Dorer (2004, 2010) ihren dekonstruktivis-
tischen Ansatz. Ausgehend von der zunehmenden Ausdifferenzierung journalisti-
scher Berufe betrachtet sie Journalismus und PR gemeinsam. Für Frauen bieten die
PR ein neues, stark expandierendes Berufsfeld, dessen Strukturen noch nicht so
verfestigt sind, für das sich der Zugang leichter darstellt und sich Karriereambitionen
von Frauen vergleichsweise besser realisieren lassen als im Journalismus. Denn
Journalismus mit seiner männlichen Zuschreibung (bzw. gesellschaftlichen Kodie-
rung) gilt als familienfeindlicher Beruf mit relativ klar definierten, männlich kodier-
ten Kernbereichen wie das Politik-, Wirtschafts- oder Sportressort und geringen
Aufstiegschancen, während die PR als vermeintlich familienfreundlicher Beruf
flexiblere Entwicklungsmöglichkeiten bieten. (Dorer 2004, 2005) Dorer schreibt
hierzu: „In diesem Sinne ist auch die Öffentlichkeitsarbeit kein Beruf, für den
notwendig Frauen besonders geeignet wären, sondern die Legitimierung der Öffent-
lichkeitsarbeit als Frauenberuf vollzieht sich auf unterschiedlichen Ebenen, und
zwar auf der Ebene der Geschlechterpositionierung (im Sinne von Positionszuwei-
sungen zu geschlechtlich codierten Plätzen) und auf der Ebene der Zuschreibungs-
praxen im Sinne von gesellschaftlichen Codierungen (d. h. wo und wie auf der
Ebene der sprachlichen, visuellen und gesellschaftlichen Codes Verbindungen mit
dem Geschlecht hergestellt werden).“ (Dorer 2012, S. 142) Begleitet werde diese
Entwicklung durch Umkodierung auf mehreren Ebenen. Der gesellschaftliche Dis-
kurs kennt die typischen Muster der geschlechtsspezifischen Differenzierung, sodass
die Legitimierung der PR als ‚Frauenberuf‘ plausibel erscheint. Frauen wären
aufgrund ihrer Sozialisation kommunikativer und sozialer als Männer und daher
für den PR-Beruf geeigneter. Gleichzeitig erfolgt in der PR-Praxis eine Betrachtung
der PR nicht mehr als Beeinflussung der öffentlichen Meinung, wodurch PR im
Rahmen einer ‚männlichen‘ Kodierung Einfluss und Macht zugeschrieben wurde,
sondern als dialogische Kommunikation und Beziehungspflege, für die es Finger-
spitzengefühl, Intuition, Empathie etc. brauche, was einer ‚weiblichen‘ Kodierung
von PR entspreche (Dorer 2012). Zudem gelten PR nicht mehr als Propaganda oder
als Selbstdarstellung partikularer Interessen, sondern sie erhalten eine weibliche
Kodierung durch ein Verständnis als Management von Kommunikationsprozessen.
Auch auf der wissenschaftlichen Ebene wird diese Umkodierung vollzogen: An die
Stelle der Determinationsthese (Baerns 1985), die besagt, PR seien mächtig und
übten Einfluss auf den Journalismus aus (männliche Kodierung), tritt das (weiblich
codierte) Intereffikationsmodell (Bentele et al. 1997), das den PR-Einfluss relativiert
und die gegenseitige Abhängigkeit von Journalismus und PR in den Mittelpunkt des
PR-Verständnisses stellt. (Dorer 2012)
Berufsfeld Öffentlichkeitsarbeit/PR und Geschlecht 295

Die Kritiken von Röttger und Lüdke sowie die theoretischen Arbeiten von Dorer
und Fröhlich haben der deutschsprachigen PR-Feminisierungsforschung den Weg
für alternative Betrachtungsweisen und Fragestellungen geebnet, die in der anglo-
amerikanischen Forschung bis dahin nicht vorkamen und z. T. bis heute dort nicht
verfolgt werden – obwohl diese zunehmend international veröffentlicht wird. Es gibt
aber erste Hinweise darauf, dass die neuere international publizierte Forschung
deutschsprachiger Autorinnen mit neuen Erkenntnisinteressen und neuen Fragestel-
lungen mittlerweile die angloamerikanische Forschung inspiriert. Denn kürzlich
schreiben Fitch et al. (2016): „(. . .) the numerical dominance of women has contri-
buted to particular conceptualizations of public relations expertise and a highly
gendered occupational identity“ (S. 283) – allerdings ohne den theoretischen Tief-
gang, den bis dahin die deutschsprachige PR-Geschlechterforschung bereits vorge-
legt hatte.

3.2 Neue Erkenntnisinteressen und Fragestellungen

Die meisten Studien mit alternativen Fragestellungen versuchen, Erklärungen für


den einerseits überdurchschnittlich stark verlaufenden Feminisierungstrend und
andererseits die Persistenz vertikaler und horizontaler Segmentation im PR-Be-
rufsfeld zu finden. Hierzu zählt die explorativ-qualitative Studie von Peters (2004),
die erste Antworten auf die Frage liefert, warum in Deutschland der Frauenanteil
ausgerechnet im PR-Agentursegment so hoch ist. Einen ähnlichen Ansatz verfolgen
Lorenz (2009) sowie Fröhlich und Lorenz (2009a, b). Sie kommen in ihrer
explorativ-qualitativen Studie zu dem Ergebnis, dass die gläserne Decke in Organi-
sationen überdurchschnittlich viele Frauen in die Selbstständigkeit als PR-Berate-
rinnen zieht oder drängt, ein Befund, der später auch von Pompper (2014) in einer
Langzeitstudie für die USA bestätigt wird.
Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Agentursektor von Frauen dominiert
wird, gehen Fröhlich und Peters (2007) der Frage nach, ob dadurch in diesem
Branchensegment neue Genderstereotype entstehen. Sie zeigen, dass die Feminisie-
rung zu neuen weiblichen Stereotypen und Zuschreibungen führt wie etwa dem
PR-„bunny“. Jahre später bestätigt Place (2015) die Existenz solcher Stereotype
auch für das Segment der PR-Agenturen in den USA.
Der PR-Agentursektor ist jener Bereich, der in der deutschsprachigen PR-Feminisie-
rungsforschung deutlich stärker beforscht ist als in der angloamerikanischen. In der
bisher auch international einzigen und theoretischen Studie geht Lorenz (2009) der
Frage nach, ob und wie sich das Beratungsverhalten externer PR-DienstleisterInnen
durch die Feminisierung im Agentursektor verändert. Sie betrachtet den Feminisierungs-
trend der Agentur-Branche unter qualitativen Gesichtspunkten von Organisationskultur,
Status und Macht und berücksichtigt dabei auch sozialpsychologische Ansätze wie die
Rollentheorie. Sie entwirft das „doppelte Beratungsdreieck externer PR-Dienstleistun-
gen“ (Lorenz 2009, S. 202–206), mit dem sie zeigt, dass Frauen (sozialisationsbedingt;
vgl. Fröhlich 2002) scheinbar ein geradezu optimiertes Verhaltensrepertoire zur Erleich-
terung von Interaktionsprozessen – als wesentliches Kennzeichen professioneller
296 R. Fröhlich

Beratungsprozesse – parat haben. Darüber hinaus, so argumentiert Lorenz weiter,


verfügen Frauen über eine höhere Frustrationstoleranz gegenüber Erwartungsdiskrepan-
zen, die ebenfalls in Beratungsprozessen immer wieder vorkommen. Lorenz (2009,
S. 206) schreibt: „Vordergründig lautet das Fazit also tatsächlich: Frauen sind die
optimalen ‚Boundary Spanners‘ im doppelten Beratungsdreieck der externen
PR-Dienstleistung.“ Damit könnten sie auch zur Professionalisierung der externen
PR-Beratung beitragen. Allerdings, so spekuliert Lorenz weiter, könnte die Wahrneh-
mung dieses Sektors als ausgesprochene Frauendomäne die Position externer
PR-BeraterInnen allgemein schwächen; damit bestünde auch die Gefahr einer „Margi-
nalisierung der jeweiligen Funktionen im gesamten PR-Prozess.“ Schließlich definiere
sich die (Verhandlungs-)Position externer PR-Dienstleister „zwischen zwei meist relativ
stark männlich dominierten – und damit in der Geschlechterhierarchie statushöher
angesiedelten – Bezugsgruppen der Auftraggeber (interne Kommunikationsbeauftragte)
auf der einen und der Multiplikatoren (z. B. Journalisten) auf der anderen Seite“. (Lorenz
2009, S. 207) Lorenz empfiehlt zukünftiger Forschung zu Fremd- und Selbstbildern im
doppelten Beratungsdreieck externer PR-Dienstleistungen stärker zu differenzieren,
z. B. zwischen abhängig Beschäftigten in PR-Agenturen, FreiberuflerInnen und gewerb-
lich Selbstständigen, und dabei unbedingt auch die eher neuen Formen wie ‚Schein-
selbstständigkeit‘ oder ‚Alleinselbstständigkeit‘ (‚One-[Wo]Man-Shows’) zu berück-
sichtigen (Fröhlich und Lorenz 2009a, b; Vaih-Baur und Kastner 2008).
Die Dissertation von Katrin Hassenstein (2016) ist bisher (auch im internationa-
len Vergleich) die einzige Studie, die auf breiter empirischer Basis der Frage
nachgeht, ob die Frauen zugesprochenen besseren kommunikativen, empathischen
und sozialen Fähigkeiten tatsächlich (im positiven Sinne) für PR-Frauen karrierere-
levant sind. Die quantitative empirische Befragungsstudie untersucht den Zusam-
menhang zwischen Persönlichkeitseigenschaften einerseits – genauer von berufli-
cher Motivation (im Sinne der Karriereorientierung), Expressivität (Femininität) und
Instrumentalität (Maskulinität) – und dem Berufserfolg weiblicher und männlicher
Pressesprecher andererseits. Hassenstein (2016) kann zeigen, dass PR-Frauen sich
zwar expressiver (femininer) einschätzen als PR-Männer. Dennoch kommt Expres-
sivität (als weiblich kodierte Eigenschaft) keine Erklärungskraft zu. Das heißt, dass
Expressivität für den beruflichen Erfolg in den PR also keine Rolle spielt – auch
nicht für die befragten Frauen. Das wäre ein erstes empirisches Indiz dafür, dass die
Annahmen der US-amerikanischen Forschung zur ‚feminist theory of PR‘ im
Berufsfeld nicht zutreffen – zumindest nicht in Deutschland. Hassenstein kann ferner
zeigen, dass ‚Instrumentalität‘ (maskuline Persönlichkeitseigenschaften) das Berufs-
feld prägt und sich auch Frauen hier verorten: Abweichend von allgemeinen berufs-
soziologischen Studien zur Rolle expressiver und instrumenteller Persönlichkeits-
merkmale für beruflichen Erfolg, in denen sich männliche Befragte durchgehend
instrumenteller einschätzen als weibliche Befragte, kann Hassenstein diesen gera-
dezu klassischen Geschlechterunterschied bei den PR-Befragten nicht ausmachen.
Das legt die Vermutung nahe, dass die befragten PR-Frauen ihren Beruf ähnlich stark
an instrumentellen Faktoren orientiert ausüben wie ihre männlichen Kollegen und
weiblich kodierte Faktoren den beruflichen Erfolg in der PR-Praxis nicht sonderlich
prägen. Als Grund für die starke Abweichung von allgemeinen berufssoziologischen
Berufsfeld Öffentlichkeitsarbeit/PR und Geschlecht 297

Befunden führt Hassenstein die vergleichsweise hohe hierarchische Position der


befragten PR-Frauen innerhalb einer Organisationen bzw. eines Unternehmens
an. Sie agieren in einem stark maskulin geprägten Umfeld (Leitungs- bzw. Füh-
rungspositionen im mittleren bis oberen Management), an das sie sich auch stark
anpassen (müssen), um beruflich erfolgreich zu sein. Das erklärt nach Hassenstein,
dass für PR-Frauen in diesem Berufssegment Instrumentalität ein starker Prädiktor
für beruflichen Erfolg ist, Expressivität dagegen nicht. Aber: Während Instrumenta-
lität bei den befragten PR-Frauen beruflichen Erfolg erklärt, ist das bei den befragten
PR-Männern nicht der Fall.
Im Übrigen, das sei an dieser Stelle noch erwähnt, bestätigt Hassenstein (2016)
einen frühen Befund von Fröhlich et al. (2005, S. 84), nach dem PR-Frauen häufiger
als PR-Männer als Single leben und seltener und weniger Kinder haben als ihre
Kollegen – und zwar über alle relevanten Altersgruppen hinweg. Damit bestätigt
sich auch 15 Jahre nach der ersten repräsentativen deutschen PR-Berufsfeldstudie:
Die stockenden Frauenkarrieren in den PR lassen sich nicht durch die üblichen
Work-life-balance-Probleme mit Doppelbelastungen in Beruf und Familie erklären.4

4 Fazit und Ausblick

Die PR-Feminisierungsforschung nimmt in den letzten Jahren eine Art ‚backlash‘


wahr, was die Debatte zur Notwendigkeit gender-sensitiver Forschung angeht. Die
PR-Berufsfeldforschung scheint von diesem backlash besonders stark betroffen zu
sein. Vordergründig scheint alles bestens: Frauen haben ein vormals Männer-domi-
niertes Berufsfeld geentert, weil sie die besseren KommunikatorInnen seien, sie
würden nun quasi auf natürlichstem Wege sukzessive aufsteigen und sie würden
deshalb früher oder später auch die gleichen Gehälter verdienen wie ihre männlichen
Kollegen. Wozu also noch Feminisierungsforschung? Das ist genau das, was Ange-
lika Wetterer (2005, S. 76–77) als „rhetorische Modernisierung“ bezeichnet, nämlich
die „ganz erhebliche Diskrepanz (. . .) insbesondere zwischen dem, was im Horizont
des zeitgenössischen Differenzwissens thematisierbar ist, und dem, was nicht zur
Sprache kommt, aber in Gestalt latenter Geschlechternormen und institutionalisierter
Strukturvorgaben weiterhin das soziale Handeln bestimmt.“ Auf diese Weise, so
Wetterer, werden bestimmte Aspekte der sozialen Realität systematisch ausgeblen-
det und die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern regelrecht de-thematisiert.
Diese Entwicklung wird mittlerweile auch in den USA thematisiert. Fitch et al.
(2016, S. 283) sprechen zum Beispiel vom zunehmenden Phänomen des „anti-“ und
„post-feminism“ in der aktuellen internationalen PR-Feminisierungsdebatte und
erläutern, warum wir mehr feministische PR-Berufsfeldforschung brauchen. Als
einen der wichtigsten Gründe nennen sie die Tatsache, dass die zahlenmäßige
Dominanz von Frauen im PR-Berufsfeld zu einer spezifischen Konzeptualisierung

4
Dozier et al. (2007) bestätigen das für die USA; zur Situation in Australien vgl. Surma und
Daymon (2014).
298 R. Fröhlich

der PR-Expertise und zu einer starken gender-bezogenen beruflichen Identität ge-


führt hat, was Männer und Frauen in den PR gleichermaßen betrifft. Wie schon
Röttger (2001) und Lüdke (2001) vor 15 Jahren, so sind auch sie heute davon
überzeugt, dass ohne feministische Ansätze die neue gender-bezogene berufliche
Identität von PR nicht gewinnbringend erforscht werden kann. Die Aufgabe einer
explizit feministischen Perspektive der PR-Feminisierungsforschung ist es demnach,
‚common sense‘-Szenarien des PR-Berufsfelds zu hinterfragen und eingefahrene
Mainstream-Tendenzen angewandter PR aufzubrechen. Und hier scheint nun die
angloamerikanische Forschung in den letzten ein, zwei Jahren gegenüber der
deutschsprachigen wieder Boden gut zu machen. Denn: Im Gegensatz zu letzterer
skizziert erstere mittlerweile schon vergleichsweise konkrete Forschungsfragen:
Wie kann Widerstand geübt werden gegenüber dem dominanten (patriarchalen)
PR-Paradigma? Wie können scheinbar etablierte, starre Wissensstrukturen in den
PR hinterfragt und aufgebrochen werden, so dass Innovation in der PR-Praxis, aber
auch Wandel im Hinblick auf Genderhierarchien, Gehalt und Status möglich wer-
den? Welche Strukturen müssen aufbrechen, damit neue Agenden für PR-Forschung
entstehen können? Ein solcher Fragenkatalog hat großes Innovationspotenzial für
die PR insgesamt.

Literatur
Aldoory, Linda. 1998. The language of leadership for female public relations professionals. Journal
of Public Relations Research 10(2): 73–101.
Aldoory, Linda. 2005. A (re)conceived feminist paradigm for public relations: A case for substantial
improvement. Journal of Communication 55(4): 668–684.
Aldoory, Linda, und Elisabeth L. Toth. 2002. Gender discrepancies in a gendered profession:
A developing theory for public relations. Journal of Public Relations Research 14(2): 103–126.
Aldoory, Linda, und Elisabeth L. Toth. 2004. Leadership and gender in public relations: Perceived
effectiveness of transformational and transactional leadership styles. Journal of Public Relations
Research 16(2): 157–183.
Andsager, Julie L., und Stacey J. Hust. 2005. Differential gender orientation in public relations:
Implications for career choices. Public Relations Review 31(1): 85–91.
Baerns, Barbara. 1985. Öffentlichkeitsarbeit oder Journalismus. Zum Einfluß im Mediensystem.
Köln: Wissenschaft und Politik.
Baerns, Barbara. 1991 [1990]. Zur ‚Feminisierung‘ der Öffentlichkeitsarbeit. In Öffentlichkeits-
arbeit. Theoretische Ansätze, empirische Befunde und Berufspraxis der Public Relations, Hrsg.
Johanna Dorer und Klaus Lojka, 185–192. Wien: Braumüller.
Bentele, Günter, Tobias Liebert, und Stefan Seeling. 1997. Von der Determination zur Intereffika-
tion. Ein integriertes Modell zum Verhältnis von Public Relations und Journalismus. In Aktuelle
Entstehung von Öffentlichkeit. Akteure – Strukturen – Veränderungen, Hrsg. Günter Bentele und
Michael Haller, 225–250. Konstanz: UVK.
Bentele, Günter, Lars Großkurth, und René Seidenglanz. 2005, 2007, 2008, 2009, 2012. Profession
Pressesprecher. Vermessung eines Berufsstandes. Berlin: Helios.
Bentele, Günter, Ronny Fechner, Uwe Dolderer, und René Seidenglanz. 2015. Profession Presse-
sprecher 2015 – Vermessung eines Berufsstands. Berlin: Helios.
Choi, Youjin, und Linda C. Hon. 2002. The influence of gender composition in powerful positions
on public relations practitioners’ gender-related perceptions. Journal of Public Relations
Research 14:229–263.
Berufsfeld Öffentlichkeitsarbeit/PR und Geschlecht 299

CIPR. 2018. CIPR state of the profession 2018. London: Chartered Institute of Public Relations. https://
www.slideshare.net/CIPRPaul/cipr-state-of-the-profession-2018. Zugegriffen am 09.01.2019.
CIPR & WIPR. 2017. PR & pay equality 2017. A qualitative study into challenges and perspectives
on gender pay. London: Chartered Institute of Public Relations. https://www.cipr.co.uk/sites/
default/files/10932_PR&PAY_Equality_Report.pdf. Zugegriffen am 09.01.2019.
Creedon, Pamela J. 1991. Public relations and „women’s work“: Toward a feminist analysis of
public relations roles. Public Relations Research Annual 3:67–84.
Dees, Matthias. 1996. Public Relations als Managementaufgabe. Eine Untersuchung des Berufs-
feldes ‚Öffentlichkeitsarbeit‘ und seiner zunehmenden Feminisierung. Publizistik 41(2):
155–171.
Dees, Matthias, und Thomas Döbler. 1997. Public Relations als Aufgabe für Manager? Rollenver-
ständnis, Professionalisierung, Feminisierung. Eine empirische Untersuchung. Stuttgart: edi-
tion 451.
Dorer, Johanna. 1995. Politische Öffentlichkeitsarbeit in Österreich. Wien: Braumüller.
Dorer, Johanna. 2004. Öffentlichkeitsarbeit und Journalismus. Anmerkungen zu einem geschlecht-
lich codierten Verhältnis. In Quo vadis Public Relations? Hrsg. Juliana Raupp und Joachim
Klewes, 79–89. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Dorer, Johanna. 2005. The gendered relationship between journalism and public relations in Austria
and Germany. A feminist approach. Communictions. The European Journal of Communication
Research 30(2): 183–200.
Dorer, Johanna. 2010. Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit und Geschlecht. In Kommunikation
und Verständigung. Theorie – Empirie – Praxis, Hrsg. Walter Hömberg, Daniela Hahn, und
Timon B. Schaffer, 133–147. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Dorer, Johanna. 2012. Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit und Geschlecht. In Kommunikation
und Verständigung. Theorie – Empirie – Praxis, Hrsg. Walter Hömberg, Daniela Hahn, und
Timon B. Schaffer, 2., überarb. Aufl., 133–149. Wiesbaden: Springer.
Dozier, David M. 1988. Breaking public relations’ glass ceiling. Public Relations Review 14:6–14.
Dozier, David M., und Glen M. Broom. 1995. Evolution of the manager role in public relations
practice. Journal of Public Relations Research 7(1): 3–26.
Dozier, David, Sha Bey-Ling, und Masako Okura. (2007). How much does my baby cost? An
analysis of gender differences in income, career interruption, and child bearing. Public Relations
Journal 1(1). http://apps.prsa.org/SearchResults/view/6D-010102/0/How_Much_Does_My_
Baby_Cost_An_Analysis_of_Gender_D#.Wo1gEajiaF4. Zugegriffen am 09.01.2019.
Ernst, Felicitas. 2013. Kommentar: Fehlt Frauen der Wille zur Macht? Pressesprecher Mai 2013.
Fitch, Kate. 2015. Feminism and public relations. In The Routledge handbook of critical public
relations, Hrsg. Jacquie L’Etang, David McKie, Nancy Snow, und Jordi Xifra, 54–64.
New York: Routledge.
Fitch, Katie, Melani James, und Judy Motion. 2016. Talking back: Reflecting on feminism, public
relations and research. Public Relations Review 42:279–287.
Fröhlich, Romy. 1994. Einstieg und Aufstieg mit Tücken. Das Beispiel Public Relations. In Gender
und Medien. Theoretische Ansätze, empirische Befunde und Praxis der Massenkommunikation,
Hrsg. Marie-Luise Angerer und Johanna Dorer, 94–101. Wien: Braumüller.
Fröhlich, Romy. 2001. Sind Frauen die besseren Kommunikatoren? Der vermeintliche Frauenberuf
PR zwischen Mythos und Fakten. In Das Handbuch der Unternehmenskommunikation 2000/
2001, Hrsg. Klaus Merten, 235–246. Neuwied: Luchterhand.
Fröhlich, Romy. 2002. Die Freundlichkeitsfalle. Über die These der kommunikativen Begabung als
Ursache für die „Feminisierung“ des Journalismus und der PR. In Medien und Mittler sozialer
Kommunikation. Beiträge zu Theorie, Geschichte und Kritik von Journalismus und Publizistik,
Hrsg. Heinz Starkulla Jr, Ute Nawratil, und Philomen Schönhagen, 225–243. Leipzig: Leipziger
Universitätsverlag.
Fröhlich, Romy. 2004. Feminine and feminist values in communication professions: Exceptional
skills and expertise or „friendliness trap“? In Gender and newsroom cultures: Identities at work,
Hrsg. Marjan de Bruin und Karen Ross, 65–77. Cresskill: Hampton Press.
300 R. Fröhlich

Fröhlich, Romy. 2015. Die Feminisierung der PR – Grundlagen und empirische Befunde.
In Handbuch der Public Relations. Wissenschaftliche Grundlagen und berufliches Handeln,
Hrsg. Romy Fröhlich, Peter Szyszka, und Günter Bentle, 3., neue u. komplett überarb. Aufl.,
669–678. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Fröhlich, Romy, und Pamela J. Creedon. (Mitarbeit). 1990. PR-Karriere für Frauen: Gute Aussich-
ten mit doppeltem Boden. Prmagazin (12): 35–38.
Fröhlich, Romy, und Pamela J. Creedon. (Mitarbeit). 1993. Zur Situation von Frauen in
PR-Berufen. In PR – Öffentlichkeitsarbeit, Hrsg. Heinz-Dietrich Fischer und Ulrike G. Wahl,
167–177. Frankfurt a. M.: Peter Lang.
Fröhlich, Romy, und Sonja B. Lorenz. 2009a. „Selbst- und ständig ?“ Genderaspekte der Berufs-
motivation und -zufriedenheit selbstständiger PR-Profis. Prmagazin (10): 61–68.
Fröhlich, Romy, und Sonja B. Lorenz. 2009b. Self-employed public relations practitioners in
Germany: „One-woman-shows“ beyond male hierarchies? In Institutionalising PR and corpo-
rate communication, Hrsg. Emanuele Invernizzi, Toni Muzi Falconi, und Stefania Romenti,
277–303. Varese: Pearson.
Fröhlich, Romy, und Sonja S. Peters. 2007. PR „bunnies“ caught in the agency ghetto? Gender
stereo-types, organizational factors, and women’s careers in PR agencies. Journal of Public
Relations Research 19(3): 229–254.
Fröhlich, R., Sonja B. Peters, und Eva-Maria Simmelbauer. 2005. Public Relations. Daten und
Fakten der geschlechtsspezifischen Berufsfeldforschung. München/Wien: Oldenbourg.
Golombisky, Kim. 2015. Renewing the commitments of feminist public relations theory. From
velvet ghetto to social justice. Journal of Public Relations Research 27(5): 389–415.
Grunig, Larissa A., Elisabeth L. Toth, und Linda C. Hon. 2000. Feminist values in public relations.
Journal of Public Relations Research 12(1): 49–68.
Grunig, Larissa A., Elisabeth L. Toth, und Linda C. Hon. 2001. Women in public relations. How
gender influences practice. New York: The Guildford Press.
Grunig, Larissa A., Jim E. Grunig, und David M. Dozier. 2002. Excellent public relations and
effective organizations: A study of communication management in three countries. Mahwah:
Lawrence Erlbaum.
Hassenstein, Katrin. 2016. Berufserfolg in der PR-Branche. Expressivität, Instrumentalität, Moti-
vation. Wiesbaden: Springer.
Hon, Linda C. 1995. Toward a feminist theory of public relations. Journal of Public Relations
Research 7(1): 27–88.
Hon, Linda C., Larissa A. Grunig, und David M. Dozier. 1992. Women in public relations:
Problems and opportunities. In Excellence in public relations and communication management,
Hrsg. Jim E. Grunig, 419–438. Hillsdale: Lawrence Erlbaum Associates.
Krider, Diane S., und Peter G. Ross. 1997. The Experiences of women in a public relations firm:
A phenomenological explication. International Journal of Business Communication 34(4):
437–454.
Lorenz, Sonja B. 2009. Genderaspekte im doppelten Beratungsdreieck externer PR-Dienst-
leistungen. In PR-Beratung, Hrsg. Ulrike Röttger und Sarah Zielmann, 197–209. Wiesbaden:
VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Lüdke, Dorothea. 2001. „Feminisierung“ und Professionalisierung der PR: US-amerikanische
Konzeptualisierungen eines sozialen Wandels. In Kommunikationswissenschaft und Gender
Studies, Hrsg. Elisabeth Klaus, Jutta Röser, und Ulla Wischermann, 163–186. Wiesbaden:
Westdeutscher Verlag.
O’Neil, Julie. 2003. An analysis of the relationships among structure, influence, and gender:
Helping to build a feminist theory of public relations. Journal of Public Relations Research
15:151–179.
Peters, Sonja B. 2004. Ladykiller PR? Nahaufnahmen zu den Bedingungen der beruflichen Karriere
als PR-Frau. Eine explorative Studie. Magisterarbeit, Universität München. http://epub.ub.uni-
muenchen.de/618/1/MA_Peters_Sonja.pdf. Zugegriffen am 09.01.2019.
Berufsfeld Öffentlichkeitsarbeit/PR und Geschlecht 301

Place, Katie R. 2015. Binaries, continuums, and intersections: Women public relations professio-
nals’ understandings of gender. Public Relations Inquiry 4(1): 61–78.
Pompper, Donnalyn. 2014. Interrogating inequalities perpetuated in a feminized field- Using critical
race theory and the intersectionality lens to render visible that which should not be disag-
gregated. In Gender and public relations: Critical perspectives on voice, image, and identity,
Hrsg. Christine Daymon und Kristin Demetrious, 67–86. London: Routledge.
PRCA. 2018. PR and Communications Census 2018. London: Public Relations Consultants’
Association. https://www.prca.org.uk/sites/default/files/PR%20and%20Communications%20
Census%202018.pdf. Zugegriffen am 09.01.2019.
Redlich, Diane R. 1995. Frauen im Berufsfeld Public Relations. Eine empirische Studie zur
beruflichen Situation weiblicher Public-Relations-Fachleute in Deutschland. prmagazin (5):
33–40.
Röttger, Ulrike. 2000. Public Relations – Organisation und Profession. Wiesbaden: Westdeutscher
Verlag.
Röttger, Ulrike. 2001. Public Relations und Gendering: Aktuelle empirische Befunde und theore-
tische Perspektiven zur Öffentlichkeitsarbeit als Organisationsfunktion. In Kommunikationswis-
senschaft und Gender Studies, Hrsg. Elisabeth Klaus, Jutta Röser, und Ulla Wischermann,
187–210. Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Röttger, Ulrike, Ottfried Jarren, und Jochen Hoffmann. 2003. Public Relations in der Schweiz: Eine
empirische Studie zum Berufsfeld Öffentlichkeitsarbeit. Konstanz: UVK.
Schiel, Patricia, und Dustin Pawlitzek. 2012. Er Kapitän, sie Crew? Eine empirische Studie zur
Feminisierung der PR in Deutschland. Gelsenkirchen: Westfälische Hochschule, Bachelorar-
beit. http://www3.fh-gelsenkirchen.de/JPR/downloads/0_Aktuell/2012/Abstract_Version%202.
pdf. Zugegriffen am 09.01.2019.
Sigl, Bianca. 2011. Public Relations als Dienstleistung – Analyse und Vergleich externer PR-Arbeit
in Österreich. Wien: Universität Wien, Magisterarbeit. http://docplayer.org/19905071-Magister
arbeit-titel-der-magisterarbeit-public-relations-als-dienstleistung-analyse-und-vergleich-externer-
pr-arbeit-in-oesterreich.html. Zugegriffen am 09.01.2019.
Surma, Anne, und Christine Daymon. 2014. Caring about public relations and the gendered cultural
intermediary role. In Gender and public relations: Critical perspectives on voice, image and
identity, Hrsg. Christine Daymon und Kristin Demetrious, 46–66. London: Routledge.
Vaih-Baur, Christina, und Sonja Kastner. 2008. ‚Die One-Woman-Show‘ – Geisteswissenschaft-
lerinnen in der PR-Praxis. Working Paper des Rats für Sozial- und Wirtschaftsdaten, Nr. 33.
http://www.ratswd.de/download/workingpapers2008/33_08.pdf. Zugegriffen am 09.01.2019.
Wetterer, Angelika. 2005. Rhetorische Modernisierung und institutionelle Reflexivität. Die Diskre-
panz zwischen Alltagswissen und Alltagspraxis in arbeitsteiligen Geschlechterarrangements.
Freiburger FrauenStudien – Zeitschrift für interdisziplinäre Frauenforschung 16:75–96.
Wienand, Edith. 2003. Public Relations als Beruf. Kritische Analyse eines aufstrebenden Kommu-
nikationsberufes. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Zowack, Martina. 2000. Frauen in den österreichischen Public Relations. Berufssituation und die
Feminisierung von PR. Dissertation, Universität Wien. http://www.monitor.at/index.cfm/sto
ryid/3841_Eine_boomende_Branche_auf_dem_Pruefstand-Frauen_in_den_oesterreichischen_
Public_Relations. Zugegriffen am 09.01.2019.
Medieninhalte:
Geschlechterrepräsentationen
und -(de)konstruktionen

Martina Thiele

Inhalt
1 Einleitung: Medieninhaltsforschung in der Kommunikations- und
Medienwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
2 Theoretische Positionen: realistische und konstruktivistische
Medieninhaltsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
3 Geschlecht und Geschlechterverhältnisse: Frauen* zählen! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
4 Doing gender und De-Konstruktion – methodologische Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . 307
5 Thematische Schwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308
6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314

Zusammenfassung
Medieninhalte sind ein wichtiger Gegenstand der Gender Media Studies. Kriti-
siert werden aus feministischer Perspektive zum einen die Unterrepräsentanz von
Frauen* in den Medien sowie die Art und Weise der medialen Konstruktion und
Reproduktion von Geschlechterunterschieden, zum anderen die Themenauswahl
und -gewichtung. Trotz des hohen Stellenwerts, den Medieninhalte für die Kom-
munikations- und Medienwissenschaft haben, gibt es kaum Metaanalysen, die
systematisch erfassen, welche Themen und Inhalte mittels welcher Methoden
untersucht werden. Das gilt auch für die Medieninhaltsforschung der Gender
Media Studies. Explorativ und ausgehend von erkenntnis- und geschlechtertheo-
retischen Positionen lassen sich thematische Schwerpunkte – von Arbeit und
Beruf über Sexualität und Körper, Gewalt und Krieg, Ethnizität und Migration bis
zu Gender als Metadiskurs – identifizieren, die innerhalb der Forschung zu
Geschlecht in den Medien gesetzt wurden.

M. Thiele (*)
Institut für Medienwissenschaft, Universität Tübingen, Tübingen, Deutschland
E-Mail: martina.thiele@uni-tuebingen.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 303
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_19
304 M. Thiele

Schlüsselwörter
Repräsentation · Realismus und Konstruktivismus · Inhaltsanalyse ·
Diskursanalyse · Unterrepräsentanz · Stereotypisierung · Intersektionalität

1 Einleitung: Medieninhaltsforschung in der


Kommunikations- und Medienwissenschaft

In den wenigen deutschsprachigen Werken, die sich mit Medieninhaltsforschung


befassen, erhält das Themengebiet Geschlecht kaum Aufmerksamkeit. Lediglich
Heinz Bonfadelli ist im Band Medieninhaltsforschung (2002) auf die Gender Studies
eingegangen und hat in einer Übersicht über die „Fragestellungen, die im Zusam-
menhang mit der Analyse und Beschreibung der Strukturen von Medieninhalten
stehen“ (2003, S. 82–87) als erste die „Repräsentanz bzw. Stereotypisierung von
Bevölkerungsgruppen und Minoritäten“ sowie die „Darstellung von Frauen und
Männern“ genannt.
Um die Frage nach dem Stellenwert des Themengebiets Geschlecht zu beant-
worten, bräuchte es Metaanalysen inhaltsanalytischer Forschung, die quantitativ
erfassen, welche Medien und Medieninhalte wann, über welchen Zeitraum und mit
welchen Fragestellungen untersucht worden sind. Solche Daten liegen nicht vor. Ihr
Fehlen wie die ohnehin überschaubare Literatur zur Medieninhaltsforschung ver-
weisen auf das grundsätzliche Problem einer Systematisierung der enormen Vielfalt
an Medienangeboten und -inhalten. Eine Systematisierung entlang der Unterschei-
dung nach 1. Medium und Mediengattungen, 2. Journalismus, Werbung oder user
generated content, 3. Ressorts, Formaten, Genres und journalistischen Darstellungs-
formen vorzunehmen, dabei synchrone und diachrone Betrachtungsweisen zu ver-
binden, ist freilich kaum zu leisten. Medieninhaltsforschung setzt daher wie ihre
wichtigsten Methoden, die Inhalts- und die Diskursanalyse, auf Schwerpunktset-
zung, Auswahl und Komplexitätsreduktion.
Für Medieninhaltsforschung innerhalb der kommunikationswissenschaftlichen
Geschlechterforschung bzw. Gender Media Studies1 steht das Themengebiet Gender
bereits fest. Doch auch hier müssen Forscher*innen entscheiden, welche Studien zu
Medieninhalten in welchen Medien-Gattungen und -Genres sie berücksichtigen, ob
sie chronologisch und/oder an Theoriedebatten orientiert vorgehen und welche
thematischen Schwerpunkte sie für Aussagen über Medieninhaltsforschung in den
Gender Media Studies in den Blick nehmen.

1
Im deutschsprachigen Raum ist nicht nur die stärker sozialwissenschaftlich orientierte Kommuni-
kationswissenschaft als Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung (Klaus 1998)
mit dem Zusammenhang von Kommunikation, Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht befasst,
sondern auch die geistes- und kulturwissenschaftlich verortete Medienwissenschaft. Ich verwende
die Bezeichnung Gender Media Studies (Lünenborg und Maier 2013), um die disziplinäre Tren-
nung zwischen Kommunikations- und Medienwissenschaft aufzuheben und zugleich transdiszipli-
näre wie transnationale Perspektiven zu ermöglichen.
Medieninhalte: Geschlechterrepräsentationen und -(de)konstruktionen 305

So erstaunt nicht, dass es zwar sehr viele Studien zu Geschlechterrepräsentatio-


nen in den Medien gibt, jedoch nur wenige Beiträge aus den Gender Media Studies
zur Medieninhaltsforschung. Zumeist handelt es sich um einzelne Kapitel in Mono-
grafien, etwa im Band Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung
(Klaus 1998), in dem auf der Basis verschiedener theoretischer Ansätze „Geschlech-
terbilder“ und die „Darstellung von Frauen in den Massenmedien“ Hörfunk, Fern-
sehen, Printmedien und speziell Frauenzeitschriften thematisiert werden. Theoreti-
sche wie methodologische Fragen bestimmen die Auseinandersetzung mit
Medieninhalten. So stellt Liesbet van Zoonen (1994) in Feminist Media Studies
inhaltsanalytische Verfahren semiotischen gegenüber, Margreth Lünenborg und
Tanja Maier unterscheiden im Lehrbuch Gender Media Studies (2013) zwischen
„Inhaltsanalysen“, in denen es um „Darstellungen und Stereotype“ gehe, und
„Diskursanalysen“, in denen „Bedeutungen, Repräsentationen und Genres“ im Mit-
telpunkt stünden. Die Forschung zu Medien und Geschlechterstereotypen sowie
weiteren Stereotyparten untersucht Thiele (2015, 2019) umfassend und unter Be-
rücksichtigung epistemologischer Fragen.

2 Theoretische Positionen: realistische und


konstruktivistische Medieninhaltsforschung

Die Unterscheidung zwischen „realistischer“ und „konstruktivistischer“ Forschung


ist für die Medieninhaltsforschung zentral. Winfried Schulz hat diese Unterschei-
dung in der Auseinandersetzung mit „Massenmedien und Realität“ getroffen und zur
Veranschaulichung dem ptolemäischen Weltbild das kopernikanische gegenüberge-
stellt. Medien werden nach realistischer Auffassung bzw. dem ptolemäischen Ansatz
entsprechend als „Spiegel der Wirklichkeit“ begriffen, nach konstruktivistischer
Auffassung bzw. dem kopernikanischen Weltbild entsprechend als „Weltbildappa-
rate“ (Schulz 1989, S. 140–141). Realistische Forschung meint, dass den Studien
explizit oder implizit ein Repräsentationsbegriff zugrunde liegt, der davon ausgeht,
dass Medieninhalte zumindest einen Ausschnitt „der Realität“ wiedergeben und dass
die „Darstellung in den Medien“ in Relation zu einer außermedialen Realität als
„adäquat“ oder „verzerrt“ bewertet werden kann. In einer konstruktivistischen
Perspektive hingegen wird ein solches Verhältnis von Realität und Medientext
verworfen. Statt eines Abgleichs zwischen Medieninhalten und Realität interessieren
Konstruktionen von Realitäten, an denen Medien maßgeblich beteiligt sind.
Realistische und konstruktivistische Ansätze sind auch in der transdisziplinären
Geschlechterforschung auszumachen: Realistische Forschung geht von der Katego-
rie Geschlecht als soziale Realität aus, häufig auch von Geschlecht als biologische
Tatsache. Konstruktivistische Ansätze hingegen begreifen Geschlecht als soziale
und kulturelle Konstruktion (gender) und kritisieren den „heimlichen Biologismus“,
der der sex/gender-Unterscheidung inhärent sei. Candace West und Don Zimmer-
mann (1987) unterscheiden zwischen sex, sex category und gender. Dabei meint sex
die Geburtsklassifikation, sex-category die soziale Zuschreibung von Geschlecht
und doing gender die „unvermeidlichen“, an sozialen Geschlechterzuschreibungen
306 M. Thiele

(sex categories) orientierten und Geschlecht erzeugenden situativen Praktiken. Ra-


dikal und folgenreich dekonstruiert Judith Butler (1991) Geschlecht und stellt die
Trennung zwischen sex und gender in Frage. Denn sie bestätige die Vorstellung einer
biologischen Eindeutigkeit, die wiederum den Geschlechterdualismus und Hetero-
normativität begründet.
Wenn nun Medieninhalte, z. B. Geschlechterbilder in den Medien, Gegenstand
wissenschaftlicher Studien sind, sehen sich Forscher*innen mit verschiedenen
theoretischen und empirischen Herausforderungen konfrontiert. Sie sind für Ver-
treter*innen konstruktivistischer Positionen vielfältiger und folgenreicher, weil ver-
meintliche Gewissheiten – Was ist Realität? Was Geschlecht? Was ein Bild? Was
stereotyp? – in Frage gestellt sind und weil „die mediale Inszenierung der Ge-
schlechter je eigene kommunikative Wirklichkeiten herstellt.“ (Moser 2003, S. 241)
Konstruktivistisch fundierte empirische Forschung zielt daher darauf ab, dass statt
„Unterschieden“ „Prozesse der Unterscheidung“ (Gildemeister 2010, S. 141) in den
Blick genommen werden.
Von einer realistischen Position aus gestaltet sich die empirische Forschung
einfacher, weil „Medieninhalte“ und „Geschlecht“ als in der sozialen Realität exis-
tierend verstanden werden, d. h. davon ausgegangen wird, dass sich in Medien
Geschlechterbilder manifestieren. Entsprechend kann das Aufeinandertreffen von
Medien und Geschlecht empirisch erforscht werden. Dabei stellt sich das Verhältnis
von Medien, Repräsentation und Geschlecht als ein numerisches dar. Das Ergebnis
der Studien lautet überwiegend, dass die soziale Realität, konkret die quantitativen
und qualitativen Geschlechterverhältnisse, nicht adäquat abgebildet werden.
So sind mit erkenntnistheoretischen Positionen verschiedene Zugänge zum Ver-
ständnis und Verhältnis von Medium, Text, Bild, Ton und Geschlecht verbunden.
Wenn in Studien die Darstellung, das Bild der Frau oder des Mannes, Geschlechter-
stereotype, Geschlechterbilder, Visualisierungen von Geschlecht oder Geschlechter-
konstruktionen und das doing gender untersucht werden, deuten sich schon durch
die Begrifflichkeiten theoretische Positionen an, die sich wiederum auf das metho-
dische Design empirischer Studien auswirken.

3 Geschlecht und Geschlechterverhältnisse: Frauen* zählen!

Um mehr Geschlechtergerechtigkeit politisch durchsetzen zu können, sind Zahlen,


die die Unterrepräsentanz und Annihilierung von Frauen* in den Medien2 belegen,
entscheidend. Deswegen wurden mit Beginn der Zweiten Frauenbewegung Ende der
1960er-Jahre sowie den ersten kommunikations- und medienwissenschaftlichen
Studien Daten erhoben, die das Missverhältnis in der Repräsentation von Männern*
und Frauen* in den Medien belegen. Diese frühen Studien in der Tradition realisti-

2
„In den Medien“ meint immer zweierlei: zum einen die Zahl der in Medienunternehmen und
-organisationen beschäftigten Personen, zum anderen die in gedruckten und online verfügbaren,
z. T. audiovisuellen Medien zu sehenden, zu hörenden und erwähnten Personen, d. h. die in den
Medien vorkommenden, medial repräsentierten Personen. Um sie geht es hier.
Medieninhalte: Geschlechterrepräsentationen und -(de)konstruktionen 307

scher Forschung und im Sinne des Gleichheits- und Differenzansatzes (Klaus 1998,
2020) bezogen sich im deutschsprachigen Raum zumeist auf Printmedien, Tages-
zeitungen ebenso wie Publikumszeitschriften (Langer El-Sayed 1971; Ulze 1977;
Schmerl 1989; Röser 1992) und das öffentlich-rechtliche Fernsehen (Küchenhoff
1975; Leinfellner 1983), später dann auch auf öffentlich-rechtliche und privat-
kommerzielle TV-Programme im Vergleich (Weiderer 1993), seltener ausschließlich
auf Geschlechterrepräsentationen im Hörfunk (Prenner 1995; Werner und Rinsdorf
1998; Cornelißen und Grebel 1999). Ab dem Jahr 2000 kommen Untersuchungen zu
Geschlechterrepräsentationen in Onlinemedien und mit der Etablierung des Web 2.0
in sogenannten Sozialen Medien hinzu. Insgesamt hat die Vervielfältigung des
Medienangebots zu mehr Medieninhaltsforschung geführt, gerade auch Geschlech-
terverhältnisse in digitalisierten Öffentlichkeiten sind Gegenstand der Forschung.
Aufmerksamkeit erlangte zuletzt die im Auftrag der MaLisa-Stiftung und ver-
schiedener öffentlich-rechtlicher wie privat-kommerzieller Sender durchgeführte
Studie Rostocker Forscher*innen mit dem Titel Ausgeblendet (Prommer und Linke
2019). Ihr ist zu entnehmen, dass auch 44 Jahre nach der Veröffentlichung der
Küchenhoff-Studie Frauen* und Mädchen* im deutschen Fernsehen und in Kino-
filmen deutlich unterrepräsentiert sind – obwohl in manchen Bereichen leichte
Verbesserungen im Sinne quantitativer Angleichung und qualitativer Differenzie-
rung zu konstatieren sind.
Zu ähnlichen Ergebnissen gelangen internationale Vergleichsstudien wie das seit
1995 alle fünf Jahre durchgeführte Global Media Monitoring Project. Erste Ergeb-
nisse des Erhebungsjahres 2020 bestätigen die quantitative Stagnation bei rund 25 %
Frauenanteil im globalen Durchschnitt. Ebenso zeigt die Auswertung der Krisen-
Berichterstattung während der Covid-19-Pandemie, dass Frauen* als Expert*innen
wie als Betroffene seltener zu Wort kommen. Wenn nur eine von drei Gesundheits-
expert*innen in den Fernsehnachrichten weiblich ist, spiegelt das gleichermaßen die
vertikale Segmentation im Gesundheitswesen wie den medialen gender bias wider.
(GMMP 2020)
Die hier genannten Studien haben zumeist ein inhaltsanalytisches Vorgehen
gewählt, das neben Aussagen zur Quantität des Vorkommens von Frauen*
und Männern* in verschiedenen Medien, Gattungen und Genres sowie beruflichen
Kontexten auch Aussagen zum „Wie“ der Darstellung, zu Geschlechterrollen und
-stereotypen enthält. Kritisiert wird neben der Unterrepräsentanz und „Annihillierung“
(Tuchman 1980) von Frauen* das enge Rollenspektrum, in dem sie im Vergleich zu
Männern* gezeigt werden, sowie die Trivialisierung und Stereotypisierung (siehe
auch Thiele 2019).

4 Doing gender und De-Konstruktion – methodologische


Herausforderungen

Die Entwicklung von der Frauen- über die Geschlechterforschung zu den Gender-
and Queer-Studies sowie die damit einhergehenden Theoriedebatten über doing
gender und Heteronormativität in den 1990er-Jahren haben sich auch auf die
feministische Medieninhaltsforschung ausgewirkt. Zunehmend kritisiert wurde die
308 M. Thiele

Reifizierung eines Geschlechterdualismus durch empirische Forschung. Auf der


Suche nach Auswegen sind verschiedene Vorschläge gemacht worden. So versam-
melt der Band Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht in Bewegung (Maier et al.
2012) unter der Überschrift „Methoden reflektieren“ Beiträge, in denen die Au-
tor*innen darlegen, wie sie in ihren Forschungsprojekten den Geschlechterdualis-
mus aufbrechen. Gezeigt wird, dass auch die Erhebungs- und Analysemethoden der
standardisiert vorgehenden empirischen Sozialforschung gendersensible Inhaltsana-
lysen nicht ausschließen und dass vor allem aber qualitative Verfahren und Metho-
denkombination die (De-)Konstruktion sozialer Kategorien ermöglichen. So schlägt
etwa Franziska Rauchut (2018b, S. 99) vor, „neue und interdependente, ja sogar im
positiven Sinne eklektische Methoden und Triangulationen zuzulassen.“
In Hand- und Lehrbüchern zur Geschlechterforschung (Becker und Kortendiek
2010; Kortendiek et al. 2019) und Feministischen Methodologie (Althoff et al. 2017)
finden sich in den Methodenkapiteln zwar keine Beiträge zur Inhaltsanalyse, aber zu
diversen qualitativen Methoden, u. a. der Diskursanalyse als „Verfahren zur kriti-
schen Rekonstruktion von Machtbeziehungen“ (Jäger 2010). In der Kommunikati-
onswissenschaft hat sich die Diskursanalyse inzwischen etabliert (Lohmeier und
Wiedemann 2019). Für die enge Beziehung zwischen Diskurs- und Geschlechter-
forschung wird neben der Analyse von Machtverhältnissen das gemeinsame Fun-
dament eines nicht essenzialistisch gefassten Diskurs- und Geschlechterbegriffs
genannt, das u. a. durch Judith Butlers Theorie der performativen Sprechakte gelegt
wurde (Bublitz 2017; Kleiner und Dinsleder 2017). Auch gilt die kritische Analyse
von Diskursen3 als eines von vielen verbindenden Elementen zwischen Cultural
Studies und Gender Media Studies.

5 Thematische Schwerpunkte

In einem Rückblick auf „Zwanzig Jahre Gender- und Queertheorien in der Kom-
munikations- und Medienwissenschaft“ gehen die Autor*innen zwar nicht direkt auf
Medieninhalte ein, nennen aber die Öffentlichkeits-, die Unterhaltungs-, die Popu-
lärkultur- und die Journalismusforschung als diejenigen Bereiche, in denen die
Gender Media Studies ertragreich und innovativ gewirkt haben. (Klaus und Lünen-
borg 2011, S. 101–102) Seitdem sind zehn Jahre vergangen; Medienwandel und
gesellschaftlicher Wandel, Digitalisierung und Globalisierung forcieren die Bearbei-
tung neuer Themenbereiche in den Gender Media Studies und damit eine Erweite-
rung des Spektrums. Zugleich erweisen sich bestimmte Fragestellungen und The-
men – etwa das Missverhältnis in der medialen Repräsentation von Frauen* und
Männern*, Intersektionalität sowie die Dekonstruktion sozialer Kategorien – als
anhaltend relevant.

3
So verwendet Stuart Hall (1999) den Begriff „discourse“ im encoding-decoding-Modell und
spricht vom TV-Programm als „meaningful discourse“.
Medieninhalte: Geschlechterrepräsentationen und -(de)konstruktionen 309

Aus der Sichtung der einschlägigen Forschungsliteratur sowie der Nutzung von
Datenbanken und Bibliografien ergeben sich im Wesentlichen fünf Themenbereiche,
die verschränkt mit der Kategorie Geschlecht medieninhaltsanalytisch untersucht
werden. Das ist zunächst 1. Arbeit und Beruf, 2. Alter, Körper, (Dis-)ability,
sexuelles Begehren sowie 3. Ethnizität und Migration, weiters 4. Kriege, Krisen,
Kriminalität und Gewalt und schließlich 5. Feminismus- und Gender-Diskurse als
publizistische Meta-Diskurse. Diese Themenbereiche sind nicht trennscharf und
auch nicht umfassend. Zudem können hier nur einzelne Studien, Ergebnisse und
Tendenzen der feministischen Medieninhaltsforschung kurz referiert werden.

5.1 Arbeit und Beruf

Ein bis heute gültiges Ergebnis lautet, dass Berufstätigkeit, Reproduktionsarbeit und
Mehrfachbelastung von Frauen* in den Medien, in fiktionalen wie non-fiktionalen
Mediengenres und in der Werbung, zu wenig sowie zu einseitig und stereotyp
thematisiert werden. Statt die Vielfalt an Berufen, bezahlten und unbezahlten Tätig-
keiten, die Frauen* ausüben, zu zeigen und Probleme wie ungleiche Bezahlung und
Aufstiegschancen anzusprechen, findet vor allem in fiktionalen Medienangeboten
eine Fokussierung auf einige wenige Berufe statt, die dann als „typische“ Frauen-
und Männerberufe gelten. Dieser Befund weckt das Interesse an der Ausnahme von
der Regel und damit an den Ausnahme- und Spitzenfrauen in klassischen Männer-
domänen bzw. Berufen, die lange Zeit Männern* vorbehalten waren. Analysiert
werden Quantität und Qualität der medialen Repräsentation von Politikerinnen,
Unternehmerinnen, Wissenschaftlerinnen, Journalistinnen, Kommissarinnen, Ärz-
tinnen, Sportlerinnen etc. – die journalistische Berichterstattung über reale Personen
ebenso wie ihr Vorkommen in fiktionalen Genres (für einen Überblick siehe Thiele
2015, S. 315–366).
Untersucht werden im neuen Jahrtausend insbesondere die medialen Diskurse
über Macht und Geschlecht am Beispiel prominenter, im Rampenlicht stehender
Politiker*innen. So gibt es Studien zu Angela Merkel oder Ségolène Royal (Lünen-
borg et al. 2009; Nieland 2009; Coulomb-Gully 2009), zu SPD-Spitzenkandidat-
innen bei Landtagswahlen (Beck 2016), zu Präsidentengattinnen, die öffentlich als
„Assistentin“, „Aktivistin“ oder „apolitisches Accessoire“ auftreten (Seggelke 2009)
oder auch zu Politikerinnen wie Hillary Clinton, die unterschiedliche Ämter und
Rollen übernommen hat (Riesmeyer und Thiele 2018). Die Studien belegen: Die
häufig aufgestellte Behauptung, dass Geschlecht nebensächlich sei im Politik-
geschäft und nur Kompetenz zähle, ist nicht zutreffend. Vielmehr gilt: „Ein Politiker
ist einfach ein Politiker; eine Politikerin ist jedoch aus Sicht der Journalisten immer
auch eine Frau.“ (Drinkmann und Cabarello 2007, S. 201) Die De-Thematisierung
von Geschlecht, ein undoing gender, nützt Politikerinnen nicht.
Mit dem Wandel der medialen Repräsentation von Macht und Geschlecht in
gleich drei gesellschaftlich relevanten Bereichen beschäftigen sich Margreth Lünen-
borg und Jutta Röser (2012) in ihrer Studie Ungleich mächtig. Konkret untersuchen
sie auf einer breiten empirischen Basis quantitativ und qualitativ das Gendering von
310 M. Thiele

Führungspersonen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Dabei bestätigt sich


zwar die anhaltende quantitative Marginalisierung von Frauen, doch sind auch
qualitative Veränderungen und Differenzierungen der Geschlechterkonstruktionen
erkennbar.
Das Erstarken rechtsextremer Parteien und Bewegungen in den USA und Europa
rückt deren Protagonist*innen sowie ihre auf Affekt zielenden Kommunikations-
strategien und Medieninhalte in den Fokus wissenschaftlicher Analysen (Adlung
et al. 2021; Strick 2021; Dietze und Roth 2020).

5.2 Alter, Körper, (Dis-)ability, sexuelles Begehren

Die Erkenntnis, dass sich Frauen* in vielerlei Hinsicht voneinander unterscheiden


und daher in der Geschlechterforschung mehrere interdependente Kategorien zu
betrachten sind, hat zu Diskussionen über Intersektionalität, Struktur- und Master-
kategorien sowie soziale Markierung und (Un-)Sichtbarkeit geführt. Race, class,
gender gelten als die entscheidenden Kategorien, eng verbunden mit Geschlecht und
Sexualität sind zudem Körper, Attraktivität, (Dis-)ability und Alter.
Beeinflusst wurde dieser intrakategoriale Ansatz in der Medieninhaltsforschung
durch Überlegungen zur Mehrfachdiskriminierung, von der Frauen* betroffen sind.
In den 1980er-Jahren erscheinen erste medienwissenschaftliche Studien zu Alter und
Geschlecht (Hastenteufel 1980; Hagen 1985; Bosch 1986), später folgen vereinzelt
Publikationen, die im Sinne einer kritischen Altersforschung Theoriebildung betrei-
ben und zusätzlich zu Geschlecht Gesundheit, körperliches Vermögen sowie Klasse
berücksichtigen (Carls 1996; Hellmich 2007; Voglmayr 2008; van Dyk und Lesse-
nich 2009; Thiele et al. 2013).
Der Kampf gegen Diskriminierung und für sexuelle Selbstbestimmung sowie die
Entwicklung von der Frauen- zur queerfeministischen Genderforschung befördern
Studien, in denen LGBTQI+ als Medienthema untersucht werden (Krah 2001;
Herrmann 2002; Maier 2007; Amberg 2011; Pinseler 2011, 2013; Loist et al. 2013;
Eberstaller 2017). Mit der Ausweitung des TV- und Online-Medienangebots sowie
zunehmender Social-Media-Nutzung wächst das wissenschaftliche Interesse an me-
dialer (Selbst-)Repräsentation, an Schönheits- und Körperhandeln vor Publikum
(siehe auch Goldmann und Herbst 2019). Kritisch analysiert werden unterhaltende
Formate, Talk-Shows, Casting- und Make-over-Shows (Stehling 2011) oder
Influencer*innen, die via YouTube und Instagram soziale Normen und Attraktivi-
tätsdefinitionen vermitteln. Der Geschlechter-Check der YouTube-Kultur, für den
quantitative Inhalts- und Metaanalysen durchgeführt worden sind, bestätigt „male
dominance and sexism“ (Döring und Mohseni 2019).

5.3 Ethnizität und Fremdheit

Ein Themenbereich, der Anfang der 1990er-Jahre in der kommunikationswissen-


schaftlichen Medieninhaltsforschung mehr Aufmerksamkeit erfährt, ist der der
Medieninhalte: Geschlechterrepräsentationen und -(de)konstruktionen 311

kulturellen Identität, Ethnizität, Migration und „Integration“. Dass Fragen der


Fremdheit und Otherness unmittelbar mit Geschlecht verknüpft sind, verdeutlichen
Genderforscher*innen im Band zu Fremden Frauenwelten (Röben et al. 1996). Saba
Amanuel konstatiert: „Vom Spiegel bis zur Emma sind Musliminnen vor allem eins:
Opfer.“ (Amanuel 1996, S. 96) Um die Jahrtausendwende zeichnet sich eine diffe-
renziertere Sicht auf die bis dahin als „Ausländer“ bezeichnete Gruppe ab, was sich
im allgemeinen Sprachgebrauch und in den Titeln von Publikationen widerspiegelt,
etwa in Claudia Buluts Studie Von der Gastarbeiterin zur Schutzpolizistin (Bulut
2000).
2011 legen Berliner Forscher*innen eine Studie zu Migrantinnen in den Medien
vor, in der sowohl Darstellungen von Migrantinnen als auch die Rezeption dieser
Repräsentationen untersucht werden. Die Ergebnisse bestätigen die bekannten Ste-
reotype in der Berichterstattung, deuten aber auch auf mehr Vielfalt in der medialen
Präsentation, vor allem in der Lokal- und Regionalpresse. Über Migrantinnen
scheint inzwischen differenzierter berichtet zu werden, und sie kommen öfter selbst
zu Wort. Die Autor*innen identifizieren verschiedene Typen bzw. Stereotypen, und
zwar „die Prominente“, „die Erfolgreiche“ und „die Nachbarin“, „das Opfer“, „die
Integrationsbedürftige“ und „die Unerwünschte“ (Lünenborg et al. 2011, S. 81).
Speziell der mediale Diskurs über muslimische Frauen ist, wie zahlreiche Studien
belegen (Amanuel 1996; Pinn 1997; Farrokhzad 2002, 2006; Schiffer 2005; Röder
2007), von Pauschalisierung und Überheblichkeit geprägt. Kopftuch, Schleier und
die den gesamten weiblichen Körper verhüllende Burka symbolisieren Fremdheit.
Als Metapher und visuelle Stereotype werden sie eingesetzt, um Otherness zu
markieren und Differenz herzustellen. Bildanalysen belegen, dass der Gegensatz
verschleiert – nicht verschleiert sowohl innerhalb eines Bildes als auch bei Bild-
folgen verwendet wird; Diskursanalysen zeigen darüber hinaus, wie mittels Sprache
und Bildern verschleierter Frauen Kriegseinsätze westlicher Truppen legitimiert
werden (Grittmann 2003; Klaus und Kirchhoff 2008).
Inhalts- und Diskursanalysen zu Ethnizität und Fremdheit sind vermehrt im Zuge
der Migrationsdebatte 2015 durchgeführt worden (Jäger und Wamper 2017). Welche
Rolle dabei Geschlecht sowie die Verschränkung von Sexismus und Rassismus
spielen, analysieren Studien zur Kölner Sylvesternacht (Drüeke 2016; Jäger und
Wamper 2017; Schmoliner 2018; Haarhoff 2020).

5.4 Kriege, Krisen und sexistische Gewalt

Jegliche Formen von Gewalt gegen Frauen*, die journalistische Berichterstattung


darüber ebenso wie fiktionale Gewaltdarstellungen, zählen zu den vieluntersuchten
Themen innerhalb der Gender Media Studies. Inhalts- und Diskursanalysen gibt es
zur Kriegs- und Krisenberichterstattung, zur medialen Repräsentation von Sol-
dat*innen, Terrorist*innen, Kriegsberichterstatter*innen ebenso wie zu Tätern und
von sexualisierter Gewalt Betroffenen (Thiele et al. 2010).
„Gewalt an Frauen als Medienthema“ zu untersuchen geht einher mit grund-
sätzlichen Überlegungen zur Herstellung von Öffentlichkeit für Gewalt an Frauen
312 M. Thiele

(Geiger 2008). Aufschwung nimmt die wissenschaftliche Befassung mit Sexismus


und Gewalterfahrung zudem durch Internetkampagnen und Hashtags wie #meetoo
und #aufschrei, in denen Frauen* das Wort ergreifen und von ihren Erfahrungen
berichten. Ihre Aussagen werden ebenso inhaltsanalytisch untersucht wie die
Online-Kommentare dazu und die mediale Berichterstattung über den feministi-
schen Online-Aktivismus (Drüeke und Zobl 2016; Gsenger und Thiele 2014).
Wenn es um Geschlecht und Sexualität geht, sind nicht nur emanzipatorische und
auf Vielfalt und Gleichberechtigung zielende Positionen auszumachen, sondern auch
solche, die offen sexistisch, antifeministisch und homophob sind. So erscheinen in
den 2010er-Jahren Studien zu „Maskulinismus im Internet“ (Gruber 2012) und Hate
Speech online (Ganz und Meßmer 2015; Eickelmann 2017; Ganz 2019). Öffentlich
sichtbare Personen und bestimmte soziale Gruppen, etwa auch „Medienschaffende“
(Zick und Preuß 2021), sind besonders von verbaler und auch physischer Gewalt
betroffen.
Gewalt gegen Frauen und die erschreckend hohe Zahl an Morden aufgrund des
Geschlechts führen zu mehr Publikationen und Berichten über den Femizid. Ak-
tuelle Medieninhaltsanalysen (Meltzer 2021; Media Affairs 2020) konstatieren, dass
insbesondere Boulevardmedien auch über ihre Social-Media-Kanäle deutlich häufi-
ger und ausführlicher als Qualitätsmedien berichten, jedoch fokussiert auf einzelne
Fälle, die tödlich enden, statt die alltägliche Gewalt in Beziehungen sowie Gewalt
begünstigende Strukturen zu thematisieren. Hinzu kommen Sensationalismus, Voy-
eurismus und sprachliche Entgleisungen. Handlungsempfehlungen für eine verant-
wortungsvolle journalistische Berichterstattung über Gewalt und Morde an Frauen*
basieren auf diesen Medieninhaltsanalysen.

5.5 Feminismus- und Gender-Diskurse als publizistische


Meta-Diskurse

Mit der Etablierung der Gender Studies in der akademischen Ausbildung und
Forschung setzt eine Auseinandersetzung mit dieser (Teil-)Erfolgsgeschichte sowie
der feministischen Bewegungsgeschichte ein, die zugleich die zunehmenden An-
griffe gegen Gender-Forscher*innen und -aktivist*innen sowie den publizistischen
Anti-Genderimus (Hark und Villa 2015; Aigner und Lenz 2019) reflektiert. Dieser
Meta-Diskurs ist wiederum Gegenstand inhalts- und diskursanalytischer Medien-
Studien. So untersucht Eva Flicker (2008) den „Diskurs ‚Frauenbewegung‘ in den
Medien“, Imke Schmincke „Die neue Fraubewegung in den Medien“ (2019), Fran-
ziska Rauchut „mediale Interventionen in die Feminismus-Debatte“ (2018a) und die
„journalistische Gender-Gegnerschaft“ (2020).
Viele weitere Studien wären zu erwähnen, in denen es um publizistische Kontro-
versen über die Gender Studies, die Zahl der Professuren mit Gender-Studies-
Denomination, um geschlechtergerechte Sprache, mehr Diversität in den Medien
oder „Political Correctness und Cancel Culture“ (Thiele 2021) geht. Die publizisti-
schen Kontroversen darüber werden in der Kommunikations- und Medienwissen-
schaft sowie in den Fachzeitschriften und tagesaktuellen Medien geführt. Auch die
Medieninhalte: Geschlechterrepräsentationen und -(de)konstruktionen 313

Debatten über divergierende Positionen innerhalb der feministischen Bewegung(en),


etwa zum Verhältnis von Kapitalismus und Postfeminismus (McRobbie 2010;
Hausbichler 2021), sind z. T. von den Main- und Malestreammedien aufgegriffen
und entsprechend „geframed“ worden. Hier zeichnet sich ein neuer Forschungs-
bereich ab, der einerseits von der Etablierung der Gender Studies und ihrer institu-
tionellen Verankerung zeugt, andererseits die Gefährdungen der Querschnittsdis-
ziplin und ihrer Protagonist*innen durch Diskreditierung und Diffamierung
verdeutlicht.

6 Fazit

Medieninhaltsforschung wird in der Kommunikations- und Medienwissenschaft


kaum betrieben. Auch die Gender Media Studies weisen hier Forschungslücken auf.
Das steht im Gegensatz zum Stellenwert der Inhalts- und Diskursanalyse als häufig
verwendete Erhebungsmethoden in beiden Forschungsfeldern. Es fehlt also an
theoriegeleiteten systematischen Erhebungen zur Forschung über Medieninhalte.
Das erstaunt gerade auch mit Blick auf die Hoffnungen, die bis heute in Texten
der kommunikations- und medienwissenschaftlichen Geschlechterforschung formu-
liert werden, etwa dass ein höherer Frauenanteil in Medienberufen zu größerer
Themenvielfalt und mehr medial sicht- und hörbaren Frauen führt oder dass gerade
auch feministische Medien und der „Möglichkeitsraum“ Internet das inhaltliche
Spektrum erweitern. Um diese hoffnungsvollen Annahmen zu überprüfen, braucht
es Medieninhaltsforschung und Metaanalysen.
Mit De-Konstruktion, Non-Dualismus und Intersektionalität ist der theoretische
wie empirische Anspruch der Gender Media Studies sehr hoch. Die Zahl der
Studien, die sich diesem Anspruch stellen, nimmt zu (Thiele 2020). Wichtig ist in
diesem Zusammenhang auch die Debatte über die „Ambivalenzen der Sichtbarkeit“
(Schaffer 2008) und darüber, dass eine quantitative Zunahme medial präsenter
Frauen* nicht gleichbedeutend sein muss mit qualitätsvoller, anerkennender Prä-
senz. Um politisch handlungsfähig zu sein, braucht es die verschiedenen theoreti-
schen und empirischen Zugänge zu Geschlechterfragen. Derzeit scheinen „Reprä-
sentationsstudien“ und der viel zitierte, von Gayatri Chakravorty Spivak selbst
kritisch gesehene „strategische Essentialismus“ (Spivak 1993, S. 3) im Vorteil zu
sein, da vermehrt ‚belastbare Zahlen‘ von Drittmittelgebenden gefordert werden.
Zugleich kann die Kategorie Geschlecht nicht isoliert betrachtet werden, weswegen
auch für die Medieninhaltsforschung in den Gender Media Studies eine Kombina-
tion mit empirischer Intersektionalitätsforschung geboten scheint und Anregungen
aus den Queer, Postcolonial, Diversity und Disability Studies relevant sind. (Ernst
2021) Als übergeordnete (Dauer-)Themen können soziale Ungleichheit und Macht-
verhältnisse sowie der durch Digitalisierung beschleunigte Strukturwandel der Öf-
fentlichkeit gelten. Von Vorteil für die Gender Media Studies wäre, nicht nur im
Einzelfall theoretisch und empirisch anspruchsvoll Medieninhalte zu erforschen,
sondern auch mit Hilfe von Metaanalysen zu gesicherten Aussagen über die queer-
feministische Medieninhaltsforschung zu gelangen.
314 M. Thiele

Literatur
Adlung, Shari, Margreth Lünenborg, und Christoph Raetzsch. 2021. Pitching gender in a racist
tune: The affective publics of the #120decibel campaign. Media and Communication 9(2): 16–26.
https://doi.org/10.17645/mac.v9i2.3749.
Aigner, Isolde, und Ilse Lenz. 2019. Antifeminismus und Antigenderismus in medialen und
digitalen Öffentlichkeiten. In Handbuch Medien und Geschlecht. Perspektiven und Befunde
der feministischen Kommunikations- und Medienforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte
Geiger, Brigitte Hipfl, und Veronika Ratković. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.
1007/978-3-658-20712-0_45-1.
Althoff, Martina, Magdalena Apel, Mechthild Bereswill, Julia Gruhlich, und Birgit Riegraf, Hrsg.
2017. Feministische Methodologien und Methoden. Traditionen, Konzepte, Erörterungen.
2., erw. u. akt. Aufl. Wiesbaden: Springer VS.
Amanuel, Saba. 1996. Frauenfeind Islam? Wie die Frauenzeitschrift Brigitte an Klischees weiter-
strickt. In Verwaschen und verschwommen. Fremde Frauenwelten in den Medien, Hrsg. Bärbel
Röben, Cornelia Wilß, und Dritte-Welt-JournalistInnen-Netzwerk, 95–108. Frankfurt a. M.:
Brandes & Apsel.
Amberg, Elke. 2011. Schön! Stark! Frei! Wie Lesben in der Presse (nicht) dargestellt werden.
Sulzbach: Ulrike Helmer.
Beck, Dorothee. 2016. Politikerinnen und ihr Griff zur Macht. Mediale Repräsentationen von
SPD-Spitzenkandidatinnen bei Landtagswahlen. Bielefeld: transcript.
Becker, Ruth, und Beate Kortendiek, Hrsg. 2010 [2004]. Handbuch Frauen- und Geschlechter-
forschung. Theorie, Methoden, Empirie. 3., erw. u. durchges. Aufl. (Unter Mitarbeit von
Barbara Budrich, Ilse Lenz, Sigrid Metz-Göckel, Ursula Müller und Sabine Schäfer.) Wiesba-
den: Springer VS.
Bonfadelli, Heinz. 2002. Medieninhaltsforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen. Kon-
stanz: UVK.
Bonfadelli, Heinz. 2003. Medieninhalte. In Öffentliche Kommunikation. Handbuch Kommunikati-
ons- und Medienwissenschaft, Hrsg. Günter Bentele, Hans-Bernd Brosius, und Otfried Jarren,
79–100. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Bosch, Eva-Maria. 1986. Ältere Menschen und Fernsehen. Eine Analyse der Konstruktion von
Altersdarstellungen in unterhaltenden Programmen und ihrer Rezeption durch ältere Men-
schen. Frankfurt a. M.: Peter Lang.
Bublitz, Hannelore. 2017. Diskurstheorie: zur kulturellen Konstruktion der Kategorie Geschlecht.
In Handbuch interdisziplinäre Geschlechterforschung. Mit 12 Abbildungen und 6 Tabellen,
Hrsg. Beate Kortendiek, Birgit Riegraf, und Katja Sabisch. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.
org/10.1007/978-3-658-12500-4_29-1.
Bulut, Claudia. 2000. Von der Gastarbeiterin zur Schutzpolizistin. Das konstruierte Bild der
fremden Frau im deutschen Film und Fernsehen. In Migranten und Medien. Neue Heraus-
forderungen an die Integrationsfunktion von Presse und Rundfunk, Hrsg. Heribert Schatz,
Christina Holtz-Bacha, und Jörg-Uwe Nieland, 253–264. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Butler, Judith. 1991. Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Carls, Christian. 1996. Das „neue Altersbild.“ Illustrationen zur Inszenierung: ‚Wissenschaftlicher
Aufgeklärtheit in vorurteilsumnachteter Gesellschaft‘. Münster: Lit.
Cornelißen, Waltraud, und Christine Grebel. 1999. Gleichberechtigung on air. Zur Präsentation
von Männern und Frauen im niedersächsischen Hörfunk. Eine empirische Untersuchung. Hrsg.
Niedersächsische Landesmedienanstalt für privaten Rundfunk. Leipzig: Vistas.
Coulomb-Gully, Marlène. 2009. Napoléon siegt über Marianne. Verkörperung und politische
Darstellung im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2007. In Politik auf dem Boulevard?
Die Neuordnung der Geschlechter in der Politik der Mediengesellschaft, Hrsg. Margreth
Lünenborg, 130–145. Bielefeld: transcript.
Dietze, Gabriele, und Julia Roth, Hrsg. 2020. Right-wing populism and gender. European per-
spectives and beyond. Bielefeld: transcript.
Medieninhalte: Geschlechterrepräsentationen und -(de)konstruktionen 315

Döring, Nicola, und M. Rohangis Mohseni. 2019. Male dominance and sexism on YouTube: results
of three content analyses. Feminist Media Studies 19(4): 512–524. https://doi.org/10.1080/
14680777.2018.1467945.
Drinkmann, Nancy, und Paolo Cabarello. 2007. Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau? Die Bericht-
erstattung über die Kandidaten der Bundespräsidentenwahl 2004. In Warum nicht gleich? Wie
die Medien mit den Frauen in der Politik umgehen, Hrsg. Christina Holtz-Bacha und Nina
König-Reiling, 167–203. Wiesbaden: VS.
Drüeke, Ricarda. 2016. Die TV-Berichterstattung in ARD und ZDF über die Silvesternacht 2015/16
in Köln. Studie im Auftrag des Gunda-Werner-Instituts für Feminismus und Geschlechterde-
mokratie der Heinrich-Böll-Stiftung. https://www.gwi-boell.de/sites/default/files/web_161122_
e-paper_gwi_medienanalysekoeln_v100.pdf. Zugegriffen am 29.05.2021.
Drüeke, Ricarda, und Elke Zobl. 2016. Online feminist protest movements and alternative publics:
The twitter campaign #aufschrei in Germany. Feminist Media Studies 16(1): 35–54.
Dyk, Silke van, und Stephan Lessenich, Hrsg. 2009. Die jungen Alten. Analysen einer neuen
Sozialfigur. Frankfurt a. M./New York: Campus.
Eberstaller, Elisa. 2017. Identität hat keine Grenzen. Eine Befragung von Trans*personen zu ihrer
medialen Darstellung. Unveröff. Masterarbeit, Salzburg, Fachbereich Kommunikationswissen-
schaft.
Eickelmann, Jennifer. 2017. ‚Hate Speech‘ und Verletzbarkeit im digitalen Zeitalter. Bielefeld:
transcript.
Ernst, Waltraud. 2021. Phänomene des Werdens: Intersektionalität, Queer, Postcolonial, Diversity
und Disability Studies als Orientierungen für die Medienforschung. In Handbuch Medien und
Geschlecht. Perspektiven und Befunde der feministischen Kommunikations- und Medienfor-
schung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Veronika Ratković. Wiesba-
den: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_6-1.
Farrokhzad, Schahrzad. 2002. Medien im Einwanderungsdiskurs. Überlegungen zur Konstruktion
der „fremden Frau.“ beiträge zur feministischen theorie und praxis 25(61): 75–93.
Farrokhzad, Schahrzad. 2006. Exotin, Unterdrückte, Fundamentalistin. Konstruktionen der „frem-
den Frau“ in deutschen Medien. In Massenmedien, Migration und Integration. Herausforde-
rungen für Journalismus und politische Bildung, 2., korr. u. akt. Aufl. Hrsg. Christoph Butter-
wegge und Gudrun Hentges, 55–86. Wiesbaden: VS.
Flicker, Eva. 2008. Der Diskurs Frauenbewegung in den Medien. In Medien – Politik – Geschlecht.
Feministische Befunde zur politischen Kommunikationsforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Bri-
gitte Geiger, und Regina Köpl, 124–139. Wiesbaden: VS.
Ganz, Kathrin, und Anna-Katharina Meßmer. 2015. Anti-Genderismus im Internet. Digitale Öffent-
lichkeiten als Labor eines neuen Kulturkampfes. In (Anti-)Genderismus. Sexualität und Ge-
schlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen, Hrsg. Sabine Hark und
Paula-Irene Villa, 59–78. Bielefeld: transcript. https://doi.org/10.14361/9783839431443-004.
Ganz, Katrin. 2019. Hate Speech im Internet. In Handbuch Medien und Geschlecht. Perspektiven
und Befunde der feministischen Kommunikations- und Medienforschung, Hrsg. Johanna Dorer,
Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Veronika Ratković. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/
10.1007/978-3-658-20712-0_39-1.
Geiger, Brigitte. 2008. Die Herstellung von Öffentlichkeit für Gewalt an Frauen. In Medien – Politik
– Geschlecht. Feministische Befunde zur politischen Kommunikationsforschung, Hrsg. Johanna
Dorer, Brigitte Geiger, und Regina Köpl, 206–217. Wiesbaden: VS.
Gildemeister, Regine. 2010. Doing Gender: Soziale Praktiken der Geschlechterunterscheidung. In
Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorien, Methoden, Empirie, Hrsg. Ruth
Becker und Beate Kortendiek, 3., erw. u. durchges. Aufl., 137–145. Wiesbaden: Springer VS.
GMMP. 2020. Preliminary findings of the Global Media Monitoring Project. https://
whomakesthenews.org/gmmp-reports/gmmp-2020-reports/. Zugegriffen am 30.05.2021.
Goldmann, Julia Elena, und Liesa Herbst. 2019. Wer schön sein will . . . Körpernormen und
Schönheitsdiskurse in den Medien. In Handbuch Medien und Geschlecht. Perspektiven und
Befunde der feministischen Kommunikations- und Medienforschung, Hrsg. Johanna Dorer,
316 M. Thiele

Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Veronika Ratković. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/
10.1007/978-3-658-20712-0_72-1.
Grittmann, Elke. 2003. Verhüllt – unverhüllt: Bild und Verschleierung in der Afghanistan-
Berichterstattung. In Bilder des Terrors – Terror der Bilder. Krisenberichterstattung am und
nach dem 11. September, Hrsg. Michael Beuthner, Joachim Buttler, Sandra Föhlich, Irene
Neverla, und Stephan A. Weichert, 268–284. Köln: Herbert von Halem.
Gruber, Laura. 2012. Maskulinismus im Internet. In Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht in
Bewegung. Forschungsperspektiven der kommunikations- und medienwissenschaftlichen Ge-
schlechterforschung, Hrsg. Martina Thiele Tanja und Christine Linke, 163–175. Bielefeld:
transcript.
Gsenger, Marlene, und Martina Thiele. 2014. Wird der #Aufschrei erhört? Eine kritische Diskurs-
analyse der Sexismus-Debatte in Deutschland. kommunikation.medien. Onlinejournal des Fach-
bereichs Kommunikationswissenschaft 3, 28 https://eplus.uni-salzburg.at/JKM/periodical/
pageview/2077650. Zugegriffen am 11.07.2021.
Haarhoff, Heike. 2020. Nafris, Normen, Nachrichten. Die Standards journalistischer Bericht-
erstattung am Beispiel der Herkunftsnennung mutmaßlicher Straftäter der Kölner Silvester-
nacht 2015/2016. Baden-Baden: Nomos.
Hagen, Rochus Andreas. 1985. Die Medien und der ältere Mensch. Eine Analyse des Altersbildes in
Fernsehsendungen von ARD und ZDF. Dissertation, Universität Bonn. Bonn: o.V.
Hall, Stuart. 1999. Kodieren/Dekodieren. In Cultural Studies. Grundlagentexte zur Einführung,
Hrsg. Roger Bromley, Udo Göttlich, und Carsten Winter, 92–110. Lüneburg: zu Klampen.
Hark, Sabine, und Paula-Irene Villa. 2015. (Anti-)Genderismus. Sexualität und Geschlecht als
Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen. Bielefeld: transcript.
Hastenteufel, Regina. 1980. Das Bild von Mann und Frau in der Werbung. Eine Inhaltsanalyse zur
Geschlechtsspezifität der Menschendarstellung in der Anzeigenwerbung ausgewählter Zeit-
schriften unter besonderer Berücksichtigung des alten Menschen. Dissertation, Universität
Bonn, o.V., Druck: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.
Hausbichler, Beate. 2021. Der verkaufte Feminismus. Wie aus einer politischen Bewegung ein
profitables Label wurde. Wien: Residenz.
Hellmich, Elisabeth. 2007. Forever young?. Die UnSichtbarkeit alter Frauen in der Gegenwarts-
gesellschaft. Wien: Milena.
Herrmann, Friederike. 2002. Privatheit, Medien und Geschlecht. Bisexualität in Daily Talks.
Opladen: Leske + Budrich.
Jäger, Margarete. 2010. Diskursanalyse: Ein Verfahren zur kritischen Rekonstruktion von Macht-
beziehungen. In Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorien, Methoden, Empirie,
Hrsg. Ruth Becker und Beate Kortendiek, 3., erw. u. durchges. Aufl., 386–391. Wiesbaden:
Springer VS.
Jäger, Margarete, und Regina Wamper. 2017. Von der Willkommenskultur zur Notstandsstimmung.
Der Fluchtdiskurs in deutschen Medien 2015 und 2016. Hrsg. Duisburger Institut für Sprach-
und Sozialforschung. http://www.diss-duisburg.de/wp-content/uploads/2017/02/DISS-2017-
Von-der-Willkommenskultur-zur-Notstandsstimmung.pdf. Zugegriffen am 26.05.2021.
Klaus, Elisabeth. 1998. Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung. Zur Bedeutung
der Frauen in den Massenmedien und im Journalismus. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Klaus, Elisabeth. 2020. Gleichheit, Differenz, Konstruktion und Dekonstruktion: Ansätze feminis-
tischer Forschung revisited. In Feministische Theorie und kritische Medienkulturanalyse. Aus-
gangspunkte und Perspektiven, Hrsg. Tanja Thomas und Ulla Wischermann, 201–216. Biele-
feld: transcript.
Klaus, Elisabeth, und Susanne Kirchhoff. 2008. Frauenrechte als Kriegslegitimation in den Medien.
In Medien – Politik – Geschlecht. Feministische Befunde zur politischen Kommunikations-
forschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, und Regina Köpl, 238–252. Wiesbaden: VS.
Klaus, Elisabeth, und Margreth Lünenborg. 2011. Zwanzig Jahre Gender- und Queertheorien in der
Kommunikations- und Medienwissenschaft. Ein Zwischenruf/20 Years of Gender and Queer
Medieninhalte: Geschlechterrepräsentationen und -(de)konstruktionen 317

Theories in German Communication and Media Studies. An Interjection. SCM Studies in


Communication/Media 1(1): 95–118.
Kleiner, Bettina, und Cornelia Dinsleder. 2017. Tagungsessay: Zum Verhältnis von Gender Studies
und Diskursforschung: Synergien, Spannungsfelder, Fallstricke [71 Absätze]. Forum Qualita-
tive Sozialforschung/Forum: Qualitative Social Research, 18 (3), Art. 1. https://doi.org/10.
17169/fqs-18.3.2935.
Kortendiek, Beate, Birgit Riegraf, und Katja Sabisch, Hrsg. 2019. Handbuch interdisziplinäre
Geschlechterforschung. Mit 12 Abbildungen und 6 Tabellen. Wiesbaden: Springer VS.
Krah, Hans. 2001. „Skandal im Ersten Kanal.“ Fernsehen und Schwule von den 70er-Jahren bis
heute: ein Wandel von Einstellungen? In Querschnitt – Gender Studies. Ein interdisziplinärer
Blick nicht nur auf Homosexualität, Hrsg. Paul Hahlbohm, 222–248. Kiel: Ludwig.
Küchenhoff, Ernst. 1975. Die Darstellung der Frau und die Behandlung von Frauenfragen im
Fernsehen. Eine empirische Untersuchung einer Forschungsgruppe der Universität Münster.
Stuttgart: Kohlhammer.
Langer El-Sayed, Ingrid. 1971. Frau und Illustrierte im Kapitalismus. Die Inhaltsstruktur von
illustrierten Frauenzeitschriften und ihr Bezug zur gesellschaftlichen Wirklichkeit. Köln: Pahl-
Rugenstein.
Leinfellner, Christine. 1983. Frau und Berufswelt im österreichischen Fernsehen. Sekundäraus-
wertung zu der im Auftrag des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung durch-
geführten Studie über „Das Bild der Frau im österreichischen Fernsehen.“ Wien: o.V.
Lohmeier, Christine, und Thomas Wiedemann, Hrsg. 2019. Diskursanalyse für die Kommunikati-
onswissenschaft. Theorie, Vorgehen, Erweiterungen. Wiesbaden: Springer VS.
Loist, Skadi, Sigrid Kannengießer, und Joan Kristin Bleicher, Hrsg. 2013. Sexy Media? Gender/
Queer-theoretische Analysen in den Medien- und Kommunikationswissenschafte. Bielefeld:
transcript.
Lünenborg, Margreth, und Tanja Maier. 2013. Gender Media Studies. Konstanz: UVK.
Lünenborg, Margreth, und Jutta Röser, Hrsg. 2012. Ungleich mächtig. Das Gendering von Füh-
rungspersonen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in der Medienkommunikation. Biele-
feld: transcript.
Lünenborg, Margreth, Jutta Röser, Tanja Maier, Kathrin Müller, und Elke Grittmann. 2009.
‚Merkels Dekolleté‘ als Mediendiskurs. Eine Bild-, Text- und Rezeptionsanalyse zur Ver-
geschlechtlichung einer Kanzlerin. In Politik auf dem Boulevard? Die Neuordnung der Ge-
schlechter in der Politik der Mediengesellschaft, Hrsg. Margreth Lünenborg, 73–102. Bielefeld:
transcript.
Lünenborg, Margreth, Katharina Fritsche, und Annika Bach, Hrsg. 2011. Migrantinnen in den
Medien. Darstellungen in der Presse und ihre Rezeption. Bielefeld: transcript.
Maier, Tanja. 2007. Gender und Fernsehen. Perspektiven einer kritischen Medienwissenschaft.
Bielefeld: transcript.
Maier, Tanja, Martina Thiele, und Christine Linke, Hrsg. 2012. Medien, Öffentlichkeit und Ge-
schlecht in Bewegung. Forschungsperspektiven der kommunikations- und medienwissenschaft-
lichen Geschlechterforschung. Bielefeld: transcript.
McRobbie, Angela. 2010. Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechter-
regimes. Hrsg. Sabine Hark und Paula-Irene Villa. Wiesbaden: Springer VS.
Media Affairs. 2020. Gewalt gegen Frauen. Jahresstudie 2019. Analyse der Berichterstattung über
Gewaltdelikte an Frauen und die Rolle der Medien. https://www.contentadmin.de/contentan
lagen/contentdatei13591.pdf. Zugegriffen am 25.05.2021.
Meltzer, Christiane. 2021. Tragische Einzelfälle? Wie Medien über Gewalt gegen Frauen berichten.
In OBS-Arbeitspapier 47, Hrsg. Otto-Brenner-Stiftung. Frankfurt a. M. https://www.otto-brenner-
stiftung.de/wissenschaftsportal/informationsseiten-zu-studien/tragische-einzelfaelle/. Zugegriffen am
18.07.2021.
Moser, Sibylle. 2003. Feministische Medientheorien. In Theorien der Medien. Von der Kulturkritik
bis zum Konstruktivismus, Hrsg. Stefan Weber, 224–252. Konstanz: UTB.
318 M. Thiele

Nieland, Jörg-Uwe. 2009. Merkel und der Boulevard – eine weibliche (Erfolgs-)strategie? In Politik
auf dem Boulevard? Die Neuordnung der Geschlechter in der Politik der Mediengesellschaft,
Hrsg. Margreth Lünenborg, 103–129. Bielefeld: transcript.
Pinn, Irmgard. 1997. Muslimische Migranten und Migrantinnen in deutschen Medien. In Wissen-
schaft Macht Politik. Interventionen in aktuelle Diskurse. Siegfried Jäger zum 60. Geburtstag,
Hrsg. Gabriele Cleve, Ina Ruth, Ernst Schulte-Holtey, und Frank Wichert, 215–234. Münster:
Westfälisches Dampfboot.
Pinseler. Jan. 2011. Heteronormativität oder Vielfalt und Differenz? Queer-theoretische Analysen
allgegenwärtiger medialer Konstruktionen von Hetero- und Homosexualität. In Vielfalt und
Geschlecht – relevante Kategorien in der Wissenschaft, Hrsg. Bettina Jansen-Schulz und
Kathrin van Riesen, 125–140. Opladen/Farmington Hills: Barbara Budrich.
Pinseler, Jan. 2013. „Deshalb glaube ich, dass er schwul ist.“ Die alltägliche Konstruktion von
Homonormativität im Fernsehen am Beispiel der Sendung Date oder Fake. In Sexy Media?
Gender/Queer-theoretische Analysen in den Medien- und Kommunikationswissenschaften,
Hrsg. Skadi Loist, Sigrid Kannengießer, und Joan Kristin Bleicher, 131–146. Bielefeld: tran-
script.
Prenner, Andrea. 1995. Die Konstruktion von Männerrealität in den Nachrichtenmedien. Eine
theoretisch-empirische Untersuchung anhand eines Beispiels. Bochum: Brockmeyer.
Prommer, Elizabeth, und Christine Linke. 2019. Ausgeblendet: Frauen in Fernsehen und Film. Mit
einem Vorwort von Maria Furtwängler. Unter Mitarbeit von Sophie Charlotte Rieger. Köln:
Herbert von Halem.
Rauchut, Franziska. 2018a. „Keine Angst vorm bösen Gender“ – Interventionen in die Antifemi-
nismusdebatte im deutschen Print- und Fernsehjournalismus. Feministische Studien 36(1): 188–
196. https://doi.org/10.1515/fs-2018-0015.
Rauchut, Franziska. 2018b. Scholarship with commitment. Die Rolle von Cultural, Gender und
Queer Studies für eine engagierte Kommunikationswissenschaft. In Kommunikationswissen-
schaftliche Gender Studies. Zur Aktualität kritischer Gesellschaftsanalyse, Hrsg. Ricarda Drüe-
ke, Elisabeth Klaus, Martina Thiele, und Julia Elena Goldmann, 91–106. Bielefeld: transcript.
Rauchut, Franziska. 2020. „Journalistische Gender-Gegnerschaft.“? Antigenderismus, Antifemi-
nismus und Sexismus. In Medienkritik. Zwischen ideologischer Instrumentalisierung und
kritischer Aufklärung, Hrsg. Hans-Jürgen Bucher, 358–374. Köln: Herbert von Halem.
Riesmeyer, Claudia, und Martina Thiele. 2018. „Image change is Clinton’s toughest job.“ Reak-
tionen deutscher und österreichischer Print- und Onlinemedien auf die Präsidentschaftskan-
didatur Hillary Clintons. In Kommunikationswissenschaftliche Gender Studies. Zur Aktualität
kritischer Gesellschaftsanalyse, Hrsg. Ricarda Drüeke, Elisabeth Klaus, Martina Thiele, und
Julia Elena Goldmann, 139–155. Bielefeld: transcript.
Röben, Bärbel, Cornelia Wilß, und Dritte-Welt-JournalistInnen-Netzwerk, Hrsg. 1996. Verwaschen
und verschwommen. Fremde Frauenwelten in den Medien. Frankfurt a. M.: Brandes & Apsel.
Röder, Maria. 2007. Haremsdame, Opfer oder Extremistin? Muslimische Frauen im Nachrichten-
magazin Der Spiegel. Berlin: Frank & Timme.
Röser, Jutta. 1992. Frauenzeitschriften und weiblicher Lebenszusammenhang. Themen, Konzepte
und Leitbilder im sozialen Wandel. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Schaffer, Johanna. 2008. Ambivalenzen der Sichtbarkeit. Über die visuellen Strukturen der Aner-
kennung. Bielefeld: transcript.
Schiffer, Sabine. 2005. Die Darstellung des Islams in der Presse. Sprache, Bilder, Suggestionen.
Eine Auswahl von Techniken und Beispielen. Würzburg: Ergon.
Schmerl, Christiane, Hrsg. 1989. In die Presse geraten. Darstellung von Frauen in der Presse und
Frauenarbeit in den Medien, 2., durchges. Aufl. Köln/Wien: Böhlau.
Schmincke, Imke. 2019. Die Neue Frauenbewegung in den Medien. In Handbuch Medien und
Geschlecht. Perspektiven und Befunde der feministischen Kommunikations- und Medienfor-
Medieninhalte: Geschlechterrepräsentationen und -(de)konstruktionen 319

schung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Veronika Ratković. Wiesba-
den: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_40-1.
Schmoliner, Marei. 2018. „Tahrirplatz in Köln“? Sexualisierte Gewalt im öffentlichen Raum
zwischen Aneignung und Zuschreibung. In Doing Space while Doing Gender – Vernetzungen
von Raum und Geschlecht in Forschung und Politik, Hrsg. Aenne Gottschalk, Susanne Kersten,
und Felix Krämer, 223–256. Bielefeld: transcript.
Schulz, Winfried. 1989. Massenmedien und Realität. Die „ptolemäische“ und die „kopernikani-
sche“ Auffassung. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft
30/1989, Massenkommunikation. Theorien, Methoden, Befunde. Hrsg. Max Kaase und Win-
fried Schulz, 135–149. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Seggelke, Sabine. 2009. Das Präsidentenpaar auf dem Boulevard. Privatheit und politische PR in
Frankreich. In Politik auf dem Boulevard? Die Neuordnung der Geschlechter in der Politik der
Mediengesellschaft, Hrsg. Margreth Lünenborg, 154–174. Bielefeld: transcript.
Spivak, Gayatri Chakravorty. 1993. In a word: Interview with Ellen Rooney. In Outside in the
teaching machine, 1–23. New York/London: Routledge.
Stehling, Miriam. 2011. Die ‚Unternehmerin ihrer selbst‘ im Reality TV: Geschlechtsspezifische
Anrufungen und Aushandlungen in Germany’s next Topmodel. In Dekonstruktion und Evidenz.
Ver(un)sicherungen in Medienkulturen, Hrsg. Tanja Thomas, Steffi Hobuß, Merle-Marie Kruse,
und Irina Hennig, 112–129. Königstein/Taunus: Ulrike Helmer.
Strick, Simon. 2021. Rechte Gefühle. Affekte und Strategien des digitalen Faschismus. Bielefeld:
transcript.
Thiele, Martina. 2015. Medien und Stereotype. Konturen eines Forschungsfeldes. Bielefeld: tran-
script.
Thiele, Martina. 2019. Geschlechterstereotype und Geschlechterrollen. In Handbuch Medien und
Geschlecht. Perspektiven und Befunde der feministischen Kommunikations- und Medienfor-
schung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Veronika Ratković. Wiesba-
den: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_10-1.
Thiele, Martina. 2020. Intersektionalität und Kommunikationsforschung: Impulse für kritische
Medienanalysen. In Feministische Theorie und kritische Medienkulturanalyse. Ausgangspunkte
und Perspektiven, Hrsg. Tanja Thomas und Ulla Wischermann, 163–177. Bielefeld: transcript.
Thiele, Martina. 2021. Political correctness and cancel culture. A question of power! The case for a
new perspective. Debate. Journalism Research. https://journalistik.online/en/debate-en/
political-correctness-and-cancel-culture%E2%80%84-%E2%80%84a-question-of-power/. Zu-
gegriffen am 07.06.2021.
Thiele, Martina, Tanja Thomas, und Fabian Virchow, Hrsg. 2010. Medien – Krieg – Geschlecht.
Affirmationen und Irritationen sozialer Ordnungen. Wiesbaden: VS.
Thiele, Martina, Helena Atteneder, und Laura Gruber. 2013. Neue Altersstereotype. Das Diskrimi-
nierungspotenzial medialer Repräsentationen „junger Alter.“ In Medienbilder – Stereotype –
Altersdiskriminierung, Hrsg. Dagmar Hoffmann, Clemens Schwender, und Wolfgang Reiß-
mann, 39–53. München: KoPaed.
Tuchman, Gaye. 1980 [engl. 1978]. Die Verbannung von Frauen in die symbolische Nichtexistenz
durch die Massenmedien. Fernsehen und Bildung 14 (1–2): 10–43.
Ulze, Harald. 1977. Frauenzeitschrift und Frauenrolle. Eine aussagenanalytische Untersuchung
der Frauenzeitschriften Brigitte, Freundin, Für Sie und Petra. Berlin: Volker Spiess.
Voglmayr, Irmgard. 2008. No wrinkles, no age? Alter(n)sbilder und Diskurse in den Medien. In
Medien – Politik – Geschlecht. Feministische Befunde zur politischen Kommunikationsfor-
schung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, und Regina Köpl, 218–232. Wiesbaden: VS.
Weiderer, Monika. 1993. Das Frauen- und Männerbild im deutschen Fernsehen. Eine inhalts-
analytische Untersuchung der Programme von ARD, ZDF und RTLplus. Regensburg:
S. Roderer.
320 M. Thiele

Werner, Petra, und Lars Rinsdorf. 1998. Ausgeblendet? Frauenbild und Frauenthemen im nord-
rhein-westfälischen Lokalfunk. Studie im Auftrag der Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-
Westfalen (LfR) und des Ministeriums für Gleichstellung von Frau und Mann Nordrhein-
Westfalen. Opladen: Leske + Budrich.
West, Candace, und Don Zimmermann. 1987. Doing gender. Gender & Society 1(2): 125–151.
Zick, Andreas, und Madlen Preuß. 2021. Hate Speech gegen Medienschaffende – Eine empirische
Analyse der Hintergründe und Wirkungen von Angriffen gegen Journalist*innen. In Hate
Speech – Multidisziplinäre Analysen und Handlungsoptionen. Theoretische und empirische
Annäherungen an ein interdisziplinäres Phänomen, Hrsg. Sebastian Wachs, Barbara Koch-
Priewe, und Andreas Zick, 253–278. Wiesbaden: Springer VS.
Zoonen, Liesbet van. 1994. Feminist media studies. London/Thousand Oaks/New Delhi: Sage.
Werbung und Gender-Marketing

Christina Holtz-Bacha

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322
2 Werbeinhalte und Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
3 Rezeption und Wirkung von Geschlechterdarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326
4 Gender-Marketing und Femvertising . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328
5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330

Zusammenfassung
Untersuchungen aus unterschiedlichen Kulturkreisen bestätigen die stereotype
Darstellung von Weiblichkeit und Männlichkeit in der Werbung. Zwar zeigt sich
im Laufe der Zeit eine Erweiterung des Rollenrepertoires der werblichen Reprä-
sentation von Frauen, dennoch sind in den Werbebildern weiterhin Stereotypen
und Diskriminierungen von Frauen allgegenwärtig, die Abhängigkeit und Unter-
ordnung signalisieren. In Wirkungsstudien sind vor allem Effekte kurzfristiger
Art nachgewiesen worden. Langfristige Untersuchungen, die Sozialisierungs-
effekte nachweisen können, sind selten.

Schlüsselwörter
Werbung · Gender-Marketing · Gender · Geschlechterrollen · Femvertising

C. Holtz-Bacha (*)
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Nürnberg, Deutschland
E-Mail: christina.holtz-bacha@fau.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 321
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_47
322 C. Holtz-Bacha

1 Einleitung

Die Darstellung von Frauen in der Werbung und ihre Kritik gehört zu den ersten
Untersuchungsfeldern der Frauen- und Geschlechterforschung. Im Zuge der Zweiten
Frauenbewegung der 1970er-Jahre entstanden die ersten Inhaltsanalysen, die dann in
der Folge bis in die 1980er- und Anfang 1990er-Jahre das überholte Frauenbild in
der Werbung massiv kritisierten. Erst in jüngster Zeit wurde die geschlechtsspezi-
fische Forschung zur Werbung insbesondere in Hinblick auf Gender-Marketing und
Femvertising wieder aufgenommen.
Werbung ist strategische Kommunikation mit dem Ziel, das beworbene Produkt
oder – bei politischer Werbung – Ideen zu verkaufen. Da aber Kaufverhalten selten
direkt zu beeinflussen ist, führt der Weg über die Änderung von Wissen, Meinungen
und Einstellungen. Das Interesse der Werbewirkungsforschung gilt dann auch pri-
mär dem auf dieses Ziel gerichteten Persuasionsprozess. Sie liefert Erkenntnisse
darüber, wie Werbung inhaltlich und formal am besten zu gestalten ist, um die
Wahrscheinlichkeit des Kaufs oder der Wahlentscheidung zu erhöhen. Über die
Beeinflussung der Kaufentscheidung hinaus hat Werbung indessen „Nebenwirkun-
gen“ und nimmt Einfluss auf Wissen, Meinungen, Einstellungen und Verhalten, die
nicht unmittelbar mit dem beworbenen Produkt zu tun haben, wohl aber das Image
des werbenden Unternehmens beeinflussen können. Um Resonanz zu erzeugen,
muss sich Werbung den kulturellen Mustern, Werten und Ideen ihres Publikums
anpassen, weil dieses sich sonst nicht angesprochen fühlt und sich nicht mit den
Situationen und Personen der Werbung identifizieren kann.
Schmidt (1995, S. 41) nennt Werbung daher einen Indikator für den kulturellen
Wandel der Gesellschaft. Werbung ist aber auch ein Faktor gesellschaftlichen Wan-
dels. Sie übernimmt eine Orientierungsfunktion, indem sie Wert- und Normvorstel-
lungen sowie Verhaltensvorbilder vermittelt. Sie stellt „Wunsch- und Distinktions-
potenziale zur Verfügung“ (Zurstiege 2002, S. 129) und arbeitet so bei der sozialen
und individuellen Bewusstseins- und Identitätsbildung mit. Denn mit der Abkehr
von der schlichten Ankündigung zur Verfügbarkeit bestimmter Waren, wie sie die
Frühzeit moderner Wirtschaftswerbung etwa ab 1850 charakterisierte, beginnt Wer-
bung bald, Geschichten zu erzählen, und zielt auf Hoffnungen, Wünsche und
Träume, die sich mit Hilfe der beworbenen Produkte verwirklichen lassen. Werbung
erfüllt also damit auch eine Sozialisations- und Vorbildfunktion und ist Teil der
individuellen wie auch gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit.
Die Analyse von Werbung geschieht also immer vor dem Hintergrund ihrer
Doppelrolle in einer die Gesellschaft reflektierenden und auf diese wiederum zu-
rückwirkenden Funktion. Die Gestaltung der Werbung und deren Strategien sind
daher stets in ihrem gesellschaftlichen Kontext zu sehen. Bezogen auf die Darstel-
lung der Geschlechter in der Werbung und die Strategien, die der Ansprache von
Frauen und Männern durch die Werbung dienen, bedeutet das: Werbung führt vor,
was eine Gesellschaft für typisch weiblich oder auch typisch männlich hält, welche
Rollen den Geschlechtern zugewiesen und welche Erwartungen an sie herangetragen
werden, welches Verhalten bei Frauen oder Männern akzeptiert oder eben nicht
akzeptiert wird. Gender-Marketing, also die Segmentierung des Marktes nach Frau-
Werbung und Gender-Marketing 323

en und Männern und ihre differenzierte Ansprache, orientiert sich an solchen ver-
meintlich unterschiedlichen Bedürfnissen und verstärkt diese. Trotz dieser differen-
zierten Sichtweise auf die Beziehung von Werbung und Geschlecht rekurrieren die
Werbepraxis – insbesondere der Deutsche Werberat – und auch einige wissenschaft-
liche Studien weiterhin auf die Spiegel-Metapher.

2 Werbeinhalte und Geschlecht

In ihrem Buch „The feminine mystique“, das mit dem Titel „Der Weiblichkeitswahn
oder die Selbstbefreiung der Frau“ auf Deutsch erschien, beklagt Betty Friedan
bereits 1963 für die USA die neuerliche Wiederbelebung des Leitbildes der
Nur-Hausfrau und macht dafür nicht zuletzt die Medien und insbesondere die
Werbung verantwortlich (Friedan 1963, 1966). Die kritische Betrachtung der Wer-
bung bezüglich ihrer Sozialisationsfunktion verstärkt sich dann auch ab den aus-
gehenden 1960er-Jahren im Gefolge verschärfter Werbekritik und der Neuen
Frauenbewegung.
Während die Werbekritik sich allgemein auf die „Kulturindustrie“ (Horkheimer
und Adorno 1985, S. 108–150) und auf den durch Werbung geförderten Waren-
charakter von Kulturprodukten in der kapitalistischen Gesellschaft bezieht (Haug
1971), geraten mit den geschlechtsspezifischen Strategien der Werbung die Dar-
stellung der Geschlechter, zunächst allerdings nur von Frauen, sowie die sich daraus
ergebende vermutete Wirkung ins Blickfeld.
Als strategische Kommunikation geschieht Werbung unter spezifischen Bedin-
gungen, die eine klischeehafte Darstellung fördern. Denn generell dienen Klischees
oder Stereotype der Reduktion von Komplexität, werden jedoch dort problematisch,
wo sie zur Diskriminierung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen beitragen.
Geschlechterrollenstereotype beruhen auf der Vorstellung, dass sich die Ge-
schlechter in bestimmten Attributen unterscheiden, die vier Komponenten umfassen,
nämlich Charaktereigenschaften (z. B. Durchsetzungskraft), physische Merkmale
(z. B. Körpergröße), Rollenverhalten (z. B. Führungsrolle, Umgang mit Kindern)
und Berufsrolle (Eisend 2010, S. 419; Grau und Zotos 2016, S. 761). Mit der
Verwendung bzw. Konstruktion solcher Stereotype kann Werbung zur Verstärkung
von Geschlechterbildern beitragen und so die Vorstellungen von Männlichkeit und
Weiblichkeit im Selbst- und Fremdbild, nicht zuletzt bei Kindern, mit beeinflussen.
Ein Großteil der Forschung stützt sich daher auf Inhaltsanalysen und untersucht
die Darstellung von Frauen und Männern in der Werbung. Im Gegensatz zu diffe-
renzierten Konzepten von Femininität und Maskulinität verwendet die Werbefor-
schung Geschlecht überwiegend als binäre Variable (Wolin 2003, S. 113). Wohl
nicht zuletzt aus forschungsökonomischen Gründen (leichtere Zugänglichkeit, ins-
besondere bei Vergleichen über Zeit, sowie einfachere Codierung) beziehen sich
Inhaltsanalysen vorzugsweise auf Printmedien, haben aber, zumal in den USA, auch
früh die Fernsehwerbung berücksichtigt und wenden sich neuerdings der Werbung
im Netz zu. Neben einer im Vergleich zu Männern geringeren Präsenz von Frauen in
der Werbung verwies die frühe Forschung auf ein enges und stereotypes Rollenre-
324 C. Holtz-Bacha

pertoire für Frauen. Eine der ersten Analysen der Zeitschriftenwerbung in den USA
ergab vier Muster in der Darstellung von Frauen und Männern. Die Anzeigen legten
nahe, dass die Frau ihren Platz im Haus hat, dass Frauen keine wichtigen Entschei-
dungen treffen oder wichtige Dinge tun, dass Frauen abhängig sind und männlichen
Schutz brauchen und dass Männer Frauen vorrangig als Sexobjekte betrachten
(Courtney und Lockeretz 1971, S. 94–95). Eine Nachfolgestudie (Wagner und
Banos 1973) befand wenig später, dass in der Zeitschriftenwerbung zwar mittler-
weile mehr berufstätige Frauen zu sehen waren, dafür aber ein höherer Prozentsatz
der nicht-berufstätigen Frauen in passiven und dekorativen Rollen auftrat (vgl. auch
Belkaoui und Belkaoui 1976). Studien zur Werbung im Fernsehen gelangten zu
ähnlichen Ergebnissen (z. B. Ferrante et al. 1988). Frauen sind auch hier unterre-
präsentiert, sie weisen andere Eigenschaften auf als Männer (sind weniger aktiv,
mächtig, rational und intelligent, aber jünger und mehr auf ihr Äußeres bedacht) und
als berufstätige Frauen eher in Berufen mit niedrigem Status präsent (Lazier und
Kendrick 1993, S. 202). Ferner zeigte sich, dass Frauen in der Werbung für be-
stimmte Produktbereiche eingesetzt (Haushalt, Kosmetik) werden, während sie
dafür in anderen (Auto, Alkohol) nicht vorkommen (Busby 1975). Frauen sind
eher im häuslichen Umfeld zu sehen, Männer außer Haus. Männer dominierten als
Sprecher, sie sind die Stimme der Autorität (z. B. Courtney und Whipple 1974).
Nachhaltigen Einfluss auf die weitere Forschung hatte die Studie des Soziologen
Erving Goffman (1981, zuerst 1976), der eine Verbindung zwischen dem Werbebild
und der gesellschaftlichen Stellung der Frau herstellte. Anhand zahlreicher Beispiele
erarbeitete er Kategorien für die Analyse von Geschlechterdarstellungen in der
Anzeigenwerbung, die die gesellschaftliche Bedeutung der Geschlechter, ihre Rang-
ordnung oder stereotype Eigenschaften demonstrieren und damit verfestigen. Dem-
nach zeigen Bildkomposition, Rahmung der Handlung, Blickrichtung der Frauen,
Berührung oder relative Größe der Personen, wie durch diese stilistischen Merkmale
gesellschaftliches Gewicht, Macht, Autorität und Unterordnung erzeugt werden
können. Mittels dieser visuellen Komposition in der Werbung wirken Männer
oftmals unabhängig, kräftig und kompetent, während Frauen Eigenschaften aufwei-
sen, die sie als abhängig, passiv und dem Mann untergeordnet präsentieren.
Eine über einen Zeitraum von 50 Jahren reichende Werbeanalyse verschiedener
US-amerikanischer Zeitschriften, die auch alle von Goffman entwickelten Katego-
rien umfasste, konnte Veränderungen in der Rollendarstellung von Frauen ermitteln
(Mager und Helgeson 2011); demnach bleiben Frauen nicht mehr nur auf die
häusliche Sphäre verwiesen und sind nun auch bei wichtigen Tätigkeiten zu sehen.
Nach wie vor werden Frauen aber in Abhängigkeit gezeigt und als des männlichen
Schutzes bedürfend. Zugenommen hat indessen die Sexualisierung von Frauen in
den Werbeanzeigen, womit auch der Umstand einhergeht, dass Frauen(körper)
häufiger als Männer(körper) eine dekorative Funktion innehaben.
Studien aus aller Welt haben die Stereotypisierung der Geschlechterrollen in der
Werbung bestätigt und sprechen gar von einem universellen Phänomen (Furnham
und Mak 1999). Einige Untersuchungen nehmen internationale Vergleiche vor,
meist für zwei oder drei Länder (vgl. z. B. Browne 1998; Cheng 1997; Gilly 1988;
Hetsroni 2007; Tartaglia und Rollero 2015; Wiles et al. 1995). Erst in den letzten
Werbung und Gender-Marketing 325

Jahren gab es größer angelegte Studien, die entweder in Meta-Analysen mehrere


Länder berücksichtigen oder diese direkt in den Vergleich einbringen. In Anbetracht
der Kulturabhängigkeit von Werbung richtet sich der Fokus auf die Frage, inwieweit
kulturelle Faktoren und insbesondere das Verhältnis von Maskulinität zu Femininität
in einer Kultur (zuerst Hofstede 1983) die Darstellung der Geschlechter beeinflus-
sen. Nach Hofstede (1983) zeichnet sich die Maskulinitätsdimension u. a. durch
Konkurrenzbereitschaft und Selbstbewusstsein aus, die Femininitätsdimension hin-
gegen durch Fürsorge, Kooperation und Bescheidenheit.
In einer Meta-Analyse von 64 Untersuchungen zur Darstellung der Geschlechter
in der Werbung, die neben Studien aus den USA auch, jedoch ausschließlich auf
Englisch publizierte, Studien anderer Kontinente aus der Zeit von 1981 bis 2007
einbezieht, kommt Eisend (2010) zu dem Schluss, dass die Stereotypisierung der
Geschlechter allgegenwärtig ist und am stärksten beim beruflichen Status ausfällt.
Die Befunde sprechen dafür, dass die Stereotypisierung im Laufe der Jahre
insgesamt zurückgegangen ist, allerdings bedingt durch Veränderungen in denjeni-
gen Ländern, die sich durch hohe Werte auf Hofstedes Maskulinitätsdimension
auszeichnen (Eisend 2010, S. 435–436). Während Paek et al. (2011) im Vergleich
von sieben Ländern die Dominanz von Männern in der Fernsehwerbung bestätigen,
zeigt sich ein Einfluss der Maskulinitätsdimension nur hinsichtlich der Off-Stimme.
Einer groß angelegten international vergleichenden Studie zufolge, die die Präsen-
tation von Geschlechterrollen in 1755 Fernsehwerbespots aus 13 asiatischen, ame-
rikanischen und europäischen Ländern untersuchte (Matthes et al. 2016), bestätigt
sich zwar das Fortbestehen der alten Stereotype, ein systematischer Zusammenhang
mit kulturellen Faktoren ließ sich allerdings nicht feststellen. (Vgl. z. B. auch Milner
2005; Odekerken-Schröder et al. 2002)
Im deutschsprachigen Bereich haben zuerst Hering (1979) und Schmerl (1983,
zuletzt 2006a, b) zahlreiche Beispiele für gängige Werbeklischees über Frauen
zusammengetragen. Schmerl identifizierte sieben Werbestrategien bzw. ‚Rezepte‘,
die offen frauenfeindlich sind, indem sie Frauen herabwürdigen oder lächerlich
machen (Schmerl 1983, S. 18–25). Rezept Nr. 1, das sich häufig auch in Kom-
bination mit anderen Werbestrategien findet, ist der Einsatz von sexuellen Anzüg-
lichkeiten auf Kosten der Frau (Verwendung als sexueller Anreiz). Nr. 2 nimmt eine
Gleichsetzung von Frauen mit Produkten und Konsumartikeln (Verwendbarkeit von
Frauen zu Konsumzwecken, Frauen als Schmuckstück) vor. Nr. 3 legt nahe, Frauen
haben nur Haushalt im Kopf (Haushalt als einzige Erfüllung von Frauen). Rezept
Nr. 4 verweist auf als typisch weiblich bezeichnete „Unarten“ (z. B. Launenhaftigkeit,
Tratschsucht). Nach Rezept Nr. 5 wirken rigorose Anforderungen an die Schönheit
für Frauen wie eine kosmetische Zwangsjacke. Nr. 6 nimmt eine Vermarktung und
Pervertierung des Begriffs ‚Emanzipation‘ vor, indem diese entweder lächerlich
gemacht oder aber durch den Kauf bestimmter Produkte als käuflich zu erwerben
hingestellt wird. Männlicher Zynismus auf Kosten der Frau ist Werberezept Nr. 7.
Während eine Synopse der deutschen Forschung Mitte der 1990er-Jahre (Velte
1995) beklagte, dass die alten Geschlechterklischees in der Werbung beharrliche
Konstanz aufweisen, befand eine Untersuchung von 2007 (Vennemann und Holtz-
Bacha 2011), dass Frauen mittlerweile eine Vielzahl von Rollen repräsentieren. Am
326 C. Holtz-Bacha

häufigsten treten Frauen nun in Freizeitrollen auf, daneben gibt es aber auch Senio-
rinnen, sportliche Frauen und Expertinnen. Die Werbefrauen wirken selbstbewusst,
unabhängig und zielstrebig und dabei unbeschwert und lebensfroh, was auch für
Frauen in der klassischen Rolle als Hausfrau und Mutter zu gelten scheint.
Brosius und Staab legten 1990 eine Langzeitstudie vor, die die Anzeigenwerbung
der Illustrierten stern für die Jahre 1969 bis 1988 analysierte. Die Untersuchung
richtete sich auf die manifesten und – nach dem Vorbild von Goffman – die latenten
Merkmale der Darstellung von Frauen und Männern. Manifeste Merkmale beziehen
sich auf die Häufigkeiten weiblicher und männlicher Protagonisten sowie die Rollen,
in denen sie in der Werbung auftreten. Latente Merkmale sind nonverbale Informa-
tionen, die in den Geschlechterbildern enthalten sind. Während die Untersuchung im
Zeitverlauf eine Ausdifferenzierung der weiblichen Rollen ergab, verwiesen die
latenten Merkmale weiterhin auf die bekannten Geschlechterstereotypen.
Die Untersuchung des Frauenbildes in der Werbung impliziert den Vergleich mit
Männern. Daher liefern die meisten Studien zu Rollenstereotypen Ergebnisse für beide
Geschlechter und erlauben, Unterschiede bzw. Diskriminierungen auszumachen.
Die deutschsprachige Forschung jedoch nahm den Auftritt von Männern in der
Werbung und die Darstellung von Männlichkeit erst relativ spät in den Blick (vgl.
aber Brosius und Staab 1990). Die Pionierstudie dazu stammt von Zurstiege (1998),
der die Darstellung von Männern in Zeitschriftenanzeigen der 1950er-, 70er- und
90er-Jahre analysierte. Männer erwiesen sich hier vor allem als „sportlich, erfolg-
reich, tüchtig und vernunftbegabt“ (Zurstiege 1998, S. 196), zudem waren Männer
vor allem im Kontext von Arbeit und Beruf zu finden. Im Zeitverlauf nahmen
Attribute körperlicher Attraktivität in den Männerdarstellungen zu. Nach dem Vor-
bild von Zurstiege analysierte Dreßler (2008) die Darstellung von Männern in
Anzeigen aus dem stern für die Jahre 1950 bis 2006. Rund zwei Fünftel der Männer
traten in der Freizeit auf, im beruflichen Umfeld dagegen nur 13 Prozent, wobei
Dreßler allerdings ab den 1990er-Jahren eine Tendenz hin zu Berufsrollen ausmacht.
Zurstiege und Dreßler identifizierten mehrere (sieben bzw. sechs) vorherrschende
Männertypen, deren Bedeutung in der Werbung sich im Laufe der Jahrzehnte
wandelt.

3 Rezeption und Wirkung von Geschlechterdarstellungen

Inhaltsanalysen prüfen, wie die in der Werbung präsentierten Geschlechterbilder


aussehen und verbinden ihre Befunde aber oft auch mit Vermutungen über Effekte.
Studien, die Rezeption und Wirkungen von Werbung in den Blick nehmen,
fragen nach Unterschieden zwischen Frauen und Männern in der Rezeption von
Geschlechterdarstellungen sowie nach deren individuellen und gesellschaftlichen
Wirkungen (Einstellungen, Vorstellungen, Verhalten).
Wirkungsstudien stützen sich vornehmlich auf die Einstellungstheorie sowie die
Kultivierungshypothese und basieren meist auf experimentellen Designs und ver-
schiedenen Arten von Befragungen. Nach der Einstellungstheorie (vgl. vor allem
Fishbein 1963) bilden sich Einstellungen aufgrund von Vorstellungen von einem
Werbung und Gender-Marketing 327

Objekt (Wissen) und seiner Bewertung, also einer kognitiven und einer affektiven
Komponente. Werbung kann Einstellungen beeinflussen, indem sie Vorstellungen
von einem Objekt etabliert, verfestigt oder ändert (Weber und Schweiger 2017, S. 8).
Die von George Gerbner und Mitarbeiter(inne)n zunächst im Zusammenhang mit
Gewaltdarstellungen formulierte Kultivierungshypothese schreibt dem Fernsehen
langfristige Wirkungen zu, die sich aus der Kumulation von Eindrücken ergeben,
welche von der Realität abweichen und eher der Medienrealität entsprechen (Gerb-
ner und Gross 1976; vgl. auch Gerbner et al. 2002). Diese Perspektive geht davon
aus, dass Werbung Einstellungen zu und Vorstellungen von den Geschlechtern mit
beeinflusst und Geschlechterbilder formt, bestätigt und verstärkt.
In einer Zusammenschau der werbekritischen Literatur aus verschiedenen Dis-
ziplinen, darunter allerdings keine empirischen Untersuchungen, sieht es Pollay als
gegeben, dass Werbung auf die Gesellschaft einwirkt, und diagnostiziert „nicht
intendierte soziale Konsequenzen“ (Pollay 1986, S. 19). Eisend (2010) kommt
dagegen zu dem Schluss, dass die Befunde der für eine Meta-Analyse herangezo-
genen Studien eher für die Spiegel-Metapher sprechen. In Anbetracht der Ergebnisse
über die Geschlechterbilder, die die Werbung vermittelt, ist dann allerdings von
einem „Zerrspiegel“ (Pollay 1986) auszugehen.
Frauen und Männern verarbeiten Werbedarbietungen unterschiedlich. Nach dem
Selektivitätsmodell nehmen Frauen die Werbung ganzheitlich wahr, während Män-
ner selektiv an die Werbeinformationen herangehen (Darley und Smith 1995; Wolin
2003). In Anlehnung an Bem (1993), der zufolge eine Geschlechteroptik die Kon-
struktion der sozialen Realität beeinflusst und Genderstereotype (re)produziert,
führen Lafky et al. (1996) auch Unterschiede in der Art und Weise, wie Frauen
und Männer die Werbebilder kognitiv verarbeiten, auf die Geschlechteroptik zurück.
Rezeptionsstudien aus verschiedenen Ländern zeigen, dass vor allem Frauen die
weibliche Geschlechterrepräsentation als unrealistisch empfinden. Ebenso reagieren
Frauen und Männer unterschiedlich auf die Darstellung der Geschlechter in der
Werbung, und das gilt insbesondere für sexistische Werbung (Moser und Verheyen
2011; Gramazio et al. 2021; Van Hellemont und Van Bulck 2012). Kritische
Reaktionen richten sich nicht nur gegen die Werbung, sondern können sich auch
ungünstig für das Image des werbenden Unternehmens oder die beworbene Marke
auswirken (z. B. De Young und Crane 1992; Ford et al. 1997; Ford und LaTour
1996; Kotelmann und Mikos 1981; Orth und Holancova 2004; Vennemann und
Holtz-Bacha 2011).
Als problematisch erweisen sich die Effekte attraktiver und oft allzu schlanker
Models in der Werbung. Mit ihren Rollenbildern bietet die Werbung Attraktivitäts-
ideale, die Rezipientinnen und Rezipienten als Orientierung und Vorbild dienen.
Nach der Theorie des sozialen Vergleichs (Festinger 1954) nehmen Frauen und
Männer Aufwärtsvergleiche mit attraktiven Medienpersonen und Abwärtsvergleiche
mit weniger attraktiven Medienpersonen vor und schließen daraus auf ihre eigene
Handlungsmöglichkeit, um der gesellschaftlichen Norm zu entsprechen. Überblicke
über die mittlerweile umfangreiche Forschung zeichnen ein uneinheitliches Bild von
den Wirkungen, verweisen aber größtenteils darauf, dass sich vor allem Frauen an
den Schönheits- und Schlankheitsidealen der Werbung messen. Solche Vergleiche
328 C. Holtz-Bacha

führen zur Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, und Frauen tendieren auch eher
als Männer dazu, diese Ideale als erstrebenswerte Norm anzuerkennen (Hargreaves
und Tiggemann 2004). Einige Studien zeigen indessen, dass die Konfrontation mit
stereotypen Männerbildern sich auch bei Männern negativ auf ihre Körperzufrie-
denheit auswirkt (Agliata und Tantleff-Dunn 2004; Lorenzen et al. 2004).
Kritik an der normierten Weiblichkeit formuliert auch Gill (2008) aus (post-)
feministischer Sicht: Die zunehmende Sexualisierung verbunden mit einer selbst-
bewussten Femininität in der Werbung führe dazu, dass junge Frauen sexualisiertes
Verhalten mit Emanzipation und Handlungsmacht verbinden sowie Heteronormati-
vität als neoliberale Norm akzeptieren.
Ein besonderer Fokus in diesem Zusammenhang richtet sich darauf, welche
Effekte die in der Werbung präsentierten Geschlechterbilder auf Kinder haben und
inwieweit sie die Herausbildung ihrer Geschlechtsidentität und ihr Fremdbild der
Geschlechter beeinflussen. Nach Erkenntnissen aus Studien, die sich auf die soziale
Lerntheorie (Bandura) stützen, übernehmen Kinder Verhaltensmuster auch von
Modellen, die ihnen die Medien präsentieren. Da sich gezeigt hat, dass Männer in
der Werbung das Umfeld von Kinderprogrammen dominieren und sie ein stereo-
types Rollenrepertoire aufweisen, liegt es nahe, dass Kinder entsprechende Ge-
schlechterbilder übernehmen (z. B. Bakir und Palan 2010; Busby 1975; Courtney
und Whipple 1983; Peirce 1989; Pingree 1978). Das gilt u. a. auch für die Berufs-
rollen, die als adäquat für Frauen und Männer gesehen werden und damit eigene
Berufswünsche beeinflussen können.
Geschlechtergerechte Darstellungen und Gegenstereotype haben sich als effektiv
erwiesen, um traditionellen Stereotypen entgegenzuwirken (Chu et al. 2016; Sig-
norielli 1990).

4 Gender-Marketing und Femvertising

In Abhängigkeit vom Produkt versucht die Werbung, geeignete Zielgruppen anzu-


sprechen, um Streuverluste zu vermeiden. Geschlecht gehört dabei zu den wichtigs-
ten Segmentierungskriterien. Die anvisierte Zielgruppe beeinflusst, wo und wie
geworben wird. Die Unterscheidung von Zielgruppen nach Geschlecht orientiert
sich am traditionellen Rollenmuster, wenn zum Beispiel für Haushaltswaren bevor-
zugt in Frauenzeitschriften geworben wird und für Baumärkte in überwiegend von
Männern genutzten Medien. Aktuell wird dieser Trend auf Internet-Portalen durch
den Einsatz von Algorithmen noch verstärkt. Geschlechterspezifische Studien zur
Onlinewerbung stehen allerdings noch aus.
Gender-Marketing, das in den USA bereits in den 1990er-Jahren aufkam, Europa
aber erst ein paar Jahre nach der Jahrtausendwende erreichte, geht über die bekannte
Art der Segmentierung hinaus. Nach der Definition des Deutschen Instituts für
Marketing (Pyzalski 2017) handelt es sich bei Gender-Marketing um „einen spe-
ziellen Ansatz, bei dem die verschiedenen Bedürfnisse von Männern und Frauen
oder Mädchen und Jungs bei der Produktentwicklung, dem Vertrieb und vor allem
im Marketing berücksichtigt werden.“ Das Ziel von Gender-Marketing, so heißt es
Werbung und Gender-Marketing 329

dort weiter, sei „eine noch effizientere, zielgruppenspezifische Ansprache sowie das
Erzielen höherer Preise. Diese geschlechterspezifische Abgrenzung wird oftmals
auch als ‚SheCommerce‘, ‚Female Commerce‘ oder ‚Marketing to Women‘ bezeich-
net.“ (Pyzalski 2017, Hervorhebung im Original). Geschlechterspezifische Anspra-
che nach dem Konzept des Gender-Marketings heißt: „Produktname, Wortklang,
Design und Material des Produkts sollten dem jeweiligen Geschlecht entsprechend
konzipiert werden“ (Pyzalski 2017). Dabei soll gelten: emotionale Ansprache für die
Frau, rationale Ansprache für den Mann.
Gender-Marketing beruft sich auf vermeintliche Unterschiede zwischen Frauen
und Männern in der Wahrnehmung ihrer Umwelt, in der Informationsverarbeitung
und im (Konsum-)Verhalten. Mit der Entwicklung von Mädchen- und Jungen-,
Frauen- und Männerprodukten und ihrer entsprechenden Vermarktung betont das
Gender-Marketing die Unterschiede zwischen den Geschlechtern und hält damit die
Geschlechterdifferenz als allgegenwärtige gesellschaftliche Norm aufrecht. Nicht
zuletzt Kinder lernen auf diese Art und Weise, was die Gesellschaft als für Mädchen
und für Jungen angebracht hält. So haben Auster und Mansbach (2012) in einer
Studie über das Spielzeugangebot auf der Disney-Store-Webseite festgestellt, dass
die Produkte für Jungen meist aus Actionfiguren, Bausteinen, Autos und Waffen
bestanden und in kräftigen und dunklen Farben gehalten sind, während für Mädchen
Puppen und auf Schönheit, Kosmetik oder Schmuck bezogene Produkte überwie-
gend in Pastellfarben und pink oder lila angeboten werden. Geschlechterneutrale
Spielzeuge, die nicht spezifisch für Jungen oder Mädchen ausgewiesen sind, ähneln
eher den Spielzeugen für Jungen. Wenn also Spielsachen solchermaßen für die
Geschlechter getrennt markiert, vermarktet und dann entsprechend gekauft werden,
beschränken sich die Erfahrungen der Kinder auf das ihnen zugewiesene Spielzeug,
und im Umgang damit erwerben sie verschiedenartige Fähigkeiten, die wiederum
Folgen haben können für ihr zukünftiges Rollenrepertoire und ihre Berufswünsche
(Auster und Mansbach 2012; Cherney und London 2006). Auch die Ergebnisse
dieser Studie bestätigen die „Pinkification“, die die Kritik dem Gender-Marketing
vorwirft.
Femvertising dagegen nimmt für sich in Anspruch, durch „messages of power,
strength and authenticity“ (Becker-Herby 2016, S. 7) die Gleichstellung zu unter-
stützen und weibliches Selbstbewusstsein zu stärken. Der Begriff steht für female
empowerment advertising. Mit Femvertising setzen Werbungtreibende auf nicht-
traditionelle Frauenbilder und Gegenstereotype, die das Selbstwertgefühl von Frau-
en steigern sollen. Damit erhoffen sie sich positive Effekte durch Verbesserungen in
den Einstellungen der Rezipientinnen zur Werbung und zur Marke. Die Forschung
hat gezeigt, dass Femvertising zum Abbau von Reaktanz gegenüber der Werbung
und zu einer Stärkung des Selbstwertgefühls beitragen kann (Åkestam et al. 2017;
Couture Bue und Harrison 2019; Kapoor und Munjal 2019). Bekanntestes Beispiel
in Europa ist die Werbekampagne Real Beauty für die Hautpflegeprodukte der
Marke Dove aus dem Jahr 1994, die die Idee des Femvertising begründete. Statt
schlanker Models zeigten ihre Anzeigen „normal“ proportionierte Frauen, die de-
monstrierten, dass sie sich wohl in ihrer Haut fühlen.
330 C. Holtz-Bacha

Allerdings trifft auch Femvertising der Vorwurf eines „commodity feminism“,


weil Feminismus mit Konsum, Schönheit – in diesem Fall „natürliche“ Schönheit –
und Weiblichkeit verbunden wird (Becker-Herby 2016, S. 12; Goldman et al. 1991;
Murray 2014). Skepsis gegenüber den Intentionen der Femvertising betreibenden
Unternehmen zeigte sich dann auch in einer der wenigen Untersuchungen, die es zu
dieser Werbestrategie gibt, wiewohl deren soziales Engagement Anerkennung fand
(Abitbol und Sternadori 2016). Die Instrumentalisierung von Feminismus für Mar-
ketingzwecke ohne das Ziel des empowerment wird als „marketplace feminism“
oder „faux feminism“ kritisiert (Varghese und Kumar 2020, S. 9).

5 Fazit

Seit mehreren Jahrzehnten befasst sich die Forschung mit der Darstellung der
Geschlechter in der Werbung und untersucht deren Wirkungen. In der international
und sprachlich zugänglichen Literatur dominieren Untersuchungen aus den USA. Im
deutschsprachigen Bereich ist das Thema populär für universitäre Abschlussarbei-
ten, darüber hinaus bleibt der Forschungsertrag sehr begrenzt.
Untersuchungen von allen Kontinenten und aus unterschiedlichen Kulturkreisen
bestätigen die stereotype Darstellung der Geschlechter. Während im Laufe der Zeit
eine Erweiterung des Rollenrepertoires insbesondere von Weiblichkeit erfolgte, sind
in den Werbebildern weiterhin Diskriminierungen von Frauen auszumachen. For-
schungsbedarf gibt es ferner hinsichtlich weiterer Differenzkriterien wie Ethnizität,
sexuelle Orientierung, Alter etc. Auch die Onlinewerbung fand bislang bezüglich
Geschlecht und weiterer Differenzkriterien kaum Beachtung. In Wirkungsstudien
sind vor allem Effekte kurzfristiger Art nachgewiesen worden. Um Sozialisations-
effekte und den Einfluss der Werbung auf den gesellschaftlichen Prozess der
Geschlechterkonstruktion verfolgen zu können, bedarf es allerdings langfristiger
Untersuchungen, die auch deshalb selten sind, weil sich das Interesse der Werbung-
treibenden zuerst auf den ökonomischen Erfolg ihrer Werbemaßnahmen und nicht
auf gesellschaftsrelevante „Nebenwirkungen“ richtet.

Literatur
Abitbol, Alan, und Miglena Sternadori. 2016. You act like a girl: An examination of consumer
perceptions of femvertising. Quarterly Review of Business Disciplines 3(2): 117–138.
Agliata, Daniel, und Stacey Tantleff-Dunn. 2004. The impact of media exposure on males’ body
image. Journal of Social and Clinical Psychology 23(1): 7–22.
Åkestam, Nina, Sara Rosengren, und Micael Dahlen. 2017. Advertising „like a girl“: Toward a
better understanding of „femvertising“ and its effects. Psychology & Marketing. 34(8):
795–806.
Auster, Carol J., und Claire S. Mansbach. 2012. The gender marketing of toys: An analysis of color
and type of toy on the Disney Store website. Sex Roles 67(7–8): 375–388.
Bakir, Aysen, und Kay M. Palan. 2010. How are children’s attitudes towards ads and brands
affected by gender related content in advertising? Journal of Advertising 39(1): 35–48.
Werbung und Gender-Marketing 331

Becker-Herby, Elisa. 2016. The rise of femvertising: Authentically reaching female consumers.
University of Minnesota Digital Conservancy. http://hdl.handle.net/11299/181494. Zugegriffen
am 27.11.2017.
Belkaoui, Ahmed, und Janice M. Belkaoui. 1976. A comparative analysis of the roles portrayed by
women in print advertisements: 1958, 1970, 1972. Journal of Marketing Research 13(2):
168–172.
Bem, Sandra L. 1993. The lenses of gender. Transforming the debate on sexual inequality. New
Haven: Yale University Press.
Brosius, Hans-Bernd, und Joachim Friedrich Staab. 1990. Emanzipation in der Werbung? Die
Darstellung von Frauen und Männern in der Anzeigenwerbung des ‚stern‘ von 1969 bis 1988.
Publizistik 35(3): 292–303.
Browne, Beverly A. 1998. Gender stereotypes in advertising on children’s television in the 1990s:
A cross-national analysis. Journal of Advertising 27(1): 83–96.
Busby, Linda J. 1975. Sex-role research on the mass media. Journal of Communication 25(4):
107–131.
Cheng, Hong. 1997. Holding up half the sky‘? A sociocultural comparison of gender-role portrayals
in Chinese and US advertising. International Journal of Advertising 16(4): 295–319.
Cherney, Isabelle D., und Kamala London. 2006. Gender-linked differences in the toys, televi-
sion shows, computer games, and outdoor activities of 5- to 13-year old children. Sex Roles
54(9–10): 717–726.
Chu, Kyounghee, Doo-Hee Lee, und Ji Yoon Kim. 2016. The effect of non-stereotypical gender role
advertising on consumer evaluation. International Journal of Advertising 35(1): 106–134.
Courtney, Alice E., und Sarah W. Lockeretz. 1971. A woman’s place: An analysis of roles portrayed
by women in magazine advertisements. Journal of Marketing Research 8(1): 92–95.
Courtney, Alice E., und Thomas W. Whipple. 1974. Women in television commercials. Journal of
Communication 24(2): 110–118.
Courtney, Alice E., und Thomas W. Whipple. 1983. Sex stereotyping in advertising. Lexington:
Lexington Books.
Couture Bue, Amelia C., und Kristen Harrison. 2019. Empowerment sold separately: Two experi-
ments examine the effects of ostensibly empowering beauty advertisements on women’s
empowerment and self-objectification. Sex Roles 81(9–10): 627–642.
Darley, William K., und Robert E. Smith. 1995. Gender differences in information processing
strategies: An empirical test of the selectivity model in advertising response. Journal of Adver-
tising 24(1): 41–56.
De Young, Susan, und Frederick G. Crane. 1992. Females’ attitudes toward the portrayal of women
in advertising: A Canadian study. International Journal of Advertising 11(3): 249–255.
Dreßler, Raphaela. 2008. Vom Patriarchat zum androgynen Lustobjekt – 50 Jahre Männer im stern.
In Stereotype? Frauen und Männer in der Werbung, Hrsg. Christina Holtz-Bacha, 124–154.
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Eisend, Martin. 2010. A meta-analysis of gender roles in advertising. Journal of the Academy of
Marketing Science 38(4): 418–440.
Ferrante, Carol L., Andrew M. Haynes, und Sarah M. Kingsley. 1988. Image of women in television
advertising. Journal of Broadcasting & Electronic Media 32(2): 231–237.
Festinger, Leon. 1954. A theory of social comparison processes. Human Relations 7(2): 117–140.
Fishbein, Martin. 1963. An investigation of the relationships between beliefs about an object and
the attitude toward the object. Human Relations 16(3): 233–240.
Ford, John B., und Michael S. LaTour. 1996. Contemporary female perspectives of female role
portrayals in advertising. Journal of Current Issues and Research in Advertising 18(1): 81–94.
Ford, John B., Michael S. LaTour, und Earl D. Honeycutt Jr. 1997. An examination of the cross-
cultural female response to offensive sex role portrayals in advertising. A research note.
International Marketing Review 14(6): 409–423.
Friedan, Betty. 1963. The feminine mystique. New York: W. W. Norton and Company.
Friedan, Betty. 1966. Der Weiblichkeitswahn oder die Selbstbefreiung der Frau. Reinbek: Rowohlt.
332 C. Holtz-Bacha

Furnham, Adrian, und Twiggy Mak. 1999. Sex-role stereotyping in television commercials: A
review and comparison of fourteen studies done on five continents over 25 years. Sex Roles
41(5–6): 413–437.
Gerbner, George, und Larry Gross. 1976. Living with television: The violence profile. Journal of
Communication 26(2): 173–199.
Gerbner, George, Larry Gross, Michael Morgan, und Nancy Signorielli. 2002. Growing up with
television. The cultivation perspective. In George Gerbner: Against the mainstream. The
selected works of George Gerbner, Hrsg. Michael Morgan, 193–213. New York: Peter Lang.
Gill, Rosalind. 2008. Empowerment/sexism: Figuring female sexual agency in contemporary
advertising. Feminism & Psychology 18(1): 35–60.
Gilly, Mary. 1988. Sex roles in advertising. A comparison of television advertisements in Australia,
Mexico, and the United States. Journal of Marketing 52(2): 75–85.
Goffman, Erving. 1981. Geschlecht und Werbung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Goldman, Robert, Deborah Heath, und Sharon L. Smith. 1991. Commodity feminism. Critical
Studies in Mass Communication 8(3): 333–351.
Gramazio, Sarah, Mara Cadinu, Francesca Guizzo, und Andrea Carnaghi. 2021. Does sex really
sell? Paradoxical effects of sexualization in advertising on product attractiveness and purchase
intentions. Sex Roles 84(11–12): 701–719.
Grau, Stacy L., und Yorgos C. Zotos. 2016. Gender stereotypes in advertising: A review of current
research. International Journal of Advertising 35(5): 761–770.
Hargreaves, Duane A., und Marika Tiggemann. 2004. Idealized media images and adolescent body
image: „comparing“ boys and girls. Body Image 1(4): 351–361.
Haug, Wolfgang F. 1971. Kritik der Warenästhetik. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Hering, Heide. 1979. Weibs-Bilder. Zeugnisse zum öffentlichen Ansehen der Frau. Ein häßliches
Bilderbuch. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
Hetsroni, Amir. 2007. Sexual content on mainstream TV advertising: A cross-cultural comparison.
Sex Roles 57(3–4): 201–210.
Hofstede, Geert. 1983. The cultural relativity of organizational practices and theories. Journal of
International Business Studies 14(2): 75–89.
Horkheimer, Max, und Theodor W. Adorno. 1985. Dialektik der Aufklärung. Philosophische
Fragmente. Frankfurt a. M.: S. Fischer.
Kapoor, Deepa, und Alka Munjal. 2019. Self-consciousness and emotions driving femvertising: A
path analysis of women’s attitude towards femvertising, forwarding intention and purchase
intention. Journal of Marketing Communications 25(2): 137–157.
Kotelmann, Joachim, und Lothar Mikos. 1981. Frühjahrsputz und Südseezauber. Die Darstellung
der Frau in der Fernsehwerbung und das Bewusstsein von Zuschauerinnen. Baden-Baden:
E. Baur.
Lafky, Sue, Margaret Duffy, Mary Steinmaus, und Dan Berkowitz. 1996. Looking through gende-
red lenses: Female stereotyping in advertisements and gender role expectations. Journalism and
Mass Communication Quarterly 73(2): 379–388.
Lazier, Linda, und Alice G. Kendrick. 1993. Women in advertisements. Sizing up the images, roles,
and functions. In Women in mass communication, Hrsg. Pamela J. Creedon, 2. Aufl., 199–219.
Newbury Park: Sage.
Lorenzen, Lisa A., Frederick G. Grieve, und Adrian Thomas. 2004. Exposure to muscular male
models decreases men’s body satisfaction. Sex Roles 51(11): 743–748.
Mager, John, und James G. Helgeson. 2011. Fifty years of advertising images: Some changing
perspectives on role portrayals along with enduring consistencies. Sex Roles 64(3–4): 238–252.
Matthes, Jörg, Michael Prieler, und Karoline Adam. 2016. Gender-role portrayals in television
advertising across the globe. Sex Roles 75(7–8): 314–327.
Milner, Laura M. 2005. Sex-role portrayals in African television advertising. Journal of Interna-
tional Consumer Marketing 17(2–3): 73–91.
Werbung und Gender-Marketing 333

Moser, Klaus, und Christopher Verheyen. 2011. Sex-Appeal in der Werbung: Die Entwicklung der
letzten Jahre. In Stereotype? Frauen und Männer in der Werbung, Hrsg. Christina Holtz-Bacha,
2., ak. u. erw. Aufl., 188–210. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Murray, Dara P. 2014. Investigating users’ responses to Dove’s „real beauty“ strategy. In The
Routledge compendium to media and gender, Hrsg. Cynthia Carter, Linda Steiner, und Lisa
McLaughlin, 533–542. New York: Routledge.
Odekerken-Schröder, Gaby, Kristof De Wulf, und Natascha Hofstee. 2002. Is gender stereotyping
in advertising more prevalent in masculine countries? A cross-national analysis. International
Marketing Review 19(4): 408–419.
Orth, Ulrich R., und Denisa Holancova. 2004. Men’s and women’s responses to sex role portrayals
in advertisements. International Journal of Research in Marketing 21(1): 77–88.
Paek, Hye-Jin, Michelle R. Nelson, und Alexandra M. Vilela. 2011. Examination of gender-role
portrayals in television advertising across seven countries. Sex Roles 64(3–4): 192–207.
Peirce, Kate. 1989. Sex-role stereotyping of children on television: A content analysis of the roles
and attributes of child characters. Sociological Spectrum 9(3): 321–328.
Pingree, Suzanne. 1978. The effects of nonsexist television commercials and perceptions of reality
on children’s attitudes about women. Psychology of Women Quarterly 2(3): 261–277.
Pollay, Richard W. 1986. The distorted mirror: Reflections on the unintended consequences of
advertising. Journal of Marketing 50(2): 18–36.
Pyzalski, Torsten. 2017. Gender-Marketing – Rollenklischee oder geniales Marketing? Deutsches
Institut für Marketing. https://www.marketinginstitut.biz/blog/gender-marketing/. Zugegriffen
am 01.10.2017.
Schmerl, Christiane. 1983. Frauenfeindliche Werbung. Sexismus als heimlicher Lehrplan. Reinbek:
Rowohlt.
Schmerl, Christiane. 2006a. Im Frauenzoo: Aufklärung über Fabeltiere. In Und sie bewegen sich
doch . . . Aus der Begegnung von Frauenbewegung und Wissenschaft, Hrsg. Schmerl Christiane,
289–305. Tübingen: dgvt.
Schmerl, Christiane. 2006b. Männliche Reflexe, weibliche Reflexionen: Werbung mit Frauen-
bildern. In Und sie bewegen sich doch . . . Aus der Begegnung von Frauenbewegung und
Wissenschaft, Hrsg. Schmerl Christiane, 289–305. Tübingen: dgvt.
Schmidt, Siegfried J. 1995. Werbung zwischen Wirtschaft und Kunst. In Werbung, Medien und
Kultur, Hrsg. Siegfried J. Schmidt und Brigitte Spieß, 26–43. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Signorielli, Nancy. 1990. Children, television, and gender. Messages and impact. Journal of
Adolescent Health Care 11(1): 50–58.
Tartaglia, Stefano, und Chiara Rollero. 2015. Gender stereotyping in newspaper advertisements: A
cross-cultural study. Journal of Cross-Cultural Psychology 46(8): 1103–1109.
Van Hellemont, Corine, und Hilde Van den Bulck. 2012. Impacts of advertisements that are
unfriendly to women and men. International Journal of Advertising 31(3): 623–656.
Varghese, Neema, und Navin Kumar. 2020. Feminism in advertising: irony or revolution? A critical
review of femvertising. Feminist Media Studies. https://doi.org/10.1080/14680777.2020.
1825510.
Velte, Jutta. 1995. Die Darstellung von Frauen in den Medien. In Frauen und Medien. Eine Synopse
der deutschen Forschung, Hrsg. Romy Fröhlich und Christina Holtz-Bacha, 182–253. Opladen:
Westdeutscher Verlag.
Vennemann, Angela, und Christina Holtz-Bacha. 2011. Mehr als Frühjahrsputz und Südseezauber?
Frauenbilder in der Fernsehwerbung und ihre Rezipienten. In Stereotype? Frauen und Männer
in der Werbung, Hrsg. Christina Holtz-Bacha, 2., ak. u. erw. Aufl., 88–118. Wiesbaden: VS
Verlag für Sozialwissenschaften.
Wagner, Louis C., und Janis B. Banos. 1973. A woman’s place: A follow-up analysis of the roles
portrayed by women in magazine advertisements. Journal of Marketing Research 10(2):
213–214.
334 C. Holtz-Bacha

Weber, Patrick, und Wolfgang Schweiger. 2017. Content effects: Advertising and marketing. In The
international encyclopedia of media effects, Hrsg. Patrick Rössler, Cynthia A. Hoffner, und
Liesbet van Zoonen. Hoboken: Wiley. https://doi.org/10.1002/9781118783764.wbieme0123.
Wiles, Judith A., Charles R. Wiles, und Anders Tjernlund. 1995. A comparison of gender role
portrayals in magazine advertising: The Netherlands, Sweden and the USA. European Journal
of Marketing 29(11): 35–49.
Wolin, Lori D. 2003. Gender issues in advertising – an oversight synthesis of research: 1970–2002.
Journal of Advertising Research 43(1): 111–129.
Zurstiege, Guido. 1998. Mannsbilder – Männlichkeit in der Werbung. Zur Darstellung von Män-
nern in der Anzeigenwerbung der 50er-, 70er- und 90er- Jahre. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Zurstiege, Guido. 2002. Die Gesellschaft der Werbung – was wir beobachten, wenn wir die
Werbung beobachten, wie sie die Gesellschaft beobachtet. In Die Gesellschaft der Werbung.
Kontexte und Texte. Produktionen und Rezeptionen. Entwicklungen und Perspektiven, Hrsg.
Herbert Willems, 121–138. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Feministische Werbekritik zwischen
Selbstregulierung und Aktivismus

Ulli Weish

Inhalt
1 Einleitung: Feministische Repräsentationskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
2 Sexismus – Begriffsentwicklung und Kontext der Anwendungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337
3 Postfeministische Phänomene sexistischer Werbeproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338
4 Hegemoniale Bildproduktion als normalisierender Sexismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340
5 Selbstregulierung der Werbebranche – Chancen und Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341
6 Adbusting als Markenkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
7 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344

Zusammenfassung
Feministische Werbekritik ist Gesellschaftskritik an Machtverhältnissen in Alltags-
und Populärkulturen. Mittels aktueller und traditioneller Werbesexismen werden
unterschiedliche Lesarten bereitgestellt. Maximale Aufmerksamkeitsgenerierung
als Richtlinie der Werbeindustrie produziert ‚aufregende‘ Bilder und Botschaften,
die vielfach neue Aspekte von Körperentfremdung im Postmodernismus miterzeu-
gen. Praktische Werbekritik leisten Einrichtungen der Selbstregulierung – wie zum
Beispiel in Österreich das duale System von Werberat und Watchgroups – und
feministische Interventionen etwa mit Strategien des Adbusting oder Culture
Jamming. Zwar stoßen feministische Praktiken von Markenironisierung an Gren-
zen, sie sind aber durch Irritation der Lesarten imstande, kritisches Bewusstsein zu
erzeugen. Dabei können öffentliche Debatten initiiert und Gesetzesinitiativen und
Institutionalisierungsverfahren eingeleitet werden.

U. Weish (*)
Universität Wien, Wien, Österreich
E-Mail: ulli.weish@univie.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 335
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_48
336 U. Weish

Schlüsselwörter
Werbekritik · Feminismus · Aktivismus · Adbusting · Selbstregulierung

1 Einleitung: Feministische Repräsentationskritik

Sexismen in der Werbung – in Text, Ton und Bild – waren und sind häufig eingesetztes
Stilmittel einer kommerziellen Aufmerksamkeitsgenerierung in „westlichen“ Konsum-
gesellschaften (Goffman 1976; Förster und Weish 2017, S. 15). Sie waren auch früh
Thema kritischer Werbeforschung, etwa in einer UNESCO-Studie, an der sich insge-
samt 28 Regierungen und 22 NGOs beteiligten (UNESCO 1974). Die damals analy-
sierten Geschlechterstereotypen sind größtenteils heute noch gültig (Schmerl 1994,
S. 134; Marschik und Dorer 2002). Neben Wissenschaftlerinnen regten insbesondere
auch feministische Aktivistinnen durch ihre offen ausgetragenen Interventionen – etwa
durch Plakat-Aktionen, Demonstrationen oder subversive Protestkundgebungen (Gei-
ger und Hacker 1989, S. 94–95) – zur Erforschung von sexistischen Werbephänomenen
an. Die wissenschaftliche Kritik an Sexismen und der feministische Aktivismus führten
gemeinsam dazu, dass nun auch die Werbepraxis bei ihren Instrumenten der Selbstre-
gulierung den Aspekt der sexistischen Diskriminierung berücksichtigte.
Die Frauenbewegungen verfolgten mit ihrer Werbekritik, ihrem feministischen
Aktivismus und ihrer engagierten Medien- und Rezeptionsforschung ähnliche Ziele
wie andere soziale Bewegungen der frühen 1970er- bis späten 1980er-Jahre, die den
Anspruch hatten, Bewusstsein zu schaffen, um ökonomische, gesellschaftliche und
kulturelle Hierarchien zu ändern. (Hauser 2012, S. 252–253) In diesem Klima einer
engagierten politischen Öffentlichkeit hat die Medienkritik die Produktionsverhält-
nisse und damit auch die symbolische Bildpolitik der Unter- und Überordnung
massiv in Frage gestellt. Bezug genommen wurde auf die kritische Kulturtheorie,
die heute im Bereich der Medien- und Werbekritik weitgehend in Vergessenheit
geraten ist. Max Horkheimer und Theodor W. Adorno (1994 [1944]) beschreiben in
ihrer radikalen Analyse die Erzeugung von Apathie, Anpassung an die allumfas-
sende Kapitalisierung von Vergnügen als Einkauf sowie Ohnmacht als Grundgefüge
passiver Verortung in der Konsumgesellschaft und entlarven das individuelle Han-
deln als Mythos. „Als Kunden wird ihnen Freiheit der Wahl, der Anreiz des Uner-
faßten (. . .) demonstriert. Objekte bleiben sie in jedem Fall.“ (Horkheimer und
Adorno 1994 [1944], S. 155) Ein Ausdruck der symbolischen Ordnung der
Geschlechter sind kulturelle Botschaften und Bilder, die in ihrer Wirkmächtigkeit
soziale Räume prägen und selbst jede Vorstellung durchdringen. Massenkulturell
propagierte Selbstoptimierungen erscheinen in der Postmoderne weniger eindeutig
als Unterordnung unter eng konstruierte Geschlechternormen. Entsprechende Wer-
bebilder sind zumeist ambivalent codiert und ermöglichen gleichzeitig gesellschaft-
liche Interpretationen von Auf- und Abwertung aufgrund verschiedener Lesarten:
Erotik bzw. Sexyness in Bildern, manifest in erotischer Körpersprache oder auch als
Feministische Werbekritik zwischen Selbstregulierung und Aktivismus 337

Subtext mitgeliefert, geriert sich als Pose der Selbstermächtigung bei gleichzeitiger
Objektifizierung von Frauen und Weiblichkeit. Die Ambivalenz der Werbeaussagen
und die Ambivalenz in der Rezeption werden durch Soziale Medien innovativ (etwa
durch Influencerinnen) perfektioniert. Durch die Allgegenwart der Produkte der
Werbeindustrie in allen Medienkanälen und deren rasche Distribution via Soziale
Medien werden Objektifizierungsprozesse als „Kommodifizierung von Konsumen-
ten“ zusätzlich verstärkt (Bauman 2009, S. 36–37).

2 Sexismus – Begriffsentwicklung und Kontext der


Anwendungsfelder

Der Begriff Sexismus wurde in den späten 1960er-Jahren analog dem Begriff
Rassismus von der schwarzen US-amerikanischen Frauenbewegung eingeführt
(Salmhofer 2011, S. 364). Er bezeichnet die Abwertung oder Diskriminierung auf
Grund des Geschlechts. In den frühen 1970er- bis späten 1980er-Jahren setzten
sexismuskritische Aktivistinnen auf „strategischen Essentialismus“ (Spivak 1988,
S. 205), um gesellschaftliche Handlungsperspektiven und „praktische“ Solidarität
unter Betroffenen zu erzeugen (Mackenthun 2017, S. 143–144). Ab den 1980er-
Jahren stehen vermehrt die Differenzen unter Frauen im Fokus, und so wird aktuell
eine intersektionale Perspektive auf Verschränkungen von Geschlecht mit Katego-
rien wie Klasse, Ethnie, Alter oder Lebensstil – in politischer, methodologischer wie
theoretischer Hinsicht – eingefordert (Crenshaw 2012, S. 122). Die poststruktura-
listischen Debatten der frühen 1990er-Jahre erweiterten die Analyseperspektiven
von Sexismus weiter um die Kritik an einer heterosexistischen Norm und der damit
einhergehenden Diskriminierung und Abwertung anderer Lebensstile außerhalb
eines dominanten heteronormativen Begehrens (Butler 1991, S. 190–191).
Eine Unterscheidung der Pluralität aktueller Sexismen wird durch die Begriff-
lichkeit von traditionellen und modernen Sexismen in ihrer Ausprägung nach Bene-
volenz, Hostilität und Ambivalenz getroffen (Thiele 2013). Benevolenter Sexismus
kann auch als ‚positiver‘ Sexismus oder als Kavaliersakt und Ritterlichkeit aufge-
fasst werden und ist in vielen Alltagszusammenhängen als ‚Normalität‘ und Zeichen
der Akzeptanz von Frauen als besonders schutzbedürftige Menschen codiert, selten
aber als Abwertung bewusst, die traditionelle Geschlechterhierarchien massiv stützt
und aufrecht erhält (Eckes 2010, S. 184). Benevolenter Sexismus ist eines der
häufigsten Missverständnisse in der Auf- und Abwertung von Subjekten, die damit
einen Objektstatus einnehmen, indem die traditionelle Geschlechterhierarchie im
Sinne der Fortsetzung patriarchaler Überlegenheit als Charme der geschlechtlichen
Gepflogenheiten festgeschrieben wird. Hostiler Sexismus ist dagegen offen feindse-
lig, benennt negative und abwertende Geschlechterstereotype, die verallgemeinert
werden, und perpetuiert und rechtfertigt damit die Statusunterschiede zwischen den
sozialen Geschlechtern (Eckes 2010, S. 184). Die aktuell häufigste Spielart insbe-
sondere in der modernen Werbeindustrie ist der ambivalente Sexismus (Glick und
338 U. Weish

Fiske 1996), der Aspekte von hostilem und benevolentem Sexismus verbindet.
Diese Komplexität erzeugt Uneindeutigkeit und eine Vielfalt von Lesarten und damit
auch vielfältige Widerstandsformen.

3 Postfeministische Phänomene sexistischer


Werbeproduktion

Traditionelle und neue Werbetrends stehen im 21. Jahrhundert nebeneinander. Sie


verstärken den Eindruck einer permanenten Bereitschaft von (hetero-)sexistischer
Konsumfixierung mittels erotisierender Symboliken, die häufig mit gesellschaftli-
cher Liberalität verwechselt werden (Hilkens 2010, S. 9; Mende 2007, S. 172; Penny
2012, S. 36). Zwei divergierende stereotype Geschlechterrollen für Frauen in der
Werbung waren bis in die frühen 1990er-Jahre dominant: einerseits die erotische
Verführerin und andererseits die überhöhte versorgende Mutterfigur. Männer wurden
häufig als abwesende Büroväter dargestellt, als Ernährer und Oberhaupt, die ihre
Familie besuchen (Dreßler 2011, S. 137; Schmerl 1994, S. 135; Wilk 2002, S. 45;
Zurstiege 1998).
Seit rund 20 Jahren erweitert sich die Palette der „sexy“ konnotierten Werbeste-
reotypen zu Porn- und Lolita Chick (Gill 2007, S. 73–112; Durham 2008), um
Aufmerksamkeit in gesättigten Märkten mit abgestumpften KonsumentInnen zu
garantieren (Barber 2007, S. 17–18). Nicht nur Frauen und Mädchen, sondern auch
junge Männer posieren häufig mit Produkten in einer sexualisierenden Körpersprache.
Sex Sells ist nach wie vor in der Werbeszene eine dominant einsetzte Werbestrategie,
die trotz empirisch nicht belegter Wirkung angewandt wird. Messbare Kauferfolge bei
Frauen können kaum nachgewiesen werden (Cortese 2016, S. 3; Moser und Verheyen
2011, S. 194; Reichert und Lambiase 2009, S. 2). Dabei werden vorwiegend junge,
schlanke, sportliche Frauen und zunehmend auch muskulöse Männermodels, die einer
hegemonialen Männlichkeit entsprechen (Connell 2015, S. 45; Meuser 2010, S. 312),
in sexualisierende Posen gebracht. Produktnähe ist dabei häufig nebensächlich, zentral
ist die Signalwirkung: das Bedienen eines sozialisationsbedingten „Starrens“ auf
sekundäre Geschlechtsorgane. Das utilitaristische Kalkül – aufzufallen und aufzuregen
– erzeugt die nötige Aufmerksamkeit. Genau diese Erregungsreflexe sind nach wie vor
Teil der Werbestrategie, bei der Markenpolitik mit Sexismus verflochten wird. Die
postmodernistische Uneindeutigkeit und Ambivalenz (Baumann 1995, 2009; Gill
2007, S. 73), die in aktuellen Werbebotschaften und in den widersprüchlichen Bild-
symboliken enthalten sind, führen nicht nur zu unterschiedlichen Lesarten seitens der
RezipientInnen, sondern auch zur Möglichkeit, kritische Bewertungen seitens der
Werbeindustrie zu relativieren, wie die Entscheidungen des Werberates zeigen (Förster
und Weish 2017, S. 23). Aktuelle sexistische Werbung verschränkt immer häufiger
‚postfeministische‘ Elemente (McRobbie 2010, S. 17), die Aspekte anti-feministischer
und pro-feministischer Aussagen, Stilelemente und Posen verbinden (Gill 2007,
Feministische Werbekritik zwischen Selbstregulierung und Aktivismus 339

S. 94). Die Werbe-Slogans signalisieren dabei Empowerment („Weil ich es mir wert
bin“), Sexualisierung („Ich bin geil, das Produkt auch“) und Objektifizierung (Frauen
als Objekt und Ware). Der eigene Körper wird zum kostenpflichtigen Gestaltungsraum
hegemonialer Schönheitsvorstellungen in einer postmodernistischen Leistungsgesell-
schaft, der die bezahlte Arbeit auszugehen droht und die sich daher zunehmend
klassenübergreifend mit individueller Körperbewirtschaftung zu beschäftigen hat.
Die Konsequenzen (post-)feministischer Rezeption von sexistischer Werbung
sind ironisierende Lesarten, die das Potenzial einer Maskierung in sich tragen
(Förster und Prantner 2016; Potter und Warren 1998). Humor,1 Witz und Ironie
waren lange Zeit in der Werbung verpönt und wurden lediglich für eng definierte
Produkte angewandt. Vielmehr galt Werbung als ‚Produktinformation‘ und sollte
daher seriös und ‚fachmännisch‘ sein, damit das Vertrauen der KundInnen geweckt
und dauerhaft gebunden bleibt. „People do not like to buy from clowns“, das Credo
des berühmten US-Werbers Claude Hopkins aus dem Jahr 1923 (Beard 2008 [1957],
S. 11), gilt seit der Postmoderne nicht mehr. Im Gegenteil: In einer medialisierten
Zeit, in der Werbung allgegenwärtig ist (in allen Medien, im öffentlichen Raum, in
allen Bereichen von Freizeit und Sport bis Schule, Kunst und Kultur etc.) und um
Aufmerksamkeit wirbt, werden neue Wege der Aufmerksamkeitssteigerung bei
KonsumentInnen beschritten, um aufzufallen. Humor in der Werbung wird zuneh-
mend eingesetzt, um Emotionen durch Lachen zu binden und damit ein positives
Image zu kreieren (Weinberger und Gulas 1992, S. 35). Spaß, Witz, Ironie scheinen
keine Grenzen gesetzt und dienen häufig dazu, Diskriminierungen, Abwertungen,
Sexismen zu verschleiern, da Kritik leicht als ‚Humorlosigkeit‘ abgewertet werden
kann (Ford et al. 2008).Werbebotschaften sind immer vieldeutig, häufig werden Witz
und Ironie, Produkt- und Dienstleistungsinformation sowie Botschaften der Diskri-
minierung vermischt und mit sexuellen Stimuli etc. versetzt. Diese Werbestrategien
des Witzes und der Ironie können sowohl als Sexismus oder auch als das Gegenteil –
die Ironisierung von Sexismus – gelesen werden. Daher ist ein ‚postmodernistisches‘
Sujet, das Uneindeutigkeit und Subjektivität zentriert, immer beides (Gill 2007,
S. 111).
Erste empirische Studien zeigen, dass durch zweideutige, humorvolle Werbesu-
jets die emotionale Beteiligung der Betrachtenden steigt und sexistische, abwertende
Lesarten gar nicht mehr wahrgenommen werden. Der Maskierungseffekt führt dazu,
dass durch Lachen die Kritik am dargestellten Sexismus reduziert bzw. sogar völlig
negiert wird (Förster und Prantner 2016, S. 148). In einer Entweder-oder-Logik (Ich
lache, also ist das Sujet lustig!) statt in einer Sowohl-als-auch-Perspektive werden
kulturelle Decodierungen latent unkritisch und feministische Sachkritik bleibt für
einen Wandel in der Werbeethik weiterhin eher irrelevant.
Neben der Ironisierung von Sexismen als Stilelement wird bewusst produzierte
Schockwerbung in Zusammenhang mit Sexismen – z. B. in Kampagnen von Be-

1
Humor ist häufig der Träger von Dominanz. In patriarchalen Kulturräumen wirken hegemoniale
Witze männlich konnotiert und machtverstärkend, Kotthoff 2004, S. 15–17.
340 U. Weish

kleidungsmarken von Benneton in den1990er-Jahren (Toscani 1997) über American


Apparell zur Jahrtausendwende bis zu Diesel oder Tally Weijl – eingesetzt.

4 Hegemoniale Bildproduktion als normalisierender


Sexismus

Sexistische Kampagnen, die mit feministischen Protesten konfrontiert sind, werden


häufig in Medien als Bagatelle verhandelt, als eine kleinliche, nebensächliche
Debatte, die letztlich kaum soziale Relevanz hätte. KritikerInnen von Werbesexis-
men gelten vielfach als lust- und körperfeindliche AkteurInnen, die aufgrund ihrer
Witz- und Humorlosigkeit die Kreativindustrie einschränken möchten. In den sel-
tensten Fällen werden Bilder der kritisierten Kampagnen mit den Produktionsbedin-
gungen verbunden. Fragen nach der Bild-Entstehung, nach den arrangierten Set-
tings, der emotionalen und situativen Grundstimmung beim Foto-Shooting fehlen.
Erfahrungen von jungen Fotomodels, wie sie sexualisierte Fotosessions erleben,
welche Erwartungen, welche Posen, welche Mimik sie dabei einsetzen sollen,
wurden bisher nicht systematisch gesammelt oder empirisch erhoben. Erste studen-
tische Abschlussarbeiten mit einer geringen Anzahl qualitativer Interviews zeigen
die starke Anpassungsbereitschaft an die Erwartungen der Fotografen: sich trotz
vielfacher Schamgefühle im Fotoshooting unangenehmen Posen nicht zu verwei-
gern, sondern eine telegene Passivität einzubringen, mit dem Fotografen in eine
‚sexy‘ Kommunikation einzutauchen, „mit sich geschehen zu lassen“. Zudem
bestanden die befragten Mädchen und jungen Frauen nach den Aufnahmen selten
auf ihren Bildrechten, sodass einige sich später Sorgen über ihre Bildpräsenz im
Internet machten (Mucha 2015, S. 35–38).
Boulevardmedien berichten dennoch häufig über Promis als Erfolgsgeschichten.
Social-Media-Plattformen liefern Selbstvermarktungsstories auf Instagram und
Facebook, die die Posen der Stars in Fotoshootings imitieren. Berufssoziologische
Analysen des Traumberufs Fotomodel für Mädchen und junge Frauen stehen noch
aus. Doch in Internetforen und Onlinezeitschriften finden sich zunehmend Frauen,
die von sexuellen Übergriffen bis hin zur Vergewaltigung durch Modefotografen
berichten. Der Fall des Starfotografen Terry Richardson hatte dabei zwar nicht die
Reichweite wie der 2013 entstandene #Aufschrei (Wizorek 2014) oder die aktuell
verhandelte Kampagne #MeToo zum Fall des Hollywoodproduzenten Weinstein,
aber immerhin erreichten die Berichte der sexuellen Übergriffe einige Auftraggeber.
Der Starfotograf verlor eine prestigeträchtige Kundin, die Vogue (Thegloss 2010;
Vocativ 2014).
Sexistische Kampagnen unterstützen ein sexistisches Gesellschaftsklima, indem
sie abwertende und sexistische Lesearten normalisieren. Sie sind diskriminierend,
zumeist gegen Frauen, in seltenen Fällen gegen Männer, insbesondere dann, wenn
diese nicht der hegemonialen Männlichkeit von Stärke, Dominanz, Heterosexualität
und Gewaltaffinität entsprechen.
Feministische Werbekritik zwischen Selbstregulierung und Aktivismus 341

5 Selbstregulierung der Werbebranche – Chancen und


Grenzen

Traditionelle Werbekritik in einem System der Selbstregulierung der Kreativwirt-


schaft gerät ständig an ihre Grenzen, da sie kaum Reflexion in den Agenturmilieus
und Berufsszenen erzeugt. Auch trägt das Image von Hipster Coolness in der
Kreativszene nach wie vor dazu bei, dass Tabubrüche als Aufmerksamkeitsgenerie-
rung einer öffentlichen Debatte eher forciert statt vermieden werden. Seit den frühen
1970er-Jahren (1972 in Deutschland, Stender-Vorwachs 2011, S. 56) entstanden in
den meisten europäischen Staaten Institutionen der Selbstregulierung der Werbein-
dustrie. „In Europe, internal or self-regulation is implemented by the European
Advertising Standards Alliance (2016), of which currently 38 self-regulatory bodies
are members: 27 from European countries and 11 from non-European countries,
including India, Australia, Brazil, Peru, and Canada.“ (Förster und Weish 2017,
S. 23) Die Selbstregulierung folgt den jeweiligen länderspezifischen Ethikcodes, die
sich eng an den Richtlinien des ältesten Regulierungssystems, dem der American
Association of Advertising Agencies (1924 gegründet und 2011 erweitert), orien-
tieren (Förster und Weish 2017, S. 23).
Die zentralen Grundlagen basieren in fast allen Ethikcodes auf folgenden Krite-
rien: „a) False or misleading statements or exaggerations, visual or verbal, b)
Testimonials that do not reflect the real opinion of the individual(s) involved, c)
Price claims that are misleading, d) Claims insufficiently supported or that distort the
true meaning or practicable application of statements made by professional or
scientific authority, e) Statements, suggestions, or pictures offensive to public
decency or minority segments of the population.“ (American Association of Adver-
tising Agencies 2011) Sexismus ist eine der häufigsten Beanstandungen seitens der
KonsumentInnen. Die Praxis der „Verurteilungen“, die lediglich Empfehlungen und
im härtesten Fall ein Ersuchen um Beendigung der Kampagne bedeutet, ist eine
zahnlose, da Werbeagenturen in den meisten Fällen beanstandete Sujets einfach
umdeuten und anders interpretieren. Selten werden Stellungnahmen des Werberates
zum Anlass genommen, eine alternative Kampagnenlinie zu entwickeln.
Die Selbstregulierung in Österreich ist seit 2011 durch ein duales System verstärkt,
indem zusätzlich zum österreichweiten Werberat (ÖWR) drei Watchgroups gegen
sexistische Werbung in Wien, Graz und Salzburg, kurze Zeit auch in Klagenfurt,
gegründet wurden. Während die Mitglieder des Werberates vorwiegend aus Agenturen
und Medienbetrieben selbst rekrutiert werden, sind die Watchgroups aus ExpertInnen
der Medienwissenschaft, Gender Studies, von Gewaltschutzorganisationen, Antidiskri-
minierungsstellen der Stadtverwaltung und aus Gesundheits- und KonsumentInnenin-
stitutionen zusammengesetzt, die in keinem Abhängigkeitsverhältnis zur Werbeindus-
trie stehen. Die Sensibilität im Bereich des Antisexismus nahm dabei in den letzten
Jahren auch beim Werberat zu, der nun um den Antisexismusbeirat, der aus profemi-
nistischen und genderegalitären JuristInnen besteht, erweitert wurde. Die Zahl der
Beanstandungen erhöhte sich auch durch eine Initiative des ÖWR, junge WerberätIn-
342 U. Weish

nen aus dem Agenturbereich und der Medienausbildung bei der Beurteilung von
beanstandeten Sujets miteinzubeziehen. Die Existenz der zivilgesellschaftlichen Watch-
groups in nunmehr drei Städten erhöhte zwar die Bekanntheit des Österreichischen
Werberats, dennoch verfügt die Mehrheit der Bevölkerung über wenig Wissen zu
Selbstregulierung und wenig Ambition zu Beschwerdekultur im Allgemeinen. Da die
Ergebnisse auf den Webseiten des Österreichischen Werberats2 und der Watchgroups in
Wien, Graz und Salzburg3 bekannt gegeben und fallbezogen auch von populären
Medien aufgegriffen werden, stieg in den letzten Jahren die Sensibilität gegenüber
Werbesexismen (Förster und Weish 2017, S. 24). Dennoch wird offener Werbesexis-
mus damit nicht verhindert. Denn gesetzliche Verbote sind aufgrund der Medien- und
Werbefreiheit in Fachmedien und bei Agenturen als Zensur verpönt. Ein Sexismusver-
bot in der Werbung könnte auf Gemeindeebene und der Stadtverwaltung umgesetzt
werden, ist aber immer heiß umkämpft.4

6 Adbusting als Markenkritik

Wenn zivilgesellschaftliche und brancheninterne Kritik sexistische Werbepraxen


nicht zu ändern vermag, eignet sich feministischer Aktivismus und Satire, Mecha-
nismen der Sexualisierung und Abwertung darzustellen und zu persiflieren, durch
subversive, kooperative Interventionen, durch Marken- und Werbe-Fakes und alter-
native Bilder gewohnte Lesarten zu irritieren. Die kreative Störung der gewohnten
Bilder kann durch subtile Entfremdung neue Erkenntnisse erzeugen und ist damit
eine subversive Strategie, die je nach Kontext und Selbstbezeichung der AkteurIn-
nen als künstlerische Invention oder als politischer Akt einer subversiven Kommu-
nikationsguerilla gesehen werden kann (Nebel 2012). Die Idee der verfremdeten
Botschaft, der ironisierenden Verfälschung des Originals ist nicht neu und begleitet
die kommerzielle Bilderwelt von Beginn an. Als Begriff der Situationisten umfasst
diese vielfältige Strömung sämtliche Praxen der Kultursubversion (Pfreudenschuh
2015) und geht auf vielfältige Aktionen, Interventionen in studentischen und linken
Kulturmilieus in verschiedenen Ländern weltweit zurück. Konsumkritik und der
Widerstand gegen die Vereinnahmung der öffentlichen Sphäre durch Konzerne und
Marken stehen dabei im Zentrum der Aktionen. Adbusting als Begriff wurde von
Kalle Lasn geprägt, der durch die werbekritische Plattform Adbusters (http://www.
adbusters.org/) und das Manifest der Anti-Werbung (Lasn 2008) bekannt wurde. Die
Begriffe Adbusting, Culture Jamming und Mockadvertising werden häufig synonym

2
www.werberat.or.at.
3
Wien: www.werbewatchgroup-wien.at, Graz: http://www.watchgroup-sexismus.at und Salzburg:
http://watchgroup-salzburg.at.
4
Der in Österreich geltende Rechtsrahmen sowie Rechtsgrundlagen der Vereinten Nationen (UN),
der EU, des Europarats und EU-Richtlinien zu Sexismus in der Werbung sind bei Irina Viola Kappel
(2013) angeführt.Vorschläge, wie sexistische Wirtschaftswerbung über das UWG (Gesetz gegen
den unlauteren Wettbewerb) geregelt werden könnte, erarbeitete Berit Völzmann (2014) für die
Bundesrepublik Deutschland.
Feministische Werbekritik zwischen Selbstregulierung und Aktivismus 343

verwendet und verweisen auf dieselbe Logik der Markenentfremdung. Culture


Jamming wurde in den 1980er-Jahren von der Indie-Band Negativland erstmals
verwendet und weist auf eine Rebellion gegen die Kommerzialisierung von öffent-
lichen Räumen hin (Klein 2000, S. 291; Lasn 2008, S. 9–12).
Exemplarisch für feministisches Adbusting können Aktionen der Plattform
20.000frauen, einer zivilgesellschaftlichen feministischen Initiative aus Wien, skiz-
ziert werden. Zwischen 2011 und 2016 wurde eine Reihe von Satiremagazinen5
(Theissl und Weish 2012, S. 347–349) und ein Werbesujet anlässlich der Fußball-
Europameisterschaft 2016 persifliert, indem journalistische Texte und Werbesujets
verdreht, mit identen Posen, aber vertauschten Geschlechterstereotypen nachgestellt
und mit dem sexuell chauvinistischen Blick und Alltagschauvinismen gespielt
wurde. Körper und Gesichter der männlichen Laienmodels waren bewusst ‚durch-
schnittlich‘ und unauffällig, damit weder Abwertungen aufgrund eines Bruchs mit
hegemonialen Schönheitsvorstellungen noch ein Bedienen modernistischer Sex-sells-
Strategien durch trainierte Muskelpakete das intendierte kritische ‚Lesen‘ verstellen.
Das Irritationspotenzial zeigte sich schon im Fotoshooting, indem ausschließlich
queere Männer bereit waren, sich an einer Umdrehung realer Bild-Macht-Verhältnisse
des traditionellen Male Gaze (Mulvey 2012, S. 60) als Experiment und Beispiel
symbolischen Widerstands zu beteiligen. Die ambivalenten Reaktionen der aktivisti-
schen Fotografinnen reichten von „lustvoll, ein total großartiges Gefühl“ bis zu
„peinlich“ und „unangenehm berührt. Ich habe gespürt, wie diese Macht, dieser
hegemoniale Blick in mir wächst. Das war einerseits unheimlich, andererseits wird
damit klar, wie sehr der ‚normale‘ Sexismus Frauen lähmt und drückt (Abb. 1).“6
Aktuelle Probleme einer (digitalen) Kommunikationskultur zwischen kommerzi-
ellen Alltagssexismen und Werbekritik machte insbesondere die „bad-at-home“-
Aktion sichtbar, welche gegen die wenig selbstkritische Reaktion von Agentur und
Auftraggeber auf die öffentliche Kritik von Werberat, Watchgroups und anderen
zivilgesellschaftlichen Institutionen an der voyeuristischen Inszenierung des Sujets
intervenierte. Während die Resonanz auf die feministische Gegenkampagne auf
Twitter und Facebook vorwiegend positiv war und auch von etlichen Print- und
Onlinemedien (zum Beispiel Der Standard 2016) aufgegriffen wurde, löschte Face-
book innerhalb einer Stunde das Satire-Bild, ließ das Originalsujet der nackten Frau
allerdings bestehen.7

5
Siehe unter http://zwanzigtausendfrauen.at/satiremagazin/. Die feministischen Ansprüche, die Kri-
tik am vermittelten Medien-Mainstream und die Forderungen an Medienunternehmen und Medi-
enpolitiken sind unter https://zwanzigtausendfrauen.at/2011/10/uber-morgen-nr-1-20000frauen/
einzusehen.
6
Aus einem Gruppeninterview mit den Aktivistinnen am 12.05.2017, moderiert von Ulli Weish.
Alle Beteiligten sind Medien-Arbeiterinnen, entweder Journalistinnen oder Media Professionals im
Agenturbereich.
7
Die gesamte Fallgeschichte findet sich in Weish 2016.
344 U. Weish

Abb. 1 Beispiele feministischer Adbustings als Imitation sexistischer Posen und Textierungen.
(Quelle: „Greif zu!“, Möserlreich, Nr. 5, S. 4; „Schnitzlmizzl“, Vor.gestern, Nr. 2, S. 8; „bad-at-
home“, http://zwanzigtausendfrauen.at/2016/06/fake-zum-sommerloch/)

7 Fazit

Adbusting als subversive Werbekritik kann das grundsätzliche Problem – die Auf-
merksamkeitsökonomie des „Spannens“ und „Starrens“ – nicht per se verändern. Sie
spielt aber mit abweichenden Lesarten, die das Ungewohnte für das Gewöhnliche
einsetzt und damit schockiert (Lasn 2008, S. 15). Durch die Emotionalisierung und
eine kritische Selbstbeobachtung im Umgang mit ungewohnten bzw. in diesem Fall
tabuisierten Bildern kann kritisches Bewusstsein geschaffen und vertieft werden.
Das Ziel kann aber auch ein pragmatisches und konkretes sein: die aktuelle Rechts-
lage in der Werbung zu hinterfragen und neu zu regeln (Völzmann 2014). Kollektive
kritische Lesarten müssen relevant und normalisierende Abwertungspraxis – Sex
sells als eine dominante Spielart unkreativer Werbung – in Zahlen messbar, in
Geldstrafen verwertbar werden. Denn Selbstregulierung setzt Verbindlichkeit bei
allen AkteurInnen der Werbeszene voraus, eine Annahme, die in der Praxis falsch
sein muss, da Werbung auch und insbesondere durch Tabubruch ‚funktioniert‘. Das
praktizistische Doublebind kann nur durch Rechtssicherheit für alle Beteiligten
aufgelöst werden: für die Kreativen als Bild- und TextproduzentInnen, für die
Auftraggebenden als Finanziers, für die RezipientInnen als AdressatInnen von
Werbung und als Zwangsinformierte, die im öffentlichen Raum diesen Werbebot-
schaften ausgesetzt sind. Gerade wenn Werbung so dominant sichtbar und überall –
in jedem sozialen wie medialen Umfeld – eingebaut ist, muss Werbung gesellschaft-
lich neu verhandelt und geregelt werden.

Literatur
Adbusters. http://www.adbusters.org/. Zugegriffen am 19.10.2018.
Advertising Agencies. 2011. http://www.aaaa.org. Zugegriffen am 26.12.2017.
Barber, Benjamin. 2007. Consumed! Wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und
die Demokratie untergräbt. München: C.H. Beck.
Bauman, Zygmunt. 2009. Leben als Konsum. Hamburg: Hamburg Edition.
Feministische Werbekritik zwischen Selbstregulierung und Aktivismus 345

Baumann, Zygmunt. 1995. Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit. Hamburg:
Fischer.
Beard, Fred K. 2008 [1957]. Humor in the advertising business: Theory, practice, and wit.
Maryland: Rowman & Littlefield.
Butler, Judith. 1991. Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Connell, Raewyn. 2015. Masculinities, 2. Aufl. Cambridge: Polity Press.
Cortese, Antony J. 2016. Provocateur. Images of women & minorities in advertising, 4. Aufl.
New York/London: Rowman & Littlefield.
Crenshaw, Kimberlè Williams. 2012. Beyond racism and misogyny: Black feminism and 2 live
crew. In The gender and media reader, Hrsg. Mary Celeste Kearney, 109–123. New York:
Routledge.
Der Standard. 2016. Gegenkampagne persifliert sexistische Werbung. http://derstandard.at/
2000040926434/Gegenkampagne-persifliert-sexistische-Werbung. Zugegriffen am 19.05.2017.
Dreßler, Raphaela. 2011. Vom Patriarchat zum adrogynen Lustobjekt – 50 Jahre Männer im stern. In
Stereotype? Frauen und Männer in der Werbung, Hrsg. Christina Holtz-Bacha, 136–166.
Wiesbaden: Springer VS.
Durham, Gigi. 2008. The Lolita effect. The media sexualization of young girls and what we can do
about it. Woodstock/New York: The Overlook Press.
Eckes, Thomas. 2010. Geschlechterstereotype: Von Rollen, Identitäten und Vorurteilen. In Hand-
buch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorien, Methoden, Empirie, Hrsg. Ruth Becker
und Beate Kortendiek, 3. Aufl., 178–198. Wiesbaden: Springer VS.
Ford, Thomas, Christie F. Boxer, und Jakob Armstrong. 2008. More than „just a joke“: The
prejudice releasing function of sexist humor. Personality and Social Psychology Bulletin
34(2): 159–170. http://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/0146167207310022. Zugegriffen
am 29.12.2017.
Förster, Kati, und Cornelia Prantner. 2016. Masking the offense? An ethical view on humor in
advertising. Journal of Media Ethics 31(3): 146–161. https://doi.org/10.1080/23736992.2016.
1188013.
Förster, Kati, und Ulrike Weish. 2017. Advertising critique: Themes, actors and challenges in a
digital age. In Commercial communication in the digital age. Information or disinformation?
Age of access? Grundfragen der Informationsgesellschaft, Hrsg. Gabriele Siegert et al., 15–35.
Berlin/Boston: De Gruyter. https://doi.org/10.1515/9783110416794-002.
Geiger, Brigitte, und Hanna Hacker. 1989. Donauwalzer – Damenwahl. Frauenbewegte Zusam-
menhänge in Österreich. Wien: Promedia.
Gill, Rosalind. 2007. Gender and the media. Cambridge: Polity Press.
Glick, Peter, und Susan T. Fiske. 1996. The ambivalent sexism inventory: Differentiating hostile
and benevolent sexism. Journal of Personality and Social Psychology 70(3): 491–512.
Goffman, Erving. 1976. Gender advertisements. New York: Harper & Row.
Hauser, Kornelia. 2012. Vom sollenden Wollen. Über die Verfasstheit von biographischen Frauen-
kämpfen. In Frauen-Fragen. 100 Jahre Bewegung. Reflexion. Vision, Hrsg. Birge Krondorfer
und Hilde Grammel, 252–265. Wien: Promedia.
Hilkens, Myrthe. 2010. McSex. Die Pornofizierung unserer Gesellschaft. Berlin: Orlanda Frauen-
verlag.
Horkheimer, Max, und Theodor W. Adorno. 1994 [1944]. Dialektik der Aufklärung. Philosophische
Fragmente. Frankfurt a. M.: Fischer Verlag.
Kappel, Irina Viola. 2013. Internationaler und nationaler Rechtsrahmen. http://www.werbewatchgroup-
wien.at/files/Int_nat_Rechtsrahmen_Mag.a_Kappel_20131029.pdf. Zugegriffen am 19.10.2018.
Klein, Naomi. 2000. No Logo. Der Kampf der Global Players um Marktmacht. München: Riemann
Verlag.
Kotthoff, Helga. 2004. Geschlechterverhältnisse in der Scherzkommunikation: Althergebrachtes
und neue Trends in Alltags- und Fernsehkomik. In Gender Studies – Interdisziplinäre Ansichten,
Hrsg. Helga Epp, 15–53. Freiburg: Schriften PH.
346 U. Weish

Lasn, Kalle. 2008. Culture Jamming. Das Manifest der Anti-Werbung. Freiburg: Orange Press.
Mackenthun, Gesa. 2017. Essentialismus, strategischer. In Handbuch Postkolonialismus und Lite-
ratur, Hrsg. Dirk Göttsche, Axel Dunker, und Gabriele Dürbeck, 143–144. Stuttgart:
J.B. Metzler Verlag.
Marschik, Matthias, und Johanna Dorer. 2002. Sexismus (in) der Werbung: Geschlecht, Reklame
und Konsum. Medienimpulse 11(42): 37–44. http://www.mediamanual.at/mediamanual/the
men/pdf/werbung/42_Marschik.pdf. Zugegriffen am 29.12.2017.
McRobbie, Angela. 2010. Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlech-
terregimes. Wiesbaden: Springer VS.
Mende, Julius. 2007. Die sexuelle Welle. Zwischen Sinnlichkeit und Vermarktung. Wien: Promedia.
Meuser, Michael. 2010. Geschlecht und Männlichkeit. Soziologische Theorie und kulturelle Deu-
tungsmuster. Wiesbaden: Springer VS.
Moser, Klaus, und Christopher Verheyen. 2011. Sex-Appeal in der Werbung: Die Entwicklung der
letzten Jahre. In Stereotype? Frauen und Männer in der Werbung, Hrsg. Christina Holtz-Bacha,
188–210. Wiesbaden: Springer VS.
Mucha, June. 2015. It’s not who you know, it’s who you blow. Sexuelle Übergriffe von Fotografen
auf Models. Unveröffentlichte Bakkalaureatsarbeit, Universität Wien.
Mulvey, Laura. 2012. Visual pleasure and narrative cinema. In The media and gender reader, Hrsg.
Celeste Kearney, 59–66. New York/London: Routledge.
Nebel, John. 2012. Medienhacking im Wandel: Kommunikationsguerilla und politischer Aktivis-
mus. https://www.metronaut.de/2012/05/medienhacking-im-wandel-kommunikationsguerilla-
politischer-aktivismus/. Zugegriffen am 30.12.2017.
Österreichischer Werberat (ÖWR). www.werberat.or.at. Zugegriffen am 19.10.2018.
Penny, Laurie. 2012. Fleischmarkt. Weibliche Körper im Kapitalismus. Hamburg: Edition Nautilus.
Pfreudenschuh, Wolfram. 2015. Situationismus. In Kulturkritik. Menschen sind anders. http://www.
kulturkritik.net/begriffe/index.php?b=situationismus. Zugegriffen am 29.12.2017.
Potter, W. James, und Ron Warren. 1998. Humor as camouflage of televised violence. Journal of
Communication 48(2): 40–57.
Reichert, Tom, und Jacqueline Lambiase. 2009. Sex in consumer culture. The erotic content of
media and marketing. New York/London: Routledge.
Salmhofer, Gudrun. 2011. Sexismus. In Wörterbuch Soziale Arbeit und Geschlecht, Hrsg. Gudrun
Ehlert, Heide Funk, und Gerd Stechlina, 364–367. Weinheim: Juventa Verlag.
Schmerl, Christiane. 1994. Die schönen Leichen aus Chromdioxyd und aus Papier: Frauenbilder in
der Werbung. In Gender und Medien, Hrsg. Marie-Luise Angerer, und Johanna Dorer, 134–151.
Wien: Braumüller Verlag.
Spivak, Gayatri Chakravarty. 1988. In Can the subaltern Speak? In Marxism and the interpretation
of culture, Hrsg. Gary Nelson und Laurence Grossberg, 271–313. Chicago: University of
Illinois Press.
Stender-Vorwachs, Jutta. 2011. Frau und Mann in der Werbung – rechtlich betrachtet. In Stereo-
type? Frauen und Männer in der Werbung, Hrsg. Christina Holtz-Bacha, 2., erw. Aufl., 51–61
Wiesbaden: Springer VS.
Thegloss. 2010. Terry Richardson is really creepy: One model’s story. http://www.thegloss.com/2010/
03/16/fashion/terry-richardson-is-really-creepy-one-models-story/2/. Zugegriffen am 19.05.2017.
Theissl, Brigitte, und Ulrike Weish. 2012. Ignoranz der Medien: Reflexion eines Öffentlichkeits-
dilemmas. In Frauen-Fragen. 100 Jahre Bewegung. Reflexion. Vision, Hrsg. Birge Krondorfer
und Hilde Grammel, 342–349. Wien: Promedia.
Thiele, Anja. 2013. Sexismus. In Gender Glossar. http://gender-glossar.de. Zugegriffen am
29.12.2017.
Toscani, Oliviero. 1997. Die Werbung ist ein lächelndes Aas. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch
Verlag.
UNESCO. 1974. Influence of mass communication media on the formation of a new attitude
towards the role of women in present day society. Geneva: Unesco.
Feministische Werbekritik zwischen Selbstregulierung und Aktivismus 347

Vocativ. 2014. „Oh my god, what’s happening?“ Up close and personal with a Terry Richardson
model. http://www.vocativ.com/underworld/sex/oh-god-whats-happening-close-personal-terry-
richardson-model/. Zugegriffen am 19.05.2017.
Völzmann, Berit. 2014. Geschlechtsdiskriminierende Wirtschaftswerbung. Zur Rechtmäßigkeit
eines Verbots geschlechtsdiskriminierender Werbung im UWG. Köln: Nomos.
Weinberger, Marc, und Charles Gulas. 1992. The impact of humor in advertising: A review. Journal
of Advertising Research 21(4): 35–59.
Weish, Ulli. 2016. Von der Not-Wendigkeit sexistischer Werbung und Adbusting als Subversion
des Augenblicks. http://zwanzigtausendfrauen.at/wp-content/uploads/2016/06/UlliWeish_Ad
bustingFussballEM2016.pdf. Zugegriffen am 19.10.2018.
Werbewatchgroup Graz. www.watchgroup-sexismus.at. Zugegriffen am 19.10.2018.
Werbewatchgroup Salzburg. http://watchgroup-salzburg.at. Zugegriffen am 19.10.2018.
Werbewatchgroup Wien. www.werbewatchgroup-wien.at. Zugegriffen am 19.10.2018.
Wilk, Nicole. 2002. Körpercodes. Die vielen Gesichter der Weiblichkeit in der Werbung. Frankfurt
a. M./New York: Campus.
Wizorek, Anne. 2014. Weil ein Aufschrei nicht reicht – für einen Feminismus von heute. Frankfurt
a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag.
Zurstiege, Guido. 1998. Mannsbilder – Männlichkeit in der Werbung. Eine Untersuchung zur
Darstellung von Männern in der Anzeigenwerbung der 50er-, 70er- und 90er- Jahre. Opladen:
Westdeutscher Verlag.
Feministische Rezeptionsforschung
populärer Medien

Brigitte Hipfl

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
2 Anfänge: Auf Frauen fokussierte Publikumsforschung – Herta Herzogs
Radio-Soap-Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
3 Geschlechtsspezifische Mediennutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352
4 Mediennutzung als Prozesse der Vergeschlechtlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356
5 Fanpraktiken als potentiell kritischer, queerer Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359
6 Feministisch-queere Potentiale digitaler Medienpraktiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
7 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365

Zusammenfassung
Die Popularität von Medien und das je spezifische Engagement der Nutzer:innen
kann nicht allein aufgrund von Analysen der Medienangebote erklärt werden,
sondern erfordert auch Untersuchungen des tatsächlichen Umgangs mit Medien
(inhalten). Eine zentrale Einsicht der feministischen, queer- und gendertheoreti-
schen Auseinandersetzung mit der Rezeption und Nutzung von (Massen)Medien
ist, dass nahegelegte genderbezogene Bedeutungen sowohl übernommen als auch
kritisiert und in Frage gestellt werden können. Die theoretischen Zugänge, mit
denen das Zusammenspiel der strukturellen Macht der Medien und der Agency
der Nutzer:innen konzipiert wird, haben sich im Lauf der Zeit verschoben.
Standen anfangs vor allem die Bedeutungen, die professionell hergestellten
populären Medien zugeschrieben werden, sowie die damit verknüpfte Frage
nach der Politik von Unterhaltung im Mittelpunkt, wurde der Umgang mit
Medien zunehmend als Teil der alltäglichen Praktiken von ‚doing gender‘ verstan-
den. In jüngster Zeit rückt mit den sozialen Medienplattformen die immer schneller

B. Hipfl (*)
Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich
E-Mail: brigitte.hipfl@aau.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 349
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_20
350 B. Hipfl

werdende Zirkulation und emotionale Besetzung der von den Nutzer:innen pro-
duzierten, bewerteten und bearbeiteten Medieninhalte in den Vordergrund.

Schlüsselwörter
Rezeption · Mediennutzung · Geschlechtsspezifische Medienrezeption ·
Subjektposition · Fanfiction · Mädchen- und Frauen-Genres · Postfeministische
Sensibilität

1 Einleitung

Medienrezeption1 ist eine wichtige Schnittstelle von Öffentlichem und Privatem,


Gesellschaftlichem und Individuell-Subjektivem. Dazu kommt, dass (Massen)Me-
dien, die Unterhaltung und Vergnügen anbieten und die ‚Masse‘ ansprechen, viel-
fach als Problem gesehen werden. Dieser Sichtweise liegen Vorstellungen von
Massenkultur und Masse zugrunde, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
dominierten und die Masse aufgrund des ihr zugeschriebenen irrationalen, emotio-
nalen Verhaltens als Bedrohung für all das verstanden, was mit der Moderne ver-
bunden wird – Rationalität, Kontrolle, klare Abgrenzungen. Gesellschaftliche Kon-
ventionen von Geschlecht und Geschlechterdifferenz kommen dabei insofern zum
Tragen, als Massenkultur weiblich konnotiert wird und die Rezeption von Unterhal-
tung feminisiert und im Vergleich zur Rezeption von Information abgewertet wird
(Huyssen 1986; Klaus 1996; Hermes 2005).
Zentrales Anliegen einer gendersensiblen Medienrezeptionsforschung ist, Ge-
naueres darüber zu erfahren, ob bzw. in welcher Weise die medial bereitgestellten
Vorstellungen und Konstruktionen von Welt mit ihren zahlreichen vergeschlecht-
lichten Subjektpositionen, Gendernormen und Geschlechterskripts (bzw. deren Pro-
blematisierungen) für die Nutzer:innen und deren Selbstverständnis bedeutsam sind.
Bei den theoretischen Konzeptionen des Verhältnisses von Medien und Mediennut-
zer:innen zeigen sich seit den Anfängen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
starke Veränderungen. Dies ist zum einen dem Subjektverständnis geschuldet, das
seit Mitte des vorigen Jahrhunderts durch deutliche Verschiebungen von zunächst
psychologischen zu soziologischen, handlungs- und diskurstheoretischen bis zu
rezenten materialistischen, post-humanistischen Konzeptionen gekennzeichnet ist.
Die Fragen, die sich durchziehen, beziehen sich darauf, ob die Rezipient:innen
passiv oder aktiv, fremdbestimmt, verführt oder selbstbestimmt bzw. widerständig

1
Medienrezeption steht hier als Begriff für Praktiken des Umgangs mit populärkulturellen Medien,
die auch als Mediennutzung, Medienkonsum, Medienaneignung oder Medienengagement bezeich-
net werden. Da der Fokus dieses Beitrags auf das Spannungsfeld zwischen den in den Medien
nahegelegten genderbezogenen Bedeutungen und der Art und Weise, wie damit umgegangen wird,
liegt, wird in diesem Beitrag nicht der Differenzierung in eine präkommunikative, kommunikative
und postkommunikative Phase der Rezeption, die Lünenborg und Maier (2013, S. 123–146)
vorschlagen, gefolgt. Entsprechend sind auch quantitative Mediennutzungsdaten nicht inkludiert.
Der Begriff Rezipient:innen wird synonym mit Nutzer:innen verwendet.
Feministische Rezeptionsforschung populärer Medien 351

seien. Damit verbunden sind unterschiedliche Gewichtungen der in den Medien für
die Nutzer:innen angelegten Positionen auf der einen Seite und der konkreten
Mediennutzungspraktiken auf der anderen. Zum anderen zeigt sich ein Wandel der
Theorien: Wurden Medien und Mediennutzer:innen zu Beginn als klar voneinander
getrennt konzipiert und danach gefragt, welche Wirkungen Medien auf die Men-
schen haben bzw. welche Bedürfnisse der Nutzer:innen durch Medien befriedigt
werden, wird nun von Ko-Konstitution und der performativen Hervorbringung
spezifischer Subjektivitäten gesprochen.
Das Forschungsfeld Medienrezeption und Gender lässt sich als eine Geschichte
feministischer und gendertheoretischer Interventionen darstellen und illustriert anschau-
lich, wie sich einerseits Schwerpunktsetzungen, theoretische Grundannahmen und for-
schungspraktische Zugänge verändern, andererseits aber bestimmte Fragen, Probleme
und Herausforderungen von Anfang an durchziehen. An ausgewählten Beispielen, die
für je spezifische Zugänge stehen, wird dies im Folgenden veranschaulicht.

2 Anfänge: Auf Frauen fokussierte Publikumsforschung –


Herta Herzogs Radio-Soap-Studie

Die Medienindustrie hatte von Anfang an großes Interesse am Publikum, hängt doch
ihre Existenz davon ab, dass die Produkte auch tatsächlich genutzt und gut ange-
nommen werden (Ang 1991). Erste umfassende empirische Studien wurden im
Rahmen des in den 1930er-Jahren von Paul Lazarsfeld in den USA gegründeten
Office of Radio Research durchgeführt. Hier sind Herta Herzogs Studien zu Frauen,
die regelmäßig Radio-Soaps anhören (Herzog 1941, 1944) besonders hervorzuhe-
ben, weil sie bereits auf zentrale Spannungsfelder verweisen, die das Forschungsfeld
Medienrezeption und Geschlecht bis heute kennzeichnen (Klaus 2008). Radio-
Soaps waren damals höchst populär und wurden vor allem von Frauen genutzt.
Herzog war daran interessiert, welche Bedeutung die Zuhörerinnen diesen Geschich-
ten in ihrem Lebensalltag zuschreiben. In offenen Interviews wie auch in daraus
entwickelten detaillierten Fragebögen lässt sie die Radiohörerinnen zunächst selbst
zu Wort kommen2 und analysiert die Aussagen dann in der Tradition der Kritischen
Theorie im Hinblick auf ihre gesellschaftspolitische Relevanz.
Obwohl Herzog nicht explizit feministisch argumentiert, kann ihre Vorgangs-
weise aus heutiger Sicht einer feministischen Intervention gleichgesetzt werden. Sie
nimmt die Faszination der Frauen für dieses Genre ernst, obwohl zu ihrer Zeit solche
Angebote zwar kommerziell erfolgreich waren, aber banalisiert werden. Herzog
zeigt auf, dass die Geschichten der Radio-Daytime-Serials von den Hörerinnen
nicht als Fiktionen wahrgenommen werden, sondern als Angebote, mit verschiede-
nen Herausforderungen, die sich aus der eigenen Lebenssituation ergeben, besser
zurechtzukommen. Sie charakterisiert die von den befragten Frauen beschriebenen

2
Herzogs Studien haben sich über mehrere Jahre erstreckt (Herzog 1941), was der damals einzig-
artigen Kombination aus akademischer und kommerzieller Forschung zu verdanken ist.
352 B. Hipfl

Erfahrungen als borrowed experience und verweist kritisch darauf, dass es sich nur
um eine kurzfristige emotionale Entlastung und eine Pseudo-Katharsis handle. Sie
problematisiert, dass Radio-Soaps zum Ersatz für die soziale Wirklichkeit und zur
Anpassung der Frauen beitragen würden, indem sich Frauen für ihr Denken und
Handeln an den Radio-Soaps orientieren (Klaus 2008, S. 236–237). Für Herzog liegt
das Problem nicht bei den Radiohörerinnen, vielmehr hält sie das Medienangebot
und die Art der Ratschläge für unangemessen, da sie Frauen unterstützen, sich mit
der gegebenen Situation zu arrangieren – entweder in Form von ‚wishful thinking‘,
dass sich alles zum Guten wenden werde, oder als Akzeptanz des eigenen Schicksals
durch die Projektion von Schuld auf andere (wenn z. B. Zuhörerinnen aus den
Radio-Soaps lernen, dass Ehemänner ihre Frauen nie verstehen) oder auch durch
das Übernehmen von Patentrezepten (etwa für die Kindererziehung). All dies trägt
jedoch ihrer Meinung nach nicht dazu bei, dass sich die Zuhörerinnen mit den
zugrundeliegenden Problemen auseinandersetzen. Deswegen appelliert Herzog an
die soziale Verantwortung der Produzent:innen und fordert, dass diese Geschichten
bereitstellen, die Informationen über und Analysen von komplexen sozialen Situa-
tionen beinhalten (Herzog 1944, S. 29–32).

3 Geschlechtsspezifische Mediennutzung

In der feministischen Kritik der 1970er-Jahre an stereotypen und einseitigen Reprä-


sentationen von Frauen in den Medien wurde implizit davon ausgegangen, dass
diese Geschlechterbilder von Mädchen und Frauen übernommen würden. Erst lang-
sam wurde davon abgegangen und die Erforschung und Theoretisierung der tatsäch-
lichen Rezeption mit einem Fokus auf geschlechtsspezifische Nutzungsweisen ge-
fordert (Holtz-Bacha 1982) sowie in Angriff genommen. Aus unterschiedlichen
theoretischen Zugängen heraus richtete sich das Interesse einerseits auf das populäre
Hollywoodkino, andererseits auf die Rezeption spezifischer, auf Mädchen und
Frauen ausgerichteter Medien bzw. auf Vergleiche der Medienrezeption von Frauen
und Männern. Die Ergebnisse unterscheiden sich vor allem im Hinblick darauf, ob
und in welchem Maße den Mediennutzer:innen Spielräume in Deutung und Sinn-
zuschreibung eingeräumt werden (Cornelißen 1998, S. 43). Zunehmend wird die
Rede von geschlechtsspezifischer Mediennutzung, die ja eine binäre Geschlechter-
konzeption voraussetzt und gleichzeitig reproduziert, von einer geschlechtersensi-
blen Perspektive, die von Geschlecht als ständigem Konstitutionsprozess ausgeht,
abgelöst.

3.1 Patriarchale Blickregime und Subjektpositionen im Film –


feministische Filmtheorie

Die Popularität des Hollywoodkinos hat in den 1970er-Jahren das Interesse femi-
nistischer Forscherinnen geweckt, führen diese Filme doch vor, welches Begehren
und Wissen eine westliche Kultur wie die der USA kennzeichnen. Die theoretischen
Feministische Rezeptionsforschung populärer Medien 353

Grundlagen lieferten die sich gerade durchsetzenden poststrukturalistischen und


semiotischen Theorien zum Zusammenspiel von Subjektivierungsprozessen und
Ideologie sowie psychoanalytische Theorien zum Verständnis geschlechtlicher Sub-
jektivität. Das war zu der Zeit State of the Art der kritischen Theorie, mit deren Hilfe
versucht wurde, die ideologische Funktionsweise des Films deutlich zu machen
(Mayne 1993, S. 21, 27).
In den ersten Arbeiten liegt der Schwerpunkt auf den Subjektpositionen, die der
Film als institutioneller Apparat sowie die narrativen Strukturen einzelner Filme den
Zuschauer:innen bereitstellen. Die tatsächlichen Filmzuschauer:innen werden nicht
berücksichtigt. Laura Mulvey (1975) argumentiert am Beispiel des klassischen
Hollywoodfilms, dass die herrschende gesellschaftliche Ordnung in Form von
unterschiedlichen geschlechtlichen Positionen für die Rezipient:innen zum Aus-
druck kommt. Mulvey versteht diese Filme als Produkte des patriarchalen Unbe-
wussten, die für ein männliches Publikum gemacht sind. Die Frau wird „als Spek-
takel und zentraler Signifikant innerhalb eines ästhetischen und ideologischen
Systems“ (Mulvey 2004, S. 18) ausgestellt. Anhand der Blickinszenierung im
Hollywoodfilm führt Mulvey aus, was die Erotisierung des Frauenkörpers für das
Unbewusste bedeutet: Die Kamera lenkt den Blick, die Filmzuschauer:innen können
nur das wahrnehmen, was ihnen die Kamera zeigt. Der Mann als Träger des Blicks
nimmt eine aktive Position, die Frau als Objekt des Blicks eine passive Position ein.
Für Mulvey trifft diese Konstellation nicht nur auf die Akteur:innen im Film zu,
sondern auch auf die Zuschauer:innen. Unter Bezug auf die Freud’sche Psycho-
analyse argumentiert Mulvey, dass dem männlichen Zuschauer mehrere Positionen
zur Verfügung stehen. Er kann sich mit dem männlichen Akteur identifizieren oder
auf die durch die Anwesenheit der Frau im Film ausgelöste Kastrationsangst mit
sadistischem Voyeurismus und/oder mit Fetischisierung des weiblichen Körpers
reagieren. Der Filmzuschauerin steht nur die den Filmen eingeschriebene männliche
Sichtweise zur Verfügung, weshalb Mulvey zu einem feministischen Gegenkino
aufruft, das den Zuschauerinnen andere Positionen anbietet.
Mulveys Konzept, das Frauen weder Agency noch Lust beim Anschauen von
Hollywoodfilmen einräumt und Differenzen zwischen Frauen nicht berücksichtigt,
hat viel Kritik ausgelöst und Weiterentwicklungen angeregt (siehe zu Entwicklungen
der feministischen Filmtheorie Braidt 2019 und Hofer 2019). Zum einen gehen
feministische Zugänge, die sich stärker auf ein psychoanalytisches Verständnis
von Fantasien stützen, von geschlechtlich fixierten Positionen für Filmzuschauer:
innen ab und betonen, dass in der Fantasie flexible Positionen eingenommen werden
können, die nicht an das Geschlecht gebunden sind (Cowie 1990; Penley 1989).
Zum anderen wird die Herausforderung darin gesehen, die Verbindung zwischen den
durch den Film bzw. den filmischen Apparat bereitgestellten Zuschauer:innen-
Positionen und den sozial situierten Zuschauer:innen aus Fleisch und Blut zu unter-
suchen (Mayne 1993, S. 36). Judith Mayne führt deshalb zusätzlich zu den Begriffen
cinematic subject und film viewer noch spectator ein, um auf das Spannungsfeld zu
verweisen, „where ,subjects‘ and ,viewers‘ rub against each other“ (Mayne 1993,
S. 37). Das heißt für Mayne (1993, S. 86) auch, dass es bei der Rezeption von Filmen
immer in einem gewissen Ausmaß zu ‚ideologischer Mittäterschaft‘ kommt und es
354 B. Hipfl

nicht ausreicht, anstelle der im Film angebotenen Subjektpositionen nur die Reak-
tionen realer Zuschauer:innen zu erheben.

3.2 Rezeption von Mädchen- und Frauen-Genres

In den 1980er-Jahren beginnen feministische Forscherinnen, sich stärker mit der


Frage auseinanderzusetzen, wie Mädchen und Frauen mit Medieninhalten umgehen,
die speziell für sie produziert werden (wie Mädchen- und Frauenzeitschriften,
Liebesromane oder Soap-Operas).
Aus textanalytischer Perspektive argumentiert Tanja Modleski (1982, 1987), dass
für Frauen produzierte Massenmedien ihren Nutzerinnen spezifische Subjektposi-
tionen zur Verfügung stellen. So zeichnen sich Soap-Operas durch eine von ihr als
weiblich charakterisierte narrative Form aus: Im Unterschied zu klassischen Erzähl-
weisen mit Höhepunkt und Lösung am Ende gibt es hier ständige kleine Höhe-
punkte, die darauf verweisen, dass das Leben kontinuierlich von Schwierigkeiten
und Herausforderungen gekennzeichnet ist. Der Rhythmus der Soap-Operas ist in
komplexer Weise mit dem Rhythmus des weiblichen Hausfrauenalltags verwoben.
Die den Zuschauerinnen angebotene Position ist die der idealen Mutter, die sich um
alle ihre Kinder kümmert. In Liebesromanen findet sich die klassische Formel der
jungen, unerfahrenen, mittellosen Frau, die auf einen attraktiven, erfahrenen, gut
situierten Mann trifft, welcher zwar Interesse an der Frau zeigt, sie aber durch sein
seltsames (feindseliges, spöttisches und sogar aggressives) Verhalten irritiert. Für
Modleski ergibt sich das Vergnügen beim Lesen dieser Romane u. a. aus Rache-
fantasien – so soll der Mann erkennen und darunter leiden, wie sehr er die weibliche
Protagonistin braucht. Die offene Thematisierung solcher Fantasien würde die herr-
schende soziale Ordnung in Frage stellen. Modleski sieht in solchen Produkten der
Populärkultur durchaus emanzipierendes Potential, da sie einen Raum für die Un-
zufriedenheit der Frauen mit den unterdrückenden Bedingungen, unter denen sie
leben, eröffnen.
Aus textanalytischen Arbeiten dieser Art lässt sich jedoch nicht ableiten, in
welcher Weise Medien im Leben der Nutzer:innen tatsächlich bedeutsam sind.
Einblicke dazu eröffnen dagegen empirische Studien. Eine der einflussreichsten
Untersuchungen stammt von Janice Radway (1984), die Interviews mit US-ameri-
kanischen, Weißen Mittelschicht-Frauen durchführte, die begeisterte Leserinnen von
Liebesromanen waren. Die Interviewten hatten klare Vorstellungen, was einen guten
Roman ausmacht: die langsame Entwicklung der romantischen Liebesbeziehung,
wobei sich der männliche Protagonist von einem anfangs distanzierten zu einem
liebevollen Mann entwickelt. Darüber hinaus schaffen sich die Frauen mit dem
Lesen der Liebesromane einen eigenen, unabhängigen Raum, eine Auszeit von
Hausarbeit und alltäglichen Verpflichtungen gegenüber Mann und Kindern. Radway
verweist auf das kritische Potential, das als verdeckte Form weiblichen Protests
gegen die patriarchale Kultur und als Fantasien von fürsorglichen Männern zum
Ausdruck kommt. Gleichzeitig problematisiert sie, dass dieses kritische Potential
nicht automatisch zu bewusstem Widerstand gegen das Patriarchat führt.
Feministische Rezeptionsforschung populärer Medien 355

Radways Studie (wie auch Kritik daran, z. B. von McRobbie 1991, S. 139–140)
führt anschaulich ein Spannungsfeld vor, das sich auch in darauffolgenden feminis-
tischen Rezeptionsstudien zeigt. Es betrifft das Verhältnis der autonomen Lesarten,
die auch von den Medientexten nicht-intendierte Bedeutungszuschreibungen ent-
halten, zur ideologischen Arbeit der Texte, Zustimmung zu hegemonialen Sicht-
weisen und Subjektpositionen bei den Leserinnen zu organisieren. Das Vergnügen
weiblicher Zuschauerinnen besteht unter anderem darin, sich sowohl kritisch mit den
Inhalten auseinanderzusetzen als auch sich emotional darauf einzulassen (van Zoo-
nen 1994, S. 118). Ien Ang (1986) kommt in ihrer Studie zur TV-Serie Dallas zum
Ergebnis, dass die Zuseherinnen trotz der völlig anderen sozio-ökonomischen Be-
dingungen der Serienwelt auf der Ebene der Gefühlsstruktur angesprochen werden
und Parallelen zu eigenen Lebensbedingungen sehen. Insbesondere ist dies die
‚tragische Gefühlsstruktur‘, wie sie etwa in den permanenten Krisen von Sue Ellen,
einer der weiblichen Hauptfiguren, zum Ausdruck kommt.
In medienpädagogischen Zusammenhängen wird gefragt, ob bzw. in welcher
Weise die Nutzung von und Bedeutungszuschreibung zu Medien Formen ge-
schlechtsspezifischer Sozialisation sind. In qualitativen Interviews und standardi-
sierten Befragungen zu den Lieblingsfiguren von Mädchen und Jungen im Fernse-
hen (Götz 2015) definieren sich die Kinder als Mädchen und Jungen und suchen in
den Fernsehangeboten jeweils nach Mädchen- bzw. Jungenfiguren. Allerdings un-
terscheidet sich kaum, was sie in den Fernsehfiguren suchen – nämlich etwas, das ihr
Selbst anspricht und ein Gefühl von Handlungsmächtigkeit, Anerkennung und
Zukunftsperspektive vermittelt. Maya Götz problematisiert jedoch, dass das Mate-
rial, das den Kindern im Fernsehen zur Verfügung gestellt wird, in geschlechtsspezi-
fischer Hinsicht stereotyp und klischeehaft ist (Götz 2015, S. 97).

3.3 Mediennutzung im Kontext des Alltagslebens

Bereits Herzog spricht in ihrer Studie zur Rezeption von Radio-Soaps davon, dass
die Radiogeschichten für die befragten Frauen Teil ihres Lebensalltags werden. Aber
erst in den 1980er-Jahren wurde diese Sichtweise verstärkt aufgegriffen und eine
Wende in der Rezeptionsforschung eingeläutet, indem nicht wie bisher von den
Medieninhalten (und deren möglichen Einflüssen) ausgegangen, sondern gefragt
wird, in welcher Weise Medien(inhalte) in je spezifischen Kontexten bedeutsam
werden. Damit werden nicht nur die Nutzer:innen und ihre jeweiligen Lebensbedin-
gungen ernst genommen, es wird auch der Tatsache Rechnung getragen, dass
Mediennutzung vielfach als Gewohnheit oder Ritual und mit wechselnder Aufmerk-
samkeit erfolgt (Hall 1986; Hermes 1993, 1995).
Wie solch habitualisierte Muster mit dem Geschlechterverhältnis zusammenhän-
gen, zeigen etwa Studien zum Medienhandeln im häuslichen Alltag (siehe auch Roth
und Röser 2019). David Morley (1986, S. 139–160) kommt in seiner Befragung von
18 Londoner Familien zur Art und Weise der Nutzung des Fernsehens in der Familie
zu dem Ergebnis, dass den vergeschlechtlichten häuslichen Machtbeziehungen dabei
eine zentrale Rolle zukommt. So wird durchgehend berichtet, dass die Männer in den
356 B. Hipfl

Familien bestimmen, was ferngesehen wird, wobei der Besitz der Fernbedienung ein
materieller Ausdruck dieser Machtbeziehung ist. Die Dominanz der Männer ergibt
sich aus ihrer Position des Ernährers, während sich Frauen für Haushalt und Familie
verantwortlich fühlen. Unterschiede in der Art des Fernsehens – Männer bevorzugen
faktenbasierte Angebote und aufmerksames Fernseh-Schauen, bei dem sie nicht
gestört werden wollen, während für Frauen Fernsehen eine soziale Aktivität ist,
die durch Gespräche und die Ausübung zumindest einer anderen häuslichen Ak-
tivität (wie z. B. Bügeln) gekennzeichnet ist – werden als Ausdruck der häuslichen
Ausformungen der gesellschaftlich vorherrschenden Sicht von Männlichkeit und
Weiblichkeit und der damit verknüpften Arbeitsteilung verstanden. Zwar sprechen
viele Frauen auch davon, wie sehr sie es genießen, ihre Lieblingssendungen (zum
Großteil fiktive Inhalte bzw. Unterhaltungsshows) für sich alleine anschauen zu
können, charakterisieren dies allerdings oft als ‚guilty pleasures‘.
Die Verwobenheit von Alltagsleben und Medien lässt sich gut in medienbio-
graphischen Zugängen erkennen. So belegt Röttger (1994), dass junge Frauen bei
ihrer Suche nach eigenständigen Lebensentwürfen auf diverse Angebote in ver-
schiedenen Medien zurückgreifen. Gleichzeitig scheint es nach Beinzger (2004)
nicht so leicht zu sein, die Orientierung an genderbezogenen Subjektpositionen
und Bildern, die schon früh aus Filmen gewonnen wird, später aufzugeben. Ein
Beispiel für widerständiges Aushandeln von Medieninhalten findet sich etwa bei bell
hooks (1990, S. 3). Sie spricht von gemeinsamen Fernsehabenden in ihrer Familie,
in denen am Beispiel der dominanten, Schwarze ausschließenden Repräsentationen
ausführlich über die Marginalisierung Schwarzer Charaktere und über Rassenpolitik
diskutiert wurde, was für hooks eine wesentliche Grundlage für die Entwicklung
eines kritischen Bewusstseins war.

4 Mediennutzung als Prozesse der Vergeschlechtlichung

Mit Konzeptionen, die – insbesondere beeinflusst von Judith Butlers (1991, 1995)
Theoretisierung von Geschlecht als performative Konstitution – die Natürlichkeit
und Gegebenheit von Geschlecht und Geschlechtsidentität in Frage stellen und
Geschlecht als etwas Prozesshaftes verstehen, an dessen Konstitution wir mitbetei-
ligt sind, verschieben sich auch die Fragestellungen zum Zusammenspiel von
Mediennutzung und Geschlecht. Anstelle einer vorab vorgenommenen Kategorisie-
rung in Frauen und Männer und einer darauffolgenden Prüfung eventueller Unter-
schiede in der Mediennutzung geht es nun um die Frage, ob bzw. wie Geschlecht und
Geschlechterdifferenz in und durch Mediennutzung hervorgebracht wird.
Der Umgang mit und die Aneignung von Medien werden nun als Praktiken der
Vergeschlechtlichung, als ‚doing gender‘ verstanden, die aber nicht völlig selbst-
bestimmt, sondern durch gesellschaftliche Machtrelationen strukturiert sind (Maier
2007, S. 53, 183). Es handelt sich um mehr oder weniger bewusste Positionierungen
in und zu den jeweils gesellschaftlich dominanten, historisch-spezifischen Diskursen
zu Geschlecht. Ang und Hermes (1994) unterscheiden in dem Zusammenhang
zwischen Geschlechterdefinitionen, die in der Gesellschaft vorherrschen, Geschlech-
Feministische Rezeptionsforschung populärer Medien 357

terpositionen, die in den Medien angeboten werden, und Geschlechteridentifikatio-


nen als die Prozesse, die in der tatsächlichen Rezeption auftreten (siehe auch Dorer
2019).
Die empirische Untersuchung dieser komplexen, teilweise ambivalenten und
widersprüchlichen Prozesse ist herausfordernd und wird unterschiedlich angelegt.
Erstmals wird nicht mehr in erster Linie die Medienrezeption weiblicher Subjekte
untersucht, vielmehr verstehen sich die meisten Arbeiten als Geschlechterstudien.
Jutta Röser (2000, 2001) legt den Fokus auf gesellschaftliche Dominanzverhältnisse,
wenn sie untersucht, welche Bedeutungen zwei Gewaltszenen aus Fernsehkrimis
zwischen einer Frau und einem Mann3 zugeschrieben werden. Sie geht der Frage
nach, in welche Kontexte diese Gewaltszenen von weiblichen und männlichen
Erwachsenen (in Gruppendiskussionen) gestellt werden. Diese Kontextuierung ver-
steht Röser als zentrale Aktivität der Rezipierenden, Medienangeboten „Relevanz im
Sinne sozialer Bedeutsamkeit“ zuzuschreiben (Röser 2001, S. 59, Hervorhebung
i. O.). Zusätzlich untersucht sie, wie sich die Befragten in diesen Kontexten positio-
nieren, d. h., welche Position sie in den durch Dominanzverhältnisse gekennzeich-
neten sozialen Realitätskonstruktionen einnehmen. In der Kontextuierung stimmen
Frauen und Männer großteils überein. Das betrifft sowohl die zwischengeschlecht-
lichen Gewaltstrukturen, wonach alle Frauen von männlicher Gewalt bedroht sind
und diese Gewalt sexueller Natur ist, als auch das allgemeine Geschlechterdomi-
nanzverhältnis, demzufolge die (körperliche) Überlegenheit von Männern gegen-
über Frauen selbstverständlich erscheint und naturalisiert wird. Einzig bei der Frage
nach dem Handlungsspielraum der bedrohten Frau zeigen sich unterschiedliche
Sichtweisen bei den Befragten beiderlei Geschlechts, indem einerseits die Wehr-
losigkeit der Frau, andererseits ihre Fähigkeit, sich zu wehren, betont werden.
Bezeichnend ist, dass auch wenn eine Frau Kampftechniken einsetzt, die grund-
sätzliche Überlegenheit des Mannes nicht in Frage gestellt wird. Nur von den
Zuschauerinnen wird die Szene der wehrhaften Frau als symbolische Überwindung
von Ohnmacht und Unterdrückung mit Vergnügen, Schadenfreude und Genugtuung
verknüpft (Röser 2001, S. 60–63). Deutliche Unterschiede zeigen sich in den
Positionierungen. Während sich die Zuschauerinnen mit Angst bzw. Vergnügen
innerhalb gesellschaftlicher Gewalt- und Dominanzverhältnisse positionieren, stel-
len sich die befragten Männer als Unbeteiligte außerhalb der Strukturen zwischen-
geschlechtlicher Gewalt (Röser 2001, S. 64–65).
Ute Bechdolfs Studie zur Rezeption von Musikvideos durch Jugendliche macht
die vielfältigen Formen deutlich, „wie Geschlecht im Prozeß des Musikfernsehens
hergestellt und artikuliert, re- und dekonstruiert wird“ (Bechdolf 1999, S. 15). Aus
Interviews mit Jugendlichen arbeitet Bechdolf heraus, wie sich diese mit den in den
Clips angebotenen Geschlechterbildern, die hegemonial und emanzipatorisch sind
und von Bechdolf in affirmative, oppositionelle und gender-b(l)ending-

3
Die von Röser als hegemoniale Situation bezeichnete Szene zeigt einen verkleideten Mann, der
eine Prostituierte erwürgt; die von ihr als nicht-hegemonial bezeichnete Szene zeigt eine Frau, die
mittels Kampftechniken einen männlichen Angreifer bezwingt.
358 B. Hipfl

Repräsentationen differenziert werden, auseinandersetzen. Insgesamt zeigen sich


sehr unterschiedliche Rezeptionsstrategien, wobei die drei Repräsentationsmuster
(affirmativ, oppositionell, gender-b(l)ending) jedoch keine direkte Entsprechung in
der Rezeption finden. So werden z. B. affirmativen Repräsentationen auch entgegen-
gesetzte Bedeutungen zugeschrieben oder vom Dispositiv der Zweigeschlechtlich-
keit abweichende Repräsentationen zur Fixierung von Identität genutzt. In einem
großen Teil der Interviews findet sich eine Übereinstimmung mit dem hegemonialen
System der Zweigeschlechtlichkeit, eine eindeutige, feste Geschlechtsidentität wird
als wichtig erachtet. Es zeigt sich auch, dass die gender-b(l)ending-Repräsentationen
von den jungen Frauen mit größerer Offenheit angenommen werden als von den
jungen Männern. Für Bechdolf lassen sich hier Dynamiken der Rekonstruktion des
kulturellen Systems der Zweigeschlechtlichkeit erkennen: Männlichkeit wird dort
als Abgrenzung von Weiblichkeit definiert und führt dazu, dass von Männern vieles,
das als weiblich konnotiert ist, abgewertet wird. Entsprechend ist es für Männer
häufig schwer bzw. wenig attraktiv, sich auf andere als die ihnen Sicherheit und
Macht verleihenden hegemonialen Diskurse einzulassen (Bechdolf 1999,
S. 207–222). Dagegen können die Rezeptionsstrategien von Frauen als Ansätze
verstanden werden, „die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern zugunsten
von Frauen verändern zu wollen“ (Bechdolf 1999, S. 208).
Mit der Methode der Kollektiven Erinnerungsarbeit, die das Ziel verfolgt, die
eigene Beteiligung an der (Re)Produktion hegemonialer Geschlechterverhältnisse
herauszuarbeiten und damit zu einer Erweiterung von Handlungsfähigkeit beizutra-
gen, untersuchen Frigga Haug und Brigitte Hipfl (1995) Filmerfahrungen von
Frauen. Die Forschungsgrundlage sind hier verschriftlichte Filmerlebnisse, die im
Kollektiv analysiert werden.4 Deutlich werden dabei die vielfältigen Weisen, wie in
der Filmrezeption (unbewussten) Wünsche und Fantasien zum Ausdruck kommen,
die häufig, aber nicht immer, mit dominanten Geschlechternormen verknüpft sind.
Beim Film Schlaflos in Seattle ist dies etwa der Wunsch, geliebt zu sein (Haug 1995,
S. 22), bei einem Winnetoufilm die Nähe und Vertrautheit vermittelnde, eigentlich
‚unmännliche‘ Freundschaft zwischen Winnetou und Old Shatterhand (Ippen 1995)
und beim Film Pretty Woman das in der westlichen Kultur so dominante Phantasma
der romantischen Liebe. Bei letzterem erbringt die Analyse der von mehreren Frauen
beschriebenen Filmerlebnisse Einblicke in verschiedene Konstruktionen, mit denen
das Phantasma der romantischen Liebe aufrechterhalten wird. Durchgehend sind
diese mit einer Zurücknahme der Kompetenzen und selbstbestimmten Aktivitäten
der Frau verbunden (Hipfl et al. 1995).
Marie Gillespies mehrere Jahre umfassende ethnographische Studie an Jugend-
lichen aus dem Londoner Stadtteil Southall, in dem fast ausschließlich aus Südasien
(vor allem aus dem Punjab) stammende Familien leben, erklärt deren Faszination für
die australische TV-Soap-Opera Neighbours und die ständigen Gespräche darüber
damit, dass diese Fernsehserie eine wichtige Ressource für die Diskussion eigener
Fragen und Probleme darstellt (Gillespie 1995). In den Gesprächen verknüpfen die

4
Siehe zur Methode der Kollektiven Erinnerungsarbeit auch Hipfl 2021a.
Feministische Rezeptionsforschung populärer Medien 359

Jugendlichen die Welt der Weißen Charaktere von Neighbours mit ihrer eigenen,
stark durch die kulturellen Konventionen und Erwartungen ihrer Familien bestimm-
ten Welt. Das ermöglicht vor allem den Mädchen, sich am Beispiel von Familie,
Verwandtschafts-, Nachbarschafts- und romantischen Liebesbeziehungen intensiv
mit kulturellen, generationalen und Gender-Differenzen auseinanderzusetzen.

5 Fanpraktiken als potentiell kritischer, queerer Raum

Fanstudien setzen sich mit medialen Praktiken auseinander, die über die üblichen
Formen von Mediennutzung hinausgehen und stärker eigene Interessen, Fantasien
und Begehrensweisen zum Ausdruck bringen. Analysen von Fan-Kommentaren
können Einblicke geben, was die Faszination einzelner Medienprodukte ausmacht,
aber auch, was dazu beiträgt, dass sie nachlässt. So hat Joke Hermes (2005) in ihrer
Studie zur Website Jump the shark, auf der Fans von TV-Serien kommentieren,
wenn und warum sie glauben, dass Serien den Höhepunkt überschritten haben,
Aussagen zu den beiden TV-Serien Ally McBeal und Sex and the City untersucht.
In beiden Fällen richtete sich die Kritik auf das Zurücknehmen des Wunsches nach
Freiheit und Individualität zugunsten einer Orientierung in Richtung Familie und
traditioneller Vorstellungen von Weiblichkeit.
Fandom kann zu einem Raum werden, in dem sich marginalisierte Gruppen wie
z. B. Schwule akzeptiert fühlen, wie etwa Heinz Moser (1999) in seiner Befragung
von aktiven schweizerischen Fans des Grand Prix Eurovision-Wettbewerbs5 aus-
führt. All der Glamour, die Inszenierungen der Geschlechterrollen und der Klatsch,
der diese Fernsehshow umgibt, produziert ein lustvolles Camp-Gefühl und regt die
Fans an, z. B. in Travestieshows mit Geschlechterrollen zu spielen bzw. sie zu
parodieren. Fanstudien dieser Art stehen in einer langen Tradition von queer rea-
ding, eines gegen die hegemonialen Bedeutungszuschreibungen gerichteten Lesens
von Mainstream-Medieninhalten, das den Fokus auf die Queerness richtet, die in
diesen Texten immer auch enthalten ist (Doty 1993, S. xi–xii).
Unter den diversen Praktiken von Fans nimmt Fanfiction und Fanart, mit denen
populärkulturelle Texte weiterentwickelt bzw. umgeschrieben werden, eine beson-
dere Rolle ein. Die frühen Beispiele von Fanfiction stammen überwiegend von
Frauen, die Geschichten auf der Basis ihrer Erfahrungen in einer patriarchalen
Gesellschaft umschreiben und z. B. männliche Charaktere in gleichberechtigten
romantischen Liebesbeziehungen positionieren (Hellekson und Busse 2014, S. 75).
Tendenziell konzentrieren sich männliche Fans stärker auf narrative Aspekte, Inten-
tionen etc., währende weibliche Fans überwiegend an der fiktiven Welt und den
Charakteren interessiert sind (Hellekson und Busse 2014). Waren es zu Beginn

5
Der Grand Prix Eurovision (inzwischen als Eurovision Song Constest bezeichnet) ist ein Musik-
wettbewerb, bei dem seit Mitte des 20. Jahrhunderts jährlich Interpret:innen aus den Ländern, die
der europäischen Rundfunkunion angehören, teilnehmen (https://www.eurovision.de/event/index.
html).
360 B. Hipfl

Zines, die in Form selbst produzierter Texte in der Community verbreitet wurden,
läuft der Austausch inzwischen über eigene Fan-Websites, Fan-Foren und Platt-
formen wie Tumblr und Twitter.
Eine spezifische Variante des Umschreibens der Mainstream-Film- und Fernseh-
Inhalte ist Slashfiction, in der es um homoerotische Beziehungen geht. Eines der
ersten, breit diskutierten Beispiele ist die erotische Beziehung zwischen Captain
Kirk und Officer Spock in der US-Science-Fiction-TV-Serie Star Trek. Hier wird das
Genre von Frauen genutzt, um anhand von zwei männlichen Protagonisten sexuelle
Fantasien sowie Fantasien einer gleichberechtigten Arbeits- und Liebesbeziehung zu
entwickeln bzw. Männer feministisch zu zeichnen, indem männliche Körper umge-
formt und z. B. mit neuen erogenen Zonen oder der Fähigkeit, Kinder zu gebären,
ausgestattet werden (Penley 1997, S. 125–131). Aktuelle Beispiele für die Kon-
struktion gleichgeschlechtlicher sexueller Beziehungen, die Durchbrechung kon-
ventioneller Gender-Normen und für Veruneindeutungen finden sich etwa in Fan-
fiction zu Vampir:innen-Filmen und Fernsehserien (Labahn, in Bearbeitung).
Inzwischen ist Fanfiction oder Fanart nicht mehr ein vorwiegend von Frauen
genutzter Raum, sondern ein queerer Raum, der durch ein Spiel mit Androgynie, das
Erkunden von Möglichkeiten außerhalb bestehender, vorherrschender Gender-
Konventionen sowie durch Verundeutigungen und Entselbstverständlichungen
gekennzeichnet ist (Jenkins 2018; Hellekson und Busse 2014; Labahn, in Bearbei-
tung). Darüber hinaus verfolgen Initiativen, die als Fanaktivismus bezeichnet wer-
den – wie z. B. Fandom Forward oder die Hawkeye Initiative – das Ziel, die
Faszination für bestimmte popkulturelle Inhalte mit Interventionen in aktuelle For-
men von Ungleichheit (im Hinblick auf Gender, LGBTQIA, race, Herkunft, aber
auch in Bereichen wie Migration, ökonomischer Ungleichheit etc.) zu verknüpfen
(fandomforward.org; The Hawkeye Initiative). So schreiben Fans u. a. nach einer
kritischen Analyse der Gender-Repräsentationen in Marvel-Filmen und Comics die
Geschichten um bzw. werden die männlichen Protagonisten in den sexualisierten
Positionen gezeichnet, in denen die weiblichen Akteurinnen in den Originalen
vorkommen, um damit zu einer Art Bewusstseinsbildung beizutragen. Fans setzen
sich für mehr Diversität in der Populärkultur ein und problematisieren das white-
washing von Charakteren, die in den zugrundeliegenden Texten nicht-Weiß waren
(wird auch als racebending bezeichnet) bzw. setzen sich für eine Besetzung von
Weißen Charakteren mit people of color ein (Jenkins 2018).
Insgesamt ist Fandom als ambivalentes Feld zu charakterisieren: Neben diesen
Fanpraktiken eigen- und widerständiger Lesarten gibt es auch Beispiele von Com-
munities, die sich für ein traditionelles Geschlechterverhältnis einsetzen und myso-
gyne Praktiken und Hass-Kommunikation verwenden (siehe dazu auch Aigner und
Lenz 2019). Zudem wird in der derzeit dominanten neoliberalen Logik, die Subjekte
als Konsument:innen und Unternehmer:innen anruft, usergenerated content von
Fans schnell zu einer Ware, die in der Medienindustrie gut vermarktbar ist (Jenkins
2018; Hills 2016).
Feministische Rezeptionsforschung populärer Medien 361

6 Feministisch-queere Potentiale digitaler Medienpraktiken

Mit der Entwicklung der (Medien)Technologien gehen gravierende Veränderungen


im Umgang mit Medien und Medienprodukten einher. Wie Mulvey (2004, S. 24–26)
betont, können nun – im Unterschied zum Kino, in dem den Besucher:innen durch
das materielle Setting ein bestimmter Rhythmus aufgezwungen wird – Zuschauer:
innen zuhause Filme anhalten, einzelne Szenen wiederholen oder überspringen.
Während die feministische Filmtheorie der 1970er-Jahre darauf ausgerichtet war,
das ‚Angesehen-Werden‘ zu einem analytischen, intellektuellen Sehen zu verwan-
deln und zu einer Grundlage für ein selbstbewusstes, ästhetisch aufgeklärtes Publi-
kum (von Mulvey als entschlüsselnde Zuschauer:innenschaft bezeichnet) zu
machen, ist ihrer Meinung nach jetzt die Herausbildung einer neugierigen, nach-
denklichen Zuschauer:innenschaft möglich. So gelten Praktiken wie Binge-Wat-
ching (das Anschauen mehrerer Episoden einer TV-Serie ohne Pause, wie dies
Streaming-Dienste wie Netflix, Amazon Prime etc. nahelegen) bzw. Binge-Scrolling
(durch soziale Medien) nicht nur als Ausdruck der intensiven Beziehungen der
Nutzer:innen zu den Inhalten, es wird ihnen auch politisches Potential zugeschrieben
(Horeck 2021). Als Beispiel führt Horeck (2021, S. 37–38) an, wie Binge-Watching,
das beim Lockdown aufgrund der Covid-Pandemie zu einer weit verbreiteten
Coping-Strategie wurde, wesentlich zur kollektiven Zeug:innenschaft der Ermor-
dung des Schwarzen George Floyd durch Weiße Polizisten am 25. Mai 2020 in
Minneapolis und zu den darauf folgenden politischen Forderungen nach Social
Justice, etwa im Rahmen der Black Lives Matter-Bewegung, beigetragen hat. So
tauchten in diversen Medien und im Netz Empfehlungen für antirassistische Filme
und Fernsehserien auf und Netflix bot z. B. unter dem Motto ‚Black Lives Matter‘
eine Sammlung an Spielfilmen, Fernseh-Sendungen und Dokumentarfilmen an.
Die technologischen Entwicklungen und Social-Media-Plattformen, die es so
einfach machen, Informationen über sich mit anderen zu teilen sowie Diskussionen
zu initiieren, ermöglichen neue Formen queer-feministischer Interventionen und
sind gleichzeitig Beispiele neuer Ambivalenzen. So kann das Phänomen der Cam-
girls – das sind junge Frauen, die Ende der 1990er-Jahre Webcams in ihren Pri-
vaträumen installierten und die in regelmäßigen Abständen gemachten Schnapp-
schüsse über einen Server für Zuseher:innen zugänglich machten – als eine den
aktuellen Bedingungen angepasste Weiterführung der Selbsterfahrungsgruppen der
zweiten Frauenbewegung mit ihrer zentralen Kernaussage „Das Private ist politisch“
verstanden werden (Senft 2008, S. 7). Die Camgirls nutzen die neue Technologie der
Webcams in feministischer Weise, indem sie mit ihren Selbst-Repräsentationen den
Dualismus privat/öffentlich sowie die Vermarktung und Pornografisierung des weib-
lichen Körpers in Frage stellen, sich untereinander austauschen und sich gegenseitig
in ihren ‚homecam-communities‘ unterstützen (Senft 2008, S. 40; Maguire 2018,
S. 35). Allerdings sind in der Netzwerkgesellschaft die Bedingungen nicht für alle
362 B. Hipfl

gleich,6 zudem fallen die klaren Grenzen weg, die für Face-to-face-Communities
zuvor charakteristisch waren, und machen die eigenen Bilder und Statements auch
Menschen zugänglich, die nicht einer durch gemeinsame Anliegen, geteilte Erfah-
rungen und politische Kämpfe gekennzeichneten Community angehören. Zudem
finden sich bereits bei den Camgirls Praktiken wie Self-Branding und die ständige
Inszenierung des eigenen Mikro-Celebrity-Status, die gegenwärtig in den sozialen
Medien allgegenwärtig sind und am deutlichsten im Phänomen der Influencer:innen
zum Ausdruck kommen (Senft 2008, S. 8).
In den feministischen Diskussionen aktueller Video- und Foto-Sharing-Netzwer-
ke wie z. B. Instagram richtet sich der Fokus einerseits auf Aspekte, die als
problematisch angesehen werden, andererseits wird auf das feministische Potential,
das sich hier eröffnet, verwiesen. Für Rosalind Gill, die sich intensiv mit der Frage
auseinandersetzt, welche Formen Gender-Diskriminierungen und -Ungleichheiten
unter den gegebenen Bedingungen annehmen, entwickeln sich aufgrund des Zu-
sammenspiels von postfeministischer Sensibilität und neoliberalen Prinzipien neue
regulierende Praktiken des Schauens (Gill 2019). Die unzähligen Apps, die ver-
schiedene Formen der Selbst-Beobachtung und des Self-Tracking ermöglichen,
verstärken die Aufforderung zu ständiger Selbstkontrolle, die zentrale Charakteris-
tika von Postfeminismus und Neoliberalismus sind. Für beide ist die Rhetorik von
Individualismus, Selbstbestimmtheit und Wahlfreiheit, die mit der Konzeption des
unternehmerischen, sich ständig optimierenden Subjekts einhergeht, bestimmend.
Für Gill (2019, S. 150) kann Postfeminismus7 als gegenderte Version des Neolibe-
ralismus verstanden werden; sie bezeichnet die Effekte der neoliberalen Responsi-
bilisierung der Mädchen und Frauen als postfeministische Sensibilität. Diese schlägt
sich in einer extremen Fokussierung auf die Aufgabe nieder, den eigenen Körper zu
managen, zu formen und zu gestalten, d. h. ständig ‚ästhetische Arbeit‘ zu leisten.
Anstelle von strukturellen Ungleichheiten (und den feministischen Konzepten für
deren Analyse) werden nun die eigenen Wahl-Entscheidungen als Erklärung für
Machtunterschiede herangezogen. Dies geht Hand in Hand mit spezifischen Gefüh-
len, die als angemessen gelten wie „fun, resilient, positive and relentlessy upbeat“
(Gill 2019, S. 152). Was früher nur auf Celebrities zutraf, dass nämlich ihre Körper
in Zeitschriften den kontrollierenden Blicken von Medienrezipient:innen ausgesetzt
werden, gilt nun in intensivierter Form für alle Frauen, die in den sozialen Medien
präsent sind. Sie überwachen sich gegenseitig und vor allem auch sich selbst.
Das queer-feministische Potential von sozialen Medien wird vor allem darin
gesehen, Bewusstsein für genderbezogene Ungleichheit und (strukturelle) Gewalt
zu schaffen bzw. eigene Erfahrungen und Herausforderungen in selbst-bestimmter
Form zu repräsentieren (siehe etwa Mendes et al. 2019). Beispiele sind Hashtag-

6
Wie Senft (2008, S. 7) betont, sind die meisten der von ihr interviewten Camgirls Weiß, able-
bodied, straight bzw. bisexuell und jünger als 40 Jahre.
7
Postfeminismus wird hier im Sinn von Angela McRobbie (2009) verstanden, die in der Populär-
kultur der Jahrtausendwende eine Form der Thematisierung von Feminismus verortet, bei der
einerseits feministische Anliegen akzeptiert, andererseits aber aufgrund der Fokussierung auf
individuelle Wahlfreiheit als nicht mehr nötig erachtet werden.
Feministische Rezeptionsforschung populärer Medien 363

Aktivismus (wie #aufschrei und #MeToo, siehe zu #aufschrei Drüeke und Zobl
2016) oder Blogs bzw. Videoblogs von Trans*, Non-Binary oder genderqueer-
Menschen (z. B. Raun 2016). Aber es werden auch explizit Aktionen gegen das
neoliberale postfeministische Schönheits-Regime in sozialen Medien gesetzt, wie
das von Cat Mahoney (2020) diskutierte Beispiel der Selbst-Repräsentationen von
drei Frauen (einer Bloggerin für Plus-Size-Damenmode und -unterwäsche, einer
Vertreterin der Body-Positivity-Bewegung und einer Personal Trainerin) auf Insta-
gram zeigt. Sie nutzen ihre Körper, die nicht den postfeministischen Normen
weiblicher Schönheit entsprechen und aus dieser Perspektive als unerwünscht bzw.
ungesund gelten, um Widerstand gegen solche Normierungen wie auch gegen die
Sexualisierung und Objektifizierung des weiblichen Körpers zum Ausdruck zu
bringen. Sie dokumentieren die Freude an ihren Körpern und stellen sich mit ihren
Bildunterschriften und Postings gegen die neoliberalen Parameter von Instagrams
visueller Ökonomie. Gleichzeitig sind sie sich dessen bewusst, dass auch sie den
Parametern von Instagram folgen und ihre Repräsentationen darauf ausrichten,
Follower zu kuratieren. Für Mahoney (2020, S. 14) besteht die zentrale feministische
Leistung darin, ein alternatives Vokabular bereitzustellen, mit dem Bilder von
Frauen in einer neoliberalen postfeministischen visuellen Ökonomie verstanden
und diskutiert werden können.
Fehlt ein solches Vokabular (und das damit verknüpfte theoretische Werkzeug),
dann werden selbst Momente bahnbrechender feministischer Repräsentationen in
populären Medien (wie z. B. in den Fernsehserien Desperate Housewives, Game
of Thrones, der Reality-TV-Show Jersey Shore und der Plattform Wikipedia)
de-politisiert und gezähmt, wie eine Rezeptionsstudie von Andrea Press und Fran-
cesca Tripoldi (2021) zeigt. Die Medienangebote werden dann unter Bezug auf
vertraute Aspekte von populärem, postfeministischem Feminismus (wie Individua-
lismus und individuelle Entscheidungen) interpretiert und genutzt. Ein anderes
Beispiel findet sich in einer Analyse der Diskussionen zu Skyler White,8 einer
Protagonistin der erfolgreichen US-TV-Serie Breaking Bad auf der Plattform Reddit
(Hermes und Stoete 2019). Die Kommentare werden drei unterschiedlichen
Sprecher:innen-Positionen zugeordnet: Neben der Position der kritischen, informier-
ten, selbst-kritischen Zuschauer:in findet sich die eines ‚moralischen Realismus‘, die
sich darin äußert, dass Skyler Whites Verhalten (als Mutter bzw. Partnerin in der
Serie) als moralisch gut oder schlecht bewertet wird. In der dritten, von den Auto-
rinnen als ‚public shaming‘ bezeichneten Position wird die Serienfigur und die
Schauspielerin zu einer miteinander verschmolzenen Celebrity-Figur. Hier wird
vom Recht ausgegangen, ‚öffentlich verfügbare‘ Personen beurteilen zu können,
was mit einem Gefühl der Befriedigung darüber einhergeht, dass die eigene Mei-
nung zur Kenntnis genommen wird (Hermes und Stoete 2019, S. 419–420). Für

8
Skyler White ist in der TV-Serie Breaking Bad die Ehefrau des Hauptprotagonisten Walter White,
einem Chemielehrer, der Krebs hat und aus Sorge, ob im Fall seines Todes genug Geld für seinen
behinderten Sohn und für seine Frau (die unerwartet wieder schwanger ist) zur Verfügung sei, mit
der Herstellung synthetischer Drogen beginnt. Immer mehr wird Walter White im Laufe der Serie zu
einem Kriminellen.
364 B. Hipfl

Hermes und Stoete sind Kommentare der Art des moralischen Realismus und des
public shaming Varianten von Celebrity-Klatsch, mit dem Genderfragen (überwie-
gend in traditioneller und mysogyner Weise) diskutiert werden (Hermes und Stoete
2019, S. 423).

7 Fazit

Die Erforschung der Frage, wie Medienrezeption und Geschlecht zusammenhängen,


erweist sich als herausforderndes Unterfangen. Es gilt, sowohl Medien und ihre
Affordanzen (die sich über die Zeit verändern) zu berücksichtigen als auch die sich
historisch verändernden feministischen bzw. Gendertheorien. Waren anfangs mit
Medienrezeption Aktivitäten des Publikums von Massenmedien gemeint, bekom-
men nun mit den digitalen Medien von den Nutzer:innen selbst produzierte Inhalte
immer mehr Gewicht, sodass sich eine klare Trennung in Produktion und Rezeption
nicht mehr aufrechterhalten lässt, was z. B. im Konzept produsage (Bruns 2008)
zum Ausdruck kommt. Als wichtige Leistung der frühen feministischen Rezeptions-
forschung ist hervorzuheben, Medien-Erfahrungen von Frauen ernst genommen und
damit dem Bann von Banalisierung und Abwertung entzogen zu haben. Anfangs
wurde die Frage stark diskutiert, wie das Vergnügen an Populärkultur aus feminis-
tischer Perspektive einzuschätzen sei. Befürchtet wurde, dass medial angebotene
Fantasien, die die gegebenen Bedingungen akzeptabel machen, Frauen davon ab-
halten, nach anderen, befriedigenderen und erfüllenderen Lebensformen zu suchen.
Ende des 20. Jahrhunderts, zur Blütezeit ethnographisch orientierter feministischer
Rezeptionsforschung, war der Fokus auf die je spezifischen Bedeutungskonstruk-
tionen und Aushandlungen im Alltag gerichtet. Inzwischen lässt sich als zentrales
Ergebnis der Studien zum Engagement von Mediennutzer:innen festhalten, dass
trotz der Fülle an traditionellen Gender-Bildern, die Medien in Umlauf bringen,
nicht von direkter Übernahme durch die Nutzer:innen ausgegangen werden kann.
Vielmehr findet sich eine Vielfalt an Bedeutungszuschreibungen und Formen von
Vergnügen, die voller Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten sind sowie gleich-
zeitig Kritik und Affirmation zum Ausdruck bringen und oft unerwartete Öffnungen
aufweisen. Zunehmend werden affektive Dynamiken stärker in den Blick genom-
men, die ein differenzierteres Verständnis von Binde- und Beharrungskräften eröff-
nen (Maase 2019, S. 14; Lünenborg et al. 2021; Hipfl 2021b).
Ein Spannungsfeld betrifft die Art und Weise, wie sich die Forscher:innen zum
Forschungsgegenstand positionieren. Dominierte anfangs die Distanz zwischen der
feministischen Expertin auf der einen und den begeisterten Mediennutzer:innen auf
der anderen Seite, wird zunehmend eine solch klare Differenzierung durchbrochen.
So outen sich Forscher:innen als Fans populärkultureller Produkte (z. B. Ang 1986)
bzw. nähern sich den Subjekten ihrer Forschung aus einer Position des Respekts und
nicht aus einer feministisch-akademischen Überlegenheit (z. B. Hermes 1995) oder
arbeiten mit partizipativen Methoden (wie etwa mit der Kollektiven Erinnerungs-
arbeit, Hipfl 2021a). Das bedeutet für die Analyse der erhobenen Daten zum einen
die Anerkennung, dass die Nutzer:innen in ihren jeweiligen Lebenskontexten
Feministische Rezeptionsforschung populärer Medien 365

spezifische Bedeutungen produzieren, zum anderen eine kritische Haltung, die


immer auch Selbst-Reflexivität der Forscher:innen und das Explizit-Machen der
historisch-spezifischen Verortung des forschenden Blicks beinhaltet (Bechdolf
1999, S. 74–76; Maier 2007, S. 55–57).
Die von Ang (1996, S. 45) bereits vor zwei Jahrzehnten gestellte Frage „how do
we conduct audience research which is on the side of the audience?“ ist nach wie vor
von großer Relevanz. Brita Ytre-Arne und Ranjana Das (2019, S. 190) fordern im
Kontext aktueller Entwicklungen wie der zunehmenden Datafizierung des Sozialen,
dass zukünftige Forschung nicht nur eine Weiterentwicklung der Nutzer:innen-
Forschung sein und damit sicherstellen soll, dass die Nutzer:innen ernst genommen
werden, sondern auch Forschung, die im Interesse der Nutzer:innen erfolgt. Dazu
gehören kritische Untersuchungen zur Vereinnahmung der Interessen und zur öko-
nomischen Wertschöpfung aus der Aufmerksamkeit, den Daten, den Praktiken und
der emotionalen Arbeit der Nutzer:innen.

Literatur
Aigner, Isolde, und Ilse Lenz. 2019. Antifeminismus und Antigenderismus in medialen und
digitalen Öffentlichkeiten. In Handbuch Medien und Geschlecht, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte
Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/
978-3-658-20712-0_45-1.
Ang, Ien. 1986. Das Gefühl „Dallas“. Zur Produktion des Trivialen. Bielefeld: Daedalus.
Ang, Ien. 1991. Desperately seeking the audience. London: Routledge.
Ang, Ien. 1996. Living room wars: Rethinking media audiences for a postmodern world.
London/New York: Routledge.
Ang, Ien, und Joke Hermes. 1994. Gender and/in media consumption. In Gender und Medien, Hrsg.
Marie-Luise Angerer und Johanna Dorer, 114–133. Wien: Braumüller.
Bechdolf, Ute. 1999. Puzzling Gender. Re- und Dekonstruktionen von Geschlechterverhältnissen
im und beim Musikfernsehen. Weinheim: Deutscher Studienverlag.
Beinzger, Dagmar. 2004. Filmerfahrung im biographischen Rückblick. Über den Zusammenhang
zwischen Filmrezeption und Geschlechtsidentität. Eine erziehungs- und medienwissenschaftli-
che Studie. Dissertation, Johann Wolfgang Goethe-Universität zu Frankfurt a. M.
Braidt, Andrea. 2019. Anfänge feministischer Filmtheorie und Filmwissenschaft. In Handbuch
Medien und Geschlecht, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija
Ratković. Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_59-1.
Bruns, Axel. 2008. Blogs, Wikipedia, Second Life and beyond. From production to produsage.
New York: Peter Lang.
Butler, Judith. 1991. Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt: Suhrkamp.
Butler, Judith. 1995. Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Berlin: Berlin-
Verlag.
Cornelißen, Waltraud. 1998. Fernsehgebrauch und Geschlecht. Zur Rolle des Fernsehens im Alltag
von Frauen und Männern. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Cowie, Elizabeth. 1990. Fantasia. In The woman in question; M/f, Hrsg. Parveen Adams und
Elizabeth Cowie, 149–196. Cambridge, MA: MIT.
Dorer, Johanna. 2019. Feministische Theorie als Fundament feministischer Kommunikationswissen-
schaft. In Handbuch Medien und Geschlecht, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl,
und Viktorija Ratković. Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_1-1.
Doty, Alexander. 1993. Making things perfectly queer: Interpreting mass culture. Minneapolis:
University of Minnesota Press.
366 B. Hipfl

Drüeke, Ricarda, und Elke Zobl. 2016. Online feminist protest movements and alternative publics:
The twitter campaign #aufschrei in Germany. Feminist Media Studies 16(1): 35–54.
Eurovision Song Contest. o.J. https://www.eurovision.de/event/index.html. Zugegriffen am
13.06.2021.
Fandom Forward. o.J. https://fandomforward.org. Zugegriffen am 05.08.2021.
Gill, Rosalind. 2019. Surveillance is a feminist issue. In The Routledge handbook of contemporary
feminism, Hrsg. Tasha Oren und Andrea L. Press, 148–1961. London/New York: Routledge.
Gillespie, Marie. 1995. Television, ethnicity, and cultural change. London/New York: Routledge.
Götz, Maya. 2015. Barbie vs. SpongeBob. Unterschiedliche Welten bei den Lieblingsfiguren der
Mädchen und Jungen? In Gender – Medien – Screens. (De)Konstruktionen aus wissenschaft-
licher und künstlerischer Perspektive, Hrsg. Elizabeth Prommer, Martina Schuegraf, und
Claudia Wegener, 83–99. Konstanz/München: UVK Verlagsgemeinschaft.
Hall, Stuart. 1986. Introduction. In Family television: Cultural power and domestic leisure, Hrsg.
David Morley, v–viii. London/New York: Comedia.
Haug, Frigga. 1995. Als mich ein Film berührte, den ich schlecht fand: Schlaflos in Seattle. In
Sündiger Genuß? Filmerfahrungen von Frauen, Hrsg. Frigga Haug und Brigitte Hipfl, 15–51.
Hamburg: Argument.
Haug, Frigga, und Brigitte Hipfl. 1995. Sündiger Genuß? Filmerfahrungen von Frauen. Hamburg:
Argument.
Hellekson, Karen, und Kristina Busse. 2014. Fan identity and feminism. In The fan fiction studies
reader, Hrsg. Karen Hellekson und Kristina Busse, 75–81. Iowa City: The University of Iowa
Press.
Hermes, Joke. 1993. Media, meaning and everyday life. Cultural Studies 7(3): 493–506.
Hermes, Joke. 1995. Reading women’s magazines. An analysis of everyday media use. Cambridge:
Polity Press.
Hermes, Joke. 2005. Re-reading popular culture. Malden/Oxford/Victoria: Blackwell.
Hermes, Joke, und Leonie Stoete. 2019. Hating Skyler White: Audience engagement, gender
politics and celebrity culture. Celebrity Studies 10(3): 411–426. https://doi.org/10.1080/
19392397.2019.1630155.
Herzog, Herta. 1941. On borrowed experience. An analysis of listening to daytime sketches. Studies
of Philosophy and Social Science 6(1): 65–95.
Herzog, Herta. 1944. What do we really know about daytime serial listeners? In Radio research
1942–1943, Hrsg. Paul F. Lazarsfeld und Frank N. Stanton, 3–33. New York: Duell, Sloane and
Pearce.
Hills, Matt. 2016. Transnational cult and/as neoliberalism: The liminal economies of anime fan-
subbers. Transnational Cinemas 8(1): 80–94. https://doi.org/10.1080/20403526.2016.1245921.
Hipfl, Brigitte unter Mitarbeit von Elke Ehlers, Michaela Geistler, Rosemarie Lederer, und Petra
Strohmaier. 1995. Als mich ein Film berührte, den ich schlecht fand: Pretty Woman. In Sündiger
Genuß? Filmerfahrungen von Frauen. Hrsg. Frigga Haug und Brigitte Hipfl, 52–108. Hamburg:
Argument.
Hipfl, Brigitte. 2021a. Kollektive Erinnerungsarbeit – ein partizipativer, kritischer Forschungs-
ansatz. In Handbuch Medien und Geschlecht, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte
Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-
0_15-1.
Hipfl, Brigitte. 2021b. Affekttheorie – Gender, Medien und die Politik von Affekten. In Handbuch
Medien und Geschlecht, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija
Ratković. Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_11-1.
Hofer, Kristina Pia. 2019. Feministische Filmforschung. In Handbuch Medien und Geschlecht,
Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesbaden:
Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_60-1.
Holtz-Bacha, Christina. 1982. Medienverhalten männlich-weiblich. Über ein Desiderat der Kom-
munikationsforschung. In Der andere Blick – Aktuelles zur Massenkommunikationsforschung,
Hrsg. Romy Fröhlich, 253–262. Bochum: Universitätsverlag Dr. N. Brockmeyer.
Feministische Rezeptionsforschung populärer Medien 367

hooks, bell. 1990. Yearning: Race, gender and cultural politics. Boston: South End Press.
Horeck, Tanya. 2021. Netflix and heal: The shifting meanings of binge-watching during the covid-
19 crisis. Film Quarterly 75(1): 35–40.
Huyssen, Andreas. 1986. Mass culture as woman: Modernism’s other. In After the great divide.
Modernism, mass culture, postmodernism, Hrsg. Andreas Huyssen, 44–62. Bloomington/India-
napolis: Indiana University Press.
Ippen, Laura. 1995. Weibliches Vergnügen an Indianergeschichten. In Sündiger Genuß? Film-
erfahrungen von Frauen, Hrsg. Frigga Haug und Brigitte Hipfl, 130–147. Hamburg: Argument.
Jenkins, Henry. 2018. Fandom, negotiation, and participatory culture. In A companion to media
fandom and fan studies, Hrsg. Paul Booth, 13–26. Hoboken: Wiley Blackwell.
Klaus, Elisabeth. 1996. Der Gegensatz von Information ist Desinformation, der Gegensatz von
Unterhaltung ist Langeweile. Rundfunk und Fernsehen 44(3): 403–417.
Klaus, Elisabeth. 2008. What do we really know about Herta Herzog? – Eine Spurensuche. Medien
& Kommunikation 65(2): 227–252.
Labahn, Denise. In Bearbeitung. Queere Fanfictions ¼ Queere Utopien? Hetero- und Homonor-
mativität im Produsage zu den US-amerikanischen Dramaserien ‚Buffy – Im Bann der Dämo-
nen; ‚True Blood‘ und ‚Vampire Diaries‘. Dissertation, Universität Tübingen.
Lünenborg, Margreth, und Tanja Maier. 2013. Gender Media Studies. Eine Einführung. Konstanz/
München: UVK Verlagsgesellschaft.
Lünenborg, Margreth, Tanja Maier, Claudia Töpper, und Laura Suna. 2021. Affektive Medienprak-
tiken. Emotionen, Körper, Zugehörigkeiten im Reality-TV. Wiesbaden: Springer VS.
Maase, Kaspar. 2019. Populärkulturforschung. Eine Einführung. Bielefeld: transcript.
Maguire, Emma. 2018. Girls, autobiography, media. Gender and self-mediation in digital econo-
mies. Cham: Palgrave Macmillan. https://doi.org/10.1007/978-3-319-74237-3.
Mahoney, Cat. 2020. Is this what a feminist looks like? Curating the feminist self in the neoliberal
visual economy of Instagram. Feminist Media Studies, published online 20. August 2020.
https://doi.org/10.1080/14680777.2020.1810723.
Maier, Tanja. 2007. Gender und Fernsehen. Perspektiven einer kritischen Medienwissenschaft.
Bielefeld: transcript.
Mayne, Judith. 1993. Cinema and spectatorship. London/New York: Routledge.
McRobbie, Angela. 1991. Jackie and Just Seventeen: Girls comics and magazines in the 1980s. In
Feminism and youth culture. From Jackie to Just Seventeen, Hrsg. Angela McRobbie, 135–188.
Basingstoke und London: Macmillan.
McRobbie, Angela. 2009. The aftermath of feminism: Gender, culture and social change.
London: Sage.
Mendes, Kaitlynn, Jessica Ringrose, und Jessalynn Keller. 2019. Digital feminist activism. Girls
and women fight back against rape culture. New York: Oxford University Press.
Modleski, Tanja. 1982. Loving with a vengeance: Mass produced fantasies for women. Hamden:
Archon Books.
Modleski, Tanja. 1987. Die Rhythmen der Rezeption: Daytime-Fernsehen und Hausarbeit. Frauen
und Film 42:4–11.
Morley, David. 1986. Family television: Cultural power and domestic leisure. London/New York:
Comedia.
Moser, Heinz. 1999. Twelve points. Grand Prix Eurovision – Analyse einer Fankultur. Zürich:
Verlag Pestalozzianum.
Mulvey, Laura. 1975. Visual pleasure and narrative cinema. Screen 16:6–18.
Mulvey, Laura. 2004. Ein Blick aus der Gegenwart in die Vergangenheit: Eine Re-Vision der
feministischen Filmtheorie der 1970er-Jahre. In Screenwise. Film. Fernsehen. Feminismus,
Hrsg. Monika Bernold, Andrea B. Braidt, und Claudia Preschl, 17–27. Marburg: Schüren.
Penley, Constance. 1989. Response. Camera Obscura 7(2–3): 256–260.
Penley, Constance. 1997. Nasa/Trek. Popular science and sex in America. London/New York:
Verso.
368 B. Hipfl

Press, Andrea L., und Francesca Tripoldi. 2021. Media-ready feminism and everyday sexism. How
US audiences create meaning across platforms. New York: SUNY Press.
Radway, Janice. 1984. Reading the romance. Women, patriarchy and popular literature. Chapel
Hills/London: University of North Carolina Press.
Raun, Tobias. 2016. Out online: Trans self-representation and community building on YouTube.
New York: Routledge.
Röser, Jutta. 2000. Fernsehgewalt im gesellschaftlichen Kontext. Eine Cultural Studies-Analyse über
Medienaneignung in Dominanzverhältnissen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Röser, Jutta. 2001. Mediengewalt und Machtverhältnisse. Genderperspektive als Aufforderung zu
gesellschaftsbezogener Rezeptionsforschung. In Kommunikationswissenschaft und Gender Stu-
dies, Hrsg. Elisabeth Klaus, Jutta Röser, und Ulla Wischermann, 42–72. Wiesbaden: West-
deutscher Verlag.
Roth, Rike, und Jutta Röser. 2019. Domestizierungsansatz: Medienaneignungen und Geschlechter-
ordnungen. In Handbuch Medien und Geschlecht, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte
Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-
0_21-1.
Röttger, Ulrike. 1994. Medienbiographien von jungen Frauen. Münster/Hamburg: LIT.
Senft, Theresa. 2008. Camgirls: Celebrity and community in the age of social networks. New York:
Peter Lang.
The Hawkeye Initiative. o.J. https://thehawkeyeinitiative.tumblr.com/. Zugegriffen am 10.08.2021.
Ytre-Arne, Brita, und Ranjana Das. 2019. An agenda in the interest of audiences: Facing the
challenges of intrusive media rechnologies. Television & New Media 20(2): 184–198.
Zoonen, Liesbet van. 1994. Feminist media studies. London/Thousand Oaks/New Delhi: Sage.
Domestizierungsansatz: Medienaneignung
und Geschlechterordnungen

Raik Roth und Jutta Röser

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
2 Grundannahmen des Domestizierungsansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
3 Entstehungskontext und Entwicklung des Domestizierungsansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372
4 Aktuelle Domestizierungsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375
5 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378

Zusammenfassung
Der Domestizierungsansatz ist in seinen Grundannahmen und seiner Entwick-
lung eng verknüpft mit der Frage nach dem Zusammenhang von Geschlechter-
ordnungen und häuslicher Medienaneignung. Dieser Fokus hat in aktuellerer
Forschung an Bedeutung verloren. Jedoch ist der Ansatz in besonderer Weise
dazu geeignet, die Aushandlung von Geschlechterverhältnissen in der häuslichen
Medienaneignung sowie die Teilhabe an neuen Medien zu analysieren.

Schlüsselwörter
Domestizierung · Medienaneignung · Häuslicher Alltag · Häusliche
Arbeitsteilung · Ethnografie · Gender

R. Roth (*)
Institut für Medienforschung und Medienpädagogik, Technische Hochschule Köln, Köln,
Deutschland
E-Mail: raik.roth@th-koeln.de
J. Röser
Institut für Kommunikationswissenschaft, Universität Münster, Münster, Deutschland
E-Mail: jutta.roeser@uni-muenster.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 369
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_21
370 R. Roth und J. Röser

1 Einleitung

Der Domestizierungsansatz wurde seit Beginn der 1990er-Jahre im Umfeld der


ethnografisch orientierten, anfangs vor allem fernsehbezogenen Aneignungsfor-
schung der Cultural Studies entwickelt. Er versteht den Alltag und insbesondere
den häuslichen Alltag als zentralen Kontext, in dem Menschen sich Medien aneig-
nen. Neben dem Medieninhalt finden auch die konkreten Situationen der Medien-
aneignung (viewing context) sowie die Medientechnologien als materielle Objekte
Berücksichtigung. Durch die Tradition der Cultural Studies war die Entwicklung des
Domestizierungsansatzes geprägt von Fragen nach Machtverhältnissen und Hand-
lungsmacht, wobei insbesondere Geschlechterverhältnisse in den Blick gerückt
wurden. In aktuelleren Forschungen hat der Fokus auf Geschlecht allerdings an
Gewicht verloren. Dabei eignet sich der Ansatz, wie wir zeigen werden, in beson-
derer Weise dazu, Fragen nach dem Zusammenhang von Geschlecht und Medien-
aneignung nachzugehen. Speziell bietet er einen Rahmen, um die Entwicklung von
Teilhabe an neuen Medien aus der Perspektive einer konstruktivistischen kommuni-
kationswissenschaftlichen Geschlechterforschung (Klaus 2005, S. 13–29) zu
analysieren.

2 Grundannahmen des Domestizierungsansatzes

Der Domestizierungsansatz untersucht den Prozess, in dem Medien und Kommuni-


kationstechnologien von den Nutzer*innen in ihr Zuhause eingefügt und im Aneig-
nungsprozess Teil häuslicher Alltagsroutinen sowie Mittel sozialen Handelns wer-
den. Die Kernideen des Domestizierungsansatzes lassen sich entlang von sechs
Prämissen umreißen (Röser und Müller 2017). Der Ansatz nimmt erstens eine
aneignungsorientierte Perspektive ein und rekonstruiert mit vorwiegend qualitativen
Methoden das häusliche Medienhandeln aus der Sicht der Nutzer*innen, die den
Medientechnologien erst ihre Bedeutung geben. Damit grenzt der Ansatz sich von
technikdeterministischen Konzepten und kausalen Wirkungsannahmen ab. Diese
Perspektive korrespondiert mit den Einsichten der Geschlechterforschung, wonach
Geschlechterverhältnisse von den Subjekten in ihrem Handeln selbst hergestellt
werden, wie sie insbesondere im Konzept des Doing Gender (Gildemeister 2008)
zum Ausdruck kommen.
Speziell interessiert sich Domestizierung zweitens für die Einbettung der Medien-
nutzung in den Alltag. Dabei geht es einerseits um die Erkenntnis, dass Medien-
aneignung als soziale Handlung verstanden wird, die mit nicht-medialen Hand-
lungen interagiert. Andererseits handeln die Menschen im Rahmen eines Alltags,
der von gesellschaftlichen Machtverhältnissen strukturiert ist. Dieser Ausrichtung
entspricht methodologisch eine ethnografisch orientierte Rezeptionsforschung,
die Mediennutzung in tatsächlich stattfindenden Alltagskontexten untersucht, statt
Domestizierungsansatz: Medienaneignung und Geschlechterordnungen 371

künstliche Forschungssettings zu schaffen, und die die Präsenz von Makrostrukturen


in den Mikropolitiken des Alltags aufspüren will.
Drittens fokussiert der Ansatz speziell den häuslichen Alltag als zentralen Ort, an
dem Medienaneignung stattfindet und ausgehandelt wird. Das Zuhause wird als ein
besonderer Ort gefasst: einerseits für die Aushandlung von Identitäten und sozialen
Beziehungen mittels Medien, andererseits für die Durchsetzung und Aneignung
neuer Medien und Kommunikationstechnologien (Röser 2007). Auch die Ge-
schlechterforschung versteht das Zuhause als einen speziellen Ort, der – als weiblich
konnotierte private Sphäre – in der kommunikationswissenschaftlichen Forschung
lange Zeit unbeachtet blieb, aber schließlich als einer der Orte identifiziert wurde, an
denen Geschlechterverhältnisse maßgeblich ausgehandelt und mit Leben gefüllt
werden. Bei der Konstruktion und Ausgestaltung des Zuhauses haben Medien
schon immer eine zentrale Rolle gespielt. Schon Radio und Fernsehen, aber eben
auch Computer und Internet sowie deren zahlreiche End- und Peripheriegeräte haben
sich erst im Zuge der Integration in den häuslichen Kontext massenhaft verbreitet.
Die konkreten zeitlichen und räumlichen Strukturen sowie sozialen Interaktionen im
Zuhause prägen dabei das Medienhandeln ebenso wie übergreifende gesellschaftli-
che Diskurse, die (insbesondere bezüglich Geschlecht) im Häuslichen Relevanz
entfalten.
Kennzeichnend ist viertens die Prozessorientierung: Als offener, prinzipiell end-
loser Prozess ist die Domestizierung von Medien(technologien) niemals abgeschlos-
sen. Vielmehr kann jederzeit Bewegung entstehen, weil sich z. B. Lebensumstände
ändern oder neue technologische Dienste eingesetzt werden. Domestizierung ist
deshalb ein potenziell non-linearer, diskontinuierlicher Prozess, der Phasen von
„Re- and de-domestication“ der Medientechnologien enthalten kann (Berker et al.
2006, S. 3; vgl. Röser et al. 2019, S. 27–30). Vergleichbar stellt auch die soziale
Konstruktion von Geschlecht einen fortwährenden Prozess dar, in dem hegemoniale
Geschlechterverhältnisse immer wieder erneut bestätigt oder revidiert und modifi-
ziert werden.
Fünftens ist zu beachten, dass Medien als doppelt artikulierte Bedeutungsträger
verstanden werden: Die Nutzer*innen weisen einerseits dem Medientext und ande-
rerseits der Medientechnologie als materielles Objekt im Prozess der Medienaneig-
nung Bedeutung zu. Während sich die Rezeptionsforschung lange Zeit nur dem
Medientext widmete, ist eine der besonderen Leistungen des Domestizierungsansat-
zes, die Relevanz der materiellen Ebene hervorzuheben. Dies ist für Geschlechter-
fragen wichtig, weil Medientechnologien als Objekte männlich oder weiblich kon-
notiert sein können und dies wiederum mit Praktiken des Doing Gender verknüpft
werden kann (vgl. Peil et al. 2020, S. 215–218).
Der Ansatz beansprucht daher sechstens, den Blick auf das gesamte Medienre-
pertoire statt auf Einzelmedien zu richten. Dies wird aus der Geschlechterperspek-
tive beispielsweise dann relevant, wenn neue Medien durch eine technische Rah-
mung zunächst eher von Männern angeeignet werden, während viele Frauen sich
zunächst distanziert zeigen und stärker den ‚alten‘ Medien treu bleiben (vgl. für
entsprechende Entwicklungen bei Radio und Internet: Roth und Röser 2019).
372 R. Roth und J. Röser

3 Entstehungskontext und Entwicklung des


Domestizierungsansatzes

Der Domestizierungsansatz knüpft maßgeblich an der ethnografisch orientierten


Fernsehforschung der Cultural Studies aus den 1980er-Jahren an. Diese nahm den
Ort in den Blick, an dem Fernsehen stattfindet: den Kontext des Häuslichen sowie
speziell die Familie und die Paarbeziehung, wodurch sich ein besonderer Fokus auf
Geschlechterverhältnisse ergab.

3.1 Frühe Forschungen

Als eine der ersten arbeitete Dorothy Hobson in ihren Studien zur Medienrezeption
von Hausfrauen (1980) sowie zur Rezeption von Soap Operas (1982) heraus, dass
vergeschlechtlichte Ordnungen des häuslichen Alltags für die Medienaneignung
relevant sind und diese prägen. Sie zeigte, dass die soziale Position nicht nur auf
der Ebene der Textinterpretation für Rezeptionsweisen relevant wird, wie es Stuart
Hall mit seinem Encoding-Decoding-Modell betont hatte (Röser 2015), sondern
auch auf der situativen Ebene: Die alltagsstrukturellen Bedingungen in ihren raum-
zeitlichen und sozialen Dimensionen prägen Medienrezeption. Für Hausfrauen
bedeutet dies die Zuständigkeit für reproduktive Tätigkeiten und die Gebundenheit
an das Häusliche. Hierdurch dominierte bei den Hausfrauen in Hobsons Studie eine
abgelenkte und immer wieder durch Hausarbeiten unterbrochene Medienrezeption.
Auch stellte die häusliche Sphäre für sie vornehmlich einen Ort der Arbeit dar, was
bei vielen Hausfrauen zu Schuldgefühlen führte, wenn sie sich eine Medienrezeption
erlaubten, die allein auf ihr eigenes Vergnügen ausgerichtet war. Diese Schuldge-
fühle korrespondierten mit einer gesellschaftlichen Abwertung von weiblich kon-
notierten und von vielen Hausfrauen rezipierten Genres wie etwa der Soap Opera,
die von Partnern und Ehemännern zudem entsprechend negativ kommentiert wurden
(Hobson 1980; siehe auch Morley 1986). Mit ihren Forschungen lenkte Hobson den
Blick auf bis dahin unbearbeitete Themen rund um das Häusliche und die Lebens-
realitäten von Hausfrauen. Ihre Analysen wurden von weiteren Arbeiten zur Me-
dienrezeption aus dieser Zeit grundlegend bestätigt (etwa Radway 1984; Modleski
1986; siehe auch Bausinger 1984).
Insbesondere David Morley vertiefte die gewonnenen Einsichten und rückte in
seiner Studie Family Television (1986) den häuslichen und familiären Alltag von
Fernsehaneignung in den Fokus. In der Auswertung der Studie konzentrierte er sich
auf die Frage, wie Geschlechterverhältnisse das Häusliche und damit auch den
Fernsehkonsum prägen. Dies entsprach Morleys Interesse für die Verbindung von
Mikro- und Makroperspektive. Zentral war die Feststellung unterschiedlicher Modi
des Fernseh- und Videogebrauchs von Männern und Frauen („styles of viewing“,
Morley 1992, S. 148). Statt diese aber essenzialistisch zu begründen, stellte Morley
(wie vorher Hobson) als Hintergrund dieser Befunde einen geschlechtsgebunden
strukturierten Alltag fest, in dem Frauen und Männern im Sinne einer geschlechts-
Domestizierungsansatz: Medienaneignung und Geschlechterordnungen 373

gebundenen häuslichen Arbeitsteilung unterschiedliche Zuständigkeiten und Auf-


gaben zugeschrieben werden. Auch seine Befunde zu männlicher Dominanz im
Fernsehgebrauch – etwa bei Konflikten bezüglich der Programmentscheidungen
oder der Hoheit über die Fernbedienung, die in seinem Sample in der Regel das
symbolische Eigentum des Mannes war – erklärte er über den Status als ‚Familien-
ernährer‘ und verstand sie damit als sozial hervorgebracht. Denn in Familien, in
denen der Mann arbeitslos und die Frau berufstätig war, fand Morley eine andere
Dynamik. Die arbeitslosen Männer nahmen sich zurück, da sie mehr freie Zeit
hatten; sie überließen Programmentscheidungen auch anderen Familienmitgliedern
und sahen sich ‚ihre‘ Sendungen auf Video zu einem anderen Zeitpunkt an (Morley
1992, S. 148).1
Seit Erscheinen von Family Television hat sich die theoretische Einordnung
solcher Befunde zum geschlechtsgebundenen häuslichen Medienhandeln im Zuge
der theoretischen Weiterentwicklung der Gender Media Studies (konstruktivistisch)
verschoben. Morley wurde schon früh für seine Studie kritisiert, die sich allzu sehr
auf die Unterschiede zwischen Männern und Frauen fokussiert und damit deren
Gemeinsamkeiten ausblendet (etwa bei Ang und Hermes 1992). Dem ist allerdings
entgegenzuhalten, dass hier genauso wie in Hobsons Arbeiten erstmals herausgear-
beitet wurde, dass im häuslichen Medienhandeln Machtverhältnisse wirksam wer-
den, die an gesellschaftliche Diskurse und an Ordnungen von spezifischen Weiblich-
keiten und Männlichkeiten anknüpfen. Diese zeigten sich etwa in einer
geschlechtsgebundenen Arbeitsteilung oder in Vorstellungen vom Mann als Ober-
haupt und Ernährer der Familie oder in der Abwertung von weiblich konnotierten
Genres.
Ergänzend zu Morleys Studie betonten Moores (1988, 2007) und Ann Gray
(1987) die Bedeutung der materiellen Dimension von Medien, also die Bedeutung
der Medientechnologien sowie ihrer Vergeschlechtlichung für Prozesse der Medien-
aneignung im häuslichen Alltag. So zeigte Moores, wie das Radio in der Frühphase
seiner Nutzung in Form eines „wundersamen Spielzeugs“ und als „neue technische
Vorrichtung“ wahrgenommen wurde (Moores 2007, S. 119). Durch diese technische
„Rahmung“ (Schönberger 1999, S. 259) waren es zunächst „vorwiegend junge
experimentierfreudige Männer“ (Moores 2007, S. 119), die das Radio nutzten. Erst
später, als es in die Wohnzimmer der Familien einzog und per Lautsprecher gehört
werden konnte, verlor es diese Rahmung und wurde von allen Haushaltsmitgliedern
genutzt; insbesondere für Hausfrauen wurde es zum Alltagsbegleiter während der
täglichen Aufgaben im Haushalt (Roth und Röser 2019). Ähnlich argumentierte Ann
Gray (1987) in ihrer Studie zur Aneignung des Videorekorders, dass (Medien-)
Technologien im Haushalt eher weiblich oder eher männlich konnotierten Bereichen
zugeordnet sein können (etwa Waschmaschine vs. Bohrmaschine), wodurch eher
Frauen bzw. eher Männer zur Nutzung animiert werden.

1
Gray (1987) widerspricht diesen Befunden später allerdings in Teilen, da sie in ihrer Studie zum
Gebrauch des Videorekorders auch in der von Morley beschriebenen Konstellation männlich
dominierte Nutzungsweisen fand (vgl. Morley 1992, S. 218).
374 R. Roth und J. Röser

3.2 Das HICT-Projekt

Vor dem Hintergrund der dargestellten Forschungen wurde schließlich das Domes-
tizierungskonzept im Rahmen des HICT-Projekts – The Household Uses of Infor-
mation and Communication Technologies – entwickelt. Roger Silverstone, David
Morley, Eric Hirsch und Sonia Livingstone führten dieses Projekt Ende der 1980er-
Jahre unter Einbeziehung der (damals) neuen Medientechnologien durch (siehe die
Beiträge in Silverstone et al. 1989; Morley und Silverstone 1990; Silverstone und
Hirsch 1992; ferner Hartmann 2013, S. 45–47). Es ging ihnen vor allem darum,
Medienaneignung in einem breiteren soziotechnischen und kulturellen Rahmen neu
zu definieren, um eine Alternative zu technikdeterministischen Ansätzen zu ent-
wickeln. Das Projekt untersuchte insgesamt 20 Haushalte und startete zu einer Zeit,
als der Einzug von Computern in die private häusliche Welt gerade in den Anfängen
steckte und Satelliten-TV, Spielekonsolen u. Ä. ‚neue‘ Medien waren, so dass es zu
einer Pionierstudie über die Frühphase der Digitalisierung der Haushalte wurde.
Während die Auswertung der Haushaltsfallstudien bruchstückhaft blieb (Hart-
mann 2013, S. 101), zeichnete sich das Projekt durch die Entwicklung wichtiger
theoretisch-konzeptioneller Grundlagen des Domestizierungsansatzes aus. Dabei
wurden die oben dargestellten Analysen und theoretischen Einsichten systematisch
zusammengeführt. Darüber hinaus setzte das HICT-Projekt einen neuen Fokus, der
sich auf die Verhäuslichung von Medien richtete und damit auf den Prozess,
„through which new technologies (of all kinds) are incorporated into the family
and the household, and in that process acquire meanings of all kinds“ (Silverstone
et al. 1989, S. 4). Damit öffnete sich auch der Blick auf die Teilhabe an neuen
Medien (Röser 2007; Röser und Müller 2017), die im familiären und häuslichen
Kontext gefördert oder auch behindert werden kann: „[Audience] practices have to
be seen as situated within the facilitating and constraining microsocial environments
of family and household interaction“ (Morley und Silverstone 1990, S. 32–33).
Bezüglich der Frage nach Machtverhältnissen und ihrer Bedeutung für Medien-
aneignung im häuslichen Alltag bezogen sich die Autor*innen explizit auf die
Analyse von Geschlechterverhältnissen. Einerseits betonten sie die vergeschlecht-
lichte Ordnung des häuslichen und familiären Alltags, durch die Männer und Frauen
unterschiedlich positioniert sind und Medien entsprechend unterschiedlich aneig-
nen: „The domestic sphere is not simply a physical space – it is also a socially
organized space. Just as we argued earlier (. . .) we turn to the significance of the
gendered organization of domestic space within the private sphere – as a fundamen-
tal determinant of the take up and use of different technologies by family members.“
(Silverstone et al. 1989, S. 67–68) Andererseits arbeiteten sie heraus, dass Medien-
technologien vergeschlechtlicht sein können, indem sie mit männlichen oder weib-
lichen Sphären in Verbindung gebracht werden und so z. B. zu „masculinised
technologies“ (Silverstone et al. 1989, S. 78) werden, wie sie es für den „home
computer“ oder für Videospiele analysierten. Ihre Perspektive ist dabei eine explizit
konstruktivistische (Silverstone et al. 1989, S. 71). Medien(technologien), Familie
und Haushalt verstehen sie als geformt durch spezifische historische und gesell-
schaftliche Bedingungen.
Domestizierungsansatz: Medienaneignung und Geschlechterordnungen 375

4 Aktuelle Domestizierungsforschung

In der weiteren Entwicklung der kommunikationswissenschaftlichen Domestizie-


rungsforschung hat sich der Fokus erweitert, dabei sind Gender-Perspektiven jedoch
ins Hintertreffen geraten. Neben dem Kontext des Häuslichen und der ‚traditionel-
len‘ Kernfamilie, wie es im HICT-Projekt angelegt war, wurden weitere Kontexte2
und Personengruppen3 untersucht. Dabei beschäftigen sich viele Studien mit Einzel-
medien, und auch der Fokus auf den Prozess der Verhäuslichung von Medien steht
deutlich weniger im Fokus (Hartmann 2013, S. 71–100). In der Gesamtschau der
Studien ist auffällig, dass nach dem HICT-Projekt Fragen nach der Bedeutung von
Makrostrukturen im untersuchten Kontext und insbesondere nach der Bedeutung
von Geschlechterverhältnissen an Relevanz verloren und eher selten empirisch
verfolgt werden. Zu den wenigen aktuellen Forschungen, die den Zusammenhang
von Medienaneignung und Geschlechterverhältnissen explizit berücksichtigen, ge-
hören Studien zur Domestizierung des Internets, so die Untersuchung von Julia
Ahrens (2009) zu deutschen und australischen Paaren im Vergleich sowie die
Projektreihe „Das mediatisierte Zuhause I–III“ unter Beteiligung der Autorinnen,
die im Folgenden kurz vorgestellt wird.
Die qualitative Panelstudie untersuchte die Domestizierung des Internets im Zuge
der Mediatisierung des Häuslichen. Hierzu wurden 25 zusammenlebende hetero-
sexuelle Paare innerhalb von acht Jahren zwischen 2008 und 2016 drei Mal zu Hause
besucht und zur Anschaffung und zur Bedeutung des Internets im Alltag der Paare
gemeinsam interviewt sowie abschließend noch einmal schriftlich befragt (Röser
et al. 2019; sowie Röser und Peil 2010; Röser et al. 2017). Dabei zeigte sich, dass die
Frühphase der Internetdomestizierung ähnlich wie schon beim Radio (Roth und
Röser 2019) geprägt war von einer technischen Rahmung der neuen Medientech-
nologie und einer häufig männlichen Dominanz in der Nutzung – es nutzen nicht nur
mehr Männer, sondern diese nutzten in den untersuchten Paarbeziehungen in der
Regel auch federführend.4 Ab den 2000er-Jahren veränderte sich dann die Nutzung
des Internets. Online-Angebote rund um Alltagsorganisation, Kommunikation, Un-
terhaltung und Konsum gewannen an Bedeutung, wodurch das Internet immer
weniger als technisch interessante Innovation oder als Arbeitsgerät wahrgenommen
wurde und stattdessen alltagskulturell gerahmt wurde. Ergebnis war ein höheres
Engagement von Frauen (und auch von internetdistanzierten Männern), das sich ab
2011 noch einmal intensivierte: Auch jene Frauen begannen mit einer routinierten

2
Etwa der berufliche Kontext bei Pierson (2006).
3
Etwa Alleinerziehende bei Lemor und Anna-Maria (2006), junge Alte bzw. Rentner*innen bei
Silverstone und Haddon (1996) und Röser (2017), „disadvantaged users“ bei Hynes und Rommes
(2006), „Home-Workers“ bei Ward (2006) und „female-headed households“ bei Karl (2007, 2009).
4
Es gab aber auch Paare, in denen beide Partner*innen relativ gleichwertig nutzten. Diese Paare
kamen in der Regel aus dem Studierendenmilieu und lernten das neue Medium im Zuge ihres
Studiums kennen. Neben einem technischem Interesse am Internet waren es insbesondere Impulse
aus Studium, Ausbildung und Beruf, die für die Anschaffung eines häuslichen Internetanschlusses
in den 1990er-Jahren ausschlaggebend waren (Röser und Peil 2010).
376 R. Roth und J. Röser

Nutzung, die sich zuvor explizit internet-distanziert geäußert hatten und Online-
Tätigkeiten teils von ihren Männern erledigen ließen (Röser und Roth 2015).
Nachdem Männer und Frauen den Zugang zum Internet gefunden hatten und die
Medientechnologie immer weniger einer grundlegenden Vergeschlechtlichung un-
terlag, wurden allerdings zweigeschlechtliche Ordnungen des Alltags für die Nut-
zung relevant(er). So wurden Zuständigkeiten rund um das Internet auf inhaltlicher
Ebene geschlechtlich gerahmt und von den Paaren in die von ihnen gelebte (mehr
oder weniger ausgeprägte) geschlechtsgebundene Arbeitsteilung eingefügt (für ent-
sprechende Fallanalysen siehe Röser et al. 2019, S. 177–207; Röser und Roth 2015;
vgl. auch Ahrens 2009). Auf das hier gefundene ‚Einfügen‘ von Medienaneignung
in bereits bestehende häusliche Geschlechterordnungen des Alltags durch die Nut-
zer*innen weist das Domestizierungskonzept schon in seinen Schlüsseltexten hin
(vgl. Silverstone et al. 1989, S. 35–39, 67–71; Morley und Silverstone 1990, S. 38).
Dabei ist dieses geschlechtsgebundene Medienhandeln als Produkt historisch ge-
wachsener und spezifischer gesellschaftlicher Diskurse um Zweigeschlechtlichkeit
zu verstehen, die auf der Mikroebene mit Leben gefüllt werden.
Eine genauere Analyse der sozialen Interaktionen im Paaralltag zeigt zudem, wie
ambivalent sich die häusliche Medienaneignung aus Geschlechterperspektive ge-
stalten kann.5 So betonen einige durchaus routiniert und eigenständig nutzende
Frauen der Studie teilweise ihre Inkompetenz mit dem Internet, um bestimmte
Internettätigkeiten an ihre Partner abgeben zu können. Wie Ann Gray bereits kurz
nach den zentralen Publikationen des HICT-Projekts herausarbeitete, ist diese Stra-
tegie der „kalkulierten Ignoranz“ (Gray 1992, S. 106) im Rahmen eines geschlecht-
lich strukturierten häuslichen Alltags zu sehen, in dem Männern und Frauen
unterschiedliche Positionen und Aufgaben zugeschrieben werden. Die internetdis-
tanzierten Männer im Sample beziehen sich hingegen nicht auf Diskurse um tech-
nische Inkompetenz. Sie scheinen zwar einen gewissen Erklärungsdruck für ihre
geringe Internetnutzung zu verspüren und rechtfertigen sich ausführlich, nennen
aber eher andere Gründe – etwa eine naturnahe statt technikaffine Persönlichkeit
oder eine Ablehnung von „Technikfreaks“ und dem Internet im Allgemeinen.
Medienaneignung wird damit einerseits von zweigeschlechtlichen Diskursen
gerahmt (hier: Männlichkeit und Technikkompetenz) und ist andererseits mit
vergeschlechtlichten Positionen im häuslichen Alltag verknüpft.

5 Fazit und Ausblick

Häusliche Medienaneignung ist zutiefst mit Geschlechterverhältnissen verwoben –


hierfür öffnet der Domestizierungsansatz, wie wir gezeigt haben, in besonderer
Weise den Blick. Dabei zeichnet sich der Ansatz durch eine Perspektive aus, die
klare Parallelen zur konstruktivistischen Geschlechterforschung aufweist. So wird

5
Die folgenden Aspekte wurden vertiefend in der Dissertation von Raik Roth bearbeitet (Veröffent-
lichung voraussichtlich 2023).
Domestizierungsansatz: Medienaneignung und Geschlechterordnungen 377

Medienaneignung genauso wie Geschlecht als soziale Praxis verstanden, die in


gesellschaftlichen und durch Machtverhältnisse geformten Kontexten stattfindet.
Zwar sind es die Menschen selbst, die sich Medien aneignen bzw. Geschlecht
herstellen; doch tun sie dies im Rahmen von spezifischen – ermöglichenden oder
beschränkenden – vergeschlechtlichten Kontexten. Ziel des Domestizierungsansat-
zes ist es, „to ‚denaturalise‘ the now taken-for-granted and unobtrusive presence of
various communications technologies within the domestic household“ (Silverstone
et al. 1989, S. 35). In ähnlicher Weise zeigt die Geschlechterforschung, dass Ge-
schlechterordnungen keine ‚natürlichen‘ und fixen Verhältnisse darstellen, sondern
Produkte spezifischer historischer, gesellschaftlicher sowie lokaler Bedingungen sind.
Aus dieser Perspektive können Geschlechterverhältnisse in der Medienaneignung
prinzipiell immer bestätigt, aber auch revidiert oder verschoben werden. An dieser
Stelle zeigt sich in der Domestizierungsforschung allerdings eine Lücke. Bisher
dominiert der Blick auf die Wirkmächtigkeit von Geschlechterverhältnissen, wäh-
rend widerständige Momente in der empirischen Forschung kaum hervorgehoben
wurden. Dies liegt unter anderem an den Studiendesigns. Denn bei jenen Studien,
die Geschlechterverhältnisse explizit berücksichtigen, dominieren heteronormative
Familien- und Paarkonstellationen. Lebenszusammenhänge, die nicht den hetero-
normativen Standards entsprechen, wurden bisher kaum untersucht. Eine Ausnahme
bilden die Arbeiten von Irmgard Karl (2007, 2009), die sich mit „female-headed
households“ beschäftigt, darunter Wohngemeinschaften, Alleinerziehende und les-
bische Paarbeziehungen. Sie weist darauf hin, dass Vorstellungen von Zuhause
(Home) sowie von der Medienaneignung im Zuhause heteronormativ geprägt sind.
In queeren Lebenszusammenhängen können häusliche Medienpraktiken daher als
ambivalente Aushandlungsprozesse von Zugehörigkeit fungieren. Im HICT-Projekt
war man sich der normativen Setzung von Familie durchaus bewusst und argumen-
tierte, dass diese Lebensweise der Mehrheit der Bevölkerung entspreche. Da dieser
Fokus aber weitestgehend erhalten geblieben ist, gilt es nun die Perspektive auf
verschiedene Familienkonstellationen und Lebenszusammenhänge auszuweiten, um
die bisherigen Befunde zur Domestizierung von Medien zu vertiefen. Genauso gilt
es innerhalb heteronormativer Settings widerständige und widersprüchliche Mo-
mente herauszuarbeiten. Ähnlich verhält es sich mit intersektionalen Perspektiven.
Silverstone et al. formulierten zwar das Ziel, einen Analysemodus zu entwickeln „in
which the functioning of gender categories can be integrated along with [. . .] other
structuring categories – such as those of age, class and ethnicity“ (1989, S. 81). Doch
wurden intersektionale Ansätze im Rahmen der Domestizierungsforschung kaum
weiter vertieft. Dabei wies schon Marie Gillespie (1989) darauf hin, dass Gender in
der häuslichen Medienaneignung nicht allein relevant ist, indem sie zeigte, wie etwa
der Videorekorder zur Aushandlung kultureller Zugehörigkeiten genutzt werden
kann (siehe auch Gillespie 1995).
Insbesondere durch seinen Fokus auf die (gesellschaftlich vermittelten) Kontexte
von Medienaneignung bietet der Domestizierungsansatz aus unserer Sicht aber die
Potenziale, auch intersektionale und queere Perspektiven in die Untersuchung häus-
licher Medienaneignung einzubeziehen. Denn dieser Fokus ermöglicht es, Macht-
378 R. Roth und J. Röser

verhältnisse, die mit Medienaneignung verwoben sind, als vielfältige Positionierun-


gen statt als essenzialistische Identitäten zu konzipieren.

Literatur
Ahrens, Julia. 2009. Going online, doing gender. Alltagspraktiken rund um das Internet in Deutsch-
land und Australien, Reihe critical media studies. Bielefeld: transcript.
Ang, Ien, und Joke Hermes. 1992. Gender and/in media consumption. In Mass media and society,
Hrsg. James Curran und Michael Gurevitch, 307–328. New York/Melbourne/Auckland: Ed-
ward Arnold.
Bausinger, Hermann. 1984. Media, technology and daily life. Media, Culture and Society 6(4):
343–351.
Berker, Thomas, Maren Hartmann, Yves Punie, und Katie J. Ward, Hrsg. 2006. Introduction. In
Domestication of media and technology , 1–17. Berkshire: Open University Press.
Gildemeister, Regine. 2008. Doing Gender: Soziale Praktiken der Geschlechterunterscheidung. In
Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung, Hrsg. Ruth Becker und Beate Kortendiek,
137–145. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Gillespie, Marie. 1989. Technology and tradition: Audio-visual culture among South Asian families
in West London. Cultural Studies 3(2): 226–239.
Gillespie, Marie. 1995. Television, ethnicity and cultural change. London: Routledge.
Gray, Ann. 1987. Behind closed doors. Video recorders in the home. In Boxed in: Women and
television, Hrsg. Helen Baehr und Gillian Dyer, 38–54. London: Pandora.
Gray, Ann. 1992. Video playtime. The gendering of a leisure technology. London: Routledge.
Hartmann, Maren. 2013. Domestizierung. Baden Baden: Nomos.
Hobson, Dorothy. 1980. Housewives and the mass media. In Culture, media, language: Working
papers in cultural studies 1972–79, Hrsg. Stuart Hall, Dorothy Hobson, Andrew Lowe, und
Paul Willis, 105–114. London: Hutchinson.
Hobson, Dorothy. 1982. „Crossroads“: The drama of a soap opera. London: Methuen.
Hynes, Deirdre, und Els Rommes. 2006. „Fitting the internet into our lives“: IT courses for
disadvantaged users. In Domestication of media and technology, Hrsg. Thomas Berker, Maren
Hartmann, Yves Punie, und Katie J. Ward, 125–144. Berkshire: Open University Press.
Karl, Irmgard. 2007. Domesticating the Lesbian? Queer strategies and technologies of home-
making. M/C Journal 10(4). http://journal.media-culture.org.au/0708/06-karl.php. Zugegriffen
am 08.01.2018.
Karl, Irmgard. 2009. Technology and women’s lives: Queering media ethnography. In Recon-
struction: Studies in Contemporary Culture 9(1).
Klaus, Elisabeth. 2005. Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung. Zur Bedeutung
der Frauen in den Massenmedien und im Journalismus, Aktualisierte und korrigierte Neuauf-
lage. Münster: LIT.
Lemor, Russo, und Anna-Maria. 2006. Making a „home“. The domestication of information and
communication technologies in single parents’ households. In Domestication of media and
technology, Hrsg. Thomas Berker, Maren Hartmann, Yves Punie, und Katie J. Ward, 165–184.
Berkshire: Open University Press.
Modleski, Tania. 1986. Femininity as mas(s)querade. A feminist approach to mass culture. In High
theory/low culture. Analysing popular television and film, Hrsg. Colin MacCabe, 37–523.
New York: St. Martin’s Press.
Moores, Shaun. 1988. „The box on the dresser“: Memories of early radio and everyday life. Media,
Culture and Society 10:23–40.
Domestizierungsansatz: Medienaneignung und Geschlechterordnungen 379

Moores, Shaun. 2007. Early Radio. Die Domestizierung einer neuen Medientechnologie in Groß-
britannien. In MedienAlltag. Domestizierungsprozesse alter und neuer Medien, Hrsg. Jutta
Röser, 117–128. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Morley, David. 1986. Family television. Cultural power and domestic leisure. London/New York:
Routledge.
Morley, David. 1992. Television, audiences and cultural studies. London/New York: Routledge.
Morley, David, und Roger Silverstone. 1990. Domestic communication: Technologies and mea-
nings. Media, Culture & Society 12(1): 31–55.
Peil, Corinna, Kathrin Friederike Müller, Ricarda Drüeke, Stephan Niemand, und Raik Roth. 2020.
Technik – Medien – Geschlecht revisited. Gender im Kontext von Datafizierung, Algorithmen
und digitalen Medientechnologien – eine kritische Bestandsaufnahme. M&K Medien & Kom-
munikationswissenschaft 68(3): 211–238.
Pierson, Jo. 2006. Domestication at work at small businesses. In Domestication of media and
technology, Hrsg. Thomas Berker, Maren Hartmann, Yves Punie, und Katie J. Ward, 205–225.
Berkshire: Open University Press.
Radway, Janice. 1984. Reading the romance. Women, patriarchy and popular literature. Chapel
Hill: University of North Carolina Press.
Röser, Jutta, Hrsg. 2007. Der Domestizierungsansatz und seine Potenziale zur Analyse alltäglichen
Medienhandelns. In MedienAlltag. Domestizierungsprozesse alter und neuer Medien, 15–30.
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Röser, Jutta. 2015. Rezeption, Aneignung, Domestizierung. In Handbuch cultural studies und
medienanalyse, Hrsg. Andreas Hepp, Friedrich Krotz, Swantje Lingenberg, und Jeffrey Wim-
mer, 125–135. Wiesbaden: Springer.
Röser, Jutta. 2017. Silversurfer 70plus. Qualitative Fallstudien zur Aneignung des Internets in der
Rentenphase. München: Kopaed.
Röser, Jutta, und Kathrin Friederike Müller. 2017. Der Domestizierungsansatz. In Qualitative
Medienforschung. Ein Handbuch, Hrsg. Lothar Mikos und Claudia Wegener, 2., völlig überarb.
u. erw. Aufl., 156–163. Konstanz, München: UVK.
Röser, Jutta, und Corinna Peil. 2010. Diffusion und Teilhabe durch Domestizierung. Zugänge zum
Internet im Wandel 1997–2007. In M&K Medien und Kommunikationswissenschaft 58(4):
481–502.
Röser, Jutta, und Ulrike Roth. 2015. Häusliche Aneignungsweisen des Internets: „Revolutioniert
Multimedia die Geschlechterbeziehungen?“ revisited. In Zwischen Gegebenem und
Möglichem. Kritische Perspektiven auf Medien und Kommunikation, Hrsg. Ricarda
Drüeke, Susanne Kirchhoff, Thomas Steinmaurer, und Martina Thiele, 301–314. Bielefeld:
transcript.
Röser, Jutta, Kathrin Friederike Müller, Stephan Niemand, und Ulrike Roth. 2017. Häusliches
Medienhandeln zwischen Dynamik und Beharrung: Die Domestizierung des Internets und die
Mediatisierung des Zuhauses 2008–2016. In Mediatisierung als Metaprozess. Transformatio-
nen, Formen der Entwicklung und die Generierung von Neuem, Hrsg. Friedrich Krotz, Cathrin
Despotović, und Merle-Marie Kruse, 139–162. Wiesbaden: Springer.
Röser, Jutta, Kathrin Friederike Müller, Stephan Niemand, und Ulrike Roth. 2019. Das media-
tisierte Zuhause im Wandel. Eine qualitative Panelstudie zur Verhäuslichung des Internets.
Wiesbaden: Springer VS.
Roth, Ulrike, und Jutta Röser. 2019. Mediatisierungs- und Domestizierungsansatz: Geschlecht im
mediatisierten Zuhause. In Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung. Geschlecht und
Gesellschaft, Hrsg. Beate Kortendiek, Birgit Riegraf, und Katja Sabisch, Bd. 65, 1385–1395.
Wiesbaden: Springer.
Schönberger, Klaus. 1999. Internet zwischen Spielwiese und Familienpost. Doing Gender in der
Netznutzung. In Neue Medienwelten, Hrsg. Eike Hebecker, Frank Kleemann, Harald Neymanns,
und Markus Stauff, 259–281. Frankfurt a. M.: Campus.
380 R. Roth und J. Röser

Silverstone, Roger, und Leslie Haddon. 1996. Design and the domestication of information and
communication technologies. Technical change and everyday life. In Communication by design.
The politics of information and communication technologies, Hrsg. Roger Silverstone und
Robin Mansell, 44–74. Oxford: Oxford University Press.
Silverstone, Roger, und Eric Hirsch. 1992. Consuming technologies. Media and information in
domestic spaces. London/New York: Routledge.
Silverstone, Roger, David Morley, Andrea Dahlberg, und Sonia Livingstone. 1989. Families,
technologies and consumption: The household and information and communication technolo-
gies. CRICT discussion paper. Uxbridge, UK: Centre for Research into Innovation, Culture &
Technology. http://eprints.lse.ac.uk/46657/. Zugegriffen am 08.01.2018.
Ward, Katie. 2006. The bald guy just ate an orange. Domestication work and home. In Domesti-
cation of media and technology, Hrsg. Thomas Berker, Maren Hartmann, Yves Punie, und Katie
J. Ward, 145–164. Berkshire: Open University Press.
Social Media: Zwischen
Selbstrepräsentation, und Unsichtbarkeit,
Empowerment und Sexismus

Tanja Carstensen

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382
2 Unterschiede in Zugang und Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
3 Praktiken der Selbstpräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384
4 Infrastrukturen, eingeschriebene Diskriminierungen und User_innen-Kämpfe . . . . . . . . . . . 385
5 Vernetzter Aktivismus, neue Öffentlichkeiten und digitaler Anti-Genderismus . . . . . . . . . . . 386
6 Social-Media-Arbeit – unsichtbar, ausgebeutet, entgrenzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387
7 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389

Zusammenfassung
Soziale Medien (u. a. Wikis, Weblogs, Microblogging, soziale Netzwerke) gelten
als besonders user_innen-zentriert und partizipativ; (noch) mehr als vorherige
Internettechnologien aktivieren sie zu Beteiligung, Austausch, Vernetzung und
Selbstdarstellung. Im Anschluss an Erkenntnisse und Perspektiven der frühen
feministischen Internetforschung stellt der Text eine Reihe genderrelevanter
Themen in Bezug auf Social Media vor: Zugang und Nutzung, Praktiken der
Selbstpräsentation, Infrastrukturen, Aktivismus und Öffentlichkeiten sowie
Arbeit.

Schlüsselwörter
Social Media · Infrastrukturen · Selbstpräsentation · Öffentlichkeit · Digitale
Arbeit

T. Carstensen (*)
Ludwig-Maximilians-Universität, München, Deutschland
E-Mail: tanja.carstensen@soziologie.uni-muenchen.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 381
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_79
382 T. Carstensen

1 Einleitung

Seit den 1990er-Jahren gewinnt das Internet an prägendem Einfluss auf nahezu alle
Lebensbereiche. Kommunikation, Informationsbeschaffung und -verbreitung haben
sich erheblich beschleunigt und verdichtet. Mit den so genannten sozialen Medien
hat diese Entwicklung seit Mitte der 2000er-Jahre noch an Dynamik gewonnen. Als
soziale Medien werden Medien bezeichnet, die es Nutzer_innen ermöglichen, Infor-
mationen anderen zugänglich zu machen und zu bearbeiten sowie sich untereinander
auszutauschen (u. a. Schmidt 2013, S. 10). Soziale Medien gelten daher als beson-
ders user_innen-zentriert und partizipativ; (noch) mehr als vorherige Internettech-
nologien aktivieren sie zu Beteiligung, Austausch, Vernetzung und Selbstdarstel-
lung. Die Social-Media-Forscherin boyd (2014, S. 11) macht insbesondere vier
Eigenschaften aus, die soziale Medien kennzeichnen: Persistenz (Inhalte werden
langfristig gespeichert und angezeigt), Sichtbarkeit (durch Vernetzung vergrößert
sich das mögliche Publikum), Duplizierbarkeit (Inhalte sind einfach und schnell zu
verteilen) und Auffindbarkeit (Inhalte können systematisch gesucht werden).
Hinter diesen gemeinsamen Charakteristika steht allerdings eine Vielfalt unter-
schiedlichster Angebote, die sich auf verschiedene Arten systematisieren und klas-
sifizieren lassen (und dabei gleichzeitig keinesfalls trennscharf unterscheidbar sind).
Taddicken und Schmidt (2017, S. 9–13) differenzieren soziale Medien folgender-
maßen: (1) Plattformen, die eine softwaretechnische Infrastruktur für eine Vielzahl
von User_innen bieten. Hierzu gehören soziale Netzwerke (z. B. Facebook, XING),
die in der Regel Persönlichkeitsprofile, Vernetzungs- und Bewertungsmöglichkeiten
anbieten, Diskussionsplattformen (Foren) sowie user-generated-content-Plattformen
(z. B. YouTube, Flickr, Slideshare), die das Bereitstellen von Videos, Fotos, Audio-
Dateien oder Präsentation ermöglichen. (2) Personal Publishing mit Weblogs,
Microblogging und Podcasts, das stärker die einzelnen Autor_innen betont. Auf
Weblogs und in Podcasts können eigene Beiträge geschrieben werden, die chrono-
logisch sortiert erscheinen und von Leser_innen oder Hörer_innen kommentiert
werden können. Auf Microblogs wie Twitter können kurze Nachrichten veröffent-
licht und über Follower_innen sowie themenzentriert über Hashtags weiterverbreitet
werden. (3) Instant Messaging und Chats wiederum zeichnen sich vor allem durch
die Möglichkeit zu synchroner Kommunikation aus, die in Chat-Räumen öffentli-
cher sein kann, bei Instant Messengern wie WhatsApp hingegen über eigene Kon-
taktlisten organisiert ist. (4) Wikis schließlich basieren auf einem Hypertext-System,
das es User_innen ermöglicht, Inhalte der Seiten nicht nur zu lesen, sondern direkt
im Browser zu ändern. Dies unterstützt das gemeinsame Arbeiten an Inhalten und
Dokumenten.
All diese Möglichkeiten haben auch gesellschaftspolitische Implikationen: Zum
einen nehmen die individuellen Ausdrucks- und Handlungsmöglichkeiten zu;
ebenso steigen Chancen auf eine Demokratisierung von Informationen, auf Partizi-
pation an politischen Meinungsbildungsprozessen, Empowerment sowie auf die
Herstellung von Gegenöffentlichkeiten und auf gesellschaftliche Teilhabe (u. a. Mün-
ker 2009). Demgegenüber stehen u. a. Gefahren einer sozialen Spaltung der Gesell-
schaft, Belastungen durch Informationsfülle, steigende Kommunikationsdichte und
Social Media: Zwischen Selbstrepräsentation, und Unsichtbarkeit . . . 383

Multitasking sowie weitreichende Möglichkeiten der Überwachung, Datensamm-


lung, Datenaus- und -verwertung.
Insbesondere ist mit Social Media auch eine Reihe genderrelevanter Phänomene
verbunden. Bereits in der Frühphase des Internets begannen Geschlechterforscher_innen
nach den geschlechterrelevanten Implikationen des neuen Mediums zu fragen.1 Mitt-
lerweile liegt ein umfangreicher, teilweise aber auch disparater Forschungskorpus vor
(Carstensen 2013). Charakteristisch sind dabei die interdisziplinären Zugänge, die von
feministischen Medien- und Kommunikationswissenschaften über Gender and Techno-
logy Studies bis hin zu sozialwissenschaftlicher Internetforschung und Ansätzen aus der
„Soziologie des Digitalen“ reichen. Im Folgenden werden die wichtigsten geschlechter-
relevanten Implikationen von Social Media dargestellt, entlang von Forschungsergeb-
nissen zu Zugang und Nutzung, Praktiken der Selbstpräsentation, Infrastrukturen,
Aktivismus und Öffentlichkeiten sowie Arbeit.

2 Unterschiede in Zugang und Nutzung

Das frühe Internet war in den 1990er-Jahren zunächst eine Männerdomäne (u. a.
Spender 1995; Dorer 1997). So lag im deutschsprachigen WWW Ende 1995 der
Anteil der Frauen bei nur gut sechs Prozent (Fittkau und Maaß Consulting 1995), die
Hauptnutzer des Internets waren hoch qualifizierte, junge, Weiße Männer. Dieser
gendered digital divide hat sich inzwischen deutlich verkleinert, ist aber bis heute
nicht aufgehoben: 2016 nutzten in Deutschland 88 % der Männer das Internet
mindestens gelegentlich, gegenüber 80 % der Frauen (Koch und Frees 2016,
S. 421), in Österreich waren es ebenfalls 88,4 % Männer und 81,8 % Frauen (statista
2017). Allerdings fallen Kategorien wie Alter, Einkommen und Bildung deutlich
stärker ins Gewicht (auch Lupton 2015, S. 130). Hinsichtlich der Nutzung unter-
schiedlicher Social-Media-Angebote kommen Koch und Frees (2016, S. 428–429)
für Deutschland aktuell zu dem Ergebnis, dass nur geringe Unterschiede zwischen
den Geschlechtern festzustellen sind. So nutzen beispielsweise 46 % der Männer und
37 % der Frauen mindestens einmal wöchentlich Wikipedia, 23 % der Männer und
30 % der Frauen täglich Facebook. Fotocommunities wie Instagram nutzen je 12 %
der Frauen und Männer und Instant Messenger wie WhatsApp wiederum mit 72 %
etwas mehr Frauen gegenüber 65 % der Männer.
In einzelnen Bereichen finden sich allerdings bedeutsame Differenzen: Besonders
groß sind die Unterschiede zwischen den Geschlechtern in Bezug auf die aktive
Beteiligung an Wikipedia. In der Stichprobe von Merz und Döring (2010) fanden
sich z. B. lediglich sechs Prozent Frauen unter den aktiven Autor_innen. Zu den
Ursachen liegen unterschiedliche Ergebnisse vor; Hargittai und Shaw (2015) können
beispielsweise einen signifikanten Zusammenhang mit geschlechtsspezifisch unter-
schiedlichen Internetkompetenzen nachweisen; sie zeigen, dass Intensität, Dauer

1
Für einen Überblick über die frühe Forschung zu Internet und Geschlecht vgl. u. a. Dorer (1997),
Neverla (1998) und Carstensen (2009).
384 T. Carstensen

und Rahmenbedingungen der Nutzung – bei denen Männer nach wie vor einen
Vorsprung haben – einen wichtigen Einfluss auf die Beteiligung an Wikipedia haben.
Eckert und Steiner (2013) führen vor allem die wenig einladende Reputation Wiki-
pedias als Grund an. Demgegenüber wurden Weblogs früh als von Frauen und
Mädchen dominierte Sphäre identifiziert (PEW Internet und American Life Project
2007), was u. a. als digitale Fortsetzung der weiblich konnotierten Kulturpraxis des
Tagebuchschreibens interpretiert wurde (Schönberger 2008).

3 Praktiken der Selbstpräsentation

Wie bereits in den frühen Diskursen angedeutet, war mit dem Internet von Beginn an
die Hoffnung verknüpft, dass Identitäten in ‚virtuellen‘ Räumen frei entworfen
werden könnten. Insbesondere Turkle (1998) sah diverse neuartige Möglichkeiten,
die eigene Selbstdarstellung jenseits der sichtbaren Körpermerkmale wie
Geschlecht, Hautfarbe oder Alter beliebig zu gestalten, wodurch diese auch in der
‚realen‘ Welt an Relevanz verlieren könnten. Erste Studien, die im Anschluss an
diese These durchgeführt wurden, kamen allerdings schnell zu dem Ergebnis, dass
die Frage nach dem Geschlecht in der Internet-Kommunikation eine zentrale Rolle
spielt, da dieses offenbar wichtige Orientierung bietet (Döring 2008, S. 127).
Auch die Forschungen zu Social Media kommen zu heterogenen Ergebnissen.
Verschiedene Studien zeigen u. a., dass Authentizität und die Inszenierung einer
‚echten‘ und eindeutigen Geschlechtsidentität gerade bei der Gestaltung der Persön-
lichkeitsprofile von großer Relevanz sind (u. a. Manago et al. 2008). Eine Untersu-
chung von Geschlechterinszenierungen in Selfies auf Instagram zeigt, dass diese
noch stereotyper sind als in Werbeanzeigen in Magazinen (Döring et al. 2016); eine
weitere Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Männer auf Profilbildern auf Facebook
eher dominant und unabhängig zu sehen sind, Frauen hingegen eher unterwürfig und
gefühlvoll (Rose et al. 2012). Auch konnte belegt werden, dass Frauen und Mädchen
in ihrem Verhalten auf sozialen Netzwerkseiten viel stärker be- und verurteilt werden
als Männer und Jungen und in der Folge mehr Aufwand für ihre Selbstdarstellung
betreiben (Bailey et al. 2013; Lyons et al. 2016).
Andere Untersuchungen verweisen auf die Spielräume der Selbstpräsentationen,
identifizieren beispielsweise heterogene Darstellungen von Weiblichkeit auf Web-
logs (van Doorn et al. 2007) oder verweisen auf die Brüche in hegemonialen
Geschlechterbildern beispielsweise durch „Mamablogs“, die über die Sicht auf die
eigene, als negativ empfundene Mutterschaft berichten (Orton-Johnson 2017).
Und schließlich gibt es eine Reihe von Studien, die subversive, ironische und
widerständige Selbstpräsentationen sowie Ausdruckmöglichkeiten für unterschied-
lichste sexuelle Orientierungen ausmachen, mit denen stereotype und binäre
Geschlechternormen sowie hegemoniale Vorstellungen von Sexualität in Text und
Bild in sozialen Medien unterlaufen werden. Beispiele hierfür sind Fotos von Frauen
mit Bärten auf Flickr, die eingeübte Sehgewohnheiten irritieren (Richard et al. 2010,
S. 210–214), oder Transpersonen, die Prozesse körperlicher Veränderungen über
regelmäßige Selfies dokumentieren und veröffentlichen (Vivienne et al. 2016).
Social Media: Zwischen Selbstrepräsentation, und Unsichtbarkeit . . . 385

4 Infrastrukturen, eingeschriebene Diskriminierungen und


User_innen-Kämpfe

Insbesondere die Gender and Technology Studies haben darauf aufmerksam


gemacht, dass vergeschlechtlichte Strukturen, geschlechterstereotype Normen und
Bilder von ‚typischen‘ Nutzungsweisen bereits während des Herstellungsprozesses
einer Technik von Bedeutung sind und in die Konstruktion von Artefakten einfließen
(u. a. van Oost 2003). Technikentwickler_innen orientieren sich an ihren Vorstel-
lungen von User_innen und ‚richtigen‘ Nutzungsweisen und treffen auf dieser
Grundlage Entscheidungen für ein bestimmtes Design der Technik, in das dann
antizipierte Interessen, Fähigkeiten, Motive und Verhaltensweisen der zukünftigen
User_innen quasi ‚eingeschrieben‘ werden. Dabei gehen oftmals auch unterschied-
liche (bewusste und unbewusste) Vorstellungen von weiblichen und männlichen
User_innen, von geschlechtstypischen Interessen und Fähigkeiten sowie Arbeitstei-
lungen in den Konstruktionsprozess ein, die sich im fertigen Produkt ‚verfestigen‘
bzw. ‚materialisieren‘.
Frühe Untersuchungen zum Internet wiesen zunächst auf einen männlich ge-
prägten Entstehungskontext und die Wirkmächtigkeit eines Technikmythos hin, der
über die Konstruktion des Internets als Technik eine Verbindung zu Männlichkeit
herstellte (u. a. Dorer 1997, S. 22). Auch im Design sozialer Medien fanden und
finden sich stereotype oder heteronormative Einschreibungen, so war in vielen der
Anmeldeformulare in sozialen Netzwerken die Angabe zu Geschlecht als Pflichtfeld
mit nur zwei Auswahlmöglichkeiten programmiert (Carstensen 2013).
Im Unterschied zum frühen Internet fällt aber auch auf, dass solche binären,
stereotypen und diskriminierenden Einschreibungen in Design, Sprache und Inhalte
des Internets mit Social Media stärker zum Gegenstand von Auseinandersetzungen
geworden sind. So zeigen sich deutlicher als früher Kämpfe um feministische Inhalte
in Wikipedia oder Gruppen in sozialen Netzwerken, die geschlechterstereotypes
Design kritisieren (Carstensen 2009, 2013). Mittlerweile gewinnen (deswegen?)
zunehmend Programmierpraktiken an Bedeutung, die Geschlechterangaben jenseits
von Zweigeschlechtlichkeit etablieren. So hat Facebook inzwischen auf vielfachen
Wunsch die Anmeldeoptionen erweitert und bietet mittlerweile 60 Optionen für
Geschlecht an. Bivens (2015) weist allerdings darauf hin, dass dies nur für die
Anmelde- und Profilformulare auf der User_innen-Ebene gilt, dass gleichzeitig aber
die Ebene der zielgruppenspezifischen Werbung, für die User_innen unsichtbar, in
der binären Logik verbleibt. Die erweiterten Möglichkeiten haben für die User_in-
nen zwar empowerndes Potenzial, produzieren dabei aber zusätzliche und noch
differenziertere Daten, die von den Konzernen und ihren Plattformen sowie den
Datenmärkten ökonomisch verwertbar sind (Burgess et al. 2016).
Auch wenn die Frage nach Inhalten und Design sozialer Medien von Beginn an
von Interesse war, lässt sich in jüngster Vergangenheit eine deutliche Zunahme an
Untersuchungen ausmachen, die stärker als bisher nach der Konstruiertheit und
Wirkmacht der technischen Grundlagen fragen und dabei Plattformarchitekturen,
Programmierweisen, die zugrunde liegenden Algorithmen sowie die Nutzungser-
wartungen der Betreiber_innen, Designer_innen, Anzeigenkund_innen und deren
386 T. Carstensen

ökonomische Interessen mit in den Blick nehmen (auch Bivens 2015; Duguay 2016;
Oakley 2016).

5 Vernetzter Aktivismus, neue Öffentlichkeiten und digitaler


Anti-Genderismus

Die Geschlechterforschung war von Anfang an auch mit der Frage beschäftigt,
inwiefern das Internet für ein Empowerment, das Erreichen größerer Öffentlich-
keiten sowie eine Stärkung der Solidarität und (weltweiten) Vernetzung von Frauen
untereinander nutzbar gemacht werden könnte (u. a. Consalvo und Paasonen 2002).
Während allerdings zunächst die interaktiven Möglichkeiten des Internets für Mei-
nungsbildung, politische Aktionen und die Entwicklung kritischer Gegenöffentlich-
keiten nur zögerlich genutzt wurden (Carstensen und Winker 2005; Schachtner und
Winker 2005), ist mit Social Media eine aktive, selbst-organisierte queer-feministi-
sche Netzszene entstanden, die sich intensiv austauscht und für Aktionen mobilisiert
(Carstensen 2012). Neben Beispielen für Vernetzungen von Frauen im „Arabischen
Frühling“ (Newsom und Lengel 2012; Schachtner 2013; Khamis 2014) oder in
translokalen Frauennetzwerken (Kannengießer 2012) erhält inzwischen der „Hash-
tag-Aktivismus“ besondere Aufmerksamkeit. Unter Hashtags wie #YesAllWomen,
#aufschrei oder #metoo initiierten Feminist_innen auf Twitter Kampagnen, die die
Aufmerksamkeit u. a. auf die Alltäglichkeit von Sexismus, Rassismus und Gewalt
gegen Frauen richten. User_innen posten individuelle Erlebnisse von Diskriminie-
rung, Belästigung und sexueller Gewalt, die durch Weiterverbreitung oftmals so viel
Aufmerksamkeit erhalten, dass sie von den traditionellen Massenmedien aufgegrif-
fen werden (u. a. Baer 2016; Drüeke und Klaus 2014).
Verschiedene Autor_innen weisen daher darauf hin, dass sich mit Social Media
aktivistisches und politisches Handeln verändert hat; Social Media ermöglichen
Selbstverständigung, generieren Solidarität und befördern neue Formen von politi-
schem Aktivismus, die individuelle Erlebnisse mit kollektiven Handlungen verbin-
den (u. a. Baer 2016). Hervorgehoben werden dabei oftmals die Schnittstellen von
persönlichen Narrationen und vernetzten Öffentlichkeiten, die neue Grenzverschie-
bungen von Privatem und Öffentlichem mit politischen Anliegen erzeugen (Vickery
2016), sowie die Möglichkeiten, ein marginalisiertes Thema zu diskutieren, kritische
Positionen zu entwickeln, größere Öffentlichkeiten zu erreichen und zu mobilisieren
(Drüeke und Klaus 2014, S. 64). Eslen-Ziya (2013) zeigt für die Türkei, dass Social
Media aufgrund ihrer Geschwindigkeit, ihrer Interaktivität und den Möglichkeiten
zur Informationsverbreitung ein Terrain für politische Kämpfe kreiert haben, das
feministischen Gruppen rasch Interventionen, Mobilisierung und Koordinierung
ermöglicht. Dass Weblogs und Twitter intensiv von Feminist_innen genutzt werden,
kann zudem als Hinweis gedeutet werden, dass diese den Ansprüchen insbesondere
queerer Politik entsprechen: Im Gegensatz zu eher abgeschlossenen Homepages, die
oftmals eindeutigen Selbstdarstellungen von Personen, Gruppen oder Organisatio-
nen dienen, sind soziale Medien flüchtiger und entziehen sich starren Kategorisie-
rungen. Über schnelles Positionieren via Kommentarfunktion, Blogroll und Retweet
Social Media: Zwischen Selbstrepräsentation, und Unsichtbarkeit . . . 387

ermöglichen Weblogs und Twitter die Bildung temporärer Bündnisse (Carstensen


2012, S. 29). Guha (2015) zeigt allerdings auch, dass für erfolgreiche Twitter-
Kampagnen eine enge Verbindung zu den traditionellen Medien bestehen muss,
die beispielsweise in Indien nicht existiert. Und Khoja-Moolji (2015) weist zudem
darauf hin, dass Hashtag-Aktivismus zu problematischen Verallgemeinerungen und
Vereinfachungen führen kann. Am Beispiel des Hashtags #BringBackOurGirls zeigt
sie, wie über die Figur des Mädchens und unter Rückgriff auf antimuslimische
Stereotype kollektive Ängste bedient werden. Über die Nutzung des Hashtags
werden die Beteiligten zu einem Teil einer Gemeinschaft, die sich bestimmter
Gewissheiten versichert und in diesen „intimen Öffentlichkeiten“ (Berlant 2011)
Ein- und Ausschlüsse herstellt. Sie argumentiert, dass ein solcher Aktivismus der
Komplexität der Situation nicht gerecht werde.
Zunehmend gewinnen dabei auch theoretische Ansätze an Bedeutung, die sich
deutlich gegen eine Dichotomisierung von Online-Offline-Unterscheidungen wen-
den (hierzu auch Orton-Johnson et al. 2015, S. 2; Arvidsson und Foka 2015); so
unterscheidet Sadowski (2016) statt eines Offline- und eines Online-Feminismus
vielmehr unterschiedliche Abstufungen digital-materieller Verschränkungen.
Gleichzeitig werden feministische und queere Inhalte, Gleichstellungspolitik und
Gender Studies von Maskulisten und Männerrechtlern in den sozialen Medien
massiv angegriffen, mit Ideologie- und Unwissenschaftlichkeitsvorwürfen bis hin
zu Mord- und Vergewaltigungsdrohungen, und damit teilweise zum Schweigen
gebracht (Barlow und Awan 2016). Auch in Wikipedia wurden beispielsweise
2007 die Einträge zu „Ladyfest“ und „Riot grrrl“ zur Löschung vorgeschlagen
(Carstensen 2012, S. 30). Ganz und Meßmer (2015) betrachten das Internet daher
als „Labor eines neuen Kulturkampfes“ und weisen auf die Spezifität der Internet-
kommunikation aufgrund von „Echokammern“ hin, die gestützt durch Algorithmen
(unbemerkt) Informationen nach den Relevanzkriterien der jeweiligen User_innen
zusammenstellen, die diesen wiederum als objektiv erscheinen. Auf diese Weise
bestärken sich in diskursiven Teilöffentlichkeiten Positionen gegenseitig und radi-
kalisieren sich (Ganz und Meßmer 2015, S. 70).
So werden feministische Themen nicht mehr nur in Nischen, sondern sichtbar in
breiten Öffentlichkeiten diskutiert und müssen sich mit Gegenreaktionen auseinan-
dersetzen. Geschlechterthemen werden öffentlich verhandelt, feministische Positio-
nen und Inhalte müssen dabei aber immer wieder verteidigt, begründet und legiti-
miert werden. Auseinandersetzungen um die Kategorie Geschlecht und um
Feminismus haben im Vergleich zum frühen Internet zugenommen und an Sichtbar-
keit und Öffentlichkeit, aber auch an Angriffsfläche gewonnen (Carstensen 2012,
S. 30; auch Lupton 2015, S. 137).

6 Social-Media-Arbeit – unsichtbar, ausgebeutet, entgrenzt

Insbesondere im angloamerikanischen Raum hat sich zudem in den letzten Jahren


eine Debatte darüber entwickelt, inwiefern Social-Media-Engagement Arbeit ist.
Ausgangspunkt hierfür ist u. a. Terranova (2013) These zu „free labor“; damit
388 T. Carstensen

bezeichnet sie Tätigkeiten wie Bloggen oder Postings bei Facebook, bei denen
User_innen das Netz und seine Inhalte mitproduzieren. Diese Tätigkeiten sind, so
Terranova, auch als Arbeit und – weil diese unbezahlt geleistet wird – als Ausbeu-
tung zu betrachten. „free labor“ ist für die Unternehmen, denen die Plattformen
gehören, wertschöpfend; für die User_innen wiederum hoher unbezahlter Aufwand.
Diese an (post-)marxistischen Theorien orientierten Ansätze werden mittlerweile,
wenn auch langsam, um feministische Perspektiven erweitert. Damit wird folgende
Ambivalenz sichtbar: Das Engagement von Frauen in den sozialen Medien stellt
einerseits Partizipation und Empowerment dar, weil dadurch unterschiedliche All-
tagsrealitäten von Frauen öffentlich werden, die normative Annahmen von Weib-
lichkeit in Frage stellen oder herausfordern können (Duffy 2015); zum anderen wird
auf die neoliberalen Mechanismen verwiesen, denen dieses Handeln unterliegt: die
erforderliche Selbstdisziplin, die Notwendigkeit von Selbstvermarktung und unter-
nehmerischem Handeln (Banet-Weiser 2012). Deutlich wird dabei auch der Wider-
spruch, dass feministischer Aktivismus auf profitorientierten und datensammelnden
Plattformen und damit im Kontext ganz spezifischer politökonomischer Rahmenbe-
dingungen stattfindet.
Zudem werden auch die Parallelen zwischen unbezahlter Hausarbeit und digitaler
Arbeit diskutiert. Ähnlich sind sich beide, da sie oft un- oder schlecht bezahlt sind
und als Arbeit und Aufwand unsichtbar bleiben und dabei gleichzeitig für Unter-
nehmen Profit generieren bzw. gesellschaftlich notwendig sind (u. a. Duffy 2015;
auch Jarrett 2016). Zudem erfordern beide kommunikative und affektive Tätigkei-
ten. Duffy (2015) zeigt zum Beispiel, wie die Tätigkeiten von vielen Modeblogge-
rinnen, abgesehen von den wenigen finanziell Erfolgreichen, oftmals unsichtbar und
unbezahlt bleiben und dabei gleichzeitig für Unternehmen extrem verwertbar sind
und von diesen selbstverständlich erwartet werden.
Und schließlich wird diskutiert, inwiefern Social Media die Grenzen zwischen
Beruf und Familie verschieben können. Mit Laptops, Smartphones, Tablets, Blogs
und „Social Collaboration“-Plattformen etabliert sich zunehmend das Phänomen
„Arbeiten immer und überall“ als Normalzustand. Diese Grenzverwischungen zwi-
schen Erwerbsarbeit und anderen Lebensbereichen, bezahlter und unbezahlter
Arbeit sowie Büro und Zuhause inkludiert Chancen auf eine bessere Vereinbarkeit,
aber auch Gefahren höherer Belastungen durch permanente Erreichbarkeit (Huws
2014; Wischermann und Kirschenbauer 2015; Carstensen 2015). Inwiefern diese
Potenziale allerdings auch zu neuen Geschlechterarrangements führen, ist bisher
ungeklärt.

7 Fazit

Die Forschungen zu Social Media und Gender zeichnen sich durch eine Reihe von
Grundfragen aus, die von Beginn an konstitutiv für das Feld waren. Die mittlerweile
vorliegenden vielfältigen Ergebnisse verweisen auf die Gleichzeitigkeit wider-
sprüchlicher Phänomene und Entwicklungen: sich verschärfende Geschlechterun-
gleichheiten, Sexismus und verstärkte Stereotype auf der einen Seite und egalisie-
Social Media: Zwischen Selbstrepräsentation, und Unsichtbarkeit . . . 389

rende Effekte, subversive und widerständige Selbstpräsentationen, Empowerment


und feministische Einflussnahme auf hegemoniale Öffentlichkeiten sowie erfolgrei-
che Kämpfe für diskriminierungsfreieres Design auf der anderen Seite. Aktuell fällt
auf, dass Studien verstärkt auch die Ambivalenzen von Social Media für Geschlech-
terverhältnisse und feministische Politik herausarbeiten: Öffentliche Selbstdarstel-
lung ist neoliberale Selbstvermarktung und Empowerment zugleich; Engagement in
Blogs dient der Sichtbarmachung von Frauenalltagen, kann aber auch als „free
labor“ (Terranova 2013) verstanden werden und unterliegt zudem strenger ge-
schlechternormierender Beobachtung, Überwachung und Verurteilung. Social-
Media-Plattformen erweitern Ausdrucksmöglichkeiten vielfältiger geschlechtlicher
Identitäten und haben die Mobilisierungsmöglichkeiten für feministische Politik
deutlich erhöht; gleichzeitig sind diese Plattformen und die darauf von (feministi-
schen) User_innen produzierten Daten im Besitz global agierender und einflussrei-
cher Internetkonzerne, die mit diesen Daten Profit generieren. Zunehmend gewinnen
damit Forschungsperspektiven an Relevanz, die die Infrastrukturen, technischen
Umgebungen, Plattformen und Algorithmen thematisieren, die den individuellen
und kollektiven Handlungen zugrunde liegen.
Immer mehr wird demgegenüber die Unterscheidung zwischen online und offline
hinfällig, die für die frühen Forschungen konstitutiv war. Vielmehr werden zuneh-
mend Praktiken mit digitalen Technologien als selbstverständlichem Bestandteil
untersucht. Eine zentrale Herausforderung der nächsten Jahre wird sicherlich sein,
noch stärker an der Entwicklung methodologischer und methodischer Ansätze zur
Auswertung digitaler Daten zu arbeiten (Lupton 2015, S. 8; Arvidsson und Foka
2015) und Methoden für den Umgang mit Big Data und den Funktionsweisen von
Algorithmen bei der Konstruktion von Geschlecht (auch Freudenschuss 2014, S. 10)
weiterzuentwickeln.2

Literatur
Arvidsson, Viktor, und Anna Foka. 2015. Digital gender: Perspective, phenomena, practice. First
Monday 20 (4). http://firstmonday.org/ojs/index.php/fm/article/view/5930/4430. Zugegriffen
am 25.01.2018.
Baer, Hester. 2016. Redoing feminism: Digital activism, body politics, and neoliberalism. Feminist
Media Studies 16(1): 17–34.
Bailey, Jane, Valerie Steeves, Jacquelyn Burkell, und Priscilla Regan. 2013. Negotiating with
gender stereotypes on social networking sites: From „bicycle face“ to Facebook. Journal of
Communication Inquiry 37(2): 91–112.
Banet-Weiser, Sarah. 2012. Authentic TM: The politics of ambivalence in a brand culture.
New York: New York University Press.

2
Erste Ansätze zu „feminist big data“ wurden beispielsweise auf der Conference der Association of
Internet Researchers „AoIR2016“ in Berlin diskutiert. Vgl. https://aoir2016internetrules.sched.
com/event/8MUY/fem-big-data-i.
390 T. Carstensen

Barlow, Charlotte, und Imran Awan. 2016. „You need to be sorted out with a knife“: The attempted
online silencing of women and people of muslim faith within academia. Social Media + Society 2 (4).
http://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/2056305116678896. Zugegriffen am 25.01.2018.
Berlant, Lauren. 2011. Cruel optimism. Durham: Duke University Press.
Bivens, Rena. 2015. The gender binary will not be deprogrammed: Ten years of coding gender on
Facebook. New Media + Society 19(6): 880–898.
Boyd, Danah. 2014. It’s complicated. New Haven/London: Yale University Press.
Burgess, Jean, Elija Cassidy, und Ben Light. 2016. Making digital cultures of gender and sexuality
with social media. Social Media + Society 2(4). https://doi.org/10.1177/2056305116672487.
Zugegriffen am 25.01.2018.
Carstensen, Tanja. 2009. Gender trouble in web 2.0: Gender relations in social network sites, wikis
and weblogs. International Journal of Gender, Science and Technology 1 (1). http://genderand
set.open.ac.uk/index.php/genderandset/article/view/18. Zugegriffen am 25.01.2018.
Carstensen, Tanja. 2012. Gendered Web 2.0: Geschlechterverhältnisse und Feminismus in Zeiten
von Wikis, Weblogs und Sozialen Netzwerken. Medien Journal 36 (2): 22–34. [Neue Kommu-
nikationstechnologien und Gender].
Carstensen, Tanja. 2013. Verhandlungen von Geschlecht und Feminismus im Web 2.0. In Ge-
schlechterverhältnisse und neue Öffentlichkeiten, Hrsg. Birgit Riegraf, Hanna Hacker, Heike
Kahlert, Brigitte Liebig, Martina Peitz, und Rosa Reitsamer, 112–127. Münster: Westfälisches
Dampfboot.
Carstensen, Tanja. 2015. Im WWW nichts Neues. Warum die Digitalisierung der Arbeit Geschlech-
terverhältnisse kaum berührt. luXemburg. Gesellschaftsanalyse und linke Praxis 3:38–43.
Carstensen, Tanja, und Gabriele Winker. 2005. A tool but not a medium – practical use of the
internet in the women’s movement. In The gender politics of ICT, Hrsg. Jacqueline Archibald,
Judy Emms, Frances Grundy, Janet Payne, und Eva Turner, 149–162. Middlesex: University
Press.
Consalvo, Mia, und Susanna Paasonen, Hrsg. 2002. Women & everyday uses of the internet. Agency
& identity. New York: Peter Lang.
Dorer, Johanna. 1997. Gendered Net: Ein Forschungsüberblick über den geschlechtsspezifischen
Umgang mit neuen Kommunikationstechnologien. Rundfunk und Fernsehen 45(1): 19–29.
Doorn, Niels van, Liesbet van Zoonen und Sally Wyatt. 2007. Writing from experience: Presenta-
tions of gender identity on weblogs. European Journal of Women’s Studies 14 (2): 143-159.
Döring, Nicola. 2008. Männlichkeit und Weiblichkeit im Netz: Dimensionen des Cyber-Gendering.
In Internet – Bildung – Gemeinschaft, Hrsg. Friederike von Gross, Winfried Marotzki, und Uwe
Sander, 119–141. Wiesbaden: Springer VS.
Döring, Nicola, Anne Reif, und Sandra Pöschl. 2016. How gender-stereotypical are selfies? A
content analysis and comparison with magazine adverts. Computers in Human Behavior 55(B):
955–962.
Drüeke, Ricarda, und Elisabeth Klaus. 2014. Öffentlichkeiten im Internet: Zwischen Feminismus
und Antifeminismus. Femina Politica 23(2): 59–70.
Duffy, Brooke Erin. 2015. Gendering the labor of social media production. Feminist Media Studies
15(4): 710–714.
Duguay, Stefanie. 2016. LGBTQ visibility through selfies: Comparing platform mediators across
Ruby Rose’s Instagram and Vine presence. Social Media + Society 2(2): 1–12.
Eckert, Stine, und Linda Steiner. 2013. Wikipedia’s gender gap. In Media (dis)parity: A gender
battleground, Hrsg. C. Armstrong, 87–98. Lanham: Lexington Books.
Eslen-Ziya, Hande. 2013. Social media and Turkish feminism: New resources for social activism.
Feminist Media Studies 13(5): 860–870.
Fittkau und Maaß Consulting, Hrsg. 1995. 1. WWW-Benutzer-Analyse W3B. www.w3b.org/
ergebnisse/w3b1/. Zugegriffen am 25.01.2018.
Freudenschuss, Magdalena. 2014. Digitalisierung: eine feministische Baustelle – Einleitung.
Femina Politica 23(2): 9–21.
Social Media: Zwischen Selbstrepräsentation, und Unsichtbarkeit . . . 391

Ganz, Kathrin, und Anna-Katharina Meßmer. 2015. Anti-Genderismus im Internet. Digitale Öffent-
lichkeiten als Labor eines neuen Kulturkampfes. In Anti-Genderismus. Sexualität und
Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen, Hrsg. Sabine Hark
und Paula-Irene Villa, 59–79. Bielefeld: transcript.
Guha, Pallavi. 2015. Hash tagging but not trending: The success and failure of the news media to
engage with online feminist activism in India. Feminist Media Studies 15(1): 155–157.
Hargittai, Eszter, und Aaron Shaw. 2015. Mind the skills gap: The role of Internet know-how and
gender in differentiated contributions to Wikipedia. Information, Communication & Society 18
(4): 424–442.
Huws, Ursula. 2014. Shifting boundaries: gender, labor, and new information and communication
technology. In The Routledge companion of media & gender, Hrsg. Cynthia Carter, Linda
Steiner, und Lisa Mclaughlin, 147–156. London: Routledge.
Jarrett, Kylie. 2016. Feminism, labour and digital media. The digital housewife. New York:
Routledge.
Kannengießer, Sigrid. 2012. Association for Progressive Communications Women’s Networking
Support Programme. Ein Beispiel für translokale mediatisierte Frauennetzwerke. Medien Jour-
nal 36(2): 50–62.
Khamis, Sahar. 2014. Gendering the Arab Spring. Arab women journalists/activists, „cyberfemi-
nism“, and the sociopolitical revolution. In The Routledge companion of media & gender, Hrsg.
Cynthia Carter, Linda Steiner, und Lisa Mclaughlin, 565–575. London: Routledge.
Khoja-Moolji, Shenila. 2015. Becoming an „intimate publics“: Exploring the affective intensities of
hashtag feminism. Feminist Media Studies 15(2): 347–350.
Koch, Wolfgang, und Beate Frees. 2016. Dynamische Entwicklung bei mobiler Internetnutzung
sowie Audios und Videos. Media Perspektiven 47(9): 418–437.
Lupton, Deborah. 2015. Digital sociology. London/New York: Routledge.
Lyons, Antonia C., Ian Goodwin, Christine Griffin, Tim McCreanor, und Helen Moewaka Barnes.
2016. Facebook and the fun of drinking photos: Reproducing gendered regimes of power. Social
Media + Society 2(4): 1–13.
Manago, Adriana M., Michael B. Graham, Patricia M. Greenfield, und Goldie Salimkhan. 2008.
Self-presentation and gender on MySpace. Journal of Applied Developmental Psychology 29
(6): 446–458.
Merz, Manuel, und Nicola Döring. 2010. Aktive Beteiligung an Wikipedia aus sozial-kognitiver
Perspektive. Präsentiert auf dem 47. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie,
Bremen, 26.–30. September 2010.
Münker, Stefan. 2009. Emergenz digitaler Öffentlichkeiten. Die Sozialen Medien im Web 2.0.
Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Neverla, Irene, Hrsg. 1998. Geschlechterordnung in der virtuellen Realität: Über Herrschaft,
Identität und Körper im Netz. In Das Netz-Medium. Kommunikationswissenschaftliche Aspekte
eines Mediums in Entwicklung, 137–151. Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Newsom, Victoria A., und Lara Lengel. 2012. Arab women, social media, and the Arab Spring:
Applying the framework of digital reflexivity to analyze gender and online activism. Journal of
International Women’s Studies 13(5): 31–45.
Oakley, Abigail. 2016. Disturbing hegemonic discourse: Nonbinary gender and sexual orientation
labeling on tumblr. Social Media + Society 2(3): 1–12.
Oost, Ellen van. 2003. Materialized gender: How shavers configure the users’ femininity and
masculinity. In How users matter: The co-construction of users, Hrsg. Nelly E.J. Oudshoorn
und Trevor J. Pinch, 194–208. Cambridge, MA: MIT Press.
Orton-Johnson, Kate. 2017. Mummy blogs and representations of motherhood: „Bad mummies“
and their readers. Social Media + Society 3(2): 1–10.
Orton-Johnson, Kate, Nick Prior, und Karen Gregory. 2015. Sociological imagination: Digital
sociology and the future of the discipline. The Sociological Review, Thursday December,
2015. http://www.thesociologicalreview.com/blog/sociological-imagination-digital-sociology-
and-the-future-of-the-discipline.html. Zugegriffen am 25.01.2018.
392 T. Carstensen

Pew Internet und American Life Project. 2007. Teens and social media. The use of social media
gains a greater foothold in teen life as they embrace the conversational nature of interactive
online media. Washington. www.pewinternet.org/~/media//Files/Reports/2007/PIP_Teens_
Social_Media_Final.pdf.pdf. Zugegriffen am 25.01.2018.
Richard, Birgit, Jan Grünwald, Marcus Recht, und Nina Metz. 2010. Flickernde Jugend – Rau-
schende Bilder. Netzkulturen im Web 2.0. Frankfurt/New York: Campus.
Rose, Jessica, Susan Mackey-Kallis, Len Shyles, Kelly Barry, Danielle Biagini, Colleen Hart, und
Lauren Jack. 2012. Face it: The impact of gender on social media images. Communication
Quarterly 60(5): 588–607.
Sadowski, Helga. 2016. From #aufschrei to hatr.org: digital–material entanglements in the context
of German digital feminist activisms. Feminist Media Studies 16(1): 55–69.
Schachtner, Christina. 2013. Transnationale Netzöffentlichkeiten als neue politische Öffentlich-
keiten – Das kritische Potenzial digitaler Medien am Beispiel arabischer Online-Plattformen.
International Review of Information Ethics 18. http://www.i-r-i-e.net/inhalt/018/Schachtner.pdf.
Zugegriffen am 25.01.2018.
Schachtner, Christina, und Gabriele Winker, Hrsg. 2005. Virtuelle Räume – neue Öffentlichkeiten.
Frankfurt/New York: Campus.
Schmidt, Jan. 2013. Social media. Wiesbaden: Springer VS.
Schönberger, Klaus. 2008. Doing Gender, Kulturelles Kapital und Praktiken des Bloggens. https://
www.researchgate.net/profile/Klaus_Schoenberger/publication/242493053_Doing_Gender_
kulturelles_Kapital_und_Praktiken_des_Bloggens/links/0f31752f8b9b7799c1000000/Doing-
Gender-kulturelles-Kapital-und-Praktiken-des-Bloggens.pdf. Zugegriffen am 25.01.2018.
Spender, Dale. 1995. 1. Auffahrt Cyberspace. Frauen im Internet. München: Frauenoffensive.
statista. 2017. Anteil der Internetnutzer in Österreich nach Geschlecht von 2012 bis 2016. https://de.
statista.com/statistik/daten/studie/184962/umfrage/internet-nutzung-in-oesterreich-nach-
geschlecht/. Zugegriffen am 25.01.2018.
Taddicken, Monika, und Jan-Hinrik Schmidt, Hrsg. 2017. Entwicklung und Verbreitung sozialer
Medien. In Handbuch Soziale Medien, 3–22. Wiesbaden: Springer VS.
Terranova, Tiziana. 2013. Free Labor. In Digital labor. The internet as playground and factory,
Hrsg. Trebor Scholz, 33–57. New York: Routledge.
Turkle, Sherry. 1998. Leben im Netz. Identität in Zeiten des Internet. Reinbek: Rowohlt.
Vickery, Jacqueline Ryan. 2016. #YesAllWomen (have a collective story to tell): Feminist hashtags
and the intersection of personal narratives, networked publics, and intimate citizenship. Paper
presented at AoIR 2016: The 17th annual meeting of the association of internet researchers,
Berlin, Germany: AoIR. https://spir.aoir.org/index.php/spir/article/view/1226. Zugegriffen am
25.01.2018.
Vivienne, Sonja, Brady Robards, Crystal Abidin, und Paul Byron. 2016. Patrolling sexuality and
gender in digital social spaces. Paper presented at AoIR 2016: The 17th annual meeting of the
association of internet researchers, Berlin, Germany: AoIR. https://spir.aoir.org/index.php/spir/
article/view/1388. Zugegriffen am 25.01.2018.
Wischermann, Ulla, und Annette Kirschenbauer, Hrsg. 2015. Geschlechterarrangements in Bewe-
gung: veränderte Arbeits- und Lebensweisen durch Informatisierung? Bielefeld: transcript.
Teil IV
Historische Medienforschung
Historische „Frauenzeitschriften“.
Von der Lektüre für Frauen zur
Frauenbewegungspresse

Matthias Marschik, Wolfgang Duchkowitsch und Bettina Biron

Inhalt
1 Definition und Typologisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
2 Erbauliches und Belehrendes für bürgerliche Frauen: Zeitschriften für ein weibliches
Publikum bis 1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398
3 Einsprüche gegen Geschlechterverhältnisse: emanzipatorische Zeitschriften
bis 1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
4 Von 1918 bis zur NS-Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403
5 Frauen als Teil der „Volksgemeinschaft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404
6 Vom Wiederaufbau zur Konsumgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405
7 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407

Zusammenfassung
Bereits 1695 ist die erste Zeitschrift speziell für Leserinnen erschienen. Sie diente
der Belehrung, Erbauung und Unterhaltung und war für ein bürgerliches und
adeliges Lesepublikum konzipiert. Moralische Wochen- und Monatsschriften für
diese Zielgruppe gab es im Laufe des 18. Jahrhunderts im gesamten deutsch-
sprachigen Raum. Mit dem Revolutionsjahr 1848 setzte dann eine Entwicklung
ein, wo Frauen selbst journalistisch tätig wurden und eine feministische Bewe-
gungspresse ihren Anfang nahm. Der unscharfe Begriff der „Frauenpresse“
bezieht sich auf Zeitschriften, die von Männern für Frauen sowie von Frauen
für Frauen gemacht wurden. Zwei Entwicklungsstränge lassen sich für den
deutschsprachigen Raum nachzeichnen: zum einen Zeitschriften in der Tradition
der Erbauung, Bildung und Unterhaltung, bei denen es implizit um die

M. Marschik (*) · W. Duchkowitsch


Universität Wien, Wien, Österreich
E-Mail: matthias.marschik@univie.ac.at; wolfgang.duchkowitsch@univie.ac.at
B. Biron
Zentrum für Infrastrukturelle Sicherheit, Universität für Weiterbildung Krems, Krems, Österreich
E-Mail: bettina.biron@donau-uni.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 395
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_22
396 M. Marschik et al.

Aufrechterhaltung eines konservativen Geschlechterideals ging, zum anderen


jene in der Tradition der Emanzipation und des Feminismus, wo je nach
gesellschafts-politischer Ausrichtung liberale, sozialistische, proletarische oder
katholische Zeitschriften unterschieden werden können, die vornehmlich von
Frauen produziert wurden.

Schlüsselwörter
„Frauenzeitschriften“ · Erste Frauenbewegung · Frauenbewegungspresse ·
Journalismus von Frauen · Mediengeschichte und Geschlecht

1 Definition und Typologisierung

Der Begriff „Frauenzeitschrift“ hat sich in der Medienpraxis und in der Medien-
geschichtsschreibung etabliert, obgleich er definitorisch höchst unscharf einzugren-
zen ist. Das mag in der Genese des Begriffes grundgelegt sein, der beim ersten
Auftauchen um 1800 (Bittermann-Wille und Hoffmann-Weinberger 2000, S. 52)
zweifellos einem „männlichen Blick“ geschuldet war. „Frauenzeitschriften“ lassen
sich trennscharf weder über die Produktions- noch über die Rezeptionsseite und
auch nicht über die ihnen unterstellten frauenrelevanten Inhalte definieren. Das wird
nicht zuletzt am Fehlen eines kongruenten Terminus deutlich, denn alle anderen
Printmedien im historischen Kontext wurden keineswegs unter dem Begriff „Män-
nerzeitschriften“ subsumiert, was einer strengen wissenschaftlichen Kategorisierung
nach Zielgruppen widerspricht.
Eine Definition der historischen „Frauenzeitschrift“ kann daher bestmöglich nur
über eine Abgrenzung auf der Ebene der Intention erfolgen, indem sie periodisch
erscheinende Printmedien umfasst, die sich gezielt an ein weibliches Lesepublikum
wenden. Das impliziert jedoch unscharfe Abgrenzungen zu „Frauenbeilagen“ oder
„Frauenseiten“ in Tages- oder Wochenzeitungen, aber auch zu den um 1900 belieb-
ten, oft ebenfalls periodisch erscheinenden Almanachen und „Frauen-Kalendern“.
Die Klammer über alle Typen von sogenannten Frauenzeitschriften besteht also im
Fokus auf ein „unterstelltes Interesse von Frauen“, das freilich von unterschiedlichen
Produzent*innen different definiert bzw. konstruiert und umgesetzt wird. Aus die-
sem Grund wird der Begriff hier unter Anführungszeichen gesetzt, da er neben seiner
mangelnden wissenschaftlichen Exaktheit und dem Konstrukt eines „weiblichen
Interesses“ außerdem eine essentialisierende Geschlechterdichotomie impliziert.1
(Klaus und Dorer 2006, S. 76)

1
Üblicherweise werden in der Wissenschaft Medien nach Periodizität, Themen, Organisations-
struktur (kommerziell, nicht-kommerziell, öffentlich-rechtlich), Zielgruppen (Fach-, Partei-, Ver-
einspresse, etc.), journalistischer Qualität (Boulevard-, Qualitätspresse), nach Reichweite (über-
regional, regional) etc., differenziert, aber auch bis heute noch unkritisch nach einem der
Geschlechter bezeichnet.
Historische „Frauenzeitschriften“. Von der Lektüre für Frauen . . . 397

Die Unschärfe des Begriffes und die Heterogenität des Gegenstandes erfordern
vorab eine Typologisierung der „Frauenzeitschriften“. Ansätze zur Typenbildung
orientieren sich teils an der Produktions-, teils an der Rezeptionsebene, teils an der
Produktgestaltung in ihren technischen Weiterentwicklungen, zumeist aber an den
Inhalten, wobei die Kategorien oft nicht trennscharf formulierbar sind. Dies gilt für
die Differenzierung in unterhaltende, belehrende, politisch engagierte und themen-
spezifische (Mode, Beruf, Religion . . .) Zeitschriften (Derka 1991, S. 33) ebenso wie
für Versuche einer ideologischen Unterscheidung in eine konservative, sozialisti-
sche, feministische und kommerzielle Frauenpresse (Bittermann-Wille und Hof-
mann-Weinberger 2000, S. 53).
Praktikabler erscheint es daher, von zwei inhaltlichen Hauptsträngen auszuge-
hen. Der im weitesten Sinn unterhaltenden/belehrenden „Frauenzeitschrift“, die
vom moralisierenden Journal über Mode- und Familienzeitungen bis zur modernen
kommerziellen „Frauenzeitschrift“ reicht, steht dann die Tradition der Medien der
ersten Frauenbewegung gegenüber, von den emanzipatorischen Schriften von und
für Frauen, die im deutschsprachigen Raum ab 1848 zu finden sind, über die meist
parteipolitisch verankerte „Frauenpresse“ ab etwa 1900 bis zu den feministischen
Medien ab den 1970er-Jahren. Auch „Frauenzeitschriften“, die dieser Idealtypisie-
rung nicht direkt entsprechen, lassen sich durch Gemeinsamkeiten und Differenzen
zu den beiden Kategorien zuordnen.
Die Ursprünge des Begriffs der „Frauenzeitschrift“ lassen sich Ende des
18. Jahrhunderts festmachen, erste (medien-)wissenschaftliche Definitionsversuche
bereits um 1900. Die ersten Analysen in Gestalt von universitären Abschlussarbeiten
sowie von Aufsätzen und Büchern finden sich um 1970 (Twellmann 1972). Eine
systematischere Aufarbeitung beginnt in den 1980er-Jahren, wobei synchron ein
zunehmendes Interesse an der historischen Aufarbeitung der Zeitschriften (Geiger
und Weigel 1981; Schumann 1987; Lunzer-Lindhausen 1987) sowie an der Analyse
des aktuellen kommerzialisierten Marktes der „Frauenzeitschriften“ (Röser 1991)
und an der Praxis feministischer Medienproduktion (Geiger 1987) festzustellen ist.
Schon aufgrund oft mangelhafter Zugänglichkeit war das Thema der historischen
„Frauenzeitschriften“ lange Zeit eher auf Einzelfallstudien oder konkrete For-
schungsfragen reduziert. Eine massive Verbesserung bezüglich der Verfügbarkeit
in den letzten 20 Jahren hat das Forschungsfeld allerdings quantitativ wie qualitativ
deutlich ausgeweitet. Einen ersten Schritt dazu bildete die Entstehung feministischer
Archive und deren sukzessive Vernetzung, gefolgt vom Aufbau von Datenbanken,
etwa die Zeitschriften-Datenbank der Deutschen Nationalbibliothek oder die Frau-
endokumentation „Ariadne“ der Österreichischen Nationalbibliothek inklusive des
Projektes zu „Frauen in Bewegung 1848–1938“, sowie die Digitalisierung der
Primärquellen etwa durch das „Digitale Deutsche Frauenarchiv“ (DDF) oder die
digitale Bibliothek von „austrian literature online“ und die Zeitschriften-
Digitalisierung durch die Österreichischen Nationalbibliothek „ANNO“. Auch die
ETH Zürich bietet via „e-periodica.ch“ inzwischen einige Frauenzeitschriften der
Schweiz in digitalisierter Form.
398 M. Marschik et al.

2 Erbauliches und Belehrendes für bürgerliche Frauen:


Zeitschriften für ein weibliches Publikum bis 1918

Der erste Autor im deutschsprachigen Raum, der sich der Frau als Zeitungsleserin
zuwandte, war der Literat und Sprachwissenschaftler Kaspar Stieler. Er versagte es
im Jahr 1695 bürgerlichen Männern, ihren Frauen und Töchtern die Zeitungslektüre
zu verbieten. (Stieler 1969) Einen Schritt weiter ging der Schriftsteller Georg Philipp
Harsdörffer, der zwischen 1644 und 1649 in Nürnberg unter dem Titel „Frauen-
zimmer Gesprechspiele“, die europaweit erste Zeitschrift für Frauen herausgab, die
ihnen literarisches Grundwissen für die barocke Salongesellschaft vermitteln sollte.
(Kehle 1952, S. 29–31)
Die im England des frühen 18. Jahrhunderts erscheinenden „moralischen Wo-
chenschriften“ (Parsons 2009, S. 92–118) wandten sich als bürgerliche Aufklärungs-
schriften ausdrücklich auch an ein weibliches Publikum. Dieses Modell wurde bald
auch im deutschen Raum2 aufgegriffen, wobei hier die Pflege der deutschen Sprache
und Literatur in den Mittelpunkt rückte. Schon in den 1720er-Jahren kamen auch
eigenständige Blätter zur Information und Erbauung lesender „Frauenzimmer“ auf
den Markt, deren erstes 1725 unter dem Titel „Die Vernünftigen Tadlerinnen“ von
Johann Christoph Gottsched publiziert wurde. Den Prinzipien der Aufklärung ver-
pflichtet, wurden die Leserinnen des Journals erfolgreich ermuntert, sich durch
Zuschriften auch aktiv einzubringen. Ziel war die Kompensation der Bildungsdefi-
zite von Frauen. Dies wurde als Voraussetzung für Vernunft angesehen, die, gemein-
sam mit untadeligem Lebenswandel und einem „vernünftigen“ Gebrauch der Reli-
gion, zum Glück einer guten Ehe führe. (Martens 1971, S. 176)
Auch spätere Frauenzeitschriften des 18. Jahrhunderts richteten sich einzig an
Frauen aus dem urbanen Bürgertum und dem Landadel und blieben deren Weiblich-
keitsidealen verhaftet. Inhaltlich fokussierten sie stärker auf die „schönen Wissen-
schaften“ und blieben in ihren Ansprüchen sogar hinter den Anfangsjahren zurück.
Frauenbildung sollte weniger verstandesmäßig als durch Geschmack und Gefühl
vermittelt werden. (Kehle 1952, S. 531). Das galt sogar für kurzlebige von Frauen
edierte Zeitschriften, so wie die 1779 von Ernestine Hofmann publizierte Zeitschrift
„Für Hamburgs Töchter“, für „Luna“ (1788–1790) von Caroline Friederike von
Kamiensky (Weckel 1998, S. 104) und die 1783 in Speyer von Sophie de La Roche
veröffentliche Zeitung „Pomona für Teutschlands Töchter“. Einzig die von der
schweizerischen Schriftstellerin Marianne Ehrmann mit ihrem Mann Theophil
1790 bis 1792 publizierte Zeitschrift „Amaliens Erholungsstunden“ ergriff ansatz-
weise Partei für Frauen (Neumann 1999).
In Österreich3 entstanden „Frauenzeitschriften“ mit der typischen Verspätung
gegenüber protestantischen Ländern. Joseph Freiherr von Sonnenfels, Rechtsberater
Maria Theresias, brachte 1766 die aufklärerische Zeitschrift „Therese und Eleonore“
heraus, nach wenigen Monaten ersetzt durch „Weibliches Orakel“. (Mixa 1969,

2
Gemeint ist damit das Territorium des heutigen Deutschland.
3
Gemeint ist hier das Territorium des heutigen Österreich.
Historische „Frauenzeitschriften“. Von der Lektüre für Frauen . . . 399

S. 48) In beiden Zeitungen wird evident, dass die durch die Lektüre erworbene
Bildung in erster Linie Sittlichkeit und gute Erziehung vermitteln sollte. Das galt
auch für die von Johann Rautenstrauch ab 1774 redigierten „Meinungen der Babet“,
die am Rande auch politische Themen abhandelten. Jedenfalls sollten Frauen nur
selektiv gebildet werden und keine „Lesesucht“ oder gar „Lesewut“ entfalten
(Lunzer-Lindhausen 1987, S. 314). Vor 1800 entstanden auf dem heutigen Staats-
gebiet Österreichs 12 Frauenblätter, darunter die von 1792 bis 1997 in Graz erschei-
nende „Zeitung für Damen und andere Frauenzimmer“ (Kehle 1952, S. 43), die
erstmals aktuelle politische Informationen enthielt, freilich ohne damit ein Mitspra-
cherecht für Frauen zu verbinden.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, also bis 1848, verlor die Idee der
Frauenbildung weiter an Bedeutung. Das biedermeierliche Bürgertum zog sich ins
Private zurück, die Familie als Ort des Friedens sollte im Zentrum des Frauenlebens
stehen. Damit wurden, durch umfangreiche Zensur verstärkt, Fragen der Häuslich-
keit, Geselligkeit und Unterhaltung, vor allem der Mode, zu zentralen Themen der
Frauenzeitschriften. (Krainer 1995, S. 60–61) Die 1816 gegründete „Wiener Mode-
zeitung“, die ab 1818 dreimal pro Woche erschien, erreichte sogar internationalen
Ruf. Speziell in Modejournalen wurden Frauen auch schreibend aktiv. (Bittermann-
Wille und Hofmann-Weinberger 2000, S. 55). Auch in der Ära des Postabsolutismus
bestimmten Modeblätter, unter ihnen „Die Elegante“ und der „Wiener Modespie-
gel“, das publizistische Angebot für Frauen in Österreich. Eine Ausnahme als
vielseitige Journalistin bildete Betty Paoli. Der politischen Restauration zugetan,
veröffentlichte sie Feuilletons, Essays, Reiseberichte und Rezensionen in in- und
ausländischen Medien. (Wozonig 1999) Abgesehen von kurzfristigen Freiheiten im
Jahr 1848 bildete in Österreich dann erst das Staatsgrundgesetz 1867 eine markante
Wende in der inhaltlichen Ausrichtung und Gestaltung der „Frauenpresse“, denn nun
waren Versammlungsfreiheit und die Bildung von Vereinen gestattet, für Frauen
erstmals auch die Ausübung eines Gewerbes sowie der Besuch einer höheren
Schule.
Die zweite Hälfte des langen 19. Jahrhunderts bot mit seinen neuen gesellschaft-
lichen Strömungen auch in „Frauenzeitschriften“ zunehmende Chancen für weibli-
che Bildung und Information. Das inkludierte nun auch Politik sowie die Beschäf-
tigung mit der zunehmend technisierten Welt. Für und immer mehr auch von Frauen
wurden Inhalte wie Geschichte, Politik und Naturwissenschaft in die „Frauenzeit-
schriften“ integriert, die zunehmend illustriert wurden. Das Frauenbild dieser Me-
dien blieb freilich auf die bürgerliche Hausfrau, Mutter und Familienerhalterin
konzentriert. Als Subgenres wurden die Modeblätter ab den 1880er-Jahren durch
belehrende und moralisierende Hausfrauenblätter (Weibel 2012) sowie durch Fami-
lienzeitschriften ergänzt, von denen im deutschen Sprachraum zwischen 1850 und
1914 über 200 gegründet wurden und die in ihrer Mischung aus Bildung und
Unterhaltung auch Männer, vor allem aber erstmals die Arbeiterschaft ansprachen
(Reusch 2015, S. 21). Kurz vor 1900 wuchs dann das Angebot „moderner“, femi-
nistisch-populärer Frauenillustrierter, etwa das in Berlin zwischen 1904 und 1920
erscheinende „Bild der Frau“ (Duttenhöfer 2013, S. 51–62).
400 M. Marschik et al.

3 Einsprüche gegen Geschlechterverhältnisse:


emanzipatorische Zeitschriften bis 1918

Olympe de Gouges feministisches Manifest „Die Deklaration der Rechte der Frau
und Bürgerin“ (1791) wird als erste verschriftlichte Einforderung von Frauenrechten
in der modernen Zeit angesehen. (Thiele-Knobloch 1991) Um 1800 folgten einige
Frauen in Deutschland und der Schweiz, die sich als Autorinnen, Redakteurinnen
und Verlegerinnen ihren Lebensunterhalt verdienten und politisch – im Sinne eines
bürgerlichen Frauenbildes – artikulierten. (Vahsen 2008) So erschienen etwa in der
Deutschschweiz einige feministische Periodika, wie etwa die 1833 einmalig erschie-
nene Zeitschrift „Das Recht der Weiber“. (Weibel 2012) Bis 1918 waren politische
Partizipationschancen von Frauen höchst beschränkt. Das betraf die Bildung, das
Vereins- und Versammlungsrecht und selbst die Medien. Im deutschen Kaiserreich
zwischen 1851 und 1874 war es Frauen dann gänzlich verboten, als Herausgeberin
oder verantwortliche Redakteurin eines Mediums zu fungieren. In Österreich wur-
den fortschrittliche Frauen erst während des Revolutionsjahres 1848 journalistisch
aktiv. In Berlin gründete Louise Aston, eine radikal-demokratisch gesinnte Publi-
zistin, im November 1848 den „Freischärler“, der sich nicht nur gegen die Männer-
herrschaft wandte, sondern auch liberale Frauenansichten kritisierte. Nach sieben
Ausgaben wurde die Zeitschrift verboten. (Klaus und Wischermann 2013, S. 34) Im
Jänner 1849 brachte Louise Dittmar in Leipzig die Zeitschrift „Soziale Reform“
heraus, die eine ökonomische Unabhängigkeit von Frauen forderte, im April aber
wieder eingestellt wurde. (Klaus und Wischermann 2013, S. 25–26) Eine weitere
Vertreterin des Bewegungs-Journalismus war die Schriftstellerin Louise Otto, die
nach der Mitarbeit in diversen Organen der Arbeitervereine im April 1849 die
„Frauen-Zeitung“ gründete. Ihre Hauptforderung war der Einbezug von Frauen in
die aktuellen Debatten über Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit. Die Zeitung
erschien bis 1852. (Klaus und Wischermann 2013, S. 53–55)
In Österreich fand im August 1848 die erste – von Männern unterstützte –
landesweite Frauendemonstration statt. Deren blutige Niederschlagung veranlasste
Karoline von Perin-Gnadenstein zur Gründung des „Wiener akademischen Frauen-
vereins“, der explizit politische Ziele verfolgte. Die Publizität dieses Vereins wiede-
rum brachte etliche Frauen dazu, anonyme Flugschriften zur Veränderung der
Situation von Frauen, insbesondere für das Frauenwahlrecht, zu veröffentlichen.
Den Vertrieb der Pamphlete und von Zeitungen besorgten „Flugschriftenweiber“, die
oft die einzig greifbaren Ansprechpartnerinnen für den Inhalt der Druckwerke
darstellten. Deshalb standen sie unter polizeilicher Aufsicht und wurden bei inkri-
minierten Inhalten mit Gefängnisstrafen belegt. (Duchkowitsch 2002)
War die feministische Bewegungspresse anfangs von Einzelkämpferinnen getra-
gen, erlaubte die Freiheit zur Vereinsbildung später die Organisierung in formellen
und informellen Netzwerken von Frauen, die sich im deutschsprachigen Raum
zunehmend auch medialer Instrumente bedienten. (Wischermann 2003, S. 90) So
verbreitete der 1865 in Leipzig gegründete „Allgemeine deutsche Frauenverein“
Historische „Frauenzeitschriften“. Von der Lektüre für Frauen . . . 401

seine Forderungen – die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter sowie einen


gleichberechtigten Zugang zu Erwerbsarbeit und Bildung – nicht zuletzt über die
Vereinszeitschrift „Neue Bahnen“. (Korte und Paletschek 2013, S. 120)
In der Folgezeit entstanden weitere bürgerliche Frauenbildungsvereine mit un-
terschiedlichen Programmen, Zielen und vor allem Zeitschriften. 1894 wurde der
„Bund Deutscher Frauenvereine (BDF)“ als Dachverband installiert. Der BDF
organisierte sich wie seine Vereine schon aus rechtlichen Gründen lange Zeit als
unpolitisch, nicht zuletzt deshalb lehnte die proletarische Frauenbewegung jede
Kooperation ab, denn Reformen könnten nicht im Gefüge bürgerlicher und adeliger
Welt, sondern nur gemeinsam mit (proletarischen) Männern gelingen. Auch die
proletarische Frauenbewegung setzte aufgrund des Vereins- und des Sozialistenge-
setzes auf persönliche regionale wie überregionale Netzwerke (Wischermann 2003,
S. 129) Als Koordinationsorgan spielte die von Clara Zetkin über zwei Jahrzehnte
herausgegebene Zeitschrift „Die Gleichheit“ eine entscheidende Rolle.
Eine analoge Entwicklung entlang politischer Lager lässt sich für die Deutsch-
schweiz konstatieren: Neben einige in den 1880er-Jahren gegründete lebensprakti-
sche und belehrende Hausfrauenblätter trat die von Elise Honegger editierte
„Schweizer Hausfrauen-Zeitung“ als Organ des konservativen Frauenverbands, der
allerdings nicht Emanzipation anstrebte, sondern die Frau als Helferin des Mannes
propagierte. Die sozialdemokratische Gewerkschaftsbewegung setzte dagegen mit
der 1906 von Margarethe Hardegger gegründeten „Vorkämpferin“ und der ab 1907
in der Westschweiz erscheinenden „L’Exploitée“ auf Gleichberechtigung. Auffällig
ist, dass die demokratische Verfasstheit der Schweiz eine große Zahl konfessioneller,
ethisch-sozialer und berufsspezifischer Frauenzeitungen ermöglichte, die teils klar
feministische Stoßrichtung hatten wie etwa „Die Philantropin“ (1890–1894), das
von der „Union für Frauenbestrebungen“ herausgegebene Blatt „Frauenbestrebun-
gen“ oder „Le Mouvement féministe“ (1912). (Weibel 2012)
Eine ähnliche Rolle wie in Deutschland die „Gleichheit“ und „Die Vorkämpfe-
rin“, allerdings unter dem Dach der Sozialdemokratischen Partei, unternahm in
Österreich die erstmals 1892 erschienene „Arbeiterinnen-Zeitung“, die sich gezielt
an die proletarische Leserin richtete. (Meditz 1979). Dass das Medium von einer
Frau geleitet und die Mehrzahl der Artikel von Frauen verfasst wurden, musste
allerdings gegen den Willen des Parteivorstandes erkämpft werden. Adelheid Popp
wurde Redakteurin, ab Januar 1893 fungierte Viktoria Kofler, später Maria Krasa,
als Herausgeberin. Als das Blatt 1895 wegen „Herabwürdigung der Ehe und
Familie“ angeklagt wurde, wurde Popp als verantwortliche Redakteurin zu einer
Gefängnisstrafe verurteilt. Sie leitete die Zeitung bis 1924 sowie das Nachfolge-
organ „Die Frau“ bis zum Verbot im Zuge der Februarkämpfe 1934.
Auch die liberale Frauenbewegung in Österreich, die sich um den 1893 gegrün-
deten „Allgemeinen Österreichischen Frauenverein (AÖFV)“ sammelte, baute auf
die Herausgabe mehrerer Frauenzeitungen. Im Jahr 1899 kam die von Marie Lang
betreute Vereinszeitschrift „Dokumente der Frauen“ heraus, die 1902 wegen finan-
zieller und organisatorischer Probleme eingestellt wurde. Der AÖFV forcierte nun
402 M. Marschik et al.

das von seiner Präsidentin Auguste Fickert geleitete „Neue Frauenleben“. Pläne,
diese Zeitung als gemeinsames Organ mit dem 1903 gegründeten konservativeren
„Bund österreichischer Frauenvereine“ zu führen, scheiterten an ideologischen
Differenzen, sodass ab 1905 als dessen Vereinszeitschrift „Der Bund“ erschien.
(Bittermann-Wille und Hofmann-Weinberger 2000, S. 56)
Abseits der liberalen, proletarischen und konservativen Vereins- bzw. Parteizei-
tungen etablierten sich in Österreich weitere Frauenzeitschriften, so die katholische
„Österreichische Frauenwelt“ (1911–1919), die freilich vor allem Musterbeispiele
christlicher Lebensführung propagierte. Dagegen widmeten sich die – ab 1869
erscheinenden – Zeitungen von Beamtinnen, zunächst „Die Mädchenschule“
(1876–1883) und später die „Österreichische Lehrerinnen-Zeitung“ (1893–1901),
massiv dem Thema beruflicher Gleichberechtigung und Mädchenbildung.
(Bittermann-Wille und Hofmann-Weinberger 2000, S. 56). Am anderen Ende des
gesellschaftlichen Spektrums angesiedelt war die Zeitschrift „Vereinsblatt – Organ
des Vereines der Heim- und Hausarbeiterinnen“, die ab 1913 von Anna Boschek,
einer führenden Gewerkschafterin und der ersten Frau im Parteivorstand der SDAP,
für die weitgehend rechtlose Gruppe weiblicher Hausangestellter herausgegeben
wurde. Die Zeitschrift, die ab 1924 „Einigkeit“, ab 1928 „Die Hausangestellte“
hieß, wurde bis 1934 produziert. Wesentlich ist schließlich die von Bertha von
Suttner, der Leiterin des Friedensreferates im „Bund österreichischer Frauen“, in
Berlin von 1892 bis 1899 herausgegebene Zeitschrift „Die Waffen nieder!“, die
neben pazifistischen auch frauenemanzipatorische Beiträge enthielt. (Klaus und
Wischermann 2013, S. 149–151)
Frauenwahlrecht und Erster Weltkrieg nahmen in vielen politischen „Frauenzeit-
schriften“ eine zentrale Rolle ein. Doch sie führten, am Beispiel Wiens gezeigt, auch
zu kurzlebigen Neugründungen: So wurde im Rahmen der Frauenstimmrechtsbewe-
gung im Jahr 1911 die „Zeitschrift für Frauenstimmrecht“ gegründet, die Diskus-
sionen um das Wahlrecht und um gesetzliche Geschlechterdiskriminierung medial
aufbereitete. Herausgeberin war die Vorsitzende des Frauenstimmrechtskomitees,
Ernestine von Fürth. Neben Sitzungsberichten des Komitees wurde profund über
nötige Gesetzesänderungen und Entwicklungen in anderen Ländern berichtet und
gegen christlich-soziale Politik opponiert. (Krainer 1995, S. 85)
Die Politik in Kriegszeiten, verbunden mit strenger Zensur, aber auch mit der
Burgfriedenspolitik der sozialdemokratischen Opposition, verhinderte in Österreich
– analog zu Deutschland – die Publikation friedens- wie frauenpolitischer Anliegen.
Doch führten die Kriegsjahre zur Gründung einiger katholischer kriegsverherr-
lichender „Frauenzeitschriften“: So publizierte Hanny Brentano im Auftrag der
„Katholischen Reichs-Frauenorganisation“ die „Österreichische Frauenwelt – Mo-
natsschrift für die gebildete Frau“, in der der Krieg als „Gottesgericht“ interpretiert
wurde (Steinkellner 1985, S. 55; Duchkowitsch 2020, S. 191–194). Und Gottes-
furcht zu lehren, gehörte auch zum Selbstbild des „Arbeiterinnenblatts“, einem von
1914 und 1917 publizierten Blatt der katholischen Arbeiterinnenvereine.
Historische „Frauenzeitschriften“. Von der Lektüre für Frauen . . . 403

4 Von 1918 bis zur NS-Zeit

Die „Frauenzeitschriften“ der Weimarer Republik sowie der österreichischen Ersten


Republik profitierten massiv von der nunmehr gewährten Meinungs- und Presse-
freiheit und vermehrten Rechten für Frauen, litten aber zugleich an der Zurück-
drängung von Frauen aus der öffentlichen Sphäre, wie sie gerade von kirchlichen
Institutionen betrieben wurde. (Krainer 2019, S. 233) Die pluralistische Landschaft
der „Frauenmedien“ nach 1918 lässt sich – etwas vereinfacht – drei Kategorien
zuordnen: Zum Ersten gab es eine große Zahl teils gut eingeführter, teils kurzlebiger
vorgeblich unpolitischer Zeitschriften, von konfessionellen Medien für Frauen über
periodische Haushaltsratgeber bis zu Modejournalen. Zweitens etablierte sich eine
dezidiert politische „Frauenpresse“, die sich entlang der gesellschaftspolitischen
Spaltungen immer mehr auf Organe der Parteien (Konservative, Sozialdemokrat*in-
nen, Kommunist*innen) reduzierte. Zum Dritten entstand innerhalb des innovativen
Segments der Bildillustrierten eine dezidiert auf Leserinnen abzielende Spielart der
„Frauenzeitschrift“, die sich zwar unpolitisch präsentierte, aber wesentlichen Ein-
fluss auf die Ausbildung des Typs der „modernen Frau“ ausübte.
In der Weimarer Republik nahm die Zahl der Printmedien – und auch der
„Frauenzeitschriften“ – binnen weniger Jahre rasant zu. Insbesondere der Markt
der für Frauen produzierten Zeitschriften, die sich an Hausfrauen als Konsumentin-
nen richteten, expandierte. Bekanntestes Beispiel war das „Blatt der Hausfrau“, die
spätere „Brigitte“. Dazu kamen etliche Frauenzeitschriften von Parteien, Berufs-
organisationen und kirchlichen Institutionen. So gaben die aktivsten Persönlich-
keiten innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung, Lida Gustava Heymann und
Anita Augspurg (Kinnebrock 2000, 2005) die Zeitschrift „Die Frau im Staat“ heraus.
Politische Medien verloren aber gegenüber Zeitschriften für und über die „neue
Frau“, in der sich Modernität und Tradition, Fortschritt und Stillstand trafen, zuneh-
mend an Terrain. Diese Illustrierten sprachen zwar primär junge, urbane und bür-
gerliche Frauen an, wirkten aber als Versprechen weit darüber hinaus. (Klaus und
Wischermann 2013, S. 182–183).
Auch in Österreich stellte der Beginn der Ersten Republik eine Zäsur bezüglich
der „Frauenperiodika“ dar, wobei gravierende Differenzen zwischen Wien und dem
übrigen Österreich augenfällig sind. (Seethaler und Oggolder 2009, S. 4) Von den
politischen Blättern überlebte nur die „Arbeiterinnen-Zeitung“, auch wenn sie nach
massiven Einbrüchen der Leserinnenzahl ab 1924 unter dem sprechenden Titel „Die
Frau. Sozialdemokratische Monatsschrift für Politik, Wirtschaft, Frauenfragen und
Literatur“ erschien und 1929 dann eine Auflage von 290.000 Exemplaren erreichte.
(Krainer 1995, S. 90) Ab 1923 wurde für politisch weniger engagierte Frauen die –
als „unabhängig“ titulierte – „Unzufriedene“ herausgegeben, in der ein konservativ
vermitteltes Ideal der Arbeiterin, Mutter und Gattin mit dem Bild einer „neuen“,
selbstbewussten Frau vereint wurde. (Yazdanpanah 2019, S. 50–51) Dem gegenüber
findet sich auf Seiten der liberalen Frauenvereinigungen weiterhin die Zeitschrift
„Der Bund“, ab 1923 in „Die Österreicherin“ umbenannt. Die christlich-soziale
Partei veröffentlichte ab 1919 die Monatsschrift „Wacht auf“, ab 1924 die „Frauen-
briefe“ (Krainer 2019, S. 234). Doch wurde die konservative Seite vor allem von
404 M. Marschik et al.

„Frauenzeitschriften“ katholischer Organisationen abgedeckt, von der „Christlichen


Frauenzeitung“ in Wien bis „Frau und Heim“ in Graz. Gemeinsam war ihnen ein
konservatives Weltbild, das Frauen auf ihre „natürliche“ Rolle als Hausfrau und
Mutter beschränken wollte. Im Unterschied zu den auf Wien orientierten Blättern der
Sozialdemokratie erstreckten die katholischen Blätter ihren Wirkkreis über das
gesamte Bundesgebiet. (Bittermann-Wille und Hofmann-Weinberger 2000, S. 58)
Schon ab den 1920er-Jahren publizierte auch das deutsch-nationale Lager eigene
„Frauenzeitschriften“, etwa „Die deutsche Frau“ (1923–38) der „NS-Frauenschaft
Österreich“. Die meisten NS-Zeitungen wurden jedoch importiert.
Abweichend davon entwickelte sich der Markt der „Frauenzeitschriften“ in der
Deutschschweiz: Publikationen politischer Parteien konnten sich kaum etablieren.
Das Gewerkschaftsblatt „Die Vorkämpferin“ musste 1920 eingestellt werden und
fand erst 1929 eine indirekte Nachfolge im sozialdemokratischen „Frauenrecht“.
Und die konservative „Schweizer Frauen-Zeitung“ wurde schon 1913 mit der
„Frauen- und Moden-Zeitung für die Schweiz“ zusammengelegt (Ammann 2012),
ebenso ging das feministische Blatt „Frauenbestrebungen“ im Organ des „Bundes
Schweizerischer Frauenvereine“, dem ab 1919 erscheinenden „Schweizer Frauen-
blatt“, auf. Vergleichsweise umfangreich war hingegen die Dichte an „Frauenzeit-
schriften“ mit ethisch-sozialer Ausrichtung oder von religiösen Einrichtungen. (Wei-
bel 2012)
Charakteristikum der „Frauenpresse“ der 1920er-Jahre in Deutschland und Öster-
reich war der stark wachsende Markt vorgeblich unpolitischer Zeitschriften. Zum
einen entstanden zahlreiche Medien, die mit Kochrezepten, Haushalts-, Erziehungs-
und Modetipps das Bild der Hausfrau und Mutter stärkten und sie als Konsumen-
tinnen „frauenspezifischer“ Produkte ansprachen (Krainer 2019, S. 240). Doch gab
es zugleich ein neues Segment bildlastiger – teils sehr erfolgreicher – Illustrierter,
wobei die fortschrittlichsten dieser „Frauenzeitschriften“ durchaus alternative Weib-
lichkeitsentwürfe stärkten. Auch wenn die in Reportagen, Gesellschafts-Klatsch,
Modeberichten und Fortsetzungsromanen entworfenen Idealbilder der „neuen“
Frau für die meisten Leserinnen Traumwelten waren, wurden hier dennoch Entwürfe
eines konsum- und zugleich selbstbestimmten Frauenlebens gezeichnet. „UHU“
(1924–1934) „Tempo“ (1927) oder „Scherl’s Magazin“ (1924–1933) in Deutschland
(Leiskau et al. 2016), „Die Bühne“ oder „Mocca“ in Wien sind in ihrer Wirkung auf
ein selbstbewusstes Frauenbild bezüglich Berufstätigkeit, Sexualität und Geschlech-
terbeziehungen nicht zu unterschätzen.

5 Frauen als Teil der „Volksgemeinschaft“

Das nationalsozialistische Regime, ab 1933 in Deutschland, ab dem März 1938 in


Österreich an der Macht, beendete die Existenz der meisten politischen wie der
„modernen“ „Frauenzeitschriften“, indem viele Inhalte nicht mehr erwünscht waren
und viele Redakteurinnen nicht mehr tätig sein durften. Das Regime hatte klare
Vorstellungen seiner Frauenpolitik und der Stellung der Frauen in der Gesellschaft,
die – im Rahmen einer gleichgeschalteten Presse – via Presseanweisungen an
Historische „Frauenzeitschriften“. Von der Lektüre für Frauen . . . 405

Zeitschriftenredakteur*innen offensiv verbreitet und zielgruppengerecht platziert


wurden.
Eine Vielzahl von Frauen und Mädchen wurde aus keineswegs nur „rassischen“
Gründen aus der „Volksgemeinschaft“ ausgeschlossen, wobei die Konsequenzen bis
zu ihrer Ermordung reichten. Den weiblichen Mitgliedern der „Volksgemeinschaft“
wurde eine klare gesellschaftliche Position verordnet, die nicht zuletzt über „Frauen-
zeitschriften“ transportiert wurde, in denen in unterschiedlicher Weise die drei
zentralen Ziele der Instruktion, der Beratung und Ablenkung wirksam wurden.
„Frauenzeitschriften“ wie die „Völkische Frauenzeitung“, „Die deutsche Landfrau“
oder die „N. S. Frauenwarte“, bei der die Reichsführerin der Frauenorganisation der
NSDAP, Gertrud Scholz-Klinik, als Herausgeberin fungierte (Kehle 1952, S. 100),
standen im Zeichen der nationalsozialistischen Ideologie. Zeitschriften wie „Frauen-
kultur“, „Frau am Werk“ oder „Völkische Frauenzeitung“ fokussierten eher auf
Lebensberatung, während Blätter wie „Die Frau und Mutter“ Tipps für Liebes-
kummer, zur Schönheitspflege, Mode, hausfrauliche Hinweise oder in Kriegszeiten
Tipps zur Sparsamkeit lieferten. (Krainer 1995, S. 96)

6 Vom Wiederaufbau zur Konsumgesellschaft

Schon kurz nach dem Ende des Krieges versuchten in Österreich gerade die ver-
schiedenen politischen Strömungen ihre Inhalte wieder an Frauen zu verbreiten. So
brachten die Kommunistinnen bereits am 27. Oktober 1945 die erste Ausgabe der
„Stimme der Frau“ heraus, welche in der Folge wöchentlich erschien. Die sozialde-
mokratische Zeitung „Die Frau“ erschien ab November 1945 und wurde 1946 mit
der „Unzufriedenen“ vereinigt. Ebenso erschien Ende 1945 „Die Österreicherin“ des
„Österreichischen Frauenbundes“ mit den Schwerpunkten Kunst und Kultur. Die
Zeitschrift fand kaum Käuferinnen und wurde daher 1949 durch „Frau und Familie“
mit dem Fokus auf Haushalt, Kinder und Beruf ersetzt, auch sie hielt sich nur ein
Jahr. Gleichfalls von Seiten der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) wurde die
„Österreichische Frau“, ein Mitteilungsblatt für Funktionärinnen, sowie die „Frau
von heute“, ein Unterhaltungsblatt mit eingestreuten politischen Inhalten, publiziert.
Ab 1950 erschienen die „Frauenrundschau“ des „Bundes Österreichischer Frauen-
vereine“ sowie etliche katholische Medien für Frauen, deren Titel wie „Das Licht des
Lebens“ (ab 1946), „Gute Stunde“ (ab 1946) oder „Die Mutter“ (ab 1948) die
wesentlichen Inhalte vorwegnahmen. (Krainer 1995, S. 100–103)
Ebenso wurden die Traditionen kommerzieller, vorgeblich unpolitischer „Frauen-
zeitschriften“ nach 1945 nicht nur wieder aufgegriffen, sondern ergänzt und erwei-
tert (Krainer 2019, S. 242). Mit dem steigenden Wohlstand ging ein familiärer
Rückzug vieler Frauen einher, der auch in Zeitschriften für Frauen das – vermeint-
liche – Familienidyll der 1950er-Jahre prägte. Haushaltszeitschriften fokussierten
neben Wohnung, Ehe, Mode und Kindern vor allem auf technische Errungenschaf-
ten, die das Hausfrauendasein erleichtern sollten, Modezeitschriften wie „Die blaue
Stunde“ oder „Die schöne Wienerin“ stellten auf die Frau als Konsumentin
ab. Daneben wurde das Genre der Kundenzeitschrift wiederbelebt, indem etwa das
406 M. Marschik et al.

Kaufhaus „Gerngross“ für seine Kundinnen „Unser Hausfrauenmagazin“ verteilte.


Nicht zuletzt wurden die illustrierten Magazine weitergeführt, allerdings blieben die
emanzipatorischen Aspekte nun meist ausgespart.
In (Ost- und West-)Deutschland steuerten die Besatzungsmächte den Prozess der
Neuordnung des Mediensystems intensiver und länger als in Österreich. Im Zuge der
Entnazifizierung sollten dabei primär Frauen für den demokratischen Neuanfang
gewonnen und durch „Frauenzeitschriften“ angesprochen werden. So entstanden –
mit großer Resonanz – in Deutschland zwischen 1945 und 1949 insgesamt
14 allgemeine, fünf sozialpolitische und sieben religiöse Frauenzeitschriften, die
zugleich Hilfen bei Alltagsproblemen boten und gesellschaftspolitische Fragen dis-
kutierten. (Klaus und Wischermann 2013, S. 260–261) Diese Entwicklung korres-
pondierte mit einem hohen Potenzial an engagierten Frauen, die sich in zahlreichen
meist überparteilichen Frauenausschüssen organisierten und ihre – teils gesell-
schaftsverändernden, teils lebenspraktischen – Ideen medial verbreiteten. Die res-
taurativen, konsumorientierten „langen 1950er-Jahre“ mit den dementsprechenden
Angeboten an „Frauenzeitschriften“ setzten in der BRD also später ein als in
Österreich.
Für die Deutschschweiz hingegen lässt sich ein ähnlicher konservativer und
unpolitischer Trend schon sehr viel früher feststellen: So gründeten die Besitzer
der „Weltwoche“ schon im März 1938 als zweites Standbein die Zeitschrift „An-
nabelle“, die an die französische „Elle“ angelehnt war und als erste deutschsprachige
kommerzielle und unterhaltende „Lifestyle“-Zeitschrift für Frauen mit Schwerpunkt
auf die Alltags-, Mode- und Lebensgestaltung gilt. (Christen et al. 1992)
Dass selbst politische „Frauenzeitschriften“ zunehmend ihre feministische Stoß-
kraft verloren, auch die vorgeblich unpolitischen „Frauenmagazine“ immer weniger
in Richtung Selbstbestimmung und -ermächtigung gingen, führte in den 1960er- und
1970er-Jahren zu einem neuen Aufbegehren von Frauen, als sich vor allem linke
Studentinnen gegen althergebrachte Leitbilder und das „Establishment“ wandten.
Die zunächst auf praktische Aktivitäten konzentrierte Arbeit der beginnenden zwei-
ten Frauenbewegung wurde rasch auch in feministischen und autonomen Zeitschrif-
ten dokumentiert und theoretisch reflektiert.

7 Fazit

Seit geraumer Zeit ist ein verstärktes Interesse an der wissenschaftlichen Aufarbei-
tung der historischen „Frauenzeitschriften“, gerade auch auf Basis ihrer zunehmen-
den elektronischen Verfügbarkeit, auszumachen. Etliche Bücher und Fachartikel
sind erschienen, aber auch im Internet finden sich zahlreiche Einträge. Dass inzwi-
schen sogar „Wikipedia“ zu vielen historischen „Frauenzeitschriften“ und zu etli-
chen Protagonistinnen Einträge bereithält, lässt auf ein zunehmendes populärwis-
senschaftliches Interesse schließen. Gerade wegen der großen Bandbreite des
Untersuchungsgegenstandes wohnt der Analyse von „Frauenzeitschriften“ ein enor-
mes Potenzial inne, Im Sinne der Forschung über die Geschichte von Frauen und der
Historische „Frauenzeitschriften“. Von der Lektüre für Frauen . . . 407

Frauenbewegung, aber mehr noch im Sinne von Geschichtskultur, vermag das


Thema wichtige Versatzstücke für die Gegenwartsanalyse zu liefern.
So ist die Beschäftigung mit „Frauenzeitschriften“ im Sinne einer Bricolage als
geschichtskulturelles Potenzial zu begreifen: „Die Aufarbeitung historischer Frauen-
zeitschriften birgt in vielerlei Hinsicht die Chance, uns der Errungenschaften von
Frauen aus der Geschichte bewusst zu werden, sie zu reflektieren und auch in unsere
heutigen Lebensumstände einzubeziehen“ (Bittermann-Wille und Hofmann-Wein-
berger 2000, S. 52). Darüber hinaus geht es aber auch um Gegenwartsanalyse, wie
sich die differenten Stränge in aktuellen „Frauenzeitschriften“ – von „Emma“ und
den „an.schlägen“ bis zu „Cosmopolitan“ und „Woman“ – im Zuge einer liberalen
Gesellschaftsentwicklung und „postfeministischen“ Strömung vermischen. Das gilt
nicht zuletzt auch dafür, wie das Web 2.0. die Funktionen und Zielsetzungen von
„Frauenzeitschriften“ sukzessive übernimmt und neu interpretiert.
Bei der Analyse von „Frauenzeitschriften“ und der Spannbreite zwischen kom-
merziellen und feministischen Medien geht es paradigmatisch um die Verfügbarkeit
und Verbreitung von Wissen sowie um die Frage, wer Macht besitzt und über wen
sie ausgeübt wird (Seethaler und Oggolder 2009, S. 7). Auf der Basis einer inzwi-
schen gut dokumentierten Geschichte der „Frauenzeitschriften“ und ihrer Pro-
duzent*innen muss sich die Forschung, wie dies ja ansatzweise bereits geschieht,
vermehrt dem Aspekt der Kontextualisierung widmen. Das bedeutet erstens, Fragen
nach den Konstruktionen von Frauen, von Weiblichkeit und von Geschlechterdiffe-
renzen zu stellen, zweitens nach komplexen Verortungen der Aneignung und drittens
nach der Positionierung und Selbstermächtigung von Frauen als Herausgeberinnen
und Redakteurinnen. Aber viertens muss es das Ziel sein, wie Nina Reusch (2015) es
formuliert, „Frauenzeitschriften“ selbst als „Akteure“ begreifbar zu machen.

Literatur
Ammann, Ruth. 2012. „Schweizer Frauen-Zeitung“. In Historisches Lexikon der Schweiz (HLS).
https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/024834/2012-11-27/. Zugegriffen am 10.02.2022.
Bittermann-Wille, Christa, und Helga Hofmann-Weinberger. 2000. Von der Zeitschrift Dokumente
der Frauen bis zur Dokumentation von Frauenzeitschriften. medien & zeit 15(2): 52–62.
Christen, Mariana, Johanna Gisler, und Martin Heller, Hrsg. 1992. Ganz Annabelle. Eine Zeitschrift
als Freundin. Zürich: Chronos/Museum für Gestaltung.
Derka, Hedwig. 1991. Österreichische Frauenzeitschriften. Eine kommunikationswissenschaftliche
Analyse der Forschungslage mit einer empirischen Erhebung des Bestandes. Diplomarbeit
Univ. Wien.
Duchkowitsch, Wolfgang. 2002. Auf zum Widerstand? Zur Gegenöffentlichkeit in Österreich vor
1848. medien & zeit 17(1): 53–66.
Duchkowitsch, Wolfgang. 2020. Diametrale Agitationen im Ersten Weltkrieg. Kommunikatives
Handeln österreichischer Frauen. In Frauen. Medien. Krieg, Hrsg. Bettina Biron, Wolfgang
Duchkowitsch, und Wolfgang Lamprecht, 179–194. Wien: LIT.
Duttenhöfer, Barbara. 2013. Das Geschlecht der Öffentlichkeit. Deutsche und russische Frauen-
zeitschriften und ihr Publikum im frühen 20. Jahrhundert. Dissertation Univ. des Saarlandes.
Saarbrücken.
Geiger, Brigitte. 1987. Weibliche Identität und Frauenöffentlichkeit. Am Beispiel autonomer Frau-
enzeitschriften. Dissertation Univ. Wien.
408 M. Marschik et al.

Geiger, Ruth-Esther, und Sigrid Weigel. 1981. Sind das noch Damen? Vom gelehrten
Frauenzimmer-Journal zum feministischen Journalismus. München: Frauenbuchverlag.
Kehle, Hertha. 1952. Die Frauenzeitschrift. Ihre Anfänge und ihre Entwicklung in Österreich.
Dissertation Univ. Wien.
Kinnebrock, Susanne. 2000. „Man fühlt sich, als wäre man geistig ein lebender Leichnam.“ Lida
Gustava Heymann (1868–1943) eine genuin weibliche Exilantin. In Deutsche Publizistik im
Exil 1933 bis 1945, Hrsg. Markus Behmer, 108–133. Münster/Hamburg: LIT.
Kinnebrock, Susanne. 2005. Anita Augspurg (1857–1943). Feministin und Pazifistin zwischen
Journalismus und Politik. Eine kommunikationshistorische Biographie. Centaurus: Her-
bolzheim.
Klaus, Elisabeth, und Johanna Dorer. 2006. Frauenmedien. In Lexikon Kommunikations- und
Medienwissenschaft, Hrsg. Günter Bentele, Hans-Bernd Brosius, und Otfried Jarren, 76. Wies-
baden: VS Verlag.
Klaus, Elisabeth, und Ulla Wischermann. 2013. Journalistinnen. Eine Geschichte in Biografien und
Texten 1848–1990. Wien/Berlin: LIT.
Korte, Barbara, und Sylvia Paletschek. 2013. Blick zurück nach vorn. (Frauen-)Geschichte in
feministischen Zeitschriften des 19. Jahrhunderts in Großbritannien und Deutschland. In Ge-
schlecht und Geschichte in populären Medien, Hrsg. Elisabeth Cheauré, Sylvia Paletschek, und
Nina Reusch, 105–136. Bielefeld: transcript.
Krainer, Larissa. 1995. Österreichische Frauenzeitschriften. Zwischen Kommerz- und Alternativ-
medien. Klagenfurt: Drava.
Krainer, Larissa. 2019. Zur Entwicklung der Österreichischen Frauenzeitschriften nach dem Ersten
Weltkrieg. In Österreichische Mediengeschichte. Band 2: Von Massenmedien zu sozialen
Medien (1918 bis heute), Hrsg. Matthias Kamarsin und Christian Oggolder, 227–258. Wiesba-
den: Springer VS.
Leiskau, Katja, Patrick Rössler, und Susann Trabert, Hrsg. 2016. Deutsche illustrierte Presse.
Journalismus und visuelle Kultur in der Weimarer Republik. Baden-Baden: Nomos.
Lunzer-Lindhausen, Marianne. 1987. Die Frau als Leserin im josephinischen Wien. Ein Beitrag zu
den Frauenzeitschriften im 18. Jahrhundert. In Wege zur Kommunikationsgeschichte, Hrsg.
Manfred Bobrowsky und Wolfgang R. Langenbucher, 311–316. München: Ölschläger.
Martens, Wolfgang. 1971. Die Botschaft der Tugend. Die Aufklärung im Spiegel der Moralischen
Wochenschriften. Stuttgart: Metzler.
Meditz, Johanna. 1979. Die „Arbeiterinnen-Zeitung“ und die Frauenfrage. Ein Beitrag zur Ge-
schichte der österreichischen sozialistischen Frauenbewegung der Jahre 1890–1918. Disserta-
tion Univ. Wien.
Mixa, Franz. 1969. Die ersten Wiener Frauenzeitschriften des 18. Jahrhunderts als Zeitdokumente.
Dissertation Univ. Wien.
Neumann, Helga. 1999. Zwischen Emanzipation und Anpassung. Protagonistinnen des deutschen
Zeitschriftenwesens im ausgehenden 18. Jahrhundert (1779–1795). Würzburg: Königshausen/
Neumann.
Parsons, Nicola. 2009. Reading gossip in early eighteenth-century England. London: Palgrave
Macmillan.
Reusch, Nina. 2015. Populäre Geschichte im Kaiserreich. Familienzeitschriften als Akteure der
deutschen Geschichtskultur 1890–1913. Bielefeld: transcript.
Röser, Jutta. 1991. Frauenzeitschriften und weiblicher Lebenszusammenhang. Themen, Konzepte
und Leitbilder im sozialen Wandel. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Schumann, Sabine. 1987. Das „lesende Frauenzimmer“. Frauenzeitschriften im 18. Jahrhundert. In
Die Frau von der Reformation zur Romantik. Die Situation der Frau vor dem Hintergrund der
Literatur- und Sozialgeschichte, Hrsg. Barbara Becker-Cantarino, 138–169. Bonn: Bouvier.
Seethaler, Josef, und Christian Oggolder. 2009. Frauen in der Wiener Tagespresse der Ersten
Republik. medien & zeit 24(3): 4–16.
Steinkellner, Friedrich. 1985. Emanzipatorische Tendenzen im christlichen Frauen-Bund und in der
katholischen Reichsfrauenorganisation Österreichs. In Unterdrückung und Emanzipation.
Historische „Frauenzeitschriften“. Von der Lektüre für Frauen . . . 409

Festschrift für Erika Weinzierl zum 60. Geburtstag, Hrsg. Rudolf Ardelt und Wolfgang Huber,
55–66. Wien: Ed. Geyer.
Stieler, Kaspar. 1969. In Zeitungs Lust und Nutz. Vollständiger Neudruck der Originalausgabe von
1695, Hrsg. Gert Hagelweide. Bremen: Schünemann.
Thiele-Knobloch, Gisela. 1991. Olympe de Gouges (1748–1793) – „eine Todfeindin der Sklave-
rei“. Feministische Studien 9(2): 140–144.
Twellmann, Margrit. 1972. Die deutsche Frauenbewegung im Spiegel repräsentativer Frauenzeit-
schriften. Ihre Anfänge und erste Entwicklung. 1843–1889. Meisenheim: Hain.
Vahsen, Mechthilde. 2008. Wie alles begann – Frauen um 1800. In Bundeszentrale für politische
Bildung. Dossier Frauenbewegung. https://www.bpb.de/gesellschaft/gender/frauenbewegung/
35252/wie-alles-begann-frauen-um-1800?p¼all. Zugegriffen am 09.02.2022.
Weckel, Ulrike. 1998. Zwischen Häuslichkeit und Öffentlichkeit. Die ersten deutschen Frauenzeit-
schriften im späten 18. Jahrhundert und ihr Publikum. Tübingen: Niemeyer.
Weibel, Andrea. 2012. Frauenpresse. In Historisches Lexikon der Schweiz. https://hls-dhs-dss.ch/
de/articles/024658/2012-06-15/. Zugegriffen am 08.02.2022.
Wischermann, Ulla. 2003. Frauenbewegungen und Öffentlichkeiten um 1900. Netzwerke – Gegen-
öffentlichkeiten – Protestinszenierungen. Königstein: U. Helmer.
Wozonig, Karin. 1999. Die Literatin Betty Paoli. Weibliche Mobilität im 19. Jahrhundert. Wien:
Löcker.
Yazdanpanah, Marie-Noëlle. 2019. „Es lebe drum: die Frau von heut!“ Frauenpolitik im Roten
Wien. In Das Rote Wien – 1919 bis 1934. Ideen. Debatten. Praxis, Hrsg. Werner Michael
Schwarz, Georg Spitaler, und Elke Wikidal, 50–57. Berlin: De Gruyter.

Zeitschriftenarchive

Adriane – Österreichische Nationalbibliothek: https://www.onb.ac.at/forschung/ariadne-


frauendokumentation
ANNO Historische Zeitungen und Zeitschriften – Österreichische Nationalbibliothek: https://anno.
onb.ac.at/
Austrian Literature Online: http://www.literature.at/default.alo
Digitales Deutsches Frauenarchiv (DDF): https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/start
E-Periodika – ETH Zürich: https://www.e-periodica.ch/
Frauen in Bewegung. 1848–1938 – Österreichische Nationalbibliothek: https://fraueninbewegung.
onb.ac.at/
Radiogeschichte: Vergeschlechtlichung des
frühen Rundfunks in Deutschland

Monika Pater und Uta C. Schmidt

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412
2 Vom Spielzeug für Männer zum Hausfreund der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414
3 Das Objekt Radio: „Wie sie ihn sieht“ – „Wie er ihn sieht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416
4 Die Konstruktion des Familienpublikums oder Erziehung zum angemessenen Gebrauch:
Krauses hören Radio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417
5 Familienpublikum und Zeitrhythmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
6 Fazit: Genderization in medialen Durchsetzungsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422

Zusammenfassung
Auf der Grundlage von zeitgenössischen Diskursen zeichnet der Beitrag nach,
wie die binär gedachte Geschlechterordnung die Entwicklung des neuen Medi-
ums Rundfunk in Deutschland vor dem 2. Weltkrieg geprägt hat. In den Blick
genommen wird das Zusammenspiel von Programmstrukturen, Programmange-
bot und Hörer:innenforschung bei der Bestätigung und Neuformierung der
jeweiligen Geschlechterordnungen. Diese waren gleichzeitig im Rundfunk wirk-
sam, wurden von ihm bestätigt und neu hervorgebracht.

Gekürzte und überarbeitete Fassung von: Uta C. Schmidt und Monika Pater. 1997. „Adriennes
Hochantenne“. Geschlechtsspezifische Aspekte medialer Durchsetzungsprozesse am Beispiel des
Rundfunks. Feministische Studien 15(1): 21–33.

M. Pater (*)
Universität Hamburg, Hamburg, Deutschland
E-Mail: monika.pater@uni-hamburg.de
U. C. Schmidt
Universität Duisburg-Essen, Essen, Deutschland
E-Mail: uta.schmidt@uni-due.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 411
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_24
412 M. Pater und U. C. Schmidt

Schlüsselwörter
Genderingprozesse · Einführung neues Massenmedium · Radio · Hörer:
innenansprache · Programmstruktur

1 Einleitung

Für die 1920er-Jahre verkörperte der Rundfunk als das neue Informations- und
Kommunikationsmedium wie kaum ein anderes technisches Produkt Modernität
und Lebensstil, allenfalls vergleichbar mit Motorrad und Auto: „Wo man geht, wo
man sitzt und steht, ist vom Radio heut nur die Red’. Vom Kellerloch bis hoch zur
Mansard’ ist alles drin vernarrt.“ (Leopoldi und Kuttner 1925). Schlager wie
„Adriennes Hochantenne“ brachten die gesellschaftlichen Herausforderungen
durch das neue Medium auf den Punkt: Dort bekommt ein Prozess, der wenig mit
geschlechtlichen Zuweisungen zu tun hat, nämlich die zunehmende Ausbreitung des
Rundfunks als Lifestyle-Attribut, durch die assoziationsträchtige Verbindung mit
junger Frau, „empfangsbereit“ im Bett wartend die richtige Anschaulichkeit.
Radiohören wird hier als vergeschlechtlichte soziale Praxis imaginiert. Das Bei-
spiel versinnbildlicht, wie Frauen qua Geschlecht platziert werden, und zwar „emp-
fangsbereit“ in einer privat-intimen Situation. Diese Assoziation des häuslichen
Empfangs von Rundfunkangeboten zeigt den Stellenwert der Kategorie Geschlecht
bei den Aushandlungsprozessen um das in den 1920er-Jahren neue Medium Rund-
funk. Das ‚Eindringen‘ entkörperlichter Stimmen ins privat gedachte Heim stieß eine
Neuverhandlung öffentlicher und privater Räume an; der Rundfunk formte die
Bedingungen des Öffentlich-Seins um – daher auch die zeitgenössischen Debatten
über Stimme, angemessenes Sprechen und Zuhören, Kosten und Zugang (Schmidt
1998a; Lacey 1996).
Rundfunkpolitische, institutionen- und programmhistorische Studien prägten
lange die deutschsprachige Forschung zur Geschichte des Rundfunks; hier spielte
Geschlecht nur implizit eine Rolle, wenn z. B. männliche Rundfunkpioniere erwähnt
wurden. Dabei lässt die Auseinandersetzung mit Geschlechterordnung im Rahmen
von Rundfunkgeschichte erkennen, dass und wie die Kategorie Geschlecht mit ihren
historisch spezifischen und veränderlichen Zuschreibungen das erste elektronische
Massenmedium prägte, Handlungsmöglichkeiten und Räume strukturierte.
Institutionell wurden vorrangig die Zielgruppenangebote Frauen-, Kinder und
Jugendfunk zum Raum weiblicher Berufstätigkeit in Rundfunkorganisationen.
Neben der Zielgruppe beförderten auch „weichere“ Themen wie Kunst und Literatur
den Zugang von Frauen; die Sendeanstalten folgten hier etablierten Ressortzutei-
lungen der Printmedien (Kinnebrock 2005). Frauen, 1919 mit dem Stimmrecht zu
Staatsbürgerinnen geworden, traten insgesamt selten als Rednerinnen in öffentlichen
Räumen auf. Technisch begründet wurde der Ausschluss von Frauen aus bestimmten
Arbeitsbereichen des Hörfunks, v. a. des Nachrichten-Sprechens (Münkel 1998). Die
höhere Tonlage weiblicher Stimmen war angeblich schwieriger zu übertragen, was
unbegründet war, wie Martensen (2018) herausarbeitet. Die männlich konstruierte
Radiogeschichte: Vergeschlechtlichung des frühen Rundfunks in Deutschland 413

Rundfunktechnik strukturierte auch Erwerbstätigkeiten im Studio und der Tontech-


nik und führte dazu, dass Frauen zuarbeitende Tätigkeiten im deutschen Rundfunk
zugewiesen wurden – weit über Kriegsende hinaus (Birdsall 2017; Patka 2018).
Doch trotz der Begrenzungen entstanden auch neue öffentliche Räume, in denen
Frauen hörbar und Bedürfnisse und Anliegen von Frauen, v. a. im Frauenfunk,
thematisiert wurden.
Zielgruppenangebote wie der Frauen-, Land-, Jugend- und Kinderfunk fanden in
der Programmgeschichtsschreibung kaum Aufmerksamkeit im Gegensatz zu den an
die Allgemeinheit gerichteten Programmen. Unter anderem deswegen standen Sen-
dungen, die in der Rubrik Frauenfunk angeboten wurden, im Fokus feministisch
inspirierter Forschung. Lacey (1996), Dinghaus (2002), Badenoch (2007) und Braun
(2005) setzten sich mit dem deutschen Frauenfunk bis in die 1950er-Jahre auseinan-
der, während Schaad (1999) und Weber (2009, 2013) sich mit dem Frauenfunk und
einer nur kurz existierenden Sendung für Männer in der Schweiz befassten. Einiges
an Forschung liegt in Form unveröffentlichter Magistra-Arbeiten vor (Geiß 1985;
Senger-Schäfer 1988; Tonn 2001; Wenk 2000). Frauenleitbilder, die Beiträge des
deutschsprachigen Frauenfunks zur Emanzipation, seine unterstützende Rolle bei
der Alltagsbewältigung (Braun 2005; Langmaack 2008; Tonn 2001; Weber 2009)
ebenso wie der von staatlichen Interessen geleitete Versuch in verschiedenen deut-
schen Staatsformen, das Verhalten von Frauen zu „lenken“ (wobei es nicht nur um
haushaltsbezogenen Konsum ging), stellen wiederkehrende Themen dar (Clinefelter
2020; Badenoch 2007; Schüller und Wolff 2001; Münkel 1998; Lacey 1996).
Trotz der Vorstellung des privaten Radiokonsums gab es bis in die 1930er- eine
gemeinschaftliche Praxis des Radiohörens jenseits der Familie, auch eine Notwen-
digkeit angesichts enger Wohnverhältnisse und der Kostspieligkeit von Radiogerä-
ten (Bergerson 2001; auch Schmidt 1998a, S. 268, 350). Gerade in der deutschen
Rundfunkgeschichte wird deutlich, wie andere gesellschaftliche Machtverhältnisse
und Ungleichheiten eine stärker strukturierende Kraft hatten als Geschlecht: So zeigt
Bergerson (2001) in einer Lokalstudie, wie das in der Nachbarschaft mehr oder
weniger freiwillig (mit-)gehörte nationalsozialistische Programm bei jüdischen Hö-
renden Gefühle der Entfremdung auslöst, während Pater (1998) aufzeigt, wie popu-
läre Angebote des NS-Rundfunks Ausschlüsse produzierten, da sich hier ver-
geschlechtlichte Strukturen und Antisemitismus bei der Konstruktion einer
patriarchal strukturierten, ‚arischen‘ Volksgemeinschaft überlappen.
Historische Studien zu Rezeption und über alltägliche Formen der Nutzung des
Radios und seines Programms blieben lange Desiderat (Wagner et al. 2017). Erste
Studien, die Hörer:innen und das Zusammenspiel zwischen Hörer:innenverhalten,
-erwartungen und Programm in den Blick nehmen (für Deutschland: Falkenberg
2005; Dussel 2002; für die Schweiz: Mäusli 2000), darunter auch Studien aus
feministischer Perspektive (Schmidt 1998a, b; Dinghaus 1999), erschienen seit
Ende der 1990er-Jahre. Das forschende Interesse richtete sich auf die gesellschaft-
lichen Formierungspotenziale von Medien, auf eine Rundfunkgeschichtsschreibung,
die „Radiomachen“ und „Radiohören“ „zirkulär“ (Luhmann 1990, S. 184) als zwei
interdependente Stränge eines komplexen Prozesses mit beabsichtigten und unbe-
absichtigten Folgen begreift und beschreibt (Elias 1970, 1977).
414 M. Pater und U. C. Schmidt

Wir konzentrieren uns hier auf geschlechterspezifische Implikationen des media-


len Ausbreitungsprozesses, geleitet von der Prämisse, dass die jeweiligen Ge-
schlechterordnungen im Rundfunk wirksam waren und von ihm gleichzeitig
bestätigt und hervorgebracht wurden. Das Interesse an Vergeschlechtlichung („gen-
derization“) gerade im Kontext einer Geschichte des Rundfunks mit ihren tech-
nischen, institutionellen, organisatorischen, politischen, gesellschaftlichen, sozialen
und kulturellen Dimensionen befasst sich nicht nur mit dem Nachweis von Frauen-
feindlichkeit bestimmter Sendungen, der Männerzentriertheit der Institution oder der
Geschlechtsspezifik bestimmter Musikprogramme und Sendeformate. Zum Thema
werden mehr und mehr jene Grenzlinien, über die Gesellschaften medial genderi-
zation durchführen, also genus-spezifische von vorgeblich genus-unspezifischen
Bereichen trennen (Hassauer 1990, S. 68) und die Geschlechterordnung so immer
wieder neuformieren. Dabei gilt es, den Doppelcharakter des Mediums bewusst zu
halten: Zum einen ist es der Übermittlung dienendes Material, ein Gehäuse – das
Radiogerät. Zum anderen ist es message, ein durch Sendeformate und -strukturen in
Form gebrachtes Programm. Im Folgenden werden aus einer Fülle von Beispielen
einige normative Diskurse um die Entwicklung des Gerätes wie des Programms und
des Publikums mit ihren textlichen Strategien der genderization exemplarisch
vorgestellt.

2 Vom Spielzeug für Männer zum Hausfreund der Familie

In der Anfangszeit galt der Rundfunkempfang als Herausforderung für technische


Experten und solche, die es sein wollten. Nicht was gehört wurde, interessierte,
sondern dass möglichst störungsfrei weit entfernte Stationen ‚hereingeholt‘ werden
konnten. Radioempfang glich einer Labortätigkeit, die Konzentration, ernsthafte
Hingabe und Besessenheit forderte. Feinmotorische Kompetenz musste eingeübt
sein. Außerdem verlangten die anfänglich mit Batterien gespeisten Geräte eine
komplizierte Wartung, und Antennenprobleme mussten gelöst werden. Kurz: Radio-
hören stellte sich als eine zeitintensive Beschäftigung von Kennern dar, die Dis-
ziplin, Konzentration, ständige Auseinandersetzung und permanente Verfeinerung
der technischen Kompetenzen verlangte. Als solche war es strukturell männlich.
Frauen sahen darin in erster Linie Zeit-, Platz- und Geldverschwendung.
Ehefrauen, Töchter und Schwestern dieser Experten erinnerten sich noch Jahr-
zehnte später an den zwischen den Geschlechtern differierenden Umgang mit dem
technischen Gerät, ein Zeichen, dass sich ihnen die sozialen Auswirkungen des
Rundfunks auf ihr Alltagsleben tief eingeprägt haben (Moores 1988, S. 29–30;
Pater und Schmidt 2007). Sie sahen im Radio eine mysteriöse technische Apparatur,
während ihre Männer es als technisches Spielzeug schätzten. Offensichtlich besaßen
Frauen auch ein sensibles Gespür für die latenten Machtstrukturen, die sich im
männlich monopolisierten Umgang mit der technischen Anlage manifestierten, das
heißt hier, zu bestimmen, wer wann was wie hören durfte, oder vorzuschreiben, wie
sich andere zu verhalten hatten:
Radiogeschichte: Vergeschlechtlichung des frühen Rundfunks in Deutschland 415

„You couldn’t even go and peel potatoes, because he used to say he could hear the sound of
dropping in the sink above what was coming through the headphones . . . None of us dared to
move a muscle“ (Moores 1988, S. 30).

Die „Radioten“ (Riedel 1987, S. 22) der Anfangsjahre wurden von Seiten der Industrie
zwar als kompetente Ideenlieferanten für technische Verbesserungen geschätzt (Lerg
1980; Dahl 1978, 1983). Der erhoffte wirtschaftliche Profit konnte jedoch nur im
massenhaften Absatz industriell gefertigter Rundfunkgeräte liegen, nicht im Geschäft
mit Bauteilen für eine sparsame Radio,bewegung‘ in Funkvereinen oder Bastelgrup-
pen. Dazu bedurfte es einer Marketingstrategie, die das Radiogerät als unverzichtbar in
der Bedürfnisökonomie auch eines technisch unbedarften Publikums verankerte und
die vor allen Dingen die Ressentiments der weiblichen Käuferschichten gegenüber
dem ‚Spielzeugcharakter‘ verringern half. Die Grundlage für eine Massenverbreitung
lag in der Herausbildung eines konsolidierten Produkt- und Gebrauchswertstandards,
der bei angemessener Preisgestaltung hinreichende Empfangsqualität, Bedienungs-
und Wartungskomfort garantierte und eine gewisse Sicherheit bot, dass das Gerät nicht
in kürzester Zeit schon wieder überholt sei. Erst dann ließ sich das Radiogerät als
unhinterfragbare Begleitung bei Alltagsroutinen und als Freizeitmedium, vor allem
aber als Statussymbol und Distinktionsmittel positionieren.
Der Anschluss von Lautsprechern, d. h. die Möglichkeit, zu mehreren im Raum
Klänge, Stimmen und Geräusche akzeptabel empfangen zu können, markierte in
diesem Zusammenhang einen bedeutenden Schritt in Richtung Massenverbreitung.
Der entscheidende Impuls kam jedoch durch den Einbau von Netzgeräten, die die
aufwendige Wartung der Batterien überflüssig machten, da sie nun das Gerät mit
Strom aus der Lichtleitung speisten. Erst jetzt konnte sich der Radioempfänger
strukturell im Bedürfnishaushalt eines allgemeinen, aus Männern und Frauen, Alten
und Jungen bestehenden Publikums ausbreiten, sieht man von Einschränkungen durch
mangelnde finanzielle Möglichkeiten oder durch fehlende Elektrifizierung ab. Die
Marktstrategie der Rundfunkindustrie ging auf: Der Typ ‚Radiohörer‘ wandelte sich in
kürzester Zeit. Er wurde vom technischen Kenner zur Konsument:in.
Dieser Prozess manifestierte sich anschaulich in einer 1930 anlässlich der Funk-
ausstellung in Berlin diskutierten amerikanischen Studie (Funkillustrierte 1930).
Unter geschlechtersensibilisiertem Blick überrascht, dass im zeitgenössischen Dis-
kurs dem ‚Verweiblichungsprozess‘ der Radioaneignung eine zentrale, explizite
Begründungsfunktion für die Herausbildung bestimmter Gebrauchswertstandards
zukam. So lautete die Analyse für 1926:

„Die Radioapparatur war salonfähig geworden; hiermit mußte ein gewisser Wert auf das
Aussehen gelegt werden. Gleichzeitig war die Bedienung aus der Hand des Bastlers und
Kenners in die Hand der nicht sachverständigen Hausgenossen übergegangen. Die Dame des
Hauses hatte Wohlgefallen gefunden, verlangte daher eine einfache Handhabung und eine
Stationsauswahl, da beim Kaffeekränzchen doch nicht jeder oder jede Anwesende mit dem
gerade Gesandten einverstanden war. Dies auch nur dann, wenn man sich weiter dabei
unterhalten konnte, und hierzu war es unbedingt erforderlich, daß man Wert auf die Reinheit
des Tones legte. Daher steht die Reinheit des Tones an erster und die Möglichkeit der
Stationsauswahl an zweiter Stelle . . .“ (Funkillustrierte 1930)
416 M. Pater und U. C. Schmidt

Die akustischen und optischen Kriterien Aussehen und saubere Wiedergabe sollten
von nun an zu bleibenden Größen des Radiogebrauchs avancieren. Der mit dem
Radiogerät verbundene soziale Distinktionsmechanismus funktionierte nicht mehr
allein über technische Innovation, sondern auch über ästhetische Stimmungswerte
(Baudrillard 1991), die von nun an in der Konsument:innenansprache Frauen zu-
geordnet wurden.
Unter geschlechtergeschichtlichen Gesichtspunkten markiert dieser technische
Entwicklungssprung vom kopfhörerabhängigen Detektor zum Lautsprechergerät
für eine Alltagsgeschichte der Radioaneignung nachgerade ein epochales Ereignis.
Das Hören, zuvor immobil und monadisch, da an Kopfhörerverbindung zwischen
menschlichem Ohr und Apparat gebunden, verlor durch den Lautsprecher seinen
abgeschlossenen, herausgehobenen Ereignischarakter. Von nun an wurde es zu einer
Tätigkeit im Raum. Der Lautsprecher verwandelte die Radiosendung „in ein raum-
belegendes Etwas, das keinen Platz wegnimmt, das vielmehr simultan jeder Tätig-
keit und jedem Ambiente beigeordnet werden kann“ (Friemert 1993, S. 76–77). Erst
als zeitbegleitende Tätigkeit griff das Medium formativ in den Alltag ein, begann
Wahrnehmungsformen zu disponieren. Es erschloss eine neue Dimension des Hö-
rens, und es wurde für eine besondere Berufsgruppe attraktiv: die Hausfrauen.
Zugespitzter formuliert könnte man diesen umfassenden Differenzierungsprozess
hin zum Dabei-Medium auch als den der Verweiblichung der Radioaneignung
bezeichnen: Der Apparat verliert seinen für die Anfangszeit des Radios bestimmen-
den Charakter als technisches Spielzeug von Männern und wird zum Alltagsgegen-
stand von Frauen und Männern. Die Apparatur empfahl sich als Hausfreund, als
Begleiter durch den Tag.

3 Das Objekt Radio: „Wie sie ihn sieht“ – „Wie er ihn sieht“

Eine Massenbasis konnte dem Rundfunk nur erschlossen werden, wenn es gelang,
auch den Frauen und anderen ebenfalls als technisch nicht interessiert vorgestellten
Bevölkerungsschichten das Medium als Erweiterung ihrer Lebensqualität und Er-
füllung unausgesprochener Wünsche zu verkaufen. Dazu entwickelte die Werbung
geschlechtsspezifische Strategien der Ansprache. Gleichsam paradigmatisch zeigt
sich genderization in einem Prospekt, mit dem die Firma Telefunken 1933 aufwen-
dig für ihren Telefunken Wiking warb.
Die gegenüberliegenden Innenseiten des Telefunken-Faltblattes sind strikt ge-
schlechtsspezifisch gestaltet und sprechen von unterschiedlichen Blickweisen auf
das Gerät: „Wie sie ihn sieht“ – „Wie er ihn sieht“ (Telefunken 1933). Als gute
Gastgeberin sieht sie das Gerät von außen, sieht das Bakelitgehäuse, die geeichte
Normenskala und den dynamischen Lautsprecher, Produktcharakteristika, die einen
guten Klang, eine einfache Handhabung, ein ansprechendes Äußeres sowie pro-
blemlose Pflege anzeigen: „Elegant und stabil, in einem praktischen Gehäuse: ein
Radioapparat, auf den man stolz sein kann. Freunde und Gäste bewundern ihn,
lauschen seinem Klang und gestehen, noch nie etwas Schöneres gehört zu haben.“
(Telefunken 1933) Er hingegen sieht das Gerät von innen, sieht die Lichtnetz-
Radiogeschichte: Vergeschlechtlichung des frühen Rundfunks in Deutschland 417

Antenne, den Kurzwellenteil, die Sperrkreise, die Endröhre, den Luftkondensator. Er


sieht den „organischen und stabilen“ Aufbau einer technischen Apparatur. Hier wird
mit einer geschlechterbezogenen Zuweisung von Zuständigkeitsbereichen gearbei-
tet, um ein größtmögliches Publikum anzusprechen. Die Werbung bringt damit in
gestalterischer wie inhaltlicher Weise eine dualistische, polarisierte Geschlechter-
ordnung mit getrennten Normvorgaben und Bedürfnisökonomien erneut hervor und
wirkt auf sie zurück. Sie stattet darüber hinaus einen hochkomplexen technischen
wie gesellschaftlichen Differenzierungsprozess, wie den der Medienaneignung, mit
Bildern von Männern und Frauen aus, indem sie suggeriert, das Objekt der Begierde
sei für Männer und Frauen etwas Verschiedenes, und damit auch anzeigt, dass es für
Männer und Frauen etwas Verschiedenes sein soll. Das Objekt der Aneignung – das
Radiogerät – gestaltete sich in der historischen Praxis spätestens mit der Formierung
eines grundlegenden Gebrauchswertstandards für Frauen und für Männer allemal
komplexer, als es sich in einem dualistisch nach Geschlechtern aufgebauten Zuord-
nungssystem, in dem der einen, weiblich imaginierten Seite die Attribute des
Ästhetischen zugewiesen werden, und der anderen, männlich imaginierten, die des
Technischen, ausdrücken lässt. Als Ordnungsmuster einer Werbebotschaft – „Wie
sie ihn sieht“ – „Wie er ihn sieht“ – vorgeführt, mag dies stimmig erscheinen.
Plakativ wird so das größtmögliche Publikum in den Blick genommen, indem
durch die apriorisch Männern zugewiesene Technikkompetenz auch jene Männer
bestätigt werden, die sich technisch eher zu den „nicht sachverständigen Hausge-
nossen“ (Funkillustrierte 1930, S. 3) zählten. Dies gilt auch für die Seite der Frauen.
Diejenigen, die sich für technische Daten interessierten, konnten sich über die
‚Männerseite‘ informieren, hatten aber immer auch die normativen Vorgaben hin-
sichtlich Stimmung und Atmosphäre zu erfüllen.
Hier liegt die eigentliche Botschaft der Werbekonzeption: Ohne je die Männern
zugeschriebene Technikkompetenz in Frage zu stellen, ermöglicht sie auch eine
Ansprache der technisch unbedarften Zeitgenossen – zu denen sich 1935 in einer
Marktforschungsstudie immerhin rund vier Fünftel der Befragten beiderlei Ge-
schlechts und aller sozialen Schichten zählten (Hensel und Keßler 1935, S. 25).
Frauen wiederum blieben durch die strikte Polarisierung vom Bereich des Tech-
nischen ausgeschlossen und nur dem des Praktischen, Ästhetischen, der Distinktion
und des guten Geschmacks zugeordnet.
Es geht um die Vergabe von Zuständigkeiten und die Fixierung von Rollenre-
pertoires: auf der einen Seite Technikkompetenz, auf der anderen Obacht auf
Praktikabilität, Stimmungswerte, Distinktionspotenziale.

4 Die Konstruktion des Familienpublikums oder Erziehung


zum angemessenen Gebrauch: Krauses hören Radio

Als eine „Erfindung, die nicht bestellt“ war, musste sich das Radio sein Publikum
erst schaffen (Brecht 1992 [1930], S. 800). Erwartungshaltungen und Nutzungs-
formen des Mediums – heutzutage routinisiert und von klein auf erlernt – beruhen
auf alltäglichen Erfahrungen mit Medienangeboten (Schmidt und Weischenberg
418 M. Pater und U. C. Schmidt

1994, S. 212–219), wie sie in den 1920er- und 1930er-Jahren noch nicht – und schon
gar nicht massenhaft – zur Verfügung standen. Die Auswahl unter den Angeboten
sowie Ort, Dauer und Art des Hörens wurden deshalb im gesellschaftlichen Diskurs
verhandelt. Mit Blick auf ein Massenpublikum stellte die Hörerwerbung das Radio
als häuslichen Gesellschafter und Begleiter durch den Tag dar, der von der Welt
draußen erzählt: „Willst Du nicht mehr alleine sein, lad Dir die Welt in Dein Zuhause
ein“ (zit. n. Schröter 1973, S. 35). Das Zuhause mit der Hausfrau und Mutter als
Mittelpunkt wurde als Ort gemeinsamen Hörens und die Familie als Normalpubli-
kum konstruiert. Das Manuskript Krauses hören Radio (Blasius o. J.) gibt Einblick
in diese Zuordnungspraxis.1 Der Untertitel charakterisiert dieses Hörspiel als „Lai-
enpredigt“ und benennt damit seine Absicht, innerhalb der bevorzugten Hörforma-
tion – der Familie – einen rücksichtsvollen, vernünftigen Umgang mit dem Radio zu
empfehlen. Ausgangspunkt der Handlungsanleitungen sind alters- und geschlechts-
spezifische Vorlieben beim Radiohören, wie sie sich der Autor dieser Hörfolge
vorstellte und wie sie durch empirische Erhebungen der zeitgenössischen Rundfunk-
forschung bestätigt wurden (Eckert 1941).
Die Mitglieder der Familie Krause sind im Wohnzimmer um das Radio versam-
melt und nutzen jede sich bietende Gelegenheit, die Welle mit dem von ihnen jeweils
gewünschten Programm einzustellen. Während der jugendliche Sohn, Max, Sport-
übertragungen bevorzugt, hört die Tochter, Isolde, am liebsten „moderne Rhyth-
men“. Diese wiederum werden von ihrer Mutter, für die Musik Walzer oder Oper
bedeutet, als kultureller Untergang betrachtet. Tante Emilie hingegen favorisiert die
Kochrezepte des Frauenfunks; dem Vater dient das Radio als Geräuschkulisse, in der
der „Lärm“ seiner Familie untergeht. Nutzen würde er das Radio, wenn es Informa-
tionen aus dem Reichstag, also der politischen Sphäre, bringen würde. Schließlich
versöhnt der Bruder der Mutter, Onkel Oskar, die Interessengegensätze der Familie.
Er überzeugt sie davon, ein rücksichtsvolles Hörverhalten anzustreben. Die einzige,
die seine Belehrung rundweg ablehnt, ist die als rechthaberische „Schnatterbüchse“
gezeichnete Tante Emilie.
Über den Diskurs der sozialen Verortung des Radiohörens hinaus gibt das
Manuskript des Hörspiels einen Einblick darin, wie wiederkehrende Bestandteile
des Programms geschlechtsspezifisch kodiert worden sind.2 Denn jedem Programm-
angebot wird hier ein typischer Hörer bzw. eine typische Hörerin zugeordnet. In der
Zuordnung der Programmvorlieben als auch in der familialen Interaktion kommen

1
Das Hörspiel wurde vermutlich Ende der zwanziger Jahre ausgestrahlt. Denn das hier erwähnte
Gerät besitzt einen Lautsprecher und vier Röhren, was 1926 auf der Rundfunkausstellung als
Neuigkeit präsentiert worden war (Riedel 1994, S. 23). Außerdem wird im Text auf eine baldige
Reichstagswahl angespielt; Wahlen fanden 1928, 1930 und 1932 statt (Kolb 1993, S. 84, 121, 137).
2
Unterhaltungsangebote wie das hier betrachtete Hörspiel stellten einen Großteil des Programms
dar. Allerdings sind nur wenige Tondokumente oder Sendemanuskripte dieser alltäglichen Ange-
bote überliefert. Unter Einsatz von Geschlechtsmetaphern thematisieren mehrere frühe Beispiele
die sozialen Funktionen und möglichen Gebrauchsweisen des Radios, z. B. SDR Historisches
Archiv, Nr. 10995, Luftibus (1928); Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt, Nr. 84 U 2527/1,
humoristischer Werbesketch (ca. 1929).
Radiogeschichte: Vergeschlechtlichung des frühen Rundfunks in Deutschland 419

bürgerliche Vorstellungen von der Ordnung der Geschlechter zum Ausdruck. Dies
geschieht z. B., wenn der Vater das letzte Wort hat bei der Auswahl des Programms
(bis er wieder einschläft) oder die Angebote des Frauenfunks mit seiner „nervtötend“
dargestellten Schwester Emilie verknüpft werden – im Übrigen eine Strategie, das
einzige Angebot, das seine Zielgruppe vorrangig und explizit durch das Geschlecht
bestimmt, abzuwerten.

5 Familienpublikum und Zeitrhythmen

In die Definition von Aufgaben und Funktionen des Radios flossen gleichermaßen
normative Vorstellungen und persönliche Erfahrungen der Produzenten über ihr
Publikum, dessen Hörverhalten sowie erste Nutzungsanalysen ein (Hensel und
Keßler 1935). Zusammen beeinflussten sie die Gestaltung von einzelnen Sendungen
sowie des Gesamtprogramms. Im Rahmen dieses Programms wurde zwar ein all-
gemeines Familienpublikum angesprochen, aber je nach Tageszeit nahmen die
Produzenten nach Alter und Geschlecht unterschiedliche Gruppen in den Blick:
Medial vermittelt fand so eine sozial-räumliche Zeiteinteilung statt, die zu einer
weiteren Homogenisierung gesellschaftlicher Zeitrhythmen beitrug (Moores 1988,
S. 37). Zum Beispiel sollte die 1935 vom Deutschlandsender eingeführte tägliche
Sendung Guten Morgen, liebe Hörer! alle Hörenden mit „lustiger Musik“ und
„lustigen Worten (. . .) aus den Federn“ locken. Zur Begründung der anschließenden
Sendereihe Ständchen für die Hausfrau dienten Vorstellungen von geschlechtsspezi-
fischer Arbeitsteilung: „. . . nachdem Vater gestärkt durch frohe Musik und lustige
Witze das Haus verlassen hat, (wird) die Frau gern mit leichter Musik zu ihrer
Hausarbeit begleitet“ (o.V. 1935, S. 3). Der zeitlich fest strukturierte männliche
Normalarbeitstag wurde durch die Konzeption der Sendeplätze zu den Spitzennut-
zungszeiten – frühmorgens, mittags und am Vorabend – gestützt: In Werkspausen-
und Feierabendsendungen oder Reihen wie Allerlei von zwei bis drei sollten sich die
Berufstätigen durch leichte Unterhaltungsmusik, unterbrochen von wenigen Wort-
beiträgen, von der Arbeit erholen. Im Gegensatz zum „männlichen“ Radiohören, das
mit Freizeit und Privatheit assoziiert wurde, stand „weibliche“ Radionutzung im
Kontext einer unablässigen Haus- und Familienarbeit. Diese sollte vor allem vor-
mittags durch Musik erleichtert und durch Vorträge, z. B. über Kindererziehung,
bereichert werden. Gleichzeitig erweiterten nachmittags, wenn die gröbste Arbeit als
erledigt galt, Nachrichten oder Sendungen zu allgemeinen kulturellen Themen ihren
Horizont (Kuhlmann 1942, S. 7–8). Immer wieder wurde auf die Notwendigkeit
fester Sendeplätze und regelmäßiger Ausstrahlungen hingewiesen, die es den Frauen
ermöglichen sollten, ihren Tagesablauf nach dem Rundfunkprogramm auszurichten
(Kuhlmann 1942, S. 7; Peck 1933/34, S. 365). Das Eigeninteresse der Sender an
einer treuen Hörerinnenschaft wurde als Bedürfnis der Frauen nach regelmäßigen
Sendungen verkauft.
Sobald der männliche Berufstätige in der Wohnung vermutet wurde, brachten die
Sender ein integratives Familienprogramm, das allen Hörenden etwas bieten sollte.
Hierbei handelte es sich um bunte, heitere Sendereihen wie dem Blauen Montag des
420 M. Pater und U. C. Schmidt

Reichsenders Breslau oder dem Frohen Samstagnachmittag des Reichsenders Köln.


(Pater 1998, S. 193) Sie wurden über einen festen Sendeplatz, oft ersichtlich aus dem
Namen der Sendung, auf den Alltag der Hörenden bezogen und sollten so zu einem
alltäglichen Höhepunkt im Wochenablauf werden. Damit markierten sie die Zeit-
räume – Feierabend und Wochenende –, zu denen sich die Familie in der Freizeit des
Vaters am Lautsprecher wieder zusammenfand. Der Eingangstext einer der popu-
lärsten Sendereihen der dreißiger Jahre, Der Frohe Samstagnachmittag des Reichs-
enders Köln, lässt darüber hinaus erkennen, wie medial ausgewiesen und damit
sozial erlaubt nun auch der im Hause tätigen Frau so etwas wie Freizeit zugestanden
wurde. „Achtung! Achtung! . . ./Ist die Milch vom Herd?/ (. . .) Der Sonntagskuchen
aus dem Backofen?/ (. . .) Na, dann können wir ja anfangen! . . .“ (zit. n. Schröter
1973).3 Der normative Diskurs griff durchaus soziale Erfahrungen von Frauen und
Männern auf, wie beispielsweise die Monotonie des Hausfrauenalltags und die
Müdigkeit nach einem Arbeitstag. Doch diese Auswahl rückte nur Ausschnitte ins
Licht: Die diskursiv hergestellte imaginäre Einheit ‚Familienpublikum‘ figurierte als
eine im Interesse der Produzenten hergestellte Abstraktion mit dem Ziel, durch-
schnittliches Hörverhalten zu standardisieren. So wurden Repräsentationen der
Hörenden hergestellt, die wiederum Hörende im Sinne dieser Beschreibung pro-
duzierten (Warth 1996, S. 126). Mit dieser Überlegung, als kritische Gegenposition
im Kontext heutiger, kommerziellen Interessen verpflichteter Publikumsforschung
entwickelt, stößt man letztlich auf ein erkenntnistheoretisches Problem, das sich mit
Blick auf vergangene gesellschaftliche Formationen potenziert. Wieweit stellen
historische Studien zum Hörverhalten alltägliche Aneignungspraktiken und ge-
schlechtsspezifische Vorlieben dar? Wieweit reproduzieren auch sie einen normie-
renden Blick, der eigensinnige Aneignungsweisen des Radios ausgrenzt, der Über-
lieferung dadurch vorenthält und somit auch unsere Beschreibung vergangenen
Alltagslebens prädisponiert? Die dem Hörspiel Krauses hören Radio zugrunde
liegende Hörer:innenkonstruktion verarbeitete Ergebnisse seriöser zeitgenössischer
Rundfunkforschung, wie sie z. B. von Gerhard Eckert (1941) vorgelegt wurde und
die soziale, alters- und vor allem geschlechtsspezifische Unterschiede in den Hör-
vorlieben empirisch nachwies. Im Vergleich der Geschlechter zeigte die Studie einen
deutlichen „Unterschied zwischen dem Geschmack der männlichen und weiblichen
Hörer, der um so größer wird, je stärker der Altersunterschied mit hineinspielt“
(Eckert 1941, S. 203). Am augenfälligsten wurde dies am Verhältnis der männlichen
Hörer unter 20 Jahren und der Hörerinnen über 55 Jahren zu Sportsendungen, die
von den Männern geliebt wurden, bei den Frauen jedoch auf Unverständnis stießen.
In Bezug auf das gesamte Publikum interessierten sich Frauen im Gegensatz zu
Männern weniger für Zeitfunk; die höchste Zustimmung fanden bei allen die
„Bunten Stunden“ – ungeachtet des Alters, des Geschlechts bzw. des sozialen
Standes.

3
Für eine ausführliche Beschreibung der Sendung sowie ihrer Einbindung in die nationalsozialis-
tische Rundfunkpolitik und die Freizeitangebote der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ vgl.
Horn 1984.
Radiogeschichte: Vergeschlechtlichung des frühen Rundfunks in Deutschland 421

Auch als Ensemble gelesen ermöglichen die beiden Quellen – das Hörspiel als
Medientext und die empirische Hörer:innenforschung – keine ‚umfassende‘ Sicht
auf das individuelle Medienhandeln. Sie eröffnen allenfalls Einblicke in kollektive
Strukturen und gesellschaftliche Erwartungen. Der Verweischarakter der Texte bietet
jedoch einen vortrefflichen Beleg für das, was hier eingangs mit Luhmann als
zirkuläres Verhältnis von Medienmachen und Mediennutzung tituliert wurde. Darü-
ber hinaus bleibt zu fragen, ob hier der wissenschaftlich belegte Ursprung für das
immer wieder kolportierte Vorurteil liegt, das später von der feministischen Medien-
forschung dekonstruiert wurde (Klaus 2008), Frauen liebten seichte Unterhaltung
und Männer interessierten sich mehr für Politik als Frauen. Erklären lässt sich diese
Entwicklung geschlechtsspezifischer Rundfunkvorlieben mit unterschiedlichen all-
täglichen Nutzungsweisen des Mediums durch Frauen und Männer, mit seiner
Ablenkungsfunktion bei repetitiver, monotoner, nicht aufschiebbarer und niemals
endender Hausarbeit, die immer wieder Unterbrechungen im Hören sowie Konzen-
trationsverlagerungen nötig macht und deshalb nach „leichten“ Programmformaten
verlangt, in die man problemlos immer wieder einsteigen kann.

6 Fazit: Genderization in medialen Durchsetzungsprozessen

Die Beispiele zeigen, dass die gesellschaftliche Implementierung des Mediums


Rundfunk von einem komplexen Prozess der genderization strukturiert wurde.
Erst die Kulissenfunktion des zeitbegleitenden, ubiquitären Lautsprechergerätes
bereitete den Weg zum Massenmedium. Der eigentliche Durchbruch gelang jedoch
mit seiner Verankerung in der Bedürfnis- und Wahrnehmungsökonomie eines weib-
lichen Publikums. Die Werbung sprach dazu speziell Frauen in der ihnen zuge-
schriebenen Kompetenz für häusliche Stimmung und Atmosphäre an, während sie
Männer in einer vermeintlichen Technikkompetenz bestätigte. Sie organisierte damit
ihre Ansprache entlang vorherrschender Geschlechtervorstellungen, bestätigte sie
und richtete diese neu aus. Wie beim Kino (Rosenhaft 1996) imaginierten Kultur-
kritiker einerseits den mit dem Durchsetzungsprozess des Rundfunks verbundenen
gesellschaftlichen Verfall in Bildern des Weiblichen; auch die Auswüchse eines
grenzenlosen Radiokonsums wurden speziell Frauen angelastet. Auf der anderen
Seite setzte man sie ob ihres zivilisatorischen Einflusses auf Männer und Kinder als
Heilmittel gegen eben diesen Verfall ein. Sie sollten einen maßvollen, auswählenden
und planenden Umgang mit dem neuen Hausmedium lernen und sodann an ihre
Familie weitervermitteln.
Der Rundfunk trug mit seiner Programmgestaltung zur Strukturierung eines
innerhäuslichen Tagesverlaufs bei, differenzierte durch seine Markierung von Frei-
zeit und Arbeitszeit darüber hinaus auch soziale Zeitrhythmen. Die Bezeichnung des
Rundfunks in den 1950er-Jahren als „Hegemon der häuslichen Freizeit“ (Schildt
1993) ignoriert die Hierarchie der Geschlechterzuschreibung und verstärkt die
Trennung von Öffentlichkeit und Häuslichkeit/Privatheit. Aus dem Blick gerät
damit auch, dass Frauenarbeit als unbezahlte Hausarbeit keineswegs mit häuslicher
422 M. Pater und U. C. Schmidt

Freizeit gleichzusetzen ist und dass Frauen und ihre häusliche und familiäre Arbeit
dadurch zusätzlich zu der Unentgeltlichkeit noch einmal abgewertet werden.
Unter frauenzentriertem Blick galt der Rundfunk seit seiner Verstetigung struk-
turell als Dabeimedium, was das gezielte Einschalten und Auswählen nicht aus-
schloss. Spricht man vom Rundfunk als „Hegemon der häuslichen Freizeit“ (Schildt
1993) verkennt man diese in der Verknüpfung von Rundfunk als häuslichem Medi-
um und Haushalt als traditionell weiblichem Arbeitsbereich liegende Nutzungs-
weise. Es stellt sich die Frage, ob die in den Diskussionen um die Rolle des Rund-
funks als Dabei- oder Einschaltmedium immer wieder aufscheinende abwertende
Haltung gegenüber der Dabeifunktion nicht letztlich als eigentlich frauenfeindlich zu
interpretieren ist, da sie konsequent die alltäglichen Nutzungsinteressen – nicht nur –
eines weiblichen Publikums ignoriert.

Literatur
Badenoch, Alexander. 2007. Time consuming: Women’s radio and the reconstruction of national
narratives in Western Germany 1945–1948. German History 25(1): 46–71.
Baudrillard, Jean. 1991. Das System der Dinge. Frankfurt a. M.: Campus.
Bergerson, Andrew Stuart. 2001. Listening to the radio in Hildesheim, 1923–53. German Studies
Review 24(1): 83–113. https://doi.org/10.2307/1433157.
Birdsall, Carolyn. 2017. Divisions of labour: radio archiving as gendered work in wartime Britain
and Germany. In Gender and archiving. Past, present, future. Yearbook of Women’s History,
Bd. 37, Hrsg. Noortje Willems und Sylvia Holla, 107–133. Amsterdam/Hilversum: Verloren.
Blasius, Richard. o.J. Krauses hören Radio. Ein Hörspiel und eine Laienpredigt. Süddeutscher
Rundfunk (SDR), Historisches Archiv, Manuskripte Hörfunk-Unterhaltung, Nr. 11037, Stutt-
gart undatiert [Ende 1920er].
Braun, Annegret. 2005. Frauenalltag und Emanzipation. Der Frauenfunk des Bayerischen Rund-
funks in kulturwissenschaftlicher Perspektive (1945–1968). Münster: Waxmann.
Brecht, Bertold. 1992. Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. Rede über die Funktion des
Rundfunks. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Bd. 21, Schriften 1. Frank-
furt a. M.: Suhrkamp.
Clinefelter, Joan L. 2020. Can you spare 5 minutes? Cold war women’s radio on RIAS Berlin.
Resonance 1(3): 279–297. https://doi.org/10.1525/res.2020.1.3.279.
Dahl, Peter. 1978. Arbeitersender und Volksempfänger. Proletarische Radio-Bewegung und bür-
gerlicher Rundfunk bis 1945. Frankfurt a. M.: Syndikat.
Dahl, Peter. 1983. Radio. Sozialgeschichte des Rundfunks für Sender und Empfänger. Reinbek:
Rowohlt.
Dinghaus, Angela. 1999. Hersels Jungmächenstunde: Identifikationsangebote für junge Frauen? In
Radiozeiten. Herrschaft, Alltag, Gesellschaft (1924–1960), Hrsg. Inge Marßolek und Adelheid
von Saldern, 233–250. Potsdam: Verlag für Berlin-Brandenburg.
Dinghaus, Angela. 2002. Frauenfunk und Jungmädchenstunde. Ein Beitrag zur Programm-
geschichte des Weimarer Rundfunks. Dissertation. Universität Hannover, Hannover.
Dussel, Konrad. 2002. Hörfunk in Deutschland. Politik, Programm, Publikum (1923–1960).
Potsdam: Verl. für Berlin-Brandenburg.
Eckert, Gerhard. 1941. Der Rundfunk als Führungsmittel (Studien zum Weltrundfunk und Fernseh-
rundfunk, Bd. 1). Heidelberg/Berlin/Magdeburg: Vowinkel.
Elias, Norbert. 1970. Was ist Soziologie. München: Juventa.
Elias, Norbert. 1977. Zur Grundlegung einer Theorie sozialer Prozesse. Zeitschrift für Soziologie
6(2): 127–149.
Radiogeschichte: Vergeschlechtlichung des frühen Rundfunks in Deutschland 423

Falkenberg, Karin. 2005. Radiohören. Zu einer Bewusstseinsgeschichte 1933 bis 1950. Haßfurt/
Nürnberg: Hans Falkenberg/Institut für Alltagskultur.
Friemert, Chup. 1993. Radiowelten. Objektgeschichte und Hörformen. In Chiffren des Alltags.
Erkundungen zur Geschichte der industriellen Massenkultur, Hrsg. Wolfgang Ruppert, 61–104.
Marburg: Jonas.
Funkillustrierte. 1930. Wandlung der Publikumswünsche nach einer amerikanischen Statistik.
Funk-Illustrierte für Süddeutschland 5(32): 3.
Geiß, Ute. 1985. Die Geschichte der ersten Frauenfunkredaktion im Funkhaus Stuttgart
1946–1951. Radio Stuttgart und Süddeutscher Rundfunk. Unveröffentl. Magisterarbeit,
München.
Hassauer, Friederike. 1990. Grenzgänge. An den Rändern der Frauenforschung. Ein Gespräch mit
Friederike Hassauer. Die Philosophin 1(2): 58–76.
Hensel, Werner, und Erich Keßler. 1935. 1000 Hörer antworten . . . Eine Marktstudie. Berlin/
Stuttgart/Leipzig: Union Deutsche Verlagsgesellschaft.
Horn, Wolfgang. 1984. Der Reichssender Köln und der „Frohe Samstagnachmittag“. Ein Regional-
programm im Einheitsrundfunk. In Rundfunk in der Region. Probleme und Möglichkeiten der
Regionalität. Annalen des Westdeutschen Rundfunks, Bd. 6. Hrsg. Walter Forst, 187–204.
Köln: Kohlhammer.
Kinnebrock, Susanne. 2005. Frauen und Männer im Journalismus. Eine historische Betrachtung. In
Konkurrenz der Wirklichkeiten. Wilfried Scharf zum 60. Geburtstag, Hrsg. Martina Thiele,
101–132. Göttingen: Univ.-Verl.
Klaus, Elisabeth. 2008. Der Gegensatz von Information ist Desinformation, der Gegensatz von
Unterhaltung ist Langeweile. In Medien – Politik – Geschlecht. Feministische Befunde zur
politischen Kommunikationsforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, und Regina Köpl,
51–64. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Kolb, Eberhard. 1993. Die Weimarer Republik. Oldenbourg Grundriß der Geschichte, Bd. 16,
3. Aufl. München: Oldenbourg.
Kuhlmann, Herta. 1942. Die Frau und der Rundfunk unter besonderer Berücksichtigung des
Frauenfunks. Dissertation. Berlin.
Lacey, Kate. 1996. Feminine frequencies. Gender, German radio, and the public sphere,
1923–1945. Ann Arbor: University of Michigan Press.
Langmaack, Johanna. 2008. „Spiegel der Emanzipation“. Der Frauenfunk. In Die Geschichte des
Nordwestdeutschen Rundfunks, Hrsg. Hans-Ulrich Wagner, 196–206. Hamburg: Hoffmann und
Campe.
Leopoldi, Hermann, und Max Kuttner. 1925. Die schöne Adrienne hat eine Hochantenne . . .:
(Tschintarata-radio); Foxtrot, Musik von Hermann Leopoldi, Text von Max Kuttner, Wien [u. a.]:
Wiener Bohème-Verl., siehe Volksliedarchiv (o.J.). Die schöne Adrienne. https://www.volksliede
rarchiv.de/schlager/die-schoene-adrienne-hat-eine-hochantenne/. Zugegriffen am 16.04.2022.
Lerg, Winfried Β. 1980. Rundfunkpolitik in der Weimarer Republik. Rundfunk in Deutschland,
Bd. 1. München: Deutscher Taschenbuch.
Luhmann, Niklas. 1990. Die Wissenschaft der Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Martensen, Karin. 2018. Mit Frauen(stimmen) kann man keine guten Tonaufnahmen machen. Zur
Analyse eines Motivs aus der Geschichte der Aufnahmetechnik. In Das Geschlecht musika-
lischer Dinge. Jahrbuch Musik und Gender, Bd. 11, Hrsg. Rebecca Grotjahn, Sarah Schau-
berger, Johanna Imm, und Nina Jaeschke, 121–132. Hildesheim: Georg Olms.
Mäusli, Theo. 2000. Radiohören. Radio und Fernsehen in der Schweiz. In Geschichte der Schwei-
zerischen Rundspruchgesellschaft SRG bis 1958, Hrsg. Markus T. Drack, 195–224. Baden: hier
und jetzt.
Münkel, Daniela. 1998. Produktionssphäre. Personal und Programm im NS-Rundfunk. In Zuhören
und Gehörtwerden I. Radio im Nationalsozialismus. Zwischen Lenkung und Ablenkung, Hrsg.
Inge Marßolek und Adelheid von Saldern, 45–128. Tübingen: Ed. Diskord.
424 M. Pater und U. C. Schmidt

Moores, Shaun. 1988. „The box on the dresser“: memories of early radio and everyday life. Media,
Culture and Society 10:23–40.
o.V. 1935. Neue Formen unterhaltender Musik- und Wortsendungen. Mitteilungen Reichs-Rund-
funk-Gesellschaft 470:2–4.
Pater, Monika. 1998. Rundfunkangebote. In Zuhören und Gehörtwerden I. Radio im Nationalso-
zialismus. Zwischen Lenkung und Ablenkung, Hrsg. Inge Marßolek und Adelheid von Saldern,
129–241. Tübingen: Ed. Diskord.
Pater, Monika, und Uta C. Schmidt. 2007. „Vom Kellerloch bis hoch zur Mansard‘ ist alles drin
vernarrt.“ Zur Veralltäglichung des Radios im Deutschland der 1930er-Jahre. In MedienAlltag.
Domestizierungsprozesse alter und neuer Medien, Hrsg. Jutta Röser, 103–116. Wiesbaden: VS
Verlag f. Sozialwissenschaften.
Patka, Kiron. 2018. Männer, Mädchen, Mädels. Gegenderte Berufsrollen in der analogen Radio-
produktion. Navigationen – Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaften 18(2): 119–133.
Peck, Lisa. 1933/34. Frauenfunk in Deutschland und im Ausland. Rufer und Hörer 3(8): 359–366.
Riedel, Heide. 1987. 60 Jahre Radio. Von der Rarität zum Massenmedium, 2. Aufl. Berlin:
Dt. Rundfunk-Museum Berlin.
Riedel, Heide. 1994. 70 Jahre Funkausstellung. Politik – Wirtschaft – Programm. Berlin: Vistas.
Rosenhaft, Eve. 1996. Lesewut, Kinosucht, Radiotismus: Zur (geschlechter-)politischen Relevanz
neuer Massenmedien in den 1920er-Jahren. In Amerikanisierung. Traum und Alptraum im
Deutschland des 20. Jahrhunderts, Hrsg. Alf Lüdtke, Inge Marszolek, und Adelheid von
Saldern, 119–143. Stuttgart: Steiner.
Schaad, Nicole. 1999. Radio „das Ohr zur Welt“: Elisabeth Thommen und die Rollenleitbilder der
Frauenstunden, 1924 bis 1950. In Geschlecht hat Methode. Ansätze und Perspektiven in der
Frauen- und Geschlechtergeschichte: Beiträge der 9. Schweizerischen Historikerinnentagung
1998, Hrsg. Veronika Aegerter, 71–85. Zürich: Chronos.
Schildt, Axel. 1993. Hegemon der häuslichen Freizeit. Rundfunk in den 50er-Jahren. In Moderni-
sierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er-Jahre, Hrsg. Axel Schildt
und Arnold Sywottek, 458–476. Bonn: Dietz.
Schmidt, Siegfried J., und Siegfried Weischenberg. 1994. Mediengattungen, Berichterstattungs-
muster, Darstellungsformen. In Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kom-
munikationswissenschaft, Hrsg. Klaus Merten, Siegfried J. Schmidt, und Siegfried Weischen-
berg, 212–236. Opladen: VS Verlag.
Schmidt, Uta C. 1998a. Radioaneignung. In Zuhören und Gehörtwerden I. Radio im Nationalso-
zialismus. Zwischen Lenkung und Ablenkung, Hrsg. Inge Marßolek und Adelheid von Saldern,
243–360. Tübingen: Ed. Diskord.
Schmidt, Uta C. 1998b. Radioaneignung. In Zuhören und Gehörtwerden II. Radio in der DDR,
Hrsg. Inge Marßolek und Adelheid von Saldern, 259–367. Tübingen: Ed. Diskord.
Schröter, Heinz. 1973. Unterhaltung für Millionen. Vom Wunschkonzert zur Schlagerparade.
Düsseldorf: Econ.
Schüller, Elke, und Kerstin Wolff. 2001. ‚. . . daß auch wir Hausfrauen uns mehr mit Politik
beschäftigen sollten‘. Der Hausfrauenfunk als Instrument staatsbürgerlicher Bildung in der
Nachkriegszeit am Beispiel Frankfurts. Rundfunk und Geschichte 27(3/4): 167–172.
Senger-Schäfer, Kathrin. 1988. Frauenfunk als gesellschaftspolitisches Forum: Frauenfrage und
Frauenleitbild im Spiegel des Frankfurter Frauenfunks 1946–1949. Magisterarbeit. Universität
Mannheim, Mannheim.
Telefunken. 1933. Werbeanzeige, Bestand Rundfunkmuseum Berlin.
Tonn, Elke. 2001. Frauenfunk in der Nachkriegszeit. Analyse eines Zielgruppenprogramms des
NWDR. Magisterarbeit. Westfälische Wilhelms-Universität, Philosophische Fakultät, Münster.
Wagner, Hans-Ulrich, Jörg-Uwe Fischer, Gerlinde Frey-Vor, Jörg Hagenah, Christoph Hilgert, und
Erik Koenen. 2017. Historische Rezipient_innenforschung [Rubrik „Perspektiven“]. Medien-
wissenschaft 2:173–191.
Radiogeschichte: Vergeschlechtlichung des frühen Rundfunks in Deutschland 425

Warth, Eva-Maria. 1996. Rethinking Audiences. Theoretische und empirische Ansätze zur Film-
und Fernsehrezeption. Mitteilungen des Studienkreises Rundfunk und Geschichte 22(2/3):
119–128.
Weber, Jacqueline. 2009. Frauenfragen – Lebensfragen. Die Frauenstunden bei Schweizer Radio
DRS I 1954 bis 1978. Saarbrücken: VDM Verlag Dr. Müller.
Weber, Jacqueline. 2013. Männlichkeit aus dem Äther: Geschlechterkonstruktion in einer Unter-
haltungssendung für Männer von Schweizer Radio Beromünster, 1945–1948. Zürich: Chronos.
Wenk, Barbara. 2000. Haben sie auch in der Schweiz das Stimmrecht noch nicht – vor dem
Mikrophon haben sie die Stimme und das Recht: Frauen und Frauensendungen am Radio
Beromünster von 1931 bis 1949. Basel: Lizentiatsarbeit.
Historische TV-Forschung oder die
Nachhaltigkeit von Fernsehen und
Feminismus im 21. Jahrhundert

Monika Bernold

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428
2 Forschungsfelder und Perspektiven historischer TV-Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428
3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436

Zusammenfassung
Im Feld der historischen TV-Studies lassen sich gegenwärtig vier Forschungs-
tendenzen ausmachen, die die Nachhaltigkeit von Fernsehen und Feminismus im
21. Jahrhundert dokumentieren. Dazu gehören Untersuchungen von Geschichts-
darstellungen im Fernsehen und solche zu Transformationen der feministischen
Publikumsforschung. Weiters werden Arbeiten zu Postfeminismus, Reality-,
Quality- und Queer-TV nachgezeichnet. Aktuellste Studien signalisieren die
Relevanz von Nachhaltigkeit und Ökologie für queer-feministische Erkenntnis-
interessen und die Bedeutung von Material Studies und Production Studies für
die gegenwärtige historische TV-Forschung.

Schlüsselwörter
Fernsehen · TV-Forschung · Publikumsforschung · Geschichtsdarstellungen ·
Queer-Feminismus · Nachhaltigkeit

M. Bernold (*)
Universität Wien, Wien, Österreich
E-Mail: monika.bernold@univie.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 427
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_23
428 M. Bernold

1 Einleitung

Is Television Studies History? Der Titel eines Aufsatzes von Charlotte Brunsdon,
einer Pionierin der feministischen TV-Studies aus Großbritannien, verweist bereits
im Jahr 2008 auf ein Grundsatzproblem, das mit dem Forschungsgegenstand Fern-
sehen seit der Digitalisierung verbunden ist. (Brunsdon 2008) Forschungen zu
Fernsehen wurden spätestens seit der Jahrtausendwende insofern historisch, als
Fernsehen, wie es war, vor allem auch zur produktiven Zeit feministischer
TV-Studien zwischen den 1970er- und 1990er-Jahren, nicht mehr existiert. Das
zentral versendete TV-Programm einzelner Sender oder TV-Anstalten fungiert nicht
mehr als gemeinsame ‚Speisekarte‘ eines Massenpublikums. Das nationale, lineare
und analoge Fernsehen wird zunehmend von digitalen Video-Packages herausge-
fordert, die je nach Lebensstil und Vorliebe von den Nutzer_innen selbst individuell
zusammengestellt werden. Auch traditionelle Sendeanstalten teilen ihr Programm
zunehmend mit dem Publikum im Netz. Das Publikum transformiert sich offenbar in
kulturelle Produzent_innen der eigenen Rezeption. Unter den Bedingungen der
Verwandlung der Zuschauer_innen und TV-Konsument_innen in Prosumer wird
die Frage nach dem weiblichen Publikum, wie sie die historische feministische
TV-Forschung lange Zeit prägte, scheinbar obsolet.
Die feministisch orientierte historische TV-Forschung ist zumindest seit der
Jahrtausendwende mit der Verkündung des Endes des Fernsehens ebenso kon-
frontiert wie mit der Verkündung des Endes des Feminismus und des Endes des
Publikums.
Television after TV: Essays on a Medium in Transition hieß folgerichtig ein viel
rezipierter Band, der von Lynn Spigel und Jan Olssen 2004 herausgegeben worden
ist. Post-TV und Post-Feminismus wurden zu grundlegenden Rahmenerzählungen
für die historische TV-Forschung seit der Jahrtausendwende. Sie signalisieren den
Wandel der technologischen und kulturellen Form Fernsehen und die Veränderung
bzw. Ausdifferenzierung der internationalen Frauenbewegungen. Der wissenschaft-
liche Diskurs zum Fernsehen ist dabei immer noch stark von Forschungstraditionen
des angloamerikanischen Raums dominiert. Auch in einer globalisierten Medien-
kultur und Medienökonomie bestehen freilich nationale und auch regionale Aus-
prägungen von Fernsehen und Fernsehkonsum in ihrer Vielfalt und Widersprüch-
lichkeit weiter. Nationale TV-Traditionen wurden während der letzten Jahre
sicherlich auch in feministischer Perspektive wissenschaftlich bearbeitet, sind aber
an dieser Stelle nur schwer in einen gemeinsamen Blick zu bekommen (u. a. Powiers-
ka 2015; Winter 2021).

2 Forschungsfelder und Perspektiven historischer


TV-Forschung

Welche Forschungsfelder und Perspektiven sind in der angloamerikanischen und


deutsch-sprachigen historischen TV-Forschung seit der Jahrtausendwende nun
erkennbar? Dazu soll im Folgenden eine analytische Trennung vorgenommen wer-
Historische TV-Forschung oder die Nachhaltigkeit von Fernsehen und . . . 429

den, auch wenn die beschriebenen Forschungsperspektiven in vielfacher Weise


miteinander verbunden sind bzw. sich überschneiden. Es werden also vier Frageho-
rizonte skizziert, die die aktuellen Forschungen kennzeichnen und die sich teilweise
auch wesentlich von älteren Forschungsschwerpunkten unterscheiden. Einige Ver-
treter_innen und deren Zugangsweisen werden benannt:
1) Wie funktionieren Geschichtsdarstellungen und ihre geschlechtliche Kodie-
rung im Fernsehen? 2) Wie sind die Transformationen des Publikums bzw. der
Aneignungs-, Rezeptions- und Gebrauchsweisen des Fernsehens als Teil sich wan-
delnder Konzepte von Öffentlichkeit/Privatheit, Alltag, Arbeit und Familie in einer
zunehmend globalisierten Medienkultur zu verstehen und zu untersuchen? 3) Wie
gestaltet sich das komplexe Verhältnis von Sexualität und Fernsehen? Wie werden
Männlichkeit, Weiblichkeit, Queerness, Zweigeschlechtlichkeit, Hetero-, aber auch
Homonormativität in (nationalen) Programmgeschichten und Geschichten einzelner
Serien, Formate oder Genres repräsentiert und (de)konstruiert? 4) Inwiefern ist die
Geschichte der Technologie Fernsehen mit dem Wandel von gesellschaftlichen
Geschlechterordnungen und den Erfordernissen einer sozialen und ökologisch nach-
haltigen Transformation von Welt verknüpft?

2.1 Geschichtsdarstellungen im Fernsehen

Geschichtsdarstellungen waren schon seit der Frühgeschichte des Fernsehens in


den großen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ein wichtiger Bestandteil des
TV-Programms. Fernsehen etablierte sich in vielen Ländern Europas als Medium
der Aufklärung und Erziehung der Staatsbürger_innen. Gegenwärtig stehen die
öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten in vielen Ländern Europas unter politischem
Druck, zum einen wird ihnen Regierungs- und Staatsnähe nachgesagt, zum anderen
sind insbesondere rechte und populistische Akteur_innen an einer Kritik und teils
auch an der Demontage des demokratischen Sendeauftrags interessiert.
Vor diesem Hintergrund ist historische Perspektivierung gerade auch für femi-
nistische TV-Forschung interessant, weil in der Rekonstruktion erkennbar wird, wie
durch historische Bedingungen von Fernsehen und deren Veränderungen wesentli-
che Rahmenerzählungen für Geschlechter- und Machtverhältnisse definiert worden
sind. Fernsehen wurde in den Nachkriegsjahrzehnten des 20. Jahrhunderts zum
nationalen Geschichtslehrer der zunehmend prosperierenden Nachkriegsgesellschaf-
ten. Mit der Ausbreitung privater Fernsehanbieter in vielen europäischen Ländern in
den 1980er- und 1990er-Jahren wurde Geschichtsfernsehen zunehmend unterhalt-
samer gestaltet und etwa in Form von History Channels zur relativ kostengünstigen
Fernsehunterhaltung. Dokumentarische und fiktionale Formen der televisuellen Ge-
schichtserzählung haben sich während der letzten Jahrzehnte angenähert, konventi-
onalisiert und mit oftmals stereotypen Geschlechtercodes fusioniert. Für Deutsch-
land bieten die Forschungen von Judith Keilbach (2008) die erste grundlegende
Arbeit zu fernsehspezifischen Geschichtsdarstellungen, und Sabine Horn (2010) hat
mit Erinnerungsbilder. Auschwitz-Prozess und Majdanek-Prozess im westdeutschen
Fernsehen ebenfalls eine grundlegende Arbeit zur TV-Berichterstattung des bundes-
430 M. Bernold

deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehens über den Auschwitz-Prozess der


1960er-Jahre und den Majdanek-Prozess Mitte der 1970er und damit zu einer
Form televisueller Geschichtsdarstellung und Vermittlung vorgelegt. Im Majdanek-
Prozess, in dem Frauen als Täterinnen des NS-Regimes im Mittelpunkt des öffent-
lichen Interesses standen, konnten von Sabine Horn in der TV-Berichterstattung
geschlechtsspezifische Stereotypen in der Konstruktion von Täter_innen rekonstru-
iert werden. Für Österreich liegt mit Renée Winters (2014) Arbeit eine Grundlagen-
studie zu Repräsentationen des Nationalsozialismus im frühen österreichischen TV
vor, die geschlechterpolitische Fragestellungen und Repräsentationspolitiken durch-
gängig in ihre Analyse miteinbezieht.
Zum Geschichtsboom im Fernsehen Großbritanniens seit den späten 1990er-
Jahren haben Ann Gray (Cultural Studies) und Erin Bell (Geschichte) 2013 das
Buch History on television vorgelegt. Untersucht werden zum einen Formate und
Genres der Geschichtsrepräsentation, wie Reality History und Reenactment. Zum
anderen, und das unterscheidet sie von den Arbeiten im deutschsprachigen Raum,
werden mit differenzierten Interviewmethoden die Produktionskontexte und institu-
tionellen Bedingungen untersucht, in denen das aktuelle britische Geschichtsfern-
sehen entstanden ist. Insbesondere im Zusammenhang mit den Produktionsbedin-
gungen erweist sich Gender dabei als relevante Kategorie zum Verständnis von
Ausschlusspraxen und Hegemonieproduktion des Geschichtsfernsehens in Groß-
britannien, das, so der Befund des Buches, großteils an den Erwartungshaltungen
einer weißen, männlichen Mittelschicht orientiert ist (Bell und Gray 2010; Gray und
Bell 2013).

2.2 Das Publikum wird Geschichte

Aneignungs-, Rezeptions- und Gebrauchsweisen des frühen Fernsehens wurden


zumeist mit Fokus auf das ‚weibliche‘ Publikum und in Verbindung mit der Unter-
suchung von sich wandelnden Konzepten von Öffentlichkeit/Privatheit, Alltag,
Arbeit, Familie und ‚home‘ untersucht. Diskursanalytische und repräsentationskri-
tische Analysen sind nach wie vor eine wesentliche Variante feministischer For-
schungen zum Wandel von Publikum, Rezeption und Fernsehen im Alltag. Eine der
frühesten und wirkungsmächtigen Studien in diesem Zusammenhang war das Buch
der US-amerikanischen Medienwissensschafterin Lynn Spigel Make Room for TV
(1992), die die Ambivalenzen und Widersprüche der geschlechterpolitischen Dis-
kurse in Printmedien über den Einzug des Fernsehgeräts in die US-amerikanischen
Haushalte untersuchte. Spigel rekonstruiert Fernsehen als das Medium, das das
Private und Alltägliche der Nachkriegsjahrzehnte in den USA definierte und dessen
gesellschaftliche Wahrnehmung traditionelle Geschlechterrollen sowohl verstärkte
als auch herausforderte. Gegenderte Fantasien über die sich formierende Konsum-
welt der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden erst mittels und im Fernsehen
einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Monika Bernold untersuchte in ihrer
diskursanalytischen Studie Das Private Sehen (2007) den Zusammenhang der
Anfänge einer modernen Konsum- und Mediengesellschaft mit den Anforderungen
Historische TV-Forschung oder die Nachhaltigkeit von Fernsehen und . . . 431

einer nationalen und republikanischen Identitätskonstruktion nach 1955. Die erste


Familienserie des österreichischen Fernsehens ORF (Familie Leitner, 1959–1967)
wird dabei symptomatologisch in Hinblick auf fernsehspezifische Identifizierungs-
angebote befragt und im Kontext gegenderter konsumkultureller Modernisierungs-
versprechen interpretiert.
Die Dominanz von weiblich kodierten Genres und Formaten wie Familienserien,
Sitcoms oder Soaps hat in der feministischen Forschung zum weiblichen Publikum
eine lange Tradition. Dies gilt insbesondere für empirische Publikumsforschung auf
der Grundlage von Befragungen und Interviews. Bereits 1941 hatte Herta Herzog
mit einer Studie zum Rezeptionsverhalten von weiblichen Radio-Hörerinnen am
Beispiel der Daily Soaps in gewisser Weise den Grundstein für die feministische
Publikumsforschung gelegt (Klaus 2017). Im Kontext der Etablierung feministischer
Zugänge in der angloamerikanischen Sozialwissenschaft entstanden in den 1980er-
Jahren inzwischen klassisch gewordene Forschungen zum weiblichen TV-Publikum
großteils im theoretischen Umfeld der Cultural Studies und am Beispiel der Rezep-
tion weiblich kodierter Genres (u. a. Modleski 1982; Ang 1985). Ien Ang und Joke
Hermes reformulierten die Frage nach dem weiblichen Publikum mit dem kritischen
Verweis auf das prisonhouse of gender; eine differenziertere Sicht auf Geschlecht im
Rezeptionsprozess müsse gesellschaftliche Geschlechterdiskurse, Geschlechterposi-
tionierungen und individuelle Geschlechteridentifikationen berücksichtigen (Ang
und Hermes 1991). Die Notwendigkeit, andere Identitätskategorien in die Analyse
des Publikums mit einzubeziehen, also verschiedene Achsen der Differenz in die
methodische Arbeit einzubringen (Intersektionalität, Crenshaw 1991), veränderte
den Fokus feministischer Kommunikationswissenschaften im Blick auf das
TV-Publikum ebenso wie der Dekonstruktivismus Judith Butlers (Butler 1990)
und das Konzept des doing gender (West und Zimmermann 1987). Seit den frühen
1990er-Jahren wurden in der USA zahlreiche feministische Publikumsstudien ver-
öffentlicht, die die Differenz zwischen Frauen adressierten, afro-amerikanische
TV-Stars, coloured audiences und mehrfach minorisierte, weibliche Publika unter-
suchten (u. a. Press 1991; Brown 1994; Bobo 1995).
Spätestens Ende der 1990er-Jahre entstanden Forschungen zur TV-Rezeption von
Mainstream-Programmen durch queere und farbige Zuschauer_innen, die sich viel-
fach an José Esteban Muñoz‘ Konzept der Disidentifikation als taktischem Rezep-
tionsmodus orientierten (u. a. Muñoz 1999; Gross 2001). 2006 beschrieb Amanada
Lotz in Redesigning Women: Television after the Network Era die grundlegende,
historische Veränderung der TV-Rezeption in den USA als einen zunehmenden
Prozess der Segmentierung des Publikums. Die Serien Ally McBeal und Sex and
the City wurden von Lotz (2006) in Hinblick auf Konstruktionen neuer Weiblichkeit
untersucht und vermehrt auftauchende weibliche Detektivinnen und Ärztinnen im
Fernsehen des Milleniums im Kontext der Vorstellungen von Arbeit und deren
Veränderung thematisiert.
Feministische Publikumsforschung war lange Jahre konstitutiv für die feministi-
sche Medien- und Kommunikationswissenschaft, sowohl erkenntnistheoretisch als
auch forschungspraktisch. Seit der Jahrtausendwende haben sich Medienkonstella-
432 M. Bernold

tionen verändert und damit auch die dominanten feministischen Forschungspraxen


(u. a. Livingstone 2013).
So hat die Publikumsforschung innerhalb der feministischen Medienforschung
abgenommen, der Prozentsatz an Studien auf der Grundlage von Interviews hat sich
seit der Jahrtausendwende auffällig reduziert. Gleichzeitig ist eine Erweiterung an
Methoden der Publikumsforschung insbesondere im Internet zu konstatieren, die der
zunehmenden Verbindung von TV und Internet entspricht (u. a. Lotz und Ross 2004;
Hermes 2003, 2009, 2014; Parameswaran 2012). Post-feministisches Fernsehen und
Internet evozieren Fankulturen und ein Publikum, ‚das sich selbst vertextet‘, hat
Joke Hermes bereits 2004 diagnostiziert (Hermes 2003) Zentrale Impulse zur Wei-
terentwicklung der TV-Forschung und Methodik kamen vor diesem Hintergrund
insbesondere aus dem Umfeld der postkolonialen Kommunikationswissenschaften
(Parameswaran 2008). Konzepte wie Tele-Partizipation (Ross 2008, S. 3) oder auch
Transmedia Television (Evans 2012) thematisieren die Frage nach Gender oder
feministischer Methodologie demgegenüber nur mehr sehr am Rand.
Wie kann ein Alltag mit dem Fernsehen beschrieben werden, in dem wir nicht
mehr mit, sondern in Medien leben? (Deuze 2012) Die Herausforderung lautet, wie
kann eine queer-feministische Publikumsforschung für das 21. Jahrhundert ausse-
hen, wie ist, mit Parameswaran gesprochen, das ‚elusive audience‘ zu analysieren
(Parameswaran 2012)?

2.3 Postfeminist-, Reality-, Quality- und Queer-TV

Die oftmals kontroversiellen Debatten um den ‚Postfeminismus‘ in der Populärkul-


tur, dem seit den 1990er-Jahren einerseits Ermächtigung von Frauen und anderer-
seits neoliberale Effekte zugeschrieben wurden, haben sich auch nach zwanzig
Jahren in der (historischen) TV-Forschung noch nicht erschöpft (u. a. Gill 2016;
Haralovich und Press 2012; McRobbie 2004; Mosley und Read 2002). So verbindet
Rosalind Gill die Frage, was nach dem Postfeminismus kommt, mit der in der
feministischen Kommunikationswissenschaft zuletzt ebenfalls sehr virulenten Frage
nach der Repräsentation von Alter und Geschlecht im Fernsehen (u. a. Voglmayr
2008).
Die Pionierinnen der feministischen TV-Forschung kommen oder sind bereits
selbst im Alter der Pensionierung; Rezeptionspraxen im Alter, transgenerationale
TV-Forschung und Repräsentationen von Alter und Weiblichkeit geraten sicherlich
nicht nur, aber auch aus diesem Grund zunehmend in den Blick feministischer
Kommunikations- und Medienwissenschaft. Rosalind Gill etwa rekonstruiert die
Geschichte der televisuellen Repräsentation weiblichen Alters im US-ameri-
kanischen Fernsehen, für die The Golden Girls (1985–1992) der turning point der
Sichtbarwerdung am Bildschirm gewesen ist (Gill 2016). Für die Zeit ab den 1990er-
Jahren waren nach den Paradeformaten und Figuren des Postfeminismus wie Ally
McBeal und Sex and The City, später auch The L-Word, in den 2000er-Jahren Girls
mit Lena Dunhams, Vampirserien wie Buffy (u. a. Levine und Parks 2007; Braidt
2009; Ross 2008; Bölling 2011) und die Fantasy-Serie Xena (Helford 2000; Ross
Historische TV-Forschung oder die Nachhaltigkeit von Fernsehen und . . . 433

2008) jene Serien, die sowohl das Publikum als auch die feministische Kritik
besonders interessierten (u. a. Backman Rogers 2015). Die Frage nach Darstellung
von Männlichkeiten und Weiblichkeiten wurde dabei zunehmend mit Fragen nach
der Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit, Hetero- oder auch Homonormativität
in (nationalen) Programmgeschichten und Geschichten einzelner Serien, Formate
oder Genres verknüpft. Queere Episteme und lesbische Lebenszusammenhänge
haben einige kanonisierte Texte der feministischen TV-Studien der 1980er- und
1990er-Jahre mitgeprägt (u. a. Joyrich 1996; de Lauretis 1987). Im 21. Jahrhundert
entstehen mit der Etablierung von Queer Television Studies zahlreiche weitere luzide
Studien, die dem komplexen Verhältnis von Sexualität und Fernsehen gewidmet sind
(u. a. Helford 2000; Glyn und Needham 2008; Loist et al. 2013; Joyrich 2014;
Villarejo 2014; Hilton-Morrow und Battles 2015).
In dem 2009 erschienenen Sammelband Queer TV. Theories, Histories, Politics
etwa wurden insbesondere am Beispiel spezifischer Genres historische Repräsenta-
tionen von Lesbian und Gay Television in den USA und Großbritannien seit den
1960er-Jahren rekonstruiert (Glyn und Needham 2008). Die Darstellung von quee-
ren Figuren oder des Lebens und Alltags von LGBT-Communities werden historisch
rekonstruiert, aber auch kritisch in Hinblick auf Verwertungsinteressen von Diffe-
renz durch die Medienindustrie beleuchtet. Aktuelle Studien diskutieren postfemi-
nistische und queere Held_innen im Fernsehen nicht nur im Spannungsverhältnis
von Empowerment und neoliberaler Zurichtung, sondern verweisen in kritischen
Befunden auch auf die Gleichzeitigkeit von Postfeminismus und intensivierter
Misogynie, Rassismus, Sexismus und Frauenfeindlichkeit im Fernsehen (Myers
2013).
Reality-TV war das Format, das Fernsehen spätestens seit den 1990er-Jahren
prägte und veränderte. Die Kontextualisierung von Reality-TV mit gesellschaftspo-
litischen Veränderungen insbesondere in Hinblick auf Um- und Abbau des Sozial-
staats war dabei insbesondere aus feministischer Perspektive von Interesse (u. a.
Ouellette und Hay 2008; Negra und Tasker 2014).
Zum einen wurden Makeover-Shows aus der Perspektive postmoderner Körper-
politiken und in Hinblick auf gegenderte Optimierungslogiken des Selbst untersucht.
Reality-TV geriet als Regierungstechnologie im Sinne Foucaults in den Blick
(Bernold 2002; Maier 2007; Seier und Waiz 2014). Andererseits avancieren gegen-
wärtig die Affect Studies (u. a. Angerer 2017) zum wichtigen theoretischen Instru-
ment der Analyse. Im deutschsprachigen Raum untersuchen etwa Lünenborg oder
Hipfl transkulturelle, emotionale Repertoires an global distribuierten Unterhaltungs-
formaten des Reality-TV im Kontext von gesellschaftlichen Macht- und Ungleich-
heitsverhältnissen (Lünenborg et al. 2017; Hipfl 2014).
Feministische Ansätze in der Tradition der Cultural Studies haben gegenwärtig
schließlich eine spezifische Ausprägung von Reality-TV im Blick, in der es zuneh-
mend um Geld, Besitz und Immobilien geht. Gender and Property TV after the
Financial Crisis lautet 2017 der Titel eines Special Issues des Journal of Cultural
Studies, in dem mehrere Beiträge die gegenderten Dimensionen des Phänomens
‚Property TV‘ in Kanada, Großbritannien und den USA untersuchen, ein Format,
434 M. Bernold

das seit der Finanzkrise 2008 ständig expandiert und in dem an die Krise angepasste
Vorstellungen von Besitz, Eigentum und Haushalt verhandelt werden.
Die Herausbildung von Reality-TV Ende der 1990er-Jahre war mit einer zweiten
signifikanten Bewegung verbunden, die als Siegeszug von Quality-TV zu beschrei-
ben ist. Quality-TV ist sozusagen nicht Fernsehen, das Andere von Reality- und
Trash-TV. In den 1990er-Jahren wurde Quality-TV von Kritik und Publikum als
Rettung des Fernsehens, ja sogar des Kinos, als intelligent, progressiv und ideolo-
gisch nah an der Gesellschaftskritik gefeiert. Dies macht die Analyse von Jennifer
Clark (2014) so interessant, die eine Zeitverschiebung konstatiert, die wesentlich
zum Erfolg der Serien beitrage. Die Sopranos oder Mad Man würden epische
Geschichten und Modelle von Männlichkeit entwerfen, die in einer prae-femi-
nistischen Welt handeln, also der gegenwärtig vom Postfeminismus geprägten
Popularkultur eine Art Zeitmaschine entgegensetzen, die in einen Raum führt, in
dem die Effekte der Frauenbewegung noch nicht so deutlich zu spüren sind (Clark
2014). Stabilisierende Bilder und Narrationen von Männlichkeit trugen vielleicht
zum Erfolg von Quality-TV mit bei (Winter 2013; Voigt 2017). Die gesellschaftliche
Wahrnehmung und Wertschätzung dieser Serien jedenfalls verläuft auch gegenwär-
tig entlang gegenderter Konnotationen von high und low culture.

2.4 Technologie und Nachhaltigkeit, Production Studies und


Material Turn

Wie korreliert die Geschichte der Technologie und Institution Fernsehen mit dem
Wandel von gesellschaftlichen Geschlechterordnungen? Im Feld der Institutionen-
und Technikgeschichte haben sich einerseits während der letzten Jahre insbesondere
Arbeiten aus dem Bereich der Production Studies durchgesetzt (u. a. Born 2004;
Mayer et al. 2009). Georgina Born etwa hat die Geschichte der BBC insbesondere in
den 1990er-Jahren institutionengeschichtlich und aus kritisch-feministischer Per-
spektive aufgearbeitet. Helen Warner analysierte die Produktion der Fashion-Kultur
in Mad Man und Sex in the City am Beispiel der Figur der Styl_istin und hat damit
die Herstellung und Veränderung von populären Fashion Codes auch in professio-
nellen Kontexten als einen gegenderten, ethnisch- und klassenspezifischen Prozess
rekonstruiert (Warner 2014). Die Production Studies lenken die Aufmerksamkeit
wieder vermehrt auf die ökonomischen und institutionellen Bedingungen und
Grundlagen der Medienproduktion, die als, jedenfalls bis vor kurzem, vernachläs-
sigter Teil der feministischen Medien- und Kommunikationswissenschaft verstanden
werden.
Der Einzug konstruktivistischer Gendertheorien in die TV-Studies machte die
Analyse der vielschichtigen Vergeschlechtlichung von Technik am Beispiel des
TV-Geräts und dem Dispositiv Fernsehen als spezifischer Anordnung von Technik,
Subjekt und Bild in den 1990er-Jahren erst möglich (u. a. Gray 1992). Repräsenta-
tionskritische und dekonstruktivistisch orientierte Ansätze, aber auch ethnografische
Studien zum weiblichen Publikum und zu Fankulturen haben allerdings die Unter-
suchung der Produktionskontexte der jeweiligen Programme während der letzten
Historische TV-Forschung oder die Nachhaltigkeit von Fernsehen und . . . 435

Jahrzehnte teilweise aus dem Blick verloren. Interessant scheinen daher aktuelle
Versuche, Production Studies, Programmanalyse und Studien zu Gebrauch und
Rezeption spezifischer Programme zu verknüpfen (u. a. Warner 2014). Die technik-
basierte historische Verschiebung der fernsehspezifischen „liveness“ und des ‚flow‘
hin zu einer „real-time“ in datenbasierten Strukturen des digitalen Fernsehens
(Bennett 2008) wird nun auch in der historischen TV-Forschung in ihren Effekten
auf die Konstruktionen veränderten Alltags und veränderter Geschlechterverhältnis-
se seit der Jahrtausendwende verhandelt.
Andererseits hat sich aktuell im Kontext von Posthumanismus und Material
Studies eine Debatte um sustainable media etabliert (Starosielski und Walker
2016), in der es um den vielfältigen Zusammenhang von Umwelt und Medien geht.
Hier rücken Themen wie die Ausbeutung menschlicher und natürlicher Ressourcen
in der Produktion von Medientechnologien und deren Entsorgung (Elektromüll)
oder die Frage nach der zunehmenden Verankerung von Medien und Kommunika-
tionstechnologien in der Landschaft und im urbanen Raum in den Forschungsfokus.
Repräsentationen von Natur und Umwelt im Fernsehen oder die Nachhaltigkeitsbe-
richterstattung werden ebenso untersucht wie die Frage der Nachhaltigkeit am
Beispiel von wirtschaftlichem Handeln der Medienkonzerne selbst. Praktiken,
Medien-Objekte und Infrastrukturen des Medialen, die in die Umwelt eingreifen,
werden auch als Struktur befragt, in der Geschlechterverhältnisse verhandelt werden.
Lisa Parks hat in diesem Feld der historischen TV-Forschung wichtige Akzente
gesetzt. Sie untersuchte die Bedeutung der männlichen Figur des TV-Technikers, der
nach Hause kommt, um das TV-Gerät zu reparieren, für die Praxen und Ideologien
von weißen Frauen der Mittelschicht im suburbanen Amerika der 1950er-Jahre
(Parks 2002). Sie hat gezeigt, wie sehr die Satelliten-Technologien als zentrale
Ausstattung des Fernsehens seit den späten 1950er-Jahren vom militärischen Kom-
plex der USA geprägt und mitdefiniert worden sind und damit gegenderte Vorstel-
lungen von Raum, von Öffentlichkeit versus Privatheit mitetablierten (Parks 2005).

3 Fazit

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass weder Fernsehen noch Feminismus oder


historische TV-Forschung Geschichte sind, vielmehr haben Forschungsgegenstand
und Forschungsperspektiven sich zum Teil radikal verändert und ausdifferenziert.
Die Transformationen von Fernsehen, Feminismus und Publikum sind nachhal-
tig. Darüber hinaus ist eine wissenschaftshistorische Nachhaltigkeit feministischer
Medienforschung zu konstatieren. Die Aktivismen (z. B. Paper Tiger TV) und
Forschungen zum Fernsehen aus dem letzten Jahrhundert sind in aktuellen queer-
feministischen Studien zu Fernsehen und Medien, wie ich gezeigt habe, nachhaltig
wirksam. Historische Repräsentationen von Geschichte werden dabei sowohl im
dokumentarischen als auch im fiktionalen Bereich nach wie vor insbesondere in
national- und identitätsgeschichtlichen Perspektiven auf geschlechterpolitische
Dimensionen befragt. Queer TV rückt zunehmend auch in den Fokus historisch
orientierter Studien, insbesondere im angloamerikanischen Raum. Die Frage nach
436 M. Bernold

dem ‚weiblichen‘ oder dem ‚aktiven‘ Publikum wurde durch Fragen abgelöst, die
fluide und kontingente Identitätsformen und die zunehmende Konvergenz von
Fernsehen und Internet in den Blick nehmen. Überlegungen zur Erforschung von
Fankulturen im Netz ergänzen die seltener gewordenen ethnografischen Studien zum
TV-Publikum. Nach der Dominanz von Dekonstruktivismus und Konzepten des
doing gender seit den 1990er-Jahren erhielten aktuelle queer-feministische und
postkoloniale TV-Forschungen zur Geschichte des Fernsehens insbesondere von
den Material und den Production Studies wichtige Impulse. Angesichts einer glo-
balen Medienökonomie und ihren neoliberalen Logiken, die spätestens seit den
1990er-Jahren zunehmend expandiert, werden transnationale und transdisziplinäre
queer-feministische Forschungsperspektiven, die soziale, ökonomische und ökolo-
gische Rahmenbedingungen von Medienkulturen in den Blick nehmen, zukünftig
unabdingbar sein. Die Nachhaltigkeit von Feminismus als queer-feministische
Medienkritik, als Forschung und Aktivismus wird darin programmatisch.

Literatur
Ang, Ien. 1985. Watching Dallas: Soap opera and the melodramatic imagination. London:
Methuen.
Ang, Ien, und Joke Hermes. 1991. Gender and/in media consumption. In Mass media and society,
Hrsg. J. Curran und M. Gurevitch, 307–329. London: Edward Arnold.
Angerer, Marie Luise. 2017. Ecology of affect: Intensive milieus and contingent encounters.
Lüneburg: meson press.
Backman Rogers, Anna. 2015. Lena Dunham’s girls: Can do girls, feminist killjoys, and women
who make bad choices. In Feminisms: Diversity, difference and multiplicity in contemporary
film cultures, Hrsg. Laura Mulvey und Anna Backman Rogers, 44–54. Amsterdam: Amsterdam
University Press.
Bell, Erin, und Ann Gray, Hrsg. 2010. Televising history: Mediating the past in postwar Europe.
New York: Palgrave MacMillan.
Bennett, James. 2008. Television studies goes digital. Cinema Journal 47(3): 158–165.
Bernold, Monika. 2002. Tele-Authentifizierung: Fernsehfamilien, Geschlechterordnung und Rea-
lity TV. In Feministische Kommunikations- und Medienwissenschaft: Ansätze, Befunde und
Perspektiven der aktuellen Entwicklung, Hrsg. Johanna Dorer und Brigitte Geiger, 216–235.
Opladen: Westdeutscher Verlag.
Bernold, Monika. 2007. Das Private Sehen. Fernsehfamilie Leitner, mediale Konsumkultur und
nationale Identitätskonstruktion in Österreich nach 1955. Wien/Berlin: LIT Verlag.
Bernold, Monika. 2008. Nach dem Fernsehen. Fernsehgeschichte(n) im 21. Jahrhundert. Medien &
Zeit 23(1): 22–28.
Bleicher, Joan Kristin. 1992. Von der Musterfamilie zur Mietshausbesatzung. Zur Geschichte
deutscher Familienserien von 1950 bis 1990. In Wege zu Fernsehgeschichten. Einblicke in
Seriengeschichten und Ergebnisse einer Umfrage zu Serien. (= Arbeitshefte Bildschirmmedien
4), Hrsg. Irmela Schneider und Bernhard Zimmermann, 25–37. Siegen: Universität GH Siegen.
Bobo, Jacqueline. 1995. Black women as cultural readers. New York: Columbia University Press.
Bölling, Hannah. 2011. Der sympathische Vampir. Visualisierungen von Männlichkeiten in der
TV-Serie Buffy. Frankfurt a. M.: Campus.
Born, Georgina. 2004. Uncertain vision: Birt’s BBC and the erosion of creativity. London: Secker &
Warburg.
Historische TV-Forschung oder die Nachhaltigkeit von Fernsehen und . . . 437

Braidt, Andrea. 2009. ‚This is the way we live . . . and love‘ – Zur Konstruktion von Liebesver-
hältnissen in der seriellen Erzählung von The L Word. In Love me or leave me. Liebeskonstrukte
in der Populärkultur, Hrsg. Doris Guth und Heide Hammer, 89–106. Frankfurt: Campus.
Brown, Mary Ellen. 1994. Soap opera and women’s talk: The pleasure of resistance. Newbury
Park: Sage.
Brunsdon, Carlotte. 2008. Is television studies history? Cinema Journal 47(3): 127–137.
Butler, Judith. 1990. Gender trouble. Feminism and the subversion of identity. New York:
Routledge.
Clark, Jennifer. 2014. Postfeminist masculinity and the complex politics of time: Contemporary
quality television imagines a pre-feminist world. New Review of Film and Television Studies 12:
445–462.
Crenshaw, Kimberlé. 1991. Mapping the margins: Intersectionality, identity politics, and violence
against women of color. Stanford Law Review 43:1241–1299.
Lauretis, Teresa de. 1987. Technologies of gender. Essays on theory, film and fiction. Bloomington:
Indiana University Press.
Deuze, Mark. 2012. Media life. Cambridge, UK: Polity Press.
Diane, Negra. 2002. Re-made for television. Hedy Lamarr’s post war star textuality. In Small
screens, big ideas. Television in the 1950s, Hrsg. Janet Thumim, 105–118. London: Tauris.
Evans, Elizabeth. 2012. Transmedia television. Audiences, new media and daily life. New York:
Routledge.
Gill, Rosalind. 2016. Post-postfeminism? New feminist visibilities in postfeminist times. Feminist
Media Studies 16(4): 610–630.
Glyn, Davis, und Gary Needham, Hrsg. 2008. Queer TV. Theories, history, politics. New York:
Routledge.
Gray, Ann. 1992. Video playtime: The gendering of a leisure technology. London/New York:
Routledge.
Gray, Ann, und Erin Bell. 2013. History on television. New York: Routledge.
Gross, Larry. 2001. Up from invisibility: Lesbians, gay men and the media in America. New York:
Columbia University Press.
Haralovich, Mary Beth, und Andrea Press. 2012. New feminist television studies: Queries into
postfeminist television. The Communication Review 15(3): 163–166.
Helford, Elyce Rae, Hrsg. 2000. Feminism, queer studies, and the sexual politics of Xena: Warrior
Princess. In Fantasy girls: Gender in the new universe of science fiction and fantasy television,
135–162. Boston: Rowman and Littlefield Publishers.
Hermes, Joke. 2003. Ein Publikum, das sich selbst vertextet: Post-feministisches Fernsehen, seine
Fans, seine KritikerInnen und das Internet. In Screenwise. Film. Fernsehen. Feminismus, Hrsg.
Monika Bernold, Andrea Braidt und Claudia Preschl, 149–165. Marburg: Schüren.
Hermes, Joke. 2009. Audience studies 2.0: On the theory, politics and method of qualitative
audience research. Interactions 1(1): 111–127.
Hermes, Joke. 2014. Rediscovering twentieth-century feminist audience research. In The Routledge
companion to media and gender, Hrsg. Cynthia Carter, Linda Steiner, und Lisa McLaughlin,
61–70. London/New York: Routledge.
Herzog, Herta. 1941. On borrowed experience: An analysis of listening to daytime sketches. Studies
in Philosophy and Social Science 1:65–95.
Hilton-Morrow, Wendy, und Kathleen Battles. 2015. Sexual identities and the media: An introduc-
tion. New York: Routledge.
Hipfl, Brigitte. 2014. Tschuschen:Power – eine ermächtigende Fernsehserie? Diskurse und Affekte
– Interventionen und Inventionen. In Visuelle Medien. Klagenfurter Beiträge zur Visuellen
Kultur, Hrsg. Jörg Helbig, Aarno Rußegger, und Rainer Winter, 193–208. Köln: Halem.
Horn, Sabine. 2010. Erinnerungsbilder. Auschwitz-Prozess und Majdanek-Prozess im westdeut-
schen Fernsehen. Essen: Klartext.
Joyrich, Lynne. 1996. Re-viewing reception: Television, gender, and postmodern culture. Bloom-
ington: Indiana University Press.
438 M. Bernold

Joyrich, Lynne. 2014. Queer television studies: Currents, flows, and (main)streams. Cinema
Journal 53(2): 133–139.
Keilbach, Judith. 2008. Geschichtsbilder und Zeitzeugen: Zur Darstellung des Nationalsozialismus
im bundesdeutschen Fernsehen. Münster: LIT Verlag.
Klaus, Elisabeth. 2017. Herta Herzog: Begründerin einer Publikumsforschung zwischen Kritischer
Theorie und Uses and Gratifications Approach. Frankfurt a. M.: Cornelia Goethe Centrum.
Levine, Elane, und Lisa Parks, Hrsg. 2007. Undead TV: Essays on buffy the vampire slayer.
Durham: Duke University Press.
Livingstone, Sonia. 2013. Making sense of television: The psychology of audience interpretation.
London/New York: Routledge.
Loist, Skadi, Sigrid Kannengießer, und Joan Kristin Bleicher, Hrsg. 2013. Sexy Media? Gender/
Queertheoretische Analysen in den Medien- und Kommunikationswissenschaften. Bielefeld:
transcript.
Lotz, Amanda D. 2006. Redesigning women: Television after the network era. Urbana: University
of Illinois Press.
Lotz, Amanda D., und Sharon Marie Ross. 2004. Toward ethical cyberspace audience research:
Strategies for using the internet television audience studies. Journal of Broadcasting & Elec-
tronic Media 48(3): 501–512.
Lünenborg, Margreth, Tanja Maier, und Claudia Töpper. 2017. #4genderstudies: Affekt und
Geschlecht im Reality TV. http://affective-societies.de/2017/impulse/4genderstudies-affekt-
und-geschlecht-im-reality-tv/. Zugegriffen am 20.02.2019.
Maier, Tanja. 2007. Gender und Fernsehen. Perspektiven einer kritischen Medienwissenschaft.
Bielefeld: transcript.
Mann, Denise. 2009. It’s not TV, it’s brand managment TV: The collective author(s) of the lost
franchise. In Production studies: Cultural studies of media industries, Hrsg. Vicki Mayer,
Mirinda Banks, und John T. Caldwell, 99–115. London/New York: Routledge.
Mayer, Vicki, Miranda J. Banks, und John T. Caldwell, Hrsg. 2009. Production studies: Cultural
studies of media industries. London/New York: Routledge.
McRobbie, Angela. 2004. Postfeminism and popular culture. Feminist Media Studies 4(3):
255–264.
Modleski, Tania. 1982. Loving with a vengeance: Mass-produced fantasies for women. Hamden:
Archon Books.
Mosley, Rahel, und Janice Read. 2002. Having it Ally: Popular television and postfeminism.
Feminist Media Studies 2(2): 231–350.
Muñoz, José Esteban. 1999. Disidentifications: Queers of color and the performance of politics.
Minneapolis: University of Minnesota Press.
Myers, Kristen. 2013. Anti-feminist messages in American television programming for young girls.
Journal of Gender Studies 22(2): 192–205.
Negra, Diane, und Yvonne Tasker, Hrsg. 2014. Gendering the recession: Media and culture in the
age of austerity. Durham: Duke University Press.
Ouellette, Laurie, und James Hay. 2008. Better living through reality TV: Television and post-
welfare citizenship. Oxford/Malden: Blackwell.
Parameswaran, Radhika, 2008. Reading the visual, tracking the global: Postcolonial feminist
methodology and the chameleon codes of resistance. In Handbook of critical indigenous
methodologies, Hrsg. Norman Denzin, Yvonna Lincoln, und Linda Tuhiwai Smith, 407–428.
Thousand Oaks: CA. Sage Publications.
Parameswaran, Radhika, Hrsg. 2012. Studying the elusive audience: consumers, readers, users, and
viewers in a changing world. In The International encyclopedia of media studies. Volume IV:
Audience and interpretation, 13–36. Malden: Blackwell.
Parks, Lisa. 2002. Cracking open the set. Television repair and tinkerin with gender 1949–1955. In
Small screens, big ideas. Television in the 1950s, Hrsg. Janet Thumim, 105–116. London:
Tauris.
Historische TV-Forschung oder die Nachhaltigkeit von Fernsehen und . . . 439

Parks, Lisa. 2005. Cultures in orbit: Satellites and the televisual. London/Durham: Duke University
Press.
Powierska, Aleksandra. 2015. Women, television and new media – Engagement in the makeover
culture. Mediterranean Journal of Social Sciences 6(2): 2039–2112.
Press, Andrea L. 1991. Women watching television: Gender, class and generation in the American
television experience. Philadelphia: University of Pennsylvania Press.
Radway, Janice. 1984. Reading the romance. Chapel Hill: University of North Carolina Press.
Ross, Sharon Marie. 2008. Beyond the box. Television and the internet. Malden: Blackwell
Publishing.
Schneider, Irmela, Torsten Hahn, und Christina Bartz, Hrsg. 2003. Medienkultur der 60er-Jahre.
Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Seier, Andrea, und Thomas Waiz, Hrsg. 2014. Klassenproduktion. Fernsehen als Agentur des
Sozialen, Braunschweiger Schriften zur Medienkultur, Bd. 22. Münster: LIT Verlag.
Spigel, Lynn. 1992. Make room for TV: Television and the family ideal in postwar America.
Chicago: University of Chicago Press.
Spigel, Lynn, und Jan Ollsen, Hrsg. 2004. Television after TV: Essays on a medium in transition.
Durham: Duke University Press.
Starosielski, Nicole, und Janet Walker, Hrsg. 2016. Sustainable media. New York/London: Taylor
and Francis.
Thurmim, Janet, Hrsg. 2002. Small screens, big ideas. Television in the 1950s. London/New York:
Tauris.
Villarejo, Amy. 2014. Ethereal queer: Television, historicity, Desire. Durham: Duke University
Press.
Voigt, Anna. 2017. Inszenierte Formen von Männlichkeit in TV-Serien. Fürsorglichkeit und die
Stabilität von männlicher Herrschaft in Six Feet Under. Wiesbaden: Springer.
Voglmayr, Irmtraud. 2008. No wrinkles, no age? In Medien – Politik – Gender. Feministische
Befunde zur politischen Kommunikationsforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, und
Regina Köpl, 218–232. Wiesbaden: Springer.
Warner, Helen. 2014. Fashion on television: Identity and celebrity culture. London/New
Delhi/New York/Sydney: Bloomsbury.
West, Candice, und Don H. Zimmermann. 1987. Doing gender. Gender and Society 1(2): 125–151.
Winter, Renée. 2013. Wiederholung, Fortschritt und Rekonstruktion. Repräsentationen von Ge-
schlechterverhältnissen der 1960er-Jahre in Mad Men. In Geschlecht und Geschichte in
populären Medien, Hrsg. Elisabeth Cheauré, Sylvia Paletschek, und Nina Reusch, 233–245.
Bielefeld: transcript.
Winter, Renée. 2014. Geschichtspolitiken und Fernsehen. Repräsentationen des Nationalsozialis-
mus im frühen österreichischen TV (1955–1970). Bielefeld: transcript.
Winter, Renée. 2021. Fernsehen/Video. In Österreichische Zeitgeschichte – Zeitgeschichte in
Österreich. Eine Standortbestimmung in Zeiten des Umbruchs (= Böhlaus Zeitgeschichtliche
Bibliothek Bd.41), Hrsg. Marcus Gräser und Dirk Rupnow, 429–447. Wien/Köln: Böhlau.
https://doi.org/10.7767/9783205209980.429
Zobl, Elke, und Ricarda Drüeke, Hrsg. 2012. Feminist media: Participatory spaces, networks and
cultural citizenship. Bielefeld: transcript.
Geschichte im Fernsehen und Geschlecht

Renée Winter

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442
2 Geschichte in televisuellen Darstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442
3 Darstellungen von Nationalsozialismus und Holocaust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443
4 Fernsehserien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445
5 Reality TV, Living History und Reenactment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446
6 Institutionengeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447
7 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449

Zusammenfassung
Die feministische Forschung zu Geschichte im Fernsehen erfolgt in Geschichts-
wissenschaften, Kunstgeschichte, Kommunikationswissenschaften und Film-
und Medienwissenschaften. Diese Interdisziplinarität führt zu einer Vielfältigkeit,
aber auch Verstreutheit, so sind die Studien wenig systematisiert und beziehen
sich weniger aufeinander als auf angrenzende Forschungsgebiete, wie Geschlech-
tergeschichte, Geschlechterkonstruktionen in Geschichtsdarstellungen allgemein,
Genre und Geschlecht etc.
Einen Schwerpunkt der Forschung und gleichzeitig das Gebiet mit den diffe-
renziertesten Ergebnissen bildet die Analyse von Geschlechterkonstruktionen in
Repräsentationen von Nationalsozialismus und Holocaust. Mehrere Arbeiten
beschäftigen sich mit Fernsehserien mit historischem Inhalt sowie mit rezenteren
Elementen des Geschichtsfernsehens, wie Reenactment und Living History und
ihren Wechselwirkungen mit Geschlechterdarstellungen. Systematische feminis-
tische Analysen der institutionellen und strukturellen Bedingungen des Ge-
schichtsfernsehens stehen für den deutschsprachigen Raum noch aus.

R. Winter (*)
Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien, Wien, Österreich
E-Mail: renee.winter@univie.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 441
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_30
442 R. Winter

Schlüsselwörter
Fernsehen · Geschichte · Geschlecht · Geschichtsdokumentation · Reality TV

1 Einleitung

Obwohl die kommunikationswissenschaftliche Forschung zu Geschichte im Fernse-


hen in Bezug auf die Geschichte des Fernsehens selbst vergleichsweise bald ein-
setzte (Feil 1974) und heute ein umfassendes Forschungsgebiet darstellt, sind sys-
tematische geschlechterforschende Zugänge zum Thema bisher rar. Die zahlreichen
Publikationen zu Geschichtsdarstellungen im Fernsehen könnten wiederum selbst
ein Forschungsgebiet der Geschlechterforschung darstellen, um etwa zu analysieren,
wie bestimmte televisuelle Geschichtsdarstellungen mit weiblich konnotierten Gen-
res assoziiert werden, um sich von ihnen abzugrenzen: „Erst stimmen wo möglich
[sic] die Bilder nicht und dann wird gleichsam eine ‚soap‘ angerührt, zumindest in
den Doku-Fictions boulevardisiert, eben ‚light‘, oder über das Ganze eine ‚Pilcher-
Sauce‘ gegossen“ (Wirtz 2008, S. 15).
Das Feld zeichnet sich durch Heterogenität und Interdisziplinarität aus, Einzel-
darstellungen aus den Kommunikationswissenschaften, Film- und Medienwissen-
schaften und Geschichtswissenschaften überwiegen. Die Forschungsinteressen und
-erkenntnisse sind oft an den Schnittstellen zu weiteren Forschungsgebieten (wie
etwa Geschlecht in historischen Darstellungen allgemein, geschlechterkritische
Analysen der Institutionengeschichte des Fernsehens, Fernsehgenres und Geschlecht)
angesiedelt.

2 Geschichte in televisuellen Darstellungen

Feministische Zugänge zum Thema sind meist Analysen einzelner Sendeformate


oder Sendungen (z. B. Rippl 2004) oder fokussieren auf genreübergreifende Dar-
stellungen historischer Epochen oder Ereignisse. Ein Beispiel einer interdisziplinä-
ren Untersuchung der audiovisuellen Darstellung einer ganzen historischen Epoche
stellt der Sammelband „Ancient Worlds in Film and Television. Gender and Politics“
(Renger und Solomon 2013) dar. Die Publikation versammelt Beiträge einer 2009 an
der Freien Universität Berlin abgehaltenen Konferenz, die die Frage danach vereint,
welche Bilder von Körper, Sexualität, Geschlecht und Geschlechterverhältnissen in
Repräsentationen von Figuren, Mythen und Ereignissen des Altertums und der
Antike hergestellt werden. Einzelne Beiträge beschäftigen sich mit televisuellen
Darstellungen wie mit der Miniserie L’Odissea (RAI 1968) und der Funktion von
Gender für die filmische Narration (Pischel 2013), mit der Orientalisierung und
Feminisierung der Figur des Mark Anton in der Serie Rome (HBO, BBC, HBO
2005–2007) (Toscano 2013), mit der Konstruktion männlicher (Muskel-)Körper in
Fernsehproduktionen der 2000er-Jahre zu Spartakus (Späth und Tröhler 2013) und
Geschichte im Fernsehen und Geschlecht 443

mit dem lesbischen Subtext und devianten Geschlechterkonzepten in Xena: Warrior


Princess (Renaissance Pictures 1995–2001) (Zeiler 2013).

3 Darstellungen von Nationalsozialismus und Holocaust

Der am intensivsten untersuchte Zeitraum in der deutschsprachigen Debatte umfasst


die 1930er- und 1940er-Jahre und damit televisuelle Darstellungen des Holocaust,
des Zweiten Weltkriegs und des Nationalsozialismus. Dieser Fokus der Forschung
entspricht auch einer Schwerpunktsetzung der Geschichtssendungen im Fernsehen.
Insbesondere dokumentarische und teildokumentarische Formate beschäftigen sich
im deutschsprachigen Raum seit der Frühzeit des Fernsehens mit diesem Themen-
komplex.

„Television produces gender differentiated memories of National Socialism and also codifies
– as can be noted in reference to its relevance in the circulation of historical knowledge – a
corresponding gender difference in collective memory.“ (Keilbach 2007, S. 102)

Judith Keilbach (2008), die sich mit dem Geschichtsfernsehen zum Nationalso-
zialismus im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Deutschland beschäftigt hat, setzt
sich insbesondere auch mit der Frage von Geschlecht und Zeitzeug_innenschaft im
Fernsehen auseinander. Während in den 1980er-Jahren weibliche Zeitzeuginnen in
den Geschichtsdokumentationen um Nationalsozialismus mit Alltag, Emotionalität
und Affekt konnotiert waren und mithalfen, einen Opferstatus deutscher Frauen zu
behaupten, kam ihnen in den 2000er-Jahren die Funktion zu, die männlichen
Kriegsveteranen zu entlasten (Keilbach 2007, S. 104, 110).
Eine Privilegierung männlicher Zeugen und die Funktionalisierung der wenigen
weiblichen Zeuginnen als Vermittlerinnen und Übersetzerinnen konstatieren Mari-
anne Hirsch und Leo Spitzer in ihrer Analyse der Dokumentation Shoah (F 1985)
von Claude Lanzmann (Hirsch und Spitzer 1993). Während Frauen in den Erinne-
rungen der Zeitzeugen einerseits eine hilflose und passive Rolle einnehmen, werden
sie in manchen Erzählungen auch mit Gefahr und Tod assoziiert, wenn etwa
insbesondere Frauen mit kleinen Kindern mit unkontrollierbaren und folgenreichen
Panikreaktionen in Verbindung gebracht werden. Die Sprachlosigkeit der Zeuginnen
gehe einher mit der Dethematisierung subjektiver gegenderter Erfahrungen und einer
Repräsentation von Weiblichkeit in Shoah, die Hirsch und Spitzer wie folgt be-
schreiben: „the danger of women, their helplessness and passivity, their emotional
power, and their disembodied haunting presence“ (Hirsch und Spitzer 1993, S. 11).
Johanna Gehmacher analysiert die Konjunkturen der Faszination für Täterinnen
und insbesondere für Frauen der NS-Elite im Fernsehen der 1990er- und 2000er-
Jahre – wie die ZDF-Serie Hitlers Frauen und Marlene. Sie zeigt apologetische und
entlastende Funktionen der populären Fokussierung auf die „Ehefrauen und Gelieb-
ten der NS-Größen“ auf und konstatiert: „[N]icht die Abwesenheit von Frauen im
Bild des Nationalsozialismus, sondern die ubiquitäre Anwesenheit eines Klischees
444 R. Winter

ist [. . .] die Herausforderung für eine differenzierte Darstellung der NS-Gesell-


schaft“ (Gehmacher 2009, S. 50, 61).
Julie Maeck, die eine umfassende Untersuchung der Darstellung der Shoah im
öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Deutschland und Frankreich von 1960 bis 2006
vornimmt, geht allerdings trotz der Erwähnung eindeutig geschlechtsspezifischer
Sendungstitel (Hitlers Frauen, Drei Frauen aus Poddembice etc.) nicht näher auf die
Funktion von Geschlecht in diesen Repräsentationen ein. (Maeck 2009)
In der Studie „Geschichtspolitiken und Fernsehen“ zu Darstellungen des Natio-
nalsozialismus im frühen österreichischen Fernsehen der 1960er-Jahre (Winter
2014) werden Geschlechtercodierungen auf verschiedenen Ebenen untersucht. So
spielten Geschlechterbilder in Bezug auf die Nutzung des frühen Fernsehens eine
große Rolle: In zeitgenössischen Debatten über das Fernsehen wurden den Zu-
schauer_innen Manipulierbarkeit und Passivität zugeschrieben; die zugehörige
Figur eines verführten Zuschauer_innen-Subjekts war weiblich konnotiert und ten-
denziell infantilisiert. Auch die visuellen Repräsentationen des Nationalsozialismus
in den frühen Dokumentationen der 1960er-Jahre greifen auf solche feminisierte und
infantilisierte Darstellungen der österreichischen Bevölkerung zurück – eine audio-
visuelle Strategie der Viktimisierung, die der Selbstrepräsentation und offiziellen
Geschichtsschreibung im Nachkriegsösterreich entsprach.
Analytische Zugänge, die sich mit einzelnen Aspekten der Darstellung von
Nationalsozialismus und Holocaust befassen, sind oft genre- und medienübergrei-
fend und bearbeiten Figuren und Themen in Fotografie, Film, Fernsehen, bildender
Kunst, Presse und Literatur. So beschäftigt sich Hildegard Frübis (2009) mit der
Konstruktion der Figur der „Anne Frank“ im öffentlichen Gedächtnis. Durch ihre
Universalisierung und damit symbolische Funktion in Repräsentationen des Holo-
caust überdecke ihr „Porträt [. . .] die Fotografien der Leichenberge und die der fast
verhungerten Menschen, wie sie bei der Befreiung der Konzentrationslager aufge-
nommen und seit 1944 in der internationalen Presse veröffentlicht wurden.“ (Frübis
2009, S. 361) Barbie Zelizer (2001) und Ulrike Weckel (2005) beschäftigen sich mit
ebendiesen filmischen und fotografischen Aufnahmen der befreiten Konzentrations-
lager unter dem Blickwinkel ihrer geschlechtlichen Codierungen. Genderstereotype
Darstellungen dienten, so Weckel, zur Herstellung von Normalität in einer histori-
schen Situation, in der das bisher Vorstellbare in seinen Grundfesten erschüttert und
Kategorien der Normalität außer Kraft gesetzt wurden (Weckel 2005). Sven Kramer
(2003) zieht in seiner Analyse von Nacktheit in dokumentarischen und fiktionalen
Darstellungen des Holocaust eine Linie von den Befreiungsaufnahmen über ein-
flussreiche fiktionale Darstellungen wie der TV-Serie Holocaust (NBC 1978) oder
Schindler’s List (1993) hin zu der Verknüpfung mit Lust und Sexualität wie etwa in
den Sadiconazista-Filmen. Ebenfalls genreübergreifend diskutiert Silke Wenk
(2002) Pornografisierungen des Blicks auf NS-Verbrechen und analysiert diese als
Verfahren zur „Herstellung ‚maximaler Sichtbarkeit‘“ – und damit auch des Ver-
suchs einer Herstellung maximalen Wissens über den Nationalsozialismus. Diese
Verfahren perpetuieren dabei, so Wenk, Weiblichkeitsmetaphern, wie die von Kath-
rin Hoffmann-Curtius (1996) einflussreich als „Feminisierung des Faschismus“
beschriebene.
Geschichte im Fernsehen und Geschlecht 445

4 Fernsehserien

Mit der Wiederausstrahlung früherer Fernsehserien im Fernsehen, also der selbstre-


ferenziellen Ausstellung der eigenen Geschichte im Medium, beschäftigt sich ein
einflussreicher Artikel von Lynn Spigel (1995). Ausgehend von Diskussionen mit
Student_innen über Serien der 1950er-Jahre und über die in diese eingeschriebenen
Geschlechterverhältnisse argumentiert Spigel, dass die Wiederausstrahlung unter
anderem die Funktion hätte den Glauben an die Fortschrittlichkeit der Gegenwart
sowohl in Bezug auf das Medium Fernsehen selbst als auch in Bezug auf Ge-
schlechterverhältnisse zu stärken:

„Almost all students agreed that we are now living in an age of enlightenment where women
have more choices and more career opportunities. Within this construction of the present, the
past served as a comparative index by which people could measure their relative liberation.
In this regard, television reruns and nostalgia shows might well have served the purpose of
legitimation because they provide us with pictures of women whose lives were markedly less
free than our own.“ (Spigel 1995, S. 27)

Untersuchungen aktueller Serien mit historischem Inhalt beschränken sich häufig


auf die spezifische Analyse der darin hergestellten Geschlechterkonstruktionen und
formulieren selten darüber hinausgehende Thesen und Verknüpfungen (White 2001;
Bradley 2011; Kempner 2011). In einem umfassenderen Beitrag diskutierten
McCabe und Akass (2008) unter dem Titel „What has HBO ever done for women?“
das feministische Potenzial von HBO-Serien seit der Jahrtausendwende – darunter
auch die historische Serie Rome (2005–2007) – und kommen zu dem Schluss, dass
die Mehrzahl der auf HBO repräsentierten Charaktere zwar nicht unbedingt als
feministisch einzustufen seien, dass jedoch in der Darstellung komplexer und kon-
fliktbehafteter Weiblichkeitsentwürfe die Chance liege, Debatten über feministische
Themen anzustoßen.
Erwähnt sei auch die wachsende Literatur zur HBO-Serie Game of Thrones
(2011 ff.), die sich zwar nicht direkt mit einem historischen Stoff auseinandersetzt,
jedoch in ihrer fiktionalen Darstellung monarchistischer Gesellschaften, in der Re-
präsentation von Todesstrafe, Schlachten und Sklaverei mit Bildern und Vorstellun-
gen einer mittelalterlichen europäischen Vergangenheit operiert. Zentraler Bestand-
teil der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Game of Thrones sind auch
Analysen der in der Serie produzierten Geschlechterbilder, wie beispielsweise die
Darstellung von Kriegerinnen, Sexarbeiterinnen oder Mutterschaft (Gjelsvik und
Schubart 2016).
Die Serie Mad Men (AMC, 2007–2015) zog einige Aufmerksamkeit feministi-
scher Analysen auf sich, wohl auch weil historische Geschlechterverhältnisse eines
der hauptsächlich verhandelten Themen darstellen. In Sammelbänden wurden die
Frauenfiguren in ihren zeitgenössischen Kontexten verortet und diskutiert, so etwa
von Ashley Jihee Barkman oder Mary Beth Haralovich im Kontext der zweiten
Frauenbewegung (Barkman 2010; Haralovich 2011) und Kim Akass und Janet
McCabe im Kontext von Arbeitswelt und Berufsleben (Akass und McCabe 2011).
446 R. Winter

Mimi White weist auf die authentifizierende Funktion der die DVD-Edition beglei-
tenden Dokumentation Birth of an Independent Woman hin. Die Dokumentation
impliziere auch ein Eingeständnis, dass die historische Fiktion der Serie der Frage
nach der Geschichte von Frauen nicht gerecht werde (White 2011, S. 156). Sara
Rogers argumentiert, dass Mad Men autonome Frauenfiguren bereitstelle, die,
obwohl sie in der Vergangenheit angesiedelt sind, die Zuschauer_innen in ihrer
Alltagswelt ansprechen (Rogers 2011). Renée Winter wiederum beschreibt die
Funktionen der Bezüge auf historische Geschlechterverhältnisse in der Serie Mad
Men als 1) Wiederholung sexistischer, rassistischer, homophober und antisemiti-
scher Machtverhältnisse, 2) als Möglichkeit, den Fortschritt der Gegenwart zu
behaupten, und 3) als Reformulierung und Rekonstruktion weißer Männlichkeits-
konzepte, die neue und weniger gewaltvolle Praktiken ausloten, ohne mit der mit
weißer Männlichkeit verbundenen Machtposition brechen zu müssen. (Winter
2013).
In gewisser Weise erzeugen demnach manche Serien mit historischem Inhalt, wie
etwa Mad Men, ein ähnliches Verhältnis zur Vergangenheit, wie es Lynn Spigel in
Bezug auf die Wiederausstrahlung älterer Serien beschrieben hat: Neben einer
nostalgischen Funktion bieten die Geschichtsdarstellungen eine Perspektive, die es
erlaubt, sich selbst und die Gegenwart als aufgeklärt, als fortschrittlich und als
gleichberechtigt(er) zu erleben.

5 Reality TV, Living History und Reenactment

Hollis Griffin analysiert, auf welche unterschiedlichen Weisen der US-ameri-


kanische Musiksender VH1 Bezüge zur Heavy-Metal-Musikkultur der 1980er-Jahre
herstellt. Während die wiederausgestrahlten Musikvideos von hypersexualisierten
maskulinen Performances dominiert sind, stellen Reality-Formate wie Rock of Love
(2007–2009) und Online-Foren Möglichkeiten anderer Lesarten und Aneignungen
von Geschlechterbildern für weibliche Zuschauerinnen bereit und ermöglichen einen
Gegendiskurs zu Objektivierung und Mysogynie (Griffin 2014).
In einer Untersuchung des Fernsehens in Großbritannien beobachten Gray und
Bell (2013), dass in Reenactment- und Living-History-Formaten (ersteres bezeichnet
die Reinszenierung historischer Ereignisse, während sich Living History vorwiegend
auf das Inszenieren und Erlebbarmachen historischer Alltagswelten bezieht) den
Erfahrungen und historischen Lebenswelten von Frauen vergleichsweise mehr Auf-
merksamkeit als in etablierten dokumentarischen Geschichtsformaten – wie den mit
Voice-over hinterlegten Kompilationsfilmen – zukommt. Im Zuge der Mini-Serie
Edwardian Country House (Channel 4, 2002), in der das Leben in einem schotti-
schen Landhaus Anfang des 20. Jahrhunderts nachgestellt wurde, werden beispiels-
weise Erfahrungen physischer oder sexueller Gewalt in Gesprächen der reenacten-
den Darstellerinnen von Hausangestellten mit ehemaligen realen Hausangestellten
thematisiert (Gray und Bell 2013, S. 139).
Im deutschsprachigen Raum wurden die dem Genre entsprechenden Sendungen
des deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehens wie Schwarzwaldhaus 1902 (2002),
Geschichte im Fernsehen und Geschlecht 447

Abenteuer 1900 – Leben im Gutshaus (2004), Windstärke 8: Das Auswandererschiff


(2005), Abenteuer Mittelalter – Leben im 15. Jahrhundert (2005), Abenteuer 1927 –
Sommerfrische (2005), Die Bräuteschule 1958 (2006), Steinzeit – Das Experiment –
Leben wie vor 5000 Jahren (SWR 2006) in Hinblick auf ihr Verhältnis zum
Dokumentarischen analysiert (Jung 2017) bzw. als Ausdruck eines affective turn
in der Geschichte interpretiert (Agnew 2007). Bisher existieren kaum geschlechter-
kritische Analysen dieser Formate. Neben Christine Rinnes (2008) Untersuchung
konkurrierender Weiblichkeitsdarstellungen in Abenteuer 1900 stellt eine weitere
Ausnahme Christa Kleins Analyse der Sendung Die Bräuteschule 1958 dar. Klein
diskutiert die Möglichkeiten von Living-History-Formaten, die „Wandelbarkeit
sozialer Realitäts- und Identitätsentwürfe bewusst“ zu machen: „Wenn deutlich wird,
dass soziale Realität in der Vergangenheit anders konstruiert wird als in der Gegen-
wart, rücken auch der kontingente Charakter, die Historizität und Performativität
sozialer Wirklichkeit in den Blick“ (Klein 2010, S. 136). Diese Idee der Nicht-
Determiniertheit und der historischen Veränderbarkeit des Sozialen gelte insbeson-
dere auch für Geschlechterbilder und -zuschreibungen. Ihr Fazit anhand einer
Untersuchung der Rezeption der Sendung in der Presse ist allerdings, dass es zwar
für das Publikum deutlich werde, „dass es sich bei der Darstellung von Vergangen-
heit um eine Form der Travestie, der (drag-)performance handelt. Andererseits führt
dies nicht zu der Reflexion, dass gegenwärtige Geschlechtsidentitätsentwürfe eben-
solche habitualisierte, historisch und kontextuell situierte Performances darstellen;
Geschlechtsidentitätskonzepte also damals wie heute kontingent und wandelbar
sind“ (Klein 2010, S. 140). Die Möglichkeit dieser Reflexion würde nämlich, so
Klein, durch nostalgische Rückbezüge sowie „das Lob einer fortschrittlichen Gegen-
wart“ in den Hintergrund gerückt (Klein 2010, S. 141). Von diesem Befund Kleins
lassen sich direkte Verbindungen zu den Erkenntnissen der feministischen Analyse
historischer Fernsehserien (siehe oben) herstellen.

6 Institutionengeschichte

Ann Gray und Erin Bell konstatieren für das britische Fernsehen eine generelle
Marginalisierung von Frauen als Produzentinnen, Sprecherinnen und Expertinnen
von und in Geschichtssendungen. Geschichtserzähler der Nation sind auch nach der
Jahrtausendwende vor allem männlich und weiß (Gray und Bell 2013, S. 53). Die
Präferenz für männliche Stimmen drückt sich auch in der Auswahl des Geschlechts
der Voice-over-Sprecher_innen von historischen Formaten aus (Bell 2008, S. 4).
Gray und Bell zeigen außerdem, wie sich sexistische Strukturen mit rassistischen
und homophoben sowie solchen der Altersdiskriminierung verbinden, wenn etwa
die raren Auftritte von Moderatorinnen, Schwarzen Expertinnen oder Historikerin-
nen in der Presse abfällig kommentiert werden (Gray und Bell 2013, S. 55–58).
Insbesondere in als repräsentativ angesehenen Sendungen sind selten Schwarze
Britinnen oder Frauen zu sehen, die nicht Teil der gesellschaftlichen Elite der
dargestellten Epoche sind. Diese Marginalisierung steht auch in Zusammenhang
448 R. Winter

mit von den Fernsehanstalten vermuteten Seh-Präferenzen des Publikums, die Gray
und Bell jedoch in Frage stellen (Gray und Bell 2013, S. 216).
Obwohl es für den deutschsprachigen Raum keine vergleichbaren systematischen
Untersuchungen zu den institutionellen Hintergründen der Geschichtsproduktion im
Fernsehen gibt, ist aufgrund von bisherigen punktuellen Untersuchungen von teil-
weise ähnlichen Ergebnissen auszugehen. Insbesondere das Geschichtsfernsehen
des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Deutschland und Österreich war bzw. ist
jahrzehntelang mit Figuren prominenter weißer männlicher Geschichtenerzähler –
Guido Knopp bzw. Hugo Portisch – und einer „paternalistisch kodierte[n] Vor-
stellung von Politik“ (Bernold 2007, S. 149) verbunden.

7 Fazit

Zusammenfassend sind auf institutioneller Ebene Untersuchungen der Repräsenta-


tion nach wie vor vorherrschend. Auf der Ebene der Analyse der audiovisuellen
Produktionen stehen in rezenten Forschungen Fragen nach den Funktionen
geschlechtlicher Codierungen, nach den Konstruktionen von Geschlecht und den
Interaktionen mit anderen Kategorien und Machtverhältnissen im Vordergrund.
Während diese intersektionalen Analysen durchaus noch ausgebaut werden könnten
– wobei Geschlechterkonstruktionen als durchwegs untrennbar verknüpft mit Ras-
sisierungen, Dis/ability, Sexualität, Alter, Klasse und anderen wirkungsvollen Kate-
gorisierungen verstanden werden –, stehen systematische und umfassendere
feministische Betrachtungen noch aus. Die feministische Literatur zu Geschichts-
produktionen und -darstellungen im Fernsehen ist vielfältig, interdisziplinär und
gerade dadurch auch verstreut und wenig systematisiert. Die vereinzelten Analysen
und Studien beziehen sich auf Forschungsgebiete der Visual History, der Film- und
Fernsehwissenschaften, der Kunstgeschichte oder der Geschichtswissenschaften.
Gründe für die auffällige Fragmentierung und Lückenhaftigkeit des Forschungsge-
bietes sind unter anderem in den strukturellen Bedingungen der Disziplinen zu
finden. Die Historikerin Monika Bernold konstatiert in ihrer Analyse des For-
schungsfeldes ‚Medien, Geschichte und Geschlecht‘ erstens eine Ausblendung des
„Fernsehen[s] als Untersuchungsgegenstand und Material historischer Studien“ und
eine Privilegierung der Medien Fotografie (und Film) im Forschungsfeld Visual
History und zweitens eine „anhaltende Zurückhaltung der Frauen- und Geschlech-
tergeschichte gegenüber dem Visuellen und den Medien“ (Bernold 2012, S. 6, 69).
Diese Zurückhaltung sei laut Bernold (2012, S. 70) aus der „langen Tradition der
Abwertung des Visuellen innerhalb der Geschichtswissenschaft“ zu verstehen.
Eine systematische feministische und medientheoretische Analyse von „Ge-
schichte im Fernsehen“ wäre intersektional und auch an den ästhetischen und
strukturellen Grundlagen des Fernsehens interessiert. Damit stünden nicht nur die
audiovisuellen Produktionen und Geschichtsdarstellungen selbst im Analysefokus,
sondern es würde auch das in verschiedenen Formaten einerseits und durch die
Funktionen und Anordnungen des Mediums Fernsehen andererseits hervorgebrachte
Verhältnis zur Geschichte im Fokus der Forschung stehen.
Geschichte im Fernsehen und Geschlecht 449

Literatur
Agnew, Vanessa. 2007. History’s affective turn: Historical reenactment and its work in the present.
Rethinking History 11(3): 299–312.
Akass, Kim, und Janet McCabe. 2011. The best of everything: The limits of being a working girl in
Mad Men. In Mad Men. Dream come true TV, Hrsg. Gary Edgerton, 177–192. London/New York:
I.B. Tauris.
Barkman, Ashley Jihee. 2010. Mad women: Aristotle, second-wave feminism, and the women of
Mad Men. In Mad Men and philosophy. Nothing is as it seems, Hrsg. Rod Carveth und James
B. South, 203–216. Hoboken: Wiley.
Bell, Erin. 2008. „No one wants to be lectured at by a woman“. Women and history on TV. Women’s
History Magazine 59:4–11.
Bernold, Monika. 2007. Geschichtsproduktion und mediale Selbstreflexivität im Fernsehen. In
Filmische Gedächtnisse. Geschichte – Archiv – Riss, Hrsg. Frank Stern, Julia B. Köhne, Karin
Moser, Thomas Ballhausen, und Barbara Eichinger, 136–154. Wien: Mandelbaum.
Bernold, Monika. 2012. Medien- und Geschlechterdiskurse im 20. und 21. Jahrhundert. Kultur-
wissenschaftliche und zeithistorische Studien. Wien: Habilitationsschrift.
Bradley, Desi. 2011. Hostile tolerance: Gendered mythologies and the performance of identity in
the United States of Tara. In Americanization of history. Conflation of time and culture in film
and television, Hrsg. Kathleen McDonald, 153–167. Newcastle upon Tyne: Cambridge Scho-
lars.
Feil, Georg. 1974. Zeitgeschichte im Deutschen Fernsehen. Analyse von Fernsehsendungen mit
historischen Themen (1957–1967). Osnabrück: Verlag A. Fromm.
Frübis, Hildegard. 2009. What happened after end of Anne Frank’s diary? In Nationalsozialismus
und Geschlecht. Zur Politisierung und Ästhetisierung von Körper, „Rasse“ und Sexualität im
„Dritten Reich“ und nach 1945, Hrsg. Elke Frietsch und Christina Herkommer, 353–370.
Bielefeld: transcript.
Gehmacher, Johanna. 2009. Im Umfeld der Macht. Populäre Perspektiven auf Frauen der NS-Elite.
In Nationalsozialismus und Geschlecht. Zur Politisierung und Ästhetisierung von Körper,
„Rasse“ und Sexualität im „Dritten Reich“ und nach 1945, Hrsg. Elke Frietsch und Christina
Herkommer, 49–69. Bielefeld: transcript.
Gjelsvik, Anne, und Rikke Schubart. 2016. Women of ice and fire. Gender, Game of Thrones and
multiple media. New York/London: Bloomsbury Academic.
Gray, Ann, und Erin Bell. 2013. History on television. London/New York: Routledge.
Griffin, Hollis. 2014. Hair metal redux: Gendering nostalgia and revising history on VH1. Journal
of Popular Film and Television 42(2): 71–80.
Haralovich, Mary Beth. 2011. Women on the verge of the second wave. In Mad Men. Dream come
true TV, Hrsg. Gary Edgerton, 159–176. London/New York: I.B. Tauris.
Hirsch, Marianne, und Leo Spitzer. 1993. Gendered translations: Claude Lanzmann’s Shoah. In
Gendering war talk, Hrsg. Miriam Cooke und Angela Woollacott, 3–19. Princeton: Princeton
University Press.
Hoffmann-Curtius, Kathrin. 1996. Feminisierung des Faschismus. In Die Nacht hat zwölf Stunden,
dann kommt schon der Tag. Antifaschismus, Geschichte und Neubewertung, Hrsg. Claudia
Keller, literaturWERKstatt berlin, 45–69. Berlin: Aufbau-Taschenbuch-Verlag.
Jung, Matthias. 2017. Fernsehdispositiv und dokumentarischer Anspruch. Das Fallbeispiel der
SWR-Produktion Steinzeit – Das Experiment. In Medienkulturen des Dokumentarischen, Hrsg.
Carsten Heinze und Thomas Weber, 375–387. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Keilbach, Judith. 2007. Witnessing, credibility, and female perpetrators. Eyewitnesses in television
documentaries about national socialism. In Gendered memories. Transgressions in German and
Israeli film and theater, Hrsg. Vera Apfelthaler und Julia B. Köhne, 101–112. Wien: Turia +
Kant.
Keilbach, Judith. 2008. Geschichtsbilder und Zeitzeugen. Zur Darstellung des Nationalsozialismus
im bundesdeutschen Fernsehen. Münster: Lit.
450 R. Winter

Kempner, Brandon. 2011. Beset Manhood in Mad Men and The Sopranos. In Americanization of
history. Conflation of time and culture in film and television, Hrsg. Kathleen McDonald,
133–152. Newcastle upon Tyne: Cambridge Scholars.
Klein, Christa. 2010. Reflexive Authentizitätsfiktionen als situierte Geschichtsversionen am Bei-
spiel des Living History-Formats Die Bräuteschule 1958. In Echte Geschichte. Authentizitäts-
fiktionen in populären Geschichtskulturen, Hrsg. Eva Ulrike Pirker, Mark Rüdiger, Christa
Klein, Thorsten Leiendeker, Carolyn Oesterle, Miriam Sénécheau, und Michiko Uike-Bormann,
123–146. Bielefeld: transcript.
Kramer, Sven, Hrsg. 2003. Nacktheit in Holocaust-Fotos und -Filmen. In Die Shoah im Bild,
225–248. München: Edition Text + Kritik.
Maeck, Julie. 2009. Montrer la Shoah à la télévision, de 1960 à nos jours. Paris: nouveau monde
éditions.
McCabe, Janet, und Kim Akass. 2008. What has HBO ever done for women? In The essential HBO
reader, Hrsg. Gary R. Edgerton und Jeffrey P. Jones, 303–314. Lexington/Kentucky: University
of Kentucky Press.
Pischel, Christian. 2013. „Include me out“ – Odysseus on the margins of European genre cinema:
Le Mépris, Ulisse, L’Odissea. Ancient worlds in film and television. Gender and politics, Hrsg.
Almut-Barbara Renger und Jon Solomon, 195–211. Leiden/Boston: Brill.
Renger, Almut-Barbara, und Jon Solomon, Hrsg. 2013. Ancient worlds in film and television.
Gender and politics. Leiden/Boston: Brill.
Rinne, Christine. 2008. Crafting the household hierarchy. Women in German yearbook: Feminist
studies in German literature & culture 24:185–208.
Rippl, Gabriele. 2004. „Frauen und Männer in Deutschland“ – Bemerkungen zur Konstruktion von
Geschlecht und Nationalität im TV-Jahrhundertrückblick 100 Deutsche Jahre. In Die Medien
der Geschichte. Historizität und Medialität in interdisziplinärer Perspektive, Hrsg. Fabio
Crivellari, Kay Kirchmann, Marcus Sandl, und Rudolf Schlögl, 531–541. Konstanz: UVK.
Rogers, Sara. 2011. Mad Men/Mad Women: Autonomous images of women. In Analyzing Mad
Men. Critical essays on the television series, Hrsg. Scott F. Stoddart, 155–165. Jefferson/Lon-
don: McFarland & Company.
Späth, Thomas, und Margrit Tröhler. 2013. Muscles and morals: Spartacus, ancient hero of modern
times. In Ancient worlds in film and television. Gender and politics, Hrsg. Almut-Barbara
Renger und Jon Solomon, 41–63. Leiden/Boston: Brill.
Spigel, Lynn. 1995. From the dark ages to the golden age: Women’s memories and television
reruns. Screen 36(1): 16–33.
Toscano, Margaret M. 2013. The womanizing of Mark Antony: Virile ruthlessness and redemptive
cross-dressing in Rome, Season Two. In Ancient worlds in film and television. Gender and
politics, Hrsg. Almut-Barbara Renger und Jon Solomon, 123–135. Leiden/Boston: Brill.
Weckel, Ulrike. 2005. Does gender matter? Filmic representations of the liberated nazi concentra-
tion camps 1945–1946. Gender & History 3:538–566.
Wenk, Silke. 2002. Rhetoriken der Pornografisierung. Rahmungen des Blicks auf die NS-
Verbrechen. In Gedächtnis und Geschlecht. Deutungsmuster in Darstellungen des nationalso-
zialistischen Genozids, Hrsg. Insa Eschebach, Sigrid Jacobeit, und Silke Wenk, 269–294.
Frankfurt a. M.: Campus.
White, Mimi. 2001. Masculinity and femininity in television’s historical fictions. Young Indiana
Jones Chronicles and Dr. Quinn, Medicine Woman. In Television histories. Shaping collective
memory in the media age, Hrsg. Gary R. Edgerton und Peter C. Rollins, 37–58. Lexington/
Kentucky: University Press of Kentucky.
White, Mimi. 2011. Mad Women. In Mad Men. Dream come true TV, Hrsg. Gary Edgerton,
147–158. London/New York: I.B. Tauris.
Winter, Renée. 2013. Wiederholung, Fortschritt und Rekonstruktion. Repräsentationen von Ge-
schlechterverhältnissen der 1960er-Jahre in Mad Men. In Geschlecht und Geschichte in popu-
lären Medien, Hrsg. Elisabeth Cheauré, Sylvia Paletschek, und Nina Reusch, 233–245. Biele-
feld: transcript.
Geschichte im Fernsehen und Geschlecht 451

Winter, Renée. 2014. Geschichtspolitiken und Fernsehen. Repräsentationen des Nationalsozialis-


mus im frühen österreichischen TV (1955–1970). Bielefeld: transcript.
Wirtz, Rainer. 2008. Alles authentisch: So war’s. Geschichte im Fernsehen oder TV-History. In
Alles authentisch? Popularisierung der Geschichte im Fernsehen, Hrsg. Thomas Fischer und
Rainer Wirtz, 9–32. Konstanz: UVK.
Zeiler, Xenia. 2013. „Universal’s religious bigotry against hinduism“: Gender norms and hindu
authority in the global media debate on representing the hindu god Krishna in Xena: Warrior
Princess. In Ancient worlds in film and television. Gender and politics, Hrsg. Almut-Barbara
Renger und Jon Solomon, 229–245. Leiden/Boston: Brill.
Zelizer, Barbie, Hrsg. 2001. Gender and atrocity: Women in holocaust photographs. In Visual
culture and the holocaust, 247–271. London: Athlone.
Anfänge feministischer Filmtheorie und
Filmwissenschaft

Andrea Braidt

Inhalt
1 Einleitung: Filmtheorie – Versuch einer Kanonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454
2 Wegweisende Ansätze feministischer Filmtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455
3 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465

Zusammenfassung
Die „Disziplin“ der feministischen Filmtheorie leistete und leistet einen wesent-
lichen Beitrag zur Analyse gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse sowie zur
Formulierung kritischer Subjekt- und Geschlechtertheorien in zahlreichen ande-
ren Disziplinen und lässt sich somit als Spiegel der theoretischen Auseinander-
setzungen zu Gender und Sexualität auf interdisziplinärer Ebene beschreiben.
Maßgebliche Paradigmen feministischer Filmtheorie sind namentlich der
„spectatorship“-Ansatz, die feministische Bildkritik („Bild der Frau“), die kriti-
schen Erweiterungen und Einsprüche insbesondere durch Cultural Studies und
postcolonial critique sowie Ansätze aus queer theory und kognitiv geprägter
Medienwissenschaft (Filmschemata-Ansatz). Der Versuchung einer teleologi-
schen Darstellung feministischer Filmtheorien widerstehend will der Beitrag
einen Einblick in nebeneinander existierende Ansätze bieten.

Schlüsselwörter
Feministische Filmtheorie · Gender · Schaulust · Männlicher Blick · New Queer
Cinema

A. Braidt (*)
Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Universität Wien, Wien, Österreich
E-Mail: andrea.braidt@univie.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 453
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_59
454 A. Braidt

1 Einleitung: Filmtheorie – Versuch einer Kanonisierung

Seit ihren Anfängen in den 1970er-Jahren trägt die feministische Filmtheorie


wesentlich zur theoretisch-politischen Analyse des Films, seiner Rezeption, des
Kinos als öffentlicher Raum, zur Weiterentwicklung filmwissenschaftlicher Termi-
nologien und Instrumentarien sowie – nicht zu vergessen – zur Institutionalisierung
der Filmtheorie als akademischer Disziplin (Riecke 1998, S. 13) bei.
Eine Systematisierung der feministischen Filmtheorie im Sinne einer Überblicks-
darstellung kann jedoch nur mit Bedacht unternommen werden, insbesondere weil
im Falle der feministischen Filmwissenschaften nicht von einer homogenen Ent-
wicklung gesprochen werden kann. Weniger ein einheitliches Theoriengebäude als
vielmehr ein Cluster aus Ansätzen unterschiedlichster theoretischer und methodi-
scher Prägung zeichnet sich die feministische Filmtheorie durch besondere Dispa-
ratheit hinsichtlich der Entwicklung ihrer Theoreme aus. Und diese Disparatheit, so
Sabine Nessel (2002, S. 37), ist Programm, denn der Anspruch, eine „große Theorie“
hervorzubringen sei mit einem Verständnis, das sich einer feministischen Tradition
verpflichtet fühlt, unvereinbar.
Während für Filmwissenschafter_innen wie Nessel (2002, S. 37) der wirkliche
Zusammenhang feministischer Filmtheorie in ihrer Möglichkeit besteht, das Kino
und die Art und Weise, wie wir Filme sehen, miteinzubeziehen, ist es für Annette
Kuhn (1982) das politische Anliegen feministischer Filmtheorien, welches die
Perspektivenvielfalt bedingt. Ernüchtert durch die uneingelösten Versprechen der
radikalen total theories (Strukturalismus, Psychoanalyse, Marxismus) der 1968er-
Bewegung bezüglich feministischer Anliegen hätten Feminist_innen verschiedenste
analytische Wege beschritten, um die Position der Frauen als vom patriarchalen
System Untergeordnete, Unterdrückte oder Ausgebeutete zu beschreiben. (Kuhn
1982, S. 4) Mit zunehmender Akademisierung feministischer Filmtheorien verkom-
plizierte sich das Verhältnis von politischer Praxis und theoretischer Entwicklung
immer mehr. Ansätze, die für den politischen Kontext, in dem sie entstanden waren,
valide Einsichten produzierten, wurden im theoretischen, akademischen Kontext für zu
simplistisch erklärt und verworfen. Nicht ohne jedoch unter Umständen einige Jahre,
oder Jahrzehnte, später in anderen theoretischen Kontexten wieder aufzutauchen.
Ein Beispiel: Der so genannte „Bild der Frau“-Ansatz, den Molly Haskell 1974
mit ihrer Publikation From Reverence to Rape. The Treatment of Women in the
Movies (Haskell 1974) als inhaltsanalytischen Gegenentwurf zur gänzlich von Mise-
en-Scene besessenen amerikanischen Autorentheorie maßgeblich entwickelte, wird
schon bald zugunsten des von Claire Johnston erstmals formulierten Ansatzes der
geschlechtsspezifischen Herstellung von Geschlecht durch das filmische System
(Johnston 1973) fallen gelassen. Die Überwindung der einfachen Korrespondenzlo-
gik zwischen Subjekt und Abbild von Haskell durch die Konzeption vom Kino als
Repräsentationsmaschine (Apparat), als einer „technology of gender“ (Teresa de
Lauretis) gilt für die feministische Filmtheorie als paradigmatischer Entwicklungs-
schritt. Johnstons Gedanke, von Laura Mulvey (1975) auf der Basis psychoanalyti-
scher Subjekttheorien durchdekliniert und seither von vielen feministischen Film-
theoretiker_innen weiterentwickelt und ausdifferenziert (Lauretis 1984; Silverman
Anfänge feministischer Filmtheorie und Filmwissenschaft 455

1988), wirkt im Wesentlichen bis heute, während bis vor wenigen Jahren Haskells
Ansatz als historisch interessant, theoretisch jedoch zu problematisch ad acta gelegt
wurde. Doch die amerikanische Philosophin und Filmwissenschafterin Cynthia
Freeland (1996) griff den „images-of-women“-Ansatz als Gegenentwurf zur psy-
choanalytischen feministischen Horrorfilmtheorie wieder auf und entwickelte ihn
weiter.
Die in vielen Überblicken zu feministischer Filmtheorie favorisierte Darstellung
des images-of-women-Ansatzes als längst überwundenes und verworfenes Theorem
homogenisiert eine vielstimmige Theorienlandschaft und verstellt den Blick auf
außerhalb kanonisierter Denkmodelle entwickelte Theoriemodelle. Und eine aus-
schließlich historisch gedachte Entwicklungsgeschichte kann leicht derartige Homo-
genisierungen und Blickverstellungen produzieren. 1 Trotz dieser Bedenken soll nun
der Versuch einer überblicksartigen Darstellung der feministischen Filmtheorie
versucht werden.

2 Wegweisende Ansätze feministischer Filmtheorie

2.1 „Spectatorship-Theory“: Schaulust und Narratives Kino

1975 veröffentlichte Laura Mulvey ihren Aufsatz Visual Pleasure and Narrative
Cinema (Mulvey 1975; dt. 1980), der von vielen Autor_innen als Gründungstext der
anglo-amerikanischen feministischen Filmtheorie bezeichnet wird (Cook und Ber-
nink 1999, S. 353). Bereits die einleitenden Sätze weisen Mulveys Text als politische
Kampfansage aus:

„This paper intends to use psychoanalysis to discover where and how the fascination of film
is reinforced by pre-existing patterns of fascination already at work within the individual
subject and the social formations that have moulded him. It takes as starting point the way
film reflects, reveals and even plays on the straight, socially established interpretation of
sexual difference which controls images, erotic ways of looking and spectacle. . . . Psycho-
analytic theory is thus appropriated here as a political weapon, demonstrating the way the
unconscious of patriarchal society has structured film form“ (Mulvey 1975, S. 6).

1
Susan Hayward (1996) legte in ihrem mittlerweile stark kanonisierten filmwissenschaftlichen
Glossar einen historischen Überblick vor. Ihre Einteilung der feministischen Filmtheorie in drei
Phasen – 1968–1974; 1975–1983; 1984–1990s – orientiert sich an lediglich zwei Demarkationsli-
nien, nämlich den Veröffentlichungen „Visual Pleasure and Narrative Cinema“ (Mulvey 1975) bzw.
Alice Doesn’t. Feminism, Semiotics, Cinema (De Lauretis 1984). Die Konstruktion von drei
historischen, immerhin dreißig Jahre umspannenden Phasen anhand von zwei „phaseneinleitenden“
(britischen bzw. anglo-amerikanischen) Texten mag zwar eine einfache Systematik bieten, gibt aber
letztendlich ein zu verkürztes, vereinfachtes und völlig auf eine bestimmte theoretische Richtung,
die semiotisch-psychoanalytische „Screen Theory“, fokussierendes Bild der feministischen Film-
wissenschaften wieder.
456 A. Braidt

Die Kampfansage ist adressiert an das vom (narrativen) Film bestärkte Subjekt,
dessen Muster der Faszination, dessen Lüste im Individuum und in der gesellschaft-
lichen Formation, durch die es geformt ist, bereits bestehen und die nicht erst vom
Film hervorgebracht werden. Dieses Subjekt ist männlich und, so könnte man
ergänzen, weiß, heterosexuell und bürgerlich. Die Problematik der Faszination mit
diesem subjektkonstituierenden Kino liegt in der Art und Weise, wie dieses die
Geschlechterdifferenz für die Generierung der visuellen Lust interpretiert, denn
diese Interpretation ist von Ungleichheit und Unterdrückung geprägt. Doch diese
Einleitung birgt neben der Kampfansage auch die Imagination einer zukünftigen
Filmpraxis, welche den (bösen) Zauber des Kinos der Vergangenheit (Hollywood)
überwinden kann. Und wahrscheinlich ist es der doppelte Anspruch dieser Formulie-
rungen – Kampfansage und Utopie –, der dem Text seine initiierende Wirkung gab.
Dem Aufsatz liegt die Annahme zugrunde, dass der von Freud konzipierte
„Schautrieb“ (Scopophilie) – ein zunächst unabhängiger, das heißt ungebundener
Trieb, aus dem sich einerseits die Sexualtriebe, andererseits jedoch auch die Ich-
triebe, vermittelt über den Mechanismus der Identifikation, speisen (Freud 1999
[1905]) – für die (lustvolle) Rezeption von Filmen grundlegend ist. Zwei Bewegun-
gen des Begehrens prägen die Schaulust am Kino: Einerseits fasziniert die im
androzentrischen narrativen Film omnipräsente Gestalt der menschlichen Form,
welche dem Betrachter scheinbar so ähnlich ist, wenngleich in einer perfektionierten
Ausführung (Narzissmus), andererseits fasziniert die Möglichkeit, im anonymen,
dunklen Filmsaal ungestraft auf fremde Wesen zu blicken (Voyeurismus). Die
Spannung zwischen Narzissmus und Voyeurismus ist für Freud Hauptantrieb für
das durch das Schauen herbeigeführte Lustempfinden.
Mulvey (1975, S. 11) stellt nun die These auf, dass dieser „Schautrieb“ im Kino
über den Prozess der Identifikation entlang der Achse der Geschlechterdifferenz
bedient wird: Männer, so Mulvey, identifizieren sich mit dem Kamerablick bzw. dem
Blick der männlichen Protagonisten im Film, das heißt, sie übernehmen den aktiven
Part des Sehens, während für Frauen der passive Part des „Angesehen-Werdens“
übrig bleibt.
Mulvey folgt weiters den Freud’schen Prämissen einer phallozentrischen Be-
gehrensökonomie. Für den Mann erzeugt der Blick auf die weibliche Gestalt durch
deren offensichtlichen „Mangel“ die Angst vor der Kastration, das Bild der Frau ist
lustvoll und bedrohlich zugleich. Die Verdrängungsmechanismen gegenüber dieser
Bedrohung - die völlige Verleugnung der Kastrationsdrohung durch die Substitution
der Frau mit einem Fetischobjekt bzw. die übersteigerte Verehrung und Fetischisierung
der weiblichen Form selbst – finden im Kino einerseits im weiblichen Starkult und
andererseits in der obsessiven Reinszenierung des ödipalen Traumas in der Verfolgung
und Beobachtung der Frau bzw. ihrer Entwertung und Bestrafung ihren Ausdruck und
ermöglichen so das Überwinden der Bedrohung und das Erleben der „visuellen Lust“
am narrativen Kino. Die filmische Form, welche diese Mechanismen fortschreibt, also
das narrative Kino, muss, so Mulvey (1975, S. 17), gebrochen werden, damit die
Lüste, welche das Mainstreamkino bedient, dekonstruiert werden können.
Einer der wesentlichsten Codes dieser filmischen Begehrensökonomie wird über
eine spezifische Verschränkung der drei im Kino wirksamen Blicke hergestellt: der
Anfänge feministischer Filmtheorie und Filmwissenschaft 457

Blick der Kamera, die das Geschehen filmt, und der Blick des Publikums, welches
das fertige Produkt betrachtet, werden zugunsten des Blick zwischen den Film-
charakteren unsichtbar gemacht. Dieser Code bewirkt die Konstruktion jenes illu-
sionären Realismus, der die Aktiv/passiv-Dichotomie der Geschlechterordnung
zementiert: Durch die Abwesenheit des kritischen Blicks des Publikums auf den
Film bzw. durch die Abwesenheit der materiellen Existenz der Aufnahme („material
existence of recording“) kann das fiktionale Drama „reality, obviousness and truth“
(Mulvey 1975, S. 18) nicht erreichen.
Der erste Schritt in Richtung feministische Filmpraxis ist „die Entlassung (Befrei-
ung) des Kamerablicks in seine zeitliche und räumliche Materialität und die Entlas-
sung des Blicks des Publikums in eine Dialektik, in eine leidenschaftliche Distan-
zierung (passionate detachment)“ (Mulvey 1975, S. 18; Übersetzung A.B.). Diese
Befreiung, so Mulvey, geht selbstverständlich auf Kosten der (herkömmlichen)
visuellen Lust, was Frauen jedoch lediglich mit einem sentimentalen Bedauern
hinnehmen werden: Ihnen war ja die visuelle Lust am narrativen Kino seit jeher
verwehrt geblieben.
Mit Mulveys Aufsatz ist die Psychoanalyse für die feministische Filmwissen-
schaften fruchtbar gemacht. Joan Copjec (1993), Tania Modleski (1988), Gaylyn
Studlar (1985), Mary Ann Doane (1987) oder Linda Williams (Schlüpmann 1990;
Williams 1996) sind nur einige der vielen Theoretiker_innen, die mit der Psycho-
analyse weiterarbeiteten. Doch Mulveys „Visual Pleasure and Narrative Cinema“
rückte auch die feministische Filmpraxis in den Fokus der theoretischen Auseinan-
dersetzung und schaffte so den Anschluss an die feministische Filmbewegung der
1970er-Jahre. Der angedachte Entwurf eines alternativen Gegenkinos sollte jedoch
nicht nur den Blick auf das zeitgenössische feministische Filmschaffen ermöglichen.
Filmtheoretikerinnen wie Heide Schlüpmann und Miriam Hansen entdeckten auch
das Frühe Kino der Jahrhundertwende als Kino der Frauen (Schlüpmann 1990) und
initiierten ein Feld der feministischen Filmwissenschaften, das gerade in den späten
1990er-Jahren großes Innovationspotential entwickelte. Und schließlich traf Mul-
veys Begriff der „visuellen Lust“ einen neuralgischen Nerv der zukünftigen femi-
nistischen Auseinandersetzungen mit dem Kino: das Vergnügen des (auch weibli-
chen!) Publikums an der aus ideologiekritischer Perspektive betrachtet so
problematischen Form des Hollywoodkinos. Die Figur der Zuseherin, von Mulvey
1975 noch so dezidiert aus ihrem Schauparadigma ausgeschlossen, sollte zu einem
„Star“ der feministischen Filmwissenschaften werden.

2.2 Psychoanalytische Erweiterungen

Während für die anglo-amerikanische Tradition die theoretischen Prämissen der


Psychoanalyse nach Sigmund Freud und Jacques Lacan weiterhin stark prägend
sind, wird für den deutschsprachigen Raum meist die Kritische Theorie der Frank-
furter Schule mit ihren Hauptvertretern Max Horkheimer und Theodor W. Adorno
als zentraler Ausgangspunkt benannt (Gottgetreu 1992). Theoretiker_innen im
anglo-amerikanischen Kontext versuchen häufig, ausgehend von Mulveys Thesen
458 A. Braidt

die psychoanalytischen Prämissen umzuarbeiten, um weibliche Subjektpositionen –


von Mulvey weitgehend unberücksichtigt – theoretisieren zu können.
Dies geschieht zum Beispiel unter Rückgriff auf die Konzeption des Präödipalen,
um den Phallozentrismus des Ödipalen durch die Konzentration auf die Vormacht-
stellung der Mutter zu dekonstruieren. Tania Modleski (1988) etwa modifiziert
Mulveys Analyse, indem sie von Freuds Theorie der ursprünglichen Bisexualität
der Frau ausgeht, deren Ursprung in der präödipalen Phase angesiedelt wird. Dass das
weibliche Kind einst die Mutter begehrte, bleibt als unbewusste Erinnerungsspur im
Erwachsenenleben erhalten. Diese Erinnerung wird vom Bild der Frau auf der Lein-
wand wachgerufen und begründet eine spezifische Art weiblicher Schaulust. (Modle-
ski 1988) Mary Ann Doane hingegen versucht, auf der Basis von Metz’ Analyse der
Schaulust im Kino (der Mulvey im Wesentlichen folgt) die Schaumöglichkeiten der
Frauen im Film genauer auszuloten und kommt zu folgender Feststellung:

„Es ist eben diese Opposition zwischen Nähe und Distanz, Bildkontrolle und Bildverlust,
welche die Möglichkeiten der Schaulust innerhalb der Problematik der Geschlechterdiffe-
renz verorten. Für die Zuseherin besteht eine gewisse Übergegenwärtigkeit des Bildes – sie
ist das Bild. Vor dem Hintergrund der Enge dieser Beziehung kann das Begehren der
Zuseherin nur im Sinne einer Art Narzissmus bezeichnet werden – der weibliche Blick
verlangt ein Werden“ (Doane 1990, S. 45, Übersetzung A.B.).

Dieser Blick ist nicht, wie der männliche, fixiert, sondern ist eine „flexiblere Form
der Wahrnehmung, die immer auch wieder aus sich heraustreten und die männliche
Perspektive einnehmen kann“ (Klippel 2002, S. 172). Dieses potenzielle Oszillieren
vor dem Bild der Weiblichkeit beschreibt Doane als Maskerade, bezugnehmend auf
Joan Rivieres eindringliche Formulierung von 1929:

„Weiblichkeit kann also angenommen und wie eine Maske getragen werden, gleichermaßen
um den Besitz der Männlichkeit zu verstecken und um die Strafen abzuwenden, die der
Entdeckung ob ihres Besitzes folgen würde – gleich einem Dieb, der seine Taschen nach
außen stülpt und lautstark nach einer Durchsuchung verlangt, damit man beweise, dass er
nicht gestohlen hat. Der Leser wird sich nun fragen, wie ich denn Weiblichkeit definiere,
beziehungsweise, wo ich die Grenze zwischen echter Weiblichkeit und Maskerade ziehe.
Doch mein Vorschlag beinhaltet ja, dass es so eine Grenze gar nicht gibt; ob radikal oder
oberflächlich, Weiblichkeit und Maskerade sind ein und dasselbe“ (Riviere zit. nach Doane
1990, S. 49, Übersetzung A.B.).

Mit Berufung auf Foucaults These der Produktivität der Macht plädiert Doane
(1990) für ein Überdenken jener Spectatorship-Theorien, die eine weibliche Schau-
position lediglich in der Verdrängung der eigenen Weiblichkeit sehen. Ihren Vor-
schlag der Maskerade versteht sie als einen Beitrag innerhalb des wachsenden
Interesses, eine weibliche Schauposition für das Kino zu theoretisieren.
Theoretiker_innen im deutschsprachigen Kontext versuchen in der Tradition der
Kritischen Theorie neue Ansätze und Erweiterungen der Zuseher_innenposition zu
formulieren. Gertrud Koch (1989) etwa entwickelt im Rückgriff auf die Kritische
Theorie das Modell der „formalistischen Strukturanalyse“. Koch grenzt sich damit
einerseits von einer rein psychoanalytischen Konzeption des Blicks ab, nimmt jedoch
andererseits unter Bezugnahme auf Sartre den „kategorisierenden männlichen Blick als
Anfänge feministischer Filmtheorie und Filmwissenschaft 459

gesellschaftliche Determinierung“ sehr wohl als Ausgangspunkt für ihre Analyse; der
objektivierende männliche Blick wird als ein Grundmechanismus der Unterdrückung
der Frau beschrieben (Koch 1989). Neben einer psychoanalytisch-triebtheoretischen
Perspektive werden bei Koch also auch ideologische Aspekte des Blicks berücksichtigt,
die im Film als Klischeebilder von Frauen identifiziert werden. Diese stereotypen
Klischees bestimmen als Codes die Rezeption des Films. Kochs „formalistische Struk-
turanalyse“ zielt darauf ab, diese Codes zu entlarven, um den von ihnen transportierten
Bildern der Frau im Hinblick auf ihren „Waren- und Gebrauchswert“ entgegenzuwir-
ken. Das psychoanalytische Paradigma des Blicks erfährt in dieser Konzeption eine
grundlegende ideologiekritische Erweiterung, eine zentrale Rolle der feministischen
Filmtheorie wird dementsprechend unter anderem auch in ihrer Anwendung als eman-
zipatorische Filmkritik ausgemacht.

2.3 Differenzen im Fokus: Cultural Studies und feministische


Filmtheorie

Eine wesentliche Kritik an der Konzeption der Zuschauerin als „spectatrix“ wandte
sich gegen ihr Unvermögen, Differenzen von weiblichen Subjektpositionen zu
berücksichtigen. Die textuelle Subjektkonstitution der „spectatorship theory“ wurde
von vielen Kritiker_innen als zu fixiert, zu homogenisierend und zu ausschließend
gesehen, der Begriff des „Blicks“ (gaze) verlangte immer mehr nach einer Revision.
bell hooks forderte diese aus der Perspektive von race2 ein:

„Mainstream feminist film criticism in no way acknowledges black female spectatorship. It


does not even consider the possibility that women can construct an oppositional gaze via an
understanding and awareness of the politics of race and racism. Feminist film theory rooted
in an ahistorical psychoanalytic framework that privileges sexual difference actively sup-
presses recognition of race, re-enacting and mirroring the erasure of black womanhood that
occurs in films, silencing any discussion of racial difference – of racialized sexal difference“
(hooks 1992, S. 123).

Mit Stuart Halls Foucault-Paraphrase zum Potenzial weißer Repräsentation von


„blackness“ als Möglichkeit, die dieser Repräsentationspraxis implizite Macht als
völlig veräußerlichte zu sehen, die wie eine „Schlangenhaut“ von Schwarzen abge-
streift werden kann (Hall zit. n. hooks 1992, S. 116), skizziert hooks die Bedeutung
des Blicks für Schwarze3 Zuseherinnen:

2
Die Verwendung des Begriffs „race“ ist im englischsprachigen Diskurs noch immer geläufig,
während er im Deutschen aufgrund seiner eindeutigen Aufrufung rassistischer Konzepte fundamental
problematisiert wird. Im Folgenden wird im Zuge der Darstellung englischsprachiger Positionen
„race“ unübersetzt verwendet bzw. im Deutschen dem Begriff Ethnizität der Vorzug gegeben.
3
Ich folge hooks in der Kapitalisierung des Adjektivs Schwarz, das im engeren Sinne keine
Hautfarbe signalisiert, sondern eine Differenzierung einfordert. Schwarz in diesem Sinne ist nicht
„beschreibend“, sondern eine Kategorie der Aneignung und des Verweises auf rassistische Ver-
hältnisse.
460 A. Braidt

„Spaces of agency exist for black people, wherein we can both interrogate the
gaze of the Other but also look back, and at one another, naming what we see. The
‚gaze‘ has been and is a site of resistance for colonized black people globally“
(hooks 1992, S. 116). Schwarze, so hooks, erfahren eine gänzlich andere Sozialisa-
tion bezüglich des Blicks, es war dem Schwarzen Fernseh- bzw. Kinopublikum seit
jeher klar, dass ihr Blick auf Leinwand und Bildschirm ein Nachvollzug Weißer
Unterdrückung bedeutet. (hooks 1992, S. 117) Andererseits ist das Kino der Ort, an
dem der Blick Schwarzer Männer auf Weiße Frauen unsanktioniert bleibt. Schwarze
Männer können den Platz des „spectators“ einnehmen und sich dadurch an einen
imaginären Ort phallozentrischer Macht begeben, an dem der Ausschluss, den sie als
Schwarze aus dieser Macht erleben, ausgeglichen werden kann. Für Schwarze
Frauen besteht eine völlig andere Identifikationssituation, da sie im Mainstreamkino
mit einer Kultur der Missrepräsentation und Unsichtbarkeit konfrontiert sind. Die für
die Identifikation notwendige „Wiedererkennung“ (im Sinne auch von Anerken-
nung) gibt es nicht, denn die (seltene) Repräsentation von „blackness“ dient norma-
lerweise ausschließlich der Intensivierung Weißer Weiblichkeit als Begehrensobjekt
(hooks 1992, S. 119). Für hooks bedeutet das Kinoerlebnis für Schwarze Frauen,
einen Kompromiss einzugehen zwischen Schaulust und Wut über den Ausschluss
aus der Repräsentation: Die Möglichkeiten für Schwarze Zuseherinnen sind, entwe-
der wegzuschauen und Hollywoodbilder aus ihrem Schauhorizont auszuschließen
oder sich indigenen Bildern, dem Black Cinema, zuzuwenden, um nach der Re-
präsentation ihres Begehrens zu suchen.
Antworten auf die Frage nach der weiblichen Schaulust am Mainstreamkino
versucht – aus empirischer Perspektive – die amerikanische Soziologin Jacqueline
Bobo (1988) zu finden. In ihrer Studie zu Spielbergs The Color Purple geht Bobo
der Frage nach, warum der von der Filmkritik wegen seiner stereotypen Darstel-
lungsweise heftig kritisierte Film bei Schwarzen Zuseherinnen durchwegs positive
Rezeptionserlebnisse produzierte (Bobo 1988). Diesem Widerspruch – stereotype
Charakterisierung, positive Rezeption durch diejenigen, die stereotyp qua ethnischer
Zugehörigkeit charakterisiert werden – begegnet Bobo mit dem Encoding/decoding-
Modell der Cultural Studies. Der Kommunikationsprozess wird hier immer in dem je
spezifischen kulturellen Kontext verortet, in dem er passiert. Das Modell der „pre-
ferred/dominant“, „negotiated“ und „oppositional readings“ (Bobo 1988, S. 95)
ermöglicht die Konzeption eines Gegen-den-Strich-Lesens. Marginalisierte Gruppen
können der dominanten Ideologie eines Textes durch resistente Rezeption widerste-
hen, sie können aufgrund von kleinen Textmomenten, die aus der dominanten
Struktur herausfallen, Gegentexte „produzieren“. Bobos Studie gehört zu den ersten
empirischen Untersuchungen über Schwarze Zuseherinnenschaft im Rahmen der
Cultural Studies. Obwohl ihr Zugang in der Entwicklung kritischer Auseinanderset-
zungen mit dem Spectatorship-Modell beispielgebend ist, bleiben auch hier einige
blinde Flecken unreflektiert: Lola Young (1996) weist etwa darauf hin, dass sich
Bobo in den Ausführungen zu den Interviewergebnissen nicht in Relation zu den
Interviewpartnerinnen setzt, eine Unterlassung, die diverse Leerstellen der Studie
hervorbringt. Darüber hinaus bleibt die Kategorie der „Schwarzen Zuseherin“ weit-
gehend unproblematisiert.
Anfänge feministischer Filmtheorie und Filmwissenschaft 461

In ihrer Öffnung der Kategorie der Zuseherin in Hinblick auf die Möglichkeit
differenter, widersprüchlicher Rezeptionen gelingt es Bobo zwar einerseits, dem
psychoanalytischen Paradigma der textuellen Subjektkonstitution etwas entgegen-
zusetzen, sie muss dafür andererseits Vereinfachungen und Generalisierungen in
Kauf nehmen, die ihrerseits wiederum Schließungen produzieren, etwa indem sie
von einer möglichen Identifizierung einer „Schwarzen Zuseherinnenschaft“ ausgeht.

2.4 Queer Theory/New Queer Cinema

B. Ruby Rich ist eine jener Filmkritiker_innen und theoretiker_innen, die erstmals
den oppositionellen Blick aus der Perspektive lesbischer beziehungsweise queerer
Zuseher_innenschaft theoretisierte. Bereits im Jahr 1981 reagiert sie mit einem zum
Klassiker gewordenen Beitrag in der Zeitschrift Jump Cut gemeinsam mit Edith
Becker, Michelle Citron und Julia Lesage (Becker et al. 1981) auf die negative
Darstellung von Lesben im Mainstreamfilm und auf die Vernachlässigung lesbischer
Themen in der feministischen Filmkritik bzw. -theorie. Vor dem Hintergrund der sich
immer stärker formierenden amerikanischen Lesben- und Schwulen-Bewegung (gay
liberation movement) formulieren die Autor_innen eine umfassende Kritik und
postulieren, dass schon eine einfache Substitution von „Frau“ durch „Lesbe“ eine
radikale Redefinition feministischer Filmkritik bedeuten könnte (Becker et al. 1981,
1995). Diskurspolitisch unendlich wichtig als historisch früher Einspruch gegen das
psychoanalytische Paradigma, das so stark an der heterosexuellen Matrix orientiert
war, blieb die polemische Argumentation von Becker et al. (1981, 1995) einiges
schuldig, denn durch den Ersatz von „Lesbe“ für „Frau“ wird zwar der Horizont der
Auseinandersetzung erweitert, doch der Ausschlussmechanismus bleibt dem Grunde
nach bestehen. Die identitätspolitische Kritik von Auslassungen muss, um nachhal-
tig Veränderung zu bewirken, mehr einfordern als die Addition von den Ausgelas-
senen. Rich setzt sich über zehn Jahre später mit der Verhandlung von ethnischen
Differenzen in einem queeren Kontext auseinander:

„Race is a constructed presence of same-gender couples, one which allows a sorting out of
identities that can avoid both the essentialism of prescribed racial expectations and the
artificiality of entirely self-constructed paradigms. The possibility exists, then, for a kind of
negotiation of identities not found elsewhere, of what Kobena Mercer [. . .] has called an
‚element of reversibility‘“ (Rich 1993, S. 321).

Durch die Herstellung von Differenzkodierung durch ethnische Unterschiede in


der Darstellung lesbischer Paare entsteht ein Feld zur Thematisierung von „race“, die
einer produktiven und vielversprechenden Dynamik unterliegt. Rich bespricht Filme
wie Born In Flames (Lizzie Borden, USA 1983) und She Must Be Seeing Things
(Sheila McLaughlin, USA 1987) sowie Filme von Isaac Julien, Sally Potter und
Cheryl Dunye und kommt zu dem Ergebnis, dass queerness zu einer Neuverhand-
lung von „race“ nicht in hierarchischer, sondern produktiver Weise führen könnte
(Rich 1993, S. 336). Der oppositionelle Blick, hier als textuelle Strategie beschrie-
462 A. Braidt

ben, vermag nach Rich also mehr als die Thematisierung exkludierter Gruppen. Er
kann eine Möglichkeit sein, wichtige Perspektiven zur Beantwortung der Fragen
nach rassisierenden Differenzierungen zu fokussieren, ohne die fixierenden Dicho-
tomisierungen früherer Modelle nachvollziehen oder übernehmen zu müssen.4 Und
der oppositionelle Blick eröffnet neue Perspektiven auf Filme, deren Bedeutung
allzu oft in der Kritik festgeschrieben wird. Rich kann also als Vordenkerin der
Queer Theory ausgemacht werden, deren intersektionelle Auseinandersetzung mit
„race“ und „sex“ im Rahmen feministischer Filmtheorie den Anstoß für die Formu-
lierung filmtheoretischer queerer Theoriebildung gab.
Die politische Rekonzeptualisierung, welche Queer Theory vornimmt, entsteht
unter anderem aus der Kritik an den feministischen und lesbisch-schwulen Identi-
tätspolitiken der 1980er-Jahre. Diese politischen Bewegungen waren (und sind) vor
allem an der Erkämpfung politischer Rechte für sogenannte Minderheiten ausge-
richtet und funktionieren unter der Prämisse, Differenzen innerhalb der Gruppe, die
sich als marginalisiert definiert, zu verstellen. Queere Politikformen versuchen im
Gegensatz zu diesen identitätsaffirmativen Diskursen die Prozesse, die an der Her-
stellung der Identitäten beteiligt sind, aufzudecken und zur Schau zu stellen. Es geht
diesen Politikformen nicht länger darum, die Position eines kollektiven „Wir“ zu
entwickeln, von der aus gehandelt wird, sondern es geht darum, die Verfahren, die
ebendieses „Wir“ genauso wie das kollektive „Sie“ im Sinne von „die Anderen“
produzieren, sichtbar zu machen und zu kritisieren.
In welcher Weise hält nun aber diese theoretische Rekonzeptualisierung von
Geschlecht und Sexualität Einzug in die feministische Filmwissenschaft? Zunächst
gilt es festzuhalten, dass bereits 1992 die Filmkritik das label „queer“ bereitwillig
aufgenommen und mit ihm eine neue Art des Filmschaffens ausgerufen hat, das New
Queer Cinema. Ruby B. Rich benutzte dieses „wording“, um in der britischen
Filmzeitschrift Sight&Sound ein schnell wachsendes Filmkorpus, dessen gemeinsa-
mer Nenner weniger eine übergreifende Ästhetik, sondern ihre anti-anpassungs- und
anti-apologetische Haltung sei (Rich 1992), zu charakterisieren. Dieses Kino wäre,
so Rich, der Ausdruck junger Filmemacher_innen, die es ablehnen, „queere“ Iden-
titäten einem „straighten“ Publikum zu erklären, und die auch kein Interesse an der
Konstruktion von positiven Identifikationsfiguren für das „gay liberation move-
ment“ hätten. Ihre Filme sind sexuell explizit, versuchen sich an radikalen Interven-
tionen in der Matrix von Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung und richten
sich vorwiegend an ein „queeres“, im Sinne von „eingeweihtes“, Publikum.
Wie Rich 1992 voraussagte, entwickelten sich die 1990er-Jahre in cinemato-
graphischer Hinsicht wirklich als „Dekade der Queers“, in der es Hits wie Go Fish
(Rose Troche, Guinevere Turner, USA 1994), The Watermelon Woman (Cheryl
Dunye, USA 1995), The Living End (Gregg Araki, USA 1992) und Edward II

4
In meiner Auseinandersetzung mit dem Film When Night Is Falling (Patricia Rozema, CAN 1993)
komme ich zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Dichotomisierung durch „racial difference“ in der
Lesbenbeziehung funktioniert als Dekonstruktion heteronormativer Romantikvorstellungen und
ermöglicht einen differenzierten Blick sowohl auf die Thematik von „ethnicity“ als auch Sexualität
(Braidt 1998).
Anfänge feministischer Filmtheorie und Filmwissenschaft 463

(Derek Jarman, GB 1991) aus dem Festival-Zirkus auf die größeren, wenn nicht
großen Leinwände schafften. Die definitive Absage an das „positive image“-Projekt
der Filme früheren Datums wird in einen postmodernen Stil umgesetzt, dessen
zentrale Elemente Pastiche und Ironie, Aneignung und Camp sind. Das diesen
Filmen zugrunde liegende Konzept steht ganz klar im Zusammenhang mit den
Projekten des queeren politischen Aktionismus, wie sie von Engel (2002) beschrie-
ben wurden. Neben dem Einsatz von „queer“ im Feld der Filmkritik zur Beschrei-
bung einer neuen Filmpraxis wurden Herangehensweisen der Queer Theory jedoch
auch für die Filmtheorie fruchtbar gemacht.
Die Ziele der Queer Theory sind gleichzeitig philosophischer, politischer und
erotischer Natur. Sie gipfeln im Projekt, diese Felder zu verbinden, denn Queer
Theory will die hegemonialen Systeme sexueller Unterdrückung und Normalisie-
rung nicht nur analysieren, sondern ihnen auch widerstehen, sie aufdecken oder
umschiffen, indem sie die theoretischen Vorannahmen entblößt, durch welche diese
Systeme ihre beachtliche Macht etablieren, rechtfertigen und behaupten. Macht
meint nicht einfach die physische oder gesetzgebende Kraft, sondern auch die
diskursiven Kräfte, die jeder Kreatur einen Namen ihrer Wahl aufdrücken, die
vorgeben zu wissen, was Geschlecht oder Lust sind oder was sie zu sein haben,
und die vorgeben, welche Rolle Sexualität in den gesellschaftlichen Beziehungen
spielen soll: in Bezug auf Identitätsformierung, Politik, Bildung, Kunst und Reli-
gion, um nur einige der umstrittenen Orte der Vergeschlechtlichung zu nennen. Das
Kino ist mit Sicherheit einer dieser umstrittenen Orte.

3 Fazit und Ausblick

In einem Aufsatz zur Lage der feministischen Filmtheorie macht die deutsche
Filmtheoretikerin und Frauen und Film-Mitherausgeberin Heike Klippel (2002,
S. 180–183) zwei Strömungen aus: Zum einen geht es nach wie vor um die
Erweiterungen psychoanalytischer Ansätze, zum anderen ist aber auch eine dezi-
dierte Abkehr vom psychoanalytischen Paradigma zu beobachten. Erweitert werden
die psychoanalytischen Ansätze in Bezug auf die Thematisierung lesbischen Begeh-
rens, eine Erweiterung, die nach Klippel oft in Gegensatz zur „klassischen“ femi-
nistischen Filmtheorie steht, da diese das von der Psychoanalyse a priori gesetzte
Prinzip der Heterosexualität übernommen hat. Queer Studies und Queer Theory in
Anschluss an Judith Butler, aber auch soziologisch orientierte Ansätze der Cultural
Studies prägen hier die Forschungslandschaft. Eine Abkehr vom psychoanalytischen
Paradigma sieht Klippel (2002, S. 181) in den ethno-kritischen und dekonstruktiven
Arbeiten von bell hooks, Trinh T. Minh-ha, aber auch in den von Annette Brauer-
hoch oder Renate Lippert vorgelegten Beiträgen.
Klippels Beobachtungen sind um zwei wesentliche Aspekte zu erweitern. Der
erste Aspekt betrifft die Reformulierung des Blickparadigmas im Zusammenhang
mit der Auseinandersetzung mit den Neuen Medien und den Medienwissenschaften.
Der filmische Blick beziehungsweise der cinematische Apparat wird hier in den
464 A. Braidt

Zusammenhang mit bildender Kunst, Medienkunst, Video und TV gestellt, was eine
grundsätzliche Verschiebung der Perspektiven mit sich bringt. Obgleich die diszi-
plinenübergreifende Betrachtungsweise seitens der Film- und Medienwissenschaft
hin zur Kunstproduktion bzw. zur Kunsttheorie immer mehr Fuß fast – nur kurso-
risch sei an dieser Stelle auf die Arbeiten von Marie-Luise Angerer, Michaela Otto
oder Angela Koch hingewiesen –, steht eine systematische Reformulierung femi-
nistischer filmwissenschaftlicher Paradigmen aus Perspektiven der Praxis bildender
Kunst aus. Anders verhält es sich in der Gegenrichtung: Zahlreiche zeitgenössische
Künstler_innen aus den zeitbasierten Medien nehmen die Paradigmen klassischer,
psychoanalytischer Filmtheorie als thematischen Ausgangspunkt für ihre Arbeiten,
es sei an dieser Stelle beispielsweise auf das Werk von Constanze Ruhm oder Dorit
Margreiter verwiesen.
Der zweite Aspekt betrifft die Kritik psychoanalytischer Filmtheorien aus der
Perspektive kognitiver Wahrnehmungskonzeptionen. Kognitive Filmwissenschaften
beschreiben die Perzeption des filmischen Bildes in gänzlich anderen Kategorien als
in den psychoanalytischen Dimensionen von Voyeurismus und Sadismus. Hier wird
weniger die Lust am Bild – also das „warum“ – in den Mittelpunkt der Auseinan-
dersetzungen gestellt, als vielmehr die Frage nach dem Bildverstehen – also die
Frage nach dem „wie“. Die Entwicklung geschlechterfokussierter Ansätze in diesem
Bereich steht noch weitgehend aus.
Das Wahrnehmen von narrativen Filmen, so Braidt (2008), funktioniert – wie
jeder Wahrnehmungsprozess – über mentale Modelle. Zur Verarbeitung der audio-
visuellen Reize werden „Szenarien“, „Frames“, „Scripts“, „Situationsmodelle“ bzw.
„Schemata“ benötigt, die sich in einem aktiven kognitiven Prozess zu Sinneinheiten
organisieren lassen. Diese mentalen Modelle entwickeln wir aufgrund von Erfah-
rungen, Vorkenntnissen und Handlungsweisen. Dadurch unterscheiden sich die
Modelle der einzelnen Individuen voneinander, weisen jedoch auch Ähnlichkeiten
auf. Nach dem gemeinsamen Kinobesuch gibt es meist Schauerfahrungen, die man
mit anderen teilt, und solche, die man nicht teilt. Was das Sprechen über die
Differenzen der Filmrezeption erschwert, ist die Tatsache, dass wir die mentalen
Modelle nicht bewusst einsetzen, sondern dass es sich dabei um Automatismen
handelt.
Zwei der wesentlichsten mentalen Modelle, die die Wahrnehmung narrativer
Filme steuern, sind nach Braidt (2008) jene Schemata, die es uns ermöglichen,
Geschlecht und Genre wahrzunehmen. Die Wahrnehmung des Films wird funda-
mental davon beeinflusst, ob wir ihn als Western, als Horrorfilm oder als Dokumen-
tarfilm rezipieren. Ob wir das Handeln der Figuren plausibel finden, ob Handlungen
nachvollziehbar erscheinen und ob wir uns mit den Figuren identifizieren können
(also Empathie empfinden), hängt wesentlich davon ab, in welchem generischen
Umfeld wir die Figuren agieren sehen. Doch nicht nur die Generizität spielt eine
Rolle, sondern auch, über welche mentalen Modelle wir das Geschlecht der Figuren
– also Geschlechtszugehörigkeit, Geschlechterrollen, geschlechtliche Selbst- und
Fremdbilder – wahrnehmen.
Anfänge feministischer Filmtheorie und Filmwissenschaft 465

Die Wahrnehmungsschemata von Gender und Genre für den narrativen Film
hängen eng zusammen.5 Genremodelle werden mittels Gendermodellen „gelöst“ –
also wahrgenommen – und umgekehrt. Was etwa als „männlich-adäquates“ Verhal-
ten in einem Western als plausibel und nachvollziehbar wahrgenommen wird, wird
in einem Musical irritieren. Die Wahrnehmung von Gender funktioniert, so Braidts
(2008) These, über die Wahrnehmung des Filmgenres. Diesen Wahrnehmungszu-
sammenhang bezeichnet sie mit dem Terminus „Film-Genus“.

Literatur
Becker, Edith, Michelle Citron, Julia Lesage, und Ruby B. Rich. 1981. Introduction to special
section Lesbians and film. Jump Cut: A Review of Contemporary Media 24–25(March): 17–21.
https://www.ejumpcut.org/archive/onlinessays/JC24-25folder/LesbiansAndFilm.html; wieder-
veröffentlicht als: Becker, Edith, Michelle Citron, Julia Lesage, und Ruby B. Rich. 1995.
Lesbians and film. Out in culture. In Gay, lesbian, and queer essays on popular culture, Hrsg.
Corey K. Creekmur und Alexander Doty, 25–44. Durham, London: Duke University Press.
Bobo, Jacqueline. 1988. The color purple: Black women as cultural readers. In Female spectators,
Hrsg. Deidre Pribram, 90–109. London: Verso.
Braidt, Andrea B. 1998. The gaze of/at the other. The new looks of lesbian love in Patricia
Rozema’s films. In Selbst und Andere/s oder Von Begegnungen und Grenzziehungen, Hrsg.
Christina Strobel und Doris Eibl, 8–26. Trier: Wißner Verlag.
Braidt, Andrea B. 2008. Film-Genus. Gender und Genre in der Filmwahrnehmung. Marburg:
Schüren.
Cook, Pam, und Mieke Bernink. 1999. The cinema book, 2. Aufl. London: British Film Institute.
Copjec, Joan. 1993. Shades of noir: A reader. London: Verso.
Doane, Mary Ann. 1987. The „woman’s film“. Possession and address. In Home is where the heart
is. Studies in melodrama and the woman’s film, Hrsg. Christine Gledhill, 283–298. London: BFI
Publishing.
Doane, Mary Ann. 1990. Film and the masquerade. Theorizing the female spectator. In Issues in
feminist film criticism, Hrsg. Patricia Erens, 41–57. Bloomington: Indiana University Press.
Engel, Antke. 2002. Wider die Eindeutigkeit. Sexualität und Geschlecht im Fokus queerer Politik
der Repräsentation. Frankfurt a. M.: Campus.
Freeland, Cynthia. 1996. Feminist frameworks for horror films. In Post-theory. Reconstructing film
studies, Hrsg. David Bordwell und Noel Carroll, 195–218. Madison: University of Minnesota
Press.
Freud, Sigmund. 1999. Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. Gesammelte Werke. Werke aus den
Jahren 1904–1905, Bd. 5. Frankfurt a. M.: Fischer.
Gottgetreu, Sabine. 1992. Der bewegliche Blick: zum Paradigmawechsel in der feministischen
Filmtheorie. Frankfurt a. M./Bern/New York/Paris: Peter Lang.
Haskell, Molly. 1974. From reverence to rape: The treatment of women in the movies. New York:
Holt.
Hayward, Susan. 1996. Key concepts in cinema studies. London/New York: Routledge.
hooks, bell. 1992. Black looks: Race and representation. Boston: Southend.
Johnston, Claire. 1973. Notes on women’s cinema. London: Society for Education in Film and
Television.

5
Der gemeinsame etymologische Wortstamm von Gender und Genre (lat.: genus) wurde schon
mehrfach als Beleg für den klassifikatorischen Zusammenhang beider Kategorien angeführt. Siehe
auch Steiner und Liebrand 2003.
466 A. Braidt

Klippel, Heike. 2002. Feministische Filmtheorie. In Moderne Film Theorie, Hrsg. Jürgen Felix,
168–190. Mainz: Bender Verlag.
Koch, Gertrud. 1989. „Was ich erbeute, sind Bilder“. Zum Diskurs der Geschlechter im Film.
Basel/Frankfurt a. M.: Stroemfeld/Roter Stern.
Kuhn, Annette. 1982. Women’s pictures: Feminism and cinema. Boston: Routledge & K. Paul.
Lauretis, Teresa de. 1984. Alice doesn’t. Feminism, semiotics, cinema. London: Macmillan.
Modleski, Tania. 1988. The women who knew too much. Hitchcock and feminist theory. New York:
Methuen & Co. Ltd.
Mulvey, Laura. 1975. Visual pleasure and narrative cinema. Screen 16(3): 6–18.
Nessel, Sabine. 2002. Der Verlust (des subjektiven Faktors). Feministische Theorie und Kultur im
Fundus der Erinnerungsbilder. Frauen und Film 63:31–39.
Rich, Ruby B. 1992. New queer cinema. Sight and Sound 5:30–34.
Rich, Ruby B. 1993. When difference is (more than) skin deep. In Queer looks. Perspectives on
lesbian and gay film and video, Hrsg. Martha Gever, John Greyson, und Pratibha Parmar,
318–339. New York: Routledge.
Riecke, Christiane. 1998. Feministische Filmtheorie in der Bundesrepublik Deutschland. Frankfurt
a. M./Bern/New York/Paris/Wien: Peter Lang.
Schlüpmann, Heide. 1990. Unheimlichkeit des Blicks. Das Drama des frühen deutschen Kinos.
Frankfurt a. M.: Stroemfeld.
Silverman, Kaja. 1988. The acoustic mirror. The female voice in psychoanalysis and cinema.
Bloomington: Indiana University Press.
Steiner, Ines, und Claudia Liebrand, Hrsg. 2003. Hollywood hybrid. Gender und Genre im zeitge-
nössischen Mainstream Film. Marburg: Schüren.
Studlar, Gaylyn. 1985. Schaulust und masochistische Ästhetik. Frauen und Film 39:15–40.
Williams, Linda. 1996. When the woman looks. The dread of difference. In Gender and the horror
film, Hrsg. Barry K. Grant, 15–34. Austin: University of Texas Press.
Young, Lola. 1996. Review: Jacqueline Bobo, Black Women as cultural readers; Marie Gillespie,
television, ethnicity and cultural change. Screen 37(4): 400–408.
Genealogie neuer
Kommunikationstechnologien und
Geschlecht. Zu den Anfängen des Internets

Johanna Dorer

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468
2 Genealogie der frühen Netzentwicklung und dominante Mediendiskurse . . . . . . . . . . . . . . . . . 468
3 Feministische Diskurse und Praktiken zum frühen Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470
4 Forschung zum frühen Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473
5 Fazit: Zur aktuellen Entwicklung des Internets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478

Zusammenfassung
Neue Kommunikationstechnologien sind ebenso wie die früheren Medien nicht
außerhalb gesellschaftlicher Machtverhältnisse zu denken. Das Internet in seiner
Verflechtung mit politischen, ökonomischen, gesellschaftlichen und medialen
Diskursen stellt einen umkämpften Raum dar, wo Macht und Geschlechterver-
hältnisse stets neu verhandelt werden. Der einst dominante Technikdiskurs, der
das Internet mit Technik und Männlichkeit verband, findet nach wie vor seine
Manifestation in gesellschaftlichen Organisationen, in Mainstream-Medien und
im geringen Frauenanteil bei Informatiker_innen. Doch schon in der Frühzeit des
Internets entstanden feministische Diskurse und Praktiken. Sie reichten von
cyberfeministischen Utopien und dekonstruktivistischen Ansätzen über ge-
schlechtergerechte Programmieransätze bis zu liberal-pädagogische Vorstellun-
gen, die die Netzentwicklung hin zum Web 2.0 begleiteten.

Schlüsselwörter
Neue Kommunikationstechnologien · Internet · Geschlecht · Gender ·
Technikmythos · Cyberfeminismus

J. Dorer (*)
Universität Wien, Wien, Österreich
E-Mail: johanna.dorer@univie.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 467
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_25
468 J. Dorer

1 Einleitung

Die Anfänge des Internets sind im Kontext einer längeren Entwicklung von Rechen-
maschinen und Computertechnologien in den beiden vorigen Jahrhunderten zu
sehen. Der gesellschaftliche Diskurs ist bestimmt von einer Geschichte des „männ-
lichen“ Erfindergeists, einer Geschichte, die die neue Kommunikationstechnologie
mit einer männlich codierten Technik gleichsetzt. In „Vergessenheit“ geraten war
dabei lange Zeit, welch bedeutenden Anteil Frauen an der Entwicklung der neuen
Technologie hatten. Beispielsweise gilt heute Ada Augusta Byron, Gräfin von
Lovelace (1815–1852), als Pionierin der Computertechnologie. (Plant 1998,
S. 12–40) Die Programmiersprache COBAL wurde von Grace Murray Hopper
(1906–1992) in den 1950er-Jahren entwickelt, und es waren zahlreiche Mathemati-
kerinnen, die maßgeblichen Anteil an der Entwicklung weiterer Programmiercodes
hatten. Während des zweiten Weltkriegs war das Programmieren fast ausschließlich
Frauentätigkeit.1 Erst Ende der 1970er-Jahre, als sich die Informatik zu einem
wichtigen Wirtschaftszweig entwickelte, kam es zu einem raschen Zurückdrängen
der Frauen aus dem Arbeitsfeld und dem Informatikstudium an Universitäten. Der
geringe Frauenanteil in diesem Bereich hält nach wie vor an. (Hoffmann 1987;
Schinzel und Zimmer 1998; Krämer 2015; Chang 2018)
Im Zuge der Entwicklung des Internets war auch die Anwendung der neuen
Technologie nur einigen wenigen von Männern dominierten Bereichen, wie etwa
dem Militär, den Universitäten oder Computer-Subkulturen, vorbehalten. Noch im
Jahr 1995 waren in Europa nur sechs Prozent der Nutzer_innen weiblich, in den
USA gerade einmal doppelt so viel. (Dorer 1997, S. 20) Sehr rasch wurde mit dem
geringen Frauenanteil eine gesellschaftliche Zuschreibungspraxis und ein gesell-
schaftlicher Diskurs etabliert, der das Internet in eine seit langem wirkmächtige
Assoziationskette von Technik – Militär – Expertentum – Männlichkeit eingebunden
hat. Damit waren Frauen nicht nur aus der Produktions- und Anwendungspraxis des
Internets ausgeschlossen, sondern auch aus der öffentlichen Diskussion zum
Internet.

2 Genealogie der frühen Netzentwicklung und dominante


Mediendiskurse

Die Genealogie des frühen Internets lässt sich in einem Drei-Stufen-Modell nach
Lovink und Schultz (1999, S. 299–310) nachzeichnen. Mit der Erweiterung des
Modells um die mediale Repräsentation von Geschlecht weist Dorer (2001a,
S. 45–47) nach, wie der Mainstreamdiskurs der Medien als ein entscheidender
Faktor verstanden werden muss, der den Bedeutungshorizont der symbolischen

1
Nicht nur wegen der Absenz von Männern, die sich im Krieg befanden. Hoffmann (1987)
dokumentiert, dass es in Deutschland bis 1933 mehr habilitierte Frauen in Mathematik gab als in
allen Geisteswissenschaften zusammen.
Genealogie neuer Kommunikationstechnologien und Geschlecht. Zu den . . . 469

Verbindung von Internet, Technik und Männlichkeit hegemonial unterstützte bzw.


verstärkte.2
Die erste Phase (etwa 1969–1989) war geprägt von der Vernetzung von Groß-
rechnern in Militär, Wissenschaft und Großunternehmen. Es war auch die Zeit
junger Männer, die sich das „Geheimwissen“ aneigneten, sich als „Hacker“ und
„Cyberpunks“ für die Öffnung des Netzes einsetzten und zu virtuellen Gemeinschaf-
ten zusammenschlossen. In dieser Zeit entstanden die in der Wissenschaft, auch von
Cyberfeministinnen, euphorisch diskutierten Utopien des Internets, wie Entkörpe-
rung, Unsterblichkeit, Cyborgs, Hybridisierung von Körper und Maschine, Auf-
hebung von Grenzen. Donna Haraway (1985) gehörte zu jenen Feministinnen, die
sehr früh das mögliche Potenzial der neuen Technologie diskutierten. Die breite
Öffentlichkeit und die Mainstream-Medien schenkten dieser Anfangsphase keine
Aufmerksamkeit. Es waren minoritäre und weitgehend voneinander abgeschottete
elitäre Diskurse, bei denen Frauen in der Minderheit waren.
Die zweite Phase (etwa 1990–1995) war die Zeit der Mythenbildung, der Ge-
rüchte und Erwartungen, in der die „alten“ Medien den Mythos Internet, den
Glauben an universelle Möglichkeiten, verbreiteten und die „digitale Revolution“
ausriefen. Es war die Zeit der schnellen Profite, Netzutopien, Netzkritik und Medien-
kunst, wo aus unterschiedlichen Interessen eine neue „virtuelle Klasse“ (Kroker und
Weinstein 1994) hervorging. Die Mainstream-Medien kommentierten diese Ent-
wicklung uneingeschränkt in männlicher Zuschreibungspraxis. Die Themen waren
Technik, Cyber-Sex, Cyber-Nazismus, Cyber-Kriminalität und Hacker-Kulturen.
Damit verstärkten die Medien die männliche Codierung des Internets, indem als
Bewohner und Experten der Cyberwelt ausschließlich Männer vorkamen. Die me-
diale Konstruktion des Internets als männlicher (Herrschafts-)Raum stützte sich
dabei auf einen gesellschaftlichen Diskurs, der das Internet mit Männlichkeit und
Technik verband. Aktiviert wurde damit eine Bedeutungsebene von männlicher
Allmacht und Kontrolle, welche Weiblichkeit als das Andere herstellte und aus-
schloss. Die Exklusion von Frauen erfolgte dabei nicht nur über die Themen
(Technik/Expertentum, Sex/Gewalt, Allmacht/Kontrolle), die Entstehungsgeschich-
te (Militär, Wissenschaft) und den besonderen Internet- und Programmier-Jargon,
sondern auch über die Nichtthematisierung der Beteiligung von Frauen an der
Entwicklung von Software. Die Mainstream-Medien griffen dabei die wirkungs-
mächtige Gleichsetzung von Technik und Internet auf, bei welcher Männlichkeit mit
Technikinteresse, Technikkompetenz und das Weibliche mit Technikscheu, Tech-
nikangst, Technikablehnung bis hin zur Technikinkompetenz verbunden wurde.
(Dorer 2001b) Die in den Medien konstruierten Männlichkeitsbilder waren dabei
auf die Bedeutungsfelder von Technik/Expertentum einerseits und Sex/Gewalt an-
dererseits fokussiert und entsprachen damit sehr traditionellen Vorstellungen von
Männlichkeit. Dieser Diskurs hat bis heute seine Bedeutung nicht ganz verloren, wie

2
Die Ausführungen dieses Kapitels beruhen auf der Studie von Dorer 2001a, wobei die von Lovink
und Schulz 1999 vorgenommenen Entwicklungsstufen übernommen wurden.
470 J. Dorer

das Beispiel WikiLeaks (Dorer 2011) und die Konstruktion von Männlichkeit in den
Mainstream-Medien zeigt.
Die dritte Phase (ab etwa 1996 bis 2004, dem Jahr der Facebook-Gründung) war
gekennzeichnet durch die Entwicklung des Internets hin zum Massenmedium. Die
Anzahl der Nutzer_innen stieg rasch an, Klickraten und Userstatistiken und die
Spuren, die Anwender_innen in unzähligen Logfiles hinterließen, wurden markt-
relevant verwertet. Die digitale Vernetzung beschleunigte Globalisierungs- und
Konzentrationsprozesse, veränderte Geld- und Aktienmärkte, die new economy
wurde zur wichtigsten Wachstumsbranche. Das Streben nach politischer Einfluss-
nahme äußerte sich – unter Bezugnahme auf das Thema Kinderpornografie – in der
Diskussion um Kontrolle, Reglementierung, Zensur versus Meinungs- und Medien-
freiheit. Der hegemoniale Kampf wurde nicht zuletzt auf dem Gebiet der Festlegung
von Standards ausgetragen. Denn jede Anwendergruppe hatte ihre eigenen Stan-
dards und Benutzungsregeln entwickelt und dem Netz eingeschrieben. Die ver-
meintliche Technikferne von Frauen war bald als Grund für deren geringen Anteil
im Netz identifiziert, und mittels politisch initiierter Frauenförderprogramme (wie
etwa „Frauen ans Netz“) sollte das „weibliche Defizit“ rasch behoben werden. Mit
dieser Maßnahme wurden aber auch all jene sozio-ökonomischen, temporären,
design- und jargon-spezifischen Bedingungen der geringeren Frauenbeteiligung im
Netz ausgeblendet und Frauen als zu fördernde „Computer-Analphabetinnen“
betrachtet.
Die Mainstream-Medien richteten sich mit zunehmender Kommerzialisierung
des Internets nicht mehr ausschließlich an männliche Anwender, sondern schlossen
nun Frauen mit ein. Die mediale Repräsentation des Internets führte dabei einerseits
zu einer zunehmenden Ausdifferenzierung von Männlichkeitsbildern und anderer-
seits zur Einführung eines konservativen Frauenstereotyps. Der Rahmen für letzteres
wurde durch die Privatsphäre und die vermeintlichen „natürlichen, weiblichen“
Eigenschaften abgesteckt. Die Medien konstruierten mehrheitlich ein Weiblichkeits-
stereotyp, das die Frau auf Mutter, Köchin und Konsumentin reduzierte und weit
konservativer war als jenes in TV-Soaps. In der Berichterstattung dominierte das
Bild der Internet-Surferin, die an Kinderbetreuung, Kochrezepten und Versandhaus-
angeboten interessiert war. Nur sehr vereinzelt kamen in den Mainstream-Medien
neue Frauenrepräsentationen, wie etwa die wenig qualifizierte Tele(heim)arbeiterin
oder die Multimedia-Powerfrau vor, die dann als „Internetqueens“ gefeiert und als
Ausnahme von der Norm präsentiert wurden.
Doch abseits des vorherrschenden gesellschaftlichen und medialen Narrativs zum
Internet entwickelten sich oppositionelle, feministische Diskurse.

3 Feministische Diskurse und Praktiken zum frühen Internet

Das frühe Internet, ein auf Sprache basierendes Kommunikationsnetzwerk, inspi-


rierte in vielfältiger Weise Vorstellungen einer sozial gerechten und geschlechterge-
rechten Welt. Das Fehlen von visuellen Komponenten legte es nahe, Utopien einer
körperbefreiten, geschlechtslosen Kommunikationswelt zu imaginieren. Für Femi-
Genealogie neuer Kommunikationstechnologien und Geschlecht. Zu den . . . 471

nistinnen waren mit der neuen Technologie nicht nur feministische techno-utopische
Visionen verbunden, sondern vor allem vielfältige Formen der Selbstermächtigung.
Das war auch das verbindende Moment der Cyberfeministinnen, obgleich die Vor-
stellungen, wie dies in Theorie und Praxis erfolgen sollte, sehr unterschiedlich
ausfielen. Der Cyberfeminismus versteht sich dabei als eine vielstimmige
und heterogene Theorie- und Kunstrichtung im Spannungsfeld von Technikkritik
und Aktivismus, der es um die Auflösung oder um die Dekonstruktion des
Geschlechterdualismus geht und sich gegen die männliche Hegemonie des Internets
richtet. Wesentlich war Cyberfeministinnen das emanzipatorische Potenzial neuer
Technologien, die sich Frauen in unterschiedlicher Weise subversiv und selbst-
ermächtigend anzueignen hätten. Erstmals Verwendung fand der Begriff Anfang
der 1990er-Jahre durch australische Künstlerinnen der VNS Matrix sowie durch
Sadie Plant. (Consalvo 2003; Paasonen 2005)
Allen voran haben die Schriften von Donna Haraway und Sadie Plant beginnend
in den 1980er-Jahren die Utopie eines herrschaftsfreien und geschlechtslosen Raums
im Cyberspace, eine damalige Bezeichnung für das Internet, beflügelt. (Drüeke
2020; Ernst 2020) Donna Haraway gilt mit ihrem „Manifesto für Cyborgs“ (1985)
als eine erste Vertreterin des de/konstruktivistischen, cyberfeministischen Ansatzes.
Die Cyborg – als hybride Denkfigur – ist als eine Verschmelzung von Mensch und
Computer konzipiert, die imstande ist, die vorherrschenden dualen Konzeptionen
von Männlichkeit und Weiblichkeit, Technik und Organismus, Natur und Kultur,
Subjekt und Objekt, Tier und Mensch zu unterlaufen, Grenzen aufzulösen und
verschwimmen zu lassen. Haraway beschränkt sich dabei aber nicht auf gesell-
schaftliche Geschlechterdiskurse, sondern bezieht weitere Differenzkriterien in
ihre Cyborg-Konzeption mit ein, wie etwa women of colour als marginalisierte
Identitäten, denen lustvoll subversive Transformationen möglich wären.
Anders, nämlich als weiblich codierten Raum, entwirft Sadie Plant (1998) das
Internet. Sie beschreibt ausführlich, wie in der Technikgeschichte gerade Frauen die
Erfinderinnen der neuen Technologie waren und die entscheidenden Ideen und Impulse
für die Entwicklung des Internets lieferten. Plant setzt die digitale Struktur des Netzes,
dessen Nichtlinearität, Vernetzungsmöglichkeit und Komplexität, in Verbindung mit
der langen Tradition des von Frauen praktizierten Spinnens und Webens. Somit
würden die neue Computertechnologie und der Cyberspace für Frauen eine quasi
natürliche Verbindung darstellen und einen Raum eröffnen, der emanzipatorisch zu
nutzen ist, um gesellschaftliche Machtverhältnisse zu verändern. Sadie Plants (1998)
Gegenkonzept zum „männlichen“ Techniknarrativ fand trotz der technikdeterministi-
schen Ausrichtung und ihres differenztheoretischen Ansatzes eine weite Verbreitung,
eröffnete es doch die Möglichkeit eines neuen technikaffinen feministischen Aktivis-
mus und beflügelte so die Utopie einer Umkehr der Geschlechterhierarchie.
Ein besonderes Interesse der feministischen Forschung galt der Frage nach der
Möglichkeit der Aufhebung der Geschlechterbinarität durch die neugedachte Bezie-
hung zwischen Körper und neuer Technologie. (Stone 1991; Bruckman 1993;
Angerer 1995, 1997, 1999; Turkle 1998) Die Möglichkeit eines anonymen Zugangs,
das Zurücktreten des Körpers im Cyberspace und die damit verbundene Beliebigkeit
der Selbstrepräsentation ließen Utopien von neuen Identitätskonstruktionen und
472 J. Dorer

vom Verschwinden einer geschlechtlichen Identität als zentrale Themen einer neuen
Technikdiskussion breiten Raum einnehmen. Chatrooms und MUDs (multi user
dungeons, das waren textbasierte Onlinespiele) waren dabei jene Räume des Inter-
nets, in denen neue Identitäten abseits von Klasse, Ethnie und Geschlecht erprobt
werden konnten. Gender swapping (Einloggen als ein anderes Geschlecht), auch
manchmal weniger zutreffend als virtuelles Cross-dressing bezeichnet, würde nach
Turkle (1998) ein für das reale Leben gefahr- und konsequenzloses Ausprobieren
einer anderen geschlechtlichen Subjektposition erlauben. Das Verlassen der eigenen
Geschlechterkultur in der virtuellen Realität würde potenziell neue Erfahrungshori-
zonte ermöglichen, und es ließen sich damit geschlechterdifferente Alltagspraxen als
Konstruktionen geschlechtlich geformter Denk-, Gefühls- und Handlungsdiskurse
erkennen. Mit dem Wechsel der Geschlechterposition könnten so gesellschaftliche
Zuschreibungspraxen im Spiel erfahren werden, sodass den User_innen in einer Art
Selbstreflexion die gesellschaftliche Konstruiertheit der eigenen Geschlechteriden-
tität bewusst werden könne. Diese Position wurde vor allem von Lisa Nakamura
(1995) und Susanna Paasonen (2002) nicht geteilt, vielmehr würden sexistische und
rassistische Tendenzen der gesellschaftlichen Praxis durch das Spiel mit Identitäten
noch verstärkt.
An der Überbrückung der Kluft zwischen Utopie und Realität – der ganz
konkreten Arbeit am Programm und am Design des Internets – waren in den
1990er-Jahren wenige Frauen beteiligt. Das emanzipatorische Potenzial der neuen
Technologie wurde aber beispielsweise ganz konkret von der Netzkünstlerin und
Netzaktivistin Rena Tangens ab Ende der 1980er-Jahre umgesetzt. Ihre Kritik
richtete sich gegen den Androzentrismus des Internets und die Vereinnahmung
durch männliche Akteure. Ausgangspunkt ihrer Kritik war die Überlegung, dass es
sich beim Internet um keine neutrale Technik handle, sondern Hierarchieverhältnisse
eingeschrieben wären (ein Ansatz, der später aus dekonstruktivistischer Sicht nicht
geteilt wurde). Ihre ganz praktische Antwort war die feministisch-subversive Selbst-
ermächtigung durch Computer-Hacking und geschlechtsneutrale Softwareentwick-
lung – also die Entwicklung von Programmen und Designanwendungen für das
Internet. (Tangens 1996; Hooffacker und Tangens 1997)
Im Sinne der Selbstermächtigung vertraten Feministinnen in der frühen Phase des
Internets die Vorstellung, Frauen müssten die neue Technologie für eigene Anliegen
nutzen und sich deshalb die verschiedenen Internetdienste und Kommunikations-
möglichkeiten im Netz aneignen. Dale Spender (1996) plädierte trotz Männerdomi-
nanz im Netz und der damit verbundenen Frauendiskriminierung (sexuelle Belästi-
gung im Netz, männlich codierte Softwareentwicklung, frauenfeindliche Netzregeln
etc.) dafür, Computerkompetenzen zu erwerben sowie Netzzugang und Netznutzung
aktiv zu betreiben, um schließlich auch die Gestaltung und Regeln des Netzes zu
verändern. Das Internet würde, so Dale Spender (1996, S. 21), Macht, Reichtum und
Vergnügen bedeuten und wäre prädestiniert für die Konstituierung und Vernetzung
einer „virtuellen Schwesternschaft“.
Gerade in der Vernetzung von Fraueninitiativen, insbesondere im internationalen
Bereich, wurde ein hohes Potenzial der Selbstermächtigung gesehen. Es ging darum,
lokale Frauengruppen, feministische Aktivistinnen und digitale Frauenarchive
national und international zu vernetzen und Erfahrungen untereinander auszutau-
Genealogie neuer Kommunikationstechnologien und Geschlecht. Zu den . . . 473

schen. In einem von der UNESCO finanzierten Projekt brachte die Australierin
Wendy Harcourt (1999) Aktivistinnen und feministische Forscherinnen aus
40 Ländern zusammen. Verhandelt wurden die utopischen Vorstellungen und Mög-
lichkeiten der neuen Technologie einerseits und die realen Bedingungen und aus-
grenzenden Barrieren andererseits. Den unbegrenzt erscheinenden Möglichkeiten
der Kommunikation, des Erfahrungsaustauschs, eines „safe space“ für Frauen stün-
den praktisch beschränkende Zugangsmöglichkeiten durch hohe Kosten der tech-
nischen Ausrüstung, fehlende Netz-Infrastruktur sowie geringe Technik- und An-
wendungskompetenzen vor allem im globalen Süden gegenüber. (Youngs 1999)
Konkrete Erfolge der globalen Vernetzung zeigten sich bereits früh in den vielen
lokal und global initiierten Vernetzungsinitiativen, wie etwa der 1990 gegründeten
Association for Progressive Communications (APC), oder in den elektronischen
Vorarbeiten zahlreicher feministischer Initiativen zur Vierten Weltfrauenkonferenz
in Peking. (Farwell et al. 1999; Mastrangelo-Gittler 1999)
Die feministischen Diskurse und Praktiken zum frühen Internet lassen sich laut
Waltraud Ernst (2020, S. 529–534) nach ihrer aktivistischen Ausrichtung differen-
zieren. Ernst unterscheidet einerseits den digitalen Feminismus als individuellen
Aktivismus, wie von Sadie Plant, Dale Spender oder Sherry Turkle vertreten, der
Individuen Möglichkeiten der Überwindung von Geschlechternormen im Internet
bietet, also individualisierte Handlungsräume zur Selbstermächtigung öffnet, und
andererseits den digitalen Feminismus als kollektive Aktionsform, die den Cyber-
space als Raum für kollektive Handlungsfähigkeit und kollektiven feministischen
Protest sieht, wie etwa von Donna Haraway oder Wendy Harcourt proklamiert. Zu
Letzterem gehören für Ernst (2020) auch die Vernetzung digitaler Frauenarchive
sowie die globalen Vernetzungsaktivitäten unter Einbeziehung feministischer Frau-
engruppen des globalen Südens und außerdem die Formierung massenhafter öffent-
licher Solidarisierung im Internet für feministische Anliegen, wie etwa heute die
Proteste gegen Femizide in Mexiko oder die #metoo-Proteste.
Der (cyber)feministische Diskurs der 1990er-Jahre war nicht nur getragen von
Inspiration und neuen utopischen Gesellschaftsentwürfen, sondern vermittelte auch
eine Aufbruchsstimmung, wie sie im Zuge des „Arabischen Frühlings“ zwanzig
Jahre später in den nordafrikanischen Ländern auflebte. (Dorer 2012) Obgleich den
„späten“ Akteur_innen wie u. a. Lina Ben Mhenni (2012), die maßgeblich mit ihrem
Internetaktivismus die Protestbewegung prägte, die anfänglichen utopischen Zu-
schreibungen und die späteren Ernüchterungen bezüglich des Internets bekannt
waren, beeinträchtige es die selbstermächtigende Stimmung und die Utopien für
eine neue Zukunft kaum. Sehr wohl ahnten sie aber, dass während ihrer Protest-
aktionen die Konterrevolution bereits begonnen hatte.

4 Forschung zum frühen Internet

Neue Kommunikationstechnologien lassen sich in Anlehnung an Cynthia Cockburn


und Susan Ormrod (1993) auf fünf Ebenen als komplexe Beziehung denken – eine
Beziehung, die sich in ihrer Zuschreibungspraxis und der daraus folgenden kon-
kreten Alltagspraxis mit dem Geschlechterdiskurs und weiteren Identitätsdiskursen
474 J. Dorer

wie sexuelle Orientierung, race, Herkunft und Klasse kreuzt. Erst in der Zuschrei-
bung werden mehrdimensionale Hierarchien konstruiert. Dies geschieht bereits auf
der Ebene der Wissensproduktion – also wie Technologien erfunden und experimen-
tell erprobt werden, ferner auf der Ebene der industriellen Produktion, unter gege-
benen wirtschaftlichen und weltökonomischen Bedingungen (schlecht bezahlte
Mikroprozessoren-Arbeit durch Frauen in Südostasien oder gesundheitsschädlicher
Cobalt- und Coltan-Abbau durch Kinder und junge Männer in Afrika), drittens auf
der Ebene der Distribution, wie neue Technologien durch geeignete Werbe- und
PR-Strategien auf die Konsument_innen treffen, viertens auf der Ebene der Kon-
sumpraxis, worunter die private und berufliche Aneignung zu verstehen ist. Schluss-
endlich gibt es eine wenig beachtete fünfte Ebene der Elektroschrott-Entsorgung in
Ländern des globalen Südens, wo vorwiegend Kinder und junge Männer das gefähr-
liche Aussortieren verwertbarer Teile übernehmen, um zu überleben. Die Zuschrei-
bungs- und Alltagspraxen erfolgen also in einem sozio-politischen und sozio-
ökonomischen Rahmen, der sich angesichts der Globalisierung im Wesentlichen
an ökonomischen Imperativen orientiert. (Dorer 2001b, S. 243–244, 246–247)
In ihrem Gesamtkontext wurden diese Aspekte des frühen Internets kaum auf-
gegriffen. Überhaupt waren Studien aus der Geschlechterperspektive zu Zeiten des
frühen Internets die Ausnahme. Die erste umfangreiche Aufarbeitung angloame-
rikanischer Literatur zu Frauen und Internet von Dorer (1997) zeigte, dass neben den
Zugangsbedingungen und -barrieren auch Nutzungsarten und Onlineverhalten, kom-
munikative Stile in der Onlinekommunikation sowie Identitäts- und Genderkon-
struktionen im Internet empirisch untersucht wurden. Diese frühen Arbeiten sind
unter anderem mit den Namen Ellen Balka, Amy Bruckman, Valerie Frissen, Susan
Harring, Cheris Kramarae, Leslie Shade, Hoai-An Troung, Gladys We und natürlich
Sherry Turkle oder später mit Liesbet van Zoonen verbunden.
Thema wissenschaftlicher Diskussion war zuerst einmal die Frage, wie Frauen
und Frauenorganisationen einen gleichberechtigten Zugang zu neuen Technologien
erlangen könnten und wie die strukturellen Barrieren zu überwinden wären, die
durch Einkommen, Alter, Herkunft, race, Nationalität und Geschlecht bestimmt
waren. (Balka 1993; Troung 1993) Gründe für den erschwerten Zugang und den
geringen Frauenanteil im Netz waren damals in „westlichen Ländern“ die gesell-
schaftlichen und institutionellen Geschlechterdiskurse, weiters geschlechterstereo-
type Zuschreibungs- und Legitimierungspraxen sowie die Alltagspraxen des doing
gender. Konkret waren (und sind dies teilweise heute noch in Ländern des globalen
Südens) die Zugangsbarrieren für Frauen vor allem durch ökonomische, zeitliche
und soziale Faktoren sowie durch das entsprechendes Wissen bedingt: die hohen
Kosten für die Anschaffung und den Betrieb der Hardware,3 die Zeitknappheit durch
Doppelbelastung, die Unterrepräsentation in höheren beruflichen Positionen, die mit
einem Zugang zum Internet verbunden waren, das Fehlen von weiblichen Vorbildern

3
Noch 1998 waren die Postgebühren für Modems extrem hoch, und nur wenige teure Modem-
Modelle waren postgenehmigt.
Genealogie neuer Kommunikationstechnologien und Geschlecht. Zu den . . . 475

oder einer „Netzkultur“, in der Frauen eine Selbstverständlichkeit darstellten. (Dorer


1997, S. 20–22)
Bezüglich der Nutzung des frühen Internet verwiesen empirische Studien
(z. B. Kramarae 1995; Frissen 1994) darauf, dass Frauen das Internet eher als rasche
Kommunikations- und Informationsmöglichkeit nutzten, während Männer weitaus
spielerischer (Stichwort toys for boys) damit umgingen und sich dabei auch Pro-
grammierkenntnisse aneigneten. In einem empirischen Vergleich der Online- und
Offlinekommunikation kam We (1993) zu dem Ergebnis, dass Frauen die Online-
kommunikation mit Männern teils weniger geschlechterstereotyp (sachlicher, offe-
ner, weniger Unterbrechungen) wahrnahmen, teils aber auch deutlich aggressiver
bezüglich sexueller Belästigung und der Verbreitung pornografischen Materials, was
insbesondere im Arbeitsumfeld als massive Karrierebehinderung erfahren wurde.
Die enge Verknüpfung von Pornografie und Herrschaftssicherung wurde damals in
der feministischen Forschung auch ein zunehmend wichtiges Thema (z. B. Shade
1994; Gestendörfer 1998). Das Internet als eine textbasierte Technologie hat vor
allem die feministische Linguistik zu empirischen Studien veranlasst. So etwa hat
Susan Herring (1994) anhand der Kommunikation in Mailinglisten geschlechter-
stereotype Kommunikationsstile (Gesprächs- und Beziehungsarbeit versus Domi-
nanz) und Kommunikationsethiken (Empathie und Offenheit versus Zensur- und
Redefreiheit) herausgearbeitet. Da ihre Studien auch zeigten, dass es zu einer
Anpassung der kommunikativen Stile kommen konnte, empfahl sie Frauen, sich in
women-only-Mailinglisten und -Newsgroups über durchsetzungsfähige Kommuni-
kationsstrategien auszutauschen und sich insbesondere an der Modifikation der
Netzregeln (netiquette) aktiv zu beteiligen. Die Mehrzahl der frühen Studien war
differenztheoretisch konzipiert – was ob der ausgeprägten Männerdominanz im Netz
nahelag – und fokussierte auf die Überwindung der Hürden im Zugang und auf die
emanzipatorische Nutzung des Internets durch Frauen und Frauenorganisationen.
Demgegenüber zeigen de-/konstruktivistische Aneignungsstudien zu Online-
Identitäts- und Genderkonstruktionen, wie etwa Gender Swapping (Bruckman
1993; Stone 1991; Turkle 1998), dass das Netz ganz neue Möglichkeiten für eine
geschlechtergerechte Alltagspraxis eröffnen konnte. Geschlechteridentitäten schie-
nen dann nicht mehr unveränderbar, sondern eingebettet in eine gesellschaftlich
geformte Geschlechterkultur, die als konstruiert erfahrbar wurde. Aber auch das
Erproben neuer Verhaltensweisen und das Austesten von Reaktionen, ohne die
Konsequenzen im realen Leben tragen zu müssen, wurde als neue Identitätserfah-
rung gefeiert, obgleich Turkle (1998) darauf hinweist, dass diese Erfahrungen
durchaus gewisse emotionale Risiken bergen würden. Spätere empirische Studien
wie etwa von Nicola Döring (1999) oder von Christiane Funken (2002) kommen zu
einem weniger euphorischen Ergebnis, denn auch in anonymen Chatrooms und
textbasierten MUDs würden durch die gegenseitige Kontrolle der Teilnehmer_innen
Geschlechterstereotypen eher verstärkt. Sehr früh setzten sich auch Mia Consalvo
und Susanna Paasonen (2002) de-/konstruktivistisch mit der neuen Kommunikati-
onstechnologie auseinander. Weit weniger utopisch thematisieren sie theoretisch und
empirisch eine neue Sichtweise auf Alltagspraxen von Frauen im alltäglichen Um-
gang mit dem Internet.
476 J. Dorer

Mit der zunehmenden Weiterentwicklung des Internets und der Browsertech-


nologie (einfachere Zugangs- und Anwendungsbedingungen, Entwicklung hin zu
einem Bildmedium) und mit der raschen Kommerzialisierung wurde ab den 2000er-
Jahren auch in der deutschsprachigen feministischen Forschung das Thema Internet
und Geschlecht empirisch aufgegriffen.
Auch hier war eine wichtige Frage, wie das Empowerment von Frauen durch
Netzkommunikation gestärkt und der virtuelle Raum für eigene Anliegen angeeignet
werden könnte. Feministische Forscherinnen suchten die Vernetzung von Frauen-
initiativen voranzutreiben, indem sowohl die Einbettung in theoretische Überlegun-
gen erfolgte, als auch erste Dokumentationen und empirische Studien in Angriff
genommen wurden (Schachtner und Winker 2005; Dickel 1995, 1997; Wischer-
mann 2004, S. 222–225; Drüeke und Winker 2005; Tillmann 2008) Eines der
Probleme, die Carstensen und Winker (2005) identifizierten, war das mühsame
Auffinden von Fraueninitiativen im Netz, was zu Überlegungen führte, wie eine
Optimierung aus programmiertechnischer Sicht bewerkstelligt werden könnte. Die
mangelnde Sichtbarkeit von Fraueninitiativen im Netz kritisierte auch Schachtner
(2005), die in einer empirischen Studie erhob, dass die meisten Aktivitäten der
Akteurinnen über private Emails erfolgten und nicht über (halb)öffentliche Foren,
Chats oder Mailinglisten. Wie von Frauenorganisationen des globalen Nordens
initiierte „Entwicklungsprojekte“ das hegemoniale Nord-Süd-Verhältnis perpetuier-
ten, zeigt Hanna Hacker (2008) in ihrer Studie bezüglich Subsahara-Afrika auf.
Mit dem Internet eröffnete sich auch ein potenzieller Arbeitsmarkt für Frauen, ihr
Anteil war aber gering. Die berufliche Situation Ende der 1990er-Jahre war trotz
hoher technischer Ausbildung von Frauen hauptsächlich auf den Bereich des Web-
designs mit geringem Einkommen beschränkt. (Dorer 2001a) Zudem sahen sich die
Programmiererinnen immer wieder mit geschlechterstereotypen Zuschreibungen,
männlicher Dominanz und sexueller Belästigung konfrontiert, was als lästige Be-
gleiterscheinung hingenommen wurde. In ihrer Selbstpräsentation perpetuierten
auch sie den Mythos von der Verbindung Technik – Internet – Männlichkeit und
führten ihn mit einer weiteren Differenzierung von ‚männlich codierter hard-core-
Programmierung‘ und ‚weiblich codierter HTML-Programmierung‘ fort. (Dorer
2001a) Auch in ihrer symbolischen Verortung folgten sie weitgehend den geschlech-
terbinären Codierungsmustern, sodass von einem Aufbrechen der Geschlechter-
grenzen kaum gesprochen werden konnte. (Dorer 2001b) Die Entwicklung der
Software blieb so weiterhin eine Männerdomäne. Studien (Funken 1998; Balsamo
2011; Allhutter 2012; Rommes 2014) zeigen aber, dass gerade Softwareentwick-
lerinnen sensibler als ihre männlichen Kollegen in der Umsetzung eines geschlech-
tergerechten Software-Designs wären.
Ein weiterer Forschungsstrang beschäftigte sich empirisch mit den privaten
Praxen der Internetanwendung. Das betrifft die Selbstkonstruktion im Zuge der
ersten Erfahrungen im Umgang mit dem Internet sowie die Selbstkonstruktion in
Chatrooms (Dorer 2000, 2001b). Untersucht wurden empirisch auch die Erfahrun-
gen mit Cybersex (Döring 2000), der Umgang mit sexuellen Inhalten im Netz
(Döring 2013) oder, aus juristischer Sicht, das in der Öffentlichkeit breit diskutierte
Thema Pornografie und Prostitution im Internet (Ruschmeier 1998). Vorwiegend
Genealogie neuer Kommunikationstechnologien und Geschlecht. Zu den . . . 477

positive Auswirkungen des Internets zeigten sich in einer empirischen Umfrage von
Dittmann und Siegle (1998): Homosexuelle Personen wüssten die Offenheit im Netz
zu schätzen und würden sich besser als im realen Alltag verstanden fühlen. Ein
weiteres Forschungsgebiet betraf Computerspiele. Hier interessierte feministische
Forscherinnen vor allem, wie das männlich codierte Genre durch „starke Frauenfi-
guren“ – wie beispielsweise Lara Croft – verändert werden könnte. (Deuber-
Mankowsky 2001; Richard 2004) Die zunehmende Verbreitung des Internets regte
in weiterer Folge auch die Methodendiskussion an, bei der es um die Frage ging, wie
etwa eine gendersensitive Forschung zum Internet aussehen müsste. (Winker 2004)
Ferner entwickelten Carstensen und Winker (2012) ein Methodendesign, um die
Inhalte und die Nutzung des Internets aus intersektionaler Perspektive zu erforschen.

5 Fazit: Zur aktuellen Entwicklung des Internets

Mit der zunehmenden Kommerzialisierung des Internets und insbesondere mit der
vierten Phase der Entwicklung – der Etablierung des Web 2.0 und der sozialen
Medien – bestätigte sich das, was schon von der Entwicklung früherer Medien-
technologien wie Telefon, Radio, Fernsehen, Video bekannt war. Mit der Heraus-
bildung des Kommunikationsdispositivs, dessen vorläufigen Höhepunkt das Internet
darstellt, wurden die Anreizungs-, Wissens- und Kontrollmacht zu jenen Regulati-
ven, die mittels Normierung und Disziplinierung die neuen Kommunikationsfrei-
heiten, welche die neuen Kommunikationstechnologien boten und bieten, konterka-
rieren. (Dorer 1999) Obgleich es keinen Zweifel daran gibt, dass die neue
Technologie zur Vernetzung und Emanzipation der Frauenbewegung weltweit bei-
getragen hat, verweisen Sarikakis und Ganter (2012) auf eine neue Kultur der Angst
und eine neue Kultur der Kontrolle, auf die weder die EU-Medienpolitik noch die
Medienpolitik auf globaler Ebene bislang eine geschlechtergerechte Antwort gefun-
den hat. Die Datenverwaltung und -verwertung durch große Internetkonzerne, die
logarithmische Steuerung politischer und privater Medieninhalte und neuere Ent-
wicklungen des Maschinen-Lernens und der Künstlichen Intelligenz (KI) verstärken
gesellschaftliche Stereotypen verschiedenster Differenzkategorien, nicht nur von
gender, race and class. (z. B. Allhutter et al. 2020; Schmidt 2021)
Weiterhin sind aber auch jene Themen aktuell, die bereits mit dem frühen Internet
aufkamen. Mit den un/sozialen Medien entstand eine Vielfalt von Diskriminierungs-
formen hinsichtlich Geschlecht, race, Herkunft, sexueller Orientierung, Klasse oder
Religionszugehörigkeit, wie etwa Hatespeech oder die zahlreichen Formen von
sexueller Belästigung sowie weltweit agierende Plattformen mit pornografischen
Inhalten. Zudem spannen der enorme Druck auf Jugendliche durch die von Influen-
cer_innen lancierten extremen Schönheitsideale oder die von männlichen Jugend-
lichen im Netz verbreiteten teils lebensgefährlichen Kraftproben ein neues, altbe-
kanntes Geschlechterregime auf.
Andererseits haben sich regional und global ein neuer politischer Aktivismus und
neue Online-Ermächtigungsstrategien für feministische Anliegen etabliert, wie etwa
die erfolgreiche Metoo-Bewegung oder Protest-Kampagnen und Vernetzungen von
478 J. Dorer

feministischen und LGBTQ-Bewegungen, die zum Teil auch auf bedeutende Erfolge
verweisen können, letztendlich aber weitgehend ein Minderheitsdiskurs im Verhält-
nis zu den mächtige Konzernstrategien bleiben.

Literatur
Allhutter, Doris. 2012. Mind scripting: A method for deconstructive design. Science, Technology &
Human Values 37(6): 684–707.
Allhutter, Doris, Florian Cech, Fabian Fischer, Gabriele Grill, und Astrid Mager. 2020. Algorithmic
profiling of job seekers in Austria: How austerity politics are made effective. Frontiers in Big
Data, Special Issue Critical Data and Algorithm Studies 17. https://doi.org/10.3389/fdata.2020.
00005.
Angerer, Marie-Luise. 1995. Körper – Geschlecht – Technologien. Das Ende der Unschuld. In
Gender challenge, Hrsg. Edeltraud Stiftinger, 29–62. Wien: Zukunfts- und Kulturwerkstätte.
Angerer, Marie-Luise. 1997. Space does matter. Erste Überlegungen zu einer Neuen Technologie
des Geschlechts. Feministische Studien 15(1): 34–47.
Angerer, Marie-Luise. 1999. body options. körper.spuren.medien.bilder. Wien: Turia und Kant.
Balka, Ellen. 1993. Women’s access to online discussions about feminism. The Electronic Journal
of Communication/La Revue Electronique de Communication 3(1). http://www.cios.org/
EJCPUBLIC/003/1/00311.HTML. Ebenso: https://www.woman.de/texte/index.html. Zugegrif-
fen am 14.05.2021.
Balsamo, Anne. 2011. Designing culture: The technological imagination at work. Durham/London:
Duke University Press.
Ben Mhenni, Lina. 2012. Vernetzt Euch! Berlin: Ullstein.
Bruckman, Amy S. 1993. Gender swapping on the internet. In Proceedings of INET ’93. Reston:
The Internet Society. https://www.cc.gatech.edu/~asb/papers/conference/gender-swapping.txt.
Zugegriffen am 17.05.2021.
Carstensen, Tanja, und Gabriele Winker. 2005. Problemorientierte Suchstrategien und die Auffind-
barkeit frauenpolitischer Inhalte im Internet. In Virtuelle Räume – neue Öffentlichkeiten. Frau-
ennetze im Internet, Hrsg. Christina Schachtner und Gabriele Winker, 91–105. Frankfurt/
New York: Campus.
Carstensen, Tanja, und Gabriele Winker. 2012. Intersektionalität in der Internetforschung. Medien
& Kommunikationswissenschaft 60(1): 3–23.
Chang, Emely. 2018. Brotopia: Breaking up the boys’ club of silicon valley. New York: Penguin
Publishing Group.
Cockburn, Cynthia, und Susan Ormrod. 1993 [1997 dt.]. Gender and technology in the making.
Newbury Park/London: SAGE.
Consalvo, Mia. 2003. Cyberfeminism. In Encyclopedia of new media, Hrsg. Steve Jones. Thousand
Oaks: SAGE. https://study.sagepub.com/sites/default/files/Ch17_Cyberfeminism.pdf. Zugegrif-
fen am 24.05.2021.
Consalvo, Mia, und Susanna Paasonen, Hrsg. 2002. Women and everyday uses of the internet:
Agency and identity. New York: Peter Lang.
Deuber-Mankowsky, Astrid. 2001. Lara Croft. In Modell, Medium, Cyberheldin. Frankfurt a. M.:
Suhrkamp.
Dickel, Helga. 1995. Computervermittelte Kommunikation – Online-Erfahrungen und eine neue
Art der Vernetzung. beiträge zur feministischen theorie und praxis 18(40): 105–118.
Dickel, Helga. 1997. Computernetze von Frauen für Frauen. Feministische Studien 15(1): 77–84.
Dittmann, Limberg, und Wütherich Siegle. 1998. Schöne rosa Welt? Eine Studie über Schwule im
Internet. In Das Netz-Medium, Hrsg. Irene Neverla, 175–194. Wiesbaden: Westdeutscher
Verlag.
Genealogie neuer Kommunikationstechnologien und Geschlecht. Zu den . . . 479

Dorer, Johanna. 1997. Gendered Net. Ein Forschungsüberblick über den geschlechtsspezifischen
Umgang mit neuen Kommunikationstechnologien. Rundfunk und Fernsehen 45(1): 19–29.
Dorer, Johanna. 1999 [1997]. Das Internet und die Genealogie des Kommunikationsdispositivs. Ein
Medientheoretischer Ansatz nach Foucault. In Kultur – Medien – Macht. Cultural Studies und
Medienanalyse, Hrsg. Andreas Hepp und Rainer Winter, 295–318. Wiesbaden: Westdeutscher.
Dorer, Johanna. 2000. Geschlechterkonstruktion in der Aneignung und Anwendung des Internets.
Medien & Zeit 15(2): 40–51.
Dorer, Johanna. 2001a. Internet und Geschlechterordnung: Expertinnen im Gespräch. Medien und
Kommunikationswissenschaft 49(1): 44–61.
Dorer, Johanna. 2001b. Internet und Geschlecht. Berufliche und private Anwendungspraxen der
neuen Technologie. In Kommunikationswissenschaft und Gender Studies, Hrsg. Elisabeth
Klaus, Jutta Röser, und Ulla Wischermann, 241–266. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Dorer, Johanna. 2011. WikiLeaks and the construction of gender by the media. International
Journal of Media and Cultural Politics 7(3): 357–362.
Dorer, Johanna. 2012. Editorial, Neue Kommunikationstechnologien und Gender. Medien Journal
36(2): 2–5.
Döring, Nicola. 1999. Sozialpsychologie des Internets. Göttingen/Bern/Toronto: Hogrefe.
Döring, Nicola. 2000. Feminist views of cybersex: Victimization, liberation, and empowerment.
CyberPsychology & Behavior 3(5): 863–884.
Döring, Nicole. 2013. Sex 2.0 – Chancen und Risiken für Mädchen und Frauen. In Die Frauen und
das Netz, Hrsg. Birgit Kampmann, Bernhard Keller, Michael Knippelmeyer, und Frank Wagner,
275–290. Wiesbaden: Gabler und Springer.
Drüeke, Ricarda. 2020. Grenzziehungen und Grenzauflösungen – Digitale Medien und Geschlecht.
In Feministische Theorie und kritische Medienkulturanalyse, Hrsg. Tanja Thomas und Ulla
Wischermann, 315–327. Bielefeld: transcript.
Drüeke, Ricarda, und Gabriele Winker. 2005. Neue Öffentlichkeiten durch frauenpolitische Inter-
netauftritte. In Virtuelle Räume – neue Öffentlichkeiten. Frauennetze im Internet, Hrsg. Chris-
tina Schachtner und Gabriele Winker, 31–49. Frankfurt/New York: Campus.
Ernst, Waltraud. 2020. Feministische Netzpolitik und Netzaktivismus. In Feministische Theorie
und kritische Medienkulturanalyse, Hrsg. Tanja Thomas und Ulla Wischermann, 523–537.
Bielefeld: transcript.
Farwell, Edie, Peregrine Wood, Maureen James, und Karen Banks. 1999. Global networking for
change: Experience from the APC Women’s Programme. In Women@internet. Creating new
cultures in cyberspace, Hrsg. Wendy Harcourt, 102–113. London/New York: Zed Books.
Frissen, Valerie. 1994 [1992]. Trapped in electronic cages? Gender and new information tech-
nologies in the public and private domain. In Gender und Medien, Hrsg. Marie-Luise Angerer
und Johanna Dorer, 198–213. Wien: Braumüller.
Funken, Christiane. 1998. Neue Berufspotentiale für Frauen in der Software-Entwicklung. In
Computernetze – Frauenplätze. Frauen in der Informationsgesellschaft, Hrsg. Veronika Oech-
tering und Gabriele Winker, 57–66. Opladen: Leske und Budrich.
Funken, Christiane. 2002. Digital doing gender. In Praxis internet, Hrsg. Stefan Münker und
Alexander Roesler, 158–181. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Gestendörfer, Monika. 1998. Informationstechnologie und die digitale Konstruktion von Frauen-
körpern. Metis. Zeitschrift für Frauenforschung und feministische Praxis 7(13): 51–63.
Hacker, Hanna. 2008. First Plug-in. Konstruktion und Repräsentation von Begegnungen zwischen
Fremden und Computern. In Medien – Politik – Geschlecht. Feministische Befunde zur politi-
schen Kommunikationsforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, und Regina Köpl,
249–265. Wiesbaden: VS.
Haraway, Donna. 1985. A manifesto for cyborgs. Science, technology, and socialist feminism in the
1980’s. Socialist Review 80:65–108.
Harcourt, Wendy, Hrsg. 1999. Women@internet. Creating new cultures in cyberspace.
London/New York: Zed Books.
480 J. Dorer

Herring, Susan. 1994. Gender differences in computer-mediated communication. Bringing familiar


baggage to the new frontier. http://www.woman.de/texte/index.html. Zugegriffen am
24.05.2021.
Hoffmann, Ute. 1987. Computerfrauen. Welchen Anteil haben Frauen an der Computergeschichte
und -arbeit. München: Hampp.
Hooffacker, Gabriele, und Rena Tangens. 1997. Online guide. Frauen & Netze. Reinbek bei
Hamburg: Rowohlt.
Kramarae, Cheris. 1995. A backstage critique of virtual reality. In CyberSociety. Computer me-
diated communication and community, Hrsg. Steven Jones, 36–56. Thousand Oaks: SAGE.
Krämer, Sybille, Hrsg. 2015. Ada Lovelace. Die Pionierin der Computertechnik und ihre Nach-
folgerinnen. Paderborn: Wilhelm Fink.
Kroker, Arthur, und Michael Weinstein. 1994. Data trash. The theory oft the virtual class.
New York: St. Martin’s Press.
Lovink, Geert, und Pit Schultz. 1999. Aus der Schatzkammer der Netzkritik. In Kommunikation –
Medien – Macht, Hrsg. Rudolf Maresch und Niels Weber, 299–328. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Mastrangelo-Gittler, Alice. 1999. Mapping women’s global communications and networks. In
Women@internet. Creating new cultures in cyberspace, Hrsg. Wendy Harcourt, 91–101.
London/New York: Zed Books.
Nakamura, Lisa. 1995. Race in/for cyberspace: Identity tourism and racial passing on the internet.
Works and Days 25–26(13): 181–193. https://smg.media.mit.edu/library/nakamura1995.html.
Zugegriffen am 24.05.2021.
Paasonen, Susanna. 2005. Surfing the Waves of feminism: Cyberfeminism and its others. http://
www.labrys.net.br/labrys7/cyber/susanna.htm. Zugegriffen am 24.05.2021.
Paasonen, Susanna. 2002. Gender, identity, and the limits of play on the internet. In Women &
everyday uses oft the internet, Hrsg. Mia Consalvo und Susanna Passonen, 21–43. New York:
Peter Lang.
Plant, Sadie. 1998 [engl. 1997]. nullen + einsen. Digitale Frauen und die Kultur der neuen
Technologien. Berlin: Berlin Verlag.
Richard, Birgit. 2004. Sheroes. Genderspiele im virtuellen Raum. Bielefeld: transcript.
Rommes, Els. 2014. Feminist interventions in the design process. In Gender in science and
thechnology, Hrsg. Waltraud Ernst und Ilona Horwarth, 41–56. Bielefeld: transcript.
Ruschmeier, Sibylle. 1998. Schattenseiten: Kinderpornographie und-prostituion im Internet. In Das
Netz-Medium, Hrsg. Irene Neverla, 153–174. Wiesbaden: Westdeutscher.
Sarikakis, Katharine, und Sarah A. Ganter. 2012. Governance and technologies of surveillance:
Revisiting the gendered divide. Medien Journal 36(2): 6–21.
Schachtner, Christina. 2005. Virtuelle Mädchen- und Frauennetze als Kommunikationsräume. In
Virtuelle Räume – neue Öffentlichkeiten, Frauennetze im Internet, Hrsg. Christina Schachtner
und Gabriele Winker, 167–218. Frankfurt/New York: Campus.
Schachtner, Christina, und Gabriele Winker, Hrsg. 2005. Virtuelle Räume – neue Öffentlichkeiten.
Frauennetze im Internet. Frankfurt/New York: Campus.
Schinzel, Britta, und Christine Zimmer. 1998. Informatik-Frauen. Freiburger FrauenStudien
1:223–238. http://www.budrich-journals.de/index.php/fgs/article/viewFile/7639/6614. Zuge-
griffen am 25.05.2021.
Schmidt, Francesca. 2021. Netzpolitik. Opladen: Budrich.
Shade, Leslie Regan. 1994. Gender issues in computer networking. In Women, work and compu-
terization: Breaking old boundaries, building new forms, Hrsg. Alison Adam, Judy Emms,
Eileen Green, und Jenny Owen, 91–105. Amsterdam: Elsevier.
Spender, Dale. 1996 [engl. 1995]. 1. Auffahrt Cyberspace. Frauen im Internet. München:
Frauenoffensive.
Stone, Allucquère R. 1991. Will the real body please stand up? Boundary stories about virtual
cultures. In Cyberspace. First steps, Hrsg. Michael Benedikt, 81–118. Cambridge/London: MIT
Press. (Dt. 2016. In Gender & Medien-Reader, Hrsg. Kathrin Peters und Andrea Seier, 225–248.
Zürich: diaphanes.).
Genealogie neuer Kommunikationstechnologien und Geschlecht. Zu den . . . 481

Tangens, Rena. 1996. Ist das Internet männlich? Androzentrismus im Netz. In Kursbuch Internet.
Anschlüsse an Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur, Hrsg. Stefan Bollmann und
Christiane Heibach, 355–378. Mannheim: Bollmann.
Tillmann, Angela. 2008. Identitätsspielraum Internet. Weinheim: Beltz, Juventa.
Troung, Hoai-An. 1993. Gender issues in online communications. https://wiki.preterhuman.net/
Gender_Issues_in_Online_Communications. Zugegriffen am 24.05.2021.
Turkle, Sherry. 1998 [engl. 1995]. Leben im Netz. Identität in Zeiten des Internet. Reinbek
b. Hamburg: Rowohlt.
We, Gladys. 1993. Cross-gender-communication in cyberspace. Paper for CMNS 855. Vancouver:
Simon Fraser University. https://www.woman.de/texte/we.html. Zugegriffen am 24.05.2021.
Winker, Gabriele. 2004. Internetforschung aus Genderperspektive. In Gender methodologisch,
Hrsg. Sylvia Buchen, Cornelia Helfferich, und Maja Maier, 123–142. Wiesbaden: VS.
Wischermann, Ulla. 2004. Der Kommunikationsraum Internet als Gendered Space. Medien und
Kommunikationswissenschaft 52(2): 214–229.
Youngs, Gillian. 1999. Virtual voices: Real lives. In Women@internet. Creating new cultures in
cyberspace, Hrsg. Wendy Harcourt, 55–68. London/New York: Zed Books.
Feministische Linguistik – Sprachkritik im
Kontext der Neuen Frauenbewegung

Susanne Hochreiter

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484
2 Neue Frauenbewegung – neue Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484
3 Wiederentdeckte Vorkämpferinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486
4 „Alle Menschen werden Schwestern“: Frauensprache – Männersprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487
5 Sprache – Sprechen – Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488
6 Frauen_Stimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490
7 Ausblick: Verändernde Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491

Zusammenfassung
Sprachkritik ist ein wichtiges Element feministischer Politik. Forderungen nach
sprachlicher Anerkennung und Sichtbarkeit, nach neuen Möglichkeiten sprach-
lichen Ausdrucks für Frauen sowie Strategien gegen Dominanzgesten und
Machtpraxen in der Kommunikation begleiten bereits die Anfänge der Neuen
Frauenbewegung. In diesem Beitrag geht es um zentrale Ideen und prägende
Forscherinnen der frühen Phase der Auseinandersetzung.

Schlüsselwörter
Feministische Linguistik · Feministische Sprachkritik · Frauensprache ·
Geschlechtergerechte Sprache · Generisches Maskulinum

S. Hochreiter (*)
Universität Wien, Wien, Österreich
E-Mail: susanne.hochreiter@univie.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 483
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_83
484 S. Hochreiter

1 Einleitung

Sprachkritik gehört zu politischen Bewegungen dazu – das war und ist auch in der
Frauenbewegung der Fall. Das beinhaltet neue Begriffe, aber auch neue Sprech-
praxen. Unermüdlich argumentiert und wirbt Luise F. Pusch seit den 1970er-Jahren
genau dafür. Sie gilt gemeinsam mit Senta Trömel-Plötz als Gründerin der feminis-
tischen Linguistik im deutschsprachigen Raum. Gemeinsam mit Marlis Hellinger
und Ingrid Guentherodt haben sie linguistische Pionierinnenarbeit geleistet. Im
Wintersemester 1974/75 hielt Guentherodt an der Universität Trier erstmals ein
Hauptseminar zu „Rollenverhalten der Frau und Sprache“. (FrauenMediaTurm a
o. J.) Der Seminartitel macht deutlich, dass es den feministischen Linguistinnen um
mehrere Dimensionen der Sprache ging: einerseits um die Sprache selbst, um
Begriffe und Grammatik, aber auch um Fragen sprachlichen Verhaltens im Zusam-
menhang mit Geschlechterrollen.
Inspiriert waren die Wissenschaftlerinnen von der politischen Auseinanderset-
zung um Sichtbarkeit von Frauen sowie vom Kampf gegen Diskriminierung und
Sexismus. Eine wichtige Rolle spielten Slogans, die etwa auf Demos gerufen
wurden, aber auch viele neue Wörter, die seitens feministischer Aktivistinnen den
alten entgegengesetzt wurden. So führten beispielsweise die Macherinnen des
Frauenkalenders, der im Herbst 1974 erstmals erschien, 1975 das Pronomen „frau“
(statt „man“) ein. (Frauenmediaturm b o. J.) Wissenschaftlich hatten die Erkennt-
nisse amerikanischer Forscherinnen wie Robin Lakoff und Mary Ritchie Key großen
Einfluss auf die Linguistinnen im deutschsprachigen Raum. Bereits zu Beginn der
1970er-Jahre haben die Amerikanerinnen erste sprachwissenschaftliche Thesen zur
„Frauensprache“ formuliert. Senta Trömel-Plötz, die in den USA Linguistik studiert
hatte, brachte die neuen Theorien in die deutschsprachige Debatte ein. Trotz der
Unterschiede in der Grammatik ging es den Forscherinnen diesseits und jenseits des
Atlantiks wesentlich um sprachliche Sichtbarkeit von Frauen, darum, nicht negiert
zu werden oder nur „mitgemeint“ zu sein. Im Fokus standen bald das „generische
Maskulinum“ und die vermeintliche Neutralität von Sprache. Zudem ging es Ak-
tivistinnen wie Forscherinnen um Kritik an einem sexistischen und generell abwer-
tenden Sprachgebrauch gegenüber Frauen, der diese sexualisiert, verdinglicht und
verniedlicht (z. B. „Fräulein“ für Kellnerinnen). Frauen haben Sprache als Herr-
schaftsinstrument begriffen, als Instrument gesellschaftlichen Handelns, und daher
auch als wichtiges Medium für die eigenen Anliegen und Forderungen entwickelt.

2 Neue Frauenbewegung – neue Begriffe

Die Frauenbewegung als gemeinsamer Raum der politischen Reflexion und Orga-
nisation sowie der intellektuellen Entwicklung war und ist für sehr viele Frauen seit
den 1970er-Jahren wichtig – auch für die Schweizer Autorin Verena Stefan. Von
1972 an engagierte sie sich in der Gruppe Brot und Rosen. Im Kontext dieses
aktivistischen Engagements entstand ihr bis heute bekanntestes und ungemein
erfolgreiches Buch Häutungen (Stefan 1975). Es erschien 1975 im damals neu
Feministische Linguistik – Sprachkritik im Kontext der Neuen Frauenbewegung 485

gegründeten Verlag Frauenoffensive. Häutungen hat die Erfahrungen, Fragen, Wün-


sche, Ideen vieler Frauen in dieser Zeit eingefangen und treffend wiedergegeben. Dass
Stefan auch viel Kritik erfuhr und angefeindet wurde, hatte mehrere Gründe, aber auch
jenen, dass sie eine der ersten war, die öffentlich die heteronormative Geschlechter-
ordnung anprangerte und zudem konservative Vorstellungen von Liebe, Ehe und
Familie als Unterdrückungsinstrumente decouvrierte. Sie tat dies in einer sprach-
kritischen Weise, und so lautet auch der erste Satz ihres Buchs: „Beim schreiben
dieses buches, dessen inhalt hierzulande überfällig ist, bin ich wort um wort und
begriff um begriff an der vorhandenen sprache angeeckt.“ (Stefan 1994, S. 33)
Stefans viel gelesener und viel zitierter Text ist ein Dokument der Suche nach
einer anderen Sprache, die weibliche Erfahrungen und Wahrnehmungen, weibliche
Identität auszudrücken vermag, die frei ist von Gewalt, die den weiblichen Körper
neu und liebevoll beschreibt und ein großes Spektrum an Gefühlen benennen, ja
lebendig machen kann. Dass Stefan das auch aus Sicht der Zeitgenoss*innen nicht
überzeugend gelungen war, steht auf einem anderen Blatt. So kritisieren insbeson-
dere Brigitte Claassen und Gabriele Goettle in einer Rezension scharf eine Sprache,
die sich neu und experimentell gibt, aber einem Biologismus verhaftet bleibe. Die
Autorinnen bemängeln eine Terminologie, die als „triviales Repertoire billiger
Pornoautoren“ bekannt sei. Das viele „Obst und Gemüse“, mit dem der weibliche
Körper beschrieben wird, habe zudem schon „ganzen Malergenerationen [. . .] dazu
verholfen“, Frauen als natürlich darzustellen. (Claassen und Goettle 1976, S. 45) Die
Kritik macht deutlich: Die Debatten – auch um die Sprache – wurden bereits zu
Beginn der Frauenbewegung intensiv geführt. Keineswegs lassen sich homogene
Positionen feststellen, wie sie in verkürzten Rückblicken auf die „Neue Frauenbe-
wegung“ zuweilen suggeriert werden. Die Suche nach den Frauen, die Erforschung
ihrer Geschichte, ihrer Werke und ihrer Sprache war Mitte der 1970er jedenfalls voll
im Gange.
Neue Begriffe, die von Feministinnen entwickelt wurden, hatten die wichtige
Funktion, die Dinge beim – treffende(re)n – Namen zu nennen, Gewaltverhältnisse
und Benachteiligungen nicht länger zu verschweigen. Sie hatten auch die Aufgabe,
deutlich zu machen, dass es keine Einzelfälle von Diskriminierung oder Ausbeutung
waren, sondern strukturelle, in jedem gesellschaftlichen Bereich und letztlich für
jede Person wirksame Bedingungen. Der Begriff „Sexismus“ ist analog zum Begriff
„Rassismus“, der in den USA bereits etabliert war, von der Journalistin Marielouise
Jannsen-Jurreit geprägt worden. Sie schreibt in ihrem Buch Sexismus. Über die
Abtreibung der Frauenfrage:

„Sexismus war immer mehr als das, was in der nichtssagenden Geschmeidigkeit politischer
Rhetorik, ‚die Benachteiligung der Frau‘ heißt oder was Soziologen verharmlosend mit
‚traditioneller Rollenverteilung‘ bezeichnen. Sexismus war immer Ausbeutung, Verstümme-
lung, Vernichtung, Beherrschung, Verfolgung von Frauen.“ (Jannsen-Jurreit 1978, S. 702)

Jannsen-Jurreit formuliert hier zentrale feministische Positionen, die sich mit aller
Radikalität gegen die Normalität und die Normen einer Geschlechterordnung stem-
men, die Frauen über Jahrhunderte hinweg als das Andere des Mannes und als
486 S. Hochreiter

inferior definierten. Vor allem die Gewalt in den Geschlechterbeziehungen kommt


hier zur Sprache.
Ein Blick auf die zu Beginn der 1970er- noch geltenden Gesetze macht klar, wie
sich patriarchale Herrschaft manifestierte. Die Unterordnung der Frauen war u. a. im
Eherecht festgelegt, das ihnen weder eigenen Besitz noch Freiheiten in Sachen Wahl
des Wohnorts, der Berufsausübung oder des Namens zugestand. Frauen waren in
vielerlei Hinsicht von Männern abhängig. Mitte der 1970er-Jahre ändert sich die
Situation sowohl in Deutschland als auch in Österreich mit liberalen Eherechts-
reformen. (Borowsky 2002; Wirth 2008) In der Schweiz gab es eine andere Situa-
tion, da die Kantone unterschiedliche Eheregeln hatten: Ehescheidung z. B. war
daher bereits zum Teil früher möglich. (Head-König 2013)

3 Wiederentdeckte Vorkämpferinnen

Weniger neu war der Begriff „Feminismus“ selbst und davon abgeleitet das Adjektiv
„feministisch“. Französisch „féminisme“ ist seit der ersten Hälfte des 19. Jh. belegt,
englisch „feminism“ seit den 1870ern (Drosdowski 1989, S. 182). Historische
Belege zeigen, dass der Begriff im Deutschen bereits Ende des 19. Jh. im Kontext
der ersten Frauenbewegung verwendet wurde. Hier beispielsweise in einer (übrigens
antifeministischen und nationalistischen) Schrift von Karl Walcker Die Frauenbe-
wegung. Kritische Betrachtungen, erschienen in Straßburg 1896: „Tüchtige Männer
und Frauen bekämpfen den Feminismus (um diesen im Französischen und Deut-
schen mehr und mehr üblich werdenden Ausdruck zu gebrauchen).“ (Walcker 1896,
S. 5) Auch der Begriff Antifeminismus ist bereits früh etabliert – jedenfalls seit
Hedwig Dohms Buch Die Antifeministen, die mit dieser Essaysammlung den Begriff
prägte. Grete Meisel-Heß schreibt 1904 in ihrer Antwort auf Otto Weiningers Buch
Geschlecht und Charakter:

„Ich hörte vor kurzer Zeit jemanden dies Thema, sowie alles, was mit Feminismus im
Zusammenhang steht, als »ausgesungen« bezeichnen. Ausgesungen – abgedroschen. Was
wäre darüber noch zu sagen? Diese Ansicht muß umso verblüffender erscheinen, als zur Zeit
häufiger denn je dickleibige Werke herauskommen, die ihr Thema, nämlich den Antifemi-
nismus [. . .] behandeln [. . .].“ (Meisel-Heß 1904, S. III)

Viele der Pionierinnen und Autorinnen der älteren Frauenbewegung und deren
Schriften werden jedoch erst von den Feministinnen der 1970er-Jahre neu entdeckt:
Faschismus und Nationalsozialismus haben Vereine, Zeitschriften, Verlage und
andere Institutionen der Frauenbewegung wie auch der lesbischen und schwulen
Subkultur zerstört. Die Feministinnen der neuen Frauenbewegung haben durch ihre
unermüdliche und akribische Recherche zahlreiche Texte gerettet, Schriftstellerin-
nen, Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen und ihre Werke wiederentdeckt und den
Brückenschlag zu den Vorkämpferinnen hergestellt. Auch diesen war Sprache wich-
tig gewesen: Das zeigt sich nicht nur darin, dass viele Frauenrechtlerinnen in
unterschiedlicher Weise publizierten, sondern auch welcher Mittel sie sich bedien-
Feministische Linguistik – Sprachkritik im Kontext der Neuen Frauenbewegung 487

ten. Hedwig Dohm wurde schon genannt, aber auch Rosa Mayreder oder Helene
Stöcker u. a. sind als Literatinnen hervorgetreten, die mit spitzer Feder, mit Ironie
und Satire die Forderungen der Frauenbewegung vertraten.

„Dohm greift die Argumente und Denkfiguren, auch die sprachlichen Wendungen der
Gegner_innen jeder Frauenemanzipation auf und treibt deren Denken sozusagen auf die
Spitze, um zu zeigen, was es damit auf sich hat. Das Denken der Antifeministen zur
Kenntlichkeit entstellen, das ist ihre Strategie – eine viel genutzte Strategie scharfer politi-
scher Satire.“ (Maurer 2018)

Eine Strategie, derer sich auch die Feministinnen jüngerer Generationen bedie-
nen. Satire und Ironie spielen in der öffentlichkeitswirksamen Arbeit von Luise
F. Pusch eine große Rolle, die in zahlreichen Glossen und Essays feministische
Sprachkritik medial einer breiten Leser*innenschaft zu vermitteln suchte.

4 „Alle Menschen werden Schwestern“: Frauensprache –


Männersprache

Während einzelne Wörter und Wendungen Gegenstand der Aufmerksamkeit waren


und Kritik ebenso wie Kreativität induzierten, lag der Fokus in der wissenschaftli-
chen Untersuchung des Zusammenhangs von Sprache und Geschlecht zunächst auf
der Ebene des Sprachverhaltens. In der Soziolinguistik widmeten sich William
Labov und Roger Shuy in den 1960er-Jahren der Kategorie Geschlecht gemeinsam
mit solchen wie Alter, Schicht oder Beruf. Ihre Ergebnisse zeigten einen besonders
korrekten Sprachgebrauch von Frauen: „Frauensprache“ wird in diesen Studien als
konkrete sprachliche Praxis verstanden. Im engeren Sinn erwies sich das Konzept
einer eigenen Frauensprache, die sich von der von Männern gesprochenen Sprache
deutlich unterscheidet (in Grammatik, Lexikon), nicht haltbar. (Samel 2000, S. 30)
Feministische Konzeptionen diskutieren Frauensprache und Sprache der Frauen
unter anderen Vorzeichen: Hier geht es um einen Ort in der Sprache, darum, darin als
Subjekt vorzukommen und die eigene Existenz als Frau in einer patriarchalen
Gesellschaft ausdrücken zu können. Senta Trömel-Plötz beschreibt Frauensprache
in ihrer Antrittsvorlesung im Jahr 1980 an der Uni Konstanz programmatisch:

„Frauensprache bedeutet: Frauen reden mit Selbstvertrauen und Sicherheit, mit Autorität,
mit Gefühl, mit Zärtlichkeit, entwickeln ihre eigenen Stile, literarische, alltagssprachliche,
professionelle, poetische, werden hörbar, hören sich gegenseitig und werden gehört. Frauen-
sprache heißt Veränderung.“ (Trömel-Plötz 1982, S. 76)

Es geht also um eigenständige Möglichkeiten, adäquaten sprachlichen Ausdruck zu


finden – in verschiedenen Stilen, Haltungen, Genera und zu unterschiedlichen Zwecken.
Ab Februar 1982 erschienen Luise F. Puschs sprachkritische Glossen u. a. in der
Zeitschrift Courage,1 dann für viele Jahre in den verschiedensten Zeitschriften und

1
Die Courage war eine feministische Zeitschrift, die von 1976 bis 1984 in West-Berlin erschien.
488 S. Hochreiter

auch im Rundfunk. Unter dem Titel Das Deutsche als Männersprache veröffent-
lichte sie eine Auswahl dieser scharfsinnig-witzigen Kommentare zum Gegenwarts-
deutsch in Theorie und Praxis zusammen mit linguistischen Aufsätzen zum Thema,
die ebenfalls mit Ironie punkten und eine breite Öffentlichkeit erreichen. Der Begriff
„Männersprache“ markiert dabei eine vermeintlich neutrale Sprachnorm und dis-
kutiert von dieser Setzung aus, was mit einer solchen Sprache einhergeht, aber auch,
welche Alternativen es gibt. Der Band wird mit einem Aufsatz mit dem Titel „Von
Menschen und Frauen“ eröffnet. In diesem Text erörtert Pusch – ausgehend von der
Aussage des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl „Wer ja zur Familie sagt,
muss auch ja zur Frau sagen“ (Pusch 1984, S. 15) – die Frage, ob Frauen als
Menschen (mit)gemeint sind, und begründet, warum das generische Maskulinum
Frauen ausschließt. Es ist ein Beitrag unter vielen, mit denen Pusch auf satirisch-
ironische Weise und anhand zahlreicher Beispiele zu verdeutlichen sucht, dass und
auf welche Weise gängiger Sprachgebrauch Frauen diskriminiert. Die Forderungen
auf den Punkt gebracht: „Frauen wollen sprachlich gewürdigt werden und sprach-
lich sichtbar sein.“ (Pusch 2008, S. 40)
Es geht aber sowohl den Aktivistinnen als auch den Wissenschaftlerinnen um
mehr: Sprachliche Auslassung und Negierung wird mit Gewalt in Verbindung
gebracht: einerseits, indem sprachliche Unsichtbarmachung als Gewalt verstanden
wird, andererseits, weil sprachliche Gewalt mit anderen Formen von Gewalt, die in
der patriarchalen Gesellschaft Frauen gegenüber stattfinden, verbunden ist.

„Die Folge der männlichen Allergie gegen das Femininum ist dessen nahezu vollständige
Verdrängung aus der Sprache, mit anderen Worten: die sprachliche Vernichtung der Frau,
denn ihre genuine sprachliche Existenzform ist das Femininum.“ (Pusch 1984, S. 11)

Ein zentraler Strang der Debatte verhandelt die Frage der Gewalt, die sich sprach-
lich nicht nur ausdrücke, sondern auch Gewalt erzeuge. Abwertendes Sprechen,
sprachliche Ausblendung und männliche Definitionsmacht: All dies zeitigt aus Sicht
der feministischen Linguistinnen Konsequenzen in Hinblick auf Wahrnehmungen,
Bewertungen und schließlich Handlungen.

5 Sprache – Sprechen – Kommunikation

Senta Trömel-Plötz hat nach ihrem Buch Frauensprache – Sprache der Veränderung
(1982), das starke Resonanz erfahren hat, 1984 einen weiteren Sammelband ver-
öffentlicht, der dem Thema Gewalt durch Sprache gewidmet ist. Es geht um nicht
weniger als – wie es im Untertitel heißt – „Die Vergewaltigung von Frauen in
Gesprächen“. Trömel-Plötz schreibt:

„Mit Hilfe von sprachlichen Äußerungen, durch Sprechen, wird hier anderen Gewalt
angetan, denn wir handeln, indem wir sprechen. [. . .] Mit Hilfe unserer Sprache erfassen
wir die Welt, und mit Hilfe von Sprache konstruieren wir unsere Wirklichkeit.“ (Trömel-
Plötz 1984, S. 50 und 51)
Feministische Linguistik – Sprachkritik im Kontext der Neuen Frauenbewegung 489

Die Ausgangsthese ist einerseits, dass Sprache Welt und Wirklichkeit schafft, und
andererseits, dass „Geschlecht zählt“: Mehr als alle anderen Eigenschaften einer
Person – sei es Herkunft, Alter oder Status – entscheide Geschlecht darüber, wie wir
handeln bzw. behandelt werden. Dies gelte auch für das Gesprächsverhalten: „Nicht-
verbale und verbale männliche Machtausübung sind möglich, weil potenziell phy-
sische Gewalttätigkeit herangezogen werden kann, sollten wir uns der verbalen
Machtausübung erwehren.“ (Trömel-Plötz 1984, S. 15)
Es entstanden zahlreiche Studien, die männliches und weibliches Sprechen und
Kommunizieren im weitesten Sinne untersuchen (u. a. Lakoff 1975; Key 1975;
Trömel-Plötz 1982). Die Ergebnisse legen deutliche Unterschiede auf allen Ebenen
der Sprache nahe: Der Wortschatz von Frauen sei geprägt von ihren spezifischen
Tätigkeits- und Lebensbereichen (Haushalt, Kinder, Mode), sie sprechen „verniedli-
chend“, um freundlich zu erscheinen, und bedienen sich häufiger einer Frageinto-
nation in Aussagesätzen. Generell zeige sich in „Frauensprache“ ein „unbestimmt-
indirekter und unsicherer Sprechstil“ (Samel 2000, S. 34). Zugleich seien Frauen
höflicher als Männer und sowohl in Aussprache als auch in Syntax besser und
korrekter als diese. Diese Ergebnisse der „erste[n] Dekade feministisch-linguistischer
Forschung“ (Samel 2000, S. 38) waren den Forscherinnen Beweis für die Machtlosig-
keit von Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft.
Historisch sind es zuerst Forschungen zur Organisation von Redebeitragswech-
seln, die einen „theoretischen Ausgangspunkt für die feministische Gesprächsana-
lyse bilden“ (Samel 2000, S. 149). 1974 erschien der Aufsatz von Harvey Sacks,
Emanuel A. Schegloff und Gail Jefferson, in dem die Autor*innen die Mecha-
nismen des Wechsel von Redebeiträgen beschreiben. Ausgehend von dieser Studie
konnten feministische Wissenschaftlerinnen verschiedene geschlechtsbezogene
Formen des Gesprächsverhaltens analysieren. Ausgangspunkt dieser Arbeiten ist
die Annahme, dass einerseits Männer in Gesprächen dominieren, dass sie also auf
verschiedenen Ebenen des Gesprächs Privilegien und Macht innehaben, und dass
andererseits Frauen benachteiligt und diskriminiert werden. Samel spricht von
einem „Dominanz-Unterdrückungs-Konzept“, das lange Zeit forschungsleitend
gewesen sei. (Samel 2000, S. 153) Es basiert auf der These, dass sich Macht-
strukturen auch im Gesprächsverhalten zeigen. Untersucht wird, wer wen wie oft
unterbricht, wer welche Konventionen (Höflichkeit, Stil) bricht oder inhaltlich
dominiert. Senta Trömel-Plötz zählt folgende Gesprächsphänomene als Beispiele
männlichen Dominanzverhaltens auf: Männer ergreifen öfter das Wort und spre-
chen länger als Frauen, sie unterbrechen Frauen systematisch, sie bestimmen das
Gesprächsthema, sind aber weniger an der Entwicklung des Themas beteiligt
(Gesprächsarbeit leisten eher Frauen). (Trömel-Plötz 1984, S. 58–61). Sie resü-
miert die Position von Männern in gemischtgeschlechtlichen Gesprächen: „Männer
zählen mehr, sind wichtiger, sind besser, sind mehr wert als Frauen.“ (Trömel-Plötz
1984, S. 63)
490 S. Hochreiter

6 Frauen_Stimmen

Die Gewalt im Gespräch findet auf mehreren Ebenen statt und hat verschiedene
Facetten. Im Kern sind es jedoch zwei Elemente, die nach dieser Auffassung
zuungunsten von Frauen wirksam werden: eine grundsätzliche Abwertung von
Frauen sowie von Weiblichkeit einerseits und damit verbunden das Nachwirken
historischer Redeverbote2 andererseits. Birgit Kienzle verdeutlicht in einem Artikel
1989 diesen Zusammenhang, wenn sie u. a. auf biblische Redeverbote bei Paulus
hinweist: „Das Weib schweige in der Gemeinde“ oder „Zu lehren gestatte ich der
Frau nicht“ – diese Sätze – heute z. T. anders gedeutet (Braun 2019) – dienten als
Rechtfertigung der Unterdrückung von Frauen.

„Die wenigen Frauen, die heute öffentlich reden, im Bundestag, im Fernsehen in Diskussi-
onsrunden, auf Konferenzen und Tagungen, erleben dieses noch immer wirksame Rede-
verbot, erfahren, daß sie noch immer nicht reden dürfen wie Männer, daß sie knapp, schnell,
präzise zur Sache reden müssen, daß sie sich sprachlich nicht so breit auslassen und
darstellen dürfen wie ihre männlichen Vor- und Nachredner oder Diskussionspartner.“
(Kienzle 1989, S. 52)

Eingedenk des Skandals, den die SPD-Politikerin Lenelotte von Bothmer 1970
auslöste, als sie in einem Hosenanzug ans Redepult des deutschen Bundestags trat,
wird deutlich, wie prekär öffentliches Sprechen von Frauen damals – also vor erst
50 Jahren – war. Vorausgegangen war diesem bewusst gesetzten Akt ein Kommentar
des damaligen Vizepräsidenten des Bundestags, Richard Jaeger von der CSU, dass
er keiner Frau erlauben würde, das Plenum in Hosen zu betreten oder gar in solcher
Kleidung zu sprechen. (Tatarinov 2018) Nicht nur Redeordnungen, sondern auch
Kleiderordnungen waren zu dieser Zeit sehr strikt. Von Bothmer setzte ein Zeichen
in einer feministischen Tradition, die nicht um Erlaubnis fragt, sondern sich Rechte
und Räume erkämpft. 51 Jahre vor ihr sprach Marie Juchacz (SPD) als erste Frau
überhaupt im Bundestag. In Österreich war es die Sozialistin und Pionierin der
Frauenbewegung, Adelheid Popp, die 1919 als erste Frau eine Rede im Nationalrat
hielt. Nach 1848 wirkten erst 1971 in der 39. Legislaturperiode des Schweizerischen
Parlaments Frauen wieder im National- und Ständerat mit.

7 Ausblick: Verändernde Praxis

Für die feministische Position war früh klar: Die Analyse muss zu einer veränderten
Praxis führen. So manifestierte sich die Kritik an einer Sprache, die Frauen unter-
drückt, in konkreten sprachpolitischen Maßnahmen: in Empfehlungen, Richtlinien
und Leitfäden für einen nicht-sexistischen und geschlechtergerechten Sprach-
gebrauch. Aber auch Schulbuch- und Wörterbuchkritik sind Bestandteil sprach-

2
Eine wesentliche Rolle spielt, dass Frauen in vielen Teilen der Welt über lange Zeit keine
anerkannten Rechtssubjekte waren. Vgl.: Holzleithner 2002.
Feministische Linguistik – Sprachkritik im Kontext der Neuen Frauenbewegung 491

kritischer und -politischer feministischer Arbeit. Ingrid Samel nennt die Maßnahmen
sprachpolitisch insofern, als „nicht ausschließlich linguistisch begründbare Empfeh-
lungen der Sprachveränderung geäußert werden beziehungsweise Änderungswün-
sche auch von linguistischen Laiinnen aus sozialen Beweggründen (etwa die Ver-
besserung der Situation der Frau) vorgebracht werden“ (Samel 2000, S. 127). 1980
formulierten Ingrid Guentherodt, Senta Trömel-Plötz, Luise Pusch und Marlies
Hellinger die ersten deutschen „Richtlinien zur Vermeidung sexistischen Sprach-
gebrauchs“ (Trömel-Plötz et al. 1980). Zahlreiche weitere folgten.
Wie erfolgreich feministische Sprachwissenschaft und -politik waren, zeigt sich
nicht nur daran, dass diese Richtlinien in vielen Institutionen umgesetzt wurden,
sondern auch daran, wie sehr Praxen und Fragen sprachlicher Sichtbarmachung bis
heute präsent sind.

Literatur
Borowsky, Peter. 2002. Sozialliberale Koalition und innere Reformen. https://www.bpb.de/izpb/
10109/sozialliberale-koalition-und-innere-reformen?p¼all. Zugegriffen am 08.05.2021.
Braun, Annegret. 2019. Warum Eva keine Gleichstellungsbeauftragte brauchte. Gottes Idee für
Frauen und Männer. Holzgerlingen: SCM R. Brockhaus.
Claassen, Brigitte, und Gabriele Goettle. 1976. „Häutungen“ eine Verwechslung von Anemone und
Amazone. Courage 1(1): 45–46.
Drosdowski, Günther. 1989. Etymologie. Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache. 2., völlig
neu bearb. u. erw. Aufl. Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich: Dudenverlag.
FrauenMediaTurm a. o.J. Feministisches Archiv und Bibliothek (FMT). Vom Binnen-I zum
Gender-Sternchen: Die Sprache der Geschlechter. https://frauenmediaturm.de/neue-frauen
bewegung/geschlechtergerechte-sprache/. Zugegriffen am 08.05.2021.
FrauenMediaTurm b. o.J. Feministisches Archiv und Bibliothek (FMT). Frauen als Gründerinnen:
Frauenverlage, Zeitschriften. https://frauenmediaturm.de/neue-frauenbewegung/frauenzentren-
emma-courage/. Zugegriffen am 08.05.2021.
Head-König, Anne Lise. 2013. Ehe. In Historisches Lexikon der Schweiz, Hrsg. Schweizerischen
Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften. https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007975/
2013-10-03/#HDasEndederEhe3F. Zugegriffen am 08.05.2021.
Holzleithner, Elisabeth. 2002. Recht, Macht, Geschlecht. Legal Gender Studies. Eine Einführung.
Wien: WUV Universitätsverlag.
Jannsen-Jurreit, Marielouise. 1978. Sexismus. Über die Abtreibung der Frauenfrage. 3., veränd.
Aufl. München/Wien: Carl Hanser.
Key, Mary Ritchie. 1975. Male–female language. Metuchen: Scarecrow Press.
Kienzle, Birgit. 1989. Gewalt in der Sprache – Herrschaft durch Sprache. Eva & Co. Eine
feministische Kulturzeitschrift 15:52–57.
Lakoff, Robin. 1975. Language and woman’s place. San Francisco: Harper Colophon Books.
Maurer, Susanne. 2018. Hedwig Dohms „Die Antifeministen“. In bpb Bundeszentrale für politische
Bildung. (Schwerpunkt (Anti-)Feminismus). https://www.bpb.de/apuz/267946/hedwig-dohms-
die-antifeministen?p¼0. Zugegriffen am 08.05.2021.
Meisel-Heß, Grete. 1904. Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto
Weiningers Buche „Geschlecht und Charakter“ geäußerten Anschauungen über „Die Frau und
ihre Frage“. Wien: Die Wage.
Pusch, Luise F. 1984. Das Deutsche als Männersprache. Aufsätze und Glossen zur feministischen
Linguistik. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Pusch, Luise F. 2008. Die Eier des Staatsoberhaupts und andere Glossen. Göttingen: Wallstein.
492 S. Hochreiter

Sacks, Harvey, Emanuel A. Schegloff, und Gail Jefferson. 1974. A simplest systematics for the
organization of turn-taking for conversation. Language 50(4,1): 696–735.
Samel, Ingrid. 2000 [1995]. Einführung in die Feministische Sprachwissenschaft. Überarb. u. erw.
Aufl. Berlin: Erich Schmidt.
Stefan, Verena. 1994 [1975]. Häutungen. Neuauflage. Frankfurt a. M.: Fischer.
Tatarinov, Jennifer. 2018. Lenelotte von Bothmer – Die erste Bundestagsrede einer Frau im Hosen-
anzug. https://hundertjahrefrauenwahlrecht.de/1970-lenelotte-von-bothmer-die-erste-bundes
tagsrede-einer-frau-im-hosenanzug/. Zugegriffen am 08.05.2021.
Trömel-Plötz, Senta. 1982 [1979]. Frauensprache – Sprache der Veränderung. Frankfurt a. M.:
Fischer TB.
Trömel-Plötz, Senta, Hrsg. 1984. Gewalt durch Sprache. Die Vergewaltigung von Frauen in
Gesprächen. Frankfurt a. M.: Fischer TB.
Trömel-Plötz, Senta, Ingrid Guentherodt, Marlis Hellinger, und Luise F. Pusch. 1980. Richtlinien
zur Vermeidung sexistischen Sprachgebrauchs. Linguistische Berichte 69:15–21. (Themenheft:
Sprache, Geschlecht und Macht I, Hrsg.: Luise F. Pusch und Senta Trömel-Plötz).
Walcker, Karl. 1896. Die Frauenbewegung. Kritische Betrachtungen. Straßburg. Digitalisat: http://
www.deutschestextarchiv.de/book/view/walcker_frauenbewegung_1896?p¼10. Zugegriffen am
08.05.2021.
Wirth, Maria. 2008. Familienrechtsreform. In Demokratiezentrum Wien, Hrsg. Gertraud Diendorfer.
http://www.demokratiezentrum.org/themen/demokratieentwicklung/1968ff/familienrechtsre
form.html. Zugegriffen am 08.05.2021.
Teil V
Medien im Kontext von Politik und Ökonomie
Öffentlichkeit herausfordern?
Feministische Perspektiven auf
Öffentlichkeit

Regina Köpl

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496
2 Bürgerliche Öffentlichkeit als Idealtypus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496
3 Feministische Kritik an klassischen Öffentlichkeitskonzeptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497
4 Öffentlichkeit neu denken – Konzepte einer feministischen Theorie von
Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500
5 Neue Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502
6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505

Zusammenfassung
Seit den 1970er-Jahren haben feministische Theoretikerinnen die Geschlechter-
ignoranz klassischer Öffentlichkeitstheorien kritisiert. Zentraler Bezugspunkt der
Kritik war die Engführung klassischer Öffentlichkeitstheorien auf politische
Kommunikation sowie die Dichotomisierung von öffentlicher und privater Sphä-
re und die Einschreibung von Frauen in das Private. Eine feministische Perspek-
tive richtet sich daher auf die Kritik an der sozialwissenschaftlichen Schlüssel-
kategorie Öffentlichkeit (in einem normativen oder praxologischen Verständnis),
auf die Entwicklung feministischer Öffentlichkeitsmodelle sowie auf neue
Herausforderungen durch die Globalisierung und das Internet.

Schlüsselwörter
Öffentlichkeit · Privatheit · Feministische Öffentlichkeitstheorien ·
Frauenöffentlichkeiten · Feministische Öffentlichkeiten · Feministische
Öffentlichkeitsmodelle

R. Köpl (*)
Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien, Wien, Österreich
E-Mail: regina.koepl@univie.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 495
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_4
496 R. Köpl

1 Einleitung

Seit mehr als 50 Jahren hat der Begriff Öffentlichkeit in den Sozialwissenschaften
Dauerkonjunktur. 1962 ist Jürgen Habermas Habilitationsschrift „Strukturwandel
der Öffentlichkeit“ erschienen. In der Folge wurde um eine Diskursethik gerungen
(u. a. Habermas 1992), Gegenöffentlichkeiten beschworen (u. a. Negt und Kluge
1972) und spätestens mit der Durchsetzung des Web 2.0 ein neuer Strukturwandel
von Öffentlichkeit ausgerufen (u. a. Imhof 2011). Es gibt keine verbindliche Defi-
nition von Öffentlichkeit. Öffentlichkeit kann als virtueller Raum gedacht werden
(u. a. Drüeke 2017), als diskursive Selbstverständigungsorganisation der Gesell-
schaft (u. a. Habermas 1983) oder als Interaktionszusammenhang, „der die Alltags-
welt der Bürgerschaft mit der Welt politischer Entscheidungen verknüpft“ (Rucht
2010, S. 9). Vorstellungen über Öffentlichkeit sind konstitutiv für jede Demokratie-
theorie. Je nach Demokratieverständnis werden unterschiedliche Funktionen von
Öffentlichkeit hervorgehoben (Marx Ferree et al. 2002). Der Begriff der Öffentlich-
keit kann als Kampfbegriff gesehen werden, mit dem sich die Forderung nach
politischer Teilhabe verbindet, oder als zentrale demokratiepolitische Norm, die es
zu verteidigen gilt. Vor allem aber ist er „doppelsinnig: Er kann sowohl einen
empirisch erkennbaren Sachverhalt als auch eine Idee vorstellen . . .“ (Hohendahl
2000, S. 3).
Aufgrund ihrer Verschränkung mit gesellschaftlichen Geschlechterordnungen hat
die feministische Auseinandersetzung mit den sozialwissenschaftlichen Schlüssel-
kategorien Öffentlichkeit und Privatheit eine lange Tradition. FeministInnen kri-
tisierten u. a. die Geschlechterignoranz liberaler Öffentlichkeits- und Demokra-
tietheorien und stellten die Engführung klassischer Öffentlichkeitstheorien auf
politische Kommunikation (Parlamente und Medien) sowie die Dichotomisierung
von Öffentlichkeit und Privatheit in Frage. Mit dem Slogan Das Private ist politisch
hat die Neue Frauenbewegung seit den 1970er-Jahren darauf aufmerksam gemacht,
dass Öffentlichkeit immer mit Privatheit zusammengedacht werden muss. Es gilt,
sowohl die Bedeutung der Begriffe selbst als auch ihr Verhältnis zueinander den
jeweiligen gesellschaftlichen Machtverhältnissen entsprechend neu zu bestimmen.

2 Bürgerliche Öffentlichkeit als Idealtypus

Als Sphäre zwischen Staat und Gesellschaft entstand moderne bürgerliche Öffent-
lichkeit im ausgehenden 18. Jahrhundert. Als Folge der Emanzipationsbestrebungen
des neu entstandenen Bürgertums grenzte sich ein zunächst in Kaffeehäusern oder
Salons räsonierendes Publikum, gedacht als Versammlung von Privatleuten, sowohl
gegen die absolutistische Obrigkeit wie auch gegen die Masse des Volkes ab
(u. a. Fraser 1990). Im Laufe des 19. Jahrhunderts führte das Entstehen von
Massenpresse und neuen Formen der politischen Organisation – z. B. (Massen-)
Parteien – zu einer Ausweitung der öffentlichen Sphäre, die nun ein breites Mas-
senpublikum umfasste. Zu den zentralen Funktionen von Öffentlichkeit zählen
gesellschaftliche Selbstverständigung durch (rationale) Aushandlungsprozesse,
Öffentlichkeit herausfordern? Feministische Perspektiven auf Öffentlichkeit 497

Mobilisierung der öffentlichen Meinung sowie Transparenz und Kontrolle von


politischen Entscheidungen.
Für das 20. Jahrhundert konstatierte Habermas einen Strukturwandel der Öffent-
lichkeit, hervorgerufen durch die wohlfahrtsstaatliche Verrechtlichung von Lebens-
bereichen und die Kommerzialisierung von Medien und Politik (Habermas 1983).
Die Allgegenwart neuer, durch Werbung finanzierter Massenmedien hätte das räso-
nierende in ein konsumierendes Publikum verwandelt. Regierungen, vor allem aber
Parteien, setzen ihrerseits wiederum PR-BeraterInnen und Werbefachleute ein, um
ihre Interessen in den Medien zu verkaufen. Das Entstehen großer, ausschließlich an
Profit orientierter Medienkonzerne führt zu einer (Re-)Feudalisierung von Öffent-
lichkeit (Habermas 1983, S. 214). Die fortschreitende Ökonomisierung der Medi-
enlandschaft in den letzten Jahrzehnten, vor allem aber ihre Orientierung an perso-
nalisierter, emotionalisierter und an Sensationen interessierter Berichterstattung
sowie die Vervielfältigung von Kommunikationsräumen im Internet deuten manche
WissenschaftlerInnen als neuerlichen Strukturwandel von Öffentlichkeit (Fraser
2010). Andere sehen darin bloß neue Entwicklungen, neue Formen und Praktiken,
die der kritischen Reflexion bedürfen (Klaus und Drüeke 2012, S. 66).

3 Feministische Kritik an klassischen


Öffentlichkeitskonzeptionen

3.1 Zur Dichotomie von privater und öffentlicher Sphäre

Feministinnen betrachten die starre Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit und
die Zuweisung von Frauen als Genusgruppe in die private Sphäre als zentralen
Bezugspunkt bürgerlich patriarchaler Geschlechterverhältnisse. „The dichotomy
between the privat and the public is ... what the feminist movement is about“
(Pateman 1983, S. 281). Durch die Abwertung des Privaten als vorpolitisch blei-
ben Machtasymmetrien in privaten und intimen Beziehungen ausgeblendet. Ge-
schlechtsspezifische Formen von Diskriminierung werden unsichtbar und gesell-
schaftliche Ungleichheiten (re)produziert (u. a. Young 1987; Hausen 1976). Fraser
verweist auf die Funktion solcher Klassifikationen in hierarchisch strukturierten
Gesellschaften: „In political discourse, they are powerful terms that are frequently
deployed to delegitimate some interests, views, and topics and to valorize others“
(Fraser 1990, S. 73).
Ausgehend von den privaten Erfahrungen von Frauen forderten Feministinnen
Selbstbestimmung über den eigenen Körper, deckten die vielfältigen Formen sexua-
lisierter Gewalt auf und problematisierten die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung.
Denn, „Hausarbeit, Familiengefüge, die Frage, wer die alte Mutter pflegt, sind
gesellschaftliche Fragen – und kein privates Detail“ (Villa 2009, S. 118). Der
bekannte Slogan „Das Private ist politisch“ stand auch für eine Strategie der
Feminisierung der als formalisiert wahrgenommenen bürgerlich patriarchalen
Öffentlichkeit durch Tugenden, die traditionell Frauen zugeschrieben werden,
wie Empathie, Fürsorge oder persönliche „Bindung an Stelle sachbezogener
498 R. Köpl

Verhandlung“ (Holland-Cunz 1994, S. 238). So forderte z. B. Sara Ruddik (1993,


S. 136) die Ausrichtung öffentlicher Aktivitäten an einer mütterlichen Praxis.
In den 1980er- und 1990er-Jahren deckten feministische Theoretikerinnen die
ideengeschichtlichen Wurzeln des Frauenausschlusses bei den Vordenkern moderner
Staats- und Demokratietheorien auf und zeigten, „daß die Art, wie diese Unterschei-
dung bisher vollzogen wurde, Teil eines Herrschaftsdiskurses ist, der die Unter-
drückung und Ausbeutung der Frauen im privaten Bereich legitimiert“ (Benhabib
1995, S. 125). Um die Unterordnung von Frauen unter die Gewalt des Ehemannes zu
begründen, hätten die Väter modernen politischen Denkens, „entgegen ihrem eige-
nen Anspruch, Herrschaft nicht aus der Natur abzuleiten, eine ‚naturgegebene‘
männliche Überlegenheit bemüht“ (Braun und Dieckmann 1994, S. 159, Hervorhe-
bungen im Original). Carol Pateman (1994) macht auf einen geheimen Geschlech-
tervertrag aufmerksam, der dem Gesellschaftsvertrag der Vertragstheorien zugrunde
liegt. Während der Gesellschaftsvertrag das Öffentliche als eine Sphäre von Freiheit,
Gleichheit und Brüderlichkeit konzipierte, wurde den Frauen der Status des Indivi-
duums abgesprochen, vor allem das Eigentum an der eigenen Person und die damit
verbundenen bürgerlichen Rechte. Begründet wurde dies u. a. mit dem Hinweis auf
ihre mangelnde bürgerliche Vernunft (Kant), stärkere Emotionalität (Rousseau) oder
Unfähigkeit, sich den Anforderungen der Allgemeinheit (Hegel) zu unterwerfen
(u. a. Pateman 1996).
Die Dichotomie Öffentlichkeit/Privatheit wurde also mit weiteren Dichotomisie-
rungen – z. B. Geist/Körper oder Vernunft/Emotion – und durch die Einschreibung
von Frauen in jeweils eines der beiden hierarchisch gedachten Gegensatzpaare
verstärkt. „Der Gegensatz privat/öffentlich ist ein anderer Ausdruck für natürlich/
gesellschaftlich und Frauen/Männer“ (Pateman 1994, S. 85). So stehen Frauen für
das Körperliche und für Emotionen, während der den Männern vorbehaltene öffent-
liche Diskurs und das Politische als eine Sphäre des Rationalen interpretiert wurde.
Dabei wurde übersehen, dass im Politischen immer schon das Spiel mit den Emo-
tionen eingelassen war. Ein Blick auf die Strategien der bisherigen Frauenbewegun-
gen zeigt, dass frauenrelevante Forderungen erst durch Skandalisierung von Un-
rechtserfahrungen und durch emotional aufgeladene Praktiken der Darstellung
sichtbar gemacht und einem breiten öffentlichen Diskurs zugeführt werden konnten
(u. a. Wischermann 2017; Gerhard 2017). Dazu zählt der zivile Ungehorsam der
Suffragetten im 19. Jahrhundert ebenso wie die öffentlichen Selbstanklagen von
Frauen, die abgetrieben haben, in den 1970er-Jahren oder die schwarzen Abend-
kleider bei der Golden-Globe-Verleihung 2018 im Kontext von #MeToo und
Time’s Up.
Außerdem sind Benennung und Politisierung spezifischer Unrechtserfahrungen,
die sich aus differenten Lebensbedingungen ergeben, ohne Emotionalisierung gar
nicht möglich (Klaus und Drüeke 2012, S. 58).
Ab den 1990er-Jahren verknüpften queer-feministische Theorieansätze die Tren-
nung von Öffentlichkeit und Privatheit mit der hegemonialen Festschreibung von
Heteronormativität, d. h. der vorgestellten Existenz von nur zwei Geschlechtern,
eben Mann und Frau. Unter anderem auch weil Fragen von Begehren und
Geschlechtsidentität als privat gelten, werden andere, nicht auf heterosexuellem
Öffentlichkeit herausfordern? Feministische Perspektiven auf Öffentlichkeit 499

Begehren basierende Lebensentwürfe marginalisiert und Heteronormativität repro-


duziert,1 statt gängige Vorstellungen von Realität in Frage zu stellen und neue
Formen einzuführen (u. a. Ludwig 2016, S. 199). Auf theoretischer Ebene wurden
Ordnungskategorien – vom Subjekt bis hin zur Kategorie Gender – dekonstruiert.
Für die politische Praxis wird der performative, spielerische Umgang mit Ge-
schlechtsidentitäten empfohlen (Butler 1991).

3.2 Exklusionen

Die Ausführungen der US-amerikanische Theoretikerin Nancy Fraser stehen in der


Tradition der kritischen Theorie. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen zu Öffentlich-
keit ist das deliberative Öffentlichkeitsmodell von Jürgen Habermas, dessen Engfüh-
rungen sie aufzeigt und ergänzt (Fraser 1990, S. 57). So hätte Habermas nicht
thematisiert, dass Ausschlüsse von subalternen gesellschaftlichen Gruppen, u. a.
Frauen, aber auch Angehörigen der Arbeiterklasse oder bestimmter ethnischer
Gruppen, bereits im Entstehen der bürgerlichen Öffentlichkeit angelegt waren. Die
Idealisierung der bürgerlichen Öffentlichkeit hätte die im 18. und 19. Jahrhundert
real existierenden bäuerlichen, proletarischen, aber auch frauenspezifischen Gegen-
öffentlichkeiten sowie deren Beziehungen zueinander negiert. Die Bevorzugung der
bürgerlichen Öffentlichkeit ist daher historisch falsch und eine ideologische Set-
zung, die reale Herrschafts- und Geschlechterverhältnisse sowie einen neuen Modus
des Regierens – Hegemonie statt Repression – legitimieren sollte (Fraser 1990,
S. 62). Neben die formellen Ausschlussmechanismen traten informelle Differenzie-
rungsstrategien: z. B. durch Bevorzugung eines rationalen Sprachverhaltens. Daher
müssen die kulturellen Praktiken selbst Gegenstand der Analyse von Öffentlich-
keiten werden. Auf der Ebene des politischen Handelns gilt es, sich für das Zulassen
alternativer Kommunikationsformen einzusetzen: „affirming in the practice of such
discussion the proper place of passion and play in the public“ (Young 1987, S. 75).
Für Habermas und andere Demokratietheoretiker soll sich der öffentliche Diskurs
auf Themen von allgemeinem Interesse beschränken. Wer bestimmt jedoch, ob ein
Thema von allgemeinem Interesse oder eine bloß private Frage ist? In segmentierten
Gesellschaften wird jeder Konsens über ein Allgemeininteresse meist durch Unter-
drückung alternativer Diskurse gewonnen. So bestimmen in der Regel (männliche)
Angehörige der weißen Ober- und Mittelschicht über die öffentlich zu behandelnden
Themen (u. a. Elshtain 1981).

1
„Die Norm besitzt keinen unabhängigen ontologischen Stellenwert, und dennoch kann sie nicht
auf ihre Erscheinungen reduziert werden. Sie wird durch ihre Verkörperung (re)produziert, durch
die Handlungen, die sich ihr anzunähern suchen, durch die Idealisierungen, die in und durch solche
Handlungen reproduziert werden“ (Butler 2009, S. 85).
500 R. Köpl

3.3 Allgegenwart des Politischen

Mit dem Slogan Das Private ist politisch wurde auf die „Allgegenwart des Politi-
schen“ (Greven 1994, S. 291) hingewiesen und ein Politikbegriff eingefordert, der
nicht auf (nationalstaatliches) Entscheidungshandeln verkürzt ist. Das Politische ist
nicht auf die eigens dafür eingerichteten Institutionen und reglementierten Verfahren
beschränkt, z. B. Parlamente, Regierungen, Verwaltung, Parteien, Verbände etc.,
sondern umfasst „any persistant pattern of human relationships that involves, to a
significant extent, power, rule, or authority.“ (Dahl 1963, S. 6). Politische Aushand-
lungsprozesse können den innerfamiliären Umgang mit Hausarbeit ebenso betreffen
wie Vereinbarungen im Freundeskreis. Selbstverständigung kommt immer dann ins
Spiel, wenn traditionelle Bedeutungszuschreibungen, Werte oder Regelungen brü-
chig geworden sind. Ein aus seiner nationalstaatlichen Umklammerung befreiter
Politikbegriff verweist auf vielfältige, auch unorthodoxe Formen und Arenen poli-
tischen Handelns sowie auf die Notwendigkeit der Neuvermessung von Öffentlich-
keit und Privatheit (Köpl 2008). So sind die zunehmende Verschmelzung von Politik
und Unterhaltung in den Medien (Politainment), aber auch Protestformen wie die
Regenbogenparade nicht a priori unpolitisch, sondern können zur Thematisierung
bisher marginalisierter Anliegen und zur Erlangung von Deutungshoheit in gesell-
schaftlichen Verständigungsprozessen beitragen.

4 Öffentlichkeit neu denken – Konzepte einer feministischen


Theorie von Öffentlichkeit

4.1 Feministische Öffentlichkeitsmodelle

Feministische DenkerInnen haben alternative Konzepte von Öffentlichkeit entwi-


ckelt und gehen dabei von einem Netzwerk heterogener (Teil-)Öffentlichkeiten aus
(u. a. Fraser 1990; Klaus 2017). Denn für das demokratische Ideal gleicher Teilhabe
eignet sich die Vorstellung multipler Teilöffentlichkeiten besser als die Idee einer
einzigen allumfassenden Öffentlichkeit, die in Wirklichkeit nur dominanten Grup-
pen Vorteile bringt (Fraser 1990). Nancy Faser betont die Bedeutung der Bildung
von subalternen Gegenöffentlichkeiten für emanzipatorische soziale Bewegungen:
Sie fungieren als Orte des Rückzugs, der (kollektiven) Identitätsbildung und als
Basis für Agitation (Fraser 1990, S. 67). Gegenöffentlichkeiten stellen hegemoniale
Diskurse in Frage, machen die Bedürfnisse marginalisierter Gruppen sichtbar und
versuchen deren Anliegen in den institutionalisierten öffentlichen Diskurs einzu-
bringen – sie haben damit eine Brückenfunktion. Fraser denkt die Beziehungen
zwischen den einzelnen Teilöffentlichkeiten als hierarchische Verkettung und unter-
scheidet – je nach Grad ihrer Anbindung an die Institutionen der Entscheidungsfin-
dung – zwischen starken und schwachen Öffentlichkeiten (Fraser 1990). Im Unter-
schied zu schwachen Öffentlichkeiten (z. B. Selbsthilfegruppen) umfasst der Diskurs
bei starken Öffentlichkeiten (z. B. Parteien oder Verbände) sowohl Meinungsbildung
als auch Entscheidungsfindung.
Öffentlichkeit herausfordern? Feministische Perspektiven auf Öffentlichkeit 501

Von einer Vielzahl von Öffentlichkeiten geht auch das Drei-Ebenen-Modell von
Elisabeth Klaus aus (zuletzt Klaus 2017). Für Klaus liegt die zentrale Funktion von
Öffentlichkeit auf gesellschaftlichen Verständigungsprozessen, die auf drei unter-
schiedlichen – analytisch trennbaren – Ebenen stattfinden. Die einzelnen Ebenen
unterscheiden sich in ihrem Organisationsgrad, in Hinblick auf unterschiedliche
Kommunikationsformen und -praxen sowie in ihrem Grad an Professionalisierung.
Die erste Ebene sind Alltagsöffentlichkeiten, also persönliche Begegnungen von
BürgerInnen, sei es im Stiegenhaus oder auf der Parkbank neben dem Kinderspiel-
platz. Ohne klare Rollenverteilung kann es dabei zu einem gleichberechtigen Aus-
tausch von Meinungen und Erfahrungen kommen. Gegenöffentlichkeiten, wo Inte-
ressen artikuliert und zu Forderungen gebündelt werden, sind auf einer mittleren
Ebene angesiedelt. Sie kennzeichnet eine erste Ausdifferenzierung in Spreche-
rInnen- und ZuhörerInnenrollen; es kann sich dabei u. a. um Vereine, Verbände oder
Protestbewegungen handeln. An der Spitze der Pyramide steht die komplexe Öffent-
lichkeit, bestehend aus dem institutionellem Entscheidungssystem (Regierungen,
Parlamenten etc.) und den etablierten Massenmedien. Hochgradige Professionali-
sierung, eine unumkehrbare Rollenverteilung zwischen SprecherInnen und Pu-
blikum sowie top-down-Kommunikation charakterisieren komplexe Öffentlichkeiten.
Die drei Ebenen sind nicht starr voneinander abgegrenzt, sondern durchlässig und
miteinander verschränkt.

4.2 Frauenöffentlichkeiten und feministische Öffentlichkeiten

Im Gegensatz zu Frauenöffentlichkeiten, z. B. Frauenzeitschriften oder TV-Soaps


ohne emanzipatorischen Anspruch, gelten feministische Öffentlichkeiten als „Öf-
fentlichkeiten und Diskurse, in denen herrschende Geschlechterverhältnisse zum
Thema gemacht und kritisch analysiert werden und die auf transformative Verän-
derungen gesellschaftlicher Strukturen und Machtverhältnisse gerichtet sind“ (Gei-
ger 2002b, S. 91). Zu den feministischen Gegenöffentlichkeiten zählen sämtliche
Initiativen mit emanzipatorischem Anspruch, die seit den 1970er-Jahren entstanden
sind. Das Spektrum reicht von Frauengruppen, Frauenhäusern über Frauenbuch-
handlungen und Frauenverlage, Zeitschriften wie Emma oder Courage im deutsch-
sprachigen Raum bis hin zu Tagungen, Workshops und der Einrichtung der Gender
Studies an den Universitäten. Mit dem Internet sind neue Kommunikationsräume
sowohl für traditionelle Frauenöffentlichkeiten, aber auch für feministische Öffent-
lichkeiten entstanden.
In Hinblick auf ihre Brückenfunktion stehen Gegenöffentlichkeiten immer vor
dem Problem, ob und wie weit es gelingt, Themen auf die politische Agenda zu
setzen, d. h. die Mainstreammedien und die politische Öffentlichkeit dafür zu
interessieren. So gelang es feministischen Öffentlichkeiten, den Gewaltbegriff auf
die alltäglichen Formen von geschlechterbezogener Gewalt auszuweiten und ent-
sprechende gesetzliche Änderungen zu erreichen (Geiger 2008). Mit welcher Stra-
tegie muss die Ebene subkultureller, in Hinblick auf Inhalte und Kommunikations-
formen jedoch selbstbestimmter feministischer Gegenöffentlichkeiten verlassen
502 R. Köpl

werden, um einen Diskurs in einer breiteren Öffentlichkeit zu initiieren? Unter


welchen Bedingungen und windows of opportunity sind subalterne Diskurse in
Massenmedien und institutioneller Politik anschlussfähig, ohne dass Themen ver-
kürzt dargestellt und Positionen einseitig vereinnahmt werden? Die Vermittlungs-
filter für feministische Anliegen liegen u. a. in den redaktionellen Selektions- und
Verarbeitungsroutinen der Male/Mainstreammedien (Geiger 2002a). Dazu zählen
neben der Aktualität eines Themas u. a. Emotionalisierung und Personalisierung in
der Darstellung. Die #Metoo-Kampagne hätte ohne Hollywoodberühmtheiten und
der Nennung prominenter Täter nicht so viel massenmediale Aufmerksamkeit
erfahren.

5 Neue Herausforderungen

5.1 Transnationalisierung

Zu den angesichts von Globalisierungsprozessen wohl spannendsten Debatten ge-


hört die Frage nach der Transnationalisierung von Öffentlichkeit (u. a. Fraser 2008
und 2010). Denn historisch bedingt wurde der Begriff Öffentlichkeit auf den Nati-
onalstaat bezogen. Öffentlichkeit wurde damit „zu einer Angelegenheit nationaler
Bürger, die miteinander ihre nationalen Fragen (wie nationale Wirtschaft, ihre
nationalen Interessen) diskutieren, wobei sie beabsichtigen, ihre nationalen Pro-
bleme zu lösen und den Nationalstaat der Kontrolle seiner Bürger zu unterwerfen“
(Fraser 2010, S. 23).
Angesichts des Bedeutungszuwachses weltweit agierender Wirtschaftsunterneh-
men und supranationaler Gebilde – wie der Europäischen Union –, aber auch des
Anwachsens von Policy Issues, die nicht länger auf nationalstaatlicher Ebene ver-
handelt werden können – etwa Fragen des Klimaschutzes, der globalen Wander-
bewegung, der internationalen Freihandelsabkommen etc. –, muss das Konzept von
Öffentlichkeit um eine transnationale Dimension erweitert werden. Dies betrifft
Fragen nach der Teilhabe, der Funktion, aber auch den Adressaten von transnatio-
nalen Öffentlichkeiten. So können sich Proteste sowohl gegen Nationalstaaten,
supranationale Organisationen als auch global agierende Konzerne richten. Auch
sind differente und zeitversetzte Resonanzen möglich: #Metoo zeigt, wie ein Thema
länder- und kulturspezifisch unterschiedlich aufgegriffen und verarbeitet wird. Sind
es in den USA oft Unternehmen, die auf Beschwerden über sexuelle Übergriffe
reagierten, wird in Europa eher die Verschärfung bestehender Gesetze diskutiert. Vor
dem Hintergrund von Globalisierung und aktuellen gesellschaftlichen Veränderun-
gen werden neue Exklusionsmechanismen sichtbar – z. B. in Hinblick auf die
Teilhabe von Migrantinnen an den öffentlichen Diskursen. Daher plädiert Nancy
Faser dafür, Betroffenheit statt StaatsbürgerInnenschaft zum Ausgangspunkt der
Teilhabe an öffentlichen Auseinandersetzungen zu machen. Prinzipiell sollen alle,
die von einer Entscheidung betroffen sind, auch das Recht haben, in den öffentlichen
Aushandlungsprozessen gehört zu werden (Fraser 2010, S. 20). Wohl nur empirisch
zu beantworten sind Fragen nach dem Zusammenwirken von lokalen, nationalen
Öffentlichkeit herausfordern? Feministische Perspektiven auf Öffentlichkeit 503

und transnationalen Öffentlichkeiten sowie nach der Rolle des Internets in Hinblick
auf die Mobilisierungs- und Durchsetzungskraft transnationaler sozialer Bewegun-
gen und ihrer Proteste.

5.2 Netzöffentlichkeiten

Ausgehend von der aktuellen Entwicklung des Web 2.0. stellt das Internet eine
zentrale Herausforderung für jede Theorie der Öffentlichkeit dar. Mit dem Internet
sind sowohl neue Teilöffentlichkeiten als auch komplexere Beziehungen zwischen
den einzelnen Öffentlichkeiten entstanden: So betreiben reichweitenstarke Printme-
dien und Rundfunkanstalten selbst Online-Ausgaben mit Kommentarfunktion. Netz-
aktvistInnen produzieren und distribuieren selbst Inhalte, sodass die Rollenvertei-
lung zwischen ProduzentInnen und passivem Publikum durchlässiger geworden ist.
Zudem ist in den letzten Jahren eine in ihren Ansätzen und Positionen sehr hetero-
gene feministische Netz-Szene entstanden (u. a. Drüeke 2015).
Einerseits erleichtert das Internet die Vernetzung von feministischen AkteurIn-
nen, wodurch eine breitere und internationalere Öffentlichkeit für gemeinsam
geteilte Problemlagen entsteht. Die aktuelle #Metoo-Kampagne ist ein Beispiel für
das Entstehen transnationaler Teilöffentlichkeiten und verweist auf die Ausweitung
der Mobilisierungschancen durch soziale Medien. Zudem werden alternative Le-
bensentwürfe und sexuelle Orientierungen im Netz stärker sichtbar. Auch queer-
feministische Strategien haben ihren Platz in der Internetkommunikation. Offen
bleibt jedoch, ob mit der Pluralisierung von Lebensformen im Netz auch die
Hoffnung auf einen breiten gesellschaftlichen Diskurs über heteronormative Leit-
vorstellungen verbunden werden kann. Die Vervielfältigung der Teilöffentlichkeiten
im Web 2.0. wird nicht von allen Feministinnen positiv bewertet. So warnt vor allem
die ältere Generation vor einer Zersplitterung feministischer Öffentlichkeiten
(u. a. Fraser 2010). Feministische Auseinandersetzungen um Positionen, Themen
oder Strategien werden im Netz stärker sichtbar. Die algorithmusgesteuerten Selek-
tionsmechanismen von Plattformen und Suchmaschinen – Stichwort Filterblasen –
können jedoch die Nischenbildung innerhalb der feministischen Netz-Szene begüns-
tigen. Interviews mit deutschen globalisierungskritischen AktivistInnen zeigen
außerdem, dass es neben virtueller Vernetzung auch gemeinsame Aktionen und
persönliche Treffen – also traditionelle Versammlungsöffentlichkeiten – braucht,
um sich einer Bewegung längerfristig anzuschließen (Daphi 2012).
Andererseits bietet das Internet nicht nur Raum für emanzipatorische Bewegun-
gen und Inhalte, sondern auch für neue Formen antifeministischer und maskulinisti-
scher Propaganda. Frauen sind von Hate-Postings, Cyber-Mobbing oder den Anfein-
dungen von Trollen, die sich als Provokateure in feministische Netz-Öffentlichkeiten
einschleichen, stärker betroffen als männliche Netzaktivisten (u. a. Gruber 2012).
Viele Aktivistinnen ziehen sich in der Folge zurück. Die Empörung über Hate-
Speech verweist auf die Notwendigkeit der Aushandlung von normativen Kriterien,
wie und in welcher Form etwas öffentlich gesagt werden darf. Auch im Netz sind die
Partizipationschancen durch kulturelle und sozioökonomische Positionierungen
504 R. Köpl

bestimmt. Der digital divide realisiert sich in einer Kombination von Geschlecht,
Bildung, Region, Einkommen und Alter (Carstensen 2012, S. 24). Vor allem ältere,
sozial schwache Frauen aus ländlichen Gebieten, aber insbesondere Frauen aus
Teilen Afrikas und Asiens haben weniger Zugang zum Internet und damit geringere
Chancen auf den Erwerb digitaler Kompetenzen. Die digitale Spaltung betrifft nicht
nur Fragen des Zugangs, sondern auch die Sichtbarkeit im Netz. Frauen sind in der
Blogszene aktiver, die höchst gerankten Blogs werden jedoch von Männern
geschrieben. Nur 10 % der Wikipedia-Einträge stammen von Frauen, und feminis-
tische Beiträge wurden bereits gelöscht (Carstensen 2013, S. 114–115).

6 Fazit

Jede feministische Theorie von Öffentlichkeit steht vor der Aufgabe, die formellen
und informellen Ausschlussmechanismen zu benennen, die den Zugang zu Öffent-
lichkeit sowie die Definition dessen, was öffentlich verhandelbar ist, begrenzen.
Zudem ist keine wie auch immer geartete Rekonstruktion des Begriffs Öffentlichkeit
dagegen gefeit, selbst wiederum neue Ausschlüsse zu produzieren. Um neuen
Marginalisierungen u. a. auch durch weiße Mittelschicht-Feministinnen entgegen-
zuwirken, forderten women of color bereits früh die Einnahme einer intersektionalen
Perspektive, verstanden als Fokus auf die Verschränkung von kultureller, religiö-
ser und ethnischer Zugehörigkeit sowie Klassenzugehörigkeit und Geschlecht
(u. a. Meyer 2017).
Feministische Öffentlichkeitskritik richtete sich gegen dualistische Setzungen
wie weiblich – männlich, öffentlich – privat etc. Dennoch stehen auch feministische
Ansätze vor dem Dilemma, dass sie, um politisch handlungsfähig zu bleiben, genau
jene Kategorien brauchen, die sie eigentlich dekonstruieren müssen (Braidotti 1994,
S. 20). Dies gilt für ein gemeinsames WIR-Frauen ebenso wie für die Dichotomie
Öffentlichkeit – Privatheit. Einen Begriff in Frage zu stellen, „heißt zu fragen, wie er
funktioniert, welche Besetzungen er trägt, welche Ziele er anstrebt, welche Verän-
derungen er erfährt. Das veränderliche Leben dieses Begriffes schließt seine Ver-
wendung nicht aus“ (Butler 2009, S. 290).
Angesichts von Datenaggregation und Datendistribution durch internationale
Konzerne wie Facebook, Google u. a., aber auch von Hate-Speech braucht es
verstärkt Regelungen zum Schutz der Privatsphäre. Bereits 2001 hat Beate Rössler
neben dem Recht auf ein Zuhause auch auf die Dimensionen informationelle
Privatheit (Kontrolle über Weitergabe und Verwendung persönlicher Informationen)
und dezisionale Privatheit (Definitionsmacht über das, was einem als privat gilt)
hingewiesen (Rössler 2001). Die mit 25. Mai 2018 in Kraft getretene EU-
Datenschutz-Grundverordnung gilt aber erst als ein erster Schritt in Hinblick auf
die transnationale Regelung von informationeller Privatheit.
Es geht also nicht darum, vorschnell Kategorien aufzugeben, sondern diese an
den geänderten gesellschaftlichen Kontext anzupassen. In Hinblick auf ein Konzept
von Öffentlichkeit ohne essenzialistische A-priori-Fixierungen schlägt Fraser vor,
die Idee der Öffentlichkeit reflexiv zu verwenden, d. h. „sie förmlich auf sich selbst
Öffentlichkeit herausfordern? Feministische Perspektiven auf Öffentlichkeit 505

anzuwenden. Nur durch öffentliche Auseinandersetzung und Aushandlung können


wir festlegen, was gemeinschaftliche Angelegenheiten und somit legitime Fragen für
Diskussionen in der Öffentlichkeit sind“ (Fraser 2010, S. 19). Öffentlichkeit ist ein
fluides Konzept, denn aufgrund sozioökonomischer, kultureller und politischer, aber
auch technischer Veränderungen ist der Begriff sowie seine Verschränkung mit
anderen Begriffen2 einer permanenten Bedeutungsverschiebung unterworfen. Öf-
fentlichkeit ist daher als Prozess zu begreifen, als offenes Projekt, „das Einsicht in
neue Formen der Herrschaft gewährt und den Weg zu einer emanzipatorischen
sozialen Transformation aufzeigen kann“ (Fraser 2010, S. 25).

Literatur
Benhabib, Seyla. 1995. Das Selbst im Kontext. Kommunikative Ethik im Spannungsfeld von
Feminismus, Kommunikation und Postmoderne. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Braidotti, Rosi. 1994. Gender und Post-Gender. Die Zukunft einer Illusion. In Facetten feministi-
scher Theoriebildung, Band 14: Zur Krise der Kategorien. Frau, Lesbe, Geschlecht, Hrsg.
Verein Sozialwissenschaftliche Forschung und Bildung für Frauen, 7–31. Frankfurt a. M.:
Selbstverlag.
Braun, Kathrin, und Anne Dieckmann. 1994. Individuelle und generative Reproduktion in den
politischen Philosophien von Hobbes, Locke und Kant. In Demokratie oder Androkratie?
Theorie und Praxis demokratischer Herrschaft in der feministischen Diskussion, Hrsg. Elke
Biester, Barbara Holland-Cunz, und Birgit Sauer, 157–187. Frankfurt a. M./New York: Campus.
Butler, Judith. 1991. Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Butler, Judith. 2009. Die Macht der Geschlechternormen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Carstensen, Tanja. 2012. Gendered Web 2.0. Geschlechterverhältnisse und Feminismus in Zeiten
von Wikis, Weblogs und sozialen Netzwerken. Medien Journal 36(2): 22–34.
Carstensen, Tanja. 2013. Verhandlungen von Geschlecht und Feminismus im Web 2.0. In Ge-
schlechterverhältnisse und neue Öffentlichkeiten. Feministische Perspektiven, Hrsg. Birgit
Riegraf, Hanna Hacker, Heike Kahlert, Brigitte Liebig, Martina Peitz, und Rosa Reitsamer,
112–127. Münster: Westfälisches Dampfboot.
Dahl, Robert A. 1963. Modern political analysis. Englewood Cliffs: Prentice Hall.
Daphi, Priska. 2012. Zur Identität transnationaler Bewegungen. Aus Politik und Zeitgeschichte
62(25–26): 42–48.
Drüeke, Ricarda. 2015. Feministischer Hashtag-Aktivismus. Forschungsjournal Soziale Bewegun-
gen 28(3): 26–35.
Drüeke, Ricarda. 2017. Politische Kommunikationsräume im Internet. In Öffentlichkeiten und
gesellschaftliche Aushandlungsprozesse. Theoretische Perspektiven und empirische Befunde,
Hrsg. Elisabeth Klaus und Ricarda Drüeke, 39–60. Bielefeld: transcript.
Elshtain, Jean Bethke. 1981. Public man, private women: Women in social and political thought.
Princeton: Princeton University Press.
Ferree, Myra Marx, William A. Gamson, Jürgen Gerhards, und Dieter Rucht. 2002. Four models of
public sphere in modern democracies. Theory and Society 31(3): 289–324.
Fraser, Nancy. 1990. Rethinking the public sphere: A contribution to the critique of actually existing
democracy. Social Text 25/26:56–80.

2
Auch Thiele, Maier und Linke schlagen angesichts der gegenwärtigen Wandlungsprozesse vor,
Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht nicht als voneinander unabhängige Entitäten zu denken,
sondern als wechselseitig aufeinander bezogene prozessuale Begriffe zu begreifen (Thiele et al.
2012).
506 R. Köpl

Fraser, Nancy. 2008. Die Transnationalisierung der Öffentlichkeit. In Medien – Politik und
Geschlecht. Feministische Befunde zur politischen Kommunikationsforschung, Hrsg. Johanna
Dorer, Brigitte Geiger, und Regina Köpl, 18–34. Wiesbaden: Springer.
Fraser, Nancy. 2010. Kritische Theorie im neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit. Forschungs-
journal Neue Soziale Bewegungen 23(3): 18–25.
Geiger, Brigitte 2002a. Feministische Öffentlichkeiten. Ansätze, Strukturen und aktuelle Heraus-
forderungen. In Feministische Kommunikations- und Medienwissenschaft. Ansätze, Befunde
und Perspektiven der aktuellen Entwicklung, Hrsg. Johanna Dorer und Brigitte Geiger, 80–97.
Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Geiger, Brigitte. 2002b. Mediale Vermittlung feministischer Öffentlichkeiten. In der/die Journalis-
mus. Geschlechterperspektiven in den Medien (=Beiträge zur Medien- und Kommunikations-
gesellschaft 9), Hrsg. Julia Neissl, 91–111. Innsbruck/Wien/München/Bozen: Studien Verlag.
Geiger, Brigitte. 2008. Die Herstellung von Öffentlichkeit für Gewalt an Frauen. In Medien – Politik
und Geschlecht. Feministische Befunde zur politischen Kommunikationsforschung, Hrsg. Dorer
Johanna, Brigitte Geiger, und Regina Köpl, 204–217. Wiesbaden: Springer.
Gerhard, Ute. 2017. Skandalöse Bilder – Momentaufnahme der englischen Suffragettenbewegung.
Feministische Studien 25(1): 51–60.
Greven, Michael. 1994. Die Allgegenwart des Politischen und die Randständigkeit der Politikwis-
senschaft. In Wozu Politikwissenschaft? Über das Neue in der Politik, Hrsg. Claus Leggewie,
285–298. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Gruber, Laura. 2012. Maskulinismus im Internet. In Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht in
Bewegung. Forschungsperspektiven der kommunikations- und medienwissenschaftliche
Geschlechterforschung, Hrsg. Tanja Maier, Martina Thiele, und Christine Linke, 163–175.
Bielefeld: transcript.
Habermas, Jürgen. 1983 [1962]. Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer
Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Darmstadt/Neuwied: Luchterland.
Habermas, Jürgen. 1992. Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des
demokratischen Rechtsstaates. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Hausen, Karin. 1976. Die Polarisierung der „Geschlechtscharaktere“. Eine Spiegelung der Dis-
soziation von Erwerbs- und Familienleben. In Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit
Europas. Neue Forschungen, Hrsg. Werner Conze, 363–393. Stuttgart: Klett-Cotta.
Hohendahl, Peter U. 2000. Öffentlichkeit – Geschichte eines kritischen Begriffs. Stuttgart/Weimar:
Metzler.
Holland-Cunz, Barbara. 1994. Öffentlichkeit und Intimität – demokratietheoretische Überlegungen.
In Demokratie oder Androkratie? Theorie und Praxis demokratischer Herrschaft in der femi-
nistischen Diskussion, Hrsg. Elke Biester, Barbara Holland-Cunz, und Birgit Sauer, 227–246.
Frankfurt/New York: Campus.
Imhof, Kurt. 2011. Die Krise der Öffentlichkeit. Kommunikation und Medien als Faktoren sozialen
Wandels. Frankfurt a. M.: Campus.
Klaus, Elisabeth. 2017. Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Selbstverständigungsprozess und das
Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit. Rückblick und Ausblick. In Öffentlichkeiten und
gesellschaftliche Aushandlungsprozesse. Theoretische Perspektiven und empirische Befunde,
Hrsg. Elisabeth Klaus und Ricarda Drüeke, 17–37. Bielefeld: transcript.
Klaus, Elisabeth, und Ricarda Drüeke. 2012. Öffentlichkeiten in Bewegung? Das Internet als
Herausforderung für feministische Öffentlichkeitstheorien. In Medien, Öffentlichkeit und
Geschlecht in Bewegung. Forschungsperspektiven der kommunikations- und medienwissen-
schaftliche Geschlechterforschung, Hrsg. Tanja Maier, Martina Thiele, und Christine Linke,
51–70. Bielefeld: transcript.
Köpl, Regina. 2008. Verschiebungen – Neuvermessungen – (Wieder)Entdeckungen. Feministische
Diskurse zum Verhältnis von Öffentlichkeit/Privatheit als zentralen Kategorien politischer
Kommunikation. In Medien – Politik – Geschlecht. Feministische Befunde zur politischen
Kommunikationsforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, und Regina Köpl, 35–50.
Wiesbaden: Springer.
Öffentlichkeit herausfordern? Feministische Perspektiven auf Öffentlichkeit 507

Ludwig, Gundula. 2016. Das „liberale Trennungsdispositiv“ als staatstragendes Konstrukt. Eine
queer-feministische hegemoniekritische Perspektive auf Öffentlichkeit und Privatheit. Politi-
sche Vierteljahresschrift 57(2): 193–216.
Meyer, Kathrin. 2017. Theorien der Intersektionalität. Zur Einführung. Hamburg: Junius.
Negt, Oskar, und Alexander Kluge. 1972. Öffentlichkeit und Erfahrung. Zur Organisationsanalyse
von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Pateman, Carol. 1983. Feminist critiques of the public/private dichotomy. In Public and private in
social life, Hrsg. Stanley Benn und Gerald F. Gaus, 281–303. New York: St. Martin’s Press.
Pateman, Carol. 1994. Der Geschlechtervertrag. In Feministische Politikwissenschaft, Hrsg. Erna
Appelt und Gerda Neyer, 73–96. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik.
Pateman, Carol. 1996. Feminismus und Ehevertrag. In Politische Theorie. Differenz und Lebens-
qualität, Hrsg. Herta Nagl-Docekal und Herlinde Pauer-Studer, 174–222. Frankfurt a. M.:
Suhrkamp.
Rössler, Beate. 2001. Der Wert des Privaten. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Rucht, Dieter. 2010. Politische Öffentlichkeit – Alles in Ordnung? Forschungsjournal Neue Soziale
Bewegungen 23(3): 8–17.
Ruddick, Sara. 1993. Mütterliches Denken. Für eine Politik der Gewaltlosigkeit. Frankfurt a. M.:
Campus.
Thiele, Martina, Tanja Maier, und Christine Linke, Hrsg. 2012. Einleitung. In Medien, Öffentlich-
keit und Geschlecht in Bewegung. Forschungsperspektiven und kommunikations- und medien-
wissenschaftliche Geschlechterforschung, 9–18. Bielefeld: transcript.
Villa, Paula-Irene. 2009. Feministische und Geschlechtertheorien. In Handbuch Soziologische
Theorien, Hrsg. Georg Keer und Markus Schroer, 111–132. Wiesbaden: Springer.
Wischermann, Ulla. 2017. Zur öffentlichen Wirksamkeit der deutschen historischen Frauenbewe-
gungen um 1900 – Die Interaktion von Öffentlichkeiten. In Öffentlichkeiten und gesellschaft-
liche Aushandlungsprozesse. Theoretische Perspektiven und empirische Befunde, Hrsg. Elisa-
beth Klaus und Ricarda Drüeke, 63–78. Bielefeld: transcript.
Young, Iris Marion. 1987. Impartiality and the civic public. Some implications of feminist critiques
of moral and political theory. In Feminism as critique. In Essays on the politics of gender in late-
capitalist society, Hrsg. Seyla Benhabib und Drucilla Cornell, 56–76. Cambridge: Polity Press.
Media Governance, supranationale
Medienpolitik und Feminismus

Bruktawit Ejigu Kassa, Izabela Korbiel, Krisztina Rozgonyi,


Lisa Winter und Katharine Sarikakis

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510
2 Supranationale Dokumente und politische Maßnahmen bezüglich
Geschlechtergleichstellung und Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511
3 Gender-Mainstreaming und Umsetzung der Geschlechtergleichstellung
in Medienorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515
4 Neue Herausforderungen für Frauen im Internetzeitalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518
5 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523

Zusammenfassung
Medienpolitik und Media Governance beschäftigen sich mit internationaler und
nationaler Politikgestaltung und sind in der feministischen Medienforschung erst
zögerlich aufgegriffen worden. Wesentliche Impulse zur Förderung geschlechter-
sensibler Medieninhalte und Medienproduktion kamen zuerst von feministischen
Bewegungen und wurden in der Folge in Empfehlungen und Dokumenten von

Unser besonderer Dank gilt Johanna Dorer und Brigitte Geiger für die umfangreiche inhaltliche und
formale Überarbeitung des Beitrags.

B. E. Kassa
Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Universität Wien, Wien, Österreich
Department of Journalism and Mass communication, Haramaya University, Dire Dawa, Äthiopien
I. Korbiel · K. Rozgonyi (*) · L. Winter · K. Sarikakis
Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Universität Wien, Wien, Österreich
E-Mail: izabela.korbiel@univie.ac.at; krisztina.rozgonyi@univie.ac.at; lisa.winter@univie.ac.at;
katharine.sarikakis@univie.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 509
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_26
510 B. E. Kassa et al.

nationalen und internationalen Organisationen aufgegriffen. Als Wendepunkt für


eine feministische Medienpolitik gilt die Vierte Weltfrauenkonferenz, der eine
Reihe internationaler und nationaler Maßnahmen wie etwa das weltweite Global
Media Monitoring Project (GMMP), die Aktivitäten der International Women’s
Media Foundation (IWMF), des Europäischen Instituts für Geschlechtergleich-
heit (EIGE) oder der Global Alliance on Media and Gender (GAMAG) der
UNESCO folgten. Obgleich diese Aktivitäten immer umfangreicher werden, geht
die Umsetzung in den nationalen Medienpolitiken noch sehr langsam voran.

Schlüsselwörter
Geschlecht · Feminismus · Supranationale Institutionen · Globale Medienpolitik ·
Media Governance

1 Einleitung

Im Zuge der Neuen Frauenbewegung in den 1970er-Jahren haben private Frauen-


initiativen sowie feministische Medienwissenschaftlerinnen die Unterrepräsentanz
von Frauen in den Medieninhalten und den geringen Anteil an Journalistinnen in
Medienorganisationen kritisiert (Fabris und Kreuzhuber 1976). Unterstützt von der
UN-Dekade für Frauen 1975–1985 gelang es, diese feministische Medienkritik
öffentlichkeitswirksam in die globale Debatte und in globale Institutionen hinein-
zutragen. Im Jahr 1975 fand die erste UN-Weltfrauenkonferenz in Mexiko statt.
Aber erst mit der Vierten Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking wurden die Ge-
schlechterungleichheit in Medien und damit verbunden medienpolitische Anliegen
im globalen Forderungskatalog implementiert (Byerly 2016). Auch die feministi-
sche Medienforschung beschäftigt sich mit dem Bereich der Medienpolitik und
Media Governance bis heute erst in Ansätzen.
Medienpolitik bezeichnet dabei alle staatlichen Maßnahmen zur Regulierung des
Medien- und Kommunikationssektors. Mit der zunehmenden Globalisierung der
Medienindustrie verlagert sich Medienpolitik immer stärker zu den supranationalen
Organisationen, wie etwa Europäische Union (EU) oder Vereinte Nationen (UN),
und zu international agierenden Akteuren (Chakravartty und Sarikakis 2006). Seit
Ende der 1990er-Jahre wird in der Medien- und Kommunikationswissenschaft
zunehmend das Konzept der Media Governance aus verschiedenen Blickwinkeln
diskutiert, beispielsweise von Raboy (2004), Sarikakis (2002, 2004), Donges (2007)
und Puppis (2010). Raboy und Sarikakis verwenden den Begriff Media Governance
für ein Konzept, das globale und supranationale Terrains des Regierungsprozesses
miteinbezieht. Mit diesem Konzept untersuchen sie nicht nur die Rolle des Staates,
sondern auch der BürgerInnen und internationalen Institutionen, wie das von „glo-
balen“ BürgerInnen gewählte Europäische Parlament (Sarikakis 2002, 2004) oder
die Zivilgesellschaft (Raboy 2004).
Media Governance wird heute allgemein als die Ausweitung der staatlichen
Medienpolitik auf vertikaler (staatliche, europäische, globale Regulierung) und hori-
Media Governance, supranationale Medienpolitik und Feminismus 511

zontaler Ebene (staatliche, Co-Regulierung, Selbstregulierung) betrachtet (Puppis


2010, S. 59–63) und kann sowohl als Beschreibung und Analyse der veränderten
Regulierungssysteme und -praxen als auch als normativer Ansatz, der das komplexe
Verhältnis von politischer, ökonomischer und publizistischer Macht berücksichtigt,
verstanden werden (Donges 2007, S. 11–12). Media Governance ist ein politischer
Prozess, der sich über das Regierungshandeln hinaus erstreckt, ein interaktiver
Prozess der nationalen und internationalen Politikgestaltung, an dem verschiedene
Akteure wie Regierungen und Behörden, supranationale Organisationen, Medien-
organisationen, Medienindustrien und die Zivilgesellschaft beteiligt sind. Der regu-
latorische Prozess hat maßgebliche Auswirkungen auf die mediale Kommunikation
und die Kommunikationsräume in einer Gesellschaft (Sarikakis 2012a). Media
Governance als Prozess einerseits und als Wirkung auf Medien- und Kulturland-
schaften andererseits erfordert, sowohl immaterielle Faktoren wie Gleichheit, Werte
und Ideologien als auch materielle, d. h. strukturelle und institutionelle Aspekte, in
der Analyse zu berücksichtigen.
Media Governance aus feministischer Perspektive zu betrachten, heißt nicht nur
die rechtlichen Grundlagen der Medienpolitik, sondern auch die Beteiligung der
supranationalen, staatlichen und privatwirtschaftlichen Akteure, der NGOs und der
Fraueninitiativen in ihren Interaktionen und ihrem Einflusspotenzial in den Blick zu
nehmen. Ferner sind die normativen Annahmen medienpolitischer Maßnahmen in
ihrer regulatorischen Wirkung auf die Geschlechtergerechtigkeit und auf den gesell-
schaftlichen Wandel zu befragen. (Sarikakis 2012b)

2 Supranationale Dokumente und politische Maßnahmen


bezüglich Geschlechtergleichstellung und Medien

Die institutionellen Ausdrucksformen des Feminismus in Form von Empfehlungen,


Richtlinien, Entschließungen, Aktionsprogrammen und Konventionen durch in-
ternationale Organisationen (siehe Übersicht in Tab. 1 im Anhang) gehen auf
jahrzehntelang agierende soziale Bewegungen und zivilgesellschaftliche Initiativen
zurück. Die wichtigsten supranationalen Institutionen sind dabei die Vereinten
Nationen, die UNESCO und die mit UNESCO-Unterstützung initiierte Globale
Allianz für Medien und Gender (GAMAG) sowie die europäischen Institutionen
Europarat und die Akteure der Europäischen Union (Europäisches Parlament,
Europäische Kommission, Europäisches Institut für Gleichstellungsfragen – EIGE).
Das Leitdokument für die Rechte der sozialen Gleichstellung in Europa ist die
Europäische Sozialcharta, 1961 vom Europarat eingeführt und 1996 überarbeitet
(Council of Europe 1996). Die Charta bezieht sich auf die Chancengleichheit und
Gleichbehandlung von Frauen und Männern, den Schutz vor jeglicher Form der
Belästigung am Arbeitsplatz sowie das Recht auf Nichtdiskriminierung und betont
die Arbeit der europäischen Nationalstaaten, Berufsverbände und Nichtregierungs-
organisationen (NGOs).
In der UN-Dekade der Frau wurde 1979 von der Generalversammlung der
Vereinten Nationen die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung
512 B. E. Kassa et al.

der Frau (Convention on the Elimination of all Forms of Discrimination against


Women – CEDAW) verabschiedet. Sie ist (für die unterzeichneten Staaten) die
rechtlich verbindliche internationale Charta der Rechte der Frau und gilt als das
wichtigste Menschenrechtsinstrument für Frauen. Die CEDAW verpflichtet die
Vertragsstaaten zur Bekämpfung von Geschlechterstereotypen, die als wichtiger
Faktor für eine Vielzahl rechtlicher, politischer und wirtschaftlicher Zwänge und
als Hindernis für die Gleichstellung der Geschlechter betrachtet werden.
Auf dieser transnationalen Ebene der Vereinten Nationen markiert die Vierte Welt-
frauenkonferenz 1995 in Peking einen wichtigen Wendepunkt. Die dort verabschiedete
Pekinger Deklaration und Aktionsplattform (Beijing Platform for Action, BPfA) iden-
tifiziert Medien als einen der 12 Hauptproblembereiche. In „Abschnitt J“ des Forde-
rungskatalogs wurden zwei strategische Zielsetzungen festgelegt: „Erhöhung der Mit-
wirkung und des Zugangs von Frauen in Bezug auf Ausdrucksmöglichkeiten und
Entscheidungsprozesse in und durch die Medien und neue Kommunikationstechnolo-
gien“ (Abschnitt J.1.) und „Förderung der ausgewogenen und nichtstereotypen Dar-
stellung von Frauen in den Medien“ (Abschnitt J.2.) (UN 1995, Absätze 234–245).
Damit wurden die Regierungen aufgefordert, geschlechtersensible Maßnahmen inklu-
sive finanzieller Unterstützung bezüglich sämtlicher Bereiche der Medienproduktion
(Ausbildung, journalistische Berufe, Entscheidungsgremien, Berufsverbände), Medien-
inhalte (Informations- und Unterhaltungssendungen, Medienkampagnen, Werbung)
und Medienwissenschaft (Forschung und Monitoring) einzuleiten. Die Medienkonzerne
wurden ebenso ermahnt, geschlechtersensible Maßnahmen umzusetzen sowie Selbst-
kontrollmechanismen einzuführen. Wurden bei den ersten Internationalen Frauenkon-
ferenzen Medien kaum berücksichtigt, so konnte bei der Vierten Weltfrauenkonferenz
der Medienbereich international nicht mehr vernachlässigt werden (Gallagher 2001,
S. 12). Die BPfA wird immer noch als die umfassendste Grundlage für die Menschen-
rechte von Frauen in Bezug auf Medien und Kommunikation angesehen und gilt
weiterhin als wichtigster Bezugspunkt in der nationalen und regionalen Politikgestal-
tung. Mehr als 180 Regierungen unterstützen die medienpolitischen Forderungen
(Redfern und Aune 2010).
Die BPfA setzte wichtige Impulse, auch wenn die Herausforderungen im Bereich
Gender und Medien oft nur sehr langsam angegangen werden, wie das Beispiel der
Afrikanischen Union zeigt (Kassa und Sarikakis 2018; Bunwaree 2013). Die Förderung
der Geschlechtergleichstellung in den Medien wird allenfalls als „Zusatz“-Thema in
Kernbereichen wie Gesundheit, Frieden und Sicherheit, Bildung und Wirtschaft nach-
rangig behandelt. Trotz dieser Tendenz auf panafrikanischer Ebene haben auf regionaler
Ebene Geschlechter- und Medienfragen sehr wohl Berücksichtigung gefunden, so etwa
im Protokoll über Geschlecht und Entwicklung im südlichen Teil Afrikas und dem
westafrikanischen Zusatzgesetz über die Gleichstellung von Frauen und Männern in
Bezug auf die nachhaltige Entwicklung (SADC 2008; ECOWAS 2015). Diese Doku-
mente spielen eine Vorreiterrolle in der Region, spiegeln die strategischen Ziele von
Peking deutlich wider und enthalten spezifische Aktionspläne (Kassa und Sarikakis
2018).
Auf europäischer Ebene lässt sich die Gleichstellungspolitik bis ins Jahr 1957 und
die Gründungsdokumente („Römische Verträge“) zurückverfolgen. Die Gleichstel-
Media Governance, supranationale Medienpolitik und Feminismus 513

lung auf dem Arbeitsmarkt und gleicher Lohn für gleiche Arbeit werden in den
Rechtsvorschriften der Europäischen Union wie der Einheitlichen Europäischen
Akte von 1986 und der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeit-
nehmer von 1989 als Grundrecht wiederholt. Die Europäische Union verfolgt in
ihrer Gleichstellungspolitik vier Strategien: formalrechtliche Gleichstellung, Frauen-
förderung mittels positiver Diskriminierung, seit den 1990er-Jahren Gender-Main-
streaming und zuletzt ein weitgefasstes Diskriminierungsverbot, das neben dem
Geschlecht ethnische und soziale Herkunft berücksichtigt (Abels 2014, S. 1).
Verbindliches EU-Recht wird in Verordnungen und Richtlinien festgeschrieben,
wobei die Berücksichtigung von Geschlecht in Bezug auf Medienfragen lange Zeit
fehlte. Die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste („Fernsehen ohne Grenzen“)
von 1989 als das bedeutendste Rechtsinstrument der Europäischen Union im audio-
visuellen Bereich behandelt ebenso wie spätere Überarbeitungen von 1997 und 2007
Fragen der geschlechtsspezifischen Diskriminierung nur ganz allgemein, insofern als
die audiovisuelle Kommunikation die Menschenwürde nicht verletzen und Diskri-
minierung aufgrund von Geschlecht, „Rasse“, Nationalität und Religion nicht be-
inhalten dürfe. (EIGE 2013; Byerly und Padovani 2017; Dackweiler 2017, S. 52;
Sarikakis und Nguyen 2009, S. 208; Sarikakis 2013, S. 170)
Ein weiterer Eckpfeiler der EU-Gleichstellungspolitik sind die Aktionsprogram-
me der Europäischen Kommission seit den 1980er-Jahren und die fünfjährigen
Rahmenstrategien für die Gleichstellung (EU-Fahrpläne). Die Aktionsprogramme
sehen zudem finanzielle Mittel vor, um die europäische Vernetzung von Gleich-
stellungsexpertInnen zu unterstützen und die Umsetzung der bestehenden Vorschrif-
ten zu überprüfen. Das dritte Aktionsprogramm (1991–1995) wiederholt die Forde-
rung, Geschlechterstereotypen im sozialen und medialen Alltag zu vermeiden. Es
gilt außerdem als die thematische Weichenstellung für die Vierte Weltfrauenkon-
ferenz (wo Medienagenden erstmals eine bedeutendere Rolle spielen) und ferner für
das Konzept des Gender-Mainstreaming, das im Vierten Aktionsprogramm (1996–
2000) einen zentralen Stellenwert bekam. Das sechste Aktionsprogramm, der EU-
Fahrplan für die Gleichstellung von Frauen und Männern (2006–2010) sieht die
Einrichtung eines „Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen (EIGE)“ vor.
Mit dem Strategiedokument für die Gleichstellung von Frauen und Männern (2010–
2015) fokussiert die Europäische Kommission insbesondere auf geschlechtsspezi-
fische Gewalt. Die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat
zuletzt die Gleichstellung der Geschlechter und Gender-Mainstreaming im Doku-
ment Eine Union der Gleichheit: Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter
(2020–2025) explizit als Priorität der EU kommuniziert (European Commission
2020).
Auch das Europäische Parlament ist in der Geschlechterpolitik aktiv und betont
die Wichtigkeit, gleichstellungspolitische Initiativen finanziell zu unterstützen (Eu-
ropäisches Parlament 2019). Die Themen der Gleichstellung werden vom Ausschuss
für die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter (FEMM) auf-
bereitetet. Neben der Verabschiedung von europäischen Gesetzen erstellte das Eu-
ropäische Parlament u. a. eine Entschließung zu den Folgemaßnahmen im Anschluss
an die Aktionsplattform von Peking (2000/2020(INI), Pkt.18). Darin werden die
514 B. E. Kassa et al.

Mitgliedstaaten aufgefordert, dafür zu sorgen, dass Frauen in Medien positiver und


realistischer dargestellt werden, ferner sollen Medienunternehmen ermutigt werden,
vermehrt Journalistinnen auszubilden und eine ausgewogene Verteilung der Füh-
rungspositionen in Medien herzustellen.
Ein bedeutender Schritt in der Gleichstellungspolitik erfolgte mit dem 2006
gegründeten Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) als autonome
Institution der EU. Ziel ist, die Förderung und Evaluation der Geschlechtergleich-
stellung einschließlich des Gender-Mainstreamings in allen EU-Politiken vo-
ranzutreiben (Europäisches Parlament 2006). 2013 entwickelte das Institut den Euro-
pean Gender Equality Index, das erste europäische Instrument, das die
Geschlechtergleichstellung in den Bereichen Governance, Gesundheit, Bildung und
Beschäftigung misst und später um einen Index zur Messung der Geschlechterun-
gleichheit in Medienorganisationen erweitert wurde. Das Institut ist auch mit der
Überprüfung der Umsetzung der Pekinger Aktionsplattform befasst. Diese und die
Folge-Konferenzen Peking+5, Peking+10 und Peking+20 betonen die Notwendigkeit
von Veränderungen, um die Vertretung von Frauen, ihren Zugang zu Medien und die
Nutzung von Technologien zu fördern (UN 1995; Sarikakis 2013; EIGE 2015).
Allerdings kritisieren die EIGE-Berichte (2013, 2015) die anhaltenden geschlechts-
spezifischen Ungleichheiten im Mediensektor und fordern eine stärkere Beteiligung
von Frauen in Entscheidungsprozessen.
Anders als die EU ist der Europarat, dem 47 Mitgliedstaaten angehören, wesent-
lich klarer in seinen Aussagen bezüglich der Gestaltung einer geschlechtersensiblen
Medienpolitik. Mit der Empfehlung 1555 von 2002 (Council of Europe 2002) zur
Vermeidung negativer medialer Frauenbilder und dem Entschluss 1799 von 2007
(Council of Europe 2007) zur Vermeidung stereotyper Darstellung von Frauen in der
Werbung fordert er dazu auf, einen europäischen Verhaltenskodex für mediale
Darstellung zu entwickeln. Aktiv wird der Europarat ferner mit einem rechtsver-
bindlichen Instrument, dem Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von
Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Council of Europe 2011).1 Diese sog.
Istanbul-Konvention verpflichtet die Mitgliedstaaten, den Privatsektor, den Infor-
mations- und Kommunikationstechnologiesektor sowie die Medien unter Achtung
der Meinungsfreiheit und ihrer Unabhängigkeit sich an der Ausarbeitung und Um-
setzung einer Geschlechterpolitik zu beteiligen sowie Richtlinien und Selbstregulie-
rungsstandards festzulegen, um Gewalt gegen Frauen zu verhindern und die
Achtung ihrer Würde zu stärken (Artikel 17). Daher tragen die Mitgliedstaaten
Verantwortung für die Bereitstellung von Leitlinien und Instrumenten, klaren poli-
tischen Rahmenbedingungen und Beschwerdemechanismen zur Reduktion und Ver-
meidung sexistischer, stereotyper und schädlicher Ausdrucksformen in und durch
die Medien. Mit der Gleichstellungsstrategie 2014–2017 legt der Europarat Mecha-
nismen zur Förderung der Geschlechtergleichstellung in den Medien fest und diffe-
renziert zwischen zwei Wirkungsbereichen: einerseits Medienunternehmen, anderer-
seits Medieninhalte (Council of Europe 2015).

1
Beschlossen 2011 und 2014 in Kraft getreten.
Media Governance, supranationale Medienpolitik und Feminismus 515

Im Jahr 2013 veröffentlichte der Europarat den Bericht Women and Journalists
First (Council of Europe 2013), der sich an JournalistInnen wendet und darauf
abzielt, in der Öffentlichkeit und den Medien tradierte Geschlechterstereotype
bewusst zu machen und kritisch zu hinterfragen. Im selben Jahr organisierte der
Europarat die erste Konferenz zur Darstellung und Sexualisierung der Frau in den
Medien, um mit einem Expertinnen-Netzwerk medienpolitische Maßnahmen zu
erarbeiten (Sarikakis 2013). Mit der letzten Gleichstellungsstrategie (2018–2023)
adressiert der Europarat ausdrücklich beide Geschlechter, womit nicht nur weibli-
chen, sondern auch männlichen Stereotypen in den Medien mit geeigneten medien-
politischen Maßnahmen zu begegnen ist (Council of Europe 2018).

3 Gender-Mainstreaming und Umsetzung der


Geschlechtergleichstellung in Medienorganisationen

Um in Institutionen eine Gleichheit der Geschlechter auch durchsetzen zu können,


sind spezifische Aktivitäten, Strategien und Methoden nötig. Sehr wichtig sind dabei
globale Netzwerke. So etwa wurde auf transnationaler Ebene 2013 mit Unterstüt-
zung der UNSESCO die Globale Allianz für Medien und Gender (GAMAG) als
globale Bewegung von über 500 Organisationen ins Leben gerufen, deren Mitglie-
der aus Medienorganisationen, Gewerkschaft, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und
Berufspraxis kommen. Ziel von GAMAG ist die Förderung von Geschlechtergleich-
stellung in Mediensystemen und -inhalten durch die Stärkung internationaler, na-
tionaler und regionaler Zusammenarbeit. Mithilfe verschiedener Methoden sollen
die strategischen Ziele der Pekinger Aktionsplattform in einem breiten Rahmen
systematisch überwacht werden (GAMAG 2014, 2017). Schon 2000 startete die
UNESCO die Initiative Women Make the News, um zu einer Reduktion der Ge-
schlechterungleichheit in Medienorganisationen und Medieneinhalten beizutragen.
(UNESCO 2017) In diesem Rahmen wurden 2012 in Zusammenarbeit mit Wissen-
schaftlerInnen und Medienorganisationen Gendersensitive Indicators for Media
entwickelt. Diese umfassen Vorgaben für Nachrichtenmedien (Führungspositionen,
Arbeitsbedingungen, Einkommen, Work-Life-Balance, Sicherheit im Arbeitsum-
feld), für Berufsvereinigungen (Zusammensetzung, Gender-Mainstreaming, Be-
wusstseinsarbeit, Ethikcodes, Ausbildung) sowie für Medieninhalte in Nachrichten
und Werbung (Stereotype, Themen, sexualisierte Inhalte). (UNESCO 2012) 2017
folgte der Gender Equality Checkup, eine Checkliste zu geschlechtersensiblen Ar-
beitsbedingungen und Medieninhalten für Nachrichtenorganisationen. (UNESCO
2017)
Auf EU-Ebene hat die Europäische Kommission Gender-Mainstreaming mit dem
Vierten Aktionsprogramm von 1995 anerkannt. Mit dem Vertrag von Amsterdam
1999 wurden die Mitgliedstaaten dann verpflichtet, Gender-Mainstreaming als ak-
tive Gleichstellungspolitik in die nationale Gesetzgebung aufzunehmen.
Gender-Mainstreaming (GM) ist eine Strategie, um Geschlechtergerechtigkeit
in Organisationen zu institutionalisieren. Als eine Strategie der Geschlechterpolitik
und Politikgestaltung sieht Gender-Mainstreaming vor, dass jede politische Maß-
516 B. E. Kassa et al.

nahme vorab auf ihre Auswirkungen auf das Geschlechterverhältnis zu prüfen ist.
Die Analyse hat dabei auf mehreren Ebenen zu erfolgen, wie der geschlechtsspezi-
fischen Verteilung von Ressourcen, der in Institutionen geltenden Normen und
Werte, der Repräsentation oder den rechtlichen Regelungen (Sarikakis 2014).
Gender-Mainstreaming impliziert die Idee, dass jene, die über Entscheidungsmacht
verfügen, auch für die Erzielung der Geschlechtergerechtigkeit verantwortlich zu
machen sind. (Holzleithner 2009, S. 81; Hofbauer und Ludwig 2005) Nach Pollack
und Hafner-Burton (2000) hängt der Erfolg (aber auch der Misserfolg) von Gender-
Mainstreaming von mindestens drei Faktoren ab: den politischen Möglichkeiten,
welche die EU-Institutionen bieten, den europäischen Netzwerken und ihren mobi-
lisierenden Strukturen sowie den strategischen Maßnahmen der Umsetzung.
Was nun den Bereich der Medien betrifft, stellen Sarikakis und Nguyen (2009)
allerdings fest, dass es kaum gelungen ist, Gender-Mainstreaming in den medienpoli-
tischen Rahmen der Europäischen Union zu integrieren. EU-Gleichstellungspolitiken
wurden für viele Bereiche wie Arbeitsmarkt, Bildung, Wirtschaft etc. formuliert, die
Medienpolitik blieb allerdings unberücksichtigt. Sarikakis und Nguyen (2009) orten die
Gründe des Scheiterns von Gender-Mainstreaming – hinsichtlich der beiden Aspekte
mediale Repräsentation von Frauen und Partizipation von Frauen an Entscheidungs-
prozessen – in der strukturellen und dynamischen Machtkonstellation in den EU-In-
stitutionen, im Einfluss und der Marktmacht von Medienkonzernen und einzelnen Parti-
kularinteressen sowie in der Priorisierung privater Sektoren vor öffentlichem Interesse.
Wie wenig Eingang gleichstellungspolitische Empfehlungen und Maßnahmen
der Europäischen Union in Medienorganisationen gefunden haben, zeigt eine vom
Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen initiierte Studie (EIGE 2013). Für
die Stärkung der Position von Frauen in Medienbetrieben ist ein umfangreiches
Repertoire an Instrumenten notwendig, wie Gleichstellungspläne, Gleichbehand-
lungsbeauftragte, verbindliche Quotenregelungen, Schulungen in Gleichbehand-
lungsagenden, Mentoring-Programme, internationale, nationale und regionale Netz-
werke, regelmäßiges Monitoring und wissenschaftliche Studien und vieles mehr.
(Dorer 2017) Nach der in 27 EU-Ländern plus Kroatien durchgeführten Studie
(EIGE 2013) hat nur etwa ein Viertel der Medienunternehmen einen Gleichstel-
lungs- bzw. Frauenförderplan und nur rund ein Fünftel setzt Maßnahmen zur Sicher-
stellung von Chancengleichheit und Diversität. Über eine Abteilung für Gleich-
stellung und Diversität verfügen nur 16 %, über eine Gleichstellungsbeauftragte
nur 14 % der Medienunternehmen. Maßnahmen zur Förderung von Frauen in
Entscheidungspositionen (wie Mentoring-Programme, Schulungen von Mitarbeite-
rInnen in Gleichbehandlungsagenden etc.) gibt es nur in 9 % der Medienorganisa-
tionen. Deutlich geworden ist, dass in öffentlich-rechtlichen Medienunternehmen
alle gleichstellungspolitischen Maßnahmen häufiger umgesetzt werden als in
privaten Medien. Wenig überraschend zeigt sich, dass der Anteil von Frauen in
Führungspositionen in öffentlich-rechtlichen Medienunternehmen mit umfangrei-
cheren Gleichstellungsmaßnahmen auch messbar höher ist (EIGE 2013, S. 37–42;
Ross und Padovani 2017).
Ein wichtiges Instrument zur Geschlechtergerechtigkeit stellen Frauenquoten
dar. Obwohl immer wieder umstritten, erweisen sie sich, wo Quotenvorgaben umge-
Media Governance, supranationale Medienpolitik und Feminismus 517

setzt wurden, als eine erfolgreiche Maßnahme. Für deutschsprachige Medien fordert
die Initiative Pro Quote eine Frauenquote von 30 % für Führungspersonal in allen
Medienberufen (Grimme-Institut 2014). Darüber hinaus setzt sich die neu gegrün-
dete Initiative Pro Quote Film vor allem für Frauen in der Filmindustrie ein.
Demnach sollten weibliche Charaktere über 35 Jahre häufiger in Drehbüchern
vertreten sein. Die Initiative schlägt einen Anteil von 50 % Frauen im deutschen
Film als Voraussetzung für eine öffentliche Förderung vor. Obwohl Frauen fast die
Hälfte der Hochschulabschlüsse im Fach Regie ausmachen, liegen die Fördergelder
des Deutschen Filmförderfonds (DFFF) zu 82 % bei von Männern geleiteten Pro-
duktionen (Wietstock 2017; Prommer und Loist 2019).
Mit Hilfe der Einführung einer Quote könnte die „gläserne Decke“ für Frauen in
Medienorganisationen durchbrochen werden. Als Beispiel führt Van Bauwel (2017)
den hohen Frauenanteil in Entscheidungspositionen und Vorständen von Medien-
organisationen in Nordbelgien an und auf das Quotengesetz zurück, das in börsen-
notierten und in öffentlichen Unternehmen auf einen Frauenanteil von mindestens
33 % in Vorständen verpflichtet. Zuiderveld (2011) zeigt, dass aufgrund der süd-
afrikanischen Arbeitsgesetze über Geschlecht und ethnische Zugehörigkeit einige
dunkelhäutige Journalistinnen in historisch weißen und von Männern dominierten
Zeitungen rekrutiert wurden und ihnen der Weg zu Entscheidungspositionen eröffnet
wurde.
Auch bezüglich der Medieninhalte zeigen sich Umsetzungsschwierigkeiten von
EU-Medienpolitik und Gender-Mainstreaming. Mit Bezug auf die von der BPfA
geforderte geschlechtergerechte Darstellung in den Medien kritisieren Sarikakis und
Nguyen (2009) die Europäische Union ob ihrer mangelnden Aktivität. Erst im Jahr
2020 beschäftigt sich die Gruppe Europäischer Regulierungsstellen für audiovisu-
elle Mediendienste – das Gremium aller nationalen Regulierungsbehörden in der EU
– zum ersten Mal mit dem Frauenbild in audiovisuellen Medien, formuliert aber nur
weiche und unverbindliche „Empfehlungen“ und verweist auf Good-Practice-Bei-
spiele einzelner Medienorganisationen der Mitgliedsländer (European Regulators
Group for Audiovisual Media Services 2020). Der zwei Jahre davor von der
Europäischen Plattform der Regulierungsbehörden (die nationale Regulierungs-
behörden auch von Nicht-EU-Ländern umfasst) vorgelegte EPRA-Gender-Bericht
zeigte deutlich, dass die Unterrepräsentation von Frauen ein nicht mehr zu akzep-
tierendes Problem im europäischen audiovisuellen Mediensektor ist (European
Platform of Regulatory Authorities 2018). Der EPRA-Gender-Bericht bestätigt unter
Bezugnahme auf das Global Media Monitoring Project (GMMP 2015) und weiterer
nationaler Studien die klischeehafte und diskriminierende mediale Darstellung von
Frauen und vermerkt gleichzeitig kritisch, dass den nationalen Regulierungsbehör-
den keine ausreichenden Rechtsgrundlagen und keine Sanktionsmöglichkeiten für
eine Veränderung stereotyper Darstellung in audiovisuellen Medien zur Verfügung
stehen.
Trotz dieser offensichtlichen Defizite hat die jüngste Revision der EU-Richtlinie
über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie Audiovisual Media Services
Directive) es 2018 verabsäumt, diese Probleme anzugehen. Jenseits der hohen An-
sprüche für ein Verbot audiovisueller Inhalte, die zu Hass aufstacheln oder aufgrund
518 B. E. Kassa et al.

von Rasse, Geschlecht, Religion oder Nationalität diskriminieren (Artikel 6 der


AVMD-Richtlinie), ermächtigte keine der neuen oder adaptierten Richtlinien die
nationalen Regulierungsbehörden zum Handeln oder Eingreifen. Dies ist umso
bemerkenswerter, als diese EU-Richtlinie das wichtigste Instrument ist, um natio-
nalen Medienpolitiken einen verbindlichen rechtlichen Rahmen vorzuschreiben.

4 Neue Herausforderungen für Frauen im Internetzeitalter

Neue Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) bieten einerseits Mög-


lichkeiten für Chancengleichheit und Empowerment, verstärken aber andererseits
auch die herrschende Gesellschafts- und Geschlechterordnung. Negative Effekte
sind etwa Diskriminierung, Belästigung und Sexualisierung (EIGE 2016). Die
Debatte über digitale Medieninhalte und deren rechtliche Regulierung konzentriert
sich meist auf Meinungsfreiheit und Datenschutz und lässt Auswirkungen auf die
Gleichstellung der Geschlechter weitgehend außer Acht.
Ganz (2013) analysierte mit Hilfe des Governance-Ansatzes aktuelle Pro-
blemfelder der Netzpolitik: den Zugang zur Infrastruktur (Reproduktion sozialer
Ungleichheit) und zu Inhalten (Einschränkung durch politische und ökonomische
Zensur), geschlechtsspezifische Eigentumsrechte, Datenschutz und Privatsphäre
(Aufhebung der Grenzen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit) sowie die Kom-
munikationskulturen (Verhinderung von Partizipation durch verbale Aggression bis
hin zu persönlichen Drohungen). Es bedarf hier neuer Maßnahmen und Gesetze, um
solche Praktiken zu bekämpfen. Aus feministischer Sicht ist der Schutz der Privat-
sphäre auch insofern relevant, als die Anonymität eine stärkere Beteiligung margi-
nalisierter und verletzlicher Gruppen ermöglicht. Ganz (2013) fordert nicht nur
geschlechtersensible, sondern intersektionale queer-feministische Interventionen,
die unterschiedliche Identitäten, Machtformen, Ungleichheiten und Normen berück-
sichtigen.
Diese Anliegen und die Folgen des technologischen Wandels finden sehr einge-
schränkt Eingang in medienpolitische Prozesse auf supranationaler und europäischer
Ebene. Allerdings beschränken sich medienpolitische Maßnahmen, wie Sarikakis
und Ganter (2012, S. 11–17) kritisieren, oft auf wenige Themen und gehen nicht auf
die Ungleichheit produzierenden Bedingungen ein. Bei der BPfA-Folgekonferenz
Peking+5 wurden jedenfalls die Informations- und Kommunikationstechnologien
als eines der wichtigsten neuen Themen identifiziert. Auch der UN-Weltgipfel zur
Informationsgesellschaft (World Summit on the Information Society in Genf 2003
und Tunis 2005) als globales Forum für Regierungen, internationale Organisationen,
Zivilgesellschaft und den privaten Mediensektor setzte die Geschlechterperspektive
auf die internationale Agenda, beschränkte sich aber auf die Themen Zugang,
digitale Kluft und Ausbildung (WSIS 2005). In den folgenden WSIS-Foren erfolgte
eine Vereinbarung, die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung aktiv zu unterstützen.
Ein Ziel der Agenda nachhaltige Entwicklung bis 2030 im Rahmen des Sustainable
Media Governance, supranationale Medienpolitik und Feminismus 519

Development Goal 5: Gender Equality betrifft die Geschlechtergleichstellung und


das Empowerment von Frauen und Mädchen im IKT-Sektor (SDG5.5b) (UN 2016).
Für die Umsetzung dieser Ziele setzt sich v. a. die 2016 gegründete Organisation
EQUALS (Global Partnership for Gender Equality in the Digital Age) ein. (WSIS
2018)
Die EU-Medienpolitik beschränkte sich beim Thema Frauen und Internet lange
auf den gleichberechtigten Zugang (Stichwort Fördermaßnahmen für Frauen). Eine
Erweiterung der Maßnahmen brachte die Studie „Gender and digital agenda“, die die
Benachteiligung von Frauen in sämtlichen Bereichen und auf allen Ebenen der
Digitalisierung mit empirischen Daten belegte (EIGE 2016), und die Entschließung
des Europäischen Parlaments von 2016 zur Gleichstellung der Geschlechter und
Stärkung von Frauen im digitalen Zeitalter (Europäisches Parlament 2016). Die
Europäische Kommission nimmt nun mit ihrer jüngst verabschiedeten Strategie
für die Gleichstellung der Geschlechter 2020–2025 alle Geschlechteraspekte im
Technologiesektor in den Blick: Gleichstellung, Gender-Mainstreaming und Inter-
sektionalität, Gewalt gegen Frauen im Internet, sexuelle Belästigung in der Arbeits-
welt, Förderung von Frauen auf Führungsebenen, Bekämpfung der Geschlechter-
stereotypen in Medien, Mitwirkung von Frauen als Entwicklerinnen, Forscherinnen,
Programmiererinnen und Nutzerinnen der Künstlichen Intelligenz (KI), Förderung
von Ausbildung und Mentoring-Programmen im Kunst- und Mediensektor, Akti-
onsplan zur verstärkten Ausbildung von Frauen im Digitalsektor. (European Com-
mission 2020) Der enorme Nachholbedarf bezüglich Zugang, Ausbildung und
Führungspositionen von Frauen in neuen Technologien wird im Equals-Bericht
aufgelistet (EQUALS 2019).
Sarikakis und Ganter (2012) untersuchten anhand der Matrix Geschlecht, Pri-
vatheit und Kontrolle, wie sich neue Technologien und deren Überwachungsprakti-
ken auf die Verletzung der Privatsphäre auswirken. Neue Technologien sind zwar
auch ein Instrument der Emanzipation, gleichzeitig aber entsteht eine „neue Kultur
der Kontrolle“ und „Kultur der Angst“. Sie fordern daher eine Medienpolitik, die
sich nicht darauf beschränkt, Frauen fit für die neuen Technologien zu machen,
sondern auch jene Bedingungen kritisch hinterfragt, unter denen diese Technik
entwickelt und eingesetzt wird (Sarikakis und Ganter 2012).
Eine weitere Herausforderung bilden die Bereiche Big Data, Algorithmen, ma-
schinelles Lernen und Künstliche Intelligenz (KI). Große Datenmengen werden
gesammelt, gespeichert und mittels Algorithmen verarbeitet und geordnet, was zu
einer Reproduktion respektive einer Verstärkung von sozialer Ungleichheit bezüg-
lich Geschlecht, „Rasse“, Klassenzugehörigkeit etc. führt, da es an Sensibilität für
verschiedene Differenzkategorien bei der Programmierung von Algorithmen man-
gelt (Noble 2018). Zudem ist der Schutz der Privatsphäre meist nicht gegeben, was
beispielsweise bei Public-Health-Tracking-Apps zur Verarbeitung, der Weitergabe
oder zum Verkauf hochsensibler, persönlicher Daten (z. B. Menstruationsperiode)
führt (Brandusescu 2018). Da KI – eine zukünftige Schlüsseltechnologie – im
weitesten Sinne auf (Computer-)Systemen und Maschinen beruht, die die mensch-
liche Intelligenz mit all den gesellschaftlichen Vorurteilen nachahmen, finden inter-
520 B. E. Kassa et al.

sektionale Verzerrungen auch in Algorithmen, im maschinellen Lernen, dem logi-


schen Denken, der Sprachverarbeitung und visuellen Interpretation statt. Sie sind in
sozialen Medien (Bild und Wort), in Chatbots, Sprachassistenten, Übersetzungs-
diensten, in Gesichtsanalyse-Datensätzen u. v. m. nachzuweisen (Uzun-Weidner
2020). Ein internationaler rechtlicher Rahmen für die Offenlegung des verwendeten
Algorithmus sowie eine verstärkte Ausbildung von Frauen, MigrantInnen und
LGBTQ-Personen in Informatik und KI-Technologie sind dringend zu setzende
Maßnahmen.
Regelungsbedarf besteht weiters bezüglich des Problems der Hassrede (hate
speech), der Frauen (und andere marginalisierte Gruppen) insbesondere im Online-
Kontext ausgesetzt sind. Sexistische Hassreden beschränken Frauen in ihren Grund-
freiheiten (Council of Europe 2016) und können als Ausdruck eines Geschlechter-
kampfes um Sprechpositionen in digitalen Öffentlichkeiten betrachtet werden (Ganz
2019). Belästigung und beleidigende Kommentare gehören für Journalistinnen und
Bloggerinnen inzwischen zum Arbeitsalltag (FRA 2016), in einigen Dokumenten
zum Schutz des Journalismus wird auch schon ausdrücklich auf diese geschlechts-
bezogenen Bedrohungen hingewiesen (Council of Europe 2014; UN 2018). Hass-
rede erfordert wie auch andere Formen geschlechtsbasierter Gewalt im Internet
verstärkte Anstrengungen zur Verbesserung des institutionellen Rahmens und für
Präventionsmaßnahmen (EIGE 2017). Eine wichtige Rolle spielen hier zunächst
zivilgesellschaftliche Initiativen und Kampagnen. Ein Beispiel ist etwa eine 2013
vom in Großbritannien ansässigen Everyday Sexism Project, das alltägliche Fälle
von Sexismus katalogisiert, zusammen mit der Gruppe Women, Action and the
Media (WAM!) durchgeführte Kampagne. Diese konfrontierte Werbetreibende da-
mit, wie ihre Anzeigen neben Bildern erscheinen, die zu Hass und Gewalt gegen
Frauen aufstacheln, und übte so Druck auf Facebook aus, eine entschlossenere
Haltung gegen problematische Inhalte einzunehmen. (Gagliardone et al. 2015,
S. 43–45) 2016 vereinbarte die Europäische Kommission mit Facebook, Microsoft,
Twitter und YouTube einen „Verhaltenskodex zur Bekämpfung illegaler Hassreden
im Internet“, dem sich seither weitere Internetunternehmen angeschlossen haben und
der regelmäßig auf seine Wirkung überprüft wird. (European Commission 2016)

5 Fazit und Ausblick

Die vergangenen zwanzig Jahre haben keine wesentlichen Fortschritte bei der
Umsetzung des Abschnitts J der Pekinger Erklärung gezeigt (Gallagher 2017;
Padovani und Pavan 2017). Es mangelt immer noch an aggregierten Daten über
die Geschlechterpolitik in den Medien und ihre Auswirkungen, zudem an neuen
methodischen Überlegungen und systematischer Forschung. Es bedarf eines kon-
tinuierlichen Monitorings, um Fragen des Gender-Mainstreamings auf allen politi-
schen und organisatorischen Ebenen im Mediensektor zu behandeln. Außerdem sind
Media Governance, supranationale Medienpolitik und Feminismus 521

weitere Forschungsarbeiten notwendig, die sich auf die Entwicklung, Relevanz und
Wirkung von politischen Maßnahmen konzentrieren, um auf zukünftig virulente
Fragen im Bereich Medien und Geschlecht adäquate Antworten zu finden. Padovani
(2018) fordert, Forschung zu fördern, die ein vertieftes Verständnis der normativen
Rahmenbedingungen und der Geschlechtergleichstellung ermöglicht und das politi-
sche Bewusstsein dazu fördert. Die wachsende Zahl feministischer policy-Studien
und ein gestiegenes Interesse an der Entwicklung politischer Maßnahmen (Padovani
und Pavan 2017) wurden bislang allerdings in der Politikgestaltung nationaler wie
auch internationaler Institutionen zu wenig berücksichtigt (Gallagher 2017).

Anhang

Tab. 1 Chronologische Übersicht wichtiger supranationaler politischer Dokumente und Maßnah-


men für die Gleichstellung der Geschlechter mit Fokus auf Medien
Dokument/Maßnahme Ziele, Inhalte Jahr Akteur
Artikel 157 des Vertrags über Grundsatz: Männer und Frauen 1957 Europäische
die Arbeitsweise der sollten gleiches Entgelt für Union/
Europäischen Union (AEUV) gleiche Arbeit erhalten Europäische
bis 2009 „Vertrag zur Gründung Gemeinschaft
der Europäischen
Gemeinschaft“ (Römische
Verträge)
Europäische Sozialcharta (ESC) Förderung der sozialen 1961 Europarat
Gleichberechtigung von
Männern und Frauen
Konvention zur Beseitigung Beseitigung der 1979 Vereinte
jeder Form von Diskriminierung von Frauen in Nationen
Diskriminierung der Frau sämtlichen Lebensbereichen
(CEDAW)
Empfehlung Nr. R (84) 17 zur Aufruf zur Steigerung des 1984 Ministerkomitee
Gleichstellung von Frau und Bewusstseins für die des Europarats
Mann in den Medien Problematik der Gleichstellung
von Frauen in Medien und
Öffentlichkeit (Beteiligung an
öffentlichen Debatten,
Gleichstellung bei der
Beschäftigung, proportionale
Besetzung von
Führungspositionen)
Einheitliche Europäische Akte Gleichbehandlung von Frauen 1986 Europäische
(EEA) und Männern als einer der Union
Grundsätze der EU
(Fortsetzung)
522 B. E. Kassa et al.

Tab. 1 (Fortsetzung)
Dokument/Maßnahme Ziele, Inhalte Jahr Akteur
Gemeinschaftscharta der Hauptgrundsätze des 1989 Europäische
sozialen Grundrechte der europäischen Union
Arbeitnehmer Arbeitsrechtsmodell,
u. a. Gleichbehandlung von
Frauen und Männern
Richtlinie 89/552/EWG Gleichstellung von Frauen und 1989 Europäische
„Fernsehen ohne Grenzen“ Männern in audiovisuellen Union
Medien
Drei Aktionsprogramme Initiativen zur Sensibilisierung 1982– Europäische
„Chancengleichheit für Frauen und Förderung der aktiven 1991 Kommission
und Männer“ Beteiligung von Frauen am
Entscheidungsprozess auf allen
Ebenen der Gesellschaft
Pekinger Aktionsplattform Medien als einer der 1995 Vereinte
(BPfA) 12 Hauptproblembereiche: Nationen
(Nachfolgekonferenzen: Erhöhung der Mitwirkung und
Peking +5, +10, +20) des Zugangs von Frauen bei
Ausdrucksmöglichkeiten und
Entscheidungsprozessen in und
durch Medien und neue
Kommunikationstechnologien
Vertrag von Amsterdam Rechtlich verbindliche 1999 Europäischer Rat
Festschreibung von Gender-
Mainstreaming in allen
Politikbereichen und
Politikprozessen
Empfehlung Nr. 1555 (2002) Verbesserung des negativen 2002 Parlamentarische
zum Bild der Frau in den Frauenbildes in den Medien Versammlung des
Medien Europarats
Richtlinie 2004/113/EG Gleichbehandlung von 2004 Europäischer Rat
Gleichbehandlungsrichtlinie Männern und Frauen beim
Zugang zu und bei der
Versorgung mit Gütern und
Dienstleistungen
Richtlinie 2006/54/EG Chancengleichheit und 2006 Europäisches
Gleichbehandlungsrichtlinie Gleichbehandlung von Parlament und
Männern und Frauen in Arbeits- Europäischer Rat
und Beschäftigungsfragen
Fahrplan für die Gleichstellung Vorschlag, die 2006 Europäische
von Frauen und Männern geschlechterspezifische Kommission
(2006–2010) Benachteiligung mithilfe von
21 spezifischen Aktionen zu
beseitigen
Empfehlung Nr. 1799 (2007) Förderung nicht-stereotypischer 2007 Parlamentarische
zum Bild der Frau in der Frauenbilder Versammlung des
Werbung Europarats
(Fortsetzung)
Media Governance, supranationale Medienpolitik und Feminismus 523

Tab. 1 (Fortsetzung)
Dokument/Maßnahme Ziele, Inhalte Jahr Akteur
Strategie für die Gleichstellung Bekämpfung 2010 Europäische
von Frauen und Männern 2010– geschlechtsspezifischer Kommission
2015 Ungleichheiten in der
Beschäftigung und
geschlechtsspezifischer Gewalt
Resolution 1751 (2010) und Bekämpfung sexistischer 2010 Parlamentarische
Empfehlung Nr. 1931 (2010) Stereotype in den Medien Versammlung des
Europarats
Übereinkommen des Das erste rechtsverbindliche 2011, Europarat
Europarates zur Verhütung und internationale Instrument zur 2014
Bekämpfung von Gewalt gegen Verhütung und Bekämpfung in
Frauen und häuslicher Gewalt von Gewalt gegen Frauen und Kraft
(Istanbul-Konvention) Mädchen
Strategie für die Gleichstellung Beseitigung der Unterschiede 2013 Europarat
der Geschlechter 2014–2017 im Hinblick auf Beschäftigung, und
und Strategie für die Einkommen, Renten und 2018
Gleichstellung der Geschlechter Führungspositionen,
2018–2023 Beseitigung
geschlechtsspezifischer Gewalt,
Unterstützung für die Opfer,
Förderung der Gleichstellung
der Geschlechter und Rechte
der Frau weltweit
Women and Journalists First Beseitigung von 2015 Europarat
(aktualisiert) Geschlechterstereotypisierung
in den Medien
Entschließung bez. IKT (2015/ Gleichstellung der Geschlechter 2016 Europäisches
2007(INI)). und Stärkung der Frauen im Parlament
digitalen Zeitalter
Empfehlung zur Probleme der Branche aus der 2017 Ministerkomitee
Geschlechtergleichstellung im Perspektive der des Europarats
audiovisuellen Sektor Geschlechtergleichstellung,
u. a. ungleiche Verteilung der
Mittel für audiovisuelle Inhalte
Eine Union der Gleichheit: Gleichstellung der Geschlechter 2020 Europäische
Strategie für die Gleichstellung als Priorität von Kommission
der Geschlechter 2020–2025 EU-Kommissionspräsidentin
Ursula von der Leyen
Quelle: Eigene Darstellung

Literatur
Abels, Gabriele. 2014. Die Gleichstellungspolitik der EU und die Rolle des Europäischen Par-
laments. https://www.gwi-boell.de/de/2014/03/11/die-gleichstellungspolitik-der-eu-und-die-rol
le-des-europaeischen-parlaments. Zugegriffen am 15.11.2020.
Brandusescu, Ana. 2018. Gender must be central to the data protection conversation, not a side note.
Web Foundation Blog, February 9. https://webfoundation.org/2018/02/gender-must-be-central-
to-the-data-protection-conversation-not-a-side-note/. Zugegriffen am 14.09.2018.
524 B. E. Kassa et al.

Bunwaree, Sheila. 2013. Media education for gender equitable development. In Media Ethics and
Regulation: Insights from Africa, Hrsg. Christina Chan-Meetoo, 141–148. Mankon/Bamenda:
Langaa RPCIG.
Byerly, Carolyn. 2016. Stasis and shifts in feminist media scholarship. In Gender in focus: (new)
trends in media, Hrsg. Carla Cerqueira, Rosa Cabecinhas, und Sara Isabel Magalhães, 15–27.
Braga: CECS.
Byerly, Carolyn, und Claudia Padovani. 2017. Research and policy review. In Gender equality and
the media. A challenge for Europe, Hrsg. Karen Ross und Claudia Padovani, 7–29. New York:
Routledge.
Chakravartty, Paula, und Katharine Sarikakis. 2006. Media Policy and Globalisation. Edinburgh:
Edinburgh University Press.
Dackweiler, Regina. 2017. Europäische Gleichstellungspolitik: Ressource im Kampf gegen Ge-
schlechterstereotypen und Sexismus in der Werbung? Femina Politica 25(2): 49–63. https://
nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-51103-5. Zugegriffen am 17.11.2020.
Donges, Patrick. 2007. Medienpolitik und Media Governance. In Von der Medienpolitik zur Media
Governance? Hrsg. Patrick Donges, 7–23. Köln: Halem.
Dorer, Johanna. 2017. Geschlechterverhältnisse in Medienorganisationen. Wie weiter? In Was
bleibt übrig vom Wandel. Journalismus zwischen Zwängen und gesellschaftlicher Verantwor-
tung, Hrsg. Susanne Kirchhoff, Dimitri Prandner, Ingrid Aichberger, und Gerit Götzenbrucker,
159–178. Baden-Baden: Nomos.
Fabris, Hans Heinz, und Herta Kreuzhuber. 1976. Das internationale Jahr der Frau 1975 und die
Darstellung von Frauenthemen in den österreichischen Massenmedien. Wien: Bundesministe-
rium für soziale Verwaltung.
Gallagher, Margaret. 2001. The push and pull of action and research in feminist media studies.
Feminist Media Studies 1(1): 11–15.
Gallagher, Margaret. 2017. Gender and media. A critical analysis 20 years after Beijing. Comuni-
cazione Politica 2:191–208.
Ganz, Kathrin. 2013. Feministische Netzpolitik – Perspektiven und Handlungsfelder, Studie im
Auftrag des GWI (2012), Berlin. https://www.gwi-boell.de/sites/default/files/uploads/2013/04/
ganz_feministische_netzpolitik_web.pdf. Zugegriffen am 26.11.2018.
Ganz, Kathrin. 2019. Hate Speech im Internet. In Handbuch Medien und Geschlecht: Perspektiven
und Befunde der feministischen Kommunikations- und Medienforschung, Hrsg. Johanna Dorer,
Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković, 1–10. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_39_1.
Gagliardone, Iginio, Danit Gal, Thiago Alves, und Gabriela Martinez. 2015. Countering online hate
speech (UNESCO series on internet freedom). Paris: UNESCO. https://unesdoc.unesco.org/
ark:/48223/pf0000233231. Zugegriffen am 27.11.2018.
GMMP. 2015. Global Media Monitoring Project 2015. Regional Report Europe. http://cdn.
agilitycms.com/who-makes-the-news/Imported/reports_2015/regional/Europe.pdf. Zugegriffen
am 04.08.2020.
Grimme-Institut. 2014. Im Blickpunkt: Frauen in Medienberufen. https://imblickpunkt.grimme-
institut.de/wp/wp-content/uploads/2014/12/IB-Frauen-in-Medienberufen.pdf. Zugegriffen am
17.12.2020.
Hofbauer, Ines, und Gundula Ludwig. 2005. Gender Mainstreaming – Geschlechtergerechtigkeit
limited? Eine politische Strategie auf dem Prüfstand. Femina Politica 14(2): 32–41.
Holzleithner, Elisabeth. 2009. Gerechtigkeit. Wien: Facultas.
Kassa, Bruktawit Ejigu, und Katharine Sarikakis. 2018. Mainstreaming gender in the media: the
African Union backstage priority. In Handbook of communication for development and social
change, Hrsg. Jan Servaes. Wiesbaden: Springer, Singapore. https://doi.org/10.1007/978-981-
10-7035-8_103-1.
Noble, Safiya. 2018. Algorithms of oppression: How search engines reinforce racism. New York:
NYU Press.
Media Governance, supranationale Medienpolitik und Feminismus 525

Padovani, Claudia. 2018. Gendering media policy research and communication governance. Jav-
nost – The Public 25(1–2): 256–264.
Padovani, Claudia, und Elena Pavan. 2017. The politics of media gender equality. Lessons learned
and struggles for change twenty years after the Beijing Fourth World Conference on Women.
Comunicazione Politica 2:177–190.
Pollack, Mark A, und Emilie Hafner-Burton. 2000. Mainstreaming gender in the European Union.
Journal of European Public Policy 7(3): 432–456.
Prommer, Elisabeth, und Skadi Loist. 2019. Filmindustrie: Branchenkultur mit Gender Bias. In
Handbuch Medien und Geschlecht: Perspektiven und Befunde der feministischen Kommunika-
tions- und Medienforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija
Ratković. Wiesbaden: Springer Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_28-1.
Puppis, Manuel. 2010. Media governance: A new concept for the analysis of media policy and
regulation. Communication, Culture & Critique 3(2): 134–149.
Raboy, Marc. 2004. The WSIS as a political space in global media governance. Continuum: Journal
of Media & Cultural Studies 18(3): 347–361.
Redfern, Catherine, und Kristin Aune. 2010. Reclaiming the F word: The new feminist movement.
London/New York: Zed Books.
Ross, Karen, und Claudia Padovani, Hrsg. 2017. Gender equality and the media. A challenge for
Europe. New York: Taylor & Francis.
Sarikakis, Katharine. 2002. Supranational governance and the shifting paradigm in communications
policy-making: The case of the European Parliament. In Global media policy in the new
millennium, Hrsg. Marc Raboy, 77–91. Luton: University of Luton Press.
Sarikakis, Katharine. 2004. Powers in media policy: The challenge of the European Parliament.
Bern: Peter Lang.
Sarikakis, Katharine. 2012a. Serving two masters: The roles of the market and European politics in the
governance of media transformations. In Understanding media policies. A European perspective,
Hrsg. Evangelia Psychogiopoulou, 247–256. Basingstoke/New York: Palgrave Macmillan.
Sarikakis, Katharine. 2012b. Stepping out of the comfort zone: Unfolding gender conscious
research for communication and cultural policy theory. In Trends in communication policy
research: New theories, methods and subjects, Hrsg. Natascha Just und Manuel Puppis,
404–417. Bristol: Intellect.
Sarikakis, Katharine. 2013. Council of Europe report on „media and the image of women“. Report
of the 1st conference of the Council of Europe Network of national focal points on gender
equality. https://rm.coe.int/1680590587. Zugegriffen am 20.12.2017.
Sarikakis, Katharine. 2014. Power, patriarchy, profit: barriers to gender mainstreaming in media
policy. In Media and gender: A scholarly agenda for the global alliance on media and gender,
Hrsg. Aimée Vega Montiel, 79–82. Paris: UNESCO.
Sarikakis, Katharine, und Eliane Thao Nguyen. 2009. The trouble with gender: Media policy and
gender mainstreaming in the European Union. Journal of European Integration 31(2): 201–216.
Sarikakis, Katharine, und Sarah Anne Ganter. 2012. Governance and technologies of surveillance:
Revisiting the gendered divide. MedienJournal 36(2): 6–21. https://doi.org/10.24989/
medienjournal.v36i2.145.
Uzun-Weidner, Nil. 2020. Artificial intelligence, machine learning, and gender bias. In Interna-
tional encyclopedia of gender, media, and communication, Hrsg. Karen Ross, 1–5. Hoboken,
NJ: John Wiley and Sons. https://doi.org/10.1002/9781119429128.iegmc316. Zugegriffen am
08.12.2020.
Van Bauwel, Sofie. 2017. Gendered television genres. The same old song: A case study of gendered
television genres in the north of Belgium. In Gender equality and the media: a challenge for
Europe, Hrsg. Karen Ross und Claudia Padovani, 61–71. New York: Taylor & Francis.
Wietstock, Ellen. 2017. Unter der Gender-Lupe – heute: Der Deutsche Filmförderfonds (DFFF).
black box 268 (September). https://www.agdok.de/de_DE/black-box-268-september-2017.
Zuiderveld, Maria. 2011. ‚Hitting the glass ceiling‘ – Gender and media management in
sub-Saharan Africa. Journal of African Media Studies 3(3): 401–415.
526 B. E. Kassa et al.

Policy-Quellenverzeichnis
Council of Europe. 2018. Gender equality strategy 2018–2023. Strasbourg: Council of Europe.
https://rm.coe.int/strategy-en-2018-2023/16807b58eb. Zugegriffen am 08.08.2020.
Council of Europe. 2016. Combating sexist hate speech (Council of Europe Gender Equality Strategy
No. REF. 069816GBR). Strasbourg: Council of Europe. https://rm.coe.int/1680651592. Zugegrif-
fen am 27.11.2018.
Council of Europe. 2015. Gender Equality Commission: Handbook on the implementation of
Recommendation CM/Rec(2013)1 of the Committee of Ministers of the Council of Europe on
gender equality and media. Strasbourg: Council of Europe.
Council of Europe. 2014. Declaration of the committee of ministers on the protection of journalism
and safety of journalists and other media actors. https://rm.coe.int/09000016805c5e9d. Zuge-
griffen am 27.11.2018.
Council of Europe. 2013. Women and journalists first. A challenge to media professionals to realise
democracy in practice, quality in journalism and an end to gender stereotyping. Steering
Committee for Equality between Women and Men (CDEG). https://rm.coe.int/CoERMPublic
CommonSearchServices/DisplayDCTMContent?documentId¼0900001680595020. Zugegrif-
fen am 26.11.2018.
Council of Europe. 2011. Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von
Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt und erläuternder Bericht. Council of Europe Treaty
Series 210. https://rm.coe.int/CoERMPublicCommonSearchServices/DisplayDCTMContent?
documentId¼0900001680462535. Zugegriffen am 02.12.2020.
Council of Europe. 2007. Recommendation 1799 The image of women in advertising. Parliamen-
tary Assembly. https://pace.coe.int/en/files/17552. Zugegriffen am 26.11.2018.
Council of Europe. 2002. Recommendation 1555 Image of women in the media. Parliamentary
Assembly. https://pace.coe.int/en/files/16996. Zugegriffen am 26.11.2018.
Council of Europe. 1996. European social charter. Strasbourg: Council of Europe.
ECOWAS (Economic Community of Western African States). 2015. The Supplementary Act on
equality of rights between women and men for sustainable development in the ECOWAS
region. http://www.ccdg.ecowas.int/wp-content/uploads/Supplementary-Act-on-Gender-Equali
ty.pdf. Zugegriffen am 27.11.2018.
EIGE (European Institute for Gender Equality). 2017. Gewalt im Internet gegen Frauen und
Mädchen. https://eige.europa.eu/publications/cyber-violence-against-women-and-girls. Zuge-
griffen am 28.06.2019.
EIGE (European Institute for Gender Equality). 2016. Gender and digital agenda. https://eige.
europa.eu/publications/gender-and-digital-agenda. Zugegriffen am 28.06.2019.
EIGE (European Institute for Gender Equality). 2015. Beijing+20 factsheet – Area J: Women
and the Media. https://eige.europa.eu/publications/beijing20-factsheet-area-j-women-and-me
dia. Zugegriffen am 09.08.2020.
EIGE (European Institute for Gender Equality). 2013. Review of the implementation of the Beijing
Platform for Action in the EU Member States: Women and the media – advancing gender
equality in decision-making in media organisations: Main Findings. Luxembourg: European
Union. https://eige.europa.eu/publications/advancing-gender-equality-decision-making-media-
organisations-report. Zugegriffen am 20.11.2020.
EQUALS. 2019. Taking Stock. Data and evidence on gender equality in digital access, skills, and
ledership. https://www.itu.int/en/action/gender-equality/Documents/EQUALS%20Research%
20Report%202019.pdf. Zugegriffen am 07.12.2020.
European Commission. 2020. Mitteilungen der Kommission: Eine Union der Gleichheit: Strategie
für die Gleichstellung der Geschlechter 2020–2025. (COM/2020/152 final). https://www.
frauenrat.de/wp-content/uploads/2020/03/gender-equality-strategy-2020-2025_de.pdf. Zuge-
griffen am 25.11.2020.
Media Governance, supranationale Medienpolitik und Feminismus 527

European Commission. 2016. Code of conduct on countering illegal hate speech online. http://ec.
europa.eu/newsroom/just/item-detail.cfm?item_id¼54300. Zugegriffen am 27.11.2018.
Europäisches Parlament. 2019. Gleichstellung von Männern und Frauen. https://www.europarl.
europa.eu/ftu/pdf/de/FTU_2.3.8.pdf. Zugegriffen am 08.08.2020.
Europäisches Parlament. 2016. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 28. April 2016 zur
Gleichstellung der Geschlechter und Stärkung der Frauen im digitalen Zeitalter (2015/2007
(INI)). https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-8-2016-0204_DE.html. Zugegrif-
fen am 20.11.2020.
Europäisches Parlament und Rat. 2006. Verordnung (EG) Nr. 1922/2006 des Europäischen Par-
laments und des Rates vom 20. Dezember 2006 zur Errichtung eines Europäischen Instituts für
Gleichstellungsfragen. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CE
LEX:32006R1922&from=DE.
European Platform of Regulatory Authorities (EPRA). 2018. Achieving greater diversity in broad-
casting – Special focus on gender. Comparative background paper (EPRA/2018/04). https://
www.epra.org/attachments/achieving-greater-diversity-in-broadcasting-special-focus-on-gen
der-comparative-background-paper. Zugegriffen am 04.08.2020.
European Regulators Group for Audiovisual Media Services (EPRA). 2020. Study on industry-led
good practices related to gender diversity in the European audiovisual sector. Report with
recommendations. https://erga-online.eu/wp-content/uploads/2020/01/ERGA_2019_SG4_Re
port.pdf. Zugegriffen am 04.08.2020.
FRA (Fundamental Rights Agency of the European Union). 2016. Violence, threats and pressures
against journalists and other media actors in the EU. http://fra.europa.eu/en/publication/2016/
violence-threats-and-pressures-against-journalists-and-other-media-actors-european. Zugegrif-
fen am 27.11.2018.
GAMAG (Global Alliance for Media and Gender). 2014. Framework and plan of action. http://
www.unesco.org/new/fileadmin/MULTIMEDIA/HQ/CI/CI/pdf/gamag_framework_and_ac
tion_plan_30sep2014.pdf. Zugegriffen am 18.07.2018.
GAMAG (Global Alliance for Media and Gender). 2017. GAMAG Gender and media position
paper. https://gamag.net/wp-content/uploads/2017/10/gamag_gender_media_position_paper_
en.pdf. Zugegriffen am 26.11.2018.
SADC (Southern African Development Community). 2008. Protocol on gender and development.
https://www.sadc.int/documents-publications/show/Protocol_on_Gender_and_Development_
2008.pdf. Zugegriffen am 23.11.2018.
UN. 2018. UN General Assembly Resolution 75/152 on the safety of journalists and the issue of
impunity (A/RES/72/175). http://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol¼A/RES/72/
175. Zugegriffen am 27.11.2018.
UN. 2016. Transforming our world: the 2030 Agenda for Sustainable Development. https://sdgs.un.
org/2030agenda. Zugegriffen am 25.11.2020.
UN. 1995. Bericht der Vierten Weltfrauenkonferenz. Pekinger Erklärung und Aktionsplattform.
https://www.un.org/Depts/german/conf/beijing/anh_2.html. Zugegriffen am 13.09.2020.
UNESCO. 2017. Women make the news. Time for gender equality checkup. https://en.unesco.org/
women-make-the-news-2017. Zugegriffen am 27.11.2018.
UNESCO. 2012. Gender-sensitive indicators for media: Framework of indicators to gauge gender
sensitivity in media operations and content. Paris. http://www.unesco.org/ulis/cgi-bin/ulis.pl?
catno¼217831. Zugegriffen am 23.11.2018.
WSIS. 2018. WSIS Forum 2018 Outcome Document. https://www.itu.int/net4/wsis/forum/2018/Files/
documents/outcomes/WSISForum2018_ForumTrackOutcomes.pdf. Zugegriffen am 24.11.2020.
WSIS. 2005. World Summit on the Information Society: Tunis Commitment. (insb. Pkt. 23). https://
www.itu.int/net/wsis/docs2/tunis/off/7.html. Zugegriffen am 24.11.2020.
Politische Kommunikation und Geschlecht.
Politikerinnen in den Medien

Christina Holtz-Bacha

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530
2 Politische Kommunikation empirisch erfassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531
3 Politische Akteurinnen und Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532
4 Darstellung von Frauen in der politischen Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533
5 Rezeption und Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536
6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537

Zusammenfassung
Politik ist ein männliches Geschäft. Ungeachtet einer wachsenden Zahl von
Politikerinnen auch in höchsten politischen Ämtern, gelten Frauen in der Politik
als die Anderen. Das wirkt sich vor allem in der medialen Berichterstattung über
Politik aus. Die Bilder von Politikerinnen und Politikern, die über die Medien
verbreitet werden, können einen Einfluss auf politische Vorstellungen, Einstel-
lungen und politisches Verhalten haben.

Schlüsselwörter
Geschlecht · Politik · Politikerinnen · Politische Berichterstattung · Politisches
Interesse

C. Holtz-Bacha (*)
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Nürnberg, Deutschland
E-Mail: christina.holtz-bacha@fau.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 529
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_29
530 C. Holtz-Bacha

1 Einleitung

Politik ist eine männlich geprägte Welt. Allen Quoten und einigen erfolgreichen
Karrieren von Frauen zum Trotz klafft weltweit ein gender gap in den Parlamenten
und Regierungen. Noch nicht einmal in den hinsichtlich der Gleichstellung der
Geschlechter fortschrittlichen nordeuropäischen Staaten konnte die Kluft geschlos-
sen werden. Nach den Zahlen des Global Gender Gap Report (2021, S. 19) hat
lediglich Island die Lücke beim politischen Empowerment zu 76 % geschlossen,
Norwegen und Finnland zu deutlich mehr als 60 %. Im weltweiten Durchschnitt liegt
der Wert bei 22,3 % (2021, S. 15). Das bedeutet konkret: Unter Berücksichtigung
von drei Indikatoren, nämlich des Frauenanteils in den Parlamenten, auf Minister-
ebene und der Anzahl der Jahre, in denen das Land von einer Frau regiert wurde,
macht die Differenz zur völligen politischen Gleichstellung in Island 24 % aus, in
Finnland 33 % und in Norwegen 35 %. Unter den drei deutschsprachigen Ländern
schneidet Österreich mit Platz 17 beim Ranking nach politischem Empowerment am
schlechtesten ab. Die Schweiz erreicht Platz 12 und Deutschland Platz 10. Der
Frauenanteil in den Parlamenten liegt zwischen 42 % (CH) und 31,5 % (D), der
Anteil der Ministerinnen zwischen 42,9 % (CH) und 57,1 % (A). Bei der Einstufung
wirkt sich also die Zahl der Jahre, in denen eine Frau an der Spitze der Regierung
stand, aus. Deutschland verdankt seine vergleichsweise gute Einstufung der Kanz-
lerschaft von Angela Merkel, und die Schweiz der Vertretung von Frauen im
Bundesrat (Global Gender Gap Report 2021, S. 105, 199, 359).
Die Geschlechterdifferenz in Regierungen und Parlamenten ist nur ein Indikator
für die männliche Dominanz in der Politik. In Europa erhielten Frauen das Wahlrecht
erst ab Anfang des 20. Jahrhunderts, in Frankreich und Italien zum Beispiel erst nach
dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in der Schweiz gar erst 1971. Aufgrund ihres
Vorsprungs konnten Männer daher die Spielregeln festlegen, und Frauen mussten
sich den vorhandenen Strukturen und Prozessen anpassen. Sie kamen als „Fremde“
in die Politik (Schöler-Macher 1994), als Outsider. Die öffentliche Sphäre galt als
Sache der Männer, Frauen waren auf die private Sphäre verwiesen. Erst die Frau-
enbewegung und der Kampf um das Wahlrecht für Frauen beendete allmählich den
Ausschluss der Frauen vom öffentlichen Leben.
Auch der Journalismus galt lange als männliches Geschäft. In den Medienunter-
nehmen ist der Frauenanteil nur langsam angestiegen. Die Worlds of Journalism
Study verzeichnet für 2014–2015 für Österreich einen Anteil von 40,8 % Frauen im
Journalismus, für Deutschland 40,1 % und für die Schweiz 38,5 %; für alle drei
Länder gilt, der typische Journalist ist männlich (Dingerkus et al. 2016; Hanitzsch
et al. 2016; Josephi et al. 2019, S. 81; Lohmann und Seethaler 2016). Zudem gilt im
Journalismus eine vertikale Segregation (Klaus 2005, S. 161–171; Neverla 1983):
Journalistinnen sind in führenden Positionen nach wie vor eine Minderheit. Weltweit
beträgt der Anteil von Frauen auf Top-Positionen in Medienunternehmen 22 %,
Deutschland liegt mit 19 % sogar noch unter dem globalen Durchschnittswert
(Robertson et al. 2021, S. 3). Die horizontale Segregation, das heißt, die Verteilung
von Männern und Frauen in den Ressorts entsprechend den traditionellen Rollen-
Politische Kommunikation und Geschlecht. Politikerinnen in den Medien 531

zuweisungen, scheint sich indessen aufzulösen. Im Politikressort haben Journalis-


tinnen mittlerweile aufgeholt. In Deutschland entspricht der Anteil von Journalistin-
nen im Politikressort etwa ihrem Anteil an der Profession insgesamt (Lünenborg
2008, S. 163), in Österreich betrug 2007 der Anteil von Frauen im Politikressort von
Print- und Onlinemedien sowie bei Agenturen 46 % und im Bereich Nachrichten/
Information bei den Rundfunkanstalten 45 % (Kaltenbrunner et al. 2007, S. 119–120).

2 Politische Kommunikation empirisch erfassen

Politische Kommunikation umfasst nach Schulz diejenige „Kommunikation [. . .],


die von politischen Akteuren ausgeübt wird, die an sie gerichtet ist, oder die sich auf
politische Akteure und ihre Aktivitäten bezieht“ (2011, S. 16, H.i.O.). Welche Rolle
das Geschlecht in und für die politische Kommunikation spielt, ist also an der
Kommunikation politischer Akteurinnen und Akteure, in der Berichterstattung
über politische Vorgänge, über Politikerinnen und Politiker sowie bei der Rezeption
und den Wirkungen politischer Kommunikation zu untersuchen.
Das Geschlecht ist eine gängige Variable, deren Einfluss auf Kommunikations-
prozesse die quantitative empirische Forschung zusammen mit anderen soziodemo-
grafischen Faktoren prüft. Die soziodemografischen Variablen, neben Geschlecht
etwa Alter und Bildung, gelten als intervenierende Variablen, die verstärkend oder
abschwächend in den Rezeptions- und Wirkungsprozess eingreifen können. Ge-
schlecht wird, etwa in Regressionen, in der Regel zusammen mit den anderen
soziodemografischen Variablen eingeführt und auf einen Zusammenhang mit der
abhängigen Variablen geprüft. Ergibt sich dabei keine signifikante Korrelation, heißt
es, das Geschlecht habe keinen Einfluss auf die abhängige Variable, also zum
Beispiel politische Ein- und Vorstellungen oder politisches Verhalten.
Nicht zuletzt bei der Untersuchung von politischen Kommunikationsprozessen
kann das jedoch einen Fehlschluss bedeuten, weil unter Umständen der Einfluss des
Geschlechts durch andere Variablen gewissermaßen überlagert wird (Holtz-Bacha
1990). Will man etwa die Wirkungen der Mediennutzung auf politische Einstel-
lungen prüfen, ist zu berücksichtigen, dass es Unterschiede zwischen Frauen und
Männern im Medienkonsum gibt: Sie haben unterschiedliche Präferenzen, was die
Medienkanäle und erst recht die Medienangebote angeht, und sie gehen unterschied-
lich damit um (Holtz-Bacha 1995; Schweiger 2007, S. 271–272). Wenn also zum
Beispiel Fernsehnutzung als unabhängige Variable verwendet wird, bedeutet das bei
Frauen unter Umständen anderes als bei Männern. Solche Unterschiede lassen sich
plausibel mit den Geschlechterrollen und den weiterhin bestehenden Unterschieden
in der Lebenssituation von Frauen und Männern erklären. Datenanalysen sollten also
den verschiedenartigen Lebenserfahrungen Rechnung tragen, die dazu führen, dass
sogar soziodemografische Merkmale bei Frauen eine andere Bedeutung haben als
bei Männern, und prüfen, ob separate Analysen für Frauen und Männer angebracht
sind. Dabei könnte sich zeigen, dass Wirkungszusammenhänge bei beiden Ge-
schlechtern unterschiedlich ausfallen.
532 C. Holtz-Bacha

3 Politische Akteurinnen und Akteure

Ein Großteil der Forschung zu politischer Kommunikation stammt aus dem Umfeld
von Wahlen. In Wahlkampagnen geht es um die Teilhabe an der politischen Macht,
somit stellt sich die Frage nach Geschlechterdifferenzen im Kampf um Wählerstim-
men und sich möglicherweise daraus ergebenden ungleichen Chancen auf Macht-
erwerb und -erhalt.
Mit der wachsenden Zahl von Frauen in der Politik wendet sich auch die
Forschung der Rolle des Geschlechts für die politische Kommunikation zu. Vor
allem in den USA, wo durch die Vielzahl von Wahlen für politische Ämter und das
personalisierte Wahlsystem zahlreiche Anlässe für die Untersuchung von Wahl-
kämpfen bestehen, gibt es etwa ab den 1980er-Jahren zahlreiche Studien zu den
Kampagnen von Frauen und Männern im Vergleich. Aufgrund der großen Bedeu-
tung, die die Wahlwerbung im Fernsehen für US-Wahlkämpfe hat, dominieren
Analysen der Fernsehspots.
Das Geschlecht gehört, ebenso wie andere soziodemografische Merkmale, zu den
short cuts, also den Abkürzungen, die Wählerschaft und Medienpublikum nehmen,
um aufwendige Informationsbeschaffung zu vermeiden, wenn sie Kandidatinnen
und Kandidaten zu beurteilen haben. Politikerinnen, die in den Wahlkampf einstei-
gen, zumal wenn sie unbekannt sind, müssen daher berücksichtigen, dass ihre
Kampagnenaktivitäten einer stereotypen Beurteilung unterliegen, die einerseits mit
bestimmten Erwartungen an das Geschlecht verbunden ist und andererseits die
Kriterien der männlich geprägten Welt der Politik heranzieht. Kandidatinnen müssen
mit ihrem Auftreten beidem gerecht werden: Sie müssen eine „weibliche“ Seite mit
Frauen üblicherweise zugeschriebenen Charaktereigenschaften und den daraus ab-
geleiteten Themen- und Problemlösungskompetenzen demonstrieren und auf der
anderen Seite vermitteln, dass sie für das harte Geschäft der Politik und sogar
militärische Befehlsgewalt hart und robust genug sind (Huddy und Terkildsen
1993a, b; Iyengar et al. 1997; Meeks 2012; Zulli 2019). Frauen geraten damit in
die Situation eines double bind, das heißt eine Situation, in der sie kaum gewinnen
können: Was immer sie tun, um in der Situation zu bestehen, ist falsch; sie sind auf
einer Gratwanderung (vgl. auch Jamieson 1995). Geben sich die Frauen kühl,
kalkulierend und aggressiv, um sich für die Politik zu empfehlen, riskieren sie
Ablehnung als „Mannweiber“; betonen sie die vermeintlich weiblichen Eigenschaf-
ten, gelten sie als zu schwach für die Härte des politischen Geschäfts. Mittlerweile
haben zahlreiche Studien analysiert, wie Frauen und Männer bzw. einzelne Politi-
kerinnen und Politiker mit dieser Herausforderung umgehen (z. B. Cooper 2009;
Duerst-Lahti 2007; Herrnson et al. 2003; Lawrence und Rose 2010; McGinley 2009;
vgl. auch Bystrom 2017, S. 42). Ob playing the gender card Frauen für ihre Wahl-
kampagne also anzuraten ist, lässt sich nicht pauschal beantworten, sondern ist
abhängig von der Persönlichkeit der Kandidatin, dem politischen und kulturellen
Umfeld sowie der Zielgruppe.
Während es zum Beispiel in Deutschland Angela Merkel in ihren Wahlkam-
pagnen jeweils vermieden hat, sich als Frau zu präsentieren und ihre Weiblichkeit
auszuspielen, präsentierte sich die österreichische Präsidentschaftskandidatin Benita
Politische Kommunikation und Geschlecht. Politikerinnen in den Medien 533

Ferrero-Waldner 2004 mit frauenbezogenen Slogans (Rosenberger 2008) und gab


sich Ségolène Royal im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2007 betont
feminin (Coulomb-Gully 2009; Leidenberger und Koch 2008), und in Chile setzte
Michelle Bachelet zur Präsidentschaftswahl 2006 auf Themen, die Frauen anspre-
chen sollten (Ríos Tobar 2008). Hillary Clinton entschied sich im Rennen gegen
Obama 2008 für einen Wahlkampf der Härte, während sie gegen Trump 2016 auch
manchmal auf die Frauenkarte setzte, was dieser wiederum für einen Angriff auf
Clinton nutzte und damit bei seinen Anhängerinnen und Anhängern punkten konnte
(Cassese und Holman 2019; Sorrentino et al. 2021).
Die Unterschiede, die sich zunächst in der Wahlwerbung von Kandidatinnen und
Kandidaten in US-Wahlkämpfen zeigten, schienen sich bis zum Jahr 2000 einge-
ebnet zu haben, was zu dem Schluss führte, dass sich Politikerinnen ihren männ-
lichen Konkurrenten weitgehend angepasst hatten (Bystrom und Kaid 2002). Zu-
gleich ließ sich feststellen, dass Frauen aber auch insofern zu Veränderungen
beigetragen hatten, als männliche Kandidaten den Mix aus „männlichen“ und
„weiblichen“ Themen suchen und Männer auch solche Eigenschaften hervorkehren,
die üblicherweise Frauen zugewiesen werden.
Gleichzeitig aber wurde Kandidatinnen empfohlen, auf Negativwerbung in ihren
Kampagnen zu verzichten, weil Konfrontation und Aggressivität nicht zum weibli-
chen Stereotyp gehören. Begründet wurde diese Empfehlung damit, dass die Wäh-
lerschaft ein stereotypes Verhalten erwarten würde. Da aber gerade in den USA
Angriffe auf den politischen Gegner im Wahlkampf gängig sind und Aggressivität
auch dazu dient, die für das politische Geschäft notwendige Härte zu demonstrieren,
wäre der Verzicht auf Negativwerbung ein Nachteil für Kandidatinnen, und tatsäch-
lich hat sich gezeigt, dass Frauen mittlerweile ihren Konkurrenten in dieser Hinsicht
nicht nachstehen (Trent und Sabourin 1993).

4 Darstellung von Frauen in der politischen Kommunikation

Das Bild, das sich die Wählerschaft von der Politik und den politischen Akteuren
macht und das letztlich auch die Wahlentscheidung beeinflussen kann, beruht selten
auf persönlichen Begegnungen und direkten Erfahrungen, sondern entsteht durch die
Vermittlung der Medien.
Medienanalysen zur Darstellung von Frauen in politischen Zusammenhängen
machen den weitaus größten Teil der Forschung zum Themenkomplex Geschlecht
und politische Kommunikation aus. In Anbetracht der Ausrichtung der Politik an
männlichen Akteuren geht es dabei zunächst ganz allgemein um die Frage, in
welchem Umfang und in welcher Rolle Frauen in der politischen Berichterstattung
vorkommen. Die Forschung erfolgt zudem vor dem Hintergrund der steten Klage
von Politikerinnen, die Medienaufmerksamkeit gelte zuerst ihrem Äußeren und
ihrem Privatleben, während sie Schwierigkeiten haben, mit ihren Themen an die
Öffentlichkeit durchzudringen (z. B. Koch-Mehrin 2007; Ross und Sreberny-
Mohammadi 1997; Roth 2007; Schmidt 2007; Sreberny-Mohammadi und Ross
1996). Das Bild, das sich die Wählerinnen und Wähler von Politikerinnen machen,
534 C. Holtz-Bacha

hat wiederum Auswirkungen auf deren politische Karrierechancen, aber auch die
politischen Akteure selbst sind keineswegs unbeeinflusst von dem, was die Medien
über die Politik und diejenigen, die in der Politik tätig sind, berichten.
Die Auseinandersetzung mit der medialen Darstellung von Frauen und Männern
setzte mit Betty Friedans Kritik an Medien und Werbung (Friedan 1963) und der von
der UNO für 1975 bis 1985 ausgerufenen Dekade der Frauen sowie den Initiativen
der Unesco ein, die zu Bestandsaufnahmen der bis dahin vorliegenden Studien
führten (Ceulemans und Fauconnier 1979; Gallagher 1981, 1992, S. 1–2). Aufsehen
erregte Gaye Tuchman 1978 mit ihrer Diagnose der symbolischen Nicht-Existenz
(symbolic annihilation) von Frauen in den Medien. Unter Bezugnahme auf Gerbners
Kultivierungshypothese (Gerbner et al. 2002) stellte Tuchman fest, dass Frauen in
den Medien abwesend sind, der Trivialisierung unterliegen und auf Herd und Haus
verwiesen sind, während Männer die öffentliche Sphäre dominieren. Zugleich
kritisierte sie aber auch die Forschung, sich vor allem und insbesondere hinsichtlich
politischer Fragestellungen auf Männer konzentriert zu haben (Tuchman 1978).
Bezogen auf das Frauenbild im Fernsehen, war in Deutschland 1975 die später so
genannte Küchenhoff-Studie zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen: „Als Politi-
kerinnen, Expertinnen oder Funktionärinnen, also in Funktionen, in denen Sach-
verstand, Kompetenz und Wissen vielfach als notwendige Voraussetzungen angese-
hen werden, kamen Frauen nur in verschwindend geringem Maße zu Wort“
(Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit 1975, S. 200–201). Die
Analyse bestätigte für das deutsche Fernsehen die generelle Benachteiligung von
Frauen: Frauen kommen seltener vor als Männer, sie werden seltener in handlungs-
tragenden Rollen präsentiert, ihre Darstellung erfolgt oft bezogen auf den Mann.
Politik spielt bei der Konstruktion des Frauenbildes selten eine Rolle, für Frauen
wichtige Themen werden vernachlässigt. Männer handeln, Frauen kommen vor; und
das erst recht in der Politik, so lautete der pointierte Befund, der analog auch für das
österreichische Fernsehen galt (Leinfellner 1983). Ähnlich fasst Velte 20 Jahre später
ihre Forschungssynopse zusammen: „Politik spielt bei der Konstruktion des Frauen-
bildes keine Rolle“ (1995, S. 252).
Die Berichte von internationalen Monitoring-Projekten (Global Media Moni-
toring Project 1995, 2000, 2005, 2010, 2015, 2020) sowie Studien aus verschie-
denen Ländern und zu verschiedenen Medien bestätigten die geringe Repräsen-
tanz von Frauen in der Berichterstattung und als Quellen der Berichterstattung,
die Geschlechterstereotypisierung sowie das mediale Interesse an ihrer äußeren
Erscheinung und ihrem Privatleben. Außerdem wird über Frauen oft negativer
berichtet als über Männer (Cornelißen und Küsters 1992; Gidengil und Everitt
2006; Kahn 1994, 1996; Kahn und Goldenberg 1991; Lemish und Tidhar 1999;
Ross und Sreberny 2000; Schmerl 1989, 2002; Williams 2021; Zoch und Turk
1998).
Als Erklärung der medialen Unterrepräsentanz diente das Argument, dass die
Medien damit lediglich die geringe Beteiligung von Frauen am politischen Prozess
spiegeln würden. Entsprechend wäre zu erwarten gewesen, dass mit der steigenden
Anzahl von Frauen in Parlamenten und Regierungen auch ihre Präsenz in der
Berichterstattung zunehmen würde. Zudem wurde auf die männliche Dominanz in
Politische Kommunikation und Geschlecht. Politikerinnen in den Medien 535

den Politikressorts der Medien verwiesen; auch hier galt die Hoffnung, dass mit
einer Zunahme von Journalistinnen auch Frauen in der Politik eine bessere Berück-
sichtigung finden würden. Allerdings beziehen sich solche Erwartungen nur auf die
quantitative Präsenz, nicht aber auf die qualitativen Aspekte der Berichterstattung,
also die Art und Weise, wie die Medien berichten und welches Bild von Frauen sie
vermitteln. Die Erwartung, ein größerer Anteil von Journalistinnen könnte den
Umgang der Medien mit Frauen in der Politik verbessern, setzt voraus, dass das
Geschlecht die journalistischen Produktionsroutinen überlagert.
Tatsächlich haben sich die Befunde auch Jahrzehnte später nur wenig verändert.
Noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts heißt es: Der gestiegenen Beteiligung von
Frauen am öffentlichen Leben zum Trotz sind Frauen in der Medienberichterstattung
erheblich unterrepräsentiert, und zwar vor allem in den Printmedien (Humprecht und
Esser 2017; Lünenborg und Röser 2012; Pallaver und Lengauer 2008; Poindexter
2008; Shor et al. 2015; Van Aelst et al. 2008). Auch der neueste Bericht des Global
Media Monitoring Project von 2020 hat ergeben, dass Frauen im weltweiten Durch-
schnitt nur in 20 % der politischen Nachrichten vorkommen, in Nordamerika und in
Europa auch nur zu 26 % bzw. 22 % (S. 22). Ebenso kommt Ross zu dem Schluss,
dass Bild und Sprache in der Politikvermittlung den Status quo verfestigen und
Politikerinnen als Novum betrachten; auch höchste politische Ämter schützten
Frauen nicht vor sexistischer Behandlung (Ross 2017, S. 186–187). Der Focus auf
das Äußere, nicht zuletzt bei hochrangigen Politikerinnen, spiegelt sich in der
Tendenz, Frauen häufiger im Bild zu zeigen als Männer (Humprecht und Esser
2017; Lünenborg und Maier 2015).
Mittlerweile liegen differenziertere Befunde darüber vor, was die Berücksichti-
gung von Frauen und Männern in der Medienberichterstattung beeinflusst und die
Benachteiligung von Frauen fortschreibt. So fanden Shor et al. (2015) in einer
Analyse US-amerikanischer Zeitungen, dass soziale Ungleichheiten die entschei-
dende Determinante für die Unterschiede in der Berichterstattung sind. Da sich die
Medien auf Top-Positionen in Politik, Wirtschaft und Sport konzentrieren, wo
Männer dominieren, erreichen Frauen seltener die Aufmerksamkeit der Medien.
Zwar scheint eine Zunahme von Journalistinnen in Leitungspositionen ebenfalls
Einfluss auf die Berichterstattung zu haben, laut Shor et al. (2015) sprechen die
Befunde dieser Untersuchung aber dafür, dass sich der gender gap erst schließt,
wenn mehr Frauen in jene Positionen aufgestiegen sind, auf die sich das Interesse der
Medien richtet. In einem Vergleich der Zeitungs- und Fernsehberichterstattung in
fünf europäischen Ländern und den USA konnten Humprecht und Esser (2017)
einen Zusammenhang zwischen der Dominanz männlicher Werte (Maskulinität nach
Hofstede 2001) sowie der Geschlechtergleichstellung in einem Land und der Re-
präsentanz von Frauen in der politischen Berichterstattung feststellen. Zudem be-
stätigte sich auch hier, dass journalistische Auswahlroutinen Frauen benachteiligen.
Prenner (1995) schlägt daher vor, die gängigen Nachrichtenwerte wie Sensationa-
lismus, Nähe, Aktualität etc. um den Nachrichtenfaktor Androzentrismus zu
ergänzen.
Ob sich die Berichterstattung mit einem höheren Frauenanteil in den Redak-
tionen, auf höheren Positionen und im Politikressort ändern und damit die gender
536 C. Holtz-Bacha

determination hypothesis (Hanitzsch und Hanusch 2012, S. 258) Unterstützung


finden würde, unterliegt einer kontroversen Diskussion. Einige Studien aus ver-
schiedenen Ländern sprechen dafür, dass ein größerer Anteil an Journalistinnen
einen Unterschied bei Themen und Formaten machen würde (Beam und Di Cicco
2010; Craft und Wanta 2004; North 2016). Eine Untersuchung von Hanitzsch und
Hanusch (2012), die sich auf 18 Länder auf allen Kontinenten bezieht, zeigt dage-
gen, dass sich Journalistinnen und Journalisten nicht signifikant in ihrem beruflichen
Rollenverständnis unterscheiden.

5 Rezeption und Wirkungen

Dass Frauen sich weniger für Politik interessieren und auch weniger über Politik
wissen als Männer, gilt als eine Konstante der Forschung über die Zeit und im
internationalen Vergleich (z. B. Curran et al. 2009; Fortin-Rittberger 2016; Fraile
2014). Für diesen beharrlichen gender gap gibt es mehrere Erklärungen. Da
politisches Interesse und politisches Wissen üblicherweise in Befragungen ermit-
telt werden, könnte ein Grund für die Unterschiede in den jeweils verwendeten
Frageformulierungen und -inhalten liegen (Fortin-Rittberger 2016) oder, was
durchaus miteinander zusammenhängt, in einem anderen Politikverständnis von
Frauen. Naheliegend ist zudem, dass der gesellschaftliche Kontext mitentscheidet,
ob und wie Frauen Zugang zur Politik finden (Westle 2001). Da das politische
Interesse zu denjenigen Variablen gehört, die in einem engen Zusammenhang mit
Mediennutzung stehen, lassen sich daraus Erklärungen für Unterschiede im Me-
dienkonsum, im Umgang mit den Angeboten sowie deren Wirkungen ableiten
(Schweiger 2007).
Wie die (bessere) Präsenz von Frauen in der politischen Berichterstattung bzw.
ihre Abwesenheit auf das Medienpublikum wirkt, ist vergleichsweise selten unter-
sucht worden. Finden Politikerinnen mediale Aufmerksamkeit, kann das den Ein-
druck, die Politik sei ausschließlich ein männliches Geschäft, verändern (Banducci
et al. 2012, S. 169) und Frauen zu politischer Aktivität motivieren (Campbell und
Wolbrecht 2006; Wolbrecht und Campbell 2007).
Empfehlungen für die Kommunikationsstrategien von Kandidatinnen und Kan-
didaten lassen sich aus solchen Studien ableiten, die die Reaktionen auf Wahlkam-
pagnen und Medienauftritte von Frauen und Männern untersucht haben. Solche
Studien gibt es vor allem aus den USA und zu politischer Werbung im Fernsehen
(Bystrom 2004, 2017). Auch wenn die Befunde nicht eindeutig sind, scheint es
sowohl für Frauen als auch für Männer ratsam, in ihrer Wahlwerbung auf „weibli-
che“ und auf „männliche“ Themen und Eigenschaften zu setzen. Auf Negativwer-
bung reagieren Wählerinnen und Wähler unterschiedlich; während Frauen aggres-
sive Werbung eher ablehnen, wirkt sie auf Männer womöglich sogar motivierend zur
Stimmabgabe (Bystrom 2017, S. 44–45). Frauen wie Männer haben bei ihrer Selbst-
darstellung allerdings zu berücksichtigen, dass sie von der Wählerschaft mit stereo-
typen Erwartungen an die Geschlechterrollen konfrontiert sind (Huddy und Terkild-
sen 1993a, b).
Politische Kommunikation und Geschlecht. Politikerinnen in den Medien 537

6 Fazit

Der gestiegenen Beteiligung von Frauen an der Politik sowie ihrem Aufstieg in
höchste politische Ämter zum Trotz gilt Politik immer noch als ein männlich
markierter Lebensbereich, dessen Regeln es Frauen schwer machen, in die Politik
ein- und in der Politik aufzusteigen. Weiterhin zeigen sich Unterschiede im Umgang
der Medien mit Politikerinnen und Politikern, wobei insbesondere das Interesse der
Medien an der äußeren Erscheinung und dem Privatleben von Frauen zu kritisieren
ist. Da Wählerinnen und Wähler nur in seltenen Fällen direkten Kontakt zu politi-
schen Akteuren haben, sind sie auf die Vermittlung der Medien angewiesen, um sich
ein Bild von Kandidatinnen und Kandidaten zu machen, das dann wiederum Einfluss
haben kann auf die Wahlentscheidung. Solange Frauen seltener als Männer im
politischen Medienkontext zu sehen sind und politikferne Merkmale ihr mediales
Image prägen, wird es für Frauen schwierig sein, nicht mehr als „Fremde“ in der
Politik betrachtet zu werden. Das ist nicht zuletzt deshalb relevant, als sich gezeigt
hat, dass eine bessere Sichtbarkeit von Frauen in der Politik auch politische Einstel-
lungen und die politische Beteiligung von Frauen positiv beeinflussen kann.

Literatur
Aelst, Van, Bert Maddens Peter, Jo Noppe, und Stefaan Fiers. 2008. Politicians in the news: Media
or party logic? Media attention and electoral success in the Belgian election campaign of 2003.
European Journal of Communication 23(2): 193–210.
Banducci, Susan, Elisabeth Gidengil, und Joanna Everitt. 2012. Women as political communica-
tors: Candidates and campaigns. In The Sage handbook of political communication, Hrsg. Holli
A. Semetko und Margaret Scammell, 164–172. Los Angeles: Sage.
Beam, Randal A., und Damon T. Di Cicco. 2010. When women run the newsroom: Management
change, gender, and the news. Journalism & Mass Communication Quarterly 87(2): 393–411.
Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, Hrsg. 1975. Die Darstellung der Frau und
die Behandlung von Frauenfragen im Fernsehen. Empirische Untersuchung einer Forschungs-
gruppe der Universität Münster unter Leitung von Professor Dr. Erich Küchenhoff. Stuttgart:
W. Kohlhammer.
Bystrom, Dyanne. 2017. Gender and political advertising. Content and effects. In Routledge
handbook ofpoliticaladvertising, Hrsg. Christina Holtz-Bacha und Marion R. Just, 38–48.
New York: Routledge.
Bystrom, Dyanne G. 2004. Women as political communication sources and audiences. In Hand-
book of political communication research, Hrsg. Lynda Lee Kaid, 435–459. Mahwah: Lawrence
Erlbaum.
Bystrom, Dyanne, und Lynda Lee Kaid. 2002. Are women transforming campaign communication?
A comparison of advertising videostyles in the 1990s. In Women transforming Congress, Hrsg.
Cindy S. Rosenthal, 146–169. Norman: University of Oklahoma Press.
Campbell, David E., und Christina Wolbrecht. 2006. See Jane run: Women politicians as role
models for adolescents. Journal of Politics 68(2): 233–247.
Cassese, Erin C., und Mirya R. Holman. 2019. Playing the woman card: Ambivalent sexism in the
2016 U.S. presidential race. Political Psychology 40(1): 55–74.
Ceulemans, Mieke, und Guido Fauconnier. 1979. Mass media: The image, role, and social
conditions of women. A collection and analysis of research materials. Paris: Unesco.
538 C. Holtz-Bacha

Cooper, Frank R. 2009. Our first unisex president? Black masculinity and Obama’s feminine side.
Suffolk University Law School Faculty Publications (Paper 52). http://lsr.nellco.org/suffolk_fp/
52?utm_source¼lsr.nellco.org%2Fsuffolk_fp%2F52&utm_medium¼PDF&utm_cam
paign¼PDFCoverPages. Zugegriffen am 06.12.2017.
Cornelißen, Waltraud, und Kirsten Küsters. 1992. Frauen und Nachrichten. Zum Frauenbild in
Nachrichtensendungen. In Der andere Blick: Aktuelles zur Massenkommunikation aus weibli-
cher Sicht, Hrsg. Romy Fröhlich, 123–138. Bochum: Universitätsverlag Dr. N. Brockmeyer.
Coulomb-Gully, Marlène. 2009. Beauty and the beast. Bodies politic and political representation in
the 2007 French presidential election campaign. European Journal of Communication 24(2):
203–218.
Craft, Stephanie, und Wayne Wanta. 2004. Women in the newsroom: Influences of female editors
and reporters on the news agenda. Journalism & Mass Communication Quarterly 81(1):
124–138.
Curran, James, Shanto Iyengar, Anker Brink Lund, und Inka Salovaara-Moring. 2009. Media
system, public knowledge and democracy. A comparative study. European Journal of Commu-
nication 24(1): 5–26.
Dingerkus, Filip, Guido Keel, und Vinzenz Wyss. 2016. Journalists in Switzerland. https://epub.ub.
uni-muenchen.de/30991/1/Country_report_Switzerland.pdf. Zugegriffen am 30.11.2017.
Duerst-Lahti, Georgia. 2007. Masculinity on the campaign trail. In Rethinking madam president.
Are we ready for a woman in the White House? Hrsg. Lori C. Han und Caroline Heldman,
87–112. Boulder: Lynn Rienner.
Fortin-Rittberger, Jessica. 2016. Cross-national gender gaps in political knowledge: How much is
due to context? Political Research Quarterly 69(3): 391–402.
Fraile, Marta. 2014. Do women know less about politics than men? The gender gap in political
knowledge in Europe. Social Politics 21(2): 261–289.
Friedan, Betty. 1963. The feminine mystique. New York: W. W. Norton & Company.
Gallagher, Margaret. 1981. Unequal opportunities. The case of women and the media. Paris:
Unesco.
Gallagher, Margaret. 1992. Women and men in the media. Communication Research Trends 12(1):
1–15.
Gerbner, George, Larry Gross, Michael Morgan, und Nancy Signorielli. 2002. Growing up with
television. The cultivation perspective. In George Gerbner: Against the mainstream. The
selected works of George Gerbner, Hrsg. Michael Morgan, 193–213. New York: Peter Lang.
Gidengil, Elisabeth, und Joanna Everitt. 2006. Gender, media coverage and the dynamics of leader
evaluations. The case of the 1993 Canadian election. In Capturing campaign effects, Hrsg.
Henry E. Brady und Richard Johnston, 336–355. Ann Arbor: University of Michigan Press.
Global Gender Gap Report. 2021. Cologny: World Economic Forum. https://www3.weforum.org/
docs/WEF_GGGR_2021.pdf. Zugegriffen am 13.07.2021.
Global Media Monitoring Project. 1995. Women’s participation in the news. Toronto: National
Watch on Images of Women in the Media. http://cdn.agilitycms.com/who-makes-the-news/
Imported/images/reports_1995/gmmp_1995.pdf. Zugegriffen am 09.12.2017.
Global Media Monitoring Project. 2000. Who makes the news? London: World Association of
Christian Communication. http://cdn.agilitycms.com/who-makes-the-news/Imported/reports_
2000/gmmp_2000.pdf. Zugegriffen am 09.12.2017.
Global Media Monitoring Project. 2005. Who makes the news? London: World Association of
Christian Communication. http://cdn.agilitycms.com/who-makes-the-news/Imported/reports_
2005/gmmp-report-en-2005.pdf. Zugegriffen am 09.12.2017.
Global Media Monitoring Project. 2010. Who makes the news? London: World Association of
Christian Communication. http://cdn.agilitycms.com/who-makes-the-news/Imported/reports_
2010/global/gmmp_global_report_en.pdf. Zugegriffen am 09.12.2017.
Global Media Monitoring Project. 2015. Who makes the news? London: World Association of
Christian Communication. http://whomakesthenews.org/gmmp/gmmp-reports/gmmp-2015-rep
orts. Zugegriffen am 09.12.2017.
Politische Kommunikation und Geschlecht. Politikerinnen in den Medien 539

Global Media Monitoring Project. 2020. Who makes the news? London: World Association of
Christian Communication. https://whomakesthenews.org/wp-content/uploads/2021/11/
GMMP2020.ENG_.FINAL_.pdf. Zugegriffen am 17.12.2021.
Hanitzsch, Thomas, und Folker Hanusch. 2012. Does gender determine journalists' professional
views? A reassessment based on cross-national evidence. European Journal of Communication
27(3): 257–277.
Hanitzsch, Thomas, Nina Steindl, und Corinna Lauerer. 2016. Journalists in Germany. https://epub.
ub.uni-muenchen.de/28095/1/Country%20report%20Germany.pdf. Zugegriffen am 30.11.2017.
Herrnson, Paul S., J. Celeste Lay, und Atiya K. Stokes. 2003. Women running „as women“:
Candidate gender, campaign issues, and voter-targeting strategies. The Journal of Politics 65(1):
244–255.
Hofstede, Geert. 2001. Culture’s consequences: Comparing values, behaviors, institutions and
organizations across nations, 2. Aufl. Thousand Oaks: Sage.
Holtz-Bacha, Christina. 1990. Der kleine Unterschied im Medienverhalten und seine Folgen für die
Kommunikationsforschung. Publizistik 35(2): 162–168.
Holtz-Bacha, Christina. 1995. Rezeption und Wirkungen – gibt es Unterschiede zwischen Frauen
und Männern? In Frauen und Medien. Eine Synopse der deutschen Forschung, Hrsg. Romy
Fröhlich und Christina Holtz-Bacha, 254–286. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Huddy, Leonie, und Nayda Terkildsen. 1993a. Gender stereotypes and the perception of male and
female candidates. American Journal of Political Science 37(1): 119–147.
Huddy, Leonie, und Nayda Terkildsen. 1993b. The consequences of gender stereotypes for women
candidates at different levels and types of office. Political Research Quarterly 46(3): 503–525.
Humprecht, Edda, und Frank Esser. 2017. A glass ceiling in the online age? Explaining the
underrepresentation of women in online political news. European Journal of Communication
32(5): 439–456.
Iyengar, Shanto, Nicholas A. Valentino, Stephen Ansolabehere, und Adam F. Simon. 1997.
Running as a woman: Gender stereotyping in political campaigns. In Women, media and
politics, Hrsg. Pippa Norris, 77–98. Oxford: Oxford University Press.
Jamieson, Kathleen H. 1995. Beyond the double-bind. Women and leadership. New York: Oxford
University Press.
Josephi, Beate, Folker Hanusch, Martin Oller Alonso, Ivor Shapiro, Kenneth Andresen, Arnold de
Beer, Abit Hoxha, Sonia Virgínia Moreira, Kevin Rafter, Terje Skjerdal, Sergio Splendore, und
Edson C. Tandoc Jr. 2019. Profiles of journalists. Demographic and employment patterns. In
Worlds of journalism. Journalistic cultures around the world, Hrsg. Thomas Hanitzsch, Folker
Hanusch, Jyotika Ramaprasad, und Arnold S. de Beer, 67–102. New York: Columbia University
Press.
Kahn, Kim F. 1994. The distorted mirror: Press coverage of women candidates for statewide office.
Journal of Politics 56(1): 154–173.
Kahn, Kim F. 1996. The political consequences of being a woman: How stereotypes influence the
conduct and consequences of political campaigns. New York: Columbia University Press.
Kahn, Kim F., und Edie N. Goldenberg. 1991. Women candidates in the news: An examination of
gender differences in U.S. Senate campaign coverage. Public Opinion Quarterly 55(2):
180–199.
Kaltenbrunner, Andy, Matthias Karmasin, Daniela Kraus, und Astrid Zimmermann. 2007. Der
Journalisten Report I. Österreichs Medien und ihre Macher. Eine empirische Erhebung. Wien:
Facultas.
Klaus, Elisabeth. 2005. Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung. Zur Bedeutung
der Frauen in den Massenmedien und im Journalismus. Wien: Lit.
Koch-Mehrin, Silvana. 2007. Müssen sich Politikerinnen anders vermarkten als ihre männlichen
Kollegen? In Warum nicht gleich? Wie die Medien mit Frauen in der Politik umgehen, Hrsg.
Christina Holtz-Bacha und Nina König-Reiling, 105–115. Wiesbaden: Springer.
Lawrence, Regina, und Melody Rose. 2010. Hillary Clinton’s race for the White House. Gender
politics and the media on the campaign trail. Boulder: Lynne Rienner.
540 C. Holtz-Bacha

Leidenberger, Jacob, und Thomas Koch. 2008. Bambi und der böse Wolf. Ségolène Royal und der
französische Präsidentschaftswahlkampf in der deutschen und französischen Presse. In Frauen,
Politik und Medien, Hrsg. Christina Holtz-Bacha, 122–150. Wiesbaden: Springer.
Leinfellner, Christine. 1983. Das Bild der Frau im TV. Salzburg: Neugebauer.
Lemish, Dafna, und Chava E. Tidhar. 1999. Still marginal: Women in Israel’s 1996 television
election campaign. Sex Roles 41(5–6): 389–412.
Lohmann, Marie-Isabell, und Josef Seethaler. 2016. Journalists in Austria. https://epub.ub.
unimuenchende/30966/1/Country_report_Austria.pdf. Zugegriffen am 30.11.2017.
Lünenborg, Margreth. 2008. Die Aufmacher – Geschlechterverhältnisse im Politikressort. In
Medien – Politik – Geschlecht. Feministische Befunde zur politischen Kommunikationsfor-
schung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, und Regina Köpl, 155–170. Wiesbaden: Springer.
Lünenborg, Margreth, und Tanja Maier. 2015. ‚Power Politician‘ or ‚Fighting Bureaucrat‘: Gender
and power in German political coverage. Media, Culture & Society 37(2): 180–196.
Lünenborg, Margreth, und Jutta Röser, Hrsg. 2012. Ungleich mächtig. Das Gendering von Füh-
rungspersonen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in der Medienkommunikation. Biele-
feld: transcript.
McGinley, Ann C. 2009. Hillary Clinton, Sarah Palin, and Michelle Obama: Performing gender,
race, and class on the campaign trail. Denver University Law Review 86(3): 709–725.
Meeks, Lindsey. 2012. Is she „man enough“? Women candidates, executive political offices, and
news coverage. Journal of Communication 62(1): 175–193.
Neverla, Irene. 1983. Arbeitsmarktsegmentation im journalistischen Beruf. Publizistik 28:343–362.
North, Louise. 2016. The gender of „soft“ and „hard“ news. Female journalists' views and gendered
story allocations. Journalism Studies 17(3): 356–373.
Pallaver, Günther, und Günther Lengauer. 2008. Weibliche Repräsentanz und Media Frames.
Polikerinnen in Österreichs Medien. In Medien – Politik – Geschlecht. Feministische Befunde
zur politischen Kommunikationsforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, und Regina
Köpl, 104–123. Wiesbaden: Springer.
Poindexter, Paula. 2008. Finding women in the newsroom and in the news. In Women, men, and
news, Hrsg. Paula Poindexter, Sharon Meraz, und Amy S. Weiss, 65–84. New York: Routledge.
Prenner, Andrea. 1995. Die Konstruktion von Männerrealität in den Nachrichtenmedien – eine
theoretisch-empirische Untersuchung. Bochum: Brockmeyer.
Ríos Tobar, Marcela. 2008. Seizing a window of opportunity: The election of president Bachelet in
Chile. Politics & Gender 4(3): 509–519.
Robertson, Craig T., Meera Selva, und Rasmus Kleis Nielsen. 2021. Women and leadership in the
news media 2021: Evidence from 12 markets. https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/sites/
default/files/2021-03/Robertson%20et%20al%20Women%20and%20Leadership%20FI
NAL.pdf. Zugegriffen am 17.12.2021.
Rosenberger, Sieglinde. 2008. „Herz und Verstand“. Frauenimage im österreichischen Bundes-
präsidentschaftswahlkampf 2004. In Medien – Politik – Geschlecht. Feministische Befunde zur
politischen Kommunikationsforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, und Regina Köpl,
91–103. Wiesbaden: Springer.
Ross, Karen. 2017. Gender, politics, news. A game of three sides. Chichester: Wiley Blackwell.
Ross, Karen, und Annabelle Sreberny. 2000. Women in the house: Media representation of British
politicians. In Gender, politics and communication, Hrsg. Annabelle Sreberny und Liesbet van
Zoonen, 79–99. Cresskill: Hampton Press.
Ross, Karen, und Annabelle Sreberny-Mohammadi. 1997. Playing house – gender, politics and the
news media in Britain. Media, Culture and Society 19(1): 101–109.
Roth, Claudia. 2007. „Wir sind immer noch ein Entwicklungsland“: Zur Rolle von Frauen in der
Gesellschaft, in der Politik und in den Medien. In Warum nicht gleich? Wie die Medien mit
Frauen in der Politik umgehen, Hrsg. Christina Holtz-Bacha und Nina König-Reiling, 133–145.
Wiesbaden: Springer.
Schmerl, Christiane. 1989. Die öffentliche Inszenierung der Geschlechtscharaktere – Berichterstat-
tung über Frauen und Männer in der deutschen Presse. In In die Presse geraten. Darstellung von
Politische Kommunikation und Geschlecht. Politikerinnen in den Medien 541

Frauen in der Presse und Frauenarbeit in den Medien, Hrsg. Christiane Schmerl, 7–52. Köln:
Böhlau.
Schmerl, Christiane. 2002. „Tais-toi et sois belle!“ 20 Jahre Geschlechterinszenierung in fünf
westdeutschen Printmedien. Publizistik 47(4): 388–411.
Schmidt, Renate. 2007. Der Fortschritt ist eine Schnecke. In Warum nicht gleich? Wie die Medien
mit Frauen in der Politik umgehen, Hrsg. Christina Holtz-Bacha und Nina König-Reiling,
116–123. Wiesbaden: Springer.
Schöler-Macher, Bärbel. 1994. Die Fremdheit der Politik: Erfahrungen von Frauen in Parteien und
Parlamenten. Weinheim: Deutscher Studien.
Schulz, Winfried. 2011. Politische Kommunikation. Theoretische Ansätze und Ergebnisse empiri-
scher Forschung, 3., überarb. Aufl. Wiesbaden: Springer.
Schweiger, Wolfgang. 2007. Theorien der Mediennutzung. Eine Einführung. Wiesbaden: Springer.
Shor, Eran, Arnout van de Rijt, Alex Miltsov, Vivek Kulkarni, und Steven Skiena. 2015. A paper
ceiling: Explaining the persistent underrepresentation of women in printed news. American
Sociological Review 80(5): 960–984.
Sorrentino, Jasmin, Martha Augoustinos, und Amanda LeCouteur. 2021. „Deal me in“: Hillary
Clinton and gender in the 2016 US presidential election. Feminism & Psychology. https://doi.
org/10.1177/09593535211030746.
Sreberny-Mohammadi, Annabelle, und Karen Ross. 1996. Women MPs and the media. Represen-
ting the body politic. Parliamentary Affairs 49(1): 103–115.
Trent, Judy S., und Teresa Sabourin. 1993. Sex still counts: Women’s use of televised advertising
during the decade of the 80s. Journal of Applied Communication 21:21–40.
Tuchman, Gaye. 1978. Introduction: The symbolic annihilation of women by the mass media. In
Hearth and Home. Images of women in the mass media, Hrsg. Gaye Tuchman, Arlene
K. Daniels, und James Benét, 3–38. New York: Oxford University Press.
Velte, Jutta. 1995. Die Darstellung von Frauen in den Medien. In Frauen und Medien. Eine Synopse
der deutschen Forschung, Hrsg. Romy Fröhlich und Christina Holtz-Bacha, 182–253. Opladen:
Westdeutscher Verlag.
Westle, Bettina. 2001. Politische Partizipation und Geschlecht. In Politische Partizipation in der
Bundesrepublik Deutschland. Empirische Befunde und theoretische Erklärungen, Hrsg. Achim
Koch, Martina Wasmer, und Peter Schmidt, 131–168. Opladen: Leske + Budrich.
Williams, Blair E. 2021. A tale of two women: A comparative gendered media analysis of UK
prime ministers Margaret Thatcher and Theresa May. Parliamentary Affairs 74(2): 398–420.
Wolbrecht, Christina, und David E. Campbell. 2007. Leading by example: Female members of
parliament as political role models. American Journal of Political Science 51(4): 921–939.
Worlds of Journalism Study. 2012–2016. https://worldsofjournalism.org/wojwordpress/wp-content/
uploads/2019/07/WJS_Sociodemographic_backgrounds_-_aggregated.pdf. Zugegriffen am
30.11.2017.
Zoch, Lynn M., und Judy V. Turk. 1998. Women making news: Gender as a variable in source
selection and use. Journalism & Mass Communication Quarterly 75(4): 762–775.
Zulli, Diana. 2019. The changing norms of gendered new coverage: Hillary Clinton in the New York
Times, 1969–2016. Politics & Gender 15(3): 599–621.
Rechtspopulismus und Geschlecht im
Internet: Wie rechtspopulistische Parteien
Geschlecht und Sexualität verhandeln

Birgit Sauer

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544
2 Die Vergeschlechtlichung rechtspopulistischer Kommunikations- und
Mobilisierungsstrategien im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545
3 Identifizierung offener Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549
4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550

Zusammenfassung
Rechtspopulistische Parteien und Organisationen haben rascher als andere Par-
teien den Vorteil des Internets, insbesondere der sozialen Medien, für die Mobi-
lisierung für ihre Anliegen erkannt. Sie sind im Vergleich zu traditionellen
politischen Parteien Pioniere der netzbasierten politischen Kommunikation und
konnten sich somit rasch international vernetzen und ihre Inhalte verbreiten. Die
wissenschaftliche Forschung hat bislang zu wenig beachtet, dass Geschlecht und
Sexualität eine bedeutende Rolle im rechtsextremen und rechtspopulistischen
Diskurs spielen, der dadurch aktuell eine Art Modernisierung erfährt. Durch die
Instrumentalisierung des Sexualitäts- und Geschlechterdiskurses im Sinne einer
femonationalistischen Argumentation werden sexistische, homophobe und
rassistisch-nationalistische Argumente mit rechtspopulistischen Themen ver-
woben und zu einem doppelten Antagonismus zugespitzt. Neue rechtspopulisti-
sche Geschlechter- und Sexualitätsdiskurse dienen der Durchsetzung kultureller
Hegemonie als Basis zukünftiger politischer Herrschaft.

Schlüsselwörter
Rechtspopulismus · Antagonismen · Anti-Gender-Kampagnen · Homophobie

B. Sauer (*)
Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien, Wien, Österreich
E-Mail: birgit.sauer@univie.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 543
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_38
544 B. Sauer

1 Einleitung

Die neuen sozialen Medien kreieren ambivalente Formen von Öffentlichkeit. Man-
che Forschungen gingen davon aus, dass der virtuelle Raum des Internets jenen eine
Stimme geben könnte, die bislang in der (Medien-)Öffentlichkeit kein Gehör fanden
(kritisch Caiani und Parenti 2013). Zudem gab es euphorische Überlegungen, dass
die Kommunikation im Netz traditionelle Geschlechterzuschreibungen, ja Zwei-
geschlechtlichkeit überhaupt erodieren könnte, weil in der körperlosen Kommuni-
kation das Geschlecht leicht verändert werden kann. In der Tat öffnen das Internet
und neue soziale Medien Räume, in denen sich emanzipatorische soziale Bewegun-
gen organisieren und global mobilisieren können, wie das Beispiel #MeToo zeigt,
in denen sich zudem nicht-heteronormative Sexualitäten und andere Geschlechter
artikulieren und vernetzen können.
Allerdings zeigt die Netz-Kommunikation rechtsextremer und rechtspopulisti-
scher Akteur_innen, dass politische Öffentlichkeit im Internet „gestört“ ist (Bennett
und Pfetsch 2018), ja dass Online-Medien der Verbreitung rechtspopulistischer, anti-
feministischer, homophober und damit verknüpft migrationsfeindlicher Inhalte die-
nen (z. B. Ebner 2019; Giuliani et al. 2019). Manuela Caiani und Mitarbeiter_innen
(Caiani und Parenti 2009; Caiani und Wagemann 2009) sprechen daher von der
„dunklen Seite des Webs“. Ein Online-Rechtspopulismus prägt diese Kommunika-
tionsformen mit spezifischen Themenframes, Narrativen und Bildern.
Im Unterschied zu traditionellen politischen Parteien bilden rechtspopulistische
Parteien gleichsam eine Avantgarde der politischen Kommunikation im Netz.
Online-Medien sind für rechtspopulistische Akteur_innen besonders geeignet, um
ihre politischen Kommunikations- und Mobilisierungsstrategien voran zu treiben
und um ihre „dünnen ideologischen Inhalte“ (Mudde 2004, S. 543) in sogenannten
Echokammern zu verbreiten. Geschlecht und Sexualität sind zentrale Inhalte dieser
politischen Strategie. Zum einen macht Geschlecht, machen Frau- und Mannsein
körperlich ‚betroffen‘ und Nutzer_innen dadurch direkt ansprechbar, und zum
anderen bilden Geschlecht und Sexualität Paradigmen für die antagonistische rechts-
populistische Mobilisierung von Themen: Mit der Artikulation von binärer Zwei-
geschlechtlichkeit lassen sich (vermeintliche) Gegensätze, aber auch die rechts-
populistische Überzeugung der Notwendigkeit sozialer Ungleichheit aufrufen.
Die Frage nach der Bedeutung von Geschlecht und Sexualität für die rechts-
populistische Mobilisierungs- und Kommunikationsstrategie hat in den vergangenen
Jahren verstärkte wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfahren (Norocel 2010; Noro-
cel et al. 2020; Dietze und Roth 2020). Die Analyse von vergeschlechtlichten und
sexualisierten Online-Debatten rechtspopulistischer Parteien und Organisationen in
Europa rückte in zwei EU-finanzierten Forschungsprojekten (E-Engagement against
Violence/E-Eav und Race, Age, Gender/RAGE) ins Zentrum. In der letzten Dekade
entstand aus diesen Projekten eine Reihe von Publikationen, die das Internet und
neue soziale Medien als Orte rechtspopulistischer Geschlechter- und Sexualitäts-
mobilisierung untersuchen (z. B. Texte in Ranieri 2016; Lazaridis und Campani
2017; Pajnik und Sauer 2018). Die kritische Geschlechterforschung konnte zeigen,
dass und wie rechtspopulistische Parteien die Geschlechterbinarität und Geschlech-
Rechtspopulismus und Geschlecht im Internet: Wie rechtspopulistische . . . 545

terstereotype, Homophobie sowie die Idealvorstellung der heterosexuellen Kleinfa-


milie verstärken und für ihre Strategie einer neuen kulturellen Hegemonie als Basis
politischer Herrschaft nutzen.

2 Die Vergeschlechtlichung rechtspopulistischer


Kommunikations- und Mobilisierungsstrategien
im Internet

2.1 Neue Technologien als ideale rechtspopulistische


Kommunikationsräume

Die Transformation liberaler Demokratien, von Colin Crouch (2008) als „Post-
demokratie“ bezeichnet, hat die Parteienlandschaft dramatisch verändert. In vielen
Ländern der Welt führte dies zur strategischen Modernisierung rechtsextremer Par-
teien als rechtspopulistische Parteien und hatte ihren politischen Aufstieg und
massive Wahlgewinne zur Folge. Gerade rechtspopulistische Akteur_innen nutzen
neben den klassischen Instrumenten der politischen Kommunikation wie Parteipres-
se, Flugblätter und Plakate neue Kommunikationstechnologien wie z. B. Websites,
Twitter, Facebook, Instagram, YouTube, Blogs und Vlogs als Instrumente, um
Anhänger_innen und Wähler_innen anzusprechen (Caiani und Parenti 2009,
S. 281–282; Mazzoleni et al. 2003). Der „Medienpopulismus“ (Mazzoleni 2014)
gewann insbesondere durch die und in den neuen sozialen Medien an Fahrt (Pajnik
und Sauer 2018).
In Europa waren rechtspopulistische Parteien im Vergleich zu anderen Parteien
weit früher im Internet und in neuen sozialen Medien präsent (Sauer und Pingaud
2016). Erstens sind Internet und soziale Netzwerke kostengünstige Instrumente, um
Sichtbarkeit zu erlangen (Tateo 2005), Wahlkampagnen zu führen und Wähler_in-
nen zu mobilisieren. Zweitens vergrößert die Omnipräsenz des Internets, seine
vergleichsweise leichte Zugänglichkeit und simple Kommunikation durch Klicks
und ‚Likes‘ die potenzielle Anhänger_innenschaft dieser lange Zeit randständigen
Parteien (Margetts 2006). Drittens begreifen sich rechtspopulistische Parteien oft als
von den etablierten Medien falsch oder unterrepräsentiert, während Internetmedien
ihnen ungefilterte Aussagen sowie Kontrolle über ihre Botschaften erlauben und so
eine uneingeschränkte Verbreitung ihrer Inhalte gewährleisten. Viertens stellen
Online-Medien eine direkte Verbindung zu den Bürger_innen her. Fünftens spricht
die Multimedialität neuer sozialer Medien – Texte, Blogs, Bilder und Vlogs – vor
allem junge Menschen an, die bevorzugte Zielgruppe rechtspopulistischer Parteien
und rechtsextremer Gruppen (Gerstenfeld et al. 2003, S. 38; Caiani und Parenti
2009, S. 282). Sechstens ermöglicht das Internet rechtspopulistischen Parteien
internationale Kooperationen und Vernetzung, um Ideologien, Narrative, Bilder
und Videos auszutauschen. Anonymität und Distanziertheit der neuen Kommunika-
tionstechnologien bilden schließlich siebtens ein perfektes Umfeld für die Organi-
sation von Zustimmung zu den kontroversen Themen und antagonistischen Positio-
nen rechtspopulistischer Parteien eines ‚Wir‘ gegen ‚die da oben‘ und gegen ‚die
546 B. Sauer

Anderen‘, die ausgeschlossen bleiben sollen. Die elektronisch vermittelte Kom-


munikation entzieht sich der sozialen Kontrolle und erlaubt drastische und scham-
lose Zuspitzungen (Wodak 2018). Dies öffnet auch Raum für sexistische, homopho-
be und rassistische politische Botschaften (Miller 2012, S. 269).

2.2 Geschlecht und Sexualität im rechtspopulistischen


Hegemonieprojekt

Die Mehrheit der Studien zur Online-Präsenz rechtspopulistischer Parteien befasst


sich nicht mit vergeschlechtlichten und sexualisierten Inhalten, obgleich Geschlecht
und Sexualität zu zentralen Themen rechtspopulistischer Parteien wurden. Anders
als die ‚alte‘ Rechte und rechtsextreme Akteur_innen, für deren rassistische Bot-
schaften Geschlecht und Sexualität schon immer zentral waren, sind rechtspopulis-
tische Parteien um die Modernisierung traditioneller Geschlechterbilder bemüht
(Amesberger und Halbmayr 2002) und setzen sich für eine begrenzte Geschlechter-
gleichstellung ein, so dass eine weibliche Parteiführung legitimiert wird, wie z. B.
beim französischen Rassemblement National.
Wissenschaftliche Analysen sollten daher besonders diese neueren Entwicklun-
gen berücksichtigen, denn rechtspopulistische Geschlechter- und Sexualitätsdiskur-
se dienen vor allem dazu, eine neue kulturelle Hegemonie als Basis politischer
Herrschaft zu etablieren. Dies möchte ich im Folgenden deutlich machen. Lazaridis
und Tsagkroni (2018) sowie Kuhar und Ajanovic (2018) untersuchten im Rahmen
des EU-Forschungsprojekts RAGE die Webseiten, Internet-Manifeste und sozialen
Medien rechtspopulistischer Parteien, Organisationen und Akteur_innen in neun
EU-Ländern zwischen 2013 und 2015 (Bulgarien, Dänemark, Finnland, Frankreich,
Griechenland, Italien, Österreich, Slowenien und UK).1
Obwohl sich die rechtspopulistischen Kommunikationsinhalte von Land zu Land
unterscheiden, sind Geschlecht und Sexualität für alle untersuchten Parteien und
Organisationen von zentraler Bedeutung. Elemente des rechtspopulistischen Online-

1
Bulgarische Nationale Union (Bulgarski Natsionalen Saiuz, BNU), eine rechtsnationalistische
Partei, und Attack (Ataka), eine ultranationalistische Partei; die Dänische Volkspartei (Dansk
Folkeparti, DF) und die Vereinigung a.k.a. (Free Press Society, Trykkefrihedsselskabet), eine
zivilgesellschaftliche Organisation gegen den Islam; die (Wahren) Finnen (Perussuomalaiset, PS)
und die ultranationalistische Vereinigung Suomen Sisu (SuSi); die französische Nationale Front
(Front National, FN) und die Bewegung der Aktivisten gegen die Islamisierung (Riposte Laïqu); die
rechtsextreme Goldene Morgenröte (Chryssi Avgi) und die rechtsradikale Orthodoxe Volksver-
sammlung (Laikos Orthodoxos Synagermos); die italienische neofaschistische Partei Neue Kraft
(Forza Nuova, FN) und die neonazistische Skinhead-Bewegungen (Lealtà e azione und Milizia); die
Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) und die Bewegung pro Österreich (BPÖ), die gegen musli-
mische Moscheen und Kulturzentren mobilisiert; die rechtspopulistische Slowenische Demokrati-
sche Partei (Slovenska demokratska stranka, SDP) und die mit der katholischen Kirche verbündete
Bürgerinitiative für die Familie und die Rechte der Kinder (Civilna iniciativa za družino in pravice
otrok, CIFRC); die United Kingdom Independence Party (UKIP) und die English Defence League
(EDL), eine zivilgesellschaftliche Organisation gegen den Islam.
Rechtspopulismus und Geschlecht im Internet: Wie rechtspopulistische . . . 547

Geschlechter- und -Sexualitätsdiskurses sind die Ungleichheit der beiden distinkten


Geschlechter sowie das Beharren auf der natürlichen Binarität der Geschlechter, auf
komplementären Geschlechterrollen und auf Natürlichkeit des heterosexuellen Be-
gehrens. Frauen werden als Mütter repräsentiert, die ebenso wie die heterosexuelle
Kleinfamilie insgesamt eine wichtige Rolle für die Reproduktion der Nation spielen
sollen. Daran schließen sich in vielen europäischen rechtspopulistischen Parteien
Argumentationen gegen die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen an.
Homosexualität wird von manchen rechtspopulistischen Parteien in Bulgarien,
Slowenien und Griechenland als „abweichend“ identifiziert (Kuhar und Ajanovic
2018, S. 145–146). Geschlechtergleichstellung und Anerkennung sexueller Diver-
sität sowie gleiche Rechte für Homosexuelle werden als Bedrohung – der Männer,
der Familie, der Nation – wahrgenommen.
Wenn es aber um die Abwertung, Stigmatisierung und Ausgrenzung von mi-
grantischen, insbesondere muslimischen Menschen geht, werden die ‚eigenen‘ Er-
rungenschaften in Bezug auf Geschlechtergleichstellung und Anerkennung von
Homosexualität als nationale Werte hervorgehoben und gegen die vermeintlich
patriarchale, Frauen verachtende und gewalttätige Kultur von Migrant_innen in
Stellung gebracht. Die Gleichstellung der Geschlechter und von Homosexuellen
wird im rechtspopulistischen Diskurs nur für die konstruierten ‚Anderen‘ gefordert,
während sie in der ‚Wir‘-Gruppe als bereits erreicht, wenn auch oft als überzogen
wahrgenommen wird (Lazaridis und Tsagkroni 2018, S. 129–131; Mayer und Sauer
25–27).2 Sarah Farris (2012) hat dies als „femonationalistische Argumentation“
charakterisiert, also Diskurse, die die eigenen ‚nationalen‘ Gleichstellungserrungen-
schaften nur deshalb hervorheben, um Migrant_innen abzuwerten und zu stigmati-
sieren.
In der antagonistischen Welt rechtspopulistischer Kommunikation werden mit
dem Geschlechter- und Sexualitätsdiskurs sexistische, homophobe und rassistisch-
nationalistische Argumente verwoben, um ein ‚Wir‘ herzustellen, das normalisiert
und normiert wird, und zugleich ein ‚Anderes‘ zu konstruieren, das ausgeschlossen
werden soll (Kuhar und Ajanovic 2018, S. 144). Eric Fassin argumentiert, dass die
Gleichstellung der Geschlechter und die sexuelle Befreiung zu einem Lackmustest
für die Integration von Migrant_innen wurden (Fassin 2016; auch Sauer et al. 2017).
In den letzten zehn Jahren beteiligten sich rechtspopulistische Akteur_innen an
Anti-Gender-Kampagnen, die sich gegen Gender Studies, Gleichstellungspolitiken
(Gender Mainstreaming) sowie gegen ‚sexual citizenship‘, also gegen die Anerken-
nung gleicher Rechte von Homosexuellen, gegen die ‚Ehe für Alle‘ und gegen
Kinderadoption für LGBTIQ-Personen richten (Sauer 2019). Diese „anti-genderis-
tischen“ Strategien (Hark und Villa 2015; Kuhar und Paternotte 2017) nutzen in
starkem Maße das Internet und neue soziale Medien: Kampagnen von „CitizenGo“
gegen die Homo-Ehe und gegen reproduktive Rechte von Frauen auf EU-Ebene

2
Ein Beispiel ist die Dänische Volkspartei, die nur deshalb LGBTIQ-Rechte positiv hervorhebt, um
auf die Bedrohung, die angeblich von homophoben Muslim_innen und ‚dem‘ Islam ausgeht,
hinzuweisen (Kuhar und Ajanovic 2018, S. 147).
548 B. Sauer

bilden ebenso wie Mobilisierungen gegen eine vermeintliche ‚Gender-Ideologie‘


eine breite Allianz, in die neben Rechtskonservativen und Rechtskatholiken auch
rechtspopulistische Parteien eingebunden sind (für Österreich: Mayer und Sauer
2017).
Kuhar und Ajanovic (2018, S. 147–153) illustrieren dies am Beispiel der slowe-
nischen „Bürgerinitiative für die Familie und die Rechte der Kinder“ (CIFRC), die
sich gegen die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und Familien
richtete. Die CIFRC setzte auf das Internet und bediente sich beispielsweise der
Mittel der E-Petitionen und der E-Bombardements von staatlichen Entscheidungs-
träger_innen.
Geschlechter- und Sexualitätsthemen schüren eine „moralische Panik“ (Gross-
berg 2005), die durch unterschiedliche Bedrohungsszenarien unterfüttert wird – die
Auflösung von Geschlecht bzw. Zweigeschlechtlichkeit, die Erosion der hetero-
sexuellen Kleinfamilie sowie die dadurch entstehende Bedrohung von Männlichkeit,
der Nation und des Staates. Der Sexualitätsdiskurs wird ebenso wie der Geschlech-
terdiskurs instrumentalisiert, um rechtspopulistische Themen strategisch für das
kulturelle Hegemonieprojekt, also die Restauration traditioneller Geschlechter- und
Sexualitätsverhältnisse und damit traditionell-autoritärer Konstellationen zu positio-
nieren.
Die Bedeutung des Geschlechter- und Sexualitätsdiskurses liegt für rechtspopu-
listische Parteien also darin, dass sie mit diesen Themen ihre Antagonismen plastisch
präsentieren können – sowohl ihren Anti-Elitismus, ihre Volkszentriertheit, ins-
besondere aber ihre Strategie des ‚Othering‘, der ausschließenden Konstruktion
von ‚Anderen‘. Der doppelte Antagonismus gegen ‚die da oben‘ und gegen ‚die
Anderen‘ soll zum einen die ‚nationale Identität‘ des ‚Volkes‘ herstellen und zum
anderen eine neue kulturelle Hegemonie, einen hegemonialen Common Sense der
Ausgrenzung, also ‚nationale Reinheit‘ schaffen (Laclau 2005). Basis dieser Ideen
sind die heterosexuelle Familie und die Natürlichkeit der Männer- und Frauenrollen
(Mayer et al. 2016).

2.3 Rechtspopulistische Echokammern der Antagonismen


und Bedrohungen

Geschlechterideologie und sexuelle Paniken sind freilich Elemente der politischen


Kommunikation rechtspopulistischer Parteien auch jenseits des Netzes. Lazaridis
und Tsagkroni (2018) betonen, dass rechtspopulistische Vorstellungen natürlicher
Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität durch die Kommunikation im Internet,
also durch vielfaches Posten, durch ‚Likes‘ und endlose Referenzen ständig wieder-
holt, verstärkt und dadurch bekräftigt sowie mit persönlicher Evidenz belegt werden.
Zugleich werden andere Quellen oder konkurrierende Ansichten ausgeblendet,
tendenziell zensiert oder missrepräsentiert. Die Natürlichkeit von hierarchischer
Zweigeschlechtlichkeit und heterosexuellem Begehren bleibt als vermeintlich siche-
re Gewissheit unhinterfragt, während ‚Abweichungen‘ nicht nur als unnormal,
Rechtspopulismus und Geschlecht im Internet: Wie rechtspopulistische . . . 549

sondern als bedrohlich, da gegen mehrheitliche Wahrnehmungen gerichtet, präsen-


tiert werden.
Anti-genderistische Themen werden deshalb viral, weil sie in weitere rechts-
populistische Äquivalenzketten (Laclau 2005), also sich ähnelnde, ineinandergrei-
fende Argumentationsmuster, eingehängt werden können – gegen die vermeintlich
korrupten (Gleichstellungs-)Eliten, gegen Intellektuelle (Feministinnen in den Gen-
der Studies), gegen die EU (die Gender-Mainstreaming von oben durchsetzen will)
und gegen Migrant_innen und deren vermeintliche patriarchale Gewalttätigkeit. So
wird die Identität eines gemeinsamen ‚Wir‘ geschaffen und immer wieder bestätigt.
Ein ‚Wir‘, ‚das gemeine Volk‘, kann sich so als wahres Opfer einer kleinen Gruppe
von Eliten, Intellektuellen oder vermeintlich illegalen Migrant_innen begreifen
(Kuhar und Ajanovic 2018, S. 153–154). Die vielfachen und vielfältigen emotiona-
len Kampagnen gegen Gender und sexuelle Vielfalt schaffen durch die Verteidigung
eines vermeintlichen Common Sense und des Sicherheit garantierenden
zweigeschlechtlichen und heterosexuellen Systems eine moralische Panik. Die Wie-
derholbarkeit und Wiederholung des Anti-Gender-Diskurses schaffen ein be-
schleunigtes Bedrohungsszenario. Zudem sind das Teilen und ‚Liken‘ von anti-
genderistischen Inhalten anschließbar an eine lange Tradition des Sexismus, des
Anti-Feminismus und der Homophobie.

3 Identifizierung offener Fragen

Die geschlechterkritische Analyse rechtspopulistischer Kommunikations- und Mo-


bilisierungsstrategien ist ein noch vergleichsweise junges Forschungsfeld. Es bedarf
noch weiterer empirischer Forschungen über die rechtspopulistische Online-
Kommunikation, um die spezifischen Mechanismen des ausschließenden Ge-
schlechter- und Sexualitätsdiskurses deutlicher herauszuarbeiten. Auch eine Länder
vergleichende Perspektive gilt es zukünftig rigoros anzuwenden, um trotz europä-
ischer und globaler Vernetzung der rechtspopulistischen Akteur_innen nationale
Spezifika der Internetmobilisierung zu identifizieren und damit auch Gegenstrate-
gien entwickeln zu können. Schließlich sind aus demselben Grund auch die Unter-
schiede in der Online-Mobilisierung zwischen den Akteur_innen einer Partei sowie
zwischen z. B. individuellen Webseiten und Soziale-Medien-Profilen und solchen
der Gesamtpartei interessant.

4 Fazit

Neue Kommunikationstechnologien öffnen rechtspopulistischen Parteien Kanäle,


um ihre Geschlechter- und Sexualitätsvorstellungen zu verbreiten und damit An-
hänger_innen und Wähler_innen zu mobilisieren. Geschlecht und Sexualität sind
darüber hinaus Themen, um die kulturellen Grundlagen für die Veränderung politi-
scher Machtverhältnisse zu schaffen und die Notwendigkeit einer (autoritären)
Transformation liberaler Demokratien zu plausibilisieren. Die spezifischen Mecha-
550 B. Sauer

nismen der neuen Kommunikationstechnologien eignen sich für diese rechtspopu-


listische Strategie kultureller Hegemonie, können sie doch Bedrohungsszenarien
anhand der Veränderung von Geschlechter- und Sexualitätsverhältnissen besonders
drastisch zeichnen.

Literatur
Amesberger, Helga, und Brigitte Halbmayr. 2002. Rechtsextreme Parteien – eine mögliche Heimat
für Frauen? Opladen: Budrich.
Bennett, W. Lance, und Barbara Pfetsch. 2018. Rethinking political communication in a time of
disrupted public spheres. Journal of Communication 68:243–253.
Caiani, Manuela, und Linda Parenti. 2009. The dark side of the web: Right-wing extremism groups
and the internet. South European Society and Politics 14(3): 273–294.
Caiani, Manuela, und Linda Parenti. 2013. European and American extreme right groups and the
internet. Surrey: Ashgate.
Caiani, Manuela, und Claudius Wagemann. 2009. Online networks of the Italian and German
extreme right: an explorative study with social network analysis. Information, Communication
and Society 12(1): 66–109.
Crouch, Colin. 2008. Postdemokratie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Dietze, Gabriele, und Julia Roth. 2020. Right-wing populism and gender. European perspectives
and beyond. Bielefeld: transcript.
Ebner, Julia. 2019. Radikalisierungsmaschinen. Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen
und uns manipulieren. Berlin: Suhrkamp.
Farris, Sara R. 2012. Femonationalism and the ‚regular‘ army of labor called migrant women.
History of the Present 2(2): 184–199.
Fassin, Eric. 2016. Gender and the problem of universals: Catholic mobilizations and sexual
democracy in France. Religion and Gender 6(2): 173–186.
Gerstenfeld, Pyllis B., Diana R. Grant, und Chau-Pu Chiang. 2003. Hate online: a content analysis
of extremist internet sites. Analysis of Social Issues and Public Policy 3(1): 29–44.
Giuliani, Gaia, Julia Garraio, und Sofia José Santos. 2019. Online social media and the construction
of sexual moral panic around migrants in Europe. Socioscapes. International Journal of
Societies, Politics and Cultures 1(1): 161–180.
Grossberg, Lawrence. 2005. Caught in the crossfire: Kids, politics, and America’s future. Boulder:
Paradigm Publishers.
Hark, Sabine, und Paula-Irene Villa, Hrsg. 2015. Anti-Genderismus: Sexualität und Geschlecht als
Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen. Bielefeld: transcript.
Kuhar, Roman, und Edma Ajanovic. 2018. Sexuality online. The construction of right-wing
populists’ ‚Internal others‘ in the web. In Populism and the web. Communicative practices of parties
and movements in Europe, Hrsg. Mojca Pajnik und Birgit Sauer, 141–156. London/New York:
Routledge.
Kuhar, Roman, und David Paternotte, Hrsg. 2017. Anti-gender campaigns in Europe. Mobilizing
against equality. London: Roman and Littlefield.
Laclau, Ernesto. 2005. On populist reason. London/New York: Verso.
Lazaridis, Gabriella, und Giovanna Campani, Hrsg. 2017. Understanding the populist shift:
Othering in a Europe in crisis. London/New York: Routledge.
Lazaridis, Gabriella, und Vasiliki Tsagkroni. 2018. Perceptions of gender: the discourse of the far
right on the web. In Populism and the web. Communicative practices of parties and movements
in Europe, Hrsg. Mojca Pajnik und Birgit Sauer, 122–140. London/New York: Routledge.
Margetts, Helen. 2006. Cyber parties. In Handbook of party politics, Hrsg. Richard Katz und
William Crotty, 528–535. London: Sage.
Rechtspopulismus und Geschlecht im Internet: Wie rechtspopulistische . . . 551

Mayer, Stefanie, Iztok Sori, und Birgit Sauer. 2016. Gendering ‚the people‘: heteronormativity and
‚ethno-masochism‘ in populist imaginery. In Populism, media and education. Challenging
discrimination in contemporary digital societies, Hrsg. Maria Ranieri, 26–43. London/
New York: Routledge.
Mayer, Stefanie, und Birgit Sauer. 2017. „Gender ideology“ in Austria: Coalitions around an empty
signifier. In Anti-gender campaigns in Europe. Mobilizing against equality, Hrsg. Roman Kuhar
und David Paternotte, 23–40. London: Roman and Littlefield.
Mazzoleni, Gianpietro. 2014. Mediatization and political populism. In Mediatization of politics –
Understanding the transformation of western politics, Hrsg. Frank Esser und Jesper Strömbäk,
42–56. Houndmills: Palgrave.
Mazzoleni, Gianpietro, Julianne Stewart, und Bruce Horsfield. 2003. The media and neo-populism:
A contemporary comparative analysis. Westport: Praeger.
Miller, Vincent. 2012. A crisis of presence: Online-culture and being in the world. Space and Polity
16(3): 265–285.
Mudde, Cas. 2004. The populist Zeitgeist. Government and Opposition 39(4): 541–563.
Norocel, Ov Cristian. 2010. Constructing radical right populist resistance: metaphors of hetero-
sexist masculinities and the family question in Sweden. Norma: Nordic Journal for Masculinity
Studies 5(2): 169–183.
Norocel, Ov Cristian, Tuija Saresma, Tuuli Lähdesmäki, und Maria Ruotslainen. 2020. Performing
‚us‘ and ‚other‘: Intersectional analyses of right-wing populist media. European Journal of
Cultural Studies, 1–19. https://doi.org/10.1177/1367549420980002.
Pajnik, Mojca, und Birgit Sauer, Hrsg. 2018. Populism and the web. Communicative practices of
parties and movements in Europe. London/New York: Routledge.
Ranieri, Maria, Hrsg. 2016. Populism, media and education. Challenging discrimination in con-
temporary digital societies. London/New York: Routledge.
Sauer, Birgit, und Etienne Pingaud. 2016. Framing differences: Theorising new populist commu-
nicative strategies on the Internet. In Populism, media and education. Challenging discrimina-
tion in contemporary digital societies, Hrsg. Maria Ranieri, 26–43. London/New York: Rout-
ledge.
Sauer, Birgit. 2019. Anti-feministische Mobilisierung in Europa. Kampf um eine neue politische
Hegemonie? Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft 13(6): 339–352. https://doi.org/
10.1007/s12286-019-00430-8.
Sauer, Birgit, Roman Kuhar, Edma Ajanovic, und Aino Saarinen. 2017. Exclusive intersections:
Constructions of gender and sexuality. In Understanding the populist shift: Othering in a
Europe in crisis, Hrsg. Gabriella Lazaridis und Giovanna Campani, 104–121. London/
New York: Routledge.
Tateo, Luca. 2005. The Italian extreme right on-line network: An exploratory study using an
integrated social network analysis and content analysis approach. Journal of Computer-
Mediated Communication 10(2). https://doi.org/10.1111/j.1083-6101.2005.tb00247.x.
Wodak, Ruth. 2018. Vom Rand in die Mitte. „Schamlose Normalisierung“. Politische Vierteljahres-
schrift 59:323–335.
Medienindustrie und Geschlecht:
Ökonomische und machtpolitische Aspekte
globaler Medienproduktion

Bruktawit Ejigu Kassa, Olga Kolokytha, Izabela Korbiel,


Krisztina Rozgonyi und Katharine Sarikakis

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554
2 Eigentums- und Machtverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555
3 Medienproduktion und Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558
4 Strukturelle Barrieren und Gegenmaßnahmen in der Medienproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560
5 Ökonomische Aspekte der Medieninhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563
6 Globalisierter Arbeitsmarkt der Medientechnologie bzw. Hardware . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565
7 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566

Zusammenfassung
Medien sind nicht nur kulturelle Instanzen einer Gesellschaft, die gesellschaftli-
che Normen und Diskurse als Konstrukteure von Welt präsentieren und in diesem
Sinne auch Geschlechterstereotypen aufrechterhalten. Sie sind als Medienindus-
trie auch ein bedeutender Wirtschaftssektor, der spätestens seit den 1990er-Jahren

Die Autorinnen danken den Herausgeberinnen des Buches, insbesondere Ass.-Prof. Mag.
Dr. Johanna Dorer für die Unterstützung beim Verfassen dieses Kapitels. Die Rezensionen und
Verbesserungsvorschläge waren inspirierend und haben im Wesentlichen zur Entstehung des Textes
beigetragen.

B. E. Kassa
Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Universität Wien, Wien, Österreich
Department of Journalism and Mass communication, Haramaya University, Dire Dawa, Äthiopien
E-Mail: bruktimail@gmail.com
O. Kolokytha · I. Korbiel · K. Rozgonyi (*) · K. Sarikakis
Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Universität Wien, Wien, Österreich
E-Mail: olga.kolokytha@univie.ac.at; izabela.korbiel@univie.ac.at; krisztina.rozgonyi@univie.ac.
at; katharine.sarikakis@univie.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 553
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_27
554 B. E. Kassa et al.

von einigen mächtigen, global agierenden Medienkonglomeraten dominiert wird.


Feministische Medienforscherinnen haben sich deshalb nicht nur mit der in
Medien nach wie vor bestehenden Geschlechterstereotypisierung beschäftigt,
sondern auch mit den Bedingungen, unter denen Frauen Macht- und Entschei-
dungspositionen in der Medienindustrie (nicht) erlangen können. Doch eine
feministische politische Ökonomie der Medienindustrie sollte weitere materielle
Aspekte berücksichtigen.

Schlüsselwörter
Medienindustrie · Geschlecht · Führungspositionen · Ökonomie der
Medieninhalte · Globalisierter Medienarbeitsmarkt

1 Einleitung

Ein erster Blick auf den Frauenanteil in der Medienindustrie weltweit zeigt einen
deutlichen Nachholbedarf: Nur eine von vier Top-ManagerInnen in Medienunter-
nehmen ist eine Frau, nur 21 % der FilmemacherInnen und nur 23 % der Film-
darstellerInnen sind weiblich (UN Women 2015). Auch auf europäischer Ebene
sehen wir ein ähnliches Bild. In Medienorganisationen der EU-Länder (inklusive
Kroatien) sind 25 % der Vorstandspositionen von Frauen besetzt. Die öffentlich-
rechtlichen Anbieter sind dabei mit 29 % deutlich aufgeschlossener als private
Anbieter, die nur 21 % Frauen im Vorstand aufzuweisen haben. (European Institute
for Gender Equality 2013, S. 27–29; Ross 2014b)
Feministische Forscherinnen haben zur Erklärung des geringen Frauenanteils in
Entscheidungsfunktionen verschiedene Modelle und theoretische Ansätze entwi-
ckelt, die im Wesentlichen strukturelle und hegemoniale Kräfte in einer Gesellschaft
als Hauptgrund für Geschlechterungleichheit identifizieren und als Anknüpfungs-
punkte für eine notwendige Veränderung hin zu Geschlechtergerechtigkeit sehen.
Die Hypothese der Ratio of Recurrent and Reinforced Residuum wurde von
Ramona Rush und Carol Oukrop in den 1960er-Jahren entwickelt und besagt, dass
das Verhältnis von Frauen zu Männern in Medienorganisationen (1 : 3 bzw. 1 : 4)
aufgrund systemischer und struktureller Barrieren nicht verbessert werden kann,
denn eine kapitalistische und patriarchale Gesellschaftsformation würde einen
gleichberechtigten Zugang zum Kommunikationssektor behindern. Nach mehr als
50 Jahren trifft diese These noch vielfach auf Führungspositionen im Mediensektor
zu, und sie behält insbesondere für fast alle global agierenden Medienkonglomerate
nach wie vor ihre Gültigkeit. (Rush et al. 2005, 2011)
Ein mögliches Veränderungspotenzial wird mit dem Modell der kritischen Masse
(critical mass theory) erkennbar. Dieses besagt, dass Frauen erst dann sichtbaren
Einfluss auf Organisationsstruktur und Medieninhalte nehmen können, wenn sie
zumindest zu einer größeren und sichtbaren Minderheit auf allen Führungsebenen
werden. (Childs und Krook 2008) Erst eine Normalisierung der Präsenz von Frauen
Medienindustrie und Geschlecht: Ökonomische und machtpolitische Aspekte . . . 555

vor allem im oberen Management würde den Weg für eine größere und damit
gerechtere Anzahl von Frauen auf allen Ebenen der Medienproduktion frei machen.
Eine Mindestquote von 30 % war somit für die frühen Frauenförderpläne eine erste
Option, die Situation in Medienunternehmen zu verändern. (Steiner 2012)
Die Gründe, warum Frauen, auch wenn sie in einer höheren Anzahl in einem
Medienunternehmen anzutreffen sind, keine Entscheidungspositionen erreichen,
lassen sich mithilfe der Metapher der gläsernen Decke erklären. Die unsichtbaren
Barrieren, mit denen Frauen am Arbeitsplatz konfrontiert sind, sind dabei vielfältig
und betreffen sowohl Arbeitsbedingungen, gesellschaftliche Zuschreibungspraxen
als auch Ausschließungsrituale. (Byerly 2011a) Im Medienbereich ist die gläserne
Decke vor allem bei Führungspositionen, in männlich dominierten Ressorts und in
den historisch gewachsenen Redaktionskulturen nach wie vor präsent. (Steiner
2012, S. 214)
Weiters haben Wissenschaftlerinnen wie Djerf-Pierre (2005) und Zuiderveld
(2011) Bourdieus Feldtheorie aufgegriffen und zeigen, wie die vier Kapitalsorten
(ökonomisches, soziales, kulturelles und symbolisches Kapital) in der Medienindus-
trie zwischen den Geschlechtern unterschiedlich verteilt sind und so Frauen den
Zugang zu Führungspositionen erschweren. Ökonomisches Kapital drückt sich
beispielsweise nicht nur in der Eigentümerstruktur der Medienunternehmen aus,
sondern auch in den materiellen Ressourcen, die für Kinderbetreuung und Externa-
lisierung der Hausarbeit zur Ausübung einer Führungsposition notwendig sind.
Mangelndes soziales Kapital zeigt sich beispielsweise im Fehlen unterstützender
Netzwerke und Seilschaften für Frauen in Medienberufen und der Mangel an
symbolischem Kapital in der Abwertung bzw. in der zu geringen Anerkennung
journalistischer Leistungen von Frauen.
Diese Modelle dienten feministischen Forscherinnen auch dazu, adäquate Ansätze
zur Veränderung und Vorschläge für medienpolitische Maßnahmen zu entwickeln, die
auf Geschlechtergerechtigkeit im Mediensektor abzielen. Eine umfassende feministi-
sche politische Ökonomie der Medienindustrie, die sämtliche Facetten ungleicher
Geschlechterverhältnisse systematisch sowohl auf globaler Ebene also auch auf Orga-
nisations- und individueller Ebene berücksichtigt, steht allerdings noch aus.

2 Eigentums- und Machtverhältnisse

Das Konzept des Eigentums, das durch die Investition einer Person und die damit
verbundenen Stimmrechte repräsentiert wird, „is a site of gendered struggle for
control over decisions affecting employee-management relations, facilities manage-
ment, investment and expansion, programming, and other matters associated with
running a company that produces and disseminates program content“ (Byerly 2011b,
S. 28). Jüngste Studien zum Zugang von Frauen zu finanziellen Ressourcen, die für
Start-ups die Grundlage für Eigenverantwortung bedeuten, zeigen einen markanten
Gender Investment Gap. Weltweit betrachtet, erhalten Unternehmerinnen von den
Kapitalanlegern in der Frühphase der Unternehmensgründung durchschnittlich mehr
556 B. E. Kassa et al.

als eine Million Dollar weniger als Männer, obwohl sie mehr als doppelt so viel pro
investiertem Dollar erwirtschaften. (Abouzahr et al. 2018)
Seit den 1980er-Jahren erfolgte in einem von der Politik begünstigten neolibera-
len Klima eine Liberalisierung und Deregulierung der Medienmärkte. Die Folge
waren ökonomische und publizistische Konzentrationsprozesse, die zu horizontalen
(intramediären), vertikalen und diagonalen (konglomeraten) Konzentrationen im
Mediensektor führten. Die horizontale Konzentration zeichnet sich durch die Über-
nahme von Medien einer Mediengattung (z. B. Tageszeitungen) in einem Verbrei-
tungsgebiet aus, während die vertikale Konzentration die Integration von Beschaf-
fung, Produktion und/oder Vertrieb in einem Medienunternehmen meint (z. B. wird
ein Filmhändler zum Filmproduzenten und Filmverwerter). Heute haben wir es
vorwiegend mit diagonalen Konzentrationsprozessen zu tun. Mischkonzerne, in
Form von Medienkonglomeraten, operieren auf verschiedenen Medienmärkten
und können durch ihre Cross-Owner-Aktivitäten in der Programmproduktion, der
Verwertung, im Vertrieb-, Werbe- und PR-Geschäft enorme Synergieeffekte erzie-
len. (Dorer 1995, S. 108)
Die Entwicklung hin zu Medienkonglomeraten führte zu einer globalen Medien-
industrie, die sich durch die Dominanz westlicher weißer Männer auszeichnet. Sie
verfügen als Entscheidungsträger über enorme publizistische und ökonomische
Macht und ließen bislang wenig Raum für die Beteiligung von Frauen (Byerly
2013, 2014c). Indem sich Fusionen und Übernahmen zu einem globalen Trend
entwickelten, sind Medienkonglomerate auf der ganzen Welt entstanden. Zu den
führenden Medienkonzernen gehören Vivendi und Lagardere (Frankreich), Bertels-
mann AG (Deutschland), Time Warner, Disney, News Corp und Viacom (USA),
Grupo Televisa (Mexiko), Times of India Group (Indien) und Naspers (Südafrika).
In all diesen Medienkonzernen waren und sind Frauen auf der Führungsebene und
daher in Entscheidungspositionen unterrepräsentiert. Byerlys (2014c) Analyse der
Frauenpräsenz im Vorstand dieser Medienkonglomerate ergab, dass im Jahr 2012
durchschnittlich nur 21 % der Vorstandsmitglieder Frauen sind (Tab. 1). Der Frau-
enanteil reicht dabei von 10 % in der Grupo Televisa bis 40 % beim Disneykonzern.
Ein halbes Jahrzehnt später zeigen die Daten, dass trotz eines signifikanten Anstiegs
des Frauenanteils in Entscheidungspositionen in einigen Medienkonzernen, wie
etwa bei Vivendi (Frankreich), wo Frauen die Hälfte der Vorstandssitze einnehmen,
Frauen nach wie vor unterrepräsentiert sind oder sogar, wie im Falle der Grupo
Televisa (Mexiko), ganz verschwunden sind. Die Vorstandsriege der Grupo Televisa
wurde somit im Jahr 2017 zu einer reinen Männerdomäne. Insgesamt ist aber
festzustellen, dass in den größten Medienkonzernen Fortschritte zu beobachten sind.
So ist beispielsweise in den fünf Jahren der Frauenanteil bei Lagardere (Frankreich)
von 17 % auf 44 % gestiegen und bei News Corp von 6 % auf 27 %. Die Gründe und
Maßnahmen, die diese Veränderung bewirkten, bedürfen einer detaillierteren Unter-
suchung.
Darüber hinaus wird die Führungsebene der 100 größten internationalen Medi-
enkonzerne ebenfalls mehrheitlich von Männern gestellt. Bei 30 von ihnen gibt es im
Top-Management keine einzige Frau. Im Durchschnitt sind 80 % der DirektorInnen
Medienindustrie und Geschlecht: Ökonomische und machtpolitische Aspekte . . . 557

Tab. 1 Frauenanteil auf der Entscheidungsebene in den weltweit größten globalen Medienkon-
zernen
Frauenanteil Frauenanteil
im Vorstand im Vorstand Umsatz in
Medien- 2012 2017 Mrd.
konzern Hauptsitz Eigentümer abs. in % abs. in % (2017)
Disney USA Investoren 4 40 % 4 33 % € 50,259
Company (von 10) (von 12)
News Corp USA Investoren 1 6% 3 27 % € 32,178
(von 17) (von 11)
Vivendi Frankreich Investoren 4 33 % 6 50 % € 10,819
(von 12) (von 12)
Time Warner USA Investoren 2 18 % 2 22 % € 26,487
(von 11) (von 9)
Bertelsmann Deutschland Familie 5 24 % 3 20 % € 16,985
AG (von 21) (von 15)
Viacom USA Investoren 2 18 % 3 20 % € 23,176
(von 11) (von 15)
Grupo Mexiko Investoren 2 10 % 0 0% € 4,659
Televisa (von 20) (von 20)
Lagardere Frankreich Investoren 1 17 % 7 44 % € 7,391
(von 6) (von 16)
Naspers Südafrika Investoren 3 21 % 3 18 % € 5,509
(von 14) (von 17)
Quelle: Byerly 2014c; Institut für Medien- und Kommunikationspolitik 2017

Männer, 17 % der Führungskräfte Frauen, und es gibt nur sechs weibliche CEOs, die
Unternehmen der Top-100-Liste führen. Zu dieser Männerdominanz kommt die
westliche Vorherrschaft in der globalen Medienindustrie. Diese zeigt sich etwa in
der Verortung der Hauptsitze der Konzerne: dreizehn sind in Europa (Niederlande,
Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Schweden, Norwegen, Finnland,
Spanien, Dänemark, Portugal, Schweiz und Belgien), je drei in Nordamerika (USA,
Kanada, Mexiko) und in Asien (Japan, China, Indien) sowie lediglich einer in Afrika
(Südafrika) bzw. Südamerika (Brasilien). Für den Frauenanteil macht es jedoch
keinen Unterschied, ob das Unternehmen in einem westlichen Land seinen Hauptsitz
hat oder nicht. (Edström und Facht 2018)
Deutlich geringer als bei den genannten Medienkonglomeraten ist der Frauenan-
teil in den fünf größten Online-Konzernen Amazon, Apple, Alphabet (Google),
Facebook (Meta) und Microsoft. Noch 2012 wiesen die „Big Five“ gerade einmal
eine Frau im Vorstand auf, was in den Mainstreammedien auch ausführlich kom-
mentiert wurde. Im Laufe der letzten fünf Jahre hat sich dies zwar geändert: Bei den
„Big Five“ stieg der durchschnittliche Frauenanteil auf 20 %, allerdings ist dies
geringer als der Anstieg auf 26 % bei den neun weltweit größten Medienkonzernen
ohne Berücksichtigung der Onlinekonzerne (Tab. 2).
In der Praxis hat sich gezeigt, dass es erst zu einem Wendepunkt in der Einfluss-
nahme kommen kann, wenn mindestens drei Frauen im Vorstand vertreten sind. Das
558 B. E. Kassa et al.

Tab. 2 Frauenanteil auf der Vorstandsebene in den fünf größten Online-Konzernen (Big Five)
Frauenanteil im
Jahresumsatz Vorstand abs. Jahresumsatz
Frauen im Vorstand in Mrd. und in % in Mrd.
Unternehmen (2012) (2012) (2018) (2017)
Amazon 1 Shelly Reynolds $ 61,09 4 26,7 $ 177,87
(seit 2007) (von 15)
Apple 1 Andrea Jung $ 156,5 4 23,5 $ 229,23
(seit 2008) (von 17)
Google 1 Ann Mather $ 46,04 1 7,1 $ 110,85
(Alphabet) (seit 2005) (von 14)
Facebook 1 Sheryl Sandberg $ 5,09 2 13,3 $ 40,65
(seit 2012) (von 15)
Microsoft 1 Dr. Maria Klawe $ 73,72 6 30,0 $ 89,95
(2009–2014) (von 20)
Quelle: Reuters 2018 (Vorstände); Statista 2017 (Jahresumsätze)

dürfte auch die kritische Masse sein, die notwendig ist, damit Frauen auch Entschei-
dungen maßgeblich mitbestimmen können. (MSCI 2016)
Insgesamt verweist der wachsende Trend zu Medienkonglomeraten und Medien-
monopolen auf die anhaltende wirtschaftliche und politische Medienmacht von
Männern und verstärkt bestehende strukturelle Barrieren für Frauenstimmen im
öffentlichen Diskurs (Byerly 2014a). Nach Montiel (2012, S. 310) ist die Forderung
nach einer geschlechtergerechten Verteilung in Besitzstrukturen, in Vorstandsetagen
und in Führungspositionen direkt von den allgemeinen Menschenrechten, und zwar
vom Recht auf Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit ableitbar.
Der geringe Frauenanteil in Entscheidungspositionen hat jedenfalls weitreichende
Folgen für die Medienproduktion, da Frauen praktisch die Möglichkeit verlieren,
bestehende sexistische Stereotypen, die in den kulturellen Medienprodukten vorherr-
schen und Grundlage für geschlechtsspezifische Diskriminierung und Gewalt sind,
in Frage zu stellen (Byerly 2014c; Montiel 2012).

3 Medienproduktion und Geschlecht

3.1 Nachrichtenindustrie

Die Nachrichtenproduktion ist nach wie vor männlich dominiert (Byerly 2014b).
Daran hat sich in den letzten Jahrzehnten wenig geändert. Sowohl in Entscheidungs-
positionen als auch in Nachrichtenredaktionen sind Frauen in der Minderheit. Die
Entwicklung zur Geschlechterparität verläuft langsam und je nach Land sehr unter-
schiedlich. (Sarikakis 2013, S. 7) Der „Global report on the status of women in the
news media“, der Daten in 59 Ländern erhob, weist nur 27 % Frauen im
Top-Management von Nachrichtenmedien und 36 % Frauen als Reporterinnen auf.
(Byerly 2011b, S. 9) Zwischen den einzelnen Mediengattungen gibt es wenig
Medienindustrie und Geschlecht: Ökonomische und machtpolitische Aspekte . . . 559

Unterschied, auch wenn Journalistinnen im TV- und Radiobereich etwas stärker


vertreten sind als in Zeitungen. Die anfänglich im Monitoring beobachtbare deutli-
che Zunahme von Reporterinnen (1995–2005) wurde in den letzten zehn Jahren von
einem Stillstand abgelöst, der auf das Vorhandensein einer offensichtlich schwer zu
durchbrechenden gläsernen Decke verweist. (GMMP 2015, S. 48–50)
Nach internationalen Studien (UNESCO 2018; GMMP 2015) steht die Unterre-
präsentation von Frauen in der Medienindustrie in einem Zusammenhang mit den
Medieninhalten. So dürften Journalistinnen tendenziell häufiger über Frauen berich-
ten als ihre männlichen Kollegen. Im Jahr 2015 etwa waren beispielsweise 29 % der
Nachrichtensubjekte in den von Journalistinnen verfassten Beiträgen Frauen, wäh-
rend im Vergleich dazu Journalisten nur zu 26 % Frauen in ihrer Berichterstattung
erwähnten. (GMMP 2015, S. 54–55). Andererseits zeigt sich bei der Themenzu-
weisung, dass Journalistinnen am wenigsten in der Politik- und Sportberichterstat-
tung, dafür am häufigsten in den Bereichen Gesundheit, Menschen- und Minder-
heitsrechte, aber auch Schönheit tätig sind. Sie sind es aber auch, die über
Geburtenkontrolle, Klimaveränderung oder über sexualisierte Gewalt und über die
Themen und Aktionen der Frauenbewegung berichten. (GMMP 2015, S. 56–58)
Die Geschlechterdifferenz zeigt sich noch deutlicher in Online-Nachrichten. In
der Berichterstattung von Journalistinnen kommen zu 33 % Frauen vor, während
Journalisten nur zu 23 % Frauen erwähnen. Außerdem wird auch ein höherer Anteil
(42 %) der Onlinenachrichten von Journalistinnen verfasst, und Journalistinnen
schreiben häufiger (+5 %) zu Politik- und Wirtschaftsthemen in der Online-
Berichterstattung als in den traditionellen Medien. (GMMP 2015, S. 65–66)

3.2 Film- und Werbeindustrie

Nach einem Bericht der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle (Talavera


Milla 2014), der den Zeitraum von 2003 bis 2012 umfasst, wurden nur 16,3 % der
europäischen Filme von Frauen gedreht. Einen höheren Frauenanteil haben eher jene
Länder, die nicht zu den großen Filmnationen gehören, wie beispielsweise die
Niederlande, Finnland, Norwegen oder Österreich. Im analysierten Zeitraum nahm
die Zahl der Filme von Regisseurinnen zu, was jedoch nicht mit einem entsprechen-
den Anstieg der Besucherzahlen einherging. Ein noch dramatischeres Bild zeigt eine
australische Studie für den Zeitraum von 2012 bis 2015. Zwar wurden weltweit etwa
15 % der Filme von Frauen gedreht, der Anteil bei den Filmvorführungen betrug
aber nur 3 % bzw. 8 %, wenn es sich um ein gemischtes Team aus Frauen und
Männern handelte. (Kinomatik 2018)
Eine europaweite Studie (European Women’s Audiovisual Network 2016) erhob
für den Zeitraum von 2006 bis 2013, dass 21 % der Filme von Frauen gedreht
wurden, aber nur 16 % der Fördermittel für die von Frauen gedrehten Filme
verwendet wurden. Als strukturelle Barrieren und Diskriminierungsfaktoren identi-
fiziert die Studie außerdem das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen, die
fehlende Unterstützung von Regisseurinnen mit Betreuungspflichten oder aber das
Misstrauen gegenüber Regisseurinnen, wenn sie einen High-Budget-Film produzie-
560 B. E. Kassa et al.

ren. Geschlechtsspezifische Benachteiligungen in der Filmbranche gibt es auch bei


der Vergabe von nationalen Förderpreisen. Bestätigt wurden diese Faktoren jüngst
für die Österreichische Filmproduktion, wo u. a. nur 11 % der öffentlich geförderten
Film- und Fernsehproduktionen an Teams mit mehrheitlich weiblichen Mitarbei-
terinnen vergeben wurden. (Österreichisches Filminstitut 2018) Geht es um die
Produktion der umsatzstärksten europäischen Filme, so sind hier Filmdirektorinnen
kaum vertreten. In den letzten zehn Jahren gab es gerade einmal den moderaten
Anstieg von 1,9 auf 4,2 %. (European Parliament 2018)
Für die Werbeindustrie liegt kaum Datenmaterial zu Frauenanteilen im Berufsfeld
vor. Lediglich Berufsverbände verfügen über Zahlen, die in der Regel nur die
eigenen Mitglieder betreffen, sodass nicht notwendigerweise von repräsentativen
Befunden auszugehen ist. In Großbritannien beispielsweise berichtet das Institute of
Practitioners in Advertising von einem Anstieg des Frauenanteils in der Führungs-
ebene von Werbeagenturen von 23 % auf 31 % innerhalb von elf Jahren (IPA 2018).
In Australien veröffentlicht der Berufsverband der Werbeagenturen, dass im Jahr
2016 nur 16 % der Vorstandsmitglieder und 20 % der Geschäftsführung weiblich
waren, 30 % Frauen gab es auf Managementebene (B & T Magazin 2017). In den
USA sind im Werbesektor am Karrierebeginn zwar 41 % Frauen, in der Geschäfts-
führung sind es dann aber nur 25 % (Womens Media Centre 2017, S. 161). Um eine
Veränderung herbeizuführen, hat sich im US-Werbebereich bereits vor vielen Jahren
die „3-Prozent-Bewegung“ formiert, die mit jährlichen Konferenzen, Lobbying und
Beratungs- und Förderaktivitäten auch women of color in ihre Arbeit miteinschließt
(The 3 Percent Movement 2017).

4 Strukturelle Barrieren und Gegenmaßnahmen in der


Medienproduktion

4.1 Arbeits- und Karrierebedingungen in der Medienindustrie

Dass Frauen in der Medienindustrie nach wie vor mit einer gläsernen Decke
konfrontiert sind, liegt vor allem an strukturellen Mechanismen, die auf gesellschaft-
licher, organisatorischer und auf individueller Ebene wirksam sind. Joan Acker
(1990) macht in ihrem Modell vier relevante Bereiche aus, die geschlechtsspezifi-
sche Organisationsstrukturen konstituieren: Geschlechtervorstellungen und Dis-
kurse in der Gesellschaft, Arbeitsteilung, Interaktionsrituale in Organisationen und
eigene Identitätsarbeit. Alltägliche Praktiken erschaffen so geschlechtsspezifische
Arbeitsbereiche und Arbeitsteilung, Einkommens- und Statusungleichheiten, eine
(Re-)Produktion kultureller Geschlechterbilder sowie eine hierarchische Einordnung
der Leistung und der eigenen Person.
Meist sind es intransparente Verfahren, wo persönliche Kontakte und Netzwerke
von Bedeutung sind, um in eine Entscheidungsposition aufzusteigen. In der Freizeit,
bei informellen und privaten Kontakten, zu denen Frauen selten Zugang haben,
werden Karrieren geplant und Personalentscheidungen getroffen und so Frauen in
ihren Karrierebestrebungen behindert (Ross und Azzalini 2017). Unter der Annahme
Medienindustrie und Geschlecht: Ökonomische und machtpolitische Aspekte . . . 561

mangelnder Flexibilität, vorhandener Betreuungspflichten oder auch der vermuteten


fehlenden Bereitschaft, Führungsposition zu übernehmen, werden Frauen bei Be-
förderungen häufig übergangen (van Zoonen 1998; Ross 2014a; Melki und Mallat
2016). Andererseits gibt es aber auch in einigen Fällen den freiwilligen Verzicht auf
eine Führungsposition zugunsten der eigenen Familie. (Lobo et al. 2017)
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist für Journalistinnen weit eher ein
Problem als für ihre männlichen Kollegen; die meisten Frauen im Journalismus
bleiben aber ohnehin oft kinderlos. Aber auch bei bestehenden Betreuungspflichten
zeigt sich, dass dies nicht die journalistische Leistung beeinträchtigt. Trotzdem
kommt bei Journalistinnen mit Betreuungspflichten ein niedrigeres Gehaltsschema
zur Anwendung. (North 2009; van Zoonen 1998; Steiner 2012)
Nach wie vor lassen sich im Journalismus Unterschiede im Einkommen nach-
weisen, die eindeutig auf das Geschlecht zurückzuführen sind. (Byerly 2011a;
Steiner 2012) Auch in der Filmindustrie ist der Gender Pay Gap aktuell und erreicht
beispielsweise bei österreichischen ProduktionsleiterInnen 26 % und ist bei Fern-
sehfilmproduktionen nur geringfügig niedriger. Dazu kommt die Benachteiligung
von weiblichen Filmschaffenden bei der Vergabe von Filmpreisen und Filmbudgets,
insbesondere wenn es sich um teure und aufwendige Filmeprojekte handelt. (Öster-
reichisches Filminstitut 2018; European Women’s Audiovisual Network 2016)
Karrierehinderlich sind auch geschlechtsspezifische Ressort- und Themenzuwei-
sungen. Das als beat-assignment bezeichnete Phänomen bezieht sich darauf, dass die
Themenzuweisung an MedienproduzentInnen häufig nach Geschlecht und nicht nach
Qualifikation oder Interesse erfolgt. Im Journalismus ist beispielsweise das Politikres-
sort männerdominiert, und es ist auch genau jenes Ressort, aus dem Führungskräfte
rekrutiert werden. (Steiner 2012)
Die strukturellen Barrieren bestehen auch im digitalen Berufsfeld; so sind in den
OECD-Ländern 5,5 % der Männer ICT-Spezialisten, aber nur 1,4 % der Frauen
(OECD 2017). Die geschlechtsspezifische Trennlinie verläuft zusätzlich zwischen
ICT-Technik und ICT-Anwendung, was dazu führt, dass Frauen weniger von den
neuen Beschäftigungsmöglichkeiten profitieren. Dienstleistungsorientierte digitale
Arbeit ist prekärer, niedriger bezahlt und erfordert ständige Konnektivität sowie
Investition der eigenen Freizeit (Duffy 2015). Gerade in der Social-Media-Arbeit
scheint sich derzeit ein Trend zur Feminisierung dieses Produktionssektors abzuzeich-
nen. Das zeigt sich u. a. in symbolischen Aspekten wie der Unsichtbarkeit, Abwertung
und Geringschätzung der Arbeit, was Parallelen zu unbezahlter Hausarbeit aufweist.
(Duffy und Schwartz 2018)
Sexuelle Belästigung in der Medienindustrie war lange Zeit ein Tabuthema. Mit
den im Filmsektor initiierten Social-Media-Bewegungen #Metoo und #Time’sUp
wurde das Bewusstsein geschärft und das öffentliche Gespräch über sexuelle Beläs-
tigung und sexualisierte Gewalt eröffnet, denen Frauen weltweit nicht nur in Medi-
enbetrieben ausgesetzt sind (Manikonda et al. 2018; Jaffe 2018). Obwohl diese
Kampagnen das tief verwurzelte Patriarchat und die männliche Dominanz nicht
sofort lösen mögen, brachen sie das lang gehegte Schweigen über sexualisierte
Gewalt. Auch im Journalismus wird sexuelle Belästigung nun ein öffentliches
Thema. Sie hat nicht nur negative Auswirkungen auf das Leistungsvermögen und
562 B. E. Kassa et al.

das Arbeitsklima, sondern auch auf das Selbstbewusstsein und die Gesundheit der
belästigten Person. Anhaltende sexuelle Belästigung hindert Journalistinnen effizi-
ent davor, in Entscheidungspositionen aufzusteigen (White 2009; Melki und Mallat
2016). Online-Belästigung und sexualisierte Gewalt im Journalismus wird nun auch
von internationalen Organisationen aufgegriffen und als entscheidende Strategie zur
Verhinderung von Geschlechterparität erkannt (UNESCO 2018; OSCE Representa-
tive on Freedom of the Media 2016).

4.2 Maßnahmen zur Förderung der Geschlechtergerechtigkeit


in der Medienproduktion

Auf Initiative feministischer Forscherinnen und der Frauenbewegung wurde bereits


eine Reihe gleichstellungspolitischer Maßnahmen erarbeitet, die auch in die natio-
nale und internationale Politikgestaltung Eingang gefunden haben, wenngleich eine
legistische Umsetzung erst zögerlich vorangeht (Ross und Padovani 2017; Gallagher
2011). Die Global Alliance for Media and Gender (GAMAG 2014) wurde im Jahr
2013 als globale Bewegung gegründet. Sie gibt einen konkreten Fahrplan für
Medienorganisationen und die Medienpolitik zur Umsetzung der Geschlechter-
gleichstellung in und durch die Medien vor.
Bereits im Jahr 2000 hat die UNESCO (2017a) zur Beseitigung der Geschlechterun-
gleichheit in den Medienorganisationen und Medieninhalten die Initiative Women Make
the News gestartet. Im Jahr 2017 konzentrierten sich die Maßnahmen auf den Gender
Equality Checkup für den Nachrichtenbereich, wobei Nachrichtenorganisationen eine
Checkliste zur Umsetzung geschlechtersensibler Arbeitsbedingungen und Medienein-
halte zur Hand gegeben wurde. (UNSECO 2017b) Der Gender Equality Checkup
basiert auf den bereits früher entwickelten „Gendersensitive Indicators for Media“, die
in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlerinnen und Medienorganisationen erarbeitet wur-
den. Diese gendersensiblen Indikatoren beziehen sich auf Nachrichtenunternehmen
(Führungsposition, Arbeitsbedingungen, Einkommen, Work-Life-Balance, Sicherheit
im Arbeitsumfeld), auf Berufsvereinigungen (Zusammensetzung, Gendermainstrea-
ming, Bewusstseinsarbeit, Ethikcodes, Ausbildung) sowie auf Medieninhalte in Nach-
richten und Werbung (Stereotypen, Themen, sexualisierte Inhalte). (UNESCO 2012).
Aktuell wurde von der UNESCO die Initiative Advancing Gender Equality in Media
Industries (AMEGI 2018) gestartet. Ihr Anliegen ist es, mit konkreten Handlungsan-
weisungen und Best-Practice-Beispielen eine geschlechtergerechte Ausbildung für
MedienproduzentInnen zu forcieren.
Für die Filmindustrie soll mit einem Aktionsplan von Eurimages ab dem Jahr
2012 (bis 2020) ein Frauenanteil vor und hinter der Kamera in der gesamten
Filmindustrie von 50 % erreicht werden. (Council of Europe 2017) Zu den
konkreten Maßnahmen zählen ein kontinuierliches Monitoring der Frauenanteile
für jede Sparte und Hierarchiestufe in der Filmindustrie sowie die Vergabe jährli-
cher Filmpreise an Regisseurinnen. Zudem werden die 47 Mitgliederstaaten des
Europarats aufgefordert, Geschlechterungleichheit zu reduzieren, Gleichstellungs-
und Fördermaßnahmen in der Filmindustrie zu unterstützen und bezüglich öffent-
Medienindustrie und Geschlecht: Ökonomische und machtpolitische Aspekte . . . 563

licher Filmbudgets auf eine geschlechtergerechte Verteilung zu achten. (Council of


Europe 2017, S. 6)

5 Ökonomische Aspekte der Medieninhalte

Bislang hat sich die feministische Forschung in Bezug auf Medieninhalte damit
beschäftigt, wie Geschlechterverhältnisse in den Inhalten repräsentiert werden, wie
Medieninhalte die eigene Geschlechteridentität mitkonstruieren (Ang und Hermes
1994) und welche Konsequenzen medial repräsentierte Geschlechterstereotypen für
eine Gesellschaft und deren Vorstellung von Geschlecht haben. Ökonomische
Aspekte von Medieninhalten blieben bislang weitgehend unberücksichtigt. Medien-
inhalte sind aber nicht nur Kulturgüter, sondern auch Wirtschaftsgüter. Dieser
Doppelcharakter zeichnet einen Medieninhalt somit nicht als eine Ware wie jede
andere aus. (Albarran 2004; Kiefer und Steininger 2015) Betrachtet man den öko-
nomischen Wert eines Medieninhalts globaler Medienkonzerne, so setzt sich dieser
zu rund 70 % aus den Kosten für Produktion und Rechteinhaber sowie Kosten der
Sendeanstalten zusammen und zu rund 30 % aus den Verbreitungskosten. (Boston
Consulting Group 2016, S. 33) Medienökonomische Untersuchungen beschäftigen
sich aktuell mit der Verschiebung der Kostenstruktur im Zuge des Eintritts neuer
Online-Anbieter (wie etwa Amazon) und der Frage, wie sich dadurch der Werbe-
markt zwischen öffentlich-rechtlichen, privaten und Online-Anbietern verändert.
Die feministische Forschung könnte hier neue Akzente setzen. Zu fragen wäre,
wie durch das Programmbudget der Rundfunkanbieter immer wieder Zweige-
schlechtlichkeit hergestellt wird und ob nicht in den unterschiedlichen Kosten für
Produktions- und Ausstrahlungsrechte ein Gender Bias enthalten ist. (Dorer 2002,
S. 67) Zu beobachten ist jedenfalls, dass für Sendungen wie Soaps und Serien, die
mehrheitlich von Frauen gesehen werden, die Produktionskosten niedrig sind. Das
Gleiche gilt für die Zielgruppe Kinder, wobei hier die Verbindung (Frauen und
Kinder) auf eine geschlechterstereotype Kontingenz verweist. Den sogenannten
„Frauengenres“ stehen schier unbezahlbare Sendungen wie Formel 1 oder Fußball-
übertragungen für mehrheitlich männliche Rezipienten gegenüber. Das würde
bedeuten, dass Billigproduktionen für die Zielgruppe Frauen jenen Sendungen für
die Zielgruppe Männer gegenüberstehen, deren Kosten ökonomisch und rational
nicht mehr zu begründen sind. Eine feministische Untersuchung zur Unverhältnis-
mäßigkeit der Kosten für Produktion und Übertragungsrechte steht bislang aber aus.
(Dorer 2002, S. 67–68)
Eine erste Annäherung an den vermuteten Gender Bias liefert eine Erhebung der
Boston Consulting Group (2016). Zu berücksichtigen ist, dass es eine eindeutige
Geschlechterzuordnung nicht gibt. Rezeptionsstudien zeigen aber, dass nicht-
fiktionale Sendungen eher von Männern rezipiert werden, Unterhaltungssendungen
mehrheitlich von Zuseherinnen. Der Sport hingegen gilt nach wie vor als eine
Männerdomäne. Nicht ersichtlich ist in dieser Studie der Umstand, dass die Produk-
tionskosten für verschiedene Unterhaltungssendungen stark differieren. Tab. 3 zeigt
die Unterschiede bei den Produktionskosten in Verhältnis zur Zuschauerschaft. Der
564 B. E. Kassa et al.

Tab. 3 Anteil der Produktionskosten verschiedener Medieninhalte im Verhältnis zum Publikums-


anteil (repräsentativ für die UK)
Medieninhalt Merkmale Kostenanteil Zuschaueranteil
Nachrichten: Eigenproduktionen 3% 10 %
Aktuelle Begrenzte Kostenbelastung, aber auch
Nachrichten begrenztes Gewinnpotenzial
Magazine
Sport: Größtes Alleinstellungsmerkmal für 60 % 16 %
Live-Events Anbieter; dies erklärt die Kluft
Studio- zwischen Kosten und Reichweite
Programme Hebelwirkung/Kontrolle durch Sport-
Dokumentationen Rechteinhabern
Unterhaltung: Größter Publikumsanteil und hohe 37 % 74 %
Soaps, Serien, Bedeutung für Anbieter
Filme Aufkommen neuer Käuferschichten
Shows, Events und zeitversetzte Rezeption, was die
Comedys Macht der Content-Produzenten stärkt
Quelle: Boston Consulting Group (2016, S. 34–35)

Sport hebt sich in der Analyse dadurch hervor, dass er 60 % des Budgets bean-
sprucht, aber nur 16 % der gesamten Zuschauerschaft erreicht. Im Gegensatz dazu
machen die Ausgaben für Unterhaltungsprogramme nur 37 % der Gesamtkosten,
aber 74 % der ZuseherInnen aus.
Dass für Fernsehanbieter die Übertragung von Sportveranstaltungen in den
Vereinigten Staaten und Europa populär ist, ist nicht neu (Cave und Crandall
2001). Rupert Murdochs Fox Broadcasting markiert 1993 einen Wendepunkt in
Bezug auf die Kosten für Fernsehrechte. Foxs aggressiver und erfolgreicher Markt-
eintritt basiert auf der Überbietung anderer Sender (LA Times 2016). Diese Super-
inflation stellte v. a. die Idee europäischer öffentlich-rechtlicher Sender in Frage, die
den Sport als Kulturgut (Taylor und Thomaß 2017, S. 117) und nicht als gewinn-
bringende Quelle sehen (Smith 2017). Damit zusammenhängend stellt sich für
feministische Forscherinnen die Frage, warum Fernsehanbieter keine Scheu vor
diesen hohen Kosten haben, und weiters, ob öffentlich-rechtliche Anbieter durch
diese Entwicklung nicht das männliche Publikum verlieren. Die hohen Produktions-
und Übertragungskosten von Sportsendungen symbolisieren Wichtigkeit und sie
produzieren damit auch die Aufwertung des männlichen Zusehers.
Die Auf- oder Abwertung von Sendungen erfolgt somit auch durch die Höhe der
Produktions- und Übertragungskosten und nicht nur durch eine inhaltliche Anrufung
eines männlichen oder weiblichen Publikums. Medienorganisationen produzieren damit
auf zweifache Weise einen Gender Bias: zum einen durch die Zielgruppensegmentation,
indem sie sogenannte Männer- und Frauengenres ausstrahlen, zum anderen auch durch
die ökonomische Wertigkeit, die sie diesen Sendungen beimessen. (Dorer 2002, S. 68)
Neben der Erhebung genaueren Zahlenmaterials könnte sich feministische For-
schung auf die Forderung nach einer Teilstrategie des Gender Mainstreaming – dem
Gender Budgeting – beziehen. Die gleichstellungspolitische Strategie des Gender
Budgeting, in der österreichischen Bundesverfassung seit 2009 für staatliche Insti-
tutionen verankert, zielt darauf ab, Einnahmen und Ausgaben auf Geschlechterge-
Medienindustrie und Geschlecht: Ökonomische und machtpolitische Aspekte . . . 565

rechtigkeit hin zu prüfen und zu restrukturieren. Angewandt auf Rundfunkorgani-


sationen hieße das, die Programmstruktur in Hinblick auf die Zielgruppenplanung
im Verhältnis zur Kostenplanung neu zu überdenken und Geschlechtergerechtigkeit
in Bezug auf die Programmkosten herzustellen.

6 Globalisierter Arbeitsmarkt der Medientechnologie bzw.


Hardware

Ein weitgehend vernachlässigtes Thema im Bereich der internationalen Medienin-


dustrie ist die den gesamten globalisierten Arbeitsmarkt betreffende Herstellung und
Wiederverwertung der Medientechnologie bzw. Hardware. Dabei handelt es sich um
einen geschlechtlich segregierten globalisierten Arbeitsmarkt, der durch seinen
Schwerpunkt in Schwellenländern und sogenannten Dritte-Welt-Ländern zudem
eine koloniale Perspektive erhält.
Die Rohstoffgewinnung von Coltan oder Cobalt für die Mobiltelefon-Produktion
erfolgt vorwiegend in afrikanischen Ländern durch Kinderarbeit und durch junge
Männer unter gesundheits- und lebensgefährlichen und oft illegalen Bedingungen.
Rund die Hälfte des für die Herstellung notwendigen Cobalts wird unter menschen-
rechtsverletzenden Umständen in der Demokratische Republik Kongo aus Minen
geschürft. (Amnesty International 2016) Zudem gilt Cobalt (wie auch Coltan,
Wolfram, Zinn oder Gold) aus der DR Kongo als Konfliktmineral, da die Regierung
ihre Soldaten, die Gewalt und Terror in der eigenen Bevölkerung verbreiten, fast
ausschließlich durch den Verkauf des Rohstoffs an globale Konzerne der Mobilte-
lefonindustrie finanziert. (Terres-Spelliscy 2013) Die Europäische Union hat mit
einer Verordnung zur Eindämmung des Handels mit Konfliktmineralien reagiert,
indem sie Unternehmen ab 2021 zur Sorgfaltspflicht in Bezug auf die Lieferketten
der Mineralien verpflichtet. (European Commission 2017)
Während in den afrikanischen Minen vorwiegend Buben und Männer beschäftigt
sind, befinden sich junge Frauen auf der untersten Ebene in den IT-Produktions- und
Montagestätten in südostasiatischen Ländern, allem voran in China, auf den Philip-
pinen und in Indien. Die Montagearbeit ist gefährlich, und die Arbeit umfasst nicht
selten eine Sieben-Tage-Woche. Trotz der Tatsache, dass die Montage von Mikro-
prozessoren, Chips oder anderen Mikroelementen handwerkliche Fähigkeiten und
gutes Sehvermögen erfordert, wird diese Arbeit weder geschätzt noch angemessen
entlohnt. (Plant 1998, S. 82–84) Die Position der Frauen in der Medienelektronik ist
vergleichbar mit der Situation von Frauen in der Textilindustrie, d. h., in beiden
Sektoren arbeiten Frauen in Hinterhöfen oder Sonderzonen-Fabriken in Schwellen-
oder sogenannten Dritt-Welt-Ländern für transnationale Konzerne. (Plant 1998,
S. 82) Die Arbeiterinnen sind ständig ionisierenden Strahlungen, organischen Lö-
sungsmitteln, Schwermetallen wie Cadmium oder Blei und Chemikalien, die die
Fortpflanzungsorgane schädigen, wie Arsen und Phosphat, ausgesetzt. (Pratap 2013)
Alarmierende Umstände wurden nicht nur in Indien (Delhi, Mumbai, Bangalore
Hyderabad, Nodia u. a.) festgestellt. Beispielsweise ergab eine Analyse der
Samsung-Produktion, dass die Arbeitsbedingungen in der Elektronikfertigung zu
den schlechtesten gehören. Es gibt keine Gewerkschaft, Streikende werden zu Ge-
566 B. E. Kassa et al.

fängnisstrafen verurteilt, und Frauen mit Vergiftungen infolge ihrer Arbeit werden
mangelhaft oder gar nicht medizinisch versorgt. Damit Arbeiterinnen von ihren
(wenigen zugesicherten) Rechten keinen Gebrauch machen können, gibt es eine
ständige Rotation der Belegschaft. Das System funktioniert folgendermaßen: Nach
zwei bis drei Monaten schließen 150–200 Auszubildende ihre Ausbildung ab und
müssen die Fabrik verlassen, um Platz für die nächsten Einsteigerinnen zu schaffen.
Die ständige Rotation ermöglicht dem Unternehmen und seinen Tochtergesellschaf-
ten oder Outsourcing-Partnern steigende Gewinne auf Kosten der Arbeiterinnen und
verhindert die Möglichkeit der Selbstorganisation in Form von Gewerkschaften.
(Pratap 2013)
Die letzte Etappe der IT-Industrie wird in den Müllbergen von Elektronik-Schrott
in Teilen Afrikas, in Zentralasien, der Karibik und in Ozeanien sichtbar. Hier wird
ein Großteil der Mobiltelefone und Computer aus dem sogenannten Westen meist
illegal oder als „Spende“ entsorgt. (Baldé et al. 2017, S. 49) Von Buben und jungen
Männern werden ohne jeglichen Schutz wiederverwendbare Elemente aussortiert,
um sie zu verkaufen. Die giftigen Dämpfe, die bei der Trennung von Kunststoff und
verwertbaren Mineralien freigesetzt werden, beeinträchtigen nicht nur die Gesund-
heit, sondern reduzieren erheblich die Lebenserwartung. Mit dem Ausblenden dieser
geschlechtlich kodierten postkolonialen Praxen in der Hardware-Produktion und
-Verwertung erfolgt nicht nur eine Reduktion ökonomischer Prozesse auf einzelne
Medienunternehmen bzw. Medienkonglomerate, sondern auch eine unvollständige
Betrachtung der geschlechtlich segregierten Medienindustrie.

7 Fazit

Notwendig ist weiterhin ein kontinuierliches quantitatives Monitoring, die Erarbeitung


aggregierter Daten und Indikatoren sowie die qualitative Erforschung der Geschlechter-
verhältnisse in sämtlichen Bereichen der Medienindustrie, aber ausgeweitet auf weitere
Differenzkriterien wie Ethnizität, „Rasse“, Alter und sexuelle Orientierung. Dies ist die
Basis, um Entwicklungen zu verfolgen und auf globaler, aber auch nationaler Ebene
effiziente medienpolitische Maßnahmen einzufordern. Feministische Wissenschaftle-
rinnen haben bereits eine Reihe praktischer Lösungen erarbeitet, die sich sowohl auf
strategische Maßnahmen in der Zivilgesellschaft, wie etwa auf die Bildung von
Koalitionen, auf Ausbildungsprogramme, Bildungsprojekte, Frauennetzwerke etc., als
auch auf die Verantwortlichkeit von Staaten und supranationalen Organisationen bezie-
hen. Ziel feministischer Medienforscherinnen muss es aber auch sein, die vielen
Facetten medienökonomischer Forschung, die bislang vorliegen, zusammenzuführen,
um eine tragfähige feministische ökonomische Theorie zu entwickeln.

Literatur
Abouzahr, Katie, Frances Brooks Taplett, Matt Krenz, und John Harthorne. 2018. Why women-
owned startups are a better bet. https://www.bcg.com/publications/2018/why-women-owned-
startups-are-better-bet.aspx. Zugegriffen am 12.06.2018.
Medienindustrie und Geschlecht: Ökonomische und machtpolitische Aspekte . . . 567

Acker, Joan. 1990. Hierarchies, jobs, bodies: A theory of gendered organizations. Gender & Society
4(2): 139–158.
AGEMI. 2018. Advancing gender equality in media industry. https://www.agemi-eu.org/. Zugegriffen
am 20.12.2018.
Albarran, Alan B. 2004. Media economics. In The SAGE handbook of media studies, Hrsg. John D. H.
Downing, Denis McQuail, Paul Schlesinger, und Ellen Wartella, 291–307. Thousand Oaks: Sage.
Amnesty International. 2016. This is what we die for. London. https://www.amnesty.org/download/
Documents/AFR6231832016ENGLISH.PDF. Zugegriffen am 06.12.2018.
Ang, Ien, und Joke Hermes. 1994. Gender and/in media consumption. In Gender und Medien, Hrsg.
Marie-Luise Angerer und Johanna Dorer, 114–133. Wien: Braumüller.
B & T Magazine. 2017. That stats that will schock you on gender equality in adland. http://www.
bandt.com.au/advertising/stats-will-shock-gender-equality-adland. Zugegriffen am 20.12.2019.
Baldé, Kees P., Vanessa Forti, Vanessa Gray, Ruediger Kuehr, und Paul Stegmann. 2017. The
Global E-waste Monitor. Bonn/Genua/Wien: United Nations University (UNU), International
Telecommunication Union (ITU) & International Solid Waste Association (ISWA). https://
www.itu.int/en/ITU-D/Climate-Change/Documents/GEM%202017/Global-E-waste%20Moni
tor%202017%20.pdf. Zugegriffen am 06.12.2018.
Boston Consulting Group. 2016. The value of content, Hrsg. Liberty Global. https://www.liber
tyglobal.com/pdf/public-policy/The-Value-of-Content-Digital.pdf. Zugegriffen am 28.09.2018.
Byerly, Carolyn. 2011a. Global report on the status of women in the news media. Washington, DC:
International Women’s Media Foundation (IWMF). https://www.iwmf.org/wp-content/uploads/
2018/06/IWMF-Global-Report.pdf. Zugegriffen am 28.09.2018.
Byerly, Carolyn. 2011b. Behind the scenes of women’s broadcast ownership. Howard Journal of
Communications 22(1): 24–42.
Byerly, Carolyn M., Hrsg. 2013. Factors affecting the status of women journalists: A structural
analysis. In The Palgrave international handbook of women and journalism, 11–23. Basingstoke:
Palgrave Macmillan.
Byerly, Carolyn. 2014a. Media conglomeration and women’s interests: A global concern. Feminist
Media Studies 14(2): 322–326.
Byerly, Carolyn. 2014b. The long struggle of women in news. In Media and gender: A scholarly
agenda for the global alliance on media and gender, Hrsg. Aimée Vega Montiel, 40–43. Paris:
UNESCO.
Byerly, Carolyn. 2014c. Women and media control: Feminist interrogations at the macro-level. In
The Routledge companion to media and gender, Hrsg. Cyntia Carter, Linda Steiner, und Lisa
McLaughlin, 105–115. London/New York: Routledge.
Cave, Martin, und Robert W. Crandall. 2001. Sports rights and the broadcast industry. The
Economic Journal 111(469): F4–F26. http://www.jstor.org/stable/2667955. Zugegriffen am
28.09.2018.
Childs, Sarah, und Mona Lena Krook. 2008. Critical mass theory and women’s political represen-
tation. Political Studies 56(3): 725–736.
Council of Europe. 2017. Aiming for 50/50 in 2020. Euroimages. Strategy for gender equality in the
film industry. https://rm.coe.int/strategy-for-gender-equality-in-the-film-industry/1680789386.
Zugegriffen am 20.12.2018.
Djerf-Pierre, Monika. 2005. Lonely at the top: Gendered media elites in Sweden. Journalism 6(3):
265–290.
Dorer, Johanna. 1995. Medienmarkt – Medienmacht. Zur Ökonomie des Rundfunkmarkts. In
Radiokultur von morgen, Hrsg. Johanna Dorer und Alexander Baratsits, 101–131. Wien:
Buchkultur.
Dorer, Johanna. 2002. Diskurs, Medien und Identität. Neue Perspektiven in der feministischen
Kommunikations- und Medienwissenschaft. In Feministische Kommunikations- und Medienwis-
senschaft, Hrsg. Johanna Dorer und Brigitte Geiger, 53–78. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Duffy, Brooke Erin. 2015. Gendering the labor of social media production. Feminist Media Studies
15(4): 710–714.
Duffy, Brooke Erin, und Becca Schwartz. 2018. Digital „women’s work?“ Job recruitment ads and
the feminization of social media employment. New Media & Society 20(8): 2972–2989.
568 B. E. Kassa et al.

Edström, Maria, und Ulrika Facht. 2018. Men and (a few) women in the top 100 international media
corporations. Göteborg: University of Gothenburg. http://www.nordicom.gu.se/sites/default/files/
medieforskning-statistik/factsheet_gendermapping_top-100-corps_2018-02-27.pdf. Zugegriffen
am 06.12.2018.
European Commission (EC). 2017. The regulation explained. http://ec.europa.eu/trade/policy/in-
focus/conflict-minerals-regulation/regulation-explained/. Zugegriffen am 06.06.2018.
European Institute for Gender Equality (EIGE). 2013. Review of the implementation of the Beijing
Platform for Action in the EU member states: Women and the media – Advancing gender equality in
decision-making in media organisations. Vilnius. http://eige.europa.eu/rdc/eige-publications/advan
cing-gender-equality-decision-making-media-organisations-report. Zugegriffen am 28.09.2018.
European Parliament. 2018. Gender equality in the media sector. http://www.europarl.europa.eu/Reg
Data/etudes/STUD/2018/596839/IPOL_STU(2018)596839_EN.pdf. Zugegriffen am 18.06.2018.
European Women’s Audiovisual Network. 2016. Where are the women directors? Report on gender
equality for directors in the European film industry 2006–2013. http://www.ewawomen.com/
uploads/files/MERGED_Press-2016.pdf. Zugegriffen am 18.06.2018.
Gallagher, Margaret. 2011. Gender and communication policy: Struggling for space. In The
handbook of global media and communication policy, Hrsg. Robin Mansell und Marc Raboy,
451–466. Chichester/Malden: Wiley-Blackwell.
Global Alliance for Media and Gender (GAMAG). 2014. GAMAG framework and plan of action.
http://www.unesco.org/new/fileadmin/MULTIMEDIA/HQ/CI/CI/pdf/gamag_framework_and_
action_plan_30sep2014.pdf. Zugegriffen am 28.09.2018.
Global Media Monitoring Project (GMMP). 2015. Global report. http://cdn.agilitycms.com/who-
makes-the-news/Imported/reports_2015/global/gmmp_global_report_en.pdf. Zugegriffen am
28.09.2018.
Institut für Medien- und Kommunikationspolitik. 2017. Mediendatenbank. Ranking – Die 100 größ-
ten Medienkonzerne. https://www.mediadb.eu/datenbanken/internationale-medienkonzerne.
html. Zugegriffen am 06.12.2018.
IPA. 2018. Institute for Practitioners in Advertising. IPA Diversity Survey 2017. https://ipa.co.uk/
media/4845/ipa_diversity_survey_2017_2301_final.pdf. Zugegriffen am 14.02.2019.
Jaffe, Sarah. 2018. The collective power of #MeToo. Dissent Magazine 1. https://www.dissentma
gazine.org/article/collective-power-of-me-too-organizing-justice-patriarchy-class. Zugegriffen
am 25.09.2018.
Kiefer, Marie-Luise, und Christian Steininger. 2015. Medienökonomie. Oldenbourg: de Gruyter.
Kinomatics. 2018. Redistributing gender. https://kinomatics.com/redistributing-gender/. Zugegrif-
fen am 20.12.2018.
LA Times. 2016. The rise of sports TV costs and why your cable bill keeps going up. 5. Dezember.
https://www.latimes.com/business/hollywood/la-fi-ct-sports-channels-20161128-story.htm. Zuge-
griffen am 06.12.2018.
Lobo, Paula, Maria João Silveirinha, Marisa Torres da Silva, und Filipa Subtil. 2017. We are all
men: Material voices in the production of gender meanings. Journalism Studies 18(9):
1148–1166.
Manikonda, Lydia, Ghazaleh Beigi, Huan Liu, und Subbarao Kambhampati. 2018. Twitter for
sparking a movement, reddit for sharing the moment: #Metoo through the lens of social media.
https://arxiv.org/pdf/1803.08022.pdf. Zugegriffen am 28.09.2018.
Melki, Jad P., und Sarah E. Mallat. 2016. Block her entry, keep her down and push her out: Gender
discrimination and women journalists in the Arab world. Journalism Studies 17(1): 57–79.
Montiel, Aimée Vega. 2012. Intersections between feminism and the political economy of com-
munication: Women’s access to and participation in Mexico’s media industries. Feminist Media
Studies 12(2): 310–316.
MSCI. 2016. The tipping point: Women on boards and financial performance – MSCI. New York:
Morgan Stanley Capital International. https://www.msci.com/documents/10199/fd1f8228-cc07-
4789-acee-3f9ed97ee8bb. Zugegriffen am 28.09.2018.
North, Louise. 2009. Gendered experiences of industry change and the effects of neoliberalism.
Journalism Studies 10(4): 506–521.
Medienindustrie und Geschlecht: Ökonomische und machtpolitische Aspekte . . . 569

OECD. 2017. Going digital: The future of work for women. Policy brief on the future of work.
https://www.oecd.org/employment/Going-Digital-the-Future-of-Work-for-Women.pdf. Zuge-
griffen am 28.09.2018.
OSCE Representative on Freedom of the Media. 2016. New challenges to freedom of expression:
Countering online abuse of female journalists. Vienna. http://www.osce.org/fom/220411?down
load=true. Zugegriffen am 28.09.2018.
Österreichisches Filminstitut. 2018. Österreichischer Film Gender Report 2012–2016. https://equa
lity.filminstitut.at/de/gender-reports/. Zugegriffen am 20.12.2018.
Plant, Sadie. 1998. Nullen und Einsen. Digitale Frauen und die Kultur der neuen Technologien.
Berlin: Berlin Verlag.
Pratap, Surendra. 2013. Workers in electronics industry in India: The case of Samsung. In Asia
Monitor Resource Centre, Issue 82. https://amrc.org.hk/content/workers-electronics-industry-
india-case-samsung. Zugegriffen am 06.06.2018.
Reuters. 2018. Vorstände. Reuters.com/finance/stocks/company-officers/<company name>. Zuge-
griffen am 06.12.2018.
Ross, Karen. 2014a. Women in decision-making structures in media. In Media and gender: A scholarly
agenda for the global alliance on media and gender, Hrsg. UNESCO. http://www.unesco.org/new/
fileadmin/MULTIMEDIA/HQ/CI/CI/pdf/publications/gamag_research_agenda_ross.pdf. Zugegrif-
fen am 28.09.2018.
Ross, Karen. 2014b. Women in media industries in Europe: What’s wrong with this picture?
Feminist Media Studies 14(2): 326–330.
Ross, Karen, und Monia Azzalini. 2017. The WIME study: Context, methods and summaries. In
Gender equality and the media: A challenge for Europe, Hrsg. Karen Ross und Claudia
Padovani, 31–43. New York/London: Routledge.
Ross, Karen, und Claudia Padovani. 2017. Gender equality and the media: A challenge for Europe.
New York/London: Routledge.
Rush, Ramona R., Carol E. Oukrop, und Katharine Sarikakis. 2005. A global hypothesis for women
in journalism and mass communications: The ratio of recurrent and reinforced residuum.
Gazette 67(3): 239–253.
Rush, Ramona R., Carol E. Oukrop, und Pamela J. Creedon. 2011. Seeking equity for women in
journalism and mass communication education: A 30-year update. London: Laurence Erlbaum
Associates.
Sarikakis, Katharine. 2013. Media and the image of women. Report of the 1st conference of the
Council of Europe Network of National Focal Points on Gender Equality. Amsterdam: Council
of Europe. https://rm.coe.int/1680590587. Zugegriffen am 28.09.2018.
Smith, Paul. 2017. Playing under pressure: Sport, public service broadcasting and the British
Broadcasting Corporation. International Communication Gazette 79(2): 203–216.
Statista. 2017. Das Statistikportal. Umsätze zu Amazon, Apple, Google (Alphabet), Facebook,
Microsoft. https://de.statista.com/themen/. Zugegriffen am 06.12.2018.
Steiner, Linda. 2012. Failed theories: Explaining gender difference in journalism. Review of
Communication 12(3): 201–223.
Talavera Milla, Julio. 2014. Female directors in European films. State of play and evolution
between 2003 and 2012. Strasbourg: European Audiovisual Observatory.
Taylor, Gregory, und Barbara Thomaß. 2017. Sports rights and public service media/public
broadcasting: Case studies on economic and political implications. International Communica-
tion Gazette 79(2): 111–119.
Terres-Spelliscy, Ciara. 2013. Blood on your handset. http://www.slate.com/news-and-politics/2018/06/
impeach-donald-trump-why-democrats-shouldnt-do-it-if-they-win-the-house.html. Zugegriffen am
06.12.2018.
The 3%-Movement. 2017. Diversity is creativity is profitability. https://www.3percentmovement.
com/mission. Zugegriffen am 20.12.2018.
UNESCO. 2012. Gender-sensitive indicators for media: Framework of indicators to gauge gender
sensitivity in media operations and content. Paris. http://www.unesco.org/ulis/cgi-bin/ulis.pl?
catno=217831. Zugegriffen am 28.09.2018.
570 B. E. Kassa et al.

UNESCO. 2017a. Women make the news. Paris. https://en.unesco.org/women-make-the-news-


2017. Zugegriffen am 20.12.2018.
UNESCO. 2017b. Gender equality checkup 2017. Paris. https://en.unesco.org/women-make-the-
news-2017/gender-equality-checkup. Zugegriffen am 20.12.2018.
UNESCO. 2018. World trends in freedom of expression and media development: 2017/2018 Global
report. Paris. http://unesdoc.unesco.org/images/0026/002610/261065e.pdf. Zugegriffen am
28.09.2018.
White, Aidan. 2009. Getting the balance right: Gender equality in journalism. Brussels: Internatio-
nal Federation of Journalists. http://unesdoc.unesco.org/images/0018/001807/180707e.pdf.
Zugegriffen am 28.09.2018.
UN Women. 2015. Infographic women and media. http://www.unwomen.org/en/digital-library/
multimedia/2015/11/infographic-women-and-media. Zugegriffen am 20.12.2018.
Womens Media Centre. 2017. The status of women in the U.S. media. https://www.womensmedia
center.com/assets/site/reports/10c550d19ef9f3688f_mlbres2jd.pdf. Zugegriffen am 18.06.2018.
Zoonen, Liesbet van. 1998. A professional, unreliable, heroic marionette. M/F: Structure, agency and
subjectivity in contemporary journalisms. European Journal of Cultural Studies 1(1): 123–143.
Zuiderveld, Maria. 2011. ‚Hitting the glass ceiling‘ – gender and media management in Sub-saharan
Africa. Journal of African Media Studies 3(3): 401–415.
Filmindustrie: Branchenkultur mit
Gender Bias

Elizabeth Prommer und Skadi Loist

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572
2 Status Quo: Die Unterrepräsentanz in Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573
3 Erklärungsansätze für die Unterrepräsentanz: Argumente der Branche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576
4 Weibliche oder männliche Sichtweisen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579
5 Gründe für die Unterrepräsentanz von Frauen: Genderspezifische Barrieren . . . . . . . . . . . . . 580
6 Fazit: Erste Schritte für den Wandel in der Branche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582

Zusammenfassung
Die Film- und Fernsehindustrie ist geprägt durch branchenkulturelle Rahmenbe-
dingungen und Barrieren, die auf sämtlichen Ebenen geschlechtsspezifisch wir-
ken. Verschiedene Studien verweisen ausführlich darauf, dass Frauen in fast allen
künstlerischen Positionen in Film- und Fernsehproduktion unterrepräsentiert
sind: sei es als Regisseurin, Produzentin, Drehbuchautorin oder als Schauspiele-
rin. Die Film- und Fernsehindustrie lässt sich also durch einen starken gender
bias charakterisieren, durch den Frauen in allen Bereichen strukturell benachtei-
ligt werden; somit kann man von einer als männlich konstruierten Industrie
sprechen. Allerdings gibt es gerade in den letzten Jahren Initiativen auf nationa-
ler, aber auch auf EU-Ebene dieser Problematik entgegen zu steuern.

E. Prommer (*)
Universität Rostock, Rostock, Deutschland
E-Mail: elizabeth.prommer@uni-rostock.de
S. Loist
Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, Potsdam, Deutschland
E-Mail: s.loist@filmuniversitaet.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 571
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_28
572 E. Prommer und S. Loist

Schlüsselwörter
Produktionskultur · Filmindustrie · Gender bias · Geschlechtergerechter
Zugang · Film · Gender · Ungleichheit · Pro Quote Film · Filmförderung

1 Einleitung

Aktuelle Diskussionen beschäftigen sich vermehrt mit den stark geschlechtsspezifi-


schen und hierarchischen Strukturen in der Film- und Kreativbranche. Trotz des
progressiven Images der Branche sind der Zugang zur und die Arbeitsbedingungen
in der Branche ungleich verteilt. Neben Themen wie Gender Pay Gap, schlechte
Bedingungen für Freiberufler*innen und fehlende familienkompatible Arbeitszeiten
wird seit Jahren über eine Frauenquote diskutiert, um mit Vorurteilen, Diskriminie-
rung und gender bias aufzuräumen und gerechte Zugänge zur Branche zu ermögli-
chen. Bereits seit den 1970er-Jahren weisen Feminist*innen in der Filmwissenschaft
und in der Medienbranche kontinuierlich auf die Probleme der Unterrepräsentation
von Frauen im Filmgeschäft und auf der Leinwand hin (Angerer 1994). Beispiels-
weise erhob der im Jahr 1979 gegründete deutsche Verband der Filmarbeiterinnen
bereits damals eigene Statistiken und forderte 50 Prozent der Produktionsmittel für
Frauen (Verband Filmarbeiterinnen e. V. 1979).
Eine neue Welle an Protesten gegen die ungleiche Verteilung der Produktionsres-
sourcen entwickelte sich in den letzten fünf Jahren. Für den deutschen Kontext ist für
das Vorantreiben der Diskussion maßgeblich die Arbeit von Pro Quote Regie (seit
2014) bzw. Pro Quote Film (seit 2017) relevant, in Österreich ist es der 2010 gegründete
Verbund FC Gloria, und in der Schweiz gaben engagierte Filmemacher*innen 2015
die erste empirische Zahlengrundlage heraus und gründeten das Swiss Women’s
Audiovisual Network (SWAN) (Häberlin et al. 2015). Unterstützt wird diese Arbeit
von paneuropäischen Netzwerken wie European Women’s Audiovisual Network
(EWA) und der internationalen Vereinigung Women in Film and Television (WIFT).
Seit Bekanntwerden der sexuellen Übergriffe durch den Produzenten Harvey Wein-
stein 2017 werden in Bewegungen wie #MeToo und #TimesUp sexuelle Übergriffe,
sexistische Machtstrukturen und Machtmissbrauch in der Film- und Medienbranche
thematisiert, um ein Umdenken in der Industrie zu forcieren.
Die aktuelle Situation zeichnet sich durch die Erhebung von empirischem Daten-
material zum ungleichen Zugang von Frauen und Männern zur Filmindustrie aus
unterschiedlichen Blickwinkeln aus. Neben den empirischen Befunden aus diesem
aktuellen Datenmaterial werden im Folgenden entlang der Branchenargumente, in
Anlehnung an Loist (2018), die Gründe für die Unterrepräsentanz von Frauen
untersucht.1
Wenn hier vor allem von einer dichotomen Unterscheidung in Mann und Frau die
Rede sein wird, ist dies nicht unserem Verständnis von einer binären heteronorma-

1
Teile dieses Beitrages wurden in Loist 2018 publiziert.
Filmindustrie: Branchenkultur mit Gender Bias 573

tiven Idee von Geschlecht oder Geschlechterverhältnissen geschuldet, sondern liegt


vielmehr einerseits an fehlenden Erhebungen mit intersektionalem Verständnis und
einer überwiegend binär codierten Empirie, andererseits an einem noch an vielen
Stellen starren Gleichstellungsverständnis im Branchenfeld, das hier betroffen ist.
Umso wichtiger sind weiterführende politische wie methodische Diskussionen darü-
ber, wie mit Diversität im Feld der Medienindustrien umgegangen werden kann.

2 Status Quo: Die Unterrepräsentanz in Zahlen

Wie viele Frauen und Männer arbeiten in der Filmbranche, in welchen Gewerken
und in welchen Positionen? Um diese Frage zu beantworten, sind jüngst in Deutsch-
land, Österreich und der Schweiz – aber auch bei den europäischen Nachbarn – unter
Beteiligung der jeweiligen Filminstitute oder Förderinstitutionen aktuelle Studien
entstanden (Hochfeld et al. 2017; Prommer et al. 2017a; Flicker und Vogelmann
2018; Häberlin et al. 2015; Aylett 2016; Follows und Kreager 2016). Auch in den
USA gibt es eine Reihe regelmäßig erscheinender Studien, die Zahlen zu Gender
und Diversität vor und hinter der Kamera von Hollywood-Produktionen erheben
(Hunt et al. 2018; Lauzen 2018a; Smith et al. 2018). Im Vergleich wird deutlich, dass
die Genderungerechtigkeit in der Branche nicht auf nationale Produktionskontexte
beschränkt ist, sondern sich systematisch durch die gesamte internationale Filmin-
dustrie zieht.
Die Zahlen werden vor allem für die wichtigsten kreativen Stabspositionen
erhoben. Hier sind in allen Bereichen (Spielfilm, Dokumentarfilm, Animation,
Fernsehen, Kinderfernsehen) deutlich mehr Männer in kreativen Leitungsfunktionen
tätig, obwohl in den meisten Ländern die Anteile in der Ausbildung fast paritätisch
sind (Aylett 2016). Die Zahlen beziehen sich meist auf die sogenannten Above-the-
Line-Positionen. Unter diese fallen Positionen und Gewerke in der Filmproduktion,
die im Vorspann eines Filmes genannt werden, also Produktion, Regie, Drehbuch
und Kamera. Dies sind in der Regel auch die Positionen, die in der Entwicklungs-
phase der Filmprojekte bereits feststehen und die in der Diskussion um kreative
Teams für Fördermechanismen und Daten-Monitoring relevant sind (Flicker und
Vogelmann 2018, S. 37). Diese Schlüsselpositionen haben auch den größten Einfluss
auf die weitere Vergabe von Teampositionen und entscheiden über die Diversität der
Figuren und der Besetzung. Im Gegenzug und mit der Tendenz zur geringeren
Wertschätzung wird von Below-the-Line-Positionen gesprochen, also oft hierar-
chisch tiefer angesiedelten Positionen am Set, in denen meist weibliche Assistentin-
nen beschäftigt sind, wie die Continuity, die Regie-Assistenz oder die Caster*innen
im Bereich Kinofilm oder Reality-TV (Grindstaff 2015). So bestätigt auch die
aktuelle österreichische Erhebung für die Filmindustrie diese vertikale Segmenta-
tion: je weiter unten eine Stabsstelle in der Hierarchie angesiedelt ist, desto mehr
Frauen arbeiten in diesem Bereich (Flicker und Vogelmann 2018, S. 15).
Betrachtet man die Anteile von Frauen in den jeweiligen Gewerken, die die
verschiedenen Studien für einzelne Länder ausweisen, dann gibt es selbst innerhalb
von Europa deutliche Unterschiede. Den geringsten Anteil an weiblichen Regiefüh-
574 E. Prommer und S. Loist

Europa (2006–2013) 18

A (2012–2016) 26

CH (2013–2014) 24

D (2011–2015) 23

F (2008–2012) 21

GB (2006–2013) 14

I (2006–2013) 11

S (2017) 40

USA (2018) 8

0 5 10 15 20 25 30 35 40 45

Regie: Anteil von Frauen %

Abb. 1 Regie: Anteil von Frauen in % im Ländervergleich. (Quellen: Lauzen 2019, S. 26;
Hochfeld et al. 2017, S. 14; Follows und Kreager 2016, S. 27; Aylett 2016, S. 51; Flicker und
Vogelmann 2018, S. 15; Häberlin et al. 2015, S. 15; Swedish Film Institute 2017, S. 6)

renden, der je nach Jahr zwischen 2 und 8 % liegt, gibt es in den USA (siehe Abb. 1).
In Europa liegt der Frauenanteil bei der Regie bei durchschnittlich 18 %, im
Einzelnen bei 11 % in Italien, 24 % in der Schweiz, 14 % in Großbritannien, 21 %
in Frankreich, 23 % in Deutschland und 26 % in Österreich (Hochfeld et al. 2017,
S. 14; Aylett 2016, S. 149; Flicker und Vogelmann 2018, S. 15; Häberlin et al. 2015,
S. 15). Auch in den skandinavischen Ländern liegt der Frauenanteil bei der Regie bei
ca. 15 % (Edström und Mølster 2014) – mit einer Ausnahme: In Schweden liegt der
aktuelle Anteil von Regisseurinnen bei 40 % (Swedish Filminstitut 2017, S. 6).
Für die unterschiedlichen Gewerke liegen nicht für alle Länder vergleichbare
Daten vor (siehe Abb. 2). In der Funktion einer Produzent*in waren in Deutschland
bei 42 % der Filme Frauen beteiligt, aber nur 14 % wurden von Frauen allein
produziert. Im Bereich Drehbuch bewegt sich der Anteil von Frauen in Deutschland
um die 23 %. In den anderen Gewerken der deutschen Filmproduktion gibt es relativ
ausgewogene Positionen (Szenografie), solche mit starker Überrepräsentanz von
Männern (Ton und Kamera um die 90 %, Schnitt 70 %) oder von Frauen (Kostüm
mit 80 %) (Hochfeld et al. 2017, S. 14). Für Österreich zeigt sich eine ähnliche
Verteilung in den kreativen Schlüsselpositionen: Der Anteil der Produzentinnen liegt
bei 16 % und bei Drehbuchautorinnen bei 29 %. Deutlich wird hier auch ein Gender
Pay Gap, so liegt in fast jeder Stabsposition der Anteil der Honorare von Frauen
unter dem Frauenanteil (Flicker und Vogelmann 2018, S. 15). In Großbritannien
Filmindustrie: Branchenkultur mit Gender Bias 575

90
80
Kostüm 79

46
42
Szenografie 31

57
30
Schnitt 15
21

29
23
Drehbuch 15
16
35
16
14
Produktion 26
26
32
12
10
Kamera 6
4

5
4
Ton

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

A (2012–2016) D (2011–2015) GB (2004–2014) USA (2018) CH (2013–2014)

Abb. 2 Gewerke: Frauenanteil in % im Ländervergleich. (Quellen: Lauzen 2019, S. 26; Hochfeld


et al. 2017, S. 14; Follows und Kreager 2016, S. 27; Flicker und Vogelmann 2018, S. 15; Häberlin
et al. 2015, S. 15; Swedish Film Institute 2017, S. 6)

zeigt sich ein ähnliches Bild, mit 25 % Produzentinnen und 14 % Drehbuchautorin-


nen (Follows und Kreager 2016, S. 27).
Daten für Fernsehproduktionen liegen nur für Deutschland vor: Hier ist die
Geschlechterverteilung in kreativen Schlüsselpositionen ähnlich ungleich, fällt teils
für Frauen sogar schlechter aus. Auch hier übernehmen mehrheitlich Männer die
Leitungsfunktion in kreativen Schlüsselpositionen. Bei Produktionen von ARD und
ZDF führen zu über 80 % Männer allein Regie, nur bei 14 % Frauen allein, und bei
drei Prozent (insbesondere bei fiktionalen Serien) ist es ein gemischtgeschlechtliches
Team (Prommer et al. 2017a, S. 3–4).
Insgesamt sind seit den 1980er-Jahren kaum merkliche Verbesserungen für die
Situation von weiblichen Film- und Fernsehschaffenden sichtbar (Lauzen und
Dozier 1999). Lediglich in Schweden sind seit dem Amtsantritt von Anna Serner
2011 als Leiterin des Swedish Film Institutes, die ab 2015 gezielte Maßnahmen
durchsetzte, solide Steigerungen zu verzeichnen. Der Frauenanteil hat sich dadurch
in allen Positionen von 23 % in den Jahren vor 2013 auf eine fast paritätische
Verteilung im Jahr 2017 verbessert (Swedish Film Institute 2017).
Auch für das Jahr 2016, von der Filmkritik aufgrund der Erfolge von Maren Ades
Toni Erdmann oder der viel beachteten Regiearbeiten von Maria Schrader (Vor der
576 E. Prommer und S. Loist

Morgenröte) und Nicolette Krebitz (Wild ), häufig als das ‚Jahr der Regisseurinnen‘
bezeichnet, zeigt der aktuelle deutsche Diversitätsbericht einen Regisseurinnen-
Anteil von lediglich 22 % (BVR 2017, S. 6) und damit keine signifikante Ver-
änderung für den Bereich Regie seit 2009. Auch für die Bereiche Drehbuch (68 %
ausschließlich von Männern verfasst) und Produktion (58 % ausschließlich von
Männern produziert) gibt es keinen Anstieg der Frauenanteile (Prommer 2018).

3 Erklärungsansätze für die Unterrepräsentanz: Argumente


der Branche

Im Rahmen von unzähligen Debatten taucht hartnäckig eine Reihe von teils wider-
sprüchlichen Argumenten auf, warum Frauen in kreativen Führungspositionen un-
terrepräsentiert sind. Das Schwedische Filminstitut hat die Argumente der Branche,
sich für die Unterrepräsentanz von Frauen in den kreativen Stabsstellen zu entschul-
digen, pointiert zusammengefasst. Es gäbe erstens nicht genug kompetente Frauen,
zweitens hätten diese nicht genug Erfahrung und würden drittens gar nicht Regie
führen wollen. Viertens würde eine mögliche Quote zu geringer Qualität der Filme
führen, und die Industrie, die ja wüsste, was gut für die Branche ist, und genderblind
sei, da es ja nur um Qualität gehe, würde keinen Wechsel brauchen (Swedish Film
Institute 2017, S. 18). Im Folgenden wird auf diese Argumente eingegangen und
gezeigt, dass gender bias jeweils eine entscheidende Rolle spielt.

3.1 Es fehle an guten Frauen

Häufig wird darauf verwiesen, dass es einfach „keine guten Frauen“ als Regisseu-
rinnen gäbe. Verfügbare Absolvierendenzahlen von Filmhochschulen legen dabei
nahe, dass ein großes Potenzial weiblicher Filmschaffender vorhanden ist, das aber
nicht in der Branche ankommt (Jenke 2013, 2015; Slansky 2011; Aylett 2016). In
Deutschland sind durchschnittlich 40 % der Filmhochschul-Alumni Frauen. In
Studiengängen wie Regie, Schnitt/Montage, Produktion und Drehbuch ist knapp
die Hälfte der Studierenden weiblich. In Szenografie studieren überwiegend Frauen,
nur im Bereich Ton und Sound-Design (fast 90 %) und Cinematography (75 %)
studieren überwiegend Männer (Hochfeld et al. 2017, S. 26). Das Gleiche gilt für
Österreich, an deren Filmakademie über 40 % der Studierenden Frauen sind (Flicker
und Vogelmann 2018, S. 33). Der Vergleich des Potenzials von Frauen, das heißt der
Anzahl der Absolventinnen von Filmhochschulen vor 15–20 Jahren, und der aktuell
tatsächlich in den jeweiligen Positionen im Kino- und Fernsehbereich tätigen Frauen
zeigt Folgendes: In den Bereichen Regie, Drehbuch und Szenografie arbeitet nur die
Hälfte der Frauen, die es potenziell könnten, in der Produktion ist es ein Viertel.
Lediglich im Bereich Ton stimmt das Potenzial mit der Anzahl von im Markt tätigen
Frauen überein. Auffällig sind die Differenzen im Bereich Schnitt/Montage. In
diesem Bereich haben vor 15–20 Jahren überwiegend Frauen studiert, jetzt werden
Filmindustrie: Branchenkultur mit Gender Bias 577

jedoch nur ein Fünftel aller Filme von Frauen geschnitten und montiert, somit
kommt nur ein Viertel des Potenzials zum Zuge.
Die Studie Cut Out of the Picture des britischen Regieverbands Directors UK
zeigt ebenfalls klare Unterschiede bei der Karriereentwicklung. Während nach dem
zweiten Film noch fast zu gleichen Teilen Männer und Frauen Filme machen, wird
es für Frauen nach dem dritten und vierten Film ungleich schwerer als für ihre
männlichen Kollegen. Stephen Follows und Alexis Kreager (2016) zeigen auch, dass
bei steigendem Filmbudget der Frauenanteil sinkt und damit die Karriereentwick-
lung für Frauen eindeutig erschwert ist. Andere internationale Studien bestätigen
diese Effekte: Sowohl für die erfolgreichsten amerikanischen Filme einer Dekade
(2007–2017) als auch für die französische Produktionslandschaft (2006–2016) gilt,
dass Männer mehr Projekte realisieren konnten als Frauen (Smith et al. 2015, 2018;
La Deuxième Regard 2018).
Eine weitere Verschärfung der Situation entsteht aus der Tatsache, dass Erfahrung
und Einkommen sich ebenfalls bedingen. Der massive Gender Pay Gap, das
geschlechtsspezifische Lohngefälle, im Film- und Fernsehbereich ist auch an diese
Parameter gekoppelt. Für Deutschland hat Jörg Langer (2016, S. 38) ein geschlechts-
spezifisches Lohngefälle von durchschnittlich 25 % festgestellt. Fehlende Chancen
und die deutlich schlechtere Bezahlung führen fast logischerweise dazu, dass Frauen
ihre erlernten Berufe verlassen und in andere, möglicherweise branchennahe, Posi-
tionen ausweichen.

3.2 Qualität und kommerzieller Erfolg

Ein Argument gegen Frauen ist Qualität, die einerseits als kommerzieller Erfolg oder
künstlerischer Erfolg gesehen werden kann. Als kommerzielle Qualität würden dann
Einspielergebnisse und Box-Office-Umsätze zählen. Filme von Frauen haben
gegenüber Filmen mit männlicher Regie durchschnittlich geringere Besucher*in-
nenzahlen und spielen somit auch geringere Umsätze an der Kinokasse ein (Prom-
mer und Loist 2015, S. 13–14; Diening et al. 2017; Hochfeld et al. 2017, S. 17;
Follows und Kreager 2016, S. 116). Auf den ersten Blick spricht das für einen
geringeren kommerziellen Erfolg der Filme von Frauen. Der zweite Blick zeigt
allerdings, dass Frauen in der Filmproduktion in allen Bereichen strukturell benach-
teiligt sind. Dies beginnt bei der mangelnden Finanzierung der Stoffentwicklung im
Bereich Drehbuch, zieht sich durch die Produktionsstufen von Finanzierung bis zur
Umsetzung durch die Gewerke und ist auch im Vertrieb sichtbar.
Die durchschnittliche Förderung von Filmprojekten mit weiblicher Regie ist in
Europa in allen Ländern geringer als jene für Regisseure (Aylett 2016, S. 39–40). In
Deutschland erhalten Frauen für ihre Projekte nur zwei Drittel der Summe, die Filme
mit männlicher Regie erhalten (Prommer und Loist 2015, S. 1; Diening et al. 2017).
Die geringe Förderung geht oft mit einem geringeren Filmbudget einher. Eine Frau
bekommt nur gut die Hälfte der Mittel je Produktion (56 %). Filme mit sehr hohen
Budgets werden fast ausschließlich von Männern in der Regie gemacht (Prommer
578 E. Prommer und S. Loist

und Loist 2015, S. 11–12). Diese ungleiche Verteilung der Fördermittel gilt auch für
Österreich und die Schweiz (Flicker und Vogelmann 2018; Häberlin et al. 2015).
Neben der geringen Filmförderung, die einem Projekt mit einer Regisseurin
zukommt, hat diese damit auch ein geringes Gesamtbudget zur Verfügung (BVR
2017, S. 11). Dieses insgesamt niedrigere Budget führt offensichtlich zu einem vom
Verleiher antizipierten geringeren kommerziellen Potenzial, da Filme von Regisseu-
rinnen mit einer geringeren Kopienzahl starten. Die kleinere Kopienzahl führt zu
einem niedrigeren Einspielergebnis dieser Filme. Im Independentfilm-Bereich wer-
den Filme von Regisseurinnen oft von kleineren Verleihern gekauft und mit wenig
Kopien gestartet (Child 2015). Diese Fakten führen dazu, dass Filme von Frauen
wenig sichtbar sind. Die globale Filmauswertung zeigt, dass 2013–2015 nur 3 %
aller Kinoaufführungen Filme von Frauen betrafen, obwohl sie für 15 % der
gestarteten neuen Filme standen (Verhoeven und Coate 2018). Die Sichtbarkeit der
Filme von Regisseurinnen wird außerdem durch fehlende oder negative Kritiken
beeinträchtigt. Auch der Bereich der Filmkritik wird von Männern dominiert. Männ-
liche Kritiker schreiben erstens seltener über Filme von Frauen, und zweitens
bewerten sie diese häufig schlechter als weibliche Kritiker (Lauzen 2018b; Diening
et al. 2017).
Die durchschnittlich höheren Besucher*innenzahlen bei von Männern inszenier-
ten Filmen in Deutschland liegt an einigen wenigen sehr erfolgreichen „Ausnahme-
filmen“, wie Der Medicus (2013), Fack ju Göthe (2013), Männerherzen (2009) oder
Kokowääh (2011). Diese Filme führen zu einer Verzerrung der Unterschiede. Nimmt
man diese Filme, die in dem Fünfjahres-Zeitraum von 2009–2013 lediglich fünf
Prozent aller Filme ausmachen, bei der Durchschnittsberechnung heraus, so unter-
scheiden sich Filme, die von Frauen oder von Männern inszeniert wurden, nur
geringfügig bei den absoluten Besucher*innenzahlen (Prommer und Loist 2015,
S. 13–14).
Wenn jedoch eine Frau Regie führt oder produziert, geht sie effizienter mit ihren
Fördermitteln um. Ein Mann braucht in der jeweiligen Position mehr als das
Dreifache der Fördermittel, um eine*n Besucher*in ins Kino zu locken. Fasst man
die deutschen Fördersummen zusammen, so wird eine verkaufte Kinokarte eines
männlichen Regisseurs mit fast 41 Euro über Filmförderung subventioniert und die
verkaufte Kinokarte für einen Film einer Regisseurin mit nur 13 Euro. Auch
Produzentinnen benötigen weniger Filmförderung, um eine*n Kinobesucher*in zu
generieren (17 Euro eine Produzentin vs. 42 Euro ein Produzent) (Prommer 2018,
S. 4).
Die genaue Analyse zeigt also, dass der gender bias der Branche sich durch alle
Ebenen zieht und auch die Definition kommerzieller Qualität beeinflusst.

3.3 Qualität durch künstlerische Erfolge

Definiert man Erfolg hingegen als künstlerischen Erfolg, dann müssen Filmpreise
bzw. die Nominierung für Preise sowie die Teilnahme an Filmfestivals betrachtet
Filmindustrie: Branchenkultur mit Gender Bias 579

werden. Hier sind von Frauen inszenierte Filme erfolgreicher, indem sie häufiger
Filmpreise gewinnen.
Die Studie Wer dreht deutsche Kinofilme? zeigt, dass 58 % der deutschen Filme
2009–2013 mit weiblicher, aber nur 46 % derer mit männlicher Regie Preise
gewannen. Zudem waren Filme von Regisseurinnen auch häufiger auf Filmfestivals
zu sehen (durchschnittlich 3,3 Festivals pro Film mit weiblicher und 2,7 Festivals
mit männlicher Regie) und haben einen längeren Festivallauf (Prommer und Loist
2015, S. 15–17). Auch im europaweiten Vergleich nehmen Filme von Regisseurin-
nen häufiger an nationalen und internationalen Festivals teil und gewinnen mehr
Filmpreise (Aylett 2016, S. 58–61). Diese Ergebnisse lassen jedoch nicht den
Umkehrschluss zu, dass die Programmgestaltung der Festivals paritätisch Filme
von Regisseur*innen zeigt. Weil es zahlenmäßig viel weniger Filme von Regisseu-
rinnen gibt, die ja nur bei ca. 20 % der Filme Regie führen, sind diese trotzdem bei
den von der Branche als A-Festivals bezeichneten Events wie Berlinale, Cannes,
Venedig, Toronto unterrepräsentiert (Smith et al. 2014; Hannemann 2016; Krainhö-
fer und Schreiber 2016). Eindrücklich zeigten dies die 82 Frauen, die sich im Jahr
2018 auf den Stufen des Filmfestivals in Cannes präsentierten, um zu zeigen, dass in
72 Jahren 1688 Regisseure im Festival ihre Filme zeigten und nur 82 Frauen
(5050X2020 2018). Das ist ein Fakt, der seit Jahren auf einflussreichen Festivals
wie Cannes und Venedig diskutiert wird (La Barbe 2012; Lauzen 2016; Vivarelli
2018a) und sich langsam in Selbstverpflichtungen niederschlägt (Vivarelli 2018b).
Filme von Frauen sind somit bei Jurys und Festivalgestalter*innen angesehener.
Das vielgeäußerte Argument der rein qualitativen Selektion von Filmstoffen und
Besetzung von kreativen Positionen, auf die Frage, warum Frauen nicht zum Zuge
kommen, muss angesichts dieser Ergebnisse also klar mit dem gender bias beant-
wortet werden.

4 Weibliche oder männliche Sichtweisen?

Es lohnt sich auch ein Blick auf die Verknüpfung von Produktionsbedingungen
hinter der Kamera mit dem, was vor der Kamera bzw. auf der Leinwand passiert. In
Österreich, Deutschland und Großbritannien haben Studien jeweils gezeigt, dass bei
Produktionen, in denen mehr Frauen kreative Leitungspositionen besetzen, auch
mehr weibliche Protagonist*innen vorkommen (Flicker und Vogelmann 2018,
S. 18–21; Prommer und Linke 2017; Follows und Kreager 2016, S. 33). Das ist
signifikant in Bezug auf aktuelle Erhebungen, die zeigen, dass nur ein Drittel aller
Filmrollen in Hollywood oder der Protagonist*innen im deutschen Fernsehen weib-
lich sind. Für das Kinderfernsehen sieht es mit einem Verhältnis von 1 : 3 sogar noch
deutlich schlechter aus (Prommer et al. 2017b). Männer, die Regie, Kamera, Pro-
duktion und Drehbuch in ihrer Hand haben, lassen uns weniger Frauen auf Lein-
wand oder Bildschirm sehen. Umgekehrt werden mehr Frauen sichtbar, je mehr
Frauen die Positionen Regie, Drehbuch oder Produktion besetzen. Das gilt für das
Kino und – noch ausgeprägter – für das Fernsehen. Eine weibliche Redakteurin
besetzt fast dreimal so viele weibliche Protagonistinnen wie ein männlicher Redak-
580 E. Prommer und S. Loist

teur. Sind Drehbuch und Produktion von Frauen besetzt, dann werden ebenfalls
signifikant mehr weibliche Protagonistinnen sichtbar. Das heißt, je mehr Frauen
hinter der Kamera in Leitungsfunktionen agieren, desto mehr Frauen sehen wir auf
der Leinwand als Protagonistinnen.
Hinzu kommt der Fakt, dass Frauen in Above-the-line-Positionen weitere Frauen
in andere kreative Schlüsselpositionen holen. Produzentinnen arbeiten doppelt so oft
mit einer Regisseurin, mehr als doppelt so oft mit einer Autorin und auch deutlich
häufiger mit Szenografinnen zusammen. Regisseurinnen arbeiten öfter mit Dreh-
buchautorinnen und Kamerafrauen zusammen (Hochfeld et al. 2017, S. 19 und
S. 44). Der Österreichische Film Gender Report und der britische Bericht der
Directors UK stellte einen generellen Anstieg von Frauen in anderen Stabstellen
fest, wenn eine Frau Regie führt. Frauen sind also nicht das Problem im Netzwerk
(Flicker und Vogelmann 2018, S. 21; Follows und Kreager 2016, S. 32–33).

5 Gründe für die Unterrepräsentanz von Frauen:


Genderspezifische Barrieren

In der aktuellen Untersuchung der deutschen Filmförderungsanstalt (FFA) der Studie


des European Women’s Audiovisual Network (EWA) wurden großflächige Online-
befragungen der Branche gepaart mit Expert*inneninterviews durchgeführt (Hoch-
feld et al. 2017; Aylett 2016). Drei Viertel aller in Europa befragten Personen sehen
Frauen in der Branche als deutlich benachteiligt an (Aylett 2016, S. 9). Darüber
hinaus machten die Befragungen die in der Medienbranche vorherrschenden stereo-
type Zuschreibungen deutlich. So werden Männern, im Gegensatz zu Frauen, die
Attribute zugeschrieben, die in der Branche als erfolgsrelevant gelten: Durchset-
zungsstärke, Selbstdarstellung und die Fähigkeit zum Netzwerken. Es werden
bestimmte Berufsbilder wie Regie (Durchsetzungsvermögen einer künstlerischen
Vision, physisches und psychisches Durchhaltevermögen) und Produktion (Risi-
koaffinität, Übernahme von Verantwortung) als klar männlich konnotiert (Hochfeld
et al. 2017, S. 34–37, S. 42–46). Anhand der geschlechtsspezifisch konnotierten
Zuschreibungen, die wiederum auf Arbeitsprozesse und Berufsbilder übertragen
werden, werden so klar gegenderte Arbeitskulturen geschaffen, in denen – auch
wenn solche stereotypen Zuschreibungen auch Männer betreffen – eine Benachtei-
ligung von Frauen verstärkt wird.
Der wichtigste Punkt, der sich in allen Studien herauskristallisierte, ist, dass
Frauen als Risiko gesehen werden. Frauen seien insofern ein Risiko, da sie mögli-
cherweise schwanger werden könnten, sie nicht so durchsetzungsstark seien wie
Männer oder ihnen die totale Hingabe zum Projekt fehle, da sie sich auch um ihre
Familie Gedanken machen müssten (Hochfeld et al. 2017, S. 44–46). Die Filmin-
dustrie sei ein hochriskantes Business, bei dem es um hohe Summen pro Projekt
gehe, und deshalb wolle man keine Risiken eingehen, was letztlich zur Reproduktion
von Bewährtem führt. Dementsprechend antworteten die Befragten der europä-
ischen Filmbranche, dass sowohl für eine kommerzielle Finanzierung (56 %) als
Filmindustrie: Branchenkultur mit Gender Bias 581

auch für die öffentliche Filmförderung (31 %) eine Frau in der Regie negativ
betrachtet würde (Aylett 2016).
Das bedeutet, dass Erfolge von Frauen anders bewertet werden. Aufgrund des
oben beschriebenen, beharrlich anzutreffenden unconscious bias werden Frauen –
trotz erfolgreicher früherer Produktionen – nicht wahrgenommen und oftmals Män-
ner bevorzugt. Zusätzlich zu dieser Benachteiligung verlieren Frauen Zeit und
Energie, weil sie sich ständig bewähren und konstant Strategien entwickeln müssen,
wie sie strategisch mit dem bias umgehen (Hochfeld et al. 2017, S. 36–37).

6 Fazit: Erste Schritte für den Wandel in der Branche

Die skizzierten Studien der letzten Jahre belegen deutlich, dass alle Bereiche der
Film- und Fernsehbranche von diskriminierenden Strukturen durchzogen sind. Dies
beginnt bei der Stoffentwicklung im Bereich Drehbuch, zieht sich durch die Pro-
duktionsstufen von Finanzierung bis zur Umsetzung durch die Gewerke und ist auch
im Vertrieb sichtbar. Dies hat einerseits mit einem gender bias in der Wahrnehmung
des Arbeitskontexts zu tun, und andererseits mit einem gendering der Produktions-
kulturen, d. h., wie bestimmte Gewerke und Positionen im kreativen Prozess bzw. in
der Kreativbranche durch Geschlecht konstruiert werden (Banks 2009, S. 87). Wir
können von einer gegenderten, männlich-konstruierten Industrie sprechen, da
Frauen in allen Bereichen strukturell benachteiligt werden. Für eine Branche, die
sich selbst als künstlerisch und kreativ bezeichnet, sind die vorherrschenden Stereo-
type erschreckend traditionell und wenig fortschrittlich.
Bisher gibt es für Deutschland keine film- und fernsehindustriespezifischen
Gleichstellungspläne (außer in den öffentlich-rechtlichen Sendern beim festange-
stellten Personal), die versuchen, die strukturellen Barrieren aufzubrechen. Die
Förderchefin der deutschen Filmförderungsanstalt (FFA), Christine Berg, ist gegen
eine Quote, meint aber immerhin: „aber man kann verlangen, dass es Frauen
genauso schwer oder leicht haben wie Männer“ (zitiert nach Diening et al. 2017).
Im Vergleich ist die Förderchefin des Schwedischen Filminstituts, Anna Serner,
mit dem „schwedischen Weg“ und der Strategie konkreter Zielvorgaben von min-
destens 40 % geförderter Projekte von Frauen viel klarer in ihrem Bestreben, Gen-
dergerechtigkeit in der Branche herzustellen (Serner 2017). Dabei zeigt das Beispiel
Schweden, dass auch ohne gesetzliche Quote eine 50 %ige Beteiligung von Frauen
an Kinofilmen erreicht werden kann (Swedish Film Institute 2018). Notwendig ist
jedoch der politische Wille, durch Zielvorgaben, Einforderung von Personalent-
scheidungen und Sichtbarmachen von Frauen als Regisseurinnen und Produzentin-
nen einen Wandel zu fördern.
Anders geht die europäische Co-Produktionsförderung Eurimage vor, die durch
ein Bonuspunkte-System die Gleichstellung fördert. Bei Eurimage wird nicht nur die
Regie betrachtet, sondern auch der Inhalt der Filme (Castro Martinez 2016). Zusätz-
lich fördert Eurimage auch die Produzentinnen, da diese vermehrt mit Regisseurin-
nen und Drehbuchautorinnen zusammenarbeiten und so auch mehr Frauen auf der
Leinwand sichtbar werden. Auch das Österreichische Filminstitut hat 2016 ein
582 E. Prommer und S. Loist

„Gender Incentive“-System eingeführt, um einen geschlechtergerechten Wandel zu


befördern (Österreichisches Filminstitut 2016). Hier bekommen Projekte mit hohem
weiblichem Anteil im Produktionsteam einen finanziellen Bonus für das nächste
Projekt gutgeschrieben. Auf Europäischer Ebene wurde im September 2017 eine
Empfehlung der Ministerkommission des Europarates zu „Gender Equality in the
Audiovisual Sector“ abgegeben, die die EU-Mitgliedstaaten auffordert, in dem
Bereich aktiv zu werden (Council of Europe 2017). Es bleibt also zu hoffen, dass
die verschiedenen Initiativen einen nachhaltigen Wandel in dieser stark durch
gegenderte Vorurteile geprägten Branche bewirken werden.

Literatur
5050x2020. 2018. Cannes statement. Webseite 5050x2020. http://5050x2020.fr/docs/5050x2020-
Cannes-Statement.pdf. Zugegriffen am 03.08.2018.
Angerer, Marie-Luise. 1994. Frauen in der österreichischen Medien- und Kulturindustrie: Zur
Beschäftigungslage von Frauen als Medien- und Kulturproduzentinnen und -vermittlerinnen in
der audiovisuellen Produktion. Wien: Bundeskanzleramt.
Aylett, Holly. 2016. Where are all the women directors? Report on gender equality for directors in
the European film industry. Hrsg. v. European Women’s Audiovisual Network, Strasbourg.
Banks, Miranda J. 2009. Gender below-the-line: Defining feminist production studies. In Produc-
tion studies: Cultural studies of media industries, Hrsg. Vicki Mayer, Miranda J. Banks, und
John T. Caldwell, 87–98. New York: Routledge.
BVR Bundesverband Regie. 2017. Vierter Regie-Diversitätsbericht des BVR für das Jahr 2016:
Genderanalyse zur Regievergabepraxis in deutschen fiktionalen Primetime-Programmen von
ARD, ZDF, RTL, SAT.1 und VOX sowie im deutschen Kinospielfilmen. Berlin.
Castro Martinez, Isabel. 2016. Why gender equality matters to Eurimages, the European Film
Co-Production Fund. European Journal of Women’s Studies 23(4): 440–446. https://doi.org/
10.1177/1350506816666220.
Child, Ben. 2015. Study suggests female-directed films ‚get smaller distribution deals‘. The
Guardian, 4. Mai.
Council of Europe. 2017. Recommendation CM/Rec(2017)9 of the Committee of Ministers to
member States on gender equality in the audiovisual sector. search.coe.int/cm/Pages/result_
details.aspx?ObjectID=09000016807509e6. Zugegriffen am 29.05.2018.
Diening, Deike, Hendrik Lehmann, Fabian Altenried, Sonja Rückert, Rebecca Ciesielski, und Julia
Gabel. 2017. Niedrige Drehzahl: Warum Frauen so wenig Filme machen. Tagesspiegel, 13.
Februar.
Edström, Maria, und Ragnhild Mølster, Hrsg. 2014. Making change: Nordic examples of working
towards gender equality in the media. Göteborg: Nordicom.
Flicker, Eva, und Lena Lisa Vogelmann. 2018. Österreichischer Film Gender Report 2012–2016:
Zentrale Ergebnisse. Wien: Universität Wien.
Follows, Stephen, und Alexis Kreager. 2016. Cut out of the picture: A study of gender inequality
amongst film directors in the UK film industry. London.
Grindstaff, Laura. 2015. Business as usual, American style: Reality tv and the gendered politics of
‚women’s work‘. In Gender – Medien – Screens: (De)Konstruktionen aus wissenschaftlicher
und künstlerischer Perspektive, Hrsg. Elizabeth Prommer, Martina Schuegraf, und Claudia
Wegener, 183–197. Konstanz: UVK.
Häberlin, Ursula, Nicole Schroeder, Stéphane Mitchell, Gabriel Baur, Britta Rindelaub, und Eva
Vitija. 2015. Schweizer Filmförderung: Die Gender-Frage. Zürich: Lausanne.
Filmindustrie: Branchenkultur mit Gender Bias 583

Hannemann, Mahelia. 2016. Accept Diversity! Accept Equality?: Eine analytische Untersuchung
des Anspruchs und der Realität von Gleichstellung in der Filmindustrie mit Hinblick auf die
Funktion des internationalen Filmfestivals Berlinale. Frankfurt a. M.: Peter Lang.
Hochfeld, Katharina, Karen Genz, Vivien Iffländer, und Elizabeth Prommer. 2017. Gender und
Film: Rahmenbedingungen und Ursachen der Geschlechterverteilung von Filmschaffenden in
Schlüsselpositionen in Deutschland. Berlin: Filmförderungsanstalt.
Hunt, Darnell, Ana-Christina Ramón, Michael Tran, Amberia Sargent, und Debanjan Roychoud-
hury. 2018. Hollywood Diversity Report 2018: Five years of progress and missed opportunities.
Los Angeles: UCLA College Social Sciences.
Jenke, Marion. 2013. Berufswege von Alumni einer Filmhochschule: Arbeitsmarktsituation und
Spezifika des Studiums. Wiesbaden: Springer VS.
Jenke, Marion. 2015. Weibliche Karrieren: Absolventinnen der HFF ‚Konrad Wolf‘ und ihre
berufliche Situation. In Gender – Medien – Screens: (De)Konstruktionen aus wissenschaftlicher
und künstlerischer Perspektive, Hrsg. Elizabeth Prommer, Martina Schuegraf, und Claudia
Wegener, 149–160. Konstanz: UVK.
Krainhöfer, Tanja C., und Konrad Schreiber. 2016. Frauen zeigen ihr Gesicht, Männer ihre Filme:
Untersuchung der Repräsentanz von Filmwerken von Frauen im Programm deutscher Film-
festivals. http://www.filmfestival-studien.de/wp-content/uploads/Gender-Studie-Deutscher-Film
festivals-2016.pdf. Zugegriffen am 10.05.2016.
La Barbe. 2012. Men of the Cannes Film Festival. Keep defending those masculine values. The
Guardian, 15. Mai.
La Deuxième Regard. 2018. Equality behind the scenes. Paris. http://www.5050x2020.fr/en/study/
parity. Zugegriffen am 12.08.2018.
Langer, Jörg. 2016. Die Situation der Film- und Fernsehschaffenden 2015. Studie zur sozialen
Lage, Berufszufriedenheit und den Perspektiven der Beschäftigten der Film- und Fernseh-
produktionswirtschaft Deutschlands 2015. Hrsg. v. Die Filmschaffenden e. V., Berlin.
Lauzen, Martha M. 2016. Image repair: A case study of Thierry Fremaux and the Cannes Film
Festival. Public Relations Review 42(1): 170–175. https://doi.org/10.1016/j.pubrev.2015.11.002.
Lauzen, Martha M. 2018a. The celluloid ceiling: Behind-the-scenes employment of women on the
top 100, 250, and 500 films of 2017. San Diego: Center for the Study of Women in Television
and Film, San Diego State University.
Lauzen, Martha M. 2018b. Thumbs down 2018: Film critics and gender, and why it matters. San
Diego: Center for the Study of Women in Television and Film, San Diego State University.
Lauzen, Martha M. 2019. The celluloid ceiling: Behind-the-scenes employment of women on the top
100, 250, and 500 films of 2018. San Diego: Center for the Study of Women in Television and
Film, San Diego State University.
Lauzen, Martha M., und David M. Dozier. 1999. The role of women on screen and behind the
scenes in the television and film industries: Review of a program of research. Journal of
Communication Inquiry 23(4): 355–373. https://doi.org/10.1177/0196859999023004004.
Loist, Skadi. 2018. Gendered Media Industries: Argumente für eine geschlechtergerechte und
diverse Filmindustrie. Navigationen 18(2): 135–158.
Österreichisches Filminstitut. 2016. Gender incentive. Wien. https://www.filminstitut.at/de/
menu108/news242/. Zugegriffen am 29.05.2018.
Prommer, Elizabeth. 2018. Effizienz in der Filmförderung des Bundes nach Geschlecht. (Unver-
öffentlichtes Manuskript). Rostock.
Prommer, Elizabeth, und Christine Linke. 2017. Audiovisuelle Diversität? Geschlechterdarstellun-
gen in Film und Fernsehen in Deutschland. Kurzbericht. Rostock: Universität Rostock.
Prommer, Elizabeth, und Skadi Loist. 2015. Wer dreht deutsche Kinofilme? Gender Report:
2009–2013. Rostock: Universität Rostock.
Prommer, Elizabeth, Katharina Hochfeld, Karen Genz, und Vivien Iffländer. 2017a. Gender und
Fernsehfilm: Eine Studie der Universität Rostock und des Fraunhofer-Instituts im Auftrag von
ARD und ZDF. http://www.ard.de/download/3841216/Gender_und_Fernsehfilm___Eine_Stu
die_im_Auftrag_von_ARD_und_ZDF.pdf. Zugegriffen am 04.01.2019.
584 E. Prommer und S. Loist

Prommer, Elizabeth, Christine Linke, und Julia Stüwe. 2017b. Is the Future Equal? Geschlechter-
repräsentationen im Kinderfernsehen. Televizion 30(2): 4–10.
Serner, Anna. 2017. Der schwedische Weg: ‚Genug geredet – jetzt ist Zeit zu handeln‘. Televizion
30(2): 66–68.
Slansky, Peter C. 2011. Filmhochschulen in Deutschland: Geschichte, Typologie, Architektur.
München: Ed. Text + Kritik.
Smith, Stacy L., Katherine Pieper, und Marc Choueiti. 2014. Exploring the barriers and opportu-
nities for independent women filmmakers: Phase I and II. Los Angeles: Annenberg School for
Communication and Journalism, University of Southern California.
Smith, Stacy L., Katherine Pieper, und Marc Choueiti. 2015. Exploring the careers of female
directors: Phase III. Los Angeles: Annenberg School for Communication and Journalism,
University of Southern California.
Smith, Stacy L., Marc Choueiti, und Katherine Pieper. 2018. Inclusion in the director’s chair?
Gender, race & age of directors across 1000 films form 2007–2017. Los Angeles: Annenberg
School for Communication and Journalism, University of Southern California.
Swedish Film Institute. 2015. Filmåret i siffror 2014: Facts and figures. http://www.filminstitutet.se/
globalassets/_dokument/verksamhetsberattelser/filmaret-i-siffror-2014.pdf. Zugegriffen am
29.05.2018.
Swedish Film Institute. 2017. Looking back and moving forward. Gender Equality Report 2017.
http://www.filminstitutet.se/globalassets/_dokument/rapporter/swedish-film-insitute-gender-equa
lity-report_2017_eng.pdf. Zugegriffen am 01.09.2018.
Swedish Film Institute. 2018. Facts and figures 2017. https://www.filminstitutet.se/globalassets/2.-fa-
kunskap-om-film/analys-och-statistik/publications/facts-and-figures/fof2017_webbpdf_lowres.pdf.
Zugegriffen am 03.01.2019.
Verband der Filmarbeiterinnen e. V. 1979. Manifest der Filmarbeiterinnen. Frauen und Film 22:27.
Verhoeven, Deb, und Bronwyn Coate. 2018. Cannes of worms: True gender equality in film will
take more than ‚just add women‘. The Guardian, 22. Mai.
Vivarelli, Nick. 2018a. Women’s groups blast Venice Film Festival for lack of female representa-
tion. Variety, 10. August.
Vivarelli, Nick. 2018b. Venice Film Festival signs gender-parity pledge. Variety, 31. August.
Queere Filmkultur: Produktionsformen
und Infrastruktur

Skadi Loist

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585
2 Zentrale Konzepte und Debatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587
3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591

Zusammenfassung
Zu einer queeren Filmkultur gehört mehr als nur die Bestimmung, was „queerer
Film“ ist. Zu einem Queer Cinema gehören immer seine spezifischen Produkti-
ons-, Vertriebs-, Rezeptions- und Diskurskontexte. In einer kulturwissenschaftli-
chen Betrachtung queerer Filmkultur werden Filme als soziale Praxis beleuchtet.
Das umfasst ihre programmliche Einbettung, die Orte, in denen sie gesehen
werden, die Diskurs- und Diskussionsräume wie Kinos, Filmclubs oder Film-
festivals. So kommen auch persönliche und institutionelle Netzwerke von Film-
und Kinokultur in den Blick.

Schlüsselwörter
Queere Filmkultur · New Queer Cinema · Queere Filmfestivals · #Actout ·
Produktionskultur

S. Loist (*)
Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, Potsdam, Deutschland
E-Mail: s.loist@filmuniversitaet.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 585
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_62
586 S. Loist

1 Einleitung

Zur Realisation einer queeren Filmkultur gehört mehr als nur die Bestimmung, was
„queerer Film“ ist. Zu einem Queer Cinema gehören immer seine spezifischen
Produktions-, Vertriebs-, Rezeptions- und Diskurskontexte. Für einen Überblick
aus textuell orientierter filmwissenschaftlicher Perspektive, in der eine affirmative
LGBT-Filmgeschichte und die Definition von Queer Cinema anhand von Narrativen
wie dem Coming-out, Repräsentation von LGBT-Figuren oder queeren Regisseur:
innen gezeichnet wird, sei auf die Vielzahl bestehender Texte verwiesen (u. a. Russo
1987; Dyer 1977; Dyer und Pidduck 2003; Benshoff und Griffin 2004, 2006; von
Diepenbroick und Loist 2009; Mennel 2012; Deuber-Mankowsky 2016; Brunow
und Dickel 2018; Frankenberg 2021). Auch zum Verhältnis von Queer Theory und
Filmtheorie bzw. zu einer queeren Perspektivierung von Film- und Medienwissen-
schaft mit Stichworten wie Blick/Gaze, Auteur, Genre, Performativität, Intersek-
tionalität und Affekt wurden bereits verschiedene Überblicksartikel verfasst (Tedja-
sukmana 2016; Loist 2018a; Köppert 2019).
Der Beitrag stützt sich in der Betrachtung queerer Filmkultur auf Ansätze der
britischen Cultural Studies und versteht Film als soziale Praxis (Turner 2006). Damit
einher geht eine individuelle Mediennutzung und komplexe Aneignung von Me-
dientexten (Lesarten) (Hall 2004), die im Feld queerer Kultur eine eigene Form des
Queer Readings hervorgebracht hat (Doty 1993). Ein zentraler Aspekt der Cultural
Studies ist die kulturelle Einbettung von Medien- und Bedeutungsproduktion im
„circuit of culture“ (du Gay 1997). In diesem Modell des Doing Cultural Studies
beschreiben Paul du Gay, Stuart Hall und Kolleg:innen, dass die Bereiche Reprä-
sentation, Identität, Produktion, Konsum und Regulation integrale Bestandteile für
die Entstehung von Bedeutung kultureller Produkte sind, die nicht unabhängig
voneinander analysiert und gedacht werden können (du Gay et al. 1997, S. 3–4).
Mit dieser Perspektive ist für die queere Filmkultur ein weit gespanntes Netz aus
Filmproduktions- und Distributionskontexten relevant. Es geht ebenso um die Filme
wie um ihre programmliche Einbettung, die Orte, an denen sie gesehen werden,
sowie die Diskurs- und Diskussionsräume wie Kinos, Filmclubs oder Filmfestivals.
So kommen auch persönliche und institutionelle Netzwerke von Film- und Kino-
kultur in den Blick.
Hier eröffnen sich weitere Anschlüsse an verschiedene Felder der Film- und
Medienwissenschaften. Zum einen ist das die Verbindung zur New Cinema History,
die eine Kinogeschichtsschreibung anhand einer Geschichte der Kinobesuche
schreiben will anstatt auf Texte und Ästhetik zu setzen (Petrychyn 2020). Die Film
Festival Studies liefern einen Beitrag zur Kontextualisierung von queerer Filmkultur,
indem sie beschreiben, wie queere Filmfestivals performativ durch ihre Filmauswahl
ein Queer Cinema mitdefinieren, gegenöffentliche Diskurs-, Aushandlungs- und
Begegnungsorte herstellen und auch in größere Medienindustrie-Kontexte einge-
bunden sind (Loist 2015, 2018b; Damiens 2020). Auch die Media Industry Studies
und Production Studies stellen einen Ansatz bereit, der sich die Verknüpfung von
Repräsentation, Produktion und Vertrieb von Film und auch Queer Cinema anschaut
(Herbert et al. 2020; Ng 2021).
Queere Filmkultur: Produktionsformen und Infrastruktur 587

2 Zentrale Konzepte und Debatten

Einer den Cultural Studies verpflichteten Perspektive folgend wird das (New) Queer
Cinema im politischen queeren Projekt verortet, wobei die Entwicklung einer
queeren Filmkultur eng mit dem Aufbau einer entsprechenden Festival-Infrastruktur
und der Entwicklung einer eigenen kollektiven Produktionskultur verwoben ist.

2.1 (New) Queer Cinema

Ende der 1980er-, Anfang der 1990er-Jahre wurde eine neue Art des Geschichten-
erzählens mit einer queeren Haltung sichtbar, die Filmkritikerin B. Ruby Rich 1992
mit dem Begriff New Queer Cinema beschrieben hat (Rich 1992, 2013). Dabei ging
es ihr darum, Filme hervorzuheben, die mit einer Selbstverständlichkeit queere
Geschichten erzählen, ohne dabei (abweichende) Gender oder Sexualität zu ent-
schuldigen, um Toleranz zu bitten oder einem heteronormativen Mehrheitspublikum
zu erklären (Aaron 2004). Es sind Filme, die im Kontext der Zeit stehen, in dem das
Schimpfwort „queer“ zurückerobert und als Selbstbezeichnung und politisches Pro-
jekt positiv aufgeladen wird. „Queer“ bedeutet hier mehr als schwul-lesbisch, es geht
um fluide Identitäten – jenseits von eindeutigen oder gar binären Kategorien wie
Mann/Frau und homo/hetero. Dies schließt auch Solidarität zwischen marginalisier-
ten Gruppen und eine antirassistische und antikapitalistische Haltung ein, die im
Kontext des AIDS-Aktivismus steht (Woltersdorff 2003; Genschel et al. 2001).
Dieses neue queere Kino entsteht in einer Zeit der Politisierung des AIDS-
Aktivismus im Umkreis von ACT UP und Queer Nation in den USA und Groß-
britannien. Gleichzeitig entsteht es in einer Zeit, in der sich eine gewisse Infrastruk-
tur für queere Filmkultur bildet. Produktionstechnisch ist dies die Zeit, in der
Independent-Film technisch mit der Verbreitung von Video breiter zugänglich wird
– durch Videokameras, aber auch durch den Vertrieb von Videokassetten. Schon
Mitte der 1980er-Jahre ist eine kleine Gay New Wave mit Filmen wie Mala Noche
(Gus Van Sant, USA 1985), Desert Hearts (Donna Deitch, USA 1986), My Beautiful
Laundrette (UK 1985) sichtbar. Darüber hinaus differenziert sich Independent- und
Arthouse-Film weiter aus, und innerhalb verschiedener Nischenmärkte entsteht auch
ein queerer Zielgruppenmarkt. Es bilden sich erste thematisch spezialisierte Ver-
leiher wie Wolfe Video, Strand Releasing oder TLA in USA, Peccadillo in Groß-
britannien und Edition Salzgeber und später Pro Fun in Deutschland.

2.2 Infrastruktur Queer Filmfestival

Filmfestivals sind essentielle Orte für Filmkultur, für Kino als soziale Formation.
Filmfestivals sind Schaufenster für Innovationen und liefern mit ihrer Filmauswahl
bestimmte Einblicke in das Filmgeschehen. Mit ihrem kuratorischen Programm
stellen sie Zusammenhänge her, kontextualisieren Themen, Ästhetik sowie Film-
schaffende und stellen einen Diskursraum bereit. Schwul-lesbische Filmfestivals
588 S. Loist

gibt es als wiederkehrende Events und Institutionen seit Ende der 1970er-/Anfang
der 1980er-Jahre zuerst in Nordamerika und Westeuropa. Beeinflusst von gesell-
schaftlichen Verhältnissen oder (juristischen) Repressalien in Bezug auf (Homo)
Sexualität und Genderidentität, oft in Verbindung mit lokalen und regionalen ak-
tivistischen Bewegungen, entstehen in den folgenden Jahrzehnten LGBT/queere
Filmfestivals fast überall auf der Welt (Loist 2013; Dawson und Loist 2018).
Filmfestivals sind als Begegnungsräume, wo Film, Filmschaffende und Publikum
aufeinandertreffen, wichtige Orte für Filmkultur. Queere Filmfestivals sind darüber
hinaus Orte, an denen eine Community sichtbar wird und wo queere Filmkultur
performativ entsteht: als reale Orte, wo queere Personen zusammenkommen, aber
auch als diskursiver Ort und damit eine Form der Gegen- oder Interventionsöffent-
lichkeit, wo aktive Aushandlungsprozesse stattfinden, z. B. darüber, was im jewei-
ligen historischen und lokalen Kontext queer bedeutet (Ommert und Loist 2008).
Die Filmauswahl bestimmt dabei performativ, was als Queer Cinema gilt, und gene-
riert im nächsten Schritt auch performativ eine temporäre (Festival-)Community,
bestehend aus Personen, die sich vom Festival und seiner Filmauswahl angesprochen
und eingeladen fühlen. Dabei kommt es auch immer wieder zu Protesten und Erup-
tionen, wenn Teile der queer Community sich nicht oder falsch von ihrem Festival
repräsentiert sehen (Loist 2015, S. 206–214).
Ende der 2010er-Jahre waren mehr als 270 queere Filmfestivals aktiv und bilden
einen eigenen Subcircuit der größeren globalen Festivallandschaft (mit über 6000
aktiven Festivals), in dem queere Filme global zirkulieren (Loist 2018c). Sie sind
dabei auf vielfältige Weise mit der Filmindustrie, mit Produzent:innen, Verleihern,
Kinos und Branchennetzwerken verbunden. So ermöglichen sie lokalen Zuschauer:
innen mit internationalen Filmen, Themen und Filmschaffenden in Kontakt zu
treten. Über den inhaltlichen Austausch hinaus, sind Filmfestivals für Filmschaffen-
de inzwischen auch ökonomisch wichtig. Für kleinere Independentproduktionen
sind Filmfestivals wichtige Stationen in der Auswertungskette und bilden über die
gezahlten Screening Fees eine Einnahmequelle, wenn in der enger werdenden Kino-
landschaft nicht mehr alle Festivalfilme in den kommerziellen Vertrieb und die
Kinoauswertung kommen. Auch in Zeiten einer (nicht nur pandemiebedingt) zuneh-
menden Online-Auswertung sind Festivals weiterhin relevante Orte für direkten
Austausch mit dem Publikum und Orte, wo Aufmerksamkeit für spezifische Filme
entsteht (Brunow 2020; Loist 2022).
Für Deutschland ist Manfred Salzgeber als einflussreicher Akteur für die bundes-
deutsche queere Filmkultur hervorzuheben (Speck 2016; Feistel 2008). Er war als
Schauspieler und späterer Verleiher in Rosa von Praunheims wegweisendem Film
Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt (BRD 1969)
involviert. Der Film intervenierte in die Diskussion zur Abschaffung des § 175, der
seit der Weimarer Republik, verschärft in der NS-Gesetzgebung und auch nach der
Wiedervereinigung bis 1994 Homosexualität unter Strafe stellte, und wurde auf der
Kinotour die Initialzündung der bundesdeutschen Homosexellen-Bewegung. Salz-
geber, der auch in die Gründung der Deutschen Kinemathek und des Arsenal-Kinos
involviert war, hat sich als Kinomacher und Kurator der Berlinale-Sektion Panorama
für den schwul-lesbischen Film eingesetzt. Als Kurator einer Sektion des A-Festivals
Queere Filmkultur: Produktionsformen und Infrastruktur 589

hatte er damit großen Einfluss auf die Sichtbarkeit queerer Filme und queerer Film-
kultur, und zwar einerseits für queere Festivals und ihre Communities, aber anderer-
seits auch im größeren internationalen Festival- und Arthousebereich (Loist 2018c).
Die Festivalkurator:innen der queeren Filmfestivals weltweit kamen zur Berlinale,
um geeignete Filme zu entdecken und in ihren heimischen Festivals zu zeigen. Diese
Festivalprogrammer bildeten ab 1987 die Jury des Teddy Awards. Als erster queerer
Filmpreis eines A-Festivals verlieh der Teddy Filmen internationale Sichtbarkeit. Bis
in die 2000er-Jahre war der Teddy der einzige queere Filmpreis von diesem Stellen-
wert, der über alle Sektionen hinweg Sichtbarkeit für queere Filme und Filmschaf-
fende herstellt. Auf den A-Festivals in Venedig und Cannes werden der Queer Lion
bzw. die queere Palme erst seit 2007 und 2010 verliehen.

2.3 Produktionskultur

Während queeres Filmschaffen in den 1940er- und 1950er-Jahren vornehmlich im


Experimental- und Underground-Bereich bei Regisseuren wie Jean Genet oder
Kenneth Anger anzutreffen war (Dyer und Pidduck 2003, S. 109–168) und sich
seit den 1970er- und 1980er-Jahren im Independent-, Auteur- und Kunstkino findet
(siehe Regisseur:innen wie Derek Jarman, Barbara Hammer, Rosa von Praunheim,
Monika Treut, Rainer Werner Fassbinder), ist das Queer Cinema inzwischen auch in
größeren Produktionen und mit bekannten Namen zu entdecken. Da queer als eine
politische wie ästhetische Haltung operiert, die gegen Assimilation, gegen Normen
und Konventionen antritt, wird queerer Mainstreamfilm sicher ein Paradoxon bzw.
ein Ausschluss bleiben.
Dennoch finden queere Themen und Narrationen zunehmend Eingang in eine
breiter zugängliche Film- und Fernsehkultur. Vor allem Pay-TV-Channels und
Streamingdienste, die sich auf Zielgruppenmarketing und Nischenbildung speziali-
siert haben, haben zunächst dem queeren Storytelling und Filmschaffenden eine
Heimat gegeben. So haben lesbische Regisseur:innen des New Queer Cinema wie
Rose Troche (Go Fish, 1994), Lisa Cholodenko (High Art, 1998; The Kids Are All
Right, 2010) und Cheryl Dunye (The Watermelon Woman, 1996) mit Serien wie The
L Word (2004–2009) und The L Word Generation Q (2019-) oder Queen Sugar
(2016–2022) weiterhin an Repräsentationen von Queerness und race gearbeitet
(Sundance 2021). Angetrieben durch die starke Präsenz der Streamingdienste und
ihrer Eigenproduktionen und zunehmenden Diskussionen um eine notwendige brei-
te Repräsentation von Diversität sind seit 2021 im deutschen öffentlich-rechtlichen
Fernsehen erstmals eigene Serien mit schwulen (All You Need, ARD 2021), lesbi-
schen (Loving Her, ZDF 2021; Eldorado KaDeWe, ARD 2021) oder non-binären
Hauptplots (Becoming Charlie, ZDF 2022) in der Mediathek und linear verfügbar.
Queeres Filmschaffen hat sowohl aus Notwendigkeit als auch Überzeugung
andere, kollektive Produktionsformen hervorgebracht. Einerseits entstehen viele
kleinere queere Filme aus dem Bedürfnis heraus, eine bestimmte Geschichte zu
erzählen und Repräsentationen von marginalisierten und unterrepräsentierten Grup-
pen zu schaffen. Hierbei entsteht eine idealistische Ökonomie des Queer Relay
590 S. Loist

(Henderson 2008), wo Filmschaffende unter dem üblichen Branchenlohn an Filmen


arbeiten, um diese Filme zu unterstützen und damit auch Branchenerfahrung und
Filmcredits zu sammeln, die für weitere Aufträge hilfreich sind.
Welchen Einfluss eine Haltung auf Produktionslogiken haben kann, zeigt das
aktuelle Beispiel Futur Drei (Faraz Shariat, D 2020). Betitelt als postmigrantisches
New German Queer Cinema feierte Futur Drei Premiere bei der Berlinale 2020,
gewann den Teddy Award sowie weitere Festivalpreise international. Trotz der
Corona-Pandemie und Kinoschließungen konnte der Film gute Besucher:innenzah-
len vorweisen. Beeindruckend ist auch die Entstehungsgeschichte jenseits der üb-
lichen Produktionswege. Faraz Shariat, Autor und Regisseur, sowie Paulina Lorenz
und Raquel Kishori Dupka, beide Autorin und Produzentin, und weitere Mitglieder
des Jünglinge Kollektivs haben sich an der Universität Hildesheim kennengelernt.
Angetrieben durch den Wunsch, die eigene Lebenserfahrung von in erster und
zweiter Generation in Deutschland aufgewachsenen Menschen sowie ihre Co-
ming-of-Age Geschichte zu erzählen, ist dieser vielschichtige Film entstanden. Der
Katalog I See You: Gedanken zum Film FUTUR DREI (Molt und Berndt 2020)
beschreibt die Entstehungsgeschichte des Films, legt die vielschichtigen Reflekti-
onsprozesse kollektiver, anti-rassistischer Arbeit dar und interveniert aktiv in Dis-
kurse von Rassismus, Sexismus und Queerfeindlichkeit in der Branche.
Dass diese Diskurse in der deutschen Filmbrache weiterhin ein Problem darstel-
len, zeigen 2021 sowohl die #actout-Kampagne als auch die Studie Vielfalt im Film.
Unter #actout haben sich Anfang Februar 2021 185 Schauspieler:innen als lesbisch,
schwul, bisexuell, queer, nicht-binär und trans* geoutet (Emcke und Fritzsche 2021).
Das Manifest der #actout-Gruppe verweist auf diskriminierende Strukturen und eine
repressive, normative Produktionskultur. Dieses Bild der Branche zeichnet auch die
Studie Vielfalt im Film, die als breites Bündnis strategisch durch die Initiativgruppe
bestehend aus Branchengruppen und Institutionen wie Pro Quote Film, Queer Media
Society, Leidmedien, Kinoblindgänger, Label Noir, Berlin Asian Film Network,
Korientation, Schwarze Filmschaffende und Panthertainment sowie Bundesverband
Regie und Filmuniversität Babelsberg entstanden ist. In dieser einmaligen Zusam-
menarbeit verschiedener Interessengruppen untersucht die Studie Ausschlüsse und
Diskriminierungserfahrungen in der Branche. Die Umfrage unter Filmschaffenden
der Plattform Crew United hat dabei sowohl sexistische wie rassistische Strukturen
nachgewiesen und auf die Mehrfachdiskriminierung von strukturell benachteiligten
Filmschaffenden hingewiesen (Citizens for Europe 2021).
Die #actout-Gruppe nutzt die Form des Massenoutings, um Privates sichtbar zu
machen: the private is political. Dabei betonen sie eine notwendige Entkopplung
von Privatperson und dargestellter Figur. Schon seit Etablierung des Hollywood-
Starsystems besteht eine komplexe Verknüpfung von Image, Stars und Wahrneh-
mungsmustern des Publikums mit Glaubwürdigkeit und Authentizität (Dyer 2012).
Der Schein von Normen und Normalität soll möglichst nicht beeinträchtigt werden,
um weiterhin eine Projektionsfläche für das in eine bestimmte Richtung geleitete
Begehren des Publikums zu bieten.
Dabei sind #actout und Vielfalt im Film Teil einer größeren Diskussion um
Diversität in der Filmbranche. Einerseits geht es um Arbeitskontexte: Alle
Queere Filmkultur: Produktionsformen und Infrastruktur 591

(marginalisierten) Personen haben ein Recht auf Arbeit im Feld der Kulturproduk-
tion, daher dürfen Kategorien wie Gender, Sexualität, race, Alter, körperliche Fähig-
keiten nicht zu Diskriminierung führen. Es wird eine Diversität der Darstellenden
und Filmschaffenden angestrebt. Diese Diversität bedeutet auch die Anerkennung
und Mobilisierung von verschiedenen Lebenserfahrungen. Wie das Beispiel der
Reflektion um Futur Drei zeigt, geht es auch hier um die Erweiterung der erzählten
Geschichten. So können Schauspieler:innen und Kulturschaffende allgemein ihre
diversen Lebenserfahrungen in die Darstellung und Erzählung von diverseren Ge-
schichten einbringen. Dies zielt jedoch nicht auf eine essentialistische Argumenta-
tion, in der nur schwule Schauspieler oder Autor:innen schwule Figuren spielen oder
schreiben können und sollen. Ihr Beruf ist es ja, Rollen auch jenseits ihres Lebens
darzustellen. Gleichzeitig gilt es aber, Kontextwissen und Erfahrungen, die jenseits
der Normen und der Mehrheitsgesellschaft vorhanden sind, für komplexere und
nuanciertere Darstellungen in der Arbeit der Branche zu nutzen.

3 Fazit

Queere Filmkultur umfasst mehr als einen Kanon an Filmen mit LGBT/queeren
Figuren oder von queeren Filmschaffenden. Ein relevanter Teil einer Filmkultur sind
Diskurse der Produktionskulturen: Wer kann und darf welche Geschichten wie
erzählen? Ein weiteres Element ist die Zirkulation, Rahmung und Zugänglichkeit
queerer Narrationen. Spezialisierte Verleiher bringen queere Stoffe auf die Leinwand
oder die Bildschirme. Queere Filmfestivals wählen Stoffe aus, kontextualisieren sie
in ihren Programmen und liefern so ihre Definitionen von Queer Cinema ebenso wie
auch einen Ort für Begegnung und Aushandlung von queeren Identitäten und
Communities. Als ein Netzwerk bieten sie eine Infrastruktur für queere Filmkultur,
die sowohl Filme als auch die Diskurse um Film verbindet.

Literatur
Aaron, Michele, Hrsg. 2004. New queer cinema: A critical reader. Edinburgh: Edinburgh Univer-
sity Press.
Benshoff, Harry M., und Sean Griffin, Hrsg. 2004. Queer cinema: The film reader. New York:
Routledge.
Benshoff, Harry M., und Sean Griffin. 2006. Queer images: A history of gay and lesbian film in
America. Lanham: Rowman & Littlefield.
Brunow, Dagmar. 2020. Come together? Curating communal viewing experiences for hybrid and
online film festivals. NECSUS: European Journal of Media Studies 9(2): 339–347. https://doi.
org/10.25969/mediarep/15326.
Brunow, Dagmar, und Simon Dickel, Hrsg. 2018. Queer cinema. Mainz: Ventil.
Citizens for Europe. 2021. Vielfalt im Film. https://vielfaltimfilm.de/ergebnisse/. Zugegriffen am
20.10.2021.
Damiens, Antoine. 2020. LGBTQ film festivals: Curating queerness. Amsterdam: Amsterdam
University Press.
592 S. Loist

Dawson, Leanne, und Skadi Loist. 2018. Queer/ing film festivals: History, theory, impact. Studies in
European Cinema 15(1): 1–24. https://doi.org/10.1080/17411548.2018.1442901.
Deuber-Mankowsky, Astrid. 2016. Queeres post-cinema: Yael Bartana, Su Friedrich, Todd Hay-
nes, Sharon Hayes. Köln: August.
Diepenbroick, Dorothée von, und Skadi Loist, Hrsg. 2009. Bildschön: 20 Jahre Lesbisch Schwule
Filmtage Hamburg. Hamburg: Männerschwarm.
Doty, Alexander. 1993. Making things perfectly queer: Interpreting mass culture. Minneapolis:
University of Minnesota Press.
Dyer, Richard, Hrsg. 1977. Gays and film. London: British Film Institute.
Dyer, Richard. 2012. Heavenly bodies: Film stars and society, 2. Aufl. Hoboken: Routledge.
Dyer, Richard, mit Julianne Pidduck. 2003. Now you see it: Studies on lesbian and gay film, 2. Aufl.
London: Routledge.
Emcke, Carolin, und Lara Fritzsche. 2021. Ich komme aus einer Welt, die mir nicht von mir erzählt
hat. Süddeutsche Zeitung Magazin, 5. Februar 2021. https://sz-magazin.sueddeutsche.de/kunst/
schauspielerinnen-schauspieler-coming-out-89811. Zugegriffen am 25.05.2022.
Feistel, Felix. 2008. Der Teddy-Award: Der schwul-lesbisch-transidentische Filmpreis der Interna-
tionalen Filmfestspiele. Berlin: VDM Verlag Dr. Müller.
Frankenberg, Natascha. 2021. Queere Zeitlichkeiten in dokumentarischen Filmen: Untersuchungen
an der Schnittstelle von Filmwissenschaft und Queer Studies. Bielefeld: transcript.
Gay, Paul du, Hrsg. 1997. Production of culture/cultures of production. London/Thousand Oaks:
Sage/Open University.
Gay, Paul du, Stuart Hall, Linda Janes, Hugh Mackay, und Keith Negus. 1997. Doing cultural
studies: The story of the Sony Walkman. London: Sage.
Genschel, Corinna, Caren Lay, Nancy Wagenknecht, und Volker Woltersdorff. 2001. Anschlüsse. In
Annemarie Jagose: Queer Theory: Eine Einführung, Hrsg. Corinna Genschel, Caren Lay,
Nancy Wagenknecht, und Volker Woltersdorff, 167–194. Berlin: Querverlag.
Hall, Stuart. 2004. Kodieren/Dekodieren. In Ideologie, Identität, Repräsentation, Hrsg. Juha
Koivisto und Andreas Merkens, 66–80. Hamburg: Argument.
Henderson, Lisa. 2008. Queer relay. GLQ: A Journal of Lesbian and Gay Studies 14(4): 569–597.
https://doi.org/10.1215/10642684-2008-005.
Herbert, Daniel, Amanda D. Lotz, und Aswin Punathambekar. 2020. Media Industry Studies. Short
introductions. Cambridge, UK/Medford: Polity.
Köppert, Katrin. 2019. Queer Media Studies – Queering Medienwissenschaften. In Handbuch
Medien und Geschlecht: Perspektiven und Befunde der feministischen Kommunikations- und
Medienforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković.
Wiesbaden: Springer Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_71-1.
Loist, Skadi. 2013. The queer film festival phenomenon in a global historical perspective (the
1970s–2000s). In Une histoire des festivals: XXe-XXIe siècle, Hrsg. Anaïs Fléchet, Pascale
Gœtschel, Patricia Hidiroglou, Sophie Jacotot, Caroline Moine, und Julie Verlaine, 109–121.
Paris: Publications de la Sorbonne.
Loist, Skadi. 2015. Queer film culture: Performative aspects of LGBT/Q film festivals. PhD Thesis,
Institut für Medien und Kommunikation, Universität Hamburg. http://ediss.sub.uni-hamburg.
de/volltexte/2015/7333/. Zugegriffen am 25.05.2022.
Loist, Skadi. 2018a. Queer Cinema Studies: Ein Überblick. In Queer Cinema, Hrsg. Dagmar
Brunow und Simon Dickel, 36–55. Mainz: Ventil.
Loist, Skadi. 2018b. Filmfestivals, theoretisch und methodisch: Zum Stand der Filmfestivalfor-
schung. Maske und Kothurn 64(3): 11–26.
Loist, Skadi. 2018c. Crossover dreams: Global Circulation of queer film on the film festival circuits.
Diogenes 62(1): 57–72. https://doi.org/10.1177/0392192116667014.
Loist, Skadi. 2022. Stopping the flow: Film circulation in the festival ecosystem at a moment of
disruption. In Rethinking film festivals in the pandemic era and after, Hrsg. Marijke de Valck
und Antoine Damiens. Cham: Palgrave Macmillan.
Queere Filmkultur: Produktionsformen und Infrastruktur 593

Mennel, Barbara. 2012. Queer cinema: Schoolgirls, vampires and gay cowboys. London:
Wallflower.
Molt, Raquel Kishori, und Arpana Berndt, Hrsg. 2020. I See You: Gedanken zum Film FUTUR
DREI. Münster: edition assemblage.
Ng, Eve. 2021. Queer production studies. In Oxford Research Encyclopedia of Communication.
https://doi.org/10.1093/acrefore/9780190228613.013.1162.
Ommert, Alek, und Skadi Loist. 2008. featuring interventions: Zu queer-feministischen Repräsen-
tationspraxen und Öffentlichkeiten. In Im Zeichen des Geschlechts: Repräsentationen – Kon-
struktionen – Interventionen, Hrsg. Celine Camus, Annabelle Hornung, Fabienne Imlinger,
Milena Noll, und Isabelle Stauffer, 124–140. Königstein/Taunus: Ulrike Helmer.
Petrychyn, Jonathan. 2020. Queering new cinema history: Affective methodologies for comparative
history. TMG Journal for Media History 23(1–2): 1–22. https://doi.org/10.18146/tmg.588.
Rich, B. Ruby. 1992. New queer cinema. Sight & Sound 2(5): 30–35.
Rich, B. Ruby. 2013. New queer cinema: The director’s cut. Durham: Duke University Press.
Russo, Vito. 1987. The celluloid closet: Homosexuality in the movies, überarb. Aufl. New York:
Harper & Row.
Speck, Wieland. 2016. Ein Rückblick auf 30 Jahre Teddy Awards. In Teddy Award 30: Program
Guide, 7–10. Berlin: Teddy Award.
Sundance Film Festival. 2021. Barbed Wire Kisses Redux. https://www.youtube.com/watch?
v¼MoXo16lt1wc. Zugegriffen am 27.02.2021.
Tedjasukmana, Chris. 2016. Queere Theorie und Filmtheorie. In Handbuch Filmtheorie, Hrsg.
Bernhard Groß und Thomas Morsch, 1–19. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/
978-3-658-09514-7_32-1.
Turner, Graeme. 2006. Film as social practice, 4. Aufl. London/New York: Routledge.
Woltersdorff, Volker. 2003. Queer theory und queer politics. Utopie Kreativ (156): 914–923. https://
www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/156_woltersdorff.pdf. Zugegriffen am 28.02.2021.
Teil VI
Frauenbewegungen und Feminismus
und/in Medien
Die Neue Frauenbewegung in den Medien

Imke Schmincke

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598
2 Repräsentation von Frauenbewegungen in den Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599
3 Medienstrategien feministischer Akteurinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603
4 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605

Zusammenfassung
Die mediale Repräsentation der zweiten Frauenbewegungen bzw. von Frauenpo-
litik zeigt sich in einem vorwiegend negativen Framing der Ziele und Personen,
die die Frauenbewegung ausmachen. In der Berichterstattung der Mainstream-
Medien dominieren Personalisierung, Sexualisierung, Spaltung und Normalisie-
rung, mit denen feministische Anliegen lächerlich gemacht und zurückgewiesen
werden. Die Darstellung feministischer Themen in den Medien ist jedoch auch als
Wechselwirkung mit spezifischen feministischen Medienstrategien zu verstehen,
mittels derer es Feministinnen teilweise recht erfolgreich gelungen ist, den öffent-
lichen Diskurs zu beeinflussen. Allerdings bleiben die Möglichkeiten einer radi-
kalen feministischen Kritik in den Mainstream-Medien begrenzt. Jedoch haben
das Internet und Social Media den Kommunikations- und Aktionsraum für
feministische Bewegungen erweitert.

Schlüsselwörter
Neue Frauenbewegung · Medien · Öffentlichkeit · Feministische Öffentlichkeit ·
Mediale Repräsentation

I. Schmincke (*)
Ludwig-Maximilians-Universität München, München, Deutschland
E-Mail: imke.schmincke@soziologie.uni-muenchen.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 597
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_40
598 I. Schmincke

1 Einleitung

Soziale Bewegungen brauchen Öffentlichkeit und sind daher auch auf mediale
Öffentlichkeit angewiesen (Neidhardt 1994). Mit Hilfe der Medien lassen sich
Unterstützer_innen gewinnen, Themen und Forderungen in eine breite Öffentlich-
keit tragen und dadurch Meinungsbildung und politische Entscheidungsprozesse
beeinflussen. (Geiger 2002a) Das gilt in sehr spezifischer Weise auch für die
Frauenbewegungen. Gerhard bezeichnet als Frauenbewegung „bestimmte Formen
gemeinsamen sozialen Handelns, die darauf gerichtet sind, sozialen Wandel herbei-
zuführen und [. . .] im Geschlechterverhältnis Bevormundung, Ungerechtigkeit und
soziale Ungleichheit zu beseitigen.“ (Gerhard 2009, S. 6) Nach Lenz, die Frauen-
bewegungen als mobilisierende kollektive Akteur_innen versteht, ist von Frauenbe-
wegungen nur im Plural zu sprechen, weil diese an sehr verschiedenen Orten und
Zeiten entstanden und mit unterschiedlichen Themen Geschlechtergerechtigkeit
einforderten (Lenz 2008, S. 22–23). Im deutschsprachigen Raum gibt es zwei große
Bewegungen oder Wellen; die erste Frauenbewegung entstand in der Mitte des 19.
Jahrhunderts, die zweite oder Neue Frauenbewegung im Kontext der neuen sozialen
Bewegungen Ende der 1960er-Jahre. Seit den 1990er-Jahren lässt sich nun auch von
einer dritten Welle sprechen, um Perspektivenverschiebungen und neue Ausrichtun-
gen im Feminismus begrifflich zu fassen und abzugrenzen. Während für die erste
(bürgerliche) Frauenbewegung das Recht auf Ausbildung und Berufstätigkeit sowie
das Wahlrecht wichtige Themen waren, beschäftigte sich die zweite Frauenbewe-
gung stärker mit Fragen der körperlichen und sexuellen Selbstbestimmung, mit
Themen wie Gewalt, Arbeit und gleichberechtigte Teilhabe in relevanten gesell-
schaftlichen Bereichen wie Politik, Bildung, Kultur und Medien. Die dritte Welle ist
Ausdruck der großen Heterogenität der Bewegung und stellt zugleich eine intersek-
tionale und eine queerpolitische Kritik des ‚Wir Frauen‘ als zentraler kollektiver
Identität der Bewegung dar.
In allen Phasen der Frauenbewegung ging und geht es jedoch darum, Öffentlich-
keit für feministische Anliegen zu schaffen. So bildete Louise Otto-Peters mit ihrer
1849 gegründeten Frauenzeitung den Anfang der organisierten Frauenbewegung in
Deutschland. Auch in Österreich entstanden in dieser Zeit erste Frauenvereine und
ab 1899 die erste politische Frauenzeitschrift Dokumente der Frauen (Krainer 2016,
S. 208). Der Kampf um Öffentlichkeit war für die Frauenbewegung auch deshalb so
zentral, weil er Grundfeste der bürgerlichen Geschlechterordnung berührte: die
Trennung, Hierarchisierung und Vergeschlechtlichung der öffentlichen und privaten
Sphäre, die den Ausschluss von Frauen begründete. Daher mussten Frauen andere
Formen der Vernetzung und Einflussnahme entwickeln, um politisch Gehör zu
finden. Erst feministische Wissenschaftlerinnen haben darauf hingewiesen, dass
mit einem traditionellen Verständnis von Öffentlichkeit, Politik und sozialen Bewe-
gungen, welches den impliziten vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden
Charakter nicht reflektiert, die Wirkung der Frauenbewegung nicht adäquat einge-
schätzt werden kann. Fraser kritisiert in dieser Hinsicht Habermas’ Verständnis von
Öffentlichkeit und plädiert für eine Fokussierung auf „subalterne Gegenöffentlich-
keiten“ (Fraser 1996, S. 163). Klaus entwirft ein eigenes Modell, um die Bedeutung
Die Neue Frauenbewegung in den Medien 599

informeller Netzwerke für das Entstehen feministischer Öffentlichkeiten analysieren


zu können. Sie unterscheidet dabei zwischen einfachen Öffentlichkeiten, mittleren
und komplexen Öffentlichkeiten (Klaus 2005, 2017). Ausgehend von dieser Unter-
scheidung zeigt Wischermann für die Frauenbewegung um 1900 in Deutschland,
wie diese in drei unterschiedlichen Dimensionen relevant wurde: den Bewegungs-
kulturen (hier vor allem persönliche Freundschaften und Netzwerke), den Bewe-
gungsöffentlichkeiten (Flugblätter und andere kommunikative Foren aus der Bewe-
gung heraus) und der Öffentlichkeit und öffentlichen Meinung (z. B. Medien)
(Wischermann 2003, 2017). Auch für die Neue Frauenbewegung waren das Agieren
auf unterschiedlichen Ebenen und die Frage der Resonanz in unterschiedlichen
Öffentlichkeiten wichtig.
Der Fokus darauf, wie die Frauenbewegung in den Medien repräsentiert wurde,
macht zweierlei deutlich: Zum einen zeigt sich, dass das Feld der Medien selbstver-
ständlich heterogen ist und sich auch durch den technologischen Wandel weiter
verändert und ausdifferenziert. Zum anderen ist aber auch die Frauenbewegung sehr
viel pluraler und heterogener, als die Rede von ‚der‘ Bewegung nahelegt. Die
verschiedenen Strömungen wurden und werden auch medial unterschiedlich reprä-
sentiert. Flicker (2008) verdeutlicht in ihrem Überblicksartikel zum Thema, dass
Frauenbewegung und Medien in einem ambivalenten Verhältnis stehen. Mittlerweile
seien viele Frauenthemen in unterschiedliche politische Bereiche diffundiert und die
Bewegung selbst habe an Sichtbarkeit verloren.

2 Repräsentation von Frauenbewegungen in den Medien

Die Fokussierung auf Frauenbewegungen und Medien schließt im weiteren Sinn


auch die mediale Thematisierung von ‚Frauen-Themen‘ und Frauenpolitik bzw.
Frauen in der Politik ein. Die hierzu publizierten Studien und Sammelbände stellten
in quantitativer Hinsicht eine sehr viel geringere mediale Präsenz und in qualitativer
Hinsicht eine starke Stereotypisierung und Geringschätzung weiblicher Akteurinnen
der Frauenbewegung und Frauenpolitik in der Berichterstattung fest (Norris 1997;
Sreberny und van Zoonen 2000; Dorer et al. 2008; Holtz-Bacha 2008). Lang und
Sauer beispielsweise untersuchten den Wahlkampf 2002 in der BRD und arbeiteten
in ihrer umfangreichen Analyse von Wahlprogrammen, Zeitungsberichten und
Interviews mit Wahlkampfstrateg_innen heraus, dass zum einen im Wahlkampf
Frauenpolitik von den wahlwerbenden Parteien systematisch auf Familienpolitik
reduziert wurde und dass zum anderen die Medien diese Reduktion verstärkten
(Lang und Sauer 2008). In einer Studie zur Repräsentation von Frauen, Frauenpo-
litik und Politiker_innen in den Mainstream-Medien Österreichs für das Jahr 2017
erhebt Maria Pernegger, dass die Frauenpolitik der Parteien nach wie vor in Text und
Bild stark unterrepräsentiert ist. Ganz allgemein kommen die klassischen frauenpo-
litischen Themen selten vor, während Themen, die sich gut für eine Skandalisierung
eignen (Kopftuch- und Burkaverbot, sexualisierte Gewalt im öffentlichen Raum),
die Medienberichterstattung beherrschen. (Pernegger 2018)
600 I. Schmincke

Dass ‚Frauenthemen‘ in den Medien heute als politische und nicht private
Angelegenheit geframt werden (das heißt in einen bestimmten Kontext und Inter-
pretationsrahmen gestellt werden), geht auf die Wirkung und Erfolge der zweiten
Frauenbewegung zurück. In der BRD und Österreich bildete sich eine autonome
Frauenbewegung Anfang der 1970er-Jahre u. a. im Kampf um das Recht auf
Schwangerschaftsabbruch. Alice Schwarzer hatte 1971 mit dem Stern die soge-
nannte Selbstbezichtigungskampagne initiiert. 374 (prominente) Frauen erklärten
auf der Titelseite der auflagenstarken Wochenzeitschrift, sie hätten eine Abtreibung
vorgenommen. Alice Schwarzer war durch diese Aktion und ihr 1975 erschienenes
Buch Der kleine Unterschied zur öffentlich bekanntesten Feministin Deutschlands
geworden. Als Journalistin beherrschte sie die Medienlogik und journalistischen
Routinen, sodass sie erfolgreich in den Mediendiskurs eingreifen konnte. Dennoch
wurde sie, da sie von den Medien als Repräsentantin der Frauenbewegung inszeniert
wurde, als solche persönlich beleidigt und diffamiert (Schwarzer 1977, S. 241–250).
Wie Schneider (2010) herausarbeitet, zielte die Personalisierungsstrategie der Medien
auf eine Abwertung, Entpolitisierung und Delegitimierung feministischer Anliegen,
indem Alice Schwarzer – in Gleichsetzung mit der Frauenbewegung – als deviante
Person konstruiert wurde. Neben der Personalisierung und Psychologisierung ging es
vor allem darum, Alice Schwarzer als „Nicht-Frau“ – als unweiblich, unattraktiv, ledig,
kinderlos und maskulin – zu diffamieren (Schneider 2010, S. 68–69).
In Österreich wurde die sozialistische Politikerin und erste Frauenministerin
(1990–1995) Johanna Dohnal in ähnlicher Weise wie Schwarzer als Person und
Stellvertreterin für feministische Anliegen medial angegriffen. Dohnal, anfangs als
Wiener Gemeinderätin und Landtagsabgeordnete tätig, wurde 1979 Staatssekretärin
für allgemeine Frauenfragen in der Bundesregierung. Wenig später initiierte sie die
‚Aktion Medienbeobachtung‘, deren Ziel die kritische Auseinandersetzung mit
Geschlechterstereotypen im österreichischen Fernsehen war. (Kreisky und Nieder-
huber 1998)
Das negative Framing und die komplexen Wechselwirkungen zwischen Frauen-
bewegungen und Medien waren auch Gegenstand empirischer Untersuchungen zur
zweiten Frauenbewegung in US- und UK-Printmedien, vor allem bezogen auf die
Anfangsphase von 1968 bis in die 1980er-Jahre (Cancian und Ross 1981; Huddy
1997; Costain et al. 1997; Ashley und Olson 1998; Barker-Plummer 2000, 2010;
Bradley 2003; Mendes 2011a, b). In ihrer Studie zeigen Cancian und Ross (1981),
dass die mediale Repräsentation von Frauen bzw. ‚Frauenthemen‘ eng mit der
Frauenbewegung verbunden war, was dazu führte, dass auch die Thematisierung
bestimmter, zuvor marginalisierter feministischer Anliegen zunahm. Wie Mendes
(2011a, b) stellen sie darüber hinaus fest, dass die zweite Frauenbewegung in ihren
Anfangsjahren (1966 Gründung der National Organization for Women [NOW], ab
1968 Gründung verschiedener Consciousness-Raising-Gruppen) kaum mediale
Aufmerksamkeit erfuhr, während ab Anfang der 1970er-Jahre vermehrt und auch
positiver über die Aktivitäten der Frauenbewegung berichtet wurde. Ashley und
Olson (1998) untersuchten die Berichterstattung in den Jahren 1966 bis 1986 und
fanden folgende journalistische Bearbeitungs- und Darstellungsformen, mittels derer
Feministinnen marginalisiert und delegitimiert wurden: Gebrauch von Anführungs-
Die Neue Frauenbewegung in den Medien 601

zeichen, Fokus auf das äußere Erscheinungsbild der Feministinnen, Betonung von
Konflikten innerhalb der Bewegung, Dethematisierung von bestimmten feministi-
schen und frauenpolitischen Anliegen und die Konstruktion von Feministinnen als
deviante und bedrohliche Personen. Barker-Plummer (2010) betont, dass Personali-
sierung oder die Betonung von Konflikt typische journalistische Darstellungsrouti-
nen bzw. Strategien sind, es aber bezogen auf die Frauenbewegung auch genderspe-
zifische Framings gab, die den Zusammenhang von äußerem Erscheinungsbild und
einem Anerkennen oder auch Absprechen von Weiblichkeit direkt mit den feminis-
tischen Anliegen verknüpften. Personalisierung/Individualisierung, Trivialisierung,
Sexualisierung und vor allem Konstruktion von devianter Weiblichkeit waren sehr
verbreitete journalistische Strategien, mit Hilfe derer die Anliegen der Frauenbewe-
gung als illegitime Vorstellungen abqualifiziert werden sollten.
Wie Mendes (2011a, b) in ihrer Analyse der Medienberichterstattung zur Frauen-
bewegung in den USA und Großbritannien 1968–1982 hervorhebt, bestand eine
zentrale Strategie gerade darin, die Bewegung in legitime und illegitime Feminis-
tinnen zu spalten und dadurch erstere zu normalisieren (Mendes 2011b, S. 491).
Während einige Feministinnen von den Medien mit den Zusätzen ‚Hausfrau‘,
‚Ehefrau‘, Mutter von Kindern als Norm präsentiert wurden, wurden andere als
‚radikal‘ und ‚lesbisch‘ portraitiert und damit sie und ihre feministischen Anliegen
als deviant und anormal abgewertet. Diese Strategie der Spaltung, die einerseits
Normalisierung, andererseits Abwertung bedeutete, findet sich auch in der Bericht-
erstattung zum FrauenVolksBegehren 1996/97 in Österreich, wie Geiger (2002b,
S. 110–114) herausarbeitet. Die Initiative wurde von den Repräsentantinnen des
FrauenVolksBegehrens als ‚neue Frauenpower und Neubeginn‘ geframt, was dann
auch sehr erfolgreich von den Mainstream-Medien übernommen wurde. Gleichzei-
tig aber haben die Medien diesen Frame auch dazu benutzt, um den Feminismus der
1970er- und 1980er-Jahre als veraltet abzuwerten.
Insgesamt kam es in der Medienberichterstattung zu einem vermehrten Aufgrei-
fen und einer Normalisierung feministischer Themen. Diese Entwicklung ging ab
den 1970er-Jahren aber auch auf Medienstrategien der feministischen Akteurinnen
zurück, wie van Zoonen (1992) mit Blick auf die Frauenbewegung in den Nieder-
landen und Barker-Plummer (2000, 2010) mit Blick auf die USA herausarbeiten.
Beide kritisieren, dass bisherige Forschungsansätze das Verhältnis von Bewegung
und Medien zu eindimensional und deterministisch verstanden hätten. Tatsächlich
sei eine Wechselwirkung zu beobachten. Frauenbewegungen würden ihrerseits auch
versuchen auf die Berichterstattung Einfluss zu nehmen, sie nutzten die Medien als
Ressourcen und entwickelten eigene Medienstrategien. Barker-Plummer plädiert
überzeugend für einen analytischen Fokus, der stärker die Wechselwirkung, die
Interaktionen und strategischen Kommunikationen zwischen Medien und sozialen
Bewegungen in den Blick nimmt.
Dass eine negative Berichterstattung in den Massenmedien jedoch auch positive
Effekte für die Mobilisierung und Solidarisierung haben kann, zeichnet Pater (2006)
in einer Analyse der Berichterstattung der reichweitenstarken deutschen BILD-
Zeitung anlässlich des Andersen/Ihns-Prozesses 1974 und der Gegenkampagne
von Seiten der Frauenbewegung nach. Gegen die Kriminalisierung lesbischer
602 I. Schmincke

Frauen und die Verharmlosung häuslicher Gewalt durch die BILD-Berichterstattung


fanden sich erstmals heterosexuelle und homosexuelle Frauen zu einer solidarischen
Kampagne unter dem Motto „Gegen geile Männerpresse – für lesbische Liebe“
zusammen.
Im kollektiven medialen Gedächtnis der BRD wird die Hochphase der Frauen-
bewegung vor allem auf die 1970er-Jahre datiert, obwohl Mobilisierung und von der
Frauenbewegung und -politik initiierte Ereignisse empirisch laut Lenz von den
späten 1970er-Jahren bis 1995 konstant anstiegen, um dann bis 2000 wieder abzu-
fallen (Lenz 2008, S. 25). Die Gründe hierfür sind zum einen die Professionalisie-
rung der Öffentlichkeitsarbeit seitens der Akteurinnen der Frauenbewegung, die
Institutionalisierung zahlreicher Themen und Forderungen der Frauenbewegung
und die damit verbundenen Veränderungen in den Programmatiken, den Aktions-
formen der Bewegung und der Zusammensetzung und Ausweitung der Akteurinnen
(Geiger 2002a, S. 89–93). Zum anderen hat sich der Feminismus seit den 1970er-
Jahren einerseits diversifiziert und andererseits ist er in verschiedene gesellschaftli-
che Felder diffundiert. Letzteres ist auch als Erfolg der Frauenbewegung zu bewer-
ten, die es geschafft hat, das Agenda-Setting der Medien zu beeinflussen, und
erreicht hat, dass feministische Themen in der Berichterstattung als politische
Themen gerahmt wurden.
Nach wie vor lassen sich in der medialen Berichterstattung die oben erwähnten
Darstellungs- und Bearbeitungsstrategien zur Delegitimierung von Feministinnen
bzw. feministischen Themen beobachten (Schmincke 2013). Parallel dazu ist eine
Normalisierung im Sinne von Integration, Reduktion und Nivellierung und einer
Vermainstreamung (bestimmter) feministischer Themen zu konstatieren, die aber
häufig zu relevanten inhaltlichen Verschiebungen führt, wie beispielsweise die oben
erwähnte Reduktion von Frauen- auf Familienpolitik, die Lang und Sauer (2008)
untersucht haben. Eine weitere Veränderung in der Berichterstattung betrifft den
Wandel von Kollektivität zu Individualität im Framing feministischer Anliegen
sowie deren Kommerzialisierung. In einer Analyse zur Thematisierung von Femi-
nismus in ausgewählten Zeitungen im Jahr 2008 stellt Mendes (2012) gerade auch
im Vergleich mit der Berichterstattung der Dekaden zuvor fest, dass feministische
Anliegen nunmehr stark individualisiert dargestellt und als Konsum- und Wahlfrei-
heit gedeutet würden. Der aktivistische Feminismus spiele keine Rolle mehr, und
stattdessen werde der Postfeminismus gefeiert. Mendes begreift den Wandel in der
Rezeption feministischer Programmatik als neoliberal, ganz ähnlich wie McRobbie
(2010), die die Abwicklung des Feminismus durch seine neoliberale Vereinnahmung
kritisch untersucht hat. In einer Analyse der Feminismus-Debatten im deutschen
Feuilleton der 2000er-Jahr hat Klaus (2008) die verschiedenen Spielarten des Femi-
nismus herausgearbeitet, zu denen auch ein neuer „Elitenfeminismus“ gehört.
Entsprechend einer postfeministischen Idee zeigt sich eine Veränderung in der
medialen Repräsentation der Frauenbewegung etwa auch in der Instrumentalisierung
der Frauenbewegung, ihrer Ziele und Anliegen in den Mainstream-Medien, die
politisches Handeln nicht kritisch kommentieren, sondern verstärken. Am deutlichs-
ten wird dies etwa bei der Berichterstattung über den Bosnien- und Kosovokrieg
Die Neue Frauenbewegung in den Medien 603

oder den Krieg in Afghanistan, wo Frauenrechte zur Legitimation der Kriegsführung


dienten und Medien den politischen Diskurs kritiklos übernahmen. (Klaus und
Kassel 2008) Ein Beispiel für die Instrumentalisierung liefert auch die Berichterstat-
tung zur Kopftuch- oder Burkadebatte, bei der die Errungenschaften der Frauenbe-
wegung gegen die Rückständigkeit der „anderen Frauen“ ins Treffen geführt wer-
den. Auch die Flüchtlings- und Migrationsdebatte – insbesondere mit einem
Höhepunkt in der „Kölner Silvesternacht 2015“ – bietet Medien breiten Raum,
Anliegen der Frauenbewegung populistisch zu instrumentalisieren.
Eine weitere große Veränderung hängt mit dem Internet und dem Web 2.0
zusammen, welche die Repräsentationsformen von Frauenbewegungen stark erwei-
tert und die Vielfalt und Sichtbarkeit feministischer Stimmen erhöht haben. Wie sich
an Twitter-Kampagnen wie #aufschrei und #metoo zeigen lässt, ermöglicht der
Einsatz neuer Medien auch eine größere Reichweite und eigenständige Themenset-
zung, auch wenn genaue Analysen zeigen, dass diese Kampagnen erst erfolgreich
sind, wenn es zu einem Spill-over-Effekt in die Mainstream-Medien kommt und
diese darüber berichten (Drüeke und Zobl 2013; Gsenger und Thiele 2014).

3 Medienstrategien feministischer Akteurinnen

Medienstrategien feministischer Akteurinnen zielen unter anderem darauf, feminis-


tische Öffentlichkeiten herzustellen. Feministische Öffentlichkeiten richten sich
sowohl nach Innen wie nach Außen. Nach Geiger bilden sie „sowohl Basis für
Selbstverständigung, Identitätsfindung und die Entwicklung kollektiver Handlungs-
fähigkeit als auch Voraussetzung für gesellschaftliche Einflussnahme und emanzi-
patorische Veränderungen.“ (Geiger 2002a, S. 82) Sie sind als mittlere Öffentlich-
keiten (Klaus 2017) bzw. als Bewegungsöffentlichkeiten (Wischermann 2017) zu
verstehen. Geiger zählt aber neben Öffentlichkeiten der Frauenbewegungen im
engeren Sinn auch emanzipatorische Frauenöffentlichkeiten (gewerkschaftliche,
kirchliche, berufliche Frauennetzwerke) und Einrichtungen der institutionellen
Frauen- und Gleichstellungspolitik zu den feministischen Öffentlichkeiten. Zwei
Formen feministischer Medienstrategien sind dabei relevant: einerseits die Inter-
vention bei und die Zusammenarbeit mit Mainstream-Medien mittels gezielter
Öffentlichkeitsarbeit und andererseits die Produktion eigener Medien.
Die 1971 von Alice Schwarzer nach französischem Vorbild initiierte Kampagne
zum Thema Abtreibung arbeitete mit dem Mittel des Tabubruchs und der Pro-
minenz. Zur Veröffentlichung wählte Schwarzer ganz gezielt die Wochenzeitschrift
Stern aus, die für ihren hohen Verbreitungsgrad sowie Sensations- und Boulevard-
orientierung bekannt war. Auch das FrauenVolksBegehren 1996/1997 in Österreich
fand breite mediale Beachtung, weil die Initiatorinnen die journalistischen Selekti-
onskriterien (Ereignis mit Konfliktpotenzial, prominente Repräsentantinnen, libera-
les Gleichberechtigungsparadigma) optimal bedienen konnten, wie Geiger (2002b)
herausgearbeitet hat. Für die US-amerikanische Organisation NOW zeichnet Barker-
Plummer verschiedene Medienstrategien nach. NOW hatte ein sehr pragmatisches
604 I. Schmincke

Verhältnis zu den Massenmedien, suchte Kontakte zu Journalist_innen, verfügte von


Anfang an über prominente Sprecherinnen („media stars“) und überlegte sehr genau,
welche Themen in den Medien platziert werden konnten und welche eher nicht. Der
relativ große Erfolg von NOW hatte auch damit zu tun, dass die Organisation
innerhalb eines sozial akzeptierten liberalen Feminismus agierte. Die Anerkennung
seitens der Mainstream-Medien ging durch die Anpassung an die Selektions- und
Bearbeitungsstrategien der Medien zu Lasten der Themenvielfalt und einer politi-
schen Radikalität. Barker-Plummer hält fest: „In such an interaction, media prag-
matism [. . .] may also mean containing feminism within liberal epistemologies.“
(Barker-Plummer 2010, S. 172) Ähnlich wie Geiger (2002b) sieht Barker-Plummer
sowohl Möglichkeiten als auch Grenzen dieser Form feministischer Medienstrate-
gien einer weitgehenden Anpassung an das politische und mediale System. Die
Begrenztheiten liegen sowohl in den Logiken der Medien wie auch in den Strategien
der Bewegungen.
Die sog. radikalen Feministinnen wurden in den Medien stärker marginalisiert
und als deviant dargestellt, weil sie basisdemokratisch organisiert waren und keine
offiziellen Sprecherinnen hatten, weil sie die Zusammenarbeit mit den Mainstream-
Medien häufig ablehnten und weil ihre Themen weniger leicht vereinnahmt und
normalisiert werden konnten. Aus der autonomen Frauenbewegung heraus entstan-
den jedoch diverse eigene Publikationsorgane. In Österreich gründete 1974 der
Verein „Aktion unabhängiger Frauen“ die AUF – eine Frauenzeitschrift, die immer-
hin bis 2011 existierte (Geiger und Hacker 1989; Cacioppo et al. 2008). Auch heute
noch existieren mit an.schläge. Das Feministische Magazin, aep informationen.
Feministische Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, frauen*solidarität sowie fiber.
werkstoff für feminismus und popkultur unabhängige feministische Zeitschriften.
(Krainer 2016; Susemichel et al. 2008; Jarosch 2012) Mit dem Beginn der west-
deutschen Frauenbewegung entstand 1973 auch deren erste Zeitschrift, die Frauen-
zeitung – Frauen gemeinsam sind stark, die 1976 wieder eingestellt wurde. Nach
und nach bilden sich diverse weitere feministische Zeitungsprojekte. Überregional
bekannter sind die Courage (1977–1984), die Schwarze Botin (1976–1987) und die
Emma (1977–), die anders als die ersten beiden von Anfang an als kommerzielle
feministische Zeitschrift konzipiert war und bis heute existiert (vgl. zur Konfliktge-
schichte dieser Zeitschriften Lux 2017).
Die Frauenbewegung hat sowohl autonome und unabhängige als auch kommer-
zielle und reichweitenstarke feministische Öffentlichkeiten hervorgebracht. In den
letzten Jahren hat sich der Markt feministischer Zeitschriften sowohl online wie
offline noch mal stark diversifiziert. Mit Missy Magazine beispielsweise gibt es seit
2008 in Deutschland ein explizit an Pop und Politik interessiertes kommerzielles
feministisches Magazin, das wiederum auch eng mit dem Netzfeminismus verbun-
den ist. Als Netzfeminismus werden Blogs (z. B. seit 2007 der Blog Mädchenmann-
schaft) und andere webbasierte Initiativen bezeichnet, die eine Internet-Öffentlich-
keit für feministische Themen schaffen. In der Verknüpfung verschiedener Medien
und Öffentlichkeiten und der Vermittlung von offline- und online-Protest können auf
diese Weise feministische Themen erfolgreich auf die tagespolitische Agenda der
Mainstream-Medien gelangen, wie jüngst an der Kampagne #metoo deutlich wurde.
Die Neue Frauenbewegung in den Medien 605

4 Fazit und Ausblick

Die Analyse der Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen Frauenbewegung und


Medien zeigt, dass die öffentliche Verhandlung von Feminismus ein widerspruchsvol-
ler und hegemonialer Prozess ist, in den verschiedene, wechselnde Akteur_innen
involviert sind. Insofern sind diese empirischen Analysen in mehrerlei Hinsicht
wichtig: Sie verdeutlichen die Widerstände gegenüber feministischer Politik, aber
auch deren allmähliche Akzeptanz bzw. deren Vereinnahmung. Die Repräsentation
der Frauenbewegung in den Medien und die feministischen Medienstrategien stehen
dabei in einer Wechselwirkung. Das heißt, feministische Akteurinnen können die
Logiken und Selektionskriterien der Medien strategisch nutzen, um ihre Themen zu
platzieren. Dass der Beeinflussung medialer Themensetzung jedoch auch Grenzen
gesetzt sind und eine Anpassung an die Medienroutine zu Lasten feministischer Ziele
und Inhalte und vor allem einer grundsätzlichen feministischen Kritik von Öffentlich-
keit, Politik und Gesellschaft geht, ist in den empirischen Studien offensichtlich
geworden. Eine historische Perspektive sowohl auf die Frauenbewegungen als auch
auf Medien und Öffentlichkeit ist dabei unabdingbar, um zu verstehen, wann und
warum welche Themen und Inhalte in nivellierender, reduzierter oder aber zugespitzter
und instrumentalisierter Form in einen breiten medialen Diskurs münden konnten.
Allerdings gibt es bisher zu wenige Längsschnitt-Untersuchungen zur medialen
Repräsentation und Verhandlung des Feminismus in den Massenmedien von der
Neuen Frauenbewegung bis heute. Forschungsbedarf liegt hier sowohl in der Auf-
arbeitung von Länderspezifika als auch in der Erforschung zeitlicher Verläufe. Wie
aus den vorgestellten Studien deutlich wird, lässt eine Analyse des Feminismus in
den Massenmedien nicht nur Rückschlüsse auf die gesellschaftliche Akzeptanz oder
Abwehr gegenüber feministischen Forderungen und die Strategien sozialer Bewe-
gungen zu, sondern verdeutlicht auch, dass und auf welche Weise feministische
Inhalte mit Hilfe der Medien gesellschaftlich verhandelt, kritisiert, realisiert und
verändert werden können.

Literatur
Ashley, Laura, und Beth Olson. 1998. Constructing reality: Print media’s framing of the women’s
movement, 1966–1986. Journal of Mass Communication Quarterly 75(2): 263–277.
Barker-Plummer, Bernadette. 2000. News as a feminist resource? A case study of the media.
Strategies and media representation of the National Organization for Women, 1966–1980. In
Gender, politics and communication, Hrsg. Annabelle Sreberny und Liesbet van Zoonen,
121–159. Cresskill: Hampton Press.
Barker-Plummer, Bernadette. 2010. News and feminism: A historic dialog. Journalism & Commu-
nication Monographs 12(3): 144–203.
Bradley, Patricia. 2003. Mass media and the shaping of American feminism 1963–1975. Jackson:
University Press of Mississippi.
Cacioppo, Britta, Eva Geber, und Carina Nekolny. 2008. AUF – eine (Erfolgs)story. Vom Flugblatt
zur Zeitschrift. In Feministische Medien: Öffentlichkeiten jenseits des Malestream, Hrsg. Lea
Susemichel, Saskia Rudiger, und Gabi Horak, 55–63. Königstein/Taunus: U. Helmer.
606 I. Schmincke

Cancian, Francesca M., und Bonnie L. Ross. 1981. Mass media and the women’s movement:
1900–1977. The Journal of Applied Behavioral Science 17(1): 9–26.
Costain, Anne N., Richard Braunstein, und Heidi Berggren. 1997. Framing the women’s move-
ment. In Women, media, and politics, Hrsg. Pippa Norris, 205–220. New York/Oxford: Oxford
University Press.
Dorer, Johanna, Brigitte Geiger, und Regina Köppl, Hrsg. 2008. Medien – Politik – Geschlecht:
Feministische Befunde zur politischen Kommunikationsforschung. Wiesbaden: Springer VS.
Drüeke, Ricarda, und Elke Zobl. 2013. #aufschrei als Gegenöffentlichkeit – eine feministische
Intervention in den Alltagssexismus? Femina Politica 22(3): 125–128.
Flicker, Eva. 2008. Der Diskurs „Frauenbewegung“ in den Medien. In Medien – Politik –
Geschlecht: Feministische Befunde zur politischen Kommunikationsforschung, Hrsg. Johanna
Dorer, Brigitte Geiger, und Regina Köppl, 124–139. Wiesbaden: Springer VS.
Fraser, Nancy. 1996. Öffentlichkeit neu denken: Ein Beitrag zur Kritik real existierender Demo-
kratien. In Vermittelte Weiblichkeit: Feministische Wissenschafts- und Gesellschaftstheorie,
Hrsg. Elvira Scheich, 151–182. Hamburg: Hamburger Edition.
Geiger, Brigitte. 2002a. Feministische Öffentlichkeiten. Ansätze, Strukturen und aktuelle Heraus-
forderungen. In Feministische Kommunikations- und Medienwissenschaft: Ansätze, Befunde
und Perspektiven der aktuellen Entwicklung, Hrsg. Johanna Dorer und Brigitte Geiger, 82–99.
Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Geiger, Brigitte. 2002b. Geschlechterverhältnisse als Medienereignis. Berichterstattung und
mediale Diskurse zum österreichischen FrauenVolksBegehren. In Feministische Kommunikati-
ons- und Medienwissenschaft: Ansätze, Befunde und Perspektiven der aktuellen Entwicklung,
Hrsg. Johanna Dorer und Brigitte Geiger, 98–123. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Geiger, Brigitte, und Hanna Hacker. 1989. Donauwalzer Damenwahl. Frauenbewegte Zusammen-
hänge in Österreich. Wien: Promedia.
Gerhard, Ute. 2009. Frauenbewegung und Feminismus: Eine Geschichte seit 1789. München:
Beck.
Gsenger, Marlene, und Martina Thiele. 2014. Wird der #aufschrei erhört? Eine kritische Diskurs-
analyse der Sexismus-Debatte in Deutschland. kommunikation.medien 3. http://www.kommuni
kation-medien.at. Zugegriffen am 10.08.2018.
Holtz-Bacha, Christina, Hrsg. 2008. Frauen, Politik und Medien. Wiesbaden: Springer VS.
Huddy, Leonie. 1997. Feminists and feminism in the news. In Women, media, and politics, Hrsg.
Pippa Norris, 183–204. New York/Oxford: Oxford University Press.
Jarosch, Monika. 2012. Über die Mühe und Plage – und die Freude – eine feministische Zeitschrift
zu machen. In Frauen-Fragen. 100 Jahre Bewegung. Reflexion. Vision, Hrsg. Birge Krondorfer
und Hilde Grammel, 180–189. Wien: Promedia.
Klaus, Elisabeth. 2005. Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung: Zur Bedeutung
der Frauen in den Massenmedien und im Journalismus. Münster/Hamburg: Lit.
Klaus, Elisabeth. 2008. Antifeminismus und Elitenfeminismus – Eine Intervention. Feministische
Studien 2:176–186.
Klaus, Elisabeth. 2017. Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Selbstverständigungsprozess und das
Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit. In Öffentlichkeiten und gesellschaftliche Aushand-
lungsprozesse: Theoretische Perspektiven und empirische Befunde, Hrsg. Elisabeth Klaus und
Ricarda Drüeke, 17–37. Bielefeld: transcript.
Klaus, Elisabeth, und Susanne Kassel. 2008. Frauenrechte als Kriegslegitimation in den Medien. In
Medien – Politik – Geschlecht. Feministische Befunde zur politischen Kommunikationsfor-
schung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, und Regina Köpl, 266–280. Wiesbaden: Springer
VS.
Krainer, Larissa. 2016. Geschichte der Österreichischen Frauenzeitschriften. In Österreichische
Mediengeschichte, Hrsg. Matthias Karmasin und Christian Oggolder, 193–221. Wiesbaden:
Springer VS.
Kreisky, Eva, und Margit Niederhuber, Hrsg. 1998. Johanna Dohnal. Eine andere Festschrift.
Wien: Milena.
Die Neue Frauenbewegung in den Medien 607

Lang, Sabine, und Birgit Sauer. 2008. Mediales Indexieren. Die Reduktion von Frauen- auf
Familienpolitik im bundesdeutschen Wahlkampf 2002. In Medien – Politik – Geschlecht:
Feministische Befunde zur politischen Kommunikationsforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Bri-
gitte Geiger, und Regina Köppl, 190–203. Wiesbaden: Springer VS.
Lenz, Ilse, Hrsg. 2008. Die Neue Frauenbewegung in Deutschland: Abschied vom kleinen Unter-
schied. Eine Quellensammlung. Wiesbaden: Springer VS.
Lux, Katharina. 2017. Von der Produktivität des Streits – Die Kontroverse der Zeitschriften
Courage, Die Schwarze Botin und Emma. Feministische Studien 35(1): 31–50.
McRobbie, Angela. 2010. Top Girls: Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlech-
terregimes. Wiesbaden: Springer VS.
Mendes, Kaitlynn. 2011a. Feminism in the news: Representations of the women’s movement since
the 1960s. Basingstoke/New York: Palgrave Macmillan.
Mendes, Kaitlynn. 2011b. Reporting the women’s movement. Feminist Media Studies 11(4):
483–498.
Mendes, Kaitlynn. 2012. ‚Feminism rules! Now, where’s my swimsuit?‘ Re-evaluating feminist
discourse in print media 1968–2008. Media, Culture & Society 34(5): 554–570.
Neidhardt, Friedhelm, Hrsg. 1994. Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen. Band
34 Sonderheft der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Opladen: Westdeut-
scher Verlag.
Norris, Pippa, Hrsg. 1997. Women, media, and politics. New York/Oxford: Oxford University
Press.
Pater, Monika. 2006. „Gegen geile Männerpresse – für lesbische Liebe“. Der Andersen/Ihns-
Prozess als Ausgangspunkt für das Coming Out von Lesben. Invertito Jahrbuch für die
Geschichte der Homosexualitäten 8:143–168.
Pernegger, Maria. 2018. Frauen – Politik – Medien. Jahresstudie 2017. Eisenstadt: MediaAffairs. https://
kommunikationsradar.files.wordpress.com/2018/03/frauenpolitik-2017-studie.pdf. Zugegriffen am
10.08.2018.
Schmincke, Imke. 2013. Feminismus, Sex und ‚Zickenkrieg‘: Zur Konstruktion öffentlicher Femi-
nismen in den (traditionellen) Massenmedien. In Geschlechterverhältnisse und neue Öffentlich-
keiten: Feministische Perspektiven, Hrsg. Birgit Riegraf, Hanna Hacker, Heike Kahlert, Brigitte
Liebig, Martina Peitz, und Rosa Reitsamer, 144–162. Münster: Westfälisches Dampfboot.
Schneider, Andreas. 2010. Feministische Transgressionen und mediale Grenzziehungen: Zur ambi-
valenten Beziehung von Neuer Frauenbewegung und Massenbewegung – das Beispiel Alice
Schwarzer. Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte 57:66–71.
Schwarzer, Alice. 1977. Der „kleine Unterschied“ und seine großen Folgen: Frauen über sich –
Beginn einer Befreiung. Frankfurt a. M.: Fischer Verlag.
Sreberny, Annabelle, und Liesbet van Zoonen, Hrsg. 2000. Gender, politics and communication.
Cresskill: Hampton Press.
Susemichel, Lea, Saskia Rüdiger, und Gabi Horak, Hrsg. 2008. Feministische Medien: Öffentlich-
keiten jenseits des Malestreams. Königstein/Taunus: U. Helmer.
Wischermann, Ulla. 2003. Frauenbewegungen und Öffentlichkeiten um 1900: Netzwerke – Gegen-
öffentlichkeiten – Protestinszenierungen. Königstein/Taunus: U. Helmer.
Wischermann, Ulla. 2017. Zur öffentlichen Wirksamkeit der deutschen historischen Frauenbewe-
gungen um 1900 – Die Interaktion von Öffentlichkeiten. In Öffentlichkeiten und gesellschaft-
liche Aushandlungsprozesse: Theoretische Perspektiven und empirische Befunde, Hrsg. Elisa-
beth Klaus und Ricarda Drüeke, 63–78. Bielefeld: transcript.
Zoonen, Liesbet, van 1992. The Women’s movement and the media: Constructing a public identity.
European Journal of Communication 7(4): 453–476.
Feministische Medien und Öffentlichkeit:
Zeitschriften der Neuen
Frauenbewegungen

Brigitte Geiger

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610
2 Charakteristika feministischer (Print-)Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610
3 Diversifizierung feministischer (Print-)Medien im deutschsprachigen Raum . . . . . . . . . . . . . 612
4 Strukturen und Entwicklungen: Zur Praxis feministischer (Print-)Medien . . . . . . . . . . . . . . . . 615
5 Dokumentation, Sammlung und Erschließung feministischer Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . 621
6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623

Zusammenfassung
Für Frauenbewegungen ist der Zugang zu Medien und Öffentlichkeit, der für alle
sozialen Bewegungen wichtig ist, aufgrund der vergeschlechtlichten Dichotomie
von Öffentlichkeit und Privatheit besonders voraussetzungsvoll. Die Schaffung
eigener Räume und Kommunikationsstrukturen begleitete daher ab den 1970er-
Jahren die Konstituierung der zweiten Frauenbewegung. Eine zentrale Rolle
spielten dabei feministische Printmedien, vor allem Informationsblätter und Zeit-
schriften, als selbstbestimmte Artikulationsmittel für Kommunikation und Aus-
tausch nach innen sowie für die Mobilisierung und Intervention nach außen.
Zwischen Selbstorganisation, egalitärer und partizipativer Kommunikationskul-
tur und Professionalisierung entstand eine vielfältige Zeitschriftenlandschaft, in
der feministische Themen und Diskurse entwickelt wurden. Trotz Verlagerungen
feministischer Informations- und Medienarbeit ins Internet spielen Zeitschriften
auch weiterhin eine wichtige Rolle im feministischen Medienrepertoire.

B. Geiger (*)
Universität Wien, Wien, Österreich
E-Mail: brigitte.geiger@univie.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 609
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_41
610 B. Geiger

Schlüsselwörter
Feministische Medien · Feministische Öffentlichkeit · Frauenbewegung ·
Frauenzeitschriften · Alternativmedien

1 Einleitung

Soziale Bewegungen sind für ihre Konstituierung und die Intervention in gesell-
schaftliche Verhältnisse auf Öffentlichkeit angewiesen. Für die Frauenbewegungen
war (und ist) der Zugang zu Medien und Öffentlichkeit aufgrund der (bis heute
wirksamen) geschlechterdichotomen Entgegensetzung von Öffentlichkeit und Pri-
vatheit und damit verbundener Ausschlüsse besonders voraussetzungsvoll. Wie
schon die erste Frauenbewegung (Wischermann 2003; Marschik et al. 2022) schuf
sich daher auch die zweite Frauenbewegung ab den 1960er-Jahren eigene Räume,
Kommunikationsstrukturen und Medien, in denen Erfahrungen und Kritik artikuliert
und neue Sichtweisen und ein feministisches Selbstverständnis entwickelt werden
konnten. Die wachsende Vielfalt an selbstorganisierten feministischen Medien bildet
wichtige Kristallisationspunkte dieser Bewegungsöffentlichkeiten, zum einen für
Informationsaustausch und Diskussion nach innen, zum anderen für Mobilisierung
und die Artikulation von Anliegen und Forderungen nach außen.
Als relativ billige und regelmäßig erscheinende Medien waren Informations-
blätter und Zeitschriften von Beginn an wichtige Informationsmittel der neuen
Frauenbewegung und daher auch bevorzugter Gegenstand theoretischer Reflexion
und empirischer Untersuchungen zu feministischen Medien. Sehr stark von enga-
gierten Praktikerinnen getragen, entstehen die meist kleineren Studien zu einzelnen
regionalen Kontexten und Medien oft im Rahmen universitärer Abschlussarbeiten
oder im Umfeld feministischer Informations- und Dokumentationsstellen; Anlässe
sind vielfach Themenschwerpunkte oder Jubiläen feministischer Zeitschriften (u. a.
Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis für Frauen 1991; Geiger et al. 1991;
Gruppe feministische Öffentlichkeit 1992; Susemichel et al. 2008; Geiger und Hauser
2012), im Kontext medialer Transformationen behandelt das Feminist-Media-Projekt
feministische Print- und Onlinemedien in Europa. (Zobl und Drüeke 2012; http://
www.grassrootsfeminism.net).

2 Charakteristika feministischer (Print-)Medien

Die Bandbreite feministischer Medien im Kontext vielfältiger feministischer Bewe-


gungen, Strategien und Konzepte sowie unterschiedlicher gesellschaftlicher, politi-
scher und kultureller Rahmenbedingungen und Entwicklungen macht eine ein-
deutige Definition des Genres „feministische Zeitschrift“, dem lange Zeit
vorherrschenden Medium, schwierig. Kategorisierungen beziehen sich auf Kontinua
in unterschiedlichen Dimensionen. (Geiger 2002a)
Feministische Medien und Öffentlichkeit: Zeitschriften der . . . 611

Feministische Medien bestimmen sich zunächst ganz allgemein durch einen


kritischen Blick auf herrschende Geschlechterverhältnisse und als Kritik und Gegen-
pol zu bestehenden Medien. In Abgrenzung zu männlich dominierten Medienöffent-
lichkeiten gehören sie zu den „Frauenmedien“, haben also Frauen bzw. Frauen*1
und ihre Lebensverhältnisse im Fokus, thematisieren „weibliche“ Erfahrung dabei
im Kontext von Politisierung und Aktivismus und sind wichtige Kristallisations-
punkte feministischer Öffentlichkeiten. (Geiger 2002b; Klaus 2004) Anders als
kommerzielle „Frauenzeitschriften“ orientieren sie sich nicht an Einpassung in,
sondern an Veränderung von einschränkenden geschlechtlichen Zuschreibungen.
Frauen* sind hier auch nicht nur die (gut vermarktbare) Zielgruppe, sondern auch
Produzent*innen und Verantwortliche. Feministische Medien sind nicht-kom-
merzielle, basisnahe und partizipative Medien oppositioneller Sichtweisen, wie
sie in den Protestbewegungen nach 1968 entstanden. Zu ihrem Selbstverständnis
gehören nicht nur herrschaftskritische Inhalte und Themen, sondern auch ein selbst-
bestimmter kollektiver Produktionsprozess. (Dorer et al. 1992; Krainer 1995; Smith
1989; Geiger 1989, 2002a)
Die autonome Frauenzeitung (wie sie meist genannt wurde), die unabhängig von
Männern, von patriarchalen Institutionen oder Parteien, vom kapitalistischen Me-
dienmarkt und ökonomischen Einflüssen ausschließlich von Frauen kollektiv und
nicht-hierarchisch ,gemacht‘ wird, ist sozusagen der Prototyp eines feministischen
Mediums, blieb aber nicht seine einzige Form. Denn feministische Positionierungen
und Entwicklungen zwischen Autonomie und Institution(alisierung), zwischen Ge-
genkultur und Mainstreaming charakterisieren generell Medien und Formen femi-
nistischer Öffentlichkeit. (Geiger 2002b)
Unter feministischen Öffentlichkeiten (Geiger 2002b) werden zunächst unmit-
telbar an die Frauenbewegungen in ihrer thematischen, organisatorischen und
politisch-ideologischen Vielfalt gekoppelte Öffentlichkeiten verstanden. Daneben
etablieren sich institutionell verankerte Öffentlichkeiten der Frauen- und Gleich-
stellungspolitik, später auch universitärer Frauen- und Geschlechterforschung mit
einem tendentiell privilegierteren Zugang zu Mainstreammedien. Schließlich diffun-
dieren feministische Ideen in breite gesellschaftliche Kontexte und manifestieren
sich in Frauengesprächskreisen und Mütterrunden, frauenbezogenen Bildungsange-
boten und beruflichen (Karriere-)Netzwerken bis hin zu aktuellen Formen eines
populären Feminismus als Lifestyle-Produkt und Marketingthema (Hausbichler
2021) und bilden sog. emanzipatorische Öffentlichkeiten, die einzelne feministische
Themen aufgreifen, Benachteiligung thematisieren und Gleichstellung voraussetzen,
ohne sich explizit in Politiken von Frauenbewegungen zu verorten. (Geiger 2002b)
Feministische Medien reflektieren und bestimmen diese Entwicklungen und
Differenzierungen in Form und Inhalt mit. Das spiegelt sich auch im theoretischen
Blick auf sie. So zeigen sich Deuber-Mankowsy et al. (2005) skeptisch gegenüber
frühen selbstverständlichen Bezugnahmen auf Frauenöffentlichkeit und weibliche

1
Ich verwende im Beitrag das Gender-Sternchen je nach dem zeitlichen Kontext, von dem jeweils
die Rede ist.
612 B. Geiger

Identität (z. B. Geiger 1989; Lünenborg 1992; Krainer 1995) und verstehen femi-
nistische Medien (im Anschluss an Castells’ Konzept von Identität in der Netzwerk-
gesellschaft und McDermott 1994) als Brennpunkte vernetzter Communities bzw.
thematischer und ideologischer Interpretationsgemeinschaften.
Feministische Medien wurden auch unter dem Aspekt der Alternativmedien, die
in der Tradition Neuer Sozialer Bewegungen der 1970er-Jahre stehen, diskutiert.2
Jenny Gunnarsson Payne (2012) untersucht den Ertrag von Theorieansätzen zu
Alternativmedien für ein Verständnis von feministischen Medien und betont, dass
für deren Analyse jedenfalls die Aspekte Dynamik, Kontingenz und Komplexität zu
berücksichtigen sind. Dem entsprechen offene und differenzierte Modelle und Kon-
zepte von Alternativmedien besser als jene Theorien, die mit starren Gegensätzen
von Gegenöffentlichkeit und Mainstream, Basis und Institution arbeiten. Sie bezieht
sich u. a. auf die Typologie von Atton (2002), die differenzierte empirische Bezug-
nahmen auf Inhalt, Form und Kontext erlaubt. (Gunnarsson Payne 2012) Bailey
et al. (2008) unterscheiden vier theoretische Zugänge, die jeweils unterschiedliche
Funktionen von Alternativmedien in den Vordergrund rücken, wie z. B. die Kon-
stitution und Partizipation einer Community (oder Bewegung) oder eine Alternative
zum Mainstream in Inhalt und Produktionsweise. Das Feminist-Media-Projekt ori-
entierte sich für seine Bestandsaufnahme an den Kategorien von Lievrouw (2011)
und erörtert deren Relevanz für sozialen Wandel entsprechend entlang von Reich-
weite, Position und Aktivitäten sowie dem Bezug zu feministischen Diskursen.
(Zobl und Reitsamer 2012, S. 46–47)

3 Diversifizierung feministischer (Print-)Medien im


deutschsprachigen Raum

Die Zentren der feministischen Printmedienproduktion liegen, global gesehen, ein-


deutig in Nordamerika und Europa, wo der Aufbruch der zweiten Welle der Frauen-
bewegung von inhaltlich und organisatorisch ausdifferenzierten Medienlandschaften
begleitet wurde. (Geiger 2002a) Im deutschsprachigen Raum entwickeln sich feminis-
tische Medien entlang vergleichbarer Frauenbewegungsstrukturen durchaus ähnlich.
Schon die Aufbruchs- und Bewusstwerdungsphase (Geiger und Hacker 1989; Lenz
2010) in den frühen 1970er-Jahren wird von ersten Zeitungsprojekten begleitet.
Orientiert an feministischen kollektiven Prinzipien entstanden kurzfristige Initiativen
wie die – von ersten autonomen Frauengruppen in verschiedenen deutschen Städten

2
Nachdem in den letzten Jahren eine Desavouierung und Aneignung des Begriffs Alternativmedien
durch rechtsradikale Bewegungen, Trump, Identitäre und die Coronaleugner erfolgte, wird der
Begriff heute für Medien sozialer Bewegungen und aktueller Protestbewegungen nur mehr selten
verwendet, in wissenschaftlichen Arbeiten mittlerweile kritisch diskutiert oder dient gar als Be-
zeichnung für rechtsradikale Medien. (Hoffacker 2020; KJM 2020) Hier werden die Begriffe
Alternativmedien und alternative Öffentlichkeit dem vorrangigen zeitlichen Fokus entsprechend
in der ursprünglichen emanzipatorischen Tradition verstanden.
Feministische Medien und Öffentlichkeit: Zeitschriften der . . . 613

rotierend herausgegebene – Frauenzeitung (1973–1976), aber auch schon dauer-


hafte Medieninitiativen wie AEP Informationen (1974–) in Innsbruck und AUF –
eine Frauenzeitschrift (1974–2011) in Wien oder die Fraue-Zitig, später FRAZ –
Frauenzeitung (1975–2009) in Zürich. Die Gründung von Courage (1976–1984)
und Emma (1977–) als überregionale Monatsmagazine kündigt die ersten Differen-
zierungsprozesse an. Während sich Courage ausschließlich auf Frauen- und femi-
nistische Öffentlichkeit als einen kollektiven feministischen Such- und Lernprozess
bezieht, vertritt Emma mit traditionell journalistischem Verständnis und Routinen
die Bewegung und feministische Anliegen auch gegenüber Mainstreamöffentlich-
keiten. (Lux 2017)
Mit der thematischen und organisatorischen Vervielfältigung frauenbewegter
Ansätze und Initiativen und der Umsetzung feministischer Kritik und Forderungen
in praktischer Arbeit entsteht ab den 1980er-Jahren vor allem in urbanen Räumen
eine breite feministische Infrastruktur an Gewalt-, Sozial- und Beratungsprojekten
sowie Kultur-, Kunst- und Medieninitiativen. (Doderer 2003) In diesem Kontext
geht der Ausbau medialer feministischer Öffentlichkeiten mit einer gewissen Re-
gionalisierung einher, wenngleich Metropolen wie Berlin oder Wien die Zentren der
feministischen Informationsvermittlung bleiben. Regionale Frauenzeitungen wie
Lila Distel, Donna Wetter oder igitte (in Saarbrücken bzw. Bochum) oder Zyklotron,
Infam, Zarah lustra und Belladonna (der Frauenkultur- und -kommunikationszen-
tren in österreichischen Landeshauptstädten) changieren zwischen Programm-Info,
Bewegungszeitschrift und regionalem feministischem Stadtmedium. (Figdor 2005;
Röttger und Werner 1992; Geiger 2002a; Rüb 2006) Im und nach dem Umbruch von
1989 entstehen, teilweise nur für einige Jahre, ostdeutsche Zeitschriftenprojekte wie
Ypsilon (1990–1991), Zaunreiterin (1989–1995) oder frau anders (1989–1993).
(Tonscheidt 1996; Sänger 2005)
Weiters entstehen mit den thematischen Spezialisierungen feministischen En-
gagements Informationsblätter und kleinere Special-Interest-Zeitungen als Öffent-
lichkeitsarbeit der sich etablierenden Frauenprojekteszene sowie eigenständige
feministische Fachzeitschriften zu Kunst, Literatur und Musik (Eva & Co, mamas
pfirsiche, Viva Voce), Frauengesundheit (Clio) oder Fragen des Nord-Süd-Verhält-
nisses und globaler Ungleichheit (Frauensolidarität, Terre des Femmes).
Feministische Initiativen an den Universitäten und der Ausbau der Frauen- und
Geschlechterforschung werden begleitet von studentischen Aktivitäten einerseits
und Rundbriefen von Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Disziplinen anderer-
seits. Im Spannungsfeld von feministischer Bewegung, Theorie und Praxis sowie
Akademisierung und universitärer Institutionalisierung entstehen disziplinär breit
angelegte wissenschaftliche Zeitschriften wie beiträge zur feministischen theorie
und praxis (1978–2008), Feministische Studien (1982–), Ihrsinn – eine radikalfe-
ministische Lesbenzeitschrift (1990–2004) oder GENDER. Zeitschrift für Ge-
schlecht, Kultur und Gesellschaft (2009–) sowie fachspezifische Titel wie L'Homme.
Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft (1990–), Script. Frauen Lite-
ratur Wissenchaft im alpen-adriatischen Raum (1991–2001), Olympe – Feministi-
sche Arbeitshefte zur Politik (1994–2012) oder Femina politica (1997–). (Hauser
und Geiger 2008)
614 B. Geiger

Weitere Differenzierungen erfolgen entlang identitätspolitischer Linien. Erste


lesbisch-feministische Initiativen entstehen schon früh: mit überregionaler Bedeu-
tung Lesbenfront (1975–1985/2004) in Zürich und Lesbenpresse (1975–1982) und
UKZ (1975–2001) in Berlin, regionaler und später der von verschiedenen Lesben-
gruppen rotierend gestaltete österreichische Lesbenrundbrief (1983–1989/93). (Fie-
seler 2008; Geiger und Hauser 2012) Als wichtige frühe Stimme erscheint Afrekete.
Zeitung für afro-deutsche und schwarze Frauen (1988–1990) mit nur wenigen
Ausgaben, und auch Migrantinnen(beratungs)projekte nutzen gedruckte Newsletter
nur vereinzelt, z. B. Lefö in Wien. (Geiger und Hauser 2012)
Für Österreich bietet die Zeitschriften-Datenbank von STICHWORT. Archiv der
Frauen- und Lesbenbewegung3 einen Einblick in die Bestandsentwicklung. Begin-
nend mit durchschnittlich etwa fünf Zeitungstiteln in den 1970er- setzt in den
1980er-Jahren eine bis zur Jahrtausendwende anhaltende Expansion der feministi-
schen Medienlandschaft ein, wobei die Informationsblätter der Frauenprojekte den
stärksten Zuwachs verzeichnen. Nach dem Höchststand von 76 Titeln im Jahr 1997
geht sowohl die Gesamtanzahl als auch die Anzahl der jährlichen Neugründungen
stetig zurück; für 2010 sind 46 Titel dokumentiert. (Geiger und Hauser 2012,
S. 76–78) Kennzeichnend ist eine durchgehend große Fluktuation – mehr als die
Hälfte der Titel erscheint unregelmäßig oder besteht nur ein bis zwei Jahre. Dies
verweist auf die Dynamik und Lebendigkeit einer basisnahen, selbstorganisierten
Medienproduktion, ist aber auch den Grenzen nebenberuflicher Medienarbeit ge-
schuldet. Dennoch erreichen viele Medienprojekte eine beeindruckende Kontinuität,
einige erscheinen sogar über Jahrzehnte. (Geiger und Hauser 2012, S. 79) Auch
wenn die Blütezeit vorbei zu sein scheint, bestehen traditionsreiche Titel der zweiten
Welle der Frauenbewegung weiterhin (AEP, anschläge, Emma, Wir Frauen . . .), und
eine jüngere Generation von Feministinnen gründet neue Projekte, wie das popfe-
ministische Missy Magazine (2008–) oder das lesbische Lifestyle-Magazin L'Mag
(2006–).
Parallel zur Printproduktion erfolgt eine Diversifizierung der feministisch genutz-
ten Medienformate. Im Rundfunksektor, wo ein eigener Frauenfunk, allerdings an
traditioneller Weiblichkeit orientiert, bereits eine lange Tradition hat, können sich
nun auch im Kontext der Freien, nicht-kommerziellen (Community-)Radios mit
ihrem Anspruch der Pluralität von Themen und Präsentationsformen feministische
Programme etablieren. (Neverla 1995; Dorer 2004; Schossengeier 2008) Auch
Experimente mit feministischem Fernsehen entstehen, z. B. an.schläge.tv auf dem
Wiener Stadtsender Okto. (Susemichel 2008a) Auch die neuen Informations- und
Kommunikationstechnologien werden früh genutzt. Mailbox-Netze wie FemNet und
Woman bieten Frauen und Frauengruppen einen niederschwelligen Zugang zu
elektronischer Vernetzung. (Schachtner und Winker 2005) Nicht zuletzt aus

3
Die Zeitschriftensammlung umfasst derzeit knapp 1000 internationale und deutschsprachige
feministische Titel. Der österreichische Bestand ist weitgehend vollständig und beinhaltet seit den
2000er-Jahren auch elektronische Newsletter, nicht aber Online-Zeitschriften oder Blogs. Eine
detaillierte Auswertung der zugehörigen Zeitschriftendatenbank für den österreichischen Teil
erfolgte mit Stand 2010 zuletzt für Geiger und Hauser (2012).
Feministische Medien und Öffentlichkeit: Zeitschriften der . . . 615

Kostengründen verlagert sich feministische Informationsvermittlung ab den 1990er-


Jahren zunehmend ins Netz, auch wenn die Interaktions- und Aktionsmöglichkeiten
zunächst nur zögerlich genutzt werden (Schachtner und Winker 2005). Neben
selbstorganisierten (und nicht mehr aktiven) Fraueninfo-Portalen wie Ceiberwei-
ber.at oder Wolfsmutter.at kann sich seit 2000 das feministische Nachrichtenportal
dieStandard.at im Rahmen der Qualitätszeitung Der Standard etablieren. (Freuden-
schuß und Yeoh 2008) Und in den letzten Jahren ist im Web 2.0 mit seiner Fluidität,
Flexibilität und Temporalität eine lebendige queer-feministische Netzcommunity
entstanden. (Carstensen 2013; Drüeke 2019)
Diese Diversifizierung feministischer Medienaktivitäten in Europa wird in der
Bestandsaufnahme des Feminist-Media-Projekts 2008–2012 deutlich: Immer noch
bilden Printmedien die größte Gruppe, dicht gefolgt von Blogs, mit Abstand folgen
e-Zines, zuletzt Radio- und vereinzelt TV-Projekte. Zwischen den einzelnen Ländern
bestehen allerdings große Unterschiede: Die größte Anzahl mit über 50 femi-
nistischen Projekten weisen Deutschland und Großbritannien aus, es folgen Spanien,
Polen und Italien mit rund 20 Initiativen. Gleich dahinter folgt Österreich mit einer in
Relation zu seiner Größe überdurchschnittlichen Anzahl an Printmedien. (Zobl und
Reitsamer 2012, S. 25–27) Die Mehrheit der befragten Medienmacherinnen verortet
sich in der zweiten Welle des Feminismus, ein expliziter Bezug zu Dritte-Welle-
Feminismen ist (noch) selten, wohl aber zu seinen Elementen (wie DIY, digital,
queer, intersektional, popaffin). (Zobl und Reitsamer 2012)

4 Strukturen und Entwicklungen: Zur Praxis feministischer


(Print-)Medien

4.1 Produktionsweisen, Partizipation und Professionalisierung

Zentrale Elemente einer an feministischen Prinzipien und alternativen Medientheo-


rien orientierten Produktions- und Kommunikationskultur sind Selbstvertretung und
aktivistische Orientierung, kollektive, egalitäre und konsensuale Strukturen, offener
Zugang und Leserinnen-Beteiligung sowie kritische Reflexion der Vermittlungspro-
zesse. (Smith 1989; Geiger 2002a; Susemichel et al. 2008; Zobl und Drüeke 2012)
In den anfangs oft formlosen, bald vereinsmäßig organisierten Kollektiven von
Aktivistinnen, selten mit Medienvorerfahrung, muss die konkrete Ausgestaltung
stets neu verhandelt und der Situation und sich verändernden Rahmenbedingungen
angepasst werden. Die verstreuten Selbstauskünfte und kleinere Interviewstudien
(u. a. Böttger 1991; Notz 2008; Geiger 1989, 1996; Röttger und Werner 1992;
Figdor 2005) machen zum einen die spezifischen Qualitäten eines selbstbestimmten
kollektiven Arbeitens und engagierter Auseinandersetzung deutlich – eine „Hori-
zonterweiterung“ (Böttger 1991, S. 184), ein wichtiger Diskussions- und Lernort
( fiber-Kollektiv 2015). Zum anderen verweisen sie auf typische Schwierigkeiten
und Konflikte in Folge informeller Hierarchien, was sich bei der Integration neuer
Frauen oder im Generationenwechsel, bei Kommunikations- und Entschei-
616 B. Geiger

dungsstrukturen zeigt oder bei der Verteilung von Arbeit und Verantwortung,
wie sie auch aus anderen feministischen Kontexten bekannt sind. (Doderer und
Korteniek 2010)
Eine spezifische Herausforderung für feministische Medien ist das Verhältnis zur
jeweiligen Bezugsgruppe – d. h. der eigenen Gruppe, lokalen Szene oder allgemein
„der Bewegung“. Für einen gemeinsamen Austausch sind Schwerpunktthemen und
offene Redaktionssitzungen vorgesehen, außerdem werden Heftpräsentationen und
Gesprächsrunden organisiert. Leichter realisieren lassen sich Partizipationsansprü-
che, wo eine enge Verbindung zwischen Zeitung (als Organ und Forum) und lokaler
Bewegung besteht, wie z. B. in der Anfangszeit der AUF (Geiger und Hacker 1989).
Eine rege Beteiligung erreichten regionale Frauenzeitschriften vor allem in der
Consciousness-raising-Phase mit einer Fülle an Erfahrungsberichten. (Figdor 2005)
Mitte der 1980er-Jahre bekundeten Leserinnen von AUF und an.schläge zwar eine
Bereitschaft zur aktiven Beteiligung, eine reale Umsetzung war aber von Faktoren wie
Nähe zur Redaktion, eigener Aktivismus oder Bildung abhängig. (Geiger 1989) In
einer sich diversifizierenden Bewegung und mit steigenden Ansprüchen an feministi-
sche Medien verlagert sich die Beteiligung zunehmend zu aktivistischen und/oder
beruflichen Expert*innen bzw. professionell schreibenden Frauen. (Geiger 1996) Da
Honorare nur selten gezahlt werden können, erfordert es ein unterstützendes Netzwerk,
um diese spezifische Qualität mit vielfältigen Perspektiven zu gewährleisten. Man-
gelnde Resonanz und Entfremdung zu sich wandelnden feministischen Kontexten
können auch die Einstellung eines Mediums befördern.4 Internet und Social Media
erweitern Interaktions- und Vernetzungsmöglichkeiten, sind aber auch eine zusätzliche
Arbeitsbelastung. Um 2010 nutzte daher nur ein Drittel der europäischen feministi-
schen Printmedien Social-Media-Auftritte. (Zobl und Reitsamer 2012, S. 29) Nach dem
Internethype und negativen Erfahrungen fordert etwa Sandoval (2011) bezüglich linker
Alternativmedien(theorien) ein Überdenken des Partizipationsparadigmas.
Ein weiteres immer wieder thematisiertes Problemfeld sind prekäre Produktions-
bedingungen, fehlende Ressourcen und Beschränkungen durch nebenberufliche
Medienproduktion. So arbeiteten in Österreich Mitte der 1980er-Jahre alle befragten
Redaktionen unbezahlt (bis auf fallweise bezahlte Layout-Arbeiten); keine verfügte
über eigene Redaktionsräume. Zehn Jahre später hatte zumindest die Hälfte der
größeren Zeitschriften bezahlte Arbeitsplätze. Damit einher gehen geringe Reich-
weiten und große, vielfach unregelmäßige Erscheinungsintervalle. (Geiger 1996)
Mit steigenden Ansprüchen an Inhalt, Form und Vermittlungsleistungen in einem
diversen und dezentralen feministischen Umfeld und den Bestrebungen, berufliches
und feministisches Engagement zu verbinden, setzte auch im Medienbereich ein
Professionalisierungsprozess ein. Im Zuge dessen verändert sich die kollektive
Organisation hin zu Spezialisierung, Arbeitsteilung und klaren Verantwortlichkeiten.
Es wird in Auswahl und Aufbereitung der Inhalte, in Layout und Gestaltung

4
So beschleunigen das Abflauen der zweiten Frauenbewegung und Verschiebungen zu den Gender
Studies und in der Lesbenbewegung etwa die Einstellung der beiträge zur feministischen theorie
und praxis (Notz 2008) und von Ihrsinn (Büchner 2008).
Feministische Medien und Öffentlichkeit: Zeitschriften der . . . 617

investiert, um (potentiell) breitere Publikumsschichten zu erreichen. Um neben den


Schwerpunktthemen auch aktuelle(re) Nachrichten und Reaktionen zu ermöglichen,
stellte etwa das an.schläge-Magazin schon 1988 auf (beinahe) monatliches Erschei-
nen um. (Rudigier 2008) Für die Finanzierung spielen neben Handverkauf, Abos
und (einigen) Inseraten nun auch staatliche Finanzierungsmöglichkeiten wie Publi-
zistikförderung (für einen Teil der Druckkosten), vom Arbeitsmarktservice finan-
zierte (befristete) Stellen sowie die regionale und nationale Frauen(projekte)-
förderung (mit all ihren Unwägbarkeiten) eine wichtige Rolle. (Geiger 1996)
Freiwilliges Engagement und einfach produzierte Basismedien bleiben aber wei-
terhin wichtig und bekommen neben den nun stärker institutionalisierten Formen
feministischer Praxis mit dem DIY-Ethos im Gefolge von Punk und Riot Grrrls und
den digitalen Möglichkeiten in Zines und Blogs neuen Auftrieb. (Zobl und Reit-
samer 2012)
Eine Professionalisierung kritischer Medienarbeit ist mit Ambivalenzen ver-
knüpft und daher nicht unumstritten. So wurde Emma schon bei ihrer Gründung
eine zu starke Orientierung am journalistischen Mainstream, die dem Ideal der
Autonomie widerspreche, vorgeworfen. (Lux 2017; Ley et al. 2005) Zeitschriften
wie AUF und sic! setzten bewusst auf Nebenberuflichkeit als „die einzige Möglich-
keit für ein kritisches, feministisches und linkes Medium“. (Geiger 1996, S. 358) Der
Professionalisierung als Verberuflichung wird Professionalität als Passung von Me-
dienkonzept und Arbeitsweise (Röttger und Werner 1992) bzw. Realisierung eines
feministischen Journalismus mit seinen eigenen Qualitätskriterien (Well 2008) ent-
gegengesetzt. Dazu gehört die Verbindung zur Community und Wissen um deren
Sprache und Codes. (Zobl und Reitsamer 2012) Umgekehrt verbinden Zeitschriften
wie an.schläge oder das popfeministische Missy Magazine bei allen Schwierigkeiten
erfolgreich Professionalisierung mit feministischen Prinzipien und Diskursen. San-
doval (2011) spricht sich gegen eine Selbstbeschränkung durch Nebenberuflichkeit
aus. Bei aller Bedeutung von DIY für feministische Selbstorganisation, so Missy-
Gründerin Sonja Eismann (2008), müssen die Verstrickungen in neoliberale Indivi-
dualisierung und Warenlogiken kritisch reflektiert werden. Nebenberuflichkeit be-
schränkt auch die Beteiligungschancen an der Redaktionsarbeit, wie etwa der hohe
Anteil von Studierenden mit tendenziell größeren Zeitressourcen zeigt (Figdor
2005). Umgekehrt wird die oft damit verbundene hohe Fluktuation in den Teams
nicht nur negativ gesehen, bringt sie doch auch neue und andere Perspektiven und
Kompetenzen ein. (Horak 2008)

4.2 Inhalte, Themen, Diskurse

Feministischer Journalismus – in autonomen wie auch in Mainstreammedien –


erweitert die Agenda medialer Öffentlichkeiten um neue Themen, Perspektiven
und Darstellungsweisen. Zu seinen Qualitätskriterien gehören Parteilichkeit und
Transparenz der Positionierung anstelle vermeintlicher Objektivität, Fokus auf
Lebenswirklichkeit und Alltag von Frauen bzw. Frauen*, Benennung von
618 B. Geiger

Akteur*innen und Kontext sowie Orientierung an sich nur langsam ändernder


Problem-Aktualität statt simpler Ereignisaktualität. Wichtig ist eine kritische Sicht
auch auf Differenzen unter Frauen und (Mit)Täter*innenschaft jenseits einer Be-
schränkung auf die weibliche Opferrolle sowie die Bereitschaft zur Reflexion ei-
gener Verantwortung und Repräsentationsmacht. (Lünenborg 1992; Horak 2008;
Geiger 2002a)
Während Defizite medialer Mainstream-Repräsentationen mittlerweile gut doku-
mentiert sind, existieren wenige systematische Untersuchungen zu den Vermitt-
lungsleistungen feministischer Medien. Einen quantitativen Einblick in die ersten
zwei Jahrzehnte feministischer Printmedien gibt eine Untersuchung5 des Wiener
STICHWORT-Archivs. (Geiger et al. 1991) Dem hohen Stellenwert bewegungs-
interner Information und Kommunikation entsprechend entfiel rund ein Drittel des
Inhalts auf Bewegungsberichterstattung im engeren Sinn, also Berichte über Grup-
pen, Veranstaltungen und Aktivitäten, Themen und Debatten, je nach Zeitungstyp
vorwiegend auf die eigene Gruppe, lokale bzw. nationale oder auch überregionale
Kontexte bezogen. (Geiger et al. 1991, S. 89–90)
An den Themen und deren Entwicklung können Schwerpunkte feministischer
Kämpfe verfolgt werden. So steht in den 1970er-Jahren zunächst das Thema Ab-
treibung (bis zur Einführung der Fristenlösung 1975) an der Spitze, gefolgt von der
Skandalisierung der Gewalt an Frauen, ein Themenfeld, das mit der schrittweisen
Entdeckung der verschiedenen Formen geschlechtsbezogener Gewalt wichtig bleibt
(beispielsweise auch in Grrrl Zines, Zobl 2008, S. 47). Durchgängig Thema ist die
soziale und ökonomische Lage von Frauen, in den 1980er-Jahren erhält Politik,
insbesondere die Anfänge institutioneller Frauenpolitik, vermehrte Aufmerksam-
keit. Mit der Entwicklung der Frauenkulturprojekte und der Frauenforschung er-
weitert sich das Themenspektrum, und Kunst und Literatur sowie Wissenschaft
bekommen breiteren Raum. Bezogen auf stereotyp männlich zugeordnete Themen
eignen sich auch feministische Medien Bereiche wie Umwelt/Technik oder Wirt-
schaft(spolitik) nur spät und zögerlich an, während als ,weiblich‘ konnotierte The-
menfelder wie Familie, heterosexuelle Beziehungen oder auch Gesundheit eher
geringe Anteile hatten. (Geiger et al. 1991; Geiger und Hauser 2012, S. 81–83)
Emma als bekannteste ,andere‘ Frauenzeitschrift wird mehrfach in Untersuchun-
gen zu Frauenbild oder Themenstruktur kommerzieller Frauenzeitschriften (mit)
behandelt. So analysiert beispielweise Kössler (2012, S. 209–302) deren Politikbe-
richterstattung, die im traditionellen Segment nur einen marginalen Anteil von 5 bis
10 % ausmacht, bei Emma aber mit rund 45 % den Schwerpunkt bildet, und zwar vor
allem in informativer Funktion. Auf deutlich niedrigerem Niveau ist das auch die
Hauptfunktion bei den anderen Zeitschriften, Beratung und Unterhaltung spielen
hier aber eine größere Rolle als bei Emma.

5
Dafür wurde neben Flugblättern und Plakaten die österreichische Zeitschriftenproduktion von
1972–1990 auf Artikelebene formal und nach der STICHWORT-Schlagwortsystematik erfasst und
analysiert. Der Datenpool ist über die STICHWORT-Homepage online recherchierbar (http://www.
stichwort.or.at).
Feministische Medien und Öffentlichkeit: Zeitschriften der . . . 619

Im Kontext der Debatten um postfeministischen und neoliberalen Backlash und


einen entpolitisierten Popfeminismus rückt Missy Magazine als Dritte-Welle-Projekt
für popkulturell interessierte jüngere Generationen (Eismann et al. 2012) ins Zen-
trum des Interesses. An einem kleinen Sample diskutiert Trommer (2013) das
Feminismusverständnis von Missy und konstatiert eine Zweiteilung – Feminismus
als Forderung nach Gleichberechtigung und Teilhabe in der Rubrik „Politik“ und als
Lifestyle und Lebensgefühl im Kontext popkultureller Beiträge. Mit Bezug auf
McRobbies (2010) Analysen aktueller Konstellationen von Feminismus, Popkultur
und neoliberalen Genderordnungen untersuchen Thomas und Kruse (2013) die
Inhalte von Missy und der fanzine-ähnlicheren fiber. Trotz gewisser Anleihen an
neoliberale Weiblichkeiten durch die Inszenierung erfolgreicher Frauen (insbeson-
dere in Missy) gelingt es, herrschende Genderkonstruktionen zu durchkreuzen und
genderbezogene Diskurse zu erweitern. Mode und Schönheit, Kernthemen kom-
merzieller Frauenzeitschriften und einer der von McRobbie identifizierten Aufmerk-
samkeitsräume, wird etwa in Missy selbstbewusst in eigenen Modestrecken mit
ironischen Zitierungen und Infragestellung herrschender Schönheitsnormen insze-
niert und mit kritischen Beiträgen verbunden. Dass die dabei präsentierten Weiblich-
keitsbilder nicht ohne Ambivalenz sind, verweist auf Schwierigkeiten feministischer
Bildpolitiken, steht doch das Bemühen um eine Abkehr vom weiblichen Objekt-
status hin zu Selbstbestimmung immer im Bezug zu herrschenden Sehgewohn-
heiten. (Susemichel 2008b)
Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Frage der Inklusivität feministischer
Medien. Alternative Öffentlichkeiten erweitern zwar das diskursive Feld, sind aber
selbst nicht frei von Exklusionen und Hierarchien (Fraser 2001), wie sich allein in
der überwiegend homogenen Zusammensetzung vieler Kollektive zeigt, wie immer
wieder selbstkritisch vermerkt wird. Beklagt werden inhaltliche Leerstellen – ent-
lang von Differenzen von Klasse/Bildung und Schicht, sexueller Orientierung,
zwischen Müttern und Nicht-Müttern und im Zuge virulenter werdender Migrations-
debatten verstärkt an Rassismen und ethnischer Diskriminierung.
Kritik an Eurozentrismen und Paternalismen eines weißen Feminismus wird
früh an Emma und Beispielen ihrer undifferenzierten Islamkritik illustriert
(Mysorekar 1991; Toker 1993). Kupfer (2021) findet Kontinunitäten in Alice
Schwarzers Gleichheitsfeminismus und Öffentlichkeitsverständnis bereits in frü-
hen Debatten bis zu Emma’s Position zur Kölner Silvesternacht. Dilemmata
feministischer Islamdiskurse analysiert Marx (2008) anhand deutscher und
niederländischer feministischer Zeitschriften. Die Geschichte feministischer
Auseinandersetzungen und Aktivismen zu Geschlechterverhältnissen und ethni-
sierten Differenzen in Wien untersucht Stefanie Mayer (2018) in einer material-
reichen Arbeit. Sie kombiniert Textanalysen (AUF-Info und -Zeitung, Frauen-
solidarität, FZ-Nachrichten und Online-Quellen) mit Interviews und teilnehmender
Beobachtung und macht Entwicklungslinien der Debatten deutlich, die vom Fokus
auf internationale Solidarität zu ‚fremden Frauen‘ bei uns über nationalsozialisti-
sche Verstrickungen und Rassismuskritik bis zu Fragen von Bündnissen, Positio-
nierungen, Identitäten, Repräsentation und Handlungsfähigkeit reichen. (Mayer
2018)
620 B. Geiger

In diese Debatten und hegemoniale Diskurse interveniert seit 2009 das mehr-
sprachige Migrazine. Online Magazin von Migrantinnen für alle (http://www.
migrazine.at) als ein Forum für selbstbestimmte Artikulation und migrantische
Wissensproduktion. Mit einem Verständnis der Kategorie ‚Migrantin‘ als politischer
Identität, einer konsequent (eingeforderten) intersektionalen Perspektive und Infra-
gestellung der Privilegien von Mehrheitsangehörigen erweitert dieses postmigranti-
sche Medium, so Viktorija Ratković (2018), ganz entscheidend die innerfeministi-
sche Diskussion und Praxis.

4.3 Zur Bedeutung und Nutzung feministischer Medien

Medienmacherinnen wie Forscherinnen betonen den Beitrag feministischer Medien


zu Veränderung und sozialem Wandel. Forschung zu konkreten Nutzungsweisen,
Rezeption und Bedeutung für ihre Leser*innen ist aber selten. Punktuelle Einblicke
und demografische Daten bieten von den Zeitschriften selbst initiierte Leser*innen-
befragungen (u. a. Steinheimer 2002; Emma 2013): Vertreten sind Personen, Frau-
en* und einige Männer jeden Alters, mit Schwerpunkt auf mittleren Altersgruppen
und Einkommen, überdurchschnittlich ist der Bildungsgrad. Die Leser*innen po-
sitionieren sich mehrheitlich als Feminist*innen, zumindest als emanzipiert und an
feministischen Themen interessiert, und zeigen sich weitgehend zufrieden mit dem
inhaltlichen Angebot.
Ausführliche qualitative Interviews mit Leserinnen von AUF und An.schläge
Mitte der 1980er-Jahre zeigten eindrucksvoll, welch große persönliche Bedeutung
der Zugang zu neuen Themen und Sichtweisen durch die Lektüre für sie hatte. Das
galt vor allem für die ersten Jahre der AUF, wo in der Aufbruchsphase der neuen
Frauenbewegung individuelle und kollektive Bewusstwerdungsprozesse zusam-
menfielen. Diese auch emotionale Bedeutung, die die Zeitschriften – genannt wird
auch Emma – für viele am Beginn einer Auseinandersetzung mit Feminismus hat,
nimmt mit der Zeit ab, die Zeitschriften bleiben aber relevant für den Zugang zu
frauenbewegungsbezogenen Informationen über Gruppen, Aktivitäten, Themen und
Debatten. Jenseits individueller Nutzungsinteressen sind sie wichtig als sichtbare
Symbole einer feministischen Bewegung und Bezugspunkt einer kollektiven femi-
nistischen Identität. (Geiger 1989) Ergänzend sei auf eine umfangreiche Rezeptions-
studie aus den Niederlanden verwiesen. In „Reading Women’s Magazines“ un-
tersuchte Joke Hermes (1995) auch Rezeptionsrepertoires des feministischen
Monatsmagazins Opzij. Nach kollektiven Anfängen und einem Kommerzialisie-
rungsprozess hatte die Zeitschrift zu diesem Zeitpunkt ein populär-feministisches
Profil mit adaptiertem Themenangebot, dem nur vereinzelt Nutzen für die Alltags-
bewältigung zugesprochen wurde. Relevant ist Opzij aus solidarischer Tradition,
hauptsächlich kommt ihr symbolische Bedeutung zu als Zeichen bzw. Ausweis einer
Identität als emanzipierte und informierte Bürgerin. (Hermes 1995, S. 95–117)
Im Kontext von Internet und Social Media erwacht das Forschungsinteresse an
der Bedeutung und Nutzung feministischer Medien erneut. Beispielsweise verwei-
sen Schachtner und Winker (2005) auf das große Potential des Empowerments und
Feministische Medien und Öffentlichkeit: Zeitschriften der . . . 621

der Gemeinschaftsbildung durch frauenpolitische Initiativen und virtuelle Mädchen-


und Frauennetze. Auch Tillmann (2014) sieht Blogs als virtuelle Räume der Iden-
titätsarbeit für Mädchen und junge Frauen, die sie „zur Selbstermächtigung und
Selbstorganisation sowie Solidarisierung und Bearbeitung der Geschlechterfrage
nutzen“ können. In einem multimodalen Forschungsprojekt zu digitalen Aktivismen
gegen sexuelle Gewalt legen Mendes et al. (2019) den Fokus weniger auf Inhalte
und Verlauf der Kampagnen, sondern auf die Praxis und Erfahrungen der als
Organisator*innen und User*innen Beteiligten.

5 Dokumentation, Sammlung und Erschließung


feministischer Zeitschriften

Feministische Zeitschriften sind nicht nur wichtig für aktuelle Informationsvermitt-


lung, sondern bilden auch reichhaltige historische Quellen der Frauenbewegungs-
forschung, in denen Entwicklungen feministischer Bewegungen, Themen, Praxen
und theoretische Debatten nachvollziehbar werden. Das gestiegene Interesse am
historischen Blick auf feministische Bewegungen zeigen mehrere aktuelle Publika-
tionen, die auf feministische Medien als Quellen zurückgreifen oder konkret einzel-
ne Zeitschriften fokussieren: zur Entwicklung der Auseinandersetzung rund um
Rassismus und Antirassismus etwa Mayer (2018) und Oloff (2017), zu Klassismen
Roßhart (2016), zu Afrekete als wichtigem schwarz-queer-feministischem Wissens-
archiv Auma et al. (2021). Mehrfach im Zentrum des Interesses steht Die schwarze
Botin, für die in den 1970er- und 1980er-Jahre mehrere später bekannt gewordene
Autorinnen (darunter Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek) schrieben: so bei Lux
(2022), einer Lese-Performance bei den Wiener Festwochen (2013) und in einer
umfangreichen Anthologie. (Vukadinović 2020)
Die Bewahrung und Zugänglichmachung feministischer Medien stellt allerdings
aufgrund deren Dezentralität, hohen Fluktuation und meist informellen Vertriebs-
wegen hohe Anforderungen. Während heute auflagenstärkere Zeitschriften in wis-
senschaftlichen Bibliotheken präsent sind, sind für die Dokumentation der Vielfalt,
von älteren Titeln und vielen kleineren, kurzlebigeren Medien feministische Archive
und Bibliotheken zentral. (Geiger und Hauser 2008, 2012)
Die größten Sammlungen feministischer Zeitschriften in Deutschland befinden
sich im Frauenforschungs-, bildungs- und -informationszentrum (FFBIZ) in Berlin,
im Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel (mit einem umfangreichen
Bestand aus der ersten Frauenbewegung), im FrauenMediaTurm Köln, im feminis-
tischen Archiv ausZeiten in Bochum und (auf Lesbenzeitschriften fokussiert) im
Spinnboden in Berlin. Die umfangreichste Sammlung in Österreich wird von
STICHWORT. Archiv der Frauen- und Lesbenbewegung betreut,6 das gendup in
Salzburg beherbergt das Zines Archiv – Sammlung Elke Zobl. Um die Sichtbarkeit

6
Links zu den genannten Einrichtungen finden sich auf der Homepage des Dachverbands i.d.a.
unter http://www.ida-dachverband.de.
622 B. Geiger

der Zeitschriftenbestände zu erhöhen, werden die Daten in einem gemeinsamen


Projekt des Dachverbandes i.d.a. auch in die ZDB, der Zeitschriftendatenbank an
der Staatsbibliothek Berlin, eingearbeitet.7 Ausgewählte Zeitschriften werden ganz
oder teilweise zudem auf Einzelartikelebene erschlossen und sind lokal oder über
den Meta-Verbund (http://www.meta-katalog.eu) recherchierbar. Von wachsender
Bedeutung sind weiters Digitalisierungsprojekte wie das Deutsche Digitale Frauen-
archiv (https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de), über die Friedrich-Ebert-
Stiftung ist die Courage digitalisiert zugänglich, und im Emma-Lesesaal sind ältere
Ausgaben im Volltext recherchierbar bzw. kann in aktuellen Ausgaben geblättert
werden.

6 Fazit

Beginnt das Projekt „Feministische Zeitschrift“ selbst Geschichte zu werden, fragen


die Herausgeberinnen im letzten Heft der Philosophin, gleichzeitig Themenheft zu
deren „Tradierung und Geschichte“. (Deuber-Mankowsky et al. 2005) Zeitschriften-
einstellungen wie diese verweisen eindeutig auf deren abnehmende Bedeutung,
erfolgreiche langlebige Projekte und Neugründungen zeigen andererseits aber,
dass sie weiter ihren Platz im feministischen Medienrepertoire haben. Denn an der
grundsätzlichen Notwendigkeit von Kritik und Erweiterung hegemonialer Öffent-
lichkeit und Medien hat sich wenig geändert. Unabhängiger, kritischer feministi-
scher Journalismus ist weiterhin notwendig, auch wenn feministische Anliegen und
Themen heute durchaus Platz in Mainstreammedien finden – gerade weil sie dort oft
als neoliberale Individualisierung und in ambivalenter Mischung mit antifeministi-
schen und sexistischen Positionen geframet werden. Gegen geschlechterpolitischen
Backlash braucht es weiterhin eigenständige Stimmen und Artikulationsmöglich-
keiten – für Protest und Widerspruch, kritische Kommentierung, vertiefende Diffe-
renzierung und als Korrektiv. (Geiger 2021)
Feministischer Aktivismus und Journalismus kann die aktuelle Aufmerksamkeit
nutzen, ist aber auch mit neuen Herausforderungen konfrontiert. So diskutierten
Aktivist*innen und feministische Journalist*innen aus klassischen und alternativen,
Online- und Printmedien 2021 bei der Tagung Feminist Press:ure. Feminismus,
Medien, Aktivismus (nachzuhören unter https://anschlaege.at/feminist-pressure/)
unter anderem, mit welch unterschiedlichen Strategien sie feministische Vermittlung
und Analyse jenseits von Aktualitätsdruck, Themenkonjunkturen und wiederkeh-
render emotionalisierter Debatten befördern können.
Neben den digitalen Öffentlichkeiten mit ihrer größeren Sichtbarkeit, aber auch
problematischen Effekten der Emotionalisierung, Polarisierung und Hatespeech
bleiben dabei auch klassische analoge feministische Medien mit ihren spezifischen
Möglichkeiten gründlicher und differenzierter Information und Vermittlung, aber

7
Die Bestände sind unter http://www.zdb-opac.de nach einzelnen Archiven unter der Leihverkehrs-
region „ida“ abfragbar.
Feministische Medien und Öffentlichkeit: Zeitschriften der . . . 623

auch mit ihren haptischen Qualitäten weiter unverzichtbar. Hier ist auch die staatli-
che Medien- und Frauenpolitik gefordert, mit Rahmenbedingungen und öffentlicher
Förderung diese für Demokratie und Geschlechtergerechtigkeit wichtige Vielfalt an
Medien zu unterstützen.

Literatur
Atton, Chris. 2002. Alternative media. London/Thousand Oaks: Sage.
Auma, Maisha M., Katja Kinder, und Peggy Piesche. 2021. Kontrapunktische Studien zu Schwarz-
sein und Schwarzem Europa – Das Schwarze queer-feministische Magazin Afrekete als Wis-
sensarchiv. Femina politica 30(2): 106–119. https://doi.org/10.3224/feminapolitica.v30i2.09.
Bailey, Olga G., Bart Cammaert, und Nico Carpentier. 2008. Understanding alternative media.
Maidenhead/New York: McGraw Hill/Open University Press.
Böttger, Barbara. 1991. Gegen ein Rezept der politischen Selbstgenügsamkeit. Interview mit der
Redaktion der „beiträge“. beiträge zur feministischen theorie und praxis 14(30/31): 169–190.
Büchner, Gitta. 2008. Der radikale Ihrsinn. Warum es ihn nicht mehr gibt oder warum Anna Will
keine Lesbenzeitschrift braucht. In Feministische Medien. Öffentlichkeiten jenseits des Male-
streams, Hrsg. Lea Susemichel, Saskya Rudigier, und Gabi Horak, 79–85. Königstein/T:
Helmer.
Carstensen, Tanja. 2013. Verhandlungen von Geschlecht und Feminismus im Web 2.0. In Ge-
schlechterverhältnisse und neue Öffentlichkeiten. Feministische Perspektiven, Hrsg. Birgit
Riegraf, Hanna Hacker, Heike Kahlert, Brigitte Liebig, Martina Peitz, und Rosa Reitsamer,
112–127. Münster: Westfälisches Dampfboot.
Deuber-Mankowsky, Astrid, Ursula Konnertz, und Catherine Newmark, Hrsg. 2005. Feministische
Zeitschriften. Tradierung und Geschichte. Die Philosophin 16(32): 9–25.
Doderer, Yvonne P. 2003. Urbane Praktiken. Strategien und Raumproduktionen feministischer
Frauenöffentlichkeit. Münster: Monsenstein und Vannerdat.
Doderer, Yvonne P., und Beate Kortendiek. 2010. Frauenprojekte: Handlungs- und Entwicklungs-
räume feministischer Frauenbewegungen. In Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung,
Hrsg. Regine Becker und Beate Kortendieck, 887–895. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwis-
senschaften.
Dorer, Johanna. 2004. Another communication is possible. Triales Rundfunksystem und die
Geschichte der Freien Radios in Österreich. Medien & Zeit 19(3): 4–15.
Dorer, Johanna, Matthias Marschik, und Robert Glattau, Hrsg. 1992. Medienverzeichnis 1992/93.
Gegenöffentlichkeit und Medieninitiativen in Österreich. Wien: Turia & Kant.
Drüeke, Ricarda. 2019. Digitale Öffentlichkeiten und feministische Protestkulturen. In Handbuch
Medien und Geschlecht, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija
Ratković. Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_42-1.
Eismann, Sonja. 2008. Alles aus Liebe. Feministische Medienarbeit zwischen Selbstbestimmung
und Selbstausbeutung. In Feministische Medien. Öffentlichkeiten jenseits des Malestream, Hrsg.
Lea Susemichel, Saskya Rudigier, und Gabi Horak, 180–188. Königstein/T.: Helmer.
Eismann, Sonja, Chris Köver, und Stefanie Lohaus. 2012. 100 Seiten Popfeminismus. Das Missy
Magazine als Dritte-Welle-Praxis. In Banale Kämpfe? Perspektiven auf Popkultur und Ge-
schlecht, Hrsg. Paula-Irene Villa, Julia Jäckel, Zara S. Pfeiffer, Nadine Sanitter, und Ralf
Steckert, 39–55. Wiesbaden: Springer VS.
Emma. 2013. Dossier Die EMMA-Leserinnen-Umfrage. Emma 2, März/April: 88–97.
fiber-Kollektiv, Hrsg. 2015. fiber_feminismus. Wien: zaglossous.
Fieseler, Franka. 2008. Vernetzte Netze – vielfältige Foren. Zur Geschichte lesbisch-feministischer
Zeitschriften in Deutschland. In Feministische Medien. Öffentlichkeiten jenseits des Malestre-
am, Hrsg. Lea Susemichel, Saskya Rudigier, und Gabi Horak, 134–150. Königstein/T.: Helmer.
624 B. Geiger

Figdor, Julia. 2005. „Eine Zeitung sollte doch immer Ausdruck einer Bewegung sein – oder nicht?“
Von Frauen auf den Barrikaden, Primadonnen, Igitten und Giftnudeln. Die Philosophin 16(32):
26–42.
Fraser, Nancy. 2001. Neue Überlegungen zur Öffentlichkeit. Ein Beitrag zur Kritik der real
existierenden Demokratie. In Die halbierte Gerechtigkeit. Schlüsselbegriffe des postindustriel-
len Sozialstaates, Hrsg. Nancy Fraser, 107–150. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
Freudenschuß, Ina, und Daniele Yeoh. 2008. Frauen im Netz. Acht Jahre dieStandard.at. In
Feministische Medien. Öffentlichkeiten jenseits des Malestreams, Hrsg. Lea Susemichel, Saskya
Rudigier, und Gabi Horak, 86–92. Königstein/T: Helmer.
Geiger, Brigitte. 1989. Autonome Frauenzeitschriften in Österreich und die Bewegung der Frauen.
Feministische Studien 7(1): 132–141.
Geiger, Brigitte. 1996. Feministische Presse zwischen Autonomie, Markt und Förderung. In Markt
– Macht – Medien. Publizistik zwischen gesellschaflicher Verantwortung und ökonomischen
Zielen, Hrsg. Claudia Mast, 353–362. Konstanz: UVK Medien.
Geiger, Brigitte. 2002a. Mediale Vermittlung feministischer Öffentlichkeiten. In der/die journalis-
mus. Geschlechterperspektiven in den Medien, Hrsg. Julia Neissl, 91–111. Innsbruck:
StudienVerlag.
Geiger, Brigitte. 2002b. Feministische Öffentlichkeiten. Ansätze, Strukturen und aktuelle Heraus-
forderungen. In Feministische Kommunikations- und Medienwissenschaft. Ansätze, Befunde
und Perspektiven der aktuellen Entwicklung, Hrsg. Johanna Dorer und Brigitte Geiger, 80–97.
Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Geiger, Brigitte. 2021. AUF und an.schläge, Frauensolidarität, fiber und Co. Zu Entwicklungen
feministischer (Print-)Medien in Österreich im Kontext der zweiten (und dritten) Frauenbewe-
gung. Medien & Zeit 36(3): 27–35.
Geiger, Brigitte, Margit Hauser, Lieselotte Hirl, Ursula Rosmanith, und Rosa Zechner. 1991.
Frauen-/lesbenbewegte Praxis in feministischen Printmedien. beiträge zur feministischen theo-
rie und praxis 14(30/31): 85–94.
Geiger, Brigitte, und Hanna Hacker. 1989. Donauwalzer Damenwahl. Frauenbewegte Zusammen-
hänge in Österreich. Wien: promedia.
Geiger, Brigitte, und Margit Hauser. 2008. Schmökern, Nachlesen, Recherchieren: Feministische
Zeitschriften in Frauenarchiven. In Feministische Medien. Öffentlichkeiten jenseits des Male-
streams, Hrsg. Lea Susemichel, Saskya Rudigier, und Gabi Horak, 115–123. Königstein/T.:
Helmer.
Geiger, Brigitte, und Margit Hauser. 2012. Archiving feminist grassroots media. In Feminist media.
Participatory spaces, networks, and cultural citizenship, Hrsg. Elke Zobl und Ricarda Drüeke,
73–86. Bielefeld: transcript.
Gruppe Feministische Öffentlichkeit, Hrsg. 1992. Femina Publica. Frauen – Öffentlichkeit –
Feminismus. Köln: PapyRossa Verlag.
Gunnarsson Payne, Jenny. 2012. Feminist media as alternative media? Theorising feminist media
from the perspective of alternative media studies. In Feminist media: Participatory spaces,
networks and cultural citizenship, Hrsg. Elke Zobl und Ricarda Drüeke, 55–72. Bielefeld:
transcript.
Hausbichler, Beate. 2021. Der verkaufte Feminismus. Wie aus einer politischen Bewegung ein
profitables Label wurde. Salzburg/Wien: Residenz Verla.
Hauser, Margit, und Brigitte Geiger. 2008. Feminismus denken. Ein Blick auf feministische
Theorie- und Wissenschaftszeitschriften. In Feministische Medien. Öffentlichkeiten jenseits
des Malestreams, Hrsg. Lea Susemichel, Saskya Rudigier, und Gabi Horak, 151–160. König-
stein/T: Helmer.
Hermes, Joke. 1995. Reading women's magazines. An analysis of everyday media use. Cambridge,
MA: Polity Press.
Hoffacker, Gabriele. 2020. Copycats oder innovativ und integrativ. Ein Vorschlag zur Beur-
teilung von „Alternativmedien“. Journalistik. Zeitschrift für Journalismusforschung 3(3):
250–262.
Feministische Medien und Öffentlichkeit: Zeitschriften der . . . 625

Horak, Gabi. 2008. Feministische Zeitschriften in Österreich. Feministischer Journalismus arbeitet


nach anderen Qualitätskriterien. In Feministische Medien. Öffentlichkeiten jenseits des Male-
stream, Hrsg. Lea Susemichel, Saskya Rudigier, und Gabi Horak, 17–28. Königstein/T.:
Helmer.
KJM (Kommission für Jugendmedienschutz). 2020. Schwerpunktanalyse 2020. Alternative Medien
und Influencer als Multiplikatoren von Hass, Desinformation und Verschwörungstheorien.
https://www.kjm-online.de/fileadmin/user_upload/KJM/Publikationen/Studien_Gutachten/
Schwerpunktanalyse_2020_Alternative_Medien_Ergebnisse.pdf. Zugegriffen am 16.03.2022.
Klaus, Elisabeth. 2004. Öffentlichkeit und Privatheit: Frauenöffentlichkeiten und feministische
Öffentlichkeiten. In Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung, Hrsg. Regine Becker und
Beate Kortendieck, 209–216. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Kössler, Tanja. 2012. Kohlsuppendiät statt Kanzlerin – Sind Frauenzeitschriften ein politisches
Vakuum? Zum Stellenwert der Politikberichterstattung in deutschen Frauenzeitschriften des
klassischen Segments und der Emma. In Facetten des Journalismus. Theoretische Analysen und
empirische Studien, Hrsg. Klaus-Dieter Altmeppen und Regina Greck, 287–315. Wiesbaden:
Springer VS.
Krainer, Larissa. 1995. Österreichische Frauenzeitschriften. Zwischen Kommerz- und Alternativ-
medien. Klagenfurt/Celovec: Drava.
Kupfer, Karolin. 2021. „Kampf um Emma“. Polemik und feministische Öffentlichkeiten. In Pole-
mische Öffentlichkeiten, Hrsg. Elke Dubbels, Jürgen Fohrmann, und Andrea Schütte, 141–164.
Bielefeld: transcript.
Lenz, Ilse. 2010. Frauenbewegungen: Zu den Anliegen und Verlaufsformen von Frauenbewegun-
gen als sozialen Bewegungen. In Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung, Hrsg. Regine
Becker und Beate Kortendieck, 867–877. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Ley, Catherine, Katrin Locker, und Gregor J. Rehmer. 2005. Courage, Emma und Die Schwarze
Botin – Einigkeit in Differenz? Die Philosophin 16(32): 43–58.
Lievrouw, Leah. 2011. Alternative and activist new media. Cambridge: Polity Press.
Lünenborg, Margret. 1992. Weibliche Identität und feministische Öffentlichkeit. In Femina Publi-
ca. Frauen – Öffentlichkeit – Feminismus, Hrsg. Gruppe Feministische Öffentlichkeit, 76–96.
Köln: PapyRossa.
Lux, Katharina. 2017. Von der Produktivität des Streits – Die Kontroverse der Zeitschriften
Courage, Die Schwarze Botin und Emma. Feministische Studien 35(1): 31–50.
Lux, Katharina. 2022. Kritik und Konflikt. Die Zeitschrift „Die Schwarze Botin“ in der autonomen
Frauenbewegung. Wien: Mandelbaum.
Marschik, Matthias, Wolfgang Duchkowitsch, und Bettina Biron. 2022. Historische „Frauenzeit-
schriften“. Von der Lektüre für Frauen zur Frauenbewegungspresse. In Handbuch Medien und
Geschlecht, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković.
Wiesbaden: Springer, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_22-1.
Marx, Daniela. 2008. Mission: impossible? Die Suche nach der „idealen Muslimin“. Feministische
Islamdiskurse in Deutschland und den Niederlanden. Femina politica 17(1): 55–67.
Mayer, Stefanie. 2018. Politik der Differenzen: Ethnisierung, Rassismen und Antirassismus im
weißen feministischen Aktivismus in Wien. Opladen/Berlin/Toronto: Barbara Budrich.
McDermott, Patrice. 1994. Politics and scholarship: Feminist academic journals and the pro-
duction of knowledge. Urbana: University of Illinois Press.
McRobbie, Angela. 2010. Top Girls: Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechter-
regimes. Hrsg. von Sabine Hark und Paula-Irene Villa. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwis-
senschaften.
Mendes, Kaitlynn, Jessica Ringrose, und Jessalynn Keller. 2019. Digital feminist activism. Girls
and women fight back against rape culture. Oxford: Oxford University Press.
Mysorekar, Sheila. 1991. Die medienwirksamen Katastropen und der undramatische Alltag. bei-
träge zur feministischen theorie und praxis 14(30/31): 191–199.
Neverla, Irene. 1995. Lokalradio von und für Frauen. In Radiokultur von morgen, Hrsg. Johanna
Dorer und Alexander Baratsits, 230–236. Wien: Buchkultur.
626 B. Geiger

Notz, Giela. 2008. Der gefährliche Einfluss der Frauen-Blätter. Feministische Medienkultur in
Deutschland. In Feministische Medien. Öffentlichkeiten jenseits des Malestreams, Hrsg. Lea
Susemichel, Saskya Rudigier, und Gabi Horak, 29–40. Königstein/T: Helmer.
Oloff, Aline. 2017. Die Sprache der Frauenbefreiung. Frauenbewegung im postkolonialen Frank-
reich. Feministische Studien. 35(1): 14–30.
Ratković, Viktorija. 2018. Postmigrantische Medien. Die Magazine „biber“ und „migrazine“
zwischen Anpassung, Kritik und Transformation. Bielefeld: transcript.
Roßhart, Julia. 2016. Klassenunterschiede im feministischen Bewegungsalltag. Anti-klassistische
Interventionen in der Frauen- und Lesbenbewegung der 80er- und 90er-Jahre in der BRD.
Berlin: w_orten und meer.
Röttger, Ulrike, und Petra Werner. 1992. Tatbestand schreiblich – Regionale feministische Zeit-
schriften in der Bundesrepublik. In Femina Publica. Frauen – Öffentlichkeit – Feminismus,
Hrsg. Gruppe Feministische Öffentlichkeit, 23–46. Köln: PapyRossa Verlag.
Rüb, Dorothea. 2006. Belladonna – die ersten XX Jahre: Dokumentarische Analyse eines Frauen-
projektes. Klagenfurt: Drava.
Rudigier, Saskya. 2008. Anschlagverdächtig. Das feministische Komplott und die 25-jährige Lang-
streckenläuferin. In Feministische Medien. Öffentlichkeiten jenseits des Malestreams, Hrsg. Lea
Susemichel, Saskya Rudigier, und Gabi Horak, 63–78. Königstein/T: Helmer.
Sandoval, Marisol. 2011. Warum es an der Zeit ist, den Begriff der Alternativmedien neu zu
definieren. In Handbuch der ALTERNATIVmedien 2011/2012. Printmedien, Freie Radios &
Verlage in der BRD, Österreich und der Schweiz, Hrsg. Bernd Hüttner, Christiane Leidinger,
und Gottfried Oy, 24–36. Neu-Ulm: AG SPAK Bücher.
Sänger, Eva. 2005. „Lieber öffentlich lesbisch als heimlich im DFD“ – Die Samisdat-Publikation
frau anders in der DDR 1988/89. In Öffentlichkeiten und Geschlechterverhältnisse. Erfahrun-
gen – Politiken – Subjekte, Hrsg. Susanne Lettow, Ulrike Manz, und Katja Sarkowsky, 159–183.
Königstein/T.: Helmer.
Schachtner, Christina, und Gabriele Winker, Hrsg. 2005. Virtuelle Räume – neue Öffentlichkeiten.
Frauennetze im Internet. Frankfurt/New York: Campus.
Schossengeier, Michaela. 2008. Listen to the Female. Feministische Radioarbeit. In Feministische
Medien. Öffentlichkeiten jenseits des Malestreams, Hrsg. Lea Susemichel, Saskya Rudigier, und
Gabi Horak, 93–102. Königstein/T: Helmer.
Smith, Marilyn Crafton. 1989. Women’s movement media and cultural politics. In Women in mass
communcation. Challenging gender values. Hrsg. Pamela J. Creedon, 278–298. Newbury
Park/London: Sage.
Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis für Frauen. 1991. Feministische Öffentlichkeit –
patriarchale Medienwelt. beiträge feministischer theorie und praxis 14(30/31).
Steinheimer, Eva. 2002. Ergebnisse der LeserInnenbefragung Juni 2002 für anschläge. Wien: Das
feministische Magazin.
Susemichel, Lea. 2008a. Feministisches Fernsehen. An.schläge tv. In Feministische Medien. Öffent-
lichkeiten jenseits des Malestreams, Hrsg. Lea Susemichel, Saskya Rudigier, und Gabi Horak,
104–114. Königstein/T: Helmer.
Susemichel, Lea. 2008b. Feministische Bildpolitiken. Die Bildergeschichte der an.schläge. In
Feministische Medien. Öffentlichkeiten jenseits des Malestreams, Hrsg. Lea Susemichel, Saskya
Rudigier, und Gabi Horak, 170–179. Königstein/T: Helmer.
Susemichel, Lea, Saskya Rudigier, und Gabi Horak, Hrsg. 2008. Feministische Medien. Öffent-
lichkeiten jenseits des Malestreams. Königstein/T: Helmer.
Thomas, Tanja, und Merle Kruse. 2013. „Post“– „Pop“– „Pseudo“? Zur Diskussion popfeministi-
scher Zeitschriften als Arenen der (Re-)Artikulation feministischer Öffentlichkeiten. In Ge-
schlechterverhältnisse und neue Öffentlichkeiten, Hrsg. Birgit Riegraf, Hanna Hacker, Heike
Kahlert, Brigitte Liebig, Martina Peitz, und Rosa Reitsamer, 163–190. Münster: Westf.
Dampfboot.
Tillmann, Angela. 2014. Girls Media – Feminist Media: Identitätsfindung, Selbstermächtigung und
Solidarisierung von Mädchen und Frauen in virtuellen Räumen. In Digitale Jugendkulturen,
Feministische Medien und Öffentlichkeit: Zeitschriften der . . . 627

Digitale Kultur und Kommunikation 2, Hrsg. Kai-Uwe Hugger, 156–173. Wiesbaden: Springer
Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19070-9_9.
Toker, Arzu. 1993. Eurozentristisches Feindbild oder Kritik am Islam? beiträge zur feministischen
theorie und praxis 16(35): 115–122.
Tonscheidt, Sabine. 1996. Frauenzeitschriften am Ende? Ostdeutsche Frauenpresse vor und nach
der Wende 1989. Münster: Lit.
Trommer, Melanie. 2013. „Feminismus ist ein Lebensgefühl, kein politisches Statement.“ Von
Politik und Popkultur im Missy Magazine. In Sexy media? Gender/queertheoretische Analysen
in den Medien- und Kommunikationswissenschaften, Hrsg. Skadi Loist, Sigrid Kannengießer,
und Joan Kristin Bleicher, 69–85. Bielefeld: transcript.
Vukadinović, Vojin Saša. 2020. Die Schwarze Botin: Ästhetik, Kritik, Polemik, Satire 1976–1980.
Göttingen: Wallstein.
Well, Julia. 2008. „Wir orientieren uns nicht an Maßstäben, die wir ja gerade kritisieren!“ Femi-
nistische Redaktion im Spannungsfeld von Kommerzialität und Autonomie. In Feministische
Medien. Öffentlichkeiten jenseits des Malestream, Hrsg. Lea Susemichel, Saskya Rudigier, und
Gabi Horak, 189–192. Königstein/T.: Helmer.
Wiener Festwochen, Hrsg. 2013. Die Schwarze Botin. Le dernier cri, remastered and remistressed
(1976 – 1987 – 2013). Wien.
Wischermann, Ulla. 2003. Frauenbewegungen und Öffentlichkeiten um 1900. Netzwerke – Gegen-
öffentlichkeiten – Protestinszenierungen. Königstein/T: Helmer.
Zobl, Elke. 2008. Pockets of Resistance. Grrrls Zines im Spannungsfeld von Selbstbestimmung und
Ermächtigung. In Feministische Medien. Öffentlichkeiten jenseits des Malestreams, Hrsg. Lea
Susemichel, Saskya Rudigier, und Gabi Horak, 41–54. Königstein/T: Helmer.
Zobl, Elke, und Ricarda Drüeke, Hrsg. 2012. Feminist media: Participatory spaces, networks and
cultural citizenship. Bielefeld: transcript.
Zobl, Elke, und Rosa Reitsamer (mit Stefanie Grünangerl). 2012. Feminist Media Production in
Europe: A Research Report. In Feminist media: Participatory spaces, networks and cultural
citizenship, Hrsg. Elke Zobl und Ricarda Drüeke, 21–54. Bielefeld: transcript.
Digitale Öffentlichkeiten und feministische
Protestkulturen

Ricarda Drüeke

Inhalt
1 Einleitung: Zur Digitalisierung von Protestformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630
2 Feministische Online-Öffentlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631
3 Fazit: Potenziale und Herausforderungen feministischer Protestkulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . 636
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637

Zusammenfassung
Digitale Öffentlichkeiten sind ein umkämpfter Raum, der Formen der emanzipa-
torischen Partizipation, aber auch des Konflikts beinhaltet. Feministische und
hegemoniekritische Öffentlichkeitsmodelle benennen diese Formen und Ebenen
von Öffentlichkeit, die für den Selbstverständigungsprozess einer Gesellschaft
bedeutsam sind. Die Nutzung digitaler Medien von feministischen Akteur*innen
hat sich mit den technologischen Entwicklungen verändert: So wurde das Internet
zunächst hauptsächlich zur Informationsdarstellung genutzt, während sich in den
letzten Jahren vor allem Hashtags und Blogs als wirkungsvolle Plattformen zur
Herstellung von Gegenöffentlichkeiten erwiesen haben. Allerdings zeigen sich
gerade online vermehrt Angriffe auf feministische Akteur*innen, so dass zwar
einerseits die Sichtbarkeit feministischer Bewegungen und Themen erhöht wird,
jedoch gleichzeitig digitale Räume als Freiräume verteidigt werden müssen.

Schlüsselwörter
Feministische Öffentlichkeiten · Digitale Vernetzung · Protestkulturen · Hashtag-
Aktivismus · Netzfeminismus · Internet

R. Drüeke (*)
Fachbereich Kommunikationswissenschaft, Universität Salzburg, Salzburg, Österreich
E-Mail: ricarda.drueeke@sbg.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 629
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_42
630 R. Drüeke

1 Einleitung: Zur Digitalisierung von Protestformen

Öffentlichkeiten dienen der gesellschaftlichen Selbstverständigung und werden auch


in und über digital vernetzte Medien hergestellt, wodurch sich Räume für feminis-
tischen Aktivismus und Protest formieren können. Feministische Öffentlichkeiten
intervenieren in gesellschaftliche Prozesse und setzen sich für Emanzipation und
Geschlechtergerechtigkeit ein. Dabei berufen sich Feminist*innen und feministische
Bündnisse auf unterschiedliche Feminismen und wählen verschiedene Formen von
Aktivismus und artikulieren in vielfältigen Öffentlichkeiten ihre Positionen und
Forderungen.1 Wie Öffentlichkeit definiert und gestaltet werden kann, wurde daher
zu einer Schlüsselfrage der Emanzipationsbewegungen von Frauen* und hat femi-
nistische Wissenschaftler*innen in vielen Disziplinen beschäftigt. Öffentlichkeiten
sind damit ein zentrales Forschungsfeld der Geschlechterforschung (z. B. Elshtain
1981; Pateman 1988; Hausen 1992; Schachtner und Winker 2005; Maier et al. 2012;
Riegraf et al. 2013).
Digitalisierung, Konnektivität und Mediatisierung führten zu einer erneuten
Auseinandersetzung mit Öffentlichkeitstheorien und der Frage, wie sich Öffentlich-
keiten und Online-Aktivismus theoretisch fassen lassen (Klaus und Drüeke 2017).
Für diese neuen Konstellationen von Öffentlichkeit(en) sowie Protestbewegungen
und soziale Bewegungen wurden verschiedene theoretische Modelle entwickelt, wie
etwa „Media Ecologies“ (Treré und Mattoni 2016), „Media Environment“ (Della
Porta 2011) und „Media Archaeologies“ (Kaun 2016). Öffentlichkeiten formieren
sich heute sowohl online als auch offline, und in Bewegungszusammenhängen
werden vielfältige Medien in unterschiedlichen Medienrepertoires kombiniert, um
zu informieren, zu mobilisieren und Teilhabe zu forcieren. Mit den technologischen
Möglichkeitsbedingungen verändern sich die Formen von Aktivismus und die
Medienrepertoires sozialer Bewegungen, und sie werden in lokalen Kontexten
unterschiedlich als Mittel des Protests eingesetzt. Rodriquez et al. (2014) haben
herausgearbeitet, dass für die Betrachtung von Protestkulturen vor allem drei Dimen-
sionen bedeutsam sind: erstens eine historische Kontextualisierung von Bewegungs-
zusammenhängen und der Nutzung alternativer Kommunikationsstrukturen, zwei-
tens die Berücksichtigung der Komplexität von Kommunikationsprozessen
innerhalb sozialer Bewegungen wie etwa die abwechselnde oder gleichzeitige Nut-
zung alternativer Medien und digitaler Plattformen sowie die unterschiedlichen
Bezugsebenen, die global oder lokal sein können. Darüber hinaus ist es drittens
wichtig, auch Fragen der politischen Ökonomie und der Technologien zu berück-
sichtigen.

1
Ich spreche von Feminismus und Feminist*innen, weil ich auf diese Theorietradition rekurriere,
gleichwohl ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass es nicht den einen Feminismus gibt, sondern
verschiedene Feminismen und auch in feministischen Zusammenhängen Macht- und Hierarchie-
verhältnisse, die sich in Exklusionen und Privilegien äußern, wirksam sind. Auch bringt der Fokus
auf Aktivismus von Frauen* zahlreiche Verkürzungen hinsichtlich weiterer Identitätskonstruktio-
nen und Diskriminierungsformen mit sich (Kanai und Dobson 2016).
Digitale Öffentlichkeiten und feministische Protestkulturen 631

2 Feministische Online-Öffentlichkeiten

2.1 Frauen*räume und Netzfeminismus

Die zunehmende Nutzung des Internets rief in den 1990er- und 2000er-Jahren
euphorische Sichtweisen auf das emanzipatorische Potenzial des Neuen Mediums
hervor. Sadie Plant (2000) und Donna Haraway (1991) entwarfen Utopien eines
feministischen Cyberspace. Dieser schien Räume für Frauen* zu eröffnen und die
Dichotomie zwischen Technik und Geschlecht in Frage zu stellen (vgl. auch van
Zoonen 2002). So wurden neben Vorstellungen eines Cyberfeminismus vor allem
die Möglichkeiten, feministische Räume im Internet zu eröffnen, betont. Zahlreiche
Studien zeigten die Bedeutung des Internets für frauen*politische Netzwerke und
Akteur*innen sowie für ein Empowerment von Frauen* und Mädchen*. Deren
Öffentlichkeiten wurden unter Bezugnahme auf Nancy Fraser (2001) als Gegen-
öffentlichkeiten zu einer hegemonialen Öffentlichkeit gesehen, die so einerseits
Schutz für die Entwicklung von Ideen und Positionen bieten, andererseits auch dazu
dienen, Positionen öffentlich zu artikulieren (Drüeke und Winker 2005; Travers
2003). In und durch solche Gegenöffentlichkeiten können „media at the margins“,
wie etwa feministische Blogs, formiert werden, wobei sowohl die Zahl der Medien
als auch die Zahl der Ränder unabgeschlossen ist (Rodriquez 2017).
Diese Gegenöffentlichkeiten lassen sich dabei differenzieren in Frauen*öffent-
lichkeiten, wo sich z. B. Mädchen und Frauen* ihre eigenen Räume im digitalen
Netz schaffen, und feministische Öffentlichkeiten, in denen frauen*politische Netze
und Akteur*innen das Internet als Plattform zur Information, der Partizipation und
der Mobilisierung nutzen (Drüeke und Klaus 2018). In frühen Studien wurde
insbesondere der Nutzen des Internets als Informationsplattform betont und gleich-
zeitig herausgestrichen, dass das Potenzial für Vernetzung zwar gegeben sei, jedoch
noch zu wenig genutzt werde. Zentral für frauen*politische Netzwerke war die
Verzahnung zwischen Online- und Offline-Aktivismus, wie sich etwa an bundesweit
agierenden Frauennetzwerken, die zu Themen wie sexualisierte Gewalt arbeiten,
zeigte, die das Internet zur Informationsbereitstellung nutzten, politische Aktivitäten
jedoch vor allem offline durchführten (Sude 2005). Damit können die klassischen
frauen*politische Netzwerke im Internet zwar das Potenzial haben, Gegenöffentlich-
keiten herauszubilden, häufig standen die einzelnen Initiativen und Gruppierungen
aber unvernetzt nebeneinander. Jedoch kann das Internet insbesondere für Mädchen
und junge Frauen*, die sich zu bestimmten Themen austauschen wollen, einen
geschützten Raum darstellen, den sie nach ihren eigenen Vorstellungen modellieren
(Schachtner 2005). Angela Tillmann (2010) streicht die Bedeutung von Blogs und
Homepages heraus, in denen Mädchen individuell und kollektiv ihre Themen und
Bedürfnisse artikulieren und so die Möglichkeit haben, mit diesen sichtbar zu sein
und gehört zu werden – auch wenn solche Räume nicht zwangsläufig zu einem
Empowerment beitragen, eröffnen sie Räume sowie die Möglichkeit, neue Subjekt-
positionen und Anerkennungspraxen auszuprobieren (Tillmann 2010, S. 247). Mäd-
chenräume können so als eigene Online-Communities Prozesse der Identitätskon-
struktion unterstützen. Des Weiteren eröffnet das Internet die Möglichkeit der
632 R. Drüeke

Inszenierung von Geschlechterentwürfen, wie Birgit Richard und Marcus Recht


(2012) anhand von Bildern der Fotoplattform FlickR aufgezeigt haben, in denen
mit nicht-heteronormativen Geschlechterinszenierungen gespielt wird.
Durch die zunehmende Digitalisierung und die Medienkonvergenz hat sich die
Nutzung digitaler vernetzter Medien ausdifferenziert, und insbesondere Plattformen,
die unter dem (kritisierbaren) Begriff des „Social Web“ gefasst werden, wie Twitter,
Instagram oder Facebook, haben weitere Nutzungsmöglichkeiten eröffnet. Im Ver-
gleich zur früheren Nutzung des Internets, die sich auf Informationsdarstellung auf
Homepages und one-to-many-Kommunikationsformen wie Mailinglisten be-
schränkte, zeigen sich über digitale Medien heute neue Formen des Austauschs,
der Mobilisierung und der Partizipation. Verzahnungen sowohl auf der Plattform-
ebene als auch kommerzieller und nicht-kommerzieller Angebote sowie die techni-
schen Affordanzen, die über Beteiligung mitbestimmen, verändern auch die Formen
des Protests. Unter den Stichwörtern des Klicktivismus, der Filterblasen, der zuneh-
menden Kommerzialisierung digitaler Medien werden diese Formen von (scheinba-
rem) Aktivismus kritisch in den Blick genommen. Um Protest und Öffentlichkeiten
in und durch digitale Medien zu verstehen, sind damit einhergehend auch Öffentlich-
keitskonzepte entwickelt worden, die die Temporalität und Fluidität dieser Öffent-
lichkeiten betonen wollen. danah boyd (2010, S. 39) bezeichnet solche Öffentlich-
keiten als „networked publics“, die aus „spaces and audiences that are bound
together through technological networks“ gebildet werden. Die verschiedenen Platt-
formen und Anwendungen zeichnen sich durch Verwobenheit aus, da sie etwa durch
Cross-Referenzen wie @-Verknüpfungen und Hashtags ein Netzwerk über verschie-
dene Plattformen hinweg bilden können. Doch nicht nur der Netzwerkcharakter von
digitalen Öffentlichkeiten hat sich durch erweiterte Interaktions- und Partizipations-
möglichkeiten verändert, zunehmend lässt sich auch eine Temporalität und Flüch-
tigkeit sowohl der Inhalte als auch der Akteur*innen beobachten; Caja Thimm
(2017) hat deswegen den Begriff der „mini-publics“ vorgeschlagen, die sich in
spontaner (Alltags-)Kommunikation bilden und keine formalen Strukturen aufwei-
sen; Elisabeth Klaus (2017) hat solche alltäglichen Öffentlichkeiten als „einfache
Öffentlichkeiten“ bezeichnet. Diese „mini-publics“ lassen sich dabei weitergehend
je nach Entstehungskontext zwischen „event-driven mini-publics“ und „user-initia-
ted mini-publics“ unterscheiden, die sich auf einzelne Ereignisse, die Protestbewe-
gungen auslösen können, bzw. von Nutzer*innen initiierte Aktionen beziehen
(Thimm 2017, S. 106). Des Weiteren ist es wichtig, die technischen Affordanzen
sowie die technologischen und ökonomischen Rahmenbedingungen für die Nutzung
zu berücksichtigen, die über die Ausgestaltung von Öffentlichkeit mitbestimmen.
Mit Begriffen wie „polymedia-publics“ (Thimm 2017, S. 106; auch Thimm und
Anastasiadis 2017, S. 235) wird versucht, die Entwicklungen zu verdeutlichen und
sowohl auf die Verbindung verschiedener digitaler Plattformen als auch von tradi-
tionellen und digitalen Medien hinzuweisen. Durch Algorithmen werden digitale
Öffentlichkeiten personalisiert, indem etwa über Vorschläge zu weiteren Hashtags
bei Twitter oder empfohlene Seiten bei Facebook eine gemeinsame Öffentlichkeit
suggeriert wird. Gillespie (2014) bezeichnet die durch Suchmaschinen, automati-
Digitale Öffentlichkeiten und feministische Protestkulturen 633

sierte Empfehlungen und Algorithmen gebildeten Ausschnitte von Öffentlichkeit als


„calculated publics“.
Gerade in den letzten Jahren haben sich über feministische Hashtags und Blogs
solche temporären, ereignisbezogenen, aber auch beständigen Öffentlichkeiten for-
miert, die Protesthandeln unterstützen. Zugleich verzahnen sich verschiedene Ebe-
nen von Öffentlichkeiten etwa zwischen digitalen und massenmedialen Ebenen, was
die Sichtbarkeit für feministische Anliegen erhöhen kann. Dieser „Digital Femi-
nism“ (Scharff et al. 2016) ist eine wirkungsvolle Protestartikulation, um Aufmerk-
samkeit auf marginalisierte Themen zu lenken und öffentliche Sichtbarkeit einzu-
fordern. Als Beispiele können insbesondere Hashtags gegen (sexualisierte) Gewalt
und Diskriminierung an Frauen* gelten (Drüeke und Zobl 2016). Neben #aufschrei
gegen Alltagssexismen im deutschsprachigem Raum gibt es weltweit zahlreiche
Hashtags, die auf Frauen*diskriminierung und (sexualisierte) Gewalt aufmerksam
machen, wie etwa #YesAllWomen als Reaktion auf einen rassistisch und misogyn
motivierten Amoklauf in Santa Barbara/USA und #YesAllWhiteWomen, um die
bisher zumeist ausgeblendeten Gewalterfahrungen von Women of Colour und
Trans*personen zu thematisieren (Rodino-Colocino 2014). Feministische Hashtags
dienen dabei als eine Plattform kollektiven Protests und durch Vernetzung mit
anderen Hashtags, Blogs und Websites als ein Netzwerk, das durch eine emergente
Bewegung Öffentlichkeit herstellen kann (Barker-Plummer und Barker-Plummer
2018). So beinhaltete #aufschrei viele sich gegenseitig unterstützende und bekräfti-
gende Kommentare, und durch dieses gemeinsame Aushandeln von Positionen
entstand Solidarität unter den Nutzer*innen (Dreher 2015) und damit eine gemein-
same Öffentlichkeit. Die Möglichkeit, die eigene Geschichte zu erzählen, lässt auch
in öffentlichen Debatten häufig ausgeblendete oder verkürzt dargestellte Themen
wie sexualisierte Gewalt sichtbar werden. In den von Dimond et al. (2013) durch-
geführten Interviews mit Personen, die bei hollaback ihre Erlebnisse mit sexuali-
sierter Gewalt veröffentlicht haben, wird deutlich, dass die Sprachlosigkeit bei
sexualisierten Übergriffen überwunden oder zumindest die Hürden, darüber zu
sprechen, gesenkt werden.
Feministische Blogs, wie z. B. Mädchenmannschaft im deutschsprachigen Raum
und der englischsprachige Blog The F-Bomb, sind ein weiterer wichtiger Teil dieses
digitalen Feminismus bzw. Netzfeminismus. Oft getragen von kollaborativen Zu-
sammenschlüssen von Feminist*innen, sind die veröffentlichten Beiträge und die
jeweiligen Positionen zumeist Ergebnis eines gemeinsamen diskursiven Prozesses
(Keller 2013; Hansen 2013). Durch das gemeinsame Schreiben und den Austausch
mit anderen Blogger*innen stellen feministische Blogs ein Übungsfeld dar, um
Feminismen zu erproben und feministische Ideen weiterzuentwickeln, wie die
Interviews mit Blogger*innen von The F-Bomb deutlich machen (Keller 2013). In
und durch Blogs wird Solidarität für feministische Perspektiven erzeugt und Ak-
teur*innen unterstützt. Auch auf Plattformen wie Facebook finden sich feministische
Zusammenschlüsse, die feministische Netzwerke erweitern und Online-Ge-
meinschaften herstellen können (Crossley 2015). Aus Zusammenschlüssen auf
verschiedenen Plattformen kann eine Art „digital sisterhood“ (Fotopoulou 2017)
entstehen. Die damit verbundene Anforderung einer ständigen Konnektivität wird
634 R. Drüeke

jedoch auch kritisch gesehen, wie Fotopoulou (2017) auf der Basis ihrer Interviews
mit Frauen*gruppen in Großbritannien herausstreicht, da diese Offline-Aktivismus
nach wie vor als entscheidend für den Zusammenhalt ansehen und die geforderte
Präsenz in digitalen Medien als belastend empfinden. Auch Jodi Dean (2009) hat auf
diese von ihr als neoliberal eingeordnete Verknüpfung von Aktivismus und Online-
Sein hingewiesen, welche ein ständig aktives Individuum voraussetzt, das Online-
Inhalte rezipiert und produziert.

2.2 Kommunikationsmodi in digitalen Öffentlichkeiten

In der feministischen Forschung wird die Bedeutung von Antagonismen, Emotionen


und Affekten in den Kommunikationsmodi digitaler Öffentlichkeiten herausgear-
beitet. Bereits in früheren feministischen Öffentlichkeitstheorien wurde diese Syn-
these von privat konnotierten und öffentlichen Ausdrucksformen betont und darauf
hingewiesen, dass der Kampf um Bedeutungen auf verschiedenen Öffentlichkeits-
ebenen aus einem „Dreiklang von Erfahrung, Emotion und Kognition“ (Wischer-
mann 2003, S. 270) besteht, der sich durch eine Verknüpfung persönlicher Bezie-
hungen und organisatorischer Vernetzung auszeichnet. Gerade auf der Ebene der
einfachen Öffentlichkeit (Klaus 2006; Klaus und Wischermann 2008) zeigt sich,
dass die darin entstehende feministische Bewegungskultur der Abgrenzung von
anderen Öffentlichkeiten und der Bildung eigener Kommunikationsformen, Themen
und Positionierungen dient und eben auch Emotionen und Affekte umfasst. Elisa-
beth Klaus und Ulla Wischermann (2008, S. 113) plädieren dementsprechend dafür,
die Rolle von Gefühlen und Erfahrungen als konstitutiv für Öffentlichkeiten anzu-
sehen. Ratio und Emotion/Affekt sowie Information und Unterhaltung sind Dicho-
tomien, die grundlegend in feministischen Theorien kritisiert wurden (vgl. etwa
Klaus 2001). Auch in der Medien- und Kommunikationswissenschaft vollzog sich
der „affective turn“, der Studien zu „performative publics“ inspiriert hat (Lünenborg
und Raetzsch 2018). Unter Rückgriff auf frühere feministische Ansätze zu Öffent-
lichkeit wurden Konzepte entwickelt, um die affektiven und emotionalen Dynami-
ken in Kommunikationsprozessen in den Blick zu nehmen, die sich in digitalen
Öffentlichkeiten deutlich zeigen (Klaus und Drüeke 2017). Solchen Dynamiken ist
häufig auch ein konflikthafter Charakter inhärent, denn Themen, die öffentlich
verhandelt werden, sind immer auch Teil eines Widerstreits zwischen sozialen
Positionen, weswegen auch antagonistische Formen und damit auch Konflikte als
Bestandteil der öffentlichen Aushandlung angesehen werden (Mouffe 2008).
Zizi Papacharissi verbindet boyds Konzept der „networked publics“ mit Affekt-
theorien und betrachtet „affective publics“ als „networked publics that are mobilized
and connected, identified, and potentially disconnected through expressions of
sentiment“ (Papacharissi 2014, S. 311). Der Einbezug von Affekttheorien bedeutet
für kommunikationswissenschaftliche Analysen, dass dualistische Strukturen wie
Subjekt und Objekt, innen und außen, Körper und Geist, human und non-human
überwunden werden können und zugleich die mediale Erzeugung und Vermittlung
von Affekten in den Blick genommen wird (Lünenborg et al. 2018). Nicht nur
Digitale Öffentlichkeiten und feministische Protestkulturen 635

Diskurse und deren Bedeutungen, sondern affektive Adressierungen des Publikums


und deren Rezeptionsweisen werden zum Gegenstand der Analyse. Gleichzeitig
verdeutlicht die affektive Dimension die Formierungsbedingungen des Öffentlich-
Werdens. Margreth Lünenborg und Christoph Raetzsch (2018) weisen darauf hin,
dass die dahinterliegenden Praktiken, die individuelle und kollektive Aktionen
kennzeichnen, performativen Charakter haben. Öffentlichkeiten lassen sich als per-
formativ beschreiben, wenn sie temporär und situativ sind, d. h. durch Praktiken
gebildet werden, die auf individuellen und/oder kollektiven Artikulationen beruhen,
lokal und translokal sowie emergent oder widerständig sein können. Gerade verge-
schlechtlichte Codes und Normierungen werden durch mediale Praktiken zwar auch
verfestigt, jedoch werden gerade in digitalen Medien solche Normierungen durch
Praktiken, die zwischen öffentlichen und privaten Artikulationen sowie in verschie-
denen Öffentlichkeiten stattfinden, in Frage gestellt und modifiziert. So haben etwa
Hashtags einen performativen Charakter, da sie aus einer temporären Dynamik
heraus gebildet werden, die vor allem affektiv aufgeladen ist. Philipps und Millner
(2017) ordnen die im Kontext der Debatte um sexualisierte Gewalt an Frauen*
entstandenen Hashtag #YesAllWomen und den Meme NotAllMan als performative
Handlungen ein, die sich zwischen verkörperten und digitalen bzw. medienvermit-
telten Identitätskonstruktionen vollziehen und sich damit in ihrer Artikulation
gegenseitig bedingen. In Bezug auf eine Umdeutung vergeschlechtlichter Normen
können Memes als kulturelle Ausdrucksformen solche performativen Praktiken
unterstreichen, wie Zebracki (2017, S. 466) anhand von queeren Verfremdungen
von heteronormativen Kunstwerken in Paris in Memes aufzeigt, die so online einen
„queering action space for alternative voices“ bereitstellen. Durch solche Verände-
rungen und modifizierte Bedeutungszuschreibungen durch Nutzer*innen können
hegemoniale Normierungen verändert werden. Nicht-normierte Körper und Sexua-
litäten werden durch diese Inszenierungen sichtbar und stellen selbstbestimmte
Repräsentationen dar, wie auch durch die Re-Artikulation feministischer Perspekti-
ven in digitalen Öffentlichkeiten am Beispiel von „queer/feminist porn“ deutlich
wird, in dem mit gängigen Stereotypen gebrochen wird und vielfältige sexuelle
Orientierungen und Identitäten denkbar sind (Fotopoulou 2017, S. 79).
Die Berücksichtigung von kommunikativen Formen, die über einen rationalen
Diskurs hinausgehen, und von sich temporär und situativ formierenden Öffentlich-
keiten zeigt die Vielfältigkeit feministischen Aktivismus und feministischer Protest-
kulturen auf. Doch sind digitale Öffentlichkeiten nicht nur von emanzipatorischer
Teilhabe und Partizipation gekennzeichnet, sondern auch von exkludierender Soli-
darität und Dissonanz. Digitale Öffentlichkeiten sind immer auch Schauplätze
sozialer Kämpfe, was den antagonistischen Charakter von Öffentlichkeiten betont.
In diesen exkludierenden Öffentlichkeiten werden feministische Themen, die
Geschlechterforschung im Allgemeinen und feministische Akteur*innen hasserfüllt
angegriffen (Ganz und Meßmer 2015). Wird in Online-Foren, Kommentarspalten
oder auf Social-Media-Plattformen über Geschlechterfragen verhandelt, so lässt sich
dort ein breites Spektrum an Meinungsäußerungen im Spannungsfeld von feminis-
tischen und antifeministischen Positionen ausmachen (Drüeke et al. 2018). Artiku-
lationsformen umfassen Strategien wie Mansplaining, Trolling oder auch Hate
636 R. Drüeke

Speech, also Beschimpfungen, Abwertungen, Einschüchterungen und Gewaltfanta-


sien, die sich gegen Einzelne, Gruppen oder gegen feministische Inhalte richten
(Ganz und Meßmer 2015, S. 61–62). So zeigen Studien zum Antifeminismus im
Netz zahlreiche Foren und öffentliche Räume, in denen Feminist*innen und Ge-
schlechterthemen diffamiert werden (Drüeke und Klaus 2014). Dies kann dazu
führen, dass Feminist*innen sich in „safe spaces“ zurückziehen, von denen aus
jedoch weniger effektiv in die hegemoniale Öffentlichkeit interveniert werden kann
(Ganz 2013). Darin liegen zentrale Herausforderungen digitaler Öffentlichkeiten, die
ein Ausloten von Möglichkeiten, um Widerstand und Gegenrede zu leisten, notwen-
dig machen und eine ständige Reflexion der Kommunikationskultur erfordern (Freu-
denschuß 2015; Ganz 2013).

3 Fazit: Potenziale und Herausforderungen feministischer


Protestkulturen

Digitale Öffentlichkeiten werden durch feministischen Aktivismus formiert und


unterstützen feministischen Protest auf vielfältige Weise. Sie ermöglichen feminis-
tischen Gruppen, Bewegungen und Akteur*innen, ihre Stimme öffentlich zu erhe-
ben und ihre Positionen zu artikulieren. Dies ist zentral für Bewegungszusammen-
hänge und fördert nicht nur die öffentliche Sichtbarkeit feministischer Themen,
sondern ermöglicht auch die Teilhabe an öffentlichen Debatten. Feministische
Öffentlichkeiten dienen der Vernetzung, einem Erfahrungsaustausch, sie ermögli-
chen Solidarität und gegenseitige Unterstützung. Der spezifische Charakter von
digitalen Öffentlichkeiten zeigt sich in ihrer Fluidität und Temporalität. Temporäre
Zusammenschlüsse sind wirkungsvoll, um Stellung zu einem Thema zu beziehen,
wie es bei feministischen Hashtags der Fall ist, nicht immer entstehen daraus jedoch
langfristige Bewegungen und Bewegungszusammenhänge. Digitale Praktiken und
Artikulationen betonen die affektiven und performativen Dimensionen des Öffent-
lich-Werdens und die Möglichkeiten, vergeschlechtlichte Normen in Frage zu stellen
und umzudeuten. Die antagonistischen Dimensionen des Öffentlichen zeigen sich
insbesondere, wenn feministischen Themen und Positionen der Geschlechterfor-
schung die Anerkennung verweigert wird und sie vehementen antifeministischen
Angriffen ausgesetzt sind.
Digitale Öffentlichkeiten – so lässt sich abschließend festhalten – bilden trotz der
Herausforderungen neue Räume, sie ermöglichen neue Artikulationsformen und
neue Sichtbarkeiten für feministische Bewegungen und Akteur*innen. Dennoch
müssen die Formierungsbedingungen kontinuierlich hinterfragt werden, da auch in
feministischen Bewegungen Privilegien und Ausschlüsse deutlich werden. So zei-
gen etwa Radhika Gajjala et al. (2010) anhand von feministischen Websites auf, wie
sich darin koloniale Diskurse festschreiben und so auch bei globalen Themen ein
US-amerikanischer und europäischer Blick dominiert. Auch Scharff et al. (2016)
verweisen auf die Notwendigkeit, intersektionale Perspektiven einzubeziehen. Fort-
während gilt es somit an feministischen Konzeptionalisierungen zu arbeiten und die
Digitale Öffentlichkeiten und feministische Protestkulturen 637

sich ändernden Kommunikationsmodi sowohl theoretisch als auch empirisch zu


erfassen und für das „feministische Projekt“ nutzbar zu machen.

Literatur
Barker-Plummer, Bernadette, und David Barker-Plummer. 2018. Twitter as a feminist resource:
#YesAllWoman, digital plattforms, and discursive social change. In Social movements and
media, Hrsg. Jennifer S. Earl und Deana A. Rohlinger, 91–118. Bingley: Emerald.
Boyd, Danah. 2010. Social network sites as networked publics: Affordances, dynamics, and
implications. In Networked self: Identity, community, and culture on social network sites, Hrsg.
Zizi Papacharissi, 39–58. New York/London: Routledge.
Crossley, Alison Dahl. 2015. Facebook Feminism: Social media, blogs, and new technologies of
contemporary U.S. feminism. Mobilization: An International Quarterly 20(2): 253–268.
Della Porta, Donatella. 2011. Communication in movement. Information, Communication &
Society 14(6): 800–819. https://doi.org/10.1080/1369118X.2011.560954.
Dean, Jodi. 2009. Democracy and other neoliberal fantasies: Communicative capitalism and left
politics. Durham: Duke University Press.
Dimond, Jill P., Michaelanne Dye, Daphne Larose, und Amy S. Bruckman. 2013. Hollaback! The
role of storytelling online in a social movement organization. In Proceedings of the 2013
conference on computer supported cooperative work. New York. http://dl.acm.org/citation.
cfm?id=2441831. Zugegriffen am 18.04.2018.
Dreher, Anna K. 2015. „Der Typ, der ...“. Der #aufschrei als vergeschlechtliche Gegenöffentlichkeit
im Cyberspace. In Neue Muster, alte Maschen? Interdisziplinäre Perspektiven auf die Ver-
schränkungen von Geschlecht und Raum, Hrsg. Sonja Lehmann, Karina Müller-Wienbergen,
und Julia Elena Thiel, 341–362. Bielefeld: transcript.
Drüeke, Ricarda, und Elisabeth Klaus. 2014. Öffentlichkeiten im Internet. Zwischen Feminismus
und Antifeminismus. Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft 23(2):
59–70.
Drüeke, Ricarda, und Elisabeth Klaus. 2018. Feministische Öffentlichkeiten. In Handbuch Inter-
disziplinäre Geschlechterforschung, Hrsg. Beate Kortendiek, Birgit Riegraf, und Katja Sabisch.
Wiesbaden: Springer VS.
Drüeke, Ricarda, und Gabriele Winker. 2005. Neue Öffentlichkeiten durch frauenpolitische Inter-
netauftritte. In Virtuelle Räume – neue Öffentlichkeiten. Frauennetze im Internet, Hrsg. Chris-
tina Schachtner und Gabriele Winker, 31–49. Frankfurt a. M./New York: Campus.
Drüeke, Ricarda, und Elke Zobl. 2016. Online feminist protest against sexism: the German-
language hashtag #aufschrei. Feminist Media Studies 16(1): 35–54.
Drüeke, Ricarda, Dorina Pascher, und Corinna Peil. 2018. Geschlechterdebatten in Österreich. Zur
Dynamik neuer Öffentlichkeiten im Internet. In Kommunikationswissenschaftliche Gender
Studies. Zur Aktualität kritischer Gesellschaftsanalyse, Hrsg. Ricarda Drüeke, Elisabeth Klaus,
Martina Thiele, und Julia Elena Goldmann, 123–138. Bielefeld: transcript.
Elshtain, Jean Bethke. 1981. Public man, private women. Women in social and political thought.
Princeton: Princeton University Press.
Fotopoulou, Aristea. 2017. Feminist activism and digital networks: Between empowerment and
vulnerability. London: Palgrave.
Fraser, Nancy. 2001. Öffentliche Sphären, Genealogien und symbolische Ordnungen. In Die
halbierte Gerechtigkeit, Hrsg. Nancy Fraser, 107–250. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Freudenschuß, Magdalena. 2015. Paradoxe Dynamik. Aktivismus zwischen Anonymität und
Sichtbarkeit. Forschungsjournal Soziale Bewegungen 28(3): 55–61.
Gajjala, Radhika, Yahui Zhang, und Phyllis Dako-Gyeke. 2010. Lexicons of women’s empower-
ment online. Appropriating the other. Feminist Media Studies 10(1): 69–86. https://doi.org/
10.1080/14680770903457139.
638 R. Drüeke

Ganz, Kathrin. 2013. Feministische Netzpolitik. Perspektiven und Handlungsfelder. Studie im


Auftrag des Gunda-Werner-Institut, Berlin. http://www.gwi-boell.de/sites/default/files/uploads/
2013/04/ganz_feministische_netzpolitik_web.pdf. Zugegriffen am 18.04.2018.
Ganz, Kathrin, und Anna-Katharina Meßmer. 2015. Anti-Genderismus im Internet. Digitale Öffent-
lichkeiten als Labor eines neuen Kulturkampfes. In Anti-Genderismus. Sexualität und
Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen, Hrsg. Sabine Hark
und Paula-Irena Villa, 59–78. Bielefeld: transcript.
Gillespie, Tarleton. 2014. The relevance of algorithms. In Media technologies: Essays on commu-
nication, materiality, and society, Hrsg. Tarleton Gillespie, Pablo J. Boczkowski, und Kristen
A. Foot, 176–194. Cambridge: MIT Press.
Hansen, Helga. 2013. Feminismus reloaded – das Weblog Mädchenmannschaft. In Die Frauen und
das Netz. Angebote und Nutzung aus Genderperspektive, Hrsg. Birgit Kampmann, Bernhard
Keller, Michael Knippelmeyer, und Frank Wagner, 149–158. Wiesbaden: Springer VS.
Haraway, Donna. 2000 [1991]. A manifesto for cyborgs. In The cybercultures reader, Hrsg. David
Bell und Barbara M. Kennedy, 291–324. Abingdon/Oxon: Routledge.
Hausen, Karin. 1992. Öffentlichkeit und Privatheit. Gesellschaftspolitische Konstruktionen und die
Geschichte der Geschlechterbeziehungen. In Frauengeschichte – Geschlechtergeschichte.
Reihe Geschichten und Geschlechter, Hrsg. Karin Hausen und Heide Wunder, Bd. 1, 81–88.
Frankfurt a. M./New York: Campus.
Kanai, Akane, und Amy Dobson. 2016. Digital media and gender. In The Wiley blackwell
encyclopedia of gender and sexuality studies, Hrsg. Nancy A. Naples, Renée C. Hoogland,
Maithree Wickramasinghe, und Wai Ching Angela Wong, 1–6. Wiley.
Kaun, Anne. 2016. Crisis and critique: A brief history of media participation in times of crisis.
London: Zed Books.
Keller, Jessalynn. 2013. „Still alive and kicking“. Girl bloggers and feminist politics in a postfe-
minist age. Dissertation, University of Texas. https://repositories.lib.utexas.edu/handle/2152/
21560. Zugegriffen am 15.01.2018.
Klaus, Elisabeth. 2001. Das Öffentliche im Privaten – Das Private im Öffentlichen. Ein kommu-
nikationstheoretischer Ansatz. In Tabubruch als Programm. Privatheit und Intimität in den
Medien, Hrsg. Friederike Hermann und Margreth Lünenborg, 15–35. Opladen: Leske + Bud-
rich.
Klaus, Elisabeth. 2006. Von der Beschränktheit unserer Öffentlichkeitstheorien im europäischen
Kontext. In Europäische Öffentlichkeit und medialer Wandel. Eine transdisziplinäre Perspek-
tive, Hrsg. Wolfgang R. Langenbucher und Michael Latzer, 93–106. Wiesbaden: Springer VS.
Klaus, Elisabeth. 2017. Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Selbstverständigungsprozess und das
Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit. Rückblick und Ausblick. In Öffentlichkeiten und
gesellschaftliche Aushandlungsprozesse. Theoretische Perspektiven und empirische Befunde,
Hrsg. Elisabeth Klaus und Ricarda Drüeke, 17–38. Bielefeld: transcript.
Klaus, Elisabeth, und Ulla Wischermann. 2008. Öffentlichkeit als Mehr-Ebenen-Prozess. Theore-
tische Überlegungen und empirische Befunde am Beispiel der Frauenbewegungen um 1900.
Zeitschrift für Frauenforschung & Geschlechterstudien 26(3): 103–116.
Lünenborg, Margreth, und Christoph Raetzsch. 2018. From public sphere to performative publics:
Developing media practice as an analytic model. In Media practices, social movements, and
performativity. Transdisciplinary approaches, Hrsg. Susanne Foellmer, Margreth Lünenborg,
und Christoph Raetzsch, 13–35. New York: Routledge.
Lünenborg, Margreth, Tanja Maier, und Claudia Töpper. 2018. Affekte als sozial-relationales
Phänomen medialer Kommunikation – Affekttheorien für die Medienforschung nutzbar
machen. Working Paper SFB 1171 Affective Societies 11/18. http://edocs.fu-berlin.de/docs/
receive/FUDOCS_series_000000000562. Zugegriffen am 20.07.2018.
Maier, Tanja, Martina Thiele, und Christine Linke. 2012. Zur Produktivität einer Verbindung von
Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht. In Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht in Bewegung:
Forschungsperspektiven der kommunikations- und medienwissenschaftlichen Geschlechterfor-
schung, Hrsg. Tanja Maier, Martina Thiele, und Christine Linke, 9–18. Bielefeld: transcript.
Digitale Öffentlichkeiten und feministische Protestkulturen 639

Mouffe, Chantal. 2008. Art and democracy: Art as an agnostic intervention in public space. Open,
Art as a Public Issue (14): 6–15. https://readingpublicimage.files.wordpress.com/2012/04/
mouffe_open14_p6-151.pdf. Zugegriffen am 05.04.2018.
Papacharissi, Zizi. 2014. Affective publics. Oxford: Oxford University Press.
Pateman, Carole. 1988. The sexual contract. Cambridge/Stanford: Stanford University Press.
Philipps, Whitney, und Ryan M. Millner. 2017. The ambivalent internet. mischief, oddity, and
antagonism online. Cambridge: Polity Press.
Plant, Sadie. 2000. On the matrix. Cyberfeminist simulations. In The cybercultures reader, Hrsg.
David Bell und Barbara M. Kenned, 325–336. Abingdon/Oxon: Routledge.
Richard, Birgit, und Marcus Recht. 2012. On the aesthetics of self-representation: Mustached
„female“ youth on flickr.com. In Feminist media. Participatory spaces, networks and cultural
citizenship, Hrsg. Elke Zobl und Ricarda Drüeke, 170–181. Bielefeld: transcript.
Riegraf, Birgit, Hanna Hacker, Heike Kahlert, Brigitte Liebig, Martina Peitz, und Rosa Reitsamer,
Hrsg. 2013. Geschlechterverhältnisse und neue Öffentlichkeiten. Feministische Perspektiven.
Münster: Westfälisches Dampfboot.
Rodino-Colocino, Michelle. 2014. #YesAllWomen: Intersectional mobilization against sexual
assault is radical (again). Feminist Media Studies 14(6): 1113–1115.
Rodríguez, Clemencia, Benjamin Ferron, und Kristin Shamas. 2014. Four challenges in the field of
alternative, radical and citizens’ media research. Media, Culture and Society 36(2): 150–166.
Rodriquez, Clemencia. 2017. Studying media at the margins: Learning from the field. In Media
activism in the digital age, Hrsg. Victor Pickard und Guobin Yang, 49–61. London/New York:
Routledge.
Schachtner, Christina. 2005. Netze verbinden, fangen auf, bilden Raum. Zur Erforschung virtueller
Frauen- und Mädchenräume. In Virtuelle Räume – neue Öffentlichkeiten. Frauennetze im
Internet, Hrsg. Christina Schachtner und Gabriele Winker, 127–144. Frankfurt a. M./New York:
Campus.
Schachtner, Christina, und Gabriele Winker, Hrsg. 2005. Virtuelle Räume – neue Öffentlichkeiten.
Frauennetze im Internet. Frankfurt a. M./New York: Campus.
Scharff, Christina, Carri Smith-Prei, und Maria Stehle. 2016. Digital feminism. Transnational
activism in German protest cultures. Feminist Media Studies 16(1): 1–16. https://doi.org/
10.1080/14680777.2015.1093069.
Sude, Kerstin. 2005. Internet-Präsenz frauenpolitischer Netzwerke. In Virtuelle Räume – neue
Öffentlichkeiten. Frauennetze im Internet, Hrsg. Christina Schachtner und Gabriele Winker,
51–70. Frankfurt a. M./New York: Campus.
Thimm, Caja. 2017. Media convergence and the network society: Media logic(s), polymedia and
the transition of the public sphere. In Media convergence and deconvergence. Global transfor-
mations in media and communication research, Hrsg. Sergio Sparviero und Corinna Peil,
93–112. Basingstoke: Palgrave.
Thimm, Caja, und Mario Anastasiadis. 2017. Kernkonzepte der Kommunikationswissenschaft im
Wandel – Digitale Öffentlichkeit zwischen Fragmentierung, Polymedia und „Mini-Publics“. In
100 Jahre Kommunikationswissenschaft, Kommunikationswissenschaft als Integrationsdiszi-
plin sowie Kommunikation im Wandel – Aktuelle Befunde, Hrsg. Markus Beiler und Benjamin
Bigl, 231–246. Konstanz: UVK.
Tillmann, Angela. 2010. Girls_Spaces: Mädchen-Szenen und Mädchen-Räume im Internet. In
Digitale Jugendkulturen, Hrsg. Kai-Uwe Hugger, 237–249. Wiesbaden: Springer VS.
Travers, Ann. 2003. Parallel subaltern feminist counterpublics in cyberspace. Sociological Per-
spectives 46(2): 223–237.
Treré, Emiliano, und Alice Mattoni. 2016. Media ecologies and protest movements: Main perspec-
tives and key lessons. Information, Communication & Society 19(3): 290–306. https://doi.org/
10.1080/1369118X.2015.1109699.
Wischermann, Ulla. 2003. Frauenbewegungen und Öffentlichkeiten um 1900. Netzwerke – Gegen-
öffentlichkeiten – Protestinszenierungen. Königstein: Ulrike Helmer Verlag.
640 R. Drüeke

Zebracki, Martin. 2017. Queerying public art in digitally networked space. ACME: An International
Journal for Critical Geographies 16(3): 440–471.
Zoonen, Liesbet van. 2002. Gendering the internet: Claims, controversies and cultures. European
Journal of Communication 17 (1): 5–23.
Feministische Veranstaltungs-
Öffentlichkeiten

Rosa Reitsamer

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642
2 Musikbezogenes Handeln von Frauen: ein historischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642
3 Women’s Music und Frauenmusikfestivals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643
4 Riot Grrrl und Ladyfeste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 645
5 Feministische Musikarchive und Musiker*innen-Netzwerke im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . 646
6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 648

Zusammenfassung
Frauen hatten zu allen historischen Epochen einen eingeschränkten Zugang zu
professioneller Musikausbildung und -ausübung, der bis heute strukturbildend für
die westliche Kunst- und Popularmusik ist. Dagegen intervenieren seit den
1970er-Jahren feministische Veranstaltungs-Öffentlichkeiten in musikkulturellen
Feldern: angefangen von der „Women’s Music“ und den Frauenmusikfestivals
der 1970er- und 1980er-Jahre über das Riot-Grrrl-Netzwerk der 1990er bis hin zu
den queer-feministischen Musikfestivals und digitalen feministischen Musik-
archiven, die nach der Jahrtausendwende gegründet wurden.

Schlüsselwörter
Veranstaltungs-Öffentlichkeiten · Women’s Music · Frauenmusikfestivals ·
Ladyfeste · Feministische Musikarchive · Riot Grrrl

R. Reitsamer (*)
Institut für Musiksoziologie, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Wien, Österreich
E-Mail: reitsamer@mdw.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 641
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_43
642 R. Reitsamer

1 Einleitung

Feministische Veranstaltungs-Öffentlichkeiten, die durch musikbezogenes Handeln


hergestellt werden, umfassen Veranstaltungsorte, Lieder, Musikvideos, Schallplat-
tenlabels, Musikzeitschriften und Netzwerke sowie Ausstellungen und Archive, die
weibliches, feministisches und queeres Musikschaffen in der Vergangenheit und
Gegenwart dokumentieren. In den Debatten über feministische Öffentlichkeiten
nahm das Thema Musik allerdings nie eine prominente Stellung ein; ebenso wenig
wurde das Konzept der Öffentlichkeit in Forschungen zu ungleichen Geschlechter-
verhältnissen in musikkulturellen Feldern ausführlich diskutiert. Eine Annäherung
an die Themen Öffentlichkeit und Musik lässt sich seit den 1990ern in Studien zum
Riot-Grrrl-Netzwerk und zu queer-feministischen Musikfestivals erkennen sowie in
Forschung zu queeren Performer*innen und Netzwerken im Rock, Pop, HipHop und
in der elektronischen Musik.

2 Musikbezogenes Handeln von Frauen: ein historischer


Überblick

Frauenspezifische Öffentlichkeiten in musikkulturellen Feldern haben eine lange


Geschichte, weil sich Frauen zu jeder Zeit in das Musikleben involvierten. Feminis-
tische Studien über das weibliche Musikschaffen zu unterschiedlichen historischen
Epochen verdeutlichen allerdings, dass für Frauen der Zugang zu professioneller
Musikausbildung und -ausübung zu allen Zeiten eingeschränkt war. Als Folge dieser
Einschränkungen waren sie primär im Bereich der „musikalischen Reproduktion“
als Sängerinnen, als auf bestimmte Instrumente beschränkte Interpretinnen – hier vor
allem als Pianistinnen –, als Musikpädagoginnen oder Kulturförderinnen tätig (Rie-
ger 1981). Beispielsweise konnten Frauen in der Frühen Neuzeit ihre musikalischen
Fertigkeiten teilweise bei Veranstaltungen am Hof oder im privaten „Frauenzimmer“
der Fürstin oder in Klöstern einbringen. Spielfrauen, die als nicht-sesshafte und
rechtlose Sängerinnen und Instrumentalistinnen außerhalb der „ehrbaren“ Stände-
gesellschaft standen, agierten hingegen auch in der Öffentlichkeit. Sie zogen mit den
fahrenden Leuten von Stadt zu Stadt und unterhielten mit ihrer Musik Menschen auf
Dorfplätzen und die Gäste in Wirtshäusern, bei Fürstenveranstaltungen, Hochzeiten
und anderen Festivitäten. Die Städte boten den Spielfrauen teilweise bis ins
18. Jahrhundert ein Wirkungsfeld, obwohl die Verdrängung der fahrenden Musike-
rinnen und Musiker bereits im 16. Jahrhundert mit der Etablierung fixer höfischer
Musikensembles einsetzte (Koldau 2005).
Für die Entstehung des bürgerlichen Musiklebens spielten die musikalischen
Salons eine wesentliche Rolle, die Frauen eine Möglichkeit boten, als Veranstalte-
rinnen, Sammlerinnen von Vor- und Nachlässen, Musikerinnen und Komponistin-
nen „kleiner“ Gattungsformen, die ihnen qua Geschlecht zugeschrieben wurden, in
halb-öffentlichen Räumen in Erscheinung zu treten. Die musikalischen Salons
reproduzierten jedoch die dominante Vorstellung von bürgerlicher Weiblichkeit,
weil Frauen auf ihre „Enabling Roles“ (Green 1997) und die ihnen zugewiesenen
Feministische Veranstaltungs-Öffentlichkeiten 643

Instrumente und Genres beschränkt blieben (Hofmann 1991; Green 1997). Mit der
Entstehung des öffentlichen Musiklebens geriet diese vor allem von Frauen getra-
gene Tradition der musikalischen Salons allerdings bald in Vergessenheit.
Das öffentliche Musikleben formierte sich mit dem Entstehen der Oper in Italien
um die Mitte des 17. Jahrhunderts und der Herausbildung des Konzertwesens seit
dem frühen 18. Jahrhundert. Dieser Prozess vollzog sich zeitgleich mit der zuneh-
menden Entgegensetzung von Öffentlichkeit und Privatheit, durch die außerhäus-
liche Aktivitäten und öffentliche Anliegen dem Mann zugesprochen wurden, wäh-
rend Frauen auf das Haus verwiesen und Weiblichkeit mit der privaten Sphäre
verbunden wurde. In Verbindung mit dem historisch etablierten Vorrecht der Männer
auf professionelle Musikausbildung und -ausübung hatte der Dualismus von Öffent-
lichkeit und Privatheit und seine Bindung an Zweigeschlechtlichkeit und Hetero-
normativität zur Folge, dass auch die Institutionen des öffentlichen Musiklebens
weitgehend von Männern geprägt wurden.
Diese historischen Entwicklungen sind bis heute strukturbildend für die westliche
Kunstmusik, aber auch für die Felder der Popularmusik, in denen sich die Aus-
schlüsse und Marginalisierung von Frauen fortsetzen. Die Arbeitspraktiken der
Popularmusikindustrie sind durch traditionelle Geschlechterideologien informiert,
weswegen die Führungs- und Kreativebenen von Männern dominiert werden und
Musikerinnen individuelle und strukturelle Benachteiligungen erfahren (Negus
1992). Die Karrieren von Musikerinnen sind aufgrund dieser Benachteiligungen
kürzer, und ihr kommerzieller Erfolg ist nicht nur in männlich dominierten Genres
wie der Rockmusik geringer als jener von männlichen Musikern (Kearney 2017),
sondern auch in allen anderen Musikgenres (Whiteley 2000). Zudem stehen bei der
Vermarktung von Musikerinnen ihre Körper und ihre Sexualität anstatt ihre musi-
kalischen Leistungen im Vordergrund (Lieb 2013).

3 Women’s Music und Frauenmusikfestivals

Als Reaktion auf diese Arbeitspraktiken der Musikindustrie und auf Basis des
Bedürfnisses von Feministinnen nach einer Musik, die ihre Lebensrealitäten adres-
siert, entwickelte sich in den späten 1960ern die Women’s Music. Bayton (1993)
zufolge ist Women’s Music eine nicht-maskuline, folk-beeinflusste Musik von, für
und über Frauen, die die phallische E-Gitarre zugunsten der Betonung von Stimme
und der Verwendung von akustischen Instrumenten ablehnt. Inspiriert von der Idee
der Women’s Music, die sich ausgehend von den USA rasch in Westeuropa verbrei-
tete, wurden Frauen verstärkt als Musikerinnen aktiv und riefen mit der Organisation
von Workshops, Konzerten und Musikfestivals eigene Räume für die Produktion,
die Aufführung und den Konsum der Women’s Music ins Leben. Als zentrale
Praktiken des feministischen Musikmachens der Zweiten Frauenbewegung trugen
die Women’s Music und die (temporäre) Übernahme von Veranstaltungsräumen
wesentlich zur Konstitution lokal verankerter Frauenöffentlichkeiten bei (Reitsamer
2014). Doderer definiert Frauenöffentlichkeit als eine „Öffentlichkeit, die Frauen-
und Lebenspolitik, Emanzipation und feministische Inhalte als gemeinsamen
644 R. Reitsamer

Gegenstand hat“ und Räume produziert, „indem sie eigene Diskurse lanciert und
sich eigene Räumlichkeiten schafft“ (Doderer 2002, S. 73). Die durch musikbezo-
genes Handeln hergestellten Frauenöffentlichkeiten der 1970er- und 1980er-Jahre
lassen sich somit als „Gegenöffentlichkeit“ definieren, weil sie in Abgrenzung und
Opposition zur bürgerlich-patriarchalen und zur patriarchal-linken Öffentlichkeit
stehen (Dackweiler und Holland-Cunz 1991). Sie orientierten sich am differenz-
feministischen Diskurs der Zweiten Frauenbewegung und zielten auf die Sichtbar-
machung und Förderung von Musikerinnen und einer feministisch-lesbischen
Frauenkultur ab. Die geschaffenen Frauenräume eröffneten zudem Möglichkeiten
der bewussten Reflexion über die Situation von Musikerinnen und ermutigten
Frauen abseits männlicher Bevormundung und Kontrolle, Musik als Mittel für die
Artikulation von feministischen und lesbischen Identitäten und der Zugehörigkeit
zur Frauenbewegung zu nutzen.
In Deutschland fand die Women’s Music eine Umsetzung mit den Flying Lesbi-
ans, die als erste deutsche Frauenrockband mit ihrer gleichnamigen Schallplatte in
die Geschichte einging, und der Band UnterRock, die ebenfalls eine Platte mit dem
Titel „Mach mal deine Schnauze auf“ (1980) veröffentlichte, auf der sich die
lesbische Hymne „Heterowelt – leck’ mich am Arsch“ findet. Indem sie ein kon-
kretes feministisch-lesbisches Musikerbe in Form eines Tonträgers hinterließen, sind
diese beiden Bands allerdings Ausnahmen unter den zahlreichen Musikgruppen im
deutschsprachigen Raum. Von der ersten österreichischen Frauenpunkband A-Gen
53, die sich weniger in der Frauenbewegung als im Punk verortete, existiert bei-
spielsweise keine Platte. Aber auch in Großbritannien fehlten vielen feministischen
und lesbischen Musikerinnen in den 1970ern und 1980ern die finanziellen Ressour-
cen für die Aufnahme, Produktion und Distribution von Tonträgern oder sie lehnten
aus politischen Gründen eine Kooperation mit der von Männern dominierten Musik-
industrie ab (Withers 2014). Eine stärkere Verankerung feministischer Veranstal-
tungs-Öffentlichkeiten in musikkulturellen Feldern fand in den USA statt. Zahlrei-
che feministische und lesbische Performerinnen wie etwa Meg Christian, Sweet
Honey in the Rock oder Cris Williamson veröffentlichten ihre Musik u. a. auf dem
unabhängigen Plattenlabel Olivia Records, das von 1973 bis ca. Mitte der 1980er-
Jahre existierte und sich der Women’s Music widmete. Zudem finden Frauenmu-
sikfestivals seit den 1970ern jährlich statt, und Musikerinnen-Workshops wie etwa
Girl Rock Camps können auf eine lange Tradition zurückblicken.
Die Orientierung der Frauenmusikfestivals am Differenzfeminismus weißer Mit-
telschichtsfrauen stieß jedoch bald auf Kritik. Am Beispiel des National Women’s
Music Festivals beschreiben Eder et al. (1995), wie die weitgehende ethnische
Homogenität des Organisationsteams, der Performerinnen und der Besucherinnen
zu symbolischen und realen Ausschlüssen von Women of Color führte und der
Versuch, einen „sicheren Raum“ für alle Frauen zu schaffen, letztlich durch die
mangelnde Thematisierung rassistischer Strukturen scheiterte. Die Debatte um Aus-
schlüsse aus Frauenräumen erweiterte sich mit der Kritik von Trans-Aktivist*innen,
die in den USA die „Womyn Born Womyn“-Politik des Michigan Womyn’s Music
Festivals auf ihren Essentialismus befragten und zum Boykott des Festivals auf-
riefen.
Feministische Veranstaltungs-Öffentlichkeiten 645

Nicht zuletzt aufgrund der Kritik von Women of Colour, postkolonialen Femi-
nist*innen und Trans-Aktivist*innen entstehen Anfang der 1990er-Jahre neuere
feministische Strömungen, an denen eine jüngere Generation von Frauen* maß-
geblich beteiligt ist. Diese Generation versteht ihren Aktivismus und ihre Netzwerke
häufig als Teil des Third-Wave-, Pop-, Hip-Hop- oder Punkrock-Feminismus, weil
sie sich verstärkt im Feld der Popularkultur verortet und die kritische Beschäftigung
mit Popkultur als wesentliche Komponente für die Herstellung feministisch-queerer
Gegenöffentlichkeiten begreift. Zu diesen neueren feministischen Aktivismen zäh-
len u. a. Riot Grrrl, Ladyfeste und Girl Rock Camps.

4 Riot Grrrl und Ladyfeste

Riot Grrrl ist ein Netzwerk, das von Musiker*innen, Konzertorganisator*innen,


Fanzine-Produzent*innen und Betreiber*innen unabhängiger Plattenlabels aufgrund
der zunehmenden Unzufriedenheit mit den ungleichen Geschlechterverhältnissen in
den US-amerikanischen Post-Punk-Szenen zu Beginn der 1990er-Jahre ins Leben
gerufen wurde. Diese Aktivist*innen verbanden den Do-It-Yourself-Ethos des Punk
mit queer-feministischer Politik, und Bands wie Bikini Kill, Team Dresch, Sleater
Kinney oder Tribe 8 forderten die Definition von Rock als männliche Praxis und
männliches Terrain heraus, indem sie den soften akustischen Sound der Women’s
Music durch elektrische Gitarren ersetzten. In Verbindung mit dem Aufbau eigener
Strukturen für die Produktion, Distribution und Vermarktung von Musik war diese
Herausforderung von wesentlicher Bedeutung für die Herstellung einer feministisch-
queeren Gegenöffentlichkeit, die in Opposition zu den (trans-)lokalen, männlich
dominierten Szenen der Rock- und Punkmusik stand. Viele Musikjournalisten
negierten jedoch die explizit feministische Politik des Riot-Grrrl-Netzwerks und
die lesbisch-queeren Inhalte vieler Songs und Fanzines, indem sie Riot Grrrl als
eine „neue Welle“ von „Frauen im Rock“ beschrieben (Kearney 1997; Reitsamer
2018). Diese Berichterstattung führte nicht nur seitens vieler Riot-Grrrl-Aktivist*in-
nen zum Boykott der Mainstream-Medien, sondern auch zum erneuten Ausschluss
von weiblichen Musiker*innen aus dem von weißen Männern dominierten Kanon
der Rockmusik. Als Abgrenzungsstrategie gegenüber dieser medialen Berichterstat-
tung und als Weiterentwicklung des Riot-Grrrl-Netzwerks entstand die Idee der
Ladyfeste, die im Jahr 2000 in Olympia, Washington, USA, erstmals realisiert und
in den folgenden Jahren weltweit durch die Organisation von antikapitalistischen,
queer-feministischen Musikfestivals in Europa, Nord- und Südamerika, Australien,
Neuseeland, Afrika und Asien verbreitet wurde (Zobl 2012).
Diese queer-feministischen Festivals, die häufig unter dem Namen Ladyfest
firmieren, orientieren sich im Unterschied zu den Frauenmusikfestivals vergangener
Jahrzehnte kaum am differenzfeministischen Diskurs, der für die Herstellung von
exklusiven Frauenräumen zentral war. Im Fokus steht vielmehr eine „Rhetorik und
Politik der Inklusion, Partizipation und Intervention“, die auf die Herstellung queerer
Räume abzielt und zu einem veränderten Verständnis von Gegenöffentlichkeit führt
(Reitsamer 2014). Zu den partizipativen Raumpraktiken dieser Festivals zählen
646 R. Reitsamer

u. a. die Benennung von unerwünschten Verhaltensweisen, Anleitungen, um in


unmittelbare Gewalthandlungen einzugreifen, das Markieren der Veranstaltungsorte
mit Graffiti, Tags und Plakaten sowie die Aneignung des Begriffs „Lady“, der als
inklusiver Terminus verstanden wird und auf die gender-queere und trans-inklusive
Politik der Festivals verweist. Erweitert werden diese Praktiken zur Herstellung
temporärer queerer Räume häufig um Slut Walks und Dyke Marches, die als
Demonstrationen gegen Sexismus, Rassismus, Homo- und Transphobie organisiert
werden und zusätzlich zu den Veranstaltungsorten eine weitere öffentliche Plattform
für Performances von queeren Musiker*innen und Künstler*innen schaffen.
Allerdings produzieren auch das Riot-Grrrl-Netzwerk mit seinem Slogan „Every
Girl is a Riot Grrrl“ und Ladyfeste mit ihrer „Rhetorik und Politik der Inklusion,
Partizipation und Intervention“ spezifische Normen, die verschlüsselt in Sprache,
Kleidungscodes und Verhaltensweisen zu Ausschlüssen von Frauen*, Queers und
Trans-Personen of Colour führen, wodurch die ethnische Homogenität der Frauen-
musikfestivals der 1970er und 1980er reproduziert wird (Hayes 2010). Dass zahl-
reiche Festivalorganisator*innen und -besucher*innen um die „whiteness“ des
Riot-Grrrl-Netzwerks und der Ladyfeste wissen, dokumentieren Studien zu queer-
feministischen Musikfestivals in Europa (Zobl 2012; Ommert 2016). Trimmel und
Mooshammer (2007) schlagen daher vor, Ladyfeste als Räume des Widerspruchs zu
beschreiben und die Praktiken der Raumkonstitution als „doing Ladyspace“ (Om-
mert 2016) zu erfassen. Diese Praktiken verfolgen eine Kritik an Identitätspolitiken
und Prozessen des „Othering“, die auf Zweigeschlechtlichkeit, Heteronormativität
und Rassifizierung basieren. Durch die Bereitstellung einer Plattform für weibliche
und feministische Musik- und Kunstschaffende stehen Ladyfeste in der Tradition der
Frauenmusikfestivals der 1970er- und 1980er-Jahre; gleichzeitig verschieben sie die
feministisch-lesbische Identitätspolitik der Frauenmusikfestivals hin zu Raumpoliti-
ken für die Herstellung feministisch-queerer Veranstaltungs-Öffentlichkeiten, an der
möglichst viele Individuen unabhängig von ihrer Geschlechtszugehörigkeit partizi-
pieren können und sollen.

5 Feministische Musikarchive und Musiker*innen-


Netzwerke im Internet

Seit der Jahrtausendwende erweitern Individuen und kleine Kollektive diese (trans-)
lokalen Veranstaltungs-Öffentlichkeiten, indem sie die Möglichkeiten des Internets
für den Aufbau von feministischen Musiker*innen-Netzwerken wie etwa Female
Pressure und die Gründung von digitalen Musikarchiven nutzen, um weibliches,
feministisches und queeres Musikschaffen in der Vergangenheit und Gegenwart zu
dokumentieren. Dieser archivarische Aktivismus ist Teil eines größeren global
verbundenen Netzwerks, das sich mit der (Re-)Konstruktion alternativer und oppo-
sitioneller Popularmusikgeschichte beschäftigt (Baker und Huber 2013) und die
vielfältigen Arten veranschaulicht, wie das feministisch-lesbische Musikerbe der
Zweiten Frauenbewegung verhandelt wird. Eichhorn (2013) beschreibt diese Ver-
handlungen als „genealogical politics“, weil sie Dialoge und Allianzen zwischen
Feministische Veranstaltungs-Öffentlichkeiten 647

unterschiedlichen Generationen von Feminist*innen fördern, die häufig als Vertre-


ter*innen des „Second Wave“- oder „Third Wave“-Feminismus bezeichnet werden
und vermeintlich stärker durch politische Differenzen getrennt als durch geteilte
politische Interessen und Methoden der feministischen Medienproduktion für die Her-
stellung von feministischen Gegenöffentlichkeiten verbunden seien (Reitsamer 2015).
Cantillon et al. (2017) zufolge sind die Funktionen, Praktiken und Motive von feminis-
tischen Musikarchivar*innen eng mit den Werten, Normen und Ideologien von femi-
nistischen, lesbischen und queeren Communities und den Methoden der feministischen
Medienproduktion verbunden. Feministische Musikarchive unterscheiden sich von der
hegemonialen Pop-/Rockmusikgeschichte, die sich auf veröffentlichte Tonträger
beschränkt, auch durch ihre umfassenden Sammlungen, die neben Tonträgern auch
Videos, Fanzines, Posters, Fotos, Briefe und andere flüchtige Medien umfassen.
Die digitale Sammlung des Women’s Liberation Music Archive, die von einem
Kollektiv bestehend aus Feminist*innen unterschiedlicher Generationen seit der
Gründung 2011 fortlaufend erweitert wird, dokumentiert die verloren gegangene
und vergessene Geschichte des feministisch-lesbischen Musikmachens in Großbri-
tannien und Irland in den 1970er- und 1980er-Jahren (Withers 2014). Die Einbin-
dung des Kollektivs in die damalige feministisch-lesbische Musikszene ist eine
wichtige Ressource für das Sammeln von Artefakten und die Motivation von
Musiker*innen und Künstler*innen, autobiografische Einträge in das Weblog zu
gestalten. Durch diese partizipativen und kollaborativen Praktiken gibt das Kollektiv
den Musiker*innen und Künstler*innen die Möglichkeit, selbst über die Repräsen-
tation im Archiv zu bestimmen, und erlaubt den Archiv-Besucher*innen einen
Einblick, wie die lokale feministische Musikszene von Frauen unterschiedlicher
Klassenzugehörigkeit, kultureller Hintergründe und sexueller Orientierungen in
den 1970ern und 1980ern erlebt wurde. Für die Archivar*innen selbst ist die
Produktion einer „brauchbaren Vergangenheit“ (Flinn 2011) eine wichtige Motiva-
tion, weil sie mit dem Archiv eine Ressource schaffen wollen, die feministisch-
queere Kämpfe in der Gegenwart und Zukunft inspiriert und unterstützt (Reitsamer
2015). Dieser archivarische Aktivismus, der auch anderen feministisch-queeren
Musikarchiven wie etwa dem digitalen Queer Noise Archive zugrunde liegt, stellt
die hegemoniale Pop-/Rockmusikgeschichte infrage. Letztere wurde erstmals von
amerikanischen und britischen Musikjournalisten und Rockhistorikern in den späten
1960er und 1970ern formuliert und wird seither von global agierenden Musik- und
Medienkonzernen legitimiert, wodurch sie den öffentlichen Diskurs über Popular-
musikgeschichte und popmusikalische Erbeformationen bestimmt.

6 Fazit

Am Beispiel von Frauenmusikfestivals, des Riot-Grrrl-Netzwerks und feministi-


scher Musikarchive zeigt sich, dass die Herstellung von feministischen Veranstal-
tungs-Öffentlichkeiten in musikkulturellen Feldern durch den Aktivismus unter-
schiedlicher Generationen von Feminist*innen in der Vergangenheit und Gegenwart
ermöglicht wurde. Diese Öffentlichkeiten thematisieren die historisch etablierten
648 R. Reitsamer

Strukturen, die den Zugang von Frauen zu professioneller Musikausbildung und


-ausübung einschränken und zur Vergeschlechtlichung von Musikberufen, Instru-
menten, Singstimmen und Genres führten, und ermutigen Frauen* als Musiker*in-
nen aktiv zu werden. Entgegen der Wahrnehmung vieler Kommentator*innen, dass
popkultureller Aktivismus ausschließlich von einer jüngeren Generation von Femi-
nist*innen getragen werde, die sich in Opposition zur Zweiten Frauenbewegung
positioniert, skizzierten meine Ausführungen zu feministischen Musikarchiven die
generationenübergreifende, genealogische Politik der aktivistischen Archivar*in-
nen. Diese Politik entsteht durch kollektives musikbezogenes Handeln, das auch
queer-feministischen Musikfestivals wie Ladyfesten zugrunde liegt, die die Tradition
der Frauenmusikfestivals um die Konstitution queerer Räume erweitern.

Literatur
Baker, Sarah, und Alison Huber. 2013. Notes towards a typology of the DIY institution: Identifying
do-it-yourself places of popular music preservation. European Journal of Cultural Studies
16(5): 513–530.
Bayton, Mavis. 1993. Feminist musical practices: Problems and contradictions. In Rock and
popular music, Hrsg. Tony Bennett et al., 177–192. London: Routledge.
Cantillon, Zelmarie, Sarah Baker, und Bob Buttigieg. 2017. Queering the community music
archive. Australian Feminist Studies 32(91–92): 41–57.
Dackweiler, Regina, und Barbara Holland-Cunz. 1991. Strukturwandel feministischer Öffentlich-
keit. Beiträge zur Feministischen Theorie und Praxis 14(30/31): 105–122.
Doderer, Yvonne. 2002. Urbane Praktiken. Strategien und Raumproduktion feministischer Frauen-
öffentlichkeit. Dortmund: Eigenverlag.
Eder, Donna, Suzanne Staggenborg, und Lori Sudderth. 1995. The national women’s music festival.
Collective identity and diversity in a lesbian-feminist community. Journal of Contemporary
Ethnography 23(4): 485–515.
Eichhorn, Kate. 2013. The archival turn in feminism: Outrage in order. Philadelphia: Temple
University Press.
Flinn, Andrew. 2011. Archival activism: Independent and community-led archives, radical public
history and the heritage professions. Interactions 7(2): 1–20.
Green, Lucy. 1997. Music, gender, education. Cambridge: Cambridge University Press.
Hayes, Eileen M. 2010. Songs in black and lavender. Race, sexual politics and women’s music.
Urbana: University of Illinois Press.
Hofmann, Freia. 1991. Instrument und Körper. Die musizierende Frau in der bürgerlichen Kultur.
Frankfurt a. M.: Insel.
Kearney, Mary Celeste. 1997. The missing link: Riot grrrl, feminism, lesbian culture. In Sexing the
groove: Popular music and gender, Hrsg. Sheila Whiteley, 207–229. London: Routledge.
Kearney, Mary Celeste. 2017. Gender and rock. New York: Oxford University.
Koldau, Linda Maria. 2005. Frauen – Musik – Kultur. Ein Handbuch zum deutschen Sprachgebiet
der Frühen Neuzeit. Wien: Böhlau.
Lieb, Kristin. 2013. Gender, branding and the modern music industry. New York: Routledge.
Negus, Keith. 1992. Producing pop: Culture and conflict in the popular music industry. London:
Edward Arnold.
Ommert, Alexandra. 2016. Ladyfest-Aktivismus. Queer-feministische Kämpfe um Freiräume und
Kategorien. Bielefeld: transcript.
Reitsamer, Rosa. 2014. Feministische Räume im Wandel der Zeit: Frauenmusikfestivals und
Ladyfeste. In SpielRäume. Wissen und Geschlecht in Musik Theater Film, Hrsg. Andrea
Ellmeier und Claudia Walkensteiner-Preschl, 37–50. Wien: Böhlau.
Feministische Veranstaltungs-Öffentlichkeiten 649

Reitsamer, Rosa. 2015. Alternative histories and counter-memories: Feminist music archives in
Europe. In Preserving popular music heritage, Hrsg. Sarah Baker, 91–103. New York: Rout-
ledge.
Reitsamer, Rosa. 2018. Gendered narratives of popular music history and heritage. In The Rout-
ledge companion to popular music and heritage, Hrsg. Sarah Baker et al., 26–35. London:
Routledge.
Rieger, Eva. 1981. Frau, Musik und Männerherrschaft, 2. Aufl. Frankfurt a. M.: Ullstein.
Trimmel, Eva, und Bettina Mooshammer. 2007. Ladyspace. Feministische Raumproduktion am
Beispiel Ladyfest. Diplomarbeit. Wien.
Whiteley, Sheila. 2000. Women and popular music. London: Routledge.
Withers, Deborah. 2014. Re-enacting process: Temporality, historicity and the Women’s Liberation
Music Archive. International Journal of Heritage Studies 20(7–8): 688–701.
Zobl, Elke. 2012. Zehn Jahre Ladyfest: Kulturelle Produktion und rhizomatische Netzwerke junger
Frauen. p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten 01:1–21.
Feminismen, Kunst und Medien

Romana Hagyo

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 652
2 Auseinandersetzungen mit und Aneignungen von neuen Medien- und
Kommunikationstechnologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653
3 Die Auseinandersetzung mit geschlechtlich codierten Körpern, Räumen und
Repräsentationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 656
4 Fazit und Ausblick: Verweigerte Normierung und vervielfältigte Identitäten . . . . . . . . . . . . . 657
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659

Zusammenfassung
Der Beitrag macht Hoffnungen und Erwartungen zum Thema, die mit der Nut-
zung jeweils neuer medialer Kommunikationsformen seit den 1960er-Jahren
durch feministisch und queer motivierte bildende Künstlerinnen verbunden
waren und sind. Exemplarisch werden feministische und queere künstlerische
Arbeiten vorgestellt, die sich mit Repräsentationspolitiken, mit dem Selbstbild,
mit Körper und Kamera und mit geschlechtlich codierten Räumen auseinander-
setzen. Die Künstler_innen befragen und erproben das Potenzial jeweils neuer
Technologien mit der Intention, die Präsenz von Künstlerinnen zu erhöhen,
Geschlechterrollen und geschlechterbezogene Zuschreibungen zu konterkarieren,
ironisch zu überspitzen, neu zu formulieren oder umzuschreiben und Ungleich-
heiten auf der Basis von Geschlecht*, Herkunft, sozialer Situation (und weiteren
Faktoren) zu kritisieren.

R. Hagyo (*)
Akademie der bildenden Künste Wien, Wien, Österreich
E-Mail: mail@hagyo.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 651
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_63
652 R. Hagyo

Schlüsselwörter
Feminismus · Kunst · Medienkunst · Videokunst · Digifeminismus ·
Cyberfeminismus · Gender Studies

1 Einleitung

Seit Mitte der 2000er-Jahre widmen sich internationale Kunst-Ausstellungen1 mit


zunehmender Häufigkeit feministischen und queeren künstlerischen Ansätzen –
häufig mit dem Ziel, den Künstler_innen verstärkte Präsenz im Kunstbetrieb zu
verschaffen. So begrüßenswert diese Intention ist, immer wieder wird dabei deutlich,
wie schwierig es ist, Kanonbildungen und eine Konzentration auf Künstlerinnen aus
Westeuropa und den USA zu vermeiden und einer Heterogenität an künstlerischen
Zugängen gerecht zu werden, die unterschiedlichen Kontexten entstammen und
Ungleichheiten auf der Basis von Geschlecht*, aber auch von Herkunft, sozialer
Situation, Religion, Körper und anderen Faktoren adressieren (Reilly 2015, S. 4;
Pejic und Traumane 2010, S. 1). In diesem Beitrag soll nicht „die feministische oder
die queere Kunst“ behauptet werden, stattdessen soll der Text Raum für unterschied-
liche Ansätze und Lesarten, für Brüche und Widersprüche lassen (Bartl 2012, S. 17).
Die Auswahl der diskutierten künstlerischen Arbeiten ist von der Intention geleitet,
Ansätze aus unterschiedlichen geografischen Kontexten – über den westeuropä-
ischen und nordamerikanischen Raum hinaus – zu besprechen. Es wurden vor allem
Positionen ausgewählt, die in den eingangs genannten Ausstellungen vertreten
waren.
Die Begrifflichkeit und die Zugänge und Strategien feministischer Kunst, der
bildenden Kunst und der Medienkunst im Speziellen haben seit den 1960er-Jahren
zwei einflussreiche Entwicklungen durchlaufen, zum einen die Wegbewegung vom
traditionellen Werkbegriff hin zu einem prozessualen Kunstbegriff: Die künstle-
rische Arbeit verlässt ihre traditionellen Räume (Museen und Galerien, Theater)
und nimmt die Straße, die Landschaft und Räume des Alltags in Anspruch. Zum
anderen wenden sich künstlerische Praktiken den jeweils neu entstehenden tech-
nischen Medien zu und erobern virtuelle Räume. Der Begriff der Medienkunst ist
allerdings Gegenstand zahlreicher Diskussionen, er wurde für das analoge und
(später) digitale Arbeiten mit Video, Audio, Radio, Fernsehen und mit webbasier-
ten Anwendungen ab den 1980er-Jahren genutzt, in der Folge aber in den 2000er-
Jahren aus zwei Gründen in Frage gestellt. Erstens wurde argumentiert, dass
zahlreiche Kunstschaffende medienübergreifend arbeiten und daher nicht über ihre
Arbeit mit Medientechnologien bezeichnet werden können (Daniels 2011), zwei-
tens etablierte sich ein Medienbegriff, der in der Auseinandersetzung mit Medien

1
Unter anderem „WACK! Art and the Feminist Revolution“ (Los Angeles, 2007), „Global Femi-
nisms: New Directories in Contemporary Art“ (New York, 2007), „Gender Check. Rollenbilder in
der Kunst Osteuropas“ (Wien und Warschau, 2010), „Woman. Feministische Avantgarde“ (mehrere
Städte in Europa seit 2010, Wien 2016/2017).
Feminismen, Kunst und Medien 653

(von Sprache, Höhlenmalerei bis social media) „ein Verständnis des gestaltenden
Moments der entsprechenden Medien“ (Heilmann et al. 2011, S. 12) und somit
deren Eingebunden-Sein in Prozesse der Bedeutungskonstitution fokussiert (von
Falkenhausen 2002, S. 10).

2 Auseinandersetzungen mit und Aneignungen von neuen


Medien- und Kommunikationstechnologien

2.1 (Audio-)Visuelle Gegen-Repräsentationen

Das verstärkte Interesse von Künstlerinnen an Radio-, Fernseh-, Video-, Film- und
Audiotechniken (beginnend mit den 1960er-Jahren) im Rahmen des Prozesses der
Infragestellung des traditionellen Werkbegriffs war nicht nur durch deren zuneh-
mend einfache Verfügbarkeit motiviert, sondern hatte von Beginn an ein politisches
Moment: Künstlerinnen wollten dabei sowohl auf Inhalte als auch auf Strukturen der
medialen Produktion verändernd einwirken, um Prozesse der Kommunikation
demokratischer zu gestalten. In den künstlerischen Ansätzen der 1960er- und
1970er-Jahre ist „eine Wechselwirkung zwischen feministisch inspiriertem gesell-
schaftlichem Protest, formaler Innovation und der Verwendung neuer Medien“ zu
erkennen (Medosch 2016, S. 3). Thematisiert wurden sowohl die Rolle als Frau und
Künstlerin – häufig unter Rückgriff auf eigene Biografien und persönliche Erfah-
rungswelten – als auch stereotype Geschlechterrollen. In den Fokus gerückt wurde
dabei auch die Beteiligung massenmedialer Produktionen an der Herstellung von
Konventionen des Zusammenlebens, im Speziellen an geschlechterbezogenen Rol-
lenzuschreibungen.
Sanja Iveković, die als erste kroatische Künstlerin ihre Arbeit als feministisch
bezeichnete, fertigte in der Reihe „Double life“ (1975) eine Gegenüberstellung von
massenmedialen Frauendarstellungen und persönlichen (Familien-)Fotografien
an. In der Serie findet sich beispielsweise das Motiv der Frau in der Wiese: Ein
Werbesujet der Firma Knorr ist einer privaten Fotografie der Künstlerin gegenüber
gestellt. In der Fotoserie „Consumer Art“ (1972) wendet die polnische Künstlerin
Natalia LL (Lach-Lachowicz) eine ähnliche Strategie an: Sie macht das eigene
Gesicht zum Bild-Sujet, referiert damit auf massenmediale Darstellungen der all-
täglichen Aktivitäten des Essens, Trinkens und der Sexualität sowie deren
geschlechterbezogene Darstellungskonventionen und Verhaltensnormen, unter
anderem indem durch die Serialität der Fotografien der ungetrübte visuelle Genuss
verweigert wird. Dies sind zwei Beispiele künstlerischer Interventionen, mit denen
die Verbindung von Sexualität, Körper und Konsum, die zu der Zeit in den Medien
vorherrschend war, in Frage gestellt wird (Kowalczyk 2010, S. 39).
Speziell der Arbeit mit der Videokamera wurde das Potenzial einer relativ neuen
Ausdrucksform zugeschrieben, die noch nicht von den Parametern des Kunstbe-
triebs und dessen als männlich konnotierten Geniekult geprägt war (Parker und
Pollock 2008, S. 25). „Video als Medium der Emanzipation“ (Rosenbach 1982)
bot die Möglichkeit der Auseinandersetzung mit dem „Wechselverhältnis zwischen
654 R. Hagyo

Selbstbild, visuellem Apparat und Bildtradition“ (Adorf 2002, S. 83).2 Die Foto- und
Videokameras fungierten als Gegenüber in der Auseinandersetzung mit dem eigenen
Körper, seinen Grenzen und geschlechtlichen Rollenzuschreibungen (beispielsweise
in den erwähnten Arbeiten von Natalia LL und Sanja Iveković). Kritisch ist anzu-
merken, dass die Verbindung von „Frau“ und „Körper“ die Gefahr birgt, die
historische Dichotomie von Frau/Körper versus Mann/Geist neu festzuschreiben.

2.2 (Unter-)Repräsentationen: das World Wide Web

Mit digitaler Kommunikation im World Wide Web war in den 1990er-Jahren der
Wunsch nach der Demokratisierung von Kommunikation und nach neuen Möglich-
keiten der Partizipation verbunden. Die Möglichkeit, virtuelle Identitäten nicht nur
annehmen zu können, sondern auch mit diesen zu experimentieren, brachte die
Erwartung mit sich, geschlechterspezifische, klassenbezogene und ethnische Grenz-
ziehungen überwinden oder zumindest umarbeiten zu können (von Falkenhausen
2002, S. 9). Die Vorstellung, im so genannten Cyberspace Geschlechterrollen zu
wechseln und neu gestalten zu können, motivierte Künstlerinnen und Theorieschaf-
fende, das Potenzial digitaler Kommunikation auszuloten und zu fragen, „wie denn
das Subjekt im Raster von Realität und Virtualität koordiniert sein könnte“ (Angerer
2007 [1999], S. 293). Donna Haraway (1995) stellte die Frage nach einer feminis-
tischen Politik, die sozialistisch und wirkungsvoll gestaltet wird. Die Cyborg,
Mischwesen aus Organismus und Maschine, fungiert als Denkfigur, um gesellschaft-
liche Wirklichkeiten zu beschreiben, und als Projektionsfläche für die Diskussion
von Handlungsspielräumen. In der Rezeption wurde der Figur der Cyborg das
Potenzial zugeschrieben, geschlechtliche Rollen im World Wide Web aufheben oder
umgestalten zu können, Donna Haraways Überlegungen zu feministisch-
solidarischem Handeln traten in diesem Prozess in den Hintergrund (Arns 2004,
S. 9). Unter dem Label Cyberfeminismus experimentierten mehrere Künstlerinnen
mit Identitäten: So veröffentlichte z. B. die australische Gruppe VNS Matrix 1991
„A Cyberfeminist Manifesto for the 21st Century“ (Barratt o.J.; VNS Matrix 2007
[1991]), Eva Grubinger gestaltete einen „Netzbikini“ (1995), und Lynn Hershman
kreierte „Telerobotic Dolls“ (1995–1998): Tillie and CyberRoberta sind zwei Pup-
pen und gleichzeitig virtuelle Figuren, deren Augen als Kameras fungieren. Über
eine Webseite ist es möglich, Tillies und CyberRobertas Umgebung mit deren Augen
zu sehen und auf diese Weise räumliche Distanzen zu überwinden. Dahinter steht die
Idee, mit Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine zu experimentieren, um
neue Handlungsspielräume für Frauen zu schaffen. Das Projekt stand in Zusammen-
hang mit Lynn Hershmans Arbeit an ihrem Film „Conceiving Ada“ (1997). Der Film
beschäftigte sich mit Ada Lovelace, die als eine der ersten Frauen über das Potenzial
von Computern nachdachte, ohne dass ihrer Arbeit öffentliche Anerkennung zukam.

2
Zu diesen Themen arbeiten beispielsweise Friederike Pezold und Joan Jonas.
Feminismen, Kunst und Medien 655

Als Reaktion auf die Unterrepräsentation von im Netz aktiven Künstlerinnen im


Kunstbetrieb veranstaltete das Old Boys Network, ein Zusammenschluss von Kunst-
und Theorieschaffenden, 1997 im Rahmen der documenta X die „First Cyberfemi-
nist International“ (Oldboys Network 2010), um die Sichtbarkeit von Künstlerinnen
zu erhöhen und einen Raum für Austausch und Vernetzung zu öffnen. Es wurde
vorgeschlagen, digitale Kommunikation als kollektives und vernetztes Handeln zu
konzipieren, das „Technologien der Collage, Montage, Kopie und Simulation“ im
Gegensatz zu kreativ-individueller Einzelarbeit in künstlerischen Projekten fördert
(Kuni 2000, S. 8). Im selben Jahr (1997) kreierte Cornelia Sollfrank für die Aus-
schreibung „Extension“ der Kunsthalle Hamburg 288 Künstlerinnenidentitäten und
reichte deren fiktive Arbeiten ein (artwarez o. J.). In Weiterentwicklung von „female
extensions“ entwickelte sie 1999 ihren „net.art generator“, den sie bis heute in
Zusammenarbeit mit einem Team betreibt. Die Anwendung, die mithilfe von Such-
funktionen digitales Material sammelt und nach Zufallsprinzipien zusammenstellt,
macht hegemoniale Politiken der Zugänglichkeit und Speicherung von Daten zum
Thema (net.art generator o. J.). Aktuell engagieren sich Zusammenschlüsse im
Bereich Hacking und Open-Source-Initiativen für vernetztes Handeln: Mz Baltazar’s
Lab als feministischer Hackerspace (in Wien), möchte kollektive und do it yourself-
Produktionen an der Schnittstelle von Feminismus, Kunst und Technologien stärken,
um Frauen und queeren Personen Zugang zu Technologien und zu Vernetzung zu
ermöglichen. Zu diesem Zweck werden Workshops veranstaltet, zudem werden
eigene Arbeiten produziert und Ausstellungen veranstaltet (The MzB Collective
2017). Das XenoEntities Network mit Basis in Berlin möchte feministische und
queere Zugänge mit digitalen Technologien verknüpfen und organisiert Präsentatio-
nen und Diskussionen, die sich beispielsweise mit dem queeren Lachen oder dem
queeren Scheitern befassen (Xenoentities 2018).

2.3 Mensch-Maschinen-Schnittstellen und permanente


Selbst(re)präsentation

Künstler_innen und -gruppen beschäftigen sich aus geschlechterspezifischer Per-


spektive mit den „globalisierten Wissens- und Arbeitsgebieten der Biotechnologie,
Kybernetik, Nanotechnologie und der neuen Kommunikationstechnologien“ (Bruns
und Reichert 2007, S. 230). Die internationale Gruppe Laboria Cuboniks, als
Verfasser_innen des Manifests „Xenofeminimus – Eine Politik der Entfremdung“
(2014), fokussiert Schnittstellen zwischen Körpern und Technologien, lehnt Kon-
zepte von Zweigeschlechtlichkeit ab und kritisiert soziale Medien als „Theater der
Kniefälle vor der Identität“ (Laboria Cubotniks 2015, S. 4). Ihre Präsentationen,
beispielsweise im Jahr 2017 im Rahmen des Festivals „The future of demonstration“
(Wien, Reaktor) sind Screenings, in denen Bild-, Text- und Audiomaterial in schnel-
lem Rhythmus ineinander fließen.
Auch soziale Medien und das Web 2.0 (user generated content) bieten Chancen
für Ermächtigung und Demokratisierung, z. B. in Form der Vernetzung politischer
Protestbewegungen, produzieren aber zugleich neue Ausschlüsse und Hierarchien,
656 R. Hagyo

unter anderem in ihrer Funktion als Werkzeuge der Selbstkontrolle und -optimie-
rung. Mit diesem Spannungsfeld zwischen Selbstermächtigung und Selbstkontrolle
via Social Media beschäftigte sich beispielsweise die Online-Ausstellung „Body
Anxiety and a new wave of digifeminist art“ (2016). Sie gab auch Einblicke in die
Auseinandersetzung von Künstlerinnen mit Körper- und Repräsentationspolitiken,
mit geschlechterbezogenen Stereotypen und der Frage nach Handlungsmacht im
Web 2.0. Gezeigt wurden unter anderem die Videoarbeiten von Randon Rosenbohm,
„My rejected selfies“ (seit 2014) und von Victoria Campbell, „Auto-Interviews“
(2013–2015), welche die Nutzung der Handykamera zur täglichen bis stündlichen
Anfertigung von selfies oder Videos, die in sozialen Netzwerken geteilt werden,
kritisch und ironisch thematisierten.

3 Die Auseinandersetzung mit geschlechtlich codierten


Körpern, Räumen und Repräsentationen

Während in der nicht nur künstlerischen feministischen Praxis der 1970er- und
frühen 1980er-Jahre die Suche nach der so genannten Identität der Frau von großer
Bedeutung war, schlugen Rozsika Parker und Griselda Pollock bereits 1981 vor, in
künstlerischen Arbeiten aufzuzeigen, auf welche Weise Geschlechteridentitäten
kulturell hergestellt werden (Parker und Pollock 2008, S. 41). Kaja Silverman fragte
nach der „Handlungsfähigkeit [. . .] im Feld des Sichtbaren“ (Silverman 1997, S. 48).
Sie argumentiert, Jaques Lacan und Roger Caillois folgend, dass Menschen die
Eignung und den Wunsch haben, ihre Pose an ein imaginäres Bild anzupassen, aber
auch die Anpassung verweigern können (Silverman 1997, S. 46–48). Sie verweist
auf die Möglichkeit, Bildrepertoires umzuarbeiten, zu erweitern und in Frage zu
stellen. Die im Folgenden vorgestellten künstlerischen Arbeiten (Video und Foto-
grafie der 1960er bis 1980er) greifen psychoanalytische Ansätze zu Blickregime, zur
geschlechtlichen Kodierung von Konstellationen des Blickens (nicht nur) im Kino
(Mulvey 1975, S. 59; Silverman 1997, S. 44) auf und fokussieren Wechselwirkun-
gen des Blickens, Prozesse der Subjektivierung und das Verhältnis zwischen Körper
und Kamera.
Letícia Parente, eine der ersten brasilianischen Künstlerinnen, die in den 1970er-
Jahren mit Video arbeitete, setzte sich mit der Wechselwirkung zwischen Zuschrei-
bungen an den Raum des Zuhauses und an den Körper der Frau auseinander.
„Preparação I“ (1975) fokussiert die Auseinandersetzung mit dem eigenen Gesicht,
dem Spiegel und der Kamera (Lamioni 2013, S. 5) anhand der Vorbereitung für das
Verlassen des Hauses: Vor dem Spiegel stehend, bedeckt sie Mund und Augen mit
Bandagen, um mit schwarzem Schminkstift Mund und Augen aufzumalen (Lamioni
2013). Das Video „Tarefa 1“ (Leticia Parente, 1982) zeigt zwei Frauen in einer
Waschküche: Während die eine am Bügelbrett liegt (und wie ein Wäschestück
gebügelt wird), leistet die andere als Hausangestellte die Arbeit des Bügelns – eine
visuelle Artikulation des Zusammenwirkens der Faktoren Geschlecht*, Herkunft
und soziale Position in der Herstellung von Ungleichheiten.
Feminismen, Kunst und Medien 657

Auch die US-amerikanische Künstlerin Martha Rosler nutzt im Video „Semiotics


of the Kitchen“ (1975) den Raum des Daheims und die Videokamera, um analytisch
den Zusammenhang zwischen Zeichensystemen und der Herstellung von geschlech-
terbezogenen Rollenbildern zu problematisieren. Ihr künstlerisches Arbeiten nutzt
den Raum des Zuhauses (statt des Künstlerateliers) und stellt sowohl Produktions-
bedingungen von Künstlerinnen als auch einen männlich konnotierten Geniekult
ironisch in Frage (Nochlin 1996; Medosch 2016, S. 3). Ein weiterer wichtiger
Aspekt ihres Vorgehens ist, die Trennung zwischen der Position vor und hinter der
Kamera aufzuheben. In der collagierten Fotoserie „House Beautiful: Bringing the
war home“ (1967–1972) artikuliert Martha Rosler ihre Kritik an einer Bildpolitik,
die darauf abzielt, Alltagsrealität vom Sterben in Kriegsgebieten getrennt zu halten.
Sie fügt Darstellungen von Soldat_innen, Verletzten und Toten in Fotografien
amerikanischer Wohnräume ein. Alle Bildelemente ihrer Collagen entstammen
dem Life-Magazin. Indem die Künstlerin fotografische Darstellungen aus ihrem
Arrangement löst und in anderen Bildumgebungen neu präsentiert, kann sie Wir-
kungsweisen von Repräsentation sichtbar machen.
Die Vorgangsweise stellt nicht nur eine kritische Reflexion massenmedialer
Kommunikation, sondern auch das Infragestellen eines Kunstbegriffes, der Kunst
als Äußerung von Genialität den Platz im Museum oder in der Galerie zuweist, dar.
Indem Martha Rosler ihre Serie „House Beautiful: Bringing the war home“
(ab 1967) viele Jahre lang in ihrem Wohnzimmer oder bei Diavorträgen präsentierte,
intervenierte sie in die bestehenden Relationen zwischen dem Raum des Privaten,
dem Raum der Gesellschaft und dem Raum der Kunst. Andere Künstlerinnen wie
z. B. Barbara Kruger, Natalia LL und Valie Export nutzten hingegen bewusst den
öffentlichen Raum von Städten, um auf stereotype Geschlechterrollen und die
mediale Strukturierung des öffentlichen Raums zu verweisen. Valie Export trug in
ihrer Performance „Tapp- und Tastkino“ (1968) auf der Straße eine Box umge-
schnallt, durch deren zwei Aussparungen Interessierte mit den Händen nach ihren
Brüsten greifen konnten. Die Arbeit macht nicht nur den öffentlichen Raum der
Stadt, sondern auch den Raum des Kinos zum Thema. Sie referiert auf geschlecht-
lich konnotierte Räume, das Blicken und die Zuschauer_innenschaft. Zur Schau
gestellt wird im „Tapp- und Tastkino“ nicht die Frau, sondern die Personen, die das
Angebot des Zugreifens nutzen.

4 Fazit und Ausblick: Verweigerte Normierung und


vervielfältigte Identitäten

Die Erwartungen der Demokratisierung von Kommunikation durch digitale Kom-


munikation sowie der Aufhebung von Ungleichheiten auf der Basis von
Geschlecht*, Herkunft, sozialer Situation (und weiteren Faktoren) haben aus heuti-
ger Perspektive utopischen Charakter (wie beispielsweise Laboria Cubotniks [2014]
konstatiert): Der „Digital Devide“ strukturiert auch den Zugang zu Auftragsvergabe
und Präsentationsmöglichkeiten entlang von Parametern wie Geschlecht* oder
Herkunft (Bruns und Reichert 2007, S. 230).
658 R. Hagyo

Im Nachdenken über Feminismen und Kunst gilt es, die Unterschiedlichkeit der
sozialen, geografischen und politischen Kontexte zu beachten, denen die Arbeiten
entstammen (Pachmanová 2010, S. 93). Das Schreiben über feministische und/oder
queere künstlerische Positionen als Auseinandersetzung mit minorisierten Subjekt-
positionen ist „in besonderem Maße einer potenziellen Verstrickung von politisch-
emanzipativen und diskriminierenden Diskursen ausgesetzt“ (Bartl 2012, S. 19).
Auch wenn Werke beispielsweise den so genannten privaten Raum des Zuhauses
nutzen oder zum Thema machen, ist dieser in den jeweiligen Kontexten unterschied-
lich konnotiert. Das Zuhause beispielsweise, das Martha Rosler als Produktionsort
für „Semiotics of the Kitchen“ nutzt, um unter anderem Lebensrealitäten unbezahlter
häuslicher Arbeit zum Thema zu machen, ist für Hausangestellte ein Raum bezahlter
Arbeit (in „Tarefa 1“ von Letícia Parente), in dem ihnen unter Umständen gar keine
Privatsphäre zusteht. In autoritären Regimes wiederum kann es als geschützter oder
sogar als einzig möglicher Ort politischen Handelns dienen. In diesem Sinne kann
beispielsweise eine Lesart von „Body Beautiful“ (Martha Rosler), Kriegsdarstellun-
gen ins traute Heim zu bringen und so das Politische in den privaten Raum zu holen,
nicht für Arbeiten gelten, die in autoritären Regimes den privaten Raum als Ort des
politischen Handelns konzipieren.
Neuere Ansätze,3 den Handlungsspielraum im „Feld des Sichtbaren“ (Silverman
1997, S. 48) zu erweitern, gehen von der Annahme aus, dass dem Zeigen nicht nur
ein Potenzial der Normierung innewohnt, sondern auch die Möglichkeit, den Akt der
Anpassung an imaginäre Bilder zu verweigern, Darstellungskonventionen in Frage
zu stellen oder umzuschreiben.
Im Sinne einer „Politik der Bilder“, verstanden als „Redefinition dessen, was
gesehen und gesagt werden kann“ (Holert 2015, S. 8), greifen sie zu den künst-
lerischen Mitteln der Veruneindeutigung, des Verunklärens und des Vervielfältigens
von Identitäten, um „kulturell begründete Alteritäten und Diversitäten zum Thema“
zu machen (Paul 2001, S. 9) und Geschlechterdichotomien und mit diesen verbun-
dene Zuschreibungen und Normierungen in Frage zu stellen. Katrina Daschners
Videoarbeit „Pferdebusen“ (2017) nutzt die Mittel der (De-)Maskierung, das Spiel
zwischen Licht und Dunkelheit, das Material Leder und das tierische Fell, um
Identitäten zu vervielfältigen und queeres Begehren auf eine Weise zum Thema zu
machen, die dem Publikum Platz für eigene Bilder im Kopf lässt. Die Filminstalla-
tion „Toxic“ von Pauline Boudry und Renate Lorenz befragt filmische Repräsenta-
tionen von Geschlechteridentitäten, indem zwei Personen mit uneindeutigen
geschlechtlichen Identitäten ihre eigenen Körper unter Zuhilfenahme von Klei-
dungsstücken und Objekten entgrenzen und erweitern. Auf diese Weise wird
gezeigt, wie vergeschlechtlichte Körper hergestellt und auch vervielfältigt werden
können.

3
Für einen Überblick siehe Adorf und Brandes 2008.
Feminismen, Kunst und Medien 659

Literatur
Adorf, Sigrid. 2002. Narzisstische Splitter. Video als feministische Botschaft in den 70er-Jahren. In
Medien der Kunst, Geschlecht, Metapher, Code. Beiträge der 7. Kunsthistorikerinnen-Tagung
in Berlin 2002, Hrsg. Susanne von Falkenhausen, Silke Förschler, Ingeborg Reichle, und
Bettina Uppenkamp, 72–86. Marburg: Jonas Verlag.
Adorf, Sigrid, und Kerstin Brandes. 2008. Indem es sich weigert, eine feste Form anzunehmen. Kunst,
Sichtbarkeit, Queer Theorie. FKW. Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur 45.
https://www.fkw-journal.de/index.php/fkw/article/view/1117/1114. Zugegriffen am 15.07.2017.
Angerer, Marie-Luise. 2007 [1999]. Medienkörper/Körper-Medien: Erinnerungsspuren im Zeitalter
der ‚digitalen Evolution‘. In Reader Neue Medien, Hrsg. Karin Bruns und Ramon Reichert,
293–308. Bielefeld: transcript.
Arns, Inke. 2004. Soziale Technologien, Dekonstruktion, Subversion und die Utopie einer demo-
kratischen Kommunikation. In Medien Kunst Netz. http://www.medienkunstnetz.de/themen/
medienkunst_im_ueberblick/gesellschaft/scroll. Zugegriffen am 01.07.2017.
Artwarez. o.J. Female extension. http://artwarez.org/femext. Zugegriffen am 28.11.2017.
Barratt, Virginia. o.J. About VNS Matrix. https://vnsmatrix.net/about. Zugegriffen am 15.07.2017.
Bartl, Angelika. 2012. Andere Subjekte: Dokumentarische Medienkunst und die Politik der Rezep-
tion. Bielefeld: transcript.
Bruns, Karin, und Ramon Reichert. 2007. Einleitung. In Reader Neue Medien, Hrsg. Bruns Karin
und Ramon Reichert, 229–308. Bielefeld: transcript.
Daniels, Dieter. 2011. Was war die Medienkunst? In Was waren Medien?, Hrsg. Claus Pias, 57–80.
Zürich/Berlin: Diaphanes.
Falkenhausen, Susanne von. 2002. Einleitung. In Medien der Kunst, Geschlecht, Metapher, Code:
Beiträge der 7. Kunsthistorikerinnen-Tagung in Berlin 2002, Hrsg. Susanne von Falkenhausen,
Silke Förschler, Ingeborg Reichle, und Bettina Uppenkamp, 9–11. Marburg: Jonas Verlag.
Netzbikini, Donna. 1995. Die Neuerfindung der Natur, Primaten, Cyborgs und Frauen. Frankfurt
a. M./New York: Campus.
Heilmann, Till A., Anne von der Heiden, und Anna Tuschling. 2011. Medias in res. Zur Einführung.
In Medias in res, Hrsg. Heilmann, Till A., Anne von der Heiden, und Anna Tuschling, 9–18.
Bielefeld: transcript.
Hershman Leeson, Lynn. o.J. Tillie and Cyberroberta. http://www.lynnhershman.com/tillie-and-
cyberroberta. Zugegriffen am 15.07.2017.
Holert, Tom. 2015. Politik des Sehens. Bildpunkt 37:8–9.
Kowalczyk, Isabela. 2010. Die doppeldeutige Schönheit. In Gender Check, Rollenbilder in der
Kunst Osteuropas, Textband deutsch, Hrsg. Bojana Pejić, 36–45. Wien: Museum Moderner
Kunst Stiftung Ludwig.
Kuni, Verena. 2000. Cyberfeministische Vernetzung und die schöne Kunst, Karriere zu machen.
http://www.obn.org/reading_room/writings/down/vk_cfnk.pdf. Zugegriffen am 15.07.2017.
Laboria Cubotniks. 2015. Xenofeminismus – Eine Politik der Entfremdung. http://laboriacuboniks.
net/20150612-xf_layout_web_DE.pdf. Zugegriffen am 12.11.2017.
Lamioni, Giulia. 2013. Domestic spaces of resistance: Three artworks by Anna Maria Maiolino,
Leticia Parente and Anna Bella Geiger. Artelogie 5. http://cral.in2p3.fr/artelogie/spip.php?
article231. Zugeegriffen am 15.07.2017.
Medosch, Armin. 2016. Mythos Kunst (Teil 4). Versorgerin, Zeitschrift der Stadtwerkstadt. http://
versorgerin.stwst.at/artikel/mar-7-2016-1313/mythos-kunst-teil-4-feminismus-semiotik-anti-kunst-
befreiung. Zugegriffen am 15.07.2017.
Mulvey, Laura. 1975. Visuelle Lust und narratives Kino. In Gender & Medien-Reader, 2014, Hrsg.
Kathrin Peters und Andrea Seier, 45–60. Zürich-Berlin: Diaphanes.
Net.art generator. o.J. about. http://net.art-generator.com/about.html. Zugegriffen am 12.11.2017.
Nochlin, Linda. 1996. Warum hat es keine bedeutenden Künstlerinnen gegeben? In Rahmenwech-
sel, Kunstgeschichte als feministische Kulturwissenschaft, Hrsg. Beate Söntgen, 27–56. Berlin:
Akademie.
660 R. Hagyo

Old Boys Network. 2010. 1. Cyberfeminist international, http://www.obn.org/kassel. Zugegriffen


am 15.07.2017.
Pachmanová, Martina. 2010. Drinnen? Draußen? Dazwischen? Anmerkungen zur Unsichtbarkeit
eines neuen Feminismus- und Genderdiskurses in der zeitgenössischen Kunsttheorie Osteuro-
pas. In Gender Check, Rollenbilder in der Kunst Osteuropas, Textband deutsch, Hrsg. Bojana
Pejić, 93–102. Wien: Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig.
Parker, Rozsika, und Griselda Pollock. 2008. Dame im Bild. In Matrix, Geschlechter, Verhältnisse,
Revisionen, Hrsg. Sabine Mostegel und Gudrun Ratzinger, 25–41. Wien/New York: Springer.
Paul, Barbara. 2001. Kunsthistorische Gender-Studies, geschichtliche Entwicklungen und aktuelle
Perspektiven. kritische berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften 4. https://jour
nals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/kb/article/viewFile/15980/9845. Zugegriffen am 15.07.2017.
Pejic, Bojana, und Mara Traumane. 2010. Interviews mit den ResearcherInnen. In Gender Check.
Rollenbilder in der Kunst Osteuropas, Textband deutsch, Hrsg. Bojana Pejić, 103–143. Wien:
Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig.
Reilly, Maura. 2015. Transnationalen Feminismus kuratieren. Bildpunkt 36:4–7.
Rosenbach, Ulrike. 1982. Video als Medium der Emanzipation. In Videokunst in Deutschland
1963–1982, Hrsg. Wulf Herzogenrath, 99–102. Stuttgart: Hatje.
Silverman, Kaja. 1997. Dem Blickregime begegnen. In Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur,
Hrsg. Christian Kravagna, 41–64. Berlin: Edition ID-Archiv.
The MzB Collective. 2017. Who we are. http://www.mzbaltazarslaboratory.org/about und http://
www.mzbaltazarslaboratory.org. Zugegriffen am 27.07.2017.
VNS Matrix. 2007 [1991]. Cyberfeministisches Manifest. In Reader Neue Medien, Hrsg. Karin
Bruns und Ramon Reichert, 278. Bielefeld: transcript.
Xenoentities. 2018. Queer Tech Camp. https://xenoentitiesnetwork.com/#/queer_tech_camp-stra
geies-in-technoperformance. Zugegriffen am 12.11.2017.
Transnationale Frauenbewegungen
im medientechnologischen Wandel

Sigrid Kannengießer

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 662
2 Die Rolle von Medien für das Aufkommen translokaler Frauenbewegungen . . . . . . . . . . . . . 663
3 Die Medienaneignung translokaler Frauenbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 664
4 Potenziale und Grenzen der Medienaneignung translokaler Frauenbewegungen . . . . . . . . . 666
5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 666
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667

Zusammenfassung
Frauenbewegungen konstituieren sich nicht zuletzt durch ihre Medienaneignung
über nationale und kulturelle Grenzen hinweg. Vor allem Online-Medien wie
Email, Mailinglisten, Wikis, Online-Foren u. a. ermöglichen die translokale und
transnationale Vernetzung und Mobilisierung. Online-Netzwerke wie facebook
und Micro-blogging-Dienste wie twitter werden für die Vernetzung, für die
Organisation ereignisbezogener feministischer Kampagnen sowie neben Websei-
ten und Weblogs auch für Öffentlichkeitsarbeit benutzt. Im Zuge transnationaler
Vernetzung werden allerdings oft bestehende Ungleichheiten zwischen den
Akteurinnen in verschiedenen Regionen und Ländern und innerhalb dieser fort-
geschrieben und neue entstehen.

Schlüsselwörter
Frauenbewegungen · Netzwerke · Translokalität · Transnationalität ·
Feminismus · Medienaneignung · Online-Medien · Digitale Kluft

S. Kannengießer (*)
ZeMKI, Universität Bremen, Bremen, Deutschland
E-Mail: sigrid.kannengiesser@uni-bremen.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 661
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_44
662 S. Kannengießer

1 Einleitung

Die kommunikations- und medienwissenschaftliche Geschlechterforschung sowie


die Soziologie und Politikwissenschaft haben grenzüberschreitende Frauenbewe-
gungen und die Relevanz von Medien und medienvermittelter Kommunikation für
diese in den Blick genommen. Erforscht wird vor allem die Medienaneignung von
Frauen und Frauenorganisationen für die grenzüberschreitende Netzwerkbildung
und Konstituierung transnationaler bzw. translokaler Frauenbewegungen sowie
feministischer Öffentlichkeiten.
„‚Frauenbewegung‘ bezeichnet – wie andere soziale Bewegungen – bestimmte
Formen gemeinsamen sozialen Handelns, die darauf gerichtet sind, sozialen Wandel
herbeizuführen und – im Falle der Frauenbewegung – insbesondere im Geschlech-
terverhältnis Bevormundung, Ungerechtigkeit und soziale Ungleichheiten zu besei-
tigen.“ (Gerhard 2009, S. 6) Als feministisch gelten Frauenbewegungen, „deren
gemeinsames normatives Ziel die Aufdeckung geschlechtsspezifischer Ungleichhei-
ten und die Gleichberechtigung von Frauen ist.“ (Finke 2003, S. 482)
Frauenbewegungen, die sich über kulturelle und nationale Grenzen hinweg
konstituieren, werden als international (Ruppert 1998), transnational (Pettman
2004) oder translokal (Kannengießer 2014) bezeichnet. Während das Adjektiv
international Prozesse meint, die zwischen Staaten ablaufen, oder Phänomene, an
denen verschiedene Staaten beteiligt sind, weist das Präfix ‚trans‘ darauf hin, dass
diese Prozesse oder Phänomene in die Staaten hineinwirken, wo sie etwas Neues
hervorbringen, wobei die Nationalstaaten jedoch weiterhin die zentralen Bezugs-
größen sind. Dagegen betont der Begriff der Translokalität die Konnektivität und
Relevanz von Orten (Hepp 2004, S. 163). In diesem Beitrag wird der Begriff der
translokalen Frauenbewegung verwendet, um zu betonen, dass bei grenzüberschrei-
tender Vernetzung die Orte, an denen die beteiligten Frauen und Frauenorganisatio-
nen lokalisiert sind, relevant sind und nicht immer/nur die nationalen und kulturellen
Kontexte. So verlieren Nationalstaaten und Kulturen zwar nicht an Relevanz für
Frauenbewegungen, diese konstituieren sich aber auch über nationale und kulturelle
Grenzen hinweg – vor allem durch die Aneignung von Medien.1
Dieser translokale Austausch erweitert die Handlungs- und Einflussmöglichkei-
ten von Frauenbewegungen, indem er ein Agieren auf mehreren Ebenen – lokal,
national, international – verbindet. Erfolge dieser Mehrebenenpolitik wurden etwa
im Kampf gegen Gewalt an Frauen und für Frauenrechte sichtbar, indem lokale
Erfahrungen und Forderungen in internationale Foren und Institutionen getragen
und umgekehrt internationale Menschenrechtsdiskurse von lokalen und regionalen
Initiativen als Anknüpfungspunkte ermächtigend und legitimierend genutzt werden
konnten (Wölte 2002, S. 221–223; Ruppert 1998).

1
Für Analysen lokaler Frauenbewegungen in unterschiedlichen nationalen Kontexten siehe Bei-
träge in z. B. Lenz et al. 2000; Griffin und Braidotti 2002; Becker und Kortendiek 2004; Fer-
ree 2018.
Transnationale Frauenbewegungen im medientechnologischen Wandel 663

2 Die Rolle von Medien für das Aufkommen translokaler


Frauenbewegungen

Bereits die Frauenbewegungen der ersten Welle verteilten Postkarten, Poster und
Flyer, um feministische Öffentlichkeiten für ihre Forderungen herzustellen.2 Die
Vernetzung von Frauen sowie feministische Öffentlichkeiten, die „Gesellschaftskri-
tik auf der Basis des beobachteten Geschlechterverhältnisses [formulieren]“ (Klaus
2005, S. 115), blieben dabei überwiegend an lokale Räume gebunden. Mit dem
Wandel der Medientechnologien veränderten sich auch die Möglichkeiten der Ver-
netzung von Frauen und Frauenbewegungen über ihre jeweiligen Orte hinweg.
Bereits vor der Etablierung des Internets waren Frauenorganisationen translokal
vernetzt, z. B. über Rundbriefe und Informationsblätter oder den Einsatz von Fax-
Geräten (Gittler 1999, S. 93; Rentschler 2015). Durch die Verbreitung von Online-
Medien eröffneten sich auch für Frauen und Frauenbewegungen neue Formen und
Wege der Vernetzung und damit neue Optionen, feministische translokale Öffent-
lichkeiten herzustellen (siehe zum Beispiel Heinrich-Böll-Stiftung/Feministisches
Institut 2002).
Die Weltfrauenkonferenzen haben seit den 1970er-Jahren maßgeblich dazu bei-
getragen, dass sich translokale Frauenbewegungen konstituieren konnten (Finke
2005, S. 89–90 und S. 111). Diese Bemühungen waren zunächst durch europäische
und US-amerikanische Frauen(organisationen) dominiert. Später erhielten durch die
Weltfrauenkonferenzen aber auch Frauen(organisationen) aus den ökonomisch
weniger entwickelten Ländern immer mehr Einfluss auf globaler Ebene (Finke
2005, S. 91–93; siehe auch Pettman 2004, S. 50).
Die Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 war, auch in Hinblick auf ihre digitale
Vernetzung, eine Zäsur für die translokale Frauenbewegung, denn zeitgleich zu den
Vorbereitungen der Konferenz etablierte sich das Internet (Gittler 1999, S. 91).
Anlässlich dieser Konferenz nutzten Nichtregierungsorganisationen (NRO) On-
line-Medien, um das NRO-Forum Platform for Action vorzubereiten: Auf Webseiten
wurden Dokumente hochgeladen und über Email-Verteiler Informationen ausge-
tauscht (Gittler 1999, S. 94–96). Die Online-Kommunikation diente nicht nur der
inhaltlichen Vorbereitung der NRO-Aktionen, sondern beförderte auch ein Gemein-
schaftsgefühl (Gittler 1999, S. 95), und es entstand zwischen Feministinnen des
globalen Südens und des globalen Nordens auf der Weltfrauenkonferenz in Peking
eine gemeinsame feministische Perspektive (Finke 2005, S. 99; Walters 2005,
S. 123) – trotz vielfältiger Differenzen und kontroverser Debatten.
Feministische Bewegungen waren immer schon durch Auseinandersetzungen
unter anderem um Fragen nach Repräsentation, Gleichheit und Homogenität ge-
prägt. So forderte Sojourner Truth als ehemalige Sklavin und Frauenkämpferin
‚weiße‘ Feministinnen 1851 in Ohio auf, sich auch für die Rechte afro-
amerikanischer Frauen einzusetzen (Frey Steffen 2006, S. 33). Gayatri Chakravorty

2
Siehe für einen kurzen historischen Abriss der Medienaneignung feministischer Bewegungen
Gunnarsson Payne 2012, zur frühen translokalen Frauenbewegung siehe z. B. Rupp 2011.
664 S. Kannengießer

Spivak (2003) stellt mit „Can the Subaltern Speak?“ die Frage nach den Repräsenta-
tionsmöglichkeiten subalterner Frauen im öffentlichen Raum, und Chandra Talpade
Mohanty findet in feministischen Texten der 1980er-Jahre die „Dritte-Welt-Frau“ als
ein singuläres, monolithisches Subjekt vor, das in Prozessen des „diskursiven
Homogenisierens“ (Mohanty 1988, S. 63) konstruiert werde.
Zudem ist in die translokale und transnationale Vernetzung eine digitale Kluft
eingeschrieben, die sich vor allem entlang eines „Nord-Süd-Gefälles“ zeigte und
zeigt: So waren es zunächst überwiegend Frauen aus den Industrieländern, die über
Internetzugang, entsprechende digitale Technologien und Sprachkompetenzen ver-
fügten, um sich online zu vernetzen und austauschen zu können.

3 Die Medienaneignung translokaler Frauenbewegungen

Translokale Frauenbewegungen nutzen verschiedene Medien für Vernetzung, Arti-


kulation ihrer Interessen und Mobilisierung. Waren es nach Telefon und Faxgeräten
zunächst internetbasierte Medien wie Email und Mailinglisten, die die Vernetzung
von Frauen und Frauenorganisationen ermöglichten (Landschulze 2002, S. 57), so
sind mit der Etablierung des Web 2.0 und nicht zuletzt von Online-Netzwerken
Medien verfügbar, welche eine translokale Netzwerkbildung und die Herstellung
translokaler feministischer Öffentlichkeiten vereinfachen. Online-Netzwerke wie
facebook und Micro-blogging-Dienste wie twitter werden sowohl für die Vernetzung
und Organisation ereignisbezogener feministischer Kampagnen benutzt wie auch,
neben Webseiten und Weblogs, für Öffentlichkeitsarbeit.
In der medien- und kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung
werden neben Medienrepertoires3 translokaler Frauenorganisationen, v. a. Einzelme-
dien und ihre Bedeutung für Frauenbewegungen und feministische Öffentlichkeiten
in den Blick genommen. Bei der Analyse von Medienrepertoires translokaler Frau-
enbewegungen zeigt sich, dass diese primär Email, Mailinglisten und Instant-
Massenging-Dienste wie Skype für die translokale Vernetzung nutzen, und Websei-
ten sowie soziale Netzwerke wie facebook und Micro-blogging-Dienste wie twitter
für die Öffentlichkeitsarbeit (Kannengießer 2014, S. 154–166).
In der Forschung zu Online-Medien und Frauenbewegungen steht v. a. der Micro-
Blogging-Dienst twitter im Fokus. Über twitter wird die spontane Organisation und
Artikulation feministischer Interessen möglich (Drüeke und Zobl 2016). Studien,
welche sich mit der feministischen Aneignung von twitter beschäftigen, fokussieren
oftmals einen nationalen Kontext (so z. B. Losh 2014 für Indien; Drüeke und Zobl
2016 für Deutschland; Jinsook 2017 für Südkorea). Doch auch feministische Kam-
pagnen über nationale und kulturelle Grenzen werden über twitter konstituiert und

3
Hasebrink und Domeyer definieren ein Medienrepertoire als die Gesamtheit der Medien, die eine
Person regelmäßig nutzt (Hasebrink und Domeyer 2012, S. 758). Auch Organisationen oder andere
soziale Gebilde können über Medienrepertoires verfügen, die dann die Gesamtheit der Medien
umfassen, die eine Organisation oder ein Netzwerk regelmäßig nutzt.
Transnationale Frauenbewegungen im medientechnologischen Wandel 665

stehen entsprechend im Fokus kommunikations- und medienwissenschaftlicher


Geschlechterforschung (so z. B. Olson 2016 zu #BringBackOurGirls und Higgs
2015 zu #JusticeforLiz). Eines der bekanntesten aktuellen Beispiele einer solchen
translokalen Kampagne ist die #MeToo-Kampagne. Diese entstand anlässlich der
Vorwürfe der sexuellen Belästigung durch den US-amerikanischen Filmproduzenten
Harvey Weinstein und veranlasste Frauen weltweit, über ihre Erfahrungen der
sexuellen Belästigung und Gewalt zu berichten und sich auszutauschen. Die Kam-
pagne wurde u. a. mit dem Argument kritisiert, dass sie die Verantwortung der
Veröffentlichung und Aufarbeitung den Opfern zuschreibe, was wiederum trauma-
tisierende Effekte haben könnte (siehe zur #MeToo-Kampagne u. a. Zarkov und
Davis 2018; Mendes et al. 2018).
Die Aneignung verschiedener Online-Medien ermöglicht unterschiedliche Orga-
nisationsweisen und Aktionismusformen der translokalen Frauenbewegungen. So
kann mit Bennett und Segerberg (2012, S. 756) auch innerhalb translokaler Frauen-
bewegungen zwischen connective action und collective action unterschieden wer-
den: Bei stark koordiniertem Aktivismus, wenn z. B. Frauenorganisationen translo-
kale Netzwerke bilden,4 kann von connective action gesprochen werden, und bei
weniger koordiniertem, spontanem Aktivismus, wie im Falle des oben angeführten
twitter-Aktivismus, von collective action. Im Sinne der oben eingeführten Definition
von Gerhard (2009) sind auch diese spontanen, ereignis- und medienbezogenen
Online-Kampagnen als Frauenbewegungen zu bezeichnen, da sie eine Form gemein-
samen Handelns darstellen, das sozialen Wandel herbeiführen und Ungerechtigkei-
ten abschaffen will.
Ziele der translokalen Vernetzung von Frauen und Frauenorganisationen sind das
Teilen von Wissen und Erfahrungen, Strategien und Meinungen (Youngs 1999,
S. 64–65), aber auch die Herstellung grenzüberschreitender Öffentlichkeiten. Die
translokale Vernetzung von Frauenorganisationen ist motiviert durch eine Ähnlich-
keit der lokalen Aktivitäten, über die sich die Akteurinnen medial vermittelt austau-
schen (Harourt 1999, S. 223). Translokale Frauenbewegungen konstituieren sich in
Hinblick auf ein bestimmtes Thema, wie z. B. gegen eine neoliberale Globalisierung
(Wichterich 2007) oder für eine geschlechtergerechte Aneignung, Entwicklung und
Politik des Internets (Kannengießer 2014).
Über Online-Medien werden feministische Medieninhalte verbreitet (Radloff
2013, S. 145–147). Online-Medien bieten vor allem dann die Möglichkeit der
Herstellung (translokaler) feministischer Öffentlichkeiten, wenn traditionelle Mas-
senmedien wie das Fernsehen die Berichterstattung verweigern (Everett 2009,
S. 49–51). Doch bleiben die traditionellen Massenmedien auch für Frauenbewegun-
gen ein Ziel ihrer Öffentlichkeitsarbeit, um nicht nur feministische Teilöffentlich-
keiten zu konstituieren, sondern ein breiteres Publikum zu erreichen. Schließlich

4
Ein Beispiel für ein translokales Netzwerk von Frauen und Frauenorganisationen ist die Associa-
tion for Progressive Communications Women’s Networking Support Programme, das sich Online-
Medien für die translokale Netzwerkbildung aneignet (Kannengießer 2014).
666 S. Kannengießer

bleiben auch die face-to-face-Kommunikation und Offline-Aktionen für translokale


feministische Bewegungen relevant (Kannengießer 2014, S. 162–166).

4 Potenziale und Grenzen der Medienaneignung


translokaler Frauenbewegungen

Mit der Etablierung von Internetmedien in den 1990er-Jahren ging die Hoffnung
einher, dass die ‚neuen‘ Medien „Frauen neue Formen interpersoneller politischer
Beziehungen und neue Formen der Entwicklung über traditionelle kulturelle Erfah-
rungen hinaus ermöglichen“ (Harcourt 2002, S. 27; siehe auch Harcourt 2008). So
sollten Online-Medien dazu beitragen, 1) die Kluft zwischen den Geschlechtern zu
überbrücken, da Frauen und Männer gleichermaßen Mitglieder digitaler Netzwerke
sein könnten, 2) geopolitische Klüfte zu überwinden, da sich Personen aus verschie-
denen Regionen vernetzen könnten, 3) die Kluft zwischen Intellektuellen sowie
Aktivisten und Aktivistinnen zu mindern, da beide Akteursgruppen Teil der digitalen
Netzwerke seien könnten (Harcourt 1999, S. 220–221).
Diese euphorischen Zuschreibungen an Online-Medien für feministische Vernet-
zung und Geschlechtergerechtigkeit wurden jedoch enttäuscht. So haben auch
Online-Medien nicht zur (weltweiten) Geschlechtergerechtigkeit beigetragen, und
auch heute noch bestimmen Gefälle in Zugang und Beteiligung die translokale
Vernetzung von Frauen und Frauenorganisationen, sind es doch in ökonomisch
weniger entwickelten Ländern vor allem die gut ausgebildeten Frauen der Mittel-
schicht, welche sich über Online-Medien translokal vernetzen (Kannengießer 2014).
Auch sind translokale Netzwerke von Frauen und Frauenorganisationen mitnich-
ten konfliktfrei, wie Hartmann am Beispiel der „postkolonial-cyberfeministischen“
Mailing-Liste Undercurrents zeigt (Hartmann 2006). Die Konfliktlinien werden hier
u. a. aus einer intersektionalen Perspektive erklärt, da die Kommunizierenden sich in
sozio-kulturellen Kategorien wie Ethnizität unterscheiden (Hartmann 2006, S. 156).
Außerdem werden gerade feministische Öffentlichkeiten, welche über Online-
Medien hergestellt werden, zunehmend durch anti-feministische Interventionen
irritiert und gestört (siehe zum Beispiel zu twitter und Anti-Feminismus: Drüeke
und Klaus 2014).

5 Fazit

Translokale bzw. transnationale Frauenbewegungen konstituieren sich durch ihre


Medienaneignung über nationale und kulturelle Grenzen hinweg, wobei die Orte, in
denen die Frauen und Frauenorganisationen agieren, für die Akteurinnen relevant
bleiben. Durch grenzüberschreitende Vernetzung und Herstellung feministischer
Öffentlichkeiten erfahren die Akteurinnen Solidarität und Unterstützung für ihre
lokalen Anliegen. Online-Medien spielen bei der translokalen Vernetzung und
Konstitution grenzüberschreitender Frauenbewegungen eine entscheidende Rolle.
Zwar waren Frauen und Frauenorganisationen auch schon vor der Etablierung der
Transnationale Frauenbewegungen im medientechnologischen Wandel 667

Online-Medien translokal vernetzt, z. B. über Telefone oder Fax-Geräte, doch ist es


mehr Frauen und Frauenorganisationen durch Online-Medien möglich, sich trans-
lokal zu verbinden, es entstehen mehr Netzwerke und die translokalen Frauenbewe-
gungen, welche sich aus diesen Netzwerken konstituieren, gewinnen an Größe und
Reichweite. Durch Online-Medien und vor allem den Micro-blogging-Dienst twitter
sowie Online-Netzwerke können translokale feministische Netzwerke spontan und
ereignisbezogen entstehen. Der Medienaneignung translokaler Frauenbewegungen
sind aber auch Grenzen und Konflikte eingeschrieben, die zum einen in der digitalen
Kluft, zum anderen in Machtkonstellationen in Hinblick auf Nationalität, Ethnizität
und weiteren sozial-kulturellen Kategorien begründet sind und deren Überwindung
eines der Ziele translokaler Frauenbewegungen ist.
Es ist Aufgabe der Geschlechterforschung, diese bestehenden und entstehenden
Machtgefälle in translokalen Frauenbewegungen in den Blick zu nehmen, die
Möglichkeiten und Grenzen des Medienwandels für (translokale) Frauenbewegun-
gen zu untersuchen und den Wandel translokaler Frauenbewegungen selbst kritisch
zu beleuchten. Der Wandel translokaler Frauenbewegungen muss (weiterhin) auch
in Hinblick auf Hierarchisierungs-, Homogenisierungs- und Ökonomisierungspro-
zesse beleuchtet werden, denn eine der zentralen Fragen bei der Analyse translokaler
Frauenbewegungen bleibt, wer Teil dieser Bewegungen ist und sein kann und
welche Ziele die Bewegungen verfolgen.

Literatur
Becker, Ruth, und Beate Kortendiek. 2004. Handbuch der Frauen- und Geschlechterforschung.
Theorie, Methoden, Empirie. Wiesbaden: Springer.
Bennett, Lance W., und Alexandra Segerberg. 2012. The logic of connective action: Digital media
and the personalization of contentious politics. Information, Communication & Society 15(5):
739–768.
Drüeke, Ricarda, und Elisabeth Klaus. 2014. Öffentlichkeiten im Internet: Zwischen Feminismus
und Antifeminismus. Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft 23(2):
59–70.
Drüeke, Ricarda, und Elke Zobl. 2016. Online feminist protest against sexism: the German-
language hashtag #aufschrei. Feminist Media Studies 16(1): 35–54.
Everett, Anna. 2009. Digital diaspora. A race for cyberspace. New York: Albany.
Ferree, Myra Marx. 2018. Feminismen: die deutsche Frauenbewegung in globaler Perspektive.
Frankfurt: Campus.
Finke, Barbara. 2005. Legitimation globaler Politik durch NGOs: Frauenrechte, Deliberation und
Öffentlichkeit in der UNO. Wiesbaden: Springer.
Frey Steffen, Therese. 2006. Gender. Grundwissen Philosophie. Ditzingen: Reclam.
Finke, Barbara. 2003. Feministische Ansätze. In Theorien der Internationalen Beziehungen, Hrsg.
Siegfried Schieder und Manuela Spindler, 477–504. Opladen: UTB.
Gerhard, Ute. 2009. Frauenbewegung und Feminismus. Eine Geschichte seit 1789. München:
Beck.
Gittler, Alice. 1999. Mapping women’s global communications and networking. In Women@In-
ternet, Creating new cultures in cyberspace, Hrsg. Wendy Harcourt, 91–101. London/
New York: Palgrave.
Griffin, Gabriele, und Rosi Braidotti, Hrsg. 2002. Thinking differently. A Reader in European
Women's Studies. London/New York: zed books.
668 S. Kannengießer

Gunnarsson Payne, Jenny. 2012. Feminist media as alternative media? Theorising feminist media
from the perspective of alternative media studies. In Feminist media. Participatory spaces,
networks and cultural citizenship, Hrsg. Elke Zobl und Ricarda Drüeke, 55–72. Bielefeld:
transcript.
Harcourt, Wendy. 1999. Women@Internet. Creating new cultures in cyberspace. London/
New York: Palgrave.
Harcourt, Wendy. 2002. Politische Frauenorganisationen: Neue Kulturen im Cyberspace schaffen.
In feminist_spaces. Frauen im Netz. Diskurse, Communities, Visionen, Hrsg. Heinrich-Böll-
Stiftung/Feministisches Institut, 27–45. Königstein: Helmer.
Harcourt, Wendy. 2008. Politische Frauenorganisationen: Neue Kulturen im Cyberspace schaffen.
In Medien – Politik – Geschlecht. Feministische Befunde zur politischen Kommunikationsfor-
schung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, und Regina Köpl, 140–154. Wiesbaden: Springer.
Hartmann, Maren. 2006. Undercurrents: Postkolonialer Cyberfeminismus, eine Mailingliste und die
Netzwerkgesellschaft. In Konnektivität, Netzwerk, Fluss. Konzepte gegenwärtiger Medien-,
Kommunikations- und Kulturtheorie, Hrsg. Andreas Hepp, Friedrich Krotz, Shaun Moores,
und Carsten Winter, 141–161. Wiesbaden: Springer.
Hasebrink, Uwe, und Hannah Domeyer. 2012. Media repertoires as patterns of behaviour and as
meaningful practices: A multimethod approach to media use in converging media environments.
Participations: Journal of Audience & Reception Studies 9(2): 757–783.
Heinrich-Böll-Stiftung/Feministisches Institut. 2002. feminist_spaces. Frauen im Netz. Diskurse,
Communities, Visionen. Königstein: Helmer.
Hepp, Andreas. 2004. Netzwerke der Medien. Medienkulturen und Globalisierung. Wiesbaden:
Springer.
Higgs, Eleanor. 2015. #JusticeforLiz: Power and privilege in digital transnational women's rights
activism. Feminist Media Studies 15(2): 344–347.
Kannengießer, Sigrid. 2014. Translokale Ermächtigungskommunikation Medien – Globalisierung
– Frauenorganisationen. Wiesbaden: Springer.
Jinsook, Kim. 2017. #iamafeminist as the „mother tag“: feminist identification and activism against
misogyny on Twitter in South Korea. Feminist Media Studies 17(5): 804–820.
Klaus, Elisabeth. 2005. Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung. Zur Bedeutung
der Frauen in den Massenmedien und im Journalismus, 2., korr. u. akt. Aufl. Münster/Hamburg:
LIT.
Landschulze, Maren. 2002. Netzwerke für Entwicklung und Gleichberechtigung der Geschlechter:
Praktische Lösungen für virtuelle Communities. In feminist_spaces. Frauen im Netz. Diskurse,
Communities, Visionen, Hrsg. Heinrich-Böll-Stiftung/Feministisches Institut, 47–64. König-
stein: Helmer.
Lenz, Ilse, Michiko Mae, und Karin Klose. 2000. Frauenbewegungen weltweit. Aufbrüche, Konti-
nuitäten, Veränderungen. Opladen: Leske + Budrich.
Losh, E. 2014. Hashtag feminism and twitter activism in India. Social Epistemology Review and
Reply Collective 3(12):10–22.
Mendes, Kaitlynn, Jessica Ringrose, und Jessalynn Keller. 2018. #MeToo and the promise and
pitfalls of challenging rape culture through digital feminist activism. European Journal of
Women’s Studies 25(2): 236–246.
Mohanty, Chandra Talpade. 1988. Under western eyes: Feminist scholarship and colonial discour-
ses. Feminist Review 30: 61–88.
Olson, Candi Carter. 2016. #BringBackOurGirls: Digital communities supporting real-world
change and influencing mainstream media agendas. Feminist Media Studies 16(5): 772–787.
Pettman, Jan Jindy. 2004. Global politics and transnational feminism. In feminist politics, activism
and action. Local and global challenges, Hrsg. Luciana Ricciutelli, Angela Miles, und Margret
H. McFadden, 49–63. Toronto/London/New York: Inanna Publications and Educations.
Radloff, Jennifer. 2013. Digital security as feminist practice. Feminist Africa 18:145–155.
Rentschler, Carrie A. 2015. Distributed activism: Domestic violence and feminist media infrastruc-
ture in the fax age. Communication, Culture & Critique 8(2): 182–198.
Transnationale Frauenbewegungen im medientechnologischen Wandel 669

Rupp, Leila J. 2011. Transnationale Frauenbewegungen. In Europäische Geschichte Online. http://ieg-


ego.eu/de/threads/transnationale-bewegungen-und-organisationen/internationale-soziale-bewegun
gen/leila-j-rupp-transnationale-frauenbewegungen. Zugegriffen am 03.09.2018.
Ruppert, Uta. 1998. Lokal Bewegen – global verhandeln. Internationale Politik und Geschlecht.
Frankfurt a. M.: Campus.
Spivak, Gayatri Chakravorty. 2003. Can the subaltern speak? Die Philosophin 16(27): 42–58.
Walters, Margaret 2005. Feminism. A Very Short Introduction. Oxford: Oxford University Press.
Wichterich, Christa. 2007. Transnationale Vernetzungen für Geschlechtergerechtigkeit. Frauen-
rechte, Widerstand und Engendern der Makroökonomie. Feministische Studien 25(2): 233–242.
Wölte, Sonja. 2002. Von Lokal nach International und zurück: Gewalt gegen Frauen und inter-
nationale Frauenmenschenrechtspolitik. In Gewalt-Verhältnisse. Feministische Perspektiven auf
Gewalt und Geschlecht, Hrsg. Regina-Maria Dackweiler und Reinhild Schäfer, 221–248.
Frankfurt a. M.: Campus.
Youngs, Gillian. 1999. Virtual voices: Real lifes. In Women@Internet. Creating new cultures in
cyberspace, Hrsg. Wendy Harcourt, 55–68. London/New York: Palgrave.
Zarkov, Dubravka, und Kathy Davis. 2018. Ambiguities and dilemmas around #MeToo: #ForHow
long and #WhereTo? European Journal of Women’s Studies 25(1): 3–9.
Kommunikation, Sprache und Geschlecht

Susanne Hochreiter

Inhalt
1 Einleitung: Sprache und Kommunikationspraktiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 672
2 Sprache und Gespräche: Theorieentwicklung: Defizit, Differenz und Konstruktion . . . . . . 673
3 Non_Verbale Kommunikation: Körpersprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 676
4 Sprache und Kommunikation in Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677
5 Richtlinien, Sprachleitfäden, Wörterbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679
6 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 682
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683

Zusammenfassung
Kommunikation – verbal und nonverbal – ist in der feministischen Forschung ein
zentrales Thema. Es geht um den Zusammenhang von Geschlecht, Sprache und
Kommunikation. Neben der Kommunikationswissenschaft leisten Disziplinen
wie Linguistik, Psychologie, Soziologie und Ethnologie wesentliche Beiträge
zur Forschung. Die feministische Auseinandersetzung mit dem Themengebiet
verfolgt seit den 1970er-Jahren zwei zentrale Stränge: Einerseits geht es um
Sprache selbst, um das Sprachsystem und um sprachliche Praxis. Andererseits
liegt das Interesse im Bereich der Interaktion: verbale und nonverbale Kommuni-
kation im Zusammenhang geschlechtlicher Codierungen sprachlichen Verhaltens
sowie die Bedeutung von Kommunikation für die Ausbildung von Geschlechts-
identität und Geschlechterdifferenzen.

Schlüsselwörter
Feministische Kommunikationsforschung · Feministische Linguistik ·
Feministische Sprachkritik · Gender-Linguistik · Verbale und nonverbale
Kommunikation

S. Hochreiter (*)
Universität Wien, Wien, Österreich
E-Mail: susanne.hochreiter@univie.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 671
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_77
672 S. Hochreiter

1 Einleitung: Sprache und Kommunikationspraktiken

Feministische Linguistinnen wie Luise Pusch und Senta Trömel-Plötz begannen


Mitte der 1970er-Jahre ihre Erforschung der deutschen Sprache in Hinblick darauf,
auf welche Weise Frauen angesprochen werden und gemeint sind, wie das Sprach-
system in Hinblick auf Geschlecht strukturiert ist, welche idiomatischen Wendungen
und Begriffe es für Frauen, für weibliche Körper gibt (siehe zu diesen Anfängen
Hochreiter 2021). In weiterer Folge wurden geschlechtsbezogene Aspekte verbaler
und nonverbaler Kommunikation untersucht. Zentrale Ausgangshypothesen waren
zunächst: 1) Mittels Sprache wird Wirklichkeit konstruiert. 2) Gewaltverhältnisse
werden durch Sprache nicht bloß reproduziert, sondern auch sprachlich hergestellt
und verstärkt. Für die Gleichberechtigung von Frauen erschienen daher eine sprach-
liche Gleichberechtigung und Maßnahmen gegen sprachliche Gewalt notwendig.
Bis in die 1980er-Jahre dominierte in der Analyse eine binäre Geschlechterkon-
zeption: Männliche Sprache und Kommunikationspraktiken galten mehrheitlich als
gewaltvoll, weibliche als defensiv und angepasst. Geschlecht wurde dabei mehr-
heitlich als wichtigste Differenzkategorie gesetzt. (Trömel-Plötz 1984, S. 15)
Auf der Ebene des Sprachsystems geht es um eine kritische Analyse system-
interner Strukturen in der Grammatik, Morphologie und im Bereich des Lexikons.
Feministische Untersuchungen versuchen zu zeigen, dass die deutsche Grammatik
„subtil von einem ganzen Geflecht an Geschlechtsindikatoren durchzogen“ ist.
Dabei hatten weder Flexionsklassen noch Genus ursprünglich die Funktion einer
Geschlechterunterscheidung. Aus sprachhistorischer Perspektive zeigt sich, dass im
Unterschied zu anderen sozialen Kategorien wie Alter, Religion oder Ethnizität die
Unterscheidungen im Bereich Belebtheit und Geschlecht grammatikalisiert wurden.
(Kotthoff und Nübling 2018, S. 89) Der Behauptung, wonach grammatikalisches
Geschlecht mit der sozialen Zweigeschlechterordnung nichts zu tun habe, wird daher
seitens feministischer Sprachwissenschaft eine entschiedene Absage erteilt und die
Auffassung von einem „generischen“ Maskulinum bereits seit Mitte der 1970er-
Jahre einer Kritik unterzogen. Pionierinnen wie Luise F. Pusch machten klar, dass
der Zusammenhang von grammatischem Genus und dem Sexus/Gender der Refe-
renzperson nicht zufällig ist und Wörter wie „man“, „jemand“ sowie sämtliche
Personenbezeichnung im Maskulinum Frauen nicht „mitmeinen“, sondern de facto
ausschließen. (Pusch 1996, S. 30–31) Die Kritik fasst Günthner zusammen, die auf
die Effekte des generischen Maskulinums verweist (2018, S. 3–4).
Während die Auseinandersetzung mit systemlinguistischen Fragen bis in die
1990er-Jahre intensiv betrieben wurde, ist danach bis Mitte der 2000er ein Rückgang
der Forschungsaktivität zu beobachten. (Thaler 2005, S. 100) In der jüngeren
Vergangenheit gibt es wieder verstärkt Aufmerksamkeit für systemlinguistische
Fragen im Kontext von Debatten über nonbinäre Geschlechtsbezeichnungen. (Horn-
scheidt und Sammla 2021; Bradley et al. 2019)
Auf der Ebene der Kommunikation sind sowohl verbale als auch nonverbale
Interaktionen für die Forschung relevant. Redestile, Redeanteile, Unterbrechungen,
Gesprächsarbeit und Körpersprache und die hierarchische Konstruktion zwischen
Kommunikation, Sprache und Geschlecht 673

Kommunikationspartner*innen werden in unterschiedlichen Kommunikationssitua-


tionen analysiert.

2 Sprache und Gespräche: Theorieentwicklung: Defizit,


Differenz und Konstruktion

In der interdisziplinär orientierten linguistischen Gesprächsanalyse geht es im Kon-


text der Geschlechterforschung wesentlich um die Frage, in welcher Weise Asym-
metrien in Gesprächen hergestellt werden. Untersucht werden Redeanteile, inhalt-
liche Gestaltung sowie Dominanzverhältnisse und generell sprachliche wie
nonverbale Elemente der interaktionalen Herstellung von Geschlecht. Ethnometho-
dologie und Sozialkonstruktivismus haben mit Bezug auf die Arbeiten von Harold
Garfinkel und Erving Goffman starken Einfluss auf die Entwicklung dieses For-
schungsbereichs ausgeübt (Kotthoff und Nübling 2018, S. 273). Ebenfalls seit den
frühesten feministischen Untersuchungen dient die Konversationsanalyse zur Be-
schreibung der Abläufe und Strukturen in Gesprächen (Gülich und Mondada 2008).
Der Beginn der feministischen Linguistik knüpfte zunächst an eine sprachwis-
senschaftliche Tradition an, in der weibliches Sprechen als defizitär galt, und war mit
den Namen Otto Jespersen, Fritz Mauthner oder William und Clara Stern verbunden.
(Klann-Delius 2005, S. 4–5; Samel 2000, S. 27–28) In den 1970er-Jahren griffen
Robin Lakoff und Mary Ritchie Key das Thema neu auf und listen mehrere
Merkmale einer Frauensprache auf, wie ein Wortschatz, der auf frauenspezifische
Interessen beschränkt sei, eine häufige Frageintonation in Aussagesätzen, kürzere
Redebeiträge und eine hyperkorrekte Grammatik bis zur Beobachtung, dass Frauen
keine Witze erzählen (Lakoff, zit. nach Klann-Delius 2005, S. 10). Die Unter-
suchung war jedoch nicht systematisch, und Studien, die in der Folge ihre Thesen
überprüften, konnten die Ergebnisse mehrheitlich nicht bestätigen (Klann-Delius
2005, S. 11). Zudem habe die Studie von Robin Lakoff das Geschlechtsrollenstereo-
typ amerikanischer Mittelschichtsfrauen weitergetragen und festgeschrieben (Samel
2000, S. 35).
Es folgten eine Methodendebatte und die Forderung nach einer veränderten
Untersuchungspraxis: Einen abstrakten „Genderlekt“ und damit fundamentale Un-
terschiede in den sprachlichen Codes von Frauen und Männern festmachen zu
wollen, galt als ebenso wenig produktiv wie eine Vorgangsweise, die einzelne
sprachliche Elemente wie Phoneme, Wörter oder Tonhöhenverläufe isoliert
betrachtet.
Die These der sprachlichen Unsichtbarkeit und Abwertung von Frauen wurde
weiterverfolgt und ausdifferenziert, die Defizitkonzeption jedoch von der Differenz-
konzeption abgelöst. Diese besagt im Wesentlichen, dass weibliche Lebensweisen
von männlicher Dominanz geprägt sind, Frauen zugleich aber nicht nur als unter-
drückte, sprachlose Opfer betrachtet werden können. Ausgangspunkt ist nun die
Annahme, dass weibliches Sprachhandeln nicht defizitär ist: Frauen haben demnach
keine inferiore, sondern eine „andere Sprechweise“ (Klann-Delius 2005, S. 13)
674 S. Hochreiter

sowohl auf Ebene des Gesprächsstils als auch in Hinblick auf Argumentations-
strategien (Kotthoff 1993, S. 111). Helga Kotthoff stellt fest, dass Geschlecht und
sozialer Status in Gesprächen wirksam werden, betont aber, dass ein Aufbrechen von
Geschlechterstereotypen generell erstrebenswert sei: Wenn weibliches Sprechen als
passiv und wenig durchsetzungsfähig erscheint, männliches Sprechen hingegen als
aggressiv, dann seien beide Formen wenig attraktiv (Kotthoff 1993, S. 112).
Eine dritte Hypothese, die so genannte Code-switching-Hypothese, beschreibt
das Sprachverhalten von Frauen als eines, das je nach Anlass und Situation Sprach-
varietäten (Codes) wechselt. Hier wird weder von einem Mangel der Ausdrucks-
fähigkeit von Frauen ausgegangen noch von einer Andersartigkeit weiblichen
Sprachverhaltens. Frauen hätten vielmehr eine eigene kommunikative Kompetenz
entwickelt, sich sozialen Erwartungen anzupassen (Samel 2000, S. 38).
Sehr viel Aufmerksamkeit erhielt die Hypothese von den „zwei Kulturen“ von
Maltz und Borker (1991), der zufolge Frauen und Männer verschiedene Kommuni-
kationsprinzipien verfolgten. Das Modell erfuhr sowohl in der breiteren Öffentlich-
keit als auch in der Fachwissenschaft starke Resonanz, erntete jedoch auch ent-
schiedene Kritik. Als fragwürdig und spekulativ bewertet wurden Annahmen wie
solche einer getrennten geschlechtlichen Sozialisation sowie die Auffassung homo-
gener Geschlechtsgruppen. Breit rezipiert und kritisiert wurden die Arbeiten von
Deborah Tannen (1991, 1995). Sie untersuchte u. a. Gesprächsabsichten und -the-
men, Reaktionen und Unterbrechungen bzw. Überlappungen in Gesprächen als eine
Form interkultureller Kommunikation zwischen Frauen und Männern in privaten
und beruflichen Gesprächen. In Tannens zugespitzter Lesart der Zwei-Kulturen-
These sprechen Frauen auf der Ebene der Beziehung, während Männer auf Pro-
blemlösung fokussieren und damit eine Asymmetrie in der Gesprächssituation
herstellen. (Tannen 1991, S. 78–79) Problematisch ist an dieser Dichotomisierung
eine essenzialisierende Festschreibung, die Sprecher*innen von Verantwortung ent-
bindet, aber auch Möglichkeiten zur Veränderung negiert. (Ayaß 2008, S. 83–97)
Ein weiteres Modell bietet die Sexstereotypentheorie. Demnach spiele das Ge-
schlecht in sprachlicher Interaktion insofern eine Rolle, als damit unterschiedliche
stereotype Erwartungen und Vorstellungen aktiviert würden. Differenzen im Sprach-
verhalten würden erst durch die geschlechtstypische Wahrnehmung der Betrach-
ter*innen entstehen. (Thaler 2005, S. 102)
Die Weiterentwicklung der Theoriebildung greift langjährige Kritik auf und
diskutiert seit Anfang der 1990er-Jahre das Ineinanderwirken bzw. die Intersek-
tionalität weiterer Differenzkategorien wie Alter, Herkunft, Ethnizität oder soziale
Schicht. Einerseits galt es zu klären, wie diese Interrelationen theoretisch zu fassen
sind, und andererseits stellte sich die Frage nach adäquaten Untersuchungsmetho-
den. Die Differenzthese war nicht länger tragfähig: Eine binäre Konzeption von
Geschlecht erschwert nicht nur das Erfassen der vielfältigen Diskriminierungs-
dimensionen, sondern übersieht auch die sozio-historische Prägung von Geschlech-
termodellen und damit auch die Möglichkeit zu deren Veränderung.
Eine Neuorientierung für die feministische Linguistik boten konstruktivistische
Modelle, die eine Verbindung der systematischen Untersuchung von Gender als
soziale Konstruktion mit dem Konzept des „doing gender“ nach West und Zim-
Kommunikation, Sprache und Geschlecht 675

merman ermöglichen sollten. Methodisch bedeute dies „eine Anwendung der Ana-
lyseperspektive der ethnomethodologischen Konversationsanalyse auf die Ge-
schlechterthematik“ (Klann-Delius 2005, S. 14).
Ethnomethodologische Untersuchungen fragen nach dem Wie der Produktion
von sozialer Wirklichkeit (Bergmann 1981, S. 12). Soziale Wirklichkeiten existieren
nicht jenseits sozialen Handelns, sie stellen sich im Gegenteil immer im konkreten
Vollzug, in der konkreten Interaktion her, und zwar nach bestimmten Regeln,
Annahmen und „Methoden“. Dies gilt auch für Geschlecht. Garfinkel fragt daher
danach, wie sich eine Person in einer Gesellschaft als „Frau“ oder „Mann“ wahr-
nehmbar macht und wie sie als „Frau“ oder „Mann“ identifizierbar wird. (Garfinkel
1967)
Judith Butler hat die Auffassung der sozialen Produktion von Kategorien wie
Geschlecht radikalisiert. Sie bezieht sich u. a. auf John L. Austins Sprechakttheorie.
In ihrem Buch Das Unbehagen der Geschlechter (1991) arbeitet Butler eine per-
formative Theorie der Geschlechter aus. Geschlechtsidentitäten sind demnach der
Sprache nicht vorgängig, sondern entstehen durch performative Sprechakte. Butler
liest Austin mit Michel Foucaults Diskurstheorie. Diskurse wirken demnach pro-
duktiv, bringen Realität hervor. Mit Jacques Derrida versteht Butler Sprache als
Handlung dann, wenn Äußerungen in wiederholbaren und nachvollziehbaren For-
meln tradiert werden, die bestimmten sprachlichen Konventionen entsprechen. Per-
formativität ist „immer Wiederholung einer oder mehrerer Normen; und in dem
Ausmaß, in dem sie in der Gegenwart einen handlungsähnlichen Status erlangt,
verschleiert oder verbirgt sie die Konventionen, deren Wiederholung sie ist.“ (Butler
1995, S. 36)
Ebenfalls einflussreich wurde Judith Butlers Buch Haß spricht. Zur Politik des
Performativen (2006). Darin beschäftigt sie sich mit der Frage, wie Sprache ver-
letzen kann. Akte des Benennens, des Zuschreibens, der Auslassung, der Nicht-
Benennung sind als Handlungen, die Personen als Individuen oder in Gruppen
betreffen, wirksam. Personen, die abwertend bezeichnet oder nicht genannt werden,
erfahren – je nach Instanz, die spricht – eine Aberkennung von Würde oder auch
ihrer Existenzberechtigung.
Die gegenwärtige Forschung zu Geschlecht, Sprache und Kommunikation ist
bemüht, das Zusammenspiel von Faktoren wie Geschlecht, soziale Schicht, Status
und Macht, Kontext/Situation, Alter und Stereotype mit einzubeziehen und im
Zusammenspiel zu verstehen. In Bezug auf Sprachverhalten werden etwa neuroana-
tomische Grundlagen von Kognition und Sprache untersucht (z. B. Ferstl et al. 2008;
Kaiser et al. 2009; Friederici 2021), aber auch der Einfluss von Medien. Frühe
linguistische Forschung im Bereich Internetkommunikation weist auf persistierende
Muster hin: Untersuchungen zeigen, dass Geschlechterunterschiede in computer-
gestützter textbasierter Kommunikation dazu tendieren, Frauen zu benachteiligen
(Herring 2005, S. 209; Koch et al. 2005). Die Studienergebnisse zur neueren
Entwicklung bezüglich sozialer Medien stimmen Forscherinnen (Götz und Prommer
2019; Götz und Becker 2019) nachdenklich, denn in sozialen Medien wären Selbst-
präsentation von Frauen und Männern konservativer als im Fernsehen. Zudem gibt
es Studien zu Hate Speech und Cybermobbing im Netz – Phänomene, die in hoher
676 S. Hochreiter

Zahl auch Männer betreffen (Nadim und Fladmoe 2019). Anti-Feminismus, Trolling
und Mansplaining zielen jedoch in spezifischer Weise auf Frauen ab. (Ganz 2019)
Zahlreiche Angriffe gegen geschlechtliche und sexuelle Minderheiten sowie gegen
migrantisierte Personen und BIPOC werden in Ministerien und von NGOs doku-
mentiert (z. B. Antirassistische Initiative in Deutschland oder ZARA in Österreich).
Sprachgebrauch und nonverbales Verhalten unterscheidet zwar Geschlechter als
Gruppen, aber auch innerhalb der Geschlechtergruppen können Unterschiede beste-
hen. Geschlecht ist darüber hinaus nicht immer im Mittelpunkt. Stefan Hirschauer
(1994) argumentiert, dass es auch Kontexte der Geschlechtsneutralität gäbe und dass
Prozesse des „undoing gender“ berücksichtigt werden sollten. Die These, wonach
Gender immer die wichtigste Kategorie in einem Gespräch sei, wie zu Beginn der
feministischen Forschung postuliert wurde, ist vor allem im Verhältnis zu anderen
Differenzkategorien nicht haltbar. (Kotthoff und Nübling 2018, S. 300)

3 Non_Verbale Kommunikation: Körpersprachen

Zu nonverbalen Kommunikationselementen zählt das gesamte körperliche Reper-


toire, um etwa Zustimmung oder Widerspruch zu signalisieren, um Aufmerksamkeit
zu gewinnen und Status zu demonstrieren. Dazu zählen Stimme, Mimik, Gestik,
Körperhaltung, Positionierung im Raum und Bewegung. In Bezug auf geschlechts-
typische nonverbale Kommunikationsformen fokussierte die feministische For-
schung zunächst auf Aspekte von Status und Machtverhältnissen zwischen Frauen
und Männern.
Nancy Henleys Buch Body Politics. Power, Sex, and Nonverbal Communication
(1977) ist in diesem Zusammenhang eine der frühesten Arbeiten. Henley untersucht
darin die Formen sozialer Kontrolle, die in einer Gesellschaft Frauen gegenüber
ausgeübt werden. Nonverbale Kommunikation sieht sie als ein Element in einem
Kontinuum von Machtausübung und diene wesentlich dazu, verdeckte Kontrolle
auszuüben (Henley 1984, S. 40). Wenn Frauen jedoch Gesten der Macht nützen,
könne dies als sexuelles Angebot missverstanden werden: Direkte Blicke, breit-
beiniger Stand oder Sitz würden nicht als weibliche Machtgeste respektiert. Zugleich
sei die Frauen zugeschriebene Passivität ein Ergebnis (non)verbalen männlichen
Dominanzverhaltens. Henley beschreibt den männlichen Gesprächsstil als konfron-
tativ, den weiblichen als kooperativ. (Henley 1984, S. 47) Die Kritik an dieser und
ähnlichen Forschungsarbeiten richtet sich auf theoretische und methodische Verein-
fachungen. Kontexte und andere Faktoren wurden zu wenig berücksichtigt. (Ayaß
2008, S. 83)
Im deutschsprachigen Raum hat die Sozialpsychologin Gitta Mühlen Achs mit
ihren Arbeiten zum Thema Körpersprache und Geschlecht wesentlich beigetragen
(1993, 2003). Sie untersucht die Effekte geschlechtsspezifischer Körpersozialisation
und wie Verhaltensregulierung Macht, Status und Geschlecht beeinflusst. Körper-
sprache sei ihr zufolge zu einem „tertiären Geschlechtsmerkmal“ geworden, das
dazu beitrage, die Geschlechterverhältnisse zu legitimieren, indem sie ihnen einen
„prä-individuellen, gleichsam auch biologisch vorbestimmten Charakter“ zu-
Kommunikation, Sprache und Geschlecht 677

schreibt. Psychologische Muster und automatisierte Verhaltensweisen, die einem


Geschlechterkonzept entsprechen, führten zu einer „Naturalisierung des Herrschafts-
verhältnisses zwischen den Geschlechtern“ (Mühlen Achs 1993, S. 9–10). Daher
könnten auch beide Geschlechter keine funktional umfassende Körpersprache ent-
wickeln, sondern nur eine Art Dialekt, einen „Genderlekt“. Privilegien sieht sie als
unterschiedlich verteilt: Es existiere eine „Grundordnung“, die Männern eine „ex-
klusive Nutzung“ von Verhaltensmöglichkeiten garantiere, „die in einem eindeuti-
gen Zusammenhang mit Macht und Dominanz stehen“ (Mühlen Achs 1993,
S. 53–93). Dabei spielt auch Kleidung eine wichtige Rolle. Während Kleidung für
Männer historisch in Hinblick auf Funktionalität, Bequemlichkeit, Status und je-
weils „Männlichkeit“ kommuniziert, ist (sexuelle) Attraktivität ein wesentliches
Element von Kleidung für Frauen und daher nicht selten unbequem und bewegungs-
einschränkend (Mühlen Achs 1993, S. 22).
Die Soziologin Eva Flicker zeigt in ihrer Forschung zum „dunklen Herrenanzug“,
dass gerade die Kombination aus Anzug, Hemd und Krawatte Männern einen
Standard-Dresscode gewährt, der für Seriosität und Kompetenz steht. (Flicker
2019) Ein solches Kleidungsstück gibt es für Frauen trotz modischer Vielfalt nicht.
Wenn auch zahlreiche weitere Faktoren visueller Inszenierung in Medien eine Rolle
spielen, ist die Kleidungsfrage für Frauen, insbesondere für Politikerinnen, wenn es
um die symbolische Repräsentation von Macht und Kompetenz geht, prekär.
Kleidung und Frisur zählen zu den „Praktiken der Verortung“ (Goffman 1991),
die neben Sprache, Mimik, Gestik usw. dazu beitragen, „das ,gesellschaftliche
Arrangement‘ der Geschlechterbinarität aufrecht zu erhalten“ (Dorer 2012, S. 134).
Verstanden mit Judith Butler sind dies Elemente einer ständigen Reartikulation
gesellschaftlicher Normen, die auf diese Weise hergestellt und bestätigt werden.
Zugleich führen diese Prozesse nicht notwendigerweise zum selben Ergebnis, son-
dern eröffnen durch die Verschiebung von Bedeutungen und Neuartikulationen
Spielräume und somit Möglichkeiten zur Subversion. (Dorer 2012, S. 139)

4 Sprache und Kommunikation in Medien

Ein großer Teil feministischer Forschung zu Sprache sowie zu verbaler und nonver-
baler Kommunikation ist verknüpft mit Medien. Schließlich ist mediale Interaktion
und Repräsentation zweifach bedeutsam: einerseits als breit zugängliche Quelle und
andererseits im Stellenwert, der Medien in Hinblick auf die Re_Produktion, Vermitt-
lung und Co-Konstruktion von Geschlechterkonzeptionen zukommt (z. B. Wolf
2008).
Schon im Band Gewalt durch Sprache von Senta Trömel-Plötz untersuchen
mehrere Aufsätze Unterschiede in der Konversation von Männern und Frauen bei
Redelänge, Themenwechseln oder Unterbrechungen exemplarisch an Fernsehdis-
kussionen und stützten damit Defizit- und Differenzannahmen (1984, S. 201–319).
Vor dem Hintergrund konstruktivistischer Ansätze legte dann Helga Kotthoff Fall-
studien zur „Inszenierung von Expert(innen)tum“ in Gesprächen vor, in denen sie
der Frage nachgeht, „wie Geschlecht in konkreten Interaktionen als relevante Kate-
678 S. Hochreiter

gorie hergestellt wird“ (Kotthoff 1993, S. 79). Ihr Fazit: Männlich codierter Ge-
sprächsstil stelle auf individuelle Statusdemonstration und Durchsetzung ab und sei
daher wenig partnerschaftlich orientiert, während Frauen meist einen „weiblichen“
Gesprächsstil pflegen, der partnerzentriert und themenorientiert sei. Konkurrenz-
kommunikation werde höher bewertet, Frauen „unterliegen“ daher oft mit ihren
kooperativen Redebeiträgen. Hierarchien und geschlechtlich codierte Asymmetrien
seien aber schon dem Medium selbst eingeschrieben, wie Kotthoff betont: Die
„stilistische Normalität“ werde nicht nur in der konkreten Situation ausgehandelt,
„sondern ist schon in den Medien vorgängig präsent“ (Kotthoff 1993, S. 92). Zu
ähnlichen Ergebnissen kommt Ulrike Gräßel mit dem Befund, dass zwar in den von
ihr untersuchten Fernsehdiskussionen die signifikantesten Differenzen in Bezug auf
Status festzustellen waren, Geschlecht aber damit stets verwoben sei: So „scheint es
relativ egal zu sein, wie Männer und Frauen tatsächlich reden, da auch ähnliches
oder gar gleiches Sprachverhalten unterschiedlich wahrgenommen, eingeordnet und
bewertet wird“ (Gräßel 2004, S. 66). Studien (z. B. Mulac et al. 1985) legen nahe,
dass trotz der zahlreichen Einflüsse, die Sprachverhalten prägen, wie Status, Alter,
Milieu oder Kontext, stereotype Erwartungen die Wahrnehmung von Sprachverhal-
ten beeinflussen können. Belege dafür finden sich auch in der Internetkommunika-
tion (Braun 2004, S. 23; Zeweri 2015).
Vielfach erforscht wurde die Rolle von Medien im Zusammenhang mit der
Herstellung und Repräsentation von Geschlecht und da insbesondere die Rolle der
Printmedien und des Fernsehens. Visuelle Formen von Repräsentation sind ein
zentraler Aspekt der Analyse.
Beispielsweise untersuchte Christiane Schmerl (2004) die visuelle Darstellung
von Frauen und Männern auf Pressefotografien und deren Rezeption durch Leser*in-
nen, die der vorherrschenden Kopfbetonung bei Männerbildern mehr Kompetenz
zusprachen als der mehrheitlich dargestellten Körperbetonung von Frauen. Anderer-
seits zeigen Untersuchungen, dass es in einigen Medien bereits zu einer weniger
asymmetrischen visuellen Repräsentation kommt. (Grittmann 2012; Kinnebrock
und Knieper 2008) Dies gilt aber noch nicht, wenn weitere Achsen der Differenz
wie „race“ oder Religionszugehörigkeit dazu kommen. (Dietze 2009)
Auch Werbung wurde intensiv erforscht. In Gender Advertisements (1976) zeigt
Erving Goffman anhand von Bildwerbung, „wie normativ und asymmetrisch die
Geschlechterglaubensvorstellungen sind“, welche sie nicht nur reproduziert, son-
dern hyperritualisiert (Kotthoff und Nübling 2018, S. 309).
Im Anschluss an Goffmans Arbeiten analysierten feministische Forscher*innen
in zahlreichen weiteren Studien die deutlich sexistischen wie auch die subtil stereo-
typen Geschlechterdarstellungen der Werbung (für einen Überblick Holtz-Bacha
2019). Sprachsystem und Sprachgebrauch werden dabei in wechselseitiger Bedingt-
heit mit dem „Sozialsystem“ betrachtet, also dem gesellschaftlichen Kontext von
Kommunikation, der von Traditionen und Hierarchien geprägt ist. Mühlen Achs
untersucht an Werbebildern konventionalisierte körpersprachliche Darstellungen
von Weiblichkeit und Männlichkeit in ihrer „scheinbaren Normalität und Alltäglich-
keit“ (Mühlen Achs 1998, S. 42). Spielräume für Verschiebungen von Gendernor-
men können insbesondere in der Popkultur entwickelt und genützt werden. Musi-
Kommunikation, Sprache und Geschlecht 679

ker*innen – wie David Bowie oder Madonna – gelten als Vorbilder, die in ihren
Performances und Videos zur „Auflösung traditioneller Präsentationsformen von
Zweigeschlechtlichkeit“ beigetragen haben (Ayaß 2008, S. 143). Während jedoch
einige Künstler*innen Geschlechternormen unterlaufen, bedienen andere nicht nur
binäre Modelle, sondern kreieren hypermaskuline und -feminine Bilder (u. a. im
Hip-Hop). Die (Fach)Diskussion unterstreicht die Notwendigkeit intersektionaler
Zugänge, da sowohl „race“ als auch „class“ für Identitätskonstruktionen und Insze-
nierungen in der Pop(musik)kultur bedeutsam sind. (Bechdolf 1999; Shabazz 2013;
Halliday und Payne 2020)
Insgesamt erscheinen Geschlechternormen heute im deutschsprachigen Raum als
in Bewegung: Einerseits zeigen sie sich in einigen Bereichen als sehr beständig,
während zugleich queere und trans*gender Communities für Nonbinarität kämpfen
und es gesetzlich möglich ist, unter bestimmten Voraussetzungen eine dritte Ge-
schlechtsoption zu wählen.1
Am Beispiel von Frauen und Männern in Spitzenpositionen in Politik, Wirtschaft
und Wissenschaft zeigt sich eine ambivalente Entwicklung: Einerseits ist eine
Renaissance der Inszenierung stereotyper Männlichkeit zu beobachten, andererseits
kommen traditionelle Geschlechtervorstellungen in der Bildberichterstattung in
Bewegung (Grittmann 2012, S. 127). Stereotype Weiblichkeit wird in der Reprä-
sentation von Führungspersonen nicht mehr ungebrochen aufgerufen – eine auf-
grund der zunehmenden Bedeutung von visueller Information besonders relevante
Entwicklung. Dennoch bleibt ein Genderbias wirksam: auf Ebene der Bildauswahl,
der Sichtbarkeit oder traditioneller Formen der Vergeschlechtlichung, insbesondere
bei Porträts einzelner Akteur*innen. (Grittmann 2012, S. 165)

5 Richtlinien, Sprachleitfäden, Wörterbücher

Für feministische Forscher*innen war früh klar: Die linguistische Analyse muss zu
einer veränderten sprachlichen Praxis führen. Die Kritik an einer Sprache, die Frauen
unterdrückt, manifestierte sich in konkreten sprachpolitischen Maßnahmen: in Emp-
fehlungen, Richtlinien und Leitfäden für einen nicht-sexistischen und geschlechter-
gerechten Sprachgebrauch. Aber auch Schulbuch- und Wörterbuchkritik sind Be-
standteil sprachkritischer und -politischer feministischer Arbeit. Ingrid Samel nennt
die Maßnahmen sprachpolitisch insofern, als „nicht ausschließlich linguistisch be-
gründbare Empfehlungen der Sprachveränderung geäußert werden beziehungsweise
Änderungswünsche auch von linguistischen Laiinnen aus sozialen Beweggründen
(etwa die Verbesserung der Situation der Frau) vorgebracht werden“ (Samel 2000,
S. 127).

1
Deutschland (seit 2018): „divers“ oder „ohne Angabe“; Österreich (2018, Erweiterung 2020):
„divers“, „inter“ oder „offen“ bzw. „kein Eintrag“; Schweiz, Liechtenstein, Luxemburg: bisher
keine Optionen jenseits von „männlich“ oder „weiblich“.
680 S. Hochreiter

Ziel war und ist es, Frauen sprachlich anzuerkennen und sichtbar zu machen, um
auf diese Weise zur Gleichberechtigung auch in anderen Lebensbereichen beizutra-
gen. Bereiche, auf die sich die Empfehlungen und Richtlinien beziehen, sind Namen,
Anredeformen und Titel, Berufs-, Amts- und Funktionsbezeichnungen, generell
Personenbezeichnungen sowie Pronomen.
Inzwischen liegen etliche Studien vor, die die These, wonach sprachliche Gleich-
berechtigung Effekte hat und etwa andere berufliche Perspektiven von Frauen
fördert, unterstützen. Ein Beispiel ist die Untersuchung von Dries Vervecken und
Bettina Hannover Yes, I can! (2015). Berufen, die nur im Maskulinum angeboten
wurden, schrieben Kinder einen höheren Status zu, sie hielten sie aber auch für
schwerer zugänglich. Anders bei der Vergleichsgruppe: Kinder beiderlei Ge-
schlechts trauten sich auch ungewöhnliche Berufe eher zu, wenn sie in der Paarform
(z. B. Astronaut/Astronautin) präsentiert wurden.
Bereits 1980 formulierten Ingrid Guentherodt, Senta Trömel-Plötz, Luise Pusch
und Marlies Hellinger die ersten deutschen „Richtlinien zur Vermeidung sexisti-
schen Sprachgebrauchs“. Zahlreiche weitere in allen deutschsprachigen Ländern
folgten.
Politisch ist das Thema Geschlecht und Sprache seit Mitte der 1980er-Jahre auf
der Agenda. Zentrale feministische Forderungen in Gesetzen und amtlichen Rege-
lungen wurden Schritt für Schritt verbindlich umgesetzt, Anreden und Personenbe-
zeichnungen in der Verwaltung symmetrisch geregelt.
In Deutschland fand im Hessischen Landtag 1985 eine erste Anhörung zur
Gleichbehandlung von Frauen und Männern in Gesetzestexten statt. Weitere Bun-
desländer folgten, Jurist*innen machten Vorschläge für die Benennung von Frauen
und Männern in der Verwaltungs- und Gesetzessprache, und schließlich kam das
Thema auch im deutschen Bundestag an. 1991 erschien das vom Bundesministerium
der Justiz herausgegebene und rechtsverbindliche „Handbuch der Rechtsförmlich-
keit“, in dem für die Vorschriftensprache ein Abgehen vom bis dahin üblichen
Maskulinum vorgesehen wird. Allerdings ist erst in der dritten Auflage aus dem
Jahr 2008 die Rede davon, dass Frauen ebenso wie Männer in juristischen Texten
direkt anzusprechen und sichtbar zu machen seien (HdR 2008, Teil B, 1.8, 111).
In Österreich hat Ruth Wodak, Pionierin der kritischen Diskursanalyse, gemein-
sam mit Gert Feistritzer, Sylvia Moosmüller und Ursula Doleschal 1987 unter dem
Titel Sprachliche Gleichbehandlung von Frau und Mann linguistische Empfehlun-
gen für den öffentlichen Bereich veröffentlicht. (Wodak et al. 1987) Im „Handbuch
der Rechtssetzungstechnik“ von 1990 ist eine allgemeine Leitlinie enthalten, wo-
nach Frauen und Männer gleichermaßen anzusprechen sind; Organe, Funktions-
bezeichnungen und Rechtsvorschriften sollten geschlechtsneutral formuliert werden.
(BKA 1990) 2004 wurde im Bundesgesetz über die Gleichbehandlung u. a. in § 9
das „Gebot der geschlechtsneutralen Stellenausschreibung“ festgelegt. (GlBG 2004)
Die Schweizerische Bundeskanzlei sprach sich 1991 für möglichst kreative
Lösungen im Interesse der „Sprachliche[n] Gleichbehandlung von Frau und
Mann“ in der Vorschriften- und Verwaltungssprache aus: Mit der Paarbildung,
„Geschlechtsneutralisation und -abstraktion sowie mit der Möglichkeit zu Umfor-
mulierungen“ (Schweizerische Bundeskanzlei 1991, S. 49) sollten jeweils passende
Kommunikation, Sprache und Geschlecht 681

Lösungen gefunden werden. 2007 wurde schließlich die sprachliche Gleichbehand-


lung (als Bemühung) im Sprachengesetz (SpG) rechtlich verankert: „Die Bundes-
behörden bemühen sich um eine sachgerechte, klare und bürgerfreundliche Sprache
und achten auf geschlechtergerechte Formulierungen.“ (SpG 2007, Art. 7,1)
So etablieren sich einerseits insgesamt mehr explizite Nennungen von Frauen,
andererseits werden einzelne Begriffe – vor allem die Bezeichnung „Fräulein“ –
erfolgreich kritisiert und verschwinden aus dem Sprachgebrauch. Früh wurde auch
die Idee des generischen Femininum u. a. von Luise Pusch in die Diskussion
eingebracht. Allgemeine Leitfäden erweitern zudem den Fokus, integrieren etwa
auch bildliche Darstellungen (z. B. Johannes Kepler Universität Linz 2009), behan-
deln einen „nicht-diskriminierenden Sprachgebrauch“ intersektional mit Bezug auf
weitere Kategorien (Voglmayr 2008) oder adressieren spezielle Zielgruppen, ins-
besondere Journalist*innen und Medien als wichtige Multiplikator*innen, z. B. ein
Toolkit für gender-sensitive Kommunikation des Europäischen Instituts für Gleich-
stellungsfragen (EIGE 2019), eine gemeinsame Checkliste Schweizer Medienver-
bände (SSM 2015) oder das Projekt Genderleicht.de des deutschen Journalistinnen-
bund (2020). Auch für den Österreichischen Rundfunk (ORF) wurde ein Leitfaden
für gendergerechte Sprache angekündigt (Toth 2021).
Die Duden-Redaktion gibt nicht nur verschiedene Wörterbücher2 zur deutschen
Sprache heraus, die v. a. in Sachen Rechtschreibung maßgebend sind, sondern seit
2017 auch Leitfäden zum Thema Richtig gendern (Diewald und Steinhauer 2017),
die in zahlreichen Beispielen Vorschläge zur Umsetzung geschlechtergerechten
Schreibens machen.
Wörterbücher bilden die je aktuelle Sprachnorm ab und wirken zugleich norma-
tiv. Die Frage, wie diese Wörterbücher gestaltet sind, stellt die Linguistin Maria
Pober (2007) in ihrem Buch Gendersymmetrie. Überlegungen zur geschlechtersym-
metrischen Struktur eines Genderwörterbuchs im Deutschen. Sie untersucht, ob und
inwiefern die Umsetzung von Gendersymmetrie in den wichtigsten Wörterbüchern
des deutschsprachigen Raums nach 30 Jahren feministischer Sprachkritik erfolgt ist.
Die Ergebnisse zeigen, dass weiterhin ein „androzentrisches Genderskript“ bestehe.
(Pober 2007, S. 386) Es sei eine quantitative, aber keine qualitative Feminisierung
(bzw. Maskulinisierung) durchgeführt worden: „Das asymmetrische Sichtbarsein
der Frau als ♀Menschenweibchen♀ und des Mannes als ♂♂männlicher♂
♂Mensch♂♂ bleibt in den Standardwörterbüchern der Gegenwart bestehen.“ (Pober
2007, S. 434)
Mit der Rezeption von Judith Butlers Buch Das Unbehagen der Geschlechter
(1991) wurde die Diskussion über das „Subjekt“ des Feminismus und über Intersek-
tionalität verschiedener Diskriminierungskategorien intensiviert. Identitätskatego-
rien wurden zunehmend pluralisiert, um Mehrfachdiskriminierungen sichtbar zu
machen und um binäre Strukturen zu überwinden. Aus diesen Überlegungen speist
sich die Forderung nach einem sprachlichen Austritt aus der hierarchisch und binär

2
Weitere wichtige Wörterbücher des Deutschen sind das Österreichische Wörterbuch und Das
Wörterbuch der deutschen Sprache (Wahrig).
682 S. Hochreiter

strukturierten Geschlechterordnung, die im deutschsprachigen Raum prominent von


Lann Hornscheidt vertreten wird. Das Geschlechtersystem, seine Normen, aber auch
Geschlecht selbst als Kategorie werden als Gewalt verstanden. Exit Gender ist für
Hornscheidt und Oppenländer „eine Interventionsform in strukturelle Gewalt, die
auf Gender basiert und Gender immer wieder aufruft“. (Hornscheidt und Oppenlän-
der 2019, S. 15)
Feminina und Maskulina sind damit nicht vollständig aufgekündigt, sondern
Elemente in einer offen gedachten (sprachlichen) Struktur, in der mittels verschie-
dener grafischer Elemente und neuer Suffixe (wie -ecs oder -x) Nonbinarität si-
gnalisiert und die Zurückweisung der Geschlechterordnung zum Ausdruck gebracht
werden. Unterstrich und der „Gender-Stern“ zählen ebenfalls zum Repertoire eines
inklusiven Schreibens und Sprechens, in dem sich die vielfältigen Selbstverständ-
nisse von Personen spiegeln, und werden in neuen Leitfäden propagiert (z. B. Horn-
scheidt und Sammla 2021).
Die Kritik ließ auch hier nicht lange auf sich warten – nicht zuletzt auch seitens
feministischer Linguistinnen: Frauen nämlich würden durch diese Formen wieder
benachteiligt. Luise F. Pusch kommentiert in einem Interview, dass der Genderstern
gegenüber dem Binnen-I einen Rückschritt darstelle: das Wort werde zerrissen,
Frauen ähnlich wie durch Klammerausdrücke und Schrägstriche als „zweite Wahl“
beschrieben. (Schlüter 2019)

6 Ausblick

Wie am besten geschlechtergerecht formuliert werden soll, wird innerhalb einer


Gemeinschaft von Sprachteilnehmer*innen auszuhandeln sein. Die Digitalisierung
aller Medien und Lebensbereiche bringt in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse
in Sprache und Kommunikation etliche Herausforderungen, aber auch Chancen.
Frauen waren zwar aus der Entwicklung von Computer-Hard- und Software
exkludiert, sind heute jedoch aktive Nutzerinnen neuer Medien und gestalten diese
mit (Endres 2012, S. 254). Zugleich gibt es problematische Phänomene im digitalen
Raum. Beobachtet wird etwa eine Wiedereinschreibung stereotyper Auffassungen
von Geschlecht via Internet-Algorithmen – zum Teil entgegen den Gender-
Konzepten von Nutzer*innen. (Schroeder 2020)
Wenig optimistisch stimmen Befunde bezüglich der Konsequenzen von Anony-
mität im Internet: Damit einher gehen aggressiveres Verhalten, Mob-Mentalität und
spezifische Angriffe, die sich gegen Frauen richten, insbesondere gegen Frauen mit
intersektionalen Identitäten (sexualisierte Hate Speech, „Silencing“, Stalking, Da-
tenmissbrauch). (Van der Wilk 2018)
Aus Sicht der Genderlinguistik verweisen die Ergebnisse bisheriger Forschungen
auf zwei Tendenzen: Einerseits sind bislang weder in der Nutzung des Internet noch
in der sprachlichen Kommunikation im Rahmen der vielfältigen Online-Formate
eindeutige Geschlechtsunterschiede festzustellen. Andererseits weisen qualitative
Untersuchungen darauf hin, dass für Identitätskonstruktionen im Netz „genderindi-
Kommunikation, Sprache und Geschlecht 683

zierte Kommunikations- und Schreibstile“ bedeutsam sind. (Kotthoff und Nübling


2018, S. 349)
Medial spielen visuelle Informationen heute eine enorme Rolle. Das Ineinander-
wirken von Sprache und Bild zur „Re- und Dekonstruktion von Gender“ wurde
bislang erst in einigen Studien untersucht. „Die bereits vorliegenden Auswertungen
zur Gestaltung von Selfies weisen auf eine starke Verbreitung von Genderstereo-
typen hin.“ (Kotthoff und Nübling 2018, S. 349) Ähnliches lässt sich auch für
Internet-Memes3 feststellen, in denen häufig heteronormative und heterosexistische
Konstruktionen von Gender und Sexualität mittels Humors reproduziert werden.
(Drakett et al. 2018)
Insgesamt scheinen gegenwärtig gegenläufige Tendenzen im Zusammenhang von
Sprache, Kommunikation und Geschlecht wirksam zu sein. Es gibt einerseits Ver-
änderungen in sprachlicher und kommunikativer Praxis zugunsten einer Infragestel-
lung von Geschlechternormen und im Sinne einer kritischen Aufmerksamkeit für
intersektionale Diskriminierungsformen. Andererseits gibt es zahlreiche diskrimi-
nierende und gewaltvolle Praxen – insbesondere in neuen Medien, die nicht nur
heterosexistische Geschlechterstereotype reproduzieren, sondern verstärkt rassisti-
sche Vorurteile bedienen. Der Schauplatz dieser Konflikte ist eine potenziell breite
Öffentlichkeit im digitalen Raum, die jedoch in komplexer Weise strukturiert ist und
Ein- und Ausschlüsse auf verschiedenen Ebenen (re)produziert.

Literatur
Ayaß, Ruth. 2008. Kommunikation und Geschlecht. Eine Einführung. Stuttgart: Kohlhammer.
Bechdolf, Ute. 1999. Puzzeling Gender. Re- und Dekonstruktion von Geschlechterverhältnissen im
und beim Musikfernsehen. Weinheim: Deutscher Studien.
Bergmann, Jörg R. 1981. Ethnomethodologische Konversationsanalyse. In Dialogforschung, Hrsg.
Peter Schröder und Hugo Steger, 9–52. Düsseldorf: Pädagogischer Verlag Schwann.
Bradley, Evan D., Julia Salkind, Ally Moore, und Sofi Teitsort. 2019. Singular ,they‘ and novel
pronouns: Gender-neutral, nonbinary, or both? Proceedings of the Linguistic Society of America
4(26): 1–7.
Braun, Friederike. 2004. Reden Frauen anders? Entwicklungen und Positionen in der linguistischen
Geschlecherforschung. In Adam, Eva und die Sprache. Beiträge zur Geschlechterforschung,
Hrsg. Karin M. Eichhoff-Cyrus, 9–26. Mannheim: Duden.
Bundeskanzleramt (BKA). 1990. Handbuch der Rechtssetzungstechnik. Legistische Leitlinien.
Wien: BKA.
Butler, Judith. 1991 [1990]. Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Butler, Judith. 1995 [1993]. Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Berlin:
Berlin-Verlag.
Butler, Judith. 2006 [1997]. Haß spricht. Zur Politik des Performativen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Dietze, Gbriele. 2009. Okzidentalistische Bildpolitik: Neo-Orientalismus und Migration in der
visuellen Kultur. In Politik auf dem Boulevard? Hrsg. Margreth Lünenborg, 175–196. Bielefeld:
transcript.

3
Memes sind Einheiten kultureller Transmission (Sprache, Mode, Songs), die entstehen, verändert
und verbreitet werden. (Shifman 2013, S. 41) Die Untersuchung von Drakett et al. (2018) fokussiert
auf Image Macros, Memes, die Bild und Text verbinden.
684 S. Hochreiter

Diewald, Gabriele, und Anja Steinhauer. 2017. Duden. Richtig gendern. Wie Sie angemessen und
verständlich schreiben. Berlin: Duden.
Dorer, Johanna. 2012. Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit und Geschlecht. In Kommunikation
und Verständigung. Theorie – Empirie – Praxis, Hrsg. Walter Hömberg, Daniela Hahn, und
Timon B. Schaffer, 133–147. Wiesbaden: VS.
Drakett, Jessica, Bridgette Rickett, Kate Day, und Kate Milnes. 2018. Old jokes, new media –
Online sexism and constructions of gender in internet memes. Feminism and Psychology 28(1):
109–127.
Endres, Kathleen L. 2012. New media. In Encyclopedia of gender in media, Hrsg. Mary Kosut,
253–256. Thousand Oaks: Sage.
European Institute for Gender Equality (EIGE). 2019. Toolkit on Gender-sensitive Communication.
A resource for policymakers, legislators, media and anyone else with an interest in making their
communication more inclusive. Luxembourg: Publications Office of the European Union.
https://eige.europa.eu/sites/default/files/20193925_mh0119609enn_pdf.pdf. Zugegriffen am
12.10.2021.
Ferstl, Evelyn C., Jane Neumann, Carsten Bogler, und D. Yves von Cramon. 2008. The extended
language network: A metaanalysis of neuroimaging studies on text comprehension. Human
Brain Mapping 29:581–593.
Flicker, Eva. 2019. Der dunkle Herrenanzug als hegemoniale und transmediale Viskurspraxis. In
Transmedialisierung: Wissenschaft und Kunst, Hrsg. Sabine Coelsch-Foisner und Christopher
Herzog, 219–246. Heidelberg: Universitätsverlag Winter.
Friederici, Angela F. 2021. The cortical language circuit: From auditory perception to sentence
comprehension. Trends in Cognitive Science 16(5): 262–268.
Ganz, Kathrin. 2019. Hate Speech im Internet. In Handbuch Medien und Geschlecht: Perspektiven
und Befunde der feministischen Kommunikations- und Medienforschung, Hrsg. Johanna Dorer,
Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković, 1–10. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_39_1.
Garfinkel, Harold. 1967. Passing and the managed achievement of sex status in an intersexed
person. In Studies in ethnomethodology, Hrsg. Harold Garfinkel, 116–185. Englewood Cliffs:
Prentice-Hall.
GlBG. 2004. Bundesgesetz über die Gleichbehandlung (Gleichbehandlungsgesetz, GlBG) vom 23.
Juni 2004. https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2004_I_66/BGBLA_
2004_I_66.html. Zugegriffen am 12.10.2021.
Goffman, Erving. 1991 [1977]. Interaktion und Geschlecht. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Götz, Maya, und Josephine Becker. 2019. Das „zufällig“ überkreuzte Bein. Selbstinszenierungs-
muster von Influencerinnen auf Instagram. https://malisastiftung.org/wp-content/uploads/%
C3%9Cberkreuztes-Bein.pdf. Zugegriffen am 12.10.2021.
Götz, Maya, und Elisabeth Prommer. 2019. Geschlechterstereotypen und soziale Medien. Televizi-
on 1:21–32. https://www.dritter-gleichstellungsbericht.de. Zugegriffen am 12.10.2021.
Gräßel, Ulrike. 2004. Weibliche Kommunikationsfähigkeit. Chance oder Risiko für Frauen an der
Spitze? In Adam, Eva und die Sprache. Beiträge zur Geschlechterforschung, Hrsg. Karin
M. Eichhoff-Cyrus, 56–68. Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich: Duden.
Grittmann, Elke. 2012. Der Blick auf die Macht. Geschlechterkonstruktionen von Spitzenpersonal
in der Bildberichterstattung. In Ungleich mächtig. Das Gendering von Führungspersonen aus
Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in der Medienkommunikation, Hrsg. Margreth Lünenborg
und Jutta Röser, 127–172. Bielefeld: transcript.
Gülich, Elisabeth, und Lorenza Mondada. 2008. Konversationsanalyse. Eine Einführung am Bei-
spiel des Französischen. Tübingen: Niemeyer.
Günthner, Susanne. 2018. Sprachwissenschaft und Geschlechterforschung: Übermittelt unsere
Sprache ein androzentrisches Weltbild? In Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung,
Hrsg. Beate Kortendiek, Birgit Riegraf, und Katja Sabisch. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
https://doi.org/10.1007/978-3-658-12500-4_126-1.
Kommunikation, Sprache und Geschlecht 685

Halliday, Aria S., und Ashley N. Payne. 2020. Savage and savvy: Mapping contemporary Hip Hop
feminism. Journal of HipHop Studies 7(1): 8–18.
Handbuch der Rechtsförmlichkeit (HdR). 2008. Hrsg. vom Bundesministerium der Justiz. http://
hdr.bmj.de. Zugegriffen am 26.07.2021.
Henley, Nancy. 1977. Body politics. Power, sex, and nonverbal communication. Englewood Cliffs:
Prentice-Hall.
Henley, Nancy. 1984. Nichtverbale Kommunikation und die soziale Kontrolle von Frauen. In
Gewalt durch Sprache. Die Vergewaltigung von Frauen in Gesprächen, Hrsg. Senta Trömel-
Plötz, 39–49. Frankfurt a. M.: Fischer.
Herring, Susan C. 2005. Gender and power in on-line communication. In The handbook of
language and gender, Hrsg. Janet Holmes und Miriam Meyerhoff, 202–227. Malden:
Blackwell.
Hirschauer, Stefan. 1994. Die soziale Fortpflanzung der Zweigeschlechtlichkeit. Kölner Zeitschrift
für Soziologie und Sozialpsychologie 4:668–692.
Hochreiter, Susanne. 2021. Feministische Linguistik – Sprachkritik im Kontext der Neuen Frau-
enbewegung. In Handbuch Medien und Geschlecht: Perspektiven und Befunde der feministi-
schen Kommunikations- und Medienforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte
Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesbaden: Springer Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-
658-20712-0_83-1.
Holtz-Bacha, Christina. 2019. Werbung und Gender-Marketing. In Handbuch Medien und Ge-
schlecht: Perspektiven und Befunde der feministischen Kommunikations- und Medienfor-
schung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesba-
den: Springer Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_47-1.
Hornscheidt, Lann, und Lio Oppenländer. 2019. Exit Gender. Gender loslassen und strukturelle
Gewalt benennen: eigene Wahrnehmung und soziale Realität verändern. Hiddensee: w_orten
& meer.
Hornscheidt, Lann, und Ja’n Sammla. 2021. Wie schreibe ich divers? Wie spreche ich genderge-
recht? Ein Praxis-Handbuch zu Gender und Sprache. Hiddensee: w_orten & meer.
Johannes Kepler Universität Linz. 2009. Geschlechtergerecht in Sprache und Bild. http://aom.jku.
at/files/Geschlechter-Leitfaden-JKU.pdf. Zugegriffen am 12.10.2021.
Journalistinnenbund. 2020. Genderleicht. Gendern im Journalismus – so geht’s genderleicht.
https://www.journalistinnen.de/projekte/genderleicht-de-plattform-fuer-gendersensible-bericht
erstattung/. Zugegriffen am 12.10.2021.
Kaiser, Anelis, Sven Haller, Sigrid Schmitz, und Cordula Nitsch. 2009. On sex/gender related
similarities and differences in fMRI language research. Brain Research Reviews 61:49–59.
Kinnebrock, Susanne, und Thomas Knieper. 2008. Männliche Angie und weiblicher Gert? Visuelle
Geschlechter- und Machtkonstruktionen auf Titelseiten von politischen Nachrichten. In Frauen,
Politik und Medien, Hrsg. Christina Holtz-Bacha, 83–103. Wiesbaden: VS.
Klann-Delius, Gisela. 2005. Sprache und Geschlecht. Stuttgart: Metzler.
Koch, Sabine C., Barbara Müller, Lenelis Kruse, und Jörg Zumbach. 2005. Constructing Gender in
Chat Groups. Sex Roles 53:29–41.
Kotthoff, Helga. 1993. Kommunikative Stile, Asymmetrien und „Doing Gender“. Fallstudien zur
Inszenierung von Expert(innen)tum in Gesprächen. Feministische Studien 11(2): 79–95.
Kotthoff, Helga, und Damaris Nübling. 2018. Genderlinguistik. Eine Einführung in Sprache,
Gespräch und Geschlecht. Tübingen: Narr.
Maltz, Daniel, und Ruth Borker. 1991. Mißverständnisse zwischen Männern und Frauen – kulturell
betrachtet. In Von fremden Stimmen. Weibliches und männliches Sprechen im Kulturvergleich,
Hrsg. Susanne Günthner und Helga Kotthoff, 52–74. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Mühlen Achs, Gitta. 1993. Wie Katz und Hund. Die Körpersprache der Geschlechter. München:
Frauenoffensive.
Mühlen Achs, Gitta. 1998. Geschlecht bewußt gemacht. Körpersprachliche Inszenierungen – ein
Bilder- und Arbeitsbuch. München: Frauenoffensive.
686 S. Hochreiter

Mühlen Achs, Gitta. 2003. Wer führt? Körpersprache und die Ordnung der Geschlechter. Mün-
chen: Frauenoffensive.
Mulac, Anthony, Howard Giles, James J. Bradaca, und Nicholas A. Palomares. 1985. Comparison
of the gender-linked language effect and sex role stereotypes. Journal of Personality and Social
Psychology 49:1098–1109.
Nadim, Marjan, und Audun Fladmoe. 2019. Silencing women? Gender and online harassment.
Social Science Computer Review. https://doi.org/10.1177/0894439319865518. Zugegriffen am
26.07.2021.
Pober, Maria. 2007. Gendersymmetrie. Überlegungen zur geschlechtersymmetrischen Struktur
eines Genderwörterbuchs im Deutschen. Würzburg: Königshausen & Neumann.
Pusch, Luise F. 1996 [1984]. Das Deutsche als Männersprache. Aufsätze und Glossen zur femi-
nistischen Linguistik. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Samel, Ingrid. 2000. Einführung in die feministische Sprachwissenschaft. 2., überarb. u. erw. Aufl.
Berlin: Erich Schmidt.
Schlüter, Nadja. 2019. „Das Gendersternchen ist nicht die richtige Lösung.“ Die Linguistin Luise
F. Pusch forscht seit 40 Jahren zu geschlechtergerechter Sprache. jetzt, 22.04.2019. https://www.
jetzt.de/hauptsache-gendern/gendern-linguistin-luise-f-pusch-ueber-das-gendersternchen-und-
geschlechtergerechte-sprache. Zugegriffen am 26.07.2021.
Schmerl, Christiane. 2004. „Kluge“ Köpfe – „dumme“ Körper? Einige Wirkungen der Kopf-
betonung bei männlichen und der Körperbetonung bei weiblichen Pressefotos. Publizistik 49(1):
48–65.
Schroeder, Jonathan E. 2020. Reinscribing gender: Social media, algorithms, bias. Journal of
Marketing Management. https://doi.org/10.1080/0267257X.2020.1832378. Zugegriffen am
26.07.2021.
Schweizer Syndikat Medienbeauftragter (SSM). 2015. Leitfaden zu einer gendergerechten Bericht-
erstattung in den Medien. https://www.impressum.ch/fileadmin/user_upload/Dateien/Merk
blaetter_Statuten_etc/d_Gender_Leitfaden_korr_web.pdf. Zugegriffen am 12.10.2021.
Schweizerische Bundeskanzlei. Hrsg. 1991. Sprachliche Gleichbehandlung von Frau und Mann in
der Gesetzes- und Verwaltungssprache. Bericht einer interdepartementalen Arbeitsgruppe der
Bundesverwaltung. Bern.
Shabazz, Rashad. 2013. Masculinity and the mic. Confronting the uneven geography of hip-hop.
Gender, Place & Culture 21(3): 370–386.
Shifman, Limor. 2013. Memes in digital culture. Cambridge, MA: MIT Press.
Sprachengesetz (SpG). 2007. Bundesgesetz über die Landessprachen und die Verständigung zwi-
schen den Sprachgemeinschaften, vom 5. Oktober 2007. https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/
2007/1067/de. Zugegriffen am 19.11.2021.
Tannen, Deborah. 1991. Du kannst mich einfach nicht verstehen. Warum Männer und Frauen
aneinander vorbeireden. Hamburg: Kabel.
Tannen, Deborah. 1995. Job-Talk. Wie Frauen und Männer am Arbeitsplatz miteinander reden.
Hamburg: Kabel.
Thaler, Verena. 2005. Sprechen Frauen tatsächlich anders als Männer? Eine wissenschaftstheo-
retische Untersuchung zu Theorie und Methode der feministischen Linguistik. Grazer Linguis-
tische Studien 63:99–121.
Toth, Barbara. 2021. ORF plant Guide zur gendergerechten Sprache. Falter 4. https://www.falter.at/
zeitung/20210127/orf-plant-guide-zur-gendergerechten-sprache/_4eecb66c34. Zugegriffen am
12.10.2021.
Trömel-Plötz, Senta. 1984. Gewalt durch Sprache. Die Vergewaltigung von Frauen in Gesprächen.
Frankfurt a. M.: Fischer.
Van der Wilk, Adriane. 2018. Cyber violence and hate speech online against women. Hrsg.
European Parliament, Policy Department for Citizen’s Rights and Constitutional Affairs.
Brüssel.
Kommunikation, Sprache und Geschlecht 687

Verwecke, Dries, und Bettina Hannover. 2015. Yes, we can! Effects of gender fair job descriptions
on children’s perceptions of job status, job difficulty, and vocational self-efficacy. Social
Psychology 46(2): 76–92.
Voglmayr, Irmtraud. 2008. Leitfaden für einen nicht-diskriminierenden Sprachgebrauch: in Bezug
auf junge und alte Menschen, Menschen mit Behinderung, Frauen, Männer, Schwule, Lesben,
Transgender, Migrant/innen und Menschen mit einer anderen religiösen Zugehörigkeit. Wien:
BM für Wirtschaft und Arbeit. https://www.gewaltinfo.at/uploads/pdf/leitfaden_nicht_diskr_
sprachgebrauch.pdf. Zugegriffen am 20.11.2021.
Wodak, Ruth, Gert Feistritzer, Sylvia Moosmüller und Ursula Doleschal. 1987. Sprachliche
Gleichbehandlung von Mann und Frau: Linguistische Empfehlungen zur Gleichbehandlung
von Mann und Frau im öffentlichen Bereich (Berufsbezeichnungen, Titel, Anredeformen, Funk-
tionsbezeichnungen, Stellenausschreibungen). Hrsg. Österreichisches Bundesministerium für
Arbeit und Soziales. Wien.
Wolf, Birgit. 2008. Geschlechterdarstellung in den Nachrichten: Monitoring, Quoten und Befunde.
In Medien – Politik – Geschlecht. Feministische Befunde zur politischen Kommunikations-
forschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, und Regina Köpl, 66–78. Wiesbaden: VS
Verlag für Sozialwissenschaften.
Zeweri, Roya. 2015. The role of gender stereotypes in speech perception: A study on internet
discourse. Wien: Diplomarbeit.
Teil VII
Gewalt-, Dominanzverhältnisse und/in Medien
Medienethik und feministische
Medienforschung

Larissa Krainer und Sigrid Kannengießer

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 692
2 Unverbundene Diskurse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 692
3 Medienethische Geschlechterforschung und feministische Medienethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 696
4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 697
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 698

Zusammenfassung
Feministische Medienforschung, feministische Ethik und medien- und kommuni-
kationsethische Forschung und Theoriebildung haben sich über einen langen
Zeitraum weitgehend parallel entwickelt. Erst in einem jüngeren Fachdiskurs
werden die beiden Forschungsstränge zusammengebracht. Der Beitrag skizziert
die zunächst unverbundenen Diskurse der Kommunikations- und Medienethik,
feministischen Ethik sowie feministischen Medienforschung, um auf dieser Basis
den Fachdiskurs der vergangenen zehn Jahre aufzuarbeiten, welcher diese Dis-
kurse explizit zusammendenkt. Die Auseinandersetzung mit Wertvorstellungen
und gesellschaftlichen Grundwerten ist ein die Diskurse verbindendes Anliegen.

Schlüsselwörter
Medien- und Kommunikationsethik · Feministische Medienethik ·
Medienethische Geschlechterforschung · Feministische Medienforschung ·
Feministische Ethik

L. Krainer (*)
Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich
E-Mail: larissa.krainer@aau.at
S. Kannengießer
ZeMKI, Universität Bremen, Bremen, Deutschland
E-Mail: sigrid.kannengiesser@uni-bremen.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 691
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_33
692 L. Krainer und S. Kannengießer

1 Einleitung

Medien- und kommunikationswissenschaftliche Frauen- und Geschlechterforschung


(im Weiteren feministische Medienforschung)1 und medien- und kommunikations-
ethische Forschung und Theoriebildung haben sich über einen langen Zeitraum
weitgehend parallel entwickelt. Das erstaunt insofern, als es in beiden Bereichen
um die Auseinandersetzung mit Wertvorstellungen geht bzw. gesellschaftliche
Grundwerte wie Gerechtigkeit, Gleichheit, Diskriminierungsschutz etc. grundgelegt
oder gefordert werden. Erst in der vergangenen Dekade wurden geschlechtsspezi-
fische Fragen in medienethischen Publikationen und Tagungen explizit adressiert
und Versuche unternommen, die Paralleldiskurse miteinander zu verbinden bzw.
gegeneinander zu kontrastieren. Das Spektrum der Arbeiten reicht dabei von theo-
retischen Beiträgen inkl. der Diskussion und Entwicklung von Ansätzen über die
Präsentation empirischer Forschungsergebnisse bis hin zu politischen Forderungen.
Der Beitrag skizziert die zunächst unverbundenen Diskurse der Medien- und Kom-
munikationsethik, der feministischen Ethik sowie der feministischen Medienfor-
schung, ehe der jüngere Fachdiskurs, in dem Verbindungslinien gesucht werden,
aufgearbeitet wird.

2 Unverbundene Diskurse

Aus historischer Perspektive lässt sich zeigen, dass der medien- und kommunikati-
onsethische Diskurs über lange Zeit zwei relevante feministische Forschungsfelder,
nämlich zum einen die feministische Medienforschung und zum anderen die femi-
nistische Ethik in der Philosophie, kaum berücksichtigt hat (wohingegen vielfache
Bezugnahmen auf die Tradition der philosophischen Ethik genommen werden).
Umgekehrt hat die feministische Medienforschung über lange Zeit kaum Bezug
auf die Medien- und Kommunikationsethik genommen und wurden in der feminis-
tischen Ethik Medienthemen zunächst kaum behandelt (Krainer 2014, S. 20–24,
2015, S. 42–45). Schnittstellen zeigen sich am ehesten in der Pornografiedebatte
(exemplarisch: Schiele 1992).
Für die Medien- und Kommunikationsethik lässt sich dies sowohl anhand der
Überblicksliteratur des Fachbereichs der Medienethik illustrieren (exemplarisch:
Krainer 2001; Debatin und Funiok 2003) als auch der thematischen Gliederung
von Handbüchern (exemplarisch: Schicha und Brosda 2010; Heesen 2016) entneh-
men, die praktisch genderfrei sind. Auch eine detaillierte Analyse von Monografien
und Aufsätzen über einen Zeitraum von 1989 bis 2011 (Krainer 2014, S. 19–20)
zeigt, dass nur in sehr wenigen Publikationen gender- oder geschlechtsspezifische
Aspekte thematisiert wurden.

1
Mit dieser Begriffsverwendung soll nicht unterstellt werden, dass Frauen- und Geschlechterfor-
schung immer als feministische Forschung im Sinne einer politischen Ausrichtung zu betiteln ist,
wir nehmen hier aber primär feministisch orientierte Ansätze in den Fokus.
Medienethik und feministische Medienforschung 693

2.1 Kommunikations- und Medienethik

In der Kommunikations- und Medienwissenschaft wird zwischen Kommunikations-


und Medienethik unterschieden (Averbeck-Lietz 2014, S. 82). Definiert man Ethik
als die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Bereich der Moral (Funiok 2002,
S. 38) und Moral als „den in einer bestimmten Gruppierung, Gemeinschaft oder
Gesellschaft geltenden Komplex an Wertvorstellungen, Normen und Regeln“ (Rath
2002, S. 59), dann ist Kommunikationsethik eine solche, die sich mit den Werten
und Normen in Kommunikationsprozessen beschäftigt, und Medienethik jene, die
Werte und Normen in medienvermittelten Kommunikationsprozessen und Medien-
praktiken in den Fokus nimmt. Dabei ist zwischen Werten und Normen zu differen-
zieren:

„Werte begründen das moralische Handeln – Normen begrenzen und sanktionieren es. Werte
haben, verglichen mit Normen, etwas Attraktives, sie gehen – bei aller Verbindlichkeit – mit
der Erfahrung von Freiheit, des Bei-sich-Seins, der Eröffnung von Horizonten zusammen.
Normen haben demgegenüber etwas Restriktives, Einschränkendes, konkret Festmachen-
des“ (Funiok 2016, S. 324).

Die Kommunikations- und Medienethik fragt nach der Konstruktion und Gültig-
keit gesellschaftlicher Grundwerte wie Freiheit, Gerechtigkeit oder Würde in
(medienvermittelten) Kommunikationsprozessen. In der Medienethik werden dabei
nicht nur die Medieninhalte und die Produktionsprozesse untersucht, sondern auch
die Aneignung der Medieninhalte sowie die rechtlichen Rahmenbedingungen und
die Verfasstheiten der Mediensysteme:

„Medienethik erhebt, analysiert und reflektiert Wertvorstellungen und Normen auf unter-
schiedlichen Ebenen: auf der gesellschaftlichen Makroebene (z. B. Gesetzgebung, Medien-
regulierung), auf der Mesoebene der Organisationen (Medienunternehmen, Dachverbände
etc.) sowie auf der Mikroebene der handelnden Individuen (Produzent_innen und Rezi-
pient_innen).“ (Krainer et al. 2016, S. 10)

Im Zentrum der kommunikations- und medienethischen Reflexionen stehen


Werte wie Verantwortung, Gerechtigkeit, Freiheit, Selbstbestimmung oder Trans-
parenz (Kannengießer 2019, S. 110): Verantwortung kann als (medien-)ethische
Schlüsselkategorie gelten (Funiok 2011, S. 63) und bezieht sich „auf eine der
moralischen Grundfragen des menschlichen Lebens, nämlich die Frage, ob die
Folgen unseres Handelns als ethisch akzeptabel gelten können“ (Debatin 2016, S. 68).
Aus kommunikations- und medienethischer Perspektive ist also zu fragen, wie wir
mit Medien verantwortungsvoll handeln können (Kannengießer 2019, S. 110–111).
Neben Verantwortung ist auch der Begriff der Gerechtigkeit ein zentraler medien-
ethischer Begriff. Krainer (2018) weist auf die verschiedenen medienethischen
Betrachtungsmöglichkeiten des Gerechtigkeitsbegriffs hin: Zu diesen gehören
u. a. Fragen nach Gerechtigkeit in der Informationsbeschaffung und der Meinungs-
äußerung, aber auch dem Zugang zu Medien sowie ein gerechter Besitz medialer
Produktionsmittel und gleichberechtigtes Vorkommen unterschiedlicher Personen
694 L. Krainer und S. Kannengießer

oder Meinungen innerhalb der vorhandenen Medien (Krainer 2018, S. 319–324).


Weitere medienethische Termini sind etwa der Begriff der Freiheit (Rath 2018), der
Transparenz (Averbeck-Lietz 2014; Meier 2017) oder der (informationellen) Selbst-
bestimmung (Heesen 2017). Inwiefern diese und andere Werte in (medienvermittel-
ten) Kommunikationsprozessen verfolgt oder verletzt werden, untersuchen kom-
munikations- und medienethische Arbeiten.

2.2 Feministische Ethik in der Philosophie

Innerhalb des philosophischen Diskurses beschäftigten zunächst Bemühungen, eine


„feministische Ethik“ zu begründen (exemplarisch: Piper 1998), wobei sich in ihr
sehr unterschiedliche Standpunkte herauskristallisierten: Solche, die davon aus-
gehen, dass es eine spezifisch weibliche Moral gebe, und solche, die das vehement
bestreiten. Deren Existenz hatte als eine der ersten Gilligan (1982) behauptet, die
unter anderem bei bzw. mit Kohlberg gearbeitet und dessen „Stufenmodell der
Moralentwicklung“, in dem er männlichen Jugendlichen ein höheres Moralempfin-
den als weiblichen zuerkennt (Colby und Kohlberg 1986), heftig bestritten hat. In
ihrer Publikation „In a Different Voice“ vertritt Gilligan die Auffassung, dass Frauen
in der Konfrontation mit moralischen Dilemmata stärker auf die Tugenden der
Rücksichtnahme und der Hilfeleistung Bezug nähmen als auf Gerechtigkeit (was
die männlichen Probanden mehrheitlich taten). Gilligan schloss daraus, dass es zwei
unterschiedliche moralische Maßstäbe gebe, wenn sie diese auch als jeweils durch
die andere ergänzungsbedürftig befand (Gilligan 1982). Diese Auffassung wurde
allerdings auch vielfach kritisiert. Zum einen deshalb, weil man auch die Position
vertreten kann, es müsse doch „eine gesellschaftlich einheitliche Moral geben, damit
soziale Interaktionen funktionieren können“ (Horster 1998, S. 8). Zum anderen
wurde kritisiert, dass Gilligan davon spricht, dass Frauen eine Präferenz für die
interpersonelle Moral hätten, Männer hingegen für die öffentliche Moral. Dagegen
wurde eingewandt, dass unterschiedliche Moralurteile vermutlich eher Konsequen-
zen aus geschlechtsspezifischen Vergesellschaftungsformen darstellten oder auch
weit mehr mit persönlicher Betroffenheit zu tun hätten (Nunner-Winkler 1998).
Drittens wurde Gilligans implizite These, dass das moralische Urteil von Frauen
und Männern genetisch bedingt sei, in Frage gestellt und als biologischer Determi-
nismus klassifiziert (Nagl-Docekal 1998, S. 48–49).
In der feministischen Ethik wird die Frage diskutiert, ob Geschlecht als biologi-
sche Determinante (Biologisierung der Geschlechterdifferenz, die aktuell wieder
eine Renaissance erlebt, Herbst 2015), als soziale Kategorie (z. B. in Anlehnung
an de Beauvoir 1970) oder als Konstruktion (etwa nach Butler 1991) zu betrachten
sei. Kommunikations- und medienwissenschaftliche Arbeiten diskutieren u. a. Fra-
sers Ansatz der transformativen Annerkennung in Hinblick auf Geschlecht (Kan-
nengießer 2011). Dieser setzt dekonstruktivistische Theorie in Beziehung zu Fragen
nach (Un)gerechtigkeit und Umverteilung. Fraser unterscheidet zwischen affirmati-
ven und transformativen Maßnahmen als Strategien für die Überwindung von
Ungerechtigkeit:
Medienethik und feministische Medienforschung 695

„Mit affirmativen Maßnahmen gegen Ungerechtigkeit meine ich solche Mittel, die darauf
abstellen, ungerechte Folgewirkungen gesellschaftlicher Verhältnisse auszugleichen, ohne
den zugrunde liegenden Rahmen anzutasten, der diese Verhältnisse hervorbringt. Unter
transformativen Maßnahmen verstehe ich dagegen Mittel, die beabsichtigen, ungerechte
Folgewirkungen zu beheben, indem man gerade die zugrundliegenden Voraussetzungen
dieser Verhältnisse neu strukturiert.“ (Fraser 2003, S. 47).

Frasers Überlegungen zu (Un)Gerechtigkeit und Anerkennung sind im jüngeren


kommunikations- und medienethischen Fachdiskurs aufgegriffen worden, zuvor
wurden die benannten Ansätze der feministischen Ethik bestenfalls im Nachvollzug
aufgegriffen.

2.3 Feministische Medienforschung

Ein (wiederum eher spezifischer) Blick in den Fachbereich der feministischen Medien-
forschung zeigt, dass etwa anhand der von Klaus (1998) skizzierten drei unterschied-
lichen (teilweise auch im historischen Verlauf zu sehenden) Paradigmen der For-
schung (Gleichheitsansatz, Differenzansatz, [De-]Konstruktivismus) zwar Parallelen
zu Fragestellungen innerhalb der feministischen Ethik sichtbar, kaum aber explizit
Schnittstellen zur Medienethik thematisiert werden. Das verwundert zumindest inso-
fern, als gerade im Paradigma des Gleichheitsansatzes in einer Vielzahl von Studien
die Diskriminierung und Trivialisierung von Frauen in den Medien analysiert bzw.
nachgewiesen wurde und sowohl Gerechtigkeit als auch Diskriminierung Schwer-
punkte innerhalb der Medienethik sind. Auch die im Differenzansatz vorgenommenen
Analysen gesellschaftlicher Strukturen und Machtverhältnisse lassen sich mit Themen
der Medienethik verbinden (insofern das Thema der Macht die Medienethik von jeher
beschäftigt, exemplarisch Altmeppen 2016), ebenso die Analyse von medialen Gen-
dering-Prozessen, die Klaus dem (De-)Konstruktivismus zuordnet (Klaus 1998,
S. 14–18), sofern diese in einen Zusammenhang mit dem medienethischen Unter-
suchungsgegenstand der Norm- und Wertvorstellungen gebracht werden. Feministi-
sche Medienforschung ist insgesamt sehr wertorientiert und könnte eigentlich grosso
modo als ein ethisch motiviertes Unterfangen verstanden werden. Dennoch stellt das
explizite Thematisieren ethischer Fragen eher die Ausnahme dar, wofür etwa die
Analyse von „Sexismus in deutschen Nachrichtenmagazinen“ von Winter (2001) als
exemplarisches Beispiel angeführt werden kann, die sowohl in ihren theoretischen
Überlegungen die „interdisziplinäre Dimension Geschlechterforschung“ (S. 23–29)
mit der „[n]ormativen Dimension“ (Diskussion medienethischer Ansätze, S. 29–35)
verbindet, als auch in der Darstellung der Analyseergebnisse ethische wie normative
Aspekte berücksichtigt (S. 77–146).
696 L. Krainer und S. Kannengießer

3 Medienethische Geschlechterforschung und feministische


Medienethik

Eine systematische Literaturanalyse (Krainer 2014) zeigt, dass die wenigen Publi-
kationen, die kommunikations- und medienethische Ansätze sowie feministische
Medienforschung bis 2011 zusammenbrachten, folgende Themen analysierten und
reflektierten: Sexualität bzw. Pornografie (mit speziellem Fokus auf Gewalt) (Kieran
1998; Gordon und Kittross 1999), Diskriminierung bzw. Abwertung von Trans-
sexualität in Filmen (Krah 2002), das Vorkommen von „Heldinnen in Computer-
spielen“ (Zaremba 2010), „Genderrituale in der Mobilkommunikation“ (Peil 2011),
Domestizierungspraktiken im Laufstegritual von „Germany´s next Topmodel“ (De-
cker 2011) oder Cyberbullying (Katzer 2011).
In zwei jüngeren Tagungsbänden werden sowohl theoretische wie normative
Perspektiven skizziert sowie empirische Fallbeispiele gesammelt, um die Kategorie
„Gender im medienethischen Diskurs“ zu erhellen (Grimm und Zöllner 2014) sowie
„interdisziplinäre Untersuchungen zu Medien, Ethik und Geschlecht“ (Kannengie-
ßer et al. 2016) nachzuzeichnen. Dabei zeigt sich, dass medienethische Geschlech-
terforschung bzw. feministische Medienethik im Sinne einer deskriptiven Ethik
„Geschlechterkonstruktionen in medienvermittelten Kommunikationsprozessen in
Hinblick auf Werte und Normen“ analysiert und als normative Ethik moralische
Einschätzungen (Urteile, Normen und Werte), die in diesem Kontext als wünschens-
wert erachtet werden, formuliert und begründet (Krainer et al. 2016, S. 11) sowie im
Sinne der Diskurs- und Prozessethik sich darüber hinaus mit dem Zustandekommen
von ethischen Entscheidungen auf überindividueller (kollektiver) Ebene befasst und
Vorschläge für die konkrete Etablierung, Durchführung und Evaluation ethischer
Entscheidungsprozesse entwickelt. Im Fokus stehen dabei z. B. die für beide An-
sätze relevanten Kriterien der gleichberechtigten Partizipation in Entscheidungspro-
zessen, in denen ethische Fragen wie etwa Wert- oder Normvorstellungen verhandelt
werden.
Zur Systematisierung einer gendersensiblen Medienethik schlägt Grimm (2014,
S. 8) vor, die Verbindung „genuin ethischer Fragen mit der Gender-Thematik“
sowohl auf der Mikro- als auch der Meso- und der Makroebene zu verfolgen. Auf
der Makroebene wäre etwa zu untersuchen, „inwiefern (. . .) Medien die Idee der
Geschlechtergleichheit im Sinne gleicher Freiheitsrechte als Grundwert unserer
liberaldemokratischen Gesellschaft widerspiegeln“. Auf der Mesoebene der Me-
dienunternehmen gehe es darum zu klären, wie „Machtstrukturen genderspezifisch
ausgeprägt sind“, also z. B. um berufliche Gleichstellung in Medienorganisationen
und anderen Unternehmen in der Kommunikationsbranche. Die Mikroebene bezieht
sich auf das handelnde Individuum, hier soll nach Grimm z. B. die Ausprägung von
Gender in Entscheidungs- und Handlungsprozessen sowie die Übernahme von
Verantwortung strukturiert erfasst und analysiert werden (Grimm 2014, S. 8).
Aus theoretischer Perspektive fällt auf, dass sich Gerechtigkeit als Kernthema
einer genderspezifischen Medienethik aufdrängt (Weber 2016) und die Überlegungen
von Fraser zu Gerechtigkeit und Anerkennung, die sie aus ihrer kritischen Auseinan-
dersetzungen mit Habermas, Benhabib, Honneth und Joas gewinnt (Fraser 2003),
Medienethik und feministische Medienforschung 697

für mehrere Autor*innen eine anregende (z. B. Kannengießer 2011; Klaus 2016), aber
auch kritikwürdige Perspektive darstellen (Günter 2016).
In empirischen Studien untersuchen Autor*innen Medienphänomene aus einer
medienethisch-geschlechtertheoretischen Perspektive. Einen Schwerpunkt bilden
dabei Analysen medialer Repräsentationen in Hinblick auf die Konstruktion von
Geschlechterbildern und mit diesen verbundenen Werturteilen. So weist Döveling
(2016) auf der Grundlage einer Analyse populärer Serienformate auf ein medienpä-
dagogisches Desiderat hin, das die Dekonstruktion hegemonialer Geschlechterver-
hältnisse betrifft. Ein weiteres Beispiel ist die Analyse von Familienbildern im
medialen Diskurs durch Tank und Prinzing (2016), in der die Autorinnen unter
Bezugnahme auf Frasers Gerechtigkeitstheorie zu der Erkenntnis gelangen, dass
ein traditionelles Familienbild dominiert.
Internetmedien erweitern die Untersuchungsgegenstände feministischer medien-
ethischer Analysen: Drüeke (2016) analysiert z. B. die Twitterkampagne #aufschrei
aus einer medienethisch-feministischen Perspektive. Die Rahmenbedingungen me-
dialer Repräsentationen und Diskurse werden aus einer medienethischen Perspektive
in den Blick genommen, wenn Weigand (2014) die Beurteilungsrichtlinien, nach
denen problematische Geschlechterdarstellungen im Jugendmedienschutz beurteilt
werden, analysiert und Röben (2014) den Blick auf die Produzierenden medialer
Inhalte lenkt und fragt, ob mehr Frauen in Medienberufen die Berufsmoral erhöhen,
wobei sich zeigt, dass Ethik keine Frage des Geschlechts ist.

4 Fazit

Während innerhalb der feministischen Medienethik auf der theoretischen Ebene genuin
medienethische Anknüpfungspunkte (z. B. zwischen „Feminismus, Pragmatismus und
Medienethik“, Filipović 2016) gesucht und gefunden werden, stehen die empirischen
Untersuchungen der medienethischen Geschlechterforschung eher in der Tradition der
feministischen Medienforschung, wobei aktuell deutlicher als davor medienethische
Aspekte berücksichtigt werden.
Wiewohl die Fachdiskurse aus den Bereichen der Medien- und Kommunikations-
ethik und der feministischen Medienforschung über einen langen Zeitraum kaum
Bezug aufeinander genommen haben, lassen sich wichtige Perspektiven einer fe-
ministischen Medienethik ausmachen. Die beiden Diskurse weisen viele Schnitt-
stellen auf (Krainer et al. 2016, S. 10–13), deren weitere kooperative Bearbeitung
lohnend erscheint. Dazu zählen insbesondere:

• die Beschäftigung mit gesellschaftlichen und kulturellen Werten bzw. Normen,


• die Auseinandersetzung mit Fragen von Gleichheit und Ungleichheit, Gerechtig-
keit oder Diskriminierung,
• eine Erweiterung der Perspektive um strukturelle Aspekte im Sinne einer Ana-
lysearbeit auf der gesellschaftlichen Makroebene (Gesetzgebung, Medienregulie-
rung), auf der Mesoebene der Organisationen (z. B. Medienunternehmen) sowie
698 L. Krainer und S. Kannengießer

auf der Mikroebene der handelnden Personen (z. B. Journalist*innen oder Rezi-
pient*innen),
• das Anliegen, zwischen Theorie und Anwendungsfeldern zu vermitteln,
• das Verfolgen politischer Anliegen und Interessen.

Ein weiteres Zusammenbringen der Fachdiskurse der Kommunikations- und


Medienethik, der feministischen Ethik sowie der feministischen Medienforschung
und ein Ausloten der Schnittstellen der einzelnen Diskurse bleibt ein wichtiges
theoretisches und empirisches Forschungsdesiderat. Nicht zuletzt, weil ein gestie-
gener Ethik-Bedarf (Funiok 2002, S. 37) besteht.

Literatur
Altmeppen, Klaus-Dieter. 2016. Macht. Grundbegriffe der Kommunikations- und Medienethik.
Communicatio Socialis 49(2): 191–200.
Averbeck-Lietz, Stefanie. 2014. Transparenz, Verantwortung und Diskursivität als Herausforderun-
gen einer Ethik der Online-Kommunikaion. In Kommunikation über Grenzen. Studien deutsch-
sprachiger Kommunikationswissenschaftler zu Ehren von Prof. Dr. Jan Hemels, Hrsg. Arnulf
Kutsch, Stefanie Averbeck-Lietz, und Heinz Eickmans, 79–107. Münster: LIT.
Beauvoir, Simone de. 1970. Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. Reinbek bei
Hamburg: Rohwolt.
Butler, Judith. 1991. Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Colby, Anne, und Lawrence Kohlberg. 1986. Das moralische Urteil: Der kognitionszentrierte
entwicklungspsychologische Ansatz. In Gesellschaftlicher Zwang und moralische Autonomie,
Hrsg. Hans Bertram, 130–162. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Debatin, Bernhard. 2016. Verantwortung. Grundbegriffe der Kommunikations- und Medienethik.
Communication Socialis 49(1): 68–73.
Debatin, Bernhard, und Rüdiger Funiok, Hrsg. 2003. Kommunikations- und Medienethik. Kon-
stanz: UVK.
Decker, Jan-Oliver. 2011. „Germany’s Next Topmodel“ – Initiation durch Domestikation. Zur
Konzeption der Person in Castingshows. In Medien – Rituale – Jugend. Perspektiven auf
Medienkommunikation im Alltag junger Menschen, Hrsg. Petra Grimm und Oliver Zöllner,
135–156. Stuttgart: Steiner.
Döveling, Katrin. 2016. Gender in Serie. Alles nur Seifenblase oder Tabubruch als Programm? Eine
medienethische Analyse genderspezifischer Darstellungs- und Aneignungsmuster in populären
Serienformaten. In Eine Frage der Ethik? Eine Ethik des Fragens. Interdisziplinäre Unter-
suchungen zu Medien, Ethik und Geschlecht, Hrsg. Sigrid Kannengießer, Larissa Krainer,
Claudia Riesmeyer, und Ingrid Stapf, 134–152. Weinheim und Basel: Beltz Juventa.
Drüeke, Ricarda. 2016. Ein Tweet sagt mehr als 140 Zeichen? #aufschrei als feministische Pro-
testartikulation. In Eine Frage der Ethik? Eine Ethik des Fragens. Interdisziplinäre Unter-
suchungen zu Medien, Ethik und Geschlecht, Hrsg. Sigrid Kannengießer, Larissa Krainer,
Claudia Riesmeyer, und Ingrid Stapf, 153–164. Weinheim und Basel: Beltz Juventa.
Filipović, Alexander. 2016. Feminismus – Pragmatismus – Medienethik. Zur Frage nach der
geeigneten Moralphilosophie für die Gender-Medien-Thematik. In Eine Frage der Ethik? Eine
Ethik des Fragens. Interdisziplinäre Untersuchungen zu Medien, Ethik und Geschlecht, Hrsg.
Sigrid Kannengießer, Larissa Krainer, Claudia Riesmeyer, und Ingrid Stapf, 82–94. Weinheim
und Basel: Beltz Juventa.
Fraser, Nancy. 2003. Soziale Gerechtigkeit im Zeitalter der Identitätspolitik. Umverteilung, An-
erkennung und Beteiligung. In Umverteilung oder Anerkennung? Eine politisch-philosophische
Kontroverse, Hrsg. Nancy Fraser und Axel Honneth, 13–128. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Medienethik und feministische Medienforschung 699

Funiok, Rüdiger. 2002. Medienethik: Trotz Stolpersteinen ist der Wertediskurs über Medien unver-
zichtbar. In Medien und Ethik, Hrsg. Matthias Karmasin, 37–58. Stuttgart: Reclam.
Funiok, Rüdiger. 2011. Medienethik. Verantwortung in der Mediengesellschaft. 2., durchges. u. akt.
Aufl. Stuttgart: W. Kohlhammer.
Funiok, Rüdiger. 2016. Werte. Grundbegriffe der Kommunikations- und Medienethik. Communi-
catio Socialis 49(3): 322–326.
Gilligan, Carol. 1982. In a Different Voice: Psychological Theory and Women’s Development.
Cambridge: Harvard University Press.
Gordon, David A., und John Michael Kittross. 1999. Controversies in media ethics. New York:
Longman.
Grimm, Petra. 2014. Gender aus medienethischer Sicht – eine Einführung. In Medien – Rituale –
Jugend. Perspektiven auf Medienkommunikation im Alltag junger Menschen, Hrsg. Petra
Grimm und Oliver Zöllner, 7–18. Stuttgart: Steiner.
Grimm, Petra, und Oliver Zöllner, Hrsg. 2014. Gender im medienethischen Diskurs. Stuttgart:
Franz Steiner.
Günter, Andrea. 2016. Die Praxis der Differenz und die mediale ethisch-menschliche Existenz. Eine
Kritik des Anerkennungsparadigmas. In Eine Frage der Ethik? Eine Ethik des Fragens. Inter-
disziplinäre Untersuchungen zu Medien, Ethik und Geschlecht, Hrsg. Sigrid Kannengießer,
Larissa Krainer, Claudia Riesmeyer, und Ingrid Stapf, 64–80. Weinheim und Basel: Beltz
Juventa.
Heesen, Jessica, Hrsg. 2016. Handbuch Medien- und Informationsethik. Stuttgart: Metzler.
Heesen, Jessica. 2017. Informationelle Selbstbestimmung. Grundbegriffe der Kommunikations-
und Medienethik. Communicatio Socialis 50(4): 495–500.
Herbst, Liesa. 2015. Von Natur aus anders. Die Biologisierung der Geschlechterdifferenz und ihre
Renaissance in populären Sachbüchern. Wien: LIT.
Horster, Detlef. 1998. Der Streit um die „weibliche“ Moral und die Entwicklung einer differenzier-
ten Moralauffassung. In Weibliche Moral – ein Mythos? Hrsg. Detlef Horster, 7–30. Frankfurt
a. M.: Suhrkamp.
Kannengießer, Sigrid. 2011. Transformative Anerkennung: Medienethik und Geschlechterge-
rechtigkeit. In Ethik – Anerkennung – Gerechtigkeit. Philosophische, literarische und gesell-
schaftliche Perspektiven, Hrsg. Alexandra Böhm, Antje Kley, und Marc Schönleben, 333–349.
Paderborn: Wilhelm Fink.
Kannengießer, Sigrid. 2019. Digitale Medien und Nachhaltigkeit. Medienpraktiken für ein „gutes
Leben“. Unveröffentlichte Habilitationsschrift: Universität Bremen.
Kannengießer, Sigrid, Larissa Krainer, Claudia Riesmeyer, und Ingrid Stapf, Hrsg. 2016. Eine
Frage der Ethik? Eine Ethik des Fragens. Interdisziplinäre Untersuchungen zu Medien, Ethik
und Geschlecht. Weinheim und Basel: Beltz Juventa.
Katzer, Catarina. 2011. Das Phänomen Cyberbullying – Genderaspekte und medienethische Kon-
sequenzen. In Medien – Ethik – Gewalt. Neue Perspektiven, Hrsg. Petra Grimm und Heinrich
Badura, 101–108. Stuttgart: Steiner.
Kieran, Matthew, Hrsg. 1998. Media Ethics. London: Routledge.
Klaus, Elisabeth. 1998. Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung. Zur Bedeutung
der Frauen in den Massenmedien und im Journalismus. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Klaus, Elisabeth. 2016. „Moral ist grauslich“ – Ethik auch? Das Verhältnis von Medien, Ethik und
Geschlecht als Suchbewegung zwischen Gleichheit und Differenz. In Eine Frage der Ethik?
Eine Ethik des Fragens. Interdisziplinäre Untersuchungen zu Medien, Ethik und Geschlecht,
Hrsg. Sigrid Kannengießer, Larissa Krainer, Claudia Riesmeyer, und Ingrid Stapf, 24–32.
Weinheim und Basel: Beltz Juventa.
Krah, Hans. 2002. Bilder von Transsexuellen – Menschenbilder? In Menschenbilder in den Medien –
ethische Vorbilder? Hrsg. Petra Grimm und Rafael Capurro, 111–122. Stuttgart: Steiner.
Krainer, Larissa. 2001. Medien und Ethik. Zur Organisation medienethischer Entscheidungspro-
zesse. München: Kopaed Verlag.
700 L. Krainer und S. Kannengießer

Krainer, Larissa. 2014. Gender im medienethischen Diskurs. Eine Leerstelle, die gefüllt werden
sollte. In Gender im medienethischen Diskurs, Hrsg. Petra Grimm und Oliver Zöllner, 19–38.
Stuttgart: Franz Steiner.
Krainer, Larissa. 2015. Medienethik als Aufgabe inter- und transdisziplinärer Reflexionsleistung.
Ein Beitrag zur deutschsprachigen Fachgeschichte und Fachzukunft. In Neuvermessung der
Medienethik. Bilanz, Themen und Herausforderungen seit 2000, Hrsg. Marlies Prinzing, Mat-
thias Rath, Christian Schicha, und Ingrid Stapf, 35–55. Weinheim und Basel: Beltz Juventa.
Krainer, Larissa. 2018. Gerechtigkeit. Grundbegriffe der Kommunikations- und Medienethik.
Communicatio Socialis 51(3): 319–324.
Krainer, Larissa, Sigrid Kannengießer, Claudia Riesmeyer, und Ingrid Stapf. 2016. Interdisziplinäre
Untersuchungen zu Medien, Ethik und Geschlecht. Eine erste Annäherung. In Eine Frage der
Ethik? Eine Ethik des Fragens. Interdisziplinäre Untersuchungen zu Medien, Ethik und Ge-
schlecht, Hrsg. Sigrid Kannengießer, Larissa Krainer, Claudia Riesmeyer, und Ingrid Stapf,
9–22. Weinheim und Basel: Beltz Juventa.
Meier, Klaus. 2017. Transparenz. Grundbegriffe der Kommunikations- und Medienethik. Commu-
nicatio Socialis 50(2): 223–228.
Nagl-Docekal, Herta. 1998. Feministische Ethik oder eine Theorie weiblicher Moral? In Weibliche
Moral – ein Mythos? Hrsg. Detlef Horster, 42–72. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Nunner-Winkler, Gertrud. 1998. Der Mythos von den zwei Moralen. In Weibliche Moral – ein
Mythos? Hrsg. Detlef Horster, 73–98. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Peil, Corinna. 2011. Gender-Rituale in der Mobilkommunikation von Jugendlichen. In Medien –
Rituale – Jugend. Perspektiven auf Medienkommunikation im Alltag junger Menschen, Hrsg.
Petra Grimm und Oliver Zöllner, 59–80. Stuttgart: Steiner.
Piper, Annemarie. 1998. Gibt es eine feministische Ethik? München: Fink.
Rath, Matthias. 2002. Medienqualität zwischen Empirie und Ethik. Zur Notwendigkeit des norma-
tiven und empirischen Projekts ,Media Assessment‘. In Medien und Ethik, Hrsg. Matthias
Karmasin, 59–76. Stuttgart: Reclam.
Rath, Matthias. 2018. Freiheit. Grundbegriffe der Kommunikations- und Medienethik. Communi-
catio Socialis 51(2): 192–198.
Röben, Bärbel. 2014. Mehr Medien-Frauen – bessere Berufsmoral? Verantwortungsethische Per-
spektiven für die Informationsvermittlung in Journalismus und PR. In Gender im mediene-
thischen Diskurs, Hrsg. Petra Grimm und Oliver Zöllner, 183–199. Stuttgart: Steiner.
Schicha, Christian, und Carsten Brosda, Hrsg. 2010. Handbuch Medienethik. Wiesbaden: VS
Verlag für Sozialwissenschaften.
Tank, Jennifer, und Marlies Prinsing. 2016. Klischeebeladene Randfiguren? Doppelt belastet: Die
Rolle von Frauen und Männern im Mediendiskurs über Familien. In Eine Frage der Ethik? Eine
Ethik des Fragens. Interdisziplinäre Untersuchungen zu Medien, Ethik und Geschlecht, Hrsg.
Sigrid Kannengießer, Larissa Krainer, Claudia Riesmeyer, und Ingrid Stapf, 165–186. Wein-
heim und Basel: Beltz Juventa.
Weber, Karsten. 2016. Welche Gerechtigkeit kann gendersensible Gerechtigkeit in der Medienethik
sein? In Eine Frage der Ethik? Eine Ethik des Fragens. Interdisziplinäre Untersuchungen zu
Medien, Ethik und Geschlecht, Hrsg. Sigrid Kannengießer, Larissa Krainer, Claudia Riesmeyer,
und Ingrid Stapf, 48–63. Weinheim und Basel: Beltz Juventa.
Weigand, Verena. 2014. Einseitige und stereotype Geschlechterrollen – Überschreitung der recht-
lichen Grenzen im Fernsehen. In Gender im medienethischen Diskurs, Hrsg. Petra Grimm und
Oliver Zöllner, 39–49. Stuttgart: Steiner.
Winter, Sabine. 2001. Sexismus in deutschen Nachrichtenmagazinen. Münster: LIT.
Zaremba, Jutta. 2010. Heldinnen in Computerspielen. In Computerspiele – Neue Herausforderun-
gen für die Ethik? Hrsg. Petra Grimm und Rafael Capurro, 85–92. Stuttgart: Steiner.
Geschlechtsbasierte Gewalt:
Berichterstattung, Diskurse und
feministische Interventionen

Brigitte Geiger und Birgit Wolf

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 702
2 Geschlechtsbasierte Gewalt: Begrifflichkeit und Verortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 703
3 Medien, Gewalt und Geschlecht: Debatten und Kontexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 705
4 Feministische Anti-Gewalt-Bewegung: Strategien und Handlungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711
5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 715
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 716

Zusammenfassung
Geschlechtsbasierte Gewalt war und ist ein wichtiges Aktionsfeld der Frauen*be-
wegungen und Gegenstand der Frauen*- und Genderforschung. Enttabuisierung
und Sichtbarmachung der verschiedenen Formen geschlechtsbasierter Gewalt
sowie die Etablierung als soziales Problem und Unrecht waren wichtige Inter-
ventionen. Medien und öffentliche Diskurse spielen daher eine zentrale Rolle für
die Prävention von Gewalt; sie haben einen wesentlichen Anteil an der Stabili-
sierung wie auch Veränderung symbolischer Genderordnungen und geschlecht-
licher Gewaltverhältnisse. Die feministische Medienforschung ist mit ihrer Kritik
daher umfassend involviert, explizit beziehen sich Forschungen zum Themenfeld
vor allem auf zwei Bereiche – Analysen der Repräsentationen geschlechtsbasier-

B. Geiger (*)
Universität Wien, Wien, Österreich
E-Mail: brigitte.geiger@univie.ac.at
B. Wolf
Frauenhelpline, Verein AÖF Autonome Österreichische Frauenhäuser, Wien, Österreich
Mank, Österreich
E-Mail: office@birgitwolf.net

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 701
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_36
702 B. Geiger und B. Wolf

ter Gewalt und öffentlicher Diskurse sowie die feministische Praxis begleitende
Reflexionen der Kontexte, Handlungsfelder und Interventionen von Anti-Gewalt-
Initiativen. Der Beitrag gibt Einblick in die Anfänge der Anti-Gewalt-Bewegung,
ihre enge Verknüpfung mit feministischem Aktivismus und liefert einen explo-
rativen Querschnitt zur feministisch-kommunikationswissenschaftlichen Auf-
und Bearbeitung des strukturellen und globalen Gesellschaftsproblems der gen-
derbasierten Gewalt.

Schlüsselwörter
Gewalt an Frauen* – Genderbasierte Gewalt · Sexuelle/sexualisierte Gewalt ·
Anti-Gewalt-Bewegung · Gewalt in den Medien · Gewaltprävention · Hashtag-
Aktivismus

1 Einleitung

Gewalt als ein zentrales Element binärer und hierarchischer Geschlechterkonstruk-


tionen sowie Mittel vergeschlechtlichter Macht- und Dominanzverhältnisse war von
Beginn an ein wichtiges Aktionsfeld der Frauen*bewegungen und eine Quer-
schnittsmaterie der Frauen- und Geschlechterforschung. Die Frauenbewegungen
haben seit den 1970er-Jahren im Sinne des Slogans „Das Private ist politisch“ die
lange tabuisierte Gewalt im Geschlechterverhältnis sichtbar gemacht. Nach und nach
gelang den internationalen feministischen Anti-Gewalt-Bewegungen Gewalt an
Frauen*1 bzw. geschlechtsbasierte Gewalt als soziales Problem in das öffentliche
Bewusstsein und auf die politische Agenda zu setzen, Maßnahmen in Gang zu
bringen und sich so als wichtige Akteurinnen im Gewaltschutz und der Prävention
zu etablieren.
Da Medien und öffentliche Diskurse wesentlich Anteil an der Stabilisierung wie
Veränderung symbolischer Genderordnungen und geschlechtlicher Gewaltverhält-
nisse haben, sind sie auch ein wichtiges Interventionsfeld dieser Anti-Gewalt-Be-
wegungen. Bewusstseinsbildung und die Rolle der Medien bilden eines der
Kernziele der wichtigsten internationalen Abkommen zur Bekämpfung geschlechts-
basierter Gewalt. Damit ist feministische Medienforschung mit ihrer Kritik umfas-
send involviert, explizit beziehen sich Forschungen zum Themenfeld auf zwei
Bereiche – Analysen der Repräsentation und Verhandlung geschlechtsbasierter
Gewalt in den Medien und in öffentlichen Diskursen sowie die feministische Praxis
begleitende Reflexionen der Kontexte, Handlungsfelder und Strategien von Inter-
ventionen und Anti-Gewalt-Initiativen.

1
Wir verwenden in der Folge Gewalt an Frauen oder Gewalt an Frauen* je nach historischem und
institutionellem Kontext.
Geschlechtsbasierte Gewalt: Berichterstattung, Diskurse und . . . 703

2 Geschlechtsbasierte Gewalt: Begrifflichkeit und Verortung

Gewalt an Frauen wird in internationalen Dokumenten wie der UN-Erklärung über


die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen von 1993 oder der Istanbul-Konvention
von 2011 als Ausdruck historisch gewachsener ungleicher Machtverhältnisse zwi-
schen Männern und Frauen erklärt, die dazu geführt haben, dass Frauen von
Männern dominiert und diskriminiert sowie daran gehindert werden, sich gleichbe-
rechtigt zu entfalten (United Nations 1993, S. 239; CoE 2011, S. 3). Carol
Hagemann-White (1992, S. 23) definiert „Gewalt im Geschlechterverhältnis“ als
„jede Verletzung der körperlichen oder seelischen Integrität einer Person, welche mit
der Geschlechtlichkeit des Opfers und des Täters zusammenhängt und unter Aus-
nutzung eines Machtverhältnisses durch die strukturell stärkere Person zugefügt
wird“. In internationalen Abkommen wird Gewalt an Frauen als gender- bzw.
geschlechtsbasierte Form von Gewalt definiert, die Frauen erfahren, weil sie Frauen
sind, oder von der Frauen überproportional häufig betroffen sind (CoE 2011, S. 5).
Neben dem Begriff Gewalt an Frauen, mit dem die Frauen*bewegungen das
Problem in patriarchalen Strukturen zunächst skandalisiert und verankert haben,
etablieren sich weitere Bezeichnungen, die unterschiedliche Sichtweisen reflektieren
und einen entsprechenden Fokus für Politiken und Forschung vorgeben (Swanton
2019; DeKeseredy und Schwartz 2011). Häusliche Gewalt, Gewalt im sozialen
Nahraum und familiäre Gewalt betonen den räumlichen bzw. sozialen Kontext,
verschleiern allerdings die Genderdimension und neutralisieren Opfer wie Täter
(Wolf 2021). Im Zuge dekonstruktivistischer Theorieentwicklungen wird die Be-
zeichnung Gewalt gegen Frauen zunehmend wegen der inhärenten essentialisieren-
den binären Konstruktion problematisiert; zudem tendiert der Fokus auf die Opfer
dazu, Frauen Agency abzusprechen (Wolf 2013, 2018; Hagemann-White 2019).
Dementsprechend wird heute (auch hier) der Begriff geschlechtsbasierte bzw. auch
geschlechtsbezogene Gewalt bevorzugt. Dieser inklusivere Begriff ermöglicht Dif-
ferenzierung und Erweiterung, z. B. um homophobe und transphobe Gewalt. Al-
lerdings kann er auch einer Depolitisierung Vorschub leisten und die immer
gegebene hohe Prävalenz bei Frauen* verschleiern. Dies ist durch eine Begriffs-
kombination wie z. B. genderbasierte Gewalt an Frauen* (und/oder an LGBTIQ+-
Personen) vermeidbar (Swanton 2019; Wolf 2021). In den letzten Jahren hat der
Begriff Femizid vermehrt Einzug in die deutschsprachigen Medien gehalten. Er
bezeichnet ein Tötungsdelikt an einer Frau, das maßgeblich mit dem weiblichen
Geschlecht des Opfers in Zusammenhang steht, z. B. motiviert durch Hass, Ver-
achtung oder einen Eigentumsanspruch an Frauen (Russell und Caputi 1990).
Parallel dazu wird der von lateinamerikanischen Aktivist*innen verwendete Begriff
Feminizid („feminicidio“) aufgegriffen, um auf Straflosigkeit und institutionelle
Gewalt angesichts inadäquater Antworten des Staates zu verweisen. Neben der
gängigen Bezeichnung sexuelle Gewalt betont der neuere Begriff sexualisierte
Gewalt, dass es nicht primär um Sexualität oder Sexuelles geht, sondern um eine
Form von Gewalt gegen den intimsten Bereich eines Menschen, um die Demons-
tration von Macht und Überlegenheit durch Erniedrigung und Entwürdigung
(Mischkowski 2006, S. 16).
704 B. Geiger und B. Wolf

Geschlechtsbasierte Gewalt umfasst physische, psychische, ökonomische sowie


sexuelle Gewalt wie Belästigung, Vergewaltigung oder Missbrauch als Dimensionen
direkter bzw. persönlicher Gewalt und ist in gesellschaftliche Strukturen von Un-
gleichverhältnissen eingelassen. Dem Modell von Johan Galtung (1990) folgend
betont die feministische Anti-Gewalt-Forschung den Konnex von direkten und
indirekten, also strukturellen und symbolischen Formen von Gewalt. So gilt (media-
le) Repräsentation als Form symbolischer Gewalt, wenn sie Machtgefälle und
Gewaltverhältnisse stützt. Bourdieus (2005) Konzept „Männliche Herrschaft“ ver-
weist auf die sozialen und symbolischen Kräfteverhältnisse zwischen den Ge-
schlechtern. Symbolische Gewalt durch Sprache, Kommunikation, Denk- und Ver-
haltensweisen dient der Verschleierung, Kaschierung und Naturalisierung von
Machtverhältnissen und ist deshalb gerade in den Medien relevant und folgenreich.
Diskursive Gewalt verdeutlicht, dass gerade die Konstruktion, also diskursive Her-
vorbringung des „Anderen“ durch Trennungen und Hierarchien, eine Form von
Gewalt ist (Galtung 1990, S. 295). Birgit Sauer (2011) kombiniert nun die Konzepte
struktureller und diskursiver Gewalt zu einem intersektionalen Gewaltbegriff, der
verschränkte Ungleichheits- und Gewaltstrukturen berücksichtigt und Kategorisie-
rungen durch Kultur, Herkunft/Ethnie, Nationalität, Religion, sexuelle Orientierung,
Klasse dekonstruiert.
Bei interpersonaler genderbasierter Gewalt handelt es sich also um ein multi-
faktorielles Geschehen, das sich nicht als rein individuelles Problem und Ent-
gleisung pathologischer Einzelpersonen verstehen lässt, sondern als Teil männ-
licher Identitätspraktiken (Lehner 2007, S. 92) und gewaltstützender Strukturen,
wie dem patriarchalen Eherecht bis weit in die 1970er-Jahre oder fehlender
Strafbarkeit.
Die Hartnäckigkeit misogyner Denkmuster verdeutlicht die Eurobarometer-
studie über Einstellungen zu genderbasierter Gewalt: So meinen im EU-Schnitt
17 %, dass Gewalt an Frauen oft vom Opfer provoziert werde, und 22 %, dass
Frauen Missbrauchs- oder Vergewaltigungsvorwürfe oftmals erfinden bzw. über-
treiben (in Deutschland und Österreich jeweils noch etwas mehr). Ganze 27 %
stimmen sogar zu, dass Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung unter bestimmten
Umständen gerechtfertigt sein könne (Europäische Kommission 2016). Diese
Einstellungen verweisen auf die Abwertung von Frauen, nach Hagemann-White
et al. (2010) ein wesentlicher Faktor für Männergewalt, indem ihnen Glaubwür-
digkeit abgesprochen und Teilschuld zugeschrieben wird. Für Betroffene gender-
basierter Gewalt bedeutet dies eine enorme Erschwernis durch Victim blaming
sowie Opfer-Täter-Umkehr und damit das Risiko einer Sekundärviktimisierung.
Dieses Zusammenspiel direkter und indirekter Gewalt an Frauen* fasst Birgit Wolf
(2013, 2018) als dispositives Machtarrangement, das sich in verschiedenen Ebe-
nen manifestiert bzw. diese durchdringt.
Ausmaß und weite Verbreitung von Gewalt an Frauen* belegt die größte reprä-
sentative Dunkelfeldstudie, wonach in der EU jede dritte Frau von körperlicher
und/oder sexueller Gewalt, jede zweite Frau von sexueller Belästigung betroffen
ist (FRA 2014). Das heute weitreichendste und umfassendste Rechtsinstrument zur
Geschlechtsbasierte Gewalt: Berichterstattung, Diskurse und . . . 705

Bekämpfung dieser Gewalt, die sogenannte Istanbul-Konvention,2 verweist erneut


auf die wichtige Rolle der Medien (CoE 2011).

3 Medien, Gewalt und Geschlecht: Debatten und Kontexte

Information und Bewusstseinsbildung sind ein wesentlicher Faktor der Primärprä-


vention, d. h. der Vorbeugung von Gewalt im Vorfeld, dabei kommt Medien eine
zentrale Rolle zu. Mit entsprechendem Agenda Setting und respektvoller, grund-
legender Information können Medien zur Veränderung gesellschaftlicher Sichtwei-
sen beitragen. Umgekehrt sind sie auch in die Reproduktion symbolischer und
diskursiver Macht- und Gewaltverhältnisse verstrickt, die direkte wie indirekte
Gewalt begünstigen und normalisieren.
Die Vereinten Nationen (United Nations 1996) konstatieren bereits in den 1990er-
Jahren die Auswirkungen von geschlechtsspezifischen Rollenstereotypen in den
Medien als geschlechtsbasierte Gewalt. Die Istanbul-Konvention zur Verhütung
von Gewalt an Frauen fordert, „die Medien dazu zu ermutigen, im Zuge der Selbst-
regulierung Richtlinien und Normen zu erstellen, um den Respekt der Würde der
Frauen zu stärken und somit zur Verhütung von gegen sie gerichteter Gewalt
beizutragen [. . .] und davon abzusehen, weibliche Stereotype und erniedrigende
Bilder von Frauen, welche sie u. U. mit Gewalt und Sex in Verbindung bringen,
zu vermitteln.“ (CoE 2011, S. 63)
Gewalt, reale wie fiktionale, als ein zentraler Inhalt von Medien ist vielfach
verknüpft mit binären Positionierungen und vergeschlechtlichten Darstellungen.
Forschung zu medialen Repräsentationen von Gender und Gewalt, so Cuklanz
(2015), bezieht sich auf viele Genres und Themen, von der Rolle von Gewalt im
Verständnis von Geschlecht und Sexualität bis zu Darstellungen realer Gewalttaten,
und zeigt Objektifizierung von Frauen* und den engen Zusammenhang zwischen
Männlichkeit und Gewalt und Weiblichkeit und Viktimisierung in den US-Medien
auf. Die Normalisierung unterschiedlicher Sexismen als auch genderbasierter Ge-
walt hat sich als konstituierendes Moment der Erzählung in non-fiktionalen wie
fiktionalen Medienangeboten bis in die Gegenwart fortgesetzt. Genderbasierte Ge-
walt taucht als ein ästhetisches Narrativ auch in Werbung, Fashion-Darstellungen,
Games und Musikvideos auf, Filme und fiktionale Medienangebote sensationalisie-
ren und erotisieren Frauen* als Gewaltbetroffene und leisten so der Opfer-Täter-
Umkehr und Toleranz gegenüber Sexismen Vorschub (DeKeseredy 2011; Koch
2015; Wolf 2018).
Noch wenig erforscht sind Effekte vergeschlechtlichter Gewaltdarstellungen. In
einer umfassenden Aufarbeitung der Befunde zu Geschlechterdifferenzen in der

2
Kritisiert wird an der Istanbul-Konvention allerdings ein binäres Geschlechterverständnis. Zwar
definiert die Konvention Geschlecht im Sinne von Gender und inkludiert die sozial konstruierte
Dimension, dennoch fehlen eine LGBTIQ+-Perspektive sowie etwa die Inklusion von Genital-
verstümmelung bei intergeschlechtlichen Menschen (Rabe und Leisering 2018, S. 11–12).
706 B. Geiger und B. Wolf

Rezeption kritisiert Röser (2000) das weitgehende Ausblenden gesellschaftlicher


Kontexte und Positionierungen und den einseitigen Fokus auf Täterempathie und
Aggressionsförderung der Mainstreamgewaltforschung. Mögliche Opferempathie
und Reaktionen wie Angst und Belastung, mit denen vor allem Frauen* stärker
und früher auf Gewaltdarstellungen reagieren, sind vernachlässigt. Gerade im Gen-
derkontext können dadurch hierarchische Unterordnung und Ohnmachtsgefühle von
Frauen* verstärkt werden (Röser 2000).

3.1 Geschlechtsbasierte Gewalt als Medienthema

Eingebettet in den allgemeinen Konnex von Mediengewalt und Geschlecht kommt


der Darstellung und Thematisierung realer Gewalt in journalistischen, dokumenta-
rischen oder auch fiktionalisierten Formaten besondere Bedeutung zu, wobei eine
emotionalisierende und dramatisierende Gewaltberichterstattung, insbesondere mit
Frauen* als Opfern, eine lange journalistische Tradition hat. Ab den 1980er-Jahren
wird geschlechtsbasierte Gewalt durch die Aktivitäten der Frauenbewegungen und
Anti-Gewalt-Initiativen zunehmend Gegenstand von öffentlichen Debatten und Me-
dienberichten. Allerdings verweisen Forschung sowie (Gewalt-)Expert*innen von
den ersten Studien beginnend bis heute auf wiederkehrende Defizite – wie etwa
Themenauswahl und Fokus bis zu problematischen Darstellungsmustern, die stereo-
type Vorstellungen verstärken sowie Komplexität und strukturelle Kontexte ge-
schlechtsbasierter Gewalt ausblenden.
Wie in der Kriminalitätsberichterstattung generell (Kunczik und Zipfel 2006;
Eisenegger und Ettinger 2012) bilden auch in der Gewaltberichterstattung Nach-
richtenfaktoren wie Negativität oder Nähe, aber auch Herkunft eine verzerrte Rea-
lität ab. Berichtet wird vor allem über schwere Gewalt an Frauen*, insbesondere
Mord und Vergewaltigung, während die alltägliche Gewalt, die eine hohe Reich-
weite hat und damit viele Menschen unmittelbar betrifft, medial selten vorkommt.
Das betrifft insbesondere die Dynamik häuslicher Gewalt an Frauen. Vernachlässigt
werden zudem weniger sichtbare Formen wie z. B. psychische Gewalt. Auch
Herkunft und Status der Beteiligten verzerren die Auswahl in Richtung soziale
Randgruppen und Migration. Die Orientierung an Polizei und Gericht als bevorzugte
Quellen bedingt, dass der jeweilige Tathergang und die Perspektive aus Sicht des
Täters im Vordergrund stehen. Insgesamt bleibt die Darstellung von Opfer wie Täter
oft schemenhaft und folgt – insbesondere bei sexualisierter Gewalt und Missbrauch
– stereotypen Polarisierungen von „wehrlosem Opfer“ versus „psychopathischem
Täter“. Auch die sprachliche Vermengung von Sexualität und Gewalt ist weit
verbreitet (Forschungsüberblicke bei Cuklanz 2015; Kitzinger 2004; Wolf 2013,
2018).
Im Zentrum feministischer Reflexion und Kritik stand und steht insbesondere die
Repräsentation und Viktimisierung von Frauen*. Problematisch ist zunächst die
Teilung der Opfer in Heilige und Hure bzw. „Virgin or vamp“; nur erstere bleiben
von Victim blaming verschont (Benedict 1992). Weitere problematische Differen-
zierungen betreffen die Gegenüberstellung von „good girl/bad girl“ bzw. ein Fokus
Geschlechtsbasierte Gewalt: Berichterstattung, Diskurse und . . . 707

auf individuelle familiäre Pathologie und ein Bias entlang von race und class
(Meyers 1997). Angela Koch (2015) problematisiert in einer umfassenden Auf-
arbeitung die Darstellbarkeit und Medialisierung von sexueller Gewalt. Unbestritten
wichtig ist die durch die Frauenbewegung angeregte Enttabuisierung und zuneh-
mende mediale Sichtbarkeit geschlechtsbasierter, sexualisierter Gewalt. So half sie
besonders Betroffenen von Missbrauch bei der Auseinandersetzung mit ihren Er-
fahrungen und ihrem Umfeld, indem sie Begriffe und Namen zur Verfügung beka-
men und Erlebnisse als Gewalt benennen konnten (Kitzinger 2001). Umgekehrt
können Berichte aber auch negative Gefühle triggern, und die damit einhergehende
Opferzuschreibung zeitigt auch problematische Effekte der Reproduktion ge-
schlechtlicher Hierarchien. Wie sehr Frauen „Gewaltdrohung, Ohnmacht und be-
schränkte Bewegungsräume als ‚normalen‘ Bestandteil des Alltags erleb[en]“, zeigte
sich in Gruppendiskussionen von Rösers Rezeptionsstudie (Röser 2000, S. 351) und
wird gegenwärtig vom Hashtag-Feminismus thematisch aufgegriffen. Entsprechend
setzte sich Heberle (1996) früh kritisch mit der feministischen Strategie des speaking
out gegen sexuelle Gewalt auseinander, die in ihrem performativen Charakter
patriarchale/männliche Macht stärke und sexuelle Gewalt zu einem Bestandteil
vergeschlechtlichter Identität mache. In Von Opfern reden plädiert Moser (2007)
deshalb für kritische Reflexion und einen situativen Opferbegriff, Hagemann-White
(2019) dekonstruiert das Opfer/Täter-Begriffspaar entlang der Entwicklung der
feministischen Gewaltdiskussion.
Ambivalenzen und Defizite medialer Thematisierung geschlechtsbasierter Ge-
walt machen auch drei aktuelle Untersuchungen deutlich. So zeigt die Erhebung von
Basisdaten zur Darstellung geschlechtsspezifischer Gewalt im deutschen Fernsehen
(Linke und Kasdorf 2021), dass diese in gut einem Drittel der analysierten Sendun-
gen in unterschiedlichen Programmsparten und Genres sichtbar wird, am häufigsten
in Krimiserien. Dabei dominieren Darstellungen und Erzählungen teils expliziter
und schwerer, vor allem körperlicher Gewalt, wohingegen strukturelle Dimensionen
selten adressiert werden. Einzelfälle und besonders schwere Gewalt prägen auch die
Berichterstattung über Gewaltdelikte an Frauen* in deutschsprachigen Printmedien
und das insbesondere in Boulevardmedien; weitaus häufigere, alltägliche Gewalt-
handlungen finden kaum Erwähnung (MediaAffairs 2020; Meltzer 2021). Frauen als
Betroffene bekommen nach wie vor wenig Raum (ein Fünftel gegenüber rund der
Hälfte mit Täterfokus, Meltzer 2021). Auch im Fernsehen (Linke und Kasdorf 2021)
oder in Anti-Gewalt-Kampagnen (Wolf 2018) fehlt häufig eine differenzierte Be-
troffenenperspektive. Positiv ist, dass verharmlosende Berichte ebenfalls seltener
geworden sind (Meltzer 2021). Voyeuristische und sensationalistische Darstellungen
sowie unpassendes Wording dominieren vor allem im Boulevard. Bezüglich ver-
schiedener Betroffenengruppen geschlechtsbasierter Gewalt betont die Media-
Affairs-Studie, dass als soziale „Randgruppe“ großteils über Migrantinnen berichtet
wird, während Risikogruppen wie Frauen*, die auf Pflege/Assistenz angewiesen
sind, Frauen* mit Suchtproblematik oder Sexarbeiter*innen ausgespart bleiben.
Frauen* mit nicht-binärer Geschlechtsidentität und LGBTIQ+-Personen sowie Kin-
der und Jugendliche als Betroffene oder Zeug*innen von häuslicher Gewalt an
Fauen* bleiben unsichtbar (Wolf 2021). Selten erfolgt eine thematische Einordnung
708 B. Geiger und B. Wolf

(Meltzer 2021), und Gewalt an Frauen* im sozialen Nahraum als Gesellschafts-


thema wird am ehesten von Qualitätsmedien aufgenommen, die jedoch insgesamt
deutlich weniger berichten (MediaAffairs 2020). Nur 10 % der Berichterstattung
enthält auch Positivbeispiele, Auswege, Präventionsmaßnahmen und Anlaufstellen.
Es fehlt an politischer Kommunikation, selbst wenn schwere Gewalt und Femizid
traurige Rekordzahlen erreichen (MediaAffairs 2020; Wolf 2021). Insgesamt zeigen
sich Verbesserungen also vor allem im Qualitätssegment und einzelnen Bereichen.
Das ergibt einen großen Graben (fossé), so eine belgische Untersuchung, zwischen
der alltäglichen Chronikberichterstattung zu individualisierten Einzelfällen und all-
gemeinen Reportagen und Analysen zu Genderungleichheiten, der Orientierung
erschwere und Frauen zweifach unsichtbar mache – als nur schemenhafte Betroffene
oder hinter den abstrakten Gruppen der strukturellen Berichte (Sepulchre und
Thomas 2018).
Vor dem Hintergrund dieser medialen Defizite und der wichtigen Rolle von
Medien in der Gewaltprävention sensibilisieren Guidelines und Leitfäden Journa-
list*innen und Medien für eine verantwortungsvolle Berichterstattung über das
Thema geschlechtsbasierte Gewalt (u. a. Funk und Geiger 2003; AÖF 2014; Unesco
2019; UN Women o. J.). Toledo und Lagos Lira (2014) bezweifeln allerdings deren
Effektivität, solange und weil sie nicht mit Sanktionen verbunden sind. Die Hand-
reichungen knüpfen an Kritik aus den Medienanalysen und von Gewalt- und Me-
dienexpert*innen an und betonen, bei textlichen und visuellen Botschaften auf den
möglichen Beitrag zu Bewusstseinsbildung und Prävention zu achten, Stigmatisie-
rung der Betroffenen, Täter-Opfer-Umkehr, realitätsferne sowie sensationslüsterne
oder kompromittierende Darstellungen zu vermeiden. Anregungen für Interviews
mit Betroffenen, um Retraumatisierungen zu vermeiden, Diversifizierung der Infor-
mationsquellen, die Verwendung adäquater Erklärungsansätze, Begriffe und einer
respektvollen, enttabuisierenden Sprache zählen ebenfalls zu den Empfehlungen so
wie der Hinweis, auch auf unsichtbare Aspekte wie psychologische und wirtschaft-
liche Gewalt oder bestimmte marginalisierte Opfergruppen zu achten. Um Journa-
list*innen eine Einordnung in gesellschaftliche Kontexte und Hintergrundinforma-
tionen zu Ausmaß, Wirkung und Folgen von Gewalt zu erleichtern, bieten die
Leitfäden oft detaillierte Informationen zu einzelnen Gewaltformen. Hinweise auf
Hilfseinrichtungen für Betroffene und Konsequenzen für Aggressoren sollen mit-
helfen, „ein Klima zu schaffen, in dem Gewalt gegen Frauen* nicht toleriert wird“
(Geiger und Wolf 2014, S. 9).

3.2 Prominente Täter zwischen Sensation und Diskurs

Spektakuläre Fälle und Gerichtsverfahren zu geschlechtsbasierter (sexualisierter)


Gewalt mit prominenten Beteiligten verweisen wie in einem Brennglas auf Muster
und Problemfelder medialer Diskurse und machen Ambivalenzen gewandelter Ge-
schlechterverhältnisse sowie weiter bestehender Verharmlosung genderbasierter Ge-
walt sichtbar.
Geschlechtsbasierte Gewalt: Berichterstattung, Diskurse und . . . 709

Das strukturelle Ungleichgewicht zwischen prominentem Beschuldigten und


anonymen Betroffenen verschärft die ohnehin gängige Täterzentrierung medialer
Berichterstattung. Ilse Lenz (2011) sah im Mediendiskurs und den Online-Debatten
zum Prozess gegen den deutschen Moderator Jörg Kachelmann einen neuen Anti-
feminismus wirksam werden, der den Beschuldigten zum Opfer der Justiz und die
rachsüchtige Frau sowie Falschaussagen stereotyp als Bedrohung für „die Männer“
inszeniert. Ergänzend zu bisherigen opferzentrierten Verfahrensverbesserungen soll-
te zur Gewährleistung einer Balance die bestehende Unschuldsvermutung für Täter
durch eine Glaubwürdigkeitsvermutung für Opfer ergänzt werden (Lenz 2011).
In den transnationalen Debatten zur Verhaftung von Ex-IWF-Chef Dominique
Strauss-Kahn (im Folgenden DSK) bildete das oft prekäre Verhältnis von (Medien-)
Öffentlichkeit und Schutz von Persönlichkeitsrechten einen Schwerpunkt. So wurde
vor allem der (US-amerikanische) Medienpranger und Puritanismus beklagt, ihm die
französische Diskretion und Lebensart entgegengesetzt, bis Feministinnen interve-
nierten und auf die dunkle Kehrseite eines Codes des Schweigens, der die Eliten und
Mächtigen schützt, verwiesen (Geiger 2015).
Cuklanz (2020) analysierte die Berichterstattung zweier #MeToo-Fälle im Me-
dienumfeld (Charlie Rose und Matt Lauer) in New York Times und Washington Post.
Als Effekte der #MeToo-Debatte fand sie zwar auch das Verhalten der Beschuldig-
ten, Machtmissbrauch und die Rolle der Organisationskultur problematisiert, über-
wiegend stand jedoch die Sicht des Beschuldigten im Mittelpunkt, seine Leistungen,
der tiefe Fall sowie die Konsequenzen für die Karriere und der Schaden für seine
Organisation. Die Opferseite, die Folgen der Gewalterfahrung, die berufliche Belas-
tung, das Risiko der Retraumatisierung der betroffenen Frau durch Verfahren und
Medienberichterstattung wurde nur am Rande gestreift (Cuklanz 2020). Diese
Schieflage und Repräsentationshierarchie war im DSK-Fall besonders deutlich, bis
Nafissatou Diallo offensiv im Namen der Frauen an die Öffentlichkeit ging (Geiger
2015). Cuklanz verortet zwar Hinweise zur Sichtbarkeit dieses Problems, jedoch
keine befriedigende Form geänderter Narrative jenseits der Stimmen der Täter und
von Expert*innen (Cuklanz 2020, S. 260).
Solche Medienevents prominenter Fälle können Katalysatoren für öffentliche
Debatten gesellschaftlicher Zusammenhänge sein, wo strukturelle Kontexte und
Hintergründe geschlechtsbasierter Gewalt angesprochen werden, allerdings oft
stark reduziert und verzerrt mit einem bewundernden Blick auf die Erotik der Macht,
wie sich in der „DSK-Affäre“ (in deutschsprachigen Medien) zeigte (Geiger 2015).
Die intersektionale Verknüpfung mit Klasse und Rassialisierung war zwar anekdo-
tisch präsent (die Luxussuite, das schwarze Zimmermädchen), aber selten angemes-
sen thematisiert. Falquet (2013) problematisiert zudem, dass Medien wie feministi-
sche Bewegungen stärker auf sexualisierte Gewalt als auf die hier ebenfalls
relevanten ökonomischen und sozialen Ungleichheiten fokussieren.
710 B. Geiger und B. Wolf

3.3 Diskursive Gewalt: Othering und Kulturalisierung

Der erfolgreich etablierte Frame „Gewalt an Frauen* als Unrecht“ machte das
Thema auch für diskursive und politische Instrumentalisierungen attraktiv, diente
als Legitimation für Kriege in Kosovo und Afghanistan (Klaus und Kassel 2008)
und wird prominent in Abgrenzungen zwischen dem Eigenen und dem Fremden im
„Krieg gegen den Terror“ nach 9/11 sowie gegen globale Migrationsbewegungen in
Stellung gebracht. Insbesondere die muslimische Frau mit dem Kopftuch als visu-
ellem Symbol rückt als Opfer rückständiger patriarchaler Kulturen ins Zentrum
polarisierender Geschlechter- und Migrationsdiskurse (Klaus und Drüeke 2010).
Ab 2016 befeuert dann das „Ereignis Köln“ – die Gewaltausschreitungen in der
Silvesternacht 2015/16 – die Ethnisierung bzw. Kulturalisierung von Sexismus und
genderbasierter Gewalt, dienten die Übergriffe doch verallgemeinernden Konstruk-
tionen des gefährlichen männlichen Flüchtlings, gefährdeter westlicher Geschlech-
terdemokratie und zu beschützender einheimischer Frauen (Dietze 2016a; Scheibel-
hofer 2016). Auch in den öffentlich-rechtlichen Sendern ARD und ZDF wird eine
homogenisierte Tätergruppe als die „Anderen“ markiert und in der politischen
Debatte als Konsequenz vor allem Abschiebung und Verschärfung der Asylgesetz-
gebung diskutiert. Zu kurz kommen Kontextualisierung und Analyse von Sexismus
als strukturelles Problem, die Perspektiven der Betroffenen und die Stimmen von
Expert*innen und Feministinnen (Drüeke 2017). Auch in den Folgejahren wird in
den Medien die Herkunft der Täter häufiger genannt, als es dem statistischen Anteil
entspricht (Hestermann 2019). Nach Meltzer (2021) werden diese Fälle zwar nicht
überproportional berichtet, aber stärker zum Politikum gemacht. Hier wird eher auf
strukturelle Gründe bzw. wiederkehrende Tatmuster hingewiesen, während deutsche
Tatverdächtige vor allem als Einzelfall behandelt werden. In diesem Othering
werden Belästigungen und Übergriffe nun nicht mehr bagatellisiert, sondern ver-
schoben auf als „fremd“ konnotierte Gefährder. Diese Narrative werden in der Folge
insbesondere von rechten Parteien und Bewegungen aufgegriffen. So lancierte etwa
2018 die Identitäre Bewegung an #aufschrei anknüpfend ein Kampagnen-Video mit
dem Titel und Hashtag „120 Dezibel“. Im Video werden angebliche Forderungen
nach Frauenrechten mit rechter Ideologie, geschlechterbinären, rassistischen und
antifeministischen Positionen verknüpft und von einer De-Legitimierung feministi-
scher Politiken begleitet (Drüeke und Klaus 2019). Öffentliche Aufmerksamkeit
gewann die Kampagne durch die Nutzung der Netzwerklogiken von Social Media.
Adlung et al. (2021) diskutieren an dieser Kampagne die ambivalente Rolle und
Dynamik affektiver Öffentlichkeiten, wo die Kampagne die politische Legitimität
suchte durch Strategien der Dissonanz, in denen sich eine rassistische Solidarität
gegen die liberale staatliche Ordnung stellte.
Gegen dieses Kulturalisieren und rechte, rassialisierende Vereinnahmung femi-
nistischer Positionen mobilisierte unmittelbar nach den Ereignissen in der Kölner
Silvesternacht etwa der Aufruf „Gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus. Immer.
Überall. #ausnahmslos“. Gabriele Dietzes Konzepte des „Ethnosexismus“ für „Se-
xismen, denen sexualisierte Rassismen zugrunde liegen“, (Dietze 2016b, S. 178)
und „sexuellen Exzeptionalismus“ (Dietze 2019) für Überlegenheitsnarrative in
Geschlechtsbasierte Gewalt: Berichterstattung, Diskurse und . . . 711

Migrationspolitiken oder Sara Farris’ Begriff „Femonationalismus“ (Farris 2011) für


Instrumentalisierungen feministischer Diskurse für völkisch-nationalistische Zwe-
cke bzw. rassistische Argumentationen bilden Bausteine für die innerfeministische
Auseinandersetzung mit Sexismus, Rassismus und ihre intersektionalen Verschrän-
kungen.

4 Feministische Anti-Gewalt-Bewegung: Strategien und


Handlungsfelder

Das zweite große Forschungsfeld bilden feministische Politiken, Aktionen und


Netzwerke zu Gewalt und Geschlecht. Untersucht werden Entwicklungen, Strate-
gien und Handlungsfelder im Kontext von Theorien der Bewegungsforschung, von
Öffentlichkeitstheorien und Repräsentationskritik sowie Transformationen feminis-
tischer Bewegungen und Theorien.
Einen ersten Schwerpunkt bildet die Entwicklung der Anti-Gewalt-Bewegungen
ab den 1970er-Jahren als erfolgreiche Beispiele für die Interventionsmöglichkeiten
sozialer Bewegungen (für den deutschsprachigen Raum u. a. Dackweiler 2002;
Schäfer 2002; Geiger 2008). In den kompakten Kommunikationszusammenhängen
der ersten Frauenzentren und (Selbsterfahrungs-)Gruppen und über die ersten publi-
zistischen Medien wurden nach und nach die verschiedenen Formen der Gewalt an
Frauen oft erstmals als Gewalt benannt und im Kontext patriarchaler Machtverhält-
nisse mit einem weiten Gewaltbegriff skandalisiert. Diese Phase mobilisierender
Identitätspolitik, des Protests und der Selbsthilfe wurde bald ergänzt durch eine
pragmatische „Politik der Einflussnahme und Reform“ (Schäfer 2002) in den Ge-
waltschutzprojekten mit Informationsarbeit, Begleitforschung und Lobbying. In der
Zusammenarbeit mit der institutionellen Frauen- und Gleichstellungspolitik (natio-
nal und international) als wichtigem „Einflusskanal“ (Dackweiler 2002) gelang es,
den Deutungsrahmen Gewalt an Frauen als gesellschaftliches Problem und Unrecht
zu etablieren und wichtige Gesetze und Verfahrensänderungen durchzusetzen, so
etwa das im europäischen Kontext beispielgebende österreichische Gewaltschutz-
gesetz von 1997 (Logar 2004). Im Kontext der internationalen Frauenbewegungen
rund um die Weltfrauenkonferenzen erfolgte weiters der Anschluss an den Men-
schenrechtsdiskurs. In einer „Mehr-Ebenen-Politik“ (Wölte 2002) zwischen lokalen
Initiativen, national-staatlichen Akteur*innen und UN-Institutionen wurde ge-
schlechtsbasierte Gewalt auf die internationale Agenda gesetzt. Nach globaler Mo-
bilisierung im Vorfeld, Petition und NGO-Forum vor Ort wurde bei der UN-
Menschenrechtskonferenz 1993 in Wien erstmals auch privat verübte Gewalt an
Frauen als Menschenrechtsverletzung in einem offiziellen Dokument benannt (Wöl-
te 2002; Joachim 2001). Im Kampf gegen genderbasierte Gewalt bilden feministi-
sche Organisationen die wichtigsten Informations- und Interpretationsquellen für die
Medien, wie Gámez Fuentes und Maseda García (2018) am Beispiel von Spanien
feststellen.
712 B. Geiger und B. Wolf

4.1 Informationsarbeit und Kampagnen

Die in der Vorbereitung der Menschenrechtskonferenz 1991 initiierte internationale


Kampagne „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“, vom 25. November bis 10. Dezem-
ber, bildet bis heute einen Rahmen für Veranstaltungen und Aktionen, um politi-
schen Druck aufzubauen und die Bevölkerung, (mögliche) Betroffene und ihr
Umfeld zu erreichen. In den letzten Jahren verleiht die globale Kampagne „Orange
the world“ von UN Women den „16 Tagen“ zusätzliche Breitenwirkung und hat
mittlerweile in viele Städte, Dörfer, Einrichtungen und Unternehmen Einzug gehal-
ten. Allein in Österreich beteiligten sich 2021 Einrichtungen und Unternehmen mit
über 250 Gebäuden (UN Women Austria o. J.).
Insgesamt stehen Frauen* als Opfer geschlechtsbasierter Gewalt im Fokus der
Kampagnen, mit der Gefahr einer Reproduktion geschlechtsbinärer Hierarchien und
stigmatisierender Zuschreibungen. Birgit Wolf (2018) untersuchte europäische
sowie nationale Anti-Gewalt-Kampagnen aus Österreich und Spanien zu genderba-
sierter Beziehungsgewalt im Zeitraum 2007 bis 2011 und fand in ihrer Bilddiskurs-
analyse, dass überwiegend viktimisierende und individualisierende Darstellungen
dominieren und so Betroffene stimmlos gemacht werden. Ähnlich wie in der Me-
dienberichterstattung bleiben Komplexität und gesellschaftlich-strukturelle Kontex-
te meist ausgespart. Als Ausnahme und good-practice-Beispiel gelten die höchst
professionellen Anti-Gewalt-Kampagnen in Spanien, wo die staatliche Verantwor-
tung für Informationsarbeit einen Bestandteil des integralen Gewaltschutzgesetzes
bildet. Spanische Kampagnen liefern facettenreiche erzählerische Elemente, kon-
textualisieren genderbasierte Gewalt als gesellschaftliches Problem, betonen die
Verantwortung und Solidarität aller und fokussieren auf die Stimme und Sichtbarkeit
von Betroffenen und Überlebenden, die Verantwortung von Männern und die Mit-
betroffenheit von Kindern (Wolf 2013, 2018).
Problematisch ist die Verknüpfung von Kampagnen mit Konstruktionen nationa-
ler Stereotype und Migrationsdiskursen. Entgegen gut gemeinter Intentionen entfal-
ten die visuellen Inszenierungen der von Andrijašević (2007) analysierten Kam-
pagnen zu Frauenhandel in Osteuropa der UN-Migrationsorganisation IOM eine
gegenteilige, entmächtigende Wirkung. Es dominieren viktimisierende Bilder von
Frauenkörpern, oft in erotisierender und voyeuristischer Art zur Schau gestellt, die
Stereotype gegenüber osteuropäischen Frauen verstärken und zur Kontrolle von
Körper, Sexualität und Mobilität der Frauen beitragen.
Detaillierte Anleitungen für die Gestaltung von Kampagnen, die Betroffene
stärken und Geschlechtergerechtigkeit fördern, bietet das virtuelle Wissenszentrum
zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen von UN Women (o. J.). Das Instru-
mentarium fördert sektor- und ebenenübergreifende Ansätze.

4.2 Back on the street: Performativer Protest

Gegen Normalisierungen geschlechtsbasierter Gewalt und neoliberale Dethemati-


sierung von Geschlechterungleichheit intervenieren ab den 2000er-Jahren überwie-
Geschlechtsbasierte Gewalt: Berichterstattung, Diskurse und . . . 713

gend jüngere Feminist*innengenerationen mit neuen Protestformen on- und offline.


Fokus der Debatten und Aktivismen, mit denen Sexismus und Gewalt zurück auf die
Agenda kamen, sind vor allem sexualisierte Gewalt bzw. allgemeiner der Konnex
Gewalt, Sexualität und Geschlecht.
Nie ganz verschwunden, aber gegenüber traditionelleren Formen der Öffentlich-
keitsarbeit zurückgetreten, erfährt feministischer Protest im öffentlichen Raum wie-
der Präsenz. Wie bei den Frauenbewegungen der 1970er-Jahre sorgt lautstarke
Inszenierung und Provokation für Sichtbarkeit und zielt gleichzeitig auf konkrete
politische Forderungen wie Intervention auf symbolisch-kultureller Ebene.
Markenzeichen der ukrainischen Aktivistinnengruppe Femen sind der nackte
Oberkörper und der Blumenkranz im Haar, mit dem sie erstmals 2008 gegen
Ausbeutung von Sexarbeiter*innen vor der Fußball-EM in Deutschland protestierte.
Der Einsatz von Nacktheit durch Frauen* in politischen Protesten erregt mediale
Aufmerksamkeit und bildet eine Strategie in Kontexten, wo Sprechen möglich, aber
Nicht-gehört-Werden erwartet wird. Allerdings ist unklar, inwieweit Resignifikation
gelingt oder doch eher Erwartungen der Sexyness und westliche Sichtbarkeitsregime
bedient werden (Thomas 2013).
Weniger offensiv opponieren von Kanada ausgehend SlutWalks rund um den
Globus mit entsprechenden Outfits gegen Victim blaming, Vergewaltigungsmythen
und für sexuelle Selbstbestimmung. Verortet in sexpositiven Feminismen der „drit-
ten Welle“, so Govrin (2013), zielt die selbstermächtigende Aneignung des abwer-
tenden Begriffs Slut/Schlampe und der offensive Einsatz des sexualisierten weibli-
chen Körpers gleichzeitig auf sexuelle Selbstbestimmung und Anerkennung der
Opferrolle. Diskutiert wird auch hier, ob nicht herrschende Sexualordnungen und
visuelle Kulturen eher verstärkt als herausgefordert werden. Zudem adressiere die
Protestform wenig inklusiv vor allem junge, weiße Frauen* der Mittelschicht. Trotz
solcher Ambivalenzen betont Govrin das Potenzial der performativen Intervention in
aktuelle Sexualpolitiken und Sichtbarkeiten (Govrin 2013; s. a. Mendes 2015).
Weniger umstritten sind öffentliche Aktionsformen, die Tanz und Performance
einsetzen, wie die globale Kampagne One Billion Raising oder die viral gehende
Performance „Un violador en tu camino“ der chilenischen Aktionsgruppe Las Tesis.
Der getanzte Protest in der kollektiven Choreographie von „Break the Chain“ ist
politische Botschaft und Ausdruck von Kraft, Solidarität und Gemeinschaft (Stein-
Hinrichsen 2022).
One Billion Raising ebenso wie SlutWalk formieren dabei eine transnationale
feministische Öffentlichkeit, indem sie verschiedene Räume, Ebenen und Mittel von
Öffentlichkeit unter einem gemeinsamen Label verbinden (Stein-Hinrichsen 2022;
Mendes 2015) und mit spezifischen Verschränkungen von Netzkommunikation und
physischem Raum agieren (Sadowski 2016).

4.3 Digitaler Feminismus, Hashtags gegen Gewalt

Genuine Online-Tools nutzend verbinden feministische Twitter-Kampagnen ankla-


genden Protest mit der Bereitstellung von Raum für Artikulation und Austausch.
714 B. Geiger und B. Wolf

Durch das Sammeln sexistischer Erfahrungen intervenieren Hashtags wie #every-


daysexism, #shootingback, #aufschrei und – am sichtbarsten – #MeToo gegen
Individualisierung und Unsichtbarmachung in einer digitalen Praxis der Selbsterfah-
rung, die auch für feministische Bewusstwerdung in den 1970er-Jahren eine zentrale
Rolle spielte.
Damit gelang es der deutschen Kampagne #aufschrei 2013, eine breite Alltags-
sexismusdebatte anzustoßen. Sie durchbrach das Schweigen über sexistische Erfah-
rungen, generierte Solidarität und wurde zum Label für das Unsagbare (Wizorek
2014). Die Postings von überwiegend länger zurückliegenden Belästigungen und
Übergriffen wurden bald ergänzt durch eine allgemeinere Sexismus-Diskussion und
von anderen feministischen Medien, insbesondere Blogs, für vertiefende Themati-
sierung aufgegriffen (Drüeke und Zobl 2016). Die große Resonanz des Hashtags
fand Eingang in Feuilletons und Talkshows, allerdings teilweise mit verharmlosen-
dem Fokus (Gsenger und Thiele 2014), und zeigte die Kosten der Sichtbarkeit:
Angriffe auf die Initiatorinnen und eine Fülle an antifeministischen und sexistischen
wie auch irrelevanten Postings, die den Diskurs störten. Anders als die Selbst-
erfahrungsgruppe offline ist Twitter ein öffentlicher Raum, der auch zum Kampffeld
werden kann (Drüeke und Zobl 2016).
Mendes et al. (2019) untersuchen mit einem ethnographischen Zugang Chancen
und Herausforderungen des digitalen Aktivismus gegen sexualisierte Gewalt am
Beispiel angloamerikanischer Initiativen, neben bekannten wie Hollaback und every-
daysexism auch kleinere, lokale Aktionen. Deutlich wird – wie bei #aufschrei – die
große Bedeutung des Teilens persönlicher Erfahrungen als Grundlage gegenseitiger
Unterstützung und feministischer Bewusstseinsbildung. Es zeigen sich die Belas-
tungen durch die Konfrontation mit eigenen und fremden Gewalterfahrungen, die
Notwendigkeit, Strategien gegen Anfeindungen und Übergriffe zu entwickeln,
sowie die Widersprüchlichkeit, durch unbezahlte digitale Arbeit zum Profit großer
Internetkonzerne beizutragen (Mendes et al. 2019).
Feministischer Hashtag-Aktivismus kann nicht nur lokale und transnationale
unterstützende Communities Gleichgesinnter bilden, sondern auch potenziell ein-
flussreiche, nach außen gerichtete feministische Gegenöffentlichkeiten, wie die
#MeToo-Bewegung eindrucksvoll zeigt. Das schnelle Viral-Gehen von #MeToo
und dessen Aufgreifen durch Massenmedien in vielen Ländern rund um den Globus
verdankt sich dem Glamour-Faktor Hollywoods, prominenten Beteiligten und spek-
takulären Fällen wie Harry Weinstein, aber auch vorangegangenen Anti-Gewalt-
Aktivismen und Sensibilisierungen für das Problem (Sauer 2019; Gill und Orgad
2018; Cuklanz 2020).
#MeToo knüpft an feministische Strategien des conciousness-raising und spea-
king out an, kann so Betroffene und Betroffenheiten von Gewalt- und Machtverhält-
nissen sichtbar machen, ist damit aber auch verstrickt in einen problematischen
Opferdiskurs und die Reproduktion patriarchaler Genderbinaritäten (Loney-Howes
2019). Allerdings schafft #MeToo, affekttheoretisch gesprochen, so Sauer (2019),
Gemeinsamkeit und Verbindung eben nicht nur im Opfersein, sondern in der Über-
windung der Scham sowie in der Agency des Publikmachens und Sprechens über
Gewalterfahrungen (ähnlich Villa 2018). Die feministische Politisierung des
Geschlechtsbasierte Gewalt: Berichterstattung, Diskurse und . . . 715

Privaten steht dabei in einem Spannungsverhältnis von Individuum und Kollektiv


bzw. Gesellschaft. Mit dem Sichtbarmachen breiter Betroffenheiten interveniert
#MeToo in neoliberale Individualisierung auch im Mainstreamfeminismus. Gleich-
zeitig läuft die Bewegung mit ihrem starken Fokus auf naming und blaming der
Täter und dem oft voyeuristisch-sensationalistischen medialen Blick auf die pro-
minenten Fälle Gefahr, sexuelle Gewalt (erneut) zu individualisieren (Loney-Howes
2019). Wie schon #aufschrei provoziert auch #MeToo Abwehr, männliche Verunsi-
cherung und Angst vor einer Überregulierung der sexuellen Beziehungen (Villa
2018; Sauer 2019; Gsenger und Thiele 2014). Widersprüchlich diskutiert wird die
In- bzw. Exklusivität von #MeToo, jedoch hat der Hashtag breitere Debatten über
Geschlechterverhältnisse, ökonomische Abhängigkeiten und männlichen Macht-
missbrauch initiiert und auch zu institutionellen Antworten wie Guidelines, Kom-
missionen und Beratungsstellen oder Initiativen wie Time’s Up geführt (Gill und
Orgad 2018; Sauer 2019).

5 Fazit

Die Frauen*bewegungen und feministischen Anti-Gewalt-Bewegungen waren in


den letzten fünf Jahrzehnten durchaus erfolgreich mit ihren Interventionen in Ge-
schlechter- und vergeschlechtlichte Gewaltverhältnisse. Genderbasierte Gewalt hat
sich von einem Tabuthema zur anerkannten Menschen- und Frauenrechtsrechtsver-
letzung und präsenten Publik-Health-Thematik in verschiedenen Fachbereichen
etabliert, ebenso wie die zugehörige Forschung. Gleichzeitig sind genderbasierte
Gewalt und strukturelle Ungleichheiten keineswegs überwunden, wie zuletzt die
#MeToo-Bewegung oder auch die vermehrte Sichtbarkeit der Femizide in Europa
deutlich machten.
Mit seiner großen Verbreitung, Kontinuität und Resonanz wurde #MeToo neuer
Anker und Bezugspunkt für Reflexionen feministischer Politiken und gegenwärtiger
Konstellationen von Feminismen, Geschlechterverhältnissen, Politik, Kultur und
Medien (u. v. a. MA 57 2018; Fileborn und Loney-Howes 2019; Chandra und
Erlingsdóttir 2020). Aus vielfältigen Perspektiven (aktivistisch und wissenschaft-
lich/disziplinär, länder- und kontextspezifisch) werden Genealogien in feministi-
schen (Online-)Aktivismen, Transformationspotenziale, aber auch Ambivalenzen
und Verstrickungen (in binäre Genderkonstruktionen, neoliberale Individualisierung
oder Otheringprozesse) reflektiert.
Gewalt im Geschlechterverhältnis, insbesondere mit der Digitalisierung einher-
gehende neue Formen, bekam in den letzten Jahren nicht nur verstärkte mediale und
politische Aufmerksamkeit, sondern rückte auch wieder stärker ins Zentrum theo-
retischer Reflexionen und wissenschaftlicher Forschung. Die feministische Kom-
munikationsforschung folgt diesen Entwicklungen, interessiert sich aber – wie
Journalismus und Medien – eher für schwere und sexualisierte Gewalt sowie Formen
der Gewalt im Netz. Der große Bereich der normalisierten Gewalt im sozialen
Nahraum und Beziehungsgewalt an Frauen* wie die korrespondierenden Anti-
Gewalt-Initiativen und -Institutionen erfahren weniger Beachtung. In Bezug auf
716 B. Geiger und B. Wolf

den Einfluss der Medien und wen wir als Opfer sehen, erörtern Hayes und Luther
(2018), wie die Überschneidung mehrerer marginalisierter sozialer Kategorisierun-
gen eher dazu führt, dass den Menschen der Status eines wahren Opfers abge-
sprochen wird. Sie unterstreichen aber auch das Potenzial der Medien, zu einem
besseren Verständnis von Verbrechen und Viktimisierung beizutragen, und die
Möglichkeit, sich mit den neuen Medien gegen Viktimisierung und Viktimisierungs-
wahrnehmung zu wehren.
Insofern ist genderbasierte Gewalt als eine Querschnittsmaterie kommunikations-
wissenschaftlicher Forschung anzusehen. Forschungsdesiderata wären medien- und
genreübergreifende Studien, welche verschiedene Gewaltformen und Betroffenen-
gruppen, auch und vor allem weniger präsente, untersuchen sowie Rezeption und
Nutzung traditioneller wie neuer Medien integrieren. Weiters werden Langzeitstu-
dien über Entwicklungen gesellschaftlicher Diskurse und journalistischer Themati-
sierung – ihrem Anteil an Stützung von vergeschlechtlichten Gewaltverhältnissen
wie an Information und Aufklärung über Gewaltdynamik und -folgen – sowie über
Inhalt und Wirkung feministischer Kampagnen und Aktivismen für Gendergerech-
tigkeit und ein gewaltfreies Leben benötigt. Dafür müsste eine kritische feminis-
tisch-kommunikationswissenschaftliche Reflexion der zentralen Rolle der Medien in
ihrer Informations- und Kontrollfunktion zu Schutz und Prävention bei genderba-
sierter Gewalt auch Gegenstand von Forschungsprogrammen und Ausschreibungen
sein und auch entsprechende Lehrstühle und Forschungszentren etabliert werden.

Literatur
Adlung, Shari, Margreth Lünenborg, und Christoph Raetzsch. 2021. Pitching gender in a racist
tune: The affective publics of the #120decibel campaign. Media and Communication 9(2):
16–26.
Andrijašević, Rutvica. 2007. Das zur Schau gestellte Elend. Gender, Migration und Repräsentation
in Kampagnen gegen Menschenhandel. In Turbulente Ränder: Neue Perspektiven auf Migration
an den Grenzen Europas, Hrsg. Transit Migration Forschungsgruppe, 121–140. Bielefeld:
transcript.
AÖF – Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser. Hrsg. 2014. Verantwortungsvolle Bericht-
erstattung für ein gewaltfreies Leben. Anregungen zur medialen Prävention von Gewalt an
Frauen und ihren Kindern. Wien. http://www.gewaltfreileben.at/images/Bilder/PDFs/Interakti
ves_PDF_final_gewaltfrei_Verantwortungsvolle_Berichterstattung_A4_WEB.pdf. Zugegriffen
am 18.09.2022.
Benedict, Helen. 1992. Virgin or vamp: How the press covers sex crimes. New York: Oxford
University Press.
Bourdieu, Pierre. 2005. Die männliche Herrschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Chandra, Giti, und Irma Erlingsdóttir, Hrsg. 2020. The Routledge handbook of the politics of the
#MeToo movement. London: Routledge.
CoE – Council of Europe. 2011. Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung
von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt und erläuternder Bericht. Council of Europe
Treaty Series – No 210. Istanbul. www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:8892650c-2aee-4195-
b4b0-8ebfb66bcfcd/EuR-Konvention_Gewalt_gegen_Frauen*.pdf. Zugegriffen am 20.12.2021.
Cuklanz, Lisa. 2020. Problematic news framing of #MeToo. The Communication Review 23(4):
251–272. https://doi.org/10.1080/10714421.2020.
Geschlechtsbasierte Gewalt: Berichterstattung, Diskurse und . . . 717

Cuklanz, Lisa M. 2015. Mass media representation of gendered violence. In The Routledge
companion to media and gender, Hrsg. Cynthia Carter, Linda Steiner, und Lisa McLaughlin,
32–41. London/New York: Routledge.
Dackweiler, Regina-Maria. 2002. Staatliche Rechtspolitik als geschlechterpolitische Handlungs-
und Diskursarena. In Gewalt-Verhältnisse: feministische Perspektiven auf Geschlecht und
Gewalt, Hrsg. Regina-Maria Dackweiler und Reinhild Schäfer, 107–131. Frankfurt a. M.:
Campus.
DeKeseredy, Walter S. 2011. Violence against women. Myths, facts, controversies. Toronto: Uni-
versity of Toronto Press.
DeKeseredy, Walter S., und Martin D. Schwartz. 2011. Theoretical and definitional Issues of
violence against women. In Sourcebook on violence against women, Hrsg. Claire M. Renzetti,
Jeffrey L. Edleson, und Raquel Kennedy Bergen, 3–30. London: Sage.
Dietze, Gabriele. 2016a. Das ,Ereignis Köln‘. Femina politica 25(1): 93–102.
Dietze, Gabriele. 2016b. Ethnosexismus. Sex-Mob-Narrative um die Kölner Silvesternacht. move-
ments 2(1): 177–185. www.movements-journal.org.
Dietze, Gabriele. 2019. Sexueller Exzeptionalismus. Überlegenheitsnarrative in Migrationsabwehr
und Rechtspopulismus. Bielefeld: transcript.
Drüeke, Ricarda. 2017. Forschungsbericht: Zu den TV-Nachrichten in ARD und ZDF über die
Silvesternacht 15/16 in Köln. Studie im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung und des Gunda-
Werner-Instituts für Feminismus. https://www.gwi-boell.de/sites/default/files/web_161122_e-
paper_gwi_medienanalysekoeln_v100.pdf. Zugegriffen am 28.09.2022.
Drüeke, Ricarda, und Elisabeth Klaus. 2019. Die Instrumentalisierung von Frauen*rechten in
rechten Diskursen am Beispiel der Kampagne #120db. Gender 11(3): 84–99.
Drüeke, Ricarda, und Elke Zobl. 2016. Online feminist protest movements and alternative publics:
The twitter campaign #aufschrei in Germany. Feminist Media Studies 16(1): 35–54.
Eisenegger, Mark, und Patrik Ettinger. 2012. Vertiefungsstudien: Kriminalitätsberichterstattung in
der Schweizer Presse. In Qualität der Medien. Schweiz – Suisse – Svizzera. Jahrbuch 2012,
Hrsg. fög – Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft, 332–360. Basel: Verlag
Schwabe.
Europäische Kommission. 2016. Spezial-Eurobarometer 449. Geschlechtsspezifische Gewalt. Zu-
sammenfassung. TNS Opinion & Social im Auftrag der Europäischen Kommission, General-
direktion Justiz und Verbrauch. https://europa.eu/eurobarometer/api/deliverable/download/file?
deliverableId=58855. Zugegriffen am 20.09.2021.
Falquet, Jules. 2013. Dominique Strauss-Kahn oder die Verknüpfung männlicher mit neoliberaler
Gewalt. JEP 1:90–101.
Farris, Sara. 2011. Die politische Ökonomie des Femonationalismus. Feministische Studien 29(2):
321–334.
Fileborn, Bianca, und Rachel Loney-Howes, Hrsg. 2019. #MeToo and the politics of social change.
Cham: Palgrave Macmillan.
FRA – Agentur der Europäischen Union für Grundrechte. 2014. Gewalt gegen Frauen*: eine
EU-weite Erhebung. Ergebnisse auf einen Blick. Luxemburg: Amt für Veröffentlichungen.
http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra-2014-vaw-survey-at-a-glance-apr14_de.pdf. Zugegrif-
fen am 20.11.2020.
Funk, Sabine, und Brigitte Geiger. 2003. Thema: Gewalt gegen Frauen. Ein Leitfaden für sensible
Berichterstattung in den Printmedien. Hrsg. von MA 57 – Frauenbüro der Stadt Wien, Wien.
Galtung, Johan. 1990. Cultural Violence. Journal of Peace Research 27(3): 291–305.
Gámez Fuentes, María José, und Rebeca Maseda García, Hrsg. 2018. Gender and Violence in
Spanish Culture: From Vulnerability to Accountability. New York: Peter Lang AG International
Academic Publishers.
Geiger, Brigitte. 2008. Die Herstellung von Öffentlichkeit für Gewalt an Frauen. In Medien – Politik
– Geschlecht. Feministische Befunde zur politischen Kommunikationsforschung, Hrsg. Johanna
Dorer, Brigitte Geiger, und Regina Köpl, 204–217. Wiesbaden: VS.
718 B. Geiger und B. Wolf

Geiger, Brigitte. 2015. Die „Affäre Strauss-Kahn“ – Facetten einer Debatte zu Gewalt, Macht und
Geschlecht. In Zwischen Gegebenem und Möglichem. Kritische Perspektiven auf Medien und
Kommunikation, Hrsg. Ricarda Drüeke, Susanne Kirchhoff, Thomas Steinmaurer, und Martina
Thiele, 289–301. Bielefeld: transcript.
Geiger, Brigitte, und Birgit Wolf. 2014. Geschlechtsbasierte Gewalt und die Rolle von Medien. In
Verantwortungsvolle Berichterstattung für ein gewaltfreies Leben. Anregungen zur medialen
Prävention von Gewalt an Frauen und ihren Kindern, Hrsg. Verein Autonome Österreichische
Frauenhäuser (AÖF), 8–26. Wien. https://www.aoef.at/images/06_infoshop/6-2_infomaterial_
zum_downloaden/gewaltfrei-leben/Interaktives_PDF_final_gewaltfrei_Verantwortungsvolle_
Berichterstattung_A4_WEB.pdf. Zugegriffen am 20.10.2021.
Gill, Rosalind, und Shani Orgad. 2018. The shifting terrain of sex and power: From the ‚sexuali-
zation of culture‘ to #MeToo. Sexualities 21(8): 1313–1324.
Govrin, Jule Jakob. 2013. SlutWalk. Resignifizierung von Feminitäten und Feminismen. Gender
5(1): 88–103.
Gsenger, Marlene, und Martina Thiele. 2014. Wird der #aufschrei erhört? Eine kritische Diskurs-
analyse der Sexismus-Debatte in Deutschland. kommunikation.medien 3(3): 1–28. https://doi.
org/10.25598/JKM/2014-3.2.
Hagemann-White, Carol. 1992. Strategien gegen Gewalt im Geschlechterverhältnis. Pfaffenweiler:
Centaurus.
Hagemann-White, Carol. 2019. Opfer – Täter: zur Entwicklung der feministischen Gewaltdiskus-
sion. In Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung, Hrsg. Beate Kortendiek, Birgit
Riegraf, und Katja Sabisch, 145–153. Wiesbaden: Springer Fachmedien. https://doi.org/10.
1007/978-3-658-12496-0_9.
Hagemann-White, Carol, Liz Kelly, und Renée Römkens. 2010. Feasibility study to assess the
possibilities, opportunities and needs to standardise national legislation on violence against
women, violence against children and sexual orientation violence. European Union. http://ec.
europa.eu/justice/funding/daphne3/multi-level_interactive_model/understanding_perpetration_
start_uinix.html. Zugegriffen am 15.01.2022.
Hayes, Rebecca M., und Kate Luther. 2018. #Notallmen: media and crime victimization. In #Crime.
Palgrave studies in crime, media and culture, Hrsg. Rebecca M. Hayes und Kate Luther,
123–151. Cham: Palgrave Macmillan. https://doi.org/10.1007/978-3-319-89444-7_4.
Heberle, Renee. 1996. Deconstructive strategies and the movement against sexual violence.
Hypatia 11(4): 63–76.
Hestermann, Thomas. 2019. Berichterstattung über Gewaltkriminalität. Wie häufig nennen Medien
die Herkunft von Tatverdächtigen? Eine Expertise für den Mediendienst Integration. https://
mediendienst-integration.de/fileadmin/Expertise_Hestermann_Herkunft_von_Tatverdaechti
gen_in_den_Medien.pdf, Zugegriffen am 05.01.2022.
Joachim, Jutta M. 2001. NGOs, die Vereinten Nationen und Gewalt gegen Frauen. Agenda-Setting,
Framing, Gelegenheits- und Mobilisierungsstrukturen. Zeitschrift für internationale Beziehun-
gen 8(2): 209–241.
Kitzinger, Jenny. 2001. Transformations of public and private knowledge: audience reception,
feminism and experience of childhood sexual abuse. Feminist Media Studies 1(1): 91–104.
Kitzinger, Jenny. 2004. Media coverage of sexual violence against women and children. In Women
and media: a critical introduction, Hrsg. Carolyn M. Byerly und Karen Ross, 13–38. Oxford:
Blackwell.
Klaus, Elisabeth, und Ricarda Drüeke. 2010. Inklusion und Exklusion in medialen Identitäts-
räumen. In Identität und Inklusion im europäischen Sozialraum, Hrsg. Elisabeth Klaus, Cle-
mens Sedmak, Ricarda Drüeke, und Gottfried Schweiger, 113–131. Wiesbaden: VS.
Klaus, Elisabeth, und Susanne Kassel. 2008. Frauenrechte als Kriegslegitimation in den Medien. In
Medien – Politik – Geschlecht. Feministische Befunde zur politischen Kommunikationsfor-
schung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, und Regina Köpl, 266–280. Wiesbaden: VS.
Koch, Angela. 2015. Ir/reversible Bilder. Zur Visualisierung und Medialisierung von sexueller
Gewalt. Berlin: Vorwerk 8.
Geschlechtsbasierte Gewalt: Berichterstattung, Diskurse und . . . 719

Kunczik, Michael, und Astrid Zipfel. 2006. Gewalt und Medien. Ein Studienbuch, 5. Aufl. Köln/
Weimar/Wien: Böhlau.
Lehner, Erich. 2007. Perspektiven einer kritischen Männerarbeit. In Gewalt und Männlichkeit,
Hrsg. Erich Lehner und Christa Schnabl, 89–116. Wien/Berlin: Lit.
Lenz, Ilse. 2011. Der neue Antifeminismus. Der Fall Kachelmann und das Bild vom männlichen
Opfer. Blätter für deutsche und internationale Politik 7:51–59.
Linke, Christine, und Ruth Kasdorf. 2021. Geschlechtsspezifische Gewalt im Deutschen Fernsehen.
Hochschule Wismar, MaLisa-Stiftung. https://fg.hs-wismar.de/storages/hs-wismar/_FG/_Spe
zialseiten/ggtv/Linke_Kasdorf_2021_HochschuleWismar_StudieGGTV.pdf. Zugegriffen am
28.09.2022.
Logar, Rosa. 2004. Global denken – lokal handeln. Die Frauenbewegung gegen Gewalt in Öster-
reich. In 30 Jahre Frauenhausbewegung in Europa, Hrsg. Verein Autonome Österreichische
Frauenhäuser, 84–124. Wien: Milena.
Loney-Howes, Rachel. 2019. The politics of the personal: The evolution of anti-rape activism from
second-wave feminism to #metoo. In #MeToo and the politics of social change, Hrsg. Bianca
Fileborn und Rachel Loney-Howe, 21–35. Cham: Palgrave Macmillan.
MA 57. 2018. #meToo. Die Debatte aus österreichischer Perspektive. Frauen. Wissen. Wien #7.
MediaAffairs. 2020. Gewalt gegen Frauen – Jahresstudie 2019. Analyse der Berichterstattung über
Gewaltdelikte an Frauen und die Rolle der Medien. Wien. https://www.contentadmin.de/
contentanlagen/contentdatei13591.pdf. Zugegriffen am 28.09.2022.
Meltzer, Christine E. 2021. Tragische Einzelfälle? Wie Medien über Gewalt gegen Frauen berich-
ten. OBS-Arbeitspapier 47. https://www.otto-brenner-stiftung.de/tragische-einzelfaelle/. Zuge-
griffen am 15.07.2022.
Mendes, Kaitlynn. 2015. SlutWalk: Feminism, activism and media. Basingstoke/New York: Pal-
grave Macmillan.
Mendes, Kaitlynn, Jessica Ringrose, und Jessalynn Keller. 2019. Digital feminist activism. Girls
and women fight back against rape culture. Oxford: Oxford University Press.
Meyers, Marian. 1997. News coverage of violence against women: engendering blame. Newbury
Park: Sage.
Mischkowski, Gabriela. 2006. Sexualisierte Gewalt im Krieg. Eine Chronik. In Sexualisierte
Kriegsgewalt und ihre Folgen. Handbuch zur Unterstützung traumatisierter Frauen in ver-
schiedenen Arbeitsfeldern, Hrsg. Karin Griese und medica mondiale, 15–55. Frankfurt a. M.:
Mabuse.
Moser, Maria Katharina. 2007. Von Opfern reden. Ein feministisch-ethischer Zugang. Königstein/T:
Helmer.
Rabe, Heike, und Britta Leisering. 2018. Analyse: Die Istanbul-Konvention – Neue Impulse für die
Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt. Berlin: Deutsches Institut für Menschenrech-
te. https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/ANALY
SE/Analyse_Istanbul_Konvention.pdf. Zugegriffen am 28.09.2022.
Röser, Jutta. 2000. Fernsehgewalt im gesellschaftlichen Kontext: Eine Cultural-Studies-Analyse
über Medienaneignung in Dominanzverhältnissen. Wiesbaden: Westdt. Verl.
Russell, Diana, und Jane Caputi. 1990. Femicide. Speaking the unspeakable. Ms Magazine 1(2):
34–37.
Sadowski, Helga. 2016. From #aufschrei to hatr.org: digital-material entanglements in the context
of German digital activism. Feminist Media Studies 16(1): 55–69.
Sauer, Birgit. 2011. Migration, Geschlecht, Gewalt: Überlegungen zu einem intersektionellen
Gewaltbegriff. Gender 3(2): 44–60.
Sauer, Birgit. 2019. #MeToo. Ambivalenzen und Widersprüche affektiver Mobilisierung gegen
sexuelle Gewalt. L’Homme. Z. F. G. 30(2): 93–110.
Schäfer, Reinhild. 2002. Feministisches Engagement in der Zivilgesellschaft gegen Gewalt an
Frauen. In Gewalt-Verhältnisse: feministische Perspektiven auf Geschlecht und Gewalt, Hrsg.
Regina-Maria Dackweiler und Reinhild Schäfer, 201–220. Frankfurt a. M.: Campus.
720 B. Geiger und B. Wolf

Scheibelhofer, Paul. 2016. Konstruktionen von Männlichkeit und Gewalt in Debatten um „Köln“.
AEP – Informationen. Feministische Zeitschrift für Politik und Gesellschaft 2:51–53.
Sepulchre, Sarah, und Manon Thomas. 2018. La représentation des violences sexistes et intrafa-
miliales dans la presse écrite belge francophone. Université catholique de Louvain. http://www.
ajp.be/telechargements/violencesfemmes/l-etude.pdf. Zugegriffen am 18.09.2022.
Stein-Hinrichsen, Kristina. 2022. Tanzen als Widerstand. „One Billion Rising“ und choreographi-
sche Interventionen im öffentlichen Raum. Bielefeld: transcript.
Swanton, Ben. 2019. The emergence of gender violence as a policy problem. In Handbook on
gender and violence, Hrsg. Laura J. Shepherd, 160–172. Northampton/Massachusetts: Edward
Elgar Publishing.
Thomas, Tanja. 2013. Blanker Protest – Sichtbarkeit, Sagbarkeit und Handlungsfähigkeit in
Medienkulturen. MedienJournal 37(3): 19–31.
Toledo, Patsili, und Claudia Lagos Lira. 2014. The media and gender-based murders of women:
notes on the cases in Europe and Latin America. Heinrich Böll Foundation, 24 July 2014.
https://eu.boell.org/en/2014/07/24/media-and-gender-based-murders-women-notes-cases-euro
pe-and-latin-america. Zugegriffen am 18.09.2022.
UN Women. o. J. Campaigns. The virtual knowledge centre to end violence against women. http://
www.endvawnow.org/en/modules/view/3-campaigns.html. Zugegriffen am 24.03.2022.
UN Women Austria. o.J. Orange the world. www.unwomen.at/unserearbeit/kampagnen/orange-the-
world/orange-the-world-2020. Zugegriffen am 28.09.2022.
UNESCO. 2019. Reporting on violence against women and girls. A handbook for journalists. Paris.
https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000371524. Zugegriffen am 18.09.2022.
United Nations. 1993. Erklärung über die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Resolution 48/104.
www.un.org/Depts/german/uebereinkommen/ar48104.pdf. Zugegriffen am: 11.06.2022.
United Nations. 1996. The Beijing declaration and the platform for action, Fourth World Confe-
rence on Women Beijing, China, 4–15 September 1995. New York.
Villa, Paula-Irene. 2018. Die #MeToo-Debatte. Pop. Kultur & Kritik 7(1): 79–85.
Wizorek, Anne. 2014. Weil ein #Aufschrei nicht reicht. Für einen Feminismus von heute. Frankfurt
a. M.: S. Fischer.
Wolf, Birgit. 2013. ‚Shaping the visual‘ of gender-based violence. How visual discourse on intimate
partner violence and European anti-violence initiatives construct accounts of the social world.
[Doctoral Thesis]. Barcelona: Universitat Autònoma de Barcelona. https://www.tdx.cat/bitstream/
handle/10803/129680/bw1de1.pdf?sequence¼3&isAllowed¼y. Zugegriffen am 15.11.2021.
Wolf, Birgit. 2018. Gender-based violence in discourse. A comparative study on anti-violence
communication initiatives across Europe, in Austria and Spain. Anàlisi. Quaderns de Comuni-
cació i Cultura 59:1–27. https://doi.org/10.5565/rev/analisi.3164. Zugegriffen am 28.11.2021.
Wolf, Birgit. 2021. Gewalt an Frauen* und mitbetroffene Kinder im Medienkontext. Ein Forschungs-
dossier. Wien: Bundeskanzleramt. www.gewaltinfo.at/uploads/pdf/themen/Wolf_Dossier_Endbe
richt_03_2021_PDFPRINT_final.pdf?m¼1620404724&. Zugegriffen am 15.07.2022.
Wölte, Sonja. 2002. Von Lokal nach International und zurück: Gewalt gegen Frauen und interna-
tionale Frauenmenschenrechtspolitik. In Gewalt-Verhältnisse: feministische Perspektiven auf
Geschlecht und Gewalt, Hrsg. Regina-Maria Dackweiler und Reinhild Schäfer, 221–248.
Frankfurt a. M.: Campus.
Antifeminismus und Antigenderismus
in medialen und digitalen Öffentlichkeiten

Isolde Aigner und Ilse Lenz

Inhalt
1 Einleitung: Was bedeutet Antifeminismus heute? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 722
2 Forschung zu Antifeminismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723
3 Antifeministische Ideologien und Strategien in medialen und digitalen
Öffentlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 724
4 Fazit: Relevanz und geschlechterpolitische Verortung von Antifeminismus . . . . . . . . . . . . . . 727
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 728

Zusammenfassung
Antifeminismus zeigt sich heute in verschiedenen Strömungen wie männerzen-
triertem oder familienzentriertem Antifeminismus, Antigenderismus oder völ-
kischem Antifeminismus. Digitale Öffentlichkeiten, Print- und Onlinemedien
tragen zu seiner Verbreitung bei. Forschungen zum deutschsprachigen Anti-
feminismus widmen sich antifeministischen Artikulationen in Print- und Online-
medien sowie maskulinistischen Online-Aktivitäten. Sie identifizieren zentrale
antifeministische Ideologien und Strategien wie die Verbreitung antifeministi-
scher Positionen durch Online-Medien, eine Neubehauptung hegemonialer
Männlichkeit, die diskursive Täter-Opfer-Umkehr und die Verwendung von Hate
Speech.

Schlüsselwörter
Antifeminismus · Antigenderismus · Maskulinismus · Internet · Printmedien

I. Aigner (*)
Bochum, Deutschland
E-Mail: a.isolde.aigner@gmail.com
I. Lenz
Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland
E-Mail: ilse.lenz@rub.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 721
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_45
722 I. Aigner und I. Lenz

1 Einleitung: Was bedeutet Antifeminismus heute?

Seit den 2000er-Jahren tritt Antifeminismus in Print- und Onlinemedien sowie in


digitalen Öffentlichkeiten verstärkt auf. Antifeminismus stellt die offensive Mobili-
sierung gegen Feminismus, emanzipative Männer-1 und Gleichstellungspolitik dar.
Er orientiert sich an biologistisch begründeter Zweigeschlechtlichkeit, Hetero-
normativität sowie einem bürgerlichen Ernährer-/Hausfrauenmodell, das auf das
19. Jahrhundert zurückgeht. Er äußert sich in verschiedenen gesellschaftspolitischen
Strömungen wie Nationalismus, Neonazismus und Neoliberalismus. Antifeminis-
mus unterscheidet sich vom Geschlechtskonservatismus, der zwar ebenfalls von
natürlichen Geschlechtsunterschieden ausgeht, aber Frauen eher wertschätzt und
weniger offensiv auftritt. Deutlich davon zu trennen ist schließlich die Geschlechter-
kritik, die Geschlecht, Geschlechterverhältnisse und auch die Geschlechterforschung
kritisch reflektiert und die innerhalb und außerhalb des Feminismus betrieben wird
(Lenz 2017, 2018).
Der historische Antifeminismus bildete sich ab 1900 als Reaktion auf die erste
Welle der Frauenbewegungen heraus. Er behauptete eine natürliche Überlegenheit
des Mannes wie auch eine biologische Bestimmung der Frau zur Mutter und
Hausfrau und vertrat eine neopatriarchale Geschlechterordnung. Die Antifeminis-
men heute berufen sich eher auf die Norm der Geschlechtergleichheit, behaupten
aber, dass heute ‚der Mann‘ von Geschlechterungleichheit betroffen sei.
Aktuell lassen sich vier ideologische Strömungen bzw. Schwerpunkte identifizie-
ren, die nicht trennscharf voneinander abzugrenzen sind: Der männlich zentrierte
Antifeminismus wird von maskulinistischen Akteur innen2 sowie der Männer- und
Väterrechtsbewegung vertreten. Sie nehmen eine gesamtgesellschaftliche Benach-
teiligung des männlichen Geschlechts im Zuge einer feministischen Vorherrschaft an
und betreiben die (Re-)Stabilisierung hegemonialer Männlichkeit. Der familienzen-
trierte Antifeminismus begreift sexuelle und geschlechtliche Vielfalt als Bedrohung
der heteronormativen Familienform und tritt für eine Einschränkung reproduktiver
Rechte, insbesondere für das Verbot oder das Erschweren von Abtreibungen, ein.
Ein neueres Phänomen stellt der so genannte Antigenderismus dar. Eine erste
Zusammenstellung sozial- und kulturwissenschaftlicher Analysen des Antigenderis-
mus liefert der Sammelband Anti-Genderismus. Sexualität und Geschlechter als
Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen von Sabine Hark und
Paula-Irene Villa (2015a). Der Antigenderismus bekämpft konstruktivistische und
postessenzialistische Ansätze von Geschlecht und sexueller Vielfalt, die er mit dem
Gender-Konzept verbindet. So greift er die Geschlechterforschung als unwissen-
schaftlich und ideologisch-politisch determiniert an (Frey et al. 2014; Hark und Villa

1
Als emanzipative Männer werden jene Männer bezeichnet, die die Neue Frauenbewegung unter-
stützen und sich gegen die hegemoniale Männlichkeit und Dominanz engagieren (Lenz 2008).
2
Maskulinismus stellt eine Ideologie dar, die eine männliche Vorherrschaft rechtfertigt. Männer und
Frauen werden als grundlegend verschieden betrachtet, während die Annahme einer sozialen
Konstruktion von Geschlecht abgelehnt wird (Brittan 1989, S. 4).
Antifeminismus und Antigenderismus in medialen und digitalen . . . 723

2015a). Der völkische Antifeminismus schließlich attackiert Feminismus als ‚volks-


schädigenden‘ Angriff auf geschlechtliche Identität, Familienstruktur und/oder sexu-
elle ‚Normvorstellungen‘ (Wamper 2017, S. 355).

2 Forschung zu Antifeminismus

Im Folgenden wird der Forschungsstand zu deutschsprachigem Antifeminismus


innerhalb digitaler Öffentlichkeiten sowie Print- und Onlinemedien dargestellt.

2.1 Antifeminismus als Gegenstand von Diskursanalysen

Massenmedien wie Print- und Online-Zeitungen nehmen eine zentrale Funktion


innerhalb der öffentlichen Kommunikation ein. Klaus fasst „die Massenmedien als
ein soziales System, das Wirklichkeitskonstruktionen liefert und damit auch das
Geschlecht [. . .] mitentwirft“ (Klaus 1998, S. 16). Antifeministische Artikulationen
erscheinen zunehmend auf der Diskursebene von Print- und Online-Zeitungen und
nehmen Einfluss auf die öffentlich-mediale Verhandlung von geschlechterpoliti-
schen Fragen. „Medienorganisationen agieren verstärkt in einer marktbezogenen
Logik, die eine Tendenz der Skandalisierung fördert“ (Weiss 2013, S. 53). Auch
antifeministische Beiträge, die Geschlechterdebatten im Sinne eines ‚Tabubruchs‘
als ‚Kampf‘ inszenieren, treten vermehrt auf (Weiss 2013, S. 53).
In den letzten Jahren wurden verschiedene Diskursanalysen zu antifeministischen
Artikulationen in hegemonialen Print-, Online-Zeitungen und extrem rechten Zei-
tungen durchgeführt. Unter Anwendung der Kritischen Diskursanalyse (Jäger 2009)
beleuchten die Untersuchungen zentrale antifeministische Denkmuster sowie Dis-
kursstrategien innerhalb geschlechterpolitischer Diskurse. So hat Möller (1999) die
Berichterstattung führender Printmedien zur Verhandlung von sexueller Belästigung
im Zusammenhang mit Political Correctness betrachtet. Es folgten Diskursanalysen
zur Verhandlung von Gleichstellungspolitik und Feminismus in Leitmedien (Roß-
hart 2007; Aigner 2012; Kiepels 2013; Weiss 2013) sowie zu Geschlechterkonstruk-
tionen und Feminismus in extrem rechten Medien (Müller 2010; Kiepels 2013;
Wamper 2017). Auch die mediale Auseinandersetzung im Rahmen der „Sexismus-
debatte“ Anfang 2013 in Deutschland wurde diskursanalytisch untersucht (Gsenger
und Thiele 2014; Aigner 2016). Ausgelöst wurde dieses diskursive Ereignis3 durch
einen Stern-Artikel und den durch den Hashtag #aufschrei initiierten Online-
Austausch über (Alltags-)Sexismus. Erste Untersuchungen widmen sich außerdem
antigenderistischen Diskursen (Maihofer und Schutzbach 2015; Mayer et al. 2018),
auch am Beispiel von extrem rechten Medien (Lang 2015).

3
Als diskursive Ereignisse lassen sich „medial groß herausgestellte Ereignisse“ beschreiben, die
„Richtung und Qualität des Diskursstrangs, zu dem sie gehören, mehr oder minder stark beeinflus-
sen“ (Jäger 2009, S. 162).
724 I. Aigner und I. Lenz

Im Sinne kommunikationswissenschaftlicher Geschlechterforschung untersu-


chen die Diskursanalysen geschlechterpolitische Sagbarkeitsfelder,4 Deutungs-
kämpfe, die dahinter liegenden Macht- und Herrschaftsbeziehungen sowie deren
Auswirkungen auf feministische Wissensbestände im öffentlich-medialen Diskurs.

2.2 Maskulinistische Online-Aktivitäten als


Untersuchungsgegenstand

Das Internet ermöglicht neue Partizipationsformen zur Etablierung emanzipatori-


scher und gegenhegemonialer Diskurse. Gleichzeitig lässt sich hier aber auch ein
Erstarken antifeministischer Positionierungen feststellen (Drüeke und Klaus 2014,
S. 60, 68). Gründe dafür sind die veränderten Kommunikationsstile in digitalen
Öffentlichkeiten und ein niedrigschwelliger Zugang durch benutzerfreundliche
Technologien, was zu einer Verstärkung hierarchischer Kommunikationsstrukturen
beitrage (Klaus und Lünenborg 2013, S. 85). Insbesondere in der Verhandlung von
Geschlechterverhältnissen und Feminismus zeigt sich eine „‚Enthemmtheit‘ der
Diskussionskultur mit besonderer Intensität“ (Ganz und Meßmer 2015, S. 59), die
sich vor allem gegen Feminist innen, Frauen, queere Personen und (pro-)feminis-
tische Männer richtet.
In den letzten Jahren sind vermehrt Untersuchungen erschienen, die sich auf
Antifeminismus innerhalb digitaler Öffentlichkeiten konzentrieren. Insbesondere
werden maskulinistische Akteure, ihre Aktivitäten und Artikulationen (und damit
verbundene Strategien) auf Online-Foren und Weblogs (Gruber 2012; Rosenbrock
2012a; Claus 2014; Ganz und Meßmer 2015; Drüeke und Klaus 2014; Drüeke und
Peil 2015; Illgner 2018) sowie in Online-Zeitungen (Rosenbrock 2012a; Drüeke und
Peil 2015) einer Analyse unterzogen.

3 Antifeministische Ideologien und Strategien in medialen


und digitalen Öffentlichkeiten

Die Forschungsergebnisse zu maskulinistischen Online-Aktivitäten und antifemi-


nistischen Artikulationen im medialen Diskurs verweisen auf zahlreiche Strategien,
mit denen antifeministische Akteure ihre Denkweisen verbreiten wollen.
Innerhalb digitaler Öffentlichkeiten können maskulinistische Akteure gleichzei-
tig unterschiedliche Öffentlichkeitsebenen erreichen, was auf den fluiden Charakter
von Internet-Öffentlichkeiten im Vergleich zu Offline-Öffentlichkeiten zurückzu-
führen ist (Drüeke und Klaus 2014). So findet eine Verlinkung von Online-Artikeln
auf maskulinistischen Internetseiten statt, wobei nicht die Online-Artikel, sondern

4
Sagbarkeitsfelder stellen Aussagen dar, „die in einer bestimmten Gesellschaft zu einer bestimmten
Zeit geäußert werden (können)“ (Jäger 2009, S. 130). Ihre Bestimmung gibt auch Aufschluss
darüber, was in dem jeweiligen Zeitraum nicht sagbar ist.
Antifeminismus und Antigenderismus in medialen und digitalen . . . 725

Kommentare unter den Artikeln verlinkt werden, was die Verbreitung antifeminis-
tischer Denkweisen erhöht (Drüeke und Klaus 2014, S. 62–68). Aber auch das
Lancieren antifeministischer Positionen durch Online-Medien trägt zur Verbreitung
und Relevanz antifeministischer Denkmuster bei. Die Online-Artikel folgen hier
eher einem Agenda-Setting einzelner Akteure sowie ganzer Redaktionen und nicht
einer recherchierten, objektiv informierenden Berichterstattung (Ganz und Meßmer
2015, S. 68).
Eine weitere Strategie innerhalb maskulinistischer Online-Aktivitäten stellt die
Verwendung von Hate Speech dar, also von „Aussageformen, die sich in beleidi-
gender bzw. abwertender Form gegen marginalisierte Personen bzw. Spreche-
r innenpositionen richten. Dazu gehören diskriminierende Anreden ebenso wie
konkrete Gewalt-, Vergewaltigungs- und Morddrohungen“ (Ganz und Meßmer
2015, S. 65). Hate Speech dient einerseits dazu, bestimmte (Personen-)Gruppen
zum Schweigen zu bringen (Ganz und Meßmer 2015, S. 65), verfolgt aber anderer-
seits das Ziel der Mobilisierung von Anhänger innen, um Sympathisant innen mit
einem symbolischen Code zur Gewalt anzustacheln, ihre emotionale Zuwendung zu
gewinnen und dem „Gegner“ dauerhaften Schaden zuzufügen (Rosenbrock 2012b,
S. 43). „Eine gleichberechtigte und plurale, öffentliche Auseinandersetzung wird so
massiv gehemmt und allzu oft setzen sich vereinfachende und populistische Argu-
mentationslinien fest“ (Illgner 2018, S. 261).
Sowohl innerhalb maskulinistischer Online-Aktivitäten als auch bezüglich anti-
feministischer Artikulationen im medialen Diskurs lassen sich zentrale antifeminis-
tische Denkmuster und damit verbundene (Diskurs-)Strategien identifizieren.
Als zentrale Strategie maskulinistischer Akteure wurde ermittelt, dass hegemo-
niale Männlichkeit behauptet und neu begründet werden soll. Claus (2014, S. 51)
spricht von einer „Resouveränisierung von Männlichkeit“, was allerdings voraus-
setzen würde, dass alle Männer vor dem Einsetzen der Frauenbewegung souverän
gewesen seien. Das ist eher für Männer der gesellschaftlichen Elite anzunehmen,
aber weder für Arbeiter noch für schwarze Männer zutreffend. Maskulinistische
Akteure streben angesichts gesellschaftlicher Veränderungen zu mehr Gleichheit –
die auf den Wertewandel, die Frauenbewegung und die Gleichstellungspolitik zu-
rückgehen – eine Neubehauptung von hegemonialer Männlichkeit an: Dabei spielen
Semantiken von Bedrohung und männlichem Opferstatus eine wichtige Rolle.
Feminist innen werden als alterisierte Antagonisten imaginiert, die die Existenz
der Antifeminist innen bedrohen, um deren eigene Identität zu bestärken (Ganz
und Meßmer 2015, S. 70).
Durch die Annahme einer gesamtgesellschaftlichen Benachteiligung von Jungen
und Männern soll ein allgemeiner männlicher Opferstatus begründet werden (Drü-
eke und Peil 2015, S. 283; Gruber 2012, S. 170; Aigner 2012, S. 51; Claus 2012,
S. 126; Rosenbrock 2012a, S. 70; Weiss 2013, S. 49). Dabei werden meist selektiv
Benachteiligungen in einzelnen Feldern wie etwa die zurückgehenden Abituranteile
von Jungen, männlich besetzte Einfacharbeit etwa als Müllmänner oder Sorgerechts-
fragen bei Trennungen selektiv aufgeführt, während Strukturen wie die weiterbe-
stehende Einkommensungleichheit oder die Unterrepräsentation von Frauen in
Entscheidungspositionen völlig ausgeblendet werden.
726 I. Aigner und I. Lenz

Ferner werden individuelle Erlebnisse innerhalb maskulinistischer Deutungspro-


duktion „als männliche Diskriminierungserfahrung organisiert“ (Claus 2012, S. 128)
und auf einen vermeintlich hegemonialen Feminismus zurückgeführt, der verhin-
dern wolle, dass Probleme von Jungen und Männern zur Kenntnis genommen
werden (Weiss 2013, S. 50).
Diese Strategie der Neubehauptung von hegemonialer Männlichkeit wurde
anhand von modernisierten Männerbünden (Claus 2014, S. 51) innerhalb der Kom-
munikation in Internet-Foren untersucht. Neben der Abgrenzung zum Feminismus
„als vereinigendes Moment für die Konstituierung der eigenen (Männer-)Gemein-
schaft“ werden sowohl „[m]ännliche Überlegenheitsideale als auch gewaltvolle
Frauenbilder“ kommuniziert (Claus 2012, S. 129).
In der medialen Verhandlung von sexueller Belästigung (insbesondere innerhalb
der „Sexismusdebatte“) ist die diskursive Strategie der Täter-Opfer-Umkehr zu
finden, die der „diskursiven Umkehrung der sozialen Machtverhältnisse zwischen
den Geschlechtern“ dient: Das Erheben der Beschuldigung sexueller Belästigung
wird dabei „zum eigentlichen aggressiven Akt, mit dem lediglich etwas ‚zudring-
liche‘ oder aber vollkommen unschuldige Männer ‚fertiggemacht‘ werden sollten“
(Möller 1999, S. 115; vgl. ferner Drüeke und Peil 2015, S. 283; Aigner 2016, S. 125;
Gsenger und Thiele 2014, S. 16). Ähnliche Effekte zeigten sich nach Aigner auch in
Teilen der Berichterstattung zur „Sexismusdebatte“: Die Kritik an Alltagssexismus
von Männern gegenüber Frauen wurde als Angriff gegenüber Männern (um-)
interpretiert – verbunden mit der Behauptung, dass Männer innerhalb der „Sexis-
musdebatte“ pauschal als Täter markiert würden. Infolgedessen wird die Kritik an
Sexismus vehement zurückgewiesen, was der Bildung geschlechterübergreifender
Allianzen (zwischen Frauen und Männern) zur gemeinsamen Entwicklung einer
emanzipatorischen Geschlechterkultur entgegenwirkt (Aigner 2016, S. 125).
Als ein weiteres zentrales antifeministisches Denkmuster wird die Behauptung
einer männerdiskriminierenden, feministischen Herrschaft identifiziert (Möller
1999, S. 206; Drüeke und Peil 2015, S. 63; Aigner 2012, S. 50; Claus 2014, S. 55;
Rosenbrock 2012a, S. 67; Wamper 2017, S. 348; Müller 2010, S. 80; Kiepels 2013,
S. 77; Roßhart 2007, S. 85; Gruber 2012, S. 170). Sie soll über das „Bild der
feministischen Machtübernahme“ und der „Etablierung eines feministischem Bedro-
hungsszenarios“ (Roßhart 2007, S. 86) plausibilisiert werden. Diese Vorstellung
einer ‚Femokratie‘ verweist auf eine Modernisierung des Antifeminismus, der nun
mit Geschlechtergleichheit argumentiert, die den männlichen Opfern verweigert
werde. Der Antifeminismus um 1900 ging demgegenüber noch von einer durchge-
henden männlichen Überlegenheit aus, angesichts derer die feministische Forderung
nach Geschlechtergleichheit unsinnig sei: Wurden Frauen doch aufgrund ihrer
mutmaßlich ‚kleineren Gehirne‘ und ihrer Schwäche als unterlegen vorgestellt.
Während aus einer feministischen Position heraus Geschlechtergleichheit für alle
Geschlechter gelten soll, betonen oder skandalisieren antifeministische Akteure
selektiv Diskriminierungen von Männern, während sie die von Frauen ausblenden
oder pauschal abstreiten wie in dem Femokratie-Topos.
Zugleich wird dem Feminismus und der Linken vorgeworfen, die Meinungsfrei-
heit durch Ausübung politischer Korrektheit einzuschränken (Drüeke und Peil 2015,
Antifeminismus und Antigenderismus in medialen und digitalen . . . 727

S. 283; Ganz und Meßmer 2015, S. 67; Möller 1999, S. 180; Wamper 2017, S. 348).
Feministische kritische Positionen werden hier zu vermeintlich hegemonialen Dis-
kurspositionen stilisiert und deren Legitimität bestritten, während die eigene
patriarchalisch-hegemoniale Position heruntergespielt wird (Möller 1999, S. 206).
Daran knüpfen die Analysen zu Antigenderismus an, der sich gegen gesellschaft-
liche Liberalisierungs- und Modernisierungstendenzen richtet (Mayer et al. 2018,
S. 56). Antigenderistische Positionen, wie die Behauptung, dass die Gender-Studies
Teil einer „(staats-)feministische[n] Staatsräson“ (Hark und Villa 2015b, S. 23)
seien, verweisen auf den Versuch der Reklamierung einer bürgerlichen Gesell-
schaftsordnung als „natürliche, wahre Ordnung“, während die Genderforschung
die „bürgerliche Familie als Keimzelle der Gesellschaft“ grundlegend in Frage stelle
(Maihofer und Schutzbach 2015, S. 212).
Im völkischen Antifeminismus zeigt sich eine ideologische Abgrenzung gegen-
über anderen antifeministischen Strömungen: Die soldatische Männlichkeit (zur
Verteidigung der Volksgemeinschaft) wird als einzig ‚wahre‘ Männlichkeit verhan-
delt, während sogar der unternehmerische Mann abgelehnt wird (Wamper 2017,
S. 354). Das unterscheidet völkischen Antifeminismus etwa von maskulinistischen
Männlichkeitsentwürfen.

4 Fazit: Relevanz und geschlechterpolitische Verortung von


Antifeminismus

Die Forschungsergebnisse zu Antifeminismus in medialen und digitalen Öffentlich-


keiten geben einen ersten Aufschluss über seine Verbreitung und geschlechterpoli-
tische Relevanz. Sie verweisen auch auf die mit unterschiedlichen Strategien ver-
folgte Marginalisierung und Delegitimierung feministischer Öffentlichkeit sowie
feministischer Wissensbestände. Die kommunikationswissenschaftliche Geschlech-
terforschung steht hier vor einer mehrfachen Herausforderung:
Es gilt die verschiedenen antifeministischen Strömungen in den Medien, ihrem
Medienhandeln und die Rezeption sowie Bearbeitung antifeministischer Diskurse in
den Medien differenziert zu untersuchen, wie auch die darauf reagierenden feminis-
tischen Re-Artikulationen (als ,Reaktion und Aktion‘) im öffentlich-medialen Dis-
kurs zu analysieren.
Aus dem noch geringen Forschungsstand ergibt sich eine Reihe offener For-
schungsfragen.
So liegen erste Untersuchungen zum Medienhandeln der vier eingangs zitierten
antifeministischen Richtungen vor, doch fehlen vergleichende und mittelfristig
angelegte Untersuchungen.
Der neue Forschungsverbund REVERSE zu Antifeminismus als Krisenphäno-
men mit gesellschaftsspaltendem Potenzial an der Universität Marburg wird Dis-
kursanalysen in verschiedenen Feldern leisten, hat aber kein Teilprojekt zu Medien.
Die Rezeption und Bearbeitung antifeministischer Diskurse in den Medien und
der politischen Öffentlichkeit ist noch kaum untersucht. So wären beispielsweise
die Wechselbeziehungen zwischen antifeministischen Akteuren und Medien zu
728 I. Aigner und I. Lenz

erforschen und ob diese bereits ein „Standing“ erreicht haben: „Standing refers to a
group being treated as an actor with voice, not merely as an object being discussed
by others“ (Ferree et al. 2002, S. 13). Indem Journalist innen also Akteuren (und
deren Aussagen) eine Plattform einräumen, wird diesen ermöglicht, einer breiteren
Öffentlichkeit die eigene Deutung von Ereignissen und Sachverhalten zu vermitteln.
Auf diese Weise erhalten jene Akteure mehr Macht und Einfluss. Ein „Standing“
würde sich insbesondere in der Öffnung für und Übernahme von antifeministischen
Positionen zeigen, beispielsweise in Form von entsprechenden Gastbeiträgen
(Aigner 2012, S. 47; Weiss 2013, S. 47). In einer Untersuchung zu leitmedialen
Geschlechterdiskursen von Aigner5 wird zudem aufgezeigt, dass sogar innerhalb
gleichstellungspolitischer Postulate antifeministische Diskurse indirekt rezipiert
werden, indem die Befürwortung von Gleichstellungspolitik mit einer Abgrenzung
von feministischen Postulaten verknüpft wird.
Zum Weiteren erscheint die Untersuchung von Antifeminismus im Verhältnis zu
anderen geschlechterpolitischen Diskurspositionen – wie z. B. geschlechterkonserva-
tiven Positionen oder einer ökonomisch orientierten Befürwortung von Gleichstel-
lungspolitik – im medialen Diskurs als sinnvoll. So könnte ausgeleuchtet werden, ob
und wie sich diese gegenseitig verdrängen, ersetzen, ausschließen oder verstärken
und verschärfen, indem sie z. B. in ihrer Bündelung die Marginalisierung feminis-
tischer Positionen vorantreiben.

Literatur
Aigner, Isolde. 2012. „Schrumpfmänner“ im „lila Imperium“ – antifeministische Denkmuster im
medialen Diskurs. In Die Maskulisten, Hrsg. Andreas Kemper, 46–57. Münster: Unrast.
Aigner, Isolde. 2016. Politische Bildung gegen Antifeminismus, Sexismus und Geschlechterkon-
servativismus. Perspektiven für eine gleichberechtigtere Geschlechterkultur. In Geschlecht ist
politisch: Geschlechterreflexive Perspektiven in der politischen Bildung, Hrsg. Madeline Do-
neit, Bettina Lösch, und Margit Rodrian-Pfennig, 121–133. Opladen/Berlin/Toronto: Barbara
Budrich.
Brittan, Arthur. 1989. Masculinity and power. Oxford: Basil Blackwell.
Claus, Robert. 2012. Ambivalente Identitäten – Männlichkeiten im Maskulismus zwischen Tradi-
tionalismus und Flexibilisierung. In Die Maskulisten, Hrsg. Andreas Kemper, 79–100. Münster:
UNRAST.
Claus, Robert. 2014. Maskulismus. Antifeminismus zwischen vermeintlicher Salonfähigkeit und
unverhohlenem Frauenhass. Friedrich-Ebert-Stiftung. http://www.fes.de/cgi-bin/gbv.cgi?id=
10861&ty=pdf. Zugegriffen am 20.09.2017.
Drüeke, Ricarda, und Elisabeth Klaus. 2014. Öffentlichkeiten im Internet: Zwischen Feminismus
und Antifeminismus. Femina Politica: Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft 23(2):
59–71.
Drüeke, Ricarda, und Corinna Peil. 2015. Sprachliche Inklusion versus virtuellen Backlash. In
Zwischen Gegebenem und Möglichem: Kritische Perspektiven auf Medien und Kommunikation,
Hrsg. Ricarda Drüeke, Susanne Kirchhoff, Thomas Steinmaurer, und Martina Thiele, 275–288.
Bielefeld: transcript.

5
Hierbei handelt es sich um erste Ergebnisse eines noch abzuschließenden Dissertationsvorhabens
von Isolde Aigner zu leitmedialen Geschlechterdiskursen am Beispiel von Der Spiegel und Focus.
Antifeminismus und Antigenderismus in medialen und digitalen . . . 729

Ferree, Myra Marx, William Anthony Gamson, Jürgen Gerhard, und Dieter Rucht. 2002. Shaping
abortion discourse: Democracy sphere in Germany and the United States. Cambridge: Cam-
bridge University Press.
Frey, Regina, Marc Gärtner, Manfred Köhnen, und Sebastian Scheele. 2014. Gender. Wissenschaft-
lichkeit und Ideologie, 2. Aufl. Berlin: Heinrich-Böll-Stiftung.
Ganz, Kathrin, und Anna-Katharina Meßmer. 2015. Anti-Genderismus im Internet: Digitale Öffent-
lichkeiten als Labor eines neuen Kulturkampfes. In Anti-Genderismus: Sexualität und
Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen, Hrsg. Sabine Hark
und Paula-Irene Villa, 59–77. Bielefeld: transcript.
Gruber, Laura. 2012. Maskulinismus im Internet. In Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht in
Bewegung: Forschungsperspektiven der kommunikations- und medienwissenschaftlichen
Geschlechterforschung, Hrsg. Tanja Maier, Martina Thiele, und Christine Linke, 163–175.
Bielefeld: transcript.
Gsenger, Marlene, und Martina Thiele. 2014. Wird der #aufschrei erhört? Eine kritische Diskurs-
analyse der Sexismus-Debatte in Deutschland. kommunikation medien. Onlinejournal des
Fachbereichs Kommunikationswissenschaft 3:1–28.
Hark, Sabine, und Paula-Irene Villa. 2015a. Anti-Genderismus: Sexualität und Geschlecht als
Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen. Bielefeld: transcript.
Hark, Sabine, und Paula-Irene Villa. 2015b. „Eine Frage an und für unsere Zeit“. Verstörende
Gender Studies und symptomatische Missverständnisse. In Anti-Genderismus: Sexualität und
Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen, Hrsg. Sabine Hark und
Paula-Irene Villa, 15–29. Bielefeld: transcript.
Illgner, Johanna Lea. 2018. Hass-Kampagnen und Silencing im Netz. In Antifeminismus in Bewe-
gung. Aktuelle Debatten um Geschlecht und sexuelle Vielfalt, Hrsg. Juliane Lang und Ulrich
Peters, 253–272. Hamburg: Marta Press.
Jäger, Siegfried. 2009. Kritische Diskursanalyse: Eine Einführung, 5. Aufl. Münster: Unrast.
Kiepels, Sandra. 2013. Antifeminismus im Zeitungsdiskurs von 1980–2013. Hamburg: Diplomica.
Klaus, Elisabeth. 1998. Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung. Zur Bedeutung
der Frauen in den Massenmedien und im Journalismus. Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher
Verlag.
Klaus, Elisabeth, und Margreth Lünenborg. 2013. Zwischen (Post-)Feminismus und Antifeminis-
mus. Reflexionen zu gegenwärtigen Geschlechterdiskursen in den Medien. Gender – Zeitschrift
für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft 5(2): 78–93.
Lang, Juliane. 2015. Familie und Vaterland in der Krise. Der extrem rechte Diskurs um Gender. In
Anti-Genderismus: Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinan-
dersetzungen, Hrsg. Sabine Hark und Paula-Irene Villa, 167–181. Bielefeld: transcript.
Lenz, Ilse. 2008. Die neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied.
Eine Quellensammlung. Wiesbaden: VS.
Lenz, Ilse. 2017. Geschlechterkonflikte um Gender und Gleichstellung. In Gender – Theorie oder
Ideologie? Hrsg. Thomas Laubach, 27–48. Freiburg: Herder.
Lenz, Ilse. 2018. Streit Geschlecht Konflikt. Zum Ansatz der Geschlechterkonflikte. In Georg
Simmel und das Leben in der Gegenwart, Hrsg. Rüdiger Lautmann und Hanns Wienold.
Wiesbaden: Springer VS.
Maihofer, Andrea, und Franziska Schutzbach. 2015. Vom Antifeminismus zum ‚Anti-Genderis-
mus‘. Eine zeitdiagnostische Betrachtung am Beispiel der Schweiz. In Anti-Genderismus:
Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen, Hrsg.
Sabine Hark und Paula-Irene Villa, 201–217. Bielefeld: transcript.
Mayer, Stefanie, Edma Ajanovic, und Birgit Sauer. 2018. Kampfbegriff ‚Gender Ideologie‘. Zur
Anatomie eines diskursiven Knotens. Das Beispiel Österreich. In Antifeminismus in Bewegung.
Aktuelle Debatten um Geschlecht und sexuelle Vielfalt, Hrsg. Juliane Lang und Ulrich Peters,
37–59. Hamburg: Marta Press.
Möller, Simon. 1999. Sexual Correctness. Die Modernisierung antifeministischer Debatten in den
Medien. Opladen: Leske und Budrich.
730 I. Aigner und I. Lenz

Müller, Yves. 2010. Gegen Feminismus und „Dekadenz“ – die Neue Rechte in der Krise? In „Was
ein rechter Mann ist . . .“: Männlichkeiten im Rechtsextremismus, Hrsg. Robert Claus, Esther
Lehnert, und Yves Müller, 67–87. Berlin: Carl Dietz.
Rosenbrock, Hinrich. 2012a. Die antifeministische Männerrechtsbewegung: Denkweisen, Netz-
werke und Online-Mobilisierung. Berlin: Heinrich-Böll-Stiftung.
Rosenbrock, Hinrich. 2012b. Hate speech: Hass als Emotion und Strategie. In Die Maskulisten,
Hrsg. Andreas Kemper, 139–145. Münster: Unrast.
Roßhart, Julia. 2007. Bedrohungsszenario Gender: Gesellschaftliches Geschlechterwissen und
Antifeminismus in der Medienberichterstattung zum Gender Mainstreaming. https://publish
up.uni-potsdam.de/opus4-ubp/frontdoor/deliver/index/docId/1673/file/rosshart_magister.pdf.
Zugegriffen am 10.09.2017.
Wamper, Regina. 2017. Das rechte Geschlecht. Geschlechterkonstruktionen in extrem rechten
Medien und deren Relevanz für völkisches Denken. Dissertation, Rheinisch-Westfälische Tech-
nische Hochschule Aachen.
Weiss, Alexandra. 2013. „Geschlechterkampf“ – Inszenierungen von Frauenmacht und Männerleid.
In Geschlechterverhältnisse und neue Öffentlichkeiten. Feministische Perspektiven, Hrsg. Birgit
Riegraf, Hanna Hacker, Heike Kahlert, Brigitte Liebig, Martina Peitz, und Rosa Reitsamer,
37–57. Münster: Westfälisches Dampfboot.
Gewaltverhältnisse und Sprache

María do Mar Castro Varela

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 732
2 Frühe Arbeiten zu Sprache und Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 732
3 Der linguistic turn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 734
4 Strategien im Umgang mit sprachlicher Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 735
5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 737

Zusammenfassung
Medien sind ohne Sprache nicht denkbar. Unter Einsatz von Worten wird Wissen
weitergegeben und hergestellt, werden Meinungen vermittelt und Kritik geübt.
Eine kritische Auseinandersetzung mit Medien erfordert insoweit das differen-
zierte Studieren von Sprache an und für sich. Sprache ist nie harmlos. Es war der
linguistic turn, der insbesondere innerhalb der Gender und Queer Studies ver-
tiefte Auseinandersetzungen mit „Gewalt und Sprache“ ausgelöst hat. Diese
betreffen sowohl die (Hetero-)Normativität von Sprache als auch die Permanenz
gewalttätiger Begriffe.

Schlüsselwörter
Sprache · Gewalt · Rassismus · Sexismus · Linguistic turn · Feministische
Sprachforschung · Heteronormative Sprache · Resignifizierung

M. Castro Varela (*)


Alice Salomon Hochschule, Berlin, Deutschland
E-Mail: castrovarela@posteo.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 731
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_37
732 M. Castro Varela

1 Einleitung

Medien sind Kommunikationsmittel. Mittels geschriebener und gesprochener Worte


– und Bilder – werden Informationen weitergeleitet, Meinungen vermittelt, Kritik
geübt. Eine kritische Auseinandersetzung mit Medien erfordert insoweit notwendi-
gerweise eine differenzierte Analyse von Sprache. Sprache ist weder neutral noch
harmlos. Im Gegenteil. Wie Kuch und Herrmann feststellen, kann mit Sprache nicht
nur Gewalt beschrieben, sondern auch Gewalt ausgeübt werden. „Worte können
nicht nur etwas tun, sie können auch etwas antun.“ (Herrmann und Kuch 2007, S. 7)
Sprache ist Teil der Geschichte eines spezifischen Sprachkollektivs und transportiert
damit auch die Gewalt dieser Gruppe im Verlauf ihrer historischen Entwicklung –
sowohl die erfahrene als auch die begangene Gewalt. In dem, was sprachlich
möglich ist, erkennen wir das Gewaltpotenzial und die Gewaltgeschichte einer
sozialen Gruppe. So ist es möglich, einen Einblick in die Weltsicht zu erhalten als
auch zu analysieren, wie mit denjenigen umgegangen wird, die in einer spezifischen
Sprachgruppe als die „Anderen“ gelten bzw. keinen Subjektstatus zugesprochen
bekommen. Welche Worte kennt eine Sprache für diejenigen, die nicht in dem
Territorium geboren wurden, dem diese Sprache zugerechnet wird? Wie viele Worte
gibt es, um den Status „Gast“ auszudrücken? Ist eine Sprache heteronormativ?
Welche Adjektive tragen eine weibliche Konnotation und welche eine männliche?
All diese Überlegungen gewähren einen Einblick in die historischen und aktuellen
Diskurse um Normalität und Zugehörigkeit und verweisen auf die normalisierende
und ausgrenzende Kraft von Sprache.
Die Beschäftigung mit „Gewalt und Sprache“ erfolgt dabei kaum zufällig schwer-
punktmäßig im feministischen als auch im rassismuskritischen und queeren Wis-
senschaftsfeld. Hier finden wir seit den 1980er-Jahren eine Vielzahl von Untersu-
chungen zum Thema (etwa Butler 1998). Hervorzuheben sind insbesondere die
vielfältigen Studien zu sexistischer und rassistischer Sprache in den Medien (etwa
Trömel-Plötz 1984; Jäger und Link 1993; Schiffer 2007).

2 Frühe Arbeiten zu Sprache und Gewalt

Bereits frühe Arbeiten innerhalb der deutschen Philologie und Philosophie haben
sich mit dem Zusammenhang von Sprache und Gewalt beschäftigt. Erinnert sei an
zwei wichtige Interventionen im deutschsprachigen Raum, die mit wichtigen histo-
rischen Ereignissen einhergingen. Sie finden bemerkenswerterweise heute nur selten
im Zusammenhang mit Sprachgewalt Erwähnung: zum einen die Veröffentlichung
LTI – Notizbuch eines Philologen von Victor Klemperer (2007 [1947]), der dort die
sogenannte „Lingua Tertii Imperii“, die Sprache des Dritten Reiches, analysiert.1

1
LTI wurde unter dem Titel Die Sprache lügt nicht (Originaltitel: „La langue ne ment pas“) als
Fernsehfilm dokumentiert. Der Titel weist darauf hin, dass es Klemperer vor allem darum ging, die
Gewalttätigkeit des deutschen Nationalsozialismus in dessen Sprache zu entlarven.
Gewaltverhältnisse und Sprache 733

LTI greift in gewisser Weise der Diskursanalyse vor und weist auf Sprache als
notwendige Herstellungsgehilfin von „Wirklichkeit“ und „Wahrheit“ hin. So zeigt
Klemperer auf, welche nazistischen Wahrheiten wie durchgesetzt wurden und wie
die Rhetorik der Nazis das Denken der Menschen für die „Sache“, den „Führer“ und
die „Nation“ vereinnahmte. Ebenso weist er auf die Konsequenzen für das Denken
der nachfolgenden Generationen hin. So lässt sich Sprache, Klemperer zufolge, nicht
mit einem Regierungswechsel verändern. Es sind konstante Kämpfe notwendig,
damit die Sprache – und mithin auch die Gemeinschaft der Sprechenden – verlernt,
im Sinne der Gewaltherrschaft zu sprechen.
Zum anderen finden sich die ersten feministischen Studien zu sexistischer Spra-
che und Sexismus in der deutschen Sprache in der Philologie. Sie schließen aller-
dings nicht an die Studie von Klemperer an, obschon sie in ähnlicher Weise
argumentieren, dass Sprache Teil und Stütze eines Gewaltverhältnisses – in diesem
Falle des Patriarchats – ist. Hier sind vor allem die Veröffentlichungen der Be-
gründerinnen der feministischen Linguistik Luise F. Pusch (1984) und Senta Trö-
mel-Plötz (1979, 1982, 1984) zu nennen, die in den 1980er-Jahren wichtige politi-
sche und wissenschaftliche Debatten entfachten, die uns heute noch vertraut sind.
Nicht nur wurde der Sexismus der deutschen Sprache differenziert aufgezeigt und
skandalisiert, sondern auch Vorschläge gemacht, wie diesem zu begegnen sei. So
schreibt Trömel-Plötz (1982, S. 156): „Änderungen der Sprache heißt, daß wir die
Definitionen der Männer von uns nicht mehr akzeptieren.“
Diese zwei Beispiele zeigen an, dass die politische Skandalisierung von Sprache
durch die Sprachwissenschaft im deutschsprachigen Kontext nicht geschichtslos ist.
In Bezug auf die feministischen Debatten muss hinsichtlich der theoretischen
Bezüge geradezu ein Bruch konstatiert werden. Bereits vor dem sogenannten lingu-
istic turn wurde hier auf die Gewalttätigkeit von Sprache aufmerksam gemacht,
allerdings unter anderen wissenschaftstheoretischen Prämissen. Die Analysen sind
beispielsweise weder als Diskursanalysen noch intersektional angelegt. Pusch und
Trömel-Plötz gehen – wie damals üblich – von einer unhinterfragten Zweige-
schlechtlichkeit aus und postulieren ein Herrschaftssystem, in dem eine Gruppe
(„Männer“) die andere („Frauen“) unterdrückt. Die Untersuchungen unterlaufen also
nicht den der deutschen Sprache innewohnenden biologistischen Essentialismus und
gehen stattdessen von einer universalen problematischen homogenen Kategorie
„Frau“ aus (Castro Varela und Konuk 1995).
Eine andere Kritik kommt vonseiten der Pädagogik. Im anglofonen Raum
beginnt Mitte der 1980er-Jahre eine Diskussion zu dem, was Jim Cummins und
Tove Skutnabb-Kangas als Linguizismus (linguicism) bezeichnen. Untersucht wird
hier die in den USA und Kanada zu beobachtende Nicht-Anerkennung von Zwei-
und Mehrsprachigkeit als auch die Missachtung von Minderheitensprachen
(Skutnabb-Kangas und Cummins 1988; Skutnabb-Kangas 1990). Robert Phillipson
(1992) spricht in diesem Zusammenhang gar von einem imperialistischen Lingui-
zismus und fordert ein Recht auf das Lernen und Sprechen von Community-
Sprachen ein. İnci Dirim (2010) hat diese Thesen für den deutschsprachigen Raum
überprüft und kritisiert mit Blick auf Deutschland und Österreich einen hegemonia-
len Monolinguismus, der mit einer Diskriminierung von Mehrsprachigkeit und
734 M. Castro Varela

Nicht-Akzeptanz der von Migrant*innen gesprochenen Sprachen einhergeht. Eine


besondere Form des Linguizismus ist der sogenannte Audismus (Lane 1994), der
nicht-orale Sprachen – etwa Gebärdensprachen – diskriminiert und die Gemein-
schaft der Gebärdensprechenden als nicht-sprechend beschreibt.

3 Der linguistic turn

Der linguistic turn (dt. sprachkritische oder sprachanalytische Wende), der seit
Beginn des 20. Jahrhunderts für die Anstrengungen steht, sprachliche Vermittlung
differenziert zu untersuchen, versetzte nicht nur die Philosophie und Literaturwis-
senschaft, sondern auch die Geistes- und Sozialwissenschaften in Bewegung und
schärfte den analytischen Blick auf den Sprachgebrauch und die Konstruktion von
Wirklichkeit über Sprache. Der Begriff linguistic turn wurde Richard Rorty (1967,
S. 9) zufolge von dem Wiener Wissenschaftstheoretiker und Philosophen Gustav
Bergmann (1964) geprägt, wird aber vor allem mit Rortys Sammelband The lingu-
istic turn. Essays in philosophical method von 1967 assoziiert. Die Vorstellung, dass
es keine Realität jenseits von Sprache gibt, ermöglichte ein neues Nachdenken über
Rassismus, Geschlecht und Sexualität. Postkoloniale, feministische und queere
Studien wie auch Untersuchungen innerhalb der Critical Race und Cultural Studies
fokussieren darauf aufbauend nicht nur, wie rassistische Verhältnisse historisch
entstanden sind, sondern auch wie diese persistent diskursiv hervorgebracht werden.
Zumeist stützen sich diese dabei auf poststrukturalistische Paradigmen und Austins
Sprechakttheorie (1972 [1962]). Eine der wichtigsten Annahmen der Critical-Race-
Theorie ist, dass Sprache nicht nur unterwirft, sondern ebenso die rassistisch unter-
werfbaren Subjekte erzeugt und dabei gleichzeitig eine unhintergehbare Differenz
zwischen dem europäischen, weißen „Wir“ und den „Anderen“ postuliert. Bereits zu
Beginn der Kolonisierung im 15. Jahrhundert versuchten Schriften europäischer
Gelehrter die (kulturelle) Differenz zwischen Europäer*innen und Kolonisierten
darzulegen (Hall 1994). Eine der Konsequenzen dieser machtvollen Praxis war die
Konstruktion von „Rassen“ und die vielfältigen Wortschöpfungen, die die Subjek-
tivierung nicht nur markierten, sondern auch durchsetzten (Nduka-Agwu und Horn-
scheidt 2010; Arndt und Ofuatey-Alazard 2011). Die Herstellung normativer Körper
war unweigerlich verknüpft mit der Produktion essentialisierender Sprachschöpfun-
gen.
Mittlerweile liegen in den Kultur- und Sozialwissenschaften wie auch innerhalb
der Gender und Queer Studies eine Reihe von Untersuchungen und Studien vor, die
den macht- und gewaltvollen Einsatz von Sprache im Alltag, in der Politik und in
den Medien analysieren. Wir können dabei unterscheiden zwischen philosophischen
Studien, die (sprach-)theoretisch etwa die Dynamiken zwischen Subjekt, Sprache
und Handlungsmacht untersuchen (grundlegend Austin 1972 [1962]; Foucault 1991
[1969], 1981 [1972]; weitergehend etwa Butler 1998: Dhawan 2007), und empiri-
schen, zumeist sozialwissenschaftlichen Studien, die sich unter anderem diskurs-
analytisch Themen wie Ausgrenzung und Stigmatisierung durch Sprache annähern.
Zu letzteren zählen im deutschsprachigen Raum unter anderem die Arbeiten des
Gewaltverhältnisse und Sprache 735

Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS) unter der Leitung von
Siegfried Jäger (etwa Jäger und Link 1993) und des Wiener Instituts unter der
Leitung von Ruth Wodak (etwa Wodak et al. 1990).
Feministisch postkoloniale Arbeiten finden sich insbesondere im anglofonen
Raum. So konnte Sara Mills (2005) in einer Diskursanalyse, die auf der postkolo-
nialen Diskursanalyse Edward Saids aufbaut, zeigen, wie sich während der kolonia-
len Herrschaft Klassen- und Gender-Diskurse mit rassistischen Diskursen überlapp-
ten und vermischten. Said (2009 [1978], 1992) hatte bereits in seinen Schriften auf
die Produktion der „Anderen“ aufmerksam gemacht und darauf, wie der Orientalis-
mus auch in den Medien das Bild der „muslimischen Anderen“ stabilisiert.
Die postkoloniale Theoretikerin Marie-Louise Pratt (2009) hat aufgezeigt, wie
linguistische Gewalt in den Medien eingesetzt wird. Sie spricht in diesem Zusam-
menhang von Sprache, die zur Waffe wird, um zu Kriegszwecken eingesetzt zu
werden (weaponization of language in warfare). So können die „Gegner_innen“
sprachlich gedemütigt und verachtet werden bzw. sprachlich Gegner_innenschaft
hergestellt werden.

4 Strategien im Umgang mit sprachlicher Gewalt

Lann Hornscheidt (2012) hat viel diskutierte neue Vorschläge für eine deutsche
Sprache zur Diskussion gestellt, die die normative Zweigeschlechtlichkeit über-
windet. Zuvor wurde bereits in Debatten um die heteronormative Verfasstheit der
Sprache immer wieder um neue Formen geschlechterkritischer Schreibweisen des
Deutschen gestritten. So sorgte das Buch Verletzende Worte von Herrmann et al.
(2007) und viele weitere Schriften der Autor*innen dafür, einen Unterstrich bei
vergeschlechtlichten Nomen zu nutzen. So soll sichtbar gemacht werden, dass
Zweigeschlechtlichkeit eine gewaltvolle Konstruktion darstellt, die durch gramma-
tikalische Normen gestützt wird. Der Einsatz des Asterisks (*) folgt demselben
Argument und erweitert dieses, indem ein Asterisk auch nach Nomen wie etwa
Frau* und Mann* gesetzt werden kann, um auf den Konstruktionscharakter dieser
Begriffe aufmerksam zu machen. Die Diskussion hierzu wird zum Teil erbittert
geführt. Während einige Hochschulen, Journals, Zeitschriften und Verlage diese
neuen Schreibweisen akzeptieren, lehnen andere sie vehement ab.
Die Diskussion darüber, wie mit der normativen Vergeschlechtlichung der deut-
schen Sprache umgegangen werden kann, überlappt sich mit andauernden Debatten
um Worte, die als gewaltinduzierend gesehen werden bzw. denen vorgeworfen wird,
(historische) Gewalt zu transportieren und zu reproduzieren. Dazu zählen vornehm-
lich rassistische Begriffe. Vorgeschlagen werden hier unter anderem der Verzicht auf
die Nutzung, der Ersatz oder die Andeutung des Wortes, ohne dass dieses ausge-
schrieben oder ausgesprochen wird. Der Duden hat darauf bereits reagiert. In der
24. Auflage desselben findet sich zum rassistischen Begriff für schwarze Menschen,
für das sich in liberalen intellektuellen Kreisen die Bezeichnung N-Wort durchge-
setzt hat, ein kleiner blauer Kasten, der darauf hinweist, dass der Begriff von einigen
Menschen als diskriminierend empfunden wird.
736 M. Castro Varela

In Anbetracht des trickreichen Verhältnisses von Sprache, Subjekt und Gewalt


erscheint es schwierig, die inhärente Gewalt der (deutschen) Sprache dadurch bän-
digen zu wollen, dass Strategien der Zensur und Denunziation zum Einsatz kommen
(Castro Varela 2014). Judith Butler setzt stattdessen auf die Strategie der Resignifi-
zierung. In ihrem Buch Hass spricht. Zur Politik des Performativen (1998) betrach-
tet sie insbesondere die Möglichkeiten, die Sprache bietet, um soziale Verhältnisse
zu verändern. Butler folgt Foucault und postuliert, dass das Subjekt selbst im
Diskurs geschaffen wird. Die damit einhergehende Subjektposition ermöglicht es
dem Subjekt, sich zu artikulieren, und doch bleibt die Subjektposition immer fragil.
„Durch das Sprechen verletzt werden“, schreibt Butler, „bedeutet, daß man Kontext
verliert, also buchstäblich nicht weiß, wo man ist. Vielleicht macht tatsächlich
gerade das Unvorhersehbare des verletzenden Sprechens die Verletzung aus, der
Adressat wird seiner Selbstkontrolle beraubt.“ (Butler 1998, S. 12) Diese immer
drohende Beraubung der Selbstkontrolle wohnt jedem Akt der Repräsentation bei.
Wieder Kontrolle zu erhalten, gelingt zuweilen, indem eine Bedeutungsverschie-
bung bewusst und öffentlich durchgesetzt wird. Butler räumt ein, dass, in juristi-
schen Kontexten gedacht, die Bestrafung der verletzenden Sprache durchaus wir-
kungsvoll sein kann. Dies bleibt aber eine sehr begrenzte Strategie, weil es Formen
des Widerstands und der Handlungsmacht undenkbar macht, die eben nicht auf den
Staat fixiert sind (Butler 1998, S. 34). Bleiben die Widerstandsformen staatlicher-
seits gerahmt, so ist es nicht möglich, Subjekte außerhalb einer nationalstaatlichen
Rahmung zu denken. Dies ist jedoch wichtig und notwendig, wenn wir uns von
gewaltvollen nationalstaatlichen Diskursen – die immer auch nationalistischer Natur
sind – absetzen wollen.
Neben der Strategie der Resignifizierung wird in den Queer Studies auch die
Strategie der Fehlaneignung diskutiert, die Butler (1998) neben der Resignifizierung
erwähnt. Sie stellt den Versuch dar, eine Dekonstruktion der Hegemonie zu errei-
chen, indem Normen, aber auch Begriffe bewusst falsch angeeignet werden. Es
können mit Begriffen Dinge und Subjekte beschrieben werden, die sie eigentlich
nicht beschreiben. Dies wirkt gewissermaßen als ein Angriff auf die Normativität
und Homogenisierung von Worten, indem auf die radikale Diskontinuität von
Zeichen und Gegenstand aufmerksam gemacht wird und das unendliche Spiel der
Bedeutungen in Bewegung versetzt wird. So bringen die Veranstalter_innen und
Teilnehmenden der sogenannten „SlutWalks“ den Begriff der „Schlampe“, der
Frauen diffamieren möchte, die gesellschaftliche Sexualnormen überschreiten, als
positive und lustvolle Selbstbezeichnung zum Einsatz.

5 Fazit

Medien, die neben der Exekutive, Legislative und Judikative oft als „vierte Gewalt“
bezeichnet werden, verfügen über ein besonderes Gewaltpotenzial. Beschreibungen
und Adressierungen in den Medien sind oft nicht nur unangemessen, sondern eben
auch gewaltvoll. Rassistische und sexistische Begrifflichkeiten sind in vielen Publi-
kationen eher die Regel denn die Ausnahme. Des Weiteren ist die Heteronormativität
Gewaltverhältnisse und Sprache 737

der deutschen Sprache eine Tatsache, die häufig nicht als Problem wahrgenommen
wird. Subjekte werden durch Sprache verletzt und als verletzlich hervorgebracht.
Es liegen nun auch einige gute Handreichungen für Journalist*innen vor, die
konkrete Vorschläge unterbreiten, wie über minorisierte Gruppen geschrieben und
berichtet werden kann, ohne diese zu verletzen (etwa AntiDiskriminierungsBüro/
Öffentlichkeit gegen Gewalt 2013; TransInterQueer und Wild 2014). Diese entlassen
nicht aus der notwendigen dekonstruktiven Wachsamkeit, die dazu nötigt, Sprache
nicht als gegeben, sondern vielmehr als historisch geworden zu betrachten ebenso
wie die Subjekte, die in dieser geformt werden und diese sprechen und schreiben.

Literatur
AntiDiskriminierungsBüro/Öffentlichkeit gegen Gewalt. 2013. Leitfaden für einen rassismuskriti-
schen Sprachgebrauch. Handreichung für Journalist_innen. http://www.adb-sachsen.de/tl_files/
adb/pdf/Leitfaden_ADB_Koeln_disfreie_Sprache.pdf. Zugegriffen am 30.03.2018.
Arndt, Susan, und Nadja Ofuatey-Alazard, Hrsg. 2011. Wie Rassismus aus Wörtern spricht.
(K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlage-
werk. Münster: Unrast.
Austin, John L. 1972. Zur Theorie der Sprechakte. Stuttgart: Reclam.
Bergman, Gustav. 1964. Logic and reality. Madison: The University of Wisconsin Press.
Butler, Judith. 1998. Haß spricht. Zur Politik des Performativen. Berlin: Berlin Verlag.
Castro Varela, María do Mar. 2014. Lazy Politics. Antisemitismus, Rassismus und die Notwendig-
keit politischer Arbeit. In Sprache – Macht – Rassismus, Hrsg. Gudrun Hentges, Jamila
Adamou, und Mechtild Jansen, 17–34. Berlin: Metropol.
Castro Varela, María do Mar, und Kader Konuk. 1995. Die andere Frau (wider)spricht. Beiträge zur
feministischen Theorie und Praxis 40:25–32.
Dhawan, Nikita. 2007. Impossible speech: On the politics of silence and violence. Sankt Augustin:
Academia Verlag.
Dirim, İnci. 2010. ‚Wenn man mit Akzent spricht, denken die Leute, dass man auch mit Akzent
denkt oder so.‘ Zur Frage des (Neo-)Linguizismus in den Diskursen über die Sprache(n) der
Migrationsgesellschaft. In Spannungsverhältnisse. Assimilationsdiskurse und interkulturell-pä-
dagogische Forschung, Hrsg. Paul Mecheril, İnci Dirim, Mechtild Gomolla, Sabine Hornberg,
und Krassimir Stojanov, 91–114. Münster: Waxmann.
Foucault, Michel. 1981. Archäologie des Wissens. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Foucault, Michel. 1991 [1972]. Die Ordnung des Diskurses. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Hall, Stuart. 1994. Der Westen und der Rest. Diskurs und Macht. In Rassismus und kulturelle
Identität. Ausgewählte Schriften 2, Hrsg. Stuart Hall, 137–179. Hamburg: Argument.
Herrmann, Steffen K., und Hannes Kuch. 2007. Verletzende Worte. Eine Einleitung. In Verletzende
Worte. Die Grammatik sprachlicher Missachtung, Hrsg. Steffen K. Herrmann, Sybille Krämer,
und Hannes Kuch, 7–30. Bielefeld: transcript.
Herrmann, Steffen Kitty, Sybille Krämer, und Hannes Kuch, Hrsg. 2007. Verletzende Worte. Die
Grammatik sprachlicher Missachtung. Bielefeld: transcript.
Hornscheidt, Lann. 2012. Feministische W_Orte. Ein Lern-, Denk- und Handlungsbuch zu Sprache
und Diskriminierung, Gender Studies und feministischer Linguistik. Frankfurt a. M.: Brandes &
Apsel.
Jäger, Siegfried, und Jürgen Link, Hrsg. 1993. Die vierte Gewalt. Rassismus und die Medien.
Duisburg: DISS.
Klemperer, Victor. 2007. LTI. Notizbuch eines Philologen. Stuttgart: Reclam.
738 M. Castro Varela

Kuch, Hannes, und Steffen K. Herrmann. 2007. Symbolische Verletzbarkeit und sprachliche
Gewalt. In Verletzende Worte. Die Grammatik sprachlicher Missachtung, Hrsg. Steffen
K. Herrmann, Sybille Krämer, und Hannes Kuch, 179–210. Bielefeld: transcript.
Lane, Harlan L. 1994. Die Maske der Barmherzigkeit. Unterdrückung von Sprache und Kultur der
Gehörlosengemeinschaft. Hamburg: Signum.
Mills, Sara. 2005. Gender and colonial space. Manchester: Manchester University Press.
Nduka-Agwu, Adibeli, und Lann Hornscheidt, Hrsg. 2010. Rassismus auf gut Deutsch: Ein
kritisches Nachschlagewerk zu rassistischen Sprachhandlungen. Frankfurt a. M.: Brandes &
Apsel.
Phillipson, Robert. 1992. Linguistic imperialism. New York/London: Oxford University Press.
Pratt, Mary Louise. 2009. Harm’s way: Language and the contemporary arts of war. PMLA 124(5):
1515–1531.
Pusch, Luise F. 1984. Das Deutsche als Männersprache: Aufsätze und Glossen zur feministischen
Linguistik. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Rorty, Richard M., Hrsg. 1967. The linguistic turn. Essays in philosophical method. Chicago:
University of Chicago Press.
Said, Edward. 1992. Covering islam: How the media and the experts determine how we see the rest
of the World. New York/London: Vintage.
Said, Edward. 2009. Orientalismus. Frankfurt a. M.: Fischer.
Schiffer, Sabine. 2007. Die Verfestigung des Islambildes in deutschen Medien. In Mediale Barrie-
ren. Rassismus als Integrationshindernis, Hrsg. Siegfried Jäger und Dirk Halm, 167–200.
Münster: Unrast.
Skutnabb-Kangas, Tove. 1990. Language, literacy and minorities. Minority rights group report.
London: Minority Rights Group.
Skutnabb-Kangas, Tove, und Jim Cummins, Hrsg. 1988. Minority education: From shame to
struggle. Clevedon/Avon: Multilingual Matters.
TransInterQueer, und Leo Yannick Wild. 2014. Trans* in den Medien. Informationen für Journa-
list_innen. http://www.transinterqueer.org/download/Publikationen/TrIQ_Journalist_innen-2.%
20Aufl.-web%282%29.pdf. Zugegriffen am 23.03.2018.
Trömel-Plötz, Senta. 1979. Frauensprache in unserer Welt der Männer. Konstanz: Universitäts-
verlag.
Trömel-Plötz, Senta. 1982. Frauensprache: Sprache der Veränderung. Frankfurt a. M.: Fischer.
Trömel-Plötz, Senta, Hrsg. 1984. Gewalt durch Sprache. Die Vergewaltigung von Frauen in Ge-
sprächen. Frankfurt a. M.: Fischer.
Wodak, Ruth, Peter Nowak, Johanna Pelikan, Helmut Gruber, Rudolf de Zilia, und Richard Mitten.
1990. „Wir sind alle unschuldige Täter“. Diskurshistorische Studien zum Nachkriegsantisemi-
tismus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Hate Speech im Internet

Kathrin Ganz

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 739
2 Hate Speech im Internet und Geschlecht: Ausmaß, Formen und gesellschaftlicher
Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741
3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 746
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 746

Zusammenfassung
Im Internet lassen sich verschiedene Formen geschlechtsbasierter Belästigung
und sexistischer Hate Speech beobachten. Zahlreiche Studien bewerten dies als
Ausdruck eines Geschlechterkampfes um Sprechpositionen in digitalen Öffent-
lichkeiten. Die Forschung beschäftigt sich mit den Formen und Hintergründen
von Hate Speech, aber auch mit Möglichkeiten der Gegenwehr. Dass dabei
oftmals ein binäres und dualistisches Geschlechterbild reproduziert wird, zeigt
die performative Wirkkraft von geschlechtsbezogener Hate Speech.

Schlüsselwörter
Hate Speech · Online Harassment · Sexismus · Internet · Öffentlichkeit

1 Einleitung

Hate Speech (dt. Hassrede) ist die aktuell prominenteste Ausprägung verbalisierter
Missachtung im Internet. Auch Geschlecht und Geschlechterverhältnisse werden im
Internet häufig im Modus von Hate Speech adressiert. Geschlechtsbezogene Formen

K. Ganz (*)
Margherita-von-Brentano-Zentrum, Freie Universität Berlin, Berlin, Deutschland
E-Mail: kathrin.ganz@fu-berlin.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 739
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_39
740 K. Ganz

verbaler Missachtung und Ausschlüsse aus digitalen Kommunikationsräumen sind


bereits seit längerem Gegenstand kommunikationswissenschaftlicher Analysen
(z. B. Sutton 1994; Herring 1999; Herring et al. 2002). Durch soziale Medien, die
u. a. durch hypermedialen User Generated Content und ein hohes Maß an Inter-
aktion gekennzeichnet sind, haben sich die Möglichkeiten vervielfältigt, Verachtung
zum Ausdruck zu bringen. Hass im Internet ist vernetzt, interaktiv und multimedial.
In den letzten Jahren haben sich Auseinandersetzungen um Geschlechterverhältnisse
und Feminismus im Internet zugespitzt (Carstensen 2012). In digitalen Öffentlich-
keiten werden sowohl feministische als auch dezidiert frauenfeindliche und antifemi-
nistische Positionen artikuliert. Das Internet scheint zum Austragungsort eines „new
culture war“ (Penny 2014) geworden zu sein. Dass Betroffene seit einigen Jahren
vermehrt über Erfahrungen mit Hate Speech berichten, politisiert das Thema und führt
zu einem gestiegenen Forschungsinteresse seitens der Medien- und Kommunikations-
wissenschaft sowie aus internetsoziologischer und juristischer Perspektive.
Hate Speech ist eine Form sprachlicher Diskriminierung. Der Begriff bezeichnet
den „sprachliche[n] Ausdruck von Hass gegen Personen und Gruppen [. . .] insbe-
sondere durch die Verwendung von Ausdrücken, die der Herabsetzung und Verun-
glimpfung von Bevölkerungsgruppen dienen“ (Meibauer 2013, S. 1). Sie stützt sich
in der Regel auf konventionalisierte Abwertungen gesellschaftlicher Gruppen (Mei-
bauer 2013, S. 3) und ist damit Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse und
Positionierungen (Hornscheidt 2013, S. 37–38). Als diskriminierende „SprachHand-
lung“ (ebd.) verstanden, hat Hate Speech die Macht zu verletzen. Voraussetzung
dafür ist die Zitathaftigkeit von Hate Speech: „Sollen Beleidigungen performative
Kraft haben, müssen sie vergangene Äußerungen wiederholen“ (Herrmann und
Kuch 2007, S. 21). Judith Butler (1998) diskutiert die Verletzungsmacht von Spra-
che im Rahmen einer Performativitätstheorie des Politischen. Sie geht davon aus,
dass es Hate Speech nicht immer gelingt, das adressierte Subjekt als ein Unterge-
ordnetes zu konstituieren, da der Kontext der Rezeption durch Akte der Resignifi-
kation verändert werden kann (Butler 1998, S. 226).
Im deutschsprachigen Kontext wird Hate Speech derzeit als Oberbegriff für
unterschiedliche Formen abwertender und belästigender Kommunikation im Inter-
net verwendet. Damit sind zwei Engführungen verbunden: Zum einen setzt Hate
Speech laut obiger Definition vereindeutigend voraus, dass sprachliche Akte der
Missachtung durch Hass motiviert sind. Zum anderen ist sie eng mit dem juridischen
und politischen Diskurs um Meinungsfreiheit und Zensur in liberalen Gesellschaften
verbunden (siehe 2.5). Einschlägige Studien nutzen deshalb verschiedene andere
Begriffe, um die Facetten des Phänomens zu beleuchten: „online harassment“ bzw.
„cyber harassment“ (Herring 1999; Filipovic 2007; Citron 2014), „trolling“ (Herring
et al. 2002; Pritsch 2011; Mantilla 2015), „online abuse“ (Eckert 2017), „e-bile“
(Jane 2013); „networked misogyny“ (Banet-Weiser und Miltner 2016) und „gewalt-
volle Online-Kommunikation“ (Henschel und Schmidt 2014). Als Metabegriff eig-
net sich Online Harassment (dt. Belästigung) für Drohungen, Gewaltaufrufe, die
Verletzung der Privatsphäre, Verleumdung und technologische Angriffe, wie etwa
die Manipulation von Suchergebnissen (Citron 2014, S. 3). Als weiteren Metabegriff
führt Jennifer Eickelmann (2017) „mediatisierte Missachtung“ ein: die „medientech-
Hate Speech im Internet 741

nologisch bedingte Zurückweisung und Herabsetzung, die Ausschlüsse produziert


und damit den Möglichkeitsraum für (Über-)Lebensfähigkeit begrenzt“ (Eickelmann
2017, S. 16). Die Begriffe Cyberbulling bzw. Cybermobbing werden meist für
Online Harassment im Zusammenhang mit Kindern und Jugendlichen verwendet.
Cyberstalking, also der wiederholte Einsatz von elektronischer Kommunikation mit
dem Ziel, ungewollte Nähe zu einer Person herzustellen oder diese zu ängstigen, ist
eine Form von Online Harassment (Spitzberg und Hoobler 2002). Eine Systemati-
sierung der Terminologie fehlt bislang.

2 Hate Speech im Internet und Geschlecht: Ausmaß, Formen


und gesellschaftlicher Kontext

2.1 Zum Ausmaß von Hate Speech und Harassment im Internet

Der Forschungsstand zu Ausmaß und Verbreitung von Hate Speech und Online
Harassment ist lückenhaft. Verschiedene Formen, Varianzen in der Intensität von
Online Harassment und Spezifika von Online-Kulturen (z. B. Online-Games, soziale
Medien) werden kaum berücksichtigt. Die Studien konzentrieren sich zudem auf die
Betroffenen; zu den Ausübenden von Hate Speech liegen keine Daten vor. Nach
einer Studie des Pew Research Center haben 40 Prozent aller US-amerikanischen
Internetnutzer_innen Belästigung im Internet erfahren. Insgesamt sind Männer etwas
häufiger von Online Harassment betroffen als Frauen. Frauen erleben signifikant
häufiger Online Harassment in Form von sexualisierter Belästigung und Stalking.
Zudem habe Online Harassment auf Frauen häufiger eine verstörende Wirkung als
auf Männer. Junge Internet-Nutzer_innen seien stärker betroffen als ältere, wobei
junge Frauen vermehrt besonders schwere Formen von Online Harassment erleben.
Afro-amerikanische und hispanische Internet-Nutzer_innen seien signifikant häufi-
ger mit Online Harassment konfrontiert als weiße Internet-Nutzer_innen (Pew
Research Center 2014). Die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte stellt
in einer EU-weiten Erhebung zum Ausmaß von Gewalt gegen Frauen fest, dass im
EU-Durchschnitt elf Prozent der Internet-Nutzer_innen seit dem 15. Lebensjahr
bereits Online Harassment in Form von ungewollten, anstößigen und sexuell expli-
ziten Nachrichten in Emails, SMS-Nachrichten, Chats und in sozialen Netzwerken
erhalten haben (FRA 2014, S. 97). Aufgrund der höheren Internet-Nutzungsintensi-
tät in dieser Altersgruppe sind junge Frauen zwischen 18 und 29 Jahren deutlich
stärker betroffen als ältere Frauen (FRA 2014, S. 105). Dies gilt auch für Cyber-
Stalking, das vier Prozent aller Frauen zwischen 18–29 Jahren innerhalb eines Jahres
erlebt haben (FRA 2014, S. 81; vgl. Maple et al. 2012). Trotz der dünnen Datenlage
wird in der Literatur oftmals davon ausgegangen, dass Frauen besonders stark von
Online Harassment betroffen sind und dass Mehrfachdiskriminierung mit einem
größeren Risiko einhergeht, verbalen Angriffen im Internet ausgesetzt zu sein
(Citron 2014, S. 13–14). Dieser Eindruck stützt sich auf die qualitative Analyse
von besonders schweren Fällen von Online Harassment.
742 K. Ganz

2.2 Hate Speech, Geschlecht und Macht in digitalen


Öffentlichkeiten

Die Mehrzahl von Arbeiten zu Hate Speech bzw. Online Harassment und Ge-
schlecht sind qualitative Erhebungen, vergleichende Fallanalysen und (auto-)
ethnografische Ansätze. Sie zeigen, wie persistent Hate Speech und Online Harass-
ment gegenüber Frauen als Mittel in der Auseinandersetzung um Sprechpositionen
in digitalen Öffentlichkeiten eingesetzt werden.
In digitalen Kommunikationsräumen entspinnen sich immer wieder Konflikte in
Folge von erniedrigenden und frauenfeindlichen Äußerungen. Susann C. Herring
zeigt, dass dafür regelmäßig Frauen verantwortlich gemacht werden, deren Kritik zu
Zensur umgedeutet wird. Auf diese Weise werden Frauen dazu gedrängt, sich den
vorherrschenden, von libertären kulturellen Normen geprägten Kommunikationsfor-
men unterzuordnen (Herring 1999, S. 151–152). Die darin zum Ausdruck kom-
mende Angst vor dem Vordringen von Frauen in männliche Domänen tritt, so Sarah
Banet-Weiser und Kate Miltner (2016, S. 173), derzeit gehäuft in Form einer
„popular misogyny“ zu Tage, die sie als Gegenbewegung zum aktuellen popkultu-
rellen Feminismus-Trend deuten. Jill Filipovic (2007, S. 303) geht davon aus, dass
Belästigung im Internet den Zweck verfolgt, Frauen von gesellschaftlicher Teilhabe
auszuschließen. Emma Alice Jane (2013), die als Journalistin seit über 15 Jahren mit
sexistischen Kommentaren und Emails konfrontiert ist, nutzt – ebenso wie Filipovic
– eigene Erfahrungen als Ausgangspunkt ihrer Analyse. Sie zeigt, dass die sexuali-
sierte, homophobe und frauenfeindliche Rhetorik der Belästigung über viele Jahre
nahezu unverändert zirkuliert (Jane 2013, S. 560).
Eine kommunikationswissenschaftliche Befragung von sich als Frauen positio-
nierenden Bloggerinnen aus den USA, dem Vereinigten Königreich, der Schweiz
und Deutschland von Stine Eckert (2017) zeigt, dass von 109 Bloggerinnen 73,4
Prozent Erfahrungen mit verschiedenen Formen von „online abuse“ gemacht haben,
die von negativen Kommentaren über Stalking, Vergewaltigungsdrohungen bis hin
zu Offline-Konfrontationen reichen. Bloggerinnen, die sich als Feministin positio-
nieren oder über politische Themen bloggen, sind im Vergleich zu anderen deutlich
häufiger mit derartigen Reaktionen konfrontiert (Eckert 2017, S. 10–12). Damit
stützt diese Studie die gängige These, dass Online Harassment vermehrt auf Frauen
abzielt, die sich öffentlich zu politischen Themen äußern.
Sylvia Pritsch (2011) beschäftigt sich mit der Verschränkung von Trollen und
Sexismus, den sie als „Machtkampf um den sozialen Raum des Sprechens“ (Pritsch
2011, S. 240) deutet. Sie geht davon aus, dass öffentliche Äußerungen von Frauen
„ein attraktives Ziel für Troll-Attacken darstellten“ (Pritsch 2011, S. 234). Ziel
dieser sprachlich-symbolischen Verletzung sei es, „das Selbstbild des Anderen
anzugreifen“ (Pritsch 2011, S. 237). Betroffenen werde verwehrt, darüber zu ent-
scheiden, welche Informationen sie als privat erachten und unter welchen Bedin-
gungen sie öffentlich sprechen. Die Unbestimmtheit der verletzenden Rede bezüg-
lich etwa der Frage, ob mit einer Drohung eine ernsthafte Gefährdung einhergeht,
erschwert es, „Deutungsmacht über die Phänomene als Sexismus im Netz zu
Hate Speech im Internet 743

erlangen und zu behaupten“ (Pritsch 2011, S. 243–244). Betroffene werden so in


mehrfacher Weise verunsichert.
Eickelmann argumentiert, dass mediatisierte Missachtung „ihr macht- bzw. ge-
waltvolles Potenzial aus der Relationalität der Subjektwerdung schöpft“ (Eickel-
mann 2017, S. 109). Im Gegensatz zu anderen Studien setzt Eickelmanns Analyse
Geschlecht nicht voraus, sondern zeigt, wie Medienkörper durch (das Potenzial der)
Verletzung entstehen. Durch diese explizite „Gegenposition zu evidenzbasierten und
anthropozentristisch orientierten Perspektiven auf den Gegenstand“ (Eickelmann
2017, S. 272) leistet sie einen Beitrag zur Frage mediatisierter Subjektivierung.

2.3 Kampagnen und Hass-Gruppen

Kampagnenförmiges Online Harassment gegen Frauen hat in den letzten Jahren


besondere Aufmerksamkeit erlangt. Karla Mantilla (2015) unterscheidet derartige
Harassment-Kampagnen von herkömmlichem Trolling. Während Internettrolle andere
zum eigenen Amüsement provozieren, zielten Belästigungskampagnen gegen Frauen
darauf ab, Frauen aus männlich dominierten Bereichen respektive dem öffentlichen
Raum auszugrenzen (Mantilla 2015, S. 10, 36–37). Um die besondere Qualität und
Intensität von Online Harassment gegen Frauen in digitalen Öffentlichkeiten zu
benennen, schlägt sie den Begriff Gendertrolling vor. Gendertrolling reagiere auf
Frauen, die im Internet ihre Meinung äußern, beinhalte sexuell-explizite und sexisti-
sche Beleidigungen sowie (Vergewaltigungs- und Todes-)Drohungen, die sich häufig
auch auf das Leben der Betroffenen außerhalb digitaler Kommunikationsräume bezie-
hen. Es vollziehe sich über mehrere Online-Plattformen, in hoher Frequenz und
Intensität und über einen längeren Zeitraum und werde von einer Vielzahl von An-
greifer_innen, überwiegend aber von Männern (Mantilla 2015, S. 91), in koordinierten
Kampagnen ausgeführt (Mantilla 2015, S. 12). Eickelmann (2017, S. 145) kritisiert am
Konzept des Gendertrolling, dass es der Ontologisierung von Geschlecht Vorschub
leiste. Zudem beruht Mantillas Konzept auf einer binären Unterscheidung zwischen
unpolitischem Trolling und sexistisch motiviertem Gendertrolling. Sinnvoller wäre es,
das hier als Gendertrolling beschriebene Phänomen als eine spezifische Form politisch
motivierter Belästigungskampagnen zu fassen.
Citron (2014) untersucht das von Cybermobs ausgeübte Harassment und Cyber-
Stalking als Form von Hasskriminalität. Anhand von Fallbeispielen verdeutlicht sie
die Bedeutung von Geschlecht, ohne das Phänomen als geschlechtsbasierte Krimi-
nalität zu vereindeutigen. Sie benennt eine Reihe von Faktoren, die Online Harass-
ment in seiner gegenwärtigen Form begünstigen: Mit Hilfe von „networked tools“
können sich Nutzer_innen als kollektiv handelnde „hate groups“ oder „cyber mobs“
konstituieren. Die vermeintliche Anonymität des Internets befördere dabei Deindi-
viduation: ein Handeln aus der Gruppe heraus, welches mit einem verringerten
Verantwortungsgefühl einhergeht. Die polarisierenden Effekte digitaler Teilöffent-
lichkeiten (sog. Echokammern) verstärken diese Entwicklung. Ein weiterer Faktor
sind Informationskaskaden, die durch die Gestaltung vieler Internetdienste begüns-
tigt werden: Suchmaschinen und soziale Netzwerke bewerten die Relevanz einer
744 K. Ganz

Meldung in der Regel danach, ob sie von vielen Nutzer_innen wahrgenommen wird.
Auf diese Weise können etwa Gerüchte strategisch zur Belästigung von Dritten
eingesetzt werden (Citron 2014, S. 56–72).
Einschlägig beobachtet werden konnten die von Citron beschriebenen Dynami-
ken im Fall Gamergate. Gamergate formierte sich seit 2014 als radikale Bewegung
gegen progressive Inhalte in Computerspielen und wird von Allaway (2014) als
Hass-Gruppe eingeordnet. Die Kampagne wurde in IRC-Chats und Image-Boards
koordiniert (Eickelmann 2017; Mortensen 2016; Mantilla 2015, S. 83–91).

2.4 Hate Speech im Kontext von Anti-Feminismus

Websites aus dem Spektrum des antifeministischen Männerrechtsaktivismus sind


häufig der Nährboden von Harassment-Kampagnen gegen Frauen, die in der Öffent-
lichkeit stehen (Mantilla 2015, S. 92–97). Es handelt sich dabei um „Glaubens-
krieger“ (Brodnig 2016), zu deren Feindbildern Feminist_innen und sogenannte
Social Justice Warrior gehören, die sich in einem intersektionalen Sinne für soziale
Gerechtigkeit einsetzen. Auch im deutschsprachigen Raum nutzen antifeministische
Männerrechtsaktivist_innen digitale Öffentlichkeiten (Brodnig 2013, S. 127; Klaus
2014; Rosenbrock 2012; Rupp 2012; Tanczer 2014). Ricarda Drüeke und Elisabeth
Klaus sprechen in diesem Zusammenhang von maskulinistischen Gegenöffentlich-
keiten und stellen fest: „In der Anonymität des Internets können Positionen vertreten
werden, die anderswo (nicht) als akzeptabel gelten, teilweise auch einen kriminellen
Straftatbestand erfüllen – etwa wenn sie rechtsradikales Mannestum verherrlichen
oder zu Gewalttaten aufrufen“ (Drüeke und Klaus 2014, S. 67). Parallel und in
Verbindung mit dem Diskurs des antifeministischen Männerrechtsaktivismus entwi-
ckelt sich derzeit der sog. Anti-Genderismus als eigenständiges Diskursfeld (Hark
und Villa 2015). Anti-Genderismus zielt insbesondere auf die Kritik von Gender
Mainstreaming und Gender Studies, die als staatlich gestützte Ideologien gedeutet
werden, durch die eine Umerziehung der Bevölkerung herbeigeführt werden solle.
Herrmann (2015, S. 96) verweist darauf, dass sprachliche Gewalt in Form von
Kränkung, Demütigung und Diffamierung für den anti-genderistischen Diskurs symp-
tomatisch sind, da dieser das Sprechen queerer Subjekte nicht dulden kann. Hate
Speech zielt also auch in diesem Diskurs darauf ab, bestimmte Personen(-gruppen)
zum Schweigen zu bringen (Ganz und Meßmer 2015, S. 65), und ist neben anti-
feministischen Argumentationen, Mansplaining und Trolling eine seiner diskursiven
Regelmäßigkeiten. In den digitalen Öffentlichkeiten, die Austragungsorte eines
Kampfes um kulturelle Hegemonie sind, erkennen Kathrin Ganz und Anna-
Katharina Meßmer ein paradoxes Zusammenspiel von Echokammern und Grenz-
verwischungen, das dazu führt, „dass polarisierte politische Positionen zum Gegen-
stand öffentlicher Auseinandersetzungen werden und Subjekte dazu [aufruft], sich
dazu ins Verhältnis zu setzen“ (Ganz und Meßmer 2015, S. 71). Mit Blick auf
jüngere politische Entwicklungen lässt sich vermuten, dass Hate Speech als strate-
gisches Instrument eingesetzt wird. An der Schnittstelle von Kommunikations- und
Politikwissenschaft besteht hier weiterer Forschungsbedarf.
Hate Speech im Internet 745

2.5 Interventionen gegen Hate Speech

Hate Speech und Online Harassment werden in öffentlichen Debatten nach wie vor
oft trivialisiert und die Verantwortung auf Betroffene verlagert. Die Annahme, im
Internet seien andere Regeln des Umgangs wirksam als in anderen sozialen Kon-
texten, führt nach Citron dazu, dass Hass normalisiert wird. Ähnlich wie bei häus-
licher Gewalt und sexueller Belästigung am Arbeitsplatz sei ein Prozess des Werte-
wandels notwendig (Citron 2014, S. 73–91). Pritsch (2011, S. 238) stuft die
Rechtfertigung von Gewalt als Metagewalt ein. Aktuell sind Betroffene darauf
angewiesen, individuelle und Community-basierte Strategien des Umgangs mit Hate
Speech und Online Harasssment zu finden. Die Strategie, Belästigungen im Internet
zu ignorieren („don’t feed the trolls“), um die „eigene Verletzbarkeit und damit die
Tat des anderen nicht öffentlich anzuerkennen“ (Pritsch 2011, S. 241), lehnen viele
feministische Bloggerinnen explizit ab. Durch ein „pluri-mediales Öffentlichma-
chen“ ringen sie um die Anerkennung der eigenen Verletzbarkeit, um Verletzung
in Richtung Handlungsmacht zu verschieben (Pritsch 2011, S. 241). Ein Beispiel, in
dem diese Strategie von feministischen Bloggerinnen kollektiv umgesetzt wird, ist
die Plattform hatr.org, die Hass-Kommentare in dekontextualisierter Form öffentlich
macht (Bretz et al. 2012; Pritsch 2011; Sadowski 2016). In den letzten Jahren sind
zudem verschiedene Informationsangebote entstanden, die über den Umgang mit
Online Harassment informieren (Brickner 2014; Brodnig 2016; Debate-Dehate.de
o. J.; Friedman et al. 2016).
Die von Eckert befragten Blogger_innen reagieren auf Angriffe, indem sie
Kommentare moderieren, Beleidigungen veröffentlichen und öffentlich für Solida-
rität eintreten. Sie passen aber auch das eigene Verhalten an, indem sie bestimmte
Themen meiden oder sich aus digitalen Öffentlichkeiten zurückziehen (Eckert 2017,
S. 14). Ein Teil der Betroffenen wende sich zudem an die Polizei oder Anwält_innen,
meist ohne Erfolg. Eckert plädiert dafür, „online abuse“ als geschlechtsbezogene
Straftat („gendered crime“) zu klassifizieren (Eckert 2017, S. 16–17). Einen Über-
blick der Möglichkeiten, die das deutsche Recht kennt, um gegen Online Harass-
ment vorzugehen, sowie von möglichen Rechtsinnovationen, hat Ulrike Lemke
vorgelegt (Lembke 2016; für Österreich vgl. Klagsverband.at o. J.).
Untrennbar mit der politischen Auseinandersetzung mit Hate Speech und Online
Harassment verbunden ist die Frage, ob diffamierende Adressierungen im Netz als
Ausdruck freier Rede zu betrachten sind. Eickelmann argumentiert, dass sowohl die
Forderung nach einer Sanktionierung von Hate Speech als auch das Beharren auf der
Rede- und Meinungsfreiheit „an einem konsensualen Universalismus orientiert sind,
der tendenziell die Juridifizierung mediatisierter Missachtung sowie die Entpoliti-
sierung des Internets stützt“ (Eickelmann 2017, S. 21). Dadurch werde ein Opfer-
status festgeschrieben, während widerständiges Potenzial unsichtbar werde. Die
Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen des Rechtes ist jedoch
aus netzpolitischer Perspektive Teil einer Politisierung von Hate Speech, weshalb
Ganz (2013, S. 19) dafür plädiert, die Kommunikationskultur digitaler Öffentlichkeit
dezidiert als eigenständiges netzpolitisches Thema zu setzen. Diesen Weg haben
in den letzten Jahren verschiedene zivilgesellschaftliche Akteur_innen verfolgt
746 K. Ganz

(Amadeu Antonio Stiftung 2015; Schmidt 2011). Das Ziel, wirksame Gegenstrate-
gien zu entwickeln und mit einer Kritik staatlicher Grundrechtseinschränkungen in
der digitalen Welt zu verbinden, ist eine wichtige Herausforderung feministischer
Netzpolitik (Henschel und Schmidt 2014).

3 Fazit

Geschlechtsbasierte kommunikative Gewalt im Internet ist ein weit verbreitetes


Phänomen, dem zunehmend politische und wissenschaftliche Aufmerksamkeit zu-
kommt. Die bisherigen Arbeiten diskutieren, wie Hate Speech und Online Harass-
ment ausgeübt und von Betroffenen erlebt werden, welche Motivationen dahinter-
stehen und wie die Hypermedialität des Internets dazu beiträgt, dass Sexismus auf
diese Weise artikuliert wird. Die Beiträge sind bislang überwiegend von einer
dualistischen, zweigeschlechtlichen Täter-Opfer-Konstellation geprägt, die sich
empirisch zwar bestätigen mag, gleichzeitig aber auch problematisiert wird. Sehr
deutlich zeigen die hier diskutierten Studien, dass der „Diskurs über hate speech
[. . .] selbst eine Reinszenierung der Performanz der hate speech“ (Butler 1998,
S. 27) ist: In Teilen leistet sie einer Festschreibung des Zweigeschlechtersystems
mit aktiven und passiven Geschlechterrollen Vorschub. Dekonstruktivistische und
queere Perspektiven treten dagegen in den Hintergrund. Darüber hinaus fehlen
intersektionale Analysen, die Machtverhältnisse in Hate Speech und Online Harass-
ment miteinander verschränkt untersuchen.
Vornehmlich spekulativ behandeln die vorliegenden Arbeiten Netzakteur_innen,
die Hate Speech ausüben. Diese Forschungslücke zu schließen ist eine methodolo-
gisch anspruchsvolle Aufgabe, für die es sich anbietet, die Medialität des Internets
sowie Erkenntnisse aus anderen Feldern kollektiven Handelns in digitalen Öffentlich-
keiten (etwa durch Einbeziehen von Theorien des New Materialism und Phänomenen
wie Social Bots, d. h. nicht-menschliche Akteur_innen in digitalen Öffentlichkeiten)
stärker als bisher zu berücksichtigen. Zukünftige, möglichst vergleichende Studien
könnten zudem Erkenntnisse über Strategien der Gegenwehr insbesondere im Rahmen
der Strafverfolgung und Medienregulation liefern. Notwendig ist schließlich eine
wissenschaftliche Evaluation der Rechtsanwendung in diesem Feld.

Literatur
Allaway, Jennifer. 2014. #Gamergate Trolls aren’t ethics crusaders; They’re a hate group. http://jezebel.
com/gamergate-trolls-arent-ethics-crusaders-theyre-a-hate-1644984010. Zugegriffen am 12.06.2017.
Amadeu Antonio Stiftung. 2015. ‚Geht sterben!‘ – Hate Speech und Kommentarkultur im Internet.
https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/hatespeech/geh-sterben-hate-speech-und-kommen
tarkultur-im-internet/. Zugegriffen am 12.06.2017.
Banet-Weiser, Sarah, und Kate M. Miltner. 2016. #MasculinitySoFragile: Culture, structure and
networked misogyny. Feminist Media Studies 16(1): 171–174. https://doi.org/10.1080/14680777.
2016.1120490.
Hate Speech im Internet 747

Bretz, Leah, Kathrin Ganz, und Nadine Lantzsch. 2012. Hatr.org – Wie Maskulisten den Feminis-
mus unterstützen. In Die Maskulisten, Hrsg. Andreas Kemper, 146–157. Münster: Unrast.
Brickner, Irene. 2014. Verbale Gewalt gegen Frauen in Onlinemedien. In Verantwortungsvolle
Berichterstattung für ein gewaltfreies Leben. Anregungen zur medialen Prävention von Gewalt
an Frauen und ihren Kindern, Hrsg. AÖF, 36–42. http://www.gewaltfreileben.at/images/Bilder/
PDFs/Interaktives_PDF_final_gewaltfrei_Verantwortungsvolle_Berichterstattung_A4_WEB.pdf.
Zugegriffen am 05.09.2017.
Brodnig, Ingrid. 2013. Der unsichtbare Mensch. Wie die Anonymität im Internet unsere Gesell-
schaft verändert. Wien: Czernin Verlag.
Brodnig, Ingrid. 2016. Hass im Netz. Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können. Wien:
Brandstätter Verlag.
Butler, Judith. 1998. Hass spricht. Berlin: Berlin Verlag.
Carstensen, Tanja. 2012. Gendered Web 2.0: Geschlechterverhältnisse und Feminismus in Zeiten
von Wikis, Weblogs und Sozialen Netzwerken. Medien Journal 36(2): 22–34.
Citron, Danielle K. 2014. Hate crimes in cyberspace. Cambridge, MA/London: Harvard University
Press.
Debate-Dehate.de. o.J. Debate – de:hate. Für digitale demokratische Kultur. http://debate-dehate.
com. Zugegriffen am 12.06.2017.
Drüeke, Ricarda, und Elisabeth Klaus. 2014. Öffentlichkeiten im Internet. Zwischen Feminismus
und Antifeminismus. Femina Politica 23(2): 59–70.
Eckert, Stine K. 2017. Fighting for recognition: Online abuse of women bloggers in Germany,
Switzerland, the United Kingdom, and the United States. New Media & Society 19(1). https://
doi.org/10.1177/1461444816688457.
Eickelmann, Jennifer. 2017. ‚Hate Speech‘ und Verletzbarkeit im digitalen Zeitalter. Bielefeld:
transcript.
Filipovic, Jill. 2007. Blogging while female: How internet misogyny parallels ‚real-world‘ harass-
ment. Yale Journal of Law and Feminism 19(1): 295–303.
FRA – European Union Agency for Fundamental Rights. 2014. Violence against women: An
EU-wide survey. http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra-2014-vaw-survey-main-results-apr14_
en.pdf. Zugegriffen am 12.06.2017.
Friedman, Jaclyn, Anita Sarkeesian, und Renee Bracey Sherman. 2016. Speak Up & Stay Safe(r): A
guide to protecting yourself from online harassment. https://onlinesafety.feministfrequency.
com/en/. Zugegriffen am 12.06.2017.
Ganz, Kathrin. 2013. Feministische Netzpolitik. Perspektiven und Handlungsfelder. Studie im
Auftrag des Gunda-Werner-Institut, Berlin. http://www.gwi-boell.de/sites/default/files/uploads/
2013/04/ganz_feministische_netzpolitik_web.pdf. Zugegriffen am 12.06.2017.
Ganz, Kathrin, und Anna-Katharina Meßmer. 2015. Anti-Genderismus im Internet. Digitale Öffent-
lichkeiten als Labor eines neuen Kulturkampfes. In Anti-Genderismus, Hrsg. Sabine Hark und
Paula-Irene Villa, 59–77. Bielefeld: transcript.
Hark, Sabine, und Paula-Irene Villa, Hrsg. 2015. Anti-Genderismus. Sexualität und Geschlecht als
Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen. Bielefeld: transcript.
Henschel, Gitti, und Francesca Schmidt. 2014. Regulierung gewaltvoller Online-Kommunikation.
Perspektiven feministischer Netzpolitik auf gewaltvolle Kommunikation im Internet. Femina
Politica 23(2): 83–95.
Herring, Susann C. 1999. The rhetorical dynamics of gender harassment online. The Information
Society 15(3): 151–167.
Herring, Susann C., Kirk Job-Sluder, Rebecca Scheckler, und Sasha Barab. 2002. Searching for
safety online: Managing „trolling“ in a feminist forum. The Information Society 18(5): 371–383.
Herrmann, Steffen K. 2015. Politischer Antagonismus und sprachliche Gewalt. In Anti-genderis-
mus, Hrsg. Sabine Hark und Paula-Irene Villa, 79–92. Bielefeld: transcript.
Herrmann, Steffen K., und Hannes Kuch. 2007. Verletzende Worte. Eine Einleitung. In Verletzende
Worte. Die Grammatik sprachlicher Missachtung, Hrsg. Steffen Kitty Herrmann, Sybille
Krämer, und Hannes Kuch, 7–30. Bielefeld: transcript.
748 K. Ganz

Hornscheidt, Lann. 2013. Der Hate Speech-Diskurs als Hate Speech: Pejorisierung als konstrukti-
vistisches Modell zur Analyse diskriminierender SprachHandlungen. In Hassrede/Hate Speech.
Interdisziplinäre Beiträge zu einer aktuellen Diskussion, Hrsg. Jörn Meibauer, 28–58. Gießen:
Gießener Elektronische Bibliothek.
Jane, Emma A. 2013. ‚Back to the kitchen, cunt‘: Speaking the unspeakable about online misogyny.
Continuum 28(4): 558–570.
Klagsverband.at. o.J. Hate Speech. https://www.klagsverband.at/info/hate-speech. Zugegriffen am
06.09.2017.
Klaus, Elisabeth. 2014. Von ‚ganzen Kerlen‘, ‚neuen Männern‘ und ‚betrogenen Vätern‘. Mediale
Inszenierungen von Männlichkeiten. In Männer und Männlichkeiten. Disziplinäre Perspektiven,
Hrsg. Nina Jakoby, Brigitte Liebig, Martina Peitz, Tina Schmidt, und Isabelle V. Zinn, 93–116.
Zürich: vdf Hochschulverlag.
Lembke, Ulrike. 2016. Ein antidiskriminierungsrechtlicher Ansatz für Maßnahmen gegen Cyber
Harassment. Kritische Justiz 49(3): 385–406. https://doi.org/10.5771/0023-4834-2016-3-385.
Mantilla, Karla. 2015. Gendertrolling. How misogyny went viral. Santa Barbara/Denver: Praeger.
Maple, Carsten, Emma Short, Antony Brown, Chris Bryden, und Michael Salter. 2012. Cyberstal-
king in the United Kingdom: Analysis and recommendations. International Journal of Distri-
buted Systems and Technologies 3(4): 34–51. https://doi.org/10.4018/jdst.2012100104.
Meibauer, Jörg. 2013. Hassrede – von der Sprache zur Politik. In Hassrede/Hate Speech. Interdis-
ziplinäre Beiträge zu einer aktuellen Diskussion, Hrsg. Jörg Meibauer, 1–16. Gießen: Gießener
Elektronische Bibliothek.
Mortensen, Torill Elvira. 2016. Anger, fear, and games. The long event of #GamerGate. Games and
Culture. https://doi.org/10.1177/1555412016640408.
Penny, Laurie. 2014. Why we’re winning. Social justice warriors and the new culture war. http://
boingboing.net/2014/10/04/social-justice-warriors-and-th.html. Zugegriffen am 12.06.2017.
Pew Research Center. 2014. Online harassment. http://www.pewinternet.org/2014/10/22/online-
harassment/. Zugegriffen am 12.06.2017.
Pritsch, Syliva. 2011. Verletzbarkeit im Netz – zur sexistischen Rhetorik des Trollens. Feministi-
sche Studien 29(2): 232–247.
Rosenbrock, Hinrich. 2012. Die antifeministische Männerrechtsbewegung. Denkweisen, Netzwerke
und Online-Mobilisierung. Schriften des Gunda-Werner-Instituts 8. Berlin: Heinrich-Böll-Stif-
tung.
Rupp, Jörg. 2012. Der frühe Maskulismus im Internet. In Die Maskulisten, Hrsg. Andreas Kemper,
18–27. Münster: Unrast.
Sadowski, Helga. 2016. From #aufschrei to hatr.org: Digital-material entanglements in the context
of German digital feminist activisms. Feminist Media Studies 16(1): 55–69. https://doi.org/
10.1080/14680777.2015.1093090.
Schmidt, Francesca. 2011. Trolljaner im Netz – Wie ist Sexismus, Rassismus und Homophobie
beizukommen. In #public_life. Digitale Intimität, die Privatsphäre und das Netz. Bildung und
Kultur, Hrsg. Heinrich Böll Stiftung, Bd. 8, 47–52. Berlin: Heinrich-Böll-Stiftung.
Spitzberg, Brian H., und Gregory Hoobler. 2002. Cyberstalking and the technologies of interper-
sonal terrorism. New Media & Society 4(1): 71–92.
Sutton, Laurel A. 1994. Using USENET: Gender, power, and silence in electronic discourse.
Annual Meeting of the Berkeley Linguistics Society, 506–520. https://doi.org/10.3765/bls.
v20i1.1480.
Tanczer, Leonie Maria. 2014. ‚Über diese Feminismus-Sache hinaus‘: Eine Diskursanalyse des
Post-Gender-Begriffs in der Piratenpartei Österreich (PPÖ). Femina Politica 23(1): 116–124.
Teil VIII
Differenzen und/in Medien
Migrantinnen in der Medienproduktion

Bärbel Röben

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 752
2 Das Forschungsdreieck: Medien – Geschlecht – Migration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 753
3 Studien zu Migrantinnen in der Medienproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 756
4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 760

Zusammenfassung
Migrantinnen sind als Journalistinnen nach wie vor stark unterrepräsentiert. Eine
intersektionale Perspektive, die sowohl Geschlecht als auch Ethnizität im Zu-
sammenhang mit Medienproduktion analysiert, ist bislang noch die Ausnahme
und eröffnet ein weites Feld der Theoretisierung und empirischen Erforschung.
Anleihen sind dabei aus der Migrationsforschung, der Geschlechter- und Diver-
sitätsforschung sowie der Journalismusforschung zu entnehmen, um unter ande-
rem der Frage nachzugehen, ob eine höhere Produktionsbeteiligung von Journa-
listinnen mit Migrationshintergrund auch zu einer anderen, vielfältigeren
medialen Repräsentation von Migrant_innen führt.

Schlüsselwörter
Migrantinnen · Medienproduktion · Journalismus · Geschlecht · Intersektionalität

B. Röben (*)
Attendorn, Deutschland
E-Mail: b.roeben@arcor.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 751
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_64
752 B. Röben

1 Einleitung

Der Erhalt kultureller Identität gilt laut UNO als Menschenrecht. Die Mitglieder-
staaten sind demnach verpflichtet, allen Menschen allgemeine Repräsentationsrechte
zuzugestehen. Dies gilt nicht nur für die Repräsentation von Migrant_innen in
Medieninhalten, sondern auch für deren Repräsentation in Medienredaktionen
(Rommelspacher 2001, S. 175). Nach wie vor sind aber Migrant_innen im Ver-
hältnis zu ihrem Anteil in der Gesamtbevölkerung (Eurostat 2016) auf beiden
Ebenen – Medieninhalte und Medienproduktion – stark unterrepräsentiert.
In den Vereinigten Staaten wird bereits seit den 1970er-Jahren von Berufsver-
bänden der Anteil von ethnischen Minderheiten in Tageszeitungsredaktionen erho-
ben. Die Dokumentation der American Society of Newspaper Editors (2019) zeigt,
dass seit Beginn der Erhebungen 1978 der Anteil der Minderheiten von rund vier
Prozent auf rund 21 Prozent im Jahre 2019 gestiegen ist. Außerdem zeigt die
statistische Erfassung, dass von diesen Journalist_innen mehr als ein Fünftel der
Leitungsebene in Medien angehört.
Im deutschsprachigen Raum stoßen entsprechende Initiativen erst um die Jahr-
tausendwende auf größere Resonanz. Aber trotz des Nationalen Integrationsplans
und zahlreicher Medieninitiativen wie etwa jener des Vereins „Neue Deutsche
Medienmacher“ (2021) haben in Deutschland fünf bis zehn Prozent der Journa-
list_innen einen Migrationshintergrund, d. h., sie sind selbst nicht mit deutscher
Staatsangehörigkeit geboren oder haben zumindest einen Elternteil, auf den dies
zutrifft. Bei der Wohnbevölkerung kommen Menschen mit Einwanderungsgeschich-
te aber auf einen Anteil von etwa 26 Prozent (Neue Deutsche Medienmacher_innen
2021, S. 10).
Eine Untersuchung für Österreich zeigt, dass nur knapp fünf Prozent der Journa-
list_innen nicht in Österreich geboren wurden und/oder Eltern mit einem auslän-
dischen Geburtsort haben (Österreichischer Intergrationsfonds 2012, S. 5). Auch
hier gab es einen nationalen Aktionsplan und Initiativen von Migrant_innen, wie
etwa das transkulturelle Gratis-Magazin „biber“ (2017), um stärker für das Thema zu
sensibilisieren.
Diverse Definitionsversuche von „Migrationshintergrund“ für Migrant_innen
und ihre Nachkommen können als exkludierende und daher problematische Zu-
schreibungen gesehen werden. Andererseits stellen aber amtliche Definitionen jene
Analysekategorien für die Wissenschaft bereit, mit denen Diskriminierungen,
z. B. beim Medienzugang, empirisch erforscht werden können. So stieg die For-
schung zu Migrant_innen in der Medienproduktion in Deutschland erst 2005 an, als
das Statistische Bundesamt „Migrationshintergrund“ definierte und den Anteil der
Bevölkerung mit Einwanderungsgeschichte erhob (Statistisches Bundesamt 2021).
Mediale Teilhabechancen und -hürden konnten von nun an durch einen Vergleich
von Journalist_innen mit und ohne Migrationshintergrund ermittelt werden (Röben
2013, S. 123–133).
Migrantinnen in der Medienproduktion 753

2 Das Forschungsdreieck: Medien – Geschlecht – Migration

Das Forschungsdreieck Medien – Geschlecht – Migration (Röben 2010) ist gekenn-


zeichnet durch eine Konzentration auf empirische Befunde zu den Medieninhalten
und zur Frage, wie Migrant_innen Mainstream-Medien und jene Medien, die mehr-
heitlich von Migrant_innen selbst produziert werden, rezipieren (Geißler und Pöttker
2005, 2006, 2009; Ter Wal 2002; Dorer und Marschik 2006).
Sehr viel geringer ist die Anzahl der Forschungsarbeiten zu Medienproduktion
und Ethnizität (Müller 2005; Geißler und Pöttker 2009). Eine Bibliografie von 2005
identifiziert von 1048 aufgeführten Titeln zur Medienproduktion nur 99, die gleich-
zeitig „Minderheitenangehörige“ thematisieren und bei Eingrenzung auf „Frauen/
Mädchen“ bleiben nur noch sieben Publikationen übrig (Müller 2005, S. 408–540).
Eine intersektionale Perspektive, die Migrantinnen als Journalistinnen theoretisiert
und empirisch erforscht, steckt erst in den Anfängen (Röben 2008, 2010; Fritsche
2009; Lünenborg und Fürsich 2014). Auch internationale Forschung zu Migrantin-
nen in der Medienproduktion ist bislang noch kaum vorhanden. Hier dominieren
eher Studien zu Diversity in Medienredaktionen, ohne die Geschlechterperspektive
explizit in den Blick zu nehmen. Eine Ausnahme bilden beispielsweise Rhodes
(2001), die sich mit Fallbeispielen dieses Themas annimmt, oder North (2015), die
die universitäre Ausbildungssituation von Journalistinnen in Australien auch unter
dem Aspekt der Intersektionalität betrachtet.

2.1 Drei Forschungsansätze der Gender Studies

Als theoretischer Zugang zum Forschungsdreieck Medien – Geschlecht – Migration


bieten sich die drei Forschungsansätze der Gender Studies an, die Elisabeth Klaus in
ihren sich ergänzenden Funktionen beschreibt (2005, S. 14–19), denn sie können
auch für die Erklärung der „Platzierung“ von Migrantinnen in Redaktionen heran-
gezogen werden (Röben 2010). So ermöglicht der Gleichheitsansatz, der normativ
von der Gleichberechtigung der Mitglieder einer Gesellschaft ausgeht, auch Dis-
kriminierungen aufgrund unterschiedlicher Ethnizitäten zu erfassen – wenn etwa
Migrantinnen als Journalistinnen aufgrund ihrer Kleidung oder ihres Namens be-
nachteiligt werden. Hieraus lassen sich Forderungen nach einer Diversity-Quote
oder nach entsprechenden Förderrichtlinien in Medien ableiten. Mit dem Differenz-
ansatz kann man z. B. ermitteln, wie von weißen Männern geprägte Qualifikations-
profile dominieren und interkulturelle Kompetenzen bestenfalls als wünschenswerte
Zusatzqualifikation betrachtet werden. Diese Erkenntnisse wiederum zeigen, mit
welchen Argumenten Journalistinnen mit Migrationshintergrund ausgeschlossen
oder auf bestimmte (interkulturelle) Themen beschränkt werden, aber auch welche
Bedeutung eigenen migrantischen Alternativmedien zukommt. Mit dem (de)kon-
struktivistischen Ansatz lässt sich der sich ständig reproduzierende Prozess der
hierarchisierenden Differenzsetzungen in Medienbetrieben untersuchen. Er kann
754 B. Röben

aufdecken, wie die Prozesse des doing gender und doing ethnicity miteinander
verknüpft werden und zu unvereinbaren Verhaltensanforderungen an und zur Min-
derbewertung der Leistungen von Journalistinnen mit Einwanderungsgeschichte
führen. Das wird beispielsweise dann sichtbar, wenn von ihnen einerseits Bezüge
zu ihrem Herkunftsland (Sprache, Kultur, Religion) erwartet werden und dies aber
andererseits als mangelnde journalistische Neutralität abgewertet wird.

2.2 Normatives Konzept der interkulturellen medialen


Integration

Geißler und Pöttker entwickelten das Konzept der interkulturellen medialen Inte-
gration, das einen neuen normativen Gestaltungsrahmen für die mediale Teilhabe in
der Einwanderungsgesellschaft bietet, der auf gegenseitiger aktiver Akzeptanz von
Mehrheitsgesellschaft und eingewanderten Minderheiten beruht (Geißler und Pött-
ker 2005, S. 5–10; Herczeg 2010, S. 169–180). Damit wird eine Annahme opera-
tionalisiert, die Geschlechter- und Migrationsforschung teilen, nämlich dass Mit-
glieder einer Gesellschaft erst dann gleichberechtigt sind, wenn ihre vielfältigen
Identitäten Anerkennung finden und verhindert wird, dass hierarchisierende Diffe-
renzsetzungen soziale Ungleichheit schaffen und festigen (Röben 2008, S. 141). Das
bedeutet für Migrant_innen in der Medienproduktion, dass sie proportional zu ihrem
Bevölkerungsanteil im Redaktionspersonal vertreten sein sollen und ihre spezi-
fischen Qualifikationen und Perspektiven gleichberechtigt in die journalistische
Arbeit einbringen können (Geißler und Pöttker 2005, S. 74). Vor dieser Folie
analysierten Johanna Dorer und Matthias Marschik auch die Migrationsbericht-
erstattung in Europa (2006, S. 28). Viktorija Ratković (2018, S. 52) problematisiert
am Konzept der interkulturellen medialen Integration vor allem, dass für Angehörige
ethnischer Minderheiten dabei immer nur der Platz der Repräsentant_innen einer
bestimmten ethnischen Gruppe vorgesehen ist.

2.3 Konzept der postmigrantischen Aushandlungsdiskurse

Inwieweit die Differenzsetzungen nach Geschlecht, Ethnie, Klasse und anderen


Zuschreibungen Einfluss auf die mediale Deutungsmacht der Medienproduzent_in-
nen haben, ist weiterhin umstritten. Nach bisherigem Erkenntnisstand können Jour-
nalist_innen mit Migrationshintergrund mit anderen Lebenserfahrungen, anderen
Perspektiven und anderen Kommunikationsstilen nur unter bestimmten Bedingun-
gen die Medieninhalte vielfältiger gestalten und dadurch auch ein größeres bzw.
neues Publikum ansprechen. Dazu zählt beispielsweise ein größerer Handlungs-
spielraum durch berufliche Sicherheit, durch Netzwerke, Gleichstellungsmaßnah-
men und kollektives Frauenhandeln (Keil 2000, S. 6, 55, 198, 205 ff.; Neverla 2002,
S. 331, 335; Lünenborg 2002, S. 541; Schulz 2000; Wellgraf 2008, S. 131).
Migrantinnen in der Medienproduktion 755

Entsprechend fokussieren neuere Ansätze beispielsweise „postmigrantische Aus-


handlungsdiskurse“ und halten den Integrationsimperativ für weniger zielführend
(Röben 2010, S. 274–276; Gouma 2012; Lünenborg und Fürsich 2014). Statt zu
fragen, wie Medien zur Integration von Migrant_innen beitragen können, gelte es,
Migration als „Normalfall“ zu thematisieren und alle Medien so zu gestalten, dass
sie die postmigrantische Gesellschaft angemessen abbilden, resümiert Viktorija
Ratković (2018, S. 249–253) nach ihrer diskursanalytischen Untersuchung der
österreichischen (postmigrantischen) Alternativmedien „biber. Magazin für neue
Österreicher“ und „migrazine.at“, die mehrheitlich von Migrant_innen produziert
werden. Dass auch Deutschland von diesem Ideal weit entfernt ist, wenn eine
„pluralistische Öffentlichkeit statt als Normalität vielmehr als Bedrohung betrachtet
wird“, stellt Christine Horz (2014, S. 423) fest. Sie erforschte die Kommunikations-
strukturen in Offenen Kanälen, in denen Kategorien wie „Kultur“ und „Nation“
immer neu verhandelt werden, am Beispiel iranischer TV-Produktionen mittels
Leitfaden-Interviews und hermeneutischer Inhaltsanalyse. Sie stellt fest: „Alternati-
ve Medien können eine mediale Ergänzungsfunktion wahrnehmen, aber kein Ersatz
für fehlende Partizipationsmöglichkeiten im Rundfunk-Massenprogramm“ sein
(Horz 2014, S. 420). Nach einer gemeinsam mit den Neuen deutschen Medienma-
cher_innen erstellten Studie 2020 konstatierte Horz: Im Vergleich zu Vorgänger-
studien gebe es „zwar ein durchaus gewachsenes Bewusstsein hinsichtlich der auch
publizistischen Bedeutung von kulturell vielfältig besetzten Redaktionen“, bestätigt
habe sich allerdings „die weiterhin fehlende Diversität in deutschen Redaktionen“
(Neue deutsche Medienmacher_innen 2020, S. 25).
Wenn Alternativ- oder Mainstream-Medien inhaltlich postmigrantisch ausgerich-
tet sein sollen, dann müssen also auch die durch gesellschaftliche Machtverhältnisse
geprägten Produktionsstrukturen entsprechende Veränderungen erfahren (Röben
2013, S. 147–149). Dass Gleichstellungsmaßnahmen in den Medienunternehmen
allein nicht ausreichen, zeigen etwa aktuelle Forschungen zu Medienproduktion und
Geschlecht. So stellt die EU-Studie „Gender Equality and the Media“ eine „less-
than-direct relationship between production and representation“ fest und demons-
triert das am Beispiel Belgien, wo mehr Frauen in Führungspositionen nicht zu
weniger Gender-Stereotypen in Medientexten führten (Ross und Padovani 2016,
S. 239). Ähnlich argumentiert auch der Londoner Medienforscher Anamik Saha
(2016) bezüglich Medienproduktion und Ethnizität. Demnach tendieren Journa-
list_innen mit Einwanderungsgeschichte häufig dazu, sich an die Produktionskultur
anzupassen und in der Folge ebenfalls Stereotype zu reproduzieren. Deshalb reiche
es auch nicht aus, eine personelle Vielfalt anzustreben, sondern es müsse gleichzeitig
ein Umdenken in der Produktionskultur und in der Darstellung (sorgfältige Recher-
che, differenzierte Bezeichnungen und eine inklusive Sprache) stattfinden (Kumai
2016, S. 228–232).
756 B. Röben

3 Studien zu Migrantinnen in der Medienproduktion

Bis Ende der 1990er-Jahre gab es nur wenige Fallstudien mit Migrantinnen und
Medienproduktion im Fokus.1 Wichtige Impulse für die Gleichstellung von Mi-
grant_innen gingen damals von Frauenbeauftragten aus, die auch Erfahrungen der
Frauenbewegung mit der Quote thematisierten (Niemann 2000).2 Allein vier Publi-
kationen befassten sich mit dem europäischen Modellprojekt „Mehr Farbe in die
Medien“, das in Deutschland 20 Migrantinnen ermöglichte, ein Volontariat in öffent-
lich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu absolvieren (Gries 1998; Hatef 1998; Jungk
1999; Zwick 1996). Die Produktionsbeteiligung von Migrantinnen in Alternativme-
dien wurde in einer Fallstudie zum Offenen Kanal Berlin thematisiert (Linke 1997).
Nach der Jahrtausendwende erschienen zwei Studien zur Produktionsbeteiligung
von Journalistinnen mit Migrationsgeschichte in Frankfurter Medien (Röben 2008)
und im Berliner Hörfunk (Fritsche 2009). Ein erstes empirisches Forschungsprojekt
„Migrantinnen in den Medien“ (Lünenborg et al. 2011) unter Leitung von Margreth
Lünenborg förderte das NRW-Integrationsministerium 2008 bis 2011. In einem
Teilprojekt zum Fernsehen wurde dabei auch die Produktionsebene in den Blick
genommen (Lünenborg und Fürsich 2014). Für Österreich hat Assimina Gouma
(2012) erste Erfahrungen von Migrantinnen als Journalistinnen in einem
Mainstream-Medium kritisch aufgearbeitet und theoretisiert.
Den explorativen Untersuchungen zu Migrant_innen in der Medienproduktion
stehen nur drei empirische Studien gegenüber, in denen Migrantinnen explizit
thematisiert werden. Röben (2008) und Fritsche (2009) untersuchen die Verschrän-
kung von Gender und Ethnizität, um Diskriminierungen – bei Anteil und Positio-
nierung in den Redaktionen und beim Berufszugang – zu ermitteln. Lünenborg und
Fürsich (2014) fokussieren auf Fragen der Identitätskonstruktion. Ihre zentralen
Erkenntnisse werden unter Heranziehung jüngerer Untersuchungen vorgestellt, in
denen teilweise nach Geschlecht unterschieden wird.

3.1 Unterrepräsentation in Medien und Redaktionsleitung

In einer explorativen Studie zu Migrantinnen befragte Röben 2005 zehn Personal-


verantwortliche von Medienunternehmen in der multikulturellen Stadt Frankfurt am
Main (Röben 2008). Drei der Mainstream-Medien beschäftigen keine Eingewan-
derten und in den anderen stellen sie drei, bei der „Bildzeitung“ sogar 16 Prozent des
Redaktionspersonals. Auf eine Migrantin kommen drei Migranten. Ihre geringe Zahl
geht einher mit einem niedrigen Status in der Redaktionshierarchie.

1
Zum Beispiel Koch 1996 (Porträts von sechs männlichen und vier weiblichen Journalist_innen mit
Minoritätenhintergrund) und Prenner 1995 (Analyse ethno- und androzentristischer Nach-
richtenselektionsfaktoren).
2
Die Quoten-Diskussion hält bis heute an, vgl. für viele: Neue deutsche Medienmacher_innen
2021, S. 87.
Migrantinnen in der Medienproduktion 757

In den Alternativmedien hat dagegen etwa ein Drittel der Programmmacher_in-


nen eine Migrationsgeschichte, aber auch hier sind die Männer in der Mehrzahl
(Röben 2008, S. 154). Diesen Gender gap bestätigt die Studie von Christine Horz
(2014, S. 24, 157–160) zur iranischen TV-Produktion in den Offenen Kanälen in
Berlin und Frankfurt am Main – trotz Empowerment-Maßnahmen der OK-
Verantwortlichen.
In Anlehnung an den Fragebogen von Röbens Studie interviewte Katharina
Fritsche im Februar 2009 Personalverantwortliche von zehn Berliner Hörfunksen-
dern3 und entwickelte eine „Matrix der Intersektionalität“ (Fritsche 2009, S. 87). Es
zeigte sich, dass nur 10,1 Prozent des journalistischen Personals einen Migrations-
hintergrund hat. Die Frauen stellen innerhalb dieser Gruppe zwar die Mehrheit
(55 %), sind aber häufiger als ihre Kollegen mit Migrationshintergrund Freie und
bekleiden seltener Leitungsfunktionen (Fritsche 2009, S. 100). Auch im Vergleich
mit Frauen ohne Migrationshintergrund befinden sich Migrantinnen in prekäreren
Positionen (Fritsche 2009, S. 98).
Die Unterrepräsentation von Migratinnen in den Führungsetagen deutscher
Medienhäuser bestätigt eine Umfrage von 2020. Danach hatten von 126 Chefredak-
teur_innen nur acht einen Migrationshintergrund, zwei von ihnen waren Frauen
(Neue deutsche Medienmacher_innen 2020, S. 3).
Erste repräsentative, empirisch gesicherte Daten zum Anteil von Migrant_innen
in Mainstream-Medien erforschten Rainer Geißler, Christina Enders und Verena
Reuter 2009 mit einer bundesweiten Befragung deutscher Zeitungsredaktionen.
Danach haben nur 1,2 Prozent des Personals eine Einwanderungsgeschichte (Geißler
et al. 2009, S. 92). Lediglich bei der Auswertung der Altersgruppen wurde nach
Geschlecht unterschieden. Frauen machen mehr als die Hälfte des migrantischen
Redaktionspersonals aus. Der Frauenanteil ist damit sogar höher als bei Journa-
list_innen ohne Migrationshintergrund, insbesondere bei der jüngeren Generation
(Geißler et al. 2009, S. 113).

3.2 Diskriminierung beim Berufszugang

Der Berufszugang von Migrantinnen ist durch die gängigen Qualifikationsprofile


erschwert (Röben 2008): Journalistische Erfahrungen sind wichtigste Vorausset-
zung, gefolgt von Hochschulabschluss, fachlicher und sprachlicher Kompetenz
(„gutes Deutsch“), Volontariat sowie Kontakt- und Teamfähigkeit („muss zu uns
passen“). Voraussetzung zur Erfüllung dieses von (vorwiegend männlichen) weißen
Herkunftsdeutschen geprägten Kompetenzkanons sind gute Kontakte in die Mehr-
heitsgesellschaft. Ein weiteres Nadelöhr beim Berufszugang ist das deutsche Bil-
dungssystem, das herkunftsbedingte Ungleichheitslagen eher verfestigt (Pascual
Iglesias 2005; Oulios 2009). Religionszugehörigkeit kann auch eine Hürde sein –

3
Zur Situation im öffentlich-rechtlichen Rundfunk vgl. auch Sultan 2011 und Röben 2013,
S. 130–131.
758 B. Röben

etwa wenn der Evangelische Pressedienst die Zugehörigkeit zu einer christlichen


Religion verlangt (Röben 2008, S. 153) oder wenn eine muslimische Journalistin
erfährt, dass sie trotz Praktikums-Zusage am Telefon den Platz nicht erhält, weil sie
Kopftuch trägt (Oulios 2009, S. 130). Migrationsspezifische Kenntnisse wie Mehr-
sprachigkeit, interkulturelle Kompetenz oder der Bezug zu einem bestimmten Rezi-
pientenpotenzial sind nicht gefragt (Pascual Iglesias 2005, S. 164; Röben 2008,
S. 155).
Zusätzlich kann auch die soziale Herkunft ausgrenzende Diskriminierungserfah-
rungen bewirken, wie Studien zeigen, in denen Männer und Frauen interviewt
wurden. Nur die Hälfte der von Oulios befragten Journalist_innen mit Einwan-
derungshintergrund stammt aus der Arbeiterschicht (Oulios 2009, S. 129),4 und
auch Pascual Iglesias stellt fest, dass die „Migranten-Journalisten“, die ihren Weg
in den deutschen Journalismus finden, Eltern haben, die eher „Angestellte als
Arbeiter (sind), die sie in ihrem Bildungsvorhaben unterstützten“ (Pascual Iglesias
2005, S. 164).5

3.3 Identitätskonstruktionen und Vielfalt

Margreth Lünenborg und Elfriede Fürsich untersuchen in ihrer Studie (Lünenborg


und Fürsich 2014) mit einer intersektionalen Analyse den Einfluss von Differenzset-
zungen auf die Identitätskonstruktion von Migrantinnen im deutschen Fernsehen –
auf allen Ebenen. Die Forscherinnen begreifen Produktion, Präsentation und Rezep-
tion als interdependent und rekurrieren für ihre kontextbezogene Analyse auf ein von
Margreth Lünenborg und Elisabeth Klaus entwickeltes Kommunikationsmodell. Die
beiden erweitern darin den „Kreislauf kultureller Bedeutungsproduktion“, der 1996
von Paul du Gay et al. (2013) entwickelt wurde, um das Konzept der cultural
citizenship (Lünenborg 2005, S. 71; Klaus und Lünenborg 2004, S. 200, 201).
Damit wird es möglich, sowohl die selbst- als auch die fremdbestimmte Identitäts-
bildung der Individuen zu analysieren – also auch die „Aushandlung von dominan-
ten kulturellen Sichtweisen“ im Produktionsprozess (Lünenborg 2005, S. 72). Der
Zusammenhang zwischen Medienproduktion und Medieninhalten wird durch De-
konstruktion des „migrantischen“ Identitätskonzepts, hier des Selbstbildes der Me-
dienschaffenden, überprüft.
Dazu führten Lünenborg und Fürsich 2011 Leitfadeninterviews mit sieben Me-
dienmacherinnen aus Einwanderungsfamilien und stellen fest: „Die Affinität zu den
Themen Migration und soziale Integration variierte in Abhängigkeit zu der Bedeu-
tung, die die interviewten Frauen der eigenen Migrationsbiografie beimaßen“, wobei

4
„Der auffälligste Unterschied zu den Deutschen [sic] zeigt sich bei der sozialen Herkunft“, denn
40 Prozent stammen aus „Familien von Arbeitern und einfachen Dienstleistern“ (Geißler et al.
2009, S. 113).
5
Inzwischen ist Diversität in deutschen Medienhäusern zwar gefragt, aber noch immer gibt es nur
einzelne Maßnahmen und keine Diversity-Strategie zur Erleichterung des Berufszugangs für
Journalist_innen mit Migrationshintergrund (Neue deutsche Medienmacher_innen 2020).
Migrantinnen in der Medienproduktion 759

die meisten Befragten sich zuerst als Expertinnen in ihren jeweiligen Fachgebieten
betrachteten – „ein Selbstbild, das der etablierten Ideologie des Journalisten als
neutralem Beobachter zuzuordnen“ sei (Lünenborg und Fürsich 2014, S. 14–15).
Diese Anpassung an das gängige journalistische Selbstverständnis stellte auch
Mercedes Pascual Iglesias fest: Erfolgreiche Migrant_innen „betrachten sich als
Teil der Mehrheitsgesellschaft (. . .) Ihr journalistisches Selbstverständnis für die
Themenwahl und -umsetzung haben sie in Deutschland ausgebildet, so dass es sich
von dem deutschstämmiger Kollegen kaum unterscheidet“ (Pascual Iglesias 2005,
S. 164). Für ihre Identitätsbildung, so Lünenborg und Fürsich, ist zudem die
Zugehörigkeit zur Mittelschicht, der die meisten Journalist_innen entstammen,
wichtiger als ihre Biografie als Frau und Migrantin, d. h. Klasse erweist sich als
zentrale Differenzkategorie. Sie betrachten beruflichen Erfolg als persönliche Leis-
tung und „verstehen systemische Geschlechterungleichheit bzw. mangelnde Multi-
kulturalität als eine Hürde, welche mit individuellen, persönlichen Strategien ge-
meistert werden kann“ (Lünenborg und Fürsich 2014, S. 16) – ganz im Sinne
neoliberaler Gesellschaftsordnungen. Die gleiche Ansicht vertraten Journalist_innen
mit „bürgerlicher Herkunft“, die Oulios (2009, S. 140) interviewte.
Lünenborg und Fürsich kritisieren, dass sich im Fernsehen keineswegs die
Vielfalt der Migrationserfahrungen wiederfindet und machen dafür ideologische
Selbstwahrnehmungen von Migrantinnen mitverantwortlich: „Solange sie der Mit-
telschicht angehören, müssen sie sich nicht an den Kämpfen um weibliche und
ethnische Identität beteiligen“ (Lünenborg und Fürsich 2014, S. 17). Die Aussagen
der Frauen seien zwar „ideologisch mit einer postmigrantischen Identität verbun-
den“, ihre Distanzierungsstrategien entlang der Grenzziehung Klasse stellten aber in
Frage, ob eine bessere Repräsentation im Personal auch mehr inhaltliche Vielfalt
bedeutet (Lünenborg und Fürsich 2014, S. 17–18).

4 Fazit

Forschungsarbeiten zu Medienproduktion, Ethnizität und Geschlecht bilden bislang


eine Ausnahme. Jene Studien, die den Anteil und die Arbeitsbedingungen von
Migrantinnen in der Medienproduktion in den Blick nehmen, zeigen, dass diese
nach wie vor stark unterrepräsentiert sind – in Mainstream-Medien stärker als in
Alternativmedien, im Printsektor mehr als im Hörfunk. Außerdem sind Migrantin-
nen als Journalistinnen weniger stark vertreten als ihre männlichen migrantischen
Kollegen und ältere sind im Vergleich zu jüngeren deutlich in der Minderzahl.
Innerhalb der Redaktion bekleiden sie am seltensten Leitungspositionen und sie
arbeiten am häufigsten als Freie, so dass ihre Entscheidungs- und Einflussmöglich-
keiten auf Themenauswahl und -präsentation, auf Programm- und Personalmanage-
ment äußerst begrenzt sind.
Gängige (von weißen Mittelschichts-Männern geprägte) Qualifikationsanfor-
derungen und die mangelnde Wertschätzung interkultureller Kompetenzen sowie
die Zugehörigkeit zu einer nicht-christlichen Religion und zur Arbeiterklasse haben
sich als zentrale Zugangshürden herauskristallisiert. Migrantinnen, die es in die
760 B. Röben

Medien geschafft haben, teilen zumeist das gängige journalistische Selbstverständ-


nis des „neutralen Beobachters“. Für ihre Identitätsbildung ist ihre Einwanderungs-
geschichte zwar – abhängig von ihrer Biografie – bedeutsam, vor allem zählt aber
ihre Zugehörigkeit zur Mittelschicht, deren individualistische Leistungsideologie sie
teilen. Folglich betrachten diese Migrantinnen strukturelle Benachteiligungen und
fehlende Post-Migrationskultur in den Medien nicht als systembedingt, sondern als
persönliche Herausforderung.
Mehr personelle Vielfalt ist zwar nicht ausreichend, aber weiterhin notwendige
Bedingung für Gerechtigkeit in der Teilhabe und vielfältigere Medienbilder. Denn
nur wenn es mehr Migrantinnen in redaktionellen Entscheidungspositionen gibt und
Zugangshürden durch Grenzziehungen entlang von Geschlecht, Ethnie, Religion,
Alter, Klasse abgebaut werden (bei Ausbildung und Einstellung durch Überarbei-
tung gängiger Qualifikationsprofile), erst dann kann auch der Druck einer system-
konformen Identitätsbildung (Selbstverständnis, Mittelschicht, Leistungsideologie),
der nicht nur auf Journalistinnen mit Migrationsgeschichte lastet, reduziert werden.
Die Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan (2019) betont, dass es weniger um
Migration selbst geht, als um Aushandlungsprozesse, die stattfinden, nachdem
Migration zur politischen Realität geworden ist. Hier zeigt sich die Notwendigkeit
eines neuen Forschungsparadigmas, das neben der intersektionalen auch eine post-
migrantische Perspektive berücksichtigt.

Literatur
American Society of Newspaper Editors (ASNE). 2019. Newsroom Diversity Survey. https://
members.newsleaders.org/. Zugegriffen am 03.12.2021.
Biber. 2017. Magazin für neue Österreicher. http://www.dasbiber.at. Zugegriffen am 08.11.2017.
Dorer, Johanna, und Matthias Marschik. 2006. Medien und Migration. Repräsentation und Rezep-
tion des „Fremden“ im europäischen Kontext. Medienimpulse 55:24–28.
Gay, Paul du, et al. Hrsg. 2013. Doing cultural studies. The story of the Sony Walkman.
London: Sage.
Eurostat. 2016. Foreign-born population by country of birth. http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-
explained/index.php?title¼File:Foreign-born_population_by_country_of_birth,_1_January_
2016_(%C2%B9).png&oldid¼331049. Zugegriffen am 08.11.2017.
Foroutan, Naika. 2019. Die postmigrantische Gesellschaft: Ein Versprechen der pluralen Demo-
kratie. Bielefeld: transcript.
Fritsche, Katharina. 2009. Diversity in der Redaktion. Geschlecht und Ethnie als Strukturkategorien
in der Medienproduktion und eine Bestandsaufnahme zu „JournalistInnen mit Migrationshin-
tergrund im Berliner Hörfunk“. Berlin: Magistraarbeit.
Geißler, Rainer, und Horst Pöttker, Hrsg. 2005. Massenmedien und die Integration ethnischer
Minderheiten in Deutschland. Problemaufriss – Forschungsstand – Bibliographie. Bielefeld:
transcript.
Geißler, Rainer, und Horst Pöttker, Hrsg. 2006. Integration durch Massenmedien – Mass Media-
Integration. Bielefeld: transcript.
Geißler, Rainer, und Horst Pöttker, Hrsg. 2009. Massenmedien und die Integration ethnischer
Minderheiten in Deutschland. Band 2 Forschungsbefunde. Bielefeld: transcript.
Geißler, Rainer, Christina Enders, und Verena Reuter. 2009. Wenig ethnische Diversität in deut-
schen Zeitungsredaktionen. In Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in
Migrantinnen in der Medienproduktion 761

Deutschland. Band 2. Forschungsbefunde, Hrsg. Rainer Geißler und Horst Pöttker, 79–118.
Bielefeld: transcript.
Gouma, Assimina. 2012. Migration und Kritischer Journalismus – integrativ oder antirassistisch?
Medien Journal 36(3): 35–46.
Gries, Marie-Luise. 1998. Mehr Farbe in die Medien. Grimme-Volontärinnen machen ihren Weg.
AiD – Ausländer in Deutschland 14(4): 14.
Hatef, Giti. 1998. Darstellung und Kritik europäischer Ausbildungsprojekte für Medienberufe. Eine
Analyse des Adolf-Grimme-Volontariates innerhalb der transnationalen Initiative On Air –
More Colour in the Media. Bochum: Magistraarbeit.
Herczeg, Petra. 2010. Integration durch Kommunikation. Fünf Thesen über den zu führenden
kommunikationswissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs. In Journalismus und Öf-
fentlichkeit. Eine Profession und ihr gesellschaftlicher Auftrag, Hrsg. Tobias Eberwein und
Daniel Müller, 169–181. Wiesbaden: Springer VS.
Horz, Christine. 2014. Medien – Migration – Partizipation. Eine Studie am Beispiel iranischer
Fernsehproduktion im Offenen Kanal. Bielefeld: transcript.
Jungk, Sabine. 1999. „Mehr Farbe in die Medien“ – ein Modellprojekt zur interkulturellen Öffnung
von Rundfunkanstalten. In Medien und multikulturelle Gesellschaft, Hrsg. Christoph Butter-
wegge, Gudrun Hentges, und Fatima Sarigöz, 207–227. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Keil, Susanne. 2000. Einsame Spitze? Frauen in Führungspositionen im öffentlich-rechtlichen
Rundfunk. Münster: Lit.
Klaus, Elisabeth. 2005. Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung. Zur Bedeutung
der Frauen in den Massenmedien und im Journalismus. Münster/Hamburg/London: Lit.
Klaus, Elisabeth, und Margreth Lünenborg. 2004. Cultural Citizenship. Ein kommunikationswis-
senschaftliches Konzept zur Bestimmung kultureller Teilhabe in der Mediengesellschaft. Me-
dien und Kommunikationswissenschaft 52(2): 193–213.
Koch, Ralf. 1996. Medien mögen’s weiß. Rassismus im Nachrichtengeschäft. München: dtv.
Kumai, Shion. 2016. Wege zu mehr Vielfalt in den Medien. Hindernisse und Möglichkeiten für die
journalistische Praxis in der Berichterstattung über Migrationsthemen. In Media and minorities.
Questions on representation from an international perspective, Hrsg. Georg Ruhrmann, Yas-
mina Shooman, und Peter Widmann, 226–237. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. http://
www.vr-elibrary.de/doi/pdf/10.13109/9783666300882.226. Zugegriffen am 18.02.2019.
Linke, Jürgen. 1997. Du bist ich – Integrationsmodell Offener Kanal Berlin. In Handbuch Medien.
Offene Kanäle, Hrsg. Ulrich Kamp, 44–45. Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung.
Lünenborg, Margreth. 2002. Journalismusforschung und Gender Studies. Eine kritische Bilanz der
aktuellen Kommunikatorforschung. In Grundlagentexte zur Journalistik, Hrsg. Irene Neverla,
Elke Grittmann, und Monika Pater, 523–553. Konstanz: UVK.
Lünenborg, Margreth. 2005. Journalismus als kultureller Prozess. Zur Bedeutung von Journalis-
mus in der Mediengesellschaft. Ein Entwurf. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Lünenborg, Margreth, und Elfriede Fürsich. 2014. Intersektionalität und „The Other“: Die kom-
plexe Verhandlung von Migration, Gender und Klasse in der Produktion und Rezeption
deutscher Fernsehangebote. Medien Journal 38(3): 7–20.
Lünenborg, Margreth, Katharina Fritsche, und Annika Bach. 2011. Migrantinnen in den Medien.
Darstellungen in der Presse und ihre Rezeption. Bielefeld: transcript.
Müller, Daniel. 2005. Ethnische Minderheiten in der Medienproduktion. In Massenmedien und die
Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. Problemaufriss – Forschungsstand –
Bibliographie, Hrsg. Rainer Geißler und Horst Pöttker, 223–237. Bielefeld: transcript.
Neue deutsche Medienmacher. 2021. Guter Journalismus ist immer vielfältig. http://www.
neuemedienmacher.de/. Zugegriffen am 06.12.2021.
Neue deutsche Medienmacher_innen. 2020. Viel Wille, kein Weg, Diversity im deutschen Journa-
lismus. https://neuemedienmacher.de/fileadmin/dateien/PDF_Borschueren-Infomaterial-Flyer/
20200509_NdM_Bericht_Diversity_im_Journalismus.pdf. Zugegriffen am 06.12.2021.
Neue deutsche Medienmacher_innen. 2021. Diversity Guide. Wie deutsche Medien mehr Vielfalt
schaffen. https://neuemedienmacher.de/wissen-tools/diversity-im-medienhaus/. Zugegriffen am
06.12.2021.
762 B. Röben

Neverla, Irene. 2002. Balanceakte zwischen Angleichung und Abweichung im Journalismus.


Aspekte beruflicher Sozialisation von Journalistinnen. In Grundlagentexte zur Journalistik,
Hrsg. Irene Neverla, Elke Grittmann, und Monika Pater, 321–336. Konstanz: UVK.
Niemann, Pari. 2000. Erfahrungen aus der Frauengleichstellung. In Gleichstellung von MigrantIn-
nen in deutschen Medien, Hrsg. Heinrich-Böll-Stiftung, 21–29. Berlin: Heinrich-Böll-Stiftung.
North, Louise. 2015. The currency of gender: Students and institutional responses to the first gender
unit in an Australian journalism program. Journalism & Mass Communication Educator 70(2):
174–186.
Österreichischer Intergrationsfonds. 2012. Integration in der Medienwelt. (Fact Sheet 7). https://
www.integrationsfonds.at/publikationen/oeif-fact-sheets-archiv/. Zugegriffen am 06.12.2021.
Oulios, Miltiadis. 2009. Weshalb gibt es so wenig Journalisten mit Einwanderungshintergrund in
deutschen Massenmedien? Eine explorative Studie. In Massenmedien und die Integration
ethnischer Minderheiten in Deutschland. Band 2. Forschungsbefunde, Hrsg. Rainer Geißler
und Horst Pöttker, 119–114. Bielefeld: transcript.
Pascual Iglesias, Mercedes. 2005. Migranten-Journalisten in Deutschland. Eine explorative Unter-
suchung über Chancen und Hindernisse im deutschen Journalismus. Dortmund: Diplomarbeit.
Prenner, Andrea. 1995. Die Konstruktion von Männerrealität in den Nachrichtenmedien. Eine
theoretisch-empirische Untersuchung anhand eines Beispiels. Bochum: Brockmeyer.
Ratković, Viktorija. 2018. Postmigrantische Medien. Die Magazine biber und migrazine zwischen
Anpassung, Kritik und Transformation. Bielefeld: transcript.
Rhodes, Jane. 2001. Journalism in the new millennium: What’s a feminist to do? Feminist Media
Studies 1(1): 49–53.
Röben, Bärbel. 2008. Migrantinnen in den Medien. Diversität in der journalistischen Produktion –
am Beispiel Frankfurt am Main. In Medien – Diversität – Ungleichheit. Zur medialen Kon-
struktion sozialer Differenz, Hrsg. Ulla Wischermann und Tanja Thomas, 141–159. Wiesbaden:
Springer VS.
Röben, Bärbel. 2010. Migrantinnen im deutschen Journalismus – ein weißer Fleck. Forschungs-
überblick und Perspektiven. In Journalismus und Öffentlichkeit. Eine Profession und ihr gesell-
schaftlicher Auftrag, Hrsg. Tobias Eberwein und Daniel Müller, 263–282. Wiesbaden:
Springer VS.
Röben, Bärbel. 2013. Medienethik und die „Anderen“. Multiperspektivität als neue Schlüsselkom-
petenz. Wiesbaden: Springer VS.
Rommelspacher, Birgit. 2001. Anerkennung und Ausgrenzung. Deutschland als multikulturelle
Gesellschaft. Frankfurt a. M./New York: Campus.
Ross, Karen, und Claudia Padovani. 2016. Gender equality and the media: A challenge for Europe.
New York: Routledge.
Saha, Anamik. 2016. From the politics of representation to the politics of production. In Media and
minorities. Questions on representation from an international perspective, Hrsg. Georg Ruhr-
mann, Yasmina Shooman, und Peter Widmann, 39–49. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
http://www.vr-elibrary.de/doi/pdf/10.13109/9783666300882.39. Zugegriffen am 18.02.2019.
Schulz, Ute. 2000. Journalistinnen im Schulterschluss? Motivationen der Entscheidungen für oder
gegen kollektives Frauenhandeln. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Statistisches Bundesamt. 2021. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoel
kerung/Migration-Integration/Glossar/migrationshintergrund.html. Zugegriffen am 03.12.2021.
Sultan, Marie Mualem. 2011. Migration, Vielfalt und Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk. Würzburg:
Königshausen und Neumann.
Ter Wal, Jessica. 2002. Racism and cultural diversity in the mass media. An overview of research
and examples of good practice in the EU Member States, 1995–2000. Wien: EUMC.
Wellgraf, Stefan. 2008. Migration und Medien. Wie Fernsehen, Radio und Print auf die Anderen
blicken. Berlin: Lit.
Zwick, Martin. 1996. Mehr Farbe in die Medien. AiD – Ausländer in Deutschland 12(3): 6.
Migrant*innen in Medientexten
als Thema der Medien- und
Kommunikationswissenschaften

Viktorija Ratković und Assimina Gouma

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 764
2 Othering, Migrationsmanagement und Medien als „white man’s world“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 764
3 Migration als Thema der Kommunikations- und Medienforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 766
4 Fazit: Kritische Perspektiven als produktive Herausforderung für die
Kommunikations- und Medienforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 772
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 773

Zusammenfassung
Migrant*innen fanden lange Zeit sowohl in Medien als auch in der Kommunika-
tions- und Medienforschung nur wenig Beachtung. Die mittlerweile zahlreichen
Arbeiten, die Migrationsphänomene in den Fokus rücken, zeigen auf, dass Reprä-
sentationen von Migrant*innen u. a. vom Paradigma der Integration und von
Kulturalisierungen geprägt waren bzw. nach wie vor sind. Analysen von Darstel-
lungen gegenderter Migrationserfahrungen stellen zudem fest, dass gerade entlang
der Kategorien Geschlecht, Religion und (zugeschriebener) Ethnie/race Prozesse
der Grenzziehung zwischen ‚Eigenem‘ und ‚Fremdem‘/VerAndertem erfolgen.

Schlüsselwörter
Migrant*innen · Muslimische Frau · Othering · Migrationsmanagement ·
Integrationsparadigma

V. Ratković (*)
Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich
E-Mail: viktorija.ratkovic@aau.at
A. Gouma
Institut für Inklusive Pädagogik, Pädagogische Hochschule Oberösterreich, Linz, Österreich
E-Mail: assimina.gouma@ph-ooe.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 763
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_65
764 V. Ratković und A. Gouma

1 Einleitung

Gegenderte Erfahrungen in Migrationsprozessen wurden sowohl in medialen Re-


präsentationen (Kumarini und Mendes 2009) als auch in der deutschsprachigen
Kommunikations- und Medienforschung (Müller 2005a, S. 106) lange ignoriert.
Das Desinteresse gegenüber Genderverhältnissen in der Migration hängt teilweise
mit Kulturalisierungsdynamiken zusammen: Eine wie auch immer imaginierte Her-
kunftskultur verdrängt als Analyseeinheit Kategorien wie race, class, gender, da der
essentialisierende kulturelle Blick – Migration als Bedrohung der „eigenen“ Kultur
und der daraus konstruierte Kulturkampf gegen das „Fremde“ – nach „Integrations-
willigen“ bzw. „Integrationsproblemen“ (Husband 2000) sucht. Mara Mattoscio und
Megan MacDonald (2018) kommen zum Schluss, dass gegenderte mediale Kon-
struktionen der Protagonist*innen der Migration im Rahmen von zahlreichen „dra-
matischen Zuspitzungen“ wie dem arabischen Frühling, dem Syrien-Krieg, den
Toten der Mittelmeerroute und des Klimawandels deutlicher geworden sind. Sie
merken aber auch an, dass den spezifischen Formen medialer gender visibility auch
weiterhin Leerstellen und Unsichtbarkeit der gegenderten Erfahrung gegenüberste-
hen. Dies trifft auch in Zusammenhang mit dem Jahr 2015 zu: Obwohl der „Sommer
der Migration“ zu einer zunehmenden medialen Auseinandersetzung mit dem
Thema geführt hat, bleibt die mediale Sichtbarkeit von Gender und Migration
vergleichsweise gering. (Lind und Meltzer 2021) Weiblichen Migrant*innen
kommt in medialen Repräsentationen jedenfalls eine ambivalente Rolle zu: Während
sie einerseits häufig nur ‚mitgemeint‘ wurden und werden, zeigen andererseits
Forschungsarbeiten (exemplarisch siehe Rosenberger und Sauer 2012), dass gerade
anhand der Figur „Migrantin“ – die vielfach in der Figur der muslimischen Frau eine
Zuspitzung erfährt – Prozesse der Grenzziehungen zwischen ‚Eigenem‘ und ‚Frem-
dem‘ erfolgen.

2 Othering, Migrationsmanagement und Medien als „white


man’s world“

Die Grenzen des Sagbaren in Bezug auf Migration und Migrant*innen werden in der
Öffentlichkeit verhandelt, und zwar unter hegemonialen Bedingungen. Diese Be-
dingungen können als eine sozial konstruierte Wirklichkeit bzw. als Differenzver-
hältnisse zusammengefasst werden, die der Genderkategorie in den Medienberichten
über die Akteur*innen der Migration vorgelagert sind und die aus der theoretischen
Perspektive des othering betrachtet werden können.
Bei der Migrationsfrage tragen Medien durch stereotype Berichterstattung und
die Verbreitung von nationalistischen und neoliberalen Narrativen zur diskursiven
Verfestigung des othering (Hall 1996, 2000; Olalde und Velho 2011; Gouma 2020),
d. h. der VerAnderung (Reuter 2002) bei. Markierungspraktiken haben weitreichen-
de kollektive Folgen für die Protagonist*innen der Migration. Die diskursiven
Kämpfe rund um Migrationsphänomene und die Synergieeffekte zwischen Media-
tisierung und Rassismus/Neoliberalismus/Rechtspopulismus führen zu politischen
Migrant*innen in Medientexten als Thema der Medien- und . . . 765

Subjektkonstruktionen, die Giorgio Agamben (1998) als „bare life“ (das nackte
Leben) versteht: Das nackte Leben als das Ergebnis politischer Macht auf Körper,
die nicht als Teil des hegemonialen gesellschaftlichen Selbstverständnisses zählen.
Dadurch ist es möglich, bestimmte Subjekte an die Ränder des politischen und
juristischen Systems zu drängen bzw. eine hegemoniale Definition von migranti-
schen Subjekten zu verfestigen, die durch ihre Exklusion aus dem juristischen und
politischen Spektrum zugleich das legitime „Volk“ mitkonstituiert. Bei den diskur-
siven Kämpfen rund um diese Subjektivierungs- bzw. Ausschlussprozesse geht es
nicht nur um die Bedeutung von „Volk“, „Migrant*in“ etc., sondern um das binäre
Denken als zentrales Mittel des othering im kolonialen europäischen Verständnis.
Postkoloniale westliche Gesellschaften sind davon noch immer zutiefst beeinflusst
(Gilroy 2005; Mohanty 2013), weil in rassistischen Verhältnissen othering zur
Festigung von white privilege (Carr 2017) beiträgt.
Einen wesentlichen Beitrag zu othering leistet die Medienöffentlichkeit, indem
darin Migrationsphänomene überwiegend als „Problem“ behandelt werden. Gestärkt
wird der Problem-Diskurs durch die politischen „Eliten“ (Dijk 1992), die je nach
Weltanschauung fordern, dass Migration gestoppt bzw. im Sinne des Migrations-
managements – des mittlerweile dominanten politischen Paradigmas – kontrolliert
wird. In der medialen Öffentlichkeit wird die „Problem“-Perspektive – teilweise von
redaktioneller Routine, prekären Reflexions- und Rechercheressourcen (Weish
2015; Fleras 2016) und populistischen Dynamiken unterstützt – verbreitet und
vervielfältigt. Augie Fleras (2016) weist darauf hin, dass in der westlichen Bericht-
erstattung, Migrant*in zu „sein“ – solange das nötige Kleingeld fehlt, um die
Verwandlung zur Kosmopolit*in zu erwirken –, nichts anderes bedeutet, als „pro-
blem people“ zu sein: Menschen mit Problemen, die Probleme verursachen. Durch
das Zusammenwirken unterschiedlicher gesellschaftlicher Systeme hat sich der
Standpunkt „Migration ist ein Problem“ zu einer dominanten Alltagstheorie bzw.
als common sense durchgesetzt. Migration als Recht, soziale Bewegung, Phänomen
und Realität in einer globalisierten, vernetzten und von Ungleichheiten gekenn-
zeichneten Welt zu behandeln, ist dagegen eine bisher politisch inopportune Positi-
on. (Bojadžijev und Liebelt 2014; Gouma 2020) Ein bedeutender Aspekt bei der
Konstruktion des „Problems“ ist das „othering through gendering“: „This image of
the non-civilised, aggressive and violent young male migrant at the same time
creates the ‚native girl‘ as a helpless victim that seems deprived of agency and in
need of a saviour ready to fight on her behalf.“ (Mayer et al. 2016, S. 94) Besonders
seit dem „Ereignis Köln“ (Dietze 2016) trugen mediale Diskurse wesentlich zur
Festigung dieser Darstellung migrantischer Männlichkeit bei (siehe auch Boulila
und Carri 2017).
Das dominante politische Paradigma des Migrationsmanagements (Messinger
und Ratković 2017) ist indes ein neoliberales Angebot, das verspricht, sowohl das
„Problem“ als auch das Nord-Süd-Verhältnis durch othering zu kontrollieren und
damit zu regieren: „Migration ist positiv, sofern sie nützlich ist.“ (Georgi 2010,
S. 153–154) Migrationsmanagement betrachtet Migration zwar als einen normalen
Prozess, tritt jedoch für „regulated openness“ ein, um einen maximalen „Gewinn“
für den jeweiligen Nationalstaat zu erzielen. Die aktuelle Verschränkung einer
766 V. Ratković und A. Gouma

utilitaristischen Ethik bzw. des Nützlichkeitsparadigmas mit dem Migrationsdiskurs


führt zu einer Depolitisierung von Migration. Diese Inszenierung der Migrations-
politik als „apolitische Politik“, als ein „Management technischer Probleme“ (Georgi
2009, S. 81) ist ein diskursives Angebot für verschiedene Akteur*innen der Migra-
tionsgesellschaft, auch für die Medien. Die Bedingungen der Öffentlichkeit, wo vor
allem „über“ Migrant*nnen gesprochen wird, und zwar in einer von strukturellem
Rassismus geprägten postkolonialen Gesellschaft, begünstigen das hegemoniale
Projekt des Migrationsmanagements. Genderverhältnisse und Klassenbeziehungen
sind laut Buckel (2012) die stillschweigenden Grundlagen der Transnationalisie-
rung: „Das, was als ‚Migrationsmanagement‘ bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit die
Regulation des Nord-Süd-Verhältnisses, die nach den Kriterien eines globalen Ar-
beitsmarktes postnationale Migrantinnen und Migranten in ihr Verwertungsschema
presst, egal aus welchen Motiven sich diese auf die Reise nach Europa begeben
haben“. (Buckel 2012, S. 95) Gegenderte Erfahrungen in der Migrationsgesellschaft
werden jedoch medial nur selten thematisiert – ebenso wenig wie die komplexen
Verschränkungen von Gender- und Klassenverhältnissen in der Zeit des „Migrations-
managements“.
Medien neigen vielmehr dazu, auf die Repräsentationspolitik des weißen Mannes
aufzubauen: „the media report and write from the standpoint of a white man’s
world.“ (Fleras 2016, S. 23) Trotz des zunehmenden Drucks, ihre Repräsentations-
politik gegenüber Migrant*innen zu verändern, funktionieren Mainstreammedien
demnach weiterhin als „white media“, da der systemische Bias resistent ist. Fleras
bezieht sich auch auf Simon Cottle (2000), der die Myopia (Kurzsichtigkeit) der
„weißen Medien“ gegenüber den eigenen Privilegien kritisiert und feststellt, dass
diese Kurzsichtigkeit von Migrant*innen, Marginalisierten und jenen, die „weiße
Medien“ eben als solche wahrnehmen, nicht geteilt wird (Fleras 2016, S. 29).
Entsprechend verfügen Medien, die als Alternative zu „weißen Medien“ fungieren
(können), d. h. beispielsweise von Migrant*innen produziert wurden und werden,
auch im deutschsprachigen Raum über eine lange Tradition (Weber-Menges 2006).
Bezeichnend ist jedoch, dass diese Medien in den deutschsprachigen Medien- und
Kommunikationswissenschaften zum einen lange Zeit nur wenig Aufmerksamkeit
erfuhren und zum anderen als „Ethnomedien“ bezeichnet wurden, womit vermittelt
wird, dass Ethnie etwas sei, was nur die sogenannten ‚Anderen‘ hätten. Mittlerweile
werden diese Medien zunehmend als Teil einer postmigrantischen Gesellschaft und
damit auch postmigrantischer Medienlandschaft verstanden (Horz 2014; Ratković
2017, 2018; Thomas et al. 2019).

3 Migration als Thema der Kommunikations- und


Medienforschung

Im deutschsprachigen Raum begann die Auseinandersetzung mit dem Themenkom-


plex Migration und Medien zwar bereits in den 1960er-Jahren, verstärkter Aufmerk-
samkeit erfreut sich das Thema allerdings erst ab der Mitte der 1990er-Jahre
Migrant*innen in Medientexten als Thema der Medien- und . . . 767

(vgl. Lünenborg und Maier 2017; Bonfadelli et al. 2010; Trebbe 2009; Müller
2005a, b; Weber-Menges 2005). Untersucht wird die Darstellung und Repräsentati-
on von Migrant*innen1 in den Medien, Mediennutzung und -aneignung von Mi-
grant*innen sowie die Rolle von Migrant*innen in der Medienproduktion
(zu Medienproduktion siehe Röben 2022). Einbezogen werden verschiedene theo-
retische Bezugsrahmen, bei der Analyse von medialen Repräsentationen von Mi-
grant*innen vor allem Agenda Setting, Framing und Stereotypenforschung (Trebbe
2009, S. 12; Spindler 2011; Lünenborg und Maier 2017). Kaum Berücksichtigung
findet die Verknüpfung der Kategorien Geschlecht und „Ethnizität“ in der deutschen
Kommunikationswissenschaft. Sie bildet bis in die 2010er-Jahre eine Leerstelle.
(Lünenborg et al. 2011) Mittlerweile gibt es allerdings zahlreiche Studien, die
Geschlecht in den Fokus rücken und dabei zunehmend intersektional vorgehen
(Lünenborg und Fürsich 2014).
Printmedien werden dabei am häufigsten, Fernsehinhalte (Hipfl 2018; Ortner
2007), Filme, Werbung und PR hingegen seltener analysiert – und das, obwohl
Migration gerade in zahlreichen Spielfilmen und Dokumentationen thematisiert
wird. Dies kann zum einen damit erklärt werden, dass sich Printmedien leichter
auswerten lassen, zum anderen damit, dass politischen Inhalten der Presse hoher
Stellenwert eingeräumt wird (Müller 2005a, S. 111). Auch Forschungsarbeiten, die
sich explizit mit Migrantinnen befassen, fokussieren vor allem auf ihre Darstellung
in den Printmedien, wobei das Nachrichtenmagazin Der Spiegel das meist beforsch-
te Medium ist. (Inhalts-)Analysen von Fernsehfilmen und TV-Dokumentationen
fußen laut Lünenborg et al. (2011, S. 28–39) auf kleiner empirischer Basis, wes-
wegen sie eher als explorativ zu bezeichnen sind.
Die Auseinandersetzung mit Migration in den (deutschsprachigen) Kommunika-
tionswissenschaften ist zudem Konjunkturen unterworfen: So handelt es sich hierbei
zeitweise geradezu um ein Modethema (Geißler und Pöttker 2009a, S. 7). Nicht
zuletzt hat, wie etwa Braun et al. (2018, S. 10) feststellen, gerade der ‚lange Sommer
der Migration‘ bzw. die darin offenkundig gewordene ‚Krise‘ des europäischen
Grenzregimes ab 2015 zu einem Anstieg der Nachfrage nach Wissen über Migration
geführt, was sich u. a. an der Bereitstellung von Fördermitteln für entsprechende
Forschungsprojekte zeigt. Fluchtbewegungen haben in den letzten Jahrzehnten
immer wieder zu verstärktem Interesse am Thema Migration geführt, wobei der
Fokus zumeist auf bestimmte Gruppen gelegt wurde und gegenderte (Flucht-)
Erfahrungen nur selten in den Blick gerückt wurden (für einen Überblick siehe
Horz 2020).

1
Die Autor*innen der im Folgenden zitierten Studien verwenden jeweils unterschiedliche Bezeich-
nungen, die z. T. auch unterschiedliche Gruppen/Menschen betreffen (z. B. Ausländer*innen,
Gastarbeiter*innen, Frauen/Männer mit Migrationshintergrund, Migrant*innen). An diesen Be-
zeichnungen zeigen sich die jeweils dominanten Diskurse rund um und Perspektiven auf Migration,
die hier aus Platzgründen nicht ausgeführt werden können. Im Folgenden werden diese Bezeich-
nungen synonym mit Migrant*innen verwendet.
768 V. Ratković und A. Gouma

3.1 Das Paradigma der Integration

In der deutschsprachigen Kommunikations- und Medienforschung wurde die


Migrationsfrage lange als Integrationsfrage verstanden und analysiert – so sehr,
dass etwa Hepp et al. (2010, S. 320–321) sowie Hugger und Strotmann (2008,
S. 432) gar davon sprechen, dass es sich im deutschsprachigen Raum um „Medien-
und Integrationsforschung“ handle (vgl. auch Geißler und Pöttker 2009b; Butter-
wegge und Hentges 2006; Vlasic 2004; Imhof et al. 2002; Vlasic und Brosius
2002; Ausländerbeauftragte der Freien und Hansestadt Hamburg/Hamburgische
Anstalt für neue Medien 2001; Schatz et al. 2000; Bonfadelli et al. 2010). Auch die
soziale Konstruktion von Identitäten durch Migration und Medien wurde durch
die Brille der „Integration“ betrachtet. (Schatz et al. 2000, S. 13) Integration wurde
dabei als ein gesellschaftliches und homogenes „Ganzes“ verstanden, das die
Differenzierungsprozesse, die stets Teil des sozialen Lebens sind, sowie auch
die Hierarchien und Machtverhältnisse, die die Lebenswelt strukturieren, unbe-
rücksichtigt lässt (Gouma 2020). Im offiziell deutschsprachigen Raum wurde und
wird dabei hartnäckig an den nationalen Ideen einer homogenen Mehrheitsgesell-
schaft festgehalten, wobei auch die kommunikationswissenschaftliche Forschung
von dieser „Container-Logik“ geprägt war und z. T. noch ist. Im Gegensatz dazu
legen beispielsweise Appadurai (1996) und Castells (2000) früh den Fokus auf
grenzüberschreitende Kommunikation und Netzwerke, und viele Analysen beto-
nen, dass nicht Mobilität, sondern Sesshaftigkeit die Ausnahme ist. (Hipfl 2016;
Hahn 2008).
Abgelöst wurde der dominante Fokus auf die „Integrationsleistung der Me-
dien“ von der Auseinandersetzung mit Differenz bzw. mit interkulturellen Zu-
gängen. Rainer Geißler und Horst Pöttker (2005) entwickelten mit ihrem Kon-
zept der „medialen Integration“ eine erweiterte theoretische Perspektive, die
assimilative Zugänge herausfordert, ohne jedoch die Grenzen des Nationalen
zu überwinden. Im Fokus steht dabei die Betonung der Notwendigkeit der
aktiven, gegenseitigen Akzeptanz von Angehörigen der sogenannten Mehrheits-
gesellschaft und jenen Menschen, die zu den eingewanderten Minderheiten
gezählt werden. Problematisch ist dabei jedoch, dass Geißler und Pöttker jenen
Medienmacher*innen, denen ein Migrationshintergrund zugeschrieben wird, vor
allem die Rolle von Repräsentant*innen ihrer ‚ethnischen Gruppe‘ zugestehen.
Zudem diskutieren sie die Frage der medialen Integration vor dem Hintergrund
der „Ethnomedien“, die – wie lange Zeit üblich – als Gefahr für die Integration
der Zugewanderten in die Mehrheitsgesellschaft verstanden werden. Einen
Schritt weiter geht das von Elisabeth Klaus und Margreth Lünenborg (2004)
entwickelte Konzept der cultural citizenship, in dem sie u. a. Bezug auf die
Ausschlüsse der Frauen von der Öffentlichkeit bzw. von ihren Rechten nehmen,
jedoch wiederum nicht zwischen Genderverhältnissen im Rahmen der Migration
differenzieren.
Migrant*innen in Medientexten als Thema der Medien- und . . . 769

3.2 Von fehlender Wahrnehmung zur vielfältigen VerAnderung:


Weibliche Migrant*innen im Fokus der Medien und der
Forschung

Der Beginn der Auseinandersetzung mit dem Thema Migration in Medien hängt mit
dem ‚Gastarbeiter*innen‘-Phänomen zusammen: Aufgrund des ab Mitte der 1950er-
Jahre beginnenden Wirtschaftsaufschwungs wurden u. a. in Österreich und Deutsch-
land Menschen aus dem südlichen Europa und nördlichen Afrika als Arbeitskräfte
angeworben. Der Hauptfokus vieler deutschsprachiger Arbeiten auf dem Themen-
gebiet Medien und Migration liegt seit dem Beginn der verstärkten Auseinander-
setzung ab den 1970er-Jahren auf der Darstellung von Migrant*innen in Medien
(Müller 2005b). Seit der ersten systematischen Untersuchung (Delgado 1972) bis in
die Mitte der 2000er-Jahre zeigen die Ergebnisse, dass Migrant*innen in Medien
erstens nur selten vorkamen, zudem – so beispielweise die repräsentative Fernseh-
studie von Krüger und Simon (2005) – Migrantinnen deutlich seltener als Migranten
(Krüger und Simon 2005, S. 113; zur Einordnung siehe auch Lünenborg et al. 2011,
S. 22–24). Bobber et al. (1996) weisen etwa in ihrer Untersuchung zur Darstellung
von Migrantinnen in drei nordrhein-westfälischen Printmedien nach, dass auslän-
dische Frauen in den 1550 Beiträgen ihres Samples nur vierzehnmal zum Subjekt der
Nachricht werden (Bobber, S. 9). Zweitens kommen Migrant*innen insgesamt meist
als passive Objekte der Berichterstattung (Bonfadelli und Moser 2007), drittens
meist stereotyp und viertens meist in negativen Zusammenhängen vor.
Dabei ist es allerdings wichtig festzuhalten, dass bis in die 2000er-Jahre hinein
weibliche Migrantinnen in den meisten Forschungsarbeiten ‚mitgemeint‘ waren,
d. h. dass Geschlecht nur selten in den Blick genommen wurde. Dies entsprach
auch den dominanten Zugängen der deutschsprachigen Migrationsforschung ins-
gesamt, die Migration überwiegend im Kontext arbeitssuchender Männer themati-
sierte. Die Migration von Frauen wurde lange Zeit lediglich als Heirats- oder
Familiennachzugsmigration wahrgenommen, was allerdings nicht den Tatsachen
entspricht. So waren etwa in Deutschland um die 20 % der angeworbenen ‚Gast-
arbeiter*innen‘ Frauen, auch war die Erwerbsarbeitsquote von zugewanderten Frau-
en lange Zeit höher als jene der nicht-eingewanderten Frauen (Treibel 2008,
S. 121–122). Forschungsarbeiten, die Medientexte aus der Zeit der ‚Gastarbeit‘
aus einer explizit geschlechterkritischen Perspektive heraus betrachten, stellen fest,
dass ab den 1970er-Jahren die Berichterstattung über Migrant*innen zwar zuge-
nommen hat, dass allerdings auch hier der männliche ‚Gastarbeiter‘ im Fokus steht,
d. h. weibliche ‚Gastarbeiter*innen‘ finden nur selten Erwähnung und kommen eher
als ‚Anhängsel‘, d. h. Ehefrauen vor. Dabei sind zwei Diskursstränge bestimmend:
erstens jener, der ‚Gastarbeiter*innen‘ als Täter*innen in den Vordergrund stellt,
zweitens jener, der diese als Opfer darstellt. (Koch et al. 2013; Toker 1996) Interes-
sant ist jedoch, dass Migrantinnen in fiktionalen Formaten schon seit dem Ende der
1960er-Jahre deutlich sichtbarer waren als in der nachrichtlichen Berichterstattung.
So stellt Bulut (2000) in ihrem explorativen Überblick deutscher Film- und Fernseh-
770 V. Ratković und A. Gouma

produktionen nicht nur fest, dass die Arbeitsmigration von Frauen in diesen schon
früh thematisiert wurde, sondern auch, dass eine positive Entwicklung der Frauen-
rollen vom Objekt zum Subjekt festzustellen ist (Bulut 2000, S. 261).
Der erste Sammelband, der sich explizit mit der Darstellung von Migrantinnen in
den deutschen Medien beschäftigt, versammelt Einzelfallanalysen, etwa zu Brigitte
oder Der Spiegel (Röben und Wilß 1996). Bereits in diesem Band wird nicht nur
deutlich, dass Migrantinnen häufig als ‚Fremde‘ dargestellt werden, sondern auch,
dass die Figur der muslimischen Frau einen zentralen Stellenwert in der Darstellung
von Migrant*innen einnimmt. So analysiert Huhnke (1996) in ihrem Beitrag die
durch die Medien produzierten, patriarchal strukturierten Fantasien von der „frem-
den Frau“ und setzt sich detailliert mit den Stereotypen auseinander, die über
Migrantinnen in deutschen Medien hergestellt werden. Huhnke zeigt dabei auf,
dass Medienbilder von Migrantinnen von kolonialen Macht- und Denkstrukturen
geprägt sind, was etwa in Bezugnahmen auf Mythen des „Orientalismus“ und des
„erotischen Exotismus“ deutlich wird (Huhnke 1996, S. 121). Muslimische Frauen
werden verschleiert, Osteuropäerinnen wie auch schwarze Frauen halbnackt oder
nackt gezeigt (Huhnke 1996, S. 128–130).
Lange Zeit lag der Fokus nicht nur der Medien, sondern auch der deutschspra-
chigen Kommunikations- und Medienforschung auf der ‚muslimischen Frau‘. Die
Ergebnisse spiegeln dabei Huhnkes Befunde zum größten Teil wider (Pinn 1997;
ZIF 2002; Neumann 2002; Schiffer 2007; Dietze 2009). So zeichnet Röder (2007)
anhand eines großen empirischen Korpus die Darstellung muslimischer Frauen im
Nachrichtenmagazin Der Spiegel nach. Farrokhzad (2002, 2006) stellt wiederum
fest, dass Berichte über muslimische Frauen häufig Bezug auf die Geschlechter-
verhältnisse im Islam nehmen, die Kopftuch-Debatte thematisieren und häufig
implizieren, „dass alle Musliminnen tendenziell fanatisch und ideologisch verblen-
det sind“ (Farrokhzad 2006, S. 75). Gerade die Debatten rund um das Kopftuch
stehen vielfach im Fokus, wobei das Kopftuch in Abgrenzung zu früheren Darstel-
lungen nicht mehr als Teil der Inszenierung muslimischer Frauen als ‚Orientalinnen‘
herangezogen wird, sondern als Zeichen von Rückständigkeit beschrieben wird
(Farrokhzad 2002). Auffallend ist dabei, dass gerade der Kleidungsstil muslimischer
Frauen herangezogen wird, um den Grad ihrer angeblichen Fremdheit zu visualisie-
ren: Muslimische Frauen, die keinen Hidjab tragen, werden als moderne Muslimin-
nen beschrieben, d. h., ihnen wird Modernität und Aufgeklärtheit zugeschrieben
(Farrokhzad 2002; Paulus 2007; Röder 2007; Schiffer 2007) Neben der Religion
wird auch das Herkunftsland herangezogen, um Differenz zu konstruieren und zu
betonen, wobei der angeblich modernen westlichen Frau – je nach Herkunftsland
anhand unterschiedlicher Aspekte – als rückständig inszenierte Migrantinnen gegen-
übergestellt werden (Farrokhzad 2006; Lünenborg et al. 2011; Drüeke et al. 2012;
Özcan 2013). Vor allem die Emanzipation von weiblichen Migrantinnen (wie sie von
der Mehrheitsgesellschaft definiert wird) bzw. auch der ‚muslimischen Frau‘ wird
dabei lange Zeit als Messlatte für den Integrationsfortschritt (vor allem der musli-
mischen Bevölkerung) herangezogen (Huth-Hildebrandt 2002, S. 163). Gabriele
Dietze spricht in diesem Kontext von der „okzidentalistischen Dividende“ (Dietze
2009), womit gemeint ist, dass sich okzidentale Frauen gerade im Vergleich zur
Migrant*innen in Medientexten als Thema der Medien- und . . . 771

‚muslimischen Frau‘ als besonders frei imaginieren (können) – und damit u. a. Se-
xismus in der ‚eigenen‘ Gesellschaft ausblenden (können) (Drüeke et al. 2012).
Die Figur der ‚muslimischen Frau‘ ist zudem häufig in die ebenfalls seit den
1970ern in der Migrationsberichterstattung relativ dominante Erzählung rund um
den Opfer-Täter-Gegensatz eingebettet. Migrantinnen werden häufig als Unter-
drückte mit Kopftuch abgebildet und als Opfer kultureller Gewalt in Zusammenhang
mit Viktimisierungsdiskursen gebracht (Georgiou 2013; Moorti und Ross 2002).
Von Frauenmigration wird vor allem aufgrund der Gefahr des Menschenhandels
abgeraten. (Schaeffer-Grabiel 2011) Im Gegensatz dazu werden männlich gelesene
Migranten eher als Täter und damit in Zusammenhang mit Kriminalisierungsdis-
kursen bzw. als Sicherheitsrisiko dargestellt. (Scheibelhofer 2017; Spindler 2011;
vgl. auch Beitrag von Scheibelhofer et al. 2019) Die Reduktion der medialen
Repräsentation auf die Opfer-Täter-Ordnung spiegelt ein zentrales Narrativ wider
und klammert damit das breite Spektrum der Bedeutungen und Ambivalenzen, die
gegenderte Mediendiskurse in Zusammenhang mit Migration hervorbringen, aus.
Die Relevanz der Opfer-Täter-Stereotypen in der medialen Berichterstattung ist
dabei eng mit postkolonialen Kontinuitäten verknüpft, als das Framing von Gewalt
Stereotype und essentialisierende Unterscheidungen (‚der Westen‘ als progressiv
und bedroht, ‚der Rest‘ als rückständig und bedrohlich) festschreibt (Mattoscio und
MacDonald 2018, S. 1117). Eine Zuspitzung erfuhr dieses Framing vor allem im
Zusammenhang mit dem ‚Ereignis Köln‘, wobei Gabriele Dietze (2016) in ihrer
Analyse der Narrative rund um dieses Ereignis den Begriff Ethnosexismus einführt.
Dieser bringt zum Ausdruck, dass gerade ethnisch markierte Menschen (in diesem
Fall junge zugewanderte Männer) von sexualisierten Rassismen, die ihnen eine
angeblich problematische, ‚rückständige‘ Sexualität zuschreiben, diskriminiert wer-
den. Fallweise werden allerdings auch weibliche Migrant*innen durchaus als Be-
drohung beschrieben, etwa im Zusammenhang mit Sexarbeit: So erscheint laut
Radostina Patulova (2007) der europäische Osten in westeuropäischen Medien in
Gestalt eines „undefinierten, bedrohenden FrauenÜberkörpers“ (Patulova 2007,
S. 12), d. h. eines Körpers, der u. a. durch sexuell übertragbare Krankheiten den
national definierten und als gesund imaginierten Volkskörper gefährdet (siehe auch
Ratković 2009).
Seit Beginn der 2010er-Jahre mehren sich allerdings auch Befunde, die auf einen
Wandel der Berichterstattung über weibliche Migrant*innen hinweisen: So stellen
Margreth Lünenborg, Katharina Fritsche und Annika Bach (2011) in ihrer groß
angelegten Studie zur Darstellung von Migrantinnen in fünf deutschen Tageszeitun-
gen fest, dass das Bild des hilfsbedürftigen, weiblichen Opfers zwar quantitativ
dominiert, dass aber gleichzeitig auch „vielfältige andere Rollenkontexte und Le-
bensentwürfe sichtbar“ werden (Lünenborg et al. 2011, S. 144). Migrantinnen als
selbstverständlicher Teil der Gesellschaft kommen vor allem in Lokalteilen von
Zeitungen vor, in denen „alltagsweltliche Bezüge [sowie] eine differenzierte und
vielfältige Berichterstattung“ (Lünenborg et al. 2011, S. 144) zu finden sind, wäh-
rend die Politikberichterstattung „auffällig negativ und konfliktzentriert“ ist. Hier
erscheinen Migrantinnen häufig als anonyme Gruppe und kommen selbst kaum zu
Wort (Lünenborg et al. 2011, S. 145). Auch die Studie von Martinez Lirola (2014)
772 V. Ratković und A. Gouma

zeigt auf, dass Migrantinnen auch in modern konnotierten Rollen gezeigt werden,
wobei traditionelle Stereotype etwa aufgebrochen werden, indem Migrantinnen als
Nutzerinnen neuer Technologien beschrieben werden (Martinez Lirola 2014,
S. 89–90). Migrant*innen werden zunehmend – und gerade im Einklang mit dem
oben beschriebenen Nützlichkeitsparadima – als Bereicherung für die Wirtschaft
und Gesellschaft dargestellt (Lünenborg et al. 2011). Besondere Aktualität erfährt
dieses Paradigma durch die Covid-Pandemie, als hierbei die Frage der Übernahme
von Care-Arbeit durch Marginalisierte in den Fokus gerückt wurde (Holzberg et al.
2021).

4 Fazit: Kritische Perspektiven als produktive


Herausforderung für die Kommunikations- und
Medienforschung

Sowohl an der medialen Repräsentation von Migrant*innen als auch anhand der
Trends in der (deutschsprachigen) Kommunikations- und Medienforschung lassen
sich Konjunkturen und dominante öffentliche Diskursen rund um Migration ablesen.
Dabei stellt sich nicht nur die grundsätzliche Frage, wie Medien Differenz inszenie-
ren und manifestieren, sondern auch, wie diese Prozesse in einer Art und Weise
beforscht werden können, die nicht wiederum zu einer Verfestigung und Normali-
sierung von hierarchisierenden Differenzkonstruktionen beiträgt.
Der ‚lange Sommer der Migration‘ im Jahr 2015 hat auch dazu geführt, For-
schungsfragen und Paradigmen der Kommunikationswissenschaft in Bezug auf
Migration zu überdenken – gerade weil das Integrationsparadigma kaum dazu
beitragen konnte, diese Ereignisse zu beschreiben oder zu verstehen (vgl. etwa
Grill et al. 2015). Brigitte Hipfl (2016) plädiert in diesem Sinne für eine Neuorien-
tierung der Kommunikationswissenschaft, die mit der Einbeziehung neuerer theo-
retischer Überlegungen und kritischer Konzepte einhergeht. So schlägt sie u. a. die
Verknüpfung der Kommunikationswissenschaft mit der Frage der Mobilitätsregime
vor, also die Betrachtung der Tatsache, dass Mobilität und Bewegung für die Gesell-
schaft konstitutiv sind, sich aber nicht alle Menschen frei bewegen dürfen (Hipfl
2016, S. 6) Im Fokus ihrer Überlegungen steht allerdings auch die Verantwortung
von Wissenschaftler*innen selbst, da gerade die Wissensproduktion rund um Mi-
gration Fragen danach aufwirft, in welcher Beziehung die Forscher*innen zum
Forschungsstand stehen. (Hipfl 2016, S. 8).
Manuela Bojadžijev und Regina Römhild (2014) argumentieren wiederum da-
für, Migrationsforschung zu „entmigrantisieren“ und die Gesellschaftsforschung zu
migrantisieren. Intersektionale Zugänge können wesentlich zu diesem Forschungs-
desiderat beitragen und die Interdependenz von Gender-, aber auch Klassenverhält-
nissen im Feld von „Migration und Medien“ zu verdeutlichen. Gesellschaftsfor-
schung zu migrantisieren würde in diesem Fall bedeuten, auch den theoretischen
Rahmen zu erweitern: Postkoloniale Theorie, Gendertheorien wie auch rassismus-
und kapitalismuskritische Theorien würden ermöglichen, wichtige Schnittmengen
Migrant*innen in Medientexten als Thema der Medien- und . . . 773

zwischen dem Phänomen der Migration, der Medien und der Migrationsgesellschaft
zu untersuchen.
Und nicht zuletzt stellt sich die Frage, wie kritische Ansätze, die nicht per se auch
geschlechterkritisch angelegt sind, so einbezogen werden können, dass weibliche
Migrant*innen in entsprechenden Forschungsarbeiten nicht wiederum lediglich
‚mitgemeint‘ werden. Denn obwohl niemand als Migrant*in geboren wird, werden
manche Menschen nicht zuletzt durch Medien und auch Wissenschaft laufend zu
Migrant*innen gemacht, was für sie und auch für die Gesellschaft mit realen und
zumeist negativen Konsequenzen verknüpft ist. Diese Prozesse in den Fokus zu
rücken und die Kategorie Migrant*in gleichzeitig als politische Identität zu ver-
stehen, als „Bezeichnung eines oppositionellen Standorts“ im Sinne einer „feminis-
tischen und antirassistischen Parteilichkeit“ (Yurtsever-Kneer 2004), stellt weiterhin
eine herausfordernde, aber auch produktive Aufgabe für die Kommunikations- und
Medienforschung dar.

Literatur
Agamben, Giorgio. 1998. Homo sacer: Sovereign power and bare life. Redwood City: Stanford
University Press.
Appadurai, Arjun. 1996. Modernity at large: Cultural dimensions of globalization. Minneapolis:
University of Minnesota Press.
Ausländerbeauftragte der Freien und Hansestadt Hamburg/Hamburgische Anstalt für neue Medien,
Hrsg. 2001. Medien – Migration – Integration: elektronische Massenmedien und die Grenzen
kultureller Identität. Schriftenreihe der HAM, Nr. 19. Berlin: ISTAS.
Bobber, Hans-Leo, Marie-Luise Hirschberger, Doris Siegel, Gabi Tscherner, und Viktoria Waltz.
1996. Untersuchung der Dortmunder Lokalberichterstattung über Ausländerinnen in den Ruhr-
Nachrichten, der Westfälischen Rundschau und der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung von
September 1995 bis Februar 1996. Dortmund: Verein für internationale Freundschaften.
Bojadžijev, Manuela, und Claudia Liebelt. 2014. Cosmopolitics, oder: Migration als soziale
Bewegung: Von Bürgerschaft und Kosmopolitismus im globalen Arbeitsmarkt. In Kultur,
Gesellschaft, Migration. Die reflexive Wende in der Migrationsforschung, Hrsg. Boris Nies-
wand und Heike Drotbohm, 325–346. Wiesbaden: Springer VS.
Bojadžijev, Manuela, und Regina Römhild. 2014. Was kommt nach dem ‚transnational turn‘?
Perspektiven für eine kritische Migrationsforschung. In Vom Rand ins Zentrum. Perspektiven
einer kritischen Migrationsforschung, Hrsg. Labor Migration, 10–24. Berlin: Panama.
Bonfadelli, Heinz, und Heinz Moser, Hrsg. 2007. Medien und Migration. Europa als multikul-
tureller Raum? Wiesbaden: Springer VS.
Bonfadelli, Heinz, Priska Bucher, Andreas Piga, und Sara Signer. 2010. Rundfunk, Migration und
Integration. Schweizerische Befunde zur lntegrationsleistung des öffentlichen und privaten
Rundfunks. Medien und Kommunikationswissenschaft 3(58): 406–423.
Boulila, Stefanie C., und Christiane Carri. 2017. On Cologne: Gender, migration and unack-
nowledged racisms in Germany. European Journal of Women’s Studies 24(3): 286–293.
Braun, Katherine, Fabian Georgi, Roberto Matthies, Simona Pagano, Mathias Rodatz, und Maria
Schwertl. 2018. Umkämpfte Wissensproduktionen der Migration. Editorial. Movements 4(1).
http://movements-journal.org/issues/06.wissen/01.braun,georgi,matthies,pagano,rodatz,
schwertl%2D%2Dwissensproduktionen-der-migration.html. Zugegriffen am 12.09.2019.
Buckel, Sonja. 2012. „Managing Migration“ – Eine intersektionale Kapitalismusanalyse am Bei-
spiel der Europäischen Migrationspolitik. Berliner Journal für Soziologie 22(1): 79–100.
774 V. Ratković und A. Gouma

Bulut, Claudia. 2000. Von der Gastarbeiterin zur Schutzpolizistin: Das konstruierte Bild der
fremden Frau im deutschen Film und Fernsehen. In Migranten und Medien. Neue Heraus-
forderungen an die Integrationsfunktion von Presse und Rundfunk, Hrsg. Heribert Schatz,
Christina Holtz-Bacha, und Jörg-Uwe Nieland, 253–264. Wiesbaden: Westdeutscher.
Butterwegge, Christoph, und Gudrun Hentges. 2006. Massenmedien, Migration und Integration.
Herausforderungen für Journalismus und politische Bildung. Wiesbaden: Springer VS.
Carr, Paul R. 2017. Whiteness and White privilege: Problematizing race and racism in a „color-
blind“ world and in education. In Rassismuskritik und Widerstandsformen, Hrsg. Karim Ferei-
dooni und Meral El, 871–889. Wiesbaden: Springer VS.
Castells, Manuel. 2000. The rise of the network society. Oxford/Malden: Blackwell Publishers.
Cottle, Simon. 2000. Ethnic minorities and the media: Changing cultural boundaries. Maidenhead:
Open University Press.
Delgado, Jesus. 1972. Die ‚Gastarbeiter‘ in der Presse. Eine inhaltsanalytische Studie. Opladen:
Leske.
Dietze, Gabriele. 2009. Okzidentalismuskritik. Möglichkeiten und Grenzen einer Forschungsper-
spektivierung. In Kritik des Okzidentalismus. Transdisziplinäre Beiträge zu (Neo-)Orientalis-
mus und Geschlecht, Hrsg. Gabriele Dietze, Claudia Brunner, und Edith Wenzel, 23–54.
Bielefeld: transcript.
Dietze, Gabriele. 2016. Das ‚Ereignis Köln‘. Femina Politica 25(1): 93–102.
Dijk, Teun A. van. 1992. Discourse and the denial of racism. Discourse & Society 3(1): 87–118.
Drüeke, Ricarda, Susanne Kirchhoff, und Elisabeth Klaus. 2012. Mediale Identitätsräume: Bilder
von verschleierten Frauen in der österreichischen Presse. In Migration und Geschlechterverhält-
nisse. Kann die Migrantin sprechen? Hrsg. Eva Hausbacher, Elisabeth Klaus, Ralph Poole,
Ulrike Brandl, und Ingrid Schmutzhart, 213–230. VS: Springer.
Farrokhzad, Schahrzad. 2002. Medien im Einwanderungsdiskurs. Zur Konstruktion der „fremden
Frau“. beiträge zur feministischen theorie und praxis 61:75–93.
Farrokhzad, Schahrzad. 2006. Exotin, Unterdrückte und Fundamentalistin – Konstruktion der
‚fremden Frau‘ in deutschen Medien. In Massenmedien, Migration und Integration, Hrsg.
Christoph Butterwege und Gudrun Hentges, 2., korr. & akt. Aufl., 55–86. Wiesbaden:
Springer VS.
Fleras, Augie. 2016. Theorizing minority misrepresentations. Reframing mainstream newsmedia as
if white ethnic media. In Media and minorities. Questions on representation from an Interna-
tional perspective, Hrsg. Georg Ruhrmann, Yasemin Shooman, und Peter Widmann, 21–38.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Geißler, Rainer, und Horst Pöttker, Hrsg. 2005. Massenmedien und die Integration ethnischer
Minderheiten in Deutschland. Problemaufriss – Forschungsstand – Bibliographie. Bielefeld:
transcript.
Geißler, Rainer, und Horst Pöttker. 2009a. Einleitung. In Massenmedien und die Integration
ethnischer Minderheiten in Deutschland. Forschungsbefunde, Hrsg. Rainer Geißler und Horst
Pöttker, 7–12. Bielefeld: transcript.
Geißler, Rainer, und Horst Pöttker, Hrsg. 2009b. Massenmedien und die Integration ethnischer
Minderheiten in Deutschland. Forschungsbefunde. Bielefeld: transcript.
Georgi, Fabian. 2009. Kritik des Migrationsmanagements. Historische Einordnung eines politi-
schen Projekts. juridikum. Zeitschrift für Politik | Recht | Gesellschaft 2:81–84.
Georgi, Fabian. 2010. Internationale Organisation für Migration. Eine kritische Analyse. In Grenz-
regime. Diskurse, Praktiken, Institutionen in Europa, Hrsg. Sabine Hess und Bernd Kasparek,
145–160. Berlin: Assoziation A.
Georgiou, Myria, Hrsg. 2013. Gender, migration and the media. London: Routledge.
Gilroy, Paul. 2005. The Black atlantic as a counterculture of modernity. In Theorizing diaspora.
A Reader, Hrsg. Jana Evans Braziel und Anita Mannur, 49–80. Oxford: Blackwell.
Gouma, Assimina. 2020. Migrantische Mehrsprachigkeit und Öffentlichkeit. Linguizismus und
oppositionelle Stimmen in der Migrationsgesellschaft. Wiesbaden: Springer VS.
Migrant*innen in Medientexten als Thema der Medien- und . . . 775

Grill, Christina, Petra Herczeg, und Thomas Steinmaurer. 2015. Editorial. Medien Journal 39(4):
2–4.
Hahn, Sylvia. 2008. Migration – Arbeit – Geschlecht. Arbeitsmigration in Mitteleuropa vom 17. bis
zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Göttingen: V&R Unipress.
Hall, Stuart. 1996. New ethnicities. In Stuart Hall: Critical dialogues in cultural studies, Hrsg.
David Morley und Kuan-Hsing Chen, 441–449. London: Routledge.
Hall, Stuart. 2000. West and the rest: Discourse and power. In Modernity: An introduction to
modern societies, Hrsg. Stuart Hall, David Held, Hubert Don, und Kenneth Thompson,
184–228. Malden/Oxford/Carlton: Blackwell.
Hepp, Andreas, Cigdem Bozdag, und Laura Suna. 2010. Herkunfts-, Ethno- und Weltorientierte.
Aneignungstypen der kulturellen ‚Identität‘ und kommunikativen Vernetzung in der Dispora.
Medien und Kommunikationswissenschaft 58(3): 320–341.
Hipfl, Brigitte. 2016. Migration, Flucht und Medien. Herausforderungen für Medien- und Kom-
munikationswissenschaftler_innen. Medien Journal 40(1): 6–12.
Hipfl, Brigitte. 2018. Migrantinnen im Fernsehkrimi Othering und Normalisierung von Prekarisie-
rung. In Kommunikationswissenschaftliche Gender Studies: Zur Aktualität kritischer Gesell-
schaftsanalyse, Hrsg. Ricarda Drüeke, Elisabeth Klaus, Martina Thiele, und Julia Elena Gold-
mann, 239–258. Bielefeld: transcript.
Holzberg, Billy, Madörin Anouk, und Michelle Pfeiffer. 2021. The sexual politics of border control:
An introduction. Ethnic and Racial Studies 44(9): 1485–1506.
Horz, Christine. 2014. Medien. Migration. Partizipation. Eine Studie am Beispiel iranischer
Fernsehproduktion im Offenen Kanal. Bielefeld: transcript.
Horz, Christine. 2020. Fluchtmigration in den Medien. Stereotypisierungen, Medienanalyse und
Effekte der rassifizierten Medienberichterstattung. In Migration, Religion, Gender und Bildung.
Beiträge zu einem erweiterten Verständnis von Intersektionalität, Hrsg. Meltem Kulaçatan und
Harry Harun Behr, 175–210. Bielefeld: transcript.
Hugger, Kai-Uwe, und Mareike Strotmann. 2008. Migration und Medien. In Handbuch Medien-
pädagogik, Hrsg. Uwe Sander, Friederike von Gross, und Kai-Uwe Hugger, 342–439. Wiesba-
den: Springer VS.
Huhnke, Brigitta. 1996. Männerphantasien über die ,fremde‘ Frau. Oder: Wie Macht und Medien-
eliten patriarchalische Innenwelten reproduzieren. In Verwaschen und verschwommen. Fremde
Frauenwelten in den Medien, Hrsg. Bärbel Röben und Cornelia Wilß, 115–141. Frankfurt a. M.:
Brandes & Apsel.
Husband, Charles. 2000. The Right to be understood: Conceiving the multi-ethnic public sphere.
Innovation – The European Journal of Social Sciences 9(2): 205–216.
Huth-Hildebrandt, Christine. 2002. Das Bild von der Migrantin. Auf den Spuren eines Konstrukts.
Frankfurt a. M.: Brandes & Apsel.
Imhof, Kurt, Otfried Jarren, und Roger Blum. 2002. Einleitung und Einführung: Die Medien in der
Integrationsdebatte. In Integration und Medien, Hrsg. Kurt Imhof, Otfried Jarren, und Roger
Blum, 9–20. Wiesbaden: Westdeutscher.
Klaus, Elisabeth, und Margreth Lünenborg. 2004. Cultural Citizenship. Ein kommunikationswissen-
schaftliches Konzept zur Bestimmung kultureller Teilhabe in der Mediengesellschaft. M&K –
Medien und Kommunikationswissenschaft 52(2): 193–213.
Koch, Elisabeth, Viktorija Ratković, Manuela Saringer, und Rosemarie Schöffmann. 2013. ‚Gast-
arbeiterinnen‘ in Kärnten. Auf Spurensuche der weiblichen Arbeitsmigration. Klagenfurt:
Drava.
Krüger, Udo Michael, und Erk Simon. 2005. Das Bild der Migranten im WDR Fernsehen. Media
Perspektiven 3:105–114.
Kumarini, Silva, und Kaitlynn Mendes. 2009. Commentary and criticism. Feminist Media Studies
9(2): 243–262.
Lind, Fabienne, und Christine E. Meltzer. 2021. Now you see me, now you don’t: Applying
automated content analysis to track migrant women’s salience in German news. Feminist
Media Studies 21(6): 923–940.
776 V. Ratković und A. Gouma

Lünenborg, Margreth, und Elfriede Fürsich. 2014. Media and the intersectional other. The complex
negotiation of migration, gender, and class on German television. Feminist Media Studies 14(6):
959–975.
Lünenborg, Margreth, und Tanja Maier. 2017. Wir und die Anderen? Eine Analyse der Bildbericht-
erstattung deutschsprachiger Printmedien zu den Themen Flucht, Migration und Integration.
Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung.
Lünenborg, Margreth, Katharina Fritsche, und Annika Bach. 2011. Migrantinnen in den Medien.
Darstellungen in der Presse und ihre Rezeption. Bielefeld: transcript.
Martinez Lirola, Maria. 2014. An exploration of the representation of immigrant women in a sample
from the Spanish press setter: images appear in the text itself. Gender Questions 2(1): 84–97.
Mattoscio, Mara, und Megan C. MacDonald. 2018. Introduction: Gender, migration, and the media.
Feminist Media Studies 18(6): 1117–1120.
Mayer, Stefanie, Iztok Šori, und Birgit Sauer. 2016. Gendering ‚the people‘. In Populism, media
and dducation, Hrsg. Maria Ranieri, 84–104. London: Routledge.
Messinger, Irene, und Viktorija Ratković. 2017. Migrationsmanagement und das (Post-)Gast-
arbeitsregime: (Dis-)Kontinuitäten am Beispiel Österreichs. Journal für Entwicklungspolitik
33(1): 22–46.
Mohanty, Chandra Talpade. 2013. Transnational feminist crossings: On neoliberalism and radical
critique. Signs 38(4): 967–991.
Moorti, Sujata, und Karen Ross. 2002. The power of the veil: Reviews editors’ introduction.
Feminist Media Studies 2(2): 267–272.
Müller, Daniel. 2005a. Die Darstellung ethnischer Minderheiten in deutschen Massenmedien. In
Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. Problemaufriss –
Forschungsstand – Bibliographie, Hrsg. Rainer Geißler und Horst Pöttker, 83–126. Bielefeld:
transcript.
Müller, Daniel. 2005b. Die Inhalte der Ethnomedien unter dem Gesichtspunkt der Integration. In
Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. Problemaufriss –
Forschungsstand – Bibliographie, Hrsg. Rainer Geißler und Horst Pöttker, 323–355. Bielefeld:
transcript.
Neumann, Ursula. 2002. Die Darstellung von Migrantinnen und Migranten und ihren Themen in
den audiovisuellen Medien. Medien & Erziehung 46(5): 282–285.
Olalde, Oscar, und Astrid Velho. 2011. Othering and its effects – exploring the concept. In Writing
postcolonial histories of intercultural education, Hrsg. Heike Niedrig und Christian Ydesen,
27–51. Frankfurt a. M.: Peter Lang.
Ortner, Johanna. 2007. Tatort: Migration. Das Thema Einwanderung in der Krimireihe Tatort.
Medien & Kommunikationswissenschaft 55(1): 5–23.
Özcan, Esra. 2013. Lingerie, bikinis and the headscarf. Visual depictions of muslim female migrants
in German news media. Feminist Media Studies 13(3): 427–442.
Patulova, Radostina. 2007. Im Osten nichts Neues? Zur Konstruktion des ‚Orients‘ entlang von
Frauenkörpern. Kulturrisse. Die Wende am Ende 8(4): 12–15.
Paulus, Stanislawa. 2007. Muslimische Frauen in Fernsehdokumentationen. In Dossier Medien &
Diversity. Hrsg. Heinrich-Böll-Stiftung. http://www.migration-boell.de/web/diversity/
481225.asp. Zugegriffen am 28.11.2010.
Pinn, Irmgard. 1997. Muslimische Migranten und Migrantinnen in deutschen Medien. In Wissen-
schaft Macht Politik. Interventionen in aktuelle gesellschaftliche Diskurse. Siegfried Jäger zum
60. Geburtstag, Hrsg. Gabriele Cleve, Ina Ruth, Ernst Schulte-Holtey, und Frank Wiehert,
215–234. Münster: Westfälisches Dampfboot.
Ratković, Viktorija. 2009. Stereotypenbildung in den Medien. Frauenhandel, Prostitution und
Menschenhandel in Kärntner Printmedien. Ein Fallbeispiel. In Frauenhandel in Österreich.
Kulturwissenschaftliche Aspekte, Hrsg. Interfakultäres Forschungsnetzwerk Kultur und Kon-
flikt der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, 101–140. Klagenfurt: Drava.
Ratković, Viktorija. 2017. Migration und Flucht als postmigrantische Normalität. Fluchtdiskurse
abseits des Mainstreams. In Migration. Bildung. Frieden. Perspektiven für das Zusammenleben
Migrant*innen in Medientexten als Thema der Medien- und . . . 777

in der postmigrantischen Gesellschaft, Hrsg. Bettina Gruber und Viktorija Ratković, 117–130.
Münster: Waxmann.
Ratković, Viktorija. 2018. Postmigrantische Medien. Die Magazine „biber“ und „migrazine“
zwischen Anpassung, Kritik und Transformation. Bielefeld: transcript.
Reuter, Julia. 2002. Ordnungen des Anderen. Zum Problem des Eigenen in der Soziologie des
Fremden. Bielefeld: transcript.
Röben, Bärbel. 2022. Migrantinnen in der Medienproduktion. In Handbuch Medien und Ge-
schlecht. Perspektiven und Befunde der feministischen Kommunikations- und Medienforschung,
Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesbaden:
Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_64-3.
Röben, Bärbel, und Cornelia Wilß, Hrsg. 1996. Verwaschen und verschwommen. Fremde Frauen-
welten in den Medien. Frankfurt a. M.: Brandes & Apsel.
Röder, Maria. 2007. Haremsdame, Opfer oder Extremistin? Muslimische Frauen im Nachrichten-
magazin DER SPIEGEL. Berlin: Frank & Timme.
Rosenberger, Sieglinde, und Birgit Sauer. 2012. Politics, religion and gender. London: Routledge.
Schaeffer-Grabiel, Felicity. 2011. Transnational media wars over sex-trafficking: abolishing the
„new slave trade“ or the new nativism? In Circuits of visibility: Gender and transnational media
cultures, Hrsg. Radha Sarma Hegde, 103–123. New York: New York University Press.
Schatz, Heribert, Christina Holtz-Bacha, und Jörg-Uwe Nieland. 2000. Migranten und Medien.
Neue Herausforderungen an die Integrationsfunktion von Presse und Rundfunk. Wiesbaden:
Westdeutscher Verlag.
Scheibelhofer, Paul. 2017. ‚It won’t work without ugly pictures‘: images of othered masculinities
and the legitimisation of restrictive refugee-politics in Austria. NORMA 12(2): 96–111.
Scheibelhofer, Paul, Stefan Sulzenbacher, und Johannes Sengelin. 2019. Kritische Männlichkeiten-
forschung und Medien. In Handbuch Medien und Geschlecht. Perspektiven und Befunde der
feministischen Kommunikations- und Medienforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger,
Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-
658-20712-0_9-1.
Schiffer, Sabine. 2007. Medien als Spiegel und Konstrukteur gesellschaftlicher Vorstellungen. Der
Islam in deutschen Medien. In Dossier Medien & Diversity, Hrsg. Heinrich-Böll-Stiftung. http://
www.migration-boell.de/web/diversity/48_1231.asp. Zugegriffen am 28.11.2010.
Spindler, Susanne. 2011. Wer hat Angst vor Mehmet? Medien, Politik und die Kriminalisierung von
Migration. In Die Vermessung der sozialen Welt: Neoliberalismus – Extreme Rechte – Migration
im Fokus der Debatte, Hrsg. Gudrun Hentges und Bettina Lösch, 283–294. Wiesbaden:
Springer VS.
Thomas, Tanja, Merle-Marie Kruse, und Miriam Stehling, Hrsg. 2019. Participation and media in
post-migrant societies. London/New York: Rowman & Littlefield.
Toker, Arzu. 1996. Italienische Sexbomben, türkische Kopftuchfrauen und andere Exotinnen:
Migrantinnen im deutschen Fernsehen. In Verwaschen und Verschwommen. Fremde Frauen-
welten in den Medien, Hrsg. Bärbel Röben und Cornelia Wilß, 29–46. Frankfurt: Brandes &
Apsel.
Trebbe, Joachim. 2009. Ethnische Minderheiten, Massenmedien und Integration. Eine Unter-
suchung zu massenmedialer Repräsentation und Medienwirkungen. Wiesbaden: Springer VS.
Treibel, Annette. 2008. Von der exotischen Person zur gesellschaftlichen Normalität: Migrantinnen
in der soziologischen Forschung und Lehre. In Migrations- und Integrationsforschung in der
Diskussion. Biografie, Sprache und Bildung als zentrale Bezugspunkte, Hrsg. Gudrun Hentges,
Volker Hinnenkamp, und Almut Zwengel, 141–169. Wiesbaden: Springer VS.
Vlasic, Andreas. 2004. Die Integrationsfunktion der Massenmedien. Begriffsgeschichte, Modelle,
Operationalisierung. Wiesbaden: Springer VS.
Vlasic, Andreas, und Hans-Bernd Brosius. 2002. „Wetten dass . . .“ – Massenmedien integrieren?
Die Integrationsfunktion der Massenmedien: Zur empirischen Beschreibbarkeit eines normati-
ven Paradigmas. In Integration und Medien, Hrsg. Kurt Imhof, Otfried Jarren, und Roger Blum,
93–109. Wiesbaden: Westdeutscher.
778 V. Ratković und A. Gouma

Weber-Menges, Sonja. 2005. Die Wirkung der Präsentation ethnischer Minderheiten in deutschen
Medien. In Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. Pro-
blemaufriss – Forschungsstand – Bibliographie, Hrsg. Rainer Geißler und Horst Pöttker,
127–184. Bielefeld: transcript.
Weber-Menges, Sonja. 2006. Die Entwicklung der Ethnomedien in Deutschland. In Integration
durch Massenmedien. Medien und Migration im internationalen Vergleich, 121–145. Bielefeld:
transcript.
Weish, Ulli. 2015. Qualitätsvernichtung. Österreichischer Journalismus zwischen Boulevardisie-
rung und Prekarisierung. Kurswechsel 30(3): 7–14.
Yurtsever-Kneer, Selcuk. 2004. Strategien feministischer Migrantinnenpolitik. http://www.trend.
infopartisan.net/trd0104/t110104.htm. Zugegriffen am 05.06.2015.
ZIF – Zentrum für Islamische Frauenforschung und Frauenförderung. 2002. Das Bild der isla-
mischen Frau in den Medien. In Zwischen Autonomie und Gängelung. Türkische Medienkultur
in Deutschland II. Loccumer Protokolle 12/01, Hrsg. Jörg Becker und Reinhard Behnisch,
131–146. Rehburg-Loccum: Evangelische Akademie.
Whiteness und Geschlecht

Giuliana Sorce

Inhalt
1 Einleitung: Critical Whiteness Studies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 780
2 Critical Whiteness Studies in der Medien- und Kommunikationswissenschaft . . . . . . . . . . . 781
3 Postkoloniale Kritiken von Whiteness und Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 784
4 ‚Farbenblinde‘ Medien in Post-Rassismusgesellschaften? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 785
5 Whiteness und Geschlecht in digitalen Kontexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 786
6 Medien als Interventionsort für antirassistische und feministische Onlinekampagnen . . . . 787
7 Fazit: #CommunicationSoWhite: Eine disziplinäre Debatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 788
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 789

Zusammenfassung
Als Reaktion auf den strukturellen Rassismus in den USA entwickeln sich die
Critical Whiteness Studies (CWS) als zentraler Forschungszweig, der die Verstri-
ckung von Whiteness und Geschlecht auch intersektional betrachtet. In Studien
zu Whiteness und Geschlecht in der Film-, Journalismus-, Werbe- und Internet-
forschung werden mediale Strategien der Normalisierung von Whiteness sichtbar
gemacht, welche zur Verfestigung rassistischer und sexistischer Gesellschafts-
ordnungen beitragen. Digitale Medienproduktionen werden hinsichtlich ihrer
Potenziale diskutiert, Stereotypen aufzubrechen, zeigen ‚Rasse‘ und Geschlecht
dennoch vielfach in gewohnten Mustern. Trotz ihres Ermächtigungspotenzials
sind digitale Plattformen und Algorithmen grundlegend in die Reproduktion
weißer Dominanz verstrickt.

Schlüsselwörter
Whiteness · Geschlecht · Rassismus · Critical Whiteness Studies · Postkoloniale
Studien · Mediale Diskriminierung

G. Sorce (*)
Institut für Medienwissenschaft, Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Tübingen, Deutschland
E-Mail: giuliana.sorce@uni-tuebingen.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 779
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_67
780 G. Sorce

1 Einleitung: Critical Whiteness Studies

Die Critical Whiteness Studies (CWS) zielen auf die Dekonstruktion rassifizierter
Normrahmen von Whiteness und der daraus resultierenden soziokulturellen Macht-
verhältnisse. In medien- und kommunikationswissenschaftlicher Forschung werden
Strategien der Normalisierung von Whiteness analysiert, die sich beispielsweise in
der Überrepräsentanz von weißen, aber auch in negativ konnotierten Konstruktionen
nicht-weißer Personen zeigen. Arbeiten der CWS sind als Reaktion auf den struk-
turellen Rassismus in den USA zu sehen (Hacker 2005), „mit einer paradigmati-
schen Umkehrung vom kritischen Blick auf die rassistischen Konstruktionen des
‚Anderen‘ hin zu Whiteness als ‚the unmarked marker‘“ (Tißberger 2006, S. 8). Sie
fordern, Whiteness als soziale Position und nicht (nur) als biologisches Merkmal zu
lesen, und kritisieren die Erhaltung von gesellschaftlichen Herrschaftsstrukturen mit
und durch Whiteness.
Die CWS verstehen Whiteness als intersektional. In ihren Analysen von Gerichts-
verfahren, in denen Diskriminierung in Bewerbungs- und Einstellungsverfahren
schwarzer Amerikanerinnen im Fokus standen, zeigt Kimberlé Crenshaw (1991)
die Verwobenheit von Geschlecht, ‚Rasse‘ und Klasse als wechselseitige Unterdrü-
ckungsmechanismen (triple oppression). Audre Lorde (1984) konstatiert zudem,
dass Whiteness in der Verknüpfung mit Geschlecht und Klasse als privilegierendes
Identitätsmerkmal fungiert. Die Sensibilisierung für Unterdrückungsmechanismen,
die auf der Verknüpfung mehrerer Identitätskategorien beruhen, geht auch auf In-
terventionen innerhalb von Frauenbewegungen zurück. Beispielsweise bemängelt
bell hooks (1992) am ‚weißen Feminismus‘ der siebziger Jahre, dass er sich selbst
unkritisch gegenübersteht und damit die Macht seiner eigenen Whiteness übersieht.
Die oft schwierige Verbindung feministischer und antirassistischer Emanzipations-
diskurse hat in der deutschsprachigen Literatur Gabriele Dietze (2013) am Beispiel
zweier US-amerikanischer Frauenbewegungen aufgegriffen. Als einflussreiche fe-
ministische Theoretikerinnen verbrachten Audre Lorde und bell hooks in den acht-
ziger und neunziger Jahren zudem einige Zeit in Berlin und setzten mit ihrer queer-
feministischen Arbeit „zentrale Impulse zur Debatte über race, class und gender in
der Bundesrepublik“ (Thomas 2020, S. 60). Die Diskussionen rund um Rassismus,
Klassismus und Heterosexismus in Frauenbewegungen sind als „innerfeministische
Auseinandersetzungen“ zu lesen (Thomas 2020, S. 59), die auch in deutschsprachi-
gen akademischen Wissenskulturen Spuren hinterlassen haben. Während angloame-
rikanische CWS-Arbeiten primär die Schwarz/Weiß-Kluft veranschaulichen, finden
in den deutschsprachigen Gender (Media) Studies kritische Auseinandersetzungen
über Migration, Heteronormativität und Postkolonialität statt (Dietze 2006; Wollrad
2005).
Medien- und kommunikationswissenschaftliche Studien haben gezeigt, welche
Bedeutung Whiteness und Geschlecht auf allen Ebenen der Textproduktion zukommt
– von der Zusammensetzung der Produktionsteams, der ausgewählten Narrative, über
die Handlungsmacht von (fiktiven) Charakteren bis hin zur medialen Repräsentation
normativer Identitäten (Prommer und Linke 2019). Schon 1992 kritisierte hooks in
ihrem berühmten Essay Eating the Other den ‚Konsum‘ weiblicher Blackness, der
Whiteness und Geschlecht 781

maßgeblich durch exotisierende und hypersexualisierte audiovisuelle Medienreprä-


sentationen in das Bewusstsein und in die Grundhaltung der Menschen gelangt
(hooks 1992). Bis heute unterstützt die oft diskriminierende Darstellung nicht-weißer
Personen in verschiedenen Mediengattungen sowie in digitaler Kommunikation
gesellschaftlich kodierte, rassifizierte Geschlechterverhältnisse.

2 Critical Whiteness Studies in der Medien- und


Kommunikationswissenschaft

In den Anfängen der Critical Whiteness Studies (CWS) wurde häufig auf wegwei-
sende Arbeiten aus der Literaturforschung Bezug genommen; so waren beispiels-
weise die Werke der US-amerikanischen Schriftstellerin Toni Morrison von großer
Bedeutung. Morrison (1995) beschreibt u. a., dass weiße Schriftsteller*innen –
historisch gesehen – schwarze weibliche Figuren hauptsächlich einbrachten, um ihre
eigene Freiheit hervorzuheben und der Sklaverei gegenüberzustellen. Diese Art der
Indienstnahme des „schwarzen Anderen“ hat eine metaphorische Funktion; in Er-
zählungen bildet die ‚reine‘ weiße Herrin das Gegenstück zur ‚dreckigen‘ schwarzen
Arbeiterin, die dominiert und beherrscht werden muss (Morrison 1995, S. 67). Die
Gleichsetzung von Whiteness mit ‚Reinheit‘ ist ein wiederkehrender Kritikpunkt in
einer Reihe von (medienbezogenen) Arbeiten der CWS (Hall 1997; Wollrad 2005;
Shankar 2020).
In der Filmwissenschaft untersuchen Forscher*innen das Erbe dieser symboli-
schen Kontrastierung, maßgeblich in Bezug auf die Arbeiten des britischen Film-
wissenschaftlers Richard Dyer. In seinen Analysen von Spielfilmen, die beginnend
mit den 1930ern eine Zeitspanne von über 50 Jahren umfassen, beschäftigt er sich
insbesondere mit der filmischen Inszenierung von Whiteness. Hier zeigt Dyer, wie
neben Sprache und Dialogformen auch technische Elemente wie Beleuchtungstech-
niken genutzt werden, um Whiteness und Blackness zu kontrastieren. Auch Maske
und Kostüme unterstreichen diese Kontrastierung (Bernold 2011). So werden weiße
Protagonist*innen als ordnungsweisende und ‚moderne‘ Charaktere positioniert,
schwarze (Neben-)Darsteller*innen als chaotische und urweltliche Pendants (Dyer
1997).
Das Geschlechterverhältnis im Film wird zum Mittelpunkt der Arbeiten von
Laura Mulvey, die in ihrem einflussreichen Essay Visual Pleasure and Narrative
Cinema Mulvey (1989) den „männlichen Blick“ der Kamera anprangert und damit
eine Reihe psychoanalytisch-feministischer Filmanalysen anregt. Dabei konzentriert
sich Mulvey auf Darstellungs- und Konsumformen weißer Weiblichkeit für ein
männlich-weißes Publikum; mit Blackness beschäftigt sie sich nur marginal. Hier
knüpft Lola Young (1996) an und untersucht in ihrem Buch Fear of the Dark die
Repräsentation von schwarzen Frauen in britischen Filmen. In ihrer Analyse erkennt
sie kaum Unterschiede in der stereotypisierten Darstellung schwarzer Frauen zwi-
schen Produktionen, die von weißen oder von schwarzen Teams realisiert wurden,
was Rückschlüsse auf die Verankerung gesellschaftlicher Identitätszuschreibungen
zulässt.
782 G. Sorce

Ähnlich wie Morrison (1995) zeigt Eske Wollrad (2005) am Beispiel des Spiel-
films Dangerous Minds die Bedingungen der Einnahme von Machtpositionen durch
weiße Protagonistinnen als abhängig von der filmischen Präsenz schwarzer Figuren.
Diese These untersucht Yvonne Tasker (1993) in Bezug auf Maskulinität und
‚Rasse‘ anhand schwarzer Actionfiguren. Durch trainierte Körper, sexuelle Aus-
strahlung und Verbindungen zu urbanen Kontexten dienen schwarze Nebendarsteller
als Helfer für den eigentlichen (weißen) Helden. Mithilfe bekannter Filmbeispiele
wie Stirb langsam oder Lethal Weapon skizziert Tasker (1993) den symbolischen
Einsatz schwarzer (Neben-)Darsteller*innen in Hollywoodproduktionen und kon-
statiert, dass die als ‚milieugeschädigt‘ konstruierten schwarzen Figuren erst durch
ihre Freundschaft mit den weißen Helden in ihrer Maskulinität bestätigt werden.
Blicken wir auf die Entwicklung deutschsprachiger Arbeiten der CWS in der
Medienforschung, so beschäftigt sich etwa Maja Figge (2015) mit Verschränkungen
von rassifizierten filmischen Inszenierungen auf narrativer Ebene im Kontext der
(Wieder-)Herstellung von Deutschsein im Kino der fünfziger Jahre. Sie konstatiert
eine Manifestation der weißen Männlichkeit als Symbolbild deutscher Nationali-
dentität in der Folge des nationalsozialistischen Regimes. In deutschen Filmpro-
duktionen der Nachkriegszeit folgt die Narration dem weißen männlichen Helden,
der durch seine Krisenbewältigung die „narrative Herstellung und Stabilisierung
hegemonialer Männlichkeit“ gewährleistet (S. 26). Schwarze Charaktere fungieren,
so Figge, zur Stärkung von marginalisierenden Stereotypen, die „ihnen jegliche
Individualität“ absprechen (S. 31). Diese symbolische Kollektivierung und primäre
Identifikation über ‚Rasse‘ deckt sich wiederum mit Dyers These, dass Blackness die
Identität grundlegend markiert, während Whiteness nichts „Identitätsstiftendes“ in
sich birgt (Dyer et al. 1994, S. 67). Monika Bernold (2006, 2020) untersucht die
mediale Sichtbarkeit von nicht-weißen Subjekten in Dokumentarfilmen mit Fokus
auf Afrika und kritisiert daran die „bildpolitische Viktimisierung“ schwarzer Frauen
(Bernold 2020, S. 124) sowie die Hervorhebung des weißen Erzählers als „Held des
Films“ (Bernold 2006, S. 24).
Im Bereich der Printmedien werden Whiteness und Geschlecht in verschiedenen
Teilelementen der Produktionskette diskutiert; von der Themenauswahl über die
Textproduktion bis zu den veröffentlichten Inhalten und Darstellungsweisen. In
aktuellen Rassismusdebatten gibt es beispielsweise eine wiederkehrende Beschwer-
de nicht-weißer Journalist*innen, dass sie immerzu als Expert*innen für Rassismus-
fälle fungieren müssen. Neben der Produktionskette sind auch journalistische Texte
an sich geeignet, um die Verstrickungen von Whiteness und Geschlecht in Medien-
und Kommunikationskontexten offenzulegen (Walgenbach 2006; Meyers 2013;
Akinro und Mbunyuza-Memani 2019).
In ihrer historischen Arbeit befasst sich Katharina Walgenbach (2006) mit Whi-
teness, Geschlecht und Klasse in der deutschen Zeitschrift Kolonie und Heimat. Sie
untersucht die Diskurse des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft (ge-
gründet 1907 in Berlin), der Mischehen in Kolonien unterbinden und vor dem mit
ihnen einhergehenden Verlust von (weißem) Deutschsein warnt. In den Beiträgen
der Zeitschrift wird diese Entwicklung als „Verkafferung“ (S. 1712) beschrieben, die
Whiteness und Geschlecht 783

nur durch die Reproduktion der eigenen ‚Rasse‘ und die Weitergabe deutschen
Kulturguts abgewendet werden kann. Als Medium wird die Zeitschrift genutzt, um
die Macht des Weißseins für Autor*innen und Leser*innen zu festigen. Auch
zeitgenössische Frauenzeitschriften werden immer wieder für ihre Bildpolitik kriti-
siert, beispielsweise im Falle von technisch aufgehellten Coverfrauen (Akinro und
Mbunyuza-Memani 2019).
In der anglo-amerikanischen Journalismusforschung beschäftigen sich Wissen-
schaftler*innen mit der Verstrickung von Geschlecht und ‚Rasse‘ in der medialen
Darstellung schwarzer Frauen. Im Anschluss an die CWS kritisiert Marian Meyers
(2013) die Diskriminierung schwarzer Frauen in US-amerikanischen Nachrichten-
sendungen im Fernsehen, auf YouTube sowie in Zeitungen. Sie entwickelt die
Archetypen „Powerful Black Bitch“ und „Black Lady“ (S. 142) und legt so die
symbolische Stereotypisierung schwarzer Frauen offen. Insbesondere in der Krimi-
nalberichterstattung lenkt die Darstellung oft von der sexualisierten Gewalt gegen
schwarze Frauen ab, indem sie die Armut der Opfer oder ihre aufreizende Kleidungs-
wahl fokussiert. Meyers (2013) knüpft damit dezidiert an die Hypersexualisierungs-
These weiblicher Blackness von bell hooks (1992) an.
Die kritische Dekonstruktion visueller Darstellungsformen von Geschlecht und
Whiteness und der damit einhergehenden normativen Gesellschaftsbilder sind der
Fokus einschlägiger Arbeiten in der Werbeforschung. Evident werden diese Debat-
ten im Zuge der #BlackLivesMatter-Bewegung sowie dem Rebranding von kolonial-
rassistisch geprägten Konsumprodukten wie der „Zigeuner“-Sauce von Knorr oder
dem Uncle Ben’s-Reis. Die rassistische Bebilderung in deutschen Werbekampagnen
wird zum Gegenstand der kritischen Analysen von Steffi Hobuß (2008). Sie dekon-
struiert unter anderem eine rassifiziert-sexistische Werbekampagne einer Fernseh-
zeitschrift mit dem Slogan „Irgendwann nimmt man nicht mehr irgendwas. HörZu:
Machen Sie keine Kompromisse – auch nicht am Kiosk“. Auf dem Kampagnen-
poster ist eine schwarze Frau mit afrikanischem Gewand und Schmuck, Unterlippen-
platte und traditioneller Gesichtsbemalung zu sehen. Sie sitzt auf dem Schoß eines
weißen Geschäftsmannes und umarmt ihn, während er sie an der Hüfte und am Gesäß
festhält. Die Bildpolitik dieses Werbesujets setzt „Whiteness als Herrschaftsinstru-
ment“ fort (Hobuß 2008, S. 217), wobei die überspitzt-sexualisierte Exotisierung
der schwarzen Frau an bekannte Muster anschließt, die bereits von feministischen
CWS-Wissenschaftler*innen wie Patricia Hill Collins (2002) und bell hooks (1992)
theoretisiert wurden.
In Verbindung mit Geschlecht widmet sich auch Shalini Shankar (2020) der
Frage, wie weiße Vorherrschaft durch Werbung (re)produziert wird und wie sie
zirkuliert. Shankar dekonstruiert in ihrer Arbeit die medialen Normen und Logiken
der amerikanischen Werbung, in der weiblich konnotierte Konsumgüter von Weiß-
heit ‚regiert‘ werden. Hygieneprodukte und Beautyartikel werden in Werbetexten
und Bebilderung traditionell vorrangig mit weißen Körpern beworben, wodurch
Whiteness wieder einmal mit ‚Reinheit‘ gleichgesetzt wird (Morrison 1995; Hall
1997; Wollrad 2005). Shankar konstatiert zwar, dass im Werbemainstream mit
marginalen ethnischen Spezialmärkten für nicht-weiße Konsument*innen White-
784 G. Sorce

ness seit der Jahrtausendwende langsam durch Werbeinszenierungen von „Diver-


sity“ abgelöst wird. Hier kritisiert sie, dass die visuelle Repräsentation nicht-weißer
Körper einer dominanten „westlichen“ Vorstellung unterworfen wird und somit
lediglich eine multikulturelle Erwartungshaltung der Mittelklasse befriedigt. Die
Verschränkung von Whiteness und westlicher Kultur wird in postkolonialen Arbei-
ten der CWS-Forschung genauer betrachtet.

3 Postkoloniale Kritiken von Whiteness und Geschlecht

Im Anschluss an die CWS sind postkoloniale Kritiken von Whiteness als eigener
Forschungszweig der Medien- und Kommunikationswissenschaft zu verorten (Sho-
me 2016). Stuart Hall (1997) zeigt in seinem berühmten Essay Das Spektakel des
‚Anderen‘ das Vermächtnis der Kolonialzeit in den Bildern der Massenmedien, in
denen „race-Stereotypen aus der Zeit der Sklaverei oder des populären Imperialis-
mus des späten neunzehnten Jahrhunderts“ (Hall 1997, S. 155) transportiert werden.
Eurozentrische Blickregime, Medienästhetiken und Repräsentationen in transnatio-
nalen Medientexten werden weiterhin in der Verknüpfung von Whiteness und
Geschlecht sichtbar (Hegde 2011).
Als eine der zentralen Vertreter*innen der postkolonialen Medien- und Kom-
munikationswissenschaft betrachtet Raka Shome (2014) die Konstruktion von Whi-
teness und Weiblichkeit in globalen Medienkulturen. Sie argumentiert, dass die
Gleichsetzung von Blackness mit Hypersexualität in der medialen Repräsentation
von weißer Weiblichkeit umgedreht wird. Am Beispiel von Prinzessin Diana von
Wales analysiert Shome (2014), wie Prominenz und Whiteness mit nationaler (west-
licher) Identität und klassischen Geschlechterrollen verbunden wird. Gerade bei
ihren internationalen Auftritten ist Dianas Wohltätigkeit im britischen Kolonialismus
eingebettet. Wenn Diana ein schwarzes unterernährtes Kind in den Armen hält,
äußert sich die westlich-weiße Dominanz als ‚weißes Rettersyndrom‘. Diana, so
Shome, wird von der internationalen Presse heiliggesprochen, nicht zuletzt durch
ihre stark mediatisierte Identität als Mutter.
Auch prominente Frauen wie Angelina Jolie oder Madonna werden in Bezug
auf ihre Philanthropie und ihre aktivistischen Auftritte in internationalen Medien
aufgrund der Adoption von nicht-weißen Kindern aus dem globalen Süden über
ihre weiße Mutterschaft idealisiert (Shome 2011). Durch ihre neue Mütterlichkeit
wird die hoch-mediatisierte Sexualität von Jolie und Madonna zugunsten einer
reinen weißen Weiblichkeit verdrängt. Inderpal Grewal und Caren Kaplan (1996)
argumentieren dementsprechend, dass globale Weiblichkeit nur mit und durch
Whiteness funktioniert. In der deutschsprachigen Literatur ist es Eske Wollrad
(2005), die die Institution der weißen Mutterschaft in den Blick nimmt. Das Erbe
der Kolonialzeit produziert noch heute eurozentrische Identitätsnormen, welche
durch postkoloniale Kritiken von Whiteness und Geschlecht sichtbar gemacht
werden können.
Whiteness und Geschlecht 785

4 ‚Farbenblinde‘ Medien in Post-Rassismusgesellschaften?

In Anlehnung an die kritische Filmforschung nimmt auch die Fernsehforschung das


Verhältnis von Gender und Whiteness in den Blick. Studien in den 1990ern kritisie-
ren oft die weiße Überrepräsentanz in TV-Produktionen sowie die Exotisierung
schwarzer Frauenkörper. Neuere Studien setzen sich mit Ansätzen der Colorblind-
ness und korrespondierenden Debatten um Post-Rassismusgesellschaften in Me-
dientexten auseinander (Warner 2015; Enck und Morrissey 2015). Warner (2015)
beschäftigt sich beispielsweise mit der „Rassenlogik“ der US-amerikanischen Kran-
kenhausserie Grey’s Anatomy. Mit dieser Serie und weiteren Produktionen wie
Scandal und Private Practice hat die schwarze TV-Produzentin Shonda Rhimes
einen eigenen Fernsehkanon etabliert, in dem Diversität und multikulturelle Reprä-
sentation großgeschrieben werden. Rhimes ist bekannt für ihre starken, unabhängi-
gen, schwarzen Serienfrauen, die als unverfroren gelten. Rhimes, so Warner, bedient
sich bewusst des „blindcasting“ (Warner 2015, S. 623) – die Hautfarben der Cha-
raktere werden im Script nicht vorgegeben und somit ist jede Rolle im Castingprozess
allen Schauspieler*innen offen. Hierdurch werden Möglichkeiten der visuellen Re-
präsentation geschaffen, Diversität bleibt jedoch meist in weiße Herrschaftsstrukturen
eingebettet.
Ähnlich argumentieren Enck und Morrissey (2015), die die Erfolgsserie Orange
Is the New Black des Streaminganbieters Netflix analysieren. Die Serie folgt der
naiven, weißen Piper Chapman, die aufgrund eines Drogenschmuggeldelikts ein
Jahr im Frauengefängnis verbringen muss. Piper lernt die rassierte „Stammeseintei-
lung“ (Enck und Morrissey 2015, S. 303) des Gefängnisses kennen – die urbanen
Schwarzen, die weißen Nazis, die lauten Latinas, etc. Die Produzentin, Jenji Kohan,
nennt Piper ihr „trojanisches Pferd“ (S. 304), durch das die Zuschauer*innen die
diversen Geschichten der anderen Insassinnen kennenlernen können. Pipers Naivität
und Humor, so Enck und Morrisey, machen das Fernseherlebnis für das Publikum
komfortabler. Im Handlungsverlauf der Serie – insbesondere in Konfliktszenen mit
anderen Insassinnen – wird das Privileg von Weißheit deutlich, denn Pipers Haut-
farbe relativiert ihre Hafterfahrung. Kohan entwickelte die Serie für Netflix, da
klassische US-Netzwerke keine Geschichten über transgender Betrügerinnen, indi-
gene Migrantinnen oder lesbische Kleinkriminelle ausstrahlen würden (Enck und
Morrissey 2015, S. 304), obwohl die Verflechtungen von Klasse, Gender und
‚Rasse‘ in genau diesen Geschichten sichtbar gemacht werden können.
Neuere audiovisuelle Medienanbieter wie die Streamingdienste Netflix, Hulu
oder Amazon Prime produzieren nun eigene Programme, die vermehrt auf Diversität
setzen. Lisa Nakamura, die für ihre CWS-Analysen digitaler Games bekannt ist,
fasst ihre Skepsis gegenüber neuen Medientechnologien jedoch folgendermaßen
zusammen: „The paradox of whiteness is the very paradox of new media“ (Naka-
mura 2008, S. 98). Whiteness ist dynamisch und statisch zugleich und äußert sich
auch in neuen Kontexten in seiner alten Form, um seinen Platz der Vorherrschaft
strategisch zurückzuerobern (Nakayama 2017, S. 71). Auch die Infrastruktur des
Mediums Internet ist in sich voller Verzerrungen, die stereotype Symboliken von
Whiteness und Geschlecht aufrechterhalten.
786 G. Sorce

5 Whiteness und Geschlecht in digitalen Kontexten

Forscher*innen der (kritischen) Internet Studies konstatieren, dass das Internet ein
weißer Kommunikationsraum ist, geschaffen von weißen Männern für weiße Män-
ner (Nakamura 2008). In ihrer systematischen Literaturanalyse arbeitet Jessie Da-
niels (2013) die Rolle von Whiteness und Rassismus in der Infrastruktur sowie den
Nutzungsweisen des Internets heraus und kritisiert die sozialen Ungleichheiten, die
globale Technokulturen prägen. Die Schichten verschiedener Herrschaftsstrukturen
um ‚Rasse‘ und Geschlecht werden bereits in der Arbeitskultur großer Technikkon-
zerne sichtbar. Beispielsweise beschreibt Amitava Kumar (2001) die Ausbeutung
südasiatischer Programmierer im Silicon Valley, während Karen Hossfeld (2001) die
Missachtung der wertvollen Arbeit lateinamerikanischer Frauen in der Internetbran-
che kritisiert.
Die in digitale Informationskontexte eingebaute Misogynie greift Safiya Noble in
ihrer mediensoziologischen Arbeit auf. Ihr mehrfach ausgezeichnetes Werk Algo-
rithms of Oppression: How Search Engines Reinforce Racism (2018) behandelt die
intrinsisch marginalisierende Logik von Suchmaschinen. Google eröffnet einerseits
Zugang zu Informationen, doch diese Daten sind nicht ‚neutral‘, sondern bleiben
eingebettet in dominante Hegemonievorstellungen, die gerade im Zusammenspiel
von Geschlecht und Whiteness sichtbar werden. Durch algorithmische Verknüpfun-
gen werden diskriminierende und rassismusfördernde Inhalte weiterverbreitet. Für
ihre Analyse führt Noble eine Reihe von Suchanfragen durch, mit eindeutigem Fazit:
Suchergebnisse für Bilder von „black girls“ sind pornografisch, die automatische
Vervollständigung der Suchanfrage „why are black girls so . . .“ führt zu Resultaten
wie „slutty“ oder „angry“. Google, so Noble, sei somit auch auf dieser Ebene als ein
eigenes Politikum zu diskutieren, denn Nutzer*innen werden durch rassistisch
geprägte Suchergebnisse in diskriminierenden Weltanschauungen sozialisiert, wel-
che Whiteness als Norm zementieren (Noble 2018).
Die Verbindung von Rassismus und sexualisierten Angriffen in digitalen Kon-
texten hat inzwischen einen eigenen Forschungszweig hervorgebracht, mit einer
Vielzahl von wissenschaftlichen Arbeiten, die sich spezifischen Onlinephänomenen
widmen. So argumentieren Madden et al. (2018), dass sexualisierte Angriffe in
sozialen Netzwerken intersektional zu betrachten sind. In ihrer Arbeit beziehen sich
die Wissenschafter*innen auf Moya Baileys Theoretisierung des „Misogynoir“ (die
Misogynie gegen schwarze Frauen). Madden et al. (2018) analysieren, wie Blog-
ger*innen die rassistischen Online-Angriffe auf die schwarze Komödiantin Leslie
Jones in ihren Texten verarbeiten. Die Forschungserkenntnisse veranschaulichen die
erhöhten Angriffe auf schwarze Frauen in digitalisierten Öffentlichkeiten. Auch
Kishonna Gray (2012) greift diese Thematik auf und erforscht die Erfahrungen
nicht-weißer Frauen in Online-Communities am Beispiel von zwölf Xbox-Live-
Spielerinnen, die von sexualisierten Angriffen aufgrund ihrer Ethnizität berichten.
Da Xbox-Live sowohl Sprach- als auch Videokommunikation ermöglicht, werden
Latina-Spielerinnen sichtbar und somit ethnisiert. Dies führt zu Beschimpfungen,
Angriffen und Marginalisierung durch (hauptsächlich) weiße, männliche Mitspieler.
Auch werden Spielerinnen mit Nutzernamen („gamertags“), die auf eine weibliche
Whiteness und Geschlecht 787

und/oder nicht-angloamerikanische Identität hinweisen, diskriminierend behandelt.


Die Frauen in Grays Arbeit haben sich daher in einem eigenen „clan“ zusammen-
geschlossen, um sich kollektiv vor Angriffen der Gamer-Community zu schützen
und somit eine positive Spielerfahrung zu ermöglichen (Gray 2012, S. 418).
Oft verstehen Mediennutzer*innen ihre eigene Whiteness nicht als privilegierte
soziale Position. Petray und Collin (2017) analysieren in ihrer Studie das Interven-
tionspotenzial des ironisch angelegten Twitter-Hashtags #WhiteProverbs, welcher
Aussagen markiert, die von ‚unwissenden‘ weißen Menschen genutzt werden, um
ihr Whiteness-Privileg zu verschleiern. In ihrer Diskursanalyse der Twitter-Debatte
argumentieren die Forscher*innen, dass Tweets wie „It’s not about black or white
#whiteproverbs“ die Erfahrungen schwarzer und indigener User*innen mit der
Relativierung weißer Vorherrschaft durch Alltagssprache ironisiert widerspiegeln
(Petray und Collin 2017, S. 1). Im australischen Kontext der Studie kristallisiert sich
hier die wiederkehrende Konfrontation nicht-weißer Frauen mit dem Privileg der
Whiteness heraus.

6 Medien als Interventionsort für antirassistische und


feministische Onlinekampagnen

In den letzten Jahren haben mehrere global agierende Aktivismuskampagnen, die


auch die Schnittstellen von Whiteness und Geschlecht sichtbar machen, die sozialen
Netzwerke erobert. Die Antirassismusbewegung wie #BlackLivesMatter oder auch
#MeToo gegen sexualisierte Gewalt wurden auf diversen digitalen Plattformen, aber
auch in internationalen Leitmedien verhandelt. Obwohl die US-Aktivistin Tarana
Burke sich Jahre zuvor schon mit ihrem „MeToo-Movement“ für Opfer sexualisier-
ter Gewalt einsetzte, fand der Slogan erst Anklang, nachdem die Schauspielerin
Alyssa Milano ihn (ohne seine Ursprünge zu kennen) über Social Media verbreitete
und mit dem Harvey-Weinstein-Missbrauchsskandal verband. Einige feministische
Medien- und Kommunikationswissenschaftler*innen kritisieren die inhärente Whi-
teness der #MeToo-Kampagne, wie auch die Whiteness des ‚Mainstreamfeminis-
mus‘ in digitalisierten Öffentlichkeiten generell (Mendes et al. 2018). Auch die
mediale Berichterstattung zu Harvey Weinstein kann im Vergleich zu schwarzen
Prominenten wie R. Kelly oder Bill Cosby durch den Zugang der CWS betrachtet
werden: Weinsteins ‚weißen Opfern‘ wird keine Teilschuld zugeschrieben, während
Kellys ‚schwarze Opfer‘ oft stereotypisierend porträtiert werden (Leung und Wil-
liams 2019). Medientexte dieser Art bestärken kolonial geprägte Gesellschaftsbilder
der Hypersexualität schwarzer Frauen. Die #MeToo-Bewegung, so Leung und
Williams, hat sich durch die Debatte um R. Kelly allerdings weiterentwickelt, um
Intersektionalität als wichtigen Bestandteil ihrer aktivistischen Überzeugungen zu
formulieren.
Im deutschsprachigen Kontext wurde auch die Zweckentfremdung und Indienst-
nahme der #MeToo-Bewegung durch rechte Akteur*innen aufgegriffen, etwa am
Beispiel der #120Dezibel-Kampagne, in der die österreichische Identitäre Bewegung
die Solidaritätsansprüche europäischer Opfer von Migrantengewalt geltend machen
788 G. Sorce

will und somit Bemühungen um Geschlechtergerechtigkeit für nationalistisch-


rassistische Zwecke missbraucht (Sorce 2018).
Das tatsächliche Interventionspotenzial digitaler Kampagnen sollte aber auch
kritisch hinterfragt werden, da Aspekte wie digitale Spaltung und Zugang zu Tech-
nik sowie Medienkompetenz im Umgang mit digitalen Inhalten die Erfahrungen mit
Aktivismus beeinträchtigen. Optimistisch zeigen sich Jackson, Bailey, und Foucault-
Welles (2020) in ihrem neuen Buch #HashtagActivism: Networks of Race and
Gender Justice, in dem sie Twitter als wichtige Plattform für die Ermächtigung
von historisch-marginalisierten Gruppen wie schwarzen Amerikaner*innen oder
Transgender-Personen verstehen. Sie zeigen, wie Hashtags verwendet werden, um
Gegenerzählungen zu zirkulieren, intersektional zu mobilisieren und vielfältige
Netzwerke aufzubauen. Im Zuge aktueller Debatten um systemischen Rassismus
und Gewalt gegen Migrant*innen äußert hingegen Thomas Nakayama (2017) seine
Skepsis gegenüber der Transformation von Whiteness durch digitale Medien:

It remains to be seen whether the emerging digital space can create new ways of whiteness
that are not older forms of whiteness, but new, progressive, reconfigured whiteness that lives
alongside, not dominating, other racial identities. (Nakayama 2017, S. 71)

7 Fazit: #CommunicationSoWhite: Eine disziplinäre Debatte

In der Medien- und Kommunikationswissenschaft finden zurzeit Debatten über die


Wissenskulturen in der Disziplin statt. Angeregt durch eine diskriminierende Aus-
sage zur wachsenden Diversitätskritik in der US-amerikanischen Fachgesellschaft
National Communication Association (NCA) entstanden mehrere Foren auf digita-
len Plattformen mit dem Titel #CommunicationSoWhite. Als direkte Reaktion auf
die Äußerung des damaligen NCA-Präsidenten Martin Medhurst, der in einem
offiziellen Statement mahnte, diverse Inklusion marginalisierter Stimmen in der
Gesellschaft nicht mit wissenschaftlichem Verdienst gleichzusetzen, entstanden
mehrere Fachartikel und Themenhefte, die sich mit den rassistischen Strukturen
der Disziplin auseinandersetzen. Die Verknüpfung von Whiteness und Geschlecht
wird in diesen Texten zentral behandelt (Chakravartty et al. 2018; Law und Corrigan
2018).
Chakravartty et al. (2018) analysieren die Diversität von Forscher*innen mit
Beiträgen in einschlägigen Fachzeitschriften der Medien- und Kommunikations-
wissenschaft zwischen 1990 und 2016 und stellen fest, dass nicht-weiße Wissen-
schafter*innen in Publikationen, Zitationsraten und Herausgeber*innerrollen unter-
repräsentiert sind. Intersektional betrachtet sind nicht-weiße Frauen am wenigsten
sichtbar. In ihrem kritischen Beitrag beziehen sich Martin Law und Lisa Corrigan
konkret auf intersektionale Perspektiven der CWS und kritisieren die „weiße Spra-
che“ (white-speak) der Disziplin (Law und Corrigan 2018, S. 327). Die Autor*innen
ermutigen zur Würdigung theoretischer und empirischer Beiträge marginalisierter
Kolleg*innen und fordern eine Abkehr vom disziplinären Kanon, der die Forschung
weißer Wissenschaftler des globalen Nordens privilegiert. Die Verhandlungen der
Whiteness und Geschlecht 789

#CommunicationSoWhite-Diskussion veranschaulichen, dass sich die internatio-


nale Medien- und Kommunikationswissenschaft auch auf institutioneller Ebene
aktuellen Debatten um Rassismus und Sexismus – zumindest vereinzelt – stellt. Es
bleibt zu fordern, dass diese Bemühungen auch im deutschsprachigen Raum
aufgenommen werden und auch in unseren Fachgesellschaften weiterführend dis-
kutiert werden.

Literatur
Akinro, Ngozi, und Lindani Mbunyuza-Memani. 2019. Black is not beautiful: Persistent messages
and the globalization of „white“ beauty in African women’s magazines. Journal of International
and Intercultural Communication 12(4): 308–324.
Bernold, Monika. 2006. Whiteness, Österreich und Afrikanismus am Beispiel der ORF-Do-
kumentation Abenteuer Afrika. Medienimpulse, Beiträge zur Medienpädagogik 15:33–38.
Bernold, Monika. 2011. Black Angels? Performing Whiteness und Gender im Film. Kritische
Lektüren zu den Metropolenfilmen „Paris is Burning“ und „Der Himmel über Berlin“. In
Gender Performances, Hrsg. Andrea Ellmeier, Doris Ingrisch, und Claudia Walkensteiner-
Preschl, 161–180. Wien/Köln/Weimar: Böhlau.
Bernold, Monika. 2020. Jenseits medialer Sichtbarkeit. Sahaurische Frauen im Westsaharakonflikt:
Bilder von Krieg und Protest. In Frauen. Medien. Krieg, Hrsg. Bettina Biron, Wolfgang
Duchkowitsch, und Wolfgang Lamprecht, 115–136. Münster: LIT.
Chakravartty, Paula, Rachel Kuo, Victoria Grubbs, und Charlton McIlwain. 2018. #Communicati-
onSoWhite. Journal of Communication 68(2): 254–266.
Collins, Patricia Hill. 2002. Black feminist thought: Knowledge, consciousness, and the politics of
empowerment. New York: Routledge.
Crenshaw, Kimberlé. 1991. Mapping the Margins: Intersectionality, Identity Politics, and Violence
against Women of Color. Stanford Law Review 43(6): 1241–1299
Daniels, Jessi. 2013. Race and racism in Internet studies: A review and critique. New Media &
Society 15(5): 695–719.
Dietze, Gabriele. 2006. Critical Whiteness und Kritischer Okzidentalismus. Zwei Figuren hegemo-
nialer Selbstreflexion. In Weiß – Weißsein – Whiteness: kritische Studien zu Gender und
Rassismus, Hrsg. Martina Tißberger, 219–247. Köln: Kiepenheuer & Witsch.
Dietze, Gabriele. 2013. Weiße Frauen in Bewegung. Genealogien und Konkurrenzen von Race- und
Genderpolitiken. Bielefeld: transcript.
Dyer, Richard. 1997. White. Essays on race and culture. London/New York: Routledge.
Dyer, Richard, Michael Schunck, und Annette Brauerhoch. 1994. WEISS. Frauen und Film
54/55: 64–80.
Enck, Suzanne M., und Megan E. Morrissey. 2015. If Orange Is the New Black, I must be color
blind: Comic framings of post-racism in the prison-industrial complex. Critical Studies in Media
Communication 32(5): 303–317.
Figge, Maja. 2015. Deutschsein (wieder-)herstellen: Weißsein und Männlichkeit im bundesdeut-
schen Kino der 1950er-Jahre.. Bielefeld: transcript.
Gray, Kishonna L. 2012. Intersecting oppressions and online communities: Examining the experi-
ences of women of color in Xbox Live. Information, Communication & Society 15(3): 411–428.
Grewal, Inderpal, und Caren Kaplan. 1996. Warrior marks: Global womanism’s neo-colonial
discourse in a multicultural context. Camera Obscura: Feminism, Culture, and Media Studies
13(3(39)): 4–33.
Hacker, Hanna. 2005. Nicht Weiß Weiß Nicht: Überschneidungen zwischen Critical Whiteness
Studies und feministischer Theorie. L’Homme: Zeitschrift für feministische Geschichtswissen-
schaft 16(2): 13–27.
790 G. Sorce

Hall, Stuart. 1997. Das Spektakel des ‚Anderen‘. In Grundlagentexte der Medienkultur, Hrsg.
Andreas Ziemann, 155–160. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-
15787-6_20.
Hegde, Radha S. 2011. Circuits of visibility: Gender and transnational media cultures. New York:
New York University Press.
Hobuß, Steffi. 2008. „Weiße Bilder“ in der Werbung. Zur Stabilisierung und Destabilisierung von
Whiteness als unsichtbare Norm. In Medien – Diversität – Ungleichheit, Hrsg. Ulla Wischer-
mann und Tanja Thomas, 203–222. Wiesbaden: Springer VS.
hooks, bell. 1992/2019. Black Looks: Popkultur, Medien, Rassismus. Berlin: Orlanda.
Hossfeld, Karen J. 2001. „Their logic against them“: Contradictions in sex, race, and class in Silicon
valley. In Technicolor: Race, technology and everyday life, Hrsg. Alondra Nelson, Tu Thuy, und
Alicia H. Hines, 34–63. New York: New York University Press.
Jackson, Sarah J., Moya Bailey, und Brooke Foucault-Welles, Hrsg. 2020. #hashtagactivism:
Networks of race and gender justice. Cambridge: MIT Press.
Kumar, Amitava. 2001. Temporary access: The Indian H1B worker in the United States. In
Technicolor: Race, technology and everyday life, Hrsg. Alondra Nelson, Tu Thuy, und Alicia
H. Hines, 76–87. New York: New York University Press.
Law, Martin, und Lisa M. Corrigan. 2018. On white-speak and gatekeeping: Or, what good are the
Greeks? Communication and Critical/Cultural Studies 15(4): 326–330.
Leung, Rebecca, und Robert Williams. 2019. #MeToo and intersectionality: An examination of the
#metoo movement through the R. Kelly scandal. Journal of Communication Inquiry 43(4):
349–371.
Lorde, Audre. 1984. Sister Outsider. Trumansburg: Crossing Press.
Madden, Stephanie, Melissa Janoske, Rowena B. Winkler, und Amanda N. Edgar. 2018. Mediated
misogynoir: Intersecting race and gender in online harassment. In Mediating Misogyny, Hrsg.
Jacqueline R. Vickery und Tracy Everbach, 71–90. Cham: Palgrave Macmillan.
Mendes, Kaitlynn, Jessica Ringrose, und Jessalynn Keller. 2018. #MeToo and the promise and
pitfalls of challenging rape culture through digital feminist activism. European Journal of
Women’s Studies 25(2): 236–246.
Meyers, Marian. 2013. African American women in the news: Gender, race, and class in journa-
lism. New York: Routledge.
Morrison, Toni. 1995. Im Dunkeln spielen – weiße Kultur und literarische Imagination. Reinbek:
Rewohlt Taschenbuch.
Mulvey, Laura. 1989. „Visual pleasure and narrative cinema.“ In Visual and other pleasures, 14–26.
London: Palgrave Macmillan.
Nakamura, Lisa. 2008. Digitizing race: Visual cultures of the Internet. Minneapolis: University of
Minnesota Press.
Nakayama, Thomas K. 2017. What’s next for whiteness and the Internet. Critical Studies in Media
Communication 34(1): 68–72.
Noble, Safiya U. 2018. Algorithms of oppression: How search engines reinforce racism. New York:
New York University Press.
Petray, Theresa L., und Rowan Collin. 2017. Your privilege is trending: Confronting whiteness on
social media. Social Media+Society 3(2): 1–10.
Prommer, Elizabeth und Christine Linke. 2019. „Ausgeblendet.“ Frauen im deutschen Film und
Fernsehen. Köln: Herbert von Halem.
Shankar, Shalini. 2020. Nothing sells like Whiteness: Race, ontology, and American advertising.
American Anthropologist 122(1): 112–119.
Shome, Raka. 2011. „Global motherhood“: The transnational intimacies of white femininity.
Critical Studies in Media Communication 28(5): 388–406.
Shome, Raka. 2014. Diana and beyond: White femininity, national identity, and contemporary
media culture. Champaign: University of Illinois Press.
Shome, Raka. 2016. When postcolonial studies meets media studies. Critical Studies in Media
Communication 33(3): 245–263.
Whiteness und Geschlecht 791

Sorce, Giuliana. 2018. Sounding the alarm for right-wing #MeToo: „120 Dezibel“ in Germany.
Feminist Media Studies 18(6): 1123–1126.
Tasker, Yvonne. 1993. Spectacular bodies: Gender, genre, and the action cinema. London:
Routledge.
Thomas, Tanja. 2020. Kontroversen über Unterdrückungsverhältnisse: Race, Class und Gender in
der feministischen Debatte. In Feministische Theorie und Kritische Medienkulturanalyse:
Ausgangspunkte und Perspektiven, Hrsg. Tanja Thomas und Ulla Wischermann, 59–74. Biele-
feld: transcript.
Tißberger, Martina. 2006. Weiß – Weißsein – Whiteness: Kritische Studien zu Gender und Ras-
sismus. Frankfurt a. M.: Peter Lang.
Walgenbach, Katharina. 2006. Weiße Identität und Geschlecht. In Soziale Ungleichheit, kulturelle
Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in
München, Hrsg. Karl-Siegbert Rehberg, 1705–1717. Frankfurt a. M.: Campus.
Warner, Kristen J. 2015. The racial logic of Grey’s Anatomy: Shonda Rhimes and her „post-civil
rights, post-feminist“ series. Television & New Media 16(7): 631–647.
Wollrad, Eske. 2005. Weißsein im Widerspruch: Feministische Perspektiven auf Rassismus, Kultur
und Religion. Königstein/Taunus: Helmer.
Young, Lola. 1996. Fear of the dark: ‚Race‘, gender and sexuality in the cinema. London:
Routledge.
Klasse und Geschlecht. Zur Repräsentation
von vergeschlechtlichter Klasse im
Reality-TV

Irmtraud Voglmayr

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 794
2 Begriffsbestimmung Klasse – Schicht – Klassismus – Gouvernementalität . . . . . . . . . . . . . . . 795
3 Mediale Repräsentationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 798
4 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 803
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 804

Zusammenfassung
Lange Zeit war der Klassenbegriff, auch in der Verschränkung mit der Struktur-
kategorie Geschlecht, eine vernachlässigte Kategorie in der deutschsprachigen
Medienforschung. Erst mit dem Auftauchen des sogenannten Unterschichten-
fernsehens nehmen viele Studien Klasse zum Ausgangspunkt ihrer Analysen.
Relevant ist der Begriff insbesondere für Untersuchungen zum Reality-TV, denn
hier werden vorherrschend Angehörige der unteren Klassen, ausgestattet mit
einem klassenspezifischen Habitus, in alltagsnahen Geschichten dargestellt. Zwei
theoretische Ansätze dominieren die aktuelle Forschung: der Gouvernementali-
tätsansatz nach Foucault und das Konzept des Klassenhabitus nach Bourdieu,
wenngleich beide durchaus miteinander verknüpft werden, wie die hier versam-
melten Studien zeigen. Zentrale Fragestellungen, die mit dem Phänomen Reali-
tätsfernsehen einhergehen, sind vor allem die Einpassung in die neoliberale
Unterhaltungskultur und die Ausbeutungslogiken der Sendeanstalten.

Schlüsselwörter
Vergeschlechtlichte Klasse · Intersektionalität · Habitus · Gouvernementalität ·
Repräsentation

I. Voglmayr (*)
Universität Wien, Wien, Österreich
E-Mail: irmtraud.voglmayr@univie.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 793
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_68
794 I. Voglmayr

1 Einleitung

„Racism and sexism can be exploited in the interests of class power. Yet no one
wants to talk about class“, schrieb bell hooks (2000, S. 7). Für ein Verständnis und
die Analyse populärkultureller Darstellungen, die im Kontext zunehmender sozialer
Ungleichheit und fortschreitender Prekarisierungsprozesse in der Gesellschaft zu
verorten sind, muss der Strukturzusammenhang von Geschlechter- und Klassen-
ungleichheit wieder aufgegriffen werden, zumal die Verschränkung von Geschlecht
und Klasse mit Beginn der neoliberalen Ordnung fast gänzlich aus dem Blick
geraten ist (Kemper und Weinbach 2009; McRobbie 2010; Winker und Degele
2009). Klaus (2015, S. 39–40) stellt fest, dass der Begriff „class“ oder „Klasse“ in
den bekanntesten Einführungen, Readern und Lexika der englisch- wie deutsch-
sprachigen Cultural Studies paradoxerweise nicht zu finden ist, wenngleich der
Klassenbegriff aus der Geschichte der britischen Cultural Studies nicht wegzuden-
ken ist. Insbesondere für die Cultural Studies im deutschsprachigen Raum sieht
Klaus (2015, S. 44) eine Ausblendung und Vernachlässigung des Klassen-Konzepts
und weist auf die unterentwickelte theoretische und empirische Auseinandersetzung
mit dieser zentralen Differenzkategorie hin. Gerade im Zusammenhang von ver-
schärften sozialen Gegensätzen und den damit verbundenen veränderten medialen
Repräsentationsweisen liege hier eine besondere Notwendigkeit und Herausforde-
rung. Auch Lünenborg und Fürsich (2014) mussten in ihrer Studie zur Sichtbarkeit
von Migrantinnen im deutschen Fernsehen feststellen, dass die Dimension der
Klasse zunehmend relevant wurde und eine Verschränkung von Geschlecht und
Ethnizität nicht ausreichte. „Es wurde deutlich, dass im deutschen Fernsehen Klas-
senunterschiede durch ethnische und geschlechtsspezifische Unterschiede artikuliert
werden“ (Lünenborg und Fürsich 2014, S. 17). Mit dem Konzept der Intersek-
tionalität wird zwar ein Ansatz geboten, die Wechselwirkung zwischen den ver-
schiedenen Strukturkategorien Geschlecht, Klasse, „Rasse“ und Körper in den
Forschungsblick zu nehmen (Winker und Degele 2009), allerdings bleibt die Ver-
wobenheit von Geschlecht und Klasse zumeist unberücksichtigt – „the uncool
subject is class“ (hooks 2000). Stehling (2014) folgert aus ihrer Analyse der Casting-
showformate America’s Next Top Model und Germany’s Next Topmodel, dass die
Perspektive der Intersektionalität sowohl Wechselwirkungen zwischen verschiede-
nen Ungleichheitskategorien aufzeigen als auch ihre Unsichtbarkeiten deutlich ma-
chen kann. Es bedürfe allerdings weiterer Forschung, „um auch die Ebenen von
kapitalistischen, neoliberalen und insbesondere gouvernementalen Prozessen in die
Analyse zu integrieren“ (Stehling 2014, S. 30).
Diese Lücke in den Forschungen zeigt, dass für die Analyse gesellschaftlicher
Transformationsprozesse Klasse auch auf kultureller Ebene und in Bezug auf Medien-
produktionen eine unverzichtbare Kategorie darstellt. Mittlerweile finden klassenver-
wandte Begriffe als Reaktion auf die zunehmenden strukturellen Ungleichheiten, die
aus einer kulturalistischen Sichtweise mit individuellem kulturellen Versagen und
falschen Entscheidungen marginalisierter Gruppen legitimiert werden, langsam Ein-
gang in die Kommunikations- und Medienwissenschaften (Klaus 2015, S. 42–43). In
dem von Ulla Wischermann und Tanja Thomas (2008) herausgegebenen Sammelband
Klasse und Geschlecht. Zur Repräsentation von vergeschlechtlichter Klasse . . . 795

Medien – Diversität – Ungleichheit haben sich verschiedene Autor_innen mit der


medialen Konstruktion sozialer Ungleichheit aus unterschiedlichen Perspektiven be-
fasst. Klaus und Röser (2008) liefern darin mit ihren Beobachtungen zum Zusammen-
hang von Medienklassifikationen und sozialer Ungleichheit am Beispiel Unterschich-
tenfernsehen im Kontext der diskursiven Rückkehr des Sozialen einen wichtigen
Beitrag zu der damals im deutschsprachigen Raum geführten Debatte. Das sogenannte
Unterschichtenfernsehen war auch ein Ausgangspunkt für die Medienwissenschaft-
ler_innen Andrea Seier und Thomas Waitz in ihrem 2014 erschienenen Tagungsband
Klassenproduktion. Fernsehen als Agentur des Sozialen. Zentral befassen sich die
Autor_innen darin mit dem Fernsehen und seiner Funktion für die fortlaufende
Herstellung des Sozialen, die über Repräsentation und Rezeption hinausgehend Teil-
habe an Prozessen der Vergesellschaftung ermöglicht und selbst Modelle der Ver-
bürgerlichung bereitstellt (Seier und Waitz 2014, S. 9). Seier und Waitz wollen
Klassendifferenzen in erster Linie als Diskurseffekte verstanden wissen und setzen
den Begriff der Klasse als nicht-essenzialistische Kategorie ein. Klasse wird auch als
Schwerpunktthema mit Blick auf die Praktiken der sozialen Klassifizierung „in und/
oder durch Medien“ in der Zeitschrift für Medienwissenschaft behandelt (2/2018).
Ulrike Bergermann und Andrea Seier (2018) werfen in ihrer Einleitung u. a. Fragen
nach der Bereitstellung von implizitem bzw. explizitem Klassenwissen durch die
Medien auf und thematisieren die Relevanz des Akts des Klassifizierens für die
Medienwissenschaft.

2 Begriffsbestimmung Klasse – Schicht – Klassismus –


Gouvernementalität

Dass der Klassen- und vor allem Schichtenbegriff wieder langsam ins Zentrum
medienwissenschaftlicher Diskurse rückt, hängt mit den aktuellen globalen Un-
gleichheitsdynamiken zusammen, die eine rasch wachsende Kluft zwischen Arm
und Reich zu einer ökonomischen wie gesellschaftlichen Herausforderung machen.
Der Klassenbegriff steht in der Tradition von Theorien sozialer Ungleichheit, die
marxistische Klassentheorien, Schichtungstheorien bis hin zu neueren Ansätzen
über Milieus und Lebensstile umfassen (Winker und Degele 2009, S. 42). Soziale
Ungleichheit, benachteiligte Schichten, Prekarität, Marginalisierung, all diese häufig
verwendeten Begriffe im deutschsprachigen Raum sind mit dem der Klasse eng
verwandt, schreibt Klaus (2015, S. 39). Kadritzke (2017, S. 74) arbeitet bewusst mit
dem Begriff der Klasse, weil damit von den Produktionsverhältnissen ausgegangen
wird, die die Mechanismen und Institutionen der Verteilung des gesellschaftlichen
Reichtums bestimmen, aus denen klassenspezifische Lebenschancen resultieren.
Dagegen setzen die modernen Schichtungstheorien bei Einkommensverteilungen
und Konsumniveau an. Er kritisiert den gegenwärtigen sozialwissenschaftlichen
Diskurs, der vorrangig die soziale Mitte fokussiert, in der die ganze Gesellschaft
fast aufzugehen scheint – mit Ausnahme von Elite oben und Arme unten (Kadritzke
2017, S. 12).
796 I. Voglmayr

Vor dem Hintergrund der viel zitierten abstiegsverängstigten gesellschaftlichen


Mitte werden im Kontext von neoliberaler Logik und medialen Repräsentationen
soziale Themen zumeist über den Zusammenhang von Unterschichtzugehörigkeit,
„kultureller Verwahrlosung“ und einem spezifischen Medienkonsum verhandelt.
Das, was „Unterschicht“ ist, wird an Merkmalen des Mediengebrauchs festgemacht,
und umgekehrt gilt eine spezifische Mediennutzung als kennzeichnendes Merkmal
von „Unterschicht“ (Klaus und Röser 2008; Waitz 2014). Unterschicht – der Begriff
wird nach wie vor mit ausgeprägten anstößigen Assoziationen verwendet (Lindner
2008, S. 15) – und Fernsehen werden vor allem im Reality-TV zunehmend in einen
Zusammenhang gesetzt, indem durch sichtbare Zuschreibungen wie Unterschich-
tenkörper sowie durch den Blick auf Lebensstile und -praktiken eine rein kultura-
listische Sicht auf Klassenzugehörigkeit vorgenommen wird (Waitz 2014, S. 32–33).
Gegen diese kulturalistische Sichtweise, die nicht die Ursachen sozialer Un-
gleichheit problematisiert, sondern Medienkonsum und Massenkultur und daraus
abgeleitete „unzivilisierte“ Verhaltensweisen und Kulturstandards fokussiert, lässt
sich Bourdieus Konzept des Klassenhabitus, das eine Verknüpfung von Klassenlage
und Lebensführung schafft, für die mediale Klassendiskussion nutzbar machen
(Voglmayr 2015a, b, 2018; Goldmann 2018). Begriffe wie Habitus und kulturelles
Kapital zeigen, wie Klassenunterschiede in der Domäne des individuellen Ge-
schmacks reproduziert werden und wie die Differenzen in den sozialen Positionen
in Unterschiede in der Lebensführung transformiert werden (Winker und Degele
2009, S. 43). Für Bourdieu bestimmt sich eine gesellschaftliche Klasse nicht allein
durch ihre Stellung in den Produktionsverhältnissen – also eine Zuordnung zur
Klasse aufgrund der jeweiligen ökonomischen, kulturellen und sozialen Ressourcen
–, sondern auch durch den Klassenhabitus, der „normalerweise“ mit dieser Stellung
verbunden ist (Bourdieu 1987, S. 585). Der Habitus bringt Handlungen, Wahr-
nehmungen, Sprach- und Verhaltensmuster, Beurteilungen und Geschmackspräfe-
renzen hervor und ist nach Klasse und Klassenfraktion verschieden. Als Resultat
aktiver Aneignungs- und Inkorporierungsarbeit ähnlicher Existenzbedingungen und
Kapitalressourcen bewirkt er, dass sich die Klassifikationsschemata und Verhaltens-
orientierungen der Angehörigen einer sozialen Klasse ähneln (Geiling 2004, S. 41);
er ist somit Ursache und Ergebnis der Abgrenzung zwischen den Klassen. Relevant
ist in Bezug auf mediale Repräsentationsanalysen insbesondere der Habitus der
unteren Klassen, den Bourdieu als Notwendigkeitsgeschmack beschreibt: „Aus der
Not heraus entsteht ein Not-Geschmack, der eine Art Anpassung an den Mangel
einschließt und damit ein Sich-in-das-Notwendige-fügen . . .“ (Bourdieu 1987,
S. 585). Realitätsfernsehen zeichnet sich aber gerade dadurch aus, dass nicht die
Verfügbarkeit über die Kapitalsorten thematisiert wird, sondern Erscheinungsbilder,
Geschmack und Sprache losgelöst von gesellschaftlichen Strukturzusammenhängen
und Kräfteverhältnissen als „kulturelle Verwahrlosung“ ins Bild gesetzt werden.
„Klasse“ findet gegenwärtig vor allem in der Auseinandersetzung mit Klassismus
und ineinander greifenden Diskriminierungsformen unter dem Begriff „Intersek-
tionalität“ wieder zurück in den feministischen Theoriediskurs, schreiben Gouma
und Yun (2015, S. 4). Analog zu ‚Rassismus‘ und ‚Sexismus‘ wird Klassismus als
eine Diskriminierungs- und Unterdrückungsform definiert und „beschreibt ein Sys-
Klasse und Geschlecht. Zur Repräsentation von vergeschlechtlichter Klasse . . . 797

tem der Zuschreibung von Werten und Fähigkeiten, die aus dem ökonomischen
Status heraus abgeleitet oder besser: erfunden und konstruiert werden“ (Kemper und
Weinbach 2009, S. 17). Den Ausgangspunkt von Klassismus und Antiklassismusre-
flexionen bilden demnach Menschen, die ökonomisch und kulturell in der Gesell-
schaft ‚unten‘ verortet sind bzw. verortet werden und daraus resultierende Diskri-
minierungs- und Unterdrückungserfahrungen machen (Kemper und Weinbach 2009,
S. 13). Kritisiert wird allerdings am Klassismus-Ansatz, der in den USA entstanden
ist, dass das Benennen und Bekämpfen von Vorurteilen die Debatte von einer
antikapitalistischen hin zu einer antidiskriminatorischen Position verschiebe (Gou-
ma und Yun 2015, S. 4–5). Nicht mehr der Kampf gegen die Klassengesellschaft
verbunden mit kollektiven Handlungsmöglichkeiten und Emanzipation, sondern der
Kampf gegen die „Respektlosigkeit“ bestimme diesen akademischen Diskurs (Bir-
kner 2015, S. 35).
In den deutschsprachigen Untersuchungen zu medialen Repräsentationen stehen
bislang weniger die Klassenbeziehungen im Fokus, sondern der Rückgriff auf
Foucaults Begriff der Gouvernementalität, der sich weit über die Formen der
politischen Regierung auf Formen der Selbstregierung und auf Selbsttechnologien
erstreckt. Indem Reality-TV durch mediale Berater_innen Richtlinien für eine Le-
bensführung jenseits wohlfahrtsstaatlicher Absicherung entwirft, lädt es zur Ein-
übung in die Praktiken eines individualisierten Selbstunternehmertums ein (Thomas
2009, S. 68). Vor allem Makeover-Formate zielen auf den Lebensstil prekärer
Protagonist_innen, der durch die Formierung, Selbstkontrolle und Bearbeitung mit
dem und durch das Fernsehen verändert bzw. optimiert werden soll (McRobbie
2010; Seier 2014; Waitz 2014). Foucault fokussiert vor allem Mechanismen der
Fremd- und Selbstführung, jene Ensembles aus Verstehensformen, Zurichtungsstra-
tegien und Selbsttechnologien, die aus Menschen Subjekte und mit denen sie sich
selbst zu Subjekten machen (Bröckling 2007, S. 31). Sein Regierungsbegriff ver-
mittelt zwischen Macht und Subjektivität und ermöglicht zu untersuchen, „wie
Herrschaftstechniken sich mit ,Praktiken des Selbst‘ verknüpfen und Formen poli-
tischer Regierung auf Techniken des ,Sich-selbst-Regierens‘ zurückgreifen“, so
Lemke (2005, S. 334). Für Waitz, der den foucaultschen Regierungsbegriff mit
dem Schichtungsmodell zusammendenkt, problematisieren die gegenwärtigen Dis-
kurse um das „Unterschichtenfernsehen“ eine Regierung des Selbst, denn Fernsehen
als soziale Dienstleistungsagentur appelliert direkt an die Technologie des Selbst und
trägt so dazu bei, das Gestalten von sozialen Beziehungen und Verhaltensmustern
durch Wissensproduktion und regulierende Interventionen machbar erscheinen zu
lassen (Waitz 2014, S. 33).
Einen feministischen Klassenansatz verfolgt McRobbie (2010, S. 169), indem sie
sich mit der zunehmenden Feminisierung gesellschaftlicher Klassenkategorien und
-grenzen und deren Materialisierung im weiblichen Körper auseinandersetzt. Klassen-
grenzen werden an den Körpern der Frauen festgemacht und Klassenkonflikte über
das kulturelle Kapital in populären Fernsehformaten ausgetragen. McRobbie, die an
Bourdieu anknüpft, spricht in diesem Zusammenhang von vergeschlechtlichter Klasse
und legt den Fokus darauf, „wie Frauen als Protagonistinnen ihrer Klasse und als
798 I. Voglmayr

vergeschlechtlichte Subjekte auftreten – in eigener Sache, also unabhängig von ihrem


Status als Ehefrauen, Mütter oder Töchter“ (McRobbie 2010, S. 169).

3 Mediale Repräsentationen

Ein zentraler Ort gegenwärtiger Repräsentationen von vergeschlechtlichter Klasse in


medialen Erzählungen im deutschsprachigen Fernsehen ist das Scripted-Reality-TV.
Es handelt sich hierbei um Sendeformate, die aufgrund ihrer Vermischung von
Fakten und Fiktionen einen Hybridcharakter aufweisen, indem Laiendarsteller_in-
nen einem vorgegebenen Drehbuch folgend in Orientierung an ihrem Klassenhabi-
tus, Milieu und in teilweise freier sprachlicher Form alltagsnahe Geschichten dar-
stellen, die mit dokumentarischen Gestaltungsmitteln und in der Ästhetik von
nonfiktionalem Reality-TV präsentiert werden (Klug und Schmidt 2014, S. 110).
Vorherrschend sind Angehörige der unteren Klasse, die mit einem klassenspezi-
fischen Habitus ausgestattet werden, auch wenn einzelne Formate unterschiedliche
soziale Herkünfte aufweisen und nicht jede TV-Protagonistin als „chancenloses
Opfer“ gesehen werden kann (Seier 2014, S. 45). Mit unterschiedlichen Begrifflich-
keiten wie „Lifestyle-TV“ (McRobbie 2010) oder „Fernsehen als Mikropolitiken“
(Seier und Surma 2008) bezeichnet, wird diesen Fernsehformaten der Anspruch und
das Potenzial einer sozialen Dienstleistungsagentur zugeschrieben (Seier und Waitz
2014), indem es Wissen über bestimmte Themen wie Schulden, Schwangerschaften,
Schönheitseingriffe für Angehörige bildungsferner Klassen vermittelt, das nicht in
Schulen gelehrt wird und so die Einübung von Kompetenzen der Selbstführung und
-optimierung unterstützt. Das zur Verfügung gestellte Wissen wird nun, im Unter-
schied zu den klassischen Ratgebersendungen, für die Kandidat_innen am und mit
dem eigenen Körper nachvollziehbar und „erlebbar“ gemacht, so Seier und Surma
(2008, S. 175), und geht mit einem gewissen sozialen Mobilitätsversprechen einher.
Je nach Format werden die Teilnehmer_innen in Fragen der Lebensführung von
Mittelklasse-Berater_innen im Fernsehen angeleitet, um das Ziel bürgerlicher Nor-
men und Wertvorstellungen zu erreichen. Ein besonderes Merkmal ist dabei die
mediale Vorführung ihres Klassenhabitus gepaart mit Demütigungsritualen und
spezifischen Abwertungsstrategien, ein Muster, das gegenwärtig die zeitgenössische
Unterhaltungskultur durchzieht (McRobbie 2010; Knop 2012; Voglmayr 2015a,
2018; Thiele 2017). Reality-Fernsehen vergegenwärtigt Lebenswelten, die oftmals
im realen sozialen Umfeld der Zuschauer_innen abwesend sind, und hätte somit das
Potenzial, den Zugang und die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit Unbekann-
tem zu eröffnen, indem es Einblicke in Alltagshandlungen, in gelebte Erfahrungen,
in die prekäre Lebensweise der Herkunftsklassen gewährt. Solche Ansprüche, eine
bestimmte Lebensweise zu verstehen und bestimmte Lebenspraktiken anzuerken-
nen, haben einst die Cultural Studies in Bezug auf die Arbeiter_innenklasse formu-
liert (Mikos 2001, S. 324). Als Repräsentationen korrespondieren Fernsehtexte mit
gesellschaftlichen Strukturen, in den Texten werden Herrschaftsverhältnisse mani-
festiert, und darin liegt auch die ideologische Komponente (Mikos 2008, S. 46). Mit
Blick auf die Rolle und Funktion von Fernsehen sprechen Seier und Waitz (2014)
Klasse und Geschlecht. Zur Repräsentation von vergeschlechtlichter Klasse . . . 799

von einer „Klassenproduktion“, entsprechend geht es in der Problematisierung von


Fernsehen „um weitreichende sozioökonomische und politische Kämpfe, die auf
gesellschaftliche Teilhabe zielen und in Form von Klassendifferenzen wirksam
werden“ (Seier und Waitz 2014, S. 13).
Einblicke in die soziale Welt der englischen Arbeiter_innenklasse gewähren uns
Autorinnen wie McRobbie (2010) und Walkerdine (2011) in ihren Arbeiten zu
Lifestyle-TV und Filmproduktionen wie Rocky II. Es war vor allem Angela McRob-
bie (2010), die mit ihrem Beitrag What not to wear eine genaue gesellschaftliche
Analyse des „neuen Frauengenres“ Liftstyle-TV vorgelegt hat, indem sie Bourdieus
Thesen, die auf die enorme Bedeutung von Lifestyle und Konsumkultur für die
postfordistische kapitalistische Ökonomie verweisen, für ihre spezifische feministi-
sche Analyse der Klassenproduktion in der Populärkultur fruchtbar gemacht hat.
Walkerdine, die u. a. auf den Ansatz der Psychoanalyse sowie auf linke und
feministische Psychologie zurückgreift, setzt Subjektivität und Subjektivierung,
Gender und Klassenzugehörigkeit als wissenschaftliche Schwerpunkte und hinter-
fragt in ihren Arbeiten kritisch die Art und Weise, wie die Wissenschaft die Arbei-
ter_innenklasse sieht, erforscht und damit diskursiv konstituiert (Hipfl und Marschik
2011, S. 33). Exemplarisch dafür steht die Rezeption des Hollywoodfilms Rocky II
durch eine englische Arbeiter_innenfamilie, anhand der sie zu verdeutlichen ver-
sucht, wie der zentrale Begriff Kämpfen im Boxerfilm als eine Beziehungsform in
häusliche Praxen Eingang findet und sich auf die Familie in spezifischer Form
auswirkt. In der Auseinandersetzung mit klassenspezifischen Formen von Männ-
lichkeit wirft für Walkerdine körperliche Gewalt die Frage der Machtlosigkeit auf,
die sie letztlich im Kämpfen als symbolischem Sieg über die erniedrigende gesell-
schaftliche Unterdrückung beantwortet sieht (Walkerdine 2011, S. 60–62).

3.1 Die Inszenierung von vergeschlechtlichter Klasse im


Reality-TV

Die Repräsentation sozialer Realität, sei es in Form von Erzählungen aus dem
Arbeiter_innenleben oder von sozialen Randgruppen, vor allem eingepasst in die
fiktionale Sendeform des Fernsehspiels, war in der Geschichte des Deutschen
Fernsehens in den 1960er-Jahren durchaus ein Themenschwerpunkt (Bleicher 2014,
S. 78). Mit der strategischen Anpassung der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten an
die drohende Konkurrenz kommerzieller Programmanbieter in den 1980er-Jahren
erfolgte allerdings eine Abkehr vom Konzept gesellschaftskritischer Unterhaltung.
Erst seit der Jahrtausendwende werden neue Formate zur Darstellung des Sozialen
entwickelt, die scheinbar dokumentarische Einblicke in die soziale Realität der
unteren Klassen vermitteln (Bleicher 2014, S. 81). Nach dem medialen Verschwin-
den der Arbeiter_innenklasse tauchen nun die „Prekären“ als neue Protagonist_in-
nen und zugleich als neue „Unterklasse“ in den Reality-Formaten auf, wenngleich
Prekarität nicht auf ein reines Unterschichtenphänomen reduziert werden kann.
Prekarisierung bedeutet nicht nur mangelnde Absicherung durch Lohnarbeit, son-
dern „umfasst als Verunsicherung und Gefährdung die gesamte Existenz, den Kör-
800 I. Voglmayr

per, die Subjektivierungsweisen“ (Lorey 2012, S. 13). In den letzten Jahren hat
insbesondere der österreichische Privatsender ATV Reality-Formate entwickelt, die
auf prekäre Lebens- und Arbeitswelten abzielen und damit Fragen zur medialen
Wissensvermittlung über soziale Klassen sowie zum Akt sozialer Klassifizierung
aufwerfen.
Zu den Sozialfiguren, die den Zustand der Lebenswelten des abgehängten
Prekariats repräsentieren, zählen dann Teenager-Mütter (Voglmayr 2015a, b),
Gemeindebau-Bewohner_innen (Voglmayr 2018) oder Jugendliche (Seier 2014),
die entweder via Fernsehen Handlungsanweisungen zur Verbesserung ihrer sozialen
Lage erhalten oder einfach in ihrem (Ausgeh-)Alltag dargestellt werden. Keine
zentrale Rolle spielt in diesen Formaten die Verschränkung von „Rasse“ und Klasse,
„Whiteness“ als unsichtbare und unmarkierte Norm durchzieht diese Sendungen.
Eine Ausnahme stellt allerdings das ATV-Format Das Geschäft mit der Liebe dar,
das „einsame“ und „liebeshungrige“ österreichische Männer auf der Suche nach
Frauen in Osteuropa begleitet. Gemäß dem stereotypen Ost-West-Gefälle werden
aus der männlichen Perspektive Frauen aus dem Osten als käuflich, konsumhungrig,
unterwürfig und nicht feministisch „infiziert“ dargestellt, das Ziel verfolgend, über
österreichische Männer in den Genuss des westlichen Lebensstils zu gelangen. Hier
manifestieren sich normative Vorstellungen und Fantasien von Weiblichkeit in den
Beschützer- und Versorgerkonstruktionen westlicher Männer, die folglich aus dem
reichhaltigen „Warenangebot Frau“ auswählen können.
Voglmayr hat im Rückgriff auf McRobbies Ansatz der vergeschlechtlichten
Klasse die Lebenswelten des abgehängten Prekariats auf ATV untersucht und auf-
gezeigt, wie in unterschiedlichen Repräsentationsformen des Sozialen Klassendis-
kriminierung, zeitgenössische Unterhaltungskultur und Quote als Herrschaftsinstru-
ment zusammenwirken. Die untersuchten Formate verhandeln das brisante soziale
Thema „Jugendschwangerschaften“ bzw. dringen in die realen Lebenswelten von
Gemeindebau-Bewohner_innen ein. In beiden populärkulturellen Medienformaten
werden uns Protagonist_innen aus den unteren Gesellschaftsschichten, ausgestattet
mit einem klassenspezifischen Habitus entlang von Stereotypisierung und Stigmati-
sierung vergegenwärtigt. In ihrer Repräsentationsanalyse der erfolgreichen Doku-
Soap Teenager werden Mütter verfolgt Voglmayr (2015a, b) den Verlauf der medial
konstruierten Intersektionen zwischen Klasse und Geschlecht. So wird die anfäng-
liche produktive Wissensvermittlung über Verhütungsmethoden, Abtreibung, frühe
Schwangerschaft und Geburt an prekäre junge Frauen zunehmend durch die Dar-
stellung von „sozialer Verwahrlosung“ als bestimmendes Klassenmerkmal in den
späteren Staffeln abgelöst. Auf die zunächst angebotene Bereitstellung von Optionen
zur (Selbst-)Bearbeitung des Themas sowohl für die Kandidat_innen als auch für die
Rezipient_innen folgt eine schnelle Wende hin zur Darstellung „obszöner“, „früh-
reifer“ Sexualität, erlittener Gewaltbeziehungen und zeitweiliger Obdachlosigkeit
(Voglmayr 2015b, S. 49–50). Mediale Inszenierungen wie diese reproduzieren einen
Diskurs über jugendliche Mutterschaft, der über die Grenzen von Klasse und
Ethnizität hinweg „mit einem ganzen Set negativer Bedeutungen von gescheiterter
Weiblichkeit und mangelnder Rücksichtnahme auf das Kindeswohl versehen“ ist
(McRobbie 2010, S. 124).
Klasse und Geschlecht. Zur Repräsentation von vergeschlechtlichter Klasse . . . 801

Männliche Protagonisten, konkret Gemeindebau-Bewohner, werden vor allem


durch den Gebrauch von regionalen Dialekten, Schimpforgien, durch deviante
Verhaltensweisen wie Alkoholismus und Arbeitsverweigerung verknüpft mit ver-
wahrlosten, unaufgeräumten Wohnungen klassenspezifisch charakterisiert und so
auf ihre Stellung im sozialen Raum verwiesen. Voglmayr (2018) analysiert im
ATV-Format Wir leben im Gemeindebau den wechselseitigen Konstitutionsprozess
von marginalisierten Körpern und gesellschaftlichen Räumen, in dem zum einen
Räume ihre Bedeutungen durch die Nutzung durch verschiedene Personengruppen
zugeschrieben bekommen, zum anderen Räume und ihre Bedeutung wichtiger
Bestandteil im Prozess von Identitätskonstruktionen sind. Sie verweist dabei auf
die Unterschiede in Konstruktionen von Männlichkeiten in Raum und Zeit. So wird
einerseits der stolze, klassenbewusste Proletarier abgelöst durch die klassistische
Darstellung des vulgären, zumeist betrunkenen, arbeitslosen Gemeindebau-Proleten.
Andererseits wird der Gemeindebau, das Kernstück der Wohnbaupolitik des „Roten
Wien“, als Ort sozialer Marginalität inszeniert. Zum Verhältnis von Fernseh- und
Alltagsrealitäten fragt Voglmayr weiters, welche affektive und soziale Bedeutung
mediale Bilder von marginalisierten Männlichkeiten im Gemeindebau für Rezi-
pient_innen haben, die selbst im sozialen Wohnbau leben. Auffallend ist in den dazu
durchgeführten qualitativen Interviews, dass die imaginierte „Natürlichkeit“ der
Klassen im sozialen Wohnbau bei fast allen Befragten zu Strategien der Distanzie-
rung und Relativierung führt (Voglmayr 2018, S. 287).
Für Seier (2014, S. 45) ruft das „Sichtbarwerden eines expressiv auftretenden
Prekariats“ im Fernsehen vor allem eine Irritation der Geschmacksgrenzen der Mittel-
klasse verbunden mit entsprechenden Abgrenzungsstrategien hervor. Auch sie nimmt
männliche, zumeist betrunkene, Jugendliche, die sich mit sexistischen und vulgären
Verhaltens- und Redeweisen bei ihren wöchentlichen Ausgeh-Eskapaden in Szene
setzen, in den Blick. In ihrer kurzen Abhandlung des ATV-Formats Saturday Night
Fever thematisiert sie aber, im Unterschied zu Voglmayr, die Unterminierung des
Feminismus in der Populärkultur nicht. Vielmehr sieht sie in der Häufigkeit, mit der
diese Redensarten zitiert und wiederholt werden, die Attraktion und Unterhaltungs-
qualität dieser Redensarten, „die auch bei den Gegner_innen des Formats noch ihre
Spuren hinterlassen“ (Seier 2014, S. 47).
Im vorherrschenden Zusammendenken von Prekarität und Unterschicht spielen
Hartz-IV-Empfänger_innen und prekäre Arbeitswelten – letztere werden insbeson-
dere in der deutschen Fernsehlandschaft durch eine Vielzahl an Jobvermittlungs-
formaten innerhalb des Genres Reality-TV repräsentiert –, eine zentrale Rolle (Knop
2012). Eine hochproblematische mediale Verbreitung von Repräsentationsweisen
von Arbeitskulturen und eine moralische Abstrafung der sozial benachteiligten
Bewerber_innen sieht Knop (2012, S. 17) im jugendaffinen Jobvermittlungsformat
Deine Chance! 3 Bewerber – 1 Job (ProSieben), das stark begrenzt ist auf Arbeits-
bereiche, die keinen Schulabschluss oder lediglich eine niedrige formale Schul-
bildung voraussetzen. Stilisierte Konkurrenzkämpfe und Selektionsprozesse unter-
streichen hier den engen Konnex zwischen dem Genre Reality-TV und den
strukturellen Anforderungen einer neoliberal geprägten kapitalistischen Arbeitswelt.
Formen des medialen Klassismus hinterfragt auch Thiele (2017) in der Her- und
802 I. Voglmayr

Darstellung von sichtbarer Armut in privat-kommerziellen Sendern anhand des


Formats Hartz und herzlich (RTL2). Ausgehend von der Ambivalenz von Sicht-
barkeit und Anerkennung von Armut zeigt sie auf, wie der massive Rückgriff auf
Klassenstereotype einer anerkennenden Sichtbarkeit entgegensteht.

3.2 Reality-TV aus der Perspektive der Gouvernementalität

Explizit auf Foucaults Gouvernementalitätsansatz beziehen sich die Studien von


Seier und Surma (2008), Thomas (2008) und Villa (2008). Foucault geht von keiner
Zwangspraxis, sondern von einer Praxis der Selbstformierung des Subjekts aus, von
der Arbeit des Selbst an sich selbst, die er aber nicht als Prozess der Befreiung,
sondern als eine Suche nach der Definition der Praktiken der Freiheit versteht
(Foucault, 2005, S. 276). Autor_innen wie Thomas (2008) und Waitz (2014) stellen
eine theoretische Verknüpfung zwischen dem Regierungsbegriff und dem Schich-
tenmodell bzw. sozialer Ungleichheit her. Waitz (2014, S. 32) weist beispielsweise
darauf hin, dass „Unterschicht“ innerhalb des Regierungsmodells einen Gegen-
standsbereich darstellt, der durch vielfältige Strategien und Technologien erkannt,
bearbeitet und kontrolliert wird.
Es sind vor allem Schönheitsformate, die einerseits kritische Fragen nach dem
Verhältnis von Selbst- und Fremdbestimmung der Kandidat_innen, andererseits
nach Praktiken der Selbstführung und Selbstenthüllungen aufwerfen (Villa 2008;
Seier und Surma 2008). Von einer Praxis der Selbstformierung des Subjekts gehen
Seier und Surma (2008, S. 175–177) in ihrer Untersuchung des Makeover-Formats
The Swan – endlich schön aus. Anhand dieses Schönheitsformats untersuchen sie die
Beziehung zwischen Selbst- und Medientechnologien auf ihr wechselseitiges Kon-
stitutionsverhältnis hin und argumentieren, dass weder von einer Manipulation bzw.
Kolonisierung des Selbst durch das Reality-Fernsehen noch von einer vollständigen
Auflösung des Lebens im Medium Fernsehen und des Fernsehens im Leben die
Rede sein kann. Während Seier und Surma (2008, S. 180–181) das Aufgreifen von
Problemlagen und Selbstdiagnosen der Kandidatinnen für notwendig erachten, weil
nur so in diesem „Mitmach-Angebot“ die mediale Herstellung des defizitären Vorher
in ein optimiertes Nachher des Selbst überführt werden kann, werden diese Selbst-
enthüllungen von Autorinnen wie McRobbie als Demütigungsrituale und Vorfüh-
rung eines Klassenhabitus interpretiert. Hinsichtlich individueller Körper-Entschei-
dungen in diesen Formaten geht Villa (2008, S. 268) von der Gleichzeitigkeit von
Selbstermächtigung und Anpassung an vorherrschende Normen der „normalen“
Geschlechtlichkeit aus. McRobbie (2010, S. 166) hingegen betont den Zwang, der
auf Frauen aus den arbeitenden Klassen ausgeübt wird, um unerreichbare Weiblich-
keitsnormen erfüllen zu müssen, verbunden mit dem Streben nach „glamouröser
Individualität“. Trotz unterschiedlicher Bewertungen fokussieren alle angeführten
Autorinnen die (Re-)Produktion von normierten Weiblichkeitsentwürfen gepaart mit
einem (paradoxen) Individualitäts- und Glücksversprechen in diesen Verschöne-
rungsprogrammen.
Klasse und Geschlecht. Zur Repräsentation von vergeschlechtlichter Klasse . . . 803

Inwieweit diese medial angebotenen Modelle zur Lebensführung realisierbar sind


– durch die harte Arbeit am Selbst, bei gleichzeitig nicht zur Verfügung stehenden
Kapitalien –, hinterfragt auch Thomas (2008). In Bezug auf Bröcklings unterneh-
merisches Selbst unter Rekurs auf Foucault fokussiert sie in der Sendung Das Model
und der Freak den Individualisierungsprozess sowie die Anschlussfähigkeit von
Lifestyle-TV an Alltagserfahrungen. Allerdings stellt Thomas (2008, S. 239–240)
abschließend der Abqualifizierung solcher Sendungen, in diesem Fall aufgrund der
Einübung in hegemoniale Männlichkeitspraktiken und sexistisches Denken, unter-
schiedlich positionierte Rezipient_innen entgegen und wirft abermals die Frage nach
der Popularität solcher Formate auf. Eine Antwort auf die Popularität von Reality-
TV ist sicherlich die vorübergehende „Prominenz“ als neoliberale Form der Selbst-
technik für Angehörige der benachteiligten Schichten (Sauer, zit. nach Thomas
2009, S. 68). Reckwitz (2017, S. 355) argumentiert, dass die neue Unterklasse in
der Kultur der Spätmoderne in all ihren Facetten zu einem Gegenstand negativer
Kulturalisierung und Entvalorisierung in Relation zum Lebensstil der neuen Mittel-
klasse geworden ist. Aufgrund dieser kulturellen Entwertung setzen dann auch Teile
der unteren Klasse auf „Gegenstrategien der Singularität und Authentizität“ (Reck-
witz 2017, S. 361), allerdings anders als die akademische Mittelklasse: Nicht über
Bildung, sondern über die Imagination des „singulären Aufstieges qua Talent oder
qua Körper“ wird durch die Teilnahme an den vielen Casting-Shows der soziale
Anerkennungsgewinn gesucht.

4 Fazit und Ausblick

Eine zentrale Fragestellung, die mit dem Phänomen Realitätsfernsehen einhergeht


und die nach einer vertiefenden Auseinandersetzung verlangt, ist die Einpassung in
die neoliberale Unterhaltungskultur (McRobbie 2010; Gill 2016). Voraussetzung,
um die gegenwärtige Medienkultur und Medienproduktionen angemessener ana-
lysieren zu können, ist ein neues Verstehen des Postfeminismus, der sowohl femi-
nistische als auch anti-feministische Diskurse vermischt. Gill (2016, S. 542) sieht die
postfeministische Medienkultur durchzogen von einer allgegenwärtigen Sexualisie-
rung, mit Schwerpunkt auf Konsum und Kommerzialisierung von Differenz. In
postfeministischen Diskursen, die geprägt sind von starken und anhaltenden Un-
gleichheiten und Exklusionen in Bezug auf Gender, Klasse und „Rasse“ haben sich
Ironie und Spaß zu einem Modus entwickelt, der es erlaubt, sexistische oder
klassistische Äußerungen zu machen, ohne es auch „wirklich so zu meinen“. Indem
diese scherzhaften Anspielungen auf dem realen Vorhandensein von Sexismus und
Klassismus basieren, werden diese Kategorien und Verhältnisse reproduziert und
durch das Lachen normalisiert (Hall 1989, S. 164). Während Seier (2014, S. 45) in
diesem Zusammenhang dafür plädiert, die Ambivalenz von „Selbstdarstellung und
Beobachtung, Stolz und Bestrafung, Expressivität und sadistischer Ausstellung“
genauer in den Blick zu nehmen, sprechen McRobbie und andere explizit von
klassistischen Darstellungsweisen. Wird doch durch solche defizitären Repräsenta-
tionen, mit denen die herrschende Klassengesellschaft auch im sogenannten privaten
804 I. Voglmayr

Bereich durch Alltagspraktiken abgesichert wird, ein soziales Wissen über Klassen-
verhältnisse produziert, das weit über die Grenzen des ritualisierten Fernsehgenres
hinausgeht und die Klassenverhältnisse legitimiert, so McRobbie (2010, S. 181).
Aus dem Blick geraten im Diskurs zu Reality-TV bisher vor allem die Ausbeu-
tungslogiken der Fernsehsender (Voglmayr 2015b, S. 51). Im Spannungsfeld von
prekärer Arbeit und sozialer Anerkennung müssen die monate- und oftmals jahre-
langen Fernsehauftritte von marginalisierten Kandidat_innen, die keineswegs nur
„Medienopfer“ sind und die den TV-Anstalten durch ihre intimen Enthüllungen zu
hohen Einschaltquoten verhelfen, einer genaueren Analyse unterzogen werden. Für
eine entsprechende Analyse kann das Konzept der „affektiven Arbeit“ nutzbar
gemacht werden, denn gerade in der Unterhaltungsindustrie steht die Erzeugung
und Handhabung von Affekten, ähnlich wie bei der Sorgearbeit, im Mittelpunkt
(Hardt und Negri 2002, S. 304). Hipfl (2014) und Seier (2014) haben dieses Konzept
in die österreichische Kommunikations- und Medienwissenschaft eingeführt, weil in
der verstärkten Auseinandersetzung mit den körperlichen, sinnlichen Aspekten die
Möglichkeit gegeben ist, komplexere und differenziertere Einsichten für medien-
und kommunikationswissenschaftliche Fragen zu gewinnen (Hipfl 2014, S. 17).
Beide Autorinnen verweisen einerseits auf das Fernsehen als „affektive Heimarbeit
am Monitor“, andererseits auf die Teilnahme am Reality-Fernsehen als eine Form
immaterieller Arbeit und fragen, wie sich diese beiden Arbeitsformen zueinander
verhalten. Affekte erzeugen Gefühle des Behagens, der Spannung, der Befriedigung,
der Erregung, die bei den Rezipient_innen entstehen können, affektive Arbeit
wiederum produziert soziale Netzwerke und Formen der Gemeinschaft, wie sich
etwa anhand diverser Diskussionsforen zu den jeweiligen TV-Formaten ablesen lässt
(Seier 2014). Die Teilnahme an Reality-Sendungen, konkret das Verhältnis von
Drehzeiten, Honoraren und (nachhaltigem) Anerkennungsgewinn für die Teilneh-
mer_innen, stellt Voglmayr (2015b, S. 51) zur Diskussion. Sind doch Wissenserwerb
und Aneignungspraktiken im Zusammenhang mit dieser medialen „Pädagogik“
auch in Zweifel zu ziehen. Fernsehen als Diskursgenerator und Diskursgegenstand
wirft dann im Kontext der Prekarisierung Fragen auf, die einerseits auf die Heraus-
bildung neuer beruflicher Identitäten bzw. Berufsfelder zielen, andererseits auf den
ökonomischen Anteil an diesen Erfolgsproduktionen verweisen, werden doch durch
die Verführung zu Selbstenthüllungen auch Daten für die Werbeindustrie preisgege-
ben (Müller, zit. nach Hipfl 2014, S. 16).

Literatur
Bergermann, Ulrike, und Andrea Seier. 2018. Klasse. Einleitung in den Schwerpunkt. Zeitschrift für
Medienwissenschaft 10(2): 10–21.
Birkner, Martin. 2015. Ausbeutung oder Respektlosigkeit? Eine postoperaistische Kritik am
Klassismus-Diskurs. Kurswechsel. Zeitschrift für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpoliti-
sche Alternativen 4:32–38.
Bleicher, Joan Kristin. 2014. Zwischen Propagandainstrument und Akteur des sozialen Wandels.
Zur historischen Entwicklung von Konzepten und Angebotsformen der Repräsentation des
Klasse und Geschlecht. Zur Repräsentation von vergeschlechtlichter Klasse . . . 805

Sozialen im Fernsehen. In Klassenproduktion. Fernsehen als Agentur des Sozialen, Hrsg.


Andrea Seier und Thomas Waitz, 73–86. Münster: LIT.
Bourdieu, Pierre. 1987. Die feinen Unterschiede. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Bröckling, Ulrich. 2007. Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform.
Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Foucault, Michel. 2005. Analytik der Macht. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Geiling, Heiko. 2004. Klassenanalyse des Alltags – „Die feinen Unterschiede“. In Pierre Bourdieu.
Politisches Forschen, Denken und Eingreifen, Hrsg. Margareta Steinrücke, 34–46. Hamburg: VSA.
Gill, Rosalind. 2016. Postfeministische Medienkultur. Elemente einer Sensibilität (2007). In Gen-
der & Medien-Reader, Hrsg. Kathrin Peters und Andrea Seier, 541–556. Zürich/Berlin: dia-
phanes.
Goldmann, Julia Elena. 2018. Die Verwobenheit von Klasse, Körper und Geschlecht. Eine ver-
gleichende Filmanalyse von Darren Aronofskys Filmen „The Wrestler“ und „Black Swan“. In
Kommunikationswissenschaftliche Gender Studies. Zur Aktualität kritischer Gesellschafts-
analyse, Hrsg. Ricarda Drüeke, Elisabeth Klaus, Martina Thiele, und Julia Elena Goldmann,
259–274. Bielefeld: transcript.
Gouma, Assimina, und Vina Yun. 2015. Klasse – Klassismus – Klassenkampf. Editorial. Kurs-
wechsel. Zeitschrift für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen 4:3–5.
Hall, Stuart. 1989. Ideologie, Kultur, Rassismus. Ausgewählte Schriften 1, 150–171. Hamburg:
Argument.
Hardt, Michael, und Antonio Negri. 2002. Empire. Die neue Weltordnung. Frankfurt/New York:
Campus.
Hipfl, Brigitte. 2014. Zur „affektiven“ Arbeit von Medien. Herausforderungen für die Kommuni-
kations- und Medienwissenschaft. Medien Journal – Zeitschrift für Kommunikationskultur
38(2): 5–19.
Hipfl, Brigitte, und Matthias Marschik. 2011. „A Fan of Shocking Pink!“: Valerie Walkerdine –
Eine Einführung. In Valerie Walkerdine. Subjektivität, Feminismus, Psychoanalyse, Hrsg.
Brigitte Hipfl und Matthias Marschik, 9–44. Wien/Berlin: Turia + Kant.
hooks, bell. 2000. Where we stand: CLASS MATTERS. New York/London: Routledge.
Kadritzke, Ulf. 2017. Mythos „Mitte“. Oder: Die Entsorgung der Klassenfrage. Berlin: Bertz +
Fischer.
Kemper, Andreas, und Heike Weinbach. 2009. Klassismus. Eine Einführung. Münster: Unrast.
Klaus, Elisabeth. 2015. Klasse. In Handbuch Cultural Studies und Medienanalyse, Hrsg. Andreas
Hepp, Friedrich Krotz, Swantje Lingenberg, und Jeffrey Wimmer, 39–47. Wiesbaden: Springer VS.
Klaus, Elisabeth, und Jutta Röser. 2008. „Unterschichtenfernsehen“: Beobachtungen zum Zusam-
menhang von Medienklassifikationen und sozialer Ungleichheit. In Medien – Diversität –
Ungleichheit. Zur medialen Konstruktion sozialer Differenz, Hrsg. Ulla Wischermann und Tanja
Thomas, 263–279. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Klug, Daniel, und Axel Schmidt. 2014. Scripted Reality-Formate im deutschsprachigen Fernseh-
programm. Trinationale Programmanalyse und Konzeption einer kombinierten Produkt- und
Produktionsanalyse. Studies in Communication Sciences 14(2): 108–120.
Knop, Karin. 2012. Arbeitsvermittlung im Genre Reality TV. Mediale Repräsentationen zwischen
Motivierung, Disziplinierung und Stigmatisierung. Medien Journal – Zeitschrift für Kommuni-
kationskultur 36(1): 5–19.
Lemke, Thomas. 2005. Nachwort: Geschichte und Erfahrung. Michel Foucault und die Spuren der
Macht. In Analytik der Macht, Hrsg. Michel Foucault, 319–347. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Lindner, Rolf. 2008. „Unterschicht“. Eine Gespensterdebatte. In Unterschicht. Kulturwissenschaft-
liche Erkundungen der „Armen“ in Geschichte und Gegenwart, Hrsg. Rolf Lindner und Lutz
Musner, 9–17. Freiburg: Rombach.
Lorey, Isabell. 2012. Die Regierung der Prekären. Wien/Berlin: Turia + Kant.
Lünenborg, Margreth, und Elfriede Fürsich. 2014. Intersektionalität und „The Other“: Die komplexe
Verhandlung von Migration, Gender und Klasse in der Produktion und Rezeption deutscher
Fernsehangebote. Medien Journal – Zeitschrift für Kommunikationskultur 38(3): 7–20.
McRobbie, Angela. 2010. Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechter-
regimes. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
806 I. Voglmayr

Mikos, Lothar. 2001. Cultural Studies, Medienanalyse und Rezeptionsästhetik. In Die Werkzeug-
kiste der Cultural Studies. Perspektiven. Anschlüsse und Interventionen, Hrsg. Udo Göttlich,
Lothar Mikos, und Rainer Winter, 323–338. Bielefeld: transcript.
Mikos, Lothar. 2008. Film- und Fernsehanalyse. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft.
Reckwitz, Andreas. 2017. Die Gesellschaft der Singularitäten, 2. Aufl. Berlin: Suhrkamp.
Seier, Andrea. 2014. Subjektivitäten, Körper, Technologien. Der soziale Flow des Fernsehens. In
Klassenproduktion. Fernsehen als Agentur des Sozialen, Hrsg. Andrea Seier und Thomas Waitz,
37–54. Münster: LIT.
Seier, Andrea, und Hanna Surma. 2008. Schnitt-Stellen – Mediale Subjektivierungsprozesse in
THE SWAN. In Schön normal. Manipulationen am Körper als Technologien des Selbst, Hrsg.
Paula-Irene Villa, 173–198. Bielefeld: transcript.
Seier, Andrea, und Thomas Waitz. 2014. Fernsehen als Agentur des Sozialen. Zur Einleitung. In
Klassenproduktion. Fernsehen als Agentur des Sozialen, Hrsg. Andrea Seier und Thomas Waitz,
7–23. Münster: LIT.
Stehling, Miriam. 2014. Diversity for Ratings? Lesarten der Inszenierung von Diversität in der
Rezeption von America’s Next Top Model und Germany’s Next Top Model. Medien Journal –
Zeitschrift für Kommunikationskultur 38(3): 21–32.
Thiele, Martina. 2017. Arm und (un-)sichtbar? Kritik stereotyper Fernseh-Vorführungen. In An-
erkennung und Sichtbarkeit. Perspektiven für eine kritische Medienkulturforschung. Hrsg. Tanja
Thomas, Lina Brink, Elke Grittmann, und Kaya de Wolff, 87–102. Bielefeld: transcript.
Thomas, Tanja. 2008. Leben nach Wahl? Zur medialen Inszenierung von Lebensführung und
Anerkennung. In Medien – Diversität – Ungleichheit. Zur medialen Konstruktion sozialer
Differenz, Hrsg. Ulla Wischermann und Tanja Thomas, 225–243. Wiesbaden: VS Verlag für
Sozialwissenschaften.
Thomas, Tanja. 2009. Michel Foucault: Diskurs, Macht und Subjekt. In Schlüsselwerke der
Cultural Studies, Hrsg. Andreas Hepp, Friedrich Krotz, und Tanja Thomas, 58–71. Wiesbaden:
VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Villa, Paula-Irene. 2008. Habe den Mut, Dich Deines Körpers zu bedienen! Thesen zur Körperarbeit
in der Gegenwart zwischen Selbstermächtigung und Selbstunterwerfung. In Schön normal.
Manipulationen am Körper als Technologien des Selbst, Hrsg. Paula-Irene Villa, 245–272.
Bielefeld: transcript.
Voglmayr, Irmtraud. 2015a. Wenn Teenager Mütter werden. Zur Repräsentation junger prekärer
Mütter im Reality-TV. In Zwischen Gegebenem und Möglichem. Kritische Perspektiven auf
Medien und Kommunikation, Hrsg. Ricarda Drüeke, Susanne Kirchhoff, Thomas Steinmaurer,
und Martina Thiele, 333–344. Bielefeld: transcript.
Voglmayr, Irmtraud. 2015b. Vergeschlechtlichte Klassen. Mediale Repräsentationen prekärer
„Teenager Mütter“. Kurswechsel. Zeitschrift für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpoliti-
sche Alternativen 4:46–52.
Voglmayr, Irmtraud. 2018. Klassismus in der Populärkultur. Schauplatz Gemeindebau. In Kom-
munikationswissenschaftliche Gender Studies. Zur Aktualität kritischer Gesellschaftsanalyse,
Hrsg. Ricarda Drüeke, Elisabeth Klaus, Martina Thiele, und Julia Elena Goldmann, 275–290.
Bielefeld: transcript.
Waitz, Thomas. 2014. „Unterschichtenfernsehen“ – Eine Regierungstechnologie. In Klassenpro-
duktion. Fernsehen als Agentur des Sozialen, Hrsg. Andrea Seier und Thomas Waitz, 25–36.
Münster: LIT.
Walkerdine, Valerie. 2011. In Subjektivität, Feminismus, Psychoanalyse, Hrsg. Brigitte Hipfl und
Matthias Marschik. Wien/Berlin: Turia + Kant.
Winker, Gabriele, und Nina Degele. 2009. Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten.
Bielefeld: transcript.
Alter(n) als soziale Konstruktion – Mediale
Bilder vom Alter(n) im Wandel

Irmtraud Voglmayr

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 808
2 Alter(n) und Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 809
3 Alter(n) im medialen Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 810
4 Darstellung alter Körper in der Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 814
5 Digitale Alter(n)s-Welten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 815
6 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 817
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 818

Zusammenfassung
In den letzten Jahrzehnten haben Medien und Werbung eine Hinwendung zu
älteren Protagonist_innen vollzogen, wenngleich alte Menschen, gemessen an
ihrem wachsenden Bevölkerungsanteil medial immer noch unterrepräsentiert
sind. Veränderungen beziehen sich zudem vor allem auf die „jungen fitten Alten“,
während Darstellungen von Hochaltrigen, insbesondere sehr alten Frauen, wei-
terhin Seltenheitswert besitzen, was sich auch in der kommunikationswissen-
schaftlichen Forschung widerspiegelt. Alter(n) als eine kulturelle und soziale
Konstruktion, die einen historisch veränderbaren Charakter aufweist, wird im
gegenwärtigen Altersdiskurs in ein drittes junges, gesundes Alter und ein viertes
Alter, das stark durch Krankheit, Abhängigkeit und Pflegebedürftigkeit geprägt
ist, eingeteilt. Kommunikations- und medienwissenschaftliche Herangehenswei-
sen setzen sich vor allem mit medialen Repräsentationen der Jungen Alten im
Spannungsfeld von Identifikation, Altersstereotype, Kritik und Ambivalenz aus-
einander. Forschungslücken bestehen hingegen hinsichtlich Rezeption und der
Vielschichtigkeit der Medienaneignungsprozesse durch ältere Menschen; ins-
besondere Fragen geschlechter- und altersgerechter Partizipation an der Netz-
kommunikation stellen weiterhin eine wissenschaftliche Herausforderung dar.
I. Voglmayr (*)
Universität Wien, Wien, Österreich
E-Mail: irmtraud.voglmayr@univie.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 807
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_69
808 I. Voglmayr

Schlüsselwörter
Alter(n) · Repräsentationen · Alter(n)sdiskurse · Junge Alte · Hochaltrige

1 Einleitung

Alter(n) als lebenslanger Prozess ist ein umkämpftes Feld, in dem das Geschlecht
hoch wirksam ist. Ältere Menschen, insbesondere alte Frauen treten, gemessen an
ihrem wachsenden Anteil in der Bevölkerung, medial selten in Erscheinung. Zwar
zeigen Studien zu Geschlechterdarstellungen in audiovisuellen Medien, dass bei
Frauen in den Altersgruppen zwischen 50 und 59 Jahren ein Anstieg von 10 % in
aktuellen fiktionalen Produktionen des Jahres 2020 zu verzeichnen ist, aber ab dem
Alter von 60 Jahren setzt der bekannte Altersgap ein und auf die mediale Repräsen-
tation einer Frau kommen in den Darstellungen drei Männer (Prommer et al. 2021).
Diese Veränderungen in den Einstellungen zum Alter und in Altersbildern in den
Medien in den letzten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts beziehen sich dem-
nach nur auf die „jungen, fitten Alten“, die im Fokus medialer Repräsentationen
stehen (Thiele und Atteneder 2019, S. 170). Bilder über Frauen im hohen Alter
hingegen, sofern es sich nicht um Pflegebedürftige handelt, besitzen immer noch
Seltenheitswert. Diese fehlende mediale Sichtbarkeit von hochaltrigen Menschen,
insbesondere Frauen, spiegelt sich auch im Forschungsstand wider und verweist auf
die anhaltende Stigmatisierung und Marginalisierung des hohen Alter(n)s (Thiele
und Atteneder 2019; Adlung und Backes 2021).
Alter bzw. Altern ist eine kulturelle und soziale Konstruktion, die einen historisch
veränderbaren Charakter aufweist. Alter(n) ist nicht primär von biologischen Pro-
zessen determiniert, sondern von dem Arsenal an sozio-kulturellen Bedeutungen,
mit denen die biologische Ordnung in eine kulturelle Ordnung übersetzt wird
(Kunow 2005, S. 23). Der Konstruktionsansatz gilt auch für Definitionen des
vermeintlich „natürlichen“ (und unausweichlichen) körperlichen Alterungsprozes-
ses, denn diese Definitionen werden ebenfalls im Kontext des demographischen
Wandels, der wiederum auf verbesserte Lebens- und Hygienebedingungen in unse-
ren westlichen Gesellschaften zurückzuführen ist, neu gefasst. Im gegenwärtigen
Altersdiskurs hat sich eine analytische Zweiteilung der Altersphase in ein drittes
junges, gesundes Alter und ein viertes Alter, das stark durch Krankheit, Abhängig-
keit und Pflegebedürftigkeit geprägt ist, durchgesetzt (Kunow 2005; Schroeter 2009;
van Dyk und Lessenich 2009; Mehlmann und Ruby 2010; Dederich 2010). Diese
diskursive Zweiteilung ist auf westliche Altersdenktraditionen zurückzuführen, in
denen sich kulturell verankerte Alterungsprozesse immer schon zwischen negativen
und positiven Alter(n)sdiskursen bewegt haben (Birkenstock 2000). Kulturelle Er-
zählungen über Altern werden überwiegend und nach wie vor als binäre Oppositio-
nen – als Verfalls- oder als Erfolgsgeschichte, als Defizit- oder Kompetenzzuschrei-
bung – einander gegenübergestellt. In dieser Tradition der binären Altersreflexionen
lassen sich auch die Arbeiten zweier Klassikerinnen der „Feminist Age Studies“
einordnen: Simone de Beauvoir, die einen negativistischen Ansatz vertritt, und Betty
Alter(n) als soziale Konstruktion – Mediale Bilder vom Alter(n) im Wandel 809

Friedan, die mit dem sogenannten Kompetenzansatz in der optimistischen Tradition


des Denkens über das Altern zu verorten ist (Beauvoir 2000; Friedan 1997). Pro-
blematisch an dieser Zweiteilung des Alters und an allen Alterseinteilungen ist, dass
sich nun in der Definition des vierten Alters, den sogenannten Hochaltrigen, alle
Negativbilder, die wir vom Altern haben, konzentrieren (Mehlmann und Ruby 2010;
Dederich 2010). In den westlichen gerontologischen und politischen Diskursen
dominiert das aktive Alter(n), das den Jungen Alten gegen die „negativen“ Kräfte,
die Inaktivität des alten Alters, zugeschrieben wird (Katz 2009, S. 179). Das gesell-
schaftliche Spannungsfeld zwischen Produktivität und Unproduktivität wird nun
durch ein Spektrum von Werten ersetzt, das von Aktivität bis zu Inaktivität reicht
und im Kontext eines niedergehenden Sozialstaats, neoliberaler Politiken und markt-
orientierter Programme, die auf empowerment und Aktivierung zielen, zu begreifen
ist (Katz 2009, S. 179).
Neue Alte, Junge Alte, die dominanten Altenbilder speisen sich aus den uneinge-
schränkten Wünschen und Aktivitäten der Alten, die in Medien, Werbung und im
Netz entsprechend umgesetzt werden. Mit dem demographischen Wandel gehen
neue Zeitkonzepte und Normierungen von Körper(bilder)n einher, die zu einer
stärkeren Dynamisierung und Ausdifferenzierung der Begriffe Alter und Altern
führen (Mehlmann und Ruby 2010; van Dyk und Lessenich 2009). Es sind die
neuen Zeitnormierungen, die bei gleichzeitiger „Entberuflichung“ und „Verjün-
gung“ des Alters weiterhin zu einer binären Alterseinteilung führen. Jung und fit
aussehen, alterslos erscheinen wird ermöglicht durch die Zuhilfenahme medial
vermittelter vielfältiger Praktiken wie Fitness, Anti-Ageing-Kosmetik, Schönheits-
OPs, die zur Gestaltbarkeit des Körpers entlang gesellschaftlich präferierter Norm-
vorstellungen verhelfen, auch wenn sie letztlich auf die „massenhafte Standardisie-
rung und Uniformierung der Körper hinausläuft“ (Schroeter 2009, S. 367).

2 Alter(n) und Körper

Körper sind immer schon sozial bestimmt, es existiert kein zeitlos-natürlicher


Körper. Körperdiskurse sind in den jeweiligen gesellschaftlichen Formationen zu
lesen, sie gehen im neoliberalen Gesellschaftssystem mit dem selbstverantwort-
lichen Individuum einher, das sich verstärkt des eigenen Körpers anzunehmen hat
(Kunow 2005; Schroeter 2009; van Dyk und Lessenich 2009). Der unternehmerisch
verwaltete und gestaltete Körper, der für eine aktive Lebensführung steht, erweist
sich auch im Alter als Distinktionsmedium zur sozialen Positionierung (Schroeter
2009, S. 369). Im Prozess des Älterwerdens fungiert der Körper als entscheidender
Faktor bei der Einstellung zum Alter(n). Das unterstreicht auch die theoretische
Notwendigkeit der Körperdimension, weil Altern ohne Körper weder denk- noch
vorstellbar ist (Derra 2012). Mit der Aufwertung des Körperlichen wird zum einen
der Schein erweckt, das Alter(n) immer weiter hinausschieben zu können, suggeriert
doch der Körper als Kapital den Alten Selbstkontrolle, Selbstgestaltung und Leis-
tungsoptimierung. Zum anderen stehen Körper in enger Verflechtung mit den staat-
lichen, sozialpolitischen Institutionen, die der Durchsetzung von neoliberalen
810 I. Voglmayr

„Wahrheiten“ Akzeptabilität verschaffen. Damit einher geht ein Verfügbarhalten der


Alten als potenzielle Reservearmee für den Arbeitsmarkt und die neue Vereinbarung,
das Soziale im Privaten zu regeln (Katz 2009). Fitnessdiskurs statt Pflegediskurs,
Arbeitsmarkt statt Rentenanspruch, nur intakte und gesunde Körper vermögen ein
attraktives wie marktkonformes Leben im neoliberalen Kapitalismus zu garantieren.
Allzu oft wird dabei vergessen, dass der Körper keineswegs ein rein diskursives
Konstrukt ist, der körperliche Verfall, die Sterblichkeit des realen lebendigen Kör-
pers verweisen auf die Materialität des Körpers (Bublitz 2010, S. 46). Für die
kommunikationswissenschaftliche Forschung ist daher die Annahme einer Verbin-
dung zwischen dem Bild vom Alter, der Einstellung zum Älterwerden und körper-
licher Alterserscheinungen zentral (Derra 2012).

3 Alter(n) im medialen Diskurs

Der in den Printmedien in den 1980er-Jahren dominierende „Defizit-Ansatz“ (Pflege


und Sorge für Alte) verbunden mit einer entsprechenden Visualisierung der alten
Frau, die am Stock geht, eine Kleiderschürze trägt, zumeist auf der Parkbank sitzt
und Tauben füttert, wurde in den 1990er-Jahren abgelöst durch das sogenannte
„Kompetenz-Modell“ (Friedan 1997; Thimm 1999). Gerd Göckenjan (2000) ver-
ortet in seiner Diskursgeschichte des Alter(n)s das aufkommende Interesse der
Medien in Zusammenhang mit den Neuen Alten, die für Konsum und Spaß stehen,
Mitte der 1980er-Jahre. In jener Zeit wurden die „aktiven Senioren_innen“ zu neuen
Medienereignissen, Göckenjan sieht dadurch den Ernst, das Existenzielle des Alters,
bedroht. Das „erfolgreiche Alter(n)“ verlässt die Fachlichkeit, der Ernst hat sich in
private, subjektive Bereiche zurückgezogen, schreibt Göckenjan (2000, S. 406).
Abgelöst werden die Neuen Alten im medialen Diskurs durch die Sozialfigur der
Jungen Alten (van Dyk und Lessenich 2009), sie repräsentieren das dritte, fitte Alter,
also eine ständige Verjüngung des Alters, und erlangen gegenwärtig die Hoheit über
mediale Altersrepräsentationen (Derra 2012; Thiele und Atteneder 2019).
Kommunikations- und medienwissenschaftliche Herangehensweisen setzen sich
vor allem mit der Bedeutung medialer Altersrepräsentationen auseinander, die sich
im Spannungsverhältnis von Identifikation, Altersstereotype, Kritik und Ambivalenz
bewegen. Davon ausgehend, dass durch die enge Verflechtung der Medien mit
gesellschaftlichen Institutionen, Diskursen und sozialen Praxen Geschlechterdiskur-
se nicht nur beeinflusst, sondern auch mitkonstituiert werden (Dorer 2002, S. 55),
richtet sich das medienwissenschaftliche Interesse vornehmlich auf Studien, die die
(Re)Produktion von geschlechtlich codierten Altersbildern als Teil des Altersdis-
kurses analysieren. Anhand zentraler Studien lässt sich vorweg feststellen, dass
Medien und Wissenschaft beim Thema „Altern“ in Verbindung mit kulturellen
Konzeptionen des Weiblichen und des Männlichen vorrangig männliche Junge
Alte in den Fokus nehmen (Thimm 1999; Derra 2012; Thiele und Atteneder 2019)
und eine Verwobenheit mit Strukturkategorien wie „Rasse“ oder Klasse in den
Altersrepräsentationen ausgeblendet wird. Auch werden Handlungsspielräume, die
mit der Aufwertung des Alter(n)s entstanden sind, im Hinblick auf Verschiebungen
Alter(n) als soziale Konstruktion – Mediale Bilder vom Alter(n) im Wandel 811

in den kulturellen Geschlechterkonzeptionen nur marginal wahrgenommen und


finden fast ausschließlich im heteronormativen Kontext in Wort und Bild statt
(Voglmayr 2008; Ternes und Prigge 2013). Neben der Wirkmächtigkeit der hetero-
sexuellen Matrix wird mit gängigen Bildinszenierungen von „fitten, konsumkräfti-
gen Alten“ auch der Diskurs über „Alte als Ausbeuter der Jugend“ in einem sich
zunehmend schwieriger gestaltenden Generationenkontext immer wieder medial
angeheizt und scheint sogar den Topos des positiv besetzten Bildes der Jungen
Alten abzulösen, so Thimm (1999). Während der Forschungsfokus auf die jungen
und fitten Alten gelegt wird, werden hochaltrige Menschen, die dem vierten Alter
zugeordnet werden, „medial in einer dichotomen jung-versus-alt Konstruktion als
Andere markiert“ (Adlung und Backes 2021, S. 79). Mit dieser Konstruktion gehen
alle Negativnarrationen vom Leben im hohen Alter einher, wobei die psychologi-
sche und gesellschaftliche Eindringlichkeit und Wirksamkeit solcher Repräsentatio-
nen mit Prozessen der Körpernormierung verbunden ist, so Dederich (2010, S. 112).

3.1 Alter(n)sdarstellungen in Text und Bild

Welche medialen Bilder des Alter(n)s dominieren in der Öffentlichkeit, wie wird
mittels medialer Repräsentationen gesellschaftliches Wissen über Alter(n) und Ge-
schlecht hergestellt, und in welchem Machtkontext muss dieses Wissen angesiedelt
werden? (Thimm 1999; Hellmich 2007; Voglmayr 2008; Thiele et al. 2013). In einer
der ersten Untersuchungen zu Geschlechtsspezifische[n] Darstellungen von Alter
und Generationenbeziehungen in Medientexten stellte Thimm (1999) fest, dass der
dominierende Defizit-Ansatz – verbunden mit Zeichen des Alters wie graue Haare,
Falten im Gesicht und an den Händen, Gebrechlichkeit und Mobilitätseinschränkung
– zu wenig Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit führt und nach
und nach durch den Kompetenz-Ansatz, der mit dem Aufkommen der Neuen Alten
einhergeht, abgelöst wurde. Diese Unsichtbarkeit betrifft insbesondere die alte Frau,
in ihr spiegelt sich die verdichtete Marginalisierung von Alter(n) und Geschlecht.
Altersdarstellungen in Text und Bild im deutschsprachigen Raum analysiert
einige Jahre später die Soziologin Elisabeth Hellmich (2007) in ihrem Buch forever
young? Die Unsichtbarkeit alter Frauen in der Gegenwartsgesellschaft. Aus einer
differenzfeministischen Perspektive werden erstmals feministische Zeitschriften
und Bilder im Zeitraum 1991–2000 zum Thema Frau und Alter untersucht. Das
Alter(n)sthema war zu dieser Zeit in den feministischen Medien nur marginal
präsent, für die feministische Zeitschrift EMMA stellt sie eine betonte Jugendlich-
keit in Bezug auf ihre Leser_innen und damit auf ihre eigene Jugendlichkeit fest
(Hellmich 2007, S. 135–136). Darüber hinaus analysiert sie auch Karikaturen aus
unterschiedlichen Printmedien und sieht hier eine besondere Engführung von Alters-
bildern im Kontrast zur Vielfalt der realen Lebenswelten. Aus einer intersektionalen
Perspektive (ohne sie damals so zu bezeichnen) begründet Hellmich das Verschwin-
den der alten Frau aus der öffentlichen Wahrnehmung durch deren Position als
Andere basierend auf der Verwobenheit der Kategorien Frau und Alter. Diese
Position als Andere wird markiert durch ihre Geschlechtslosigkeit bedingt durch
812 I. Voglmayr

das Ende der Gebärfähigkeit, durch Ausschlüsse in den androzentrischen Sprach-


regelungen und viele zusätzliche soziale Diskriminierungen infolge ökonomischer
Benachteiligungen (Hellmich 2007, S. 42).
Während Hellmich noch von der Unsichtbarkeit alter Frauen ausgeht, stellt
Voglmayr (2008) in ihrer Untersuchung von zwei österreichischen Magazinen –
NEWS und dem Frauen-Lifestyle-Magazin WOMAN – einen aufkommenden „Pa-
radigmenwechsel“ in der Darstellung des Alters, eine andere Alterswahrnehmung
durch die Medien fest. Zwar dominieren in diesen beiden Boulevardmedien fast
ausschließlich prominente Frauen, zumeist Schauspielerinnen über 60, doch sie
nehmen durchaus unterschiedliche Alters-Subjektpositionen ein. Gleichzeitig führt
diese Fokussierung auf das Außeralltägliche in Verbindung mit dem immer wichti-
ger werdenden Nachrichtenfaktor Prominenz zu einer Ausblendung von Alter(n) im
Alltag (Voglmayr 2008, S. 229). Resümierend stellt sie fest, dass diese „alter(n)slosen,
heterosexuellen, erfolgreichen Frauen“ von beiden Magazinen als Identifikations-
figuren für eine mitwachsende alternde Rezipient_innenschaft angeboten und als
Repräsentantinnen erfolgreichen Alterns in den Medien dargestellt werden. Die
eigentliche Konstruktionsleistung der Medienakteurinnen vom Frauenmagazin
WOMAN besteht darin, den Wunsch der Frauen nach Begehrtwerden auf das Alter
zu übertragen, womit aber auch das heteronormative Blickregime reproduziert wird.
(Voglmayr 2008, S. 229–230).
Einen Höhepunkt zum medialen Alter(n)sthema bildet der 2013 erschienene
Tagungsband „Screening Age“ Medienbilder – Stereotype – Altersdiskriminierung
(Schwender et al. 2013). Darin konstatieren Flicker et al. (2013) in einer Sekundär-
analyse ebenfalls ab dem Jahr 2000 „Anzeichen für einen allmählichen Paradigmen-
wechsel“ im Hinblick auf mediale Repräsentationen. Zum einen verweisen die
Autor_innen auf eine weiterhin deutliche quantitative Unterrepräsentanz von Älte-
ren, oftmals verbunden mit sprachlicher und visueller Diskriminierung, andererseits
beobachten sie eine zunehmend heterogene Darstellung von Alter(n) sowie eine
Auseinandersetzung mit Tabuthemen wie Sexualität und Begehren im Alter. Als
Motiv dieser Repräsentationen wird weniger eine Wertschätzung des Alters, sondern
vielmehr eine medienaffine und konsumfreudige Zielgruppe angeführt (Flicker et al.
2013, S. 34). Mit diesen Visualisierungen gehen immer auch Altersstereotypen
einher, die unsere Bilder vom Altern (re)produzieren (Thiele et al. 2013). Stereotype
als „konkrete, materielle (Sprach-)Bilder in den Medien“, die sowohl in Text und
Bild oder einer Bildfolge vermittelt werden (Thiele 2019, S. 2), können sich ver-
ändern, oder auch ablösen, wie sich am Aufkommen der Sozialfigur Junge Alte
beobachten lässt. Neue Altersstereotypen lösen die traditionellen, eher negativen ab
und verringern gleichzeitig den Handlungsspielraum für die weniger aktiven Alten,
die versuchen, in „Ruhe und Würde zu altern“ (Thiele et al. 2013, S. 49).
Forschungslücken bestehen allerdings hinsichtlich Rezeption und Rezeptions-
arten, die allermeisten Studien und Beiträge – auch im Band Screening Age – setzen
sich mit medialen Alter(n)srepräsentationen auseinander, nur wenige Untersuchun-
gen, wohl auch bedingt durch zeitliche und materielle Ressourcen, liegen zur
Vielschichtigkeit der Medienaneignungsprozesse durch ältere Menschen vor.
Der Zusammenhang von medialem Alter(n) und Schönheitshandeln bzw. schön-
Alter(n) als soziale Konstruktion – Mediale Bilder vom Alter(n) im Wandel 813

heitsbezogenem Selbstmanagement in der neoliberalen Selbstoptimierungsgesell-


schaft spielt in der gerontologischen Forschung mittlerweile eine wichtige Rolle
(Mehlmann und Ruby 2010; Höppner 2011). In einer Fallstudie aus einem größer
angelegten Forschungsprogramm mit dem Titel Wenn ich in den Spiegel gucke, soll
es noch ein kleines bisschen ästhetisch aussehen, arbeiten Reißmann et al. (2013,
S. 221) „die wechselseitige Konstitution der Orientierung an medialen Bildern und
dem eigenen Köpererleben und Schönheitshandeln in lebensgeschichtlicher Hin-
sicht“ heraus. Sie gehen über die aktuelle Forschung, die allgemein einen Zusam-
menhang von medialen Körperbildern und deren Nutzbarmachung für das eigene
Schönheitshandeln und deren Einfluss auf das Köpererleben vermutet, hinaus und
beziehen lebensgeschichtliche Kontinuitäten und Veränderungen mit ein.

3.2 Das vierte Alter oder die Alten Alten

In den bislang ausgewählten kommunikationswissenschaftlichen Forschungen hat


das produktive Alter als soziales Konstrukt neoliberaler Verhältnisse dominiert und
allgemeine Vorstellungen über vergeschlechtlichte Körper, die mit dem Etikett „sehr
alt“ versehen werden, in den Hintergrund treten lassen. Hinter dem „Machen von
alten Körpern“ steht eine „komplexe soziokulturelle Praxis, die über die Semanti-
sierung und Semiotisierung physiologischer Prozesse, zumeist an der Oberfläche“
die Menschen alt macht (Kunow 2005, S. 23). Welche Darstellungsweisen finden
wir vor, wenn es um angstbesetzte, negative Repräsentationen geht, die um Behin-
derung, Krankheit, Verlust, Verfall, Abhängigkeit und Einsamkeit kreisen, vor allem
dann, wenn Gesundheit durch individuelle Lebensführung erlangbar scheint und
Körper längst unter Optimierungszwänge gefallen sind? Alter ist eine Kategorie, von
der alle im Laufe ihres Lebens betroffen sind (Adlung und Backes 2021, S. 78). Die
biografisch sich verändernde und nicht „normale“ Körperlichkeit muss intersek-
tional in der Auseinandersetzung mit Alter und Behinderung gedacht werden (Win-
ker und Degele 2009, S. 49). Verschiedene Studien zu intersektionalen Verwoben-
heiten von Alter, Geschlecht und BeHinderung zeigen, wie die Alten Alten als eine
Problemgruppe gesehen werden, die die Gesellschaft in „hohem Maße belastet“, und
wie sie uns mit einhergehenden Zuschreibungen wie Krankheit, Fremdbestimmung,
Abhängigkeit etc. oft auf beunruhigende und wirklichkeitsmächtige Weise ver-
gegenwärtigt werden (Dederich 2010; Weicht 2013; Menke und Kinnebrock 2016;
Adlung und Backes 2021). Sowohl Weicht (2013), der die Pflegedebatte in österrei-
chischen Tageszeitungen untersucht hat, als auch Menke und Kinnebrock (2016), die
standardisierten Würdekonstruktionen im Hinblick auf Debatten zur Sterbehilfe alter
beHinderter Körper in Wochenzeitungen und Nachrichtenmagazinen nachgegangen
sind, stellen eine Marginalisierung und Reduzierung Hochaltriger auf ihre körper-
liche bzw. geistige Verfasstheit, unter Ausblendung anderer Eigenschaften, fest.
Dederich (2010, S. 119) zieht aus seinen medialen Beobachtungen den Schluss,
dass alte beHinderte Körper eine Quelle sozialer Ängste darstellen und dass sie das
moderne Verständnis von Subjektivität untergraben. In den neueren Studien ver-
laufen Ausschlüsse und Marginalisierungen bestimmter Körper nicht länger entlang
814 I. Voglmayr

einer chronologischen Grenze, sondern werden vielmehr mit dem Begriffspaar


Aktivität und Inaktivität verknüpft (Weicht 2013). Adlung und Backes (2021,
S. 80–81) lassen auch diese Begriffe hinter sich und schlagen für die Beschreibung
dichotomer Medienbilder als auch in Hinblick auf die gerontologische Produktion
eines „dritten“ und „vierten“ Alters das Begriffspaar ability und disability vor.
Mittels Intersektionen – diese Herangehensweise spielt in der Alter(n)sforschung
noch eine untergeordnete Rolle – von Alter und BeHinderung sowie Alter und
Geschlecht können so Ungleichheiten aufgedeckt und marginalisierte Körper sicht-
bar gemacht werden (Adlung und Backes 2021, S. 78). In ihrer Fokussierung auf die
Verwobenheit von Alter und Frausein in der medialen Repräsentation zeigen sie,
dass sich Ableismus und Ageismus überlagern und auch gegenwärtig beHinderte
alte Körper eine passive, homogenisierende und dehumanisierende mediale Reprä-
sentation erfahren (Adlung und Backes 2021, S. 81).
Im Hinblick auf das sogenannte vierte Alter und dessen medialer Verräumlichung
in fiktionalen Erzählungen, hat Voglmayr (2015) anhand von Filmbeispielen gezeigt,
dass nicht nur Altersstereotype und körperbezogene Normierungen in den filmischen
Repräsentationen zu hinterfragen sind, sondern auch der Raum, der den alten
Menschen zugewiesen wird. In den von ihr analysierten Filmbeispielen ist der
heterotope Ort Altersheim der quasi natürliche Ort der Alten, der zwar in unter-
schiedliche Inszenierungen gesetzt wird, aber als Grundmuster einer entfremdeten
Lebenswelt fungiert. Die lebensweltliche Separierung des alten (weiblichen) Kör-
pers im Altersheim wird hier mit Alterskonstruktionen verknüpft, die das vierte Alter
als Abweichung, als Störfaktor und letztlich auch als Risiko begreifen lassen
(Voglmayr 2015, S. 110).

4 Darstellung alter Körper in der Werbung

Unterrepräsentanz und stereotype Darstellung Älterer sowie deutliche Geschlechter-


unterschiede sowohl in älterer als auch jüngerer Werbung, legt ein Forschungsüber-
blick von Thiele offen (Thiele 2018, S. 57; Burgert und Koch 2008). Wenngleich die
(Unter-)Repräsentanz weiblicher älterer Personen in der Anzeigenwerbung bedingt
durch die Auswahl von bestimmten Illustrierten und Magazinen nicht verallgemei-
nerbar ist (Boos 2008), bleiben qualitative Geschlechterunterschiede, die sich u. a. in
den beworbenen Produkten, im Auftreten der Werbefiguren – Werbeprotagonist_in-
nen sind in der Mehrzahl Repräsentanten des männlichen Geschlechts (Derra 2012,
S. 184–185) – und in der Werbebotschaft äußern, bestehen (Boos 2008, S. 293).
Altwerden kann nicht ohne die Einbindung des Körperkonzeptes erfasst werden. Die
Orientierung am „Leitbild Jugendlichkeit“ in einer alternden Gesellschaft bestimmt
Alters- und Körperdarstellungen in der Werbung dahingehend, dass vor allem das
junge Alter zum Trendthema gemacht wird und werbliche Körperinszenierungen mit
einem bewussten Sichtbarmachen und Betonen von Gender arbeiten (Derra 2012;
Başbuğ 2013; Kühne 2005; Thiele 2018).
Da der Werbewelt eine entscheidende Rolle bei der Konstituierung und Kon-
turierung eines Idealbilds des Körpers beigemessen wird, gehen Başbuğ (2013) und
Alter(n) als soziale Konstruktion – Mediale Bilder vom Alter(n) im Wandel 815

Derra (2012) der Frage nach der Erkennbarkeit von Ansätzen jenseits einer Ideali-
sierung jugendzentrierter Schönheitsmerkmale nach. Lässt sich eine Erweiterung
gesellschaftlicher Schönheitsvorstellungen in Werbesujets erkennen, und wird da-
durch dem körperlichen Altern mehr Aufmerksamkeit gegeben? Derra (2012) un-
tersucht den aktuellen Stellenwert des Älterwerdens verbunden mit dem alternden
Körper im gesellschaftlichen wie im medialen Umfeld. Auf der Basis ihrer groß
angelegten inhaltsanalytischen Studie von knapp 2000 Werbeanzeigen in aus-
gewählten deutschen Publikumszeitschriften und einer Online-Befragung kann sie
zeigen, wie die Vorstellung vom Altwerden mit körperlichen Alterserscheinungen
positiv bzw. negativ korreliert. In der Auseinandersetzung mit der neuen Inszenie-
rungsart des Alters, die auf eine Erhöhung der Akzeptanz älterer Menschen, ins-
besondere von Frauen, sowie auf eine Erweiterung von Alter und Schönheit abzielt,
entdecken Derra (2012, S. 199) und Başbuğ (2013) eine zögerliche und ambivalente
Hinwendung zu älteren Protagonist_innen in der Werbewelt, die auf eine stark
anwachsende kaufkräftige Zielgruppe zurückzuführen ist. Damit einher geht ein
zwangsläufiger Wandel vom Jugendlichkeitsideal zu einem Schönheitsideal, das
Älterwerden bzw. Ältersein als „den ästhetischen Langzeittrend“ etabliert (Başbuğ
2013, S. 110).
Gegen die in der Werbebranche fortwährende Jugendlichkeit des Körpers als
alleinige Akzeptanzebene kann die Campaign for real Beauty der Pflegeproduktlinie
Dove gelesen werden, die ältere Frauen auf bisher ungewohnte Weise zeigt. Im
Rahmen der Kampagne stellt Dove in einer seiner Plakataktionen mit dem Bild einer
96-jährigen Frau, die alle Zeichen des Alters trägt, die gängige Gleichsetzung von
Schönheit mit Jugend in Frage (Kühne 2005, S. 258). Kühne sieht darin einen
Paradigmenwechsel in den Alter(n)sdarstellungen aufgrund der Bemühungen um
bewusste „Präsenz und Authentizität“ (Kühne 2005, S. 263), verweist aber gleich-
zeitig auf eine Instrumentalisierung des (hohen) Alters mit der weniger das Produkt,
sondern die Philosophie des Unternehmens vermittelt werden soll. Gleichzeitig
finden sich traditionelle, vom Defizitmodell geprägte Altersbilder weiterhin in vielen
werblichen Inszenierungen. Für Thiele (2018, S. 59) bleibt daher die Untersuchung
von Produktion, Inhalten und Rezeption dieser ambivalenten Angebote eine Heraus-
forderung für die Kommunikationswissenschaft.

5 Digitale Alter(n)s-Welten

Für den Bereich neuer Informations- und Kommunikationstechnologien wird vor


allem das „generationsspezifische Medienpraxiskulturen-Konzept“, dem Mann-
heims Konzept der „Generationenlagen“ zugrunde liegt, fruchtbar gemacht. Das
Mediengenerationenkonzept besagt, dass sich auf der Grundlage von Medienerfah-
rungen in der Jugendzeit für die jeweiligen Kohorten spezifische Medienhandlungs-
stile herausbilden, die sich in Medienpraxiskulturen verdichten und eine langfristige
Wirkmächtigkeit besitzen (Röser 2017, S. 25). Wenngleich Dissens in der Kom-
munikationswissenschaft darüber herrscht, ob sich unterschiedliche Mediengenera-
tionen überhaupt voneinander abgrenzen lassen, wird mit dem Ansatz der
816 I. Voglmayr

Zugehörigkeit zu einer Mediengeneration, die durch eine spezifische, kollektiv


geteilte Medienerfahrung geprägt wird, geforscht (Röser 2017; Ratzenböck 2017).
Wie sich Onliner 70plus im Rentenalter generationsbezogen positionieren und ihr
Internethandeln reflektieren, ist nur eine Fragestellung in der umfangreichen Studie
Silversurfer 70plus (Röser 2017). In der Analyse der intergenerationellen Diskurse
der Befragten zeigt sich dann, dass sich Mediengenerationen keineswegs so deutlich
voneinander abgrenzen. Generationsgebundene Positionierungen beinhalten neben
abgrenzenden Einordnungen auch bezugnehmende Momente gegenüber Jüngeren
und anderen Älteren, und sie setzen sich bezugnehmend auf die eigene Generation
teilweise deutlich von Gleichaltrigen ab (Röser 2017, S. 189–190).
In den vorliegenden Studien werden die vielfältigen Umgangsweisen mit dem
Internet, digitale Medienerfahrungen, Identitätskonstruktionen von Älteren der Ge-
nerationen 50plus und 70plus beforscht. Die ursprüngliche Annahme, dass mit den
Möglichkeiten der neuen Technologien eine geschlechter- und altersgerechte Par-
tizipation an der Netzkommunikation ermöglicht wird und neue Alternskonstruktio-
nen in ihrer Vielfalt auf den Internetplattformen produziert werden, wird durch die
Untersuchungen, die teilweise in den Anfängen der digitalen Nutzung entstanden
sind, allerdings nicht bestätigt. Tanja Carstensen (2019) macht darauf aufmerksam,
dass hinsichtlich Zugang und Nutzung des Internet der digital divide weniger
entlang der Kategorie Geschlecht verläuft, sondern vielmehr in Kombination mit
Alter, Einkommen und Bildung. In Österreich nutzen im zweiten Halbjahr 2021
62 % der Frauen über 60 Jahre und älter (integral 2021) das Internet, Zahlen, die
wiederum auf die Jungen Alten schließen lassen.
Untersuchungen aus den frühen 2000er-Jahren haben sich mit der Internetnut-
zung älterer Frauen (Voglmayr 2002) bzw. älterer Paare (Ahrens 2007) auseinander-
gesetzt und nach Gebrauchsweisen, Vorteilen und Bedeutungen gefragt. Hauptmoti-
ve waren die Teilhabe an gesellschaftlichen Entwicklungen – nicht den Anschluss zu
verpassen –, der familiäre Generationendialog sowie das Netz als Beziehungsmedi-
um. Das Drängen der Kinder, das Dabeisein, haben auch Röser und Peil (2012) als
Faktoren für die Internetanschaffung in den Haushalten herausgefunden. Es werden
aber auch ehrenamtliche Tätigkeiten, insbesondere für ältere Frauen als starke
Nutzungsmotivation angeführt (Keck 2013). Ratzenböck (2017) geht über die Nut-
zungsweisen hinaus und beforscht generationsspezifische Erfahrungen von österrei-
chischen Frauen im Alter von 60–70 Jahren in Hinblick auf individuelle me-
dienbiografische und geteilte generationsspezifische Medienerfahrungen durch
Interaktionen mit Medienobjekten. Sie setzt sogenannte Walking-Interviews und
die währenddessen stattfindenden Interaktionen mit Objekten als methodische Mittel
ein (Ratzenböck 2017, S. 254). Gespräche in Bewegung in den Wohnräumen der
Forschungsteilnehmer_innen haben den Vorteil, dass durch diesen methodischen
Zugang die Medienerfahrungen von älteren Frauen diverser und weniger stereotyp
dargestellt werden können (Ratzenböck 2017, S. 261).
Stereotype Altersinszenierungen und Altersrepräsentationen hingegen setzen sich
auch auf Internetplattformen, die neue Möglichkeiten für diverse Identitätskonstruk-
tionen und eigene Selbstdarstellungen bieten, fort (Ternes und Prigge 2013; Haring
2009). Ternes und Prigge (2013) stellen in ihrer Untersuchung eine Diskrepanz
zwischen den untersuchten Altersbildern auf Internetplattformen, die eine
Alter(n) als soziale Konstruktion – Mediale Bilder vom Alter(n) im Wandel 817

sogenannte „Zielgruppe 50+“ adressieren, und der Selbstwahrnehmung dieser Alters-


gruppe, bestätigt durch eine Umfrage unter 50-Jährigen, die alle Sinus-Milieus dieser
Altersgruppe abdecken, fest. Während die diversen Internetplattformen „plakative und
wenig differenzierte Altersbilder zeichnen“ – ein gemeinsames Charakteristikum ist
die Vorstellung von heteronormativen Paarbeziehrungen –, fallen die Ergebnisse ihrer
Straßenbefragung in Berlin weitaus differenzierter aus und weisen keine eindeutigen
Tendenzen auf (Ternes und Prigge 2013, S. 181–182). Eine Chance, den Blick unserer
Gesellschaft für die Vielfalt und Heterogenität älterer Frauen zu öffnen, sieht Haring
(2009, S. 188) in den Möglichkeiten der Selbstrepräsentation für Frauen 50+ im Netz,
im Speziellen auf YouTube. Im Unterschied zu Fremdrepräsentationen, die Zuschrei-
bungen konstruieren und ältere Frauen in bestimmte Kategorien verweisen, die sie
selbst nicht geschaffen haben, bedeutet Selbstrepräsentation „im Idealfall eigenmäch-
tig und entscheidungsmächtig einen Ausschnitt aus vielen möglichen Identitäten
zusammenzustellen“ (Haring 2009, S. 188). Ihre Umschau auf YouTube zeigt aller-
dings, dass, wenn von älteren Frauen die Rede ist, es sich meistens um Fremdre-
präsentationen – vorherrschend war hier die „Crazy Old Bitch“ – handelt, die ein
negatives Altersbild zeichnen, während selbstdarstellerische Videobeiträge von Frau-
en über 50 die Ausnahme darstellen (Haring 2009, S. 196). Jüngere Untersuchungen
zeigen allerdings, dass ältere Menschen das Internet bedingt durch die fortschreitende
Digitalisierung in den letzten Jahren und speziell durch die Corona-Pandemie mehr
und mehr in den Alltag integrieren und dass bei der Altersgruppe 70plus u. a. eine
große Vielfalt an unterschiedlichen Erlebnisweisen bezüglich des Internet herrscht
(Röser 2017, S. 156). Somit bleiben Internet und Social Media ein wichtiges Feld der
Analyse, der Verhandlung von Alter(n) und seiner gesellschaftlichen Handlungsspiel-
räume (Carstensen 2019).

6 Ausblick

Die meisten Studien zu Medien, Werbung und Internet haben gezeigt, dass der
mediale Prozess der Selektion und Produktion nicht mit den demografischen Reali-
täten korrespondiert, sondern auf gesellschaftliche Vorstellungen ausgerichtet ist, die
von einem Jugendkult bestimmt sind (Kühne 2005, S. 259). Diese dichotome
Alterseinteilung in Junge Alte und Alte Alte, die jegliche Vielfalt im Alter ausblen-
det, wurde in Zeiten der Corona-Pandemie, nicht zuletzt durch die pandemischen
Verhaltensnormen, jedoch weitgehend außer Kraft gesetzt. In Medien und Politik
wurde fortan ein einseitiges Bild älterer Menschen als homogene Gruppe der
vulnerablen „Alten“, die als besonders schutzbedürftig gilt, fokussiert. Alte Men-
schen – unter ihnen sind Frauen überproportional vertreten – waren durch die
oftmals panisch kommunizierte Krise dem ambivalenten Verhältnis von Schutz
und Stigmatisierung/Ausgrenzung in besonderem Maße ausgesetzt. Empirische
Studien aus den ersten Monaten der Corona-Epidemie zur medialen Repräsentation
älterer Menschen deuten auf eine Wiederkehr und Konjunktur des Stereotyps des
verletzlichen, einsamen und abhängigen alten Menschen hin (Deutsche Gesellschaft
für Gerontologie und Geriatrie 2021). Diese Entwicklung sollte weiter beobachtet
werden.
818 I. Voglmayr

Literatur
Adlung, Shari, und Annabella Backes. 2021. (Un)Sichtbarkeiten alternder Körper in Wissenschaft
und Medien: Eine Analyse der intersektionalen Verflechtungen von Alter, Geschlecht und
BeHinderung. Medien und Altern. Spektrum 18:77–87.
Ahrens, Julia. 2007. 50plus und abgehängt? Internet im häuslichen Alltag von älteren Paaren. In
MedienAlltag. Domestizierungsprozesse alter und neuer Medien, Hrsg. Jutta Röser, 187–198.
Wiesbaden: VS.
Başbuğ, Bengü. 2013. Ewige Jugend: Mythos in einer alternden Gesellschaft. Der Trend des
„jungen Alterns“ in der Werbung. In Screening Age: Medienbilder – Stereotype – Altersdis-
kriminierung, Hrsg. Clemens Schwender, Dagmar Hoffmann, und Wolfgang Reißmann,
97–114. München: KoPaed.
Beauvoir, Simone de. 2000. Das Alter. (Neuausgabe). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch.
Birkenstock, Eva. 2000. Altern – Dialektik eines Themas zwischen Antike und Moderne. Die
Philosophin. Forum für feministische Theorie und Philosophie 11(21): 43–64.
Boos, Linda. 2008. Grau oder großartig? Die kommerzielle Inszenierung von Alter: Altersbilder
und Identifikationsangebote. Eine empirische Fallstudie zu Alterskonzepten in der strategischen
Kommunikation. Dissertation. Philosophische Fakultät, Universität Münster.
Bublitz, Hannelore. 2010. Himmlische Körper oder wenn der Körper den Geist aufgibt. Zur
performativ produzieren Hinfälligkeit des Körpers. In „Für Dein Alter siehst du gut aus!“
Von der Un/Sichtbarkeit des alternden Körpers im Horizont des demographischen Wandels.
Multidisziplinäre Perspektiven, Hrsg. Sabine Mehlmann und Sigrid Ruby, 33–50. Bielefeld:
transcript.
Burgert, Carolin, und Thomas Koch. 2008. Die Entdeckung der neuen Alten? Best Ager in der
Werbung. In Stereotype? Frauen und Männer in der Werbung, Hrsg. Christina Holtz-Bacha,
155–175. Wiesbaden: VS.
Carstensen, Tanja. 2019. Social Media: Zwischen Selbstpräsentation und Unsichtbarkeit, Empo-
werment und Sexismus. In Handbuch Medien und Geschlecht, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte
Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesbaden: Springer.
Dederich, Markus. 2010. Zur medialen Repräsentation alter behinderter Körper in der Gegenwart.
In „Für Dein Alter siehst du gut aus!“ Von der Un/Sichtbarkeit des alternden Körpers im
Horizont des demographischen Wandels. Multidisziplinäre Perspektiven, Hrsg. Sabine Mehl-
mann und Sigrid Ruby, 107–122. Bielefeld: transcript.
Derra, Julia Maria. 2012. Das Streben nach Jugendlichkeit in einer alternden Gesellschaft. Eine
Analyse altersbedingter Körperveränderungen in Medien und Gesellschaft. Baden-Baden:
Nomos.
Deutsche Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie. 2021. (Neue) Lebensformen im Alter. https://
dggg-ft2021.aey-congresse.de. Zugegriffen am 08.09.2022.
Dorer, Johanna. 2002. Diskurs, Medien und Identität. Neue Perspektiven in der feministischen
Kommunikations- und Medienforschung. In Feministische Kommunikations- und Medienwis-
senschaft. Ansätze, Befunde und Perspektiven der aktuellen Entwicklung, Hrsg. Johanna Dorer
und Brigitte Geiger, 53–78. Wiesbaden: Westdeutscher.
Flicker, Eva, Nina Formanek, und Katja Gerstmann. 2013. Mediale Repräsentationen von Alte/r/n
in Bild und Text. Anzeichen für einen allmählichen Paradigmenwechsel. In Screening Age:
Medienbilder – Stereotype – Altersdiskriminierung, Hrsg. Clemens Schwender, Dagmar Hoff-
mann, und Wolfgang Reißmann, 23–38. München: KoPaed.
Friedan, Betty. 1997. Mythos Alter. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch.
Göckenjan, Gerd. 2000. Das Alter würdigen. Altersbilder und Bedeutungswandel des Alters.
Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Haring, Solveig. 2009. Crazy old women? Digitale Selbstrepräsentationen von Frauen über 50. In
Doing aging, Hrsg. Birgit Blättel-Mink und Caroline Kramer, 187–198. Baden-Baden: Nomos.
Hellmich, Elisabeth. 2007. Forever young? Die Unsichtbarkeit alter Frauen in der Gegenwarts-
gesellschaft. Wien: Milena.
Alter(n) als soziale Konstruktion – Mediale Bilder vom Alter(n) im Wandel 819

Höppner, Grit. 2011. Alt und schön. Geschlecht und Körperbilder im Kontext neoliberaler Gesell-
schaften. Wiesbaden: VS.
INTEGRAL AIM-Austrian Internet Monitor. 2021. https://www.integral.co.at. Zugegriffen am
14.09.2022.
Katz, Stephen. 2009. Geschäftige Körper: Aktivität, Altern und das Management des Alltagslebens.
In Die jungen Alten. Analysen einer neuen Sozialfigur, Hrsg. Silke van Dyk und Stephan
Lessenich, 160–185. Frankfurt/New York: Campus.
Keck, Barbara. 2013. Ist das Netz reif für ältere Frauen? In Die Frauen und das Netz, Hrsg. Birgit
Kampmann, Bernhard Keller, Michael Knippelmeyer, und Frank Wagner, 223–230. Wiesbaden:
Gabler.
Kühne, Bärbel. 2005. Wrinkled ... Wonderful? Eine semiotische Erkundung neuer Altersbilder in
der Werbung. In Alter und Geschlecht. Repräsentationen, Geschichten und Theorien des Alter(n)s,
Hrsg. Heike Hartung, 253–274. Bielefeld: transcript.
Kunow, Rüdiger. 2005. „Ins Graue“. Zur kulturellen Konstruktion von Altern und Alter. In Alter
und Geschlecht. Repräsentationen, Geschichten und Theorien des Alter(n)s, Hrsg. Heike
Hartung, 21–43. Bielefeld: transcript.
Mehlmann, Sabine, und Sigrid Ruby. 2010. Einleitung: „Für Dein Alter siehst du gut aus!“
Körpernormierungen zwischen Temporalität und Medialität. In „Für Dein Alter siehst du gut
aus!“ Von der Un/Sichtbarkeit des alternden Körpers im Horizont des demographischen
Wandels. Multidisziplinäre Perspektiven, Hrsg. Sabine Mehlmann und Sigrid Ruby, 15–31.
Bielefeld: transcript.
Menke, Manuel, und Susanne Kinnebrock. 2016. Würde bis zum Schluss? Mediale Konzeptionen
von Würde im Diskurs über Sterbehilfe. Medien und Altern 8:2–46.
Prommer, Elizabeth, Julia Stüwe, und Juliane Wegner. 2021. Sichtbarkeit und Vielfalt. Fortschritts-
studie zur audiovisuellen Diversität. Rostock: Preprint.
Ratzenböck, Barbara. 2017. Recycelte Fernseher und ,abgestochene‘ Computer. Zur Erforschung von
Medienerfahrungen von Frauen 60+ durch Interaktionen mit Medienobjekten während ‚Walking
Interviews‘ in Wohnräumen. In Alter(n) als soziale und kulturelle Praxis. Ordnungen – Bezie-
hungen – Materialitäten, Hrsg. Cordula Endter und Sabine Kienitz, 245–264. Bielefeld: transcript.
Reißmann, Wolfgang, Antonela Nedic, und Dagmar Hoffmann. 2013. „Wenn ich in den Spiegel
gucke, soll es noch ein kleines bisschen ästhetisch aussehen“. Eine Fallstudie zum Verhältnis
von Körpererleben, Schönheitshandeln und Medienaneignung im Lebensverlauf. In Screening
Age: Medienbilder – Stereotype – Altersdiskriminierung, Hrsg. Clemens Schwender, Dagmar
Hoffmann, und Wolfgang Reißmann, 219–238. München: KoPaed.
Röser, Jutta, Hrsg. 2017. Silversurfer 70plus. Qualitative Fallstudien zur Aneignung des Internets
in der Rentenphase. München: kopaed.
Röser, Jutta, und Corinna Peil. 2012. Das Zuhause als mediatisierte Welt im Wandel. Fallstudien
und Befunde zur Domestizierung des Internets als Mediatisierungsprozess. In Mediatisierte
Welten. Forschungsfelder und Beschreibungsansätze, Hrsg. Friedrich Krotz und Andreas Hepp,
138–163. Wiesbaden: VS.
Schroeter, Klaus R. 2009. Die Normierung alternder Körper – gouvernementale Aspekte des doing
age. In Die jungen Alten. Analysen einer neuen Sozialfigur, Hrsg. Silke van Dyk und Stephan
Lessenich, 359–379. Frankfurt/New York: Campus.
Schwender, Clemens, Dagmar Hoffmann, und Wolfgang Reißmann, Hrsg. 2013. Screening Age:
Medienbilder – Stereotype – Altersdiskriminierung. München: KoPaed.
Ternes, Anabel, und Philipp Prigge. 2013. Medial konstruierte Altersbilder. Phänomene der Stereo-
typenbildung in altersspezifischen Internetforen. In Screening Age: Medienbilder – Stereotype –
Altersdiskriminierung, Hrsg. Clemens Schwender, Dagmar Hoffmann, und Wolfgang Reiß-
mann, 169–184. München: KoPaed.
Thiele, Martina. 2018. Alt, doch umworben – ein Forschungsüberblick. In Gesund altern, Hrsg.
Magdalena M. Schimke und Günter Lepperdinger, 45–61. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Thiele, Martina. 2019. Geschlechterstereotype und Geschlechterrollen. In Handbuch Medien und
Geschlecht: Perspektiven und Befunde der feministischen Kommunikations- und
820 I. Voglmayr

Medienforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković.
Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_10-1.
Thiele, Martina, und Helena Atteneder. 2019. Zu jung, um alt zu sein? Visiotype der Best Ager in
Journalismus und Werbung. In Der Körper in der Postmoderne. Zwischen Entkörperlichung
und Körperwahn, Hrsg. Minas Dimitriou und Susanne Ring-Dimitriou, 169–184. Wiesbaden:
Springer Fachmedien.
Thiele, Martina, Helena Atteneder, und Laura Gruber. 2013. Neue Altersstereotype. Das Diskrimi-
nierungspotenzial medialer Repräsentationen „junger Alter“. In Screening Age: Medienbilder –
Stereotype – Altersdiskriminierung, Hrsg. Clemens Schwender, Dagmar Hoffmann, und Wolf-
gang Reißmann, 39–53. München: KoPaed.
Thimm, Caja. 1999. Geschlechtsspezifische Darstellungen von Alter und Generationenbeziehungen
in Medientexten. In GeNarrationen. Variationen zum Verhältnis von Generation und Ge-
schlecht, Hrsg. Eveline Kilian und Susanne Komfort-Hein, 27–48. Tübingen: Attempto.
Van Dyk, Silke, und Stephan Lessenich. 2009. „Junge Alte“: Vom Aufstieg und Wandel einer
Sozialfigur. In Die jungen Alten. Analysen einer neuen Sozialfigur, Hrsg. Silke van Dyk und
Stephan Lessenich, 11–48. Frankfurt/New York: Campus.
Voglmayr, Irmtraud. 2002. Das Internet als Fenster zur Welt. Ältere Frauen in der neuen Technik-
kultur. In Feministische Kommunikations- und Medienwissenschaft. Ansätze, Befunde und
Perspektiven der aktuellen Entwicklung, Hrsg. Johanna Dorer und Brigitte Geiger, 354–375.
Wiesbaden: Westdeutscher.
Voglmayr, Irmtraud. 2008. No wrinkles, no age? Alternsbilder und -diskurse in den Medien. In
Medien – Politik – Geschlecht. Feministische Befunde zur politischen Kommunikationsfor-
schung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, und Regina Köpl, 218–232. Wiesbaden: VS.
Voglmayr, Irmtraud. 2015. Entfremdete Lebenswelt Altersheim? In Geschlecht und Altern. Inter-
disziplinäre Betrachtungen, Hrsg. Cornelia Brunnauer, Gabriele Hörl, und Ingrid Schmutzhart,
95–112. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Weicht, Bernhard. 2013. The making of „the elderly“: constructing the subject of care. Journal of
Aging Studies 27(2): 188–197.
Winker, Gabriele, und Nina Degele. 2009. Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten.
Bielefeld: transcript.
Kritische Männlichkeitenforschung
und Medien

Paul Scheibelhofer, Stefan Sulzenbacher und Johannes Sengelin

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 822
2 Entwicklungslinien und Forschungsstränge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 822
3 Forschungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 824
4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 830
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 831

Zusammenfassung
Das Feld der kritischen Auseinandersetzung mit Männlichkeitskonstruktionen in
und durch Medien hat sich theoriegeschichtlich fortdauernd ausdifferenziert.
Daran anknüpfende Forschungsergebnisse zeigen die Relationen zwischen me-
dialen Darstellungen von Männlichkeiten und gesellschaftlichen Machtverhält-
nissen in ihrer Vielschichtigkeit auf: Während sich in medialen Männlichkeits-
konstruktionen oftmals herrschende Geschlechterverhältnisse artikulieren und
diese reproduzieren, stellen Medien auch Orte der Durchkreuzung und Unter-
wanderung herrschender Männlichkeitsbilder dar.

Schlüsselwörter
Männlichkeiten · Medienwissenschaft · Intersektionalität ·
Repräsentationskritik · Performativität · Diskursanalyse

P. Scheibelhofer (*)
Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Innsbruck, Innsbruck, Österreich
E-Mail: paul.scheibelhofer@uibk.ac.at
S. Sulzenbacher
Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Universität Wien, Wien, Österreich
E-Mail: stefan.sulzenbacher@univie.ac.at
J. Sengelin
Wien, Österreich

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 821
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_9
822 P. Scheibelhofer et al.

1 Einleitung

Zum Auftakt feministischer Filmtheorie hatte Laura Mulvey (1975) das patriarchale
Unbewusste als strukturierendes Element des Hollywood-Kinos herausgearbeitet.
Männlichkeit wurde dabei in Form des male gaze (des dreifach männlich-patriar-
chalen Blicks von Protagonist_Regisseur_Zuschauer) noch eher implizit und auch
hinsichtlich ihrer Funktion als unsichtbare (und mitunter gerade deshalb so wirk-
mächtige) Norm thematisiert. Seitdem hat sich ein heterogenes Feld kulturwissen-
schaftlicher Forschung herausgebildet, das sich ganz explizit mit mediatisierten
Männlichkeiten beschäftigt und dessen Anliegen unter anderem in der Sichtbarma-
chung sowohl der männlich-patriarchalen Norm als auch der Vielschichtigkeit und
Pluralität von Männlichkeiten besteht.
Gerade im Rahmen medienwissenschaftlicher Perspektivierungen wird dabei
evident, dass Männlichkeit keine Substanz spezifischer Körper ist, sondern im Sinne
einer konstruktivistischen Perspektive vielfältigen und historisch spezifischen Pro-
duktionsbedingungen unterworfen ist. Im Folgenden soll ein Überblick über jene
Studien gegeben werden, die auf unterschiedliche Weise an feministische Fragestel-
lungen anknüpfen. Der Fokus der Zusammenstellung liegt dabei auf (meist) im
angloamerikanischen Raum erstveröffentlichten Pionierarbeiten sowie auf zentralen
deutschsprachigen Forschungsbeiträgen.

2 Entwicklungslinien und Forschungsstränge

In kulturwissenschaftlichen Forschungen wurden Relationen von Männlichkeiten


und Medien im Laufe der letzten Jahrzehnte auf vielfältige Weise in den Blick
genommen. Diese Heterogenität verdankt sich sowohl der am jeweiligen Untersu-
chungsgegenstand ausgerichteten Kombination unterschiedlicher medien- wie gen-
dertheoretischer Zugänge und methodischer Ansätze als auch dem jeweiligen
Erkenntnisinteresse und forschungspolitischen Einsatz der Arbeiten.
Die äußerst unterschiedlichen gendertheoretischen Zugänge der bis dato vorliegen-
den Arbeiten sind das Ergebnis andauernder Ausdifferenzierungsprozesse. Zwar
wurde Männlichkeit (im Singular) bereits in den ersten Pionierarbeiten unter unter-
schiedlichen Gesichtspunkten besprochen – etwa in Verbindung mit Gewalt (Thewe-
leit 1977/1978) und Sexualität (Russo 1981). Doch galten bis Ende der 1980er-Jahre,
insbesondere für die Filmwissenschaften, psychoanalytische und damit tendenziell
eindimensionale Modelle von Männlichkeit als paradigmatisch. Unter dem Eindruck
bereits länger geführter feministischer Debatten um Intersektionalität (The Combahee
River Collective 1977; Crenshaw 1989) wurde ab Anfang der 1990er-Jahre vermehrt
die Pluralität und Komplexität von mediatisierten Männlichkeiten in den Blick genom-
men (u. a. Silverman 1992; Cohan und Hark 1993).
Um dieser Pluralität Rechnung zu tragen, verwenden wir in diesem Artikel
bewusst den Begriff „Männlichkeitenforschung“ statt der im deutschsprachigen
Raum gängigen Bezeichnung „Männlichkeitsforschung“. Befeuert von Postcolo-
Kritische Männlichkeitenforschung und Medien 823

nial und Queer Studies differenzierten sich die – mitunter dekonstruktivistisch und
performativitätstheoretisch orientierten – Ansätze weiter aus, sodass seit Mitte der
1990er-Jahre schwerlich von einem gemeinsamen theoretischen Bezugspunkt
gesprochen werden kann. Ein Konzept, das jedoch im Rahmen kritischer Forschun-
gen zu Männlichkeiten als paradigmatischer Ansatz gilt und auch in medienkultur-
wissenschaftlichen Studien (zumindest in Versatzstücken) häufig referenziert wird
(u. a. Heilmann et al. 2015), ist jenes hegemonialer Männlichkeit (Carrigan et al.
1985). Raewyn Connell hatte 1995 eine systematisierte Fassung des Konzepts
vorgelegt (Connell 1995) und darin eine doppelt vergeschlechtlichte Distinktions-
und Dominanzlogik von Männlichkeitskonstruktionen in heteronormativ-patriar-
chalen Gesellschaften beschrieben: einerseits ein asymmetrisches Geschlechterver-
hältnis, in dem Männlichkeiten zuallererst von Weiblichkeiten abgegrenzt und
privilegiert würden (etwa dadurch, dass sie anderen, zumeist prestige-trächtigeren
patriarchalen Zumutungen ausgesetzt seien), und andererseits hierarchische Relatio-
nen zwischen Männlichkeiten, die sich durch das Zusammenwirken weiterer Diffe-
renzkategorien ergäben. Wichtig sei dabei, dass hegemoniale Männlichkeit nicht als
transhistorisches Set bestimmter Eigenschaften verstanden wird, sondern als jene
Konfiguration geschlechtsbezogener Praktiken, die zum jeweiligen historischen
Zeitpunkt akzeptierte Antworten auf Legitimitätsprobleme patriarchaler Vorherr-
schaft verkörpert. Das jeweils herrschende Bild hegemonialer Männlichkeit werde
allerdings von kaum jemandem tatsächlich erreicht, es fungiere jedoch als normative
Orientierungsfolie dafür, was „richtige Männlichkeit“ ausmacht.
Medientheoretisch lassen sich für die kritische Beschäftigung mit Männlichkeiten
– ähnlich wie für eine geschlechterkritische Medienforschung allgemein (Peters und
Seier 2016) – grundsätzlich zwei über die Jahre (und theoriegeschichtliche turns)
hinweg durchgängig verfolgte Herangehensweisen unterscheiden: zum einen
Ansätze, die mediale Repräsentationen von Männlichkeiten in den Blick nehmen.
Dabei werden diese nicht nur hinsichtlich problematischer Stereotypisierungen
(u. a. hooks 2004), ermöglichendem Transgressionspotenzial (u. a. Poole 2012;
Treiblmayr 2015) und der Perpetuierung männlich-patriarchaler Hegemonie
(u. a. Kaltenecker 1996) diskutiert, sondern es werden zudem auch medienspezifi-
sche Verfahren der Konstruktion und Dekonstruktion von Männlichkeitsrepräsenta-
tionen herausgearbeitet, beispielsweise in der Fotografie (u. a. Vettel-Becker 2005;
Hoenes 2014), durch Genres (u. a. Mitchell 1996; Mädler 2008) oder narrative
Strategien von Fernsehserien (u. a. Lotz 2014; Albrecht 2015). Zum anderen lassen
sich Zugänge zusammenfassen, die mediale Konzepte und Gebrauchsweisen auf die
ihnen zugrunde liegenden Vorstellungen von Männlichkeiten hin untersuchen. Im
Zentrum stehen hier neben Arbeiten zu männlich-vergeschlechtlichenden Subjekti-
vierungsprozessen (etwa psychoanalytisch im Kino: Mulvey 1975; Kaltenecker
1996) vor allem (Un-)Möglichkeiten der männlichen Vergeschlechtlichung von
Medienpraktiken einerseits (z. B. Eisler 1999 für das Photographieren; Williams
1995 für den Pornokonsum oder Sulzenbacher 2016 für die Praktik des Binge-
Watchings) sowie mediale Anordnungen und Dispositive andererseits (für das
HD-TV: Levine und Newman 2012; für die Playboy-Villa: Preciado 2012).
824 P. Scheibelhofer et al.

3 Forschungsergebnisse

Im Zuge der kritischen Auseinandersetzung zu Männlichkeiten und Medien wurden


unterschiedlichste Themenbereiche bearbeitet. Dabei kristallisieren sich insbeson-
dere vier Forschungsschwerpunkte heraus.

3.1 Welche Krise? Zum Krisendiskurs hegemonialer


Männlichkeiten

Unter dem Stichwort „Männlichkeitskrise“ wurden hegemoniale Männlichkeiten


und patriarchale Privilegien spätestens seit der Jahrtausendwende zum Gegenstand
kontrovers geführter medialer Debatten. Im Rahmen eines seit den 1990er-Jahren
anhaltenden antifeministischen Backlashs wurde dabei in regelmäßigen Abständen
auf systematische Weise Privilegienabbau mit Diskriminierung verwechselt und
wurden Männer* revisionistisch-verallgemeinernd zu Opfern von Emanzipations-
bewegungen stilisiert (Casale und Forster 2006; di Blasi 2013). Hatte Judith Butler
herrschaftsfähige Männlichkeiten aufgrund des unvereinbaren Anspruchs, eine über-
mächtige, partikulare Physis und eine körperungebundene, universale Vernunft
gleichzeitig zu verkörpern, als strukturell krisenhaft beschrieben (Butler 1997,
S. 79), so setzten sich medienwissenschaftliche Arbeiten mit konkreten Krisendia-
gnosen auseinander (für den anglophonen Raum zuerst Robinson 2000; psychoana-
lytisch auf einen identitären Krisenbegriff fokussiert Kaltenecker 1996). Kritische
Ansätze einte dabei die Frage, welche Form von Männlichkeit denn nun genau in der
Krise sei (Sielke 2007) und welche Konsequenzen die medienspezifische Vermitt-
lung einer solchen Zeitdiagnose mit sich bringe.
So folgte Kathrin Mädler (2008) der nicht-essentialisierenden These der gegen-
seitigen performativen Hervorbringung von Gender und Genre im Spielfilm. Dem-
nach besäßen weder Gender noch Genres stabile Wesenskerne, sondern ihre (ver-
meintliche) Stabilität verdanke sich andauernden zitathaften Wiederholungen der
jeweiligen (und aufeinander verweisenden) Konventionen, die immer auch die
Möglichkeit der Verschiebung und Überschreitung böten. In ihrer Studie nominierte
Mädler das um die Jahrtausendwende aufkommende sentimentale Hollywood-
Melodrama mit männlicher Hauptfigur als besonders augenfällige diskursstrategi-
sche Verschiebung und als privilegierten medialen Rahmen, um das Krisenmotiv
sowohl inhaltlich als auch formal explizit zu verhandeln. Insbesondere der melodra-
matische Fokus auf Handlungsspielräume des Privaten und des Häuslichen erschien
ihr dabei als ausschlaggebender genrespezifischer Modus, der die Behauptung eines
einschneidenden männlichen Dominanzverlusts kontrafaktisch auf personalisie-
rende und damit entpolitisierende Weise legitimiere. Durch den Fokus auf ein
einzelnes männliches Leidensschicksal und die Entnennung gesellschaftlicher
Machtverhältnisse im Melodrama entstehe der Eindruck, der männliche Viktimisie-
rungsdiskurs sei gerechtfertigt.
Ines Kappert (2008) wiederum analysierte männliche Krisenfiguren sowohl im
Hollywoodkino als auch in der Belletristik der Jahrtausendwende als feminisierte
Kritische Männlichkeitenforschung und Medien 825

Konsumsubjekte, die auf kein (ehemals über die Position im Geschlechterverhältnis


legitimiertes) Differenzierungsmerkmal mehr zurückgreifen könnten, um eine Vor-
machtstellung zu behaupten. Die Narrative würden eine konservative Kritik an der
bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft formulieren und damit nicht deren grundle-
gende Wirkungsmechanismen, sondern eine unablässig voranschreitende Ökonomi-
sierung sozialer Verhältnisse anprangern, in denen nicht einmal mehr ihre „normal-
sten“ Vertreter glücklich werden könnten.
Die Arbeiten von Uta Fenske (2008) und Maja Figge (2015) beschäftigten sich
mit filmischen Aushandlungen von Männlichkeiten in der als krisenhaft beschrie-
benen Nachkriegszeit. Für den US-amerikanischen Raum zeigte Fenske dabei
entgegen der verklärenden patriarchalen Wunschvorstellung einer Vergangenheit
klar geordneter Geschlechterverhältnisse auf, wie uneindeutig und umstritten
Männlichkeitsentwürfe auf den Leinwänden des Hollywoodkinos zwischen 1946
und 1960 gewesen seien. Maja Figge nahm komplementär dazu das bundesdeut-
sche Kino der 1950er-Jahre in den Blick, arbeitete jedoch jene vielfältigen filmi-
schen Strategien heraus, mit denen auf die postnationalsozialistische Männlich-
keitskrise der BRD durch die (Wieder-)Herstellung von Deutschsein als Weißsein
geantwortet werde.
Elahe Haschemi Yekani (Haschemi Yekani 2011) setzte sich indes diskursanaly-
tisch mit der Erzählbarkeit von Männlichkeiten in kolonialen und postkolonialen
Artefakten aus Literatur, Fotografie und Film auseinander und definierte das Vor-
bringen des Krisenarguments pointiert als narrative Strategie, die nicht nur auf
weitere gesellschaftspolitische Krisen verweise, sondern sich vor allem durch
re-privilegierende Effekte für Weiße1 hegemoniale Männlichkeiten auszeichne, die
in der Ökonomie medialer Aufmerksamkeit unablässig virulent gehalten würden.
Solche Krisendiskurse, so ließe sich zusammenfassen, reproduzieren beständig
Sichtbarkeiten hegemonialer Männlichkeiten, die ihnen vormals paradoxerweise
gerade aufgrund ihrer unmarkierten Stellung als Norm-Subjekte implizit gewiss
waren. In Berufung auf Sally Robinson hatte Sabine Sielke bereits 2007 resümiert,
dass die krisenbezogene Markierung hegemonialer Männlichkeiten die Norm zur
Differenzkategorie mache und eine Form von „identity politics of the dominant“
(Robinson 2000, S. 3) inauguriere, die am Kampf um kulturelle Vorherrschaft
teilhabe. Auf die letztliche Unhaltbarkeit einer solchen (auch medialen) Positio-
nierung Weißer heterosexueller Männlichkeiten (als letzte aller Minderheiten)
hatte zuletzt Luca di Blasi (2013) hingewiesen. Angesichts der Hartnäckigkeit,
mit der das Krisen-Motiv allerdings immer wieder aufgerufen wird (etwa bereits
angesichts des Aufkommens der Figur des männlichen Junggesellen im 19. Jh.,
Vedder 2015) muss es jedoch als fixe Konstante patriarchaler Vorherrschaft gese-
hen werden und insofern auch weiterhin als Ansatzpunkt kritisch-
emanzipatorischer Kulturanalysen.

1
„Weiß“ und „Schwarz“ werden groß geschrieben, um zu markieren, dass es sich nicht um
Hautfarben, sondern um sozial hergestellte Differenzkategorien handelt.
826 P. Scheibelhofer et al.

3.2 Fremd-gemachte Männer? Rassismus und


vergeschlechtlichte Konstruktionen von Differenz

Bereits früh (z. B. Staples 1982) begann im anglo-amerikanischen Raum die kriti-
sche Auseinandersetzung mit Stereotypen und Rassismen in filmischen und media-
len Darstellungen von Männlichkeiten. Ein Fokus lag dabei auf Repräsentationen
Schwarzer Männer. Diese Studien zeigten dabei den intersektionalen Charakter
medialer Darstellungen auf, in denen sich vergeschlechtlichte Bilder von Differenz
über Zuschreibungen gefährlicher Sexualität, Gewalttätigkeit oder ökonomischer
Inkompetenz artikulieren. Diese Darstellungen seien darüber hinaus oftmals in
widersprüchlicher Weise von Abscheu sowie Begehren nach dem sexualisierten
Schwarzen Körper geprägt, wie Kobena Mercer (1994) in einer kritischen Analyse
von Fotografien Robert Mapplethorpes herausarbeitete. Stuart Hall (1997) und
andere (z. B. McClintock 1995) wiesen dabei in ihren Analysen der Repräsentation
Schwarzer Männlichkeiten auf historische Kontinuitäten mit Wissensarchiven und
Bildregimen aus Sklaverei- und Kolonialzeiten hin.
Studien wie jene von Marriott (2000) argumentierten, dass dominante Repräsen-
tationen Schwarzen Männern ein Erreichen normativer Männlichkeitsideale absprä-
chen und dementsprechend feminisierende Wirkung auf die so dargestellten Männer
hätten. Dies führe, so die Argumentation weiter, nicht nur zur Inkorporation nega-
tiver Selbstbilder unter Schwarzen Männern, sondern fördere auch problematische
Männlichkeitsideale. Schwarze Feministinnen wie bell hooks (2004) prangerten
zwar ebenfalls Rassismen in den Repräsentationen Schwarzer Männlichkeit an,
kritisierten jedoch die „Entmännlichungsthese“ dafür, dass sie nicht nur implizit
das Ideal Weißer normativer Männlichkeit affirmiere, sondern auch Sexismus
Schwarzer Männer legitimiere (siehe auch Wallace 1990). Etwas anders wurde der
Zusammenhang zwischen Repräsentation und sozialer Realität von Collins (2004)
gefasst, die mit Blick auf so unterschiedliche mediale Phänomene wie Sportbericht-
erstattung, Liebesfilme, Hip-Hop oder TV-Serien das Konzept der „controlling
images“ entwickelte. Sie argumentierte, dass sowohl die herrschenden Bilder ge-
fährlicher Schwarzer Arbeiterklassen- als auch „freundlicher“ Mittelschichtsmänn-
lichkeit der sozialen Kontrolle Schwarzer Männer dienen und ihre Marginalisierung
reproduzieren würde. So würden diese Bilder einerseits die Kriminalisierung von
verarmten Schwarzen legitimieren und andererseits Männlichkeitsideale propagie-
ren, die auf Anpassung und Unterwerfung unter eine Weiße – männliche – Ordnung
ausgerichtet seien.
Im deutschsprachigen Raum wandte Scheibelhofer (2018) diese Perspektive auf
die Analyse von politischen Migrationsdebatten an und zeigte hier die Rolle von
Konstruktionen fremder Männlichkeit für die Durchsetzung restriktiver Politiken
auf. Die Analyse zeigt, dass diese Fremdkonstruktionen genutzt würden, um eine
Sicherheits- und Gefahrenperspektive auf Migration zu etablieren und wiederholte
gesetzliche Verschärfungen als notwendige Abwehrmaßnahmen zu legitimieren.
Weitere Studien fokussierten insbesondere auf negative mediale Repräsentationen
vermeintlich archaischer türkisch-muslimischer Migranten und ihrer Söhne
(z. B. Ewing 2008) sowie zuletzt auf mediale Debatten rund um vermeintlich
Kritische Männlichkeitenforschung und Medien 827

sexuell gefährliche geflüchtete Männer, wie sie insbesondere nach der sogenannten
„Flüchtlingskrise 2015“ und in der Berichterstattung über die Übergriffe der
Kölner Silvesternacht große Verbreitung gefunden haben (Dietze 2016; Hark und
Villa 2017). Was George Mosse (1996) bereits für die Geschichte moderner Männ-
lichkeit zeigte, findet sich wieder: Die hier erzeugten Bilder fremder Männlichkeit
schaffen „Anti-Typen“, die nicht nur gesellschaftlichen Ausschluss der „Anderen“
legitimieren, sondern helfen, ein normatives männliches „Selbst“ zu definieren.
Repräsentationen fremder Männlichkeit bleiben jedoch nicht ungebrochen und
unwidersprochen. Das belegte etwa Donalson (2012) in einer Analyse komplexer
Konstruktionen Schwarzer Männlichkeiten bei Spike Lee oder John Singleton, die in
ihren Filmen nicht nur Gewalt- und Marginalisierungserfahrungen, sondern auch
unterschiedlichste Lebens- und Liebesentwürfe von Männern sichtbar gemacht
hätten. Oder Fatima El-Tayeb (2015), die in ihrer Studie zeigte, wie Hip-Hop eine
transnationale Sprache für junge urbane migrantische Männer darstellen könne, um
Rassismuserfahrungen zu artikulieren.

3.3 Zur Sichtbarkeit queerer Männlichkeiten2

Tillner und Kaltenecker (1995) hielten vor dem Hintergrund eines poststrukturalis-
tisch orientierten performativitätstheoretischen Zugangs zu Geschlecht fest, dass die
unbestimmte repräsentative Kategorie „Männlichkeit“ eine patriarchale Fiktion sei,
die als Effekt sowie stets unabgeschlossener Darstellungsprozess begriffen werden
müsse. Der sprachliche Kollektiv-Singular „Männlichkeit“, der sowohl Alltag als
auch Forschung immer noch dominiere, sei der Sichtbarkeit von queeren Männlich-
keiten nicht zuträglich, da er verdeckte Partikularismen wie Heterosexualität, Weiß-
sein oder Cis-Geschlechtlichkeit universalisiere (Bauer et al. 2007). Sowohl das
Wissenschaftsfeld (vgl. Sengelin 2017) als auch populäre Kultur (re-)produzieren
diesen falschen Universalismus, was sich in der geringen Anzahl an deutschspra-
chigen Studien über queere Männlichkeiten ausdrückt sowie im weitgehenden
Fehlen entsprechender Repräsentationen in Mainstream-Medien.
Dem begegnete der Sammelband „privat/öffentlich“ (Regener und Köppert 2013),
indem der medienwissenschaftliche Zugang auf die Verschränkung des Konzepts
„Medienamateure“ mit dem des Selbstentwurfes marginalisierter Gruppen der
1970er-Jahre gelegt wurde. Die Vielfalt der Beiträge lässt kein gemeinsames Fazit
zu, außer dass sich die Breite der medialen Selbstinszenierungen und -erzählungen
nicht zu einer klaren Emanzipationserzählung verdichten lässt, in der öffentliche
Sichtbarkeit mit weniger gesellschaftlicher Diskriminierung automatisch einherginge.
Es dauerte noch bis in die 1990er, bis schwule Männlichkeiten im Mainstream-
Kino eine vermehrte Aufmerksamkeit bekamen. Die diesbezügliche Pionierstudie

2
„Queer“ wird hier als Umbrella-Term für schwule Männlichkeiten, Trans*Männlichkeiten und
weibliche Maskulinitäten eingesetzt.
828 P. Scheibelhofer et al.

von Treiblmayr (2015) enthält neben männlichkeits- und filmhistorischen Abschnit-


ten ein Close Reading mehrerer Filme – vom New Queer Cinema z. B.: „Prinz in
Hölleland“ (1993) bis zur neuen deutschen Beziehungskomödie wie z. B. „Der
bewegte Mann“ (1994) – ergänzt um Produktionsanalysen und Filmkritiken. Die
von den Frauenbewegungen ausgelöste Suche nach dem „Neuen Mann“ habe, so das
zentrale Ergebnis, Räume schwuler Repräsentation im Mainstream geöffnet. Männ-
liche Homosexualität wäre durch ihr Ankommen im massenmedialen Mainstream
aus dem Status der Unterordnung befreit worden. Allerdings macht auch Treiblmayr
Ambivalenzen homosexueller Sichtbarkeit aus, wenn er die stereotype Charakteri-
sierung von schwulen Figuren in der neuen deutschen Beziehungskomödie heraus-
arbeitet.
Wie Hoenes (2014) argumentierte, laufe hingegen die hegemoniale Repräsenta-
tion von Trans*Männlichkeiten immer noch über den pathologischen Diskurs „Im
falschen Körper gefangen“, dessen Kritik Ausgangspunkt auch visueller Politiken
sei. Medienwissenschaftliche Referenz von Hoenes‘ Studie ist Tom Holerts Analyse
zur Evidenz der Photographie als Topos der Moderne. Der Glaube an die Wahrheit
der Photographie stehe in Verbindung mit der Durchsetzung eines positivistischen
Wahrheitsbegriffs in den Wissenschaften, der auch die Definition von Geschlecht
und geschlechtlicher Devianz geprägt habe. Allerdings gäbe es zwei unterschiedli-
che Evidenz-Effekte. Wenn sich das Gezeigte nicht im Einklang mit anderen hege-
monialen Vorstellungen über den Gegenstand befindet, ließe sich in der Evidenz-
produktion ein Überraschungsmoment feststellen, der Wahrheitskonstruktionen
nicht abschließt, sondern problematisiert. Diese Möglichkeiten von Verschiebungen
und Verunsicherungen innerhalb eines Repräsentationssystems, das Geschlecht und
Sexualität mit visueller Wahrheit über Identität verknüpft, werden im analytischen
Teil anhand von künstlerischen Selbst-Repräsentationen von Trans*Männern unter-
sucht (Hoenes 2014). „Boys don’t Cry“ aus dem Jahr 1999 war laut Kathrin Mädler
(2008) einer der frühesten Hollywoodfilme, der Trans*Männlichkeit nicht über
pathologische Darstellungen verhandelt hätte. Über ihre in Anschluss an Judith
Butler formulierte und durch Handlungs-, Genre- und Figurenanalyse fundierte
These „queering masculinity equals queering genre“ arbeitete Mädler heraus, dass
sowohl im Kino als auch im Alltag Konventionen fehlten, die nicht-heteronormative
Subjektivitäten lesbar und lebbar machten. In einer repräsentationskritischen Ana-
lyse zu „Boys don’t Cry“ arbeitete Andreas Jahn-Sudmann (2004) heraus, dass die
im Film verhandelte Kritik von Gewalt gegen Trans*Männer jedoch auf eine
stereotype Repräsentation einer „white trash community“ ausgelagert werde und
damit selbst Prozesse des Othering entlang von Klasse und Bildungsgrad in Gang
gesetzt habe.
Eine bis heute vernachlässigte Perspektive auf Maskulinität eröffnete J. Halberstam
mit „Female Masculinities“ (Halberstam 1998); bis heute ist aus dem Standardwerk
allein die Einleitung ins Deutsche übertragen worden (Halberstam 2012). Halber-
stam versucht weibliche Männlichkeit in das kulturelle Repertoire von dominanter
westlicher Männlichkeit einzuarbeiten. Über das Freilegen dieses verschütteten
Archivs zeige sich einerseits eine deutliche patriarchale Machtasymmetrie, die
Kritische Männlichkeitenforschung und Medien 829

sich in den vielfältigen Barrieren ausdrückt, denen weiblich klassifizierte Personen


gegenüberstehen, die sich Männlichkeit aneignen. Andererseits könne ein queerer
Blick diese Trennungen unterlaufen und sichtbar machen, wie sich weibliche und
männliche Männlichkeiten wechselseitig beeinflussen. Dieses vielschichtige Verhält-
nis und die daraus hervorgehenden neuen Männlichkeiten ließen sich nicht auf
Beziehungen wie Original versus Kopie oder wiederholendes Festschreiben von
patriarchaler Männlichkeit und Zweigeschlechtlichkeit reduzieren.

3.4 Helden, Körper, Katastrophen: Der Actionfilm als


Männlichkeitslabor

Aufgekommen in den 1970er-Jahren, avancierte der Actionfilm in den beiden Folge-


dekaden zu einem der global populärsten Filmgenres und ist bis heute fixer Bestand-
teil des Filmmarktes. Trotz Veränderungen ist es bis heute ein zutiefst männlich
konnotiertes Genre, sowohl was Produktion, Erzählungen als auch Publikum
betrifft. Für eine an Männlichkeitskonstruktionen interessierte Medienwissenschaft
wäre es laut Tasker (2004) darum falsch, das Genre lediglich als „loud and dumb“
abzutun: Bei näherem Hinsehen zeige sich der Actionfilm als Laboratorium von
Männlichkeiten, in dem nicht nur Geschlechternormen, sondern auch kulturelle
Selbstverständnisse verhandelt werden.
Kampf, Zerstörung und heroischer Triumph bzw. leidvolle Niederlage stehen im
Zentrum des Actionfilms. Das dabei produzierte, durch Macht, Aggression und
Handlungsfähigkeit ausgezeichnete Männlichkeitsideal wurde in Analysen oftmals
als Verbildlichung hegemonialer Männlichkeit beschrieben (z. B. Gates 2006). Der
männliche Körper sei dabei Dreh- und Angelpunkt, so stellte etwa Morsch (2002,
S. 50) fest: „Kein anderes filmisches Genre weist eine dem Actionkino vergleichbar
ostentative Beschäftigung mit dem männlichen Körper auf.“ Ein wiederkehrendes
Motiv sei zudem die Darstellung einer Rite de Passage der männlichen Helden, ob
im Männerbund an der Front oder allein im Dschungel wie bei Rambo (Brunotte
2000). Im Kontext der oftmals krisenhaften Initiationsriten würden Helden Prozesse
der Mann-Werdung durchmachen und weiblich konnotierte Eigenschaften abstreifen
(Gates 2005).
Insbesondere in der ersten Hochphase des Genres in den 1980er- und 1990er-
Jahren dominierte ein phallisch-muskulöses Körperideal, das Jeffords (1994) als
hard body beschrieb und das ihr zufolge etwa von Genre-Stars wie Sylvester Stall-
one oder Arnold Schwarzenegger verkörpert würde. Die Popularität dieses Männ-
lichkeitsideals erklärte sie dabei aus dem gesellschaftspolitischen Kontext: Der hard
body stelle die Verkörperung einer auf globale Dominanz ausgerichteten US-ameri-
kanischen Politik unter Reagan dar. Andere sahen im Erfolg des archaischen Männ-
lichkeitsbildes ein Beispiel für über Medien ausagierten, reaktionären Widerstand
gegen Emanzipationserfolge und reale Machtverluste von Männern (Grant 2011).
Bereits früh kritisierte Tasker (1993) jedoch eine rein ideologiekritische Perspek-
tive. So würden widersprüchliche und sinnliche Facetten, etwa das genretypische
830 P. Scheibelhofer et al.

spannungsgeladene Oszillieren zwischen Selbstkontrolle und Exzess oder die


Präsentation spektakulärer Schlachten und Körper übersehen. Dyer (1982) wies
auf die ambivalente Bedeutung des männlichen Muskelkörpers hin: Einerseits könne
dieser als naturalisierende Affirmation patriarchaler Männlichkeit gelesen werden,
andererseits vermittle dieser auch die Notwendigkeit der steten Arbeit am Körper zu
dessen Herstellung. Schließlich wies Neale (1993) auf die stets präsente Möglichkeit
des transgressiven Konsums von Actionfilmen hin, wenn etwa der Körper des
Helden nicht ausschließlich als Objekt der Identifikation, sondern des Begehrens
betrachtet wird. Die Rolle von Homosozialität und Homoerotik wurde etwa im
Zusammenhang mit der Figur des „Sidekicks“ diskutiert, der in vielen Actionfilmen
eine wichtige – wenn auch hierarchisch untergeordnete – Rolle für das körperliche
und emotionale Überleben des zentralen Helden spiele (z. B. King 2012).
Rezente Verschiebungen im Action-Genre, von einem Fokus auf Einzelkämpfer
hin zum „Group Hero“, geben laut Boggs und Pollard (2007) Anlass für weitere
Analysen der widersprüchlichen Dynamiken von Homosozialität und Männerbund.
Wie Boyle und Brayton (2012) anhand des Filmes The Expandables zeigten,
fungieren Actionfilme auch heute noch als Mittel der Re-Maskulinisierung in Zeiten
von multiplen Krisenerfahrungen. Dass das Genre jedoch im Wandel begriffen ist,
zeige sich etwa an dem filmischen Oeuvre von Kathryn Bigelow: Wie Grant (2011)
argumentierte, könnten mit den Mitteln des Actionfilms selbst die Grundpfeiler des
Genres und dessen Männlichkeitsvorstellungen in Frage gestellt werden.

4 Fazit

Die medialen Aushandlungsprozesse um Männlichkeiten oszillieren zwischen Set-


zungen von Norm und Abweichung sowie zwischen Hyper-Sichtbarkeit und
Unsichtbarmachung. Medien- und Kommunikationsprozesse können dazu beitra-
gen, die in diese Dichotomien eingelassenen Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu
stabilisieren oder zu irritieren. Die besprochenen Studien und Analysen zeigen die
Intersektionalität und Pluralität von Männlichkeiten. Sie verdeutlichen damit die
Differenzen und Hierarchisierungen zwischen Männlichkeiten sowie unterschiedli-
che Dominanzlogiken innerhalb der Geschlechterverhältnisse. Kritische Männlich-
keitenforschung in den Medienwissenschaften baut auf feministischen Forschungen,
Theorien und politischen Interventionen auf und kann einen Beitrag zur Analyse und
Kritik fortwährender Ungleichheiten im Geschlechterverhältnis leisten.
Angesichts der ambivalenten Herausforderungen postfeministischer Medienkul-
turen (Gill 2016) werden repräsentationskritische Analysen – wie die in diesem
Artikel vorgestellten – und ihre Befragungen männlich-patriarchal-medialer Selbst-
verständlichkeiten auch künftig wichtige Beiträge für feministische Medienwissen-
schaft leisten. Darüber hinaus zeichnen sich neue Impulse ab, etwa durch innovative
theoretische Ansätze des neuen Materialismus (u. a. Bath et al. 2013; Köppert 2015),
in denen Verhältnisse von Medien und Geschlecht als mannigfaltige Assemblagen
und Dispositive konzipiert und analysiert werden.
Kritische Männlichkeitenforschung und Medien 831

Literatur
Albrecht, Michael Mario. 2015. Masculinity in contemporary quality television. London: Ashgate.
Bath, Corinna, Hanna Meißner, Stephan Trinkaus, und Susanne Völker, Hrsg. 2013. Geschlechter
Interferenzen. Wissensformen – Subjektivierungsweisen – Materialisierungen. Berlin: Lit.
Bauer, Robin, Josch Hoenes, und Volker Woltersdorff. 2007. Einleitung der Herausgeber. In
Unbeschreiblich Männlich. Heteronormativitätskritische Perspektiven, 12–26. Hamburg: Män-
nerschwarm Verlag.
Blasi, Luca. di. 2013. Der weiße Mann: Ein Anti-Manifest. Bielefeld: transcript.
Boggs, Carl, und Tom Pollard. 2007. The Hollywood war machine. U.S. militarism and popular
culture. London: Paradigm Publishers.
Boyle, Ellexis, und Sean Brayton. 2012. Ageing masculinities and „muscle work“ in hollywood
action film: An analysis of the expendables. Men and Masculinities 15(5): 468–485.
Brunotte, Ulrike. 2000. Rambo, Terminator und Co.: Rituale der Männlichkeit und die Initiation in
die Katastrophe. Frauen und Film 61:5–21.
Butler, Judith. 1997. Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Frankfurt
a. M.: Suhrkamp.
Carrigan, Tim, Bob Connell, und John Lee. 1985. Toward a new sociology of masculinity. Theory
and Society 14(5): 551–604.
Casale, Rita, und Edgar Forster. 2006. Einleitung: Der neue Mann oder die Wiederkehr der Natur im
Sozialen. Feministische Studien 24(2): 185–192.
Cohan, Steven, und Ina Rae Hark, Hrsg. 1993. Screening the male: Exploring masculinities in
Hollywood cinema. London: Routledge.
Collins, Patricia Hill. 2004. Black sexual politics. African Americans, gender and the new racism.
New York: Routledge.
Connell, R. W. 1995. Masculinities. Berkeley/Los Angeles: University of California Press.
Crenshaw, Kimberlé. 1989. Demarginalizing the intersection of race and sex: A black feminist
critique of antidiscrimination doctrine, feminist theory and antiracist politics. The University of
Chicago Legal Forum 140:139–167.
Dietze, Gabriele. 2016. Ethnosexismus. Sex-Mob-Narrative um die Kölner Sylvesternacht. Move-
ments. Journal for Critical Migration and Border Regime Studies 2(1): 177–186.
Donalson, Melvin. 2012. Inside men. Black masculinity in the films of Spike Lee and John
Singleton. In Millennial masculinity. Men in contemporary American cinema, Hrsg. Timothy
Shary, 223–242. Detroit: Wayne State University Press.
Dyer, Richard. 1982. Don’t look now. Screen 23(3–4): 61–73.
Eisler, Colin. 1999. „Going straight“: Camera work as men’s work in the gendering of American
photography, 1900–1923. Genders 30. https://www.colorado.edu/gendersarchive1998-2013/
1999/10/01/going-straight-camera-work-mens-work-gendering-american-photography-1900-
1923. Zugegriffen am 31.01.2018.
El-Tayeb, Fatima. 2015. Anders Europäisch. Rassismus, Identität und Widerstand im vereinten
Europa. Münster: Unrast Verlag.
Ewing, Katherine. 2008. Stolen honor. Stigmatizing muslim men in Berlin. Stanford: Stanford
University Press.
Fenske, Uta. 2008. Mannsbilder. Eine geschlechterhistorische Betrachtung von Hollywoodfilmen
1946–1960. Bielefeld: transcript.
Figge, Maja. 2015. Deutschsein (wieder-)herstellen. Weißsein und Männlichkeit im bundesdeut-
schen Kino der fünfziger Jahre. Bielefeld: transcript.
Gates, Philippa. 2005. ‚Fighting the good fight‘. The real and the moral in the contemporary
Hollywood combat film. Quarterly Review of Film and Video 22(4): 297–310.
Gates, Philippa. 2006. Detecting men: Masculinity and the Hollywood detective film. Albany:
SUNY Press.
Gill, Rosalind. 2016. Postfeministische Medienkultur. Elemente einer Sensibilität. In Gender &
medien-reader, Hrsg. Kathrin Peters und Andrea Seier, 541–556. Berlin/Zürich: Diaphanes.
832 P. Scheibelhofer et al.

Grant, Barry. 2011. Shadows of doubt. negotiations of masculinity in American genre films. Detroit:
Wayne State University Press.
Halberstam, J. 1998. Female masculinity. Durham/London: Duke University Press.
Halberstam, J. 2012. Female Masculinity. In Gender studies, Hrsg. Franziska Bergmann, Franziska
Schößler, und Bettina Schreck, 175–193. Bielefeld: transcript.
Hall, Stuart. 1997. The Spectacle of the „Other“. In Representations. Cultural representations and
signifying practices, 223–279. London: Sage.
Hark, Sabine, und Paula-Irene Villa. 2017. Unterscheiden und Herrschen. Ein Essay zu den
ambivalenten Verflechtungen von Rassismus, Sexismus und Feminismus in der Gegenwart.
Bielefeld: transcript.
Haschemi Yekani, Elahe. 2011. The privilege of crisis: Narratives of masculinities in colonial and
postcolonial literature, photography and film. Frankfurt a. M.: Campus.
Heilmann, Andreas, Gabriele Jähnert, Falko Schnicke, Charlott Schönwetter, und Mascha Voll-
hardt, Hrsg. 2015. Männlichkeit und Reproduktion: Zum gesellschaftlichen Ort historischer und
aktueller Männlichkeitsproduktionen. Wiesbaden: Springer.
Hoenes, Josch. 2014. Nicht Frosch – nicht Laborratte. Transmännlichkeiten im Bild. Eine kunst-
und kulturwissenschaftliche Analyse visueller Politiken. Bielefeld: transcript.
hooks, bell. 2004. We real cool: Black men and masculinity. London: Routledge.
Jahn-Sudmann, Andreas. 2004. Heartland of darkness: Female masculinity, white trash und die
Strategien der Repräsentation in „Boy’s don’t cry“. In Identitätsräume. Nation, Körper und
Geschlecht in den Medien. Eine Topografie, Hrsg. Brigitte Hipfl, Elisabeth Klaus, und Uta
Scheer, 250–274. Bielefeld: transcript.
Jeffords, Susan. 1994. Hard bodies. Hollywood masculinity in the Reagan era. New Brunswick:
Rutgers University Press.
Kaltenecker, Siegfried. 1996. Spi(eg)elformen: Männlichkeit und Differenz im Kino. Frankfurt
a. M.: Stroemfeld.
Kaltenecker, Siegfried, und Georg Tillner. 1995. Offensichtlich männlich. Zur aktuellen Kritik der
heterosexuellen Männlichkeit. Texte zur Kunst 17:37–48.
Kappert, Ines. 2008. Der Mann in der Krise oder: Kapitalismuskritik in der Mainstreamkultur.
Bielefeld: transcript.
King, Neal. 2012. Feelings and fire fights: Gendered performance in cop action climaxes. In
Millennial masculinity. Men in contemporary American cinema, Hrsg. Timothy Shary, 66–82.
Detroit: Wayne State University Press.
Köppert, Katrin. 2015. Touch of concern. Queere Mikropolitiken affektiver Reproduktion bei
GayRomeo und Grindr. In Männlichkeit und Reproduktion: Zum gesellschaftlichen Ort histo-
rischer und aktueller Männlichkeitsproduktionen, Hrsg. Andreas Heilmann, Gabriele Jähnert,
Falko Schnicke, Charlott Schönwetter, und Mascha Vollhardt, 329–348. Wiesbaden: Springer.
Levine, Elana, und Michael Z. Newman. 2012. Fernsehbilder und das Bild des Fernsehens.
montage AV. Zeitschrift für Theorie und Geschichte audiovisueller Kommunikation 21(1):
11–40.
Lotz, Amanda. 2014. Cable guys: Television and masculinities in the 21st century. New York:
New York University Press.
Mädler, Kathrin. 2008. Broken men. Sentimentale Melodramen der Männlichkeit – Krisen von
Gender und Genre im zeitgenössischen Hollywoodfilm. Marburg: Schüren.
Marriott, David. 2000. On black men. Edinburgh: Edinburgh University Press.
McClintock, Anne. 1995. Imperial leather: Race, gender, and sexuality in the colonial contest.
New York: Routledge.
Mercer, Kobena. 1994. Welcome to the jungle: New positions in black cultural studies. New York:
Routledge.
Mitchell, Lee Clark. 1996. Westerns: Making the man in fiction and film. Chicago: University of
Chicago Press.
Kritische Männlichkeitenforschung und Medien 833

Morsch, Thomas. 2002. Muskelspiele. Männlichkeitsbilder im Actionkino. In Männer, Machos,


Memmen. Männlichkeit im Film, Hrsg. Christian Hißnauer und Thomas Klein, 49–74. Mainz:
Bender.
Mosse, George. 1996. The image of man: The creation of modern masculinity. New York: Oxford
University Press.
Mulvey, Laura. 1975. Visual pleasure and narrative cinema. Screen 16(3): 6–18.
Neale, Steve. 1993. Masculinity as spectacle. Reflections on men and mainstream cinema. In
Screening the male. Exploring masculinities in Hollywood, Hrsg. Steven Cohan und Ina Rae
Hark, 9–22. Milton Park: Routledge.
Peters, Kathrin, und Andrea Seier, Hrsg. 2016. Gender & Medien: Einleitung. In Gender & medien-
reader, 9–19. Berlin/Zürich: Diaphanes.
Poole, Ralph J. 2012. Gefährliche Maskulinitäten: Männlichkeit und Subversion am Rande der
Kulturen. Bielefeld: transcript.
Preciado, Paul B. 2012. Pornotopia. Architektur, Sexualität und Multimedia im „Playboy“. Berlin:
Wagenbach.
Regener, Susanne, und Katrin Köppert, Hrsg. 2013. Privat/öffentlich. Mediale Selbstentwürfe von
Homosexualität. Wien/Berlin: Turia + Kant.
Robinson, Sally. 2000. Marked men: White masculinity in crisis. New York: Columbia University
Press.
Russo, Vito. 1981. The celluloid closet: Homosexuality in the movies. New York: Harper & Row.
Scheibelhofer, Paul. 2018. Der fremd-gemachte Mann. Konstruktionen von Männlichkeit im
Migrationskontext. Wiesbaden: Springer.
Sengelin, Johannes. 2017. Der Diskurs „weiße heterosexuelle Cis-Männlicheiten“. Eine spezifische
Konfiguration von Männlichkeit als falscher Universalismus in der akademischen Forschung. In
Von der Reflexion zur Dekonstruktion? Kategorien, Typen und Stereotype als Gegenstand
junger Forschung, Hrsg. Diotima Bertel, Julia Himmelsbach, Barbara Metzler, Lara Möller,
und Andreas Riedl, 247–276. Wien: danzig und unfried.
Sielke, Sabine. 2007. „Crisis? What crisis?“: Männlichkeit, Körper, Transdisziplinarität. In Väter,
Soldaten, Liebhaber: Männer und Männlichkeiten in der Geschichte Nordamerikas. Ein Reader,
Hrsg. Jürgen Martschukat und Olaf Stieglitz, 43–61. Bielefeld: transcript.
Silverman, Kaja. 1992. Male subjectivity at the margins. In London. New York: Psychology Press.
Staples, Robert. 1982. Black masculinity: The black male’s role in American society. San Francisco:
Black Scholar’s Press.
Sulzenbacher, Stefan. 2016. Binge-Watching 3.0? (Post-)Televisuelle Remediatisierungen von
Männlichkeit. medien & zeit 31(3): 78–92.
Tasker, Yvonne. 1993. Spectacular bodies. Gender, genre and the action cinema. New York:
Routledge.
Tasker, Yvonne. 2004. Action and adventure cinema. London: Routledge.
The Combahee River Collective. 1977. A black feminist statement. In The second wave: A reader in
feminist theory, Hrsg. Linda Nicholson, 63–70. New York: Routledge.
Theweleit, Klaus. 1977/1978. Männerfantasien: 2 Bände. Frankfurt a. M.: Stroemfeld.
Treiblmayr, Christopher. 2015. Bewegte Männer. Männlichkeit und männliche Homosexualität im
deutschen Kino der 1990er-Jahre. Köln/Wien: Böhlau.
Vedder, Ulrike. 2015. Reproduktion in Gefahr. Männliche Junggesellen in Literatur und Wissenschaf-
ten des 19. Jahrhunderts. In Männlichkeit und Reproduktion. Zum gesellschaftlichen Ort histori-
scher und aktueller Männlichkeitsproduktionen, Hrsg. Andreas Heilmann, Gabriele Jähnert, Falko
Schnicke, Charlott Schönwetter, und Mascha Vollhardt, 43–58. Wiesbaden: Springer.
Vettel-Becker, Patricia. 2005. Shooting from the hip. Photography, masculinity, and postwar
America. Minneapolis: University of Minnesota Press.
Wallace, Michelle. 1990. Black macho and the myth of the superwoman. London: Verso.
Williams, Linda. 1995. Hard core. Macht, Lust und die Traditionen des Pornographischen. Basel:
Stroemfeld.
Mediensport: Gender und Intersektionalität
im Sportressort und in der
Sportberichterstattung

Johanna Dorer und Matthias Marschik

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 836
2 Der Sport-Medien-Komplex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 836
3 Sportjournalismus: männlich, Weiß, heterosexuell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 839
4 Sportberichterstattung: mehr Sichtbarkeit, Diskriminierung bleibt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 841
5 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 846
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 846

Zusammenfassung
In der feministischen Forschung war der Mediensport lange Zeit ein vernach-
lässigtes Thema. Erst spät wurden Geschlechteraspekte und jüngst auch weitere
Achsen der Differenz wie „Rasse“, sexuelle Orientierung, Trans- und Inter-
geschlechtlichkeit sowohl bezüglich der Sportberichterstattung als auch in An-
sätzen das Sportressort betreffend aufgegriffen. Wegweisende Studien kommen
aus dem anglo-amerikanischen Raum, die deutschsprachige Forschung hat hier
noch großen Nachholbedarf, beschränkt sie sich doch weitgehend auf die Ana-
lyse des Geschlechteraspekts im Mediensport. Das Sportressort gilt heute immer
noch als letzte Bastion hegemonialer Weißer Männlichkeit, und es erstaunt daher
nicht, dass männlich codierte Werte und Vorurteile die journalistische Arbeits-
weise bestimmen. Die Erkenntnisse der Medienforschung zur Sportberichterstat-
tung verweisen auf zahlreiche – wenn auch zunehmend diffiziler formulierte –
Diskriminierungsformen, denen Sportlerinnen, aber auch homosexuelle, Schwarze,
trans- und intergeschlechtliche Sportler:innen nach wie vor ausgesetzt sind.

J. Dorer · M. Marschik (*)


Universität Wien, Wien, Österreich
E-Mail: johanna.dorer@univie.ac.at; matthias.marschik@univie.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 835
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_58
836 J. Dorer und M. Marschik

Schlüsselwörter
Sportjournalismus · Sportberichterstattung · Geschlecht · „Rasse“ ·
Homosexualität · Trans- und Intergeschlechtlichkeit · Intersektionalität

1 Einleitung

Von Beginn an war der moderne Sport, der sich durch Quantifizierung, Reglemen-
tierung, Spezialisierung, Rekordstreben und Bürokratisierung auszeichnet, zugleich
gekennzeichnet durch verschiedene Achsen der Differenz, wie Geschlecht, Klasse,
„Rasse“ und Nation. Ab den 1850er-Jahren in Großbritannien, ab etwa 1890 in
Kontinentaleuropa schuf sich eine Weiße männliche Oberschicht die bis heute
praktizierten Grundlagen des modernen, ab den 1920er-Jahren zunehmend profes-
sionalisierten Sports. (Guttmann 1979; Eisenberg 1997; Gruneau 2017; Marschik
2009) Um 1900 mutierte der Sport von einer primär klassen- zu einer geschlechter-
segregierten Praxis. Während die Arbeiterklasse zum Teil in den bürgerlichen Sport
integriert wurde, zum Teil ihre eigenen Sportorganisationen gründete, sollten (bür-
gerliche und aristokratische) Frauen sukzessive aus dem Wettkampfsport aus-
geschlossen und auf gymnastische Übungen ohne kompetitiven Charakter reduziert
werden. Legitimiert wurde der Ausschluss ethisch-moralisch sowie ästhetisch, spä-
ter medizinisch und geschlechterstereotyp, mit Gebärfähigkeit und Mütterlichkeit,
obgleich Frauen zuvor auch gefahrvolle Sportarten wie Fallschirm- oder Skispringen
betrieben hatten. (Pfister 1989, 1998, 2017; Messner 1990; Marschik 2003; Dorer
und Marschik 2016) Trotz dieses Zurückdrängens blieb das bürgerliche, oft andro-
gyn erscheinende „Sportgirl“ als Subtext in der medialen Repräsentation weiterhin
stets präsent. (Dorer und Marschik 2010, 2014a)
Bereits in den 1920er-Jahren entwickelten sich verschiedene Sparten des Sports
zu populären Massenkulturen, die die Normen und Werte des Sports sowie die dort
praktizierten Differenzen von Geschlecht, Klasse, „Rasse“, Herkunft, sexueller
Orientierung und insbesondere Nation tief in die Gesellschaft hineintrugen. Zentrale
Faktoren für die Wirksamkeit der populären Kultur des Sports waren – und sind bis
heute – Emotionalität (seitens der Sportler:innen, Zuschauer:innen, Fans und der
interessierten Öffentlichkeit), eine hohe Glaubwürdigkeit der Rückbindung ge-
schlechtsspezifischer Normen und Werte an Biologie und Körper sowie die Kon-
struktion strenger kompetitiver Regelsysteme, die im Gegensatz zu anderen sozialen
Systemen standen. (Jarvie 2006; Marschik 2007; Boyle und Haynes 2009)

2 Der Sport-Medien-Komplex

Medien hatten an der Verbreitung und Popularisierung des modernen Sports


wesentlichen Anteil, sodass sich in der Forschung deshalb der Begriff Sport-
Medien-Komplex (Rowe 2013) etabliert hat, verstanden als das durch
Mediensport: Gender und Intersektionalität im Sportressort und in . . . 837

gegenseitige Abhängigkeit gekennzeichnete Zusammenspiel von Sportorganisa-


tionen, Sportpraxen, Medienorganisationen, journalistischen Praxen und Publi-
kum. Trotz dieses mehrdimensionalen Konzepts wird in empirischen Studien zu
Sport und Medien meist nur die Produktionsseite, also die mediale und journa-
listische Praxis, betrachtet. Unberücksichtigt bleibt oft, dass Sportorganisationen
mit Wettkampfregeln oder zahlreichen symbolischen Codes und stereotypen
Wertvorstellungen (etwa mit Kleidervorschriften für Sportler:innen) Geschlech-
terdifferenzen festigen. Sportverbände definieren Sportarten, entscheiden über
die Zugangsverbote und -beschränkungen für Frauen bezüglich einzelner Sport-
arten, bestimmen die Gründung und Vergabe von Bewerben (z. B. bei Olympi-
schen Spielen) und entscheiden über Teilnahmechancen von Sportler:innen, was
zumeist zum Nachteil von Frauen ausgeht. Sie setzen ferner spezifische Regel-
werke fest, die auf Kampf, Kraft, Aggressivität und Spitzenleistung ausgerichtet
sind, und unterstützen damit eine Kontinuität und Perpetuierung „hegemonialer
Männlichkeit“ (Connell 1995). Sportverbände entscheiden, gemeinsam mit der
Sportpolitik und staatlichen wie privaten Sponsoren, über Ausbildungsmöglich-
keiten und die Festsetzung von Preisgeldern, deren deutlicher Gender Gap erst
jüngst wieder kritisiert wurde. Zudem sind Entscheidungspositionen in Sport-
verbänden fast ausschließlich in Männerhand, was Veränderungen erschwert.
(Pfister 2006, S. 56; Dorer 2007, S. 25–26; Götz 2020; Pernegger 2020, S. 24,
117) Auf diese Diskriminierungspraxen antwortete die Europäische Kommission
mit einem Aktionsplan für Gendergerechtigkeit im Sport, in Sportorganisationen
sowie in der medialen Repräsentation von Sportler:innen. (European Commis-
sion 2014)
Medien wiederum thematisieren überwiegend den professionellen Spitzensport,
während sie das breite Feld der Bewegungskulturen (Freizeit-, Hobby- und Breiten-
sport, Turnen, Gymnastik, Tanz etc.) aus ihrer Berichterstattung weitgehend aus-
schließen. Damit verstärken sie in der öffentlichen Wahrnehmung die Werte und
Normen des modernen Sportkonzepts – wie Stärke, Heldentum, Höchstleistung,
Ausdauer, Konkurrenz, Sieg versus Niederlage – und geben ihnen gesamtgesell-
schaftliche Relevanz, während die eher geschlechterneutralen Werte (wie Gemein-
schaft, Freude an Bewegung und kooperative sportliche Ertüchtigung) von Bewe-
gungskulturen kaum Aufmerksamkeit erlangen. Verstärkt wird damit zugleich die
Rückbindung der sportlichen Leistung an die Differenz des weiblichen und männ-
lichen Körpers, sodass eine Naturalisierung von Geschlecht und „Rasse“ wie selbst-
verständlich gelingt. Die sohin von Medien befeuerte und im Spitzensport prakti-
zierte hegemoniale Männlichkeit wird in Form populärer Sportdiskurse als Norm in
die gesellschaftlichen Alltagspraxen hineingetragen.
Indem sich Medien auf den Spitzensport konzentrieren und immer stärker über
individuelle Höchstleistungen im Sinne einer medialen Rekord-Logik von Sport-
ler:innen berichten, den Gewinner:innen übermäßig Aufmerksamkeit und Sende-
zeit geben, haben sie – seit den 1920er-Jahren und insbesondere mit dem Fern-
sehen ab den 1960er-Jahren – am Aufbau eines medialen Helden- und Starkults
838 J. Dorer und M. Marschik

mitgewirkt. Durch die Hochstilisierung nationaler Helden – und selten auch


Heldinnen1 – trug der Sport via Medien wesentlich zu einem verstärkten Natio-
nalbewusstsein bei. (Marschik 1999) Ab den 1980er-Jahren wurden erfolgreiche
Sportler:innen durch die umfangreiche Vermarktung der eigenen Person in der
Musik, der Werbung und im Film – und schon früh auch im Internet – nunmehr
global bewunderte Stars und Vorbilder. (Pfister 2006; Marschik und Spitaler
2006; Schaaf 2011a, S. 51–54). Außerdem trägt der nun praktizierte spätmoderne
Höchstleistungs- und Mediensport2 dazu bei, dass es neben der hierarchischen
Differenzierung nach Geschlecht, Klasse und „Rasse“ zu einer Diskriminierung
weiter Teile der Weltbevölkerung, insbesondere von Menschen des globalen
Südens, von Senior:innen und von psychisch Kranken sowie zu einer Exklusion
von Staaten- bis zu Vereinslosen kommt. (Dorer und Marschik 2014b, S. 333;
Marschik 2011)
Zwischen Sportorganisationen und Medien entwickelte sich – unter zunehmender
Berücksichtigung der Sponsoren – ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis, das
auch als symbiotische Verschränkung bezeichnet werden kann. Sportorganisationen
orientieren sich an der Medienlogik und an journalistischen Produktionsroutinen,
andererseits greifen Medien indirekt in die Prioritätensetzung der Sportorganisatio-
nen ein, um große Reichweiten und hohe Einschaltquoten zu erzielen. So werden
Austragungsorte und -zeiten von Sportereignissen mit den Medien akkordiert, wobei
diese wiederum dem „Männersport“ durch bessere Sendezeiten, längere Vor- und
Nachberichterstattung, mehr Kameras etc. gegenüber dem „Frauensport“ eine bevor-
zugte Stellung einräumen und damit Geschlechterhierarchien verstärken. Zudem
bekamen wirtschaftliche Faktoren eine immer wichtigere Rolle, sodass die Öko-
nomisierung des Sports und der Medien diese immer stärker aneinander bindet.
Denn Sport-Megaereignisse ohne Medien sind nicht mehr finanzierbar, und Medien
ohne Sportberichterstattung generieren zu wenig Publikum. Wenn Sportwissen-
schaftler:innen vorschnell eine Diskriminierung des von Frauen betriebenen Sports
allein den Medien zuschreiben (z. B. Hartmann-Tews und Rulofs 2003), bleiben
diese komplexen Interdependenzen unberücksichtigt. (Dorer 2007, S. 25–26; Xu
und Billings 2021) Denn Medien konstruieren zwar ihre eigene Medienrealität,
agieren aber durch diese enge Verflechtung systemstabilisierend und verstärken
gesellschaftliche Diskurse und Machtverhältnisse, insbesondere auch Geschlech-
terverhältnisse.

1
So etwa gibt es in der österreichischen „Heldengalerie“ unter 41 Sportstars nur 8 (19,5 %)
weibliche Idole. (Marschik und Spitaler 2006).
2
Dieser wird getrieben von politischen, vor allem aber ökonomischen Bedingungen, was zu einer
schier unbegrenzten Unterwerfung unter neoliberale Markt- und Medienlogiken führt (Regelände-
rungen zur Anpassung ganzer Sportsparten an die Rhythmen der Werbungsschaltungen, Schirennen
in schneelosen Gegenden aus wirtschaftlichem oder politischem Kalkül, gigantomanische Eröff-
nungszeremonien, Ski-Nachtrennen, um Einschaltzahlen zu erhöhen, extremes Merchandising
europäischer Topfußballvereine im asiatischen Raum, was dort zu einer größeren Fangemeinschaft
als im Heimatland führt, etc.).
Mediensport: Gender und Intersektionalität im Sportressort und in . . . 839

3 Sportjournalismus: männlich, Weiß, heterosexuell

Der Journalismus ist mit einem Frauenanteil von höchstens 40 Prozent in den
meisten Ländern nach wie vor ein Männerberuf. (World of Journalism Study
2016) Der Anteil an Journalistinnen im Sportressort in Deutschland und Österreich
bewegt sich hingegen derzeit zwischen zehn und 13 Prozent, wobei Frauen in
Printredaktionen seltener als in TV-Redaktionen vertreten sind. (Dorer 2007, S. 28;
Steindl et al. 2017, S. 419 nach eigener Berechnung; Kaltenbrunner et al. 2020,
S. 240; Hassany und Diehr 2016). Auch in den USA beträgt der Frauenanteil aktuell
gerade einmal 13 Prozent (Lapchick 2021). Das Sportressort – ob in Zeitung, Radio,
TV oder Internet – sowie themenspezifische Sportmedien bilden also eine der letzten
gegen Veränderung resistenten journalistischen Männerbastionen.
Betrachtet man Sportnachrichten in Printmedien, so zeigt ein Vergleich von
80 Zeitungen in 20 Ländern, dass nur acht Prozent von Sportjournalistinnen ge-
schrieben wurden. (Horky und Nieland 2011) Bei UK-Printmedien sind es sogar nur
zwei Prozent, ein Anteil, der sich in zehn Jahren nicht geändert hat. (Franks und
O’Neill 2016) Auch die weltweite GMMP-Studie (2020, S. 52) kommt zu dem
Ergebnis, dass Sportnachrichten (in Print, AV und Internet) den geringsten Anteil an
von Frauen verfassten Artikeln aufweisen. Eine aktuelle Studie für Österreich (Per-
negger 2020, S. 114–116) erhob, dass lediglich drei Prozent der Sportberichte von
Journalistinnen stammen; ferner berichten nur 11 Prozent der Sportreporter, hin-
gegen aber 31 Prozent der Sportreporterinnen in Print- und AV-Medien über
Sportlerinnen. Damit deutet die Studie wie auch schon frühere Erhebungen darauf
hin, dass sich ein höherer Frauenanteil im Sportressort auch in einer besseren
Sichtbarkeit von Sportlerinnen in den Medien niederschlagen würde. (Kian und
Hardin 2009; Pernegger 2020)
Eine weitere Differenzierung des Datenmaterials zu Sportjournalistinnen nach
Herkunft, sexueller Orientierung und weiteren Differenzkriterien existiert im
deutschsprachigen Raum nicht. Bedenkt man, dass der Frauenanteil von Journalis-
tinnen mit Migrationshintergrund in Österreich und Deutschland bei fünf Prozent
liegt (Röben 2019), ist davon auszugehen, dass diese in Sportredaktionen so gut wie
nicht präsent sind. Anders sieht es bezüglich der Datenerhebung in den USA aus, wo
seit 1998 in einem „Racial Gender Report“ die Entwicklung des Frauenanteils von
Sportjournalistinnen nach „Rasse“ und Ethnizität regelmäßig dokumentiert wird.
Demnach gibt es aktuell im Sportressort 1,6 Prozent Schwarze Journalistinnen und
1,5 Prozent Journalistinnen mit asiatischer oder lateinamerikanischer Herkunft3.
(Lapchick 2021, S. 21). In den Sportressorts lokaler TV-Stationen haben sie dabei
größere Chancen als in landesweiten TV-Sendern. (Genovese 2015, S. 56)
Journalistinnen in Sportressorts sehen sich noch stärker sämtlichen Formen von
Diskriminierung ausgesetzt als in anderen Ressorts. Das sind etwa geschlechtsspezi-
fische Benachteiligung hinsichtlich der Besetzung von Führungspositionen sowie

3
Im Gegensatz dazu machen Schwarze Sportjournalisten 10,7 Prozent aus, jene mit asiatischer oder
lateinamerikanischer Herkunft 8,1 Prozent (Lapchick 2021).
840 J. Dorer und M. Marschik

ein geringeres Einkommen, Abwertung journalistischer Leistungen, thematische


Beschränkung auf weiblich codierte Sportarten, der Ausschluss vom Informations-
fluss und nicht zuletzt sexuelle Belästigung. Dieses Umfeld führt in der Regel zu
einer Anpassung an männliche Normen und Arbeitsroutinen, wie etwa journalisti-
sche Selektions- und Darstellungspraxen. (Creedon, 1994; Hardin und Shain 2005;
Dorer 2006; Schoch und Ohl 2011; Genovese 2015; Franks und O’Neill 2016;
Laucella et al. 2017; Harrison 2018; Organista und Mazur 2020) Vor allem sind
Sportjournalistinnen in extremer Weise von sexueller Belästigung und Hatespeech
im Internet betroffen. Als Gegenwehr organisieren sie ein gemeinsames Vorgehen
unter Einbeziehung von Sportorganisationen. Dennoch können letztlich viele dem
Druck nicht standhalten und verlassen das Sportressort frühzeitig. (Everbach 2018)
Einen Versuch der Gegenwehr setzte eine unabhängige Medienorganisation mit der
#MoreThanMean-Kampagne. In einem Video wurden zwei bekannte US-Sport-
journalistinnen mit obszönen Hassnachrichten, vorgelesen von zwei Männern,
konfrontiert und ihre Reaktionen gezeigt. Das auf Youtube gestellte Video erreichte
binnen einer Woche mehr als drei Millionen User:innen. Antunovic (2019)
untersuchte die Zirkulation der feministischen Video-Botschaft, insbesondere den
Spill-over-Effect von den sozialen in die Mainstream-Medien. Das Ergebnis war,
dass trotz enormer Verbreitung eine kritische Auseinandersetzung lediglich auf
feministische Communities beschränkt blieb.
Empirische Studien, die nicht nur geschlechtsspezifische Aspekte im Sportres-
sort, sondern auch weitere Differenzkategorien wie „Rasse“ und sexuelle Orientie-
rung berücksichtigen, gibt es nur wenige und sie sind ausnahmslos qualitativ
angelegt. Diese Studien basieren in der Regel auf einer eingeschränkten Grund-
gesamtheit, wobei Weißen heterosexuellen Sportjournalisten zwei weitere Diffe-
renzgruppen (Schwarze oder homosexuelle Journalisten und Weiße Journalistinnen)
gegenübergestellt werden. (ausführlich dazu: Dorer et al. 2020)
Die Untersuchung von Claringbould et al. (2004), basierend auf einer Grund-
gesamtheit von 15 Weißen Sportjournalisten einerseits und Schwarzen Sportjourna-
listen und Weißen Sportjournalistinnen andererseits, konzentriert sich auf Komple-
xität und Widersprüche im Sportressort und analysiert auf Basis des Modells von
Joan Acker vier Dimensionen im Sportressort: Arbeitsteilung, Interaktion, Identitäts-
arbeit und den gesellschaftlichen Geschlechterdiskurs. Dabei erweisen sich die
exkludierenden Praxen als vielschichtig: Zwar wird redaktionsintern ein Diskurs
der Gleichheit geführt, aber in der Praxis werden Frauen und Schwarze Journalisten
sowohl bei der Personalauswahl benachteiligt, als auch bezüglich der Qualität der
Arbeit gering geschätzt. Erfolge werden nicht auf die journalistische Leistung
zurückgeführt, sondern auf die attraktive Bildschirmpräsenz von Sportjournalistin-
nen oder auf spezielle Interviewtechniken von Frauen und Schwarzen Journalisten.
Andererseits kritisieren Journalistinnen zwar die Macho-Kultur in Sportressort,
setzen selbst aber keine effizienten Gegenmaßnahmen. Dass sich innerhalb von
zehn Jahren die Situation nicht geändert hat, zeigt die Studie von Genovese (2015)
anhand teilnehmender Beobachtung und qualitativer Interviews. Obgleich Weiße
Sportreporter davon überzeugt sind, dass Frauen und Schwarze Journalisten im
Sportressort nicht benachteiligt würden, stellen sie deren Professionalität immer
Mediensport: Gender und Intersektionalität im Sportressort und in . . . 841

wieder in Abrede. Mehr noch, sehen sie einen Vorteil darin, dass Schwarze Journa-
listen und Weiße Journalistinnen leichter Zugang zu Interviews mit Sportler:innen
hätten und so mangelnde Fachkompetenz ausgleichen könnten. Genovese (2015,
S. 69) resümiert, dass Sportjournalisten ihre Weiße Identität, ihre eigenen Vorurteile
und deren Einfluss auf die Vorstellungen von Professionalität endlich kritisch
reflektieren müssten.
Mit den Ambivalenzen bezüglich Homosexualität im Sportressort beschäftigen
sich erstmals Kian et al. (2015) mittels einer Befragung langjährig in Sportressorts
tätiger prominenter Journalist:innen. Die Interviewten bezeichnen sich selbst als
aufgeschlossen gegenüber homosexuellen Sportler:innen, schätzen deren Präsenz
im Spitzensport jedoch viel zu gering ein. Warum sie nicht über Homosexualität
berichten, argumentieren sie mit dem Respekt vor der Privatsphäre und den Erwar-
tungen des Publikums, das irritiert werden könnte. Kian et al. (2015, S. 907)
bezeichnen diese verdeckte Homophobie als „Dont’t ask, don’t tell“-Kultur und
resümieren, dass dadurch hegemoniale Männlichkeit im globalen Sport-Medien-
Komplex gegen Veränderungen immunisiert würde. Eine erste, von ihrer Aus-
sagekraft allerdings (aus methodischen Gründen) limitierte, Studie zu homosexuel-
len Sportjournalisten (Magrath 2020) sieht zwar die Sportressorts im Print- und
AV-Bereich nach wie vor als heterosexuelle Arbeitsbereiche, wo Homophobie,
Sexismus, Sexualisierung und Objektifizierung zur Jobroutine gehören, sich dies-
bezüglich aber langsam eine Veränderung abzeichnen würde. Dies scheint zumin-
dest für einige Sportressorts bzw. Sportmedien zu gelten, wo Journalisten mit jahre-
langer Erfahrung tätig sind. Zur Sensibilisierung von Journalist:innen für den
Umgang mit homosexuellen und transgeschlechtlichen Sportler:innen hat Staurow-
sky (2013) basierend auf Ethikcodizes journalistischer Praxis einen Maßnahmenka-
talog für faire Sportberichterstattung erstellt.

4 Sportberichterstattung: mehr Sichtbarkeit,


Diskriminierung bleibt

4.1 Sportberichterstattung und Geschlecht

Empirische Untersuchungen zur medialen Repräsentation von Sportler:innen exis-


tierten, im Gegensatz zum Thema von Journalistinnen im Sportressort, deutlich
früher und umfangreicher. Die ersten Studien, die einen Geschlechterbezug her-
stellten, entstanden ab 1985 und zeigten die Marginalisierung von Sportlerinnen, die
in der deutschen Berichterstattung (Klein und Pfister 1985; Klein 1986) wie in US-
TV-Networks (Duncan und Messner 2005) zu gerade einmal fünf Prozent berück-
sichtigt wurden. Bereits knapp 20 Jahre später zählt Pfister (2004) mehr als
50 inhaltsanalytische Studien, wobei der Anteil der Sportlerinnen in der Bericht-
erstattung stark nach Land und Medium differierte und zwischen fünf und
15 Prozent ausmachte. Bis heute hat sich an deren genereller Unterrepräsentation
in der Sportberichterstattung jedoch wenig geändert. In Österreich liegt die Sicht-
barkeit von Sportlerinnen in Medien bei 12 Prozent, sie erreicht bei Einzelsportarten
842 J. Dorer und M. Marschik

23 Prozent, bei Teamsportarten allerdings nur zwei Prozent, was mit der Dominanz
und Präferenz von männlich codierten Sportarten wie Fußball, Eishockey oder
Handball in den Medien zusammenhängt. (Pernegger 2020, S. 22)
Zu unterscheiden ist eine mediale Sichtbarkeit in der tagesaktuellen Sportbericht-
erstattung allerdings von jener bei sportlichen Großereignissen, wie bei Olympi-
schen Spielen, Europa- oder Weltmeisterschaften, wo der Frauenanteil in der Me-
dienberichterstattung allerdings in den letzten Jahren sukzessive angestiegen ist.
(Bachmann 1998; Pfister 2004; Hartmann-Tews und Rulofs 2010; Bruce et al.
2010) Eine Ausnahme bilden jedoch jene Großereignisse, an denen nur Frauen
teilnehmen (wie etwa die Frauenfußball-WM oder die Champions-League der
Frauen), die noch immer durch kürzere Vorberichterstattung, weniger technischen
Aufwand und schlechtere Sendezeiten charakterisiert sind. (Schaaf 2011b; Dorer
und Marschik 2011; Groll und Dier 2012; Degele 2013, S. 117–126) Diese Sport-
ereignisse werden als Mega-Events inszeniert, und der Verkauf der Fernsehrechte
sichert erst deren Finanzierbarkeit. Das erfordert ein Umdenken in der Zielgruppen-
planung, denn nun werden Frauen für hohe Einschaltquoten benötigt. Das führte
auch dazu, dass bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften immer mehr
Sportarten für Sportlerinnen geöffnet und von den einzelnen Nationen vermehrt
Sportlerinnen entsendet werden. Legitimiert wird die veränderte Sportpraxis mit
dem gesellschaftlichen Gleichheitsdiskurs, dem allerdings der Subtext Nation zu-
grunde liegt. Denn entscheidend sind schlussendlich nationale Siege, gleichgültig ob
Frauen oder Männer die Medaillen erringen. (Dorer 2007, S. 27) Mittlerweile ist es
bei Olympischen Spielen nach Cooky und Antunovic (2018) zu einem ausgegliche-
nen Geschlechterverhältnis in den Medien gekommen. Sie beobachten, dass sich das
liberal feministische Narrativ quantitativer Gleichheit bei olympischen Spielen zu
einem kritisch feministischen Narrativ, das Sexismus und Rassismus thematisiert,
verschoben hat. Dies trifft aber noch keineswegs auf die tagesaktuelle Sportbericht-
erstattung zu, wo altbekannte Muster der Sexualisierung und Trivialisierung von
Sportlerinnen und Schwarzen Sportler:innen neben einem liberal feministischen
Narrativ auftreten, oft auch gemeinsam in ein und demselben Medienartikel.
Neben der Unterrepräsentation in tagesaktuellen Sportberichten wurde bereits
früh die Art der Berichterstattung, wie die Verniedlichung, Trivialisierung, Infanti-
lisierung und Sexualisierung von Sportlerinnen, untersucht und kritisiert. Leistun-
gen von Frauen werden sowohl durch journalistische Sprache als auch durch visuelle
Darstellung konterkariert und abgewertet. Verniedlichungen und Infantilisierung wie
bspw. Bezeichnungen als „Mädls“, „Goldmädls“, „Rennmiezen“, „Turnküken“,
„Hopser“, „flotte Franziska“ etc. sind sprachliche Zuschreibungen für Spitzensport-
lerinnen, während Männer mit Namen genannt und ihre Stärke, Ausdauer und Kraft
betont werden. Während bei Sportlern der kräftige Körper in Siegespose die visuelle
Darstellung bestimmt, werden Sportlerinnen ästhetisch bewertet und auf ihr Aus-
sehen reduziert. Bereits früh wurde vor allem die sexualisierte Darstellung von
Sportlerinnen in der Berichterstattung kritisiert. (Klein und Pfister 1985; Bachmann
1998; Rulofs 2003; Pfister 2004; Billing und Eastman 2003; GMMP 2005, S. 37;
Schaaf und Nieland 2011; Trolan 2013; Sherry et al. 2016; Dorer und Marschik
2019; Bernstein 2020) Sexualisierung ist in der Sportberichterstattung und in
Mediensport: Gender und Intersektionalität im Sportressort und in . . . 843

Sportmedien nach wie vor präsent. Hier spielen allerdings auch die Kleidervor-
schriften der Sportverbände eine nicht unerhebliche Rolle, wie beispielsweise im
Beachvolleyball, wo besonders eng anliegende und knapp bemessene Sportoutfits zu
einer erhöhten Aufmerksamkeit sowie Sportberichterstattung führen sollen. (Dorer
2007, S. 27; Götz 2020, S. 100–103) Nach einer aktuellen Studie werden Sport-
lerinnen noch immer acht Mal häufiger sexualisiert und 13 Mal öfter mit trivialisie-
renden Bezeichnungen versehen wie ihre männlichen Sportkollegen. (Pernegger
2020, S. 23). Durch die weitere Verbreitung sozialer Medien haben es Sportler:
innen nun vermehrt selbst in der Hand, ihre Person den eigenen Vorstellungen
entsprechend zu vermarkten, wobei diese Möglichkeit weniger zum Empowerment
und zur Präsentation eines fortschrittlichen Frauenbilds als zur Reproduktion tradi-
tioneller Geschlechterstereotypen genutzt wird. (Schaaf 2011a, b; Trültzsch-Wijnen
und Weber 2019; Pauli 2009)

4.2 Sportberichterstattung und Intersektionalität

Eine Erweiterung der Genderperspektive auf Schwarze und LGBTIQ-Sportler:innen


und deren mediale Repräsentation erfolgte in empirischen Studien erst sehr spät und
beschränkt sich fast ausschließlich auf Fallbeispiele und qualitative Erhebungs-
methoden. Im anglo-amerikanischen Raum setzte die Forschung bereits vor den
2000er-Jahren ein, im deutschsprachigen Raum steht sie erst ganz am Anfang. In
einer Metastudie wurden die überwiegend als Einzelfall-Studien vorliegenden For-
schungserkenntnisse gesichtet und systematisiert. (Dorer und Marschik 2020)4
Dabei zeigen sich sowohl Veränderungen, wie über Schwarze, homosexuelle, trans-
und intergeschlechtliche oder indigene Sporterler:innen heute berichtet wird, als
auch, dass eine strikte Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit die Sport-
berichterstattung unverändert bis heute bestimmt (Dorer und Marschik 2014b,
2016). Deutlich wird aber auch, dass die Kategorie Klasse, die noch bis in die
1950er-Jahre ein entscheidendes Differenzkriterium war, nur mehr eine untergeord-
nete Rolle (abgesehen von einigen bürgerlich oder proletarisch codierten Sportarten)
einnimmt.
Bis in die 1980er-Jahre wurden Sportler:innen, die nicht als Weiß und hetero-
sexuell zu erkennen waren, in der Sportberichterstattung marginalisiert sowie nega-
tiv und diskriminierend dargestellt. Lediglich vereinzelt, wenn es dem nationalen
Interesse diente und hohe Auflagenzahlen und Einschaltquoten versprach, erfolgte
eine erhöhte Sichtbarkeit, zumeist in Form von Skandalisierung.
Schwarze Sportlerinnen waren noch mehr als Schwarze Sportler medial unsicht-
bar sowie sexistischen und rassistischen Kommentaren ausgesetzt. (Cooky et al.
2010, S. 139) Über die Läuferin Wilma Rudolph, die Schwarze Dreifach-

4
Im Folgenden werden einige Aspekte dieser Meta-Studie, für die 40 einschlägige Studien gesichtet
wurden, referiert. Siehe dazu die ausführliche Systematisierung und Analyse in: Dorer und
Marschik (2019).
844 J. Dorer und M. Marschik

Olympiasiegerin in Rom 1960, konnte die US-Sportpresse während des Kalten


Krieges aber ausnahmsweise auch schon einmal formulieren: „She isn’t coloured,
she is Gold“. (Liberti und Smith 2015, S. 42)
Homosexualität war lange Zeit ein Tabuthema in der Sportberichterstattung, das
allerdings bezüglich lesbischer Athletinnen wesentlich früher durchbrochen wurde
als bezüglich männlicher Sportler. Einzelfallstudien zu lesbischen Sportlerinnen
zeigen, dass in den frühen 1980er-Jahren die sexuelle Orientierung einiger Tennis-
spielerinnen gegen ihren Willen von Medien öffentlich gemacht wurde und dies mit
massiven familiären Folgen und sogar mit Problemen bei einer beantragten Staats-
bürgerschaft einherging. Neben den negativen persönlichen Konsequenzen strahlten
diese Veröffentlichungen auch auf die gesamte Sportart (in diesem Fall Frauen-
tennis) aus. (Jönsson 2007; Griffin 2014, S. 265; Ware 2011)
Auf das Thema Trans- und Intergeschlechtlichkeit reagierte die Sportbericht-
erstattung lange Zeit mit Ausgrenzung oder Diffamierung: So veröffentlichten die
Medien speziell im Eiskunstlauf immer wieder Andeutungen über „effeminierte“
und verweichlichte Männer. Umgekehrt wurden Sportlerinnen männliche Attitüden
und ein maskuliner Körperbau vorgeworfen, meist im Zusammenhang mit generel-
len Hinweisen auf die Schädlichkeit eines kompetitiven Frauensports. Mehrere
Fallstudien in Leichtathletik, Tennissport und Schisport (z. B. Erik/a Schinegger,
Richard Raskind/Renée Richards) zeigen, wie Medien Gerüchte über das Geschlecht
streuten, Geschlechtertests kommentierten und geschlechtsverändernde Eingriffe
tabuisierten oder aber skandalisierten. Nur wenigen Sportler:innen gelang es den-
noch, mit der Annahme eines anderen Geschlechts, meist nach jahrelanger Aus-
grenzung, im Sport wieder Fuß zu fassen. (Birrell und Cole 1990; Lummerding
2013; Dorer und Marschik 2014b, S. 351; Anderson 2017, S. 89–95)
Einen Sonderfall für die Intersektion von Nation und Intergeschlechtlichkeit
bildete die Berichterstattung der US-amerikanischen, zum Teil auch der westeuro-
päischen Presse über „vermännlichte“ Sportlerinnen aus dem „Ostblock“. Seit den
späten 1950er-Jahren wurden im Zuge des Kalten Krieges in den Medien speziell
gegenüber den Sportsystemen der UdSSR und der DDR – vielfach berechtigte –
Vorwürfe von staatlichem Doping erhoben, das bei Frauen auch hormonelle Ein-
griffe in das biologische Geschlecht und Gen-Doping umfasste. (Miah 2004; Jöns-
son 2007, S. 255; Wiederkehr 2009, S. 560–564; Lummerding 2013)
Ab den späteren 1990er-Jahren kommt es in der Sportberichterstattung langsam
zu Veränderungen, die aber nicht mit den sich wandelnden „alternativen“ Sport-
praxen (wie sie etwa von Bunten Ligen sehr unterschiedlich praktiziert werden)
Schritt halten. Die lange geübte Medienpraxis der Tabuisierung von Homosexualität
wird erst allmählich brüchig, und die Tabuisierung bzw. negative Mediendarstellung
Schwarzer Sportler:innen ist nicht mehr selbstverständlich. Allerdings bleibt in der
Sportberichterstattung ebenso wie in der Sportpolitik die Heterosexualität und Zwei-
geschlechtlichkeit als bestimmende Norm aufrecht. (Lenskyj 2012)
Bezüglich der Thematisierung von Homosexualität und Männlichkeit in der
Sportberichterstattung streichen Studien deren Ambivalenz hervor. Während der
aktiven Sportkarriere scheuen sich Sportler noch immer, ihre Homosexualität öf-
fentlich bekannt zu geben, obgleich die Reaktionen der Qualitäts- wie der
Boulevardmedien im Einzelfall durchaus positiv und bestärkend ausfallen können.
Mediensport: Gender und Intersektionalität im Sportressort und in . . . 845

(Cleland 2014; Hardin et al. 2009) Allerdings ist gerade der Fußballsport weiterhin
ein Ort der Hypermaskulinität, wo sich homophobe Einstellungen trotz betont
positiver Berichterstattung als extrem resistent erweisen, wie die Einzelfallstudie
zum Outing des Fußballprofis Thomas Hitzlsperger zeigt. (Schallhorn und Hempel
2017) Sportjournalisten rühmen sich dann in ihren Beiträgen der eigenen Offenheit
und Toleranz. (Billings et al. 2015) Insgesamt erweist sich die diesbezügliche Sport-
berichterstattung als ambivalent und wird in der Literatur als neo-homophober
Diskurs (Hardin et al. 2009) oder als ein kontradiktorischer, die Heteronormativität
aufrechterhaltender Diskurs (Hughson und Free 2011) interpretiert.
Davon hebt sich die Berichterstattung zur Metrosexualität von Sportlern ab. Die
Erfolge der Sportstars Roger Federer oder David Beckham trugen wesentlich dazu
bei, dass sie in den Medien zuerst als zu weiblich verspottet, später aber ob ihrer
Erfolge zu Vorbildern für eine „neue Männlichkeit“ stilisiert wurden.
Schwarze Sportler:innen werden in der Sportberichterstattung immer seltener
tabuisiert oder pathologisiert, sind aber durch subtilere Mechanismen weiterhin
rassistischer Diskriminierung ausgesetzt. Dazu gehört die Aufrechterhaltung des
Konzepts hegemonialer Weißer Männlichkeit, indem u. a. Sportarten, wo besonders
Schwarze Sportler:innen reüssieren, an medialer Bedeutung einbüßen (Oates 2017,
S. 84). Auch multi-ethnische (multiracial) Sportler:innen sind medial den gleichen
Rassismen ausgesetzt wie Schwarze. (Deeb und Love 2018) Aber auch dabei gibt es
mitunter Ausnahmen in der Berichterstattung. Als die Olympischen Sommerspiele
2000 in Sydney stattfanden, wurden die (wenigen) indigenen Sportler:innen in den
australischen Medien positiv hervorgehoben und als Symbolfiguren zugleich indi-
gener Identität und nationaler Gemeinsamkeit präsentiert (Gardiner 2003). In einer
kritischen Analyse von 13 Studien zur Sportberichterstattung, die sowohl „Rasse“
als auch Ethnizität ausdrücklich als zwei Kategorien thematisieren, kommen van
Sterkenburg et al. (2010) zu dem Ergebnis, dass durch die fixe Vorgabe der jewei-
ligen Kategorien eine quasi „natürliche“ Differenz perpetuiert wird. Außerdem
kommt es zur Diskriminierung anderer Minoritäten, da diese wahlweise einer der
beiden Kategorien zugeordnet wurden.
Am Exempel der Transgeschlechtlichkeit einer Leichtathletin arbeiteten Bertling
und Ihle (2011) heraus, wie schwer sich Sportjournalist:innen mit einer adäquaten
sprachlichen Formulierung tun. Sie betonen aber den positiven Aspekt der deutschen
Sportberichterstattung, die zumindest versucht, am Beispiel des Sports über gesell-
schaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen von Transgeschlechtlichkeit zu
schreiben.
Zur Intersektionalität von „Rasse“, Intergeschlechtlichkeit und Nation liegen
mehrere Einzelfallstudien vor, insbesondere zur Leichtathletin Caster Semenya,
deren Leistungen besonders nach dem WM-Sieg in Berlin 2009 in den Medien
ständig kritisch hinterfragt wurden. Ein Vergleich US-amerikanischer und südafri-
kanischer Printmedien zeigt, wie erstere Fragen nach dem „wahren Geschlecht“ der
Sportlerin und damit „rationale, westliche“ Normen in den Mittelpunkt rückten,
während zweitere auf Menschenrechte und Nationalismus fokussierten und damit
Rassismus und Kolonialismus anprangerten. (Cooky et al. 2013; Lummerding 2013)
Umfangreicher untersucht wurde auch die mediale Repräsentation der Schwarzen
Tennisspielerin Serena Williams. In Kontrast zu den Kontrahentinnen wurde sie
846 J. Dorer und M. Marschik

sexistisch und weit mehr noch rassistisch kommentiert. Auch auf sozialen Medien
wie Facebook oder Twitter wird ihre mediale Konstruktion in der Verschränkung
von Sexismus und Rassismus als Mehrfachdiskriminierung analysiert. (Schultz
2005; Litchfield et al. 2018)
Als postkolonialer Blick lässt sich schließlich die Sportberichterstattung des
globalen Nordens bezeichnen, wo Leistungen von Sportler:innen des globalen
Südens in einer kolonialen Rhetorik beschrieben werden. (Bale 2001; Lummerding
2013) Beispielhaft dafür zeigt der Afrikanist Nunen Mwaniki (2012), wie in euro-
päischen Sportberichten gesellschaftlich gängige Stereotypen auf den Ebenen „Ras-
se“, Geschlecht und Nation intersektional verflochten werden.

5 Resümee

Der Sport-Medien-Komplex erweist sich als Bollwerk hegemonialer Weißer Männ-


lichkeit, weil das Sportsystem nahe legt, dass Differenzen „natürlich“ und „messbar“
sind. Obgleich in der Sportberichterstattung der letzten Jahre punktuelle Verände-
rungen sichtbar wurden, bleiben Heteronormativität und Whiteness die bestimmen-
den Nachrichtenfaktoren. Einzelne positive Berichte über homosexuelle oder
Schwarze Sportler:innen werden von einer Flut von Bildern und Texten überlagert,
die ein Idealbild heterosexueller und Weißer Sportler:innen (attraktive Frauen und
muskulöse Männer in knappen Sportdressen) präsentieren. Damit werden Hetero-
sexualität und Zweigeschlechtlichkeit medial als Norm perpetuiert. Ferner betrifft
eine positive Darstellung homosexueller oder Schwarzer Sportler:innen nie die
gesamte Differenzkategorie, sondern stets erfolgreiche Einzelfälle, womit Fragen
der Ungleichheit individualisiert werden. Homosexuelle oder Schwarze Sportler:
innen werden umso positiver dargestellt, je mehr sie auf anderen Feldern (Leistung,
körperliche Attraktivität) dem „westlichen“ Idealbild entsprechen und auf nationaler
Ebene für außerordentliche Siege sorgen. Sportler:innen, die Mehrfachdiskriminie-
rungen ausgesetzt sind, haben weiterhin kaum Chancen auf eine positive Medien-
präsenz. Denn multiple Diskriminierung bleibt weiterhin ausgeblendet. Intersek-
tionalität im engeren Sinn ist kein Thema positiver Medienberichte, die nach wie
vor das Idealbild bipolarer Normen aufrechterhalten. Nicht zuletzt werden traditio-
nelle Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit und das bipolare Weltbild auch in
den Selbstdarstellungen von Sportler:innen in den Social Media nicht hinterfragt,
sondern noch verstärkt.

Literatur
Anderson, Sheldon. 2017. The forgotten legacy of Stella Walsh: The greatest female athlete of her
time. Lanham/London: Rowman & Littlefield.
Antunovic, Dunja. 2019. „We wouldn’t say it to their faces“: Online harassment, women sports
journalists, and feminism. Feminist Media Studies 19(3): 428–442.
Bachmann, Andrea. 1998. Wie eine Katze schmiegt sie sich an die Hochsprunglatte. Geschlech-
terdifferenz in der Sportberichterstattung. Eine inhaltsanalytische-semiotische Untersuchung zu
Mediensport: Gender und Intersektionalität im Sportressort und in . . . 847

Frauen- und Männersport am Beispiel der olympischen Spiele 1996 in Atlanta und der Schi-
WM 1996 in der Sierra Nevada. Dissertation, Wien.
Bale, John. 2001. Nyandika Maiyoro and Kipchoge Keino: Transgression, colonial rhetoric and the
postcolonial athlete. In Sport Stars: The cultural politics of sporting celebrity, Hrsg. David
L. Andrews und Steven J. Jackson, 218–230. New York: Routledge.
Bernstein, Alina. 2020. Women, media, and sport. In The international encyclopedia of gender,
media, and communication. Hrsg. Karen Ross. Wiley. https://doi.org/10.1002/9781119429128.
iegmc240.
Bertling, Christoph, und Holger Ihle. 2011. Tabu Transsexualität? In Die Sexualisierung des Sports,
Hrsg. Daniele Schaaf und Jörg Nieland, 279–301. Köln: Halem.
Billing, Andrew, und Susan Eastman. 2003. Framing identity: Gender, ethnic, and national party in
network announcing of 2002 Winter Olympics. Journal of Communication 53(1): 569–586.
Billings, Andrew C., Leigh M. Moscowitz, Coral Rae, und Natalie Brown-Devlin. 2015. The art of
coming out: Traditional and social media frames surrounding the NBA’s Jason Collins. Jour-
nalism & Mass Communication Querterly 92(1): 142–160.
Birrell, Susan, und Cheryl L. Cole. 1990. Double fault. Renee Richards and the construction and
naturalization of difference. Sociology of Sport Journal 7(1): 1–21.
Boyle, Raymond, und Richard Haynes. 2009. Power play: Sport, the media and popular culture.
Edinburgh: Edinburgh University Press.
Bruce, Toni, Jorid Hoven, und Pirkko Markula, Hrsg. 2010. Sportswomen and Olympics. A global
content analysis of newspapers coverage. Rotterdam: Sense Publisher.
Claringbould, Inge, Annelies Knoppers, und Agnes Elling. 2004. Exclusionary practices in sport
journalism. Sex Roles 51(11–12): 709–718.
Cleland, Jamie. 2014. Association Football and the representation of homosexuality by the print
media: A case study of Anton Hysén. Journal of Homosexuality 61(9): 1269–1287.
Connell, R. W. 1995. Masculinities. Cambridge: Polity Press.
Cooky, Cheryl, und Dunja Antunovic. 2018. The visibility of feminism in the Olympic Games:
Narratives of progress and narratives of failure in sports journalism. Feminist Media Studies
18(5): 945–948.
Cooky, Cheryl, Faye L. Wachs, Michael Messner, und Shari L. Dworkin. 2010. It’s not about the
game: Don Imus, race, class, gender and sexuality in contemporary media. Sociology of Sport
Journal 27(2): 139–159.
Cooky, Cheryl, Ranissa Dycus, und Shari L. Dworkin. 2013. “What makes a woman a woman?”
versus “Our first lady in sport”. A comparative analysis of the United States and the
South African media coverage of Caster Semenya. Journal of Sport and Social Issues 37(1):
31–56.
Creedon, Pamela. 1994. Women, media and sport. Thousand Oaks: Sage.
Deeb, Alexander, und Adam Love. 2018. Media representations of multiracial athletes. Journal of
Sport & Social Issues 42(2): 95–114.
Degele, Nina. 2013. Fußball verbindet – durch Ausgrenzung. Wiesbaden: Springer VS.
Dorer, Johanna. 2006. Sportjournalismus und die Konstruktion von Geschlecht. In Helden und
Idole, Hrsg. Matthias Marschik und Georg Spitaler, 88–100. Innsbruck/Wien/Bozen: Studien-
verlag.
Dorer, Johanna. 2007. Mediensport und Geschlecht. Medienimpulse. Beiträge zur Medienpädago-
gik 56(62): 25–21. https://www.mediamanual.at/mediamanual/mm2/themen/identitaet/
62Dorer-Mediensport-und-Geschlecht.pdf. Zugegriffen am 15.12.2021.
Dorer, Johanna, und Matthias Marschik. 2010. Sportlerinnen in Österreichs Medien 1900–1950. In
„Sind’s froh, dass Sie zu Hause geblieben sind“. Mediatisierung des Sports in Österreich, Hrsg.
Matthias Marschik und Rudi Müllner, 238–247. Göttingen: Werkstatt Verlag.
Dorer, Johanna, und Matthias Marschik. 2011. „Under Construction“ oder: Die Perpetuierung der
Differenz. Frauenfußball in österreichischen Medien. SportZeiten. Sport in Geschichte, Kultur
und Gesellschaft 11(2): 79–93.
848 J. Dorer und M. Marschik

Dorer, Johanna, und Matthias Marschik. 2014a. Ambivalenzen der Sportberichterstattung. Medien-
diskurse und Subtext zu Frauensport von1900 bis 1950. In „Dieser Vergleich ist unvergleich-
bar.“ Zur Geschichte des Sports im 20. Jahrhundert. Hrsg. Anke Hilbrenner und Dittmar
Dahlmann, 207–234. Essen: Klartext.
Dorer, Johanna, und Matthias Marschik. 2014b. Dichotomie der Moderne: Zur Diskursivierung
intergeschlechtlicher Körper im System des medialisierten Sports. In Inter*geschlechtliche
Körperlichkeiten, Hrsg. Angelika Baier und Susanne Hochreiter, 331–361. Wien: Zaglossus.
Dorer, Johanna, und Matthias Marschik. 2016. Sportliche Avancen – Frauensport in Wien
1934–1938. Österreichische Zeitschrift für Geschichtsforschung 27(3): 94–116.
Dorer, Johanna, und Matthias Marschik. 2019. Sport – Medien – Geschlecht. Eine zeitgeschicht-
liche Metaanalyse sportwissenschaftlicher Forschung. SportZeiten. Sport in Geschichte, Kultur
und Gesellschaft 19(1): 27–44.
Dorer, Johanna, und Matthias Marschik. 2020. Intersectionality in sports reporting. In The interna-
tional encyclopedia of gender, media, and communication. Hrsg. Karen Ross. Wiley. https://doi.
org/10.1002/9781119429128.iegmc242.
Dorer, Johanna, Assimina Gouma, und Matthias Marschik. 2020. Intersectionality and sports
journalism. In The international encyclopedia of gender, media, and communication, Hrsg.
Karen Ross. Wiley. https://doi.org/10.1002/9781119429128.iegmc111.
Duncan, Margaret, und Michael Messner. 2005. Gender in televised sports. News and highlights
shows, 1989–2004. https://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi¼10.1.1.482.9674&
rep¼rep1&type¼pdf. Zugegriffen am 28.12.2021.
Eisenberg, Christiane. 1997. Sportgeschichte. Eine Dimension der modernen Kulturgeschichte.
Geschichte und Gesellschaft 23(2): 295–310.
European Commission. 2014. Gender equality in sport: proposal for strategic actions 2014–2020.
https://op.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/7e7a7ff2-5bff-42b4-90f9-
8266b3ddc01c. Zugegriffen am 28.12.2021.
Everbach, Tracy. 2018. I realized it was about them . . . not me: Women sport journalists and
harassment. In Mediating misogyny: Gender, technology and harassment, Hrsg. Jacqueline
Ryan Vickery und Tracy Everbach, 131–159. Cham: Palmgrave Macmillan.
Franks, Suzanne, und Deirdre O’Neill. 2016. Women reporting sport: Still a man’s game? Journa-
lism 14(4): 474–492.
Gardiner, Greg. 2003. Running for country: Australian print media representation of indigenous
athletes in the 27th Olympiad. Journal of Sport and Social Issues 27(3): 233–260.
Genovese, Jason. 2015. Sports television reporters and the negotiation of fragmented professional
identities. Communication, Culture & Critiques 8(1): 55–72.
GMMP. 2005. Who makes the news? Global media monitoring project 2005. London/Toronto:
WACC. https://www.mediamonitoringafrica.org/images/uploads/gmmp-report-en-2005_
small.pdf. Zugegriffen am 28.12.2021.
GMMP. 2020. Who makes the news? Global media monitoring project 2020. London/Toronto:
WACC. https://whomakesthenews.org/wp-content/uploads/2021/08/GMMP2020.ENG_.FI
NAL_.pdf. Zugegriffen am 28.12.2021.
Götz, Ricarda. 2020. Kleidervorschriften im Sport. In Körperbilder, Körpersymbole und Kleider-
vorschriften. Zur Repräsentation von Frauen in Werbung, Medien und Sport, Hrsg. Birgit Sauer,
Asiye Sel, und Ingrid Moritz, 80–109. Wien: ÖGB-Verlag.
Griffin, Pat. 2014. Overcoming sexism and homophobia in women’s sports. Two steps forward and
one step back. In Routledge Handbook of sport, gender and sexuality, Hrsg. Jennifer Hargreaves
und Eric Anderson, 265–279. London/New York: Routledge.
Groll, Stefanie, und Susanne Dier. 2012. #Who the f*** is Abby? Die Berichterstattung zur
Fußballweltmeisterschaft der Frauen 2011 und ihr Schweigen. In Spielen Frauen ein anderes
Spiel? Hrsg. Günter Sobiech und Andrea Ochsner, 123–138. Wiesbaden: Springer.
Gruneau, Richard. 2017. Sport and modernity. Cambridge: Polity Press.
Guttmann, Allen. 1979. Vom Ritual zum Rekord. Das Wesen des modernen Sports. Schorndorf:
Hofmann.
Mediensport: Gender und Intersektionalität im Sportressort und in . . . 849

Hardin, Marie, und Stacie Shain. 2005. Female sports journalists: Are we there yet? No. Newspaper
Research Journal 26(4): 22–35.
Hardin, Marie, Kathleen M. Kuehn, Hillary Jones, Jason Genovese, und Murali Balaji. 2009. “Have
you got game?” Hegemonic masculinity and neo-homophobia in U.S. newspaper sports
columns. Communication, Culture and Critique 2(1): 182–200.
Harrison, Guy. 2018. “You have to have thick skin”: Embracing the affective turn as an approach to
investigating the treatment of women working in sports media. Feminist Media Studies 18(5):
952–955.
Hartmann-Tews, Ilse, und Bettina Rulofs. 2003. Sport in den Medien – ein Feld semiotischer
Markierung von Geschlecht? In Soziale Konstruktion von Geschlecht im Sport, Hrsg. Ilse
Hartmann-Tews, Petra Gieß-Stüber, Marie-Luise Klein, und Karen Petry, 29–68. Opladen:
Leske + Budrich.
Hartmann-Tews, Ilse, und Bettina Rulofs. 2010. The Olympic Games 2004 in German newspapers
– a gender-equitable coverage? In Sportswomen and Olympics. A global content analysis of
newspapers coverage, Hrsg. Toni Bruce, Jorid Hoven, und Pirkko Markula, 115–126. Rotter-
dam: Sense Publishers.
Hassany, Azada, und Susanne Diehr. 2016. Ein Hoch auf Randsportarten. https://www.gwi-boell.
de/de/2016/08/23/ein-hoch-auf-randsportarten. Zugegriffen am 29.12.2021.
Horky, Thomas, und Jörg Nieland. 2011. International sport press survey 2011. http://www.
playthegame.org/fileadmin/image/PTG2011/Presentation/PTG_Nieland-Horky_ISPS_2011_3.
10.2011_final.pdf. Zugegriffen am 29.12.2021.
Hughson, John, und Marcus Free. 2011. Football’s “coming out”: Soccer and homophobia in
England’s tabloid press. Media International Australia 140(1): 117–125.
Jarvie, Grant. 2006. Sport, culture and society. An introduction. London/New York: Routledge.
Jönsson, Kutte. 2007. Who's afraid of Stella Walsh? On gender, ‘gene cheaters’, and the promises of
cyborg athletes. Sports, Ethics and Philosophy 1(2): 239–262.
Kaltenbrunner, Andy, Renée Lugschitz, Matthias Karmasin, Sonja Luef, und Daniela Kraus, Hrsg.
2020. Der österreichische Journalismus-Report. Wien: facultas.
Kian, Edward, und Marie Hardin. 2009. Framing of sport coverage based on the sex of sports
writers: Female journalists counter the traditional gendering of media coverage. International
Journal of Sport Communication 2(2): 185–204.
Kian, Edward, Eric Anderson, John Vincent, und Ray Murray. 2015. Sport journalists’s views on
gay men in sport, society and within sport media. Review of the Sociology of Sport 50(8):
895–911.
Klein, Maria-Luise. 1986. Frauensport in der Tagespresse. Eine Untersuchung zur sprachlichen
und bildlichen Präsentation von Frauen in der Berichterstattung. Bochum: Brockmayer.
Klein, Maria-Luise, und Gertrud Pfister. 1985. Goldmädel, Rennmiezen und Turnküken. Die Frau in
der Sportberichterstattung der BILD-Zeitung. Berlin: Bartels & Wernitz.
Lapchick, Richard. 2021. The 2021 Sports media racial and gender report. Orlando: Institute for
Diversity and Ethics in Sport. https://www.tidesport.org. Zugegriffen am 29.12.2021.
Laucella, Pamela C., Marie Hardin, Steve Bien-Aime, und Dunja Antunovic. 2017. Diversifying the
sports department and covering women’s sport: a survey of sport editors. Journalism & Mass
Communication Quarterly 94(3): 772–792.
Lenskyj, Helen J. 2012. Reflections on communication and sport: On heteronormativity and gender
identities. Communication & Sport 1(1+2): 138–150.
Liberti, Rita, und Maureen M. Smith. 2015. (Re)Presenting Wilma Rudolph. New York: Syracuse
University Press.
Litchfield, Chelsea, Emma Kavanagh, Jaquelyn Osborne, und Ian Jones. 2018. Social media and the
politics of gender, race and identity: The case of Serena Williams. European Journal for Sport
and Society 15(2): 154–170.
Lummerding, Susanne. 2013. Mediating Queer/-ing mediality. In Sexy media? Hrsg. Skadi Loist,
Sigrid Kannengießer, und Joan K. Bleicher, 207–224. Bielefeld: transcript.
850 J. Dorer und M. Marschik

Magrath, Rory. 2020. “Progress . . . slowly, but surely”: The sports media workplace, Gay sports
journalists, and LGBT media representation in sport. Journalism Studies 21(2): 254–270.
Marschik, Matthias. 1999. Vom Idealismus zur Identität. Beitrag des Sports zum Nationalbewusst-
sein Österreichs. Wien: Turia und Kant.
Marschik, Matthias. 2003. Frauenfussball und Maskulinität. Geschichte – Gegenwart – Perspek-
tiven. Münster: LIT.
Marschik, Matthias. 2007. Sport und Sportgeschichte, Identitäten und populäre/populare Kulturen.
In Sport and the construction of identities, Hrsg. Bettina Kratzmüller, Matthias Marschik,
Rudolf Müllner, Hubert D. Szemethy, und Elisabeth Trinkl, 104–116. Wien: Turia + Kant.
Marschik, Matthias. 2009. Moderne und Sport. Transformationen der Bewegungskultur. In Sport
Studies. Hrsg. Matthias Marschik, Rudolf Müllner, Otto Penz, und Georg Spitaler, 23–34. Wien:
UTB/Facultas.
Marschik, Matthias. 2011. Left off the stage: Mapping inclusion and exclusion in EURO 2008. In
Governance, citicenship and the new european championships. The european spectacle, Hrsg.
Wolfram Manzenreiter und Georg Spitaler, 81–95. London/New York: Routledge.
Marschik, Matthias, und Georg Spitaler, Hrsg. 2006. Helden und Idole. Innsbruck/Wien/Bozen:
Studienverlag.
Messner, Michael. 1990. Sport, men and the gender order: Critical feminist perspectives. Leeds:
Human Kinetics.
Miah, Andy. 2004. Genetically modified athletes: Biomedical ethics, gene doping and sport.
London/New York: Routledge.
Mwaniki, Munene F. 2012. Reading the career of a Kenyan runner: The case of Tegla Loroupe.
International Review fort the Sociology of Sport 47(4): 446–460.
Oates, Thomas P. 2017. Racialized masculinity and sports media. In Sport & Gender – (Inter-)
nationale sportsoziologische Geschlechterforschung, Hrsg. Gabriele Sobiech und Sandra Gün-
ther, 75–88. Wiesbaden: Springer.
Organista, Natalia, und Zuzanna Mazur. 2020. “You either stop reacting or you don’t survive.
There’s no other way”: the work experiences of Polish women sports journalists. Feminist
Media Studies 20(8): 1110–1127.
Pauli, Claudia. 2009. Selbstdarstellung von Spitzensportlerinnen und -sportlern auf persönlichen
Homepages im Internet. Eine Analyse der sozialen Konstruktion von Geschlechterverhältnissen.
http://esport.dshs-koeln.de/119/1/Dissertation_Claudia_Pauli.pdf. Zugegriffen am 29.12.2021.
Pernegger, Maria. 2020. Genderbalance in der Sportberichterstattung? Studie über Präsenz &
Inszenierung von Sportlerinnen und Sportlern in österreichischen Medien. Wien: RTR-Regu-
lierungsbehörde. https://www.contentadmin.de/contentanlagen/contentdatei16640.pdf. Zuge-
griffen am 15.12.2021.
Pfister, Gertrud. 1989. Körperkultur und Weiblichkeit. Ein historischer Beitrag zur Entwicklung des
modernen Sports in Deutschland bis zur Weimarer Republik. In Frauensport in Europa, Hrsg.
Christine Peyton und Gertrud Pfister, 37–67. Ahrensburg b. Hamburg: Czwalina.
Pfister, Gertrud. 1998. Die Anfänge des Frauenturnens und Frauensports in Österreich. In Turnen
und Sport in der Geschichte Österreichs, Hrsg. Ernst Bruckmüller und Hannes Strohmeyer,
88–104. Wien: ÖBV.
Pfister, Gertrud. 2004. Gender Sport und Massenmedien. In Geschlechterforschung im Sport, Hrsg.
Claudia Kugelmann, Gertraud Pfister, und Christa Zipprich, 59–88. St. August/Hamburg:
Academia.
Pfister, Gertrud. 2006. Sportstars und „Doing Gender“. In Helden und Idole, Hrsg. Matthias
Marschik und Georg Spitaler, 49–60. Innsbruck/Wien/Bozen: Studienverlag.
Pfister, Gertrud. 2017. 100 Jahre Frauen im Sport. Anfänge, Entwicklungen, Perspektiven. In Sport
& Gender. (Inter)nationale sportsoziologische Geschlechterforschung, Hrsg. Gabriele Sobiech
und Sandra Günter, 23–34. Wiesbaden: Springer.
Röben, Bärbel. 2019. Migrantinnen in der Medienproduktion. In Handbuch Medien und Ge-
schlecht, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković.
Mediensport: Gender und Intersektionalität im Sportressort und in . . . 851

Wiesbaden: Springer Reference Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-658-


20712-0_64-1.
Rowe, David. 2013. The sport/media complex. Formation, flowering, and future. In A companion to
sport, Hrsg. David L. Andrews und Ben Carrington, 61–77. Chichester: Wiley/Blackwell.
Rulofs, Bettina. 2003. Konstruktion von Geschlechterdifferenzen in der Sportpresse? Eine Analyse
der Berichterstattung zur Leichtathletik-WM 1999. Butzbach-Griedel: Afra.
Schaaf, Daniela. 2011a. Der Körper als Kapital. Sportlerinnen im Spannungsfeld zwischen Selbst-
vermarktung und Selbstermächtigung. In Die Sexualisierung des Sports in den Medien, Hrsg.
Daniele Schaaf und Jörg Nieland, 114–136. Köln: Halem.
Schaaf, Daniela. 2011b. The Girls of Summer reloaded. Vermarktungsstrategien der Frauen-WM.
SportZeiten. Sport in Geschichte, Kultur und Gesellschaft 11(2): 45–62.
Schaaf, Daniela, und Jörg Nieland, Hrsg. 2011. Die Sexualisierung des Sports in den Medien. Köln:
Halem.
Schallhorn, Christian, und Anne Hempel. 2017. Media coverage of Thomas Hitzlsperger’s coming-
out in German newspapers. Journalism Studies 18(9): 1187–1205.
Schoch, Lucie, und Fabien Ohl. 2011. Women sports journalists in Switzerland: Between as-
signment and negotiation of roles. Sociology of Sport Journal 28(2): 189–208.
Schultz, Jamie. 2005. Reading the catsuit. Serena Williams and the production of Blackness in the
2002 U.S. Open. Journal of Sport and Social Issues 29(3): 338–357.
Sherry, Emma, Angela Osborne, und Matthew Nicholson. 2016. Images of sports women: A
review. Sex Roles 74(7): 299–309.
Staurowsky, Ellen. 2013. Sexual prejudice and sport media coverage. Journal for the Study of Sport
and Athletics in Education 6(1): 121–140.
Steindl, Nina, Corinna Lauerer, und Thomas Hanitzsch. 2017. Journalismus in Deutschland.
Aktuelle Befunde zu Kontinuität und Wandel im deutschen Journalismus. Publizistik 62(4):
401–423.
Sterkenburg, Van, Annelies Knoppers Jacco, und Sonja de Leeuw. 2010. Race, ethnicity, and
content analyses of the sports media: a critical reflection. Media, Culture & Society 32(5):
819–839.
Trolan, Eoin J. 2013. The impact of the media on gender inequality within sport. Procedia. Social
and Behavioral Sciences 91(2): 215–227.
Trültzsch-Wijnen, Sascha, und Katharina Weber. 2019. Wintersportler und -sportlerinnen im Social
Web. Viel Sport, wenig Privates, kaum Sexualisiertes. Medien Journal 43(1): 45–64.
Ware, Susan. 2011. Game, set, match: Billie Jean King and the revolution in women's sports.
Chapel Hill: University of North Carolina Press.
Wiederkehr, Stefan. 2009. “We shall never know the exact number of men who have competed in
the Olympics posing as women”: Sport, gender verification and the cold war. International
Journal of the History of Sport 26(4): 556–572.
Worlds of Journalism Study (2016). Sociodemographic backrounds – gender. https://
worldsofjournalism.org/wojwordpress/wp-content/uploads/2019/07/WJS_Sociodemographic_
backgrounds_-_aggregated.pdf. Zugegriffen am 21.12.2021.
Xu, Qingru, und Andrew C. Billings. 2021. Voices of the gatekeepers: Examining the Olympic
channel production through a gendered lens. Mass Communication and Society 24(5): 629–650.
Mehrsprachigkeit, Gender und Medien im
linguizistischen Kontext

Assimina Gouma und Judith Purkarthofer

Inhalt
1 Einleitung: Die Verwertbarkeit von Mehrsprachigkeit als „Ressource“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 854
2 Intersektionalität und voice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 855
3 Mehrsprachigkeit und Linguizismus in der medialen Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 858
4 Fazit: Monolingualismus und postfeministische Verschränkungen in Medien . . . . . . . . . . . . 860
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 862

Zusammenfassung
Fragestellungen rund um Mehrsprachigkeit werden aus sprachwissenschaftli-
chen, mediensoziologischen und soziolinguistischen Perspektiven bearbeitet.
Allerdings ist im Forschungsfeld von Sprache und Gender der monolinguale Bias
noch immer weit verbreitet. Insgesamt sind die Verschränkungen von Medien,
Mehrsprachigkeit und Gender in der feministischen Medienforschung nur am
Rande des wissenschaftlichen Diskurses angesiedelt. So sind Studien zu gegen-
derten und intersektionellen Sprachverhältnissen im Kontext von Medien und
Mehrsprachigkeit rar. Der folgende Beitrag beschreibt einen Ansatz zur Kon-
textualisierung und Theoretisierung dieses Forschungsfelds und diskutiert lin-
guistische Diversität mit Fokus auf Gender und Medien.

Schlüsselwörter
Mehrsprachigkeit · Linguizismus · Voice · Intersektionalität · Medien

A. Gouma (*)
Institut für Inklusive Pädagogik, Pädagogische Hochschule Oberösterreich, Linz, Österreich
E-Mail: gouma@uni-wuppertal.de
J. Purkarthofer
Germanistische Linguistik, Universität Duisburg-Essen, Essen, Deutschland
E-Mail: judith.purkarthofer@uni-due.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 853
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_78
854 A. Gouma und J. Purkarthofer

1 Einleitung: Die Verwertbarkeit von Mehrsprachigkeit als


„Ressource“

Mehrsprachigkeit ist ein breiter Begriff, der nicht nur anerkannte oder offizielle
Sprachen, sondern auch Varietäten, lokale Dialekte, Ethnolekte und unterschiedliche
Sprachregister miteinbezieht. Ergänzt wird das Verständnis von Mehrsprachigkeit
mit dem Begriff der „Heteroglossie“, der Vielstimmigkeit und Mehrdeutigkeit. Bei
Heteroglossie geht es nicht um die sprachliche Vielfalt, sondern darum, „dass wir
uns im Sprechen immer gegenüber bestimmten gesellschaftlichen Diskursen und
Sprechweisen positionieren, die ihrerseits auf unterschiedliche soziale Räume und
Zeitabschnitte verweisen“ (Busch 2013, S. 12). Die Auseinandersetzung mit den
gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen Mehrsprachigkeit stattfindet, ist daher
besonders wichtig. Denn die soziale Realität der Mehrsprachigkeit im Kontext der
neoliberalen Gouvernementalität der „leistungsfähigsten Nationen“ (Lemke et al.
2000) wird durch die Frage ihrer Verwertbarkeit stets herausgefordert: Was ist der
Wert der Mehrsprachigkeit? Legitimiert wird diese Fragestellung durch die utilita-
ristische Ethik in medialen, politischen und administrativen Diskursen.
Eine Antwort auf diese Frage hält das Diversitätskonzept bereit, das als hegemo-
niales Konzept zu sehen ist und das Narrativ der „Vielfalt“ forciert. Die Vielfalt der
Sprachen wird darin als „Ressource“ und als „Gewinn“ für die Gesellschaft gesehen.
Obwohl das Narrativ der Vielfalt überwiegend positiv kommentiert wird, stellt Beck
(2011, S. 53) fest, dass es sich noch um ein diffuses Konzept handelt: „We do not
even have the language through which contemporary superdiversity in the world can
be described, conceptualized, understood, explained, and researched.“ Schwarze
Feminist*innen wie etwa Sara Ahmed haben sich intensiv und kritisch mit dem
Diversity-Konzept auseinandergesetzt. Ahmed (2009) kritisiert, dass es zwar im
Mainstream zu einem Diskurs der Wertschätzung von Vielfalt gekommen ist, dieser
aber auf der einen Seite ökonomisch argumentiert (Wirschaftsunternehmen), oder
auf der anderen Seite auf moralische Werte rekuriert (soziale Gerechtigkeit). In der
Praxis wird das Konzept als Tool eingesetzt, um „weiße“ Strukturen etwas „bunter“
zu machen, tatsächlich handelt es sich aber um kontrollierte Ausschlussprozesse
(De Jong 2015), denn nicht jede „Diversität“ ist auch verwertbar und daher er-
wünscht. Aktuelle Debatten im Zuge der sogenannten „Flüchtlingskrise“ verdeutli-
chen, wie genau im Diversitätsmanagement zwischen „good and bad diversity“
(Lentin und Titley 2011) unterschieden wird. Mehrsprachigkeit wird daher nicht
pauschal als „Bereicherung“ verstanden, sondern auch als Störung, Problem oder
Integrationsprojekt marginalisiert. Das Narrativ der „Vielfalt“, „Ressource“ und der
„Bereicherung“ wird demnach nicht nur von neoliberalen Denkschemata, sondern
auch von nationalistischen und kulturalistischen Diskursen herausgefordert (Gouma
2020).
Migration ist aktuell die treibende Kraft für den Umgang mit Mehrsprachigkeit
und die Bestimmung von sprachbezogener „good and bad diversity“. Die sprach-
politische und gesellschaftliche Differenzierung zwischen anerkannten Varietäten,
lokalen Dialekten und migrantischer Mehrsprachigkeit ist strukturierend in der
Migrationsgesellschaft. Auch migrantische Mehrsprachigkeit wird differenziert
Mehrsprachigkeit, Gender und Medien im linguizistischen Kontext 855

betrachtet: Während beispielsweise in bestimmten Sprachen und mehrsprachigen


Sprachmischungen kaum ein „Wert“ erkannt wird, kann linguistische Vielfalt als
„pluralisation of monolingualism“ (Makoni und Pennycook 2007, S. 22) neoliberale
Relevanz haben: Sprachen zu lernen wird als Vorteil für die Arbeitswelt gesehen,
während kreative Praktiken der Mehrsprachigkeit wie code mixing und code swit-
ching (Panagiotopoulou und Rosen 2016) als Defizit interpretiert werden.
Im Gegensatz zu Dialektvarietäten und kolonialen Sprachen wie Englisch und
Französisch verursacht migrantische Mehrsprachigkeit in der Öffentlichkeit häufig
Empörung und feuert Populismus und/oder lingualistische Moralismen an. (de Cillia
und Dorostkar 2013) Der Sprachnationalismus ist in Österreich nicht nur ein
dominanter Diskurs, sondern nach 2005 auch gesetzlich mit den an die deutsche
Staatssprache geknüpften Integrationsvereinbarungen und der Staatsbürgerschafts-
gesetzgebung politisch bedeutend. (de Cillia 2020, S. 98) Parallel zum Sprach-
nationalismus wird auch Linguizismus – diese spezifische Form des Rassismus,
die Sprachen und ihre SprecherInnen aufgrund ihrer sozialen, lokalen oder migran-
tischen Herkunft abwertet (Dirim 2010) – durch die Problematisierung der Abwei-
chungen von sprachideologischen Normvorstellungen legitimiert.

2 Intersektionalität und voice

Geschlecht in Beziehung zu Sprache und Medien zu setzen, ist ein kontroversielles


Forschungsfeld, das – so Tommaso Milani (2017, S. 343) – es weiterhin zu be-
arbeiten gilt. Der Fokus auf linguistische Diversität und Mehrsprachigkeit in der
Migrationsgesellschaft macht das Forschungsanliegen komplexer, indem rassismus-
kritische und intersektionelle Perspektiven an Relevanz gewinnen. Neben dem
Fokus auf bestimmte („monolinguale“, „hochsprachliche“) Sprecher*innen hat zwar
die Soziolinguistik stets versucht, additiv Kategorien wie Klasse, Herkunft, Gender
etc. zu berücksichtigen. Andreas Kemper (2015) weist in seiner Auseinandersetzung
mit Klassismus trotzdem auf bestehende analytische Lücken hin: „Zwar wurde in der
Soziolinguistik die Defizithypothese (‚Unterschichten‘ haben einen begrenzten
Wortschatz) weitgehend durch die Differenzhypothese (‚Unterschichten‘ haben ei-
nen anderen Wortschatz) ersetzt, doch tatsächlich wird die Zuschreibung einer
Defizitsprache derzeit mit Kinoerfolgen (‚Fack ju Göhte‘) und Buchbestsellern
(‚Isch geh Schule‘) zelebriert.“ (Kemper 2015, S. 27) Erez Levon (2015) spricht
sich in seiner Auseinandersetzung mit Sprache, Gender und Sexualität ebenso für
Analysen aus, die die konstituierende Funktion der dynamischen intersektionellen
Kategorien in den Mittelpunkt stellen: „In other words, mutual constitution main-
tains that constructs such as class, race, and gender do not exist as entities unto
themselves. Instead, they crucially depend for their meaning on their relationship to
the other categories with which they intersect. Thus, there is no ‚gender effect‘ to be
discovered and analyzed; there is only the effect of gender in relation to class, race,
etc.“ (Levon 2015, S. 298)
Die Defizit-, Dominanz- und Differenzhypothesen in der Genderforschung der
Soziolinguistik haben ursprünglich den sozialen und ökonomischen Kontext und
856 A. Gouma und J. Purkarthofer

damit die intrakategoriale Heterogenität vernachlässigt. Die vermeintlich homogene


Gruppe der „Frauen“ wurde der ebenso homogen imaginierten Gruppe der „Män-
ner“ gegenübergestellt. Eine Folge der Homogenisierung war, dass überwiegend die
Sprache der „Frauen“ als die der untergeordneten bzw. zum Schweigen gebrachten
Sprecher*innen problematisiert wurde, während die Sprache der „Männer“ als die
Norm verstanden wurde. (Pavlenko et al. 2001; Jule 2018) Das Interesse an der
Gender-Dichotomie ist zwar ungebrochen, trotzdem lässt sich die „super-hetero-
glossia of voices“ (Kelly-Holmes und Milani 2013, S. 16) kaum mit den homogenen
Gruppen „Frauen“ versus „Männer“ abbilden.
Die breite Digitalisierung der Kommunikation macht zudem ein umfangreiches
empirisches Material zugänglich und verleitet fast zum Zelebrieren linguistischer
Diversität. (Kelly-Holmes und Milani 2013, S. 5–6) Phänomene der Medialisierung
und der Mediatisierung (Birkner 2017) verändern unser Wissen über Sprache und
Gender, da sowohl die massenmedial vermittelte öffentliche Kommunikation als
auch die „kleinen“ interaktiven Medientechniken (SMS, Tweets, Postings etc.)
Gegenstand von Untersuchungen sind. Steven Coats (2019) konnte so das Verhältnis
von Sprachwahl, Mehrsprachigkeit und Gender anhand von 22 Millionen Tweets in
skandinavischen Ländern untersuchen. In anderen, qualitativen Studien mit mehr-
sprachigen Familien in Norwegen und Finnland stand primär die Bedeutung der
interaktiven Medientechniken im Fokus (Lexander und Androutsopoulos 2019;
Palviainen und Kędra 2020; Palviainen 2020). Abseits der interaktiven Kommuni-
kations- und Medientechniken spielen die traditionellen, aber auch die sozialen
Medien weiterhin eine wichtige Rolle in der Reproduktion der sozialen Ordnung.
Die Machtverhältnisse der Öffentlichkeit in Verbindung mit Sprache und Gender
deutete Nancy Fraser als Zeichen der „massiven Ungleichheit“ (Fraser 2008, S. 23).
Fraser sieht in der klassischen habermasianischen Form der Öffentlichkeit zwar eine
kritische Dynamik, die sich auf die Idee der Inklusivität und das Prinzip der
Betroffenheit bezieht, führt diese Vorstellung aber weiter: „Die Anwendung dieses
Prinzips auf die Öffentlichkeit besagt, dass alle von einer politischen Entscheidung
potenziell Betroffenen die Chance zur gleichberechtigten Teilnahme an den infor-
mellen Prozessen der Meinungsbildung haben sollten, an denen sich wiederum die
Entscheidungsträger auszurichten haben.“ (Fraser 2008, S. 30) Aus diesem Ideal
ergibt sich der politische Legitimitäts- und Effektivitätsanspruch der Öffentlichkeit
(Fraser 2007). Gleichzeitig fragt Fraser nach einem neuen Modell der Öffentlichkeit,
da das Prinzip der Betroffenheit durch die hegemoniale Ordnung nicht erfüllt wird.
Sie geht davon aus, dass soziale Bewegungen diese Ungleichheit verringern können
– z. B. der Feminismus gegen die bürgerliche und maskulinistische Öffentlichkeit. In
einem weiteren Schritt kritisiert sie ebenso die deliberative Vorstellung einer mono-
lingualen Öffentlichkeit bzw. einer nationalen Sprache, in der die Öffentlichkeit
kommuniziert. National- oder Amtssprachen1 gehen aus sozialen Kämpfen hervor

1
Demnach ist auch der verbreitete Begriff „deutschsprachige Länder“ nicht zutreffend: Das Span-
nungsverhältnis zwischen amtlicher Einsprachigkeit im Deutschen und faktischer Mehrsprachigkeit
im Alltag ist wesentliches Merkmal der Migrationsgesellschaft. (Dirim 2015, S. 26).
Mehrsprachigkeit, Gender und Medien im linguizistischen Kontext 857

und sind u. a. das Ergebnis der Verdrängung z. B. von lokalen und regionalen
Sprachen. Sie bilden daher keine „natürliche“ Einheit mit den de facto mehrspra-
chigen Nationalstaaten mit ihren zunehmend mehrsprachigen Sprecher*innen. (Fra-
ser 2007, S. 11)
Daraus formuliert Fraser angesichts der deliberativen Metapher der „Diskus-
sionsrunde“ ihre Bedenken und fragt, inwieweit eine monolinguale Öffentlich-
keit eine kommunikativ inklusive Gesellschaft konstituieren kann: „Who are the
relevant members of a given public? In what language(s) and through what media
should they communicate? And via what communicative infrastructure?“ (Fraser
2007, S. 19) Im Gegensatz zu der weitgehenden Leerstelle der medialen Reprä-
sentation von Mehrsprachigkeit durch gegenderte Stimmen und ihre Verknüp-
fung mit (Sprach-)Ideologien liefert Fraser einen wichtigen Baustein zur Theo-
retisierung.
Mindestens eine Frage drängt sich hier auf: Bedeutet das mehrsprachige Spre-
chen in der medialen Öffentlichkeit auch, eine „Stimme“ zu haben, die gehört
wird? Die Bedingungen des „Zu-Wort-kommens“ sind für marginalisierte Spre-
cher*innen von Ungleichheiten und Strukturen des silencing geprägt. Die Über-
windung der strukturellen Hindernisse lässt sich aber nicht mit dem Anliegen,
gehört zu werden, gleichsetzen. Chandra Mohanty (1989) beschreibt ausgehend
von feministischen Begegnungen zwischen Frauen des globalen Nordens und des
globalen Südens die Forderung, eine „Stimme“ zu haben, als „complex historical
and political act that involves understanding the interrelationships of voices“
(Mohanty 1989, S. 182). Sie plädiert für die Autorisierung der Stimmen von
marginalisierten Gruppen, betont dabei aber, dass es nicht allein um deren indivi-
duelles Recht geht, sondern um die Kollektivierung solcher Prozesse und um das
Hörbarmachen von oppositionellen Stimmen. Es geht darum, kollektive Stimme
zu ermöglichen: „I think the important point is that it be an active, oppositional,
and collective voice“. (Mohanty 1989, S. 208) In Bezug auf Medien und Mehr-
sprachigkeit geht es demnach nicht nur um eine Addition von Sprachen oder
linguistische Vielfalt, sondern um eine Multiplizierung von Stimmen (voices),
im Sinne einer gemeinsamen oppositionellen Stimme, die kollektive Anliegen
vorantreiben.
Raum in der Medienöffentlichkeit für mehrsprachige Sprecher*innen ist ein
Schritt von vielen, der oft in Verbindung mit freien und Community-Medien an-
gestoßen wird (Purkarthofer 2018). Der Zweifel, ob eine Frau, die kein „fehlerloses“
Deutsch spricht, gehört wird bzw. ob sie als eine Person, die „etwas zu sagen hat“,
gilt, war im Rahmen des partizipativen lokalen Bildungs- und Medienprojekts
EPRIS zu Mehrsprachigkeit und Linguizismus (Gouma 2020) ein immer wieder-
kehrendes Thema der Befragten: Lohnt es sich, eine Stimme in der Öffentlichkeit zu
erkämpfen, wenn das, was du sagst, nicht ernst genommen wird? Die Aussprache,
der Akzent, der Dialekt wie auch die „falschen“ Fehler – im Gegensatz zu „richti-
gen“ Fehlern, wie dem generischen Maskulinum –, die auf eine migrantische
Herkunft verweisen, werden gehört. Dafür wird überhört, was gesagt wird. (Gouma
2020, S. 171–172)
858 A. Gouma und J. Purkarthofer

3 Mehrsprachigkeit und Linguizismus in der medialen


Öffentlichkeit

Obwohl es sich bei den meisten Medien um Unternehmen oder Vereine handelt, die
keinem staatlich verordneten einsprachigen Zwang unterliegen, „organisieren und
managen [sie] Mehrsprachigkeit“ (Kelly-Holmes und Milani 2013, S. 1), indem sie
überwiegend Position für die Imagination der Monolingualität beziehen. Brigitta
Busch (2004, S. 32) sieht darin die Funktion der „Sprachüberwachung“ in und durch
Medien. Ähnlich sehen es James and Lesley Milroy (1998) und verweisen auf die
„complaint tradition“ über Abweichungen von Standardsprachen in Leser*innen-
briefen, Kolumnen und Kommentaren in Medien. In Medien gibt es so gesehen
immer gesonderte Sprachregime: „Solche Regime sind ebenso durch spezifische
Machtkonstellationen und sprachliche Hierarchien gekennzeichnet wie durch gegen-
läufige Aneignungsprozesse oder Gegendiskurse, die geeignet sind, sprachliche
Praktiken und Sprachideologien zu transformieren.“ (Busch 2013, S. 126) Das
bedeutet, dass Sprachregime Räume darstellen, die durch „soziale, sprachliche und
diskursive Praktiken geschaffen [werden] und in ständigem Wandel begriffen“
(Busch 2013, S. 126) sind. In diesen Sprachregimen werden soziale (Sprach-)
Handlungen verdichtet (Busch 2013, S. 136).
Dabei stellen Medien ihre eigenen Sprachregime und ihre sprachlichen Erwar-
tungen auf (Purkarthofer 2013). Für Migrant*nnen, aber auch für Dialektspre-
cher*nnen, bedeutet dies oft, dass als habitualisierte Sprachpraktik eine bestimmte
Standardsprache bzw. bestimmte Sprachregister vorausgesetzt werden. Dies trifft
nicht nur für die Mainstream-Medien zu, sondern auch für jene der agonistischen
Öffentlichkeit wie z. B. nicht-kommerzielle Medien: In qualitativen Interviews zur
Mitwirkung in Freien Radios stellten sich sowohl Dialektsprecher*innen als auch
migrantische Sprecher*innen die Frage, ob sie aufgrund der Sprache überhaupt
berechtigt sind, im Radio zu sprechen. (Gouma 2020) Mediale Sprachregime pro-
duzieren demnach Ausschlüsse, die verschiedene Formen des Sprachgebrauchs
betreffen. „Die Grenzen zu der Frage, wann spricht jemand eigentlich ‚gut‘ Deutsch,
sind dabei fließend. Deutsch sprechen können heißt unter Umständen gleichzeitig
auch ‚zwischen den Zeilen‘ lesen können, den jeweiligen vor Ort geforderten
Dialekt sprechen oder verstehen zu können und zu wissen, welches Sprachregister
in welchem sozialen Kontext das Angemessene ist.“ (Heinemann 2015, S. 135–136)
Alisha Heinemann beschreibt neben der „Sprache“ auch die Kategorie des „Kör-
pers“ als einen Ort des Ausschlusses: „Der erste [Ausschlussort] ist der eigene
Körper, in dem sich das Erleben stets defizitär zu sein, nicht ‚gut‘ genug Deutsch
sprechen zu können, eingräbt [. . .].“ (Heinemann 2015, S. 135)
Die Mediensprachen, die in Medien zu hören und zu lesen sind, aber auch der
Umgang mit Normabweichungen spiegeln nicht nur Sprachideologien und Lingui-
zismus wider. So weisen etwa Forschungsergebnisse zu hate speech drauf hin, dass
neben Praktiken des othering und der Abwertung auch Genderaspekte durch die
Auseinandersetzung mit Sprachideologien in Mediendiskursen deutlich werden.
Über die Zuschreibung einer nicht verwertbaren Mehrsprachigkeit zu minorisierten
Gruppen werden mehrsprachige Angebote zum Gegenstand diskriminierender
Mehrsprachigkeit, Gender und Medien im linguizistischen Kontext 859

Diskurse. Durch Sprachideologien, die einheitliche Sprachverwendung (sowohl was


Einzelsprachen als auch bestimmte, etwa nicht-geschlechtergerechte Sprechweisen
betrifft) als erstrebenswertes Ideal sehen, werden Gruppen konstruiert, deren Legi-
timität angezweifelt wird. hate speech trifft dann jene, die vom Ideal der Einspra-
chigkeit abweichen (Gouma 2020), und gerade im Fall regionaler Minderheiten
wurde Sprachverwendung oft als Anlass gesehen, Gruppen herabzuwürdigen und
sie als „bäuerlich“, „einfach“ oder „ungebildet“ darzustellen. Auch hier ergeben sich
aus der sozialen Verfasstheit Exklusionsketten, die wiederum Personen mit nicht-
hegemonialer Geschlechtszugehörigkeit, Menschen in prekären Lebenssituationen
oder solche mit politischen Minderheitenmeinungen besonders treffen. Mit hate
speech in Massenmedien hat sich Liriam Sponholz beschäftigt (2018) und am
Beispiel zweier Fallstudien die mediale Verbreitung von hate speech in fünf Ländern
(Italien, Deutschland, Spanien, UK und USA) untersucht. Ihre umfassende Darstel-
lung lässt sich auch auf sprachbezogene Diskriminierung anwenden – vor allem
wenn es sich um hate speech mit intentionaler Verwendung in der Öffentlichkeit
handelt.
Aktuelle Forschung beschäftigt sich mit medialen Diskursen zur sprachlichen
Varietät in migrationsgesellschaftlichen Stadträumen, wobei der Zusammenhang
von Gender- und Sprachverhältnisse diskutiert wird. İnci Dirim (2010) untersucht
Linguizismus in Form von pejorativen Adressierungen der Mehrsprachigkeit in
Medien in Zusammenhang mit dem sogenannten „Dönerdeutsch“, also dem ethno-
lektalen Deutsch,2 das „Jugendliche aktivieren, um Zugehörigkeit oder andere
soziale Bedeutungen zu erzeugen“ (Dirim 2010, S. 98). Dirim kritisiert die mediale
Abwertung dieses spezifischen Ethnolekts: „Ein Beispiel dafür wären die possen-
haften Darstellungen des ethnolektalen Deutschgebrauchs in Fernsehsendungen, in
denen er dafür eingesetzt wird, die Zuschauer zu belustigen. Auffällig ist, dass dieser
possenhafte Umgang mit dem ethnolektalen Gebrauch des Deutschen kaum kritisch
diskutiert wird [. . .]“ (Dirim 2010, S. 99). In weiterer Folge problematisiert Dirim
die Verortung des gemischten türkisch-deutschen Sprachgebrauchs als Stilmittel für
die Verortung in einem kriminellen Milieu. In ihrer Analyse bezieht sie sich vor
allem auf die Darstellung einer mehrsprachigen Männlichkeit: Beim Comedy-Duo
„Erkan und Stefan“ wird das Bild „eines kleinkriminellen, dümmlich-naiven groß-
städtischen Jugendlichen türkischen Ursprungs [. . .] durch dessen ethnolektalen
Sprachgebrauch untermauert“ (Dirim 2010, S. 100). Die mediale Inszenierung des
„Gangsterhaften“ und „Kriminellen“ durch den Einsatz von migrantischen Trans-
formationen des Sprachgebrauchs wird jedoch auch in intellektuellen und bildungs-
bürgerlichen Milieus nicht als künstlerische Verarbeitung – wie z. B. im Buch
„Kanak Sprak“ von Feridun Zaimoğlu (1995) –, sondern als empirisches Abbild
von Wirklichkeit wahrgenommen, obwohl wissenschaftliche Studien zu

2
Dabei handelt es sich um eine bestimmte Gebrauchsweise des Deutschen, die vom Standard-
deutsch systematisch abweicht und auf den Einfluss des Türkischen zurückgeführt wird. (Dirim
2010, S. 98).
860 A. Gouma und J. Purkarthofer

differenzierten Ergebnissen kommen. (Pfaff 2005; Dirim 2010; Androutsopoulos


2011; Wiese 2012)
Obgleich Dirim ihre Studie zu Linguizismus in Medien nicht explizit auf
Genderverhältnisse ausrichtet, findet sie deutliche Belege für die Bedeutung des
ethnolektalen Sprachgebrauchs bezüglich der medialen Konstruktion „gefährlicher“
migrantischer Männlichkeiten in amtlich deutschsprachigen Ländern. Untersuchun-
gen in Schweden kommen in Bezug auf rinkebysvenska (urbane Ethnolekte des
Schwedischen)3 ebenso zu der Schlussfolgerung, dass im Gegensatz zu „schwe-
dischen“ Sprecher*innen von rinkebysvenska bei mehrsprachigen Jugendlichen ein
Zusammenhang von Sexismus und Homophobie hergestellt wird. (Milani 2017)
In seiner Analyse über ‚Jafaican‘4 in den britischen Medien weist Paul Kerswill
(2014) ebenso auf die Verschränkungen zwischen „Multicultural London English“
und dem Narrativ der kulturellen Bedrohung bzw. der Misogynie. Kerswill expliziert
weitere Mediendiskurse, die Jafaican als Bedrohung für Cockney, als linguistisches
und gesellschaftliches Problem, als fremd, aber auch als natürlichen Sprachwandel,
als Norm für die britische Musikindustrie und als Mode behandeln: „The most
pervasive discourse utilizes the metaphor of ‚threat‘, and within this we can discern
two strands. The first is the threat of displacement (of Cockney, of ‚true‘ British
people, of ‚British‘ cultural values) and involves discourses originating in the
political right. The second strand is the threat to liberal values (gender equality,
but also [in hip-hop lyrics] homosexual equality).“ (Kerswill 2014, S. 452)

4 Fazit: Monolingualismus und postfeministische


Verschränkungen in Medien

Insgesamt weisen die Studienergebnisse rund um Linguizismus in Medien einerseits


auf die konstruierte Vermengung von mehrsprachigen Praktiken mit Ausschluss-
kategorien hin, die sich in inferiorisierenden oder misogynen Zuschreibungen, aber
auch Bedrohungen gegenüber Sprecher*innen äußern. Andererseits berichten mehr-
sprachige Sprecher*innen darüber, dass sie aufgrund ihrer sprachlichen Repertoires
u. a. mit hate speech, Ausschlüssen, silencing, Marginalisierungen etc. in der
medialen Öffentlichkeit konfrontiert werden.
Aus unserer Auseinandersetzung mit Medien, Gender und Mehrsprachigkeit
ergeben sich folgende vorläufige Thesen und Desiderata für weitere Forschungs-
arbeiten: Zum einen werden bestimmte Praktiken der Mehrsprachigkeit zur diskur-

3
In seinem Blog forderte ein rechtsradikaler Politiker 2012, dass die Polizei Menschen erschießen
solle, die rinkebysvenska sprechen (Kerswill 2014, S. 427).
4
Jafaican wird als Multiethnolekt bezeichnet – bestehend aus Standardenglisch, Englisch als
Zweitsprache, afrikanisches, karibisches und asiatisches Englisch, dem lokalen Dialekt Cockney,
Jamaican Creole und anderen Sprachen. (Kerswill 2014, S. 431–432). Allgemein bezeichnet
Multiethnolekt eine von Migrant*innensprachen beeinflusste, aber nicht nur von Migrant*innen
gesprochene Varietät der hegemonialen Sprache vor allem in urbanen Zentren (u. a. Freywald et al.
2011).
Mehrsprachigkeit, Gender und Medien im linguizistischen Kontext 861

siven Konstruktion gefährlicher Männlichkeiten herangezogen. Insbesondere die


mediale Repräsentation von mehrsprachigen Praktiken, die soziale, ethnische und
linguistische Realitäten reflektieren – wie Ethnolekte, Sprachmischungen etc. – und
die nicht als „pluralisation of monolingualism“ (Makoni und Pennycook 2007, S. 22)
gelten, korrespondiert mit Kriminalisierungsdiskursen in Zusammenhang mit mig-
rantischen Männlichkeiten.
Zum anderen werden mehrsprachige Sprecher*innen innerhalb der Medien-
öffentlichkeit auf unterschiedliche Weise marginalisiert und in ihren differenzierten
sprachlichen und medialen Bedarfen nicht wahrgenommen. In weiterer Folge trifft
Sexismus vor allem Subjekte, die als „Frauen“ gegendert werden und deren Mehr-
sprachigkeit keinen erkennbaren „Wert“ hat. Besonders relevant für feminisierte
Praktiken der Mehrsprachigkeit ist das Konzept des Femonationalismus (Farris
2011). Darin spielen migrantische Mütter im Prozess der Übertragung „gesellschaft-
licher Werte“ eine entscheidende Rolle. „[. . .] als sinnvoller Ersatz einheimischer
Frauen im Reproduktionsbereich, aber auch als potentielle Ehefrauen europäischer
Männer, scheinen Migrantinnen zum Ziel einer auf trügerischer Weise wohlwollen-
den Kampagne zu werden, in der sie ‚ermutigt‘ werden, sich westlichen Werten
anzupassen“ (Farris 2011, S. 330). Wenn Migrantinnen dieses Angebot ablehnen, ist
die Empörung groß: „Wir sehen fern, was wir wollen“ titelte 2013 eine norwegische
Tageszeitung über dem Bild einer Frau und ihrer drei Kinder, mittels ornamentaler
Raumdekoration als Angehörige einer nicht-norwegischen Minderheit markiert.
Diese Reaktion und der zugehörige Kommentar bezogen sich auf eine politische
Debatte über Norwegischkenntnisse von Schüler*innen, in der Politiker*innen des
rechten Spektrums vor allem auch Medienkonsum in den vielen Familiensprachen
als Wurzel allen Übels ausgemacht hatten (zur Darstellung der Debatte Lanza 2020).
Die Vermittlung der hegemonialen Sprache in Verbindung mit Geschlecht und
Herkunft ist ein umkämpftes Terrain. Sich wie in diesem Beispiel selbstbestimmt
für mehrsprachige mediale Praktiken zu entscheiden, erfordert besondere Anstren-
gungen.
Die (post-)feministischen Bedingungen für die als weiblich gegenderten mehr-
sprachigen Stimmen sind demnach relevant, um mögliche und unmögliche Solida-
ritäten entlang von Mehrsprachigkeit zu verstehen. Diese These bezieht sich auf die
zentralen postfeministischen Widersprüche. (Gill 2007, 2018; McRobbie 2009)
Frauen haben demnach einen besseren Zugang zu bestimmten Freiheiten, solange
sie sich vom Feminismus als kollektive politische Bewegung für radikale gesell-
schaftliche Veränderung distanzieren. (Gill 2018, S. 5) Parallel dazu werden in
Medien idealtypische neoliberale postfeministische Weiblichkeiten zelebriert:
Powerfrauen, die aktiv und selbstbewusst auftreten. Was passiert mit jenen Frauen
der Migrationsgesellschaft, die keine neoliberal verwertbaren Sprachen sprechen?
Die Verschränkung der postfeministischen Bedingungen mit der Realität der „super-
heteroglossia of voices“ (Kelly-Holmes und Milani 2013, S. 16) im Rahmen der
Medialisierung und Mediatisierung würde neue analytische Impulse für die femi-
nistische Perspektive auf Mehrsprachigkeit ergeben.
862 A. Gouma und J. Purkarthofer

Literatur
Ahmed, Sara. 2009. Embodying diversity: Problems and paradoxes for Black feminists. Race
Ethnicity and Education 12(1): 41–52.
Androutsopoulos, Jannis. 2011. Die Erfindung ‚des‘ Ethnolekts. Zeitschrift für Literaturwissen-
schaft und Linguistik 41:93–120. https://doi.org/10.1007/BF03379977. Zugegriffen am
25.04.2021.
Beck, Ulrich. 2011. Multiculturalism or cosmopolitanism: How can we describe and understand the
diversity of the world? Social Sciences in China 32(4): 52–58.
Birkner, Thomas. 2017. Medialisierung und Mediatisierung. Baden-Baden: Nomos.
Busch, Brigitta. 2004. Sprachen im Disput. Klagenfurt: Drava.
Busch, Brigitta. 2013. Mehrsprachigkeit. Stuttgart: UTB.
Cillia, Rudolf de. 2020. Sprache/n und Identität/en. Österreichische Identitäten im Wandel. Wies-
baden: Springer VS.
Cillia, Rudolf de und Niku Dorostkar. 2013. Integration und/durch „Sprache“. In Migration und
Integration – wissenschaftliche Perspektiven aus Österreich, (Jahrbuch 2), Hrsg. Julia Dahlvik,
Wiebke Sievers, und Christoph Reinprecht, 143–161. Göttingen: Vienna University Press.
Coats, Steven. 2019. Language choice and gender in a Nordic social media corpus. Nordic Journal
of Linguistics 42:31–55.
Dirim, İnci. 2010. „Wenn man mit Akzent spricht, denken die Leute, dass man auch mit Akzent
denkt oder so.“ Zur Frage des (Neo-)Linguizismus in den Diskursen über die Sprache(n) der
Migrationsgesellschaft. In Spannungsverhältnisse. Assimilationsdiskurse und interkulturell-pä-
dagogische Forschung, Hrsg. Paul Mecheril, İnci Dirim, Mechtild Gomolla, Sabine Hornberg,
und Krassimir Stojanov, 91–113. Münster: Waxmann.
Dirim, İnci. 2015. Umgang mit migrationsbedingter Mehrsprachigkeit in der schulischen Bildung.
In Schule in der Migrationsgesellschaft. Ein Handbuch. Band 2: Sprache – Rassismus –
Professionalität, Hrsg. Rudolf Leiprecht und Anja Steinbach, 25–48. Schwalbach Ts: Debus
Pädagogik.
Farris, Sara. 2011. Die politische Ökonomie des Femonationalismus. Feministische Studien 11(2):
321–334.
Fraser, Nancy. 2007. Transnationalizing the public sphere. On the legitimacy and efficacy of public
opinion in a Post-Westphalian world. Theory, Culture & Society 24(4): 7–30.
Fraser, Nancy. 2008. Die Transnationalisierung der Öffentlichkeit. Legitimität und Effektivität der
öffentlichen Meinung in einer postwestfälischen Welt. In Medien – Politik – Geschlecht.
Feministische Befunde zur politischen Kommunikationsforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Bri-
gitte Geiger, und Regina Köpl, 18–34. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Freywald, Ulrike, Katharina Mayr, Tiner Özçelik, und Heike Wiese. 2011. Kiezdeutsch as a
multiethnolect. In Ethnic styles of speaking in European metropolitan areas, Hrsg. Friederike
Kern und Margret Selting, 45–73. Amsterdam/Philadelphia: Benjamins.
Gill, Rosalind. 2007. Postfeminist media culture: Elements of a sensibility. European Journal of
Cultural Studies 10: 147–166.
Gill, Rosalind. 2018. Die Widersprüche verstehen. (Anti-)Feminismus, Postfeminismus, Neolibe-
ralismus. Aus Politik und Zeitgeschichte 68(17): 12–19.
Gouma, Assimina. 2020. Migrantische Mehrsprachigkeit und Öffentlichkeit: Linguizismus und
oppositionelle Stimmen in der Migrationsgesellschaft. Wiesbaden: Springer VS.
Heinemann, Alisha M. B. 2015. Lebenslanges Lernen nur für „Native“ Speaker!? In Sprache und
Bildung in Migrationsgesellschaften, Hrsg. Nadja Thoma und Magdalena Knappik, 131–149.
Bielefeld: transcript. https://doi.org/10.14361/9783839427071-006.
Jong, Sara de. 2015. Converging logics? Managing migration and managing diversity. Journal of
Ethnic and Migration Studies 42(3): 341–358.
Jule, Allyson. 2018. Speaking up: Understanding language and gender. Bristol: Multilingual
Matters.
Mehrsprachigkeit, Gender und Medien im linguizistischen Kontext 863

Kelly-Holmes, Helen, und Tommaso Milani. 2013. Thematising multilingualism in the media.
Amsterdam: John Benjamins.
Kemper, Andreas. 2015. „Klassismus!“ heißt Angriff. Warum wir von Klassismus sprechen sollten
– und warum dies bisher nicht geschah. Kurswechsel 4:25–31.
Kerswill, Paul. 2014. The objectification of ‚Jafaican‘. The discoursal embedding of multicultural
London English in the British media. In Mediatization and sociolinguistic change, Hrsg. Jannis
Androutsopoulos, 427–456. Berlin/Boston: Walter de Gruyter.
Lanza, E. 2020. Urban multilingualism and family language policy. In Urban multilingualism
Europe. Bridging the gap between language policies and language practices, Hrsg. Giuditta
Caliendo, Rudi Janssens, Stef Slembrouck, und Piet Van Avermaet, 121–139. Mouton: De
Gruyter.
Lemke, Thomas, Susanne Krasmann, und Ulrich Bröckling. 2000. Gouvernementalität, Neolibe-
ralismus und Selbsttechnologien. Eine Einleitung. In Gouvernementalität der Gegenwart.
Studien zur Ökonomisierung des Sozialen, Hrsg. Ulrich Bröckling, Susanne Krasmann, und
Thomas Lemke, 7–40. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Lentin, Alana, und Gavan Titley. 2011. The crises of multiculturalism: Racism in a neoliberal age.
London/New York: Zed Books.
Levon, Erez. 2015. Integrating intersectionality in language, gender and sexuality research.
Language and Linguistics Compass 9(7): 295–308.
Lexander, Kristin V., und Jannis Androutsopoulos. 2019. Working with mediagrams: A methodo-
logy for collaborative research on mediational repertoires in multilingual families. Journal of
Multilingual and Multicultural Development. https://doi.org/10.1080/01434632.2019.1667363.
Makoni, Sinfree, und Alastair Pennycook. 2007. Disinventing and reconstituting languages.
Clevedon: Multilingual Matters.
McRobbie, Angela. 2009. The aftermath of feminism: Gender, culture and social change. London:
Sage.
Milani, Tommaso. 2017. Media, language, and gender. Identities, practices, affects. In The Rout-
ledge handbook of language and media, Hrsg. Colleen Cotter und Daniel Perrin, 343–356.
London: Rutledge.
Milroy, James, und Lesley Milroy. 1998. Authority in Language. Investigating Standard English.
London: Routledge.
Mohanty, Chandra Talpade. 1989. On race and voice: Challenges for liberal education in the 1990s.
Cultural Critique 14:179–208.
Palviainen, Åsa. 2020. Faces and spaces: Doing multilingual family life through digital screens. In
Språkreiser. Festskrift til Anne Golden på 70-årsdagen 14. juli 2020, Hrsg. L. A. Kulbrandstad
und G. Bordal Steien, 193–208. Oslo: Novus Forlag.
Palviainen, Åsa, und Joanna Kędra. 2020. What's in the family app? Making sense of digitally
mediated communication within multilingual families. Journal of Multilingual Theories and
Practices 24(1): 89–111.
Panagiotopoulou, Argyro, und Lisa Rosen. 2016. Sprachen werden benutzt, „um sich auch gewis-
sermaßen abzugrenzen von anderen Menschen“. In Migration: Auflösungen und Grenzziehun-
gen. Perspektiven einer erziehungswissenschaftlichen Migrationsforschung, Hrsg. Thomas
Geier und Katrin U. Zaborowski, 169–190. Wiesbaden: Springer.
Pavlenko, Aneta, Adrian Blackledge, Ingrid Piller, und Marya Teutsch-Dwyer, Hrsg. 2001. Multi-
lingualism, second language learning, and gender. Berlin: Mouton de Gruyter.
Pfaff, Carol. 2005. Kanaken in Alemannistan: Feridun Zaimoğlu’s representation of migrant
language. In Sprachgrenzen überspringen – Sprachliche Hybridität und polykulturelles Selbst-
verständnis, Hrsg. Volker Hinnenkamp und Katharina Meng, 195–227. Tübingen: Narr.
Purkarthofer, Judith. 2013. Lokal, Global und Mehrprachig? Sprachenpolitik und Medien. In
Sprachenpolitik in Österreich. Bestandsaufnahme 2011, Hrsg. Rudolf de Cillia und Eva Vetter,
242–256. Wien: Lang.
864 A. Gouma und J. Purkarthofer

Purkarthofer, Judith. 2018. You can’t tell my story for me! Community media as a means of
expression in multilingual local and globalized contexts. In Transnationalizing radio research,
Hrsg. Golo Föllmer und Alec Badenoch, 59–64. Bielefeld: transcript.
Sponholz, Liriam. 2018. Hate Speech in den Massenmedien. Theoretische Grundlagen und empi-
rische Umsetzung. Wiesbaden: Springer VS.
Wiese, Heike. 2012. Kiezdeutsch. Ein Dialekt entsteht. München: CH Beck.
Zaimoğlu, Feridun. 1995. Kanak Sprak – 24 Misstöne vom Rande der Gesellschaft. Berlin:
Rotbuch.
Teil IX
Medienkultur – Populärkultur
Visuelle Kommunikation und Gender-
Konstruktionen

Karin Liebhart

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 868
2 Visuelle Kommunikationsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 868
3 Visuelle Gender-Konstruktionen in medialer politischer Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . 870
4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 876
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 877

Zusammenfassung
Nahezu alle Formen medialer Kommunikation, online und offline, sind mitt-
lerweile visuell geprägt. Die Vermittlung von Botschaften und die Erzeugung
von Bedeutung erfolgen in beträchtlichem Ausmaß über Bilder und Bewegt-
bilder. Dies hat selbstverständlich auch Auswirkungen auf die Konstruktion
von Geschlecht und korrespondierende Ideen von Weiblichkeit und Männlich-
keit. Arbeiten der Gender Studies, die der visuellen Kommunikationsforschung
zugeordnet werden können, befassen sich mit der Konstruktion von Geschlech-
terbildern und damit verbundenen Zuschreibungen. Analysen politischer Kom-
munikation zeigen, dass stereotype, dichotom konstruierte Geschlechterbilder
zwar nach wie vor gängig sind, dass sich Repräsentationsformen aber auch im
Wandel befinden.

Schlüsselwörter
Visuelle Kommunikation · Visual Studies/Bildwissenschaften · Medien · Bilder/
Images/Pictures · Gender/Geschlecht

K. Liebhart (*)
Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien, Wien, Österreich
Department of Sociology, University of Trnava, Trnava, Slowakei
E-Mail: karin.liebhart@univie.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 867
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_73
868 K. Liebhart

1 Einleitung

Visuelle Kommunikation ist ein Schlüsselbegriff der Visual Studies und bezeichnet
sowohl ein interdisziplinäres Forschungsfeld als auch einen Modus der Vermittlung
von Bedeutung durch Bilder (Geise und Lobinger 2016, S. 50). In jüngerer Zeit hat
vor allem die Bildzentriertheit Sozialer Netzwerke und Plattformen wie Instagram,
TikTok, Snapchat, Flickr, Pinterest, Telegram, YouTube und WhatsApp zur stetig
steigenden Bedeutung des Visuellen in der Alltagskommunikation wie auch der
medialen und politischen Kommunikation beigetragen. Auch für Soziale Medien,
die nicht vorrangig für visuelle Botschaften konzipiert wurden, oder für Messenger-
Dienste spielen Bilder eine immer wichtigere Rolle (Brantner et al. 2020, S. 9).
Selbst der anfangs fast ausschließlich textzentrierte Mikroblogging-Dienst Twitter
stellte bereits 2014 fest, dass Fotos und Videos die Wahrscheinlichkeit eines Re-
tweets um 35 % bzw. um 28 % erhöhten (Schulze 2019). Soziale Medien sind vor
allem visuelle Medien (Brantner et al. 2020, S. 9, 21; Autenrieth 2019, S. 264).
Visueller Content wird nicht nur von Algorithmen favorisiert, auch für die „Share-
ability“ ist die Einbettung von Bildern ein wichtiger Faktor. Aber auch jenseits von
Sozialen Medien ist mittlerweile nahezu jede Form medial vermittelter Kommuni-
kation visuell geprägt. „Images surround everything we do. This omnipresence of
images is political and has changed fundamentally how we live and interact in
today’s world“ (Bleiker 2018, S. 1). Die besondere Bedeutung von Bildern für die
kommunikative Konstruktion sozialer Realität im „visual age“ (Lobinger 2015,
S. 91) hat soziales Handeln mit Bildern zu einem wichtigen Forschungsthema der
Sozial- und Kulturwissenschaften und auch der Gender Studies gemacht, insbeson-
dere in Hinblick auf die Konstruktion von Geschlechterbildern und entsprechende
Zuschreibungen.

2 Visuelle Kommunikationsforschung

Bildwissenschafter*innen bzw. Visual-Studies-Forscher*innen hatten bereits in den


1990er-Jahren eine genauere Betrachtung des Visuellen und dessen Einbeziehung in
die Analyse der Herstellung und Verbreitung von Wissen eingefordert (Lobinger und
Venema 2019, S. 2; vgl. auch Boehm 2007). Diese wissenschaftliche Neuorientie-
rung, die auf tiefgreifende Veränderungen im Bereich der Visualität antwortet, wird
mit den Begriffen „iconic turn“ (Boehm 1994; Bachmann-Medick 2009; Maar und
Burda 2004) und „pictorial turn“ (Mitchell 1992, 1994) beschrieben (Von Sikorski
und Brantner 2019, S. 184). Als Forschungsfeld konnte Visuelle Kommunikation in
der angloamerikanischen akademischen Welt als Visual (Culture) Studies (Evans
und Hall 1999; Mirzoeff 2013; Rimmele et al. 2014) schon Ende der 1970er-Jahren
Fuß fassen. In Kontinentaleuropa gelang eine Etablierung der Bildwissenschaften
(Belting 2001; Boehm 1994; Bredekamp 2011; Diers 1997; Sachs-Hombach 2005,
2013; Schulz 2009) als eigener Forschungsbereich aufgrund der Vielfalt der betei-
ligten Disziplinen und der Heterogenität von Forschungstraditionen und For-
Visuelle Kommunikation und Gender-Konstruktionen 869

schungsthemen jedoch lange Zeit nicht (Lobinger und Venema 2019, S. 4; Müller
2007).
Ihre Wurzeln hat die Visuelle Kommunikationsforschung im deutschsprachigen
Raum insbesondere in den Arbeiten Aby Warburgs, der zu Beginn des 20. Jahr-
hunderts das Nachleben von bildhaften Ausdrucksformen der Antike in der abend-
ländischen Kultur, vor allem in der Renaissance, erforschte (Müller 2007, S. 15–16).1
Die angloamerikanische Tradition der Visual Studies bezog sich hingegen auf
Ansätze aus den Cultural Studies (Evans and Hall 1999) und auf das Werk Erwin
Panofskys (1982). Panofsky übernahm den von Warburg verwendeten Begriff der
Ikonologie und kombinierte dessen Ideen mit der Wissenssoziologie Karl Mann-
heims (Müller 2007, S. 16). Auf dieser Grundlage entwickelte er ein aus vorikono-
grafischer Beschreibung, ikonografischer Analyse und ikonologischer Interpretation
bestehendes dreistufiges Modell zur Ermittlung von Bildinhalten. Marion G. Müller
ergänzte Panofskys Methode, die bildimmanente Bedeutungen rekonstruiert (Müller
2011b, S. 29), um die Kontextdimensionen Form-, Produktions- und Rezeptions-
kontext (Müller und Geise 2015, S. 17, 183–196, 219–226; Warnke et al. 2011), um
sie für die Analyse massenmedial produzierter und kommunizierter Bilder anwend-
bar zu machen.2
Die Frage nach dem Gegenstand der visuellen Kommunikationsforschung beant-
wortet Müller (2007, S. 8–12) unter Bezugnahme auf Gottfried Boehm (1994) und
William T. J. Mitchell (1990) mit einer Diskussion der Begriffe Image, Picture, Bild
und Visuals. Während die deutschsprachige Tradition aufgrund fehlender Begriff-
lichkeiten die Bezeichnung Bild sowohl für materielle Bilder als auch für immate-
rielle, mentale Bilder verwendet, unterscheidet die englischsprachige Tradition
zwischen pictures und images. Materielle Bilder wie Fotos, Grafiken, Gemälde,
Filme, Kunstwerke oder Architektur rufen jeweils korrespondierende immaterielle
Denkbilder auf und aktivieren diese (Müller und Geise 2015, S. 21, 23–25). Müller
(2007, S. 13) verweist auf die Bedeutung von „memorized visual precursors“, die als
historische „Vor-Bilder“ aus einem kollektiven Bildgedächtnis abgerufen werden

1
Warburgs fragmentarisch gebliebener Bilderatlas Mnemosyne beinhaltet etwa 2000 Bilder aus
Kunst- und Kulturgeschichte auf etwa 60 Tafeln und wurde von Martin Warnke und Claudia Brink
(2000) in jener Form herausgegeben, in der Warburg ihn hinterlassen hat.
2
Der ikonografisch-ikonologische Ansatz bietet auch eine Grundlage für methodische Zugänge wie
die Quantitative Bildtypenanalyse (Grittmann 2007; Grittmann und Ammann 2011) oder die
Visuelle Kontextanalyse (Knieper und Müller 2019; Müller und Geise 2015; Müller 2011a, b),
die das Bild selbst ins Zentrum des Erkenntnisinteresses stellen (Knieper und Müller 2001; Liebhart
und Bernhardt 2021). Die Visuelle Kontextanalyse erforscht den Entstehungs- und den Rezeptions-
kontext einzelner Bilder. Die Quantitative Bildtypenanalyse ordnet Bilder mittels (teil)standardi-
sierter Inhaltsanalysen nach Typen und analysiert dann pro Bildtyp einige wenige Bilder genauer
ikonografisch-ikonologisch. Selbstverständlich sind diese beiden Methoden nur ein Teil des für
Bildanalysen zur Verfügung stehenden qualitativen und quantitativen Instrumentariums. Dazu
zählen etwa auch die Bildinhaltsanalyse (Müller und Geise 2015, S. 197–209), die Visuelle
Frameanalyse (Müller und Geise 2015, S. 263–274; Geise et al. 2013; Meier 2009); die Visuelle
Segmentanalyse (Breckner 2010, 2012) und die Bewegtbildanalyse (Bohnsack 2009; Schwender
2011). Weiterführend siehe auch Lobinger und Mengis 2019 sowie Rose 2016.
870 K. Liebhart

(Frank und Lange 2010, S. 58–61). Ebenso können sie aber aus alltagskulturellen
Bereichen wie der Popkultur, der Produktwerbung, dem Sport, der Musik oder der
Mode stammen. Diese Verbindung zwischen materiellen Abbildern und mentalen
Denkbildern folgt dem Prinzip der Assoziation und der Analogiebildung (Müller
und Geise 2015, S. 37), während Textkommunikation an einer linear-sequenziellen
und grammatikalisch strukturierten Logik orientiert ist. Bilder werden im Unter-
schied zu Texten holistisch wahrgenommen, als Ganzes erfasst, und sie beschreiben
nicht, sie veranschaulichen (Müller 2007, S. 13–14). Dieses spezifische Kommuni-
kationsprinzip stellt Bildanalysen und -interpretationen vor theoretische und metho-
dische Herausforderungen (Müller und Geise 2015, S. 37), da Sprache allein nicht
sämtliche Aspekte visueller Wahrnehmung erfassen kann (Grittmann 2007).
Medienkommunikation ist nahezu immer multimodal (Bucher 2019, S. 651).
Bilder stehen in Verbindung mit anderen kommunikativen Modi wie Text, Sprache
und Ton (Bernhardt und Liebhart 2020, S. 25), entsprechend der hybriden Medien-
logik (Chadwick 2013). Dies gilt nicht nur für Film und Video: „even in non-audio-
visual material like newspaper photography, the visual can hardly be studied without
taking its textual context (caption, headers, accompanying articles) (. . .) into ac-
count“ (Müller 2007, S. 13). Vertreter*innen der Kritischen Diskursanalyse (z. B.:
Friedrich und Jäger 2011; Meier 2009, 2011; Van Leeuwen 2015; Wodak und
Krzyzanowski 2008) und jener semiotischen Ansätze, die auf die Verschränkung
vielfältiger Formen der Bedeutungszuschreibung fokussieren (Kress und Van Leeu-
wen 2001, 2006) haben mittlerweile auch einen stärker interdisziplinären Zugang
entwickelt. Sabine Maasen, Torsten Mayerhauser und Cornelia Renggli (2006)
analysieren Bilder als Teil von Diskursen und beziehen nichtsprachliche Aspekte
diskursiver Praxis ein (vgl. auch Meier 2011; O’Halloran 2004). All diese Ansätze
tragen dem Umstand Rechnung, dass soziale Muster – wie etwa Geschlechterord-
nungen – nicht nur in rhetorischen Strategien sichtbar werden, sondern auch in
visuellen Repräsentationen (Fairclough 2010; Kress und Van Leeuwen 2001; Van
Dijk 2000; Van Leeuwen und Jewitt 2000). „Critical discourse analysis has also
moved beyond language, taking on board that discourses are often realized not only
through the verbal aspects of text and talk, but multimodally“ (Wodak und Meyer
2009, S. 272). Eine integrative Betrachtung verschiedener Kommunikationsmodi
wurde beispielsweise in Studien zur Konstruktion von heteronormativen Geschlech-
terbildern und biologistisch begründeten, traditionell-konservativen Weiblichkeits-
vorstellungen sowie entsprechenden Rollenzuschreibungen in politischen Gesell-
schaftsentwürfen der Neuen Rechten angewendet (Jäger et al. 2019; Liebhart 2021).

3 Visuelle Gender-Konstruktionen in medialer politischer


Kommunikation

Was gezeigt wird und wie etwas gezeigt wird, welche strategischen Entscheidungen
dabei sichtbar und welche Deutungsangebote nahegelegt werden, sind wichtige
Fragen der Visuellen Kommunikationsforschung (Åhäll 2018, S. 156; Bernhardt
et al. 2019, S. 44). In der politischen Kommunikation haben Bilder die Funktion der
Visuelle Kommunikation und Gender-Konstruktionen 871

Sichtbarmachung eines Ereignisses, eines Themas oder einer Person (Mirzoeff und
Holert 2000) und der Aktivierung mentaler Vorstellungsbilder. Elke Grittmann
(2009, S. 34) stellt in diesem Zusammenhang die Frage, „warum welches politische
Angebot wie überhaupt öffentlich sichtbar wird“. Drechsel (2009, S. 159) bezeichnet
Sichtbarkeit als zentrale Ressource der Politik und den Wandel von Sichtbarkeits-
ordnungen als Indikator für Verschiebungen bzw. Veränderungen politischer Macht-
strukturen. Visuelle Repräsentationen spielen eine zentrale Rolle für die Herstellung
dieser Sichtbarkeit als Voraussetzung politischer Bedeutung (Bernhardt und Liebhart
2020, S. 14). Johanna Schaffer (2008, 2019) problematisiert aus einer feministischen
Perspektive allerdings die Vorstellung eines kausalen Zusammenhangs zwischen
Sichtbarkeit und politischer Macht: „Übersehen werden hier jedoch die komplexen
Prozesse auf dem Feld der Visualität, für die höchst relevant ist, wer zu sehen gibt, in
welchem Kontext – und vor allem: wie, d. h. in welcher Form und Struktur zu sehen
gegeben wird“ (Schaffer 2008, S. 12, Herv. i. O.). Schaffer richtet die Aufmerk-
samkeit daher auf die Frage, wie minorisierte Subjektpositionen visuell repräsentiert
werden können, „ohne in der Form ihrer Repräsentation Minorisierung zu wieder-
holen“, und fordert ‚anerkennende Sichtbarkeit‘ ein, als eine „Weise des Repräsen-
tierens“ mittels derer „eine Person, eine Sache, ein Kontext mit Wert belehnt wird“
(Schaffer 2008, S. 161–162). Dies soll der affirmativen Reproduktion von in ein
kollektives Bilderrepertoire eingeschriebenen Privilegien entgegenwirken (Schaffer
2008, S. 12).
Aus der Perspektive der Gender Studies ermöglicht ein „Nachdenken über
visuelle Formen der Bedeutungsproduktion“ (Schaffer 2008, S. 44) Rückschlüsse
auf gesellschaftliche Machtstrukturen, entsprechende symbolische Ordnungen und
deren Repräsentation, die Zweigeschlechtlichkeit als Norm setzen und stereotype,
dichotom konstruierte Geschlechterbilder fortschreiben (Pechriggl et al. 2013).
Die Relevanz der Analyse von Sichtbarkeitsverhältnissen für die Gender Media
Studies betonen auch Sigrid Schade und Silke Wenk (2011, S. 105) sowie Tanja
Maier und Martina Thiele (2019): Bilder erfüllen nicht nur eine wichtige Funktion
im Wettbewerb um mediale Aufmerksamkeit, sie spielen auch eine zentrale Rolle im
Prozess des „Doing Gender“. Dass stereotype visuelle Konstruktionen von Ge-
schlecht trotz gesellschaftlicher und medialer Veränderungsprozesse nach wie vor
gängig sind, zeigt Martina Thiele (2019) am Beispiel mehrerer Studien über die
Darstellung von Frauen in Werbespots und TV-Produktionen. Christina Holtz-Bacha
(2019) demonstriert ebenfalls, dass trotz einer Diversifizierung des Rollenrepertoires
stereotype Darstellungen nach wie vor die werbliche Repräsentation von Frauen
prägen (vgl. auch Weish 2019).
So fanden etwa Chen et al. (2020) in einer Analyse der visuellen Repräsentation
von professionellen Köch*innen in gastronomiespezifischen Online-Medien in Neu-
seeland bemerkenswerte Differenzen. Weibliche Protagonist*innen kamen nicht nur
weniger häufig ins Bild, sie wurden auch vorwiegend in eher häuslichen Settings
gezeigt und ihre weiblichen Aspekte wurden betont. Die Autor*innen kommen zu
dem Schluss, dass diese Form der (Re)Präsentation dazu führt, stereotype Wahr-
nehmungen von Geschlecht zu verfestigen und die Geschlechtersegregation in
diesem Berufsfeld aufrechtzuerhalten. Ähnliche Schlussfolgerungen zieht Grittmann
872 K. Liebhart

(2012, S. 164, 2018, S. 192) in Bezug auf häufig unhinterfragte Wissensordnungen,


die medial reproduziert werden: „Selbst dort, wo Frauen vergleichbare Positionen
wie Männer einnehmen – wie beispielsweise in der Politik –, führt dies nicht zu einer
vergleichbaren visuellen Präsenz“ (Grittmann 2012, S. 164). Allerdings ist ein
Anpassungsprozess zu beobachten.
Wie sich Geschlechterbilder in dominante Repräsentationsregime und -traditio-
nen des Politischen einordnen (Schade und Wenk 2011, S. 105) zeigen Margreth
Lünenborg, Jutta Röser, Tanja Maier, Kathrin Müller und Elke Grittmann (2009) am
Beispiel des selbstreferentiellen Mediendiskurses rund um Angela Merkels Auftritt
in einem tief dekolletierten Abendkleid bei der Eröffnung der Osloer Oper im
Frühjahr 2008, bei dem sie sich „entlang traditioneller Geschlechterrollenzuschrei-
bungen in Szene setzte“ (Lünenborg et al. 2009, S. 74). Geschlechtsspezifische
Imagekonstruktionen und Repräsentationsformen eröffnen zwar auch Möglichkeiten
zum Spiel mit Klischees (Liebhart 2008, S. 105, 2013), dennoch bleibt ein ambiva-
lentes Bild. So erwies sich etwa die positive Bezugnahme des Boulevards auf die
„natürliche Weiblichkeit“ der deutschen Bundeskanzlerin letztlich als Verfestigung
traditioneller Geschlechterstereotype und zeigte, „dass weibliche Geschlechter-
klischees ereignisbezogen aktiviert werden“ (Grittmann 2012, S. 146). Lünenborg
et al. (2009, S. 97–98) sprechen von einer zum großen Teil „hochgradig sexualisier-
ten Repräsentation“ und visuellem „Doing Gender“. Dieses, so die Autor*innen,
fand vor allem auch in den Agenturen und Redaktionen statt, da Bildauswahl,
Bildbearbeitung und Betextung als performative Akte die Sexualisierung erst her-
vorbrachten, „die die Bilder angeblich bezeugen“ (Lünenborg et al. 2009, S. 84). So
war von den „Waffen einer Frau“ die Rede, aber auch von Merkel als „Königinmut-
ter“ und „Alma Mater, (. . .) die die ganze Nation an ihre Brust drücken will“
(Lünenborg et al. 2009, S. 86, 90; vgl. auch Berg 2013). Als „Mutter der Nation“
wurde Merkel bereits zu Beginn ihrer Kanzlerinnenschaft bezeichnet, ebenso als
„Angela, der Gipfel-Engel“ in Bezug auf ihre bedeutende Rolle in der Aushandlung
des EU-Reformvertrags. Ähnliche Bezeichnungen wären für Politiker kaum vorstell-
bar (Liebhart 2008, S. 111, 115) (Abb. 1).
Rollenrepertoires stehen Frauen und Männern in unterschiedlicher Weise zur
Verfügung (van Zoonen 2005, S. 75). Auch in der visuellen Berichterstattung über
Angela Merkel schreiben sich Darstellungen der Kanzlerin in eine „herrschende
Bildordnung“ ein (Grittmann 2012, S. 127, 131). Der Weiblichkeitsdiskurs der
Boulevardmedien erweiterte im gegenständlichen Fall zugleich aber auch das Rol-
lenrepertoire der Politikerin, indem er Weiblichkeit und Macht, die sich „im tradi-
tionellen Verständnis diametral gegenüber“ stehen, als vereinbar präsentierte (Lü-
nenborg et al. 2009, S. 73, 98).
Konstanz und Veränderungen zeigte eine vergleichende Studie zur Repräsentati-
on von Spitzenkräften in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in deutschen Print-
medien. Während Abbildungen von Spitzenpolitiker*innen in Arbeitskontexten und
gesellschaftlichen Zusammenhängen vorrangig entsprechend der jeweiligen Funk-
tionen differierten, wiesen insbesondere jene Bilder, die Protagonist*innen außer-
halb des Arbeitskontextes zeigen, deutliche Geschlechterdifferenzen auf. Vor allem
Porträts und Körperkonstruktionen sind eng mit Geschlechtszuweisungen verknüpft
Visuelle Kommunikation und Gender-Konstruktionen 873

Abb. 1 „Die Muttisierung der mächtigsten Frau der Welt“. (Quelle: https://www.spiegel.de/kultur/
gesellschaft/sibylle-berg-ueber-angela-merkel-als-mutti-a-925827.html. (5. Oktober 2019) Zuge-
griffen: 16. Juli 2021)

(Grittmann 2012, S. 134, 144, 166; Grittmann et al. 2018). Insgesamt wird über das
Aussehen weiblicher Politiker*innen häufiger berichtet (Lünenborg et al. 2009,
S. 73; Norris 1997). Geschlechtsspezifische Attribuierungen in Bildbeschriftungen
tragen zusätzlich zur Vergeschlechtlichung von Personen und Handlungen bei, wie
dies beispielsweise in der Bezeichnung „Powerfrau“, „starke Frau“ oder aber auch in
Verniedlichungen über Spitznamen (wie etwa „Angie“ für Angela Merkel) zum
Ausdruck kommt (Grittmann 2012, S. 135, 151).
Entsprechend der von Ramona Weise (2018, S. 118) in Anlehnung an Elke
Grittmann entwickelten Typologie stereotyper medialer Einordnung von Politike-
rinnen in Deutschland3 in die Volksnahe, die Mütterliche, die Moderne, die Par-

3
Für die Anwendung dieses Schemas in einem österreichischen Zusammenhang vgl. Bernhardt und
Liebhart 2020, S. 52–54.
874 K. Liebhart

teifrau und die Starke, würde die politische Aktivistin Greta Thunberg dem Typ der
„Starken“ entsprechen, dem Führungskompetenz und Handlungsmacht zugeschrie-
ben wird (Weise 2018, S. 128). Ikonografisch wird für die Konstruktion dieses Typs
häufig auf die Tradition von Herrscherinnenporträts zurückgegriffen, und es werden
selbstbewusste Körperhaltungen und Machtposen forciert (Bernhardt und Liebhart
2020, S. 52; vgl. auch Liebhart 2013). Auf diese Weise werden Weiblichkeit und
Macht verschränkt (Weise 2018, S. 134).
Claudia Christiane Gatzka (2019) vertritt die These, dass aktuelle Bewegungen
wie Fridays for Future als „globale politische Bewegung des Neuen Jahrhunderts
(. . .) ein weibliches Gesicht (haben)“. Gatzka schreibt insbesondere den global
zirkulierenden Bildern von Greta Thunberg „ikonische Qualität“ zu, da diese den
bislang maskulin konnotierten Bildern politischen Protests, die vor allem mit Kampf,
Aggression und der „Performanz von Männlichkeit“ in Verbindung gebracht wur-
den, etwas Neues entgegensetzen. Als das junge, weibliche Gesicht des politischen
Protests gegen den Klimawandel und gegen damit in Zusammenhang stehende
politische und soziale Ungerechtigkeiten wird aber nicht nur Greta Thunberg wahr-
genommen. So präsentiert exemplarisch Emily Chan (2019) in der Vogue junge
Klima-Aktivistinnen aus verschiedenen Weltregionen als aktive, politisch handelnde
role models.
Ein Cover des Time Magazine vom 27. Mai 2022 präsentiert Greta Thunberg als
weibliche Führungsfigur4 (Abb. 2). Dies wird nicht nur durch die Komposition der
Aufnahme deutlich, sondern auch durch das Schriftelement „Next Generation Lea-
ders“, für die die abgebildete Klima-Aktivistin symbolisch steht. Mehrere Bildele-
mente (vor allem der monumentale Raum, die als „gravitätisch, gar majestätisch“
bezeichnete Pose der Porträtierten, das Kleid, die Kopfhaltung und der Blick)
erinnern an Darstellungen Queen Elizabeths II in jungen Jahren. Die Autorin sieht
diese und ähnliche Darstellung(en) Thunbergs auch als Bilder „politischer Weiblich-
keit“, ikonografische Hinweise darauf findet sie in Thunbergs fragil anmutender
Erscheinung und ihrem Markenzeichen, den geflochtenen langen Haaren. (Gatzka
2019) Die Fotografin des Bildes, Hellen von Meene, verweist zusätzlich auf die
beabsichtigte Zeitlosigkeit des Fotos, das an ein Gemälde erinnert (Haynes 2019).
Greta Thunberg postete das Foto am 16. Mai 2019 auf ihrem Twitter Account
@GreatThunberg und fügte der Feststellung „I’m on the cover of @TIME Magazi-
ne. #FridaysForFuture ’SchoolStrike4Climate #ClimateStrike“ den Satz hinzu:
„Now I Am Speaking to the Whole World“. Dies zeigt, dass die zu jenem Zeitpunkt
16-jährige Klima-Aktivistin crossmediale Synergieeffekte für ihre Selbstdarstellung
souverän nutzt und sich der zunehmenden Konvergenz von Offline- und Online-
Medien sowie der Bedeutung von Bildern für Selbstinszenierung und Image-

4
Porträts von Greta Thunberg erschienen u. a. auch am Cover der Zeitschrift GQ (August 2019), am
Cover des Rolling Stone Magazines’ Special Climate Crisis Issue (April 2020) und am Cover des
Magazins Weired (Juli–August 2019) und noch ein zweites Mal am Cover des Time Magazine
(Dezember 2019), anlässlich ihrer Würdigung als „Person of the Year“. All diese Fotos haben
unterschiedlichen Charakter und zeigen Greta Thunberg in verschiedenen Posen (von nachdenklich
bis fordernd und kämpferisch) und in verschiedenen Kontexten.
Visuelle Kommunikation und Gender-Konstruktionen 875

Abb. 2 Greta Thunberg. Cover des Time Magazine 27.05.2019. (Quelle: https://time.com/
magazine/us/5590214/may-27th-2019-vol-1-no-1-asia-europe-middle-east-and-africa-south-paci
fic-u-s/. Zugegriffen: 6. Februar 2021)

Management bewusst ist. Mittels gezielter Auswahl und Betextung von Bildmaterial
und dessen Verbreitung über Social-Media-Kanäle kuratieren nicht nur Politiker*in-
nen und ihre PR-Teams „eine öffentliche Persona im Sinne strategischer visueller
876 K. Liebhart

Selbstinszenierung“ (Bernhardt und Liebhart 2020, S. 135). Soziale Netzwerke


haben diese Möglichkeiten visueller Selbstinszenierung in den letzten Jahren we-
sentlich erweitert (Kohout 2020). Tanja Carstensen (2019, S. 9) hat allerdings darauf
hingewiesen, dass sich diese Inszenierungen immer im Spannungsfeld zwischen
„neoliberaler Selbstvermarktung und Empowerment“ bewegen.
Auch Anna Schober (2016, S. 43–46) betont, dass selbst jene Geschlechter-
inszenierungen, die „bisherige Normen in Bezug auf Körperlichkeit und ästhetisches
Erscheinen“ in Frage stellen, nicht unproblematisch sind, da sie Autonomie, Souve-
ränität und Kontrolle in der Gestaltbarkeit des Selbst suggerieren. Schober diskutiert
dies einerseits am Beispiel des Aktionismus der ägyptischen Internet-Aktivistin
Aliaa Elmahdy und der ukrainischen Gruppe FEMEN, die Nacktheit als Mittel des
feministischen Protests gegen patriarchale Normen und Restriktionen einsetzen, und
andererseits der konservativen bis rechtsextrem-affinen französischen Gruppe „Les
Antigones“, die für strikte Heteronormativität, eine Rückbesinnung auf eine angeb-
lich natürliche Bestimmung von Frauen und traditionelle Vorstellungen von Weib-
lichkeit eintreten.

4 Fazit

Visualisierungen wie jene der Spitzenpolitikerin Angela Merkel oder der Klima-
Aktivistin Greta Thunberg „sind das Ergebnis kulturell geprägter Darstellungs- und
Rezeptionsweisen“, keinesfalls stehen sie „in einem schlichten Abbildungsverhält-
nis zur Wirklichkeit“ (Bernhardt et al. 2019, S. 46). Sie sind auch nicht als Illus-
trationen, die verbale Argumente veranschaulichen, zu verstehen. Als eigenständige
Kommunikationsmedien können sie „aufgrund ihrer assoziativen Logik Inhalte
vermitteln, die verbal nicht so gut kommunizierbar sind“ (Bernhardt und Liebhart
2020, S. 135). Eine besonders wichtige Funktion von politischen Bildern ist das
implizite Argument (Schill 2012, S. 122). Obwohl Bilder im Gegensatz zur Sprache
nicht über eine Syntax verfügen, können sie durch das Prinzip der Assoziation
kausale Zusammenhänge, Analogien oder Verallgemeinerungen nahelegen. Dabei
aktivieren sie kulturelles und historisches Wissen. Dies gilt selbstverständlich auch
für gesellschaftliches Wissen über Geschlechterordnungen. Johanna Schaffer hat die
Frage gestellt, welche Gesellschaften wie durch welche Prozesse der Bedeutungs-
gebung re/produziert werden, welche Relationen dabei zwischen sozialen Gruppen
konstruiert werden und wie sich diese Verhältnisse anders produzieren ließen. Diese
Frage lenkt die Aufmerksamkeit auf Möglichkeiten einer Erzeugung anderer Re-
präsentationen anderer Verhältnisse (Schaffer 2008, S. 17) und auf dafür nötige
Änderungen der Rahmenbedingungen.
Aus einer Gender-Studies-Perspektive ist von Interesse, wie strategisches Bild-
handeln tradierte Geschlechterordnungen und Rollenzuschreibungen deskonstruie-
ren und den gewohnten, dichotomen, stereotypisierten Bildern von Weiblichkeit und
Männlichkeit andere Bilder entgegensetzen kann, denn Argumente können Bilder
meist nicht entkräften (Müller 2003, S. 91; Bernhardt und Liebhart 2020, S. 25).
Merkels Auftritt in Oslo hat zwar Aufsehen erregt und Debatten über das Verhältnis
Visuelle Kommunikation und Gender-Konstruktionen 877

von Geschlecht und Macht inszeniert, im herrschenden Diskurs wurden die in


diesem Zusammenhang entstandenen und zirkulierten Bilder aber dennoch weithin
„als beruhigende Stabilisierung des Systems der Zweigeschlechtlichkeit“ wahr-
genommen (Lünenborg 2009, S. 87). Konstruktive Ansätze zur Präsentation und
Kommunikation nicht hetero-normativ konstruierter Geschlechterbilder finden sich
in den Queer (Media) Studies, die auf die Auflösung hierarchischer Gegenüberstel-
lungen zielen (Köppert 2019; Engel 2002, 2009).

Literatur
Åhäll, Linda. 2018. Gender. In Visual global politics, Hrsg. Roland Bleiker, 150–156.
London/New York: Routledge/Taylor & Francis Group.
Autenrieth, Ulla Patricia. 2019. Bilder in medial vermittelter Alltagskommunikation. In Handbuch
Visuelle Kommunikationsforschung, Hrsg. Katharina Lobinger, 249–268. Wiesbaden: Springer
VS.
Bachmann-Medick, Doris, Hrsg. 2009. Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissen-
schaften. Hamburg: Rowohlt.
Belting, Hans. 2001. Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft. München: Fink.
Berg, Sybille. 2013. S.P.O.N. Fragen Sie Frau Sibylle. Die Muttisierung der mächtigsten Frau der
Welt. In Der Spiegel Online. 5. Oktober 2019. https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/
sibylle-berg-ueber-angela-merkel-als-mutti-a-925827.html. Zugegriffen am 16.07.2021.
Bernhardt, Petra, und Karin Liebhart. 2020. Wie Bilder Wahlkampf machen. Wien: Mandelbaum.
Bernhardt, Petra, Karin Liebhart, und Andreas Pribersky. 2019. Visuelle Politik: Perspektiven eines
politikwissenschaftlichen Forschungsbereichs. Österreichische Zeitschrift für Politikwissen-
schaft 48(2): 43–55.
Bleiker, Roland, Hrsg. 2018. Visual global politics. London/New York: Routledge/Taylor & Francis
Group.
Boehm, Gottfried, Hrsg. 1994. Was ist ein Bild? München: Fink.
Boehm, Gottfried. 2007. Wie Bilder Sinn erzeugen: Die Macht des Zeigens. Berlin: Berlin Univer-
sity Press.
Bohnsack, Ralf. 2009. Qualitative Bild- und Videointerpretation. Die dokumentarische Methode.
Opladen/Farmington Hills: Barbara Budrich Verlag.
Brantner, Cornelia, Gerit Götzenbrucker, Katharina Lobinger, und Maria Schreiber. 2020. Vernetzte
Bilder in Sozialen Medien als Forschungsthema der Visuellen Kommunikationsforschung. In
Vernetzte Bilder. Visuelle Kommunikation in Sozialen Medien, Hrsg. Cornelia Brantner, Gerit
Götzenbrucker, Katharina Lobinger, und Maria Schreiber, 9–24. Köln: Herbert von Halem
Verlag.
Breckner, Roswitha. 2010. Sozialtheorie des Bildes. Zur interpretativen Analyse von Bildern und
Fotografien. Bielefeld: transcript.
Breckner, Roswitha. 2012. Bildwahrnehmung – Bildinterpretation. Segmentanalyse als metho-
discher Zugang zur Erschließung bildlichen Sinns. Österreichische Zeitschrift für Soziologie
37:143–164.
Bredekamp, Horst. 2011. Bildwissenschaft. In Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Be-
griff, Hrsg. Ulrich Pfisterer, 72–75. Stuttgart: Metzler.
Bucher, Hans-Jürgen. 2019. Multimodalität als Herausforderung für die Visuelle Kommunikations-
forschung. In Handbuch Visuelle Kommunikationsforschung, Hrsg. Katharina Lobinger,
651–677. Wiesbaden: Springer VS.
Carstensen, Tanja. 2019. Social Media: Zwischen Selbstpräsentation und Unsichtbarkeit, Empo-
werment und Sexismus. In Handbuch Medien und Geschlecht: Perspektiven und Befunde der
feministischen Kommunikations- und Medienforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger,
878 K. Liebhart

Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-


658-20712-0_10-1.
Chadwick, Andrew. 2013. The hybrid media system: Politics and power. Oxford: Oxford Univer-
sity Press.
Chan, Emily. 2019. Greta Thunberg und 7 weitere junge Aktivistinnen, die uns zeigen, was wir jetzt
gegen die Klimakrise tun müssen. https://www.vogue.de/lifestyle/artikel/greta-thunberg-und-
weitere-junge-aktivistinnen-gegen-die-klimakrise. 24. Juli. Zugegriffen am 22.01.2021.
Chen, Beverly (Shih-Yun), Alison McIntosh, Candice Harris, und Warren Goodsir. 2020. Media
images and the gendered representation of chefs. Research in Hospitality Management 10(1):
1–6. https://doi.org/10.1080/22243534.2020.1790202.
Diers, Michael. 1997. Schlagbilder. Zur politischen Ikonographie der Gegenwart. Frankfurt a. M.:
Fischer Taschenbuchverlag.
Drechsel, Benjamin. 2009. Trügerischer Augenschein? Hinweise zur Verflechtung von politischer
Kultur und visueller Politik. In Politische Kultur. Forschungsstand und Forschungsperspekti-
ven, Hrsg. Samuel Salzborn, 147–174. Frankfurt a. M.: Peter Lang.
Engel, Antke. 2002. Wider die Eindeutigkeit: Sexualität und Geschlecht im Fokus queerer Politik
der Repräsentation (Politik der Geschlechterverhältnisse, 20). Frankfurt a. M.: Campus.
Engel, Antke. 2009. Bilder von Sexualität und Ökonomie: Queere kulturelle Politiken im Neo-
liberalismus (Studien zur visuellen Kultur). Bielefeld: transcript.
Evans, Jessica, und Stuart Hall. 1999. Visual culture: The reader. Thousand Oaks/London/New
Delhi/Singapore: SAGE in association with the Open University.
Fairclough, Norman. 2010. Critical discourse analysis: The critical study of language. Essex:
Routledge.
Frank, Gustav, und Barbara Lange. 2010. Einführung in die Bildwissenschaft. Bilder in der
visuellen Kultur. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgemeinschaft.
Friedrich, Sebastian, und Margarete Jäger. 2011. Die Kritische Diskursanalyse und die Bilder.
Methodologische und methodische Überlegungen zu einer Erweiterung der Werkzeugkiste.
DISS-Journal 21. http://www.diss-duisburg.de/2011/09/die-kritische-diskursanalyse-und-die-
bilder/print/. Zugegriffen am 06.02.2021.
Gatzka, Claudia Christiane. 2019. Marchin‘ Maiden – Zur politischen Ikonographie des weiblichen
Aktivismus in der Demokratie. https://moralicons.hypotheses.org/1002. 30. Oktober. Zugegrif-
fen am 06.02.2021.
Geise, Stephanie, und Katharina Lobinger. 2016. Nicht standardisierte Methoden Visueller Kom-
munikationsforschung. In Handbuch nicht standardisierte Methoden in der Kommunikations-
wissenschaft, Hrsg. Stefanie Averbeck-Lietz und Michael Meyen, 499–512. Wiesbaden: Sprin-
ger Fachmedien.
Geise, Stephanie, Katharina Lobinger, und Cornelia Brantner. 2013. Fractured Paradigm? Theorien,
Konzepte und Methoden der visuellen Framingforschung: Ergebnisse einer systematischen
Literaturschau. In Visual Framing: Perspektiven und Herausforderungen der Visuellen Kom-
munikationsforschung, Hrsg. Stephanie Geise und Katharina Lobinger, 42–75. Köln: Herbert
von Halem Verlag.
Grittmann, Elke. 2007. Das politische Bild: Fotojournalismus und Pressefotografie in Theorie und
Empirie. Köln: Herbert von Halem Verlag.
Grittmann, Elke. 2009. Das Bild von Politik: Vom Verschwinden des entscheidenden Moments. Aus
Politik und Zeitgeschichte 31:33–38.
Grittmann, Elke. 2012. Der Blick auf die Macht. Geschlechterkonstruktionen von Spitzenpersonal
in der Bildberichterstattung. In Ungleich mächtig. Das Gendering von Führungspersonen aus
Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in der Medienkommunikation, Hrsg. Margreth Lünenborg
und Jutta Röser, 127–172. Bielefeld: transcript.
Grittmann, Elke. 2018. Grounded Theory und qualitative Bildanalyse. Die Analyse visueller
Geschlechterkonstruktionen in den Medien. In Praxis Grounded Theory, Hrsg. Christian Pent-
zold, Andreas Bischof, und Nele Heise, 191–210. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Visuelle Kommunikation und Gender-Konstruktionen 879

Grittmann, Elke, und Ilona Ammann. 2011. Quantitative Bildtypenanalyse. In Die Entschlüsselung
der Bilder: Methoden zur Erforschung visueller Kommunikation, Hrsg. Thomas Petersen und
Clemens Schwender, 163–178. Köln: Herbert von Halem Verlag.
Grittmann, Elke, Katharina Lobinger, Irene Neverla, und Monika Pater, Hrsg. 2018. Körperbilder –
Körperpraktiken. Visualisierung und Vergeschlechtlichung von Körpern in Medienkulturen.
Köln: Herbert von Halem Verlag.
Haynes, Suyin. 2019. The story behind TIME’s Greta Thunberg cover. https://time.com/collection-
post/5588274/greta-thunberg-time-cover-portrait/. 16. Mai. Zugegriffen am 06.02.2021.
Holtz-Bacha, Christine. 2019. Werbung und Gender-Marketing. In Handbuch Medien und Ge-
schlecht: Perspektiven und Befunde der feministischen Kommunikations- und Medienfor-
schung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesba-
den: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_10-1.
Jäger, Margarete, Max Kroppenberg, Benno Nothardt, und Regina Wamper. 2019. #120Dezibel:
Frauenrechte oder Antifeminismus? Populistische Diskursstrategien der extremen Rechten und
Anschlussstellen im politischen Mainstream. In FGW Impuls: Rechtspopulismus, soziale Frage
& Demokratie 02, Hrsg. Lynn Berg und Andreas Zick. Düsseldorf: Forschungsinstitut für
gesellschaftliche Weiterentwicklung.
Knieper, Thomas, und Marion G. Müller, Hrsg. 2001. Kommunikation visuell. Das Bild als
Forschungsgegenstand – Grundlagen und Perspektiven. Köln: Herbert von Halem Verlag.
Knieper, Thomas, und Marion G. Müller. 2019. Zur Bedeutung von Bildkontexten und Produkti-
onsprozessen für die Analyse visueller Kommunikation. In Handbuch Visuelle Kommunikati-
onsforschung, Hrsg. Katharina Lobinger, 515–526. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Kohout, Annekathrin. 2020. Netzfeminismus. Strategien weiblicher Bildpolitik. Digitale Bildkul-
turen. Berlin: Verlag Klaus Wagenbach.
Köppert, Katrin. 2019. Queer Media Studies – Queering Medienwissenschaften. In Handbuch
Medien und Geschlecht: Perspektiven und Befunde der feministischen Kommunikations- und
Medienforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković.
Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_10-1.
Kress, Gunther, und Theo Van Leeuwen. 2001. Multimodal discourse: The modes and media of
contemporary communication. London: Oxford University Press.
Kress, Gunther, und Theo Van Leeuwen. 2006. Reading images – The grammar of visual design.
London: Routledge.
Liebhart, Karin. 2008. Das Private ist politisch werbewirksam. Zur Imagekonstruktion österrei-
chischer und deutscher Spitzenpolitiker/innen. In Politik und Persönlichkeit, Hrsg. Johannes
Pollack, Fritz Sager, Ulrich Sarcinelli, und Astrid Zimmer, 101–120. Innsbruck/Wien:
Studienverlag.
Liebhart, Karin. 2013. Icon of the Orange Revolution, Evita of Kyiv, Ukrainian Barbie doll, Jeanne
d’Arc, innocent victim? The multifaceted visual representations of Yulia Tymoshenko. Politics
in Central Europe 9(1): 27–46.
Liebhart, Karin. 2021. „Radikal Feminin“. Eine multimodale Analyse des YouTube Videos „Frauen
gegen Genderwahn“. In Sozialwissenschaftliche Analysen von Bild- und Medienwelten, Hrsg.
Roswitha Breckner, Karin Liebhart, und Maria Pohn-Lauggas, 197–225. Berlin: De Gruyter.
Liebhart, Karin, und Petra Bernhardt. 2021. Visuelle Methoden: Bildtypenanalyse und Visuelle
Kontextanalyse. In Qualitative und Interpretative Methoden in der Politikwissenschaft, Hrsg.
Barbara Prainsack und Mirjam Pot, 175–191. Wien: WUV.
Lobinger, Katharina. 2015. Visualität. In Handbuch Cultural Studies und Medienanalyse, Hrsg.
Andreas Hepp, Friedrich Krotz, Swantje Lingenberg, und Jeffrey Wimmer, 91–100. Wiesbaden:
Springer VS.
Lobinger, Katharina, Hrsg. 2019. Handbuch Visuelle Kommunikationsforschung. Wiesbaden:
Springer VS.
Lobinger, Katharina, und Jeanne Mengis. 2019. Visuelle Methoden. In Handbuch Visuelle Kom-
munikationsforschung, Hrsg. Katharina Lobinger, 597–620. Wiesbaden: Springer VS.
880 K. Liebhart

Lobinger, Katharina, und Rebecca Venema. 2019. Visuelle Kommunikationsforschung – ein inter-
disziplinäres Forschungsfeld. Einleitung in das Handbuch Visuelle Kommunikationsforschung.
In Handbuch Visuelle Kommunikationsforschung, Hrsg. Katharina Lobinger, 1–19. Wiesbaden:
Springer VS.
Lünenborg, Margreth. 2009. Medienbilder hinken der gesellschaftlichen Wirklichkeit hinterher.
FrauenRat, Themenheft. Vielfältig gebrochen. Frauenbilder in den Medien 6(09): 6–8.
Lünenborg, Margreth, Jutta Röser, Tanja Maier, Kathrin Müller, und Elke Grittmann. 2009. Merkels
Dekolleté als Mediendiskurs. Eine Bild-, Text-, und Rezeptionsanalyse zur Vergeschlecht-
lichung einer Kanzlerin. In Politik auf dem Boulevard? Die Neuordnung der Geschlechter in
der Politik der Mediengesellschaft, Hrsg. Margreth Lünenborg, 73–102. Bielefeld: transcript.
Maar, Christa, und Hubert Burda, Hrsg. 2004. Iconic Turn. Die neue Macht der Bilder. Köln:
Dumont.
Maasen, Sabine, Torsten Mayerhauser, und Cornelia Renggli, Hrsg. 2006. Bilder als Diskurse –
Bilddiskurse. Göttingen-Weilerswist: Velbrück Wissenschaft.
Maier, Tanja, und Martina Thiele. 2019. Theoretische Perspektiven auf mediale Geschlechterbilder.
In Handbuch Visuelle Kommunikationsforschung, Hrsg. Katharina Lobinger, 403–419. Wies-
baden: Springer VS.
Meier, Stefan. 2009. Bild und Frame. Eine diskursanalytische Perspektive auf visuelle Kommuni-
kation und deren methodische Operationalisierung. http://www.medkom.tu-chemnitz.de/mk/
meier/de%20Stefan%20Meier%20frame%20und%20bild.pdf. Zugegriffen am 22.10.2015.
Meier, Stefan. 2011. Multimodalität im Diskurs: Konzept und Methode einer multimodalen Dis-
kursanalyse. In Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse: Theorien und Methoden,
Hrsg. Reiner Keller, Andreas Hirseland, und Werner Schneider, Bd. 1, 499–532. Wiesbaden:
Springer VS.
Mirzoeff, Nicholas, Hrsg. 2013. The visual culture reader. London/New York: Routledge/Taylor &
Francis Group.
Mirzoeff, Nicholas, und Tom Holert. 2000. Wenn das Bild global wird. Ein E-Mail-Interview mit
Nicholas Mirzoeff von Tom Holert. In Jahresring #47. Imagineering. Visuelle Kultur und
Politik der Sichtbarkeit, Hrsg. Tom Holert, 34–38. Köln: Herbert von Halem Verlag.
Mitchell, William J. T. 1990. Was ist ein Bild? In Bildlichkeit. In Internationale Beiträge zur Poetik,
Hrsg. Volker Bohn, 17–68. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Mitchell, William J. T. 1992. The pictorial turn. Art Forum International 30(3): 89–95.
Mitchell, William J. T. 1994. Picture theory. Essays on verbal and visual representation. Chicago:
University of Chicago Press.
Müller, Marion G. 2003. Grundlagen der visuellen Kommunikation: Theorieansätze und Ana-
lysemethoden. Konstanz: UTB-UVK.
Müller, Marion G. 2007. What is visual communication? Past and future of an emerging field of
communication research. Studies in Communication Sciences 7(2): 7–34.
Müller, Marion G. 2011a. Iconography and iconology as a visual method and approach. In The
SAGE handbook of visual research methods, Hrsg. Eric Margolies und Luc Pauwels, 283–297.
Thousand Oaks/London/New Delhi/Singapore: SAGE.
Müller, Marion G. 2011b. Ikonografie und Ikonologie, visuelle Kontextanalyse, visuelles Framing.
In Die Entschlüsselung der Bilder: Methoden zur Erforschung visueller Kommunikation: Ein
Handbuch, Hrsg. Thomas Petersen und Clemens Schwender, 28–55. Köln: Herbert von Halem
Verlag.
Müller, Marion G., und Stephanie Geise. 2015. Grundlagen der Visuellen Kommunikation. Kon-
stanz/München: UVK.
Norris, Pippa. 1997. Women leaders worldwide: a splash of color in the photo op. In Women, Media,
and Politics, Hrsg. Pippa Norris, 146–165. New York: Oxford University Press.
O’Halloran, Kay. 2004. Multimodal discourse analysis: Systemic functional perspectives. Applied
Linguistics 27(2): 335–337.
Panofsky, Erwin, Hrsg. 1982. Meaning in the visual arts. Chicago: University of Chicago Press.
Visuelle Kommunikation und Gender-Konstruktionen 881

Pechriggl, Alice, Anna Schober, Tobias Lander, Beate Hofstadler, und Marc Ries, Hrsg. 2013.
Hegemonie und die Kraft der Bilder. Klagenfurter Beiträge zur visuellen Kultur, Bd. 3. Köln:
Herbert von Halem Verlag.
Rimmele, Marius, Klaus Sachs-Hombach, und Bernd Stiegler, Hrsg. 2014. Bildwissenschaft und
Visual Culture. Bielefeld: transcript.
Rose, Gillian. 2016. Visual methodologies. An introduction to researching with visual methods.
Thousand Oaks/London/New Delhi/Singapore: SAGE.
Sachs-Hombach, Klaus, Hrsg. 2005. Bildwissenschaft: Disziplinen, Themen, Methoden. Frankfurt
a. M.: Suhrkamp.
Sachs-Hombach, Klaus. 2013. Das Bild als kommunikatives Medium. Elemente einer allgemeinen
Bildwissenschaft. Köln: Herbert von Halem Verlag.
Schade, Sigrid, und Silke Wenk. 2011. Studien zur visuellen Kultur: Einführung in ein trans-
disziplinäres Forschungsfeld. Berlin: transcript.
Schaffer, Johanna. 2008. Ambivalenzen der Sichtbarkeit. Über die visuellen Strukturen der Aner-
kennung. Bielefeld: transcript.
Schaffer, Johanna. 2019. Sichtbarkeit. Epistemologiie und Politik eines Schlüsselbegriffs analoger
und digitaler Medienrealitäten. In Handbuch Medien und Geschlecht: Perspektiven und Befunde
der feministischen Kommunikations- und Medienforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte
Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.
1007/978-3-658-20712-0_10-1.
Schill, Dan. 2012. The visual image and the political image: A review of visual communication
research in the field of political communication. Review of Communication 12(2): 118–142.
Schober, Anna. 2016. Jenseits von progressiv versus konservativ. Nicht-konformistische Ge-
schlechter-Inszenierungen und der neoliberale Zeitgeist. Indes 2016(3): 43–54.
Schulz, Martin. 2009. Ordnungen der Bilder. Eine Einführung in die Bildwissenschaft.
München: Fink.
Schulze, Kai. 2019. Wie und warum sollte ich Bilder und Videos twittern? https://www.der-
paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Schwerpunkte/Digitalisierung/doc/Handreichung_Twit
ter.pdf. Zugegriffen am 16.02.2021.
Schwender, Clemens. 2011. Bewegtbildanalyse. In Die Entschlüsselung der Bilder: Methoden zur
Erforschung visueller Kommunikation: Ein Handbuch, Hrsg. Thomas Petersen und Clemens
Schwender, 87–101. Köln: Herbert von Halem Verlag.
Thiele, Martina. 2019. Geschlechterstereotype und Geschlechterrollen. In Handbuch Medien und
Geschlecht: Perspektiven und Befunde der feministischen Kommunikations- und Medienfor-
schung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesba-
den: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_10-1.
Van Dijk, Teun A., Hrsg. 2000. Discourse studies: A multidisciplinary introduction. Thousand
Oaks/London/New Delhi/Singapore: SAGE.
Van Leeuwen, Theo. 2015. Critical discourse analysis. In The international encyclopedia of
language and social interaction, Hrsg. Karen Tracy, 1–7. https://onlinelibrary-wiley.com/doi/
10.1002/9781118611463.wbielsi174. Zugegriffen am 22.11.2020.
Van Leeuwen, Theo, und Carey Jewitt, Hrsg. 2000. The handbook of visual analysis. Thousand
Oaks/London/New Delhi/Singapore: SAGE.
Von Sikorski, Christian, und Cornelia Brantner. 2019. Das Bild in der politischen Kommunikation.
In Handbuch Visuelle Kommunikationsforschung, Hrsg. Katharina Lobinger, 181–204. Wies-
baden: Springer VS.
Van Zoonen, Liesbet. 2005. Entertaining the citizen. When politics and popular culture converge.
Lanham: Rowman & Littlefield Publishers.
Warnke, Martin, und Claudia Brink, Hrsg. 2000. Warburg Studienausgabe, Band II, 1. Der Bilder-
atlas MNEMOSYNE. Berlin: De Gruyter.
Warnke, Martin, Uwe Fleckner, und Hendrik Ziegler, Hrsg. 2011. Handbuch der politischen
Ikonographie. München: C.H.Beck.
882 K. Liebhart

Weise, Ramona. 2018. Modern, mutig, muttihaft: Eine qualitative Bildtypenanalyse junger Politi-
kerinnen. In Politischer Journalismus im Fokus der Journalistik, Hrsg. Margreth Lünenborg
und Saskia Sell, 113–138. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Weish, Ulrike. 2019. Feministische Werbekritik zwischen Selbstregulierung und Aktivismus. In
Handbuch Medien und Geschlecht: Perspektiven und Befunde der feministischen Kommunika-
tions- und Medienforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija
Ratković. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_10-1.
Wodak, Ruth, und Michael Krzyzanowski. 2008. Qualitative discourse analysis in the social
sciences. Houndmills/Basingstoke Hampshire: Palgrave Macmillan.
Wodak, Ruth, und Michael Meyer. 2009. Methods of critical discourse analysis: Introducing
qualitative methods series. Thousand Oaks/London/New Delhi/Singapore: SAGE.
Medienpädagogik und Gender,
Medien- und Genderkompetenz

Caroline Roth-Ebner

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 884
2 Medienpädagogik und Gender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 885
3 Medien- und Genderkompetenz als miteinander verwobene Schlüsselkompetenzen . . . . . 891
4 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 893
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 894

Zusammenfassung
In diesem Beitrag wird der Diskussionsstand von Arbeiten zum Zusammenhang
zwischen Medienpädagogik und Gender sowie zwischen Medien- und Gender-
kompetenz erörtert. Dabei wird einerseits auf Gender als inhaltlicher Fokus in
medienpädagogischer Praxis rekurriert und andererseits auf didaktische Über-
legungen, die Kategorie Gender in medienpädagogischer Arbeit zu berücksichti-
gen. Schließlich werden Medien- und Genderkompetenz als miteinander verwo-
bene Schlüsselkompetenzen diskutiert, die nicht nur für Jugendliche, sondern für
alle Mitglieder einer medial durchdrungenen Gesellschaft zentral sind.

Schlüsselwörter
Medienpädagogik · Medienkompetenz · Genderkompetenz ·
Geschlechtersensible Medienarbeit · Monoedukation

C. Roth-Ebner (*)
Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt,
Klagenfurt, Österreich
E-Mail: Caroline.Roth@aau.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 883
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_31
884 C. Roth-Ebner

1 Einleitung

Die wissenschaftliche Disziplin der Medienpädagogik stellt auf Fragen zum Ver-
hältnis einzelner oder von Gruppen zu Medien ab (Baacke 1997, S. 3). Nach Gerhard
Tulodziecki (1997, S. 45) bezeichnet der Begriff „Medienpädagogik“ die „Gesamt-
heit aller pädagogisch relevanten handlungsanleitenden Überlegungen mit Medien-
bezug einschließlich ihrer medientechnischen und medientheoretischen bzw. empi-
rischen und normativen Grundlagen“. Innerhalb der Medienpädagogik lassen sich
unterschiedliche Strömungen ausmachen, die bestimmte medienpädagogische
Grundhaltungen widerspiegeln: vom „Bewahren“ der Heranwachsenden vor „schäd-
lichen“ Medieneinflüssen (Bewahrpädagogik), der Bereitstellung von Verarbei-
tungshilfen (Reparierpädagogik) und der Aufklärung über die Funktionsweisen der
Medien (aufklärende Pädagogik) bis hin zur bewussten Alltagsgestaltung mit
Medien (alltagsorientierte/reflexive Zugänge) und der aktiven Beteiligung Heran-
wachsender an der Medienproduktion (handlungsorientierte/partizipatorische Zu-
gänge) (Süss et al. 2010, S. 82–104). Die Zielkategorie medienpädagogischen
Handelns stellt „Medienkompetenz“ dar – eine Kategorie, die sich auf konkretes
Medienhandeln bezieht und die Fähigkeit bezeichnet, mit Hilfe von Medien souve-
rän und aktiv an Informations- und Kommunikationsprozessen teilzunehmen (Baa-
cke 1997, S. 98). In der grundlegenden Konzeption von Dieter Baacke (1997,
S. 98–99) wird Medienkompetenz in die Teilbereiche Medienkritik, Medienkunde,
Mediennutzung und Mediengestaltung gegliedert. Der Begriff „Medienbildung“
geht darüber hinaus und betont die Bedeutung von Medien im Rahmen der allge-
meinen Persönlichkeitsbildung (Grell et al. 2011, S. 9; Moser 2006a, S. 314).
Die Zusammenhänge zwischen Medienpädagogik und Geschlecht werden in der
allgemeinen Fachdiskussion nur selten explizit thematisiert, zumindest wenn auf
Titel von Forschungsprojekten, Monografien und Sammelbänden abgestellt wird.1
Auch in dem im deutschsprachigen Raum zentralen medienpädagogischen Forde-
rungspapier, dem Medienpädagogischen Manifest (2009), ist der Thematik lediglich
ein Halbsatz gewidmet. Darin wird auf die Notwendigkeit pädagogischer Angebote
zur geschlechtersensiblen Arbeit verwiesen. „In der Medienpädagogik ist das Thema
Gender bisher noch nicht so recht durchgedrungen“, schrieb Klaus Schwarzer im
Jahr 2005 (S. 61). Renate Luca (2010, S. 357) sieht dies optimistischer; sie verortet
das Thema Gender in der medienpädagogischen Diskussion seit den 1980er-Jahren.2
Sie legt dabei jedoch ein breiteres Verständnis von Medienpädagogik zugrunde, das
auf mediensozialisatorische Aspekte abstellt, während sich Schwarzer auf die me-
dienpädagogische Praxis bezieht. Der feministische wissenschaftliche Diskurs zu
Medienpädagogik und Gender spiegelt sich in der Gründung der Fachgruppe

1
Für die Unterstützung bei der Recherche relevanter Literatur sei Eve Schiefer und Julia Steiner
Dank ausgesprochen.
2
Die unterschiedliche Einschätzung kann als Beispiel dafür gesehen werden, dass die genderbezogenen
Arbeiten in der allgemeinen medienpädagogischen Diskussion kaum wahrgenommen wurden.
Medienpädagogik und Gender, Medien- und Genderkompetenz 885

„Frauen und Medien“3 in der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunika-


tionskultur im Jahr 1995 wider. Schließlich ist die Medienpädagogik mit ihren
Gegenstandsbereichen Kommunikation, Bildung und Sozialisation dafür prädesti-
niert, sich mit Geschlecht als veränderbare Praxis und der Darstellung von Ge-
schlechtlichkeit auseinanderzusetzen (Schwarzer 2005, S. 62). Andererseits kamen
von der Geschlechterforschung wichtige Impulse für die Medienpädagogik, Medi-
ennutzung stärker subjektorientiert zu untersuchen (Luca 2010, S. 358). In den
1990er-Jahren wurden medienpädagogische Fragen häufig in differenztheoreti-
scher Hinsicht diskutiert. Vor allem wurde Augenmerk auf weibliche AkteurInnen
gelegt, die (zum damaligen Zeitpunkt) medial unterrepräsentiert waren (Beinzger
1998) und denen mangelnde Technikkompetenzen zugeschrieben wurden (Schmit-
tinger 1998, S. 220). Vor diesem Hintergrund wurden „Überlegungen zu einer
feministischen Medienpädagogik“ (Luca 1998) angestellt, die mittels handlungs-
orientierter Ansätze auf die Identitätsarbeit von Mädchen abzielt und auf deren
Stärken fokussiert. In den 2000er-Jahren hatten Ansätze „geschlechtergerechter“
Medienpädagogik Konjunktur. Diese richteten sich an Jugendliche beider
Geschlechter, meist aber an Mädchen, da ihnen ein erhöhter Förderbedarf in
Hinblick auf Computer und Internet attestiert wurde (Anfang 2005; Eble und
Schumacher 2005a; Luca und Aufenanger 2007; Treibel et al. 2006). Gleichzeitig
etablierte sich eine alltagsorientierte/reflexive medienpädagogische Praxis, ver-
bunden mit handlungsorientierten/partizipatorischen Zugängen, die nicht nur auf
Sensibilisierungsfragen, sondern (auch) auf das Herstellen eigener Medienproduk-
tionen ausgerichtet war.
Im Unterschied zur theoretischen Diskussion werden Medien und Gender vor
allem in medienpädagogischen Praxisprojekten häufig zusammen bearbeitet, wie
auch Gerda Sieben (2011, S. 97) feststellt. Sie verweist zum einen auf Projekte,
welche die mediale Konstruiertheit von Geschlecht zum Thema haben, zum anderen
auf monoedukative Angebote, in denen Themen mithilfe von Medien geschlechts-
spezifisch bearbeitet werden. Korrespondierend dazu steht im Folgenden die me-
dienpädagogische Praxis im Vordergrund.4

2 Medienpädagogik und Gender

Medien- und Genderpädagogik lassen sich gut miteinander kombinieren (Roth-


Ebner 2012, S. 65), da in beiden Fällen das Hinterfragen, Karikieren und Über-
winden von Geschlechterstereotypen angestrebt wird (Lauffer und Röllecke 2011b,
S. 11). Josef Hofman (2011, S. 78) sieht Zusammenhänge zwischen Medienpäda-

3
Seit 1999 firmiert die Fachgruppe unter dem Titel „Medien und Geschlechterverhältnisse“
(E-Mail-Auskunft GMK-Vorstand Sabine Eder vom 16.04.2018).
4
Die damit verknüpften breiteren Debatten zu geschlechtsspezifischer Mediennutzung sowie Medi-
ensozialisation und Geschlecht können aus Platzgründen nicht explizit berücksichtigt werden.
Hierzu sei insbesondere auf Luca (2003), Tillmann (2017) und Walkerdine (2007) verwiesen.
886 C. Roth-Ebner

gogik und Mädchenarbeit, indem beide auf Kritik und Emanzipation abzielen. Dass
der Autor an dieser Stelle exklusiv auf Mädchen rekurriert, resultiert aus dem
Umstand, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema Gender überwiegend als
Mädchenarbeit verstanden wird.

2.1 Gender als inhaltlicher Schwerpunkt medienpädagogischen


Handelns

Wird Geschlecht in medienpädagogischer Praxis als inhaltliche Kategorie behandelt,


so zielt dies vor allem auf Sensibilisierung für Geschlechterbilder in Medien und
deren Dekonstruktion ab. Dies korrespondiert mit dem von Angela Tillmann
beschriebenen Konzept der „geschlechterreflektierenden Medienarbeit“, der es
darum geht, „mediale Geschlechterbilder und -grenzen kritisch und kreativ
[zu] bearbeiten und lustvoll [zu] überschreiten und erweitern“ (Tillmann 2011,
S. 282). Es entspricht einem Verständnis von Geschlecht, das eine biologisch be-
gründete Konstituierung von sozialem Geschlecht ablehnt und es als Konstruktion
entlarvt (Ring 2011, S. 59; ähnlich Hoffmann 2011, S. 42). Einen besonderen
Schwerpunkt im medienpädagogischen Diskurs bildet das Verhältnis von Körper,
Geschlecht und Medien. Bereits Ende der 1990er-Jahre sensibilisiert Gitta Mühlen
Achs (1998) an zahlreichen Medienbeispielen (v. a. Printwerbung) für die Zusam-
menhänge zwischen Körpersprache, Macht und Geschlecht und gibt Anregungen,
wie durch Verhaltensänderungen tradierte Geschlechterinszenierungen und die
damit verbundenen Hierarchien dekonstruiert werden können. Ein aktuelleres Bei-
spiel ist das in eine australische Studie von Naomi Berman und Alexandra White
(2013) eingebettete Projekt „SeeMe“. Hier wurden weibliche Jugendliche für
mediale Geschlechterstereotype und Körperbilder sensibilisiert, z. B. indem ihnen
die digitale Körpermodellierung stufenweise vor Augen geführt wurde. Gut umset-
zen lässt sich Sensibilisierung mit handlungsorientierten Ansätzen, in deren Rahmen
Jugendliche eigene Medienprodukte erstellen. Beispielsweise wurde in einem me-
dienpädagogischen Projekt das Thema „Schönheit“ in getrenntgeschlechtlichen
Gruppen bearbeitet, wobei aufbauend auf der Analyse und Diskussion von medialen
Darstellungen selbstreflexive Filme, Handyclips, Fotos und Audiobeiträge entstan-
den (Ring 2011). Auch das kreative Umgestalten von Werbebildern im Sinne
medienkritischer Überlegungen, „Adbusting“ genannt, ist geeignet, um mit Jugend-
lichen einen reflektierten Umgang mit medialen Körperdarstellungen einzuüben, wie
Peter Holzwarth (2007) u. a. in seiner Arbeit mit Studierendengruppen zeigt. Heinz
Moser nimmt Darstellungen romantischer Beziehungen in den Blick und bezieht
sich auf das Potenzial widerständiger Lesarten der RezipientInnen (Hall 1999) für
Fragen der medialen Geschlechts(rollen)darstellungen. Er demonstriert dies am
Beispiel von subversiven Aneignungspraktiken zu Bravo-Fotoromanen, in deren
Rahmen die stereotypen Bildgeschichten mit einer alternativen Lesart versehen im
Internet veröffentlicht werden (Moser 2006b, S. 61–64). Die LeserInnen gehen auf
diese Weise aktiv mit Texten um und „demaskieren“ die darin enthaltenen Stereo-
type (Moser 2006b, S. 63). Caroline Roth-Ebner (2011, S. 5–6) sieht das Internet als
Medienpädagogik und Gender, Medien- und Genderkompetenz 887

Medium, das Möglichkeiten zur Dekonstruktion5 von Geschlecht anbietet. Das so


genannte „Undoing Gender“ könne etwa durch Identitätsexperimente, ironische oder
parodistische Interventionen und subversive Vernetzung stattfinden. In einem Lehr-
forschungsprojekt wurden diese Varianten von Studierenden medial umgesetzt
(Roth-Ebner 2012). Auch im Rahmen der DIY-Kultur (Do It Yourself) findet
Auseinandersetzung zu Genderthemen und Fragen des Queerings in produktiver
Medienarbeit statt. So eröffnen etwa Zine- und Comic-Workshops mit Jugendlichen
(vor allem Mädchen), wo die Heranwachsenden ihre eigenen Themen auf kreative
Art einbringen können, Raum für machtkritische Diskurse und alternative Wissens-
produktionen (Zobl und Drüeke 2016, S. 79). Neben audiovisuellen Medien eignet
sich für pädagogische Auseinandersetzungen mit Geschlechterkonstruktionen auch
das Theater. Als „Medium der ‚Verwandlung‘“ ermögliche es, so Dorit Meyer (2005,
S. 28–31), den spielerischen Wechsel von Geschlechtsidentitäten und erlaube pa-
rodistische Formen von Geschlechterdarstellungen, welche den konstruierten und
performativen Charakter von Geschlecht offenlegen.

2.2 Empowerment durch Monoedukation

Renate Luca hat Projekte zur geschlechtersensiblen Medienkompetenzförderung


analysiert und kam zu dem Ergebnis, dass in der Praxis monoedukative Ansätze
(welche sich an eine homogene Geschlechtergruppe richten) vorherrschen und diese
wiederum vorwiegend auf Mädchen bzw. junge Frauen abzielen (Luca 2011, S. 33;
siehe auch Ring 2011, S. 59).6 Die Forderung nach einer Geschlechtertrennung in
medienpädagogischen Projekten wurde in den 1980er-und 1990er-Jahren aufge-
stellt, um „den weiblichen Jugendlichen Raum für die Inszenierung ihrer Themen
und Sichtweisen zu geben und um diese ohne Konkurrenz durch männliche Tech-
nikdominanz umsetzen zu können“ (Luca 2011, S. 34). Entsprechend dem Diffe-
renzansatz war, wie eingangs angedeutet, Mädchen und jungen Frauen ein beson-
derer Förderbedarf hinsichtlich Computer- und Internettechnologien attestiert
worden (Sammet 2003, S. 63). Zu Beginn der 2000er-Jahre belegten Mediennut-
zungsstudien zwar abnehmende, aber immer noch vorhandene Differenzen in der
Aneignung dieser Technologien, wobei weibliche NutzerInnen gegenüber den
männlichen geringere Nutzungsintensitäten, aber auch einen schlechteren Zugang
zu diesen aufwiesen (Sammet 2003, S. 63). Dies hänge, so Karin Eble (2006, S. 58),
mit geschlechtsspezifischer Sozialisation und unterschiedlichen Rollenerwartungen
sowie der daraus resultierenden Selbsteinschätzung von Mädchen und Jungen
zusammen. So bescheinigt eine internationale Vergleichsstudie Jungen signifikant

5
Dies bedeutet, dass „Geschlechterklischees und -hierarchien aufgebrochen werden und um neue
Perspektiven angereichert werden“ (Roth-Ebner 2011, S. 4). Es bezieht sich jedoch mit Judith
Butler (2004) auch auf die Durchbrechung und Überschreitung des zweigeschlechtlichen Systems
(Queer-Ansatz).
6
Nicht zuletzt deshalb wird mit dem Dieter Baacke Preis Handbuch 6 (Lauffer und Röllecke 2011a)
auch ein Schwerpunkt auf Jungenmedienarbeit gelegt.
888 C. Roth-Ebner

höhere Selbsteinschätzungswerte hinsichtlich fortgeschrittener Computerkompeten-


zen als Mädchen, obwohl sich die realen Fähigkeiten nicht unterscheiden (Lorenz
et al. 2014, S. 249). Sonia Livingstone et al. (2013, S. 191) zeigen, dass in der
Mediennutzung von Mädchen und Jungen auch in der Generation der sogenannten
„Digital Natives“ immer noch geringe geschlechtliche Differenzen hinsichtlich des
Zugangs zum Internet, der Nutzungsmöglichkeiten sowie der Medienkompetenzen
existieren. Projekte und Aktionen, welche die Förderung von technischen Interessen
und Kompetenzen von Mädchen zum Ziel haben, versuchen, hier entgegenzusteuern.7
Grundlage dieser monoedukativen Projekte sind zumeist die theoretische Ausei-
nandersetzung mit der Konstruktion und Dekonstruktion von Geschlecht (Doing und
Undoing Gender) oder Zahlen zum Medienumgang von Mädchen und Jungen mit
Betonung von Gemeinsamkeiten und Differenzen. Im Sinne handlungsorientierter
Medienpädagogik sind häufig mediale Produktionen der Jugendlichen vorgesehen.
Gearbeitet wird dabei mit unterschiedlichen Medien, von Videos und Film (von
Hören 2011; Kirchhoff und Herbert 2005; Schmittinger 1998) über Fernsehen
(Hofman 2011) bis hin zu Computerspielen (von Gehlen und Tinsel 2006,
S. 303–307; Geisler und Neundorf 2011; Wiemken 2005). Raum für monoedukative
Ansätze bietet auch das Internet, wie die virtuelle Mädchengemeinschaft „LizzyNet“
beweist (Schmidt 2005). Es handelt sich dabei um eine pädagogisch betreute
Kommunikationsinfrastruktur, die virtuellen Raum für den Austausch, aber auch
für Lernerfahrungen von Mädchen ab zwölf Jahren bereitstellt. Sie entspricht dem
Desiderat nach spezifischen Plattformen für Mädchen und Frauen Anfang der
2000er-Jahre, ist aber bis dato im Netz präsent. Das Netzwerk bot seiner Zielgruppe
in dem exklusiven Rahmen neue Möglichkeiten, sich aktiv an der Gemeinschaft zu
beteiligen, sich (z. B. als Internetexpertin) zu inszenieren oder sich fortzubilden
(Tillmann 2006). LizzyNet wurde mit dem Sonderpreis „digita 2003“ ausgezeichnet
für seinen Beitrag zum Abbau von Berührungsängsten von Mädchen gegenüber
Technik und zur Stärkung von Medienkompetenz (Schmidt 2005, S. 103). Ähnliche
Ziele standen hinter dem mehrfach prämierten Projekt medi@girls (Eble und Schu-
macher 2005b), das medienpraktische Kurse aus unterschiedlichen Bereichen (von
Fotobearbeitung über Radio bis zum Internet) speziell für Mädchen anbot. Im
Vordergrund standen bei den letztgenannten Projekten weniger die Konstruiertheit
von Geschlecht und die Analyse und Kritik an medial vermittelten Geschlechterbil-
dern, sondern die gezielte Förderung von Mädchen im geschützten gleichgeschlecht-
lichen Raum.
Monoedukative Settings werden in der Literatur widersprüchlich diskutiert. Zum
einen werden sie als „Erprobungsräume“ dargestellt, in denen die Heranwachsenden
unterschiedliche Bedürfnisse und Aspekte des eigenen Selbst entdecken, ausprobie-
ren und reflektieren und sich frei von Erwartungen an ihre Geschlechtsrolle wichtige
Medienkompetenzen aneignen können (Eble 2006, S. 56; Götz 2003, S. 25; Hofman
2011, S. 83; Luca und Aufenanger 2007, S. 187; Ring 2011, S. 59; Tillmann 2011,

7
Eine Liste von Initiativen und Programmen findet sich online unter: https://www.technischebil
dung.at/paedagoginnen/maedchenfoerderung/ [23.10.2018].
Medienpädagogik und Gender, Medien- und Genderkompetenz 889

S. 284). Besonders Mädchen könnten in geschlechtshomogenen Gruppen Selbstzu-


schreibungen z. B. hinsichtlich mangelnder Technikkompetenz korrigieren (Brüg-
gen und Hartung 2006). Bestätigung findet diese Argumentation in Evaluationser-
gebnissen von monoedukativen Angeboten mit dem Ziel der Förderung von
Medienkompetenz, die lernfördernde Effekte aufgrund der geschlechtshomogenen
Gruppenzusammensetzung nachwiesen (Eble 2006, S. 60–61; Tillmann 2006; von
Gehlen und Tinsel 2006, S. 306, 310–311). Zum anderen wird aber auch die
Möglichkeit einer mit Monoedukation einhergehenden Verstärkung der Geschlech-
terstereotype in Betracht gezogen, wenn „die Ausdifferenzierungen innerhalb der
jeweiligen Genusgruppe zu wenig Berücksichtigung finden“ (Luca 2011, S. 34,
Hv. i. O.; Ring 2011, S. 63). Tatsächlich kommen Studien zu dem Ergebnis, dass
die Unterschiede in Mediennutzung(skompetenzen) zwischen den Geschlechtern
weit weniger ausgeprägt sind als jene innerhalb von Geschlechtern (etwa Wolf
2009, S. 100–101, hinsichtlich der Nutzung von E-Learning-Diensten). So sei unter
gewissen Bedingungen eine koedukative Praxis zu bevorzugen. Voraussetzung dafür
sei vor allem die Professionalität der PädagogInnen und der Fokus auf individuelle
Eigenschaften der teilnehmenden Personen jenseits von Geschlechterstereotypen
(Luca 2011, S. 34). Dem stimmt auch Sebastian Ring (2011, S. 59) zu, der die
historische Errungenschaft der Koedukation als große pädagogische Chance für die
Gleichberechtigung von Mädchen sieht.

2.3 Didaktische Prinzipien einer geschlechtergerechten bzw.


-sensiblen Medienbildung

Neben Gender als inhaltlicher Kategorie und monoedukativer Medienarbeit bildet


die Auseinandersetzung mit didaktischen Grundsätzen einen thematischen Schwer-
punkt in der Literatur am Schnittpunkt von Medienpädagogik und Geschlecht.
Praxisansätze, welche Räume für die oben dargestellten Sensibilisierungs- und
Dekonstruktionsprozesse bieten und Jugendlichen die Möglichkeiten multipler Ge-
schlechterentwürfe aufzeigen, firmieren häufig unter „Geschlechtergerechter“ bzw.
„Gendersensibler Medienbildung“ oder ähnlichen Titeln.8 Sie zielen auf Mädchen
und/oder Jungen, meist aber auf Mädchen ab (Luca 2011, S. 34). Klaus Schwarzer
(2009) beschreibt mehrere Prinzipien einer geschlechtssensiblen Medienarbeit:
Diese reichen vom Wahrnehmen der subjektiven Erfahrungen, der Anerkennung
und Förderung individueller Leistungen unabhängig vom Geschlecht über gleich-
berechtigte Zugangs- und Nutzungsmöglichkeiten von medialen Anwendungen bis
zur Verwendung geschlechtersensibler Sprache (Schwarzer 2005, S. 64–65, 2009,
S. 86–87). Mit Karin Eble, die sich ebenfalls mit den Prinzipien einer gendersensiblen

8
Hierzu sind unterschiedliche Begriffe in der Diskussion, die aber allesamt ähnlich zugeschnitten
sind. Im Sammelband von Annette Treibel et al. (2006) ist die Rede von „Gendersensibler
Medienbildung“ (Titel des Teils II) bzw. von „geschlechtergerechter Medienbildung“ (von Gehlen
und Tinsel 2006, S. 297), Klaus Schwarzer (2009) spricht von „Geschlechtssensibler“ und Karin
Eble (2006) von „Gendersensitiver Medienarbeit“.
890 C. Roth-Ebner

Mediendidaktik beschäftigt, sind noch die ausgewogene Präsentation beider


Geschlechter bei den TeilnehmerInnen im Medienprojekt, aber auch hinsichtlich
der pädagogischen Teams oder der Verzicht auf plakative Vergleiche zwischen den
Geschlechtern zugunsten einer Differenzierung innerhalb der Geschlechtergruppen
hinzuzufügen (Eble 2006, S. 63). Meyer (2005, S. 27) betont für die geschlechter-
sensible pädagogische Arbeit mit Mädchen und Jungen die Reflexivität des Tuns der
Pädagoginnen und Pädagogen, um die eigene Verflochtenheit in Geschlechts(rol-
len)-erwartungen mitzuberücksichtigen und den Heranwachsenden mit einem gen-
derneutralen Blick hinsichtlich ihrer Fähigkeiten und Potenziale zu begegnen.9
Dieser Aspekt ist im Ansatz der „geschlechterreflektierenden Medienpädagogik“
(Götz 2003) zentral. Maya Götz sieht es als Aufgabe von PädagogInnen, aber auch
von Mediengestaltenden und Verantwortlichen von Organisationen und Institutio-
nen, die Kategorie Geschlecht in eigenen Vorannahmen sowie in Medienproduktio-
nen zu reflektieren, Geschlechterstereotype offenzulegen, die geschlechtlichen Prä-
ferenzen von Mädchen und Jungen ernst zu nehmen und die Heranwachsenden
geschlechtsspezifisch zu fördern (Götz 2003, S. 21–26).

2.4 Untersuchungen zur Effektivität von genderbezogenen


medienpädagogischen Maßnahmen

Empirische Analysen medienpädagogischer Maßnahmen, die sich auf Gender als


inhaltliche Kategorie medienpädagogischen Handelns beziehen, sind im Verhältnis
zu reinen Projektbeschreibungen deutlich unterrepräsentiert. Als Beispiel dafür kann
die amerikanische Studie von Laurel Puchner et al. (2015) gelten. Deren Ziel war es,
die Effektivität des an kulturtheoretische Theorien anschließenden critical media
literacy-Ansatzes in der pädagogischen Arbeit über Genderstereotype im beruflichen
Kontext mit 12- bis 14-jährigen SchülerInnen zu untersuchen. In Workshops wurden
die SchülerInnen über genderstereotype Darstellungen von Berufen und Karrieren in
unterschiedlichen Medien aufgeklärt und davor und danach quantitativ sowie qua-
litativ befragt. Dem Ergebnis nach sensibilisierten die Workshops für genderstereo-
type Darstellungen. Auch trugen sie dazu bei, mediale Einflüsse auf die Vorstellun-
gen über Männer und Frauen zu erkennen. Ähnlich untersuchten Janelle Caughlin
und Cynthia Kalodner (2006) die Eignung von Medienkompetenztrainings für die
Vorbeugung von Essstörungen bei College-Studentinnen. Speziell bei Frauen mit
hohem Risiko, an Essstörungen zu erkranken, zeigten sich positive Effekte, sodass
die Autorinnen die Förderung von Medienkompetenz als eine effektive Möglichkeit,
vorbeugend zu intervenieren, interpretieren (Caughlin und Kalodner 2006, S. 42).
Das bereits erwähnte Projekt „SeeMe“ konnte ebenfalls zeigen, dass mit aktiver
Medienarbeit die kritisch-reflexiven Kompetenzen in Hinblick auf unrealistische

9
Gendersensitivität wird in den 2000er-Jahren auch in Bezug auf E-Learning thematisiert, worauf
jedoch in diesem Beitrag nicht näher eingegangen werden kann. Siehe hierzu etwa Schinzel (2004)
oder Zorn et al. (2004).
Medienpädagogik und Gender, Medien- und Genderkompetenz 891

Körperdarstellungen, Schönheitsideale und Genderstereotype in Medien gefördert


werden können (Berman und White 2013).
Der Ansatz, Effekte von medienpädagogischen Aktivitäten überprüfen zu wollen,
wird jedoch von VertreterInnen der Cultural Studies kritisiert, die die Eigenleistung
der MediennutzerInnen und ihre individuellen Interpretationsleistungen betonen
(Walsh et al. 2014, S. 224). In diese Kerbe schlägt der Ansatz von Kimberly
R. Walsh. In einem medienpädagogischen Projekt mit 11- und 12-jährigen Kindern
arbeitete sie mit ihrer Forschungsgruppe unter anderem an Geschlechterstereotypen
und erforschte, wie die Ergebnisse dieser Arbeit mit den Meinungsbildungsprozes-
sen von Kindern zusammenhängen. Die Resultate verweisen auf eine hohe Kom-
plexität und Variabilität des Verarbeitens der Lerninhalte – von der Identifikation mit
Medieninhalten, dem Hinterfragen bis hin zum Herausfordern („challenging“) von
medialen Texten (Walsh et al. 2014, S. 235). Die Ergebnisse korrespondieren in
dieser Hinsicht mit dem bereits erwähnten Lesarten-Konzept von Stuart Hall (1999).
Betont wird vor allem, dass die Fähigkeiten der Kinder nicht statisch, sondern
dynamisch sind und sich in verschiedenen Kontexten unterschiedlich entfalten
(Walsh et al. 2014, S. 236).

3 Medien- und Genderkompetenz als miteinander


verwobene Schlüsselkompetenzen

Medien- und Genderkompetenz stellen „Schlüsselqualifikationen“ dar, die Auswir-


kungen auf unser alltägliches Leben haben (Schwarzer 2009, S. 86). Beide Kompe-
tenzkonzepte verfolgen mit der Erhöhung von Chancengleichheit, mit der Förderung
partizipativer und demokratischer Kompetenzen ähnliche Ziele (Schwarzer 2005,
S. 62). Genderkompetenz als Begriff und Konzept etablierte sich als Folge politi-
scher Maßnahmen zu Gleichstellungspolitik und Gender Mainstreaming (Cordes
2010). Mit Klaus Schwarzer (2005, S. 62) bezeichnet Genderkompetenz die Fähig-
keit, den konstruktiven Charakter von Geschlecht anzuerkennen. Für Sigrid Metz-
Göckel und Christine Roloff (2002, S. 8) zählt auch die Fähigkeit dazu, aktiv und
kreativ gesellschaftlich tradierte Muster von Geschlechtlichkeit zu bearbeiten und
vielfältige Ausdrucksformen zu ermöglichen. Genderkompetenz wird vor allem als
professionelle Eigenschaft thematisiert (Burda und Helfferich 2006, S. 139). Sie
wird als Fähigkeit von PädagogInnen (Budde und Venth 2010, S. 23; Hubrig 2013,
S. 157) und als Voraussetzung für Führungspositionen bzw. Tätigkeiten in den
Bereichen Bildung und Beratung (Blickhäuser und von Bargen 2006) definiert.
Einige wenige Arbeiten nehmen Genderkompetenz als Fähigkeit von Heranwach-
senden in den Blick: Petra Kuropka (2006, S. 295) bezieht die Kategorie Gender
bereits implizit in ihre Definition von Medienkompetenz ein, indem sie die „Fähig-
keit zu einer kritischen Einschätzung von medial vermittelten Texten und Bildern“,
vor allem von rassistischen und sexistischen Stereotypen, als zentralen Aspekt von
Medienkompetenz sieht. Auch Jürgen Lauffer und Renate Röllecke (2011b, S. 15)
sehen Medienkompetenz als bereits mit Genderkompetenz verwoben. Bei der För-
derung von Medienkompetenz gehe es darum, so die Autorin und der Autor,
892 C. Roth-Ebner

Heranwachsende dabei zu unterstützen, Genderstereotype zu erkennen und diese


kreativ zu bearbeiten. Barbara Stauber und Gerrit Kaschuba (2006) arbeiten anhand
der Evaluation medienpädagogischer Projekte in Baden-Württemberg zwei zentrale
Bezugspunkte zwischen Gender- und Medienkompetenz heraus, die sich in den
eben genannten Ansätzen widerspiegeln: Erstens beinhaltet Medienkompetenz,
„einen kritischen Blick auf das Entstehen, Modulieren und Manipulieren von
(Geschlechter-)Bildern zu entwickeln und zu lernen, dass alles, was medial vermit-
telt wird, gemacht, gestaltet, konstruiert ist“ (Stauber und Kaschuba 2006, S. 327
und 339). Zweitens gehört die Fähigkeit dazu, die vergeschlechtlichten Medien-
räume zu dekonstruieren, darin zu experimentieren und diese zu gestalten (Stauber
und Kaschuba 2006, S. 328 und 339). „Der Erwerb von Medienkompetenz generiert
und impliziert Gender-Kompetenz“, bringen Stauber und Kaschuba (2006, S. 340,
Hv. i. O.) das Verhältnis der beiden Kategorien auf den Punkt.
Caroline Roth-Ebner (2011, S. 6) sieht Medien- und Genderkompetenz als
wichtige Fähigkeiten für den Umgang mit digitalen Medien, da sie Möglichkeiten
zur Einmischung in politische oder gesellschaftliche Debatten bieten und damit im
Sinne eines Empowerments wirken könnten (Roth-Ebner 2011, S. 8). Dabei versteht
sie Genderkompetenz als Querschnittskompetenz von Medienkompetenz, da sie in
allen Dimensionen von Medienkompetenz – Roth-Ebner bezieht sich hier auf die
Konzeption von Schachtner (2001, S. 657–658, 2010, S. 6)10 – eine Rolle spielt. Mit
Brigitte Hipfl (2015) ist jedoch „Empowerment“ vor dem Hintergrund postfeminis-
tischer Medienkulturen, in denen für Frauen der Imperativ, sexy zu sein gilt,
differenziert zu sehen. So befinden sich Mädchen und junge Frauen in einem
bipolaren Feld zwischen der Wahrnehmung einerseits als emanzipierte, sich frei
inszenierende Subjekte („girl power“) und andererseits als Opfer sexualisierter
sozio-kultureller (Medien-)Praktiken („girls at risk“) (Hipfl 2015, S. 20). Diese
Doppelmoral gilt allerdings nur für weibliche Akteurinnen (Hipfl 2015, S. 25).
Vielversprechend sind Arbeiten mit intersektionalem Zugang, wie zum Beispiel
Kristina Reich (2010) mit ihren Medienprojekten zu Gender und Diversität im Alltag
einer muslimischen Wiener Schule zeigt. Zwar ist dabei nicht explizit von „Medien-
und Genderkompetenz“ die Rede, Ziel ist es aber, SchülerInnen durch die Produk-
tion von Medien (beispielsweise einer Radiosendung) bei der Auseinandersetzung
mit ihren Selbst- und Fremdbildern und bei der Anerkennung von Vielfalt zu unter-
stützen.
Ein weiterer Zugang, der sich von den beschriebenen Ansätzen unterscheidet, ist
jener der „medienbezogenen Genderkompetenz“ (Burda und Helfferich 2006). Silke
Burda und Cornelia Helfferich entwickelten das Konzept auf Basis eines sexual-
pädagogischen Forschungsprojekts mit 15- bis 17-jährigen Jugendlichen zu Ge-
schlechterbegegnungen im virtuellen und im „realen“ Raum. Als „medienbezogene

10
Die Dimensionen sind: 1. Instrumentell-qualifikatorische Dimension (fachgerechter Umgang mit
der Technik), 2. Aneignungs- und Gestaltungsdimension (kompetente Nutzung der unterschiedli-
chen Anwendungen), 3. reflexiv-kritische Dimension (kritisches Nachdenken über Medien und
deren Inhalte, Erkennen von Gefahren), 4. medienkontrastierende Dimension (Integration des
Mediengebrauchs in den Alltag), 5. kommunikative, kooperative und transkulturale Kompetenz.
Medienpädagogik und Gender, Medien- und Genderkompetenz 893

Genderkompetenz“ verstehen sie die Fähigkeit von Jugendlichen, mit Medien


Begegnungen und Interaktionen zwischen Geschlechtern aktiv und angemessen zu
gestalten (Burda und Helfferich 2006, S. 142 und 159). Es geht in diesem Konzept –
im Gegensatz zu den bisher beschriebenen Ansätzen – nicht um die Kompetenz, mit
Geschlechterdarstellungen in Medien kritisch umzugehen (z. B. Geschlechterbilder
zu dekonstruieren), sondern um die interpersonalen (romantisch-sexuellen) Bezie-
hungen zwischen Jugendlichen, welche durch den Gebrauch von Medien unterstützt
werden.

4 Fazit und Ausblick

Der Überblick über Arbeiten zu Medienpädagogik und Gender11 verweist darauf, dass
der Schwerpunkt der Auseinandersetzung auf konzeptionell angelegten Arbeiten oder
auf Arbeiten mit medienpraktischem Hintergrund liegt. Empirische Forschungsarbei-
ten sind demgegenüber deutlich unterrepräsentiert. Die wenigen Untersuchungen zu
medienpädagogischen Maßnahmen in Zusammenhang mit Genderfragen wären um
weitere Analysen zu ergänzen, welche insbesondere die Aneignung von Medien als
eigenständige Konstruktions- und Interpretationsleistung betonen (Friesem 2016) und
über Evaluationsstudien hinausgehen. Hierzu sind interdisziplinäre Zugänge erforder-
lich, welche medienwissenschaftliche und medienpädagogische Ansätze sowie Theo-
rien der Gender Studies mit ihren intersektionalen Perspektiven verbinden (Friesem
2016). Auf medienpraktischer Ebene wäre die Sammlung und systematische Analyse
vorhandener Unterrichtsmodelle und didaktischer Konzeptionen lohnenswert, welche
entgegen dem aktuellen Nebeneinander von Projekten für mehr Nachhaltigkeit in der
genderbezogenen medienpädagogischen Praxis sorgen könnten.
Weiter ist festzustellen, dass Medienpädagogik in Zusammenhang mit Ge-
schlechterfragen vorwiegend mit Bezug auf Jugendliche diskutiert und in Praxis-
projekten bearbeitet wird, es sich bei Medien- und Genderkompetenz aber um
Fähigkeiten handelt, die alle Mitglieder einer modernen, medial durchdrungenen
Gesellschaft betreffen. Daraus entsteht einerseits das Desiderat, Erwachsene stärker
als AdressatInnen einer genderbezogenen Medienpädagogik, sei es in medienpäda-
gogischer Praxis, Forschung oder Theorie, in den Blick zu nehmen. Insbesondere die
Gruppe der MediengestalterInnen stellt eine wichtige Zielgruppe dar (Götz 2003;
Melki und Farah 2004), denn sie tragen für die Medieninhalte Verantwortung.
Andererseits wäre es auch lohnend, Kinder als Zielgruppe von genderbezogener

11
Nicht berücksichtigt werden konnten in diesem Beitrag Medien als Tools für Gendertrainings
bzw. Genderarbeit. Hierzu sei exemplarisch auf Samantha Allens (2014) Projekt zu Computerspie-
len für die feministische Pädagogik verwiesen bzw. auf einen Überblick zum Einsatz von Medien-
technologien in feministischer Pädagogik im Sammelband von Sharon Collingwood et al. (2012).
Ebenso berührt die Thematik feministischer Medien und ihre Zusammenhänge mit Partizipation
und Vernetzung (etwa Zobl und Drüeke 2012) das Themenspektrum von Medienpädagogik und
Geschlecht.
894 C. Roth-Ebner

Medienpädagogik stärker zu berücksichtigen, sind doch vor allem Kindermedien


stark von stereotypen Geschlechterdarstellungen geprägt (Ebner-Zarl 2016, S. 2).12

Literatur
Allen, Samantha. 2014. Video games as feminist pedagogy. Loading . . . The Journal of the
Canadian Game Studies Association 8(13): 61–80.
Anfang, Günther, Hrsg. 2005. Von Jungen, Mädchen und Medien. Theorie und Praxis einer
geschlechtsbewussten und -sensiblen Medienarbeit. München: kopaed.
Baacke, Dieter. 1997. Medienpädagogik. Tübingen: Niemeyer.
Beinzger, Dagmar. 1998. Einleitung. In Im Wyberspace. Mädchen und Frauen in der Medienland-
schaft, Hrsg. Dagmar Beinzger, Sabine Eder, Renate Luca, und Renate Röllecke, 7–14. Biele-
feld: GMK.
Berman, Naomi, und Alexandra White. 2013. Refusing the stereotype. Decoding negative gender
imagery through a school-based digital media literacy program. Youth Studies Australia 32(4):
o. S.
Blickhäuser, Angelika, und Henning von Bargen. 2006. Mehr Qualität durch Gender-Kompetenz.
Ein Wegweiser für Training und Beratung im Gender Mainstreaming. Königstein: Ulrike
Helmer Verlag.
Brüggen, Niels, und Anja Hartung. 2006. Medien und Geschlecht in der Wahrnehmung. Ein Blick
auf ästhetische Bildung mit digitalen Medien. In Gender medienkompetent. Medienbildung in
einer heterogenen Gesellschaft, Hrsg. Annette Treibel, Maja S. Maier, Sven Kommer, und
Manuela Welzel, 313–326. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Budde, Jürgen, und Angela Venth. 2010. Genderkompetenz für lebenslanges Lernen. Bildungspro-
zesse geschlechterorientiert gestalten. Bielefeld: Bertelsmann.
Burda, Silke, und Cornelia Helfferich. 2006. Geschlechterbegegnungen im virtuellen und realen
Erfahrungsraum – Bezugspunkte für medienbezogene Genderkompetenz in der Sexualpädago-
gik. In Gender medienkompetent. Medienbildung in einer heterogenen Gesellschaft, Hrsg.
Annette Treibel, Maja S. Maier, Sven Kommer, und Manuela Welzel, 141–162. Wiesbaden:
VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Butler, Judith. 2004. Undoing gender. New York: Routledge.
Caughlin, Janelle, und Cynthia Kalodner. 2006. Media literacy as a prevention intervention for
college women at low- or high-risk for eating disorders. Body Image 3:35–43.
Collingwood, Sharon, Alvina E. Quintana, und Caroline J. Smith, Hrsg. 2012. Feminist cyber-
spaces: Pedagogies in transition. Newcastle: Cambridge Scholars Publishing.
Cordes, Mechthild. 2010. Gleichstellungspolitiken. Von der Frauenförderung zum Gender-
Mainstreaming. In Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie,
Hrsg. Ruth Becker und Beate Kortendiek, 924–932. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissen-
schaften.
Eble, Karin. 2006. Gendersensitive Medienarbeit. In Methoden und Konzepte medienpädagogi-
scher Projekte. Dieter Baacke Preis Handbuch 1, Hrsg. Jürgen Lauffer und Renate Röllecke,
56–65. Bielefeld: GMK.
Eble, Karin, und Irene Schumacher, Hrsg. 2005a. Mädchen mit Medien aktiv. Medienarbeit in der
außerschulischen Bildung. München: kopaed.
Eble, Karin, und Irene Schumacher, Hrsg. 2005b. Medi@girls – Stärkung der Medienkompetenz
von Mädchen und jungen Frauen. In Mädchen mit Medien aktiv. Medienarbeit in der außer-
schulischen Bildung, 37–73. München: kopaed.

12
Ich bedanke mich bei den Herausgeberinnen für die vielen wertvollen Kommentare, die zum
Entstehen dieses Artikels maßgeblich beigetragen haben.
Medienpädagogik und Gender, Medien- und Genderkompetenz 895

Ebner-Zarl, Astrid. 2016. Transmediale Kinderwelten. Medienvielfalt als Brücke über Geschlech-
tergrenzen. In Tagungsband zum 10. Forschungsforum der österreichischen Fachhochschulen
an der FH des BFI Wien, Hrsg. FH des BFI Wien, 1–10. http://ffhoarep.fh-ooe.at/bitstream/
123456789/602/1/106_196_Ebner-Zarl_FullPaper_dt_Final.pdf. Zugegriffen am 23.10.2018.
Friesem, Elizaveta. 2016. Drawing on media studies, gender studies, and media literacy education
to develop an interdisciplinary approach to media and gender classes. Journal of Communica-
tion Inquiry 40(4): 370–390.
Gehlen, Martinavon, und Iris Tinsel. 2006. Steigerung der Medienkompetenz von Schülerinnen,
Studentinnen und Informatikerinnen durch monoedukatives Lernen und Lehren. Beispiele aus
der Praxis des Netzwerk Frauen.Innovation.Technik Baden-Württemberg. In Gender medien-
kompetent. Medienbildung in einer heterogenen Gesellschaft, Hrsg. Annette Treibel, Maja
S. Maier, Sven Kommer, und Manuela Welzel, 297–312. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwis-
senschaften.
Geisler, Martin, und Gerrit Neundorf. 2011. Pädagogische Konzepte im Kontext männlicher
Videospieler. In Gender und Medien. Schwerpunkt: Medienarbeit mit Jungen. Dieter Baacke
Preis Handbuch 6, Hrsg. Jürgen Lauffer und Renate Röllecke, 52–58. München: kopaed.
Götz, Maya. 2003. Genderreflektierende Medienpädagogik. In Mädchen machen Medien: Stärkung
der IT- und Medienkompetenz von jungen Frauen, Hrsg. Karin Eble und Martin Welker, 21–30.
Stuttgart: o. V.
Grell, Petra, Heinz, Moser, und Horst, Niesyto. 2011. Vorwort. MedienPädagogik, Themenheft
20:7–9. http://www.medienpaed.com/issue/view/29. Zugegriffen am 23.10.2018.
Hall, Stuart. 1999. Kodieren/Dekodieren. In Cultural Studies. Grundlagentexte zur Einführung,
Hrsg. Roger Bromley, Udo Göttlich, und Carsten Winter, 92–110. Lüneburg: Zu Klampen.
Hipfl, Brigitte. 2015. Medialisierung und Sexualisierung als Assemblagen gegenwärtiger Kultur –
Herausforderungen für eine (Medien)-Pädagogik jenseits von „moral panic“. In Medialisierung
und Sexualisierung. Vom Umgang mit Körperlichkeit und Verkörperungsprozessen im Zuge der
Digitalisierung, Hrsg. Josef Christian Aigner, Theo Hug, Martina Schuegraf, und Angela
Tillmann, 15–32. Wiesbaden: Springer VS.
Hoffmann, Dagmar. 2011. Jungen im Prozess der Selbstfindung. Zur Kontingenz der Geschlech-
terrollen und Geschlechterrealitäten. In Gender und Medien. Schwerpunkt: Medienarbeit mit
Jungen. Dieter Baacke Preis Handbuch 6, Hrsg. Jürgen Lauffer und Renate Röllecke, 36–44.
München: kopaed.
Hofman, Josef. 2011. Geschlechtsspezifische Medienarbeit mit Mädchen. Dargestellt an dem
Projekt „Viva Diva – Fernsehen von und für Mädchen“. In Gender und Medien. Schwerpunkt:
Medienarbeit mit Jungen. Dieter Baacke Preis Handbuch 6, Hrsg. Jürgen Lauffer und Renate
Röllecke, 78–84. München: kopaed.
Holzwarth, Peter. 2007. „Enjoy Capitalism“. Adbusting als kritische Medienpraxis – auch für
pädagogische Kontexte. In Körper. Kult. Medien. Inszenierungen im Alltag und in der Medien-
bildung, Hrsg. Norbert Neuß und Mike Große-Loheide, 78–91. Bielefeld: GMK.
Hören, Andreas von. 2011. Auch Helden haben Probleme. Aktive Videoarbeit mit Jungen. In
Gender und Medien. Schwerpunkt: Medienarbeit mit Jungen. Dieter Baacke Preis Handbuch 6,
Hrsg. Jürgen Lauffer und Renate Röllecke, 65–71. München: kopaed.
Hubrig, Silke. 2013. Genderkompetenz im Unterricht der Fachschule für Sozialpädagogik. In
Praxis geschlechtersensibler und interkultureller Bildung, Hrsg. Sven Ernstson und Christine
Meyer, 155–170. Wiesbaden: Springer.
Kirchhoff, Andreas, und Ilona Herbert. 2005. 15/03|15/04 – Ein Filmprojekt mit Mädchen- und
Jungengruppen aus Münchner Jugendtreffs. In Von Jungen, Mädchen und Medien. Theorie und
Praxis einer geschlechtsbewussten und -sensiblen Medienarbeit, Hrsg. Günther Anfang, 41–48.
München: kopaed.
Kuropka, Petra. 2006. Die Hierarchie gesellschaftlicher Existenzen. Beobachtungen und Fragestel-
lungen aus der medienpädagogischen Praxis mit Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft. In
Gender medienkompetent. Medienbildung in einer heterogenen Gesellschaft, Hrsg. Annette
Treibel, Maja S. Maier, Sven Kommer, und Manuela Welzel, 279–296. Wiesbaden: VS Verlag
für Sozialwissenschaften.
896 C. Roth-Ebner

Lauffer, Jürgen, und Renate Röllecke, Hrsg. 2011a. Gender und Medien. Schwerpunkt: Medienar-
beit mit Jungen. Dieter Baacke Preis Handbuch 6. München: kopaed.
Lauffer, Jürgen, und Renate Röllecke, Hrsg. 2011b. Gender und Medien – der kleine und der feine
Unterschied. In Gender und Medien. Schwerpunkt: Medienarbeit mit Jungen. Dieter Baacke
Preis Handbuch 6, 11–17. München: kopaed.
Livingstone, Sonia, Veronika Kalmus, und Kairi Talves. 2013. Girls’ and boys’ experiences of
online risk and safety. In The Routledge companion to media and gender, Hrsg. Cynthia Carter,
Linda Steiner, und Lisa McLaughlin, 190–200. Abingdon: Routledge. https://www.routledge
handbooks.com/doi/10.4324/9780203066911.ch17. Zugegriffen am 23.10.2018.
Lorenz, Ramona, Julia Gerick, Renate Schulz-Zander, und Birgit Eickelmann. 2014. Computer-
und informationsbezogene Kompetenzen von Mädchen und Jungen im internationalen Ver-
gleich. In ICILS 2013. Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen
und Schülern in der 8. Jahrgangsstufe im internationalen Vergleich, Hrsg. Wilfried Bos, Birgit
Eickelmann, Julia Gerick, Frank Goldhammer, Heike Schaumburg, Knut Schwippert, Martin
Senkbeil, Renate Schulz-Zander, und Heike Wendt, 231–263. Münster/New York: Waxmann.
Luca, Renate. 1998. Überlegungen zu einer feministischen Medienpädagogik. In Im Wyberspace.
Mädchen und Frauen in der Medienlandschaft, Hrsg. Dagmar Beinzger, Sabine Eder, Renate
Luca, und Renate Röllecke, 47–61. Bielefeld: GMK.
Luca, Renate, Hrsg. 2003. Medien. Sozialisation. Geschlecht. Fallstudien aus der sozialwissen-
schaftlichen Forschungspraxis. München: kopaed.
Luca, Renate. 2010. Gender. In Handbuch Mediensozialisation, Hrsg. Ralf Vollbrecht und Claudia
Wegener, 357–363. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Luca, Renate. 2011. Medienkompetenzförderung in Genderperspektive. Forschungsergebnisse und
pädagogische Herausforderungen. In Gender und Medien. Schwerpunkt: Medienarbeit mit
Jungen. Dieter Baacke Preis Handbuch 6, Hrsg. Jürgen Lauffer und Renate Röllecke, 30–35.
München: kopaed.
Luca, Renate, und Stefan Aufenanger. 2007. Geschlechtersensible Medienkompetenzförderung.
Mediennutzung und Medienkompetenz von Mädchen und Jungen sowie medienpädagogische
Handlungsmöglichkeiten, Unter Mitarbeit von Petra Grell. Berlin: Vistas.
Medienpädagogisches Manifest. 2009. https://www.keine-bildung-ohne-medien.de/medienpaeda
gogisches-manifest/. Zugegriffen am 23.10.2018.
Melki, Jad, und May Farah. 2004. Educating media professionals with a gender and critical media
literacy perspective: How to battle gender discrimination and sexual harassment in the media
workplace. In Media and gender. A scholarly agenda for the global alliance on media and
gender, Hrsg. Unesco und Aimée Vea Montiel, 74–78. Paris: Unesco. http://unesdoc.unesco.
org/images/0022/002283/228399e.pdf. Zugegriffen am 23.10.2018.
Metz-Göckel, Sigrid, und Christine Roloff. 2002. Genderkompetenz als Schlüsselqualifikation.
Journal Hochschuldidaktik 13(1): 7–10. http://www.zhb.tu-dortmund.de/hd/journal-hd/2002/
journal_hd_2002_1.pdf. Zugegriffen am 23.10.2018.
Meyer, Dorit. 2005. Was bedeutet Gender für die pädagogische Arbeit mit Mädchen? Welche Rolle
spielen Medien? In Von Jungen, Mädchen und Medien. Theorie und Praxis einer geschlechts-
bewussten und -sensiblen Medienarbeit, Hrsg. Günther Anfang, 23–32. München: kopaed.
Moser, Heinz. 2006a. Einführung in die Medienpädagogik. Aufwachsen im Medienzeitalter,
5., durchges. u. erw. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Moser, Heinz. 2006b. Medien und die Konstruktion von Identität und Differenz. In Gender
medienkompetent. Medienbildung in einer heterogenen Gesellschaft, Hrsg. Annette Treibel,
Maja S. Maier, Sven Kommer, und Manuela Welzel, 53–74. Wiesbaden: VS Verlag für
Sozialwissenschaften.
Mühlen Achs, Gitta. 1998. Geschlecht bewußt gemacht. Körpersprachliche Inszenierungen. Ein
Bilder- und Arbeitsbuch. München: Verlag Frauenoffensive.
Puchner, Laurel, Linda Markowitz, und Mark Hedley. 2015. Critical media literacy and gender:
Teaching middle school children about gender stereotypes and occupations. Journal of Media
Literacy Education 7(2): 23–34.
Medienpädagogik und Gender, Medien- und Genderkompetenz 897

Reich, Kristina. 2010. Meine, deine, unsere? – Diversität! Medienprojekte zu Gender und Diversität
im Alltag einer Wiener Schule. Medienimpulse 3:1–11.
Ring, Sebastian. 2011. „Meine verschiedenen Gesichter“. Geschlechtsbezogene Medienarbeit mit
Jungen zum Thema Schönheit. In Gender und Medien. Schwerpunkt: Medienarbeit mit Jungen.
Dieter Baacke Preis Handbuch 6, Hrsg. Jürgen Lauffer und Renate Röllecke, 59–64. München:
kopaed.
Roth-Ebner, Caroline. 2011. Medienkompetenz & Genderkompetenz: Kompetenzen für das Web
2.0. Medienimpulse 19(3): 1–11.
Roth-Ebner, Caroline. 2012. Sehen, reflektieren, dekonstruieren. Geschlechterbilder in den Medien.
ide. Informationen zur Deutschdidaktik 36(2): 61–68.
Sammet, Ulrike. 2003. Mädchengerecht und lebensweltorientiert – Zur Bedeutung von geschlechts-
homogenen Angeboten für Mädchen und junge Frauen im Bereich der Neuen Medien. In Mäd-
chen machen Medien. Stärkung der IT- und Medienkompetenz von Mädchen und jungen Frauen
am Beispiel des Landesleitprojekts „medi@girls“. Stuttgarter Beiträge zur Medienwirtschaft
Nr. 8, Hrsg. Karin Eble und Martin Welker, 63–67. https://www.hdm-stuttgart.de/~glaeser/files/
beitr%E4ge/Stuttgarter%20Beitr%E4ge%20Nr_8.pdf. Zugegriffen am 23.10.2018.
Schachtner, Christina. 2001. Neue Medien. In Psychologie. Ein Grundkurs, Hrsg. Heiner Keupp
und Klaus Weber, 647–659. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt.
Schachtner, Christina. 2010. Thesen zum Thema Feminismus im Web 2.0. Im Spannungsverhältnis
zwischen Öffentlichkeit und Privatheit. Impulsreferat beim Green Ladies Lunch des Gunda-
Werner-Instituts in der Heinrich-Böll Stiftung. 19.03.2010. http://wwwu.uni-klu.ac.at/elaugust/
Schachtner_FemWeb2.0.pdf. Zugegriffen am 23.10.2018.
Schinzel, Britta. 2004. Empfehlungen zum Gender-Mainstreaming in Projekten zu Neuen Medien
in der Bildung. In E-Learning im Hochschulverbund. Grundlagen und Strategien hypermedia-
ler Kooperation in der Lehre, Hrsg. Britta Schinzel, Jürgen Taeger, Peter Gorny, Thomas Dreier,
und Bernd Holznagel, 179–209. Wiesbaden: Deutscher Universitätsverlag.
Schmidt, Ulrike. 2005. LizzyNet – die virtuelle Gemeinschaft für Mädchen und junge Frauen von
Schulen ans Netz e.V. In Mädchen mit Medien aktiv. Medienarbeit in der außerschulischen
Bildung, Hrsg. Karin Eble und Irene Schumacher, 95–104. München: kopaed.
Schmittinger, Inge. 1998. Girls, Videos und bunte, fließende Bilder. Geschlechtsbewußte Medien-
aneignung von Mädchen. In Im Wyberspace. Mädchen und Frauen in der Medienlandschaft,
Hrsg. Dagmar Beinzger, Sabine Eder, Renate Luca, und Renate Röllecke, 214–221. Bielefeld:
GMK.
Schwarzer, Klaus. 2005. Gender als Mainstream oder welche Farben haben die Gendernauts?
Bausteine einer genderorientierten Medienarbeit. In Von Jungen, Mädchen und Medien. Theorie
und Praxis einer geschlechtsbewussten und -sensiblen Medienarbeit, Hrsg. Günther Anfang,
61–68. München: kopaed.
Schwarzer, Klaus. 2009. Gender – Geschlechtssensible Medienarbeit. In Grundbegriffe Medien-
pädagogik – Praxis, Hrsg. Bernd Schorb, Günther Anfang, und Kathrin Demmler, 85–67.
München: kopaed.
Sieben, Gerda. 2011. Erfolgreiche Konzepte der Jugendmedienarbeit. In Gender und Medien.
Schwerpunkt: Medienarbeit mit Jungen. Dieter Baacke Preis Handbuch 6, Hrsg. Jürgen Lauffer
und Renate Röllecke, 94–104. München: kopaed.
Stauber, Barbara, und Gerrit Kaschuba. 2006. Dem Verhältnis von Medienkompetenz und Gender-
Kompetenz auf der Spur – Anregungen aus einer Evaluation medienpädagogischer Projekte. In
Gender medienkompetent. Medienbildung in einer heterogenen Gesellschaft, Hrsg. Annette
Treibel, Maja S. Maier, Sven Kommer, und Manuela Welzel, 327–341. Wiesbaden: VS Verlag
für Sozialwissenschaften.
Süss, Daniel, Claudia Lampert, und Christine W. Wijnen. 2010. Medienpädagogik. Ein Studien-
buch zur Einführung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Tillmann, Angela. 2006. Girls in cyberspace: An evaluation of an online community supervised by
media educationalists. In Media communities, Hrsg. Brigitte Hipfl und Theo Hug, 211–230.
Münster: Waxmann.
898 C. Roth-Ebner

Tillmann, Angela. 2011. Medien. In Wörterbuch Soziale Arbeit und Geschlecht, Hrsg. Gudrun
Ehlert, Heide Funk, und Gerd Stecklina, 282–285. Weinheim: Juventa.
Tillmann, Angela. 2017. Genderbeben im Internet? Aushandlungen von Geschlecht im Kontext
Internet. medien und erziehung 61(1): 19–27.
Treibel, Annette, Maja S. Maier, Sven Kommer, und Manuela Welzel, Hrsg. 2006. Gender medien-
kompetent. Medienbildung in einer heterogenen Gesellschaft. Wiesbaden: VS Verlag für Sozi-
alwissenschaften.
Tulodziecki, Gerhard. 1997. Medien in Erziehung und Bildung. Grundlagen und Beispiele einer
handlungs- und entwicklungsorientierten Medienpädagogik, 3., überarb. u. erw. Aufl. von
Medienerziehung in Schule und Unterricht. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Walkerdine, Valerie. 2007. Children, gender, video games. Towards a relational approach to
multimedia. New York: Palgrave Macmillan.
Walsh, Kimberly R., Laras Sekarasih, und Erica Scharrer. 2014. Mean girls and tough boys: Children’s
meaning making and media literacy lessons on gender and bullying in the United States. Journal of
Children and Media 8(3): 223–239. https://doi.org/10.1080/17482798.2013.851094.
Wiemken, Jens. 2005. HARDLINER. Eine pädagogische Handlungsmöglichkeit im Umgang mit
Gewaltspielen in der Arbeit mit Jungen. In Von Jungen, Mädchen und Medien. Theorie und
Praxis einer geschlechtsbewussten und -sensiblen Medienarbeit, Hrsg. Günther Anfang, 55–60.
München: kopaed.
Wolf, Karsten D. 2009. Gender und New Media Literacy: Zugänge oder Barrieren beim
E-Learning? In Sex and Gender. Interdisziplinäre Zugänge zu einer gesellschaftlichen Kon-
struktion, Hrsg. Martin K. W. Schweer, 87–106. Frankfurt a. M./Wien: Peter Lang.
Zobl, Elke, und Ricarda Drüeke, Hrsg. 2012. Feminist media. Participatory spaces, networks and
cultural citizenship. Bielefeld: transcript.
Zobl, Elke, und Ricarda Drüeke. 2016. „Making art, making media, making change!?“ Prozesse des
Queerings und des Empowerments in der Arbeit mit Jugendlichen. Gender 8(2): 65–82.
Zorn, Isabel, Heike Wiesner, Heidi Schelhowe, Barbara Baier, und Ida Ebkes. 2004. Good Practice
für die gendergerechte Gestaltung digitaler Lernmodule. In Campus 2004. Kommen die digita-
len Medien an den Hochschulen in die Jahre?, Hrsg. Doris Carstensen und Beate Barrios,
112–122. Münster: Waxmann.
Psychologische Zugänge zu Medien und
Geschlecht: Medienpsychologie und
Sozialpsychologie

Nicola Döring

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 900
2 Psychologische Fragestellungen und Befunde zu Medien und Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . . . 900
3 Psychologische Theorien zur Untersuchung von Medien und Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . . . 907
4 Psychologische Methoden zur Untersuchung von Medien und Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . . 908
5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 909
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 910

Zusammenfassung
Die Psychologie als Wissenschaft vom Erleben und Verhalten von Individuen
befasst sich sowohl mit Medienfragen (Medienpsychologie) als auch mit Ge-
schlechterfragen (Sozialpsychologie). Die psychologische Forschung zu Me-
dien und Geschlecht zeigt, dass es bis heute zum Teil deutliche Geschlechterdif-
ferenzen bei der Mediennutzung und bei der Medienproduktion gibt, die unter
anderem auf psychologische Ursachen zurückgehen. Weiterhin ist gut belegt,
dass Geschlechterstereotype in den Medieninhalten und auch bei der Gestaltung
von Digitaltechnologien wie Software-Agenten oder Robotern weit verbreitet
sind. Es existieren aber auch Medienangebote, die emanzipatorisch und empo-
wernd wirken. In der Gesamtbilanz ist festzuhalten, dass sich Medien aus psy-
chologischer Sicht sowohl negativ als auch positiv auf Gleichberechtigung in den
Geschlechterverhältnissen auswirken können. Der Beitrag berichtet die wichtigs-
ten Befunde anhand von Studien und Praxisbeispielen und weist auf Limitationen
und Lücken der bisherigen psychologischen Forschung zu Medien und Ge-
schlecht hin.

N. Döring (*)
Institut für Medien und Kommunikationswissenschaft, Technische Universität Ilmenau, Ilmenau,
Deutschland
E-Mail: nicola.doering@tu-ilmenau.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 899
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_32
900 N. Döring

Schlüsselwörter
Geschlechterdifferenzen · Geschlechterstereotype · Sexuelle Objektifizierung ·
Feminismus · Mediennutzung · Medieninhalte · Medienwirkungen

1 Einleitung

Zu einer feministischen Kommunikations- und Medienforschung liefert die Psycho-


logie wichtige Beiträge. Denn in der Psychologie werden sowohl Fragen zu Medien
und Kommunikation als auch Fragen zu Geschlecht und Geschlechterverhältnissen
wissenschaftlich intensiv bearbeitet. Die dafür zuständigen psychologischen Fächer
sind die Medienpsychologie und die Sozialpsychologie.
Die Medienpsychologie als psychologisches Anwendungsfach erforscht das
menschliche Erleben und Verhalten im Umgang mit Medien auf der Mikroebene
des Individuums (Trepte und Reinecke 2013; Winterhoff-Spurk 2001). Dabei stehen
meist Fragen der Mediennutzung und der Medienwirkung im Zentrum. Aber auch
die Analyse von Medieninhalten und Prozesse der Medienproduktion gehören zum
Gegenstandsbereich der Medienpsychologie.
Die Sozialpsychologie als psychologisches Grundlagenfach erforscht das men-
schliche Erleben und Verhalten im sozialen Kontext. Das heißt, man interessiert sich
für den Einfluss, den andere Menschen auf das Denken, Fühlen und Handeln einer
Person haben (Aronson et al. 2014, S. 3; Stroebe et al. 2014, S. 6; Wirtz 2013). Die
anderen Menschen, deren sozialer Einfluss wirkt, können dabei körperlich anwe-
send, medial vermittelt anwesend, mental vorgestellt oder auch massenmedial reprä-
sentiert sein.
Da in der Sozialpsychologie das zwischenmenschliche Miteinander im Zentrum
des Forschungsinteresses steht, sind Personenwahrnehmung und Eindrucksbildung,
Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung, Einstellungen und Vorurteile, interper-
sonale Beziehungen, Klein- und Großgruppen, Attraktion, Aggression oder auch
prosoziales Verhalten wichtige Themen. Bei all diesen Phänomenen können Ge-
schlechteraspekte eine Rolle spielen (z. B. Selbstdarstellung von Frauen und Män-
nern). Und all diese Phänomene können auch in unterschiedlichen medialen Kon-
texten vorkommen (z. B. Selbstdarstellung von Frauen und Männern auf YouTube,
auf Instagram, auf Twitter oder auf Dating-Portalen).

2 Psychologische Fragestellungen und Befunde zu Medien


und Geschlecht

Unabhängig davon, ob man in medienpsychologischen Beiträgen nach Geschlech-


terbezügen oder in geschlechter- und sozialpsychologischen Beiträgen nach Medien-
bezügen sucht, lassen sich übereinstimmend drei zentrale Gruppen von psychologi-
schen Forschungsfragen ausmachen (Greenwood und Lippman 2010, S. 1). Welche
Geschlechterdifferenzen gibt es bei der Mediennutzung und Medienproduktion?
Psychologische Zugänge zu Medien und Geschlecht: Medienpsychologie und . . . 901

Wie verbreitet sind welche Geschlechterstereotype in den Medieninhalten und


Digitaltechnologien? Welche negativen und positiven Wirkungen haben Medien
auf die Geschlechterverhältnisse und insbesondere auf Geschlechtergleichberechti-
gung?

2.1 Welche Geschlechterdifferenzen gibt es bei der


Mediennutzung und Medienproduktion?

Im Zusammenhang mit Geschlecht und Medien bezieht sich eine zentrale überge-
ordnete psychologische Forschungsfrage auf Geschlechterdifferenzen bei der Medi-
enauswahl, bei der Mediennutzung und – im Kontext Sozialer Medien – auch bei der
Medienproduktion. So zeigt sich beispielsweise, dass Mädchen und Frauen tradi-
tionell und bis heute eine größere Affinität zum Lesen von Büchern, Jungen und
Männer eine größere Affinität zu Computern und Digitalspielen haben (Döring
2016). Geschlechterdifferenzen zeigen sich unter anderem auch bei bevorzugten
Filmgenres (z. B. Liebesfilm versus Pornofilm oder Horrorfilm; Greenwood und
Lippman 2010).
Hinsichtlich Geschlechterdifferenzen bei der Internet-Nutzung hat sich der Fokus
verschoben: So wurden in den 1990er-Jahren noch Übersichtsartikel veröffentlicht,
die der Frage nachgingen, warum mehr Männer als Frauen das Internet nutzen
(Morahan-Martin 1998). Heute ist diese Frage obsolet, denn die Geschlechterkluft
(digital divide) beim Internet- bzw. Digitalmedien-Zugang ist weitgehend geschlos-
sen. Es existieren jedoch noch diverse digitale Ungleichheiten (digital inequalities),
d. h. Unterschiede in der Art der Internet- und Smartphone-Nutzung. So sind
Mädchen und Frauen als Content-Produzentinnen auf YouTube (Döring und Moh-
seni 2018; Döring 2019) und in der Wikipedia (Hill und Shaw 2013) deutlich
unterrepräsentiert, auf anderen Plattformen (z. B. Instagram, TikTok) dagegen über-
repräsentiert (mpfs 2018). Weiterhin zeigen sich oftmals Geschlechterunterschiede,
wenn man untersucht, ob und inwiefern sich Frauen und Männer in ihrer Online-
Selbstdarstellung auf Facebook (Tifferet und Vilnai-Yavetz 2014), in ihrem Online-
Dating-Verhalten (Aretz et al. 2017), in ihrem Umgang mit Privatsphäre im Netz
(Tifferet 2019) oder hinsichtlich ihrer Beteiligung an oder Betroffenheit von Cyber-
Mobbing (Sun und Fan 2018) unterscheiden.
Kenntnisse über Geschlechterdifferenzen im Medienumgang sind nützlich und
für die Anwendungspraxis relevant, etwa um zielgruppenspezifische Medienkom-
petenz- und Präventionsprogramme aufzusetzen (z. B. gegen geschlechtsspezifi-
sches Cybermobbing oder gegen geschlechtsspezifische Online-Hassrede; Döring
und Mohseni 2020) und um Medienprodukte (z. B. E-Learning-Programme, Dating-
Apps oder Games) zu schaffen, die Menschen aller Geschlechter gleichermaßen
ansprechen (Hartmann und Klimmt 2017).
Kritisch zu betrachten sind jedoch Studien, die Geschlechterdifferenzen unreflek-
tiert immer nur auf zwei Geschlechter beziehen und damit ein überholtes binäres
Geschlechterbild bekräftigen, anstatt die Vielfalt von Geschlechtern (z. B. Trans-
und Intergeschlechtlichkeit, genderqueere und agender Identitäten) einzubeziehen.
902 N. Döring

Problematisch sind auch Studien, die Unterschiede zwischen Frauen und Männern
empirisch aufzeigen und diese dann implizit oder explizit als biologisch determiniert
darstellen, anstatt (a) das zugrunde liegende Geschlechter-Konzept zu reflektie-
ren (wie wurde „Geschlecht“ gemessen und was genau wurde damit erfasst) und
(b) Gender-Effekte in einem breiten bio-psycho-sozialen Verständnis theoretisch
einzubetten (Hegarty und Pratto 2004; Hyde 1994). Für eine gendersensible medi-
enpsychologische Forschung zu Geschlechterdifferenzen im Medienumgang liefert
die Sozialpsychologie wichtige Theorien und Methoden.
So können für Geschlechterdifferenzen bei der Medienauswahl vielfältige psy-
chologische Erklärungsmodelle herangezogen werden, die es vergleichend empi-
risch zu prüfen gilt. Dass Mädchen und Frauen sich weniger intensiv am Gaming
beteiligen, mag beispielsweise daran liegen, dass die vorhandenen Spiele so selten
weibliche Charaktere als Identifikationsvorlagen bieten, dass sie ihnen oft zu ge-
walthaltig und zu konkurrenzorientiert sind, dass für sie in den Spielen sinnvolle
soziale Interaktion zu kurz kommt, dass ihre weiblichen Peers weniger spielen, dass
Gaming als männlich konnotiertes Hobby gilt und sie sich dabei weniger weiblich
fühlen oder dass sie in Gaming-Communitys als Mädchen und Frauen wenig
anerkannt sind und dafür öfter sexualisiert und beleidigt werden (Döring 2016;
Hartmann und Klimmt 2017).
Dort wo geschlechterdifferente Nutzungsmuster mit Ausgrenzung in Zusammen-
hang gebracht werden (z. B. Ausgrenzung von Frauen aus Gaming-Communitys:
Groen und Schröder 2015, aus der Wikipedia: Shane-Simpson und Gillespie-Lynch
2017, oder als Videoproduzentinnen auf YouTube: Döring 2015a, 2019), stehen
Mediennutzung und Medienproduktion dann im Zusammenhang mit fehlender Ge-
schlechtergleichberechtigung. Eine dezidiert psychologische Betrachtung kann hel-
fen, die psycho-sozialen Prozesse der Ausgrenzung besser zu verstehen und dann
auch wirkungsvolle Veränderungsmaßnahmen zu entwickeln.

2.2 Wie verbreitet sind welche Geschlechterstereotype


in Medieninhalten und Digitaltechnologien?

Eine zweite übergeordnete psychologische Forschungsfrage zu Medien und Ge-


schlecht bezieht sich auf die Art und Weise der Repräsentation von Frauen und
Männern in unterschiedlichen Medien (Greenwood und Lippman 2010).
Bei der Art der Repräsentation geht es vor allem um vier Aspekte, die in der
psychologischen und kommunikationswissenschaftlichen Forschung gleichermaßen
im Fokus stehen (Collins 2011; Scharrer 2014): (1) mangelnde Repräsentation eines
Geschlechts, (2) geschlechterstereotypisierende Repräsentation, (3) visuell unterge-
ordnete Repräsentation und (4) sexuell objektifizierende Repräsentation. Nachge-
wiesen ist unter anderem eine deutlich geringere Repräsentation von Frauen in der
Sportberichterstattung (z. B. Sendezeit für Frauen- versus Männerfußball im Fern-
sehen). Professionelle Athletinnen werden also medial oftmals nicht sichtbar ge-
macht. Wenn Frauen in der Werbung oder in TV- und Kinofilmen auftreten, dann
geschlechterstereotyp eher in privaten, traditionell femininen und machtlosen Rollen
Psychologische Zugänge zu Medien und Geschlecht: Medienpsychologie und . . . 903

(z. B. als Partnerin, Mutter, Krankenschwester, Verbrechensopfer), während Männer


viel häufiger in beruflichen, traditionell maskulinen und machtvollen Rollen auf-
treten (z. B. als Arzt, Chef, Kriminalkommissar oder Krimineller). In jüngster Zeit
erscheinen Männer in der Werbung aber manchmal auch in „weicheren“ Rollen
(z. B. als Väter; Grau und Zotos 2016). Frauen werden im Verhältnis zu Männern
visuell oft in untergeordneter Position gezeigt (z. B. unsicherer Stand, geneigter
Kopf; Döring und Pöschl 2006). Nicht zuletzt gibt es deutliche Unterschiede dahin-
gehend, wie Frauen und Männer körperlich dargestellt werden. Mädchen und Frauen
werden oft als Sexualobjekte in Szene gesetzt, sie erscheinen viel häufiger leicht
bekleidet und erfüllen strenge Schönheitsnormen (extrem schlank, sehr jung, weiß).
Männer werden weniger auf ihr Aussehen reduziert, bei ihnen werden stattdessen
Persönlichkeit und Kompetenzen medial stärker in Szene gesetzt.
Diese geschlechterasymmetrischen Repräsentationsformen werden in Massen-
medien, in Sozialen Medien und auch in innovativen digitalen Medientechnologien
nachgewiesen. Hinsichtlich der Art der Medien und Technologien, in denen Ge-
schlechterrepräsentationen untersucht werden, standen lange die Massenmedien im
Fokus. Deutlich asymmetrische Geschlechterrepräsentationen im Sinne der zuvor
genannten vier Aspekte sind etwa für Kinderbücher, Malbücher und Schulbücher,
für die Sport- und Politikberichterstattung, für fiktionale TV-Sendungen und Kino-
filme, für Musikvideos, Games und Werbung nachgewiesen (Aubrey und Harrison
2004; Mühlen-Achs 2003; Scharrer 2014; Wallis 2011).
Neuere Forschung untersucht, ob und wie sich Frauen und Männer in Sozialen
Medien selbst geschlechterasymmetrisch (also stereotypisierend und sexualisierend)
darstellen (z. B. Döring 2019; Tifferet und Vilnai-Yavetz 2014). Obwohl Soziale
Medien viele Freiheitsgrade bei der Selbstdarstellung bieten, zeigt sich, dass die in
den Massenmedien viel kritisierten Geschlechterklischees in den selbstprodu-
zierten Social-Media-Inhalten wie etwa den YouTube-Videos, Facebook-Profilen
oder Handy-Selbstporträts (sog. Selfies) nicht etwa grundsätzlich abgemildert
(z. B. Oberst et al. 2016), sondern zum Teil noch verstärkt auftreten (z. B. Döring
2015a; Döring 2016). Frauen zeigen sich auf YouTube und Instagram als süß und
sexy mit Schminksammlung und Schmollmund, Männer als mächtig und stark mit
Statussymbolen und Bizeps. Digitale Bildbearbeitungsprogramme stehen heute auf
jedem Smartphone zur Verfügung und unterstützen eine an geschlechtsspezifischen
Schönheitsidealen orientierte Selbstdarstellung, so dass die Standards steigen: Nicht
nur internationale Stars präsentieren sich optisch perfekt, sondern auch „das Mäd-
chen von nebenan“ zeigt heute in Sozialen Medien immer öfter ein übernatürlich
perfektes Aussehen (Kleemans et al. 2017). Ein wichtiges theoretisches Konzept ist
hier neben der Stereotypisierung die sexuelle Selbst-Objektifizierung, also die
mediale Selbstinszenierung von Mädchen und Frauen als möglichst attraktive
Sexualobjekte (Cohen et al. 2018).
Aktuelle medien- und technikpsychologische Beiträge zur Geschlechterstereoty-
pisierung wenden sich nach den Massenmedien und den Sozialen Medien darüber
hinaus zeitgenössischen digitalen Medientechnologien wie Bots, Avataren und so-
zialen Robotern zu. Diese künstlichen sozialen Akteure sind ihrerseits daraufhin zu
untersuchen, inwiefern sie nicht geschlechtsneutral, sondern geschlechtlich gestaltet
904 N. Döring

sind (z. B. Android versus Gynoid; Malebot versus Fembot) und dabei tradierte
Geschlechterstereotype transportieren (Søraa 2017). So ist es vermutlich kein Zufall,
dass die bekanntesten digitalen Sprachassistenzsysteme, „Alexa“ von Amazon,
„Cortana“ von Microsoft und „Siri“ von Apple, mit femininen Namen, Stimmen
und Sprachmustern arbeiten; schließlich sind statusniedere Assistenzaufgaben tra-
ditionell weiblich konnotiert (Hannon 2016). Geschlechterstereotype werden bei der
Gestaltung von Robotern ganz bewusst eingesetzt, um die Erwartungen der Nutzen-
den an die Technik zu steuern. So wird ein durch Name, Stimme und körperliches
Erscheinungsbild (z. B. Haarlänge, Hip-Waist-Ratio) feminin gestalteter Roboter
geschlechtsrollenkonform als unbedrohlich, freundlich und hilfsbereit wahrgenom-
men (Eyssel und Hegel 2012; Trovato et al. 2018). Er ist aber auch sexueller
Belästigung ausgesetzt (Cercas und Rieser 2018). Eine bis ins Karikaturhafte über-
steigerte Stereotypisierung und Sexualisierung zeigen weibliche Sexroboter, also
Roboter, die für parasoziale sexuelle Interaktionen und parasoziale romantische
Bindungen einsetzbar sind (Döring 2017). Sie können bei Frauen Konkurrenzängste,
Selbstzweifel und Eifersucht auslösen (Szczuka und Krämer 2018).
Die psychologischen Negativfolgen von Geschlechterstereotypisierung und sexu-
eller Objektifizierung werden für Massenmedien, Soziale Medien und technische
Artefakte wie Roboter jeweils ganz ähnlich konzeptualisiert (Scharrer 2014). Zum
einen wird die Gefahr gesehen, dass klischeehafte, sexualisierte und objektifizieren-
de mediale und technische Frauenbilder Jungen und Männer darin bestärken, dann
auch reale Mädchen und Frauen als ihnen untergeordnete Sexualobjekte zu betrach-
ten und zu behandeln, bis hin zu sexueller Belästigung und Gewalt. Zum anderen
wird die Gefahr gesehen, dass klischeehafte mediale und technische Frauenbilder
Mädchen und Frauen vermitteln, dass sie Anerkennung nur über möglichst perfektes
Aussehen erreichen können, was sich negativ auf ihr Selbstwertgefühl und Körper-
bild auswirkt und mit Essstörungen und Depressionen in Zusammenhang gebracht
wird (APA 2007; Grabe et al. 2008).
Die psychologische Forschung in diesem Themenfeld ist wichtig, da sie den
Fortbestand ausgeprägter Geschlechterstereotypisierungen in Medieninhalten und
Medientechnologien belegt und damit auch Handlungsempfehlungen gibt: Im Sinne
einer Förderung von Medien- und Technikkompetenz müssen Medien- und Technik-
nutzende für die Verbreitung und die Gefahren medialer Geschlechterstereotypisie-
rungen sensibilisiert werden (Döveling und Fischer 2014; Döveling 2016). Im Sinne
der Medien- und Technikgestaltung ist gleichzeitig daran zu arbeiten, vielfältige,
egalitäre und auch stereotypkonträre Geschlechterrepräsentationen zu schaffen und
zu fördern.
Eine gendersensible Forschung auf diesem Feld sollte folgende Limitationen
vermeiden: (1) alleiniger Fokus auf Mädchen und Frauen, (2) einseitige Kritik und
Schuldzuweisung an Mädchen und Frauen sowie (3) essenzialistische Technikkritik:
Auch wenn Mädchen und Frauen von medialen Stereotypisierungen sowie sexueller
Objektifizierung und deren Negativfolgen besonders stark betroffen sind, sollten
Jungen und Männer sowie Menschen weiterer Geschlechter nicht ausgeblendet
werden, da auch für sie mediale Geschlechterstereotype ein Problem darstellen
können (Greenwood und Lippman 2010). So scheint z. B. der mediale Schönheits-
Psychologische Zugänge zu Medien und Geschlecht: Medienpsychologie und . . . 905

druck auf Jungen und Männer zu steigen, denen zunehmend eine übernatürliche
Muskularität abverlangt wird (Vandenbosch und Eggermont 2013). Forschungsde-
signs mit mehr geschlechtlicher Vielfalt und unter Berücksichtigung von Intersek-
tionalität wären wünschenswert (zur Quantifizierung von Intersektionalität siehe
Bowleg und Bauer 2016; Else-Quest und Hyde 2016). Aus theoretischer und
empirischer Perspektive interessant wäre etwa die Untersuchung von trans und
genderqueeren Personen, die Feminitäts-Codes (z. B. aufwändige Langhaarfrisur,
auffälliges Make-Up, körperbetonte Kleidung) verwenden, was dann aber üblicher-
weise als positiver Selbstausdruck gewürdigt und nicht als schädliche Selbst-
Sexualisierung verstanden wird.
In der rezenten öffentlichen und akademischen Debatte um gefährliche sexu-
elle Selbst-Objektifizierung von Mädchen und jungen Frauen in Sozialen Medien
(„Mädchen betreiben Striptease vor der Webcam und locken damit Pädophile an“,
„Mädchen treiben sich auf Instagram gegenseitig in die Magersucht“) sind aus
feministischer Sicht vier Probleme zu identifizieren (Döring 2015b; Egan und
Hawkes 2008; Lerum und Dworkin 2009; Page Jeffery 2017; Vanwesenbeeck
2009): 1. reduktionistische Erklärungsmodelle (Essstörungen haben vielfältige gesell-
schaftliche, familiäre, psychologische und genetische Ursachen und sind nicht auf
Medieneffekte zu reduzieren), 2. Victim-Blaming (Mädchen wird selbst die Schuld an
ihren Problemen – seien es sexuelle Viktimisierung oder Essstörungen – zugeschrie-
ben, denn sie erzeugen ihre Probleme angeblich mutwillig selbst durch ihre falsche
Mediennutzung; damit werden Scham- und Schuldgefühle gefördert und Unterstüt-
zung wird entzogen), 3. Bekräftigung von Geschlechterstereotypen (Mädchen werden
als notorisch naive, selbstverliebte und leichtsinnige Mediennutzerinnen vorgeführt;
ihre vorhandene Medienkompetenz wird negiert), 4. repressive und sexualfeindliche
Haltungen (jeglicher sexueller Selbstausdruck von Mädchen wird als schädliche
Selbst-Sexualisierung eingeordnet; es bleibt in solchen Forschungskontexten theore-
tisch und empirisch kein Raum für lustvolle und selbstbestimmte sexuelle Selbstex-
ploration in digitalen Kontexten).
In Teilen der psychologischen Fachliteratur findet sich eine essenzialistische
Technikkritik, die bestimmten Technologien – aktuell beispielsweise den Sexrobo-
tern – per se Frauenfeindlichkeit bescheinigt. Dabei wird vernachlässigt, dass Tech-
nik über öffentliche Technikdiskurse gestaltbar ist und somit Forschungsfragen
danach, welche Liebes- und Sexroboter mit welchen Funktionen und für welche
Einsatzszenarien sich denn Frauen, Queers oder Menschen mit Behinderungen
wünschen, hochrelevant sind, um den männerzentrierten Fokus bei der Technikent-
wicklung zu überwinden (Döring 2017; Döring und Poeschl 2019).

2.3 Welche negativen und positiven Wirkungen haben Medien


auf die Geschlechterverhältnisse?

Medienwirkungen auf die Geschlechterverhältnisse werden aus medien- und sozi-


alpsychologischer Sicht überwiegend negativ konzeptualisiert. Die bisherigen Aus-
906 N. Döring

führungen zusammenfassend lassen sich vor allem fünf Negativwirkungen heraus-


stellen:

1. Ausgrenzung von Frauen aus Medienwelten: Geschlechterdifferenzen bei der


Mediennutzung und Medienproduktion stellen sich nicht selten als Ausdruck
und Folge der Ausgrenzung von Frauen dar (z. B. aus der Video-Produktion
auf YouTube, aus der Mitarbeit an der Wikipedia oder der Beteiligung an
Gaming-Communitys). In der Folge werden bestimmte Medienwelten als Män-
nerwelten bestätigt. Mädchen und Frauen entgehen damit Handlungsfelder für
Freizeit, berufliche Entwicklung, kulturelle Teilhabe und Mitgestaltung.
2. Förderung von Aggressivität vor allem bei Jungen und Männern: Bei Jungen und
Männern wird aufgrund ihrer stärkeren Affinität zu gewalthaltigen Medieninhal-
ten (z. B. Shooter Games, Horrorfilme) eine aggressionsförderliche Medienwir-
kung problematisiert (Greenwood und Lippman 2010).
3. Förderung von Sexismus und sexueller Gewalt vor allem bei Jungen und Män-
nern: Bei Jungen und Männern wird zudem als Folge der Rezeption sexistischer
und sexualisierender medialer Frauenbilder teilweise eine Bekräftigung sexisti-
scher Einstellungen und sexuell übergriffiger Verhaltensweisen nachgewiesen
(Galdi et al. 2014).
4. Förderung von sexueller Selbst-Objektifizierung und Störungen des Körper- und
Selbstbildes vor allem bei Mädchen und Frauen: Bei Mädchen und Frauen wird
aufgrund der großen Menge idealisierter und sexualisierender medialer Mädchen-
und Frauenbilder eine verstärkte sexuelle Selbst-Objektifizierung und Beein-
trächtigung des Körperbildes, des Selbstwerts und der psychischen Gesundheit
festgestellt (APA 2007; Greenwood und Lippman 2010; Karsay et al. 2018).
5. Bekräftigung tradierter Geschlechterrollen: Eine weitere psychologische Nega-
tivwirkung geschlechterstereotyper Medienbilder kann darin liegen, dass sowohl
das weibliche als auch das männliche Medienpublikum dazu angeleitet wird,
stärker in Geschlechterstereotypen zu denken und sich dann selbst stärker ent-
sprechend tradierter Geschlechterrollen zu verhalten. Sei es, weil sie sich durch
rollenkonformes Verhalten in ihrer Geschlechtsidentität bestätigt fühlen, sei es,
weil sie sich rollennonkonformes Verhalten kaum zutrauen (sog. stereotype
threat: Bedrohung durch Stereotype; Greenwood und Lippman 2010). Damit
werden private und berufliche Selbstentfaltungsmöglichkeiten jenseits tradierter
Geschlechterrollen beschnitten.

Wenngleich über diese negativen Medienwirkungen weitgehend Konsens


herrscht, ist zu beachten, dass die Effektgrößen in Abhängigkeit von der Art des
Medienangebots, der Art der Nutzung, den Merkmalen der Person, der Situation und
der Umwelt stark variieren können. So gilt gute Medienkompetenz als wichtiger
Schutzfaktor vor negativen Medienwirkungen. Umgekehrt sind vulnerable Personen
für negative Medienwirkungen besonders anfällig.
Nur vereinzelt werden in der psychologischen Medienforschung positive, mit
Geschlechtergleichberechtigung, Emanzipation und Selbst-Empowerment einherge-
hende Medieneffekte untersucht. Diese sind stärker im Fokus geistes- und kultur-
Psychologische Zugänge zu Medien und Geschlecht: Medienpsychologie und . . . 907

wissenschaftlicher Medienforschung (z. B. Hoffmann 2017; Jackson 2018). Den-


noch haben zwei medienpsychologische Fachzeitschriften in ihren jeweiligen Son-
derheften zu Geschlecht und Medien ausdrücklich nicht nur auf die bekannten
Risiken, sondern auch auf die Chancen von Medien für Geschlechtergleichberech-
tigung hingewiesen: Das Journal CyberPsychology & Behavior hat im Jahr 2000
ein Sonderheft „Women and the Internet: Promise and Perils“ herausgebracht, das
emanzipatorische Aspekte des Internet im Zusammenhang mit feministischem
Online-Aktivismus (Kennedy 2000) und mit sexueller Selbstbestimmung von
Frauen (Döring 2000) thematisiert. Die Fachzeitschrift Psychology of Popular
Media Culture hat 2015 ein Sonderheft zu „Gender Stereotypes in the Media“
veröffentlicht, das unter anderem aufzeigt, dass das Hören gleichstellungsorientierter
Songs (z. B. „Respect“ von Aretha Franklin) geschlechtergleichberechtigte Einstel-
lungen fördern kann (Greitemeyer et al. 2015).
Zu beachten ist auch, dass sich die Medienlandschaft grundsätzlich vervielfältigt
und ausdifferenziert. Zwar orientieren sich die populärsten Social-Media-Kanäle
und -Profile oft an herkömmlichen Geschlechterklischees. Dennoch gibt es eine
Fülle an Social-Media-Angeboten, die wesentlich vielfältigere Rollenmodelle zei-
gen als die herkömmlichen Massenmedien (Döring 2019). Zudem organisieren sich
im Internet feministische Gegenöffentlichkeiten und werden auch alternative Kör-
perbilder sichtbar gemacht und gewürdigt (z. B. #bodypositivity). Solche Inhalte
können jedoch nur in dem Maße positiv im Sinne von Empowerment und Emanzi-
pation wirken, wie sie von nennenswerten Publika gefunden und genutzt werden.
Damit ist einerseits die Medienkompetenz angesprochen, aber auch die Verantwor-
tung der Plattformen, deren Algorithmen z. B. so gestaltet sein könnten, dass nicht
nur die populären Mainstream-Inhalte verbreitet, sondern auch Nischen-Inhalte
sichtbarer gemacht werden.

3 Psychologische Theorien zur Untersuchung von Medien


und Geschlecht

Bei allen Studien, die sich empirisch mit Geschlechterfragen befassen, ist die
Konzeptualisierung von Geschlecht entscheidend. Eine einfache binäre Einordnung
der Untersuchungsteilnehmenden als „weiblich“ oder „männlich“ greift zu kurz,
weil das Spektrum der Geschlechter größer ist (z. B. divers, trans , inter ) und weil
aus psychologischer Sicht die subjektive Geschlechtsidentität (d. h., in welchem
Maße definiert sich eine Person beispielsweise als weiblich, männlich, androgyn
oder agender; Bem 1974) aussagekräftiger ist. Geschlechterforschung sollte sich
über ihr Konzept von Geschlecht klar werden (Muehlenhard und Peterson 2011) und
dann auch passende Operationalisierungen wählen (Döring 2013). Das bis heute
populärste Instrument zur Messung der Geschlechtsidentität ist das Bem Sex Role
Inventory BSRI der Sozialpsychologin Sandra Bem (1974), das auch auf Deutsch
vorliegt (Troche und Rammsayer 2011). Es basiert auf einem eigenschaftsorientier-
ten Modell der Geschlechtsidentität, neben dem noch ein kategorienbasierter Ansatz
existiert (Wood und Eagly 2015).
908 N. Döring

Eine explizite theoretische Klärung und darauf aufbauende Operationalisierung


ist nicht nur wichtig für „Geschlecht“, sondern auch für alle anderen zentralen
Konzepte in diesem Forschungsfeld, seien es „Geschlechterstereotype“, „Vorur-
teile“, „Diskriminierung“, „Objektifizierung“ oder „Sexismus“. Hier spielen jeweils
sozialpsychologische Theorien eine zentrale Rolle (Eckes 2008; Fiske 1998; Fred-
rickson und Roberts 2016).
Verschiedene psychologische Theorien sind darauf angelegt, Medieneffekte auf
Geschlechterverhältnisse zu erklären. Mit der Gender Schema Theorie der Sozial-
psychologin Sandra Bem (1981) würde man vorhersagen, dass Medieninhalte, die
Geschlechterstereotype transportieren, Mediennutzende dazu anleiten, gendersche-
matisch zu denken und zu handeln, also sich selbst und andere Menschen anhand
von Geschlechterrollen einzuordnen (Starr und Zurbriggen 2017). Ähnlich argu-
mentiert die sozial-kognitive Theorie der Massenkommunikation des Sozialpsycho-
logen Albert Bandura (2001). Demnach geben Medien Geschlechterrollen vor, die
zum einen direkt auf das Denken, Fühlen und Handeln der Mediennutzenden wirken
und zum anderen indirekt über den kulturellen Einfluss der Medien Effekte entfalten.
Die Theorie der differenziellen Anfälligkeit für Medieneffekte der Medienwissen-
schaftlerin Patti Valkenburg (Valkenburg und Peter 2013) stellt eine Synthese diver-
ser Medienwirkungstheorien dar und betont, dass Medieneffekte stark von indivi-
duellen Voraussetzungen und von den Medieninhalten sowie von Rückkopplungen
im Mediennutzungsprozess abhängen.

4 Psychologische Methoden zur Untersuchung von Medien


und Geschlecht

Psychologische Forschung zu Medien und Geschlecht findet meist in einem quan-


titativen Forschungsparadigma statt, seltener in Form von qualitativen Studien
(z. B. Luca 2003). Die quantitativen Studiendesigns sind dabei manchmal experi-
mentell und fokussieren dann auf die kurzfristige Wirkung einzelner ausgewählter
Medienstimuli (z. B. Greitemeyer et al. 2015). Oft aber sind sie korrelativ und stellen
mittels Befragungsdaten Beziehungen zwischen der langfristigen Mediennutzung im
Alltag und diversen Outcome-Variablen her (z. B. Stermer und Burkley 2015). Echte
Längsschnittstudien mit mehreren Erhebungszeitpunkten sind wegen ihrer hohen
Kosten selten (z. B. Breuer et al. 2015). An Bedeutung gewinnt die Forschungs-
synthese in Form von Übersichtsbeiträgen (z. B. Greenwood und Lippman 2010;
Scharrer 2014) und Meta-Analysen (z. B. Grabe et al. 2008; Sun und Fan 2018;
Tifferet 2019; Karsay et al. 2018).
Bei den Datenerhebungsmethoden dominieren in der psychologischen Medien-
nutzungs- und Medienwirkungsforschung schriftliche Befragungs- und Testmetho-
den. Hierzu werden dann die zu den Theorien passenden psychometrischen Skalen
zur Messung von Geschlechtsidentität (Bem Sex Role Inventory BSRI, Bem 1974;
Troche und Rammsayer 2011), Geschlechterstereotypen (z. B. Prozentschätzme-
thode, Eckes 1997), Sexismus (Ambivalent Sexism Inventory ASI, Glick und Fiske
Psychologische Zugänge zu Medien und Geschlecht: Medienpsychologie und . . . 909

1996) oder sexueller Selbst-Objektifizierung (Self-Objectification Questionnaire


SOQ, Noll und Fredrickson 1998) eingesetzt.
Sollen die Konzepte nicht an Personen-, sondern an Medienstichproben erhoben
werden, so müssen die Selbstauskunfts-Skalen in Codebücher transformiert werden.
In der Medieninhaltsforschung kommt vor allem die quantitative Medieninhaltsana-
lyse zum Tragen, wobei auch hier etablierte Codierschemata existieren, etwa in der
Tradition des Instruments von Erving Goffman (1979), um die visuelle Unterord-
nung von Frauen zu messen (z. B. Döring und Pöschl 2006; Döring 2016). In der
Forschung zu Medien und Geschlecht werden in Zukunft innovative methodische
Ansätze wie Neuroimaging (Rippon et al. 2014) und Big-Data-Analysen eine noch
größere Rolle spielen.

5 Fazit

Die bisherige psychologische Forschung zu Medien und Geschlecht ist stark auf
Frauen und Männer beschränkt. Wichtig ist zukünftig die Berücksichtigung von
weiteren Geschlechtern (z. B. trans , inter, genderqueer, agender) sowie von Inter-
sektionalität im Sinne der Differenzierung innerhalb von Geschlechtergruppen
(z. B. nach sexueller Identität, Religion, Ethnizität, sozioökonomischem Status oder
Behinderung). Das Einlösen dieser theoretischen Ansprüche verlangt entsprechende
methodische und empirische Voraussetzungen, vor allem die Verfügbarkeit und
Nutzung differenzierter Messmethoden für Geschlechterkonzepte und entsprechend
große und heterogene Personen- und Medienstichproben.
Bislang ist die psychologische Forschung zu Medien und Geschlecht in erster
Linie auf Massenmedien konzentriert. In der letzten Dekade sind Soziale Medien
hinzugekommen. Wichtig wird es zukünftig sein, die jeweils innovativen Medien-
technologien (aktuell etwa soziale Roboter) frühzeitig und umfassend in die femi-
nistische Forschung einzubeziehen. Denn nur eine rechtzeitige Beteiligung ermög-
licht dann auch praktische Einflussnahme im Sinne geschlechtergleichberechtigter
Technikgenese.
Den medien- und sozialpsychologischen Perspektiven auf Medien und Ge-
schlecht ist gemeinsam, dass sie bis heute vor allem negative Medieneffekte betrach-
ten. Hier wäre eine stärkere Öffnung des Forschungsfeldes für positive Medien-
effekte sinnvoll. Eine einseitig negative Betrachtung läuft Gefahr, ihrerseits
Geschlechterstereotype (z. B. Mädchen als angeblich notorisch naive und inkompe-
tente Social-Media-Nutzerinnen) und repressive Normen (z. B. jeglicher sexuelle
Selbstausdruck von Mädchen in Sozialen Medien ist schädliche „Selbst-Sexualisie-
rung“) zu verbreiten. Für eine ausgewogenere Betrachtung wäre anzuknüpfen an die
humanistische Positive-Psychology-Bewegung (Seligman und Csikszentmihalyi
2014), die den traditionell einseitigen Fokus des Faches Psychologie auf Probleme
und Störungen erweitert um die Beschäftigung mit menschlichen Stärken und
Faktoren des Wohlbefindens. In dieser Tradition wird in der Sexualforschung ein
Positive-Sexuality-Ansatz vertreten, der dazu aufruft, Sexualität nicht nur mit Blick
auf Risiken und Gefahren zu behandeln, sondern Chancen und Ressourcen stärker
910 N. Döring

zu beachten (Williams et al. 2015). Dasselbe gilt für die Technikentwicklung, die
nicht einseitig mit einer Verdrängung des Menschlichen und Verschlechterung des
Zwischenmenschlichen gleichzusetzen ist, sondern – bei bewusster Technikgestal-
tung – zum „guten Leben“ beitragen kann, wie der Positive-Technology-Ansatz
ausführt (Riva et al. 2012). Ein besseres Verständnis für positive Medienwirkungen
auf die Geschlechterverhältnisse meint dabei natürlich nicht, anhaltende Probleme
mit Ausgrenzungen und Stereotypierungen in Medienwelten zu negieren.

Literatur
APA. 2007. Report of the APA task force on the sexualization of girls. https://www.apa.org/pi/
women/programs/girls/report-full.pdf. Zugegriffen am 16.04.2019.
Aretz, Wera, Dominic-Nicolas Gansen-Ammann, Katja Mierke, und Annika Musiol. 2017. Date me
if you can: Ein systematischer Überblick über den aktuellen Forschungsstand von Online-
Dating. Zeitschrift für Sexualforschung 30(01): 7–34.
Aronson, Elliot, Timothy D. Wilson, und Robin M. Akert. 2014. Sozialpsychologie, 8., akt. Aufl.
Hallbergmoos: Pearson.
Aubrey, Jennifer Stevens, und Kristen Harrison. 2004. The gender-role content of children’s
favorite television programs and its links to their gender-related perceptions. Media Psychology
6(2): 111–146.
Bandura, Albert. 2001. Social cognitive theory of mass communication. Media Psychology 3(3):
265–299.
Bem, Sandra Lipsitz. 1974. The measurement of psychological androgyny. Journal of Consulting
and Clinical Psychology 42(2): 155–162.
Bem, Sandra Lipsitz. 1981. Gender schema theory: A cognitive account of sex typing. Psycholo-
gical Review 88(4): 354–364.
Bowleg, Lisa, und Greta Bauer. 2016. Invited reflection. Psychology of Women Quarterly 40(3):
337–341.
Breuer, Johannes, Rachel Kowert, Ruth Festl, und Thorsten Quandt. 2015. Sexist games = sexist
gamers? A longitudinal study on the relationship between video game use and sexist attitudes.
Cyberpsychology, Behavior and Social Networking 18(4): 197–202.
Cercas Curry, Amanda, und Verena Rieser. 2018. #Metoo Alexa: How conversational systems
respond to sexual harassment. In Proceedings of the second ACL workshop on ethics in natural
language processing, Hrsg. Mark Alfano, Dirk Hovy, Margaret Mitchell, und Michael Strube,
7–14. Stroudsburg: Association for Computational Linguistics.
Cohen, Rachel, Toby Newton-John, und Amy Slater. 2018. ‚Selfie‘-objectification: The role of
selfies in self-objectification and disordered eating in young women. Computers in Human
Behavior 79:68–74.
Collins, Rebecca L. 2011. Content analysis of gender roles in media: Where are we now and where
should we go? Sex Roles 64(3–4): 290–298.
Döring, Nicola. 2000. Feminist views of cybersex: victimization, liberation, and empowerment.
Cyberpsychology & Behavior 3(5): 863–884.
Döring, Nicola. 2013. Zur Operationalisierung von Geschlecht im Fragebogen: Probleme und
Lösungsansätze aus Sicht von Mess-, Umfrage-, Gender- und Queer-Theorie. Gender – Zeit-
schrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft 5(2): 94–113.
Döring, Nicola. 2015a. Die YouTube-Kultur im Gender-Check. merz – medien + erziehung,
zeitschrift für medienpädagogik 59(1): 17–24.
Döring, Nicola. 2015b. Gefährliche Videoübertragung aus dem Kinderzimmer? YouNow im
Faktencheck. merz – medien + erziehung, zeitschrift für medienpädagogik 59(3): 51–58.
Psychologische Zugänge zu Medien und Geschlecht: Medienpsychologie und . . . 911

Döring, Nicola. 2016. Gendersensible Förderung von Medienkompetenz: Was ist zu tun? ajs
informationen 52(1): 22–28.
Döring, Nicola. 2017. Vom Internetsex zum Robotersex: Forschungsstand und Herausforderungen
für die Sexualwissenschaft. Zeitschrift für Sexualforschung 30(01): 35–57.
Döring, Nicola. 2019. Videoproduktion auf YouTube: Die Bedeutung von Geschlechterbildern. In
Handbuch Medien und Geschlecht: Perspektiven und Befunde der feministischen Kommunika-
tions- und Medienforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija
Ratković. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Döring, Nicola, und M. Rohangis Mohseni. 2018. Male dominance and sexism on YouTube:
Results of three content analyses. Feminist Media Studies. https://doi.org/10.1080/14680777.
2018.1467945.
Döring, Nicola, und M. Rohangis Mohseni. 2020. Gendered hate speech in YouTube and YouNow
comments: Results of two content analyses. Studies in Communication and Media 9(1): 62–88.
Döring, Nicola, und Sandra Pöschl. 2006. Images of men and women in mobile phone advertise-
ments: A content analysis of advertisements for mobile communication systems in selected
popular magazines. Sex Roles 55(3–4): 173–185.
Döring, Nicola, und Sandra Poeschl. 2019. Love and sex with robots: A content analysis of media
representations. International Journal of Social Robotics 11(4): 665–677.
Döveling, Katrin. 2016. Gender in Serie. Alles nur Seifenblase oder Tabubruch als Programm? Eine
medienethische Analyse genderspezifischer Darstellungs- und Aneignungsmuster in populären
Serienformaten. In Eine Frage der Ethik? Eine Ethik des Fragens – interdisziplinäre Untersu-
chungen zu Medien, Ethik und Geschlecht, Hrsg. Sigrid Kannengießer, Claudia Riesmeyer,
Ingrid Stapf, und Larissa Krainer, 123–152. Weinheim: Beltz Juventa.
Döveling, Katrin, und Jana Fischer. 2014. Typisch Mann – Typisch-Frau. Gender-Stereotype in den
Medien. Medienethische Perspektiven. In Gender, Ethik, und Medien, Schriftenreihe Medien-
ethik, Hrsg. Petra Grimm und Oliver Zöllner, 115–140. Stuttgart: Franz Steiner.
Eckes, Thomas. 1997. Geschlechterstereotype: Frau und Mann in sozialpsychologischer Sicht.
Pfaffenweiler: Centaurus-Verlag-Ges.
Eckes, Thomas. 2008. Geschlechterstereotype: Von Rollen, Identitäten und Vorurteilen. In Hand-
buch Frauen- und Geschlechterforschung, Hrsg. Ruth Becker und Beate Kortendiek, 171–182.
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Egan, R. Danielle, und Gail L. Hawkes. 2008. Endangered girls and incendiary objects: Unpacking
the discourse on sexualization. Sexuality & Culture 12(4): 291–311.
Else-Quest, Nicole M., und Janet Shibley Hyde. 2016. Intersectionality in quantitative psycholo-
gical research. Psychology of Women Quarterly 40(3): 319–336.
Eyssel, Friederike, und Frank Hegel. 2012. (S)he's got the look: Gender stereotyping of robots.
Journal of Applied Social Psychology 42(9): 2213–2230.
Fiske, Susan T. 1998. Stereotyping, prejudice, and discrimination. In Handbook of social psycho-
logy, Hrsg. Daniel T. Gilbert, Susan T. Fiske, und Gardner Lindzey, 357–411. New York:
McGraw-Hill.
Fredrickson, Barbara L., und Tomi-Ann Roberts. 2016. Objectification theory: Toward understan-
ding women's lived experiences and mental health risks. Psychology of Women Quarterly 21(2):
173–206.
Galdi, Silvia, Anne Maass, und Mara Cadinu. 2014. Objectifying media: Their effect on gender role
norms and sexual harassment of women. Psychology of Women Quarterly 38(3): 398–413.
Glick, Peter, und Susan T. Fiske. 1996. The ambivalent sexism inventory: Differentiating hostile
and benevolent sexism. Journal of Personality and Social Psychology 70(3): 491–512.
Goffman, Erving. 1979. Gender advertisements. Cambridge, MA: Harvard University Press.
Grabe, Shelly, L. Monique Ward, und Janet Shibley Hyde. 2008. The role of the media in body
image concerns among women: A meta-analysis of experimental and correlational studies.
Psychological Bulletin 134(3): 460–476.
Grau, Stacy Landreth, und Yorgos C. Zotos. 2016. Gender stereotypes in advertising: A review of
current research. International Journal of Advertising 35(5): 761–770.
912 N. Döring

Greenwood, Dara N., und Julia R. Lippman. 2010. Gender and media: Content, uses, and impact. In
Handbook of gender research in psychology. Volume 2: Gender research in social and applied
psychology, Hrsg. Joan C. Chrisler und Donald R. McCreary, 643–669. New York: Springer.
Greitemeyer, Tobias, Jack Hollingdale, und Eva Traut-Mattausch. 2015. Changing the track in
music and misogyny: Listening to music with pro-equality lyrics improves attitudes and
behavior toward women. Psychology of Popular Media Culture 4(1): 56–67.
Groen, Maike, und Arne Schröder. 2015. Jugendkultur im Binärsystem? Perspektiven auf Gender
und sexuelle Identitäten in Online-Spielen. In Selbstbestimmung und Anerkennung sexueller
und geschlechtlicher Vielfalt, Hrsg. Friederike Schmidt, Anne-Christin Schondelmayer, und Ute
B. Schröder, 193–203. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Hannon, Charles. 2016. Gender and status in voice user interfaces. Interactions 23(3): 34–37.
Hartmann, Tilo, und Christoph Klimmt. 2017. Gender and computer games: Exploring femalesʼ
dislikes. Journal of Computer-Mediated Communication 11(4): 910–931.
Hegarty, Peter, und Felicia Pratto. 2004. The differences that norms make: Empiricism, social
constructionism, and the interpretation of group differences. Sex Roles 50(7/8): 445–453.
Hill, Benjamin Mako, und Aaron Shaw. 2013. The Wikipedia gender gap revisited: Characterizing
survey response bias with propensity score estimation. PloS one 8(6): e65782.
Hoffmann, Dagmar. 2017. (Self-)Empowerment und Medienpraktiken im Netz. In Das umkämpfte
Netz, Hrsg. Ralf Biermann und Dan Verständig, 111–127. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Hyde, Janet Shibley. 1994. Should psychologists study gender differences? Yes, with some
guidelines. Feminism & Psychology 4(4): 507–512.
Jackson, Sue. 2018. Young feminists, feminism and digital media. Feminism & Psychology 28(1):
32–49.
Page Jeffery, Catherine. 2017. Too sexy too soon, or just another moral panic? Sexualization,
children, and „technopanics“ in the Australian media 2004–2015. Feminist Media Studies 18(3):
366–380.
Karsay, Kathrin, Johannes Knoll, und Jörg Matthes. 2018. Sexualizing media use and self-
objectification: A meta-analysis. Psychology of Women Quarterly 42(1): 9–28.
Kennedy, Tracy L. M. 2000. An exploratory study of feminist experiences in cyberspace. Cyber-
psychology & Behavior 3(5): 707–719.
Kleemans, Mariska, Serena Daalmans, Ilana Carbaat, und Doeschka Anschütz. 2017. Picture
perfect: The direct effect of manipulated Instagram photos on body image in adolescent girls.
Media Psychology 21(1): 93–110.
Lerum, Kari, und Shari L. Dworkin. 2009. „Bad Girls Rule“: An interdisciplinary feminist
commentary on the report of the APA Task Force on the Sexualization of Girls. Journal of
Sex Research 46(4): 250–263.
Luca, Renate. 2003. Medien. Sozialisation. Geschlecht. Fallstudien aus der sozialwissenschaftli-
chen Forschungspraxis. München: kopaed.
Morahan-Martin, J. 1998. The gender gap in Internet use: Why men use the Internet more than
women–A literature review. CyberPsychology & Behavior 1(1): 3–10.
mpfs. 2018. JIM-Studie 2018. Jugend, Information, Medien. Basisuntersuchung zum Medienum-
gang 12- bis 19-Jähriger. https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2018/Studie/JIM2018_
Gesamt.pdf. Zugegriffen am 16.04.2019.
Muehlenhard, Charlene L., und Zoe D. Peterson. 2011. distinguishing between sex and gender:
History, current conceptualizations, and implications. Sex Roles 64(11–12): 791–803.
Mühlen-Achs, Gitta. 2003. Frauenbilder: Konstruktionen des anderen Geschlechts. In Geschlecht
und Medien, Reihe Medienpädagogik, Band 7, Hrsg. Bernd Schorb, 13–37. München: kopaed.
Noll, Stephanie M., und Barbara L. Fredrickson. 1998. A mediational model linking self-
objectification, body shame, and disordered eating. Psychology of Women Quarterly 22(4):
623–636.
Oberst, Ursula, Vanessa Renau, Andrés Chamarro, und Xavier Carbonell. 2016. Gender stereotypes
in Facebook profiles: Are women more female online? Computers in Human Behavior 60:
559–564.
Psychologische Zugänge zu Medien und Geschlecht: Medienpsychologie und . . . 913

Rippon, Gina, Rebecca Jordan-Young, Anelis Kaiser, und Cordelia Fine. 2014. Recommendations
for sex/gender neuroimaging research: Key principles and implications for research design,
analysis, and interpretation. Frontiers in Human Neuroscience 8:650.
Riva, Giuseppe, Rosa M. Baños, Cristina Botella, Brenda K. Wiederhold, und Andrea Gaggioli.
2012. Positive technology: Using interactive technologies to promote positive functioning.
Cyberpsychology, Behavior and Social Networking 15(2): 69–77.
Scharrer, Erica L. 2014. Representations of gender in the media. In The Oxford handbook of media
psychology, Hrsg. Karen Dill, 267–284. Oxford: Oxford University Press.
Seligman, Martin E. P., und Mihaly Csikszentmihalyi, Hrsg. 2014. Positive psychology: An
introduction. In Flow and the foundations of positive psychology, 279–298. Dordrecht: Springer
Netherlands.
Shane-Simpson, Christina, und Kristen Gillespie-Lynch. 2017. Examining potential mechanisms
underlying the Wikipedia gender gap through a collaborative editing task. Computers in Human
Behavior 66:312–328.
Søraa, Roger Andre. 2017. Mechanical genders: How do humans gender robots? Gender, Techno-
logy and Development 21(1–2): 99–115.
Starr, Christine R., und Eileen L. Zurbriggen. 2017. Sandra Bem’s gender schema theory after
34 years: A review of its reach and impact. Sex Roles 76(9–10): 566–578.
Stermer, S. Paul, und Melissa Burkley. 2015. SeX-Box: Exposure to sexist video games predicts
benevolent sexism. Psychology of Popular Media Culture 4(1): 47–55.
Stroebe, Wolfgang, Miles Hewstone, und Klaus Jonas, Hrsg. 2014. Einführung in die Sozialpsy-
chologie. In Sozialpsychologie, 6., vollst. überarb. Aufl., 1–28. Springer-Lehrbuch. Berlin:
Springer.
Sun, Shaojing, und Xitao Fan. 2018. Is there a gender difference in cyber-victimization? A meta-
analysis. Journal of Media Psychology 30(3): 125–138.
Szczuka, Jessica M., und Nicole C. Krämer. 2018. Jealousy 4.0? An empirical study on jealousy-
related discomfort of women evoked by other women and gynoid robots. Paladyn, Journal of
Behavioral Robotics 9(1): 323–336.
Tifferet, Sigal. 2019. Gender differences in privacy tendencies on social network sites: A meta-
analysis. Computers in Human Behavior 93:1–12.
Tifferet, Sigal, und Iris Vilnai-Yavetz. 2014. Gender differences in Facebook self-presentation: An
international randomized study. Computers in Human Behavior 35:388–399.
Trepte, Sabine, und Leonard Reinecke. 2013. Medienpsychologie. Stuttgart: W. Kohlhammer.
Troche, Stefan J., und Thomas H. Rammsayer. 2011. Eine Revision des deutschsprachigen Bem
Sex-Role Inventory. Klinische Diagnostik und Evaluation 4:262–283.
Trovato, Gabriele, Cesar Lucho, und Renato Paredes. 2018. She’s electric – the influence of body
proportions on perceived gender of robots across cultures. Robotics 7(3): 1–12.
Valkenburg, Patti M., und Jochen Peter. 2013. The differential susceptibility to media effects model.
Journal of Communication 63(2): 221–243.
Vandenbosch, Laura, und Steven Eggermont. 2013. Sexualization of adolescent boys. Men and
Masculinities 16(3): 283–306.
Vanwesenbeeck, Ine. 2009. The risks and rights of sexualization: An appreciative commentary on
Lerum and Dworkinʼs „Bad girls rule“. Journal of Sex Research 46(4): 268–270.
Wallis, Cara. 2011. Performing gender: A content analysis of gender display in music videos. Sex
Roles 64(3–4): 160–172.
Williams, D. J., Jeremy N. Thomas, Emily E. Prior, und Wendy Walters. 2015. Introducing a
multidisciplinary framework of positive sexuality. Journal of Positive Sexuality 1:6–11.
Winterhoff-Spurk, Peter. 2001. Kassensturz – Zur Lage der Medienpsychologie. Zeitschrift für
Medienpsychologie 13(1): 3–10.
Wirtz, Markus Antonius, Hrsg. 2013. Dorsch – Lexikon der Psychologie, 16., vollst. überarb. Aufl.
Bern: Huber.
Wood, Wendy, und Alice H. Eagly. 2015. Two traditions of research on gender identity. Sex Roles
73(11–12): 461–473.
Frauenzeitschriften und
Männerzeitschriften

Kathrin Friederike Müller

Inhalt
1 Definition und Typisierung von Frauen- und Männerzeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 916
2 Frauen- und Männerzeitschriften als Gegenstand der Genderforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 918
3 Fazit: Frauen- und Männerzeitschriften aus feministischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 923
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 924

Zusammenfassung
Kommerzielle Frauen- und Männerzeitschriften sind als geschlechterdifferenzieren-
de Medienangebote kritisch diskutierter Gegenstand feministischer Medien- und
Kommunikationsforschung. Ihre Inhalte spiegeln aktuelle, gesellschaftlich geteilte
Perspektiven auf Geschlecht, die jedoch stets dem Common Sense entsprechen und
überwiegend heteronormativ orientiert sind. Ihre Rezeption wird entsprechend als
Auseinandersetzung mit geschlechtsgebundenen Alltagserfahrungen verstanden,
innerhalb derer Geschlecht eher affirmiert als dekonstruiert wird.

Schlüsselwörter
Frauenzeitschrift · Männerzeitschrift · Genderkonstruktionen · Medienrezeption ·
Geschlechterrepräsentationen

K. F. Müller (*)
Institut für Kommunikationswissenschaft, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Münster,
Deutschland
E-Mail: kathrin.mueller@uni-muenster.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 915
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_56
916 K. F. Müller

1 Definition und Typisierung von Frauen- und


Männerzeitschriften

Unter Frauen- und Männerzeitschriften werden periodisch erscheinende Printmedien


verstanden, die geschlechtsgebundene Themen, Erfahrungen und Lebenszusammen-
hänge aufgreifen. Gemeint sind damit Publikumszeitschriften, welche ihre Ziel-
gruppe dezidiert über die Ordnungskategorie Geschlecht ansprechen. Das von
Medienunternehmen eingeführte binäre Unterscheidungsmerkmal dient somit vor
allem dazu, Frauen und Männer als Publikum und damit als Käuferinnen und Käufer
zu gewinnen.
Allerdings wurden lange nur Frauen als das „andere Geschlecht“ und ihre
(angeblichen) Themeninteressen mit einer eigenen Zeitschriftenkategorie gesondert
adressiert – eine Asymmetrie, die in der feministischen Forschung bald problema-
tisiert wurde. Eine unkritische Übernahme des Begriffs Frauenzeitschrift in der
Kommunikationswissenschaft wird u. a. wegen der damit verbundenen unscharfen
Kategorisierung hinterfragt (Klaus und Dorer 2006, S. 76). Da der Begriff „Männer-
zeitschrift“ lange Zeit als Pendant nicht existierte, verletzt die Verwendung des
Begriffs „Frauenzeitschrift“ die wissenschaftlichen Anforderungen (Eindeutigkeit,
Ausschließlichkeit, Vollständigkeit) an eine Kategorienbildung von Medienproduk-
ten einerseits nach Periodizität (Tageszeitungen, Wochen-, Monats- bzw. Vierteljahr-
Zeitschriften) und andererseits nach Themen (Politik-, Garten- oder Lifestyle-
Magazine etc.). Darüber hinaus sollten sich Forscher_innen bewusst sein, dass die
Verwendung des Begriffes ohne entsprechende theoretische Einordnung zu einer
Essentialisierung von Geschlecht beitragen könne (Klaus und Dorer 2006, S. 76).
Vor diesem Hintergrund können folgende Aspekte als primäre Kennzeichen von
Frauenzeitschriften angesehen werden: Sie richten sich „in erster Linie an ein
weibliches Publikum“ und weisen einen hohen Anteil an weiblichen Leserinnen
auf,1 werden also eindeutig von mehr Frauen als Männern gelesen. Darüber hinaus
bieten sie in ihren Inhalten geschlechtsgebundene Themenangebote an, nehmen auf
Geschlechterdiskurse Bezug und machen geschlechtsbezogene Identitätsangebote
(Röser 2005, S. 24). Ausgehend von dieser Basisdefinition lassen sich drei Typen
von Frauenzeitschriften differenzieren:

• Erstens: Klassische Frauenzeitschriften wie Brigitte oder Cosmopolitan wenden


sich mit ihrer Konzentration auf Alltagsthemen wie Mode, Kosmetik, Partner-
schaft, Psychologie und seit den 1990er-Jahren auch Fitness und Ernährung an
ein überwiegend aus der Mittelschicht stammendes Publikum (Lindgens 1982,
S. 338).

1
Röser definiert eine überwiegend weibliche Leser_innenschaft als einen Anteil von 70 Prozent
weiblicher Leserinnen an der Gesamtleser_innenschaft (1992, S. 82). Diese Definition hat sich zur
Bestimmung eines überwiegend weiblichen Publikums langfristig als funktional erwiesen (Müller
2010a, S. 19–21).
Frauenzeitschriften und Männerzeitschriften 917

• Zweitens: Unterhaltende Frauenzeitschriften wie Bild der Frau oder Frau im


Spiegel unterscheiden sich inhaltlich, indem sie vor allem Themen aus dem
Bereich Prominenz, Humor und Lebenshilfe aufgreifen und sich damit eher an
Frauen aus bildungsfernen Schichten richten.
• Drittens: Nicht-kommerzielle Frauenzeitschriften, und hier insbesondere feminis-
tische Frauenzeitschriften wie etwa die seit 1977 erscheinende Emma oder das
seit 2008 herausgegebene Missy Magazine haben sich bedingt durch die Frauen-
bewegung seit Ende der 1960er-Jahre auf dem Markt etabliert. Dieses Format
richtet sich an einkommensstarke Frauen und greift emanzipatorische, gesell-
schaftspolitische und -kritische Themen auf (für eine Definition dieses Typs vgl.
Lindgens 1982, S. 338).2

Zeitschriften, die sich über vergeschlechtlichte Themen wie Auto, Sport oder
Sexualität implizit an Männer als Zielgruppe gerichtet haben, gab es schon vor dem
Aufkommen eher Lifestyle-orientierter Männerzeitschriften (Röser 2005, S. 24).
Männerzeitschriften dieses neuen Typs, die sich dezidiert über das Geschlecht an
ihre Zielgruppe wenden, sind im Vergleich zu Frauenzeitschriften ein relativ junges
Genre, das erst seit den 1990er-Jahren auf dem Zeitschriftenmarkt präsent ist
(Meuser 2001, S. 219). Angelehnt an die oben genannte Definition von Frauenzeit-
schriften betont Bregenstroth (2003, S. 71), dass Männerzeitschriften einen ähn-
lichen Charakter aufweisen, sich also primär mit Themen des Privatlebens beschäf-
tigen und diese anschaulich präsentieren, eine positive Grundhaltung vermitteln,
Kontinuität bezüglich ihrer Inhalte aufweisen und die Differenz zwischen Männern
und Frauen betonen (Bregenstroth 2003, S. 70). Diese Definition trifft auf Zeitschrif-
ten wie Men’s Health oder GQ (Gentlemen’s Quarterly) zu, die vor allem die
Themen Fitness, Lifestyle, Mode und Partnerschaft aufgreifen. Mittlerweile richten
sich zunehmend auch Zeitschriften wie die Kochzeitschrift Beef oder die auf
Berufsfragen spezialisierte Business Punk gezielt an Männer. Wie Frauenzeitschriften
zeichnen sich Männerzeitschriften dadurch aus, dass sie spezifische (geschlechtsge-
bundene) Aspekte oder Erfahrungen aus dem Leben von Männern aufgreifen. Das ist
insofern bemerkenswert, als Männlichkeit in der Gesellschaft lange Zeit als Norm
galt und deshalb medial kaum verhandelt wurde (Meuser 2001, S. 221–222). Das
Aufkommen von explizit als solche bezeichneten Männerzeitschriften weist auf eine
Veränderung des gesellschaftlichen Verständnisses der männlichen Geschlechter-
rolle sowie der Körperlichkeit von Männern hin, die als Folge des gesellschaftlichen
Wandels, bedingt durch die Frauenbewegung und die Etablierung einer somatischen
Kultur (Meuser 2001, S. 224), aufgefordert sind, Männlichkeit bezüglich Identität
und Körper neu zu definieren.

2
Zu Strukturen und Entwicklungen feministischer Zeitschriften vgl. u. a. Krainer 1995; Geiger
2002; Geiger und Hauser 2008; Horak 2008; Notz 2008; Susemichel et al. 2008; zu an lesbisch
lebende Frauen gerichtete Formate vgl. Fieseler 2008.
918 K. F. Müller

2 Frauen- und Männerzeitschriften als Gegenstand der


Genderforschung

Kommerzielle Frauen- als auch Männerzeitschriften werden als populärkulturelle


Formate in der Forschung kontrovers diskutiert. Wiederkehrende Aspekte in der
Debatte um geschlechterdifferenzierende Medien sind die Kritik an den medialen
Repräsentationen von Geschlecht im Zeitschrifteninhalt und deren potenziell ge-
schlechteraffimierende Wirkung, ferner die Analyse von Verbindungen zwischen
Inhalten und dem Alltag der Lesenden und außerdem die Frage nach der Bedeutung
von Geschlecht bei der Lektüre.

2.1 Repräsentationen von Frauenbildern und Geschlecht


in Frauenzeitschriften

In der Frühphase der neueren Forschung zu kommerziellen Frauenzeitschriften


zwischen Ende der 1960er- und Anfang der 1990er-Jahre wurde das Medium aus-
schließlich inhaltsanalytisch untersucht. Im Sinne des Gleichheitsansatzes (Klaus
2005, S. 15), also der Forderung der gesellschaftlichen Gleichbehandlung von
Männern und Frauen, wurde Kritik an den wertkonservativen Inhalten dieser Medi-
enprodukte vorgebracht. Frauenzeitschriften würden demnach traditionelle Rollen-
vorstellungen im Denken der Leserinnen implementieren, um patriarchale Herr-
schaftsstrukturen zu festigen (z. B. Dörner 1962; Ulze 1979; Staab et al. 1987;
Hoefer und Reymann 1994; Stuckard 2000). Frauenzeitschriften galten zudem als
konsumförderndes Umfeld für die Werbewirtschaft sowie als unpolitisch und eman-
zipationsverhindernd (z. B. Bär 1978; Duske 1989; Friedan 1970; Metzger 1990;
Ploetz 1971; Tuchman 1978). Ähnlich argumentiert auch Larissa Krainer (1995,
S. 15–16). Sie zeichnet zuerst die historische Entwicklung von Frauenzeitschriften in
Österreich nach und systematisiert dann zeitgenössische österreichische Frauenzeit-
schriften – auch jenseits des kommerziellen Mainstreams. Sie arbeitet die medialen
Repräsentationen von Frauenleitbildern inhaltsanalytisch heraus und interpretiert
deren wechselvolle Veränderung als „Bild ständiger Rückschritte, genauer Rück-
schläge nach zaghaften Reformbestrebungen“ (Krainer 1995, S. 176). Diese Ent-
wicklung führt sie ähnlich wie Röser (1992) auf gesellschaftliche Veränderungen im
Frauenbild (Krainer 1995, S. 178) und die wechselhafte Präsenz von Frauen in den
Redaktionen zurück (Krainer 1995, S. 177).
Inspiriert durch eine Inhaltsanalyse von Ingrid Langer-El Sayed (1971) begann ab
den späten 1980er-Jahren eine zweite Phase der Frauenzeitschriftenforschung, die
nach dem Zusammenhang zwischen den Inhalten von klassischen Frauenzeitschrif-
ten und der Lebensrealität von Frauen fragte, wie etwa hinsichtlich der medialen
Darstellung berufstätiger Frauen (z. B. Spieß 1988; Janssen 1993). Theoretisch
erfolgte eine Hinwendung zum Differenzansatz, einem Theorieansatz, der sich auf
die Analyse gesellschaftlicher Strukturen konzentriert (Klaus 2005, S. 15) und die
Geschlechterungleichheit als Resultat gesellschaftlicher Verhältnisse begreift. Zwei
Längsschnittstudien liefern besonders instruktive Einsichten (Feldmann-Neubert
Frauenzeitschriften und Männerzeitschriften 919

1991; Röser 1992). Sie untersuchen den redaktionellen Teil der klassischen Frauen-
zeitschrift Brigitte und veranschaulichen, dass der Inhalt der Zeitschrift die Entwick-
lung des weiblichen Lebenszusammenhangs aufgreift. So veränderte sich das Frau-
enbild in Brigitte vom traditionellen Rollenbild der Hausfrau und Mutter hin zur
Thematisierung von Frauen als Mutter und Berufstätige – eine Entwicklung, die
auch das Frauenbild in der Gesellschaft nahm (Röser 1992, S. 303). Auch Horvath
(2000) kann auf Basis einer Bildanalyse nachweisen, dass das in Brigitte visuell
repräsentierte Frauenbild die gesellschaftliche Haltung zu Modernisierungsfragen
aufgreift. Inhaltsanalysen US-amerikanischer Frauenzeitschriften kommen bezüg-
lich der Übereinstimmung zwischen dem Frauenzeitschrifteninhalt und dem gesell-
schaftlichen Common Sense zu ähnlichen Ergebnissen (z. B. Macdonald 1995;
McCracken 1993). Diese Befunde bedeuten jedoch nicht, dass sich die Repräsenta-
tionen von Frauen in klassischen Frauenzeitschriften pluralisierten. Den Referenz-
punkt für die Thematisierung weiblicher Lebenszusammenhänge bildet stets die gut
gebildete, heterosexuelle, weiße Frau aus der Mittelschicht. Lesbisch lebende
Frauen, Migrantinnen oder Arbeiterinnen werden in Frauenzeitschriften weiterhin
kaum repräsentiert. Eine Ausnahme bilden Frauenzeitschriften wie Tina, die eine
Mischung aus Beratung und Unterhaltung für Arbeiterinnen als Zielgruppe anbieten.
Entsprechend thematisieren sie deren Lebenszusammenhang (Röser 1992, S. 289).

2.2 Produktives Vergnügen bei der Frauenzeitschriftenlektüre

Ausgehend von der Frage, welches Vergnügen Leserinnen bei der Lektüre von
Frauenzeitschriften empfinden (McRobbie 1999, S. 49–50), wurde im anglo-
amerikanischen Kontext zunächst theoretisch diskutiert, wie das Rezeptionserleben
in die Forschung zu integrieren sei. Ab den 1990er-Jahren wurden erste Rezepti-
onsstudien durchgeführt, bei denen Leserinnen befragt wurden (z. B. Ballaster et al.
1993). In diesem Zusammenhang wurde erstmals debattiert, wie Medienvergnügen
bei der Lektüre geschlechterdifferenzierender Medieninhalte entsteht. Als Konse-
quenz dieser Debatte wurde das Verhältnis von Medieninhalt, Medienwirkung und
geschlechtsgebundenen Alltagserfahrungen differenzierter betrachtet als zuvor. Es
wurde gezeigt, dass sich der Einfluss der Inhalte von Frauenzeitschriften auf das
Frauenbild der Leserinnen nicht durch einen kausalen Wirkungszusammenhang
erklären lässt (z. B. Gauntlett 2004, S. 187). Die Lektüre von Frauenzeitschriften
erweist sich vielmehr als identitätsstiftend bezüglich des Selbstverständnisses als
Frau (Hermes 1995, S. 40). Ein weiteres zentrales Forschungsergebnis ist zudem,
dass das Frauenzeitschriftenlesen mit den Alltagsrhythmen der Leserinnen harmo-
niert (Hermes 1995, S. 20) und die Inhalte als alltagspraktisch empfunden werden.
Diese Zusammenhänge bestätigen sich in weiteren Forschungsarbeiten (Müller
2010a, S. 231–262; Ytre-Arne 2011a). Klassische Frauenzeitschriften werden rezi-
piert, weil mit der Lektüre Leserituale verbunden sind, die als angenehm empfunden
werden. Die Leserinnen schätzen es, schnell in die Lektüre ein- und wieder ausstei-
gen zu können, falls sie unterbrochen werden (Ytre-Arne 2011a, S. 219–220; dazu
auch Hermes 1995). Die Inhalte von klassischen Frauenzeitschriften werden vor
920 K. F. Müller

dem Hintergrund des Alltags der Leserinnen abgewogen und für relevant befunden
(Ytre-Arne 2011a, S. 220–221). Ferner werden Frauenzeitschriften im Kontext des
Medienrepertoires dafür geschätzt, dass sie geschlechtsgebundene Themen sichtbar
machen, die in anderen Medienangeboten nicht vorkommen (Ytre-Arne 2011a,
S. 222; Müller 2010a, S. 302–304). Darüber hinaus hat das alltags- und lebensnahe
Lektüreerlebnis eine zentrale Bedeutung. Deshalb kommen üblicherweise als öffent-
lichkeitsrelevant bewertete Themen – also solche mit Bezug zu institutioneller
Politik – in Frauenzeitschriften nur bedingt vor (Ytre-Arne 2011b; vgl. dazu auch
Kössler 2012) und werden vom Publikum auch nicht erwartet (Ytre-Arne 2011b,
S. 258). Unabhängig von der geringen Thematisierung politischer Fragen schreiben
die Leserinnen den Inhalten von Frauenzeitschriften eine hohe kulturelle Relevanz
zu. Ytre-Arne argumentiert deshalb mit Hermes (2005) sowie Dahlgren und Sparks
(1992), dass Frauenzeitschriften Ressourcen bereitstellen, die relevant für die Erfah-
rung kultureller Zugehörigkeit sind. Das Medium dient als Vermittler von Erfahrun-
gen und geteilter Symbole, die kollektive – etwa geschlechtliche – Identitäten prägen
(Ytre-Arne 2011b, S. 259) (zur Bedeutung von Frauenzeitschriften als Kompendien
weiblicher Alltagskultur siehe Müller 2010a, S. 279–314).
Im deutschsprachigen Raum erschienen erste Rezeptionsstudien um die Jahr-
tausendwende. Kathrin Steinbrenner (2002) untersucht den Einfluss von Gefühlen
auf die Wahl und die Rezeption von Frauenzeitschriften und kommt zu dem
Ergebnis, dass „das emotionale Zutrauen, das der Rezipient [sic!] zu dem Medium
hat“ (Steinbrenner 2002, S. 214), entscheidend für eine dauerhafte Bindung zu
einer Zeitschrift ist. Zwei weitere Studien (Wilhelm 2004; Meyen 2006) analysie-
ren individuelle Motive für die Rezeption von Frauenzeitschriften und konzentrie-
ren sich dabei auf die Aspekte Alltag, Emotion und Identitätsmanagement. Sie
zeigen, dass Frauenzeitschriften als Ideengeber und Identitätsstifter gelesen wer-
den und als Status- und Lebensstilsymbol gelten. Basierend auf der Theorie der
Cultural Media Studies und unter Einbeziehung dekonstruktivistischer Perspekti-
ven zeigt eine qualitative Studie (mittels Leitfadeninterviews), dass die klassische
Frauenzeitschrift Brigitte produktiv im Alltag angeeignet wird und dass bei der
Lektüre ein Prozess des Doing Gender stattfindet (Müller 2010a, 2012, 2013). Das
Lesen von Brigitte wird von Frauen unterschiedlich in den – auch vergeschlecht-
lichten – häuslichen Alltag eingebunden und dient beispielsweise als „symboli-
scher Feierabend“, wenn es zur Abgrenzung von Familienaufgaben benutzt wird
(Müller 2010a, S. 239, b). Erstmals werden zudem Gender-Artikulationen bei der
Lektüre nachgewiesen und gezeigt, dass Geschlecht sowohl über traditionelle
Rollenentwürfe als auch in Gender-Identifikationen jenseits heteronormativer
Konzepte sowie jenseits von Weiblichkeitsstereotypen konstituiert wird (Müller
2010a, S. 348–351, 353–354, 2013, S. 63–66). Bei der Lektüre von Frauenzeit-
schriften wird also Geschlecht hervorgebracht, jedoch nicht ausschließlich im
Sinne des Zeitschrifteninhalts, sondern produktiv und identitätsstiftend gemäß
dem Selbstverständnis der Leser_innen. Das Frauenzeitschriftenlesen ist demnach
ein ambivalentes Vergnügen, bei dem sich Leser_innen durchaus kritisch und
produktiv mit den Inhalten des Mediums auseinandersetzen (zu ähnlichen Befun-
den kommt Gauntlett 2004, S. 196–197) und sich bei der Bewertung der Reprä-
Frauenzeitschriften und Männerzeitschriften 921

sentationen von Weiblichkeit eng am eigenen Leben beziehungsweise an eigenen


Identitätsentwürfen orientieren (Ytre-Arne 2014).

2.3 Neuere Debatten zu Frauenzeitschriften

Eine relativ junge Debatte stellt die Auseinandersetzung mit der Frage dar, inwiefern
Frauenzeitschriften postfeministische und neoliberale Diskurse unterstützen, indem
sie einen „Stil globalisierter Weiblichkeit“ (McRobbie 2010, S. 93) kommunizieren
und in Modefotografien instabile Weiblichkeit inszenieren (McRobbie 2010,
S. 143). Kauppinen (2013) untersucht davon ausgehend 20 Artikel der deutschspra-
chigen Cosmopolitan zu den Themen Sexualität und Arbeit, um die Vernetzung
zwischen Postfeminismus und Neoliberalismus im Kontext zeitgenössischer Medi-
enkultur herauszuarbeiten. Zentral ist dabei die Frage, wie der Diskurs vom post-
feministischen Selbstmanagement im Rahmen der Artikel der internationalen
Frauenzeitschrift Cosmopolitan funktioniert. Kauppinen macht deutlich, dass Cos-
mopolitan das Bild einer selbstständigen und selbstbewussten Frau entwirft, das aber
nur scheinbar dem feministischen Grundgedanken folgt. Es ist vielmehr Ausdruck
einer Anrufung des unternehmerischen Selbst, welches im Sinne neoliberaler Staat-
lichkeit zur Selbstregulierung auffordert, mit dem Ziel, maximale Leistungsbereitschaft
hervorzubringen (Kauppinen 2013, S. 96). Thomas und Kruse (2013) untersuchen die
Präsenz neoliberaler postfeministische Diskurse im Inhalt neuerer popfeministischer
Zeitschriften und fragen konkret, wie Missy Magazine und fiber die von McRobbie
definierten Aufmerksamkeitsräume des Mode- und Schönheitssystems, von Bildung
und Erwerbstätigkeit, Sexualität, Fertilität und Reproduktion sowie der Globalisierung
(McRobbie 2010, S. 93) ansprechen.3 Die Autorinnen kommen zu dem Ergebnis, dass
die Zeitschriften teilweise neoliberale Weiblichkeiten, insbesondere der selbstbewuss-
ten und erfolgreichen Frau, anrufen, „Kritik an bestehenden Herrschaftsverhältnissen
häufig mit Bezug auf Alltagsleben im Sinne von ‚Lifestyle-Politics‘“ thematisieren,
aber durchaus hegemoniale Konstruktionen durchkreuzen und alternative Aufmerk-
samkeitsräume eröffnen (Thomas und Kruse 2013, S. 186).
Die Frauenzeitschriftenforschung bleibt ein dynamisches Feld, in dem weiterhin
Wirkungs-, Repräsentations- und Entwicklungsfragen verfolgt werden. Beispiels-
weise wird der Einfluss von Geschlechterdarstellungen in Porträts in Frauenzeit-
schriften auf die Zukunftsvorstellungen junger Frauen (z. B. Knobloch-Westerwick
et al. 2014) oder die Repräsentation ethnischer Gruppen im Zeitschrifteninhalt
analysiert (z. B. Hill 2016). Einen weiteren Schwerpunkt bilden Studien zu Reprä-
sentation und Rezeption von Gesundheitsthemen (z. B. McIntosh 2014) und zum
Aufgreifen bestimmter lebensweltlicher Aspekte durch Frauenzeitschriften wie etwa
Erziehungsfragen (z. B. Prusank und Duran 2014) sowie zu nationalspezifischen
Entwicklungen des Genres (z. B. Irimescu 2015) oder spezifischen Themen in

3
Es bleibt offen, welchen Umfang das untersuchte Sample hat und wie die Inhaltsanalyse konkret
methodisch umgesetzt wurde.
922 K. F. Müller

verschiedenen nationalen Kontexten – etwa der Darstellung von Karrierefrauen in


israelischen Frauenzeitschriften (Lachover 2013).

2.4 Männerzeitschriften: Zwischen Tradition und neuer


Männlichkeit

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Männerzeitschriften – und zwar


vornehmlich am Beispiel Men’s Health – erlebte sowohl in Deutschland als auch
international ab der Jahrtausendwende einen kurzfristigen Boom. Die Befunde
zeigen, dass Männerzeitschriften inhaltliche Angebote für eine Auseinandersetzung
mit Männlichkeit vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen machen.
Dabei werden zwar Anleihen an neuen Geschlechterrollenentwürfen genommen, der
Anspruch der Vorherrschaft gegenüber Frauen und marginalisierten Männern jedoch
nicht infrage gestellt. Entsprechend kommt Meuser (2001) zu dem Ergebnis, dass
Men’s Health eine „aufgeklärte hegemoniale Männlichkeit“ (Meuser 2001, S. 233)
präsentiert, die eine Überlegenheit des Mannes betont, gleichzeitig aber auch Selbst-
reflexion ermöglicht. Zwar entspricht der medial vermittelte Geschlechterdiskurs
teilweise der traditionellen Männerrolle, verweist aber auch auf Brüche im Männer-
bild. Dem Körper, welcher zuvor für die Bestimmung von Maskulinität nebensäch-
lich war, kommt in Männerzeitschriften ein hoher Stellenwert zu (z. B. Boni 2002).
Diese Ergebnisse bestätigen auch weitere Analysen des Inhaltes von Men’s Health
(Becker 2000; Günther 2000; Bregenstroth 2003).
Rezeptionsstudien zu Men’s Health untersuchen den Zusammenhang zwischen
Aneignung und dem Selbstverständnis der Leser (Günther 2000, S. 157). Die
Befunde zeigen, dass die Befragten vor allem die medial repräsentierten Körper-
ideale akzeptieren, für sich selbst aber ein deutlich fortschrittlicheres Geschlechter-
rollenverständnis vertreten. Gauntlett (2004, S. 166–180) argumentiert auf Basis
einer E-Mail-Befragung von Lesern, dass Männerzeitschriften im Kontext der Infra-
gestellung traditioneller Männlichkeit als Angebot für eine Auseinandersetzung mit
dem eigenen Handeln und Auftreten als Mann sowie zur Beschäftigung mit der
geschlechtlichen Identität rezipiert werden. Vor diesem Hintergrund bieten die
Zeitschriften sowohl traditionelle als auch alternative Männlichkeitsentwürfe an,
über die die Leser spielerisch das eigene Verständnis von Männlichkeit aushandeln
(Gauntlett 2004, S. 180). Im Gegensatz dazu gelangt eine britische Rezeptions-
analyse (Jackson et al. 2001; Stevenson et al. 2003) zu dem Ergebnis, dass sich
die Leser sehr wohl mit dem Ideal des „lads“, also des „ganzen Kerls“ identifizieren
(Stevenson et al. 2003, S. 124). Dies gilt im britischen Raum vor allem für die
Lektüre von Formaten, die sich an Leser aus der Unterschicht wenden (Röser 2005,
S. 30). Im deutschen Raum werden hingegen eher „unterschiedliche Milieus und
Männlichkeitskonzepte als dichotome Klassenpositionen“ (Röser 2005, S. 31) re-
präsentiert und entsprechend auch rezipiert. Das Bild des ‚Neuen Mannes‘ wird
Frauenzeitschriften und Männerzeitschriften 923

dabei genauso wie das des ‚Kerls‘ als „discoursive fictions“ (Stevenson et al. 2003,
S. 129) zur Stabilisierung der Geschlechteridentität herangezogen (Bregenstroth
2003, S. 163). Männerzeitschriften bieten Lesern damit eine Legitimierung, weiter-
hin traditionelle Männerthemen im Einklang mit ihren eigenen Interessen zu rezi-
pieren (Stevenson et al. 2003, S. 123; Bregenstroth 2003, S. 164).
Neuere Forschungsarbeiten versuchen das Feld der Männerzeitschriften zu sys-
tematisieren und beziehen dabei auch Zeitschriften, die Männer implizit ansprechen
und deshalb vormals nicht als solche bezeichnet wurden (wie etwa Playboy u. a.), in
das Forschungsgebiet ein. Mooney (2014) identifiziert drei Generationen von Män-
nerzeitschriften mit Bezug zu sich wandelnden Männlichkeitskonzepten von tradi-
tioneller Männlichkeit zum „neuen Mann“ und zum „ganzen Kerl“. Diese unter-
schiedlichen medialen Repräsentationen reflektieren breitere gesellschaftliche
Diskurse wie die Männlichkeitskrise ebenso wie ökonomische Interessen der Medi-
enindustrie und Werbewirtschaft am Mann als Konsumenten.

3 Fazit: Frauen- und Männerzeitschriften aus feministischer


Perspektive

Die Übersicht macht deutlich, dass Frauen- und Männerzeitschriften als Gegenstand
der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung immer auch Bezug
auf die Entwicklung und den jeweiligen Status quo gesellschaftlich geteilter Ge-
schlechterrollenentwürfe sowie deren Wandel nehmen. Aneignungsstudien zeigen
entsprechend, wie Leserinnen und Leser diese Entwürfe dekodieren und auf jener
Basis eigene Vorstellungen von Geschlecht und geschlechtlicher Identität immer
wieder neu aushandeln. Kritisch anzumerken ist, dass Frauen- und Männerzeit-
schriften Zweigeschlechtlichkeit nicht hinterfragen, sondern im Gegenteil diese als
ein natürlich gegebenes Ordnungsprinzip voraussetzen. Durch die Ansprache der
Leser- und Leserinnenschaft über die Kategorie Geschlecht tragen sie, indem sie
Männlichkeit und Weiblichkeit kontrastieren, maßgeblich zur Affirmation einer
natürlich erscheinenden Geschlechterdifferenz bei (Müller 2010a, S. 398). Dies
impliziert nicht nur die Aufrechterhaltung vorherrschender Machtstrukturen, son-
dern lässt auch alle Menschen außen vor, deren Identität sich einer Einordnung in
diese duale Geschlechterkonzeption entzieht.
Weitere Anregungen zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den Botschaften
und der Rezeption von Frauen- und Männerzeitschriften lassen sich im Kontext
neoliberaler Diskurse ableiten. Forscher_innen sind demzufolge aufgefordert,
geschlechtsdifferenzierende Medien vor diesem Hintergrund einer kritischen Beob-
achtung zu unterziehen. Dabei sollten auch produktive Momente im Rezeptionspro-
zess, innerhalb derer die Leser_innen kreativ eigene Bedeutungen hervorbringen,
hinsichtlich ihrer Verstrickung in gesellschaftlich vorherrschende Diskurse und
bezüglich einer Anpassung an Prozesse der Selbstregulierung und Selbstoptimie-
rung hinterfragt werden.
924 K. F. Müller

Literatur
Ballaster, Ros, Margaret Beetham, Elizabeth Frazer, und Sandra Hebron. 1993. Women’s worlds.
Ideology, feminity and the woman’s magazine. London/Basingstroke: Macmillan.
Bär, Maria. 1978. Was Frau sich bieten lässt. Zeitschriften für die Ware Leserin. medium 12:12–16.
Becker, Silke. 2000. Geschlechterkonstruktion in der Zeitschrift ‚Men’s Health‘. Zeitschrift für
Frauenforschung und Geschlechterstudien 18(4): 110–136.
Boni, Federico. 2002. Framing media masculinites. Men’s lifestyle magazines and the biopolitics of
the male body. European Journal of Communication 17(4): 465–478.
Bregenstroth, Lars. 2003. Tipps für den modernen Mann. Männlichkeit und Geschlechterverhältnis
in der Men’s Health. Münster/Hamburg/London: Lit.
Dahlgren, Peter, und Colin Sparks. 1992. Journalism and popular culture. London: Sage.
Dörner, Renate. 1962. Zum Frauenleitbild in der Illustrierten. Das Argument 22:41–48.
Duske, Dagmar. 1989. Und ewig lockt das Gleiche. Strategien und Inhalte kommerzieller Frauen-
zeitschriften. In In die Presse geraten. Darstellung von Frauen in der Presse und Frauenarbeit
in den Medien, Hrsg. Christiane Schmerl, 101–118. Köln: Böhlau.
Feldmann-Neubert, Christine. 1991. Frauenleitbild im Wandel 1948–1988. Weinheim: Deutscher
Studien.
Fieseler, Franka. 2008. Vernetzte Netze – vielfältige Foren. Zur Geschichte lesbisch-feministischer
Zeitschriften in Deutschland. In Feministische Medien. Öffentlichkeit jenseits des Mainstreams,
Hrsg. Lea Susemichel, Saskya Rudigier, und Gabi Horak, 134–150. Königstein im Taunus:
Ulrike Helmer.
Friedan, Betty. 1970. Die glückliche Hausfrau im Rampenlicht. In Der Weiblichkeitswahn oder Die
Selbstbefreiung der Frau, Hrsg. Friedan Betty, 27–47. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
Gauntlett, David. 2004. Media, gender and identity. An introduction. London/New York: Rout-
ledge.
Geiger, Brigitte. 2002. Mediale Vermittlung feministischer Öffentlichkeiten. In der/die journalis-
mus. Geschlechterperspektiven in den Medien, Hrsg. Julia Neissl, 91–111. Innsbruck: Studien.
Geiger, Brigitte, und Margit Hauser. 2008. Schmökern, Nachlesen, Recherchieren. Feministische
Frauenzeitschriften in Frauenarchiven. In Feministische Medien. Öffentlichkeit jenseits des
Mainstreams, Hrsg. Lea Susemichel, Saskya Rudigier, und Gabi Horak, 115–123. Königstein
im Taunus: Ulrike Helmer.
Günther, Mario Thomas. 2000. EMAN(N)ZIPIERT? Eine empirische Studie über den Zusammen-
hang zwischen dem Männerbild der Zeitschrift Men’s Health und der Lebensrealität der Leser.
Münster/Hamburg/London: Lit.
Hermes, Joke. 1995. Reading women’s magazines. An analysis of everyday media use. Cambridge:
Polity Press.
Hermes, Joke. 2005. Re-reading popular culture. Malden: Blackwell.
Hill, Marcus A. 2016. Do black women still come first? Examining essence magazine post Time
Warner. Critical Studies in Media Communication 33(4): 366–380. https://doi.org/10.1080/
15295036.2016.1225968.
Hoefer, Georg, und Kerstin Reymann. 1994. Frauen-, Männer- und Jugendzeitschriften: Konser-
vative Rollenklischees und ihre Vermarktung in ‚Bravo‘, ‚Brigitte‘, Playboy‘, ‚Girl‘, ‚Pent-
house‘, ‚Cosmopolitan‘ u. a. Coppengrave: Coppi.
Horak, Gabi. 2008. Feministische Frauenzeitschriften in Österreich. Feministischer Journalismus
arbeitet nach anderen Qualitätskriterien. In Feministische Medien. Öffentlichkeit jenseits des
Mainstreams, Hrsg. Lea Susemichel, Saskya Rudigier, und Gabi Horak, 17–31. Königstein im
Taunus: Ulrike Helmer.
Horvath, Dora. 2000. Bitte recht weiblich. Frauenleitbilder in der deutschen Zeitschrift Brigitte
1949–1982. Zürich: Chronos.
Irimescu, Alexandra-Oana. 2015. Women’s magazines. Editorial practices and cultural recommen-
dations. Journal of Media Research 8(1): 41–53.
Frauenzeitschriften und Männerzeitschriften 925

Jackson, Peter, Nick Stevenson, und Kate Brooks. 2001. Making sense of men’s magazines.
Cambridge: Polity Press.
Janssen, Karin. 1993. „Berufswirklichkeit von Frauen“ in Brigitte. Aspekte und Images eines
Themas. In Der andere Blick. Aktuelles zur Massenkommunikation aus weiblicher Sicht, Hrsg.
Romy Fröhlich, 81–102. Bochum: Brockmeyer.
Kauppinen, Kati. 2013. At an intersection of postfeminism and neoliberalism: A discourse analyti-
cal view of an international women’s magazine. Critical Approaches to Discourse Analysis
across Disciplines 7(1): 82–99.
Klaus, Elisabeth. 2005. Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung. Zur Bedeutung
der Frauen in den Massenmedien und im Journalismus. Münster: Lit.
Klaus, Elisabeth, und Johanna Dorer. 2006. Frauenmedien. In Lexikon Kommunikations- und
Medienwissenschaft, Hrsg. Günter Bentele, Hans-Bernd Brosius, und Otfried Jarren, 76. Wies-
baden: Springer VS.
Knobloch-Westerwick, Silvia, Ashley R. Kennard, Axel Westerwick, Laura E. Willis, und Gong
Yuan. 2014. A crack in the crystal ball? Prolonged exposure to media portrayals of social roles
affect possible future selves. Communication Research 41(6): 739–759. https://doi.org/10.1177/
0093650213491113.
Kössler, Tanja. 2012. Kohlsuppendiät statt Kanzlerin – Sind Frauenzeitschriften ein politisches
Vakuum? Zum Stellenwert der Politikberichterstattung in deutschen Frauenzeitschriften des
klassischen Segments und der Emma. In Facetten des Journalismus. Theoretische Analysen und
empirische Studien, Hrsg. Klaus-Dieter Altmeppen und Regina Greck, 287–315. Wiesbaden:
Springer VS.
Krainer, Larissa. 1995. Österreichische Frauenzeitschriften. Zwischen Kommerz- und Alternativ-
medien. Klagenfurt/Celovec: Drava.
Lachover, Einat. 2013. Influential women: Feminist discourse in women’s business magazines The
case of Israel. Communication, Culture & Critique 6(1): 121–141. https://doi.org/10.1111/
cccr.12005.
Langer-El Sayed, Ingrid. 1971. Frau und Illustrierte im Kapitalismus. Die Inhaltsstruktur von
illustrierten Frauenzeitschriften und ihr Bezug zur gesellschaftlichen Wirklichkeit. Köln: Pahl-
Rugenstein.
Lindgens, Monika. 1982. Der Markt der Frauenzeitschriften in der Bundesrepublik. Eine Bestands-
aufnahme und Analyse der Entwicklungstendenzen. Media Perspektiven 5:336–348.
Macdonald, Myra. 1995. Representing women. Myths of feminity in the popular media. London:
Edward Arnold.
McCracken, Ellen. 1993. Decoding women’s magazines. From mademoiselle to Ms. Honkong/
Basingstoke/Hampshire: Macmillian.
McIntosh, Heather. 2014. Communicating empowerment through education: Learning about
women’s health in chatelaine. Global Media Journal: Canadian Edition 7(2): 5–21.
McRobbie, Angela. 1999. In the culture society. Art, fashion and popular music. London/
New York: Routledge.
McRobbie, Angela. 2010. Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlech-
terregimes. Wiesbaden: Springer VS.
Metzger, Ellen. 1990. Klatsch, Küche, Konsum. Frauenzeitschriften in Deutschland. Medium
20(4): 70–71.
Meuser, Michael. 2001. „Ganze Kerle“, „Anti-Helden“ und andere Typen. Zum Männlichkeits-
diskurs in neuen Männerzeitschriften. In Männlichkeit und soziale Ordnung. Neue Beiträge zur
Geschlechterforschung, Hrsg. Peter Döge und Michael Meuser, 219–236. Opladen: Leske +
Budrich.
Meyen, Michael. 2006. Warum Frauen „Brigitte“, „Joy“ und „Glamour“ kaufen. Eine qualitative
Studie zu den Nutzungsmotiven von Zeitschriftenleserinnen. FOCUS-Jahrbuch 3:251–269.
Mooney, Annabelle. 2014. Holy grail or poisoned chalice? Three generations of mens’s magazines.
In The Routledge companion to media and gender, Hrsg. Cynthia Carter, Linda Steiner, und
Lisa McLaughlin, 201–210. London/New York: Routledge.
926 K. F. Müller

Müller, Kathrin Friederike. 2010a. Frauenzeitschriften aus der Sicht ihrer Leserinnen. Die Rezep-
tion von „Brigitte“ im Kontext von Biografie, Alltag und Doing Gender. Bielefeld: transcript.
Müller, Kathrin Friederike. 2010b. Das Besondere im Alltäglichen. Frauenzeitschriftenrezeption
zwischen Gebrauch und Genuss. In Alltag in den Medien – Medien im Alltag, Hrsg. Jutta Röser,
Tanja Thomas, und Corinna Peil, 171–187. Wiesbaden: Springer VS.
Müller, Kathrin Friederike. 2012. Geschlechtsgebundene Erfahrungen aushandeln – Freiräume
schaffen. Die Rezeption von Frauenzeitschriften als Reaktion auf mediale und lebensweltliche
Ungleichheiten. In Ungleichheit. Medien- und kommunikationssoziologische Perspektiven,
Hrsg. Christian Stegbauer, 261–277. Wiesbaden: Springer VS.
Müller, Kathrin Friederike. 2013. Wie Geschlecht affirmiert wird: Zur Konstruktion von Weiblich-
keit bei der Frauenzeitschriftenlektüre. In Von Hexen, Politik und schönen Männern –
Geschlecht in Wissenschaft, Kultur und Alltag. Landauer Vorlesungsreihe Gender, Hrsg. Kath-
leen Starck, 59–69. Münster: LIT.
Notz, Gisela. 2008. Der gefährliche Einfluss der Frauenblätter. Feministische Medienkultur in
Deutschland. In Feministische Medien. Öffentlichkeit jenseits des Mainstreams, Hrsg. Lea
Susemichel, Saskya Rudigier, und Gabi Horak, 32–42. Königstein im Taunus: Ulrike Helmer.
Ploetz, Dagmar. 1971. „Brigitte“ – oder das Geschäft mit der Frau. Zur Funktion von Frauenzeit-
schriften in der Bundesrepublik. Kürbiskern 7:65–79.
Prusank, Diane T., und Robert L. Duran. 2014. Walking the tightrope: Parenting advice in essence
magazine. Howard Journal of Communications 25(1): 77–97. https://doi.org/10.1080/
10646175.2014.864855.
Röser, Jutta. 1992. Frauenzeitschriften und weiblicher Lebenszusammenhang. Opladen: Westdeut-
scher Verlag.
Röser, Jutta. 2005. Männerzeitschriften – Frauenzeitschriften. Systematisierung eines gemeinsamen
Forschungsfeldes. MedienJournal 29(1): 23–34.
Spieß, Erika. 1988. Frau und Beruf. Der Wandel des Problems in Wissenschaft und Massenmedien.
Frankfurt a. M./New York: Campus.
Staab, Joachim Friedrich, Heidi Buchmüller, Martina Gilges, und Gisela Winterling. 1987. Disso-
nante Stereotypisierung. Eine vergleichende Inhaltsanalyse der Frauendarstellung in Brigitte,
Neue Post, Emma und Playboy. Publizistik 4:468–479.
Steinbrenner, Kathrin. 2002. Profilbestimmung durch emotionale Bewertung. In Zeitschriften und
Zeitschriftenforschung, Hrsg. Andreas Vogel und Christina Holtz-Bacha, 196–218. Wiesbaden:
Westdeutscher.
Stevenson, Nick, Peter Jackson, und Kate Brooks. 2003. Reading men’s lifestyle magazines:
Cultural power and the information society. In Masculinity and men’s lifestyle magazines, Hrsg.
Bethan Benwell, 112–131. Oxford/Malden: Blackwell Publishing/The Social Review.
Stuckard, Bettina. 2000. Das Bild der Frau in Frauen- und Männerzeitschriften. Eine sprachwis-
senschaftliche Untersuchung über Geschlechtsstereotype. Frankfurt a. M.: Peter Lang.
Susemichel, Lea, Saskya Rudigier, und Gabi Horak. 2008. Feministische Medien. Öffentlichkeit
jenseits des Mainstreams. Königstein im Taunus: Ulrike Helmer.
Thomas, Tanja, und Merle-Marie Kruse. 2013. „Post“- „Pop“- „Pseudo“? Zur Diskussion popfe-
ministischer Zeitschriften als Arenen der (Re-)Artikulation feministischer Öffentlichkeiten. In
Geschlechterverhältnisse und neue Öffentlichkeiten. Feministische Perspektiven, Hrsg. Birgit
Riegraf, Hanna Hacker, Heike Kahlert, Brigitte Liebig, Martina Peitz, und Rosa Reitsamer,
163–190. Münster: Westfälisches Dampfboot.
Tuchman, Gaye. 1978. Introduction: The symbolic annihilation of women by the mass media. In
Hearth and home. Images of women in the mass media, Hrsg. Gaye Tuchman, Arlene Kaplan
Daniels, und James Walker Benét, 3–45. New York: Oxford University Press.
Ulze, Harald. 1979. Frauenzeitschrift und Frauenrolle. Eine aussagenanalytische Untersuchung
der Frauenzeitschriften Brigitte, Freundin, Für Sie und Petra. Berlin: Volker Spiess.
Wilhelm, Hannah. 2004. Was die neuen Frauen wollen. Eine qualitative Studie zum Mediennut-
zungsverhalten von Leserinnen der Zeitschrift Glamour. Münster/Hamburg/London: Lit.
Frauenzeitschriften und Männerzeitschriften 927

Ytre-Arne, Brita. 2011a. Women’s magazines and their readers: The relationship between textual
features and practices of reading. European Journal of Cultural Studies 14(2): 213–228. https://
doi.org/10.1177/1367549410389928.
Ytre-Arne, Brita. 2011b. Women’s magazines and the public sphere. European Journal of Com-
munication 26(3): 247–261. https://doi.org/10.1177/0267323111416181.
Ytre-Arne, Brita. 2014. Positioning the self. Feminist Media Studies 14(2): 237–252. https://doi.
org/10.1080/14680777.2012.713867.
Geschlechterbilder im Kinderfernsehen

Maya Götz

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 930
2 Geschlechterverhältnisse im Kinderfernsehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 930
3 Wie kommt es zu diesen Konstruktionen im Kinderfernsehen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 933
4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 935
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 935

Zusammenfassung
Fernsehen ist nach wie vor das Leitmedium für Kinder und bietet mit seinen Ge-
schlechterrepräsentationen Vorbilder von gesellschaftlich akzeptierter und erstrebens-
werter Männlichkeit und Weiblichkeit. Gendersensibilisierte Medienforschung weist
nach, dass Mädchen und Frauen deutlich weniger im Kinderfernsehen vorkommen
und wenn, dann in tradierten Klischees oder als auf allen Gebieten perfekte und
leistungsfähige Frau. Insbesondere im Zeichentrickbereich werden Mädchen und
Frauen mit einem hypersexualisierten Körper präsentiert, der auf natürlichem Wege
nicht zu erreichen wäre, ein Phänomen, das bei den männlichen Figuren so gut wie
nie auftritt. Auch inhaltlich steht den Jungen ein breiteres Angebot zur Verfügung, das
sich allerdings polarisierend in die Superhelden auf der einen Seite und die lustigen
Loser, die alle Anforderung willentlich unterlaufen, auf der anderen Seite verfestigt
hat. Ein Hintergrund für dieses Ungleichgewicht in der Häufigkeit von Mädchen- und
Frauen- bzw. Jungen- und Männerfiguren sowie für deren stereotype Repräsentation
ist die Produktionsmacht, die vor allem in der Hand von Männern liegt.

Schlüsselwörter
Kinderfernsehen · Gender · Mädchenbild · Jungenbild · Produktion

M. Götz (*)
IZI, Bayerischer Rundfunk, München, Deutschland
E-Mail: maya.goetz@br.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 929
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_57
930 M. Götz

1 Einleitung

Kinder sehen 78 Minuten täglich fern (Media Perspektiven 2016), und nach wie vor
ist es das am meisten genutzte Medium (Medienpädagogischer Forschungsverbund
Südwest 2017). Fernsehen ist Geschichtenerzähler und Fenster in die Welt, das in
vielen Familien in den Alltag fest eingebunden ist und zu den täglichen Ritualen
gehört. Mit jeder Sendung werden dabei auch Bilder von Frauen und Männern, von
Jungen und Mädchen präsentiert. Diese zeigen Ideale und Zukunftsperspektiven auf
und eröffnen gedanklich Räume von „typisch weiblich“ und „typisch männlich“. Es
sind von Erwachsenen erdachte, inszenierte und geformte Geschichten und Berichte,
welche die Grundlagen für die Geschlechterbilder von Kindern verfestigen oder
auch neu erschaffen.

2 Geschlechterverhältnisse im Kinderfernsehen

Die Menschheit kommt vereinfachend gesprochen zu nahezu gleichen Teilen als Män-
ner und Frauen vor. Bei den Hauptfiguren im Kinderfernsehen ist dies nicht der Fall.
2017 lag dabei das Verhältnis von Jungen und Männern zu Mädchen und Frauen
als Hauptfiguren in fiktionalen Programmen bei 65 % zu 33 %.1 Damit ist Deutsch-
land nicht allein. Auch im internationalen Vergleich kommen auf eine Mädchen-
oder Frauenfigur zwei Männer- oder Jungenfiguren (Götz et al. 2018).
2016 analysierte das Team Prommer, Linke und Stüwe anhand von 2692 Einzel-
programmen das deutsche Kinderfernsehen. Hierbei zeigte sich: Die meisten Haupt-
figuren im Kinderfernsehen (97 %) sind eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen.
72 % davon waren Jungen- und Männerfiguren bzw. männliche Wesen, 28 % der
HauptakteurInnen waren Mädchen- und Frauenfiguren bzw. weibliche Wesen. Über
die Hälfte (53 %) aller von Prommer et al. (2017) untersuchten Sendungen kam
gänzlich ohne weibliche Protagonistin bzw. Hauptakteurin aus. Noch deutlicher wird
das Geschlechterungleichgewicht bei den Fantasiewesen. Sind die Hauptfiguren in
Kindersendungen zum Beispiel Tiere, Pflanzen oder Objekte, so haben mehr als acht
von zehn Figuren Namen von Jungen und werden grammatikalisch als „er“ angespro-
chen (Prommer et al. 2017). Das Geschlechterverhältnis im Kinderfernsehen hat sich
dabei in den letzten zehn Jahren quantitativ nur minimal verbessert (Götz et al. 2018).
Das ungleiche Geschlechterverhältnis zeigt sich dabei nicht nur im fiktionalen
Kinderfernsehen. Bei den Wissenssendungen sind es vor allem Männer wie Armin,
Christoph, Ralph oder Johannes (Sendung mit der Maus), Willi (Willi wills wissen),
Eric (Pur +), Fritz Fuchs (Löwenzahn) oder Tobi (Checker Tobi), die Kindern die
Welt erklären. Selten kommen Co-Moderatorinnen wie Shary zu Ralph (Wissen
macht Ah!), Malin (Sendung mit der Maus) oder Siham bei Neuneinhalb als Exper-
tinnen zu Wort. Von einer gleichberechtigten Repräsentation sind sie jedoch weit
entfernt (Prommer et al. 2017).

1
sowie 2 % nicht eindeutig zu identifizierende Wesen.
Geschlechterbilder im Kinderfernsehen 931

Diese stereotype Geschlechterkonstruktion findet dabei bereits im Baby-TV statt,


wie es zum Beispiel von Israel aus weltweit vermarktet wird. Bereits für die Kleinsten
finden sich extrem stereotype Geschlechterdarstellungen, und Fantasiefiguren sind meist
männlich. Die Chance der Erweiterung von Geschlechterbildern wird also von Anfang
an verpasst und eine Ungleichheit von Mann und Frau konstatiert (Elias et al. 2017).
Andererseits gibt es auch positive Ausnahmen, insbesondere im Vorschulfernse-
hen. Für das deutsche Kinderfernsehen entwickelte Figuren wie Maus (Sendung mit
der Maus) oder Hase aus der Sendung mit dem Elefanten sind gezielt „less gendered“
inszeniert, was bei Mädchen und Jungen gut ankommt. Das mit geschlechtersensiblen
Wissenschaftlerinnen zusammen entwickelte KiKANINCHEN ist explizit geschlech-
terneutral und wird von Kindern je nach Handlungskontext eher als Mädchen oder
Junge gelesen. Als beliebteste Vorschulfigur für das Jahr 2017 zeigt sich gerade hier
das Potenzial, das Figuren jenseits stereotyper Welten von rosa Prinzessinnen und
grün-schwarzen Kämpfern eröffnen (Holler und Götz 2017; Beck et al. 2017).
Vereinzelt und eher im Hochqualitätsbereich des Kinderfernsehens zu finden sind
Dokumentationen, Filme oder auch einzelne Serienfolgen, die sich mit Queerthemen
auseinandersetzen (Lemish 2017; Loist 2017). Sie bleiben aber die absolute Aus-
nahme in einem ansonsten meist bipolar konstruierten Mainstream-Kinderfernsehen.

2.1 Darstellungen von Mädchen und Frauen bzw. Jungen und


Männern im Kinderfernsehen

Bereits durch die quantitative Verteilung werden im Kinderfernsehen die Wichtig-


keit von Männern im Vergleich zu Frauen und die Machtverhältnisse vorgegeben.
Dies verstärkt sich noch einmal, wenn die Geschlechterbilder nach ihrer inhaltlichen
Richtung ausgewertet werden. Medienschaffende versehen einzelne Figuren mit
bestimmten Charaktereigenschaften und Handlungsmustern, die sich gut empirisch
erfassen lassen. In sämtlichen Studien zeigt sich dabei: Weibliche Figuren sind im
Vergleich zu männlichen Figuren weniger aktiv, weniger laut, weniger in verant-
wortungsvollen Positionen und verhalten sich eher kindisch. Männliche Figuren
agieren aggressiver, lauter und werden innerhalb der Handlung häufiger belohnt.
Sie zeigen mehr Erfindungsreichtum, stellen mehr Fragen, werden häufiger durch
ihre vielfältigen Fähigkeiten gezeigt, lachen mehr, beleidigen mehr und bedrohen
andere häufiger. Ihre Aggressivität ist vor allem physischer Natur, während weibli-
che Hauptfiguren eher zu sozialer Gewalt neigen, wie etwa zur üblen Nachrede
(Luther und Legg 2010). Bei Zeichentrickprogrammen zeigen weibliche Figuren
mehr Emotionen, werden öfter im Kontext von Beziehungen dargestellt, sind hilfs-
bereiter und fragen häufiger nach Hilfe und danach, beschützt zu werden (Aubrey
und Harrison 2004; Baker und Raney 2007).
Haben die Hauptfiguren besondere Kräfte, liegen diese bei den Mädchen- und
Frauenfiguren, vor allem im magischen Bereich, sind also körpergebunden, während
Jungen- und Männerfiguren oft ihre Superkräfte aus technischen Accessoires, Waf-
fen oder durch hartes Training erlangen. Technik nutzen weibliche Hauptfiguren
932 M. Götz

jedoch so gut wie nie, stattdessen konsumieren sie mehr und kaufen sechsmal mehr
Kleider ein als die männlichen Figuren (Chan 2012).
Es gibt aber auch Mädchen- und Frauenfiguren, die im Mittelpunkt stehen, kraftvoll
aktiv sind, eine Mission erfüllen, ihre Ziele mit Durchsetzungskraft verfolgen und hierfür
spezielle Kräfte haben. Dennoch zeigt die Analyse von 70 Zeichentrick-SuperheldInnen
auch, dass Mädchen- und Frauenfiguren in ihren Reaktionen deutlich öfter als extrem
emotional und besorgt über ihr Aussehen dargestellt werden. Sie stellen eher Fragen,
sprechen weniger Bedrohungen aus und arbeiten meist im Team zusammen (88 % aller
Superheldinnen). Zudem haben im Vergleich zu Superhelden doppelt so viele Super-
heldinnen einen Mentor, und dieser ist fast immer ein Mann (Baker und Raney 2007).
Eine Ausnahme stellen jene starken Mädchen dar, welche als Titelheldinnen dann
namensgebend für die Sendungen sind. Sie heißen Kim Possible, Bibi und Tina,
Barbie, Mia (and Me), Die Hexe Lillifee etc. Es sind Medienarrangements, die
gezielt für Mädchen hergestellt wurden und sich weltweit erfolgreich vermarkten.
Mit ihnen entsteht eine neue Tendenz, die Add-on-Figur. Bei ihr werden diverse
Eigenschaften, die als ideal für Mädchen und Frauen angesehen werden, addiert. Sie
sind stets gut gelaunt, freundlich, organisiert, kompetent, offen und engagieren sich
für die Bedürfnisse anderer. Dabei sind sie extrem sportlich und haben selbstver-
ständlich einen sehr schlanken Körper sowie volles, langes Haar. Es sind Ideal-
figuren, die wiederum neuen Druck auf Mädchen ausüben (Götz 2017).
Die Jungen- und Männerfiguren sind im Vergleich mit einer deutlich breiteren
Varianz angelegt. Es gibt zum einen die kompetenten Hauptfiguren und Superhel-
den, die im Unterschied zu den weiblichen Figuren besser mit ihren besonderen
Kräften umzugehen wissen, kritische Situationen gekonnt meistern und häufiger und
in größerem Stil die Welt retten (Baker und Raney 2007). Winter und Neubauer
haben dabei zwei grundsätzliche Typen herausgearbeitet: Der „Obendrüber-Held“
bietet wie Batman oder Superman allen Herausforderungen kompetent die Stirn und
besiegt am Ende das Böse, während der zweite Typ, der „Untendrunter-Held“, den
Anforderungen, die an ihn herangetragen werden, nicht genügt und unter den
Herausforderungen des Lebens sozusagen „untendurch schlüpft“, wie Bart und
Homer Simpson oder SpongeBob. Obwohl sie sich aber gewollt oder ungewollt
nicht so verhalten, wie es sozial angemessen ist, gehen sie am Ende als coole
Gewinner aus der Situation heraus (Winter und Neubauer 2013).
Insgesamt sind Jungenfiguren im Fernsehen aber nicht nur von den Charakterei-
genschaften, die ihnen zugeschrieben werden, aktiver, dominanter und fähiger. Sie
werden auch in ihrem sozialen Status sehr viel häufiger in verantwortungsvolleren
Positionen inszeniert. Beispielsweise sind 81 % aller AnführerInnen von Gruppen
im deutschen Kinderfernsehen männlich (Prommer et al. 2017).

2.2 Die körperliche Repräsentation im Kinderfernsehen

Neben der zahlenmäßigen Geschlechterverteilung und der inhaltlichen Darstellung


ist das Geschlechterbild im Kinderfernsehen durch die körperliche Darstellung ge-
prägt. Die Analyse von 4000 Figuren in 400 erfolgreichen Kinder- und Familienfil-
Geschlechterbilder im Kinderfernsehen 933

men zeigt, dass extreme Dünnheit und erotisch aufreizende Kleidung bei den
weiblichen Filmfiguren fünfmal häufiger als bei männlichen Figuren vorkommt.
Im Zeichentrick liegt diese Zahl noch höher, insbesondere was die Hypersexualisie-
rung des Körpers und der Wespentaille angeht (Smith und Cook 2008).
Die Hypersexualisierung lässt sich durch einen in der Attraktivitätsforschung gut
eingeführten Wert messen, die sogenannte Waist-to-Hip-Ratio (WHR), die sich auf
das Verhältnis von Taille zu Hüfte bezieht. Der Idealwert liegt bei einer schlanken
Frau bei 0,8; bei ausgesprochen schlanken Models kann er den Wert 0,7 annehmen.
In einer Medienanalyse von 102 international vermarkteten Mädchen- und junge
Frauenfiguren im Zeichentrickprogramm zeigte sich: Zwei von drei Zeichentrick-
mädchen haben eine Wespentaille, die auf natürlichem Weg nicht zu erreichen ist.
Jedes zweite Zeichentrickmädchen unterschreitet sogar den Wert von Barbie (0,6),
ein Maß, welches sich nur durch operative Entfernung der unteren Rippe erreichen
ließe (Götz und Herche 2013). In einer repräsentativen Stichprobe für das Kinder-
fernsehen in Deutschland im Jahr 2016 bestätigten sich diese Ergebnisse. Eine
entsprechende Hypersexualisierung von Männerfiguren im Zeichentrick kommt
jedoch nur in Ausnahmefällen vor (Linke et al. 2017).

3 Wie kommt es zu diesen Konstruktionen im


Kinderfernsehen?

Der internationale Forschungsstand verweist also auf eindeutige Tendenzen der


Geschlechterkonstruktionen im Kinderfernsehen: Jungen- und Männerfiguren kom-
men deutlich häufiger vor als Mädchen- und Frauenfiguren. Bipolar werden
Geschlechterstereotypen konstruiert, und zwar auf der Ebene der Figurenkonstruk-
tion, ihrer Körperlichkeit, ihrer Charaktereigenschaften und Handlungsmuster.
Wenn starke Mädchen inszeniert werden, dann als Add-on-Figuren, die neben hoher
Intelligenz, Organisationstalent, sozialer Verantwortung etc., immer auch ein stereo-
typ schönes Gesicht und fast immer Körperproportionen, die durch keine Schön-
heitsoperation der Welt zu erreichen sind, besitzen.
Einer der Gründe für diese nach wie vor so bipolar und stereotyp angelegten
Geschlechterkonstruktionen liegt in der personellen Besetzung der Fernsehproduk-
tionen. Eine Auszählung der verantwortlichen Autoren und Autorinnen von inter-
national vermarkteten Kinderfernsehsendungen2 ergibt ein Verhältnis von 69 %
Autoren zu 31 % Autorinnen. Bei der verantwortlichen Regie wird dieses Missver-
hältnis noch einmal gesteigert. Hier kommen auf 86 % Regisseure gerade einmal
14 % Regisseurinnen. Insgesamt waren 2016 83 % aller entscheidungstragenden
Positionen der Produktion international vermarkteter Kinderformate von Männern
besetzt, nur 17 % von Frauen. Seit 2010, dem Beginn der Messung, zeigt sich dabei
leider keine Verbesserung, sondern eher eine leichte Verschlechterung des Ge-
schlechterverhältnisses (Götz und Mlapa 2017). Kinderfernsehen ist also in vielen

Gemessen MIPCOM Jr. Katalog 2010, n = 473 klar geschlechteridentifizierbare Namen.


2
934 M. Götz

Fällen das Bild von Männern auf Mädchen und Frauen, wodurch Frauen „vorge-
führt“ werden. Dies hat inhaltliche Konsequenzen. Frauen werden im Sinne von
Simone de Beauvoir als „die anderen“ konstruiert. Sie sind die Abweichung von der
Norm, die selbstverständlich männlich ist. Damit kommen sie zum einen weniger
häufig vor und wenn, dann vor allem in Rollen, die nicht „männlich“ sind
(de Beauvoir 1968). Diese können durchaus wertschätzend und bewundernd
gemeint sein – im Sinne der Inszenierung eines weiblichen Ideals, das dann oftmals
hypersexualisiert ist. Laura Mulvey fasste dies in der Formulierung des dreifachen
„männlichen Blicks“ (1975) zusammen. Der meist männliche Regisseur inszeniert
die Figuren, der (männliche) Kameramann wählt Perspektive und Bildausschnitt und
der (meist männliche) Protagonist, der im Mittelpunkt der Handlung steht, blickt auf
die Frauenfiguren und macht sie so auf dreifache Weise zum Objekt seiner Begierde
(Mulvey 1975). Diese für den Hollywoodfilm der ersten Filmjahrzehnte formulierte
Feststellung gilt gewissermaßen auch für das heutige Kinderfernsehen. Es steht nicht
unbedingt eine abwertende Absicht hinter der Selbstverständlichkeit von Schönheit,
der Hypersexualisierung oder der Begrenzung der Figuren auf die Attraktivität, die
sie für das andere Geschlecht haben. Es sind kreative, zum Objekt gemachte
Fantasien (Objektivationen) einer durch Geschlechterhierarchie und -ungleichheit
gekennzeichneten Perspektive, die in von Männern dominierten Produktionskontex-
ten reproduziert wird.
Welche inhaltliche und kommerzielle Kraft Geschichten haben können, die von
Frauen geschrieben und umgesetzt werden, zeigt sich nicht zuletzt am Erfolg von
Disney’s Film Frozen, in dem Jennifer Lee die zentrale Rolle als Autorin und
Regisseurin übernahm. In dem Animationsfilm kommt es an einigen Stellen zum
Bruch mit dem bisherigen Disney-Wertekosmos. Ironisch wird mit klassischen
Erzählmustern wie Liebe auf den ersten Blick und Heirat gespielt und mit der
unhinterfragten Dominanz der heterosexuellen Liebe zugunsten der Schwesternliebe
gebrochen. Als erste Frauenfigur darf Elsa „good girl“ und „bad girl“ sein und als
machtvolle Frauenfigur durchgehend positiv besetzt bleiben. Anders als alle Prin-
zessinnen vor ihr muss sie am Ende nicht die heteronorme Partnerschaft als Lebens-
ziel anstreben und eröffnet damit auch Queer- und Diversity-Lesarten (Steinhoff
2017). Gleichzeitig verkörpert sie aber auch neoliberale und postfeministische Werte
von Individualismus und Selbstoptimierung bis hin zum „sexy Catwalk als Zeichen
für Freiheit“ als neue Ziele für Mädchen und Frauen und verbleibt damit nicht nur
äußerlich im Wertekanon von Disney.
Nicht zuletzt an kommerziellen Kreationen wie den „Disney Princesses“, bei
denen aus marktstrategischen Überlegungen heraus mehrere Filmfiguren der
Disney-Zeichentrickfilme zu einer Marke zusammengefasst wurden, zeigt sich die
Langlebigkeit von Geschlechterstereotypen. Nachdem 2000 die Figuren Cinderella,
Dornröschen, Arielle, Schneewittchen und Jasmine zu einer Marke geformt wurden,
konnte eine breite Kette von Lizenzprodukten auf den Markt gebracht werden
(Orenstein 2011). Während die Disney-Princess-Filme in der Vermarktung „nur“
2,5 Milliarden Dollar Gewinn machen, verdient der Konzern durch die Produktreihe
vier Milliarden Dollar weltweit jährlich (Barnes 2017). Bereits die Filme der Disney-
Klassiker stellen sich als ausgesprochen geschlechterstereotyp und wenig divers dar
Geschlechterbilder im Kinderfernsehen 935

(Cheu 2013). Um in diese Gruppe zu passen, werden aus Marketinggründen die in


Details durchaus selbstbestimmten neueren Prinzessinnenfiguren wie Merida ange-
passt, das heißt im Verhältnis zu ihrer Darstellung im Film verdünnt, sexualisiert und
entwaffnet (Hains 2013, 2014).

4 Fazit

Das Geschlechterbild im Kinderfernsehen ist durch eine deutliche Ungleichheit in


Präsenz und Inszenierung von Charakteren und Körpern geprägt. Dies hängt mit der
Dominanz von Männern im Produktionsprozess und ihren Vorannahmen zusammen,
die sich nicht zuletzt in der Verbindung mit der Kommerzialisierung des Kinder-
fernsehmarktes dauerhaft halten.
Es besteht Handlungsbedarf! Die Anzahl der Mädchen- und Frauenfiguren ist zu
erhöhen und deren Diversität in der Repräsentation deutlich zu erweitern. Mehr
Geschlechtergerechtigkeit in den verantwortungstragenden Positionen in Drehbuch,
Produktion und Regie erhöht nicht nur den Zugang zu Produktionsressourcen für
Frauen, sondern lässt vor allem auch eine anzustrebende inhaltliche Diversifizierung
erwarten (Heisecke und Götz 2017). Noch bleibt aber viel zu tun, um nachfolgenden
Generationen eine vielfältige geschlechtergerechte Repräsentation von Männern und
Frauen, Mädchen und Jungen anzubieten.

Literatur
Aubrey, Jennifer Stevens, und Kristen Harrison. 2004. The gender-role content of children’s
favorite television programs and its links to their gender-related perceptions. Media psychology
6(2): 111–146.
Baker, Kaysee, und Arthur A. Raney. 2007. Equally super? Gender-role stereotyping of superheroes
in children’s animated programs. Mass Communication & Society 10(1): 25–41.
Barnes, Brooks. 2017. Movie ticket sales sagging? Time to bring out the toys. New York Times
22. May. https://www.nytimes.com/2017/05/22/business/media/at-warner-bros-former-disney-
exec-leads-new-charge-on-merchandise.html. Zugegriffen am 27.04.2018.
Beauvoir, Simone de. 1968. Das andere Geschlecht: Sitte und Sexus der Frau. Reinbek: Rowohlt.
Beck, Sara L., Rebecca Hains, und Colleen Russo Johnson. 2017. „PAL can just be themselves“.
Children in the US respond to Annedroids’ genderless TV character. In Beyond the stereotypes?
Images of boys and girls, and their consequences, Hrsg. Maya Götz und Dafna Lemish,
225–236. Göteborg: Nordicom.
Chan, Kara. 2012. Consumerism and gender in children’s television. In Sexy girls, heroes and funny
losers: Gender representations in children’s TV around the world, Hrsg. Maya Götz und Dafna
Lemish, 169–180. Frankfurt a. M.: Peter Lang.
Elias, Nelly, Idit Sulkin, und Dafna Lemish. 2017. Gender segregation on babyTV. Old-time
stereotypes for the very young. In Beyond the stereotypes? Images of boys and girls, and their
consequences, Hrsg. Maya Götz und Dafna Lemish, 95–104. Göteborg: Nordicom.
Götz, Maya. 2017. Die Lieblingsfiguren der Kinder im Fernsehen. Eine Repräsentativerhebung.
TelevIZIon 30(2): 46–48.
Götz, Maya, und Margit Herche. 2013. Wespentaille und breite Schultern. Der Körper der „globalen“
Mädchen- und Jungencharaktere in animierten Kindersendungen. In Die Fernsehheld(inn)en der
936 M. Götz

Mädchen und Jungen. Geschlechterspezifische Studien zum Kinderfernsehen, Hrsg. Maya Götz,
63–79. München: kopaed.
Götz, Maya, und Manda Mlapa. 2017. Wer produziert, schreibt und führt Regie? Das Geschlechter-
verhältnis in der Film- und Fernsehindustrie. TelevIZIon 30(2): 62–65.
Götz, Maya, Ole Hofmann, Caroline Mendel, Dafna Lemish, Sebastian Scherr, Yuval Gozansky,
Kirsten Huang, Elisabeth Prommer, Colleen Russo-Johnson, Eileen Sanabria, und Lynn Whi-
taker. 2018. Whose story is being told? Results of an analysis of children’s TV in 8 countries.
TelevIZIon 31(E): 61–65.
Hains, Rebecca. 2013. „Ich bin eine Prinzessin“. Die Prinzessinnen-Kultur in den USA. TelevIZIon
26(2): 20–23.
Hains, Rebecca. 2014. The princess problem. Guiding our girls through the princess-obsessed
years. Naperville: Sourcebook.
Heisecke, Karin, und Maya Götz. 2017. Wie sich das Geschlechterverhältnis im Kinderfernsehen
und Vollprogramm verändern kann. Eine Ideensammlung. TelevIZIon 30(2): 69–71.
Lemish, Dafna. 2017. Innovations in gender representation in children’s television. The PRIX
JEUNESSE 2016 Gender Prize Competition. In Beyond the stereotypes? Images of boys and
girls, and their consequences, Hrsg. Maya Götz und Dafna Lemish, 21–32. Nordicom: Göte-
borg.
Loist, Skadi. 2017. „Think beyond“. Verhandlung von Geschlecht und Gender im internationalen
Kinder- und Jugendfernsehen. TelevIZIon 30(2): 42–45.
Linke, Christine, Julia Stüwe, und Sarah Eisenbeis. 2017. Überwiegend unnatürlich, sexualisiert
und realitätsfern. Eine Studie zu animierten Körpern im deutschen Kinderfernsehen. TelevIZIon
30(2): 14–17.
Luther, Catherine A., und J. Robert Legg. 2010. Gender differences in depictions of social and
physical aggression in children’s television cartoons in the US. Journal of children and media
4(2): 191–205.
Media Perspektiven. 2016. Daten zur Mediensituation in Deutschland. Basisdaten 2016. http://
www.ard-werbung.de/fileadmin/user_upload/media-perspektiven/Basisdaten/Basisdaten_2016_
Inhalt_komplett_verlinkt.pdf. Zugegriffen am 05.02.2018.
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest. 2017. KIM-Studie 2016. Kinder + Medien,
Computer + Internet. https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/KIM/2016/KIM_2016_Web-
PDF.pdf. Zugegriffen am 05.02.2018.
Mulvey, Laura. 1975. Visual pleasure and narrative cinema. Screen 16(3): 6–18.
Orenstein, Peggy. 2011. Cinderella ate my daughter: Dispatches from the front Lines of the new
Girlie-Girl Culture. New York: Harper Collins.
Prommer, Elisabeth, Christine Linke, und Julia Stüwe. 2017. Is the future equal? Geschlechterre-
präsentationen im Kinderfernsehen. TelevIZIon 30(2): 4–10.
Smith, Stacy L., und Crystal Allene Cook. 2008. Gender stereotypes: An analysis of popular films
and TV. The Geena Davis Institute on gender in media. https://seejane.org/wp-content/uploads/
GDIGM_Gender_Stereotypes.pdf. Zugegriffen am 02.02.2018.
Steinhoff, Heike. 2017. „Let it go“? Re-inventing the Disney fairy tale in Frozen. In Heroes,
heroines, and everything in between, Hrsg. Carrielynn D. Reinhard und Christopher J. Olson,
159–176. Lanham etc: Lexington Books.
Winter, Reinhard, und Gunter Neubauer. 2013. Der Held in seiner Welt: Fernsehfiguren, die Jungen
erreichen – oder auch nicht . . .. In Die Fernsehheld(inn)en der Mädchen und Jungen.
Geschlechterspezifische Studien zum Kinderfernsehen, Hrsg. Maya Götz, 427–472. München:
kopaed.
Wer schön sein will . . . Körpernormen und
Schöhnheitsdiskurse in den Medien

Julia Elena Goldmann und Liesa Herbst

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 938
2 Attraktivität und Schönheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 938
3 Mediale Diskurse: Schönheitsideale und Körperbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 941
4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 946
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 947

Zusammenfassung
Medien tragen mit ihren Bildern und Inszenierungen von Körpern entscheidend zur
Konstruktion und Verbreitung von Schönheitsidealen und Körpernormen bei – und
dienen damit auch RezipientInnen zur Orientierung, wenn sie ihre Körper formen
und optimieren. Attraktivität und Schönheit sind zeit- und kontextabhängig und
daher veränderbar. Schönheitsideale und „ideale“ und „schöne“ Körper in Werbung,
in sozialen Medien oder aber auch in Reality-Formaten im Fernsehen werden
diskursiv hergestellt. Doch auch medial verbreitete Abweichungen von Schönheits-
normen – wie etwa die Werbekampagne Dove oder neuere Staffeln von Germany’s
Next Topmodel verbleiben in einem neoliberalen, hegemonialen Gesellschaftsrah-
men. Die Rezeption medialer Schönheitsimperative ist dabei keineswegs einheitlich,
sondern lässt genügend Raum für kritische Distanz.

Schlüsselwörter
Körper · Schönheit · Diskurs · Medien · Weiblichkeit

J. E. Goldmann (*)
Universität Salzburg, Salzburg, Österreich
E-Mail: juliaelena.goldmann@sbg.ac.at
L. Herbst
Universität Salzburg, Salzburg, Österreich
E-Mail: liesa.herbst@sbg.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 937
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_72
938 J. E. Goldmann und L. Herbst

1 Einleitung

Medien bzw. bestimmte Medienangebote tragen mit ihren Bildern und Inszenierun-
gen von makellosen, perfekten „Körpern nach Maß“ (Bublitz 2012, S. 25) und der
Bewerbung von Kosmetikprodukten, Diäten, Fitnessangeboten und kosmetischen
Operationen entscheidend zur gesellschaftlichen Konstruktion des „Schönheitsmy-
thos“ (Wolf 1991) und „Körperkults“ (Gugutzer 2012) bei. Models in lasziven,
unbequem anmutenden Posen, mit perfekt proportionierten, digital nachbearbeiteten
Körpern begegnen uns tagtäglich auf Werbeplakaten, auf Titelseiten von Magazinen,
in der Fernsehwerbung. Neben spärlich bekleideten Teenie-Vorbildern mit Porno-
Chic, zu sehen auf Youtube, informieren Facebook oder Instagram regelmäßig über
die Diät- sowie Trainingserfolge, die in Form von Likes belohnt werden wollen.
Zwar wird der Körper seit jeher als Ausdrucks- und Positionierungsmittel eingesetzt
(Posch 2009, S. 11), durch Entwicklungen im Bereich invasiver Körpertechnologien
sowie die Zunahme medialer Inszenierungsmöglichkeiten erreicht Schönheitshan-
deln allerdings eine neue Dimension.
Neben der häufigen Thematisierung von schönheitschirurgischen Eingriffen
(Posch 2009, S. 9) avanciert der Körper zum zentralen Marker für Schönheit (Penz
2010, S. 35) und wird sehr kontrovers diskutiert. Einerseits wird der Körper als
gewinnbringendes Projekt (Gugutzer 2004, S. 40) angesehen, der als „modellierbare
Masse“ (Villa 2006, S. 16) individuell und flexibel gestaltet werden und somit als
persönliches Ausdrucksmittel und Kapital fungieren kann (Wacquant 1995; Gugut-
zer 2004). Andererseits führt die beschriebene Möglichkeit der Gestaltung oftmals
zu einem Zwang der Optimierung des Körpers (Posch 2009, S. 11), die sich abermals
an gesellschaftlichen, sozialen, häufig medial vermittelten Schönheitsidealen und
Körpernormen orientiert.

2 Attraktivität und Schönheit

Im Alltagsdiskurs werden die Termini Schönheit und Attraktivität häufig synonym


verwendet, was die jeweiligen Spezifika beider Begrifflichkeiten unterminiert. Im
Folgenden bieten wir eine wissenschaftliche Arbeitsdefinition an, die – wenngleich
sie nicht alle Aspekte umfassen kann – auf die wesentlichen Unterschiede eingeht.
Attraktivität ist im Spannungsfeld von Körperschönheit und Darstellungskompetenz
angesiedelt: „Als Darstellungskompetenz stellt sie den Körper ins Zentrum der
Selbstrepräsentation und als Schönheit betont sie die Einheit des Ichs mit dem
Körper.“ (Koppetsch 2000, S. 106) Attraktivität basiert, so Koppetsch (2000,
S. 106) weiter, „auf dem Eindruck der authentischen Verkörperung des schönen
Selbst“.
Schönheit wird als zentrale Dimension, als Komponente von Attraktivität ver-
standen (Koppetsch 2000, S. 120). Unter Schönheit, als Gegenteil von Hässlichkeit
konstruiert, können einerseits körperliche Merkmale (Größe, Gewicht, Körperbau,
Gesichtszüge, Haut sowie Haare), andererseits modische Kleidung, Frisuren, Kos-
metik subsummiert werden (Posch 2009, S. 20–21). Schön ist etwas ästhetisch hoch
Wer schön sein will . . . Körpernormen und Schöhnheitsdiskurse in den Medien 939

Bewertetes, abhängig vom ästhetischen Urteil der BetrachterInnen (Degele 2004,


S. 10–11). Einerseits gilt Schönheit als sozial erstrebenswertes Gut, das an Begehren
gekoppelt ist: So wird Schönheit zum einen individuell begehrt, weil man(n)/frau
dadurch auch, zum anderen, (gesellschaftlich) begehrenswert ist. Andererseits gelten
schöne Menschen oft als oberflächlich, äußerlich, banal, als „dumm“ oder „arro-
gant“. Insofern ist Schönheit eine „doppelbödige“ Begrifflichkeit (Posch 2009,
S. 23), die sowohl positive als auch negative Assoziationen vereint.
Zu unterscheiden ist zudem zwischen Schönheitshandeln (engl.: „beautification“)
und (medialen) Diskursen über körperliche Schönheitspraktiken. Zu Ersteren wer-
den körperliche Gewohnheiten, als Resultate patriarchaler Machtverhältnisse,
gezählt: von der alltäglichen Körperhygiene über Schminken, Frisur, Kleidung,
Enthaarung bis hin zu Diäten, Training, Tätowierungen, Piercings oder chirurgi-
schen Eingriffen. Schönheitshandlungen sind als Prozesse der sozialen Positionie-
rung der Außenwirkung dienlich und nicht als ausschließlich privates Handeln zu
betrachten (Degele 2008, S. 71). Dies betrifft insbesondere Frauen, wenn diese in
patriarchalen Verhältnissen als Objekte des männlichen Blicks positioniert werden.
Frauen der oberen Klasse weisen tendenziell ein höheres Maß an Gelassenheit im
Umgang mit körperlicher Schönheit auf als Frauen in weniger privilegierten Posi-
tionen, da „Schönheitsmängel“ durch Ressourcen, wie Bildung, Vermögen etc.,
kompensiert werden können (Penz 2010, S. 186). Schönheitshandeln kann demnach
als ein intersektionales1 Phänomen betrachtet werden (Degele und Winker 2007).
Das Schönheits- bzw. Körperhandeln beziehungsweise die Arbeit am eigenen Kör-
per, verstanden als „alltägliche Selbsttechnologie“ (Klein 2008, S. 214), orientiert
sich häufig an gesellschaftlichen Idealvorstellungen von Männlichkeit und Weib-
lichkeit – sei es, um diesen zu entsprechen oder sich diesen bewusst zu widersetzen.
Ideale sind etwas schwer Erreichbares, Vollkommenes, Herausragendes; quasi
ein Musterbild oder eine Vorstellung, deren Reiz genau in dieser Exklusivität besteht
(Posch 2009, S. 24–25; Mühlen Achs 2003, S. 73). Darüber hinaus hängen Ideal-
vorstellungen von weiblicher sowie männlicher Schönheit stets von historischen und
kulturellen Kontexten2 und damit korrespondierenden Lebensbedingungen ab
(Posch 2009, S. 24–25). Während Degele (2004, S. 211) den „Natürlichkeits- und
Jugendkult als Komponenten der Schönheitskompetenz“ beschreibt, stellen für
Posch (2009, S. 85) Schlankheit, Jugendlichkeit, Fitness und Authentizität die
wichtigsten Kriterien des aktuellen Schönheitsideals dar, wobei letzteres die Natür-
lichkeit3 abgelöst habe (Posch 2009, S. 130–131).

1
Für einen Überblick praxeologischer, intersektionaler Schönheitsforschung siehe: Klinger et al.
(2007) sowie Klinger und Knapp (2008).
2
Ein fülliger Leib galt lange Zeit, rund 400 Jahre, als erstrebenswert, bevor der schlanke Körper zur
Idealform wurde. In einigen arabischen und afrikanischen Gesellschaften gilt Dickleibigkeit auch
heute noch als das dominante Schönheitsideal (Setzwein 2004, S. 245).
3
Ein „natürlich“ geschminktes Gesicht sieht durchaus anders als ein tatsächlich ungeschminktes
aus. Natürlichkeit meint demnach nicht „Naturwüchsigkeit“ (Posch 2009, S. 131), sondern nicht
erkennbare Bearbeitung des Körpers.
940 J. E. Goldmann und L. Herbst

Im Laufe der Geschichte haben sich die Schönheitsideale nicht nur wesentlich
verändert (etwa von der blasshäutigen, fragilen Schönheit der bürgerlichen Gesellschaft
im 19. Jahrhundert zum sonnengebräunten, athletischen Ideal der Spätmoderne),
sondern auch die soziale Bedeutsamkeit von Schönheit per se hat grundsätzlich
zugenommen. Der „Siegeszug der Schönheit“ als sozial strukturierende Macht
beginnt im Verbürgerlichungsprozess des 19. Jahrhunderts und mit der Demokrati-
sierung westlicher Gesellschaften. Schönheit symbolisiert nicht länger aristokrati-
sche Herrschaft bzw. eine ständische Ordnung (Penz 2010, S. 13), sondern wird als
individueller Ausdruck, als Zeichen der Persönlichkeit wahrgenommen und in
weiterer Folge gezielt eingesetzt. Mittlerweile stellt Schönheit eine „Statuskatego-
rie“ dar (Degele 2004, S. 212).
Der symbolische Wert körperlicher Anziehungskraft verweist auf den Stellenwert
des Körpers als Kapital im Sinne Bourdieus (etwa 1983, 1985, 1987); ein Gedanke,
der von Robert Gugutzer (2004) aufgegriffen wurde: Er versteht unter körperlichem
Kapital (wie etwa Gesundheit, Aussehen, Fitness, Disziplin) „ein Instrumentarium,
das in gesellschaftlichen Handlungsbereichen eingesetzt werden kann, um soziale
Gewinne wie beispielsweise Anerkennung, Ansehen, materiellen oder immateriellen
Erfolg zu erzielen.“ (Gugutzer 2004, S. 67–68). Darum wird in den Körper – als eine
Art Projekt – Zeit und Geld investiert, um sein Potenzial zu maximieren, und so am
sozialen bzw. gesellschaftlich-normierten Selbst gearbeitet (Villa 2008a; Posch
2009, S. 130–131; Penny 2012).
Aus der Bedeutung des Erscheinungsbildes, der oftmals als spielerisch angese-
henen Arbeit am Körper, resultiert eine Art Gestaltungs- bzw. Optimierungszwang:
„Wer sich nicht optimiert, wer nicht dauernd an der Verbesserung seines Körpers und
damit seiner selbst arbeitet [. . .], verdient keine Anerkennung. Nur unternehmerisch
agierende Subjekte sind es noch wert, als Subjekte anerkannt zu werden“, schreibt
Paula-Irene Villa (2008a, S. 12) mit Bezug auf Ulrich Bröckling (2007). Damit wird
deutlich, dass Schönheit stets optimier- bzw. manipulierbar ist, aber auch, dass der
Körper in seinem natürlichen, d. h. unbearbeiteten Zustand nicht der gängigen
Schönheitsnorm entspricht. Dass insbesondere Frauen über ihre körperliche Schön-
heit definiert, teilweise darauf reduziert werden (Bublitz 2012, S. 21; Mühlen-Achs
2003, S. 75–77) und damit einem Schönheitsimperativ, unterstützt von einer mäch-
tigen Schlankheits- und Jugendlichkeitsindustrie, unterworfen sind, beschrieb
u. a. Naomi Wolf 1991 in Der Mythos Schönheit.
Wenngleich Männlichkeit4 ebenfalls zunehmend über den ästhetischen Körper
codiert wird (Bublitz 2012, S. 21), Männer als Klientel der Kosmetikindustrie
erkannt werden, mit idealisierten Körperdarstellungen konfrontiert sind (z. B. Ideal
eines trainierten Körpers), erscheinen die Standards für weibliche Schönheit stärker

4
Der Großteil der Untersuchungen bezieht sich ausschließlich auf Frauen. Allerdings wird der
männliche Körper seit den frühen 1980er-Jahren vermehrt beforscht (van Zoonen 1994, S. 87–89).
In Medienangeboten, so Rosalind Gill et al. (2005), werde der männliche Körper zunehmend so
inszeniert, dass er dazu einlade, begehrt und betrachtet zu werden. Der männliche Körper wird zum
Blickobjekt.
Wer schön sein will . . . Körpernormen und Schöhnheitsdiskurse in den Medien 941

kulturell5 normiert bzw. schwieriger zu erreichen als jene für männliche Schönheit
(Sieverding 1993, S. 248–249). Männern steht ein ausdifferenzierteres Spektrum an
Normen zur Verfügung als Frauen. So kann ein Mann seine Macht durchaus durch
Wohlstand, eine entsprechende berufliche Position oder dergleichen verkörpern,
während Frauen stärker auf Äußerlichkeiten reduziert werden (Mühlen Achs 2003,
S. 75–77).

3 Mediale Diskurse: Schönheitsideale und Körperbilder

Medialen Angeboten kommt im Diskurs um Schönheit beziehungsweise körperlichen


Idealen eine zentrale Stellung zu; hier wird öffentlich verhandelt, was als schön oder
nicht schön gilt. Medien fungieren als „Modi der Vergesellschaftung“ (Thomas 2008,
S. 219) sowie als „Identitätsräume“ (Hipfl 2004, S. 16), in denen Schönheitsideale und
Körpernormen thematisiert bzw. Vorstellungen von idealen und schönen Körpern
diskursiv hergestellt werden. Daran orientieren sich wiederum RezipientInnen, wenn
sie ihre Körper formen und optimieren. Der Einsatz von idealisierten Körperdar-
stellungen in Medien als Aufmerksamkeit evozierendes Stilmittel ist keineswegs
neu. So stellt etwa Susan Bordos Aufsatz Reading the slender body (1993) eine frühe
Auseinandersetzung mit medialen Körperdisziplinierungen und -normierungen durch
Fitnessübungen und Diäten dar. Durch Entwicklungen im Bereich invasiver Körper-
technologien sowie neuen Formen der Selbst-Darstellung sind „schöne“ Körper in
modernen Medienwelten omnipräsent (Duschinsky 2013; Reichert et al. 2012).

3.1 Werbung

In der Werbung ist vor allem der „Hyperkörper“, der ideale, supernormale, d. h. ei-
gentlich positiv anormale Körper präsent (Link 2005, S. 58), weshalb Werbung
weniger Schein- als Hyperwelt ist (Willems 2005, S. 118). Werbung wirkt mit ihren
„imperativen Bildern“ (Schmidt 2000, S. 92) wesentlich an der Normbildung eines
überschlanken Körpers mit. Ausnahmen bilden Kampagnen wie die des Kosmetik-
konzerns Dove. Knop und Petsch (2010) beschreiben diese als innovative sowie
ambivalente Marketingstrategie. Das Innovationsmoment liege darin, dass Abwei-
chungen vom Ideal (hinsichtlich Alter, Körpermaße, keine Profi-Models) positiv
kontextualisiert bzw. entstigmatisiert werden. Die Ambivalenz besteht in dem Ver-
sprechen – an die spärlich bekleideten sowie „kindlich“ inszenierten Frauen –, durch
die Verwendung des beworbenen Produkts das Ideal straffer Haut zu erreichen
(Knop und Petsch 2010). Von Facebook-UserInnen wurde die Dove-Kampagne

5
Schönheitsideale sind abhängig von kulturellen Kontexten zu betrachten, wenngleich es Beispiele für
globale Schönheitsideale gibt. In westlichen Gesellschaften herrscht ein schlankes, jugendliches, ja
beinahe infantiles weibliches Körperbild vor. Gitta Mühlen Achs (Mühlen ACHS 2003, S. 75–76) hält
fest, dass das männliche Körperideal seit Jahrtausenden konstant bleibt: Ein Mann muss groß und
kräftig sein, ausgeprägte Muskeln besitzen und ganz allgemein Überlegenheit demonstrieren.
942 J. E. Goldmann und L. Herbst

„für wahre Schönheit“ als Reframing entlarvt: „(it) reframes – rather than challenges
– the dominant ideology of beauty“ (Murray 2014, S. 541). Die Kampagne ist Teil
des body-positivity-Gegentrends. In verschiedenen Medien werden mittels körper-
positiver Botschaften und zumeist einem feministischen Vokabular Frauen aufgeru-
fen, ihre Körper sowie ihre Kurven zu lieben. In diesem Zusammenhang nennt die
britische Soziologin Rosalind Gill (2016) ein Phänomen, das sie als „love your body
(but hate it too)“ fasst. Der Frauenkörper sei zum einen liebenswert und einzigartig,
zum anderen niemals schön genug, optimier- und austauschbar. Aus solchen Anru-
fungen entstehen potenziell Situationen der Unmöglichkeit für Frauen. Gill und
Orgad (2015, S. 335) beschreiben die derzeitige Widersprüchlichkeit und Komple-
xität in Diskursen über Schönheit und Körper – gekennzeichnet von einem neolibe-
ralen Postfeminismus. Angela McRobbie spricht von Postfeminismus als „Pseudo-
Feminismus“ (McRobbie 2010, S. 48), um eine Tendenz der ‚Abwicklung des
Feminismus‘ zu beschreiben, die in Zusammenhang mit neoliberaler Gouvernemen-
talität steht (Stehling 2015, S. 103). Der Imperativ beziehungsweise die emanzipa-
tive Vision der zweiten Frauenbewegung von Selbstermächtigung qua Körper kann
– gefördert durch ein medial vermitteltes neoliberales Frauen-Bild – zur angepassten
(Selbst-)Beherrschung des Körpers führen (McRobbie 2010). Treibende Kraft hier-
für ist der Gestaltungs- und Optimierungszwang, dem sich das neoliberale Indivi-
duum freiwillig unterwirft.

3.2 Soziale Medien

Verstärkt durch technologische Möglichkeiten, wie Smartphones, Beauty-Apps,


spielen körper-, schönheits- und fitnessbezogene Inhalte, die Selbstoptimierung
zum Ziel haben, besonders in sozialen Netzwerken eine wichtige Rolle. Diese
Entwicklung lässt sich an dem neuen Berufsbild des Instagram-Fitness-Models
verdeutlichen. Gleichzeitig können im Internet Körpernormen von jungen Frauen
herausgefordert werden. Social-Media-Plattformen ermöglichen es, normierte Kör-
per, die sonst in medialen Diskursen omnipräsent zu schein scheinen, durch provo-
kative Postings zu kritisieren, wenngleich derartige, von „der Norm“ abweichende
Bilder zum Teil massive Beleidigungen und Hass-Kommentare nach sich ziehen.
Ana Elias und Gill (2018) untersuchten die Popularität sogenannter „Schönheits-
Apps“6, genauer „apps that are centred on beauty surveillance“, und deren Einfluss
auf Wahrnehmungsweisen und Vorstellungen von Schönheit. Elias und Gill (2018,
S. 68) konstatieren: Beauty-Apps „increase the extent to which the female body and
face are rendered visible as a site of crisis and commodification“. Weiters wirken
diese an der Herstellung eines postfeministischen Subjekts mit – „incited to monitor,
track, work on and optimize all areas of her life“ (Gill 2017, S. 617).

6
Mittels Schönheits-Apps lassen sich Bilder bearbeiten, filtern bzw. „optimieren“, die körperliche
Schönheit unter der Prämisse „how beautiful am I“ bewerten, die Haut auf Makel scannen oder
kosmetische Veränderungen hypothetisch testen.
Wer schön sein will . . . Körpernormen und Schöhnheitsdiskurse in den Medien 943

3.3 Reality-Fernsehen

Im Bereich des Reality-Fernsehens spielt der Körper als Austragungsort kultur- und
sozialpolitischer Resistenzen und Anforderungen eine entscheidende Rolle, wie
Andrea Seier am Beispiel des österreichischen Formats Saturday Night Fever zeigt
(Seier 2012, S. 133). Shows, in denen direkt am Körper bzw. seinen Fähigkeiten
gearbeitet wird, scheinen in der TV-Landschaft omnipräsent, sind somit „Teil einer
visuell unterfütterten Diskursivierung von Körpermanipulationen“ (Villa 2008b,
S. 260) sowie ideales Untersuchungsmaterial für Selbstvermarktung in Bezug auf
Leistungs- und Optimierungszwänge (Thomas 2008, S. 222–223). Besonders die
plastische Chirurgie ist seit vielen Jahren Gegenstand medialer Inszenierung. Das
Format I want a famous face stellt dabei ein besonders plakatives Beispiel dar, in
dem sich vor allem junge Erwachsene ästhetischer Chirurgie zuwenden, um sich
äußerlich möglichst stark an ihren Lieblingsstar anzunähern. Für Paula-Irene Villa
(2008b) liegt die Dramatik der Doku-Soap Spieglein, Spieglein (VOX) darin, dass
diese zur „Wellness-Dienstleistung“ an der Kundschaft mutiert und dabei zum Ziel
hat, „Wohlbefinden“ mit beruflichen Ambitionen und ökonomischen Motivationen,
insgesamt ein erfolgreiche(re)s Leben, sicherzustellen (Villa 2008b, S. 253). Neben
dem Lifestyle-TV-Format7 I want a famous face stellt das Makeover-Format The
Swan – Endlich schön (ProSieben) eine weitere, Schönheitsoperationen fokussie-
rende Castingshow dar. The Swan begleitet den Prozess eines vermeintlich defizitä-
ren Vorhers der Kandidatinnen zu einem optimierten Nachher. ExpertInnen aus den
Bereichen Chirurgie, Zahnmedizin, Fitness und mentalem Training unterstützen die
Frauen bei ihrer „Verwandlung“, bei der sie sich nicht im Spiegel betrachten dürfen.
Dies ist dem Finale der jeweiligen Episode vorbehalten, in dem sich die Kandida-
tinnen ihren neuen, „optimierten“ Körper durch Zeigen in Richtung des eigenen
Spiegelbildes beziehungsweise zeitgleiches Ertasten aneignen, das eigene Selbst erst
handhabbar machen müssen, um so an den chirurgisch überarbeiteten Körper an-
schließen zu können (Seier und Surma 2008). Thomas (2008, S. 229) verweist dabei
auf Parallelen mit Lacans Spiegelphase, wonach sich Individuen mit ihrem Spie-
gelbild identifizieren müssen, um sich dem (neuen) Ich gewahr zu werden. Neben
einem durchaus zu konstatierenden Machtzuwachs der jeweiligen Kandidatinnen
(Seier und Surma 2008, S. 194) darf der Konformitätsdruck, der sich an Schön-
heitsidealen orientiert, bei kritischer Analyse derartiger Formate nicht außer Acht
gelassen werden. Simon Strick (2008), der die Erzählbarkeit eines „kosmetischen
Selbst“ und dessen Ambivalenz innerhalb von The Swan analysierte und in einem
Spannungsverhältnis zwischen Normierung und Ermächtigung verortet, geht
davon aus, dass der Schematisierung des Körpers sowie bestimmten Formen der
Auslöschung (z. B. von individualisierenden Spuren wie Altersfältchen) innerhalb

7
Diese Formate zeichnen sich vor allem durch ihre „Ratgeber-Funktion“, ihre intensive, affektive
Aufladung, ihr „Mitmach-Angebot“ sowie Narrativisierung und Dramatisierung aus und bieten
Modelle der Lebensführung sowie Handlungsmuster an (Thomas 2008, S. 232; Seier und Surma
2008, S. 173–175).
944 J. E. Goldmann und L. Herbst

des Formats eine zentrale Rolle zukommt. Erst durch ihre Einbettung in gesell-
schaftliche Narrative und diskursive Programme wird eine Technologie zu einer
bedeutungstragenden, unterdrückenden oder emanzipativen Technik (Strick 2008,
S. 201). Schönheitschirurgische Eingriffe können daher als „Technologie des
Selbst“ verstanden werden. Das Fernsehen übernimmt hier die Funktion einer
„gouvernementalen Reg(ul)ierung, die Medientechnologien und Technologien
der Selbst- und Fremdführung miteinander verzahnt“ (Seier und Surma 2008,
S. 175).
Die Model-Casting-Show Germany’s Next Topmodel by Heidi Klum (GNTM) auf
dem Privatsender ProSieben wurde von verschiedenen AutorInnen hinsichtlich einer
Normierung von Körper und Schönheit (z. B. Scott 2010; Lippl und Wohler 2011),
einer Reproduktion des unternehmerischen Selbst (z. B. Thomas 2008; Stehling
2015) wie auch der Rezeption des Doing Gender (Luca 2010) in den Blick genom-
men. Deren Potenzial zur Abweichung von traditionellen Geschlechterordnungen
erwies sich jedoch als Absicherung der „Normalität“ (Luca 2010, S. 211); diese
stereotype Inszenierung von Geschlecht spiegelte sich auch in der Rezeption von
GNTM wieder. Katharina Knüttel (2011) analysierte intersektionale Verortungen der
Kandidatinnen der fünften Staffel und kam zu dem Schluss, dass Entscheidungs- und
Gestaltungsfreiheit hinsichtlich des Köpers innerhalb gewisser Grenzen (von west-
lichen Schönheitsidealen) gegeben sind, strukturelle Ungleichheiten zwischen den
Kandidatinnen selbst sowie der Teilnehmerinnen zur Jury einer emanzipatorischen
Praxis jedoch fundamental im Wege stünden.
In den Staffeln elf bis dreizehn wurden bei GNTM die Kandidatinnen in zwei
Teams aufgeteilt: in „Team Weiß“, das von Michael Michalsky gecoacht wird, und
„Team Schwarz“, in dem die Teilnehmerinnen von Thomas Hayo trainiert werden.
Team Weiß wurde in Staffel zwölf von Coach Michalsky wie auch Heidi Klum des
Öfteren als „Team Diversity“ bezeichnet (Rützel 2017). Dies resultiert laut Mich-
alsky daraus, dass die „Vielfältigkeit der Mädchen“ für ihn im Zentrum stünde.
Diese grundsätzlich begrüßenswerte Vielfältigkeit in „Team Weiß“ wird durch die
eher burschikose Skaterin Victoria, die zielorientierte und quirlige Anh mit asiati-
schen Wurzeln, die dunkelhäutige Leticia und, nicht zuletzt, dem Transgender-
Model Giuliana gestellt. Wird die „Vergangenheit“ Giulianas anfangs noch erfri-
schend unaufgeregt behandelt, ändert sich dies schlagartig, als das Model sich im
Bikini präsentieren soll. Michalsky betont, dass Giuliana mit ihrer Femininität „noch
nicht so ganz zurecht“ kommt; sogar vom Ausstieg ist die Rede. Ein Gespräch mit
dem Teamcoach macht Mut: Michalsky bezeichnet sie sogleich als „Gewinnerin der
Herzen“, versichert, dass ihre Situation „für Heidi absolut kein Thema“ sei, was dazu
führt, dass Giuliana sich letztendlich beim Shooting „voll stark“ fühlt. Es ist also
abermals eine, die gesellschaftlichen Normen vertretende, autoritäre Person, der
Team-Coach, der Giulianas Körperlichkeit bestärkt.
Diese Autorität spiegelt sich auch in der Optimierung des Aussehens, dem
„Umstyling“ wieder. Bezeichnend ist, dass die Teilnehmerinnen dabei keinerlei
Mitspracherecht haben. Obwohl die jungen Damen Woche für Woche hart an sich
selbst, ihrem Körper und dessen Fähigkeiten arbeiten, scheint insbesondere
Wer schön sein will . . . Körpernormen und Schöhnheitsdiskurse in den Medien 945

die körperliche Komponente des individuellen Schönheitshandelns eben nicht


selbstbestimmt zu sein, wie das Umstyling (ohne Spiegel) beweist. Hier prakti-
zieren die ExpertInnen ein hierarchisches Vorgehen, das mit dem Regelwerk der
Show prompt gerechtfertigt wird: Jede Teilnehmerin wüsste schließlich, worauf
sie sich einließe. So sehen sich die Körper der Teilnehmerinnen trotz der Diversity
doch frappierend ähnlich; Diversity im Hinblick auf körperliche Vielfalt kommt
leider zu kurz. Die präsentierten Körper gleichen stark der Schablone des
dominant-schlanken Weiblichkeitsideals (Thomas 2008, S. 224). Positiv anzu-
merken ist aber die ethnische Vielfalt, die bereits von Knüttel (2011) konstatiert
wurde.
Daneben erfahren seit einigen Jahren auch sogenannte Curvy bzw. Plus-Size-
Models, als Teil der body-positivity-Bewegung, verstärkt mediale Aufmerksamkeit
(z. B. Curvy Supermodel, seit 2016 auf RTL II). Von einer Normalisierung durch-
schnittlicher (Frauen-)Körper kann jedoch keineswegs die Rede sein.

3.4 Rezeption

Die Rezeption von „idealen“ Körperbildern kann durch die Diskrepanz zwischen
Selbst- und medialem Idealbild zu Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper führen
(Pöhlmann und Joraschky 2008, S. 4). Einige Forschungsergebnisse deuten auf
einen Zusammenhang zwischen der wiederholten Rezeption idealisierter Körperdar-
stellungen und einem negativen Körperempfinden hin. Belegt wurde diese Kor-
relation für Zeitschriften, Fernsehsendungen und Musikfernsehen als auch Fernseh-
und Printwerbungen (Grabe et al. 2008; Hausenblas et al. 2013; Levine und Murnen
2009). Ebenfalls wirkt sich eine hohe Nutzung von Fitness- und Sportinhalten auf
Instagram negativ auf das Körperbild von Jugendlichen aus, wie Carolin Krämer
(2017) in ihrer Onlinebefragung feststellte: Je häufiger die App-Nutzung, desto
intensiver ist der wahrgenommene Druck, besser in Form zu sein, Körperfettanteil
zu reduzieren bzw. abzunehmen (Krämer und Döveling 2016). Im Weiteren ist eine
korrelative Evidenz zwischen der Befürwortung von ästhetischer Chirurgie und der
wiederholten, regelmäßigen Rezeption idealisierter Körperbilder, etwa in Beauty-
zeitschriften und diversen Fernsehsendungen feststellbar (Sharp et al. 2014). Ross-
mann und Brosius (2005) fragten in ihrer Studie nach der Wahrnehmung der
Darstellung von Schönheit in Medien und kamen zu dem Ergebnis, dass die Bereit-
schaft der RezipientInnen, sich selbst zu optimieren, steigt, wenn das Identifikati-
onspotenzial mit der medialen Darstellungsform eher hoch ist. Zu einem anderen
Ergebnis kamen Duits und van Zoonen (2013), die in einer Studie zur Rezeption von
Musikprogrammen zeigen, dass idealisierte wie sexualisierte Bilder ganz unter-
schiedlich auf junge Frauen wirken. Die Autorinnen heben dabei insbesondere den
unmittelbaren Zusammenhang mit der eigenen Biografie der jungen Frauen hervor.
Miriam Stehling (2015) ging der Frage nach, wie sich junge Zuschauerinnen in
verschiedenen kulturellen Kontexten das global gehandelte Fernsehformat Topmo-
del in der jeweiligen deutschen und US-amerikanischen Länderversion in Bezug auf
946 J. E. Goldmann und L. Herbst

die Anrufungen an eine ‚Unternehmerin ihrer selbst‘8 aneignen. Die Gruppendis-


kussionen ergaben, dass junge Zuseherinnen der deutschen und US-amerikanischen
Version das darin präsentierte Schönheits- und Schlankheitsdiktat in ähnlicher Art
und Weise kritisieren, durch Verweise auf professionelle Ästhetik und Sachzwänge
der Mode(l)branche gleichzeitig legitimieren (Stehling 2015, S. 235–248).

4 Fazit

Schönheit kann als Symbolsystem der menschlichen Kultur verstanden werden, als
Mittel der Kommunikation, das historischen Gesetzmäßigkeiten unterliegt und auf
komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge verweist (Penz 2010, S. 18). Körper
und Schönheit sind also weder Schicksal noch etwas Gegebenes, sondern werden
diskursiv hergestellt, ganz zentral (auch) durch Medien. Wie Paula-Irene Villa
beschreibt, herrscht aktuell zum einen ein „skulpturales Körperideal“ (Hausbichler
2017), zum anderen eine strikte, kontextspezifische Geschlechterdifferenzierung in
Sachen Schönheit (entgegen der Annahme eines vermehrten „Undoing gender“, der
expliziten Inszenierung von Ungeschlechtlichkeit) vor. Frauen-Körper werden nach
wie vor einer genauen Überprüfung unterzogen. Doch einige junge Frauen haben
keine Lust mehr, sich bestimmten Idealen zu unterwerfen oder „Heidis Girl“ zu
werden. Unter dem Hashtag #notheidisgirl protestierten im Oktober 2017 zahlreiche
Frauen gegen den Schlankheits- und Schönheitswahn von Castingshows.
Die Ideale, an denen sich dieses individuelle Körperhandeln misst, gehen häufig
auf medial verbreitete Bilder „perfekter“ Körper zurück, die schließlich im Alltag
reproduziert werden. Welche ‚abweichenden‘ Körper akzeptiert werden und damit
letztlich Teil der Medien- und Alltagskultur sind bzw. werden und welche eben
nicht, hängt von historischen und kulturellen Kontexten ab und ist Ergebnis diskur-
siver Aushandlungsprozesse. Ob es gelingt, neue Körper- und Frauenbilder inner-
halb der Medien- und damit auch der Alltagswelt zu etablieren und somit ein
gesellschaftliches Umdenken zu befördern, bleibt insbesondere für die Wissenschaf-
ten spannend zu beobachten. Daraus folgt, dass hinsichtlich Schönheitsnormen nicht
die eigentliche Erscheinung einer Person relevant ist, sondern wie das unmittelbare
Umfeld diese bewertet bzw. dessen Bruch sanktioniert (Posch 2009, S. 24–25).
Diese Bewertungen gemäß bestimmten Idealvorstellungen resultieren einerseits
aus der größeren Verfügbarkeit an Schönheitsvorbildern aufgrund der Globalisie-
rung und Digitalisierung, andererseits wäre es zu kurz gegriffen, das Streben nach
Schönheit allein auf mediale Einflüsse bzw. das „globalisierte Medienzeitalter“
(Posch 2009, S. 24) zurückzuführen.
Forschungsdesiderate sind Medieninhalts- sowie Rezeptionsanalysen zu
Körpern, die binäre Strukturen überwinden, Normen der zweigeschlechtlichen He-
teronormativität unterlaufen, wie trans- und intersexuelle Körper. Ebenfalls sollte

8
Das heißt ein neoliberales Frauen-Bild, nach dem eine Frau umso erfolgreicher ist, je mehr sie sich
diszipliniert und marktgerecht verhält (McRobbie 2010).
Wer schön sein will . . . Körpernormen und Schöhnheitsdiskurse in den Medien 947

männliches Schönheitshandeln Gegenstand weiterer Untersuchungen sein. Denn


obgleich Frauen traditionell weitaus mehr Schönheitsimperativen unterworfen sind,
wächst der Druck der körperlichen Optimierung auch für Männer. Die Zunahme von
Schönheitsoperationen und Magersucht (Degele 2004, S. 203–204) stellt einen
entsprechenden Indikator dafür dar, dass auch für Männer Schönheitsvorstellungen
bzw. -praxen zu Imperativen werden.

Literatur
Bordo, Susan, Hrsg. 1993. Reading the slender body. In unbearable weight: Feminism, Western
culture, and the body, 181–212. Berkeley: University of California Press.
Bourdieu, Pierre. 1983. Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In Soziale
Ungleichheiten. Soziale Welt, Sonderband 2, Hrsg. Reinhard Kreckel, 183–198. Göttingen: Otto
Schwartz & Co.
Bourdieu, Pierre. 1985. Sozialer Raum und ‚Klassen‘. Leçon sur la leçon. Zwei Vorlesungen.
Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Bourdieu, Pierre. 1987. Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frank-
furt a. M.: Suhrkamp.
Bröckling, Ulrich. 2007. Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform.
Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Bublitz, Hannelore. 2012. Das Maß aller Dinge. Die Hinfälligkeit des (Geschlechts-)Körpers. In
Medien – Körper – Geschlecht. Diskursivierungen von Materialität, Hrsg. Birgit Riegraf, Dierk
Spreen, und Sabine Mehlmann, 19–36. Bielefeld: transcript.
Degele, Nina. 2004. Sich schön machen. Zur Soziologie von Geschlecht und Schönheitshandeln.
Wiesbaden: Springer.
Degele, Nina. 2008. Normale Exklusivitäten – Schönheitshandeln, Schmerznormalisieren, Körper
inszenieren. In schön normal. Manipulationen am Körper als Technologien des Selbst, Hrsg.
Paula-Irene Villa, 67–84. Bielefeld: transcript.
Degele, Nina, und Gabriele Winker. 2007. Intersektionalität als Mehrebenenanalyse. https://www.
soziologie.uni-freiburg.de/personen/degele/dokumente-publikationen/intersektionalitaet-mehre
benen.pdf. Zugegriffen am 18.06.2019.
Duits, Linda, und Liesbet van Zoonen. 2013. Zum Umgang mit Sexualisierung. In Sexy Media?
Gender/Queertheoretische Analysen in den Medien- und Kommunikationswissenschaften, Hrsg.
Skadi Loist, Sigrid Kannengießer, und Joan Kristin Bleicher, 89–112. Bielefeld: transcript.
Duschinsky, Robbie. 2013. The emergence of sexualization as a social problem: 1981–2010. Social
Politics 20(1): 137–156.
Elias, Ana Sofia, und Rosalind Gill. 2018. Beauty surveillance: The digital self-monitoring cultures
of neoliberalism. European Journal of Cultural Studies 21(1): 59–77.
Gill, Rosalind. 2016. Love your body – But hate it too. The contradictions of contemporary beauty
culture. https://lecture2go.uni-hamburg.de/l2go/-/get/v/20230. Zugegriffen am 12.03.2019.
Gill, Rosalind. 2017. The affective, cultural and psychic life of postfeminism: A postfeminist
sensibility 10 years on. European Journal of Cultural Studies 20(6): 606–626.
Gill, Rosalind, und Shani Orgad. 2015. The confidence cult(ure). Australian Feminist Studies
30(86): 324–344.
Gill, Rosalind, Karen Henwood, und Carl McLean. 2005. Body projects and the regulation of
normative masculinity. Body & Society 11(1): 37–62.
Grabe, Shelly, Janet Shibley Hyde, und L. Monique Ward. 2008. The role of the media in body
image concerns among women. A meta-analysis of experimental and correlational studies.
Psychological Bulletin 134(3): 460–476.
Gugutzer, Robert. 2004. Soziologie des Körpers. Soziologische Themen. Themen der Soziologie.
Bielefeld: transcript.
948 J. E. Goldmann und L. Herbst

Gugutzer, Robert. 2012. Die Sakralisierung des Profanen. Der Körperkult als individualisierte
Sozialform des Religiösen. In Körper, Sport und Religion. Zur Soziologie religiöser Verkörpe-
rungen, Hrsg. Robert Gugutzer und Moritz Böttcher, 285–309. Wiesbaden: Springer.
Hausbichler, Beate. 2017. Warum sich das Körperhaar rar macht. Der Standard. http://derstandard.
at/2000055578928/Warum-sich-das-Koerperhaar-rar-macht. Zugegriffen am 12.06.2017.
Hausenblas, Heather A., Anna Campbell, Jessie E. Menzel, Jessica Doughty, Michael Levine, und
J. Kevin Thompson. 2013. Media effects of experimental presentation of the ideal physique on
eating disorder symptoms. A meta-analysis of laboratory studies. Clinical Psychology Review
33(1): 168–181.
Hipfl, Brigitte. 2004. Mediale Identitätsräume. Skizzen zu einem „spatial turn“ in der Medien- und
Kommunikationswissenschaft. In Identitätsräume. Nation, Körper und Geschlecht in den Medien.
Eine Topografie, Hrsg. Brigitte Hipfl, Elisabeth Klaus, und Uta Scheer, 16–50. Bielefeld: transcript.
Klein, Gabriele. 2008. BilderWelten – KörperFormen: Körperpraktiken in Mediengesellschaften. In
Medienkultur und soziales Handeln, Hrsg. Tanja Thomas, 209–217. Wiesbaden: Springer.
Klinger, Cornelia, und Gudrun-Axeli Knapp, Hrsg. 2008. ÜberKreuzungen. Fremdheit, Ungleich-
heit, Differenz. Münster: Westfälisches Dampfboot.
Klinger, Cornelia, Gudrun-Axeli Knapp, und Birgit Sauer, Hrsg. 2007. Achsen der Ungleichheit.
Zum Verhältnis von Klasse, Geschlecht und Ethnizität. Frankfurt: Campus.
Knop, Karin, und Tanja Petsch. 2010. ‚Initiative für wahre Schönheit‘ – die Rückkehr des Alltags-
körpers in die idealisierte Körperwelt der Werbung. In Alltag in den Medien – Medien im Alltag,
Hrsg. Jutta Röser, Tanja Thomas, und Corinna Peil, 119–137. Wiesbaden: Springer.
Knüttel, Katharina. 2011. Schöne schwarze Frau macht Karriere? Intersektionale Ambivalenzen in
„Germany’s Next Topmodel“. In Intersektionalität und Kulturindustrie. Zum Verhältnis sozialer
Kategorien und kultureller Repräsentation, Hrsg. Katharina Knüttel und Martin Seeliger,
131–159. Bielefeld: transcript.
Koppetsch, Cornelia, Hrsg. 2000. Die Verkörperung des schönen Selbst. Zur Statusrelevanz von
Attraktivität. In Zur Soziologie der Attraktivität, 99–124. Konstanz: UVK.
Krämer, Carolin. 2017. Instagram und Körperbild. Eine quantitative Onlinebefragung zur Nutzung
und Wirkung von Sport- und Fitnessinhalten im Kontext sozialer Vergleichsprozesse auf Insta-
gram. Masterarbeit: Universität Leipzig. Neobooks.
Krämer, Carolin, und Katrin Döveling. 2016. Instagram and body image. A current analysis of the
usage and effect of fitness images on Instagram. Vortrag auf der Tagung der DGPuK Fachgruppen
‚Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht‘ und ‚Visuelle Kommunikation‘. 28.–30.09.2016, Ham-
burg.
Levine, Michael P., und Sarah K. Murnen. 2009. „Everybody knows that mass media are/are not
(pick one) cause of eating disorders“: A critical review of evidence for a causal link between
media, negative body image, and disordered eating in females. Journal of Social and Clinical
Psychology 28(1): 9–42.
Link, Jürgen. 2005. Uniformität zwischen Normativität und Normalität. In Schönheit der Uni-
formität. Körper, Kleidung, Medien, Hrsg. Gabriele Mentges und Birgit Richard, 43–56.
Frankfurt/Main: Campus.
Lippl, Bodo, und Ulrike Wohler. 2011. Germany’s Next Topmodel – by Heidi Klum als Schule des
ästhetischen Auftretens. In Ästhetisierung des Sozialen. Reklame, Kunst und Politik im Zeitalter
visueller Medien, Hrsg. Lutz Hieber und Stephan Moebius, 227–259. Bielefeld: transcript.
Luca, Renate. 2010. Mediale Körperrepräsentationen und Rezeptionspraktiken des doing gender
am Beispiel von „Germany’s Next Topmodel“. In Fokus Medienpädagogik. Aktuelle For-
schungs- und Handlungsfelder, Hrsg. Petra Bauer, Hannah Hoffmann, und Kerstin Mayrberger,
208–220. München: Kopaed.
Lünenborg, Margreth, und Tanja Maier. 2013. Gender Media Studies. Eine Einführung. Konstanz:
UVK.
McRobbie, Angela. 2010. Top Girls: Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlech-
terregimes. Wiesbaden: Springer.
Wer schön sein will . . . Körpernormen und Schöhnheitsdiskurse in den Medien 949

Mühlen Achs, Gitta. 2003. Wer führt? Körpersprache und die Ordnung der Geschlechter. Mün-
chen: Verlag Frauenoffensive.
Murray, Dara Persis. 2014. Investigating users’ responses to Dove’s ‚real beauty‘ strategy: Femi-
nism, freedom and Facebook. In The Routledge companion to media and gender, Hrsg. Carter
Cynthia, Linda Steiner, und Lisa McLaughlin, 533–542. London: Routledge.
Penny, Laurie. 2012. Fleischmarkt. Weibliche Körper im Kapitalismus. Hamburg: Nautilus.
Penz, Otto. 2010. Schönheit als Praxis Über klassen- und geschlechtsspezifische Körperlichkeit.
Frankfurt a. M./New York: Campus.
Pöhlmann, Karin, und Peter Joraschky. 2008. Entwicklung und Validierung des Dresdner Körper-
bildfragebogens (DKB-35). In Körperorientierte Diagnostik und Psychotherapie bei Essstörun-
gen, Hrsg. Peter Joraschky, Hedda Lausberg, und Karin Pöhlmann, 1–20. Gießen: Psychosozial.
Posch, Waltraud. 2009. Projekt Körper. Wie der Kult um die Schönheit unser Leben prägt. Frankfurt
a. M.: Campus.
Reichert, Tom, Courtney Carpenter Childers, und Leonard N. Reid. 2012. How sex in advertising
varies by product category. An analysis of three decades of visual sexual imagery in magazine
advertising. Journal of Current Issues and Research in Advertising 33(1): 1–19.
Rossmann, Constanze, und Hans-Bernd Brosius. 2005. Vom hässlichen Entlein zum schönen
Schwan? Zur Darstellung und Wirkung von Schönheitsoperationen im Fernsehen. Medien &
Kommunikationswissenschaft 53(4): 507–532.
Rützel, Anja. 2017. Germany’s Next Topmodel. „Als Model ist es besser, cleane Achseln zu
haben“. Spiegel online. http://www.spiegel.de/kultur/tv/germany-s-next-topmodel-12-staffel-
der-heidi-klum-show-auf-prosieben-a-1133868.html. Zugegriffen am 26.05.2017.
Schmidt, Siegfried J. 2000. Werbekörper als Augenfallen, als Aufmerksamkeitsfallen. In Kunst-
körper – Werbekörper, Hrsg. Gerhard Johann Lischka, 91–97. Wiesbaden: Westdeutscher
Verlag.
Scott, Julie-Ann. 2010. Revising bodily texts to the dominant standard. A feminist rhetorical
criticism of the makeover episode of America’s Next Top Model. In Fix me up. Essays on
television dating and makeovershows, Hrsg. Judith Lancioni, 118–133. N.C.: McFarland.
Seier, Andrea. 2012. Mediatisierte Multituden. Fernsehen und Fernsehkritik als immaterielle
Arbeit. In Medien – Körper – Geschlecht. Diskursivierungen von Materialität, Hrsg. Birgit
Riegraf, Dierk Spreen, und Sabine Mehlmann, 117–136. Bielefeld: transcript.
Seier, Andrea, und Hanna Surma. 2008. Schnitt-Stellen – Mediale Subjektivierungsprozesse in
THE SWAN. In schön normal. Manipulationen am Körper als Technologien des Selbst, Hrsg.
Paula-Irene Villa, 173–198. Bielefeld: transcript.
Setzwein, Monika. 2004. Ernährung – Körper – Geschlecht. Zur sozialen Konstruktion von
Geschlecht im kulinarischen Kontext. Wiesbaden: Springer.
Sharp, Gemma, Marika Tiggemann, und Julie Mattiske. 2014. The role of media and peer influences
in Australian women’s attitudes towards cosmetic surgery. Body Image 11(4): 482–487.
Sieverding, Monika. 1993. Geschlecht und physische Attraktivität. In Physische Attraktivität, Hrsg.
Manfred Hassebrauck und Reiner Niketta, 235–269. Göttingen: Hogrefe.
Stearns, Peter. 1997. Fat History. Bodies and beauty in the modern West. New York: University
Press.
Stehling, Miriam. 2015. Die Aneignung von Fernsehformaten im transkulturellen Vergleich: Eine
Studie am Beispiel des Topmodel-Formats. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Strick, Simon. 2008. Vorher Nachher – Anmerkungen zur Erzählbarkeit des kosmetischen Selbst. In
schön normal. Manipulationen am Körper als Technologien des Selbst, Hrsg. Paula-Irene Villa,
199–217. Bielefeld: transcript.
Thomas, Tanja. 2008. Körperpraktiken und Selbsttechnologien in einer Medienkultur: Zur gesell-
schaftstheoretischen Fundierung aktueller Fernsehanalyse. In Medienkultur und soziales Han-
deln, Hrsg. Tanja Thomas, 219–237. Wiesbaden: Springer.
Villa, Paula-Irene. 2006. Sexy Bodies. Eine soziologische Reise durch den Geschlechtskörper,
3. Aufl. Wiesbaden: Springer.
950 J. E. Goldmann und L. Herbst

Villa, Paula-Irene, Hrsg. 2008a. Einleitung – Wider die Rede vom Äußerlichen. In schön normal.
Manipulationen am Körper als Technologien des Selbst, 7–20. Bielefeld: transcript.
Villa, Paula-Irene, Hrsg. 2008b. Habe den Mut, Dich Deines Körpers zu bedienen! Thesen zur
Körperarbeit in der Gegenwart zwischen Selbstermächtigung und Selbstunterwerfung. In schön
normal. Manipulationen am Körper als Technologien des Selbst, 245–272. Bielefeld: transcript.
Wacquant, Loïc J. D. 1995. Pugs at work: Bodily capital and bodily labour among professional
boxers. Body & Society 1(1): 65–94.
Willems, Herbert. 2005. Medien und die Inszenierung sozialer Rollen. In Mediensoziologie.
Grundfragen und Forschungsfelder, Hrsg. Michael Jäckel, 107–124. Wiesbaden: Springer.
Wolf, Naomi. 1991. Der Mythos Schönheit. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
Zoonen, Lisbeth van. 1994. Feminist media studies. Los Angeles: Sage.
Hollywood-Stars und Social Media
Celebrities

Martina Schuegraf

Inhalt
1 Einleitung: Die Anfänge der Star-Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 952
2 Vergeschlechtlichte Star-Produktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 953
3 Transformationsprozesse: Von Stars zu Celebrities . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 956
4 Ausblick: Social Media Celebrities und Gender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 958
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 960

Zusammenfassung
Prozesse der Celebritisierung verändern sich mit Entwicklungen der Medien und
im Besonderen durch das Social Web. In den Anfängen Hollywoods waren es
insbesondere weibliche Stars, welche die Studios hervorbrachten. Seit Ein-
führung des Fernsehens und mit dem New Hollywood verschob sich das Ge-
schlechterverhältnis zugunsten männlicher Stars. Denn Stars unterliegen gesell-
schaftlichen, ökonomischen und soziokulturellen Bedingungen und sind damit
stets Prozessen des Wandels unterworfen. Mit den Social Media und den daran
gekoppelten Möglichkeiten verwischen zudem die Grenzen zwischen (klassi-
schen) Stars und (teils selbst ernannten) Celebrities. Denn Celebrities werden
erst im Vollzug der Mediennutzung konstituiert. Dies führt zu Social Media
Celebrities, welche sich durch ihre (besondere) Präsentation von ihrer Commu-
nity abheben, dabei jedoch hegemoniale Geschlechterdiskurse fortschreiben.

Schlüsselwörter
Celebrity · Social Media · Social Media Celebrities · Filmstars · Hollywood

M. Schuegraf (*)
Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK), Bielefeld, Deutschland
E-Mail: schuegraf@web.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 951
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_54
952 M. Schuegraf

1 Einleitung: Die Anfänge der Star-Forschung

Betrachtet man die vorhandene Literatur zur Star-Forschung, wird deutlich, dass der
Beginn des Startums mit Hollywood verknüpft wird und damit im Filmgeschäft
verortet ist (u. a. DeCordova 2001; Lowry und Korte 2000; Faulstich und Korte
1997). Somit sind die ersten Stars eng an das Kino gebunden. In Hollywood
etablierte sich ein elaboriertes Starsystem, in dem die Schauspieler*innen von den
Studios und den Produzent*innen abhängig sind.
Erst viel später begann die wissenschaftliche Forschung, sich mit dem Phänomen
der Stars auseinanderzusetzen. Der Fokus dieser Studien lag in erster Linie auf
US-Filmstars und dem Hollywoodsystem. Ansätze, die Filmstars systematisch
untersuchten, entstanden in den 1960er- und 1970er-Jahren (u. a. Alberoni 2006
[1962]; Boorstin 1971), zunächst vor allem aus soziologischer oder psychologischer,
später auch historischer und kulturkritischer Perspektive (Faulstich und Strobel
1989, S. 7). Die Basis für eine erste Startheorie, die bis heute Bezugspunkt für alle
weiteren Entwicklungen ist, legte Richard Dyer (1979, 1986) vor. In „Heavenly
Bodies“ (1986) analysiert er weibliche und männliche Filmstars – im Fokus stehen
hier vor allem Marilyn Monroe, Paul Robeson sowie Judy Garland – und fragt nach
ihrer gesellschaftlichen Funktion. Dyer verfolgt hier einen soziokulturellen Ansatz
(Weingarten 2004, S. 23) und legt bei seinen Studien auch Diskurse um das Startum
zu Grunde. Es geht ihm also nicht nur um Repräsentationsanalysen einzelner Stars,
sondern ebenso um diskursanalytische Elemente, welche auf das gesellschaftliche
Verhaftet-Sein von Stars im Hinblick auf bestimmte Thematiken (Androgynität,
Ethnie, Sexualität) zielen. Dyers Werke werden als Grundlagenstudien für weitere
Staranalysen insbesondere in der Filmwissenschaft betrachtet (Gledhill 1991, S. xiv).
Auch im deutschsprachigen Raum wurde die Starforschung in erster Linie aus
einer filmwissenschaftlichen Perspektive vorangetrieben. Zum Beispiel analysieren
Stephen Lowry und Helmut Korte in ihrem Buch „Der Filmstar“ (2000) ältere und
auch neuere Starphänomene im Hinblick auf systembedingte Unterschiede zwischen
Hollywood und dem Filmland Deutschland, welche sich im Imageaufbau sowie in
der öffentlichen Präsenz manifestieren. Als einer der wenigen untersuchte Werner
Faulstich in den 1990er-Jahren neben Filmstars auch Fernseh- sowie Rock- und
Popstars aus einer medienwissenschaftlichen Perspektive (u. a. Faulstich 1997;
Faulstich und Korte 1997). In ihrem bibliografischen Überblick zum Starphänomen
weisen er und Ricarda Strobel darauf hin, dass der traditionelle Starbegriff mit Bezug
auf den Film und auf das Rockgenre schon angesichts des Fernsehens fragwürdig
wird, da sich mit neuen Medien und daran gekoppelten Präsentationsformen auch
Starphänomene diversifizieren. Sie fordern für zukünftige Studien einen breiteren
und interdisziplinären Zugriff auf Stars (Faulstich und Strobel 1989, S. 11).
Insgesamt lässt sich jedoch festhalten, dass in den Anfängen der Begriff „Star“
eine berühmte bzw. prominente Persönlichkeit bezeichnet, die aufgrund ihrer Pro-
fession als Filmschauspieler*in öffentlichkeitswirksam bekannt geworden ist. Erst
mit neueren Studien wird der Starbegriff auch auf andere gesellschaftliche Bereiche
und ihre Akteur*innen übertragen. Hier stehen in erster Linie Musiker*innen und
später Sportler*innen (u. a. Gaitanides 2001; Marschick und Spitaler 2006), aber
Hollywood-Stars und Social Media Celebrities 953

auch Models und Politiker*innen im Mittelpunkt.1 Damit einher gehen Fokussie-


rungen auf bestimmte Aspekte des Starphänomens, z. B. spezifische Imageanalysen
einzelner Musik-Stars (Borgstedt 2008) oder die Untersuchung von Geschlechterre-
präsentationen bei Hollywoodstars (Weingarten 2004). Diesen Studien gemein ist
die Verknüpfung des Startums mit einem besonderen Talent, welches zumeist auf
eine Profession verweist. Somit beziehen sich die Studien häufig auf Star-Personen,
die Karriere im Film, Fernsehen, Musikgeschäft oder Sport gemacht haben und
damit in ihrem Bereich besonders leistungsfähig sind und dafür von anderen bewun-
dert werden. In diesem Sinne ist an Stars eine Erwartungshaltung nach herausragen-
den Leistungen, großen Taten und besonderem Können in einem professionellen
Rahmen gekoppelt, wodurch sie sich von anderen deutlich abheben.

2 Vergeschlechtlichte Star-Produktion

Eine explizit geschlechterzentrierte Forschungsperspektive vor allem im Hinblick


auf die Repräsentation von Stars in Hollywoodfilmen und der damit verknüpften
Produktion von Star-Phänomenen entwickelte sich erst im Laufe der Starforschung
(u. a. Gledhill 1992; Rustemeyer 1997; Hörnlein 2003; Weingarten 2004; Helleis
2006). Dabei handelt es sich zumeist um Studien, die der Filmwissenschaft bzw. den
Film Studies zugerechnet werden können und die Sichtbarkeit weiblicher (zumeist
Hollywood-)Stars seit Bestehen Hollywoods analysieren. Deutlich wird hier, dass in
den „Star Studies [. . .] Geschlecht zunächst als Unterscheidungskategorie voraus-
gesetzt [wurde, M.S.], ohne selbst als Untersuchungsgegenstand verstanden zu
werden“ (Weingarten 2004, S. 35).
Ruth Hörnleins (2003) filmhistorischer Überblick lehnt sich an Richard Dyer
(1979, 1986) an, nimmt dabei jedoch eine dichotome Geschlechtsperspektive ein
und legt den Fokus auf das Verhältnis von weiblichen und männlichen Stars. In den
1920er-Jahren war das ausgeklügelte Starsystem Hollywoods in erster Linie auf
Frauen ausgerichtet, sowohl was die Stars selbst als auch ihr in großen Teilen
weibliches Publikum betraf (Hörnlein 2003, S. 83–84). Bis zur Einführung des
Fernsehens bestimmte die jedoch fast ausschließlich von Männern dominierte Film-
industrie die Star-Produktion und ihre (Film-)Themen.
Die Geburtsstunde der Filmstars setzt Hörnlein in Rekurs auf Enno Patalas auf
den 12. März 1910, als die amerikanische Fachzeitschrift „The Moving Picture
World“ eine Anzeige über Florence Lawrence veröffentlichte. Bis dahin wurden
Schauspieler*innen nicht namentlich genannt (Hörnlein 2003, S. 45).2 Hörnlein
definiert den Begriff Filmstar – unabhängig vom Geschlecht – wie folgt: „Der
Filmstar steht zunächst erst einmal im Verhältnis zu seinen Kollegen, d. h. zu

1
Zu einzelnen Bereichen gibt es bereits vereinzelte frühere Untersuchungen, aber der Begriff „Star“
bzw. das „Starsystem“ wurde in erster Linie mit dem Film und dem Kino verbunden.
2
Siehe hierzu auch Andreas Reckwitz (2014, S. 254), der Florence Lawrence aus dem gleichen
Grund als die erste Filmpersönlichkeit bezeichnet.
954 M. Schuegraf

anderen Schauspielern. Der Star und seine Kollegen gehören derselben Gruppe
an. Er unterscheidet sich nur insofern von ihnen, dass er nach bestimmten Kriterien
wie Erfolg und Bekanntheitsgrad aus dieser Gruppe ausgewählt wurde und somit aus
dem Kreis seiner Kollegen hervortritt. Ein Star ist also bekannter und erfolgreicher
als andere Mitglieder seiner Berufssparte“ (Hörnlein 2003, S. 45). Auch Hörnlein
betont somit den Bezug zur Profession, auf der das Star-Sein gründet.
Die ersten Filmstars waren in den 1910er- und 1920er-Jahren überwiegend
weiblich. Sie bekamen die höheren Gagen und interessanteren Rollen und damit
besaßen sie im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen eine größere Macht. Als
Gründe führt Hörnlein die Offenheit der Filmindustrie3 – im Vergleich zu anderen
Branchen – gegenüber Frauen an, weil diese weibliche Darstellerinnen für die
Besetzung entsprechender Rollen brauchte. Gerade Frauen aus ärmlichen Verhält-
nissen verdienten mit dem Schauspielen ihren Lebensunterhalt, da Zugänge für
Beschäftigungen in anderen wirtschaftlichen Zweigen für sie erschwert waren. Dies
ging Hand in Hand damit, dass die Filmindustrie auf Frauen zugeschriebene Themen
entwickelte und entsprechende Startypen (Frauentypen) aufbaute (Hörnlein 2003,
S. 64). Hiermit einher ging eine Stereotypisierung der Stars, die laut Hörnlein bis in
die 1950er-Jahre hineinreichte. Schauspieler*innen wurden auf eine spezielle Rolle
hin gecastet und aufgebaut, was auch als Typecasting bezeichnet wird. Diesen
Rollentypus verkörperten sie in der Regel ihre gesamte Karriere hindurch, so wurde
auch der stete Wiedererkennungswert beim Publikum hergestellt. Doch beschränkte
sich die Star-Fabrikation nicht nur auf die Filmrollen, sondern die Studios nahmen
auch immensen Einfluss auf die Lebensgestaltung und die private Existenz der Stars,
um eine Übereinstimmung der Filmrollen bzw. -figuren mit der Privatperson zu
erzeugen (Hörnlein 2003, S. 70–71).4
Mit der Einführung des Fernsehens wandelte sich auch der Startyp in Hollywood.
Die Figuren und Handlungsrollen der Schauspieler*innen wurden differenzierter,
was zum einen an der Erwartungshaltung des Publikums lag und zum anderen an der
sich wandelnden und komplexer werdenden Gesellschaft (Hörnlein 2003, S. 119).
Es entwickelte sich das New Hollywood, welches die Filme der 1960er- und 1970er-
Jahre prägte.5 „Hatte im klassischen Studio-System eine hermetische, gleichsam
überzeitliche Inszenierung der Stars als ‚Leinwandgötter‘ [. . .] dafür gesorgt, dass
diese jenseits gesellschaftlicher Entwicklungen zu stehen schienen, so umfasste die
veränderte Definition der Stars im New Hollywood eben ihre Fähigkeit, diese
Entwicklungen zu repräsentieren: Sie mussten nun ‚zeitgemäß‘ sein.“ (Weingarten
2004, S. 15). Nach Weingarten reproduzierten Geschlechterrepräsentationen im Film
nun differenzierter und direkter gesellschaftliche Geschlechterkonstruktionen, wel-

3
In diesem Artikel liegt der Fokus auf der Star-Produktion, die sich überwiegend mit dem Bereich
der Schauspielerei beschäftigt. Die Bedeutung von Frauen in der Film-Produktion und anderen
Gewerken in den Anfängen der Filmindustrie jenseits der Schauspielerei ist bisher kaum systema-
tisch erforscht.
4
Siehe hierzu auch DeCordova 2001; Weingarten 2004.
5
Hierzu genauer u. a. Hörnlein 2003; Monaco 1980; Newman 1998.
Hollywood-Stars und Social Media Celebrities 955

che durch das Geburtenhoch der Nachkriegszeit und einen Wandel der amerikani-
schen Gesellschaft in Veränderung begriffen waren (Weingarten 2004, S. 16). Hier-
durch entwickelte sich ein breiteres Typenspektrum, welches durch gesellschaftliche
(Geschlechter-)Diskurse möglich wurde. Bezogen auf das Geschlechterverhältnis im
Film verkehrten sich in dieser Zeit der Anteil und die Präsenz von weiblichen Stars
im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen. Der Anteil an weiblichen Stars verrin-
gerte sich bis in die 1970er-Jahre hinein auf ein Fünftel, womit auch ihr Einfluss sank
(Hörnlein 2003, S. 124). Hörnlein führt das unter anderem auf den Zusammenbruch
des Studiosystems der klassischen Hollywood-Ära zurück. Darüber hinaus änderte
sich die Publikumsstruktur, welche andere und differenzierte Erwartungen an Film-
typen stellte. Die klassischen Melodramen wurden durch Actionfilme verdrängt, die
vermehrt durch ein männliches Publikum rezipiert wurden. Die Orientierung der
Filmemacher*innen richtete sich nun stärker an einem jungen, männlichen Publi-
kum aus (Hörnlein 2003, S. 125).
Die Bedeutung des Geschlechts als Untersuchungsgegenstand für die Analyse der
Star-Produktion arbeitet insbesondere Susanne Weingarten in ihrer Studie zu Ge-
schlechtsrepräsentationen von Hollywood-Stars heraus. Sie beschreibt das Ge-
schlechterverhältnis der Filmstars in Rekurs auf Stephen Lowry als Kristallisations-
punkte des Geschlechterdiskurses, wenn sie betont: „Auch Stars repräsentieren und
‚performen‘ Geschlecht, und mit ihren ‚heavenly bodies‘ besitzen sie eine erhebliche
Relevanz für die gesellschaftliche Perpetuierung und Gestaltung der Geschlechter-
ordnung [. . .] Um als relevant wahrgenommen werden zu können, müssen die von
Stars verkörperten Geschlechtskonzepte innerhalb der hegemonialen Parameter der
Geschlechterordnung angesiedelt sein“ (Weingarten 2004, S. 8). Mit Blick auf eine
theoretische Einordnung des Star-Phänomens spricht sie sich daher auch gegen eine
„statische Definition des Stars“ aus und plädiert nachdrücklich für kontextabhängige
Untersuchungen, da es sich beim Star um ein dynamisches Phänomen handelt
(Weingarten 2004, S. 26). In Rekurs auf Butlers Performativitätskonzept konstatiert
Weingarten, dass „[d]ie Produktion von Geschlecht [. . .] sich also beim Star defi-
nieren [lässt, M.S.] als jener Prozess, in dem sich im (diskursiv regulierten) Zusam-
menspiel von Zeichenagglomerat und Rezeption, das die ‚Akte der Geschlechts-
identität‘ des Star-Körpers mit Bedeutungen versieht, die Vorstellung eines
(geschlechtlichen) Subjekts materialisiert“ (Weingarten 2004, S. 44).
Damit wird Rezeption als ein weiterer wichtiger Einwirkmechanismus auf die
Star-Produktion angesprochen. Gesellschaftliche Wandlungsprozesse und sich damit
entwickelnde neue Technologien haben einen starken Einfluss auf die Filmindustrie
Hollywoods und damit auch auf die Produktion und Rezeption von Stars. Dies
drückt sich zudem in einem veränderten Star-Fan-Verhältnis aus. Der Bezug zwi-
schen Stars und Fans bekommt ein größeres Gewicht und damit einen immensen
Einfluss auf die Star-Produktion, was sich nach der Jahrtausendwende mit den neuen
Technologien und dem Social Web noch verstärkt.
Zusammenfassend lässt sich bilanzieren: Stars sind fluide Konstruktionen,
welche gesellschaftlichen, ökonomischen und soziokulturellen Bedingungen unter-
liegen und damit Prozessen des Wandels unterworfen sind. Die Erforschung des
Star-Phänomens hat recht spät ernst zu nehmende Studien hervorgebracht, welche
956 M. Schuegraf

wegweisende Grundlagen geliefert haben. Auffällig ist jedoch, dass sie sich größ-
tenteils den Repräsentationssystemen widmen und zumeist an Analysen einzelner
Stars und an Filmproduktionsanalysen gekoppelt sind. In ähnlicher Weise, moniert
Weingarten, wurden auch „Repräsentationen von Weiblichkeit anhand weiblicher
Hollywood-Stars“ (Weingarten 2004, S. 35) analysiert. Im Vordergrund stand dabei,
Gender-Stereotype aufzuzeigen, wobei davon ausgegangen wurde, dass diese ein-
fach und direkt auf Rezipierende einwirkten (Weingarten 2004, S. 35). Erst mit
Beginn der 1990er-Jahre begannen Studien über solch klassische Analysen von Stars
und Gender hinauszugehen und Stars stärker vor einem kulturellen und gesellschaft-
lichen Rahmen zu hinterfragen (z. B. Gledhill 1991). Hierdurch erhielten auch
queere Perspektiven Einzug in die Star- und Genderforschung. Unter diesem Aspekt
lässt sich erneut Richard Dyer anführen, der in seinem Werk „The Culture Of
Queers“ (2002) queeren Subtexten in der Populärkultur nachspürt. Ihm geht es nicht
in erster Linie darum, queere Figuren und/oder Stars zu beleuchten, sondern Re-
präsentationen queerer Kultur in den unterschiedlichsten filmischen und literari-
schen Werken sowie in Werken bestimmter Autor*innen und männlicher Darsteller
offenzulegen und damit eindeutig heteronormative Zuschreibungen zu dekonstruie-
ren. Mit diesem Queer Reading, welches bei ihm jedoch einen Fokus auf männliche
Homosexualität legt, stellt er queere Lesarten in der Populärkultur heraus und
konzeptioniert diese vor dem Hintergrund einer soziokulturellen Gesellschaftsper-
spektive.

3 Transformationsprozesse: Von Stars zu Celebrities

In den letzten Jahren verwischen mit den technologischen und medialen Fortschrit-
ten und den daran gekoppelten Möglichkeiten des Produzierens, Distribuierens und
Präsentierens mittels digitaler Medien die Grenzen zwischen (klassischen) Stars und
anderen (teils selbst ernannten) Berühmtheiten immer mehr. Zudem erzeugen
Fernseh-Formate wie Reality-TV-Shows und die unterschiedlichsten Castingshows
von „Deutschland sucht den Superstar“ bis „Germany’s Next Topmodel“ mittels
ihrer Formatkonzepte aus einem Pool von Bewerber*innen eher synthetische Stars
(Lowry 2003, S. 444–445) im Kontrast zu Stars aufgrund ihrer Profession.
Zeichneten sich klassische amerikanische Filmstars in den Anfängen Hollywoods
durch ihre Unnahbarkeit und ätherische Distanz (Stichwort: Leinwandgött*innen)
aus, wird heutzutage immer stärker der Fokus auf das Private bzw. Intime und damit
auf Konstruktionen über die Starfigur hinaus gerichtet. Ältere Hollywood-Filmstars
lassen sich noch als Star-Phänomene begreifen, welche entrückt und glamourös von
einem industriell und wirtschaftlich agierenden System geschaffen und aufgebaut
worden sind. Etymologisch betrachtet, bedeutet Star aus dem Englischen kommend
auch Stern oder Gestirn. In diesem Bild verleiht der Stern Stars etwas Entrücktes,
Glänzendes, Überirdisches. Auf diese Weise lassen sich Stars in die Nähe von
Held*innen (Lowry 2003, S. 443) und Kultfiguren rücken, die zu Idolen und
Vorbildern avancieren können (Schuegraf 2013, 2014).
Hollywood-Stars und Social Media Celebrities 957

Celebrity kommt dagegen vom lateinischen celeber und bedeutet zahlreich, groß-
artig, im Sinne vieler Teilnehmenden zum Beispiel bei einem Event. Celebratur ist
demgemäß derjenige, der sich aus der Masse abhebt und von vielen anderen gefeiert
wird. Der*die Celebrity ist in diesem Sinne ein „Teil des Gewöhnlichen“ (also
„ordinary“) und somit eine Person, die von anderen „Gewöhnlichen“ zu dem
gemacht wird, was sie ist, nämlich „extraordinary“. Dieser Blick auf die begriffli-
chen Herleitungen verweist bereits auf die Veränderungen, welche auch für Stars
virulent geworden sind. Sie zeigen eine Verschiebung von entrückten, in erster Linie
an ein (Star-)System gekoppelten Stars zu gesellschaftlich und kulturell verhandel-
baren Celebrities, welche nicht mehr allein durch eine ökonomisch ausgerichtete
Marktmaschinerie geschaffen, sondern durch ein vielfältig auf sie einwirkendes
(Zeichen-)System von Kommentierungen, Präsentierungen und Inszenierungen mit-
tels unterschiedlicher medialer Möglichkeiten zur Disposition gestellt werden
(Schuegraf 2015).
Die deutschsprachige Starforschung lässt sich (zumindest in den Anfängen) in der
Filmwissenschaft verorten. Dies impliziert ein Forschungsvorgehen, welches sich
im Speziellen auf die Repräsentation von Starfiguren und die Analyse von Filmen
fokussiert. Kaum vorhanden sind Studien – insbesondere zur Produktion von Gender –,
welche einen breiteren, über die Filme hinaus gehenden Handlungskontext, in dem
Stars bzw. Celebrities agieren, und gesellschaftliche Diskurse, in denen sie sich
bewegen und wodurch ihnen Bedeutungen zugeschrieben wird, berücksichtigen.
Das Feld der vorwiegend angloamerikanischen Celebrityforschung scheint zum
einen interdisziplinärer aufgestellt zu sein und zum anderen im Hinblick auf mög-
liche Forschungsfoki einen breiteren und auch gesellschaftskritischeren Fokus zu
vertreten. Insofern können Celebrity Studies auch als Cultural Studies verstanden
werden, in denen es um Bedeutungsproduktionen geht, die erst im Handlungs-
vollzug und durch diskursive Praktiken wirksam werden. Mit Fiske lassen sich
Celebrities auch als populäre Texte lesen, was er u. a. am Beispiel von Madonna
verdeutlicht (Fiske 1987, S. 108–109). Celebrity-Texte sind demnach als Bedeu-
tungspotenzial bzw. -angebot zu verstehen, welches erst durch soziale Praktiken und
Formen der Nutzung an Bedeutung gewinnt. Eine solche Lesart lässt sich mit der
Position Weingartens in Verbindung bringen, wonach der Star-Körper erst aus einem
Zusammenspiel von Zeichenagglomerat und Rezeption erschaffen wird. Das heißt,
Celebrities existieren nur in einer Konvergenz aus Angebotspotenzialen und Nut-
zungspraktiken. Hinzu kommt, dass ihre (Re-)Produktion immer an gesellschaftliche
Diskurse und damit an hegemoniale Machtstrukturen gekoppelt ist.
Somit sind Celebrities keine Leinwandgött*innen (mehr), sondern sie konstitu-
ieren sich erst im Vollzug der Nutzung durch Fans, Publikum, Rezipierende etc.
Marwick und boyd (2011) sprechen hier auch von „celebrity practice“. Solche
Praktiken werden durch Social Media und die sich daraus entwickelnden Cele-
brityformen und Interaktionsmöglichkeiten noch forciert.6

6
Alice Marwick und dana boyd (2011) veranschaulichen „celebrity practice“ mit einer Studie zu
Celebrities auf Twitter.
958 M. Schuegraf

Während in der deutschsprachigen Star- und Prominenzforschung die Celebrity-


forschung eine noch recht geringe Beachtung findet, hat sie sich in angloamerikani-
schen Forschungszusammenhängen gut etabliert.7 In einschlägigen Werken zur
Celebrityforschung (Marshall 1997; Turner 2004; Rojek 2001; Marshall 2006;
Redmond und Holmes 2007) findet sich eine Varianz an Zugriffen auf das Phänomen
Celebrity von der Produktion und Präsentation über die Rezeption zur Konsumption.
Dabei werden auch verschiedene Aspekte wie Geschmack, Ruhm (Cashmore 2006),
Intimität und Körperlichkeit (Holmes und Redmond 2006) bis hin zu Tod und
skandalisierte Formen von Berühmtheit (Rojek 2012) beleuchtet. Auffällig ist
jedoch auch hier, dass Genderaspekte (noch) vergleichsweise wenig fokussiert
werden, wenn mit Weingarten Geschlecht als Untersuchungsgegenstand verstanden
wird. David Marshalls (2006) Reader zur Kultur von Celebrities beinhaltet beispiels-
weise zwar auch Beiträge zu Queer- und Genderfragen, doch bearbeiten diese
spezifische Aspekte wie Identifikationen weiblicher Kinogängerinnen mit früheren
Leinwandgöttinnen (Stacey 2006), die Frage, ob David Beckham als queer bezeich-
net werden kann (Rahman 2006) oder weibliche Schönheit und Körperlichkeit
(Davis 2006). Ähnlich verhält es sich mit Forschungsarbeiten, die in einem erwei-
terten Feld der (Celebrity-)Populärkultur anzusiedeln sind (u. a. Donze 2011; Trier-
Bieniek und Leavy 2014; Trier-Bieniek 2016). Ein grundlegendes Werk zur syste-
matischen Verschränkung von Queer/Gender-Perspektiven und Celebrity-Kultur
steht noch aus.

4 Ausblick: Social Media Celebrities und Gender

Mit den neuen Technologien und Social-Media-Plattformen wie YouTube, Insta-


gram, Twitter und Facebook hat sich auch der Prozess der Celebritisierung verän-
dert. Der Begriff Celebritisierung verweist auf einen unabgeschlossenen, dynami-
schen Prozess. Celebrity ist somit nicht als Status zu verstehen, der einmal erreicht
wird, sondern als ein Handlungsakt, der stets performativ hervorgebracht und
perpetuiert werden muss, um starfähig zu sein und zu bleiben. Dies betrifft zuneh-
mend auch noch an das klassische Starsystem angebundene Stars wie Filmschau-
spieler*innen oder Musiker*innen, aber in verstärktem Maße neue Berühmtheiten
wie YouTube-Celebrities, Instagram-Influencer*innen8 und andere Formen von
Social Media Celebrities. Andreas Reckwitz spricht von einer „Entgrenzung des
Starsystems, welche die Anzahl der Subjektfiguren, die medial starfähig erscheinen,

7
Zum Beispiel findet seit 2010 alle zwei Jahre eine internationale Konferenz zum Thema Celebrity
Studies statt, welche durch Routledge verbunden mit einem gleichnamigen Fachjournal ins Leben
gerufen wurde.
8
Dies sind, verkürzt gesprochen, herausragende Personen, die auf Instagram eine hohe Reichweite
erzielen, regelmäßig posten, für bestimmte Themen stehen und häufig für Produkte werben. Vor
allem die Reichweite und das Produktmarketing wird ihnen zumeist von außen zugeschrieben, das
Feld der Influencer*innen ist jedoch vielschichtiger und virulenter, was in diesem Zusammenhang
nicht weiter ausgeführt werden kann.
Hollywood-Stars und Social Media Celebrities 959

weiter vergrößert und damit auch die Bedeutung der Film- und Musikstars relati-
viert“ (Reckwitz 2014, S. 262, Hervorh. im Original). Reckwitz differenziert das
Starsystem vor allem im Hinblick auf Film- und Musikstars. Mit Social Media
Celebrities wird eine solche Entgrenzung jedoch weiter forciert.
Drei Aspekte spielen für die Celebritisierung auf Social-Media-Plattformen eine
herausragende Rolle: Um wahrgenommen zu werden, müssen Social Media Cele-
brities erstens sichtbar sein. Sie sind nicht mehr an klassische Starsysteme gekop-
pelt, sondern werden vor allem von ihrer Community (Fans und Follower*innen)
und in der Interaktion mit ihrer Community zu Celebrities gemacht, weil sie sich in
einer Weise präsentieren, die sie von anderen unterscheidet und abhebt. Dies muss
aber keineswegs an ein besonderes Können oder eine herausragende Leistung im
herkömmlichen Sinne (Schauspiel, Musik, Sport etc.) gekoppelt sein, sondern ihre
Fähigkeit kann auch „nur“ in einer besonderen Art liegen, Themen und Produkte im
weitesten Sinne zu präsentieren. Damit generieren berühmte und erfolgreiche Social
Media Celebrities wie die YouTuberin Bianca Heineke alias Bibis Beauty Palace
oder der Let’s Player9 Gronkh Millionen Abonnent*innen und ein Vielfaches an
Views.10 Der zweite wichtige Aspekt sind die Themen, die sie präsentieren. Mit
ihnen treffen sie den Nerv ihrer Community, die sich von dem Präsentierten ange-
sprochen und vor allem inspiriert fühlen (will). Damit bieten sie eine Identifikati-
onsplattform für ihre Gefolgschaft, welche als Angebot zur Empathie und Nachah-
mung aufgefasst werden kann. Dies funktioniert aber nur – und das ist der dritte
Aspekt –, wenn Social Media Celebrities authentisch sind. Authentizität wird durch
die Nähe zu ihrer Zielgruppe erzeugt, indem sie sich bspw. in ihren privaten Räumen
zeigen, ihre Follower*innen in Videos direkt ansprechen und ihre Zuschauenden
involvieren (z. B. zu Kommentaren, Bewertungen und zum Liken anregen) (Schue-
graf und Wegener 2017). Dies erzeugt eine Intimität zwischen Social Media Cele-
brity und Fan und damit ein „wir“ mit Fokus auf ein gemeinsames Interesse, ganz im
Gegensatz zu den klassischen Stars, welche weitgehend unnahbar und unerreichbar
erschienen.11
Social Media Celebrities können mit Reckwitz als „Performance Stars“ (Reck-
witz 2014, S. 240) gelesen werden. Allerdings performen sie nicht nur sich selbst
bzw. ein Werk (Film, Musik), sondern häufig wird durch zahlreiche Referenzen und
Verweisstrukturen eine thematische Anschlussfähigkeit hergestellt, welche sich
jedoch in einem bestimmten Referenzsystem bewegen muss, um für die Community
authentifizierbar zu sein. Erfolgreiche Social Media Celebrities unterwerfen sich
dabei einem heteronormativen Geschlechterrahmen, indem sie Themen aufgreifen,
die junge Frauen (Beauty, Kosmetik) oder junge Männer (Games, Comedy) adres-
sieren. Es gibt nur wenige erfolgreiche Ausnahmen wie Sami Slimani, der als

9
Let’s Player sind YouTuber (meist männlich), die Games präsentieren und beim Spielen kommen-
tieren. Zu Geschlechterunterschieden in YouTube-Videos siehe Döring (2019).
10
Dabei geht es auch um Formen der Aufmerksamkeitsökonomie, welche u. a. Georg Franck (1998)
differenziert.
11
Zur genaueren Vorgehensweise von YouTube-Analysen siehe Schuegraf und Janssen 2017.
960 M. Schuegraf

männlicher YouTuber ebenso Kosmetik- und Pflegetipps erteilt. Im Mainstreambe-


reich lassen sich kaum Social Media Celebrities finden, die sich queeren oder Gen-
derstereotype brechenden Themen widmen. Zwar gibt es auch erfolgreiche gesell-
schaftskritische und politische YouTuber*innen (z. B. Marie Meimberg) und
Blogger-/Instagrammer*innen (z. B. Vreni Frost), sie haben jedoch zumeist nicht
die Reichweite, welche im Mainstream erzielt wird. Hier bedarf es weiterer For-
schung, die – um mit Weingarten zu sprechen – Geschlecht zum Gegenstand der
Untersuchung macht und den Fokus auch auf weniger sichtbare Celebrity-Phäno-
mene legt.

Literatur
Alberoni, Francesco. 2006. The powerless ‚Elite‘: Theory and sociological research on the pheno-
menon of the stars. In The celebrity culture reader, Hrsg. P. David Marshall, 108–123.
New York/London: Routledge.
Boorstin, Daniel. 1971. The image: A guide to pseudo-events in america. New York: Atheneum.
(Original publiziert 1961 unter dem Titel: The image or what happened to the american dream?).
Borgstedt, Silke. 2008. Der Musik-Star. Vergleichende Imageanalysen von Alfred Brendel, Stefanie
Hertel und Robbie Williams. Bielefeld: transcript.
Cashmore, Ellis. 2006. Celebrity/Culture. Abingdon/New York: Routledge.
Davis, Kathy. 2006. Beauty and the female body. In The celebrity culture reader, Hrsg. P. David
Marshall, 557–580. New York/London: Routledge.
DeCordova, Richard. 2001. Picture personalities. The emergence of the star system in america.
Urbana/Chicago: University of Illinois Press.
Döring, Nicola. 2019. Videoproduktion auf YouTube: Die Bedeutung von Geschlechterbildern. In
Handbuch Medien und Geschlecht. Persepktiven und Befunde der feministischen Kommunika-
tions- und Medienforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija
Ratkoviić. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_53-1.
Donze, Patrizia. 2011. Pop stars and gender: The relation of representation, promotion, and
listener preferences to artist success. ProQuest Dissertations Publishing.
Dyer, Richard. 1979. Stars. London: BFI Publishing.
Dyer, Richard. 1986. Heavenly bodies. Film stars and society. London: MacMillan.
Dyer, Richard. 2002. The culture of queers. London/New York: Routledge.
Faulstich, Werner. 1997. Von Elvis Presley bis Michael Jackson. Kleine Typologie des Rock- und
Popstars. In Der Star. Geschichte – Rezeption – Bedeutung, Hrsg. Werner Faulstich und Helmut
Korte, 155–173. München: Wilhelm Fink.
Faulstich, Werner, und Helmut Korte, Hrsg. 1997. Der Star. Geschichte – Rezeption – Bedeutung.
München: Wilhelm Fink.
Faulstich, Werner, und Ricarda Strobel. 1989. Das Phänomen ‚Star‘ – ein bibliografischer Überblick
zum Stand der Forschung. In Seller, Stars und Serien. Medien im Produktverbund, Hrsg.
Christian Thomson und Werner Faulstich, 7–19. Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag.
Fiske, John. 1987. Television culture. London/New York: Routledge.
Franck, Georg. 1998. Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf. München: Hanser.
Gaitanides, Michael, Hrsg. 2001. Stars in Film und Sport. Ökonomische Analyse des Starphäno-
mens. München: R. Fischer.
Gledhill, Christine, Hrsg. 1991. Stardom. Industry of desire. London/New York: Routledge.
Gledhill, Christine, Hrsg. 1992. Home is where the heart is. London: BFI Publishing.
Helleis, Anna. 2006. Faszination Schauspielerin. Von der Antike bis Hollywood. Eine Sozialge-
schichte. Wien: Braumüller.
Hollywood-Stars und Social Media Celebrities 961

Holmes, Su, und Sean Redmond, Hrsg. 2006. Framing celebrity. New directions in celebrity
culture. London/New York: Routledge.
Hörnlein, Ruth. 2003. A bright galaxy of stars. Die Entwicklung des Filmstars aus filmhistorischen
Sicht. Marburg: Tectum Verlag.
Lowry, Stephen. 2003. Star. In Handbuch Populäre Kultur. Begriffe, Theorien und Diskussionen,
Hrsg. Hans-Otto Hügel, 441–445. Stuttgart: Metzler.
Lowry, Stephen, und Helmut Korte. 2000. Der Filmstar. Stuttgart: Metzler.
Marschik, Matthias, und Georg Spitaler, Hrsg. 2006. Helden und Idole. Sportstars in Österreich.
Innsbruck: Studien-Verlag.
Marshall, P. David. 1997. Celebrity and power: Fame in contemporary culture. Minneapolis:
University of Minnesota Press.
Marshall, P. David, Hrsg. 2006. The celebrity culture reader. New York/London: Routledge.
Marwick, Alice, und dana boyd. 2011. To see and be seen: Celebrity practice on twitter. Conver-
gence: The international journal of research into new media technologies 17(2): 139–158.
Monaco, James. 1980. Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films
und der Medien. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuchverlag.
Newman, Kim. 1998. „Exploitation“ and „Mainstream“. In Geschichte des internationalen Films,
Hrsg. Geoffrey Nowell-Smith, 462–469. Stuttgart: Metzler.
Rahman, Momin. 2006. Is straight the new queer? David Beckham and the dialectics of celebrity. In
The celebrity culture reader, Hrsg. P. David Marshall, 323–327. New York/London: Routledge.
Reckwitz, Andreas. 2014. Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästheti-
sierung. Berlin: Suhrkamp.
Redmond, Sean, und Su Holmes. 2007. Stardom and celebrity. A reader. London: SAGE Publica-
tions.
Rojek, Chris. 2001. Celebrity. London: Reaktion Books.
Rojek, Chris. 2012. Fame attack. The inflation of celebrity and its consequences. London/
New York: Bloomsbury Academic.
Rustemeyer, Ruth. 1997. Geschlechtsspezifische Rollen bei Medienstars. In Der Star. Geschichte –
Rezeption – Bedeutung, Hrsg. Werner Faulstich und Helmut Korte, 99–124. München: Fink.
Schuegraf, Martina. 2013. Celebrity als star, vorbild, idol und held. tv diskurs 17(3): 24–29.
Schuegraf, Martina. 2014. Medienkonvergenz und Celebritys im Kindesalter. In Handbuch Kinder
und Medien, Hrsg. Angela Tillmann, Sandra Fleischer, und Kai-Uwe Hugger, 337–349. Wies-
baden: Springer VS.
Schuegraf, Martina. 2015. Berühmtheit und Celebrity. In Handbuch Cultural Studies und Medien-
analyse, Hrsg. Andreas Hepp, Friedrich Krotz, Swantje Lingenberg, und Jeffrey Wimmer,
237–246. Wiesbaden: Springer VS.
Schuegraf, Martina, und Anna Janssen. 2017. Webformat-Analyse. In Qualitative Medienfor-
schung. Ein Handbuch, Hrsg. Lothar Mikos und Claudia Wegener, 2. Aufl., 555–561. Kon-
stanz/München: UVK.
Schuegraf, Martina, und Claudia Wegener. 2017. Faszination YouTube. Social Media zwischen
Bildung und Selbstbildung. TelevIZIon: Neues Lernen? 17(1): 36–40.
Stacey, Jackie. 2006. Feminine fascinations: A question of identifications? In The celebrity culture
reader, Hrsg. P. David Marshall, 252–285. New York/London: Routledge.
Trier-Bieniek, Adrienne. 2016. The Beyoncé effect: Essays on sexuality, race and feminism.
Jefferson: McFarland & Company, Inc. Publishers.
Trier-Bieniek, Adrienne, und Patricia Leavy, Hrsg. 2014. Gender and pop culture. A text-reader.
Rotterdam: Sense Publishers.
Turner, Graeme. 2004. Understanding celebrity. London. Thousand Oaks/New Delhi: Sage.
Weingarten, Susanne. 2004. Bodies of Evidence. Geschlechtsrepräsentationen von Hollywood-
Stars. Marburg: Schüren.
Videoproduktion auf YouTube:
Die Bedeutung von Geschlechterbildern

Nicola Döring

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 964
2 Geschlechterunterschiede bei der Produktion von YouTube-Videos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 964
3 Geschlechterrollen in den Inhalten von YouTube-Videos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 966
4 Rezeption von Geschlechterbildern in YouTube-Videos und Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 968
5 Wirkungen von YouTube-Videos auf die Geschlechterverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 970
6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 971
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 971

Zusammenfassung
Wie ist die weltweit führende Social-Media-Video-Plattform YouTube im Hinblick
auf Geschlechtergleichberechtigung einzuschätzen? Die Analyse zeigt, dass die
Videoproduktion auf YouTube männlich dominiert ist und dass die Video-Inhalte
oft tradierte Geschlechterrollen vermitteln. Rezipierende greifen neben den
Mainstream-Inhalten jedoch auch auf Nischen-Inhalte zurück, die vielfältigere
Geschlechterbilder bieten als die herkömmlichen Massenmedien. Der Beitrag zeigt
Forschungslücken auf und endet mit praktischen Handlungsempfehlungen zur
Förderung von Geschlechtergleichberechtigung auf YouTube.

Schlüsselwörter
Online-Video · Webvideo · YouTube · Nutzer_innengenerierter Content · Social
Media

N. Döring (*)
Institut für Medien und Kommunikationswissenschaft, Technische Universität Ilmenau, Ilmenau,
Deutschland
E-Mail: nicola.doering@tu-ilmenau.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 963
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_53
964 N. Döring

1 Einleitung

Die Video-Plattform YouTube – gegründet 2005, aktuell im Besitz von Google LLC –
ist nach der Suchmaschine Google die meistbesuchte Adresse im Internet (Alexa 2018)
und gleichzeitig die weltweit populärste Social-Media-Plattform. Insbesondere bei
jungen Menschen ist YouTube als Unterhaltungs- und Informationsmedium äußerst
beliebt: Die große Mehrzahl der Jugendlichen nutzt YouTube täglich oder mehrmals
pro Woche (mpfs 2018). Über YouTube wird massenmedialer Content verbreitet (z. B.
TV-Sendungen, Kinofilme, Musikvideos, Werbung). Es existieren aber auch zahlreiche
nutzer_innengenerierte genuine YouTube-Produktionen. Die meistgesehenen Videos
auf YouTube stammen aus unterhaltungsbezogenen Genres wie „Music“, „Comedy“,
„Entertainment“, „Gaming“, „How to & Style“ sowie „People & Blogs“. Es existiert
aber auch informationsbezogener YouTube-Content, etwa in Genres wie „Education“,
„News & Politics“, „Science & Technology“, „Nonprofit & Activism“. Die genannten
Genregruppen sind von YouTube vorgegeben. Videoproduzierende ordnen sich ent-
sprechend zu. Die Popularität der Genres ist der Social-Media-Statistik-Plattform
SocialBlade zu entnehmen.
Personen, die über ihre selbstproduzierten YouTube-Videos bekannt geworden
sind, werden als YouTuber_innen bzw. YouTube-Stars bezeichnet. Einzelne
YouTube-Stars haben heute Millionen von Fans. Der bislang weltweit größte
YouTube-Star ist der 1989 geborene Schwede Felix Kjellberg, dessen Gaming-
und Entertainment-Kanal „PewDiePie“ mehr als 74 Millionen Abonnent_innen
verzeichnet (Stand: Dezember 2018) und der durch YouTube zum Multimillionär
wurde. Auch offline gewinnen YouTube-Stars an Bedeutung: Sie organisieren Fan-
treffen, treten in Radio- und Fernsehsendungen auf, über sie wird in Zeitungen und
Zeitschriften berichtet. Das Jugendmagazin „Bravo“ zeigt inzwischen regelmäßig
YouTube-Stars auf dem Cover. YouTuber_innen monetarisieren ihre Videos durch
zugeschaltete Werbung, kooperieren als Influencer_innen mit Unternehmen und
vermarkten eigene Produkte und Dienstleistungen wie Bücher, Fanartikel, Mode,
Kosmetik, Nahrungsergänzungsmittel, Online-Kurse oder Offline-Coachings. You-
Tube unterliegt dem Trend einer zunehmenden Professionalisierung und Kommer-
zialisierung (Döring 2014; Schwemmer und Ziewiecki 2018).
Parallel zum Boom der YouTube-Nutzung ist auch ein Boom der YouTube-Forschung
zu verzeichnen. Dabei sind die meisten Studien bislang der Medieninhaltsforschung
zuzuordnen. Die folgende Darstellung stützt sich auf genderbezogene YouTube-Studien
sowie auf einschlägige Beispiele aus der deutsch- und englischsprachigen YouTube-
Sphäre.

2 Geschlechterunterschiede bei der Produktion von


YouTube-Videos

Betrachtet man die YouTube-Charts, also die Top 100 meistabonnierten YouTube-
Kanäle (SocialBlade 2018) so wird deutlich, dass das populäre YouTube-Angebot
weltweit überwiegend von männlichen YouTubern geprägt ist: Eine Inhaltsanalyse
Videoproduktion auf YouTube: Die Bedeutung von Geschlechterbildern 965

über neun Länder zeigte, dass Männer mit einem Anteil von 75 % drei Mal so häufig
zu den YouTube-Stars gehören wie Frauen (Döring und Mohseni 2018). Eine
deutliche Geschlechterkluft besteht nicht nur bei den YouTube-Stars, sondern offen-
bar bei der Online-Videoproduktion generell: Rund 4 % der Jugendlichen in
Deutschland veröffentlichen eigene YouTube-Videos, darunter rund viermal mehr
Jungen als Mädchen (mpfs 2013, S. 32, 35).
Diese Geschlechterkluft benachteiligt Mädchen und Frauen insofern, als sie nicht
gleichermaßen wie Jungen und Männer die YouTube-Kultur mitgestalten, sich
kreativ ausdrücken und von den beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten als You-
Tuber_innen und Influencer_innen profitieren. Unterschiedliche Erklärungsansätze
für die geringere Beteiligung von Mädchen und Frauen werden diskutiert und
bedürfen weiterer theoretischer Ausarbeitung und empirischer Prüfung:

• Es besteht größeres Interesse bei Jungen und Männern an aktiver Videopro-


duktion, was zu stärkerer Beteiligung bei gleichzeitig besserer Förderung ihrer
YouTube-Video-Produktion führt (z. B. mehr Peer-Austausch unter Jungen
über Videoproduktion; Video-Workshops häufiger geleitet von männlichen
Pädagogen; Döring 2015a).
• Videoproduzentinnen sind geschlechtsspezifischer Aggressivität und Feindselig-
keit ausgesetzt, erhalten generell harschere Kritik und auch mehr sexistische und
sexuell aggressive Kommentare auf ihre Videos, was dazu führen kann, dass
Mädchen und Frauen sich seltener in die YouTube-Öffentlichkeit wagen bzw. die
Videoproduktion nach Anfeindungen und Bedrohungen auch eher wieder aufge-
ben (Amarasekara und Grant 2019; Burgess und Green 2018, S. 119–120; Döring
und Mohseni 2018; Szostak 2013; Wotanis und McMillan 2014).
• YouTuberinnen erhalten weniger öffentliche Anerkennung und Wertschätzung
im Vergleich zu YouTubern, was den Reputationsgewinn von YouTuberinnen
behindert und die YouTube-Kultur als männerdominierte Sphäre affirmiert
(Döring 2015a). So werden bekannte YouTuberinnen aus dem Beauty-Genre
oft als „Schminkmädels“ verniedlicht und belächelt, während bekannte You-
Tuber aus dem Gaming-Genre nicht parallel als „Zockerjungs“ marginalisiert
werden. Nachdem der als „Oscar für das Internet“ vermarktete Webvideopreis
Deutschland im Jahr 2014 sämtliche Preise in allen Kategorien an männliche
YouTuber vergeben hatte, wurde erst auf öffentlichen Protest die Kategorie
„Person of the Year: Female“ eingeführt, um eine Beachtung und Würdigung
der Videoproduktion von Mädchen und Frauen sicherzustellen (Kategorien und
Preisträger_innen des Webvideopreises sind in der Wikipedia dokumentiert).
Generell scheinen junge Erwachsene aller Geschlechter traditionell eher männ-
liche als weibliche Idole zu haben (Boon und Lomore 2001, S. 442), was sich
zusätzlich in geschlechterungleichen Chancen bei der Gewinnung von
YouTube-Ruhm niederschlägt.
• Frauen haben weniger Aufstiegsmöglichkeiten auf die Top-YouTube-Plätze, weil
diese bereits von männlichen YouTubern besetzt sind und ein einmal erlangter
Star-Status auf YouTube oft über längere Zeit erhalten bleibt (Budzinski und
Gaenssle 2018).
966 N. Döring

Es ist festzuhalten, dass sowohl das Ausmaß als auch die Ursachen der
Geschlechterkluft bei der Videoproduktion auf YouTube noch nicht abschließend
wissenschaftlich geklärt sind und auch historisch und kulturell kontextualisiert
werden müssen. Einige Studien deuten darauf hin, dass Mädchen und Frauen sich
geschlechtsrollenkonform tendenziell stärker an Social-Media-Kommunikation in
geschlossenen Gruppen beteiligen, also eher privat als öffentlich kommunizieren
(mpfs 2018), andere Studien berichten plattformspezifische Geschlechterdominan-
zen (z. B. YouTube eher männerdominiert, TikTok und Instagram eher frauendomi-
niert), wieder andere Studien gehen davon aus, dass sich die Geschlechterkluft auf
YouTube in den USA möglicherweise schließt (Khan 2017).

3 Geschlechterrollen in den Inhalten von YouTube-Videos

Da YouTube zu großen Teilen massenmediale Inhalte verbreitet, finden sich die aus
der Forschung zu Massenmedien gut belegten Geschlechterstereotypisierungen
(Becker und Becker 1999; Mühlen-Achs 2003) auch auf YouTube wieder (z. B. deut-
lich stärkere sexuelle Objektifizierung von Frauen im Vergleich zu Männern in
Musikvideos auf YouTube: Aubrey und Frisby 2011). Wie ist jedoch die Situation
bei den nutzer_innengenerierten YouTube-Videos? Zeigen sich hier Abweichungen
von tradierten Geschlechterrollen?
Auf den ersten Blick ist das nicht der Fall: Sexuelle Objektifizierungen und
Stereotypisierungen sind in YouTube-Videos weit verbreitet: Comedy-Videos, die
zeigen, was „typisch Mädchen“ oder „typisch Junge“ ist, erfreuen sich großer
Beliebtheit und affirmieren dabei binäre Geschlechterbilder und problematische
Klischees (z. B. „MÄDCHEN normal VS wenn sie ihre TAGE HABEN“ mit mehr
als 10 Millionen Views; Döring 2015a). Männliche YouTuber kommentieren in
ihren Videos umfassend das Aussehen von YouTuberinnen und thematisieren, ob
man sie an ihren sekundären Geschlechtsmerkmalen erkennt (z. B. „YOUTUBER
BRÜSTE ERRATEN EXTREM“ mit knapp 1 Million Aufrufen). Manche You-
Tuberinnen praktizieren Selbstsexualisierung, etwa Katja Krasavice, die mit Videos
wie „SO BEFRI*DIGE ICH MICH“ mehr als 6 Millionen Klicks erzielt, wobei ganz
im Sinne sexueller Doppelmoral das anhaltend große voyeuristische Interesse des
Publikums an einem sexuell expliziten öffentlichen Auftreten von Frauen (messbar
an den hohen Klickzahlen) stets mit massiver Abwertung als „billig“, „peinlich“ und
„schlampig“ einhergeht (beobachtbar in den öffentlichen Videokommentaren und in
Reaktions-Videos zur betreffenden YouTuberin; Döring 2017).
Tradierte Geschlechterrollen zeigen sich auch im Hinblick auf stark geschlechter-
differente Themenbesetzungen: Feminin konnotierte Genres wie Schmink-, Styling-
und Mode-Videos werden vor allem von Mädchen und Frauen produziert und zeigen
dementsprechend vor allem Mädchen und Frauen vor der Kamera, während maskulin
konnotierte Genres wie Gaming-, Sport-, Nachrichten-, Politik- oder Wissenschafts-
Videos mehrheitlich Jungen und Männer repräsentieren (Amarasekara und Grant
2019; Budzinski und Gaenssle 2018; Döring 2015a; Welbourne und Grant 2016).
Comedy, Entertainment und Vlogging (= Videoblogging: Dokumentation des eigenen
Videoproduktion auf YouTube: Die Bedeutung von Geschlechterbildern 967

Lebens) sind im Unterschied zu den vorgenannten stark feminin oder maskulin


konnotierten Themenfeldern eher geschlechterausgewogenere Genres (Molyneaux
et al. 2008).
Betrachtet man die Top 50 meistabonnierten YouTube-Kanäle in Deutschland
(SocialBlade 2018), so befinden sich darunter nur fünf Kanäle von jungen Frauen –
im Ranking ihrer Popularität sind das 1) „BibisBeautyPalace“; 2) „DagiBee“; 3)
„ShirinDavid“; 4) „MelinaSophie“ und 5) „KellyMissesVlog“. Diese widmen sich
geschlechtsrollenkonform überwiegend Beauty und Styling, zudem Comedy und
Vlogging. Kein einziger Gaming-, Nachrichten-, Politik- oder Wissenschafts-Kanal,
der von einer Frau betrieben wird und eine Frau vor der Kamera zeigt, ist unter den
Top 250 meistabonnierten YouTube-Kanälen in Deutschland vertreten und nur ein
einziger Sport-Kanal („Sophia Thiel“).
Die Top-Kanäle auf YouTube affirmieren somit überwiegend überholte Frauen- und
Männerrollen. Mehr Vielfalt wird jedoch sichtbar, wenn man weniger populäre Chan-
nels einbezieht. Denn generell bietet YouTube als Social-Media-Plattform niedrig-
schwellige Mitmachoptionen. So würdigt die Fachliteratur durchaus Empowerment-
Potenziale in dem Sinne, dass Personengruppen, die sonst in der gesellschaftlichen und
massenmedialen Öffentlichkeit unterrepräsentiert sind, in der Online-Öffentlichkeit
auftreten und ihre Stimmen erheben können (Burgess und Green 2018). Dementspre-
chend existieren YouTube-Kanäle, auf denen sich Frauen jenseits herkömmlicher
Frauenrollen als Gamerinnen, Wissenschaftlerinnen, Politikerinnen, Unternehmerin-
nen, Sportlerinnen, Künstlerinnen und nicht zuletzt als Aktivistinnen präsentieren. So
ist die pakistanische Kinderrechtsaktivistin Malala Yousafzai mit dem Kanal „Malala
Fund“ auf YouTube vertreten. Der Kanal enthält unter anderem ihre Rede anlässlich der
Verleihung des Friedensnobelpreises 2014, in der sie sich für den Bildungszugang aller
Kinder weltweit einsetzt („Malala Yousafzai Nobel Peace Prize Speech“). Auch sind
dezidiert feministische YouTube-Kanäle zu finden, die Gegenöffentlichkeit schaffen,
Geschlechterfragen politisch behandeln und z. B. in der akademischen Lehre kon-
struktiv eingesetzt werden können (Eudey 2008).
Ein ambivalentes Beispiel ist der YouTube-Kanal „FeministFrequency“ von
Anita Sarkeesian mit über 220.000 Kanal-Abonnements. Der Kanal analysiert seit
2009 aus kritisch-feministischer Perspektive umfassend, wie Frauen in diversen
Medien – seien es Kinofilme, Werbeclips oder Digitalspiele – dargestellt werden.
Exemplarisch sei das Video „Are Women Too Hard To Animate?“ genannt (knapp
370.000 Views), in welchem Sarkeesian kritisiert, dass Entwicklungsstudios oft gar
keine weiblichen Charaktere in ihren Games vorsehen. Derartiger gesellschaftskri-
tischer Content wäre im Fernsehen wohl kaum über so lange Zeit in diesem Umfang
ausgestrahlt worden, was das Empowerment-Potenzial von YouTube unterstreicht.
Gleichzeitig wird das Disempowerment-Risiko deutlich: Die Kanalbetreiberin wurde
anlässlich ihrer auf YouTube verbreiteten Kritik an fehlenden oder sexistischen
Darstellungen von Frauen in Digitalspielen Opfer einer schwerwiegenden Belästi-
gungs- und Diffamierungskampagne einschließlich Morddrohungen. Diese 2014
gestartete Online- und Offline-Hass-Kampagne (die auch diverse Hass-Videos auf
YouTube umfasst) wurde unter dem Stichwort „GamerGate“ bekannt und hatte
neben Anita Sarkeesian diverse weitere weibliche Opfer (Mortensen 2018).
968 N. Döring

4 Rezeption von Geschlechterbildern in YouTube-Videos


und Interaktion

Im Unterschied zum Konsum massenmedialer Inhalte spielt bei der Nutzung von
YouTube-Videos die Social-Media-Komponente eine wichtige Rolle: Das Publikum
schaut sich die Videos nicht nur auf dem Smartphone oder Computer an, sondern
bewertet, kommentiert und teilt sie auch auf anderen Sozialen Medien. Damit gibt es
eine engere Rückkopplung zwischen Videoproduktion und Videorezeption (Burgess
und Green 2018). Videoproduzierende rufen ihr Publikum regelmäßig dazu auf,
Themenwünsche oder Fragen zu formulieren, auf die sie dann in ihren nachfolgen-
den Videos reagieren. Ebenso verfolgen die Videoproduzierenden detailliert, welche
Merkmale ihrer Videos (Inhalt, Titel, Vorschaubild) mehr oder weniger Klicks und
Resonanz erzeugen, und passen sich so dem Publikumsgeschmack an. Eine auf
Maximierung der Aufmerksamkeit ausgerichtete Produktions- und Publikationspra-
xis wird somit automatisch den Massengeschmack abbilden und auf aufmerksam-
keitsgenerierende Inhalte wie Skandale, Nacktheit oder Sex setzen. Genau diese
Entwicklung ist auf YouTube zu beobachten und betrifft unmittelbar den Umgang
mit Geschlechterbildern.
Die Top-YouTuberinnen, die – wie beschrieben – überwiegend feminin konnotierte
Themen (Schminken, Shoppen, Stylen etc.) vertreten und gängigen Schönheitsnormen
(jung, hübsch, schlank, blond, weiß usw.) entsprechen, haben vor allem junge weibliche
Fan-Gemeinden, die diesen YouTuberinnen nacheifern, weil sie „so wunderschön“ und
„selbstbewusst“ sind und ein beneidenswert luxuriöses Leben führen (Döring 2015a).
Die Welt der Beauty- und Lifestyle-Kanäle ist fröhlich und unbeschwert, konsumorien-
tiert und konventionell: Mit Freundinnen „Spaß haben“, aber auch für die Schule oder
Hochschule lernen, um „aus seinem Leben etwas zu machen“, lautet das Mantra. Die
YouTuberinnen wissen, wie stark sich pubertierende Mädchen an ihnen orientieren, und
sprechen oft von der großen Verantwortung, die sie als Vorbilder haben. Dementspre-
chend findet man in den Videos keinerlei Kraftausdrücke. Rauchen, Alkohol oder
sexuelle Eskapaden werden allenfalls als Stilmittel eingesetzt, um „Asis“ und „Schlam-
pen“ zu parodieren (z. B. in dem Video „10 ARTEN VON MÄDCHEN + Outtakes“ mit
über 9 Millionen Aufrufen). Die im gesellschaftlichen Mainstream verorteten Videoan-
gebote vermitteln ein tradiertes Bild des Mädchenseins. Die Rezipientinnen folgen den
Schmink-, Styling- und Kauftipps ihrer YouTube-Idole und träumen davon, selbst
Social-Media-Stars zu werden. Analog orientieren sich viele Rezipienten an den tra-
dierten Männlichkeitsbildern auf YouTube, die sich um Muskeln, Geld, Autos und
Erfolg bei Frauen drehen (Döring 2015a).
Die Rezeption von Frauen- und Männerbildern auf YouTube hat neben problemati-
schen Aspekten jedoch auch hilfreiche Dimensionen: Die Beauty-YouTuberinnen sind
für die Zuschauerinnen wie virtuelle große Schwestern, die in den Pubertätswirren
ermutigende Botschaften und Antworten bereithalten, wenn es um Stress mit den Eltern,
Pickel, Liebeskummer, Essstörungen, selbstverletzendes Verhalten und Selbstunsicher-
heit geht. Während massenmediale Vorbilder wie Schauspielerinnen und Models im
sozialen Vergleich einschüchternd wirken, vermitteln Beauty-YouTuberinnen praktische
Hilfestellung und Zuversicht, zeigen sich auch einmal ungeschminkt und berichten
Videoproduktion auf YouTube: Die Bedeutung von Geschlechterbildern 969

darüber, wie sie selbst früher gemobbt wurden. Über das Thema Beauty als Aufhänger
schaffen sich Mädchen und junge Frauen auf YouTube geschlechterhomogene soziale
Kommunikationsräume, in denen sie teilweise sehr solidarisch agieren und sich in
diversen Alltagsbelangen unterstützen (Döring 2015a).
Ergänzend zu den Mainstream-Kanälen werden auf YouTube Nischen-Kanäle
angeboten und genutzt. So gibt es Beauty-YouTuberinnen aller Altersgruppen und
Körperformen, manche führen ihre Styles auf dem Krankenbett oder im Rollstuhl
vor (z. B. die YouTuberin Laura „isoke“), andere präsentieren sich mit Kopftuch
(z. B. die YouTuberin Isra „Orientblicke“) oder mit Gesichtstattoos (z. B. die You-
Tuberin „Julia March“).
Auch Rollenmodelle mit nicht-binären, androgynen, transgender und queeren Ge-
schlechteridentitäten sowie mit vielfältigen sexuellen Identitäten sind auf YouTube viel
präsenter als in den Massenmedien (Döring 2017). „TheNosyRosie“ beispielsweise ist
ein seit 2010 primär von und für lesbische Mädchen und Frauen betriebener deutsch-
sprachiger YouTube-Kanal, auf dem nicht-heterosexuelle Zuschauerinnen positive Rol-
lenmodelle und Identitätsvalidierung finden (Döring und Prinzellner 2016), etwa in
Videos wie „TNR || Bin ich lesbisch? – Inneres coming out“ (15.000 Views).
Das von einer Schülerin produzierte und bereits 2007 publizierte YouTube-Video
„A Girl Like Me“ thematisiert das Aufwachsen als Mädchen mit schwarzer Haut-
farbe in den USA und hat bislang über 700.000 Views und überwiegend positive
Bewertungen und Kommentare erhalten (Hoskins 2009).
Es finden sich auf YouTube Videos, in denen die professionellen Rollen der
Frauen im Vordergrund stehen, etwa wenn die Astronautin Karen Nyberg den Alltag
im All demonstriert (z. B. „Running in Space!“) oder die Psychotherapeutin Esther
Perel Untreue erklärt (z. B. „Rethinking infidelity . . . a talk for anyone who has ever
loved“). Die zugehörigen Videokommentare sind teils inhaltlich interessiert und
anerkennend („This woman is so intelligent, captivating, and powerful“), teils
wiederum objektifizierend („nice legs space lady“).
Entgegen dem Klischee einer eindimensional schönen, bunten Scheinwelt in
Sozialen Medien finden Mädchen und Frauen sowie Jungen und Männer auf You-
Tube auch zahlreiche Rollenmodelle, die den Umgang mit Krisen, Gewalterfahrun-
gen, Beziehungsproblemen, Krankheiten und Behinderungen vorleben und zum
Empowerment beitragen können (Döring 2016b). Bisherige Studien haben zudem
kontroverse Video-Themen wie selbstbestimmtes Gebären (Longhurst 2009), Ess-
störungen (Holmes 2016) oder weibliche Sexualität (Döring 2017) aufgegriffen
(Döring, 2016a). Auch findet auf YouTube eine umfassende Selbstreflexion über
Probleme rund um Social Media statt (z. B. werden Tricks aufgedeckt, mit denen
Scheineffekte wie besondere Schlankheit oder Muskularität im Video erzeugt wer-
den, es wird vor der Gefahr gewarnt, sich mit geschönten Repräsentationen von
Social-Media-Stars zu vergleichen und es werden eigene Erfahrungen als Social-
Media-Influencerin reflektiert, etwa in dem Video „Ich bin nicht so perfekt, wie ich
im Internet tue“). Derartige Videos können dem Publikum helfen, soziale Rollen,
Normen und Selbstdarstellungen zu hinterfragen.
Andererseits ist festzustellen, dass alternativer YouTube-Content bei Teilen des
Publikums auch äußerst kritische, aggressive bis offen hasserfüllte Reaktionen auslöst.
970 N. Döring

Exemplarisch wurde die Hasskampagne gegen die Betreiberin des YouTube-Kanals


„FeministFrequency“ bereits genannt (Burgess und Green 2018; Burgess und Mata-
moros-Fernández 2016; Gray et al. 2017; Mortensen 2018). Betroffene YouTuber_-
innen reagieren unterschiedlich auf Angriffe: Manche schalten Kommentare und
Videobewertungen ganz aus, andere löschen einzelne Hasskommentare und sperren
Hater_innen, wieder andere lesen Hasskommentare vor, kommentieren diese kritisch
und fordern einen angemessenen Kommunikationsstil. Manchmal wird aber auch die
Teilnahme an YouTube pausiert oder ganz aufgegeben, um sich vor den Abwertungen
und Aggressionen des Online-Publikums zu schützen.
Geschlechtsbezogene Hasskommentare gegen YouTuberinnen sind als Ausdruck
sexistischer Einstellungen zu werten, die im Online-Kontext besonders ungehemmt
geäußert und durch die Zustimmung anderer Kommentator_innen bekräftigt werden
können (Döring und Mohseni 2018). Sexismus ist aber nicht die einzige Ursache
von Hass auf YouTube. Auch Rassismus, Homo- und Transphobie und weitere
diskriminierende Einstellungen spielen eine Rolle.

5 Wirkungen von YouTube-Videos auf die


Geschlechterverhältnisse

Die öffentlichen und fachlichen Debatten rund um die Wirkung von YouTube speziell
auf die Geschlechterverhältnisse sind polarisiert. Einerseits wird die Hoffnung artiku-
liert, dass YouTube als Social-Media-Plattform durch niedrigschwelligere Mitmach-
möglichkeiten zu mehr medialer Geschlechtergleichberechtigung und Empowerment
beiträgt. Andererseits wird kritisiert, dass sich Geschlechter-Asymmetrien und -Hie-
rarchien zuungunsten von Mädchen und Frauen, wie sie aus den alten Medien bekannt
sind, auch auf YouTube zeigen und teilweise sogar im Sinne von Disempowerment
verstärkt auftreten.
Für beide Tendenzen existieren – wie in den vorangegangenen Abschnitten auf-
geführt – entsprechende Beispiele und Studien. Allerdings wurden die konkreten
kurz- und mittelfristigen positiven und/oder negativen Auswirkungen der inhalts-
analytisch untersuchten Videos und Video-Kommentare bislang selten systematisch
erhoben oder gar experimentell geprüft. Eine der wenigen experimentellen Wir-
kungsstudien ergab beispielsweise, dass Beauty-YouTuberinnen mit ihren Erklä-
rungen zur Videoproduktion die Zuschauer_innen zum Videomachen motivieren
können, sofern sie als attraktiv wahrgenommen werden (Choi und Behm-Morawitz
2017). Das wäre dann als Empowerment-Effekt zu werten, weil Mädchen dazu
animiert werden, sich aktiv-produktiv an der männlich dominierten YouTube-Welt
zu beteiligen.
Was bislang fehlt ist zudem eine umfassende Gesamtschau der Befunde zu
YouTube-Effekten auf die Geschlechterverhältnisse, und zwar hinsichtlich Qualität
und Ausmaß der Effekte. Es ist anzunehmen, dass starken Positiv-Wirkungen (z. B.
YouTube-Videos helfen lesbischem Mädchen beim Coming-Out) und starken
Negativ-Wirkungen (z. B. YouTube-Videos verstärken körperbezogene Selbstunsi-
cherheit und begünstigen eine Essstörung), wie sie in bestimmten Kontexten auftreten
Videoproduktion auf YouTube: Die Bedeutung von Geschlechterbildern 971

können, bei vielen Nutzenden auch eher schwache und zudem ambivalente Wirkun-
gen gegenüberstehen. So mögen sich manche Mediennutzende über sexistische
YouTube-Inhalte in Top-Kanälen ärgern, gleichzeitig aber auch auf für sie hilfreiche,
unterhaltsame und emanzipatorische Nischen-Inhalte auf YouTube zurückgreifen.
Wie immer gilt, dass Vorhersagen über Medienwirkungen daran gebunden sind, die
Inhalte und Nutzungsweisen genau zu kennen und komplexe (statt unidirektionale)
Wirkmechanismen angemessen theoretisch zu konzeptualisieren. Hier ist noch viel
Forschungsarbeit zu leisten. Insbesondere müssen neben YouTube auch andere Video-
plattformen vergleichend unter Gender-Perspektiven untersucht werden (z. B. Live-
Streaming-Plattformen wie Twitch oder YouNow; Döring 2015b).

6 Fazit

Soll Geschlechtergleichberechtigung auf YouTube gefördert werden, so sind neben


verstärkten Forschungsbemühungen auch Praxismaßnahmen sinnvoll. Das beginnt
bei einer Förderung geschlechtergleichberechtigter Partizipation an der Videopro-
duktion (z. B. durch Workshops für potenzielle Videoproduzentinnen, die nicht nur
medientechnisches Handwerkszeug vermitteln, sondern auch auf den Umgang mit
geschlechtsspezifischer Online-Hassrede vorbereiten; Döring 2015a, 2016b). Wei-
terhin sinnvoll ist eine gendersensible Medienkompetenzförderung, die dazu befä-
higt, tradierte Geschlechterrollen und Geschlechterbilder in Mainstream-Kanälen
auf YouTube kritisch einzuordnen und sich bei Bedarf alternative Rollenmodelle
auf der Plattform zu suchen (Döring 2016b). Zur Medienkompetenzförderung gehört
dabei auch eine Sensibilisierung für die Prävention von sexistischer und sonstiger
Online-Hassrede, damit möglichst allen YouTube-Nutzenden bewusst ist, dass
bestimmte Negativkommentare nicht „witzig“, sondern verletzend und bedrohlich
sind und somit unterbleiben sollten. Auch ist es wichtig zu wissen, wie man vorgehen
kann und sollte, wenn man auf sexistische Kommentare anderer Nutzer_innen stößt.
Nicht zu vergessen ist weiterhin die Notwendigkeit, die Gendersensibilität von
Multiplikator_innen (z. B. im Bildungswesen, in der Jugendarbeit, im Journalismus)
zu erhöhen, damit diese das Online-Engagement der YouTuberinnen angemessen
darstellen und würdigen. Schließlich sind auch die Plattform-Betreibenden in die
Pflicht zu nehmen: So wird von Seiten vieler Video-Produzierender kritisiert, dass
der YouTube-Algorithmus einseitig immer nur klickstarken Content favorisiert und
somit der Massengeschmack dominiert. Es wäre durchaus möglich, dass YouTube
sich dazu verpflichtet, qualitativ hochwertigen Nischen-Content zusätzlich zu för-
dern, etwa durch bewusste Platzierung in den YouTube-Trends.

Literatur
Alexa. 2018. The top 500 sites on the web. https://www.alexa.com/topsites. Zugegriffen am 10.09.2018.
Amarasekara, Inoka, und Will J. Grant. 2019. Exploring the YouTube science communication
gender gap: A sentiment analysis. Public Understanding of Science 28(1): 68–84.
972 N. Döring

Aubrey, Jennifer Stevens, und Cynthia M. Frisby. 2011. Sexual objectification in music videos:
A content analysis comparing gender and genre. Mass Communication and Society 14(4): 475–501.
Becker, Heike, und Wolfgang Becker. 1999. Die Darstellung von Frauen und die Behandlung von
Frauenfragen im Fernsehen: Eine wissenschaftliche Untersuchung im Auftrag des Bundesministe-
riums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. https://www.bundespruefstelle.de/blob/94498/
6e7945327665560d32a98145c5bbdc29/prm-10892-materialie-nr%2D%2D83-2001%2D%2D-teil
%2D%2Ddata.pdf. Zugegriffen am 10.09.2018.
Boon, Susan D., und Christine D. Lomore. 2001. Admirer-celebrity relationships among young
adults. Human Communication Research 27(3): 432–465.
Budzinski, Oliver, und Sophia Gaenssle. 2018. The economics of social media stars: An empirical
investigation of stardom, popularity, and success on YouTube. Ilmenau Economics Discussion
Papers 24(112): 1–38.
Burgess, Jean, und Ariadna Matamoros-Fernández. 2016. Mapping sociocultural controversies
across digital media platforms: One week of #gamergate on Twitter, YouTube, and Tumblr.
Communication Research and Practice 2(1): 79–96.
Burgess, Jean Elizabeth, und Joshua Green. 2018. YouTube: Online video and participatory culture,
2. Aufl. Cambridge, UK/Medford: Polity Press.
Choi, Grace Y., und Elizabeth Behm-Morawitz. 2017. Giving a new makeover to STEAM:
Establishing YouTube beauty gurus as digital literacy educators through messages and effects
on viewers. Computers in Human Behavior 73:80–91.
Döring, Nicola. 2014. Professionalisierung und Kommerzialisierung auf YouTube. merz – medien
+ erziehung, zeitschrift für medienpädagogik 59(1): 24–31.
Döring, Nicola. 2015a. Die YouTube-Kultur im Gender-Check. merz | medien + erziehung.
zeitschrift für medienpädagogik 59(1): 17–24.
Döring, Nicola. 2015b. Gefährliche Videoübertragung aus dem Kinderzimmer? YouNow im
Faktencheck. merz – medien + erziehung, zeitschrift für medienpädagogik 59(3): 51–58.
Döring, Nicola. 2016a. Die Bedeutung von Videoplattformen für die Gesundheitskommunikation.
In Handbuch Gesundheitskommunikation: Kommunikationswissenschaftliche Perspektiven,
Hrsg. Constanze Rossmann und Matthias R. Hastall, 1–14. Heidelberg: Springer.
Döring, Nicola. 2016b. Gendersensible Förderung von Medienkompetenz: Was ist zu tun? ajs
informationen 52(1): 22–28.
Döring, Nicola. 2017. Online-Sexualaufklärung auf YouTube: Bestandsaufnahme und Handlungs-
empfehlungen für die Sexualpädagogik. Zeitschrift für Sexualforschung 30(4): 349–367.
Döring, Nicola, und Mohsen Rohangis Mohseni. 2018. Male dominance and sexism on YouTube:
Results of three content analyses. Feminist Media Studies 108(1): 1–13.
Döring, Nicola, und Yvonne Prinzellner. 2016. Gesundheitskommunikation auf YouTube: Der
LGBTIQ-Kanal „The Nosy Rosie“. In Gesundheitskommunikation im Spannungsfeld zwischen
Theorie und Praxis. Medien + Gesundheit, Hrsg. Anne-Linda Camerini, Ramona Ludolph, und
Fabia Rothenfluh, Bd. 13, 248–259. Baden-Baden: Nomos.
Eudey, Betsy. 2008. Keyword: Feminism: Evaluating representations of feminism in YouTube.
Feminist Collections 29(1): 28–29.
Gray, Kishonna L., Bertan Buyukozturk, und Zachary G. Hill. 2017. Blurring the boundaries: Using
Gamergate to examine „real“ and symbolic violence against women in contemporary gaming
culture. Sociology Compass 11(3): 1–8. https://doi.org/10.1111/soc4.12458.
Holmes, Su. 2016. ‚My anorexia story‘: Girls constructing narratives of identity on YouTube.
Cultural Studies 31(1): 1–23.
Hoskins, Deb. 2009. „Do you YouTube?“ Using online video in women’s studies courses. Feminist
Collections 30(2): 15–17.
Khan, Laeeq. 2017. Social media engagement: What motivates user participation and consumption on
YouTube? Computers in Human Behavior 66:236–247.
Longhurst, Robyn. 2009. YouTube: A new space for birth? Feminist Review 93(1): 46–63.
Mortensen, Torill Elvira. 2018. Anger, fear, and games. The long event of #GamerGate. Games and
Culture 13(8): 787–806.
Videoproduktion auf YouTube: Die Bedeutung von Geschlechterbildern 973

Molyneaux, Heather, Susan O’Donnell, Kerri Gibson, und Janice Singer. 2008. Exploring the
gender divide on YouTube: An analysis of the creation and reception of Vlogs. American
Communication Journal 10(1): 1–14.
mpfs. 2013. JIM-Studie 2013: Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisstudie zum Medienum-
gang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/
2013/JIM_Studie_2013.pdf. Zugegriffen am 10.09.2018.
mpfs. 2018. JIM-Studie 2018: Jugend, Information, (Multi-) Media. Basisstudie zum Medienumgang
12-bis 19-Jähriger in Deutschland. https://www.mpfs.de/studien/jim-studie/2018/. Zugegriffen am
05.12.2018.
Mühlen-Achs, Gitta. 2003. Frauenbilder: Konstruktionen des anderen Geschlechts. In Geschlecht und
Medien, Hrsg. Gitta Mühlen-Achs und Bernd Schorb, 13–37. München: kopaed.
Schwemmer, Carsten, und Sandra Ziewiecki. 2018. Social media sellout: The increasing role of
product promotion on YouTube. Social Media + Society 4(3): 1–20.
SocialBlade. 2018. Top 100 Subscribed YouTube channels (sorted by subscriber count). https://
socialblade.com/youtube/top/100/mostsubscribed. Zugegriffen am 10.09.2018.
Szostak, Natasha. 2013. Girls on YouTube: Gender politics and the potential for a public sphere.
The McMaster Journal of Communication 8:47–58.
Welbourne, Dustin J., und Will J. Grant. 2016. Science communication on YouTube: Factors that
affect channel and video popularity. Public Understanding of Science 25(6): 706–718.
Wotanis, Lindsey, und Laurie McMillan. 2014. Performing gender on YouTube. Feminist Media
Studies 14(6): 912–928.

Videoverzeichnis
MÄDCHEN normal VS wenn sie ihre TAGE HABEN. JONAS. https://www.youtube.com/watch?v=
VMmSmw4qsQU
YOUTUBER BRÜSTE ERRATEN EXTREM! Brotatos.https://www.youtube.com/watch?v=kstU
heAAJns
SO BEFRI*DIGE ICH MICH. Katja Krasavice. https://www.youtube.com/watch?v=JK5W-MPKtI0
Malala Yousafzai Nobel Peace Prize Speech. Malala Fund. https://www.youtube.com/watch?v=
MOqIotJrFVM
Are Women Too Hard To Animate? Tropes vs Women in Video Games. FeminstFrequency. https://
www.youtube.com/watch?v=u64MGg3Hpp0
10 ARTEN VON MÄDCHEN + Outtakes. BibisBeautyPalace. https://www.youtube.com/watch?
v=OAiCuD2022o
TNR || Bin ich lesbisch? – Inneres coming out. TheNosyRosie. https://www.youtube.com/watch?
v=KCO91UfDXyE
A Girl Like Me. mediathatmatters. https://www.youtube.com/watch?v=YWyI77Yh1Gg
Running in Space! NASA Johnson. https://www.youtube.com/watch?v=_ikouWcXhd0
Rethinking infidelity . . . a talk for anyone who has ever loved. TED. https://www.youtube.com/watch?
v=P2AUat93a8Q
Ich bin nicht so perfekt, wie ich im Internet tue. Jacko Wusch. https://www.youtube.com/watch?v=
jEn_9B_1mEs
Digitale Spiele als Gegenstand
feministischer Game Studies

Astrid Ebner-Zarl

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 976
2 Frauen und Männer als SpielerInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 977
3 Frauen und Männer in der Gamesbranche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 979
4 Darstellung von Frauen und Männern in Games . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 980
5 Interaktion in und um Games . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 981
6 Zusammenhänge zwischen den Ebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 982
7 Sozialisation durch Games . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 982
8 Fazit und offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 983
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 985

Zusammenfassung
Feministische Game Studies untersuchen die Geschlechterverhältnisse im
Zusammenhang mit digitalen Spielen. Dabei werden unterschiedlichste Aspekte
von Games einer kritischen Analyse entlang der Kategorie Geschlecht unterzo-
gen: Inhalt und Aufbau von Games sind ebenso Forschungsgegenstand wie
Nutzungsmuster, Strukturen der Gamesbranche und Interaktionen, die zwischen
Spielenden oder im Umfeld von Games stattfinden. Es zeigt sich eine ambivalente
Koexistenz von Fortschritten in punkto Geschlechtergerechtigkeit und persistie-
renden Mustern von Ungleichheit und Diskriminierung.

Schlüsselwörter
Feministische Game Studies · Geschlechterstereotype in Games · Nutzung von
Games · Gamesbranche · Gender und Games

A. Ebner-Zarl (*)
Fachhochschule St. Pölten, St. Pölten, Österreich
E-Mail: astrid.ebner-zarl@fhstp.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 975
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_55
976 A. Ebner-Zarl

1 Einleitung

Bei den Game Studies handelt es sich um ein junges Forschungsfeld,1 unter dessen
begrifflichem Dach sich zahlreiche Disziplinen aus ihrer jeweiligen Perspektive mit
digitalen Spielen befassen, so auch die feministische Forschung. Im deutschsprachi-
gen Raum haben die feministischen Game Studies ihre Spuren bislang eher in Form
verstreuter Ergebnisse hinterlassen. Zwar gibt es v. a. in den letzten Jahren eine
Reihe von Arbeiten zum Thema, explizite Forschungsstränge oder Hauptwerke sind
aber nicht auszumachen, teils stammen relevante Ergebnisse auch aus allgemeinen
Studien, in denen Geschlecht als eine Variable miterhoben wurde. Grundlegende, die
Disziplin konstituierende Werke finden sich eher im angloamerikanischen Raum, wo
mit den Sammelbänden From Barbie to Mortal Kombat (Cassell und Jenkins 1998a)
und Beyond Barbie and Mortal Kombat (Kafai et al. 2008a) eine international viel
zitierte feministische Bestandsaufnahme stattfand. In deutschsprachigen Arbeiten
wird zur Darstellung des Wissensstandes stark auf angloamerikanische Quellen
zurückgegriffen. Prinzipiell gibt es im angloamerikanischen Raum eine Vielfalt
älterer und neuerer Ergebnisse zu diversen Aspekten von Games, jedoch ebenfalls
ohne ausdifferenzierten Forschungssträngen zugeordnet werden zu können. Über die
genannten Sammelbände hinaus sind auch keine weiteren Hauptwerke erkennbar.
Insgesamt sind die feministischen Game Studies noch durch das Fehlen eines
theoretischen Überbaus gekennzeichnet. Grundlegende Theorien oder übergreifende
Aussagen werden auch in den beiden Hauptwerken nicht herausgearbeitet; vielmehr
reihen sie in einer Mischung aus Aufsätzen und Brancheninterviews ein breites
Spektrum von Einzelperspektiven aneinander. Deshalb können die beiden Bände
auch nicht in ihren Grundaussagen in den vorliegenden Artikel eingearbeitet werden.
Stattdessen fließen Erkenntnisse aus relevanten Aufsätzen der Bände direkt bei den
jeweiligen Themengebieten ein.

1.1 Definition: Game

Der Begriff des Games umfasst eine Vielfalt digitaler Spiele. Es gibt nicht nur
unterschiedlichste Genres (z. B. Jump ‚n‘ Run, Simulation), sondern auch diverse
Plattformen, auf denen Games angeboten werden (PC2-, Konsolen-, Mobile-,
Online-Games). Games können auf den/die EinzelspielerIn ausgerichtet sein (sin-
gleplayer games) oder auf das Zusammenwirken mehrerer bis zahlreicher SpielerIn-
nen (multiplayer games), heute meist damit verbunden, dass über das Internet

1
Der Beginn der Game Studies wird teils mit Ende der 1990er-Jahre, teils mit Anfang der 2000er-
Jahre datiert (Beil 2013, S. 21; Wilhelm 2015a, S. 317).
2
PC steht hier für Personal Computer. Spätere Verwendungen des Kürzels PC im Text beziehen sich
auf den Begriff „Player Character“, es handelt sich dabei um eine gängige Abkürzung in der
Gamesbranche.
Digitale Spiele als Gegenstand feministischer Game Studies 977

gespielt und kooperiert wird. Hinzu kommen neue gamerelevante Technologien wie
Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR) und Mixed Reality (MR).

2 Frauen und Männer als SpielerInnen

Erhebungen zur quantitativen Gamesnutzung spezifisch aus Genderperspektive gibt


es kaum. AutorInnen, die sich mit Nutzungshäufigkeiten von Frauen/Mädchen und
Männern/Buben beschäftigen, greifen oft auf allgemeine Studien zurück, in denen
auch nach Geschlecht ausgewertet wurde. Im deutschsprachigen Raum besonders
zentral sind die Untersuchungen von Quandt (mit unterschiedlichen Co-AutorInnen,
z. B. Quandt et al. 2013). Auch Erhebungen der Branchenverbände (z. B. Bundes-
verband Interaktive Unterhaltungssoftware [BIU] in Deutschland, Entertainment
Software Association [ESA] in den USA) werden zitiert. Nutzungsdaten zu Kindern
und Jugendlichen werden häufig den KIM- und JIM-Studien des medienpädagogi-
schen Forschungsverbunds Südwest (MPFS) entnommen.
Digitale Spiele gelten traditionell als männliche Freizeitbeschäftigung. Cassell
und Jenkins (1998b, S. 10) verwiesen auf die Problematik von „girls’ not being
attracted to computer games“. Die häufigere Nutzung von Games durch Männer/
Buben wird in diversen Arbeiten betont (u. a. Hanappi-Egger 2007, S. 150; Trepte
und Reinecke 2010, S. 235; Lippe 2007, S. 223). Auch in der aktuellsten JIM-Stu-
die3 werden Buben durchgehend als stärkste Nutzungsgruppe bezeichnet: 83 % der
Buben und 43 % der Mädchen sind nach der Definition des MPFS regelmäßige
SpielerInnen, nutzen Games also mindestens mehrmals pro Woche (MPFS 2016a,
S. 42–43). Gleichzeitig mehren sich Befunde, denen zufolge der Anteil der Spiele-
rinnen kontinuierlich steigt (Bryce und Rutter 2002, S. 243–255; Witting 2010,
S. 115; Dickey 2006, S. 785), besonders in den letzten Jahren wird dieser Trend
hervorgehoben. Quandt et al. (2013, S. 484–490) halten als Schlussfolgerung zu
ihrer deutschlandrepräsentativen Panelstudie4 fest, dass „[s]tereotypen Vorstellun-
gen vom Spieler [. . .] auf Basis der Auswertungen eine Absage erteilt werden“
müsse. Der Anteil der Spieler unter den Männern beträgt bei ihnen über die
Untersuchungsjahre hinweg konstant ca. 30 %, der Anteil der Spielerinnen unter
den Frauen liegt mit 20 % nicht dramatisch dahinter. Den jeweiligen Branchenver-
bänden zufolge sind sowohl in den USA als auch in Deutschland zwischen 40 und
47 % der SpielerInnen Frauen (Pugh 2014, S. 82; BIU 2016). Tendenziell scheinen
die Anteile der SpielerInnen nach Geschlecht im Jugendalter am stärksten auseinan-
derzuklaffen, in der Kindheit (MPFS 2016b, S. 53) und im Erwachsenenalter sind
die Unterschiede geringer.

3
Sie bezieht sich auf die Mediennutzung von 12- bis 19-Jährigen in Deutschland.
4
Drei Erhebungswellen von 2011–2013. Befragt wurden Personen ab 14 Jahren.
978 A. Ebner-Zarl

In punkto Spielvorlieben gibt es eine heterogene, teils widersprüchliche5 Fülle


von Studienergebnissen. Häufig werden Frauen und Männern diametral entgegen-
gesetzte Bedürfnisse attestiert: Während Männer demnach Spiele präferieren, die auf
Wettbewerb, Leistung, Kampf und Gewalt ausgerichtet sind, lehnen Frauen diese
Merkmale ab und bevorzugen konfliktfreie Spiele ohne Wettbewerb, die soziale
Beziehungen und Situationen aus dem realen Leben ins Zentrum stellen (Hartmann
und Klimmt 2006, S. 914–926; Agosto 2003, S. 8–14; Schott und Horrell 2000,
S. 43). Dass mehr und mehr Frauen spielen, wird analog dazu v. a. mit einem
Gametypus in Verbindung gebracht: dem Casual Game (Kafai et al. 2008b, S. XI)
– im Gegensatz zum männlich assoziierten Hardcore Game. Unter Hardcore Games
werden komplexe, oft auch gewalthaltige Genres mit hochrealistischer Darstellung
verstanden, die viel Zeit und Können erfordern, v. a. Shooter und MMOs.6 Casual
Games sind demgegenüber unklar definiert, oft nur als inhaltlich nicht näher kon-
kretisierter Gegenpol zum Hardcore Game – ein Game, das nicht den Hardcore-
Kriterien entspricht, für Personen, die sich selbst nicht als SpielerInnen bezeichnen
würden. Andere Definitionen beschreiben Casual Games als einfache Gelegenheits-
spiele für zwischendurch, etwa Puzzles, Kartenspiele oder Farmspiele, insbesondere
im Browser oder über Social Media, oder auch Musik- und Bewegungsspiele (Kubik
2012, S. 136–143; Vanderhoef 2013; Kuittinen et al. 2007, S. 106; Ganguin und
Hoblitz 2014, S. 3). Kubik (2012, S. 135–150) und Vanderhoef (2013) zeigen, wie
Frauen durch die Verbindung der Dichotomien Casual/Hardcore und weiblich/
männlich trotz steigender Beteiligung und teils hoher zeitlicher Zuwendung ein
legitimer Status als „richtige“ Spielerin abgesprochen wird, denn Casual Gamers
gelten in der Gaming Community als defizitär.7
Wenngleich Casual Gamers mehrheitlich Frauen sind, gibt es auch weibliche
Hardcore Gamers, wie die empirisch erarbeiteten Spielerinnentypologien von
Krause (2010, S. 189–190) und Royse et al. (2007, S. 555–573) zeigen. Yee
(2008, S. 83–91) erhebt in einer 6-jährigen Surveystudie mit 40.000
MMO-SpielerInnen einen Frauenanteil von 15 % in MMOs, hinsichtlich der Spiel-
motive zeigen sich Gemeinsamkeiten von 87 % zwischen Männern und Frauen.
Dass die Überschneidungen zwischen männlichen und weiblichen Vorlieben weitaus
größer sind als die Unterschiede, arbeiten auch Kolo und Müller (2010, S. 115–131)
und Lazzaro (2008, S. 202–207) mit Blick auf diverse Spieltypen heraus. Zarembas
(2012, S. 446–460) Analyse präsentiert Beispiele einer regen Spielerinnenkultur im
Internet, von Casual bis Hardcore. Die Forschungsperspektive erweitert sich allmäh-
lich auf unterschiedliche Spielpräferenzen und -motive innerhalb der Geschlechter-

5
Den Eindruck von Widersprüchlichkeit teilt auch Wilhelm (2015b, S. 108) und verweist auf stark
unterschiedliche methodische Settings der zahlreichen Studien.
6
In Massively Multiplayer Online Games interagieren tausende bis hin zu mehreren Millionen
Spielende über das Internet gleichzeitig in derselben virtuellen Welt (Barnett und Coulson 2010,
S. 168).
7
Zu erwähnen ist, dass Innensicht der Community und Gesellschaftssicht voneinander abweichen.
Gesellschaftlich gilt exzessives Spielen als problematisch, in der Community ist es zentraler Teil der
Gameridentität und Kennzeichen von Kompetenz (Kubik 2012, S. 138).
Digitale Spiele als Gegenstand feministischer Game Studies 979

gruppen: „It isn’t the case that women play only for socializing or that men play only
to kill monsters.“ (Yee 2008, S. 90)

3 Frauen und Männer in der Gamesbranche

Trotz steigender Spielerinnenzahlen ist der Anteil von Frauen in der Gamesbranche
stabil niedrig, je nach Quelle und Land wird er mit etwa 10–12 % angegeben (Pugh
2014, S. 82; Fullerton et al. 2008, S. 164; Ganguin und Hoblitz 2014, S. 11;
Vanderhoef 2013). Charakteristisch ist, dass sich Frauen innerhalb der Branche
v. a. auf bestimmte Bereiche konzentrieren. Die höchsten Frauenanteile finden sich
in Bereichen wie Human Resources, Marketing und Produktion, in Kernfunktionen
wie Game Designer, Audio Producer oder als Führungskräfte ist ihr Anteil deutlich
geringer, am niedrigsten ist er unter den ProgrammiererInnen mit 4–5 % (Pugh 2014,
S. 84–85; Fullerton et al. 2008, S. 164).
Von den Gründen, die Frauen vor einer Berufstätigkeit in der Gamesbranche
zurückschrecken lassen, wird die branchentypische exzessive Überstundenkultur
besonders hervorgehoben. Arbeitszeiten von mindestens 60, vielfach 70–80, teils
bis zu 100 h pro Woche sind besonders in den häufig wiederkehrenden „crunch
times“ üblich, den äußerst arbeitsintensiven Phasen kurz vor Projektabschlüssen
oder anderen Deadlines. Zwar beschneiden diese Bedingungen das Privatleben
von männlichen wie weiblichen Beschäftigten, gleichzeitig aber lasten Kinderbe-
treuungspflichten nach wie vor stärker auf Frauen. Sowohl für Mütter als auch für
Frauen, in deren künftiger Lebensplanung Kinder vorgesehen sind, stellt die bran-
chentypische Notwendigkeit von Überstunden ein großes Vereinbarkeitsproblem
dar. Zudem wird die Gamesbranche ihrer mehrheitlichen personellen Besetzung
entsprechend nach wie vor als männliche Domäne wahrgenommen. Frauen begrei-
fen die Gamesbranche daher oft gar nicht als potenzielles Karrierefeld für sich, der
Einstieg in die Branche erfolgt bei vielen ungeplant (Consalvo 2008, S. 181–186;
Prescott und Bogg 2014, S. 96–105; Ganguin und Hoblitz 2014, S. 230–235, 281).
Als weiterer abschreckender Faktor gelten Diskriminierung und Sexismus innerhalb
der Gamesindustrie. Kafai et al. (2008b, S. XII–XIII) beschreiben die gängige
Praxis, bei Gamesmessen so genannte Booth Babes – spärlich bekleidete Frauen –
zur Bewerbung neuer Spiele einzusetzen. Laut Vanderhoef (2013) ist in der Branche
zur Einordnung von Spielen als Casual oder Hardcore der Mom Test üblich, nach
dem Motto: Wenn deine Mutter es mag bzw. spielen kann, ist es ein Casual (d. h. nach
Branchenlogik defizitäres) Game. Frauen in der Gamesbranche sind immer wieder
auch mit Vorurteilen hinsichtlich geringerem Technikinteresse und geringerer Spiel-
kompetenz konfrontiert (Ganguin und Hoblitz 2014, S. 281).
Was Frauen trotz schwieriger Bedingungen in der Gamesindustrie hält, ist Lei-
denschaft für die Sache. Kreative Zusammenarbeit mit Gleichgesinnten, Selbstver-
wirklichung durch Umsetzung eigener Ideen und inhaltlich erfüllende Aufgaben
werden mit der Branche in Verbindung gebracht (Ganguin und Hoblitz 2014, S. 281;
Consalvo 2008, S. 185). „Passion“ ist laut Consalvo (2008, S. 185) generell ein
starker Teil der Branchenidentität und wird als Erfordernis in Stellenausschreibun-
980 A. Ebner-Zarl

gen formuliert – sie ist nötig, um sich den Härten der Branche langfristig unterwerfen
zu können, für Frauen noch stärker als für Männer.

4 Darstellung von Frauen und Männern in Games

Weibliche Player Characters (PCs)8 gelten als quantitativ unterrepräsentiert. Dass


Frauen in Games überwiegend in irrelevanten Nebenrollen, stereotyp, hochsexuali-
siert oder als Opfer vorkommen, ist eine dauerhafte Kritik der feministischen
Forschung (Mou und Peng 2009, S. 927–931; Trepte und Reinecke 2010, S. 237;
Witting 2010, S. 119). Huntemann (2015, S. 164–165) ortet in der Gamesbranche
nur geringe Bereitschaft zu Veränderung und berichtet über Kreativdirektoren der
Firma Ubisoft, die das erneute Fehlen weiblicher PCs in den Fortsetzungen zweier
verkaufsstarker Games damit begründeten, dass die Produktion weiblicher Figuren
aufwändiger und daher wirtschaftlich nicht tragbar sei.
Gleichzeitig sind aber auch Bemühungen um mehr Ausgewogenheit im Spiel-
figurenangebot erkennbar. Witting (2010, S. 120) nimmt in Actiongames verstärkt
spielbare weibliche Figuren wahr. Ebner-Zarl (2017, S. 235–240) weist in ihrer
Analyse von Games für Kinder auf eine Reihe starker, kompetenter weiblicher
PCs hin, die teils als Alternativen zu männlichen PCs, teils als zentrale Heldinnen
ihrer Game-Storyline angeboten werden.
Auch in der qualitativen Ausgestaltung von Figuren und Geschichten zeigt sich
eine ambivalente Parallelität von Wandel und Zähigkeit. Klassische Muster wie die
Damsel in Distress, die bereits von Dietz (1998, S. 434–435) beschrieben wurde,
haben Kontinuität auch in aktuellen Spielen (Witting 2010, S. 120; Ebner-Zarl 2017,
S. 234). Besonders Angebote, die sich explizit an Mädchen richten, erweisen sich
konstant als stark klischeehaft und ordnen ihnen per Geschlecht ein äußerst limitier-
tes Interessenspektrum – etwa rund um Betreuung, Mode, Styling, Kochen, Dating
und Dekoration – zu (Ebner-Zarl 2017, S. 232–233). Damit bewegen sich auch
heutige Spiele für Mädchen in der Tradition der so genannten pink games, als deren
Startpunkt der 1996 von Mattel veröffentlichte Barbie Fashion Designer gilt (Jenk-
ins und Cassell 2008, S. 7).
Andererseits hat sich auch die inhaltliche Struktur von Games hin zu mehr
Ausgewogenheit verändert. Bereits Kafai et al. (2008b, S. XIV) nehmen wahr, dass
Games zugunsten einer komplexeren Sichtweise mehr und mehr von eindimensio-
nalen Geschlechterkonzeptionen Abstand nehmen. Ebner-Zarl (2017, S. 231–245)
identifiziert in Games für Kinder ein breites Spektrum von Darstellungen – von
manifesten Klischees bis hin zu Games, die auf Geschlechtergerechtigkeit achten
und Möglichkeiten zur Überschreitung von Geschlechterrollen bieten. Gleichzeitig
ergibt ihre Analyse, dass Geschlechterungleichheiten in aktuellen Games zum Teil
auf tieferliegenden, subtileren Ebenen verortet sind – z. B. in der Form, dass starke

8
Player Characters sind die spielbaren Figuren eines Games, im Gegensatz zu den Non Player
Characters (NPCs), die nicht von dem/der Spielenden gesteuert werden können.
Digitale Spiele als Gegenstand feministischer Game Studies 981

weibliche PCs zwar vorhanden sind, jedoch mit geringerer Relevanz für das Spiel als
ihre männlichen Pendants. Eine ähnliche Beobachtung machen Summers und Miller
(2014, S. 1037), die darauf hinweisen, dass weibliche Figuren in den letzten Jahren
seltener als Damsels in Distress und häufiger als starke PCs fungieren, dies aber oft
mit einer massiven Sexualisierung einhergeht.
Nach wie vor finden sich auch äußerst extreme Formen von Sexismus in Games.
Ein vielzitiertes Beispiel ist die verkaufsstarke Spielereihe Grand Theft Auto (GTA),
die in der JIM-Studie 2016 auf Platz 3 der Lieblingsspiele Jugendlicher rangiert
(MPFS 2016a, S. 45). Frauen sind in GTA im Wesentlichen sexuelle Objekte oder
klischeehafte Nebenfiguren mit flacher Charakterzeichnung, sie werden mit abwer-
tenden Ausdrücken (z. B. „bitch“) belegt und erfahren Gewalt von den ausnahmslos
männlichen PCs (Hoggins 2013; Jenson und de Castell 2014; Beck et al. 2012,
S. 3023). Es gibt auch Games, deren Spielziel darin besteht, als PC Frauenfiguren zu
vergewaltigen, z. B. in Rapelay, das zwar nach einer Weile verboten wurde, sich aber
illegal im Internet weiterverbreitet und großer Popularität erfreut (Beck et al. 2012,
S. 3018–3023).

5 Interaktion in und um Games

MMOs ermöglichen es durch die freie Gestaltbarkeit der PCs, mit Geschlecht zu
experimentieren (Kafai et al 2008b, S. XVII). Manche SpielerInnen bewegen sich
bewusst mit einem PC im Spiel, dessen Geschlecht nicht ihrem eigenen Geschlecht
als Person entspricht. Huh und Williams (2010, S. 168) kommen für das MMO
EverQuest II zum Schluss, dass 16 % der SpielerInnen Gender Swapping betreiben;
meist handelt es sich um Männer mit einem weiblichen Avatar. Yee (1999–2004)
analysierte in einer Langzeitstudie Häufigkeit von und Motivationen für Gender
Swapping in unterschiedlichen MMOs. Ihm zufolge wird die Hälfte der weiblichen
PCs in MMOs von Männern gespielt. Als Gründe werden Vorteile und Hilfestellun-
gen genannt, die andere (männliche) Spieler ihren Mitspielerinnen zuteilwerden
lassen; im Falle einer Third-Person-Perspektive geht es mitunter auch darum, lieber
einen Frauen- als einen Männerkörper betrachten zu wollen. Umgekehrt wählen
manche Frauen männliche PCs, um Annäherungsversuchen männlicher Mitspieler
oder Vorurteilen über geringere Spielkompetenz zu entkommen (Yee 2008, S. 94).
Sensibilisierendes Potenzial von Gender Swapping liegt laut Yee (1999–2004) darin,
dass eigene Erfahrungen mit den Zwängen der jeweils anderen Geschlechterrolle
gemacht werden und so die gegenseitige Empathie erhöht werden kann.
Eine Facette von Interaktion in und um Games ist aber auch Sexismus. Frauen-
feindliche Kommentare, Beschimpfungen und sexuelle Belästigung in Games wer-
den sowohl in wissenschaftlichen Arbeiten als auch durch betroffene Spielerinnen
auf selbst errichteten Plattformen dokumentiert (Fox und Tang 2017, S. 124–136;
Kowert et al. 2017, S. 141–143). Im Zuge der GamerGate-Kontroverse erhielten
sowohl Gamesentwicklerinnen als auch die feministische Medienkritikerin Anita
Sarkeesian Hasspostings sowie Mord- und Vergewaltigungsdrohungen von anony-
men Spielefans (Chess und Shaw 2015, S. 210). Consalvo (2012) spricht von einer
982 A. Ebner-Zarl

„toxic gamer culture“ und hebt die Bedeutung feministischer Forschung hervor,
diese Vorfälle sichtbar zu machen und zu analysieren.

6 Zusammenhänge zwischen den Ebenen

Die zuvor skizzierten Ebenen werden allgemein als miteinander verbunden begrif-
fen. Dass Männer die Spieleentwicklung dominieren, führe zu Games, die in Inhalt
und Aufmachung an den Präferenzen männlicher Spieler orientiert sind. Die daraus
resultierende stereotype Darstellung und Unterrepräsentation weiblicher Figuren
bewirke geringeres Interesse von Frauen an Games. Es wird argumentiert, dass
Frauen wie Männer Charaktere des eigenen Geschlechts favorisieren und dass
Frauen sich von Gewalt und übersexualisierten Darstellungen weiblicher Figuren
abgestoßen fühlen. Folglich werde Frauen und Mädchen ein optimales Spielerlebnis
vorenthalten (Hartmann und Klimmt 2006, S. 914–926; Trepte und Reinecke 2010,
S. 237–238; Schott und Horrell 2000, S. 45). Shaw (2013) legt in diesem Zusam-
menhang das bekannte Zitat von Simone de Beauvoir auf Gamesnutzung um: „[O]ne
is not born a gamer, one becomes one.“
Gleichzeitig wird eine Rückwirkung niedrigeren Nutzungsinteresses von Mäd-
chen und Frauen auf die Geschlechterverhältnisse in der Produktion vermutet.
Diesen sich selbst verstärkenden Kreislauf bezeichnen Fullerton et al. (2008, S. 173)
als „vicious cycle“ und stellen ihm den wünschenswerten „virtuous cycle“
gegenüber, in dem die verstärkte Einbindung von Frauen in die Entwicklung Games
hervorbringe, die Frauen gefallen, wodurch wiederum das Interesse von Frauen an
Berufen in der Gamesbranche angeregt werde. Mehr Diversität in Entwicklungs-
teams wird als Potenzial gesehen, die Bedürfnisse einer breiteren NutzerInnenschaft
zu berücksichtigen. Als Erfolgsbeispiel wird wiederholt die bei Frauen wie Männern
beliebte Lebenssimulation Die Sims angeführt, an deren Entwicklung zahlreiche
Frauen beteiligt waren (Consalvo 2008, S. 176; Fullerton et al. 2008, S. 165; Prescott
und Bogg 2014, S. 94).
Hinsichtlich Multiplayer Games werden Zusammenhänge zwischen sexistischen
Interaktionen und Nutzungsmotivation aufgezeigt (Yee 2008, S. 93–94; Fox und
Tang 2017, S. 318). Laut Yee (2008, S. 84) sind negative Erfahrungen mit der
Spielkultur für Frauen bei weitem abschreckender als Faktoren der Spielmechanik.

7 Sozialisation durch Games

Games werden als Sozialisationsinstanz bezeichnet, als solche vermitteln sie Werte,
Normen, Selbst- und Weltbilder und beeinflussen die Persönlichkeitsentwicklung.
Medien im Allgemeinen haben diese Funktion, für Games wird sie als noch prä-
gender angenommen, da die Spielenden anders als z. B. beim Fernsehen durch
eigenes Handeln aktiv sind (Dietz 1998, S. 430–431). Walkerdine (2007, S. 12)
spricht diesbezüglich von „embodiment“, Spielen sieht sie als einen zutiefst körper-
lichen Prozess an (Walkerdine 2007, S. 12–14), was impliziert, dass sich die in
Digitale Spiele als Gegenstand feministischer Game Studies 983

Games präsentierten Darstellungen und selbst ausgelebten Handlungsmuster beson-


ders prägend bei den Spielenden einschreiben.
Je nach inhaltlicher Ausgestaltung kann dieser sozialisatorische Effekt in beide
Richtungen gehen: Einerseits sind Games in der Lage, Stereotype, Sexismus und die
Toleranz von Diskriminierung zu stützen. So fanden Dill et al. (2008, S. 1402)
heraus, dass Männer nach der Konfrontation mit stereotypen Bildern von Frauen-
figuren aus Games eine größere Akzeptanz von sexueller Belästigung – und bei
langfristiger Nutzung brutaler Games auch von Vergewaltigungsmythen – aufwie-
sen. Im Experiment von Beck et al. (2012, S. 3016–3031) stimmten Männer nach
Betrachtung von Szenen aus GTA, in denen Frauen Gewalt angetan wird und sie zu
sexuellen Objekten degradiert werden, signifikant häufiger als die Kontrollgruppe
Vergewaltigungsmythen zu.
Andererseits können Games zum Abbau von Stereotypen und zur Sensibilisie-
rung für Ungleichheiten beitragen. Lippe (2007, S. 225–227) sieht Spiele als Erwei-
terung zu Räumen und Aktivitäten des Alltags, indem über virtuelle Stellvertreter-
Innen mit Aspekten von Identität experimentiert werden kann, die sonst nicht
verfügbar sind. Sie geht davon aus, dass sich die häufige Wiederholung im Spiel
auf das Selbstkonzept in der realen Alltagswelt auswirkt. Es gibt auch bereits auf
Forschung basierende Games, die zur Reflexion von Geschlechterrollen anregen und
die Spielräume insbesondere von Mädchen erweitern sollen (Hanappi-Egger 2007,
S. 152–158; Flanagan 2006, S. 493–505). Walkerdine (2007, S. 51) schätzt die
emanzipatorischen Effekte von Games als ambivalent ein: Spielende Mädchen –
insbesondere solche, denen es um männlich konnotierte Motivationen wie Gewin-
nen und Kampf geht – eignen sich durch Gaming eine männlich besetzte Domäne
an, jedoch um den Preis der Gefahr, ihren legitimen Status als „weiblich“ zu
verlieren, wenn sie nicht zugleich auch den Normen stereotyper Weiblichkeit ent-
sprechen.

8 Fazit und offene Fragen

Insgesamt fällt die feministische Gegenwartsdiagnose zu Games gemischt aus. An


manchen Stellen der Branche ist deutliche Bewegung hin zu mehr Vielfalt und
Geschlechtergerechtigkeit zu verzeichnen, an anderen eine starke Persistenz stereo-
typer bis frauenfeindlicher Muster. Entsprechend breit ist das Spektrum wissen-
schaftlicher Befunde, entsprechend unterschiedlich deren Einordnung zwischen
den Polen Fortschritt und Stillstand (etwa, ob ein bestimmter Spielerinnenanteil so
ausgelegt wird, dass Gaming nach wie vor eine männliche Domäne ist oder der
Gender Gap allmählich zurückgeht). Manche Heterogenität in den Ergebnissen ist
derzeit auch methodisch bedingt (Wilhelm 2015b, S. 108). Künftig relevant ist daher
die verstärkte Durchführung von Repräsentativstudien und Untersuchungen mit
Methodentriangulation.
Weiterhin zeigt sich auch in den Game Studies ein klassisches Dilemma femi-
nistischer Forschung, das als feministisches Paradoxon (Scott 1996) bekannt ist: Im
Bemühen, künstliche Differenzierungen zwischen den Geschlechtern aufzuheben,
984 A. Ebner-Zarl

müssen ebendiese Differenzierungen angesprochen werden, verbunden mit dem


Risiko, zu ihrer Fortschreibung beizutragen. Mit Blick auf Games ist dieses Para-
doxon v. a. bei der Thematisierung von Nutzungsfragen spürbar. Dass männliche
Entwickler Spiele produzieren, die weibliche Bedürfnisse vernachlässigen bzw.
mehr Entwicklerinnen auch mehr für Frauen interessante Spiele zur Folge hätten,
impliziert, dass es „die weiblichen“ und „die männlichen“ Bedürfnisse gibt, die sich
pauschal und wesentlich voneinander unterscheiden. Wenn in wissenschaftlichen
Aufsätzen für mehr „female friendly games“ (Prescott und Bogg 2014, S. 105)
plädiert wird, scheint die Argumentation, was diese pauschal beinhalten (z. B. soziale
Beziehungen) oder aussparen sollten (z. B. Wettbewerb), teils auf einem schmalen
Grat zum Klischee angesiedelt. Wo tatsächlich unterschiedliche Bedürfnisse vor-
handen sind und wo die künstliche Reproduktion von Differenz beginnt, ist eine
noch offene Frage. Gleichzeitig findet in den feministischen Game Studies seit den
Anfängen eine kritische Reflexion dieser Problematik statt, zunehmend werden auch
Ähnlichkeiten zwischen männlichen und weiblichen Vorlieben herausgearbeitet und
unterschiedliche SpielerInnentypen innerhalb der Geschlechtergruppen beforscht.
Diese Aktivitäten gilt es zu intensivieren. Vielspielerinnen sind derzeit nur in
Ansätzen untersucht, auch weiß man wenig über weibliche Let’s Players.9 Umge-
kehrt fehlt es an Wissen über Spieler, die nicht dem männlichen Stereotyp vom
Hardcore Gamer entsprechen.
Eine intersektionelle Perspektive, die verschiedene Differenzkategorien (neben
Geschlecht z. B. auch Ethnizität, soziale Schicht, sexuelle Orientierung) im Zusam-
menhang mit Games untersucht, lässt ebenfalls zusätzliche Erkenntnisse erwarten.
Bislang wurde die Frage, welche Rolle weitere Differenzkategorien in der Produk-
tion, den Inhalten und der Nutzung von Games einnehmen, kaum berücksichtigt.
Erste Ansätze dazu liefert beispielsweise Nakamura (2013). Auch die neue Trilogie
zu Game Studies (Feminism in Play, Masculinities in Play, Queerness in Play) greift
die Thematik in Bezug auf verschiedene Achsen der Differenz auf (Harper et al.
2018; Gray et al. 2018; Taylor und Voorhees 2018).
Forschungsfragen ergeben sich zudem durch neue Technologien wie Virtual
Reality, Augmented Reality und Mixed Reality, die aktuell die Gamesbranche
beschäftigen. Wie wirkt sich ihr besonders starker Immersionsgrad auf Spielende
und ihre Weltsicht aus? Was macht die Vermischung von Realität und Fiktion mit
Spielenden, wenn an sich bereits hochproblematische Inhalte (z. B. eigene Gewalt an
Frauenfiguren) so aufbereitet werden? Inwiefern können besonders realitätsnahe
Spielwelten aber auch dazu genutzt werden, Empathie für die Situation der jeweils

9
Let’s Players zeichnen sich selbst beim Spielen auf und kommentieren dabei das Spielgeschehen
bzw. ihre Spielzüge. Die so entstandenen Videos (Let’s Plays) werden z. B. via YouTube öffentlich
geteilt.
Digitale Spiele als Gegenstand feministischer Game Studies 985

anderen Geschlechtergruppe zu fördern?10 Chancen wie Risiken neuer Spieletech-


nologien für Geschlechtergerechtigkeit gilt es in den nächsten Jahren zu untersu-
chen.

Literatur
Agosto, Denise. 2003. Girls and gaming. Teacher Librarian 31(3): 8–14.
Bailenson, Jeremy. 2018. How experiencing discrimination in VR can make you less biased. https://
www.youtube.com/watch?v=LSUs8m6LD24. Zugegriffen am 28.11.2018.
Barnett, Jane, und Mark Coulson. 2010. Virtually real: A psychological perspective on massively
multiplayer online games. Review of General Psychology 14(2): 167–179.
Beck, Victoria, Stephanie Boys, Christopher Rose, und Eric Beck. 2012. Violence against women in
video games: A prequel or sequel to rape myth acceptance? Journal of Interpersonal Violence
27(15): 3016–3031.
Beil, Benjamin. 2013. Game Studies. Eine Einführung. Münster: LIT.
BIU. 2016. Jahresreport der Computer- und Videospielbranche in Deutschland 2016. https://www.biu-
online.de/wp-content/uploads/2016/07/BIU_Jahresreport_2016.pdf. Zugegriffen am 03.03.2017.
Bryce, Jo, und Jason Rutter. 2002. Killing like a girl: Gendered gaming and girl gamers’ visibility.
In Proceedings of computer games and digital cultures conference, Hrsg. Frans Mäyrä,
243–255. Tampere: Tampere University Press.
Cassell, Justine, und Henry Jenkins. 1998a. From barbie to mortal kombat. Cambridge/London:
MIT Press.
Cassell, Justine, und Henry Jenkins, Hrsg. 1998b. Chess for girls? Feminism and computer games.
In From barbie to mortal kombat, Hrsg. Justine Cassell und Henry Jenkins, 2–45. London: MIT
Press.
Chess, Shira, und Adrienne Shaw. 2015. A conspiracy of fishes, or, how we learned to stop
worrying about #GamerGate and embrace hegemonic masculinity. Journal of Broadcasting &
Electronic Media 59(1): 208–220.
Consalvo, Mia. 2008. Crunched by passion: Women game developers and workplace challenges. In
Beyond barbie and mortal kombat, Hrsg. Yasmin Kafai, Carrie Heeter, Jill Denner, und Jennifer
Sun, 177–191. Cambridge/London: MIT Press.
Consalvo, Mia. 2012. Confronting toxic gamer culture: A challenge for feminist game studies
scholars. Ada. A Journal of Gender, New Media & Technology 1. https://doi.org/10.7264/
N33X84KH. Zugegriffen am 03.03.2017.

10
Erste Forschungsaktivitäten zum letztgenannten Aspekt gibt es von WissenschafterInnen der Stan-
ford University und der Columbia University, allerdings nicht im Zusammenhang mit Games. Das
Forschungsteam rund um Jeremy Bailenson und Courtney Cogburn entwickelte ein VR-Erlebnis mit
dem Titel „1000 Cut Journey“, um Menschen hinsichtlich Alltagsrassismus zu sensibilisieren.
NutzerInnen des VR-Erlebnisses schlüpfen dabei virtuell in den Körper eines Mannes mit schwarzer
Hautfarbe und erleben aus Ich-Perspektive die Vielfalt an manifesten wie subtilen Diskriminierungen,
denen Menschen mit schwarzer Hautfarbe ausgesetzt sind. Das Forschungsteam misst VR aufgrund
dieser Möglichkeit der unmittelbaren Perspektivenübernahme großes Potential bei, Empathie für
diverse diskriminierte Gruppen (z. B. auch Frauen, ältere Menschen, Personen mit Behinderung) zu
fördern und zur Hinterfragung von Stereotypen anzuregen (zu den konzeptionellen Hintergründen
siehe Bailenson (2018) und für eine genaue Beschreibung des Projekts sowie einen Einblick in die
konkrete Umsetzung außerdem NBC News (2018)).
986 A. Ebner-Zarl

Dickey, Michele. 2006. Girl gamers: The controversy of girl games and the relevance of female-
oriented game design for instructional design. British Journal of Educational Technology 37(5):
785–793.
Dietz, Tracy. 1998. An examination of violence and gender role portrayals in video games. Sex
Roles 38(5/6): 425–442.
Dill, Karen, Brian Brown, und Michael Collins. 2008. Effects of exposure to sex-stereotyped video
game characters on tolerance of sexual harassment. Journal of Experimental Social Psychology
44:1402–1408.
Ebner-Zarl, Astrid. 2017. Visual children’s cultures: Gender roles in games and movies for children.
In Digitale Spiele, Hrsg. Jörg Helbig und René Schallegger, 220–249. Köln: Herbert von Halem
Verlag.
Flanagan, Mary. 2006. Games for social change. AI & Society 20:493–505.
Fox, Jesse, und Wai Yen Tang. 2017. Sexism in video games and the gaming community. In
Multiplayer 2, Hrsg. Rachel Kowert und Thorsten Quandt, 115–135. New York/London:
Routledge.
Fullerton, Tracey, Janine Fron, Celia Pearce, und Jacki Morie. 2008. Getting girls into the game:
Towards a ‚virtuous cycle‘. In Beyond barbie and mortal kombat, Hrsg. Yasmin Kafai, Carrie
Heeter, Jill Denner, und Jennifer Sun, 161–176. Cambridge/London: MIT Press.
Ganguin, Sonja, und Anna Hoblitz. 2014. High score & high heels. Wiesbaden: VS Verlag für
Sozialwissenschaften.
Gray, Kishonna Leah, Gerald Voorhees, und Emma Vossen. 2018. Feminism in play. Hampshire:
Palgrave.
Hanappi-Egger, Edeltraud. 2007. Computer games: Playing gender, reflecting on gender. In Gender
designs IT, Hrsg. Isabel Zorn, Susanne Maass, Els Rommes, Carola Schirmer, und Heidi
Schelhowe, 149–159. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV.
Harper, Todd, Meghan Blythe Adams, und Nick Taylor. 2018. Queerness in play. Hampshire:
Palgrave.
Hartmann, Tilo, und Christoph Klimmt. 2006. Gender and computer games: Exploring females’
dislikes. Journal of Computer-Mediated Communication 11:910–931.
Hoggins, Tom. 2013. Grand theft auto V is designed deliberately to degrade women. http://www.
telegraph.co.uk/women/womens-life/10355275/Grand-Theft-Auto-V-is-designed-deliberately-
to-degrade-women.html. Zugegriffen am 03.03.2017.
Huh, Searle, und Dmitri Williams. 2010. Dude looks like a lady: Gender swapping in an online
game. In Online worlds: Convergence of the real and the virtual, Hrsg. William Sims Bain-
bridge, 161–174. London: Springer.
Huntemann, Nina. 2015. No more excuses. Feminist Media Studies 15(1): 164–167.
Jenkins, Henry, und Justine Cassell. 2008. From quake grrls to desperate housewives: A decade of
gender and computer games. In Beyond barbie and mortal kombat, Hrsg. Yasmin Kafai, Carrie
Heeter, Jill Denner, und Jennifer Sun, 5–20. Cambridge/London: MIT Press.
Jenson, Jennifer, und Suzanne de Castell. 2014. Gender and feminism in online games. http://onlineli
brary.wiley.com/doi/10.1002/9781118767771.wbiedcs116/full. Zugegriffen am 03.03.2017.
Kafai, Yasmin, Carrie Heeter, Jill Denner, und Jennifer Sun. 2008a. Beyond barbie and mortal
kombat. Cambridge/London: MIT Press.
Kafai, Yasmin, Carrie Heeter, Jill Denner, und Jennifer Sun, Hrsg. 2008b. Preface. In Beyond barbie
and mortal kombat, Hrsg. Yasmin Kafai, Carrie Heeter, Jill Denner, und Jennifer Sun, XI–XXV.
Cambridge/London: MIT Press.
Kolo, Castulus, und Juliane Müller. 2010. Sind Spielerinnen anders? In GamekPlaykSociety, Hrsg.
Christian Swertz und Michael Wagner, 115–134. München: kopaed.
Kowert, Rachel, Johannes Breuer, und Thorsten Quandt. 2017. Women are from FarmVille, men
are from ViceCity. In Multiplayer 2, Hrsg. Rachel Kowert und Thorsten Quandt, 136–150.
New York/London: Routledge.
Krause, Melanie. 2010. Weibliche Nutzer von Computerspielen. Wiesbaden: Springer.
Digitale Spiele als Gegenstand feministischer Game Studies 987

Kubik, Erica. 2012. Masters of technology: Defining and theorizing the hardcore/casual dichotomy
in video game culture. In Cyberfeminism 2.0, Hrsg. Radhika Gajjala und Yeon Ju Oh, 135–152.
New York: Peter Lang.
Kuittinen, Jussi, Annakaisa Kultima, Johannes Niemelä, und Janne Paavilainen. 2007. Casual games
Discussion. https://www.researchgate.net/profile/Kultima_Annakaisa/publication/234781375_
Casual_games_discussion/links/5554ef4708aeaaff3bf456d2.pdf. Zugegriffen am 16.05.2017.
Lazzaro, Nicole. 2008. Are boy games even necessary? In Beyond barbie and mortal kombat, Hrsg.
Yasmin Kafai, Carrie Heeter, Jill Denner, und Jennifer Sun, 199–215. Cambridge/London: MIT
Press.
Lippe, Barbara. 2007. Japan: Games for, by and about Girls. In Gender in e-learning and
educational games, Hrsg. Sabine Zauchner, Karin Siebenhandl, und Michael Wagner, 223–240.
Innsbruck: Studienverlag.
Mou, Yi, und Wei Peng. 2009. Gender and racial stereotypes in popular video games. https://msu.
edu/~pengwei/Mou%26Peng_gender%20and%20racial%20stereotype.pdf. Zugegriffen am
04.03.2017.
MPFS. 2016a. JIM-Studie 2016. https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2016/JIM_Stu
die_2016.pdf. Zugegriffen am 09.03.2017.
MPFS. 2016b. KIM-Studie 2016. https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/KIM/2016/KIM_
2016_Web-PDF.pdf. Zugegriffen am 09.03.2017.
Nakamura, Lisa. 2013. „It’s a nigger in here! Kill the nigger!“ User-generated media campaigns
against racism, sexism, and homophobia in digital games. In The international encyclopedia of
media studies. Vol. 6. Media Studies Futures. Hrsg. Kelly Gates. (Serien-Hrsg. Angharad
Valdivia) New Jersey: Wiley-Blackwell, Wiley-Online Library. https://lnakamur.files.word
press.com/2013/04/nakamura-encyclopedia-of-media-studies-media-futures.pdf. Zugegriffen
am 25.11.2017.
NBC News. 2018. Can VR Teach Racial Empathy? https://www.youtube.com/watch?v=
N5Ya9F28ks4. Zugegriffen am 28.11.2018.
Prescott, Julie, und Jan Bogg. 2014. The experiences of women working in the computer games
industry. In Gender considerations and influence in the digital media and gaming industry,
Hrsg. Julie Prescott und Julie Mc Gurren, 92–109. Hershey: IGI Global.
Pugh, Vachon. 2014. A look inside the current climate of the video game industry. In Gender
considerations and influence in the digital media and gaming industry, Hrsg. Julie Prescott und
Julie Mc Gurren, 82–91. Hershey: IGI Global.
Quandt, Thorsten, Johannes Breuer, Ruth Festl, und Michael Scharkow. 2013. Digitale Spiele:
Stabile Nutzung in einem dynamischen Markt. Media Perspektiven 10:483–492.
Royse, Pam, Joon Lee, Baasanjav Undrahbuyan, Mark Hopson, und Mia Consalvo. 2007. Women
and games: Technologies of the gendered self. New Media & Society 9(4): 555–576.
Schott, Gareth, und Kirsty Horrell. 2000. Girl gamers and their relationship with the gaming culture.
Convergence 6(4): 36–53.
Scott, Joan. 1996. Only paradoxes to offer. Cambridge/London: Harvard University Press.
Shaw, Adrienne. 2013. On not becoming gamers: Moving beyond the constructed audience. Ada. A
Journal of Gender, New Media & Technology 2. https://doi.org/10.7264/N33N21B3. Zugegrif-
fen am 03.03.2017.
Summers, Alicia, und Monica Miller. 2014. From damsels in distress to sexy superheroes. Feminist
Media Studies 14(6): 1028–1040.
Taylor, Nick, und Gerald Voorhees. 2018. Masculinities in play. Hampshire: Palgrave.
Trepte, Sabine, und Leonard Reinecke. 2010. Gender und Games – Medienpsychologische Gender-
Forschung am Beispiel Video- und Computerspiele. In Handbuch Psychologie und Geschlech-
terforschung, Hrsg. Gisela Steins, 229–248. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Vanderhoef, John. 2013. Casual threats: The feminization of casual video games. Ada. A Journal
of Gender, New Media Technology 2. https://doi.org/10.7264/N3V40S4D. Zugegriffen
am 04.03.2017.
988 A. Ebner-Zarl

Walkerdine, Valerie. 2007. Children, gender, video games: Towards a relational approach to
multimedia. Hampshire/New York: Palgrave MacMillan.
Wilhelm, Claudia. 2015a. Game Studies und Geschlechterforschung. In Game studies, Hrsg. Klaus
Sachs-Hombach und Jan-Noel Thon, 316–340. Köln: Herbert von Halem Verlag.
Wilhelm, Claudia. 2015b. Digitales Spielen als Handeln in Geschlechterrollen. Wiesbaden: Sprin-
ger.
Witting, Tanja. 2010. Bildschirmspiele und die Genderfrage. In Digitale Spielkultur, Hrsg. Sonja
Ganguin und Bernward Hoffmann, 115–125. München: kopaed.
Yee, Nick. 1999–2004. Gender-Bending. http://www.nickyee.com/daedalus/gateway_genderbend.
html. Zugegriffen am 03.03.2017.
Yee, Nick. 2008. Maps of digital desires. In Beyond barbie and mortal kombat, Hrsg. Yasmin Kafai,
Carrie Heeter, Jill Denner, und Jennifer Sun, 83–96. Cambridge/London: MIT Press.
Zaremba, Jutta. 2012. The gender-offensive: Female gaming cultures between shooters and mar-
keting. In Computer games and new media cultures, Hrsg. Johannes Fromme und Alexander
Unger, 443–463. Dordrecht/Heidelberg/New York/London: Springer.
Vom Pornografieverbot zu den Porn
Studies: Perspektiven auf Pornografie(n)

Angela Tillmann

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 990
2 Historische Anfänge der feministischen Debatte und die zunehmende
Ausdifferenzierung des Diskurses um Pornografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 990
3 Produktion und kommerzielle Vermarktung von Pornografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 992
4 Zentrale Entwicklungslinien und Forschungsstränge in der Pornografieforschung . . . . . . . 993
5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 998
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 999

Zusammenfassung
Ausgehend von einer Rückschau auf die sogenannten feministischen „Sex Wars“
in den 1970er-Jahren und anhand eines Streifzuges durch die Geschichte und den
Diskurs der queer-/feministischen Pornografieforschung zeichnet der Beitrag
nach, wie die engagiert geführten Debatten um Pornografie und die Produktion
alternativer Pornografien sowohl zur Etablierung der Porn Studies als auch zur
Entwicklung einer Post-Pornografie-Bewegung geführt haben. Skizziert wird
damit insgesamt ein Forschungsfeld, das sich in den letzten 40 Jahren thematisch,
theoretisch und methodisch stark ausdifferenziert hat.

Schlüsselwörter
Pornografie · Post-Pornografie · Porn Studies · Körper · Lust · Sexualität ·
Sexualisierung

A. Tillmann (*)
Institut für Medienforschung und Medienpädagogik, TH Köln, Köln, Deutschland
E-Mail: angela.tillmann@th-koeln.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 989
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_70
990 A. Tillmann

1 Einleitung

Der Begriff der Pornografie ist in den letzten vier Jahrzehnten in der feministischen
Kommunikations- und Medienwissenschaft, den „Porn Studies“ als auch in der Post-
Pornografie-Bewegung vielfältig ausdifferenziert worden. Im Mittelpunkt der For-
schung und auch politischen Praxis stehen dabei nicht mehr allein Medientexte mit
ausschließlich sexuell-explizitem oder erotischem Inhalt, sondern das Verständnis
und Verhältnis von Körpern, Sexualität und Identität in der Verschränkung auch mit
vormals nicht primär pornografischen Semantiken und Dingen. Die Rede ist daher
vom Pornografischen oder Pornografien im Plural.
Die Erweiterung des Bedeutungshofes des Begriffs und auch der Forschung über
Pornografie(n) lässt sich insbesondere zurückführen auf feministische Auseinander-
setzungen über Pornografie, die in den 1970er-Jahren in der amerikanischen und
kanadischen Öffentlichkeit als auch parallel dazu in Deutschland ihren Ausgangs-
punkt nahmen. Deutlich wurde dabei von Beginn an die enge Verschränkung von
kulturellen politischen Praktiken und sozialen Bewegungen mit gendertheoretischen
und auch rechtswissenschaftlichen und ethischen Positionen. Die engagiert geführ-
ten Debatten begründeten letztlich sowohl die Etablierung von Pornografie(n) als
Forschungsgegenstand als auch die Porn Studies. Der Feminismus bzw. das
„Ensemble an Debatten, kritischen Erkenntnissen, sozialen Kämpfen und emanzi-
patorischen Bewegungen“ (Hennessy 2003, S. 155) hat damit insgesamt zu einer
Erweiterung und Vervielfältigung des Redens, Schreibens und Forschens auch über
Pornografien beigetragen.

2 Historische Anfänge der feministischen Debatte und die


zunehmende Ausdifferenzierung des Diskurses um
Pornografie

Die Vielfalt an theoretischen und methodischen Zugängen, die sich heute in der
Pornografieforschung findet, nahm ihren Ausgangspunkt in den 1970er-Jahren. Vor
allem in den USA, Kanada und im deutschsprachigen Raum wurde in feministischen
Kreisen kontrovers um die Legitimität, die Wirkung und die Produktionsverhältnisse
von Pornografie gestritten und dabei eine enge Verbindung zur Prostitution und
damit auch zwischen Sexualität und Gewalt hergestellt. Den Ausgangspunkt bildete
die Legalisierung von Pornografie 1969 in den USA und 1975 in Deutschland. Die
Legalisierung als auch zunehmende Verbreitung der Pornografie v. a. durch die
Einführung des Videorekorders polarisierte den feministischen Diskurs. Auswirkun-
gen davon sind bis heute spürbar. Neben einem pornografiekritischen, auf Zensur
oder Eindämmung abzielenden Standpunkt hat sich eine libertäre Position heraus-
gebildet, die auf die Gefahren der Zensur und die Engführung der Debatte sowie
Fortschreibung von Geschlechterstereotypen verweist.
Stellvertretend für die pornografiekritische Position in Deutschland ist die von
Alice Schwarzer und der Zeitschrift EMMA initiierte Kampagne „PorNO“
(Schwarzer 1988) zu nennen. Nach einem medienwirksamen Prozess gegen die
Vom Pornografieverbot zu den Porn Studies: Perspektiven auf Pornografie(n) 991

frauenverachtenden Abbildungen von Frauen auf den Titelblättern der Zeitschrift


Stern (Schwarzer 1978) regte EMMA 1987 mit der PorNO-Kampagne die Entwick-
lung eines Gesetzesentwurfs an, wonach die Art der Darstellung von Frauen in der
Pornografie einen Verstoß gegen ein elementares Menschenrecht und den Artikel
1 des Grundgesetzes darstelle. Der Gesetzesentwurf wurde 1987 dem deutschen
Bundestag vorgelegt und abgelehnt; ein weiterer Gesetzesentwurf blieb ebenfalls
erfolglos (Baer und Slupik 1988). Von libertär-feministischer Position aus wurde
v. a. Kritik an der Zensur, der zugrunde liegenden homogenisierten Vorstellung von
Pornografie als auch einseitigen Wirkungsannahmen geäußert (Vinken 1997a, b).
Mit der ersten deutschen „PorNO-Kampagne“ vergleichbare Aktivitäten wurden
von der in New York gegründeten Initiative Women Against Pornography gestartet.
Kritisiert wurde hier die Verdinglichung des weiblichen Körpers zur Befriedigung
männlicher Lust sowie die enge Verbindung zur Prostitution und die prekären und
gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen vieler Darsteller*innen. Zudem wur-
den Verbindungen zum Menschenhandel aufgezeigt. Einige Feministinnen erklärten
die Pornoindustrie im Zuge dessen zum Schauplatz männlicher Gewalt. In den USA
sprachen sich v. a. die Aktivistin Andrea Dworkin (1979, auf deutsch 1987) und die
Juristin Catharina MacKinnon (1993, auf deutsch 1994) öffentlich für eine Porno-
grafiezensur aus. Für MacKinnon stellte Pornografie einen performativen Sprechakt
dar: Das, was Pornografie sagt, sei das, was sie tue. Sie sei imperativ – unterdrücke
und konstituiere Frauen als unterlegene Menschengruppe und stelle eine Institution
männlicher (performativer) Macht dar (MacKinnon 1994). Judith Butler bekräftigte
zwar mit Verweis auf Austin und Foucault, dass Pornografie einen performativen
Sprechakt darstelle, der die politische Macht der Frauen schmälere, ein imperatives
Instrument erkennt sie jedoch nicht (Butler 1998, S. 103–138). Eine Regulierung
von Pornografie bzw. verletzenden Sprechens über Sexualität, so Butler, befördere
vielmehr, was es zu verhindern gilt, und erzeuge den Diskurs über die sexuelle
Objektivierung der Frau immer wieder neu und mache ihn unkontrollierbar (Butler
1998, S. 136). Drucilla Cornell fordert ergänzend dazu eine stärkere Solidarisierung
mit Sexarbeiter*innen und Pornodarsteller*innen und plädierte unter Rückgriff
insbesondere auf die Lacan’sche Psychoanalyse für eine Auseinandersetzung mit
unbewussten Phantasmen und Begrenzungen und somit auch Verboten und Scham
und für eine „Befreiung des weiblichen Imaginären“ (Cornell 1997, S. 96).
Ergänzend zum wissenschaftlichen Diskurs kritisierten Pornografiedarsteller*in-
nen und Sexarbeiter*innen in Deutschland, den USA und Kanada den ihnen zuge-
wiesenen Opferstatus, plädierten für bessere Arbeitsbedingungen und erkannten in
der Pornografie Potenziale auch zur Verbreitung feministischer Ideen (Sprinkle
1998). In der Kunst- und Kulturszene wurde zudem für einen subversiven, offeneren
und lustvolleren Umgang mit sexuellem Material und Sexualität plädiert (Gehrke
1988). Gegründet wurden Produktionsfirmen zur Herstellung von „Pornofilmen für
Frauen“ (z. B. Femme Productions 1984) (Fuentes und Schrage 1987; Royalle
2014), auf Frauen-Filmfestivals wurden feministische/lesbische Pornos gezeigt
und diskutiert (Hohenberger und Jurschick 1994); darüber hinaus sind eigene Be-
zahlseiten (z. B. „Forthegirls.com“) (Ms Naughty 2014) und Sexpielzeuge für
Frauen entwickelt worden. Damit wurde insgesamt eine Form von „sexpositiver
992 A. Tillmann

Synergie“ geschaffen, die den „feministischen Porno sowohl als Form der sexuellen
Unterhaltung wie auch der Kulturkritik geformt“ (Omella 2014, S. 217) und den
sex-positiven Feminismus und die „PorYes-Bewegung“ mit begründet hat (Willis
1983; Méritt 2012).
Die bisher skizzierten Entwicklungen haben sowohl zur Politisierung als auch zur
Akademisierung des Diskurses beigetragen. Neben die teils genannten Publikatio-
nen zur Reglementierung von Pornografie und zur Macht der Rechtsprechung sind
inzwischen historische Abhandlungen (Hunt 1994) und Diskurs- und Dispositiv-
analysen (Allhutter 2009; Müller 2010) getreten. Verstärkt wird auch die zuneh-
mende „Sexualisierung“ oder „Pornografisierung“ von Gesellschaft (McNair 2002;
Sørensen 2003; Attwood 2006, 2009; Schuegraf und Tillmann 2012) thematisiert
und kritisch und kontrovers über die wachsende Verbreitung z. B. pornografischer
Stilelemente („Porno-Chic“) in populären Medienpraktiken und, eng damit ver-
knüpft, das regulierende und/oder auch selbstermächtigende Potenzial der Praktiken
als auch Ambivalenzen des „Sexy-Sein“ für Frauen/Mädchen diskutiert (Duits und
Zoonen 2006; Villa 2012; Hipfl 2015). Parallel dazu wird aus einer stärker hetero-
und homonormativitätskritischen queer-/feministischen Perspektive das transgressi-
ve Potenzial von Pornografie in den Blick genommen (Stüttgen 2009; Preciado
2003; Schocher 2021). Vermehrt analysiert und diskutiert werden zudem Online-
Pornografie(n) (Jacobs 2007; Attwood 2010; Paasonen 2011). Weiterhin werden
Einblicke in Fetisch-Subkulturen eröffnet als auch über die Genderfrage hinaus-
gehende ethische Fragen z. B. im Kontext der „Kriegspornografie“ – dem Vergnügen
am Konsum realer Bilder von Folter, Kampf und Hinrichtung – verhandelt (Jacobs
et al. 2007). Diskutiert wird, ob „Sozial-Pornos“ oder „Lifestyle-Pornos“ wie z. B.
„Food-Pornos“ nicht ebenfalls pornografisch sind, und zwar dahingehend, dass sie
im umfassenden Sinne Erregungszustände wie Ekel, Freude, sehnsüchtiges Verlan-
gen, Neid etc. hervorrufen (Hester 2014; Schumacher 2016). Weiterhin wird die
spezifische Rolle afroamerikanischer Frauen in der Pornografie behandelt (Miller-
Young 2014; Nash 2014) als auch ein Blick auf rassistische (Cruz 2016; Smith und
Luykx 2017) und antimuslimisch rassistische Inhalte im „interracial porn“ gerichtet
(Kempen 2020).
Die queer-/feministische Pornografieforschung zeichnet sich heute insgesamt
durch eine vielschichtige Diskursentwicklung und Vielfalt an Zugängen und metho-
dischen Ansätzen aus. Allerdings gibt es bis heute wenige Studien zur Produktion
und kommerziellen Vermarktung der Pornografie (Döring 2009).

3 Produktion und kommerzielle Vermarktung von


Pornografie

Pornografie stellt einen globalen Industriezweig dar, der eng verknüpft ist mit
technologischen Entwicklungen, die wesentlich zur Verbreitung und ubiquitären
Verfügbarkeit von Pornografie beigetragen haben. Insbesondere digitale Technolo-
gien unterstützen die weitgehend raum- und zeitunabhängige Recherche und Nut-
zung von Pornografie und eröffnen Erfahrungen auch in einem immersiven und
Vom Pornografieverbot zu den Porn Studies: Perspektiven auf Pornografie(n) 993

interaktiven Umfeld wie z. B. in VR-Anwendungen oder digitalen Spielen, auch im


Mehrspielermodus und unter Einbezug von Sex-Toys. Derzeit wird der Großteil der
Mainstream-Online-Pornografie über sogenannte Tubesites wie YouPorn verbreitet.
Hier werden sowohl professionell produzierte Pornografie als auch nutzer*innenge-
nerierte Amateurpornografie angeboten. Dominiert wird die Pornoindustrie von
wenigen globalen Unternehmen wie z. B. dem Medien- und IT-Unternehmen Mind-
geek, das einige der populärsten Pornosites wie Pornhub, YouPorn, RedTube, My
Dirty Hobby und eine eigene Suchmaschine im Pornonetz anbietet. Die Websites
werden von feministischer Seite u. a. dafür kritisiert, dass deren Angebote in einer
Weise etikettiert und strukturiert werden, die sexistischen und heteronormativen
Darstellungsformen entspricht (Allhutter 2009), dies unterstütze die Festschreibung
tradierter Geschlechterhierarchien (Garlick 2010). Darüber hinaus werden v. a. die
weiterhin prekären Lebens- und Beschäftigungsverhältnisse angeprangert sowie der
unzureichende rechtliche Schutz der Pornografiedarsteller*innen und Sexarbei-
ter*innen (Holzleithner 2018). Websites von Mindgeek stehen darüber hinaus auch
immer wieder wegen der Darstellung sexuellen Missbrauchs und der Vergewalti-
gung von Frauen (und Kindern) in der Kritik (Kristof 2020).
Dabei stellt die Pornoindustrie weiterhin einen lukrativen globalen Industrie-
zweig dar. Die Umsatzvolumina von Mainstream-Angeboten lassen sich schwer
beziffern, da seriöse Angaben und Untersuchungen fehlen (Sarikakis 2014; Sarika-
kis et al. 2007; Tarrant 2016). Laut eines Gutachtens des Zentrums für Europäische
Wirtschaftsforschung von 2016 gehört das Segment „Pornographical Content“
(x-Hamster, YouPorn, RedTube) zu den meistbesuchten marktführenden Anbietern
digitaler Dienstleistungen in Deutschland; 570 Mio € sollen dort pro Jahr umgesetzt
werden (Nicolay et al. 2017). Kritisch diskutiert wird v. a. die Monopolstellung
einzelner Unternehmen als auch die nutzer*innen- und algorithmisch gesteuerte
Personalisierung der Angebote und somit Verengung der Perspektiven auf Porno-
grafie (Tarrant 2016). Vermarktet wird der kostenlose Konsum von (Mainstream-)
Porn-Tubesites derzeit über das „Affiliate-Marketing“ (Provisionen), über die Such-
maschinenoptimierung und den Traffic-Kauf, die die Monopolstellung großer An-
bieter weiterhin befördern (Joos 2017, S. 65–68). Bezogen auf den Traffic-Kauf wird
zudem darauf hingewiesen, dass Besucher*innenzahlen manipuliert werden, z. B. in-
dem Menschen in so genannten „Klickfarmen“ unter prekären Arbeitsbedingungen
gezielt Websites aufrufen (Joos 2017, S. 68).

4 Zentrale Entwicklungslinien und Forschungsstränge in der


Pornografieforschung

Die queer-/feministische Pornografieforschung setzt sich v.a mit kulturhistorischen,


sozialen und kulturellen Aspekten des Pornografischen auseinander und stellt dabei
Bezüge zu den Paradigmen der Genderforschung – sowohl zum Gleichheits- und
Differenzansatz als auch aktuell im Kontext der Porn Studies v. a. zu (de)konstruk-
tivistischen und insbesondere auch queer-theoretischen Ansätzen – her.
994 A. Tillmann

4.1 Räume des Pornografischen

In der viel zitierten kulturhistorischen Arbeit über die „Erfindung der Pornografie“
rekonstruiert Lynn Hunt (1994), woher der Begriff der Pornografie stammt und wie
Pornografie als literarische Praxis im Rahmen der Demokratisierung der westlichen
Kultur entstanden ist. Die Pornografie bzw. der Roman besaß demnach als das Genre
der Pornografie-Kultur bis zum Ende des 18. Jahrhundert vorrangig politisch-
subversive Qualität. Im 16. und 17. Jahrhundert eröffnete er zuvorderst den männ-
lichen Oberschichten eine Möglichkeit der Revolte auch gegen die konventionelle
und religiöse Moral. In den pornografischen Romanen dominierte die weibliche
Erzählerin – in der Regel handelte es sich um eine „Hure“, die Zugang zu Salons und
den oberen Rängen der Kirche und Regierung hatte und damit die öffentliche Frau
par excellence darstellte (Hunt 1994, S. 35). Damit war die frühe Pornografie „nicht
bewusst avant la lettre feministisch“, und doch bewertete die Pornografie die Dar-
stellung ihrer Frauen und der weiblichen Sexualität, zumindest bis in die 1790er-
Jahre hinein, „höher als die geläufigen medizinischen Texte“ (Hunt 1994, S. 39).
Pornografie beschränkte sich in dieser Zeit v. a. auf die Beschreibung von Genitalien,
eine Aneinanderreihung von wiederholten Geschlechtsakten kam in geringem Um-
fang vor; hier setzte dann v. a. de Sades mit seinen Schriften in den 1790er-Jahren
neue Maßstäbe. Hunt beschreibt den Rezeptionskontext als vorwiegend männlich:
Es waren Männer, die für männliche Leser aus Sicht einer weiblichen Erzählerin
über Frauen schrieben, die Sex mit anderen Frauen oder mehreren Partner*innen
hatten (Hunt 1994, S. 40).
Bis heute beschäftigt die Pornografieforschung die Frage, welche Implikationen
damit einhergehen, dass Pornografie den Menschen und insbesondere Frauen in
Gesellschaften nicht überall zur Verfügung stand, sondern nur ausgewählten Grup-
pen bzw. einer damals vorherrschenden männlichen Elite und sich auf spezifische
Räume verteilt – Räume, die Walter Kendrick (1987) als „geheime Museen“ betitelt.
Paul Beatriz Preciado spricht sich im Zuge dessen dafür aus, auch die räumlichen
Gegebenheiten von Pornografie in den Blick zu nehmen. Pornografie stellt demnach
einen Akt des Framings dar, der die Grenzen nicht nur zwischen öffentlich und
privat, sondern auch zwischen Körpern, die visuelle Erfahrung genießen, und
Körpern, die nicht sexuell sein dürfen, bildet (Preciado 2009, S. 28). Daraus leitet
er eine Aufgabe von Post-Pornografie ab: Kritik zu formulieren, wie Lust auf Räume
verteilt und darüber zugleich beschränkt ist.
Erst jüngst wurde am Beispiel der Blogging-Plattform „Tumblr“ gezeigt, wel-
che Konsequenzen die Sperrung von Räumen im Internet hat. Vielfältige
LSBT*IQ-Inhalte mit auch pornografischen Bezügen wurden aus kommerziellen
Beweggründen gesperrt, wodurch für viele Nutzer*innen ein Archiv queerer
Kultur als auch ein Zufluchtsort und Ort der Vernetzung, Erprobung und Anerken-
nung verloren ging (Engelberg und Nedhaam 2019; Byron 2019). In neueren
Arbeiten, die sich unter dem Begriff „Porno-Tourismus“ sammeln, werden Orte
in den Blick genommen, an denen sich Pornokonsument*innen treffen und ver-
gemeinschaften, darunter auch alternative queer-/feministische Pornofestivals
(Morillas 2020).
Vom Pornografieverbot zu den Porn Studies: Perspektiven auf Pornografie(n) 995

4.2 Pornografie als Köpergenre

Ein weiteres wichtiges Feld der queer-/feministischen Pornografieforschung stellt


der Bereich der Repräsentation dar. Mit Rückgriff auf die freudianische und lacania-
nische Psychoanalyse und Laura Mulveys Konzept des „männlichen Blicks“ („male
gaze“) hat sich die feministische Filmtheorie anfangs v. a. mit der Schaulust und der
Frage auseinandergesetzt, in welcher Weise in der Pornografie von einer Dominanz
männlicher Subjektivität und der Verbannung der Frau zum fetischistischen Objekt
auszugehen ist (Kaplan 1980; Koch 1981; Cornell 1997). Eine erste grundsätzliche
Auseinandersetzung mit der (Mainstream-)Pornografie erfolgte 1989 (auf deutsch:
1995) in der Monografie „Hard Core“ der US-amerikanischen Filmwissenschaftlerin
Linda Williams, in der sie Pornografie als eigenes Genre bzw. Körpergenre betitelte.
In ihrem Buch analysiert Williams detailliert das Genre des pornografischen Hard-
corefilms in seiner historischen Entwicklung, seinen Darstellungsweisen und Be-
deutungen und ruft im Anschluss daran zu einer feministischen Neubewertung
(„feminist Re-visionism“) des Genres auf.
Williams rekonstruiert vier Entwicklungsphasen. Den Anfang bilden, in den
1920ern bis in die späten 1960er-Jahre, kurze pornografische Schwarz-Weiß-
Stummfilme („Stag Films“), die v. a. der Verbrüderung und Identifikation mit
anderen Männern im Publikum dienten (Williams 1995 [1989], S. 119). Die Kurz-
filme wurden Anfang der 1970er-Jahre von teils aufwendig produzierten Pornofil-
men in Spielfilmlänge abgelöst. Bedeutende Veränderungen brachten die 1980er-
Jahre, als öffentliche Orte des Konsums (z. B. Porno-Kinos) durch Videokassetten
verdrängt wurden. Diese eröffneten eine billigere Produktion für den privaten
Konsum, womit – so Williams – gleichermaßen ein Rückgang der Produktqualität
als auch eine Demokratisierung einherging, die ihren Ausdruck in der Produktion
z. B. von für Lesben oder bisexuelle Menschen produzierten Pornos fand. Die vierte
und vorerst letzte Stufe stellt für Williams die interaktive Pornografie dar.
Williams beschreibt die Hardcorepornografie unter Rückgriff auf Michel Fou-
cault als Diskurs über Sexualität und spricht von Pornografie als „scientia sexualis“ –
dem wissenschaftlichen Willen zum Kennen, Verstehen und Erklären von Sex. Sie
zeigt, wie das Genre der Hardcorepornografie durch die Darstellung, Aufnahme und
Wiedergabe sexueller Lust die Geheimnisse der Sexualität zu lüften versucht.
Hardcorepornografie basiere demnach auf dem Prinzip „maximaler Sichtbarkeit“
(Williams 1995 [1989], S. 82) und hat zu einer Reihe formaler Konventionen geführt
– wie z. B. dem „meat shot“, der Nahaufnahme der Genitalien, und dem „cum shot“,
dem Samenerguss eines Mannes als Beweis für dessen Lustgewinn. Der „cum shot“
macht laut Williams in der Hardcorepornografie v. a. die Abwesenheit oder
„Unsichtbarkeit“ des weiblichen Orgasmus deutlich. Mit Rückgriff auf das Konzept
des „male gaze“ (Mulvey 1975) verdeutlicht sie, dass auch im Porno der männlich-
patriarchale Blick bzw. das patriarchale Unbewusste als strukturierendes Element
den Repräsentationen von Frauen zugrunde liegt. Lesbische Stereotypen und Szenen
mit zwei Frauen dienen, so Williams, lediglich als „prickelnde Aufwärmphase für
mehr und eher heterogenitale Lüste“ (Williams 1995 [1989], S. 343), ansonsten
werde sich sexuell begehrenden Mädchen/Frauen die Lust abgesprochen. Williams
996 A. Tillmann

bezieht ihre feministische Kritik am Genre der Hardcorepornografie in erster Linie


auf den Phallozentrismus (Williams 1995 [1989], S. 335) und fordert im Zuge
dessen eine tief greifende Auseinandersetzung mit pornografischen Narrativen und
eine Pluralität der Lüste (Williams 1995 [1989], S. 145). Anhand einer Analyse der
Filme von Candida Royalle, einer der ersten feministischen Pornofilmemacherinnen,
konkretisiert sie, wie weibliches Begehren in einer Vermeidung von Phallozentris-
mus dargestellt und erzählt werden kann und stellt dem Begriff der ‚Revision‘ den
der ‚Re-Vision‘ gegenüber: So gelte es nicht nur Bilder durch andere auszutauschen
(Penisse durch Vulvas), sondern „aus einer völlig anderen Sicht, nämlich vom
Standpunkt der Frauen“ zu erzählen (Williams 1995 [1989], S. 311). Feministinnen
diskutieren seither verstärkt die Potenziale des lesbischen und auch queeren Pornos
als möglichen Schritt im Prozess der sexuellen Befreiung und erotischen Selbst-
ermächtigung (Butler 2004; Ryberg 2009).
Durch die Analyse des Hardcore-Pornos, ihren Überlegungen zu „Porn Studies“
(Williams 2004a), einer „interracial pornography“ (Williams 2004b) und ihrem
Kommentar zum Stand der Pornografie-Forschung (Williams 2014) gilt Williams
als eine der Mitbegründerin der zeitgenössischen akademischen Pornografie-
Forschung. Mit ihrer differenzierten Sicht auf die Repräsentation öffnete sie den
Blick letztlich auch für vielfältige Perspektiven auf die Zuschauer*innenschaft und
Rezeption von Pornografie.

4.3 Aneignung von Pornografie(n)

In den Anfängen des feministischen Pornografiediskurses wurde davon ausgegan-


gen, dass sich in der Rezeption von Pornografie das Bedürfnis der Männer spiegele,
Frauen zum Objekt zu machen, sexuell zu beherrschen und auszubeuten. Die Rolle
von Mädchen und Frauen wurde allein bezogen auf die Verinnerlichung eines
problematischen Frauenbilds und negativen Umgang mit ihrer Sexualität themati-
siert. Für ein grundlegendes Umdenken hat hier Feona Attwood mit ihrem pro-
grammatischen Aufsatz „What do people do with porn?“ gesorgt (Attwood 2005), in
dem sie in kritischer Auseinandersetzung mit quantitativen Wirkungsstudien und
anhand einer Analyse qualitativer Arbeiten aufzeigte, dass explizite Medientexte zur
Sexualität je nach Kontext und Situation auf vielfältige Weise erlebt und verstanden
werden und als Wissensquelle, als Ressource für intime Praktiken, als Ort für die
Identitätskonstruktion und zur Performanz von Geschlecht und Sexualität genutzt
werden. Bereits zehn Jahre nach dem wegweisenden Beitrag bezeichnet Attwood
(2014) die Pornografieforschung dann bereits als „weedy field“, das sich durch
eine Zunahme an Forschung und methodischen Zugängen auch zu nicht-
heteronormativen Formen von Pornografie(n) darstellt. 2014 etabliert Attwood
zusammen mit Clarissa Smith die Zeitschrift Porn Studies, die sich vierteljährlich
interdisziplinär und kritisch mit den als pornografisch bezeichneten kulturellen
Produkten und Dienstleistungen und ihren kulturellen, wirtschaftlichen, histori-
schen, institutionellen, rechtlichen und sozialen Kontexten befasst. Hierin finden
sich vielfältige Arbeiten, die aus einer queer-/feministischen Perspektive und unter
Vom Pornografieverbot zu den Porn Studies: Perspektiven auf Pornografie(n) 997

Rückgriff auf die Methoden und Erkenntnisse von Konstruktivismus, Poststruk-


turalismus, Diskursanalyse und Gender Studies sexuelle Identitäten, Machtformen
und Normen im Pornografischen analysieren und dekonstruieren und damit wesent-
lich auch zur Vervielfältigung der Perspektiven beitragen.
So werden beispielsweise in interaktionistisch-konstruktivistisch angelegten Ar-
beiten v.a. subjektbezogene Bedeutungen herausgearbeitet. Arbeiten, die sich stärker
auf poststrukturalistische Theorien stützen, analysieren diskurstheoretisch Kontin-
genz und Machtverhältnisse in der Pornografie. Zu beobachten ist in den letzten
Jahren eine stärkere Orientierung auch auf „Affekte“ und „Assemblagen“. Diese
Ausdifferenzierung der Forschung hat Auswirkungen auch auf die Methodik (Att-
wood 2002, 2005; Paasonen et al. 2007; Paasonen 2010).
Beispielhaft herausgegriffen sei eine Studie von Alanna Goldstein (2020), in der
sie mit Rückblick auf bisherige Untersuchungen (Parvez 2006; Löfgren-Mårtenson
und Månsson 2010; Bohm et al. 2015) und auf der Basis einer eigenen Fokus-
gruppenstudie immer wiederkehrende und dominierende Orientierungen junger
Frauen in der Pornorezeption identifiziert. Sie differenziert die Frauen in „Lernende“
(diejenigen, die hauptsächlich auf Pornos zugreifen, um ihren Wissensdurst über
Sex, Körper, Wünsche und Praktiken zu stillen), „Lacherinnen“ (diejenigen, die sich
innerhalb einer Peer Group über Pornos lustig machen), „Liebhaberinnen“ (diejeni-
gen, die Pornos innerhalb ihrer sexuellen Beziehung, aber nicht allein nutzen) und
„Kritikerinnen“ (diejenigen, die v. a. Bedenken hinsichtlich der Pornoindustrie, der
Art der Darstellungen bzw. vorherrschenden Körper sowie Auswirkungen dieser
Darstellungen teilen). In ihrer eigenen Studie beobachtet Goldberg allerdings auch
Verschiebungen: Teilnehmerinnen drücken eine „öffentliche Erotik“ bzw. Orientie-
rung aus, indem sie ohne Scham über nicht männlich zentrierte Pornografienutzung,
Sexualität, Erotik und Begierde und Masturbation sprechen (Goldstein 2020).
Autor*innen, die theoretisch an neu-materialistische Ansätze anknüpfen, unter-
suchen die Wechselwirkungen von Körpern mit Dingen, Institutionen und so auch
Pornografien in einer bestimmten Assemblage. Unter Rückgriff auf den Begriff des
Affekts wird das „Werden“ (Deleuze und Guattari 1988, S. 256) analysiert, das eine
Änderung des Zustands oder der Fähigkeiten einer Entität darstellt (Massumi 1988,
S. xvi) – diese Änderung kann physisch, psychisch, emotional oder sozial sein. Für
Fox und Alldred (2013) umfassen Sexualitätassemblagen Körper und Körperteile,
soziale Institutionen, Orte, Kleidung und andere Körperschmuckstücke, Werte,
Skripte und Normen. Angewendet wurden die neuen materialistischen Perspektiven
auf Sexualität (Holmes et al. 2010; Ringrose 2011; Hipfl 2015) als auch explizit auf
Pornografie. Untersucht wird beispielsweise, welche relationale Beziehung weiblich
gelesene Körper mit Pornografie, daneben aber auch mit anderen Dingen wie der
Herkunft, Alkohol oder Populärkultur, mit sozialen Institutionen, Peer Group und
Sexualpartner*innen eingehen und welche Auswirkungen dies auf den Prozess des
Sexuell-Werdens hat (Fox und Bale 2017).
Ein Bereich, der in der Pornografieforschung besondere Aufmerksamkeit erfährt,
ist die Amateurpornografie. Sie gerät v. a. im Hinblick auf die zunehmenden Ver-
wischungen der Grenzen zwischen Produktion und Rezeption in den Blick. In
anderen Kontexten ist auch von einer „Partizipationskultur“ (Jenkins 2005, 2006)
998 A. Tillmann

und der „Prosument*in“ die Rede – von Personen, die im Internet gleichermaßen
konsumieren als auch produzieren (Toffler 1980; Ritzer und Jurgenson 2010).
Partizipiert, online verbreitet und geteilt werden nicht nur selbst produzierte Porno-
grafie, sondern aktuell auch Mikroporn bzw. Mikroformate wie Gifs und Memes
(Hester et al. 2015), Dick-Pics (Ringrose und Lawrence 2018; Paasonen et al. 2019)
oder Deepfake Pornos (Popova 2020; van der Nagel 2020). Die Bandbreite reicht
von neuen Ausdrucksformen des Begehrens, der Vergemeinschaftung und subver-
siven Bedeutungsverschiebungen bis hin zu sexueller Diskriminierung und Aus-
beutung.

5 Fazit

Der Streifzug durch die Geschichte und den Diskurs der queer-/feministischen
Pornografie zeigt ein Forschungsfeld, das sich thematisch, theoretisch, methodisch
und auch als Bewegung immer weiter ausdifferenziert hat. Aus einer sowohl inter-
als auch transdisziplinären Perspektive und unter Berücksichtigung gesellschaftli-
cher und ökonomischer Macht- und Herrschaftsverhältnisse werden das Vergnügen
und die Lust an der Produktion, Rezeption und neuerdings auch Versendung und
Zirkulation von Pornografien diskutiert und dort stattfindende diskriminierende und
regulierende Praktiken als auch Möglichkeiten subversiver Bedeutungsverschiebun-
gen behandelt. Insbesondere Arbeiten, die sich im Kontext der Porn Studies und
Post-Pornografie verorten, sind an einer Neuverhandlung des Pornografischen und
der Sichtbarmachung alternativer Sexualpraktiken und Sexualitäten jenseits
des heterosexuellen Mainstreams interessiert. Neben der Untersuchung sexuell-
expliziter Darstellungen und damit verknüpfter sozio-kultureller Praktiken werden
dabei Bezüge auch zu nichtsexuellen Praktiken hergestellt.
Noch am Anfang steht die konsequente Erweiterung der bisher weitestgehend
anglo- und eurozentrischen Forschung über Pornografien auf andere kulturelle
Kontexte, Regionen und Kulturen. Erweiterte Perspektiven verspricht hier ein er-
gänzender Blick auf den kolonialen Einfluss und Umgang mit Pornografien (Mul-
holland 2016; Pradhan 2019). Offene Fragen zeigen sich auch bezogen auf die
Erweiterung des Wahrnehmungs- und Handlungsspektrums im Kontext digitaler
Technologien wie VR und/oder digitale Spiele (Allhutter 2009). Weitgehend unklar
ist zudem, wie sich die zunehmende digitale Datensammlung und Überwachung auf
den Umgang mit Körpern, Vergnügen und Lust auswirkt; hier gilt es sicherlich die
Monopolstellung insbesondere auch einzelner Anbieter zu berücksichtigen. Weitere
Herausforderungen auch auf methodischer Ebene zeigen sich bei Mikroporn, wo
kurze, nicht zwangsläufig sexuell-explizite Bilder aus pornografischen Kontexten
auf speziellen Websites oder von Fans kuratiert neu bzw. de-kontextualisiert werden
(Attwood et al. 2018).
Grundsätzlich gilt, und in der Pornografieforschung wohl weiterhin in besonde-
rem Maße, die eigene Position als Forscher*in und den eigenen Beitrag zur Erwei-
terung der Perspektiven und Handlungsbedingungen und -fähigkeiten der beteiligten
Akteur*innen zu reflektieren. Neben dem Hinweis auf normierende moralische
Vom Pornografieverbot zu den Porn Studies: Perspektiven auf Pornografie(n) 999

Vorstellungen und der Auslotung und Herstellung von Spielräumen und Möglich-
keiten abweichender Bedeutungsproduktionen ist der Fokus weiterhin auch auf die
komplexen Verflechtungen und herrschaftsbedingten Abhängigkeiten im pornogra-
fischen Gefüge sowie sexuelle Diskriminierung, Machtmissbrauch und wirtschaftli-
che Ausbeutungsstrukturen zu richten.

Literatur
Allhutter, Doris. 2009. Dispositive digitaler Pornografie. Zur Verflechtung von Ethik, Technologie
und EU-Internetpolitik. Frankfurt/New York: Campus.
Attwood, Feona. 2002. Reading porn: The paradigm shift in pornography research. Sexualities 5(1):
91–105.
Attwood, Feona. 2005. What do people do with porn? Qualitative research into the consumption,
use and experience of pornography and other sexually explicit media. Sexuality and Culture
9(2): 65–86.
Attwood, Feona. 2006. Sexed up: Theorizing the sexualization of culture. Sexualities 9(1): 77–94.
Attwood, Feona. 2009. Mainstreaming sex: The sexualization of western culture. London:
I.B. Tauris.
Attwood, Feona, Hrsg. 2010. Porn.com. Making sense of online pornography. New York: Peter
Lang.
Attwood, Feona. 2014. Pornography, porno, porn: Thoughts on a weedy field. Porn Studies 1(1–2):
24–40.
Attwood, Feona, Giovanna Maina, und Clarissa Smith. 2018. Conceptualizing, researching and
writing about pornography. Porn Studies 5(1): 1–5.
Baer, Susanne, und Vera Slupik. 1988. Entwurf eines Gesetzes gegen Pornografie. Kritische Justiz
21(2): 171–181.
Bohm, Maika, Phillip Franz, Arne Dekker, und Silja Matthiesen. 2015. Desire and Dilemma –
Gender Differences in German Students’ Consumption of Pornography. Porn Studies 2(1): 76–
92.
Butler, Heather. 2004. What do you call a lesbian with long fingers? The development of lesbian
and dyke pornography. In Porn Studies, Hrsg. Linda Williams, 167–197. Durham/London:
Duke University Press.
Butler, Judith. 1998. Haß spricht. Zur Politik des Performativen. Berlin: Berlin Verlag.
Byron, Paul. 2019. ‚How could you write your name below that.‘ The queer life and death of tumblr.
Porn Studies 6(3): 336–349. https://doi.org/10.1080/23268743.2019.1613925.
Cornell, Drucill. 1997. Die Versuchung der Pornographie. Mit einem Vorwort von Barbara Vinken.
Aus dem Amerikanischen von Vincent Vogelvelt. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Cruz, Ariane. 2016. The color of kink. Black women, BDSM, and pornography. New York:
New York University Press.
Deleuze, Gilles, und Félix Guattari. 1988. A thousand plateaus. London: Athlone.
Döring, Nicola. 2009. The Internet’s Impact on Sexuality. A Critical Review of 15 Years of
Research. Computers in Human Behavior 25(5): 1089–1101.
Döring, Nicola. 2020. „Switched On“: UNESCO-Konferenz 2020 zur sexuellen Bildung im
digitalen Raum. Zeitschrift für Sexualforschung 33:178–180.
Duits, Linda, und Lisbet van Zoonen. 2006. Headscarves and porno-chic. Disciplining girls’ bodies
in the European multicultural society. European Journal of Women’s Studies 13(2): 103–117.
Dworkin, Andrea. 1979. Pornography. Men possessing women. New York: Penguin Books.
Deutsche Ausgabe: Dworking, A. 1987. Pornographie. Männer beherrschen Frauen. Mit einem
Vorwort von Alice Schwarzer. Aus dem Amerikanischen von Erica Fischer. Frankfurt a. M.:
Emma Frauenverlag.
1000 A. Tillmann

Engelberg, Jaco, und Gary Nedhaam. 2019. Purging the queer archive: Tumblr’s counterhegemonic
pornographies. Porn Studies 6(3): 350–354. https://doi.org/10.1080/23268743.2019.1623067.
Fox, Nick J., und Pam Alldred. 2013. The sexuality-assemblage: Desire, affect, anti-humanism.
Sociological Review 61(4): 769–789.
Fox, Nick J., und Clare Bale. 2017. Bodies, pornography and the circumscription of sexuality: A
new materialist study of young people’s sexual practices. Sexualities 21(3): 393–409.
Fuentes, Annette, und Margaret Schrage. 1987. Deep inside porn stars. Jump Cut: A Review of
Contemporary Media 32:41–43. http://www.ejumpcut.org/archive/onlinessays/JC32folder/
PornWomenInt.html. Zugegriffen am 20.06.2021.
Garlick, Steve. 2010. Taking Control of Sex?: Hegemonic Masculinity, Technology, and Internet
Pornography. In Men and Masculinities 12(5): 597–614.
Gehrke, Claudia, Hrsg. 1988. Frauen & Pornographie. Tübingen: Konkursbuchverlag.
Goldstein, Alana. 2020. Learner, laugher, lover, critic: Young women’s normative and emerging
orientations towards pornography. Porn Studies 8(1): 5–20. https://doi.org/10.1080/23268743.
2020.1736608.
Hennessy, Rosemary. 2003. Feminismus. In Historisch-Kritisches Wörterbuch des Feminismus,
Hrsg. Frigga Haug, 155–170. Hamburg: Argument.
Hester, Helen. 2014. Beyond explicit: Pornography and the displacement of sex. New York: State
University of New York Press.
Hester, Helen, Jones Bethan, und Sarah Taylor-Harman. 2015. Giffing a fuck: Non-narrative
pleasures in participatory porn cultures and female fandom. Porn Studies 2(4): 356–366.
https://doi.org/10.1080/23268743.2015.1083883.
Hipfl, Brigitte. 2015. Medialisierung und Sexualisierung als Assemblagen gegenwärtiger Kultur –
Herausforderungen für eine (Medien)Pädagogik jenseits von „moral panic“. In Medialisierung
und Sexualisierung. Vom Umgang mit Körperlichkeit und Verkörperungsprozessen im Zuge der
Digitalisierung, Hrsg. Josef Christian Aigner, Theo Hug, Martina Schuegraf, und Angela Till-
mann, 15–32. Wiesbaden: Springer VS.
Hohenberger, Eva, und Karin Jurschick, Hrsg. 1994. Blaue Wunder. Neue Filme und Videos von
Frauen 1984 bis 1994. Hamburg: Argument.
Holmes, Dave, Patrick O’Byrne, und Stuart J. Murray. 2010. Faceless sex: Glory holes and sexual
assemblages. Nursing Philosophy 11(4): 250–259.
Holzleithner, Elisabeth. 2018. Autonomie im Recht – der Fall von Pornografie. In Autonomie im
Recht – Geschlechtertheoretisch vermessen, Hrsg. Susanne Baer und Ute Sacksofsky, 251–274.
Baden Baden: Nomos.
Hunt, Lynn A. 1994. Obszönität und die Ursprünge der Moderne (1599–1800). In Die Erfindung
der Pornographie. Obszönität und die Ursprünge der Moderne, Hrsg. Lynn A. Hunt, 7–43.
Frankfurt a. M.: Fischer-Taschenbuch.
Jacobs, Katrien. 2007. Netporn: DIY web culture and sexual politics. Lanham: Rowman & Litt-
lefield.
Jacobs, Katrien, Marije Janssen, und Matteo Pasquinelli. 2007. C’lick me: A netporn studies reader.
Amsterdam: Institute of Network Cultures.
Jenkins, Henry. 2005. Confronting the challenges of participatory culture: Media education for the
21st century. Cambridge/London: The MIT Press.
Jenkins, Henry. 2006. Fans, bloggers and gamers: Exploring participatory culture. Essays on
participatory culture. New York: NYU Press.
Joos, Richard. 2017. Wie funktioniert der Pornografiemarkt im Internet? Zeitschrift für Sexual-
forschung 30:58–73.
Kaplan, E. Ann. 1980. Integrating marxist and psychoanalytic approaches in feminist film criticism.
Millenium Film Journal 6:8–17.
Kempen, Claude C. 2020. Phobie, Fantasie und Fetisch? Antimuslimischer Rassismus und Sexis-
mus in pornografischen Filmen. Reihe: ZMO Working Papers 26. https://www.zmo.de/
publikationen/publikationsregister/phobie-fantasie-und-fetisch. Zugegriffen am 09.07.2021.
Vom Pornografieverbot zu den Porn Studies: Perspektiven auf Pornografie(n) 1001

Kendrick, Walter. 1987. The secret museum: Pornography in modern culture. New York: Viking
Press.
Koch, Gertrude. 1981. Schattenreich der Körper: Zum pornografischen Kino. In Lust und Elend. Das
erotische Kino, Hrsg. Karola Gramann, Gertrud Koch, Bernhard Pfletschinger, Heide Schlüp-
mann, Mona Winter, und Karsten Witte, 16–39. Luzern/München: Bucher, BFI Publishing.
Kristof, Nicholas. 2020. The children of porn hub. New York Times, December 17. https://
www.nytimes.com/2020/12/04/opinion/sunday/pornhub-rape-trafficking.html. Zugegriffen am
20.04.2021.
Löfgren-Mårtenson, Lotta, und Sven-Axel Månsson. 2010. Lust, love and life: A qualitative study
of swedish adolescents’ perceptions and experiences with pornography. Journal of Sex Research
47(6): 568–579.
MacKinnon, Catharine A. 1994. Nur Worte. Aus dem Amerikanischen von Susanne Baer. Frankfurt:
Fischer Taschenbuch. Englische Ausgabe: MacKinnon, C. A. 1993. Only words. Cambridge:
Harvard University Press.
Massumi, Brian. 1988. Translator’s foreword and notes. In A thousand plateaus. Capitalism and
schizophrenia, Hrsg. Gilles Deleuze und Felix Guattari, ix–xix. London: Athlone.
McNair, Brian. 2002. Striptease culture: Sex, media and the democratization of desire.
London/New York: Routledge.
Méritt, Laura. 2012. PorYes! Feministische Pornos und die sex-positive Bewegung. In Pornogra-
fisierung von Gesellschaft, Hrsg. Martina Schuegraf und Angela Tillmann, 371–380. Konstanz/
München: UVK.
Miller-Young, Mireille. 2014. A taste for brown sugar: Black women in pornography. Durham:
Duke University Press.
Morillas, Esther Moreno. 2020. PornFilmFestival: 13 years of DIY and alternative porn. Porn
Studies 7(4): 434–440.
Mulholland, Monique. 2016. ‚The pathological native‘ versus ‚the good white girl‘: An analysis of
race and colonialism in two Australian porn panics. Porn Studies 3(1): 34–49.
Müller, Anne Janine. 2010. Pornographie im Diskurs der Wissenschaft: Zwischen „sprechendem
Sex“ und Medienvermittlung. Münster: LIT.
Mulvey, Lisa. 1975. Visual pleasure and narrative cinema. Screen 3:6–18.
Nagel, Emily van der. 2020. Verifying images: Deepfakes, control, and consent. Porn Studies 7(4):
424–429.
Nash, Jennifer C. 2014. The black body in ecstasy: Reading race, reading pornography. Durham:
Duke University Press.
Naughty, Ms. 2014. Meine dekadente Dekade. Pornografie für Frauen – zehn Jahre Produktion und
Debatte. In The Feminist Porn Book. Strategien der Lusterzeugung. Band 1, Hrsg. Tristan
Taormino, Celine Parreñas-Shimizu, Constance Penley, und Mireille Miller-Young, 225–256.
München: Louisoder.
Nicolay, Katharina, Irene Bertschek, Christoph Spengel, Ulrich Laitenberger, Thomas Niebel, Peter
Buchmann, und Ann Catherin Werner. 2017. Struktur und Volumen des Marktes von Internet-
dienstleistungen mit Fokus auf Drittlandsunternehmen: Abschlussbericht an das Bundesminis-
terium der Finanzen, Referat I A 3, ZEW-Gutachten und Forschungsberichte, Zentrum für
Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Mannheim.
Omella, Lynn. 2014. Vom Text zum Kontext. Feministischer Porno und die Erschaffung eines
Marktes. In The Feminist Porn Book. Strategien der Lusterzeugung. Band 1, Hrsg. Tristan
Taormino, Celine Parreñas-Shimizu, Constance Penley, und Mireille Miller-Young, 257–306.
München: Louisoder.
Paasonen, Susanna. 2010. Disturbing, fleshy texts: Close looking at pornography. In Working with
affect in feminist readings: Disturbing differences, Hrsg. Marianne Liljeström und Susanna
Paasonen, 58–71. London: Routledge.
Paasonen, Susanna. 2011. Carnal resonance. Affect and online pornography. Cambridge: MIT
Press.
1002 A. Tillmann

Paasonen, Susanna, Kaarina Nikunen, und Laura Saarenmaa. 2007. Pornification and the education
of desire. In Pornification: Sex and sexuality in media culture, Hrsg. Susanna Paasonen, Kaarina
Nikunen, und Laura Saarenmaa, 1–20. Oxford: Berg.
Paasonen, Susanna, Ben Light, und Kylie Jarret. 2019. The dick pic: Harassment, curation, and
desire. Social Media and Society 5(2). https://doi.org/10.1177/2056305119826126.
Parvez, Fareen Z. 2006. The labor of pleasure: How perceptions of emotional labor impact women’s
enjoyment of pornography. Gender and Society 20(5): 605–631.
Popova, Milena. 2020. Deepfakes: An introduction. Porn Studies 7(4): 350–351.
Pradhan, Anubhav. 2019. ‚Raped, outraged, ravaged‘: Race, desire, and sex in the Indian empire.
Porn Studies 7(1): 61–75.
Preciado, Beatriz. 2003. Kontrasexuelles Manifest. Berlin: b_books.
Preciado, Beatriz. 2009. The architecture of porn. Museum walls, urban detritus and stag rooms for
porn-prosthetic Eyes. In Post/Porn/Politics. Symposium/Reader, queer_feminist perspective on the
politics of porn performances and sex work as cultural production, Hrsg. Tim Stüttgen, 22–39.
Berlin: b_books.
Ringrose, Jessica. 2011. Beyond discourse? Using Deleuze and Guattari’s schizoanalysis to explore
affective assemblages, heterosexually striated space, and lines of flight online and at school.
Educational Philosophy and Theory 43(6): 598–618.
Ringrose, Jessica, und Emilie Lawrence. 2018. Remixing misandry, manspreading, and dick pics:
Networked feminist humour on Tumblr. Feminist Media Studies 18(4): 686–704.
Ritzer, George, und Nathan Jurgenson. 2010. Production, consumption, prosumption: The nature of
capitalism in the age of the digital „prosumer“. Journal of Consumer Culture 10(1): 13–36.
Royalle, Candida. 2014. Wie kann eine nette junge Frau wie Sie nur . . .. In The Feminist Porn Book.
Strategien der Lusterzeugung. Band 1, Hrsg. Tristan Taormino, Celine Parreñas-Shimizu,
Constance Penley, und Mireille Miller-Young, 147–181. München: Louisoder.
Ryberg, Ingrid. 2009. Maximierte Sichtbarkeit. Visuelle Strategien in feministischer und lesbischer
Pornografie. montage AV. Zeitschrift für Theorie und Geschichte audiovisueller Kommunikation
18(2): 119–136.
Sarikakis, Katharine. 2014. Making public policy in the digital age. Sex industry as a political actor.
In The Routledge companion to media and gender, Hrsg. Cynthia Carter, Linda Steiner, und
Lisa McLaughlin, 211–221. New York: Routledge.
Sarikakis, Katharine, und Zeenia Shaukat. 2007. The Global Structures and Cultures of Porno-
graphy: The Global Brothel. In Feminist Interventions in international communication, Hrsg.
Katharine Sarikakis und Leslie R. Shade, 106–128. Lanham: Rowman & Littlefield Publishers.
Schocher, Nathan. 2021. Der transgressive Charakter der Pornografie. Philosophische und femi-
nistische Positionen. Bielefeld: transkript.
Schuegraf, Martina, und Angela Tillmann, Hrsg. 2012. Pornografisierung von Gesellschaft. Kon-
stanz/München: UVK.
Schumacher, Nina. 2016. Mehrdeutige Neuverhandlungen. Porn Studies und nicht-sexuelle Porno-
graphie aus kulturwissenschaftlicher Perspektive. In Pornographie. Im Blickwinkel der femi-
nistischen Bewegungen, der Porn Studies, der Medienforschung und des Rechts, Hrsg. Anja
Schmidt, 61–85. Baden Baden: Nomos.
Schwarzer, Alice. 1978. Der STERN erniedrigt Frauen! EMMA Archiv. https://www.emma.de/
artikel/sexismus-pornographie-die-stern-klage-264818. Zugegriffen am 22.02.2021.
Schwarzer, Alice. Hrsg. 1988. PorNo. Die Kampagne, das Gesetz, die Debatte. Köln: Emma-
Frauenverlag.
Smith, Jesus Gregorio, und Aurolyn Luykx. 2017. Race play in BDSM Porn: The eroticization of
oppression. Porn Studies 4(4): 433–446. https://doi.org/10.1080/23268743.2016.1252158.
Sørensen, Anette Dina. 2003. Pornography and gender in mass culture. NIKK (Nordic Institute for
Women’s Studies and Gender Research) Magasin 3:34–36.
Sprinkle, Annie. 1998. Post porn modernist: My twenty-five years as a multimedia whore.
New York: Cleis Press.
Vom Pornografieverbot zu den Porn Studies: Perspektiven auf Pornografie(n) 1003

Stüttgen, Tim. 2009. Postpornpolitics: Queer_feminist perspective on the politics of porn perfor-
mance and sex_work as culture production. Berlin: b_books.
Tarrant, Shira. 2016. The pornography industry. What everyone needs to know. Oxford: Oxford
University Press.
Toffler, Alvon. 1980. The third wave. New York: William Morrow and Company.
Villa, Paula-Irene. 2012. Pornofeminismus? Soziologische Überlegungen. In Pornografisierung
von Gesellschaft, Hrsg. Martina Schuegraf und Angela Tillmann, 51–66. Konstanz/München:
UVK.
Vinken, Barbara. 1997a. Die nackte Wahrheit. Zur Pornographie und zur Rolle des Obszönen in der
Gegenwart. München: Deutscher Taschenbuchverlag.
Vinken, Barbara. 1997b. Das Gesetz des Begehrens – Männer, Frauen, Pornographie. In Die
Versuchung der Pornographie, Hrsg. Drucilla Cornell, 7–23. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Williams, Linda. 1989. Hard core. Power, pleasure and the ¸frenzy of the visible‘. Berkeley/Los
Angeles: University of California Press. Deutsche Ausgabe: Linda Williams, 1995. Hard Core.
Macht, Lust und die Traditionen des pornographischen Films. Aus dem amerikanischen Eng-
lisch von Beate Thill. Basel/Frankfurt a. M.: Stroemfeld.
Williams, Linda, Hrsg. 2004a. Porn studies. Durham/London: Duke University Press.
Williams, Linda. 2004b. Skin flicks on the racial border: Pornography, exploitation and interracial
Lust. Freiburger FrauenStudien 15(2): 71–105.
Williams, Linda. 2014. Pornography, porno, porn: Thoughts on a weedy field. Porn Studies 1(1–2):
24–40.
Willis, Ellen. 1983. Feminism, moralism, and pornography. In Powers of desire: The politics of
sexuality, Hrsg. Ann Snitow, Christine Stansell, und Sharon Thompson, 460–467. New York:
Monthly Review Press.
Teil X
Zukunft der feministischen Medienforschung
Macht- und diskriminierungskritische
Professionalisierung von
Wissensproduktion

Susanne Lummerding

Inhalt
1 Wissenschaftsfreiheit* bedeutet, über Diskriminierung zu sprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1008
2 Positionierte Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1009
3 Profession/Professionalisierung und Nicht-/Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1010
4 Lehr_Lern-Prozesse – Brave(r) Spaces . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1011
5 Beratung – Begleitung von Ver-un_gewisserung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1013
6 Professionalisierung (selbst-)kritischen In-Frage-Stellens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1014
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1015

Zusammenfassung
Zunehmend sind Angriffe seitens akademischer wie auch nicht-akademischer –
den Kampfbegriff der ‚Wissenschaftsfreiheit‘ bemühenden – Verteidiger*innen
eines hegemonialen Status Quo gegen vorgebliche ‚Cancel Culture‘ und ‚Identi-
tätspolitik‘ zu beobachten. Sie sind allerdings nur der augenfälligste Ausdruck
bewährter privilegierter Abwehrmechanismen gegen eine (selbst-)kritische Aus-
einandersetzung mit gesellschaftlichen Macht- und Diskriminierungsstrukturen
auch und vor allem in Feldern der Wissensproduktion. Was also mehr denn je
gefragt ist, sind Kritik und das In-Frage-Stellen bisheriger ‚Gewissheiten‘ als
zentraler Aspekt von Wissensproduktion/Wissenschaft, vor allem aber das
(selbst)kritische In-Frage-Stellen auch jener ‚Gewissheiten‘, die die Grundlage
für Dominanz- und Diskriminierungsverhältnisse und der eigenen Verstrickheit in
diese bilden. Dies als wesentlichen Teil der Professionalisierung hinsichtlich
eines entsprechenden Professionsverständnisses zu begreifen, bedeutet, aktiv
dafür einzutreten, dass Wissenschaft und deren Institutionen ein inklusiver Ort

S. Lummerding (*)
Universität Wien, Wien, Österreich
E-Mail: susanne.lummerding@univie.ac.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 1007
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_84
1008 S. Lummerding

machtkritischen In-Frage-Stellens und der solidarisch-kritischen Auseinanderset-


zung für alle sind.

Schlüsselwörter
Diskriminierungskritik · Wissenschaftsfreiheit* · Professionalisierung · (selbst-)
kritisches In-Frage-Stellen · Ver-un_gewisserung · Brave(r) Spaces

1 Wissenschaftsfreiheit* bedeutet, über Diskriminierung zu


sprechen

Im September 2021 starteten hunderte Wissenschaftler*innen die fächer- und hoch-


schulübergreifende Initiative netzwerk-wissenschaftsfreiheit.org (2021), um sich für
„Wissenschaftsfreiheit als [. . .] Prozess der Erweiterung von Teilhabe an Wissen-
schaft [und als Ermöglichung] von Räumen kritischer Auseinandersetzung über
jenes System Wissenschaft, dessen Funktionieren auch auf Diskriminierung, Preka-
risierung und Ausschluss beruht“ einzusetzen. Die Initiative, der sich weitere Stel-
lungnahmen v. a. aus den Medienwissenschaften (Forum Antirassismus Medienwis-
senschaft 2021; AG Gender/Queer Studies 2021) anschlossen, war eine Antwort auf
zunehmende Angriffe seitens akademischer wie auch nicht-akademischer Verteidi-
ger*innen eines hegemonialen Status Quo. Gegen – vorgeblich von Gender/Queer
Studies, Rassismusforschung und darauf basierenden Forschungsansätzen betriebe-
ne – ‚Cancel Culture‘/‚Verbotskultur‘, ‚Identitätspolitik‘ und ‚falsch verstandene
Political Correctness‘ wurden ‚Wissenschaftsfreiheit‘, ‚Sachlichkeit‘ und ‚freie De-
battenkultur‘ phrasenartig bemüht. (Lotter 2021) Derartige, seit Jahren zu beobach-
tende antidemokratische Diffamierungen und Attacken von konservativer bis rechts-
populistischer Seite gegen macht- und diskriminierungskritische Ansätze in
Forschung, Lehre, Bildungs- und Beratungsarbeit sind Teil einer Entwicklung, die
keineswegs neu ist (Fachverband Gender Diversity 2014) und auch kein ‚Randphä-
nomen‘. Vielmehr finden sie Rückhalt im akademischen Mainstream, wie auch das
Beispiel des seit Februar 2021 präsenten netzwerk-wissenschaftsfreiheit.de zeigt, auf
das sich das eingangs erwähnte netzwerk-wissenschaftsfreiheit.org – den titelgeben-
den Kampfbegriff der „Wissenschaftsfreiheit“ bewusst aufnehmend – kritisch
bezieht.
Die Rhetorik von ‚Cancel Culture‘, ‚Zensur‘ und ‚Sprechverboten‘ lässt sich zum
einen als abwehrende Reaktion auf Veränderungen von Diskursen durch macht-
kritische Ansätze verstehen; eine Reaktion, die deutlich macht, dass hier durchaus
erkannt wurde, dass tradierte Privilegien durch die als ‚Cancel Culture‘ diffamierten
Diskurse in Frage gestellt werden. Gleichzeitig verschleiert diese Abwehrreaktion,
dass gesellschaftliche Macht- und Diskriminierungsverhältnisse nach wie vor weit
davon entfernt sind, zugunsten von Chancengleichheit aufgehoben zu sein (ge-
schweige denn ‚umgekehrt‘, wie oft in derartigen Abwehrreflexen behauptet). Es
geht dabei um Machtansprüche, bezogen nicht nur auf Privilegien des Zugangs und
der Zugehörigkeit, sondern vor allem auch um Definitionsmacht als Anspruch auf
Macht- und diskriminierungskritische Professionalisierung von . . . 1009

Wahrung der Deutungshoheit sowie Absicherung und Vergewisserung hegemonia-


len Wissens.
Ansprüche auf Definitionsmacht und Deutungshoheit kennzeichnen gleichzeitig
jedoch nicht nur Positionen wie die oben genannten, die durch öffentlichkeitswirk-
same Skandalisierung relativ breite Präsenz erreichen. Wissenschaft bzw. Wissens-
produktion – als Teil von Gesellschaft – findet vielmehr nicht nur grundsätzlich und
unumgänglich innerhalb gesellschaftlicher Macht- und Diskriminierungsstrukturen
statt, sondern ist immer schon zutiefst verstrickt in diese. Hochschulen und Hörsäle/
Seminarräume sind keineswegs macht- oder diskriminierungsfreie Räume. Die ent-
scheidende Frage ist daher, wie die jeweils eigene Verstricktheit in strukturelle und
institutionelle Macht- und Diskriminierungsverhältnisse kritisch thematisierbar wird
und wie aktiv an einer Veränderung hegemonialer Verhältnisse gearbeitet werden
kann. Das heißt, es geht sowohl um eine kritische Auseinandersetzung mit der Frage
der Definition und Funktion von Wissenschaft, von Hochschule und von Profession
als auch um daraus ableitbare Verantwortung sowie um Handlungsoptionen als
innerhalb dieses Kontextes professionell Tätige.

2 Positionierte Perspektiven

„Are we really to imagine that feminist theorists writing only about images of white women
[. . .] do not ‚see‘ the whiteness of the image?“ (bell hooks 1992, S. 117)

Es sind vor allem diskriminierungserfahrene Positionen, die auf bestehende


Macht- und Diskriminierungsstrukturen und Praktiken der Regulation von Wissen
hinweisen. Auch machtkritische Forschungsansätze wie Critical Race und Post-
colonial Studies, Gender/Queer Studies, Disability Studies, Cultural Studies, Klas-
sismuskritik u. a. sowie auch Bildungs- und Beratungsarbeit bauen dabei auf einer
langen Geschichte aktivistischen Wissens und der Kämpfe um gleiche Rechte auf.
So zeigt etwa bell hooks in ihrer Kritik an Laura Mulveys in Visual Pleasure and
Narrative Cinema (Mulvey 1975) formulierten Konzept eines filmischen Blicksub-
jekts dessen Beschränktheit auf eine weiße Positioniertheit und Perspektive und das
damit verbundene Ausblenden sowohl der Perspektive als auch einer potenziellen
Subjektposition Schwarzer Frauen* auf, dem sie ihr Konzept des oppositional gaze
gegenüberstellt. (hooks 1992) Mulvey hatte in ihrem zum Kanon feministischer
Filmtheorie zählenden Essay deutlich gemacht, wie in Hollywoodfilmen der 1930er-
bis 1950er-Jahre gesellschaftliche Machtverhältnisse und dominante Geschlechter-
rollen filmische Blickstrukturen und Identifikationsoptionen prägen und auf diese
Weise verfestigt werden. Die Bedeutung von Mulveys Text bleibt einerseits unbe-
stritten und hat zudem bis heute ernüchternde Aktualität, wie ein Blick auf aktuelle
Filmproduktionen, aber z. B. auch Computerspiele zeigt1 – auch wenn der Repro-

1
Siehe dazu z. B. Geena Davis Institute on Gender in Media 2015; oder die Videoserien von Anita
Sarkeesian seit 2012; oder Get the F*uck Out (2013) von Shannon Sun-Higginson.
1010 S. Lummerding

duktion von Macht- und Gewaltverhältnissen in medialen Repräsentationen


(u. a. dank derartiger kritischer Analysen) eine zunehmende kritische Aufmerksam-
keit und mittlerweile auch beginnende Veränderungen in Produktion und Rezeption
gegenüberstehen. Gleichzeitig jedoch gibt es in Mulveys Text wie in vielen anderen
feministischen Ansätzen entscheidende Ausblendungen. Nicht nur die von hooks
benannte ausschließlich weiße Perspektive, sondern auch unhinterfragte Binaritäten
(u. a. der Geschlechterordnung) sowie auch weitere durch privilegierte Positioniert-
heiten geprägte Ausblendungen waren (auch in der Rezeption dieses Textes) lange
kaum ein Thema, ebensowenig die intersektionale Verschränkung von Dominanz-
und Diskriminierungsverhältnissen und deren Reproduktion in der Arbeit der
Wissensproduktion.2
Das am Beispiel Mulveys verdeutlichte – durch eine spezifische gesellschaftliche
Positioniertheit (im genannten Fall v. a. als weiße Frau*) geprägte – Ausblenden ist
in diesem Sinn keine individualisierbare Besonderheit, sondern ein strukturelles
Problem einer privilegierten Positioniertheit und Perspektive. Denn Privilegien
(deren interdependente ‚Kehrseite‘ unumgänglich Diskriminierung ist) werden aus
privilegierter Perspektive häufig – und ungeachtet einer empfundenen oder explizit
vorgetragenen grundsätzlichen Ablehnung von Diskriminierung – meist nicht als
solche wahrgenommen. Zum einen scheinen sie aus privilegierter Perspektive ‚nor-
mal‘ und ‚allen verfügbar‘. Zum anderen scheint es aus dieser Perspektive wenig
‚Anlass‘ bzw. wenig schmerzhaft-zwingenden Druck zu geben, Privilegien bzw.
tradierte und für privilegierte Positionen vorteilhafte und bequeme ‚Gewissheiten‘
bzw. Sichtweisen von ‚Welt‘ und ‚Wirklichkeit‘ aufzugeben. Die individuelle Ver-
antwortung liegt also darin, die durch die eigene gesellschaftliche Positioniertheit
(aufgrund kategorisierender Zuordnungen) geprägte Beschränktheit der Perspektive als
Nicht-Wissen ebenso anzuerkennen wie die damit einhergehende Verstrickung in gesell-
schaftliche und institutionelle Diskriminierungsstrukturen und deren Reproduktion.

3 Profession/Professionalisierung und Nicht-/Wissen

Nicht-Wissen ist ein im bestehenden hegemonialen Wissenschaftsbetrieb traditionell


eher abgewerteter bzw. abwertender Begriff, der im Allgemeinen nicht mit Vorstel-
lungen akademischer Profession oder Professionalität verbunden wird. Zugleich
aber ist ein Bewusstsein für und Anerkennen von Nicht-Wissen (wie auch der
Positioniertheit bzw. Situiertheit von Wissen) zentral für jede Wissensproduktion.
Professionalität umfasst in diesem Sinn mehr als die Kenntnis kanonisierten Wis-

2
Vgl. dazu z. B. Maureen Maisha Eggers Kritik an der Errichtung von „Demarkationslinien“
zwischen machtkritischen Ansätzen wie z. B. queeren und rassismuskritischen/posttkolonialen
Ansätzen bzw. Transkultureller Pädagogik und dekonstruktiver Geschlechterforschung. (Eggers
2009)
Macht- und diskriminierungskritische Professionalisierung von . . . 1011

sens/hegemonialer Diskurse, ein standardisiertes Repertoire abrufbarer Fach-, For-


schungs- und Vermittlungs-Kompetenzen, Vertrautheit mit Fach-, Institutions- und
Professionskulturen u. ä. Demgegenüber und gegenüber einem Selbstanspruch,
‚alles‘ (bereits) zu wissen, bedeutet Professionalität vielmehr eine kontinuierliche
Professionalisierung in einem konsequent machtkritischen Sinn, also eine kontinu-
ierliche selbstkritische Auseinandersetzung mit der (Re-)Produktion hegemonialer
Diskurse und mit strukturellen wie individuellen Ausgrenzungen und Ausblendun-
gen, mit eigenem Nicht-Wissen (Digoh und Golly 2015; Gomis 2020a). Dies
umfasst auch eine Dekonstruktion etablierter Differenzkonstruktionen und Katego-
risierungen, die hegemonialer Wissensproduktion zugrunde liegen, und eine kriti-
sche Befragung der Herstellungsbedingungen dieser Kategorisierungen sowie der
gesellschaftlichen und institutionellen Struktur(en), die diese prägen und in denen
diese als realitätswirksame ‚Gewissheiten‘ (re)produziert werden. Das heißt, es ist
eine Re-Vision des Verständnisses von Wissen bzw. Wissensproduktion als Profes-
sion notwendig, sollen Grundlagen gesellschaftlicher Dominanzstrukturen radikaler
befragbar, fraglich und veränderbar werden. (Lummerding 2019)
Die epistemisch-politische Bedeutung von Kritik als dekonstruktives In-Frage-
Stellen, als Modus des Fragens und des Anerkennens prinzipieller Fraglichkeit/
Anfechtbarkeit – z. B. in Bezug darauf, welches Wissen (nicht) anerkannt und
(nicht) vermittelt werden soll, wer (nicht) gehört/gelesen/zitiert wird, in Bezug auf
Definitions- und Besitzansprüche (Spivak 1996) – zeigt sich v. a. im Ermöglichen
kontinuierlicher Ausverhandlungs-Prozesse und der Veränderung von Dominanz-
verhältnissen. Eine Professionalisierung in diesem Sinn impliziert auch das Schaffen
von Rahmenbedingungen und Strukturen (auf struktureller, institutioneller und
individueller Ebene, in der Lehre, der Forschung, auf Verwaltungs-, Personalent-
wicklungs- und Leitungsebene), in denen privilegierte Perspektiven herausgefordert
werden, in denen eine (selbst)kritische Auseinandersetzung ermöglicht wird und
hegemoniale Definitionsmacht, Deutungshoheit und Diskriminierungen nicht wie-
derholt, sondern besprechbar gemacht werden (Gomis 2020b), um Machtverhält-
nisse zu verändern.

4 Lehr_Lern-Prozesse – Brave(r) Spaces

„The classroom remains the most radical space of possibility in the academy.“ (bell hooks
1994, S. 12)

Ein zentrales Feld der Wissensarbeit/Wissensproduktion bleibt in diesem Sinn die


Lehre bzw. die Bildungsarbeit – ungeachtet zunehmend beschleunigter Tendenzen
der Entdemokratisierung und unternehmerischen Ausrichtung von Hochschulen
sowie der zunehmenden und mit einem intransparenten ‚Exzellenz‘-Begriff ver-
brämten Ökonomisierung und Hierarchisierung von Forschung und Lehre. Die
zentrale Herausforderung stellt hier die Verknüpfung macht-/diskriminierungs-
kritischer Arbeit sowohl auf gesellschaftskritischer als auch auf wissenschaftskriti-
scher und auf bildungspraktischer Ebene sowie im Umgang mit Diskriminierung
1012 S. Lummerding

in Lehr_Lernsituationen dar. Auch in Lehr_Lernsituationen löst das Thematisieren


von und die kritische Auseinandersetzung mit Dominanz- und Diskriminierungs-
verhältnissen bei privilegiert positionierten Personen häufig Abwehrreaktionen
(in Form von Bagatellisierung, Relativierung oder auch Angriffen) aus. Denn es
irritiert dominante Perspektiven, erschüttert bisherige Routinen und Vorstellun-
gen von ‚Normalität‘ und stellt (Macht-)Positionen und Selbstverständnisse in
Frage. In der Bearbeitung privilegierter Abwehr (Lummerding und Wiedmann
2022, S. 30–33), die in Lehr_Lernsituationen als ‚Störung‘ auftritt, besteht die
Herausforderung darin, für alle Personen einen gleichberechtigten und diskrimi-
nierungskritischen Reflexions-Raum zu ermöglichen und Dominanz- und Dis-
kriminierungsverhältnisse ohne personenbezogene Bewertungen oder Schuld-
zuweisungen (Kontextualisierung statt Individualisierung) besprechbar zu
machen (Gomis 2020b) sowie Personen, die strukturelle Ausgrenzungen erfah-
ren, selbstbestimmt [zu] beteiligen, ohne dass „sie in die Rolle der Erklärenden
gedrängt werden.“ (Goel 2020, S. 161) Zudem ist der Komplexität intersektionaler
Verschränkungen und dem Umgang mit Un-Eindeutigkeiten und Ambivalenzen Auf-
merksamkeit zu widmen. Denn die intersektional-komplexe soziale Positioniertheit
von Individuen und deren Diskriminierungsrisiko lassen sich nicht ohne Weiteres z. B.
über die Zuordnung zu einer (als solche sozial konstruierten) ‚Gruppe‘ bzw. Dis-
kriminierungskategorie ausreichend erfassen. (Goel 2020, S. 151–153) Personen
„können sowohl zu jenen gehören, die in bestimmten Situationen Marginalisierungs-
erfahrungen machen, als auch zu jenen, die in diesen ihre Privilegien nutzen können.“
(Goel 2020, S. 151)
Um macht- und diskriminierungskritische Auseinandersetzung, Reflexions-
und Lernprozesse für alle zu unterstützen, ist vor allem ein entsprechendes
Verständnis von Kritik und eine „Freundlichkeit gegenüber Fehlbarkeiten“
(Goel 2020) (anstelle von ‚Fehler‘-Freundlichkeit) bedeutsam. Binäre Bewer-
tungslogiken wie ‚Richtig/Falsch‘-Klassifizierungen (oft auch manifestiert in der
Erwartungshaltung vieler Menschen, eine ‚klare‘ Orientierung in Form einer
binären Bewertung zu erhalten) erschweren ein konstruktives Äußern wie auch
eine konstruktive Auseinandersetzung mit Kritik und erzeugen häufig beschä-
mende bzw. als beschämend wahrgenommene Situationen und Reaktionen. (Goel
2020, S. 155) Freundlichkeit gegenüber Fehlbarkeiten trägt demgegenüber der
Erkenntnis Rechnung, dass niemand perfekt sein kann und es kein ‚Außerhalb‘
von Machtverhältnissen gibt. Das Anerkennen eigener Fehlbarkeit mindert die
Angst vor Bewertung (bzw. davor, ‚Fehler‘ zu machen) und erlaubt, sich auf
Kritik, auf fundamentale Verunsicherung und auf Lernprozesse unerschrocken
(brave) einzulassen und Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen.
Das Ermöglichen eines konstruktiven, solidarischen Umgangs mit Kritik, der die
Prozesshaftigkeit von Lernprozessen als Ausgangspunkt mit berücksichtigt, trägt
dazu bei, dass Kritik geäußert und auch angenommen werden kann und allen
beteiligten Personen ermöglicht wird, in eine (selbst-)kritische Auseinanderset-
zung zu treten und Verantwortung zu übernehmen für Entwicklungsprozesse und
gemeinsam und kritisch-solidarisch an einer Veränderung von Dominanzverhält-
nissen und Machtdynamiken zu arbeiten. Das bedeutet, Reflexionsräume inklu-
Macht- und diskriminierungskritische Professionalisierung von . . . 1013

siver und solidarischer3 zu gestalten – im Sinn von Brave(r) Spaces,4 in denen


Reflexions-, Arbeits- und Veränderungsprozesse gemeinsam konstruktiv und
gleichberechtigt gestaltet werden können.

5 Beratung – Begleitung von Ver-un_gewisserung

Für eine Professionalisierung in diesem Sinn, für eine (selbst-)kritische Auseinan-


dersetzung mit Dominanz- und Diskriminierungsstrukturen nicht nur in der For-
schungspraxis, sondern auch in der Publikations- und Lehrpraxis sowie auf institu-
tioneller/organisationaler Ebene sind Beratungsformen wie Coaching/Supervision
sowie Team- und Organisationsentwicklung/-beratung geeignet, strukturierte pro-
fessionelle Begleitung und Unterstützung dieser Prozesse zu bieten. Auch für die
Beratungsarbeit selbst ist dabei ein macht- und diskriminierungskritischer Ansatz
und entsprechende Professionalisierung von zentraler Bedeutung – nicht nur, um
z. B. in Team-Supervision, Gruppen-Coaching und Teamentwicklung Machtdyna-
miken und Positioniertheiten in Teams und Gruppen (Leitungsteams, Forschungs-
teams, Gremien, Arbeitsgruppen etc.) intersektional reflektierbar und bearbeitbar zu
machen. Auch die kritische Reflektion gesellschaftlich-institutioneller Macht- und
Ausgrenzungsstrukturen und der eigenen Verstricktheit in diese gilt es ebenso – in
Teams, in der individuellen Beratung, im Einzelcoaching wie auch in der Organisa-
tionsberatung – professionell zu begleiten und zu unterstützen. Hier braucht es im
Wissenschafts- und Hochschulkontext zum einen noch eine Veränderung der Pro-
fessionskultur, um derartige Beratungsangebote mit größerer Selbstverständlichkeit
in die Professionalisierung von Forschung, Lehre und institutionellem/organisatio-
nalem Handeln zu integrieren. Zum anderen braucht es eine institutionelle Restruk-
turierung (Auma et al. 2019) im Sinn eines Abbaus von Diskriminierungsstrukturen
auf der Basis einer Anerkennung der fortgesetzten ‚Normalität‘ von Othering und
Diskriminierung in Strukturen, Kulturen und Praxen der Wissensproduktion. Vo-
raussetzung dafür ist ein „Kompetenzaufbau“ (Auma et al. 2019, S. 11) und eine
Erweiterung diskriminierungskritischen Wissens unter Einbeziehung diskriminie-
rungserfahrener Expertise auf struktureller, institutioneller und individueller Ebene,
in Forschungs-, Lehr- und institutioneller Praxis, auf allen Ebenen der Organisati-
onsverwaltung und -leitung wie auch in der Weiterbildung und Beratung. Das heißt,

3
bell hooks betont in ihrem in der Tradition der Critical Pedagogy formulierten Ansatz, dass
Solidarität sich nicht auf gemeinsame Erfahrungen gründen muss, sondern vielmehr die solidari-
sche Auseinandersetzung mit anderen Perspektiven und Erfahrungen als den eigenen bedeutet – im
Sinn einer machtkritischen „Absage an Dominanz“. (hooks 1994, S. 23)
4
Arao und Clemens definieren Brave Spaces als Ergänzung zu der in erster Linie auf den geschütz-
ten Austausch geteilter Erfahrungen und Selbstermächtigung fokussierten Idee von Save Spaces als
Ermöglichen respekt- und verantwortungsvoller Auseinandersetzung und Kritik auf Basis der
Erkenntnis, dass absolute ‚Sicherheit‘ (bzw. ein ‚Außerhalb‘ von Machtverhältnissen) nicht mög-
lich ist. (Arao und Clemens 2013)
1014 S. Lummerding

es geht nicht um „Sensibilisierung“, sondern um macht- und diskriminierungskriti-


sche Professionalisierung. (Gomis 2020a)

6 Professionalisierung (selbst-)kritischen In-Frage-Stellens

„Ein diffuses Sprechen über mehr Vielfalt ist kein effektiver Weg, um Benachteiligungs-
barrieren zu bewegen.“ (Eggers 2016, S. 12)

Der Umstand, dass einem seit Jahren wachsenden Angebot an Weiterbildungs-


und Gleichstellungsprogrammen sowie Diversity-Trainings u. a. eine im Verhältnis
geringe Veränderung von Dominanz- und Diskriminierungsstrukturen gegenüber-
steht, kann sicherlich u. a. darauf zurückgeführt werden, dass zum einen die An-
wendungsbereiche dieser Maßnahmen (Forschung, Lehre, Personalpolitik, Organi-
sationsstrukturen, Leitungsaufgaben) in der Regel als separate Felder behandelt
werden und zum anderen ein durch Managementdiskurse geprägtes „Diversitäts“-
bzw Diversity-Verständnis dominiert, das wenig geeignet ist, den Zusammenhang
der Verteilung von Macht und Ressourcen und Wissensproduktion zugleich auf
epistemischer, bildungspraktischer wie auch strukturell-organisationaler Ebene zu
denken. Anstelle einer Reduktion von Diversity auf Rechtsförmigkeit, demogra-
fische Repräsentation und neoliberal/additiv verstandene Integration kann eine Ver-
änderung von Dominanz- und Diskriminierungsstrukturen nur auf allen genannten
Ebenen durch transformative Restrukturierung erfolgen. (Ahmed 2012; Eggers
2009, 2016)
Für die Reflexion und die Verständigung über die jeweils eigene Involviertheit in
Privilegierungs- oder Diskriminierungsstrukturen, die Reproduktion stereotypisier-
ter Zuschreibungen, Verstrickungen in gesellschaftlich und institutionell geprägte
individuelle Muster und Vorannahmen und deren Effekte in der eigenen forschen-
den, bildenden, organisationalen, Verwaltungs- oder Leitungs-Praxis stellt die Be-
arbeitung privilegierter Abwehr eine zentrale Aufgabe dar. Privilegierte Abwehr ist
unumgänglicher Teil der Auseinandersetzung mit eigenen strukturell privilegierten
Positioniertheiten und eigener Verstricktheit in Diskriminierungsstrukturen. Denn
mit dieser Auseinandersetzung geraten auch Grundlagen des Selbstverständnisses
ins Wanken. Die Abwehr machtkritisch zu reflektieren und zu bearbeiten (z. B. unter-
stützt durch Beratung, Coaching, Supervision, im Rahmen von brave(r) spaces) ist
Voraussetzung für Lern- und Veränderungsprozesse als Prozesse der Verungewisse-
rung/Verunsicherung, des Teilens von (Definitions-)Macht, der Re-Vision und
Neu-Perspektivierung, Neudefinition und des Entwickelns von Handlungsmöglich-
keiten, um eigene Privilegien zu nützen für das Verändern von Dominanzverhältnissen.
Wenn Kritik und das In-Frage-Stellen bisheriger ‚Gewissheiten‘ als zentraler
Aspekt von Wissensproduktion/Wissenschaft verstanden werden kann, so ist das
(selbst)kritische In-Frage-Stellen jener ‚Gewissheiten‘, die die Grundlage für Domi-
nanz- und Diskriminierungsverhältnisse bilden, als wesentlicher Teil der Professio-
nalisierung hinsichtlich eines entsprechenden Professionsverständnisses zu begrei-
fen. Von Wissenschaftsfreiheit* zu sprechen ist in diesem Sinn nicht möglich, ohne
Macht- und diskriminierungskritische Professionalisierung von . . . 1015

über Diskriminierung zu sprechen. Es gilt also aktiv dafür einzutreten, dass Wissen-
schaft und deren Institutionen ein inklusiver Ort machtkritischen In-Frage-Stellens
und der solidarisch-kritischen Auseinandersetzung für alle sind.

Literatur
AG-Gender/Queer-Studies. 2021. Statement der AG Gender/Queer Studies und Medienwissen-
schaft der Gesellschaft für Medienwissenschaft zum Netzwerk Wissenschaftsfreiheit. https://
netzwerk-wissenschaftsfreiheit.org/ag-gender-queer-studies/. Zugegriffen am 08.11.2021.
Ahmed, Sara. 2012. On being included: Racism and diversity in institutional life. Durham: Duke
University Press.
Arao, Brian, und Kristi Clemens. 2013. From safe spaces to brave spaces: A new way to frame
dialogue around diversity and social justice. In The art of effective facilitation: Reflections from
social justice educators, Hrsg. Lisa Landreman, 135–150. Sterling, VA: Stylus.
Auma, Maisha Maureen, Katja Kinder, und Peggy Piesche. 2019. Diversitätsorientierte institutio-
nelle Restrukturierungen – Differenz, Dominanz und Diversität in der Organisationsweiter-
entwicklung. Impulse zu Vielfalt 2(3). https://www.deutsch-plus.de/wp-content/uploads/2019/
12/ifv-1903-auma-kinder-piesche.pdf. Zugegriffen am 08.11.2021.
Digoh, Laura, und Nadine Golly. 2015. Kritisches Weißsein als reflexive und analytische Praxis zur
Professionalisierung im Bildungsbereich. In Wie Rassismus aus Schulbüchern spricht: Kritische
Auseinandersetzung mit „Afrika“-Bildern und Schwarz-Weiß-Konstruktionen in der Schule –
Ursachen, Auswirkungen und Handlungsansätze für die pädagogische Praxis, Hrsg. Elina
Marmer und Papa Snow, 54–72. Weinheim: Beltz.
Eggers, Maureen Maisha. 2009. Same Differences: Interkulturelle Pädagogik meets dekonstrukti-
vistische Geschlechterforschung. Einige Schwarze Theoretisierungen. In Rassismuskritik Bd 2 –
Rassismus und politische Bildungsarbeit, Hrsg. Rudolf Leiprecht und Wiebke Scharathow,
135–153. Münster: Waxmann.
Eggers, Maisha Maureen. 2016. Thematisierung von Diskriminierungsschutz in der Hochschul-
lehre: Hemmungen und Ambivalenzen. In Diskriminierungskritische Lehre. Denkanstöße aus
den Gender Studies, Hrsg. Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien, 10–14. Berlin:
Humbold Universität.
Fachverband Gender_Diversity. 2014. Stellungnahme des G_D FV zu aktuellen Diffamierungen
von antidiskriminatorischen Ansätzen in wissenschaftlicher Forschung, Lehre, Bildungs- und
Beratungsarbeit. https://www.gender-diversity.de/stellungnahme-des-g_d-fv-zu-aktuellen-diffa
mierungen-von-antidiskriminatorischen-ansaetzen-in-wissenschaftlicher-forschung-lehre-bil
dungs-und-beratungsarbeit/. Zugegriffen am 25.10.2021.
Forum Antirassismus Medienwissenschaft. 2021. Statement des Forum Antirassismus der Gesell-
schaft für Medienwissenschaft zum Netzwerk Wissenschaftsfreiheit. https://netzwerk-wissen
schaftsfreiheit.org/forum-antirassismus-medienwissenschaft-fam/. Zugegriffen am 08.11.2021.
Geena Davis Institute on Gender and Media. 2015. https://seejane.org. Zugegriffen am 08.11.2021.
Goel, Urmila. 2020. Freundlichkeit gegenüber Fehlbarkeiten – ein Ansatz für diskriminierungs-
kritische Bildungsarbeit. In Migrationsgesellschaftliche Diskriminierungsverhältnisse in Bil-
dungssettings, Hrsg. Susanne Bücken, Noelia Streicher, Astride Velho, und Paul Mecheril,
147–165. Wiesbaden: Springer.
Gomis, Saraya. 2020a. Rassismus-Debatte: „Es wird schmerzhaft“. Süddeutsche Zeitung, 29. Juni
2020. https://www.sueddeutsche.de/kultur/struktureller-rassismus-deutschland-interview-sa
raya-gomis-1.4946962. Zugegriffen am 02.08.2021.
Gomis, Saraya. 2020b. Vorwort. In: Rassismuskritische Öffnung, Hrsg. Sebastian Seng und Nora
Warrach, 2–3. Düsseldorf: Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit
(IDA). https://www.idaev.de/fileadmin/user_upload/pdf/publikationen/Reader/Broschuere_
RKOE_II_Screenversion_final.pdf. Zugegriffen am 02.08.2021.
1016 S. Lummerding

hooks, bell. 1992. The oppositional gaze_ Black female spectator. In Black looks: race and
representation, Hrsg. bell hooks, 115–131. Boston, MA: South End Press.
hooks, bell. 1994. Teaching to transgress. Education as the practice of freedom. New York:
Routledge.
Lotter, Maria Sibylla. 2021. Gegen „Cancel Culture“ an Unis. Deutschlandfunk Kultur v.
04.02.2021. https://www.deutschlandfunkkultur.de/netzwerk-wissenschaftsfreiheit-gegen-can
cel-culture-an-unis.1008.de.html?dram:article_id¼492021. Zugegriffen am 14.10.2021.
Lummerding, Susanne. 2019. Zur Herstellung von Wissen und Diversität – un_bedingte Frage der
Profession. In Praxishandbuch Habitussensibilität und Diversität in der Hochschullehre, Hrsg.
Birte Heidkamp und David Kergel, 69–81. Wiesbaden: VS Springer.
Lummerding, Susanne, und Sybille Wiedmann. 2022. Diversity. Machtkritische Impulse für die
Beratungspraxis. Mini-Handbuch. Weinheim: Beltz.
Mulvey, Laura. 1975. Visual pleasure and narrative cinema. Screen 16(3): 6–18.
Netzwerk Wissenschaftsfreiheit. 2021. https://netzwerk-wissenschaftsfreiheit.org. Zugegriffen am
14.10.2021.
Sarkeesian, Anita. 2012. Tropes vs women. https://www.kickstarter.com/projects/566429325/
tropes-vs-women-in-video-games/. Zugegriffen am 08.11.2021.
Spivak, Gayatri Chakravorty. 1996. Bonding in Difference, interview with Alfred Arteaga (1993–
94). In The Spivak reader: Selected works of Gayatri Chakravorty Spivak, Hrsg. Donna Landry
und Gerald MacLean, 15–28. London: Routledge.
Sun-Higginson, Shannon. 2013. Get the F*uck Out. https://www.kickstarter.com/projects/
shannonsun/gtfo. Zugegriffen am 08.11.2021.
Feministische Kommunikations- und
Medienforschung: Rückblick – Ausblick

Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl und Viktorija Ratković

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1018
2 Forschungslücken und Herausforderungen in der feministischen Medienforschung . . . . . 1019
3 Methodendiskussion: Neue und alte Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1022
4 Universitäre Situation für feministische Medienforschung und feministische
Forscher:innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1025
5 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1027
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1028

Zusammenfassung
Die feministische Kommunikations- und Medienforschung hat in den letzten
Jahrzehnten sowohl mit theoretischen und methodologischen Interventionen als
auch mit empirischen Studien beeindruckende Arbeit geleistet. Aufgrund gesell-
schaftlicher, ökonomischer und politischer Entwicklungen haben sich For-
schungsfragen und -zugänge laufend verschoben und zum Teil jeweils neue
Relevanz bekommen. Aktuelle wichtige Themenfelder und Herausforderungen
betreffen zum einen postfeministische Ambivalenzen und Entwicklungen im
feministischen Aktivismus, zum anderen den Kontext neuer Technologien, ins-
besondere algorithmische Verzerrungen und Diskriminierungen bei Big Data,
Künstlicher Intelligenz und Maschinen-Lernen. Dadurch bekommt auch die
Methodendiskussion, Fragen quantitativer wie qualitativer Forschungsmethoden
und intersektionaler Forschungsdesigns neue Bedeutung. Gegenwärtige neoliberale
Veränderungen, die an den Universitäten die Räume für kritische Wissenschaft und
Forscher:innen beschränken, betreffen zudem insbesondere (queer-)feministische

J. Dorer (*) · B. Geiger


Universität Wien, Wien, Österreich
E-Mail: johanna.dorer@univie.ac.at; brigitte.geiger@univie.ac.at
B. Hipfl · V. Ratković
Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich
E-Mail: brigitte.hipfl@aau.at; viktorija.ratkovic@aau.at

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 1017
J. Dorer et al. (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20707-6_80
1018 J. Dorer et al.

Forscher:innen, als Gender Studies nach wie vor nur in Ansätzen institutionalisiert
sind und auch zunehmend antifeministischen Angriffen ausgesetzt sind.

Schlüsselwörter
(Qeer-)feministische Medienforschung · Forschungslücken · Feministische
Methodendiskussion · Feministische Forscher:innen · Universitäre
Gleichstellungspolitik · Neoliberale Universitätsausrichtung

1 Einleitung

Die Beiträge in diesem Handbuch und andere rezente Publikationen (z. B. Peters und
Seier 2016; Harvey 2020; Twentieth anniversary issue of Feminist Media Studies
2021) zeigen auf, dass die feministische Kommunikations- und Medienforschung in
den letzten Jahrzehnten sowohl mit theoretischen und methodologischen Interven-
tionen als auch mit empirischen Studien beeindruckende Arbeit geleistet hat. Gleich-
zeitig wird deutlich, wie sich Forschungsfragen und -zugänge mit den gesellschaft-
lichen, ökonomischen und politischen Entwicklungen zum Teil verschoben, zum
Teil neue Relevanz bekommen haben und an welchen Stellen verstärkte Anstren-
gungen nötig sind. Dies zeigt sich etwa anhand der Frage, ob von feministischer,
queer-feministischer und/oder intersektionaler Kommunikations- und Medienfor-
schung die Rede ist/sein sollte. Zentral ist dabei die Überlegung, welche Aspekte
jeweils im Fokus stehen bzw. was jeweils wie Berücksichtigung findet. Zum Teil
durchaus kontrovers diskutiert wird etwa, ob ‚queer‘ im Grunde (nur) für sexualitäts-
politische Aspekte steht und beispielsweise race und class eher nur ‚mit meint‘.
(Castro Varela und Gutiérrez Rodríguez 2000; Johnson und Henderson 2005; Lau-
fenberg 2019) Aber auch die Ansicht, dass ‚feministisch‘ per se mit einer intersek-
tionalen Perspektive gleichzusetzen sei, bedarf einer kritischen Auseinandersetzung
– wie gerade historische Auseinandersetzungen darüber, für wen oder was Femi-
nismus steht, zeigen (The Combahee River Collective 2014 [1977]). Dieses Hand-
buch erhebt nicht den Anspruch, diese Fragen endgültig zu klären, sondern will den
Debatten und Argumenten Raum geben und verwendet feministisch als inklusiven
Überbegriff.
Mit seinem spezifischen Fokus macht das Handbuch auch deutlich, dass die
feministische Medienforschung im deutschsprachigen Raum über ein eigenes Profil,
sowohl hinsichtlich der Theorie und Methodenentwicklung als auch hinsichtlich der
Themenschwerpunkte, verfügt. Zu nennen sind hier etwa innovative theoretische
Zugänge in der Film- und Kunstwissenschaft, gesellschaftstheoretische Zugänge, die
sich der kritischen Gesellschaftsanalyse verpflichtet fühlen, Weiterentwicklung der
Journalismus-Theorien, Medienaneignungskonzepte wie Domestizierung oder aber
das Hinterfragen von Basiskategorien der Kommunikationswissenschaft wie Öffent-
lichkeit oder Sichtbarkeit, Dualismen wie Unterhaltung und Information. Metho-
disch ist besonders die von Frigga Haug entwickelte Kollektive Erinnerungsarbeit
hervorzuheben, die in verschiedensten Forschungsarbeiten weiterentwickelt wurde.
Feministische Kommunikations- und Medienforschung: Rückblick – Ausblick 1019

(Queer-)feministische, intersektional angelegte Kommunikations- und Medienfor-


schung zeichnet sich aber auch durch die vielfältigen, interdisziplinären Zugangs-
weisen der Forscher:innen und auch durch das Einbeziehen von und die Kooperation
mit Frauenbewegungen aus. Gerade diese Kooperationen sollten künftig noch weiter
ausgebaut werden, obgleich sie einer wissenschaftlichen Norm-Karriere zuwider-
laufen. Thematisch zeichnet sich die feministische Medienforschung im deutsch-
sprachigen Raum u. a. durch den Rekurs auf die geschlechterspezifische Betrachtung
der historischen Entwicklung unterschiedlicher Mediengattungen, einschließlich
Sprache, Sprachkritik, Sprache als Gewaltverhältnis und Mehrsprachigkeit, aus.
Thematische Erweiterungen lassen sich auch durch die Bereiche Geschlecht/Inter-
sektionalität und Mediensport, durch neue Überlegungen und Forschungsarbeit zu
feministischen Öffentlichkeiten und Öffentlichkeitstheorien wie auch Frauenbewe-
gungen im Kontext von Kunst und traditionellen und digitalen Medien ausmachen.
Zahlreiche Themen, die auch in der internationalen feministischen Medienforschung
aufgegriffen werden, wie Gewalt, Hatespeech, Journalismus, Public Relations oder
neue Kommunikationstechnologien, haben in der deutschsprachigen Forschung eine
andere oder neue Akzentuierung erfahren. Insgesamt hat die (queer-)feministische
Forschung im deutschsprachigen Raum trotz schwieriger institutioneller Rahmen-
bedingungen eine beachtliche thematische Breite entwickelt und einen kaum mehr
überschaubaren Umfang erreicht.

2 Forschungslücken und Herausforderungen in der


feministischen Medienforschung

Neue gesellschaftliche Situationen und Herausforderungen zeigen zwar laufend die


Notwendigkeit innovativer Forschungsfragen und -zugänge auf, doch ebenso wich-
tig ist das Wiederaufgreifen früher Themen der Frauenbewegung und erster femi-
nistischer Forschungserkenntnisse, um diese in neue Kontexte sowie aus einer
intersektionalen Perspektive einordnen zu können. Dies gilt insbesondere bezüglich
des in der Zweiten Frauenbewegung sehr früh in die Öffentlichkeit getragenen
Themas der sexualisierten Gewalt. Dieses ist unter dem Vorzeichen von wieder-
aufflammendem Antifeminismus und Antigenderismus, von Misogynie, Opferdis-
kursen privilegierter Männer, die sexueller Gewalt beschuldigt werden, zunehmen-
den Femiziden, international vernetzter Internet-Pornografie und weit um sich
greifender Hatespeech in sozialen Netzwerken nach wie vor hoch aktuell. Auseinan-
dersetzungen mit Fragen von Macht-, Herrschafts- und Gewaltverhältnissen dürfen
sich nicht auf die Kategorie Geschlecht und Sexualität beschränken, sondern müssen
auch u. a. Rassismus, Dis-/Ability sowie Klassismus in den Blick nehmen. Gerade
vor dem Hintergrund der algorithmischen Verzerrungen und Diskriminierungen bei
Big Data, Künstlicher Intelligenz und Maschinen-Lernen sind Forschungsfragen zu
konzipieren, die kritische Ansätze und Perspektiven in den Fokus rücken – etwa
post- und dekoloniale Theorien oder die kritische Auseinandersetzung mit Men-
schenrechten. (Suzor et al. 2019; Siapera 2022; Banet-Weiser 2021; Noble 2018; im
Kontext von MeToo z. B. Chandra und Erlingsdóttir 2020; Fileborn und Loney-
1020 J. Dorer et al.

Howes 2019; Sauer 2019; Geiger und Wolf 2023) Der Krieg in der Ukraine hat
zudem die drängende Aktualität und Notwendigkeit von vertieften feministischen
Perspektiven auf Krieg und Frieden im Kontext medialer und propagandistischer
Polarisierung eines Spannungsfelds neoimperialer Kolonisierung versus neoliberaler
Wirtschaftskolonisierung deutlich gemacht.
Dazu kommt das mit der Parole ,das Private ist politisch‘ auf den Punkt gebrachte
politische Verständnis individueller Erfahrungen und Gefühle. In der Zweiten Frau-
enbewegung waren dies insbesondere die Erfahrungen von Hausfrauen, deren Un-
glücklich-Sein Betty Friedan (1966) als Effekt patriarchaler Strukturen, die über die
medialen Bilder von der durch die traditionelle Arbeitsteilung gekennzeichneten
Kernfamilie vermittelt werden, entlarvt hat. Gegenwärtig vorherrschende Gefühls-
strukturen stellen eine Herausforderung für die Forschung dar, werden sie doch als
Effekte aktueller struktureller Ungleichheiten und Dominanzverhältnisse sowie
psychologischer und neoliberaler Rhetorik von Pathologisierung, individueller Res-
ponsibilisierung und Resilienz (McRobbie 2010, 2020; Gill 2007) bzw. als wider-
sprüchliche, miteinander verwobene Prozesse von ‚populärem Feminismus‘ und
Misogynie (Banet-Weiser 2018) verstanden. Angela McRobbie verweist in diesem
Zusammenhang auf die kulturelle Arbeit, die Medien und Populärkultur leisten, um
die von feministischen Bewegungen ausgehenden Forderungen nach gesellschaftli-
chen Veränderungen unter Kontrolle zu halten und normative Vorstellungen von
Weiblichkeit zu forcieren, die mit neoliberaler Logik, Konkurrenz, Konsumkultur
und Kapitalismus vereinbar sind. Die Zelebrierung erfolgreicher Frauen in Füh-
rungspositionen geht Hand in Hand mit einer Abwertung von Misserfolgen und der
Aufforderung, an den eigenen Inkompetenzen zu arbeiten und Resilienz zu ent-
wickeln. Im Unterschied zur postfeministischen Sensibilität um die Jahrtausend-
wende wird nun zwar explizit auf feministische Elemente (wie Ermächtigung und
Wahlfreiheit) Bezug genommen, aber auf individuelle Leistung und Fortkommen
statt auf staatliche Rahmenbedingungen und Chancengleichheit fokussiert und so
Solidarität unter Frauen über soziale Klassen hinweg behindert (McRobbie 2010,
2020; Rottenberg 2022). Allerdings hat die Corona-Pandemie auf dramatische Weise
unsere wechselseitigen Abhängigkeiten vorgeführt und damit auch das Feld für
feministische Interventionen, die unsere existentielle Abhängigkeit von anderen
betonen und für ein radikaleres Verständnis von Sorgearbeit plädieren, aufbereitet
(Butler 2005; The Care Collective 2020). In welcher Weise dies in den Medien
aufgegriffen wird, gilt es noch zu untersuchen.
Verstärkt gefragt sind auch theoretische Zugänge, die in der Lage sind, die
Ambivalenzen, die verschiedene Formen von feministischem Aktivismus – von
Celebrity-Feminismus und Popfeminismus bis Hashtag-Aktivismus – kennzeichnen,
zu fassen. Es bietet sich an, diese Aktivitäten als pharmakon zu verstehen, d. h. als
etwas, das sowohl Heilmittel als auch Gift, positiv und negativ, Möglichkeiten
eröffnend und einschränkend sein kann (Wiens und MacDonald 2021).
Wie feministische Forschung generell ist auch die feministische Medien- und
Kommunikationswissenschaft gefordert, sich nicht auf Erkämpftem und erarbeiteten
Einsichten auszuruhen, sondern ständig kritisch zu hinterfragen, was als richtig gilt
bzw. was bestehende Macht- und Ungleichheitsverhältnisse stützt (Purtschert 2021,
Feministische Kommunikations- und Medienforschung: Rückblick – Ausblick 1021

S. 137) Dazu gehört auch eine Sensibilisierung für zur Gewohnheit gewordene
Zitierpraktiken, die sich auf spezifische Autor:innen und Zugänge konzentrieren,
wodurch andere Arbeiten, Entwicklungen und potenziell produktive neue Verknüp-
fungen aus dem Blick geraten (Hemmings 2011).
Eine bedeutsame Lücke in der Erforschung feministischer Anliegen kann in der
bisher unzureichenden Beschäftigung mit den gesellschaftspolitischen Kontexten
neuer Technologien und Zukunftstechnologien gesehen werden. Es gibt noch zu
wenig detaillierte Erkenntnisse zu Sexismus, Rassismus und Klassismus in neuen
sozialen Medien, wenngleich mehrere Studien bereits die Schieflage nachweisen.
Aber vor allem fehlt es noch an Konzepten und Ideen für eine medienpolitische,
medienökonomische und medienrechtliche Veränderung der derzeitigen unbefriedi-
genden Situation bezüglich der weltweit agierenden Medienkonglomerate und ins-
besondere der Online-Konzerne Amazon, Apple, Alphabet (Google), Microsoft und
Meta (Facebook). Hier kann an feministische Erkenntnisse zu Medienpolitik und
globaler Governance angeknüpft werden (Kassa et al. 2019, 2021) Feministische
Theorieansätze und empirische Forschung zu Medienökonomie und Medienrecht
müssten unter Berücksichtigung gesellschaftlicher Nachhaltigkeit aber noch kon-
sequenter angegangen werden – für demokratiepolitische und geschlechtergerechte
Regelungen der oben genannten „big five“. Es geht dabei nicht allein um Frauen-
und Männeranteile in Entscheidungspositionen, sondern vor allem darum, einen
feministischen Ansatz der politischen Ökonomie zu entwickeln, der geeignet ist,
sämtliche Kontexte in den Blick zu nehmen: Eigentums- und Produktionsverhält-
nisse, Vermarktung und Anwendung sowie die aus allen Aspekten folgenden Kon-
sequenzen für Demokratie, Menschenrechte, globale Hegemonieprozesse und
Klimaveränderung.
Ein Themenbereich, der ebenfalls in der feministischen Medienwissenschaft ins
Zentrum der Forschungsanstrengungen rücken müsste, sind Überlegungen zum
theoretischen und empirischen Zugang zu Big Data und Künstlicher Intelligenz.
Vier Charakteristika kennzeichnen dabei den Begriff Big Data: Volumen der Daten-
menge, Vielfalt (Text, Bild, Audio und Videofiles), Schnelligkeit und Datenqualität.
(Veglis und Maniou 2020). Künstliche Intelligenz (KI) bezieht sich im weitesten
Sinne auf Computersysteme, die menschliche Intelligenz nachahmen, wie logisches
Denken, Sprachverarbeitung, visuelle Interpretation etc. Ein Set aus Algorithmen
und Anweisungen für Problemlösungen bildet dabei die Basis für das Maschinen-
Lernen (ML), um anhand von mathematischen Modellen aus Stichproben und
„Trainingsdaten“ Vorhersagen und Entscheidungen zu treffen, wobei Feedback-
Schleifen zur Verbesserung und Genauigkeit der Vorhersage eingebaut werden.
(Uzun-Weidner 2020) Konkret ist die Erforschung der differenten bzw. diskriminie-
renden Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz, algorithmisch gesteuerter Kom-
munikation, von unzureichendem Datenschutz und ungleichem Zugang zu Daten
notwendig. Denn mit zunehmender Erzeugung, Sammlung und Speicherung riesiger
Datenmengen sind Künstliche Intelligenz und Maschinen-Lernen zentrale Bestand-
teile von oft weitreichenden Entscheidungen, die sämtliche Lebensbereiche be-
treffen, wie Wissenschaft, Medien, Werbung, Unterhaltung, Gesundheitswesen
oder Verwaltung. Indem Entscheidungskompetenzen immer häufiger an diese
1022 J. Dorer et al.

Technologien übertragen werden, kommt es zu algorithmischen Verzerrungen und


vielschichtigen Diskriminierungsformen, da bereits in den Daten, die den Entschei-
dungen zugrunde liegen, Aspekte der Ungleichheit codiert sind, was sich in der
Verarbeitung durch Maschinen-Lernen fortsetzt. Auch eine Weiterentwicklung,
wie etwa das Einbeziehen semi-automatischer Prozesse (z. B. bei Amazon für
Crowdworking implementiert), kann zu transnationalen Ausbeutungspraktiken
zum Nachteil der Beschäftigten des globalen Südens führen. (Allhutter 2019) Es
ist daher ein Konzept ethischer Rahmenbedingungen notwendig, das auf Über-
legungen feministischer Epistemologie und kritischer intersektionaler Theorie ba-
siert, wie es beispielsweise von Leavy, Siapera und O’Sullivan (2021) entwickelt
worden ist.

3 Methodendiskussion: Neue und alte Aspekte

Die Verwendung und Analyse von Big Data in der empirischen Forschung ist ein
weiterer Aspekt der Künstlichen Intelligenz, der deutlich mehr Beachtung finden
sollte. Gerade in der Mainstream-Forschung wird zunehmend Wissen aus großen
Datenmengen mittels Maschinen-Lernen und Data-Mining generiert, wobei Verzer-
rungen bezüglich Geschlecht und weiterer Differenzkriterien kaum Aufmerksamkeit
geschenkt wird. In der feministischen Medienforschung gibt es bezüglich der An-
wendung dieser Methoden eine kritische Distanz. Zwar muss hier eine methoden-
kritische Reflexion erfolgen, die die Limitationen von Data-Mining und Text-
Mining sowie die logarithmischen Verzerrungen bei Maschinen-Lernen transparent
und nachvollziehbar macht. Wichtig wäre es aber darüber hinaus, gemeinsam mit
feministischen Informatiker:innen die Möglichkeiten für neue Erkenntnisse bezüg-
lich medienwissenschaftlicher Fragestellungen auszuloten und einen neuen Umgang
mit Big Data im Sinne feministischer und antirassistischer Überlegungen zu ent-
wickeln, um hier den Anschluss an eine bedeutende Zukunftsentwicklung nicht zu
verpassen.
Eine Zusammenarbeit mit feministischen Informatiker:innen müsste es auch im
Rahmen von Entwicklungs- und Begleitforschung im Kontext jener feministischen
Praktiken geben, bei denen Aktivist:innen mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz
gegen Hass, Antifeminismus und Rassismus im Netz auftreten, indem sie etwa
mittels der Entwicklung von Programmdesigns effiziente Counter-Bots im Netz
setzen. (Alexandrowicz et al. 2020)
In diesem Kontext ist auch eine neue Diskussion anzustoßen, die sich mit der
Qualität von Daten im Forschungsprozess auseinandersetzt. Dabei geht es nicht nur
um Big Data, Plattform-Strukturen und user-generierte Daten, sondern generell um
die kritische Reflexion darüber, wie Daten erzeugt, erhoben, verarbeitet und wie sie
analysiert, interpretiert und visualisiert werden, immer vor dem Hintergrund, dass
Daten seit der elektronischen Revolution einen neuen gesellschaftspolitischen Stel-
lenwert erhalten haben. (Luka und Leurs 2020)
Ein weiterer Aspekt, der die Epistemologie und Methodenentwicklung in der
feministischen Forschung betrifft, ist die nach wie vor wichtige Debatte über die
Feministische Kommunikations- und Medienforschung: Rückblick – Ausblick 1023

Anwendung und das Verhältnis von quantitativen und qualitativen Forschungs-


designs (Kinnebrock 2022). So überwiegen derzeit in der feministischen Empirie
eindeutig Arbeiten, die sich qualitativer Methoden bedienen. Außer Diskussion
steht, dass qualitative Forschungsdesigns in Bezug auf Genderfragen – gerade weil
sich die gesellschaftliche Konstruktion von Differenzen immer subtiler gestaltet –
einen adäquateren Methodenansatz zur wissenschaftlichen Erkenntnis bieten. Dabei
hat die feministische Medienforschung das gesamte Repertoire qualitativer Metho-
den für eigene Forschungsfragen zur Anwendung gebracht und insbesondere auch
jene in den Sozialwissenschaften eher wenig beachteten Methoden, wie etwa eth-
nografische Forschungsmethoden oder die Methode der Erinnerungsarbeit – ein
direkt aus feministischem Erkenntnisinteresse hervorgegangener methodischer An-
satz –, wiederholt aufgegriffen.
Auch bei den methodisch besonders herausfordernden intersektionalen For-
schungsfragen wird qualitativen Methoden der Vorzug gegeben, da mit quantitativen
Methoden soziale Konsequenzen durch die sich überschneidenden Differenzkatego-
rien nur unzureichend erfasst werden können (Gouma und Dorer 2019). Die Schwie-
rigkeit der Erforschung intersektionaler Phänomene ergibt sich aus der Komplexität,
die eine Berücksichtigung mehrerer Differenzkategorien auf verschiedenen Ana-
lyseebenen mit sich bringt. Doch erste Versuche, intersektionale Fragenstellungen
quantitativ zu bearbeiten, wie etwa in der Studie von Scott und Siltanen (2017)
vorgezeigt, sind eine sinnvolle und wichtige Ergänzung zu bisher präferierten
Ansätzen. Damit zeichnet sich auch in der intersektionalen Medienforschung eine
Entwicklung wie bei anderen feministischen Forschungsarbeiten ab, dass zuneh-
mend auf Methodentriangulation oder ein mixed-methods-Forschungsdesign gesetzt
wird.
Ungeachtet der besonderen Bedeutung qualitativer Forschungsmethoden für
die feministische Medienforschung sollten quantitative Methoden zukünftig
wieder eine bedeutendere Rolle spielen. Beispielsweise hat Djerf-Pierre (2011)
gezeigt, dass neue Erkenntnisse durch eine sinnvolle Verknüpfung der Metadaten
des Global Media Monitoring Projects (GMMP) mit verschiedenen internationa-
len Demokratie-Indizes1 gewonnen werden können. Auf diese Weise konnte
Djerf-Pierre die Frage, ob ein höherer Frauenanteil im Journalismus zu einer
geschlechtersensibleren Berichterstattung führen würde, dahingehend empirisch
beantworten, dass die entscheidenden Faktoren nicht der Frauenanteil, sondern
der Grad der Entwicklung der Frauenemanzipation in einem Land sowie der
öffentliche und private Diskurs zur Gleichstellung der Geschlechter in der jewei-
ligen Gesellschaft sind.

1
Dazu gehört der Gender Gap Index des World Economic Forums, der die Gleichberechtigung in
einem Land nach mehreren Kriterien misst, der OECD-Index zum Frauenanteil in nationalen
Parlamenten, der Women’s and economics and social rights Index nach Cingranelli und Richards,
der Frauenrechte auf der gesetzlichen Ebene abbildet, und die Equality Scale nach Ingelhart und
Norris, die Einstellungen zu Geschlechterfragen misst.
1024 J. Dorer et al.

Neben innovativen Anwendungsmöglichkeiten quantitativer Verfahren sind


die üblichen standardisierten quantitativen Methoden der Sozialwissenschaft – so
wie sie zu Beginn der feministischen Medienforschung mehrheitlich angewandt
wurden – auch nach wie vor wichtig, um dem Anspruch feministischer For-
schung gerecht zu werden, einen Beitrag zur Überwindung gesellschaftlicher
Geschlechterhierarchien zu liefern und Teil der Umsetzung in die politische
Praxis zu sein. Denn ein wesentliches Argument, das für die Anwendung quan-
titativer Forschungsmethoden spricht, ist die bessere Verwertbarkeit, um mit hard
facts politisch argumentieren und politische Veränderungen einleiten zu können.
Quantitative Forschungsergebnisse sind notwendige Basis für Forderungen und
Aktivitäten der Frauen- und Minderheitenbewegungen. Den Limitationen betref-
fend Essentialisierung von Differenzkategorien bei quantitativer Forschung ist
mit dem von Gayatri Spivak (1996, S. 214) eingeführten Begriff des „strategi-
schen Essentialismus“ zu begegnen, der nicht als essenzialisierendes kollektives
Bewusstsein zu verstehen ist, sondern als Subjektposition, die es Akteur:innen
mit unterschiedlichen Identitätsdimensionen ermöglicht, eine solidarische, poli-
tische Handlungsfähigkeit zu erlangen. Beispielsweise sind quantitative Daten
zum Berufsfeld Journalismus relevant, denn sie belegen den geringen Frauen-
anteil, vor allem in höheren Positionen, und sie belegen den marginalen Anteil
von Journalistinnen mit Migrationsgeschichte in diesem Berufsfeld (Röben
2022). Ein weiteres Beispiel für die Bedeutung quantitativer Daten ist das Global
Media Monitoring Project (GMMP 2020), das im Fünfjahresabstand die welt-
weite Entwicklung – sowohl Fortschritte als auch Rückschritte – in der ge-
schlechterdifferenzierten Berichterstattung dokumentiert. Im europäischen Kon-
text ist auf das European Institute for Gender Equality (EIGE) zu verweisen.
Neben einer Fülle an empirischen Studien zu verschiedenen Aspekten der
Gleichbehandlung oder der Entwicklung von Gender-Equality-Indizes werden
auch quantitative Erhebungen und Empfehlungen für die Medienorganisationen
in den EU-Ländern erarbeitet. (EIGE 2013)
Generell ist (queer-)feministische, intersektional angelegte Forschung ständig
gefordert, Praktiken der Wissensproduktion kritisch zu reflektieren. Ausgehend
von der Einsicht, dass Wissen situiert und kontextabhängig ist, stellt sich die Frage,
in welcher Weise die historische, soziale, kulturelle und ökonomische Verortung der
Forschenden nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern produktiv gemacht werden
kann. Beispiele für Feministinnen, die den eigenen gefühlsmäßigen Reaktionen,
Irritationen etc. eine zentrale Rolle für die Erkenntnisgewinnung zuschreiben, sind
Maya Nadig (2004) mit ihrem ethnopsychoanalytischen Zugang, Valerie Walkerdine
(Hipfl und Marschik 2011) und Frigga Haugs kollektive Erinnerungsarbeit (Haug
1999; auch Hipfl 2021a). Aktuelle Zugänge sind von post- und dekolonialen Theo-
rien bzw. von Affekttheorien gespeist und argumentieren, dass im ‚staying with‘ den
oft als unangenehm erlebten Gefühlen im Forschungsprozess, die Ausdruck der
komplexen Verwobenheit von körperlichen, diskursiven, intersubjektiven Relatio-
nen und Machtdynamiken sind, andere Formen des Wissens eröffnet werden können
(siehe z. B. Chadwick 2021).
Feministische Kommunikations- und Medienforschung: Rückblick – Ausblick 1025

4 Universitäre Situation für feministische Medienforschung


und feministische Forscher:innen

Wie kritisches (queer-)feministisches Wissen unter den gegenwärtigen Bedingungen


an Universitäten produziert werden kann, wird seit einigen Jahren intensiv diskutiert.
Zum einen ist Feminismus erstmals universitär institutionalisiert und hat als Teil
einer gesellschaftlich mächtigen Einrichtung auch eine besondere gesellschaftliche
Verantwortung, neben intellektueller Kritik auch institutionelle Kritik zu üben. (Hark
2009, S. 25, 32) Zum anderen machen sich Antifeminismus und Antigenderismus
auch an den Universitäten bemerkbar. Dazu kommt die Transformation von Univer-
sitäten zu unternehmerischen Einheiten, die sich an Management-Kriterien und
Kennzahlen orientieren sowie metrisierte Leistungsmessung und eine indikatoren-
gestützte Steuerung von Forschung und Lehre vornehmen. Was bedeuten die daraus
resultierenden neuen Sichtbarkeitsregime und die Ausrichtung der Universitäten
darauf, sich im globalen Wettkampf zu behaupten, für (queer-)feministische For-
scher:innen, für Gender Studies und für die Produktion wissenschaftlichen Ge-
schlechterwissens bzw. herrschaftskritischen Wissens generell? (Hark und Hofbauer
2018, S. 14–19) Ein Effekt ist, dass es für Forscher:innen immer wichtiger wird, ihr
wissenschaftliches Leben zu managen und z. B. Publikationen strategisch zu planen,
um die eigenen Kennzahlen zu verbessern. Dies gelingt nur, wenn sich die eigene
Forschung nicht zu weit vom Mainstream entfernt und vor allem reichweitenstarke
Forschungsthemen aufgegriffen werden. Genderthemen sind dabei – vor allem,
wenn sie mit innovativen theoretischen Konzepten argumentieren – für eine wissen-
schaftliche Karriere wenig geeignet. Die Daten, die für Monitoring und für den
Vergleich wissenschaftlicher Leistungen produziert werden, fungieren aber auch als
‚motivational technologies‘ – sie veranlassen Wissenschaftler:innen, selbst das
anzustreben, was von ihnen erwartet wird. (Staunæs und Brøgger 2020, S. 430)
Die Sichtbarmachung von Leistungen durch quantifizierbare Kriterien (publication
record, SSCI, H-Index etc.) bzw. auf diversen Websites wie ResearchGate oder
Academia.edu produziert unterschiedliche affektive Reaktionen – von Stolz, Be-
wunderung, Eitelkeit bis zu Scham, Neid und Angst, die angestrebte Leistung nicht
erbringen zu können oder als unfähig aufgedeckt zu werden (Gill 2016). Diese
affektiven Dimensionen im akademischen Alltag sind zum einen als Antriebskraft
wirksam und schlagen sich z. B. in hohem Engagement nieder, das bis zu Selbst-
ausbeutung geht. (Gregg 2010) Zum anderen haben diese affektiven Dynamiken
blockierende und hemmende Effekte (wie etwa von Lauren Berlant [2011] als cruel
optimism charakterisiert), was wiederum überwiegend als individuelles und nicht als
strukturelles Problem gesehen wird. (Hipfl 2021b, S. 101–102)
Die Forschenden und Lehrenden befinden sich in einer spannungsreichen Si-
tuation, wird doch von ihnen erwartet, dass sie messbare, den Zielen der Univer-
sitäten entsprechende Leistungen erbringen. Gleichzeitig wird vieles, das gerade in
(queer-)feministischen Zusammenhängen von großer Bedeutung ist, dort nicht
angemessen abgebildet. So finden sich unter den Q1-Journals (deren Publikationen
als wichtigster Qualitätsnachweis gelten) nur sehr wenige Zeitschriften, die
1026 J. Dorer et al.

innovative feministische Forschung zum Thema haben. Vielmehr zeichnen sich


Q1-Journals dadurch aus, dass überholte Modelle der Genderforschung State of the
Art sind. Für die feministische Medienforschung gibt es nur eine einzige Fachzeit-
schrift, Feminist Media Studies, die von der Scientific Community derart einge-
ordnet wird, was zur Folge hat, dass die wissenschaftlichen Einreichungen bei
weitem die Kapazitäten der Zeitschrift übersteigen. Auch der zusätzliche Arbeits-
aufwand bei Kollaborationen wird nicht angemessen honoriert. (Hark und Hofbauer
2018, S. 33–34) Zudem finden nur solche Aspekte von Sorgearbeit im akademischen
Kontext Anerkennung, die messbar sind und der neoliberalen Ausrichtung der
Universitäten dienen. Anderes findet gar keinen Eingang in die metrisierte Leis-
tungsmessung: Eine Karriereunterbrechung, um in sozialen Organisationen oder
NGOs aktiv zu sein, ist in einer universitären Laufbahn ebenso wenig vorgesehen
wie Karrierebehinderungen, die sich auf Grund des Geschlechts und/oder Migrati-
onserfahrung ergeben können. Solche Karrierevorgaben honorieren kritisches ge-
sellschaftliches Engagement nicht und führen dazu, dass die Verbindung zwischen
feministischer Forschung und Frauenbewegung immer mehr verloren geht. Das
Kapital wissenschaftlicher Reputation beruht heute zu einem großen Teil auf der
Möglichkeit, mobil und flexibel zu sein, um an internationalen Kongressen und
anderen Networking-Veranstaltungen stets präsent sein zu können. Die Mobilität
von Forscher:innen wird in Österreich durch eine Novelle des Universitätsgesetzes
erzwungen, die durch Befristungen einen längeren Verbleib an einer Universität
verhindert.2 In Deutschland gestaltet sich die Situation von Forscher:innen noch
schwieriger, als durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz nach Erreichen der
Höchstgrenze von zwölf Jahren an deutschen Hochschulen (aufgeteilt in sechs
Jahre vor der Promotion und sechs Jahre nach der Promotion) das endgültige Aus
in der Wissenschaft droht. Zunehmend ziehen sich hoch qualifizierte (queer-)
feministische Forscher:innen aus diesen belastenden, stressigen und unbefriedigen-
den Arbeitsbedingungen zurück oder werden aufgrund formaler Vorgaben, aber
auch mithilfe von Diskriminierung und/oder (sexualisierter) Gewalt aus dem Wis-
senschaftssystem gedrängt. (Ahmed 2021; Bahr et al. 2022)
Auch in der Arbeit in universitären Einrichtungen zur Gleichbehandlung werden
die gegenwärtigen ambivalenten Bedingungen für feministische Wissenschaftler:
innen und für feministische Forschung deutlich. Zwar sind Kennzahlen in der
Gleichstellungspolitik wichtig und führen tatsächlich zu einer quantitativen Zunah-
me der Stellenbesetzungen mit Frauen, auch bei Professor:innen. Allerdings geht
damit nicht automatisch ein Zuwachs an (queer-)feministischer, intersektional an-
gelegter Wissensproduktion einher, da die Kriterien für ein erfolgreiches wissen-
schaftliches Profil auf Quantität fokussieren, die leichter mit traditionellen For-
schungsarbeiten, bei denen Gender lediglich als Variable dazu genommen wird,

2
In Österreich gilt beispielsweise eine 6-jährige Tätigkeit als Postdoc oder eine 8-jährige Tätigkeit
als Lehrbeauftragte als maximale Arbeitsdauer an einer Universität. Danach ist Mobilität an eine
andere Universität erforderlich. Eine Entfristung von Stellen gibt es zwar rein rechtlich, in der
Praxis wird davon aber so gut wie kein Gebrauch gemacht. (Bundesministerium Bildung, Wissen-
schaft und Forschung 2021)
Feministische Kommunikations- und Medienforschung: Rückblick – Ausblick 1027

erreicht werden kann. Dagegen finden komplexe und aufwändige wissenschaftliche


Arbeiten, die sich auf die Verwobenheit verschiedener Differenzkategorien und
Möglichkeiten der Umsetzung in gesellschaftlich-politische Praxis konzentrieren,
keinen entsprechenden Niederschlag in metrifizierten Leistungsmessungen (Lum-
merding 2022).
Wie ein Blick auf das Studienangebot in Gender Studies zeigt, sind im deutsch-
sprachigen Raum an vielen Universitäten Studiengänge und Studienschwerpunkte
institutionalisiert, die durch knapp ein Dutzend einschlägiger Graduiertenkollegs
ergänzt werden (Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien o. J.). Wie Hark
und Hofbauer (2018, S. 28) betonen, sind diese Studienangebote für unternehme-
risch orientierte Universitäten attraktiv, als sie nicht nur zur Profilbildung beitragen,
sondern sich auch aufgrund der hohen Studierendenzahlen positiv in entsprechenden
Kennzahlen niederschlagen. Die Studiengänge und Studienschwerpunkte sind
gleichzeitig aber auch für die feministische Forschung ein wichtiges Feld, in dem
freiberufliche und aktivistische (queer-)feministische Wissenschaftler:innen – aller-
dings unter finanziell sehr beschränkten Bedingungen – tätig sein können. Neben der
Bedeutung der Vermittlung notwendiger historischer und theoretischer Grundlagen
kann gerade die Lehre in den Gender Studies als ein Freiraum genutzt werden, um
gemeinsam mit Studierenden aktuelle Fragen und Herausforderungen zu bearbeiten
und neue methodische Zugänge zu erproben.

5 Ausblick

Für die (queer-)feministische, intersektional angelegte Kommunikations- und Me-


dienforschung lässt sich zusammenfassend wohl als eine der zentralen Fragen
formulieren, wo und wie unter den gegenwärtigen Bedingungen Räume geschaffen,
erhalten oder (wieder)entdeckt werden können, in denen produktiv miteinander
gearbeitet und kritische Forschung vorangebracht werden kann. Denn es steht vieles
an: So braucht es sorgfältige und systematische Analysen, ob bzw. wie sich die
Thematisierung von Gender in den verschiedenen Medien verändert hat und in
welcher Weise Medien als ‚technologies of gender‘ weiter funktionieren. Gefragt
ist sowohl die Auseinandersetzung mit anspruchsvollen theoretischen Konzepten als
auch mit den medial sehr präsenten Formen von populärem Feminismus. Dabei ist
von besonderer Relevanz, diese immer daraufhin zu befragen, in welcher Weise sie
jeweils gesellschaftspolitisch bedeutsam sind. Solche Vorhaben brauchen nicht nur
Zeit, sondern erfordern auch die Bereitschaft, sich auf durchaus konflikthafte
Themen einzulassen. Hier liegt das Potenzial von Netzwerken und/oder (queer-)
feministischen Vereinigungen, Tagungen, Workshops oder andere gemeinsame Ar-
beitsformen zu organisieren, die intensive und tiefgehende Auseinandersetzungen
von Forscher:innen und Aktivist:innen ermöglichen. Im deutschen Sprachraum
stellen die Fachgruppe Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht der Deutschen Ge-
sellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft, die Österreichische
Gesellschaft für Geschlechterforschung (ÖGGF) sowie die Fachgruppe Medien
und Geschlechterverhältnisse der Gesellschaft für Medienpädagogik und
1028 J. Dorer et al.

Kommunikationskultur im Rahmen der jährlich durchgeführten Fachtagungen Orte


dafür bereit, die darüber hinaus der Entwicklung von Kooperationen und Kollabo-
rationen förderlich sind. Wie wichtig Community und Zusammenarbeit sind, wurde
u. a. in der Befragung von feministischen Medienforscher:innen anlässlich des 20.
Jubiläums der Zeitschrift Feminist Media Studies mehrmals betont (Bishop 2021).
Nicht nur werden in der Zusammenarbeit unterschiedliche Stimmen hörbar, Kol-
laborationen sind auch eine wichtige Stütze für die einzelnen im akademischen
Überlebenskampf, liefern sie doch neben inhaltlichem Austausch auch Unterstüt-
zung bei der Karriereplanung. Außerdem kann nur gemeinsam gegen antifeministi-
sche und Antigender-Angriffe und Einschüchterungsversuche vorgegangen werden.

Literatur
Ahmed, Sara. 2021. Complaint! Durham/London: Duke University Press.
Alexandrowicz, Rainer W., Christian Bendl, Michael Katzlberger, Barbara Liegl, Martin Reisigl,
und Anna-Laura Schreilechner. 2020. Counter-Bot: Künstliche Intelligenz im Einsatz gegen
rassistische ‚Hasspostings‘? SWS-Rundschau 60(3): 287–308.
Allhutter, Doris. 2019. Of ‚working ontologists‘ and ‚high-quality human components‘. The
politics of semantic infrastructures. In Digital STS. A field guide for science & technology
studies, Hrsg. Janet Vertesi und David Ribes, 326–348. Princeton: Princeton University Press.
Bahr, Amrei, Kristin Eichhorn, und Sebastian Kubon. 2022. #IchBinHanna. Prekäre Wissenschaft
in Deutschland. Berlin: Suhrkamp.
Banet-Weiser, Sarah. 2018. Empowered. Popular feminism and popular misogyny. Durham/Lon-
don: Duke University Press.
Banet-Weiser, Sarah. 2021. ‚Ruined‘ lives: Mediated white male victimhood. European Journal of
Cultural Studies 24(1): 60–80.
Berlant, Lauren. 2011. Cruel optimism. Durham/London: Duke University Press.
Bishop, Sophie. 2021. 16 feminist media studies scholars, 7 questions about working in the
university (and beyond). Feminist Media Studies 21(8): 1338–1359.
Bundesministerium Bildung, Wissenschaft und Forschung. 2021. UOG-Novelle 2021. https://
www.bmbwf.gv.at/Themen/HS-Uni/Hochschulsystem/Gesetzliche-Grundlagen/UG-Novelle-
2021-faq/Fragen-und-Antworten-f%C3%BCr-Universit%C3%A4ts%2D%2Dund-Hochschu
langeh%C3%B6rige.html. Zugegriffen am 16.09.2022.
Butler, Judith. 2005. Gefährdetes Leben. Politische Essays. Frankfurt: Suhrkamp.
Castro Varela, María, und Encarnación Gutiérrez Rodríguez. 2000. Queer Politics im Exil und in der
Migration. In Queering Demokratie, Hrsg. quaestio, 100–112. Berlin: Quer.
Chadwick, Rachelle. 2021. On the politics of discomfort. Feminist Theory 22(4): 536–574.
Chandra, Giti, und Irma Erlingsdóttir, Hrsg. 2020. The Routledge handbook of the politics of the
#metoo movement. London: Routledge.
Djerf-Pierre, Monika. 2011. The difference engine. Gender, equality, journalism and the good
society. Feminist Media Studies 11(1): 43–52.
EIGE. 2013. European Institute for Gender Equality. Women and the media. Advancing gender
equality in decision-making in media organisations. Luxembourg: Publications Office of the
European Union. http://EIGE.europa.eu/sites/default/files/documents/MH3113742ENC-Wome
nand-Media-Report-EIGE.pdf. Zugegriffen am 23.04.2022.
EIGE. European Institute for Gender Equality. http://eige.europa.eu/. Zugegriffen am 23.04.2022.
Fachgruppe Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und
Kommunikationswissenschaft. https://www.dgpuk.de/de/medien-öffentlichkeit-und-ge
schlecht.html. Zugegriffen am 07.09.2022.
Feministische Kommunikations- und Medienforschung: Rückblick – Ausblick 1029

Fachgruppe Medien und Geschlechterverhältnisse der Gesellschaft für Medienpädagogik und


Kommunikationskultur. https://www.gmk-net.de/ueber-die-gmk/lf-fachgruppe/fachgruppe-me
dien-und-geschlechterverhaeltnisse/. Zugegriffen am 07.09.2022.
Fileborn, Bianca, und Rachel Loney-Howes, Hrsg. 2019. #MeToo and the politics of social change.
Cham: Palgrave Macmillan.
Friedan, Betty. 1966. Der Weiblichkeitswahn. Ein vehementer Protest gegen das Wunschbild von
der Frau. Reinbek: Rowohlt.
Geiger, Brigitte, und Birgit Wolf. 2023. Geschlechtsbasierte Gewalt: Berichterstattung, Diskurse
und feministische Interventionen. In Handbuch Medien und Geschlecht. Perspektiven und
Befunde der feministischen Kommunikations- und Medienforschung, Hrsg. Johanna Dorer,
Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.
org/10.1007/978-3-658-20712-0_36-1.
Gill, Rosalind. 2007. Postfeminist media culture: Elements of a sensibility. European Journal of
Cultural Studies 10(2): 147–166.
Gill, Rosalind. 2016. Breaking the silence: The hidden injuries of neoliberal academia. Feministi-
sche Studien 43(1): 39–55.
GMMP. 2020. Who makes the news. Global media monitoring project. Hrsg. World Association for
Christian Communication, London. https://whomakesthenews.org/gmmp-2020-final-reports/.
Zugegriffen am 23.04.2022.
Gouma, Assimina, und Johanna Dorer. 2019. Intersektionalität: Methodologische und methodische
Herausforderung für die feministische Medienforschung. In Handbuch Medien und Geschlecht.
Perspektiven und Befunde der feministischen Kommunikations- und Medienforschung, Hrsg.
Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesbaden: Springer
VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_81-1.
Gregg, Melissa. 2010. On Friday night’s drinks: Workplace affects in the age of the cublicle. In The
affect theory reader, Hrsg. Melissa Gregg und Grgory J. Seigworth, 250–268. Durham/London:
Duke University Press.
Hark, Sabine. 2009. Was ist und wozu Kritik? Über Möglichkeiten und Grenzen feministischer
Kritik heute. Feministische Studien 27(1): 22–35.
Hark, Sabine, und Johanna Hofbauer, Hrsg. 2018. Vermessene Räume, gespannte Beziehungen.
Unternehmerische Universitäten und Geschlechterdynamiken. Berlin: Suhrkamp.
Harvey, Alison. 2020. Feminist media studies. Cambridge: Polity Press.
Haug, Frigga. 1999. Vorlesungen zur Einführung in die Erinnerungsarbeit. Hamburg: Argument
Verlag.
Hemmings, Clare. 2011. Why stories matter. The political grammar of feminist theory. Durham/
London: Duke University Press.
Hipfl, Brigitte. 2021a. Kollektive Erinnerungsarbeit – ein partizipativer, kritischer Forschungs-
ansatz. In Handbuch Medien und Geschlecht. Perspektiven und Befunde der feministischen
Kommunikations- und Medienforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl,
und Viktorija Ratković. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_
15-1.
Hipfl, Brigitte. 2021b. ‚What is going on‘ – Herausforderungen für die Praktiker*innen der Cultural
Studies. In Medienkultur als kritische Gesellschaftsanalyse. Festschrift für Rainer Winter, Hrsg.
Elena Pilipets und Matthias Wieser, 94–106. Köln: Halem.
Hipfl, Brigitte, und Matthias Marschik, Hrsg. 2011. Valerie Walkerdine: Subjektivität, Feminismus,
Psychoanalyse. Wien/Berlin: Turia+Kant.
Johnson, E. Patrick, und Mae G. Henderson. 2005. Black queer studies: A critical anthology.
Durham und London: Duke University Press.
Kassa, Bruktawit Ejigu, Olga Kolokytha, Izabela Korbiel, Krisztina Rozgonyi, und Katharine
Sarikakis. 2019. Medienindustrie und Geschlecht: Ökonomische und machtpolitische Aspekte
globaler Medienproduktion. In Handbuch Medien und Geschlecht. Perspektiven und Befunde
der feministischen Kommunikations- und Medienforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte
Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.
1007/978-3-658-20712-0_27-1.
1030 J. Dorer et al.

Kassa, Bruktawit Ejigu, Izabela Korbiel, Krisztina Rozgonyi, Lisa Winter, und Katharine Sarikakis.
2021. Media Governance, supranationale Medienpolitik und Feminismus. In Handbuch Medien
und Geschlecht. Perspektiven und Befunde der feministischen Kommunikations- und Medien-
forschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković. Wies-
baden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_26-1.
Kinnebrock, Susanne. 2022. Methodologiedebatten und Methodeneinsatz in der kommunikations-
wissenschaftlichen Geschlechterforschung. In Handbuch Medien und Geschlecht. Perspektiven
und Befunde der feministischen Kommunikations- und Medienforschung, Hrsg. Johanna Dorer,
Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/
10.1007/978-3-658-20712-0_13-1.
Laufenberg, Mike. 2019. Queer Theory: identitäts- und machtkritische Perspektiven auf Sexualität
und Geschlecht. In Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung. Geschlecht und Gesell-
schaft, Hrsg. Beate Kortendiek, Birgit Riegraf, und Katja Sabisch, 331–340. Wiesbaden: VS
Verlag.
Leavy, Susan, Eugenia Siapera, und Barry O’Sullivan. 2021. Ethical data curation for AI. An
approach based on feminist epistemiology and critical theories of race. AIES’21, May 19–21,
2021 Virtual Event, USA. https://doi.org/10.1145/3461702.3462598.
Luka, Mary E., und Koen Leurs. 2020. Feminist data studies. In The international encyclopedia of
gender, media, and communication, Hrsg. Karen Ross, 1–19. Hoboken: Wiley. https://doi.org/
10.1002/9781119429128.iegmc06.
Lummerding, Susanne. 2022. Macht- und diskriminierungskritische Professionalisierung von Wis-
sensproduktion. In Handbuch Medien und Geschlecht. Perspektiven und Befunde der feminis-
tischen Kommunikations- und Medienforschung, Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte
Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-
20712-0_84-1.
McRobbie, Angela. 2010. Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechter-
regimes. Herausgegeben von Sabine Hark und Paula-Irene Villa. Wiesbaden: VS Verlag.
McRobbie, Angela. 2020. Feminism and the politics of resilience. Essays on gender, media and the
end of welfare. Cambridge/Medford: Polity Press.
Nadig, Maya im Interview mit Wolfgang Heginger. 2004. Konstruktionen sind im aktiven Handeln
entstanden, und wir sind nicht nur Opfer, die von der herrschenden Kultur, die sich globalisiert,
erschlagen und zu etwas Farblosem geklont werden. Forum Qualitative Sozialforschung 5(3).
https://doi.org/10.17169/fqs-5.3.557.
Noble, Safiya Umoja. 2018. Algorithms of oppression: How search engines reinforce racism.
New York: New York University Press.
Österreichische Gesellschaft für Geschlechterforschung (ÖGGF). https://www.oeggf.at. Zugegrif-
fen am 07.09.2022.
Peters, Kathrin, und Andrea Seier, Hrsg. 2016. Gender & Medien-Reader. Zürich/Berlin:
diaphanes.
Purtschert, Patricia. 2021. Was ist Kritik? Feminismus und Alterität. Feministische Studien 39(1):
137–149.
Röben, Bärbel. 2022. Migrantinnen in der Medienproduktion. In Handbuch Medien und Ge-
schlecht. Perspektiven und Befunde der feministischen Kommunikations- und Medienforschung,
Hrsg. Johanna Dorer, Brigitte Geiger, Brigitte Hipfl, und Viktorija Ratković. Wiesbaden:
Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-20712-0_64-3.
Rottenberg, Catherine. 2022. Disavowing dependency: On Angela McRobbie’s Feminism and the
politics of resilience. European Journal of Cultural Studies 25(1): 325–337.
Sauer, Birgit. 2019. #MeToo. Ambivalenzen und Widersprüche affektiver Mobilisierung gegen
sexuelle Gewalt. L’Homme. Z. F. G. 30(2): 93–110.
Scott, Nicholas, und Janet Siltanen. 2017. Intersectionality and quantitative methods: Assessing
regression from a feminist perspective. International Journal of Social Methodology 20(4):
373–385.
Feministische Kommunikations- und Medienforschung: Rückblick – Ausblick 1031

Siapera, Eugenia. 2022. AI content moderation, racism and (de)coloniality. International Journal of
Bullying Prevention 4:55–65. https://doi.org/10.10077/s42380-021-00105-7.
Spivak, Gayatri Chakravorty. 1996. The Spivak reader. New York/London: Routledge.
Staunæs, Dorthe, und Katja Brøgger. 2020. In the mood of data and measurements: Experiments as
affirmative critique, or how to curate academic value with care. Feminist Theory 21(4):
429–445.
Suzor, Nicolas, Molly Dragiewicz, Bridget Harris, Rolalie Gillett, Jean Burges, und Tess Van
Geelen. 2019. Human rights by design: The responsibilities of social media platforms to adress
gender-based violence online. Policy and Internet 11(1): 84–103.
The Care Collective. 2020. The care manifesto: The radical politics of interdependence. London:
Verso Books.
The Combahee River Collective. 2014 [1977]. A Black feminist statement. Women's Studies
Quarterly 42(3/4): 271–280.
Twentieth anniversary issue of Feminist Media Studies. 2021. Feminist Media Studies 21(8):
1265-1392.
Uzun-Weidner, Nil. 2020. Artificial intelligence, maschine learning and gender bias. In The interna-
tional encyclopedia of gender, media, and communication, Hrsg. Karen Ross. Hoboken: Wiley.
https://doi.org/10.1002/9781119429128.iegmc316.
Veglis, Andreas, und Theodora A. Maniou. 2020. Big data, gender, and civic engagement. In The
international encyclopedia of gender, media, and communication, Hrsg. Karen Ross. Hoboken:
Wiley. https://doi.org/10.1002/9781119429128.iegmc26.
Wiens, Brianna I., und Shana MacDonald. 2021. Feminist futures: #MeToo’s possibilities as
poiesis, techné, and pharmakon. Feminist Media Studies 21(7): 1108–1124.
Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien. o.J. Überblick zur Frauen- und Geschlechter-
forschung in Deutschland und im deutschsprachigen Raum. https://www.gender.hu-berlin.de/
de/links/links_renamed. Zugegriffen am 28.07.2022.

Das könnte Ihnen auch gefallen