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Dieter Nörr.
I.
Das Neue Testament ( N T ) ist — wie man längst erkannt hat —
eine der wichtigsten Quellen zur Kenntnis des in der frühen Kaiser-
zeit im Räume von Palästina geltenden Rechts. Doch erschöpft
sich seine Bedeutung nicht im Lokalgeschichtlichen. Im Prozeß
Jesu1) gibt es uns einen Einblick in den Rechtsgang vor dem
römischen Statthaltergericht und vermittelt uns damit einige
Indizien zur Erkenntnis der römischen Provinzialverwaltung
überhaupt. Darüber hinaus ist es eines der seltenen Beispiele
außerhalb des uns durch die Papyri verhältnismäßig gut bekannten
ägyptisch-hellenistischen Rechtskreises, das uns erlaubt, das Ver-
hältnis des nichtgriechischen Volksrechts zum griechischen Recht
wenigstens andeutungsweise festzustellen. In dieser Richtung hat
es bisher wenig Beachtung gefunden.
Abgesehen vom Prozeß Jesu, der außerhalb unserer Betrach-
tung bleiben soll, waren es vor allem die Briefe des Apostel Paulus,
die das Interesse der rechtshistorischen Forschung erregten2). Auch
mit ihnen wollen wir uns hier nicht beschäftigen, einerseits da wir
weithin bereits Bekanntes wiederholen müßten, andererseits da
3
) Vgl. zu Tarsus R u g e , RE IV 2, 2413ff. (geistige Vorherrschaft der
Griechen). Die Diaspora-Juden waren dem hellenistischen Einfluß beson
ders ausgesetzt; vgl. nur Mo m ms en, Rom. Geschichte V, 492; N o t h ,
Geschichte Israels, 1956 3 , 314f., 352ff.
4
) Vgl. D a u v i l l i e r , RIDA 3. S., 4 (1957), 107ff.; E r d m a n n , SZ 64
(1944) 379ff. und vor allem die Evangelien-Kommentare von L a g r a n g e :
Matth. (19273), Markus (19294), Lukas (19214), Johannes (1925).
5
) Gesammelt und ergänzt in NT . . . , sowie SZ 72 (1955) 326ff.; vgl.
auch D a u v i l l i e r , a. a. 0 . und B a m m e l , RIDA 3. S., 6 (1959) Iff.
«) Vgl. zur Ehescheidung u. S. 106ff.
') Vgl. etwa M i t t e i s , Reichsrecht und Volksrecht, (1891) 449; W e i ß ,
Griechisches Privatrecht I (1923), 514,517; T a u b e n s c h l a g , The Law
of Greco-Roman Egypt . . . (19552) ( = Law), 552.
8
) Études sur le droit Palestinien a l'époque évangelique, Fribourg, 1946.
Dort auch U f f . weit. Lit. und Diskussion der rechtshistorischen Bedeutung
des NT.
II.
Bevor wir mit der Einzeluntersuchung beginnen, mögen einige
Worte zu den quellengeschichtlichen und historischen Voraus-
setzungen erlaubt sein.
1. Eine rechtshistorische Betrachtung der Evangelien darf den
Fragen der Echtheit, insbesondere auch derWorte Jesu, regelmäßig9)
indifferent gegenüberstehen. Für sie ist es nur wichtig zu wissen,
daß der Text der dem Kanon angehörenden Evangelien in seinem
wesentlichen Bestand dem 1. Jh. n. Chr. angehört10). Doch würden
auch etwas spätere Einschübe verhältnismäßig wenig Gewicht
haben, da unsere geringe Kenntnis uns in jedem Falle nur ein un-
differenziertes großflächiges Bild geben kann.
2. Wichtiger ist ein Hinweis darauf, daß der griechische Text
der Evangelien kein Vorurteil zugunsten hellenischer Rechts-
anschauungen erlaubt. Denn hinter den griechischen Evangelien
stehen, wie jetzt wohl sicher sein dürfte, aramäisch geschrie-
bene Quellen. Inwieweit letztere überhaupt das aramäische Ori-
ginal darstellen, mag dahinstehen; feststehen dürfte, daß vor
allem die uns besonders interessierenden Jesuworte auf aramäi-
schen Logiensammlungen beruhen11).
3. Nicht vorbeigehen darf aber auch der Rechtshistoriker an
den historischen Voraussetzungen, die den verschiedenen mög-
lichen Einflußnahmen fremder Rechtsanschauungen zugrunde
liegen. Hier soll nur kurz längst Bekanntes in Erinnerung gerufen
werden12).
Als die israelitischen Stämme um 1200 v. Chr. im Rahmen der
sogenannten aramäischen Wanderung in Palästina Fuß faßten,
betraten sie schon alten geschichtlichen Boden mit einer bewegten
Vergangenheit und einem bunten Völkergemisch. Die Haupt-
9
) Eine Ausnahme etwa in der Frage der Scheidung durch die Frau; vgl. u.
10
) Vgl. nur W i k e r h a u s e r , Einleitung in das NT, 19562, 124 passim;
F e i n e , Einleitung in das Neue Testament, 1930 5 , 48 passim.
11
) Vgl. nur M. B l a c k , An Aramaic Approach to the Gospels and Acts,
19542, 206 passim mit Lit.; D e i ß m a n n , LvO 4 , 50.
12
) Vgl. nur N o t h , Geschichte Israels, 24ff. passim. Zum Hellenismus
in Palästina etwa R o s t o v t z e f f in CAH VII 192, Social and Economic
History of the Hellenistic World, 127 passim; M i t t e i s , Eeichsrecht u.
Volksrecht, 83; M o m m s e n , Rom. Geschichte V 487ff.
13
) Vgl. A l t , WO 1 2 (1947) 78ff. = Gesammelte Schriften III, 141ff.
Zu den Theorien über die Ursprünge des Rechts des Pentateuchs C a z e l l e s ,
Études sur le Code de l'Alliance, Paris 1946, 147 ff. (nicht gesehen).
14
) In Jerusalem existierte ein Gymnasium z. Z. Antiochos* III. u. IV. ;
vgl. R o s t o v t z e f f , SEH 1061; B i c k e r m a n n , Gott d. Makkabäer, 63.
16
) Zu den Makkabäern vgl. vor allem B i c k e r m a n n , Die Makkabäer,
1935, Der Gott der Makkabäer, 1937.
le
) Vgl. vor allem die Zenonpapyri (um 260 v. Chr.).
iea
) S. W. F o e r s t e r , Neutestamentl. Zeitgeschichte I 2 (1955), 123ff.;
II (1956), 228ff.; vgl. auch B e n o i t , Studi Calderini . . . II (1957), 257ff.
[Korrekturzusatz].
") Vgl. nur W e n g e r , Quellen 174.
18
) Vgl. auch E g e r (2), 30 zu Paulus.
19
) Vgl. nur S u g r a n y e s a. a. 0.
20
) Vgl. S c h m ö k e l , Das angewandte Recht im Alten Testament, 1930,1.
21
) In der Festschrift Eißfeld, 1958, 32ff.
22
) Vgl. dazu S u g r a n y e s a. a. 0 . ; S c h m ö k e l a. a. 0 . 12f.; E r d m a n n ,
SZ 64, 370.
23
) Dasselbe gilt von den einfachen Zitaten rechtlicher Vorschriften des
Pentateuch, die — wie etwa die Talionsnormen — nicht unbedingt mehr
aktuell sein mußten. Vgl. etwa Matth. 5. 38, 5. 21 ff., 15. Iff.
24
) Zum Talmud s. vor allem S t r a c k , Einleitung in Talmud und Mid-
rasch, und die Lit. bei W e n g e r , Quellen, 285; R a b i n o w i t z , Jewish
Law (1956) (gegen dessen methodisch oft unhaltbare Annahmen hebräischer
Rechtsrezeption im hellenistischen und römischen Recht richtig V o l t e r r a ,
7 Zeitschrift f ü r Rechtsgeschichte, LXXVIII. Rom. Abt.
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98 Dieter Nörr,
28
) Hauptausgaben: C o w l e y , Aramaic Papyri, 1923; K r a e l i n g , Brook,
lyn Museum Aramaic Papyri, 1953.
29
) Vgl. etwa R a b i n o w i t z , Jewish Law, 24ff. passim; S e i d l , Ägypt.
Rechtsgeschichte der Saiten- und Perserzeit, 1956, 72ff.; V o l t e r r a ,
Scritti in onore di Levi della Vida II (1956) 586ff.; Y a r o n a. a. 0 . U f f .
mit Lit.; ders., Journal of Semitic Studies ( = JSS) 3(1958), Iff.,5(1960),
66 ff.
30
) Vgl. nur M i t t e i s , Reichsrecht und Volksrecht 61 ff.; P r i n g s h e i m ,
Ausbreitung und Einfluß des griechischen Rechts, 1952; L e w a l d , Labeo 5
(1959), 336ff. ( = Άρχεΐον Ιδιωτικού δικαίου 13 (1946), 32ff.).
31
) S. nur W i e a c k e r , Vulgarismus und Klassizismus, 1955, 28; S e i d l ,
Rom. Rechtsgeschichte, 1949, 49ff.; K ä s e r , Römisches Privatrecht II
(1959) 6f.
7*
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100 Dieter Nörr,
32
) Ptolemäische Rechtsgeschichte, 1947, 85f.
33
) Law, 21 ff.; vgl. auch W o l f f , RIDA 7,191ff. [Korrekturzusatz].
S4
) Zu Dura-Europos vgl. etwa P r i n g s h e i m a . a . O . ; K o s c h a k e r ,
Über einige griechische Rechtsurkunden aus den östlichen Randgebieten
des Hellenismus, 1931; C. B. W e l l e s u. a., The Parchments and Papyri,
Excavations at Dura-Europos, Final Report V 1.
35
) Zuletzt etwa S c h ö n b a u e r , JJP 9/10 (1956) 15ff„ ders. Symb.
Taubenschlag I (1956), 473ff. jeweils mit Lit.
III.
Eherecht.
1. Die über die Eheschließung Josefs und Marias berichtenden
Stellen sind zu allgemein, als daß sich aus ihnen Sicheres ergeben
würde. Ein tieferes Eingehen auf die zur Eheschließung notwendi-
gen Voraussetzungen ist deshalb hier nicht am Platze.
Matth. 1.18,19 3 7 ):... μνηστευ&είσηςτής μητρός αυτόν Μαρίας
τω 'Ιωσήφ, πρίν ή σννελϋ·εΐν αυτους ενρέ&η εν γαστρί έχουσα
εκ πνεύματος άγιου. 'Ιωσήφ δε δ άνήρ αυτής, δίκαιος ών και
μή ϋ·έλων αυτήν δειγματίσαι, εβονλήϋη λάϋρα άπολνσαι αυτήν.
Aus dem Text ergibt sich nur, daß zwei Akte unterschieden
wurden: Das μνηστενειν und das συνελύεϊν38). Dabei ist auf-
fällig, daß eine Auflösung der Ehe schon vor dem συνελϋειν mög-
lich war, daß also bereits das μνηστενειν einen für die Ehe-
schließung konstitutiven Akt darstellt.
Das althebräische Recht der Eheschließung ist uns verhältnis-
mäßig schlecht bekannt 39 ). Doch scheinen zwei Akte erforderlich
gewesen zu sein: Einer Vereinbarung, die durch die Hingabe des
mohario) gekennzeichnet und später mit einer Urkunde verbunden
3e
) S. auch E g e r (2), 30.
" ) Vgl. auch Luk. 1. 26; 2. 5.
38
) In Matth. 1. 24 statt dessen παραλαμβάνειν.
39
) Vgl. D e l l i n g s . v . Eheschließung im RAC IV 722; S a a l s c h ü t z ,
Mosaisches Recht, 727ff.; Cohen, Proceedings of the American Academy
for Jewish Research 18 (1949) 67f. (zitiert nach K o s c h a k e r , Arch. Or.
18/3, 240); N e u b a u e r , Beiträge zur Geschichte des biblisch-talmudischen
Eheschließungsrechts (MVAG 24/25, 1920), dort 63ff. zur Eheschließung
zwischen Joseph und Maria.
10
) Vgl. Gen. 34.12; Ex. 22.15; 1. Sam. 18. 25.
ál
) Vgl. Tob. 7,13f. ; für die Urkunden können etwa die aramäischen
Dokumente aus Elephantine (5. Jh. v. Chr.)AP Nr. 5 und B r o o k l y n Nr. 7
beispielhaft sein. Doch ergeben die Urkunden (verständlicherweise) nichts
über die nachfolgende traditio. Zu ihnen etwa V o l t e r r a , a. a. O.; R a b i n o -
w i t z , a. a. O. 48ff.; G u l a k , Das Urkundenwesen im Talmud, 1935, 36ff.,
Y a r o n , Journal of Semitic Studies 3 (1958), 36f. Hier kann das Problem der
Kaufehe (mohar = Brautpreis) offenbleiben. Ein echter Kauf ist in dieser
Zeit schon wegen der geringen Höhe des mohar ausgeschlossen. Vgl. dazu
allgemein zuletzt K o s c h a k e r , a. a. 0., 210ff. mit reicher Lit. und D r i v e r -
M i l e s , Babylonian. Laws ( = BL) I (1952) 245ff.
42
) Vgl. B i l l a u e r , Grundzüge des babylonisch-talmudischen Eherechts
(1910 Diss. Heidelberg), 39; L a g r a n g e , Évangêle selon Saint Matthieu zu
1 . 1 8 f f . ; C o h e n a. a. 0 . ; N e u b a u e r a. a. 0., 199ff.
43
) S. R a b i n o w i t z 61; Mischna Keth. 5, 2; S a a l s c h ü t z , Mosaisches
Recht (1853) 729 Anm. 943.
44
) Vgl. etwa H. J . W o l f f , Marriage in Hellenistic and Roman Law
(1939) 74ff.; G o o d e n o u g h , Jewish Courts in Egypt, 1929,95; G u l a k ,
Das Urkundenwesen im Talmud, 1935, 38.
80
) S. B a u e r , Wörterbuch zum NT: μνηστ ενειν = Braut werden,
L i d d e l - S c o t t s.v., wo Luk. 2. 5 (rf¡ μεμνηστενμένη αντφ γνναικί)
mit „Ms betrothed wife" wiedergegeben wird.
51
) Vgl. E r d m a n n 239. In den Papyri scheint sich μνηστ ενειν eher auf
die Werbung zu beziehen; dagegen dürfte die μνηστεία in Cair. Masp.
67006 II 6 vielleicht im Sinne unserer Stelle gebraucht sein, nicht im Sinne
der römischen sponsalia. An unserer Stelle entspricht die μνηστεία eher der
griechischen εγγνησις. Doch bedarf die Lösung der εγγνησις wohl keiner
formellen άποπομπή oder άπόλειψις (vgl. B o z z a , Il matrimonio nel
diritto attico, 1934, 12f.).
52
) Vgl. nur N e u b a u e r a . a . O . 184ff.; D e l l i n g a . a . O . ; L a g r a n g e
a . a . O . ; Cohen a . a . O . 7 3 , 1 0 7 1 ; F o e r s t e r , Neutest. Zeitg. I 2 , 117f.;
V o l t e r r a , Diritto romano e diritti orientali 126 A. 3 mit weit. Lit.
53
) S. Deut. 22, 23f.; vgl. auch § 130 Codex Hammurabi, § 26 Codex von
Eänunna.
des Vaters des Bräutigams und in Joh. 2 . 1 im Hause des Bräutigams statt-
findet, während an sich üblicherweise das Hochzeitsmahl beim Vater der
Braut gefeiert wird (wie auch im griechischen Recht). Vgl. zu den Beiträgen
des Hochzeiters zum Hochzeitsmahl im babylonisch-assyrischen Recht
(biblu, 159/161 Codex Hammurabi und zubullu, 30/31 d. Assyrischen Rechts-
buches) D a v i d , Huwelijkssluiting 15; K o s c h a k e r a. a. 0 . 252; D r i v e r -
M i l e s , BL I 250; C u q , Études sur le droit b a b y l o n i e n . . . , 1929, 42ff.
Zum q/girrum „Hochzeitsmahl" (?) in 27 des Codex von Eänunna K o s c h a -
k e r 285; G ö t z e , Laws of Eshnunna, 1956, 79f.; S z l e c h t e r , Les lois
d'Esnunna, 1954, 50f. jeweils mit Lit.
59
) Vgl. nur E r d m a n n 255.
«») (2), 28; 1. Cor. 7.13.
« ) NT 362ff.; s. auch S. 71ff. (Ehescheidung nach jüdischem Recht
und ihre Beurteilung nach beispielhafter Überlieferung), 297 ff. (Verhältnis
des jüdischen Rechts zur Polygamie).
e2
) Vgl. Matth. 1.19, 5. 31, 19, 3ff.; Mark. 10.12ff.; Luk. 16.18.
e3
) Zu den Gründen der Wortwahl der Evangelien vgl. D a u b e a. a. 0 .
369; s. auch Belege bei P r e i s i g k e 259.
" ) Diod. Sicul. 12.18; Joseph. Ant. 15, 7 , 1 0 (Ehescheidung der Salome,
auf deren Unzulässigkeit nach jüdischem Recht Josephus ausdrücklich
hinweist).
e5
) Vgl. dazu außer den genannten S a a l s c h ü t z 799ff.; L a g r a n g e ,
Matth. 5. 31 und die reiche Lit. bei V o l t e r r a a. a. O. 586 Anm. 1 und
687 Anm. 2; B i l l a u e r 67.
71
) A. a. 0 . 366ff. ; s. auch L a g r a n g e a. a. 0 .
' 2 ) Vgl. die Anmerkungen zu Mark. 10.12 in der Ausgabe von N e s t l e ,
1923 13 , S. 113.
73
) Ant. 15. 7.10. 259f. Zu der Einstellung Philos vgl. D e l l i n g , Ehe-
scheidung KACIV709; G o o d e n o u g h , Jewish Courts, 82.
74
) Zur Kolonie in Elephantine vor allem K r a e l i n g , The Brooklyn Museum
Aramaic Papyri, 41 ff.
75
) C o w l e y , Aramaic Papyri, 1923, Nr. 15; K r a e l i n g a . a . O . Nr. 2
und 7. Vgl. hierzu vor allem V o l t e r r a a . a . O . ; D a u b e a . a . O . 366;
R a b i n o n o w i t z , a. a. 0 . 48ff.; Y a r o n a. a. 0 .
'·) Studi in onore di Betti [im Druck].
" ) Vgl. S e i d l , Ägyptische Rechtsgeschichte der Saiten- und Perserzeit,
61 ff.; T a u b e n s c h l a g , Law 121; M i t t e i s , Grundzüge (1912) 212; anders
etwa Pap. Brit. Mus. 1 0 1 2 0 ( R e i c h , Papyri Jur. Inhalts . . . , 1917,25ff.),
91
) A. a. 0 . 1 1 4 .
92
) Vgl. S t r a c k - B i l l e r b e c k z. St.; S a a l s c h ü t z 801 ff. mit Anm.
83
) Vgl. auch L a g r a n g e z. St.
»4) Vgl. Gen. 21. 9 ff.
96
) Hos. 2. 4; s. S c h m i d t k e a. a. 0 .
»«) S. V o l t e r r a , Studi Levi della Vida II, 592, Y a r o n , ISS 3,16. Setzt
man die Entstehung der deuteronomischen Gesetzgebung, der der Rechts-
satz 24. 1—4 angehört in das 7. Jh., so zeigt sich darin, daß entweder die
Kolonisten nicht streng nach jüdischem Recht lebten oder daß der Scheide-
brief als konstitutives Erfordernis 2 Jahrhunderte nach der deuteronomi-
schen Gesetzgebung noch nicht durchgedrungen war.
e
') Nach K a u t z s c h - W e i z s ä c k e r , Textbibel, 1906: Wenn jemand ein
Weib heimführt und sie ehelicht, sie aber dann sein Wohlgefallen nicht er-
langt, weil er etwas W i d e r w ä r t i g e s an ihr entdeckt und sie aus seinem
Hause entläßt . . . Bekanntlich stehen sich hier zwei rabbinische Schulen
gegenüber; die Schammaiten verlangten ein schweres Vergehen, während
die Hilleliten auch andere, wenig schwerwiegende Gründe für ausreichend
IV.
V e r h ä l t n i s v o n E l t e r n u n d Kindern 1 2 2 ).
In der Regel wird das Vorhandensein einer strengen patria
potestas im Sinne des römischen Rechts im hebräischen Recht
verneint 123 ) ; doch scheinen einige Stellen für eine solche zu spre-
chen 124 ). Das NT gibt nur sehr geringe Indizien, die aber für die
frühe Prinzipatszeit die herrschende Ansicht unterstützen 126 ).
In der Erzählung von der Heilung des Blindgeborenen (Joh. 9.
Iff.) wenden sich die Pharisäer an die Eltern des Geheilten, um
von ihnen zu erfahren, ob ihr Sohn blind gewesen und wie er sehend
geworden sei. Ersteres bejahen diese, die zweite Frage umgehen sie
— aus Angst vor den Folgen eines Bekenntnisses zu Jesu — da-
durch, daß sie sagen (21): πώς δε νυν βλέπει ουκ οϊδαμεν, ή τις
ηνοιξεν αυτοϋ τους όφϋαλμούς ημείς ουκ οϊδαμεν αυτόν ¿ρω-
τήσατε, ήλικίαν έχει, αυτός περί εαυτοϋ λαλήσει. Diese Ant-
wort ist zwar mit einer patria potestas nicht unvereinbar, wirkt
aber glaubwürdiger, wenn man von der Selbständigkeit der er-
wachsenen Söhne ausgeht.
Das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Luk. 15.11 ff.) ist ein ähn-
liches (freilich schwaches) Indiz gegen die patria potestas. Hier
ist nicht gesagt, daß der jüngere Sohn aus der Gewalt des
Vaters entlassen wird. Vielmehr wird er selbständig mit der Ab-
schichtung, der vorweggenommenen Erbteilung 126 ). Auch das
122
) Zu Matth. 1 . 1 : Βίβλος γενέσεως Ίησον Χρίστου υΐοϋ ΔαυεΙδ υΐον
'Αβραάμ ist vielleicht darauf hinzuweisen, daß νίός im Sinne von
„Nachkomme" dem Griechischen fremd ist, während es im Neubabyloni-
schen begegnet; vgl. etwa S a n N i c o l ò - U n g n a d , Neubabylonische Rechts-
und Verwaltungsurkunden I S. 2 Anm. 3; zum Talmud vgl. Y a r o n , Gifts
. . . , 230f.
123
) M i t t e i s , Reichsrecht . . . 210; S a a l s c h ü t z 679.
124
) Vgl. S c h m ö k e l 49ff.; F o e r s t e r , Neutest. Zg. I 2 , 115; Gen. 22.
Iff., 42. 37; 38, 24; 2. Kön. 4 . 1 , 2. Nach B i l l a u e r 19, 32 hat sich aber
der Sohn verhältnismäßig bald aus der ursprünglich bestehenden väterlichen
Gewalt gelöst.
125
) Dagegen nur Matth. 18. 25 (s. u. S. 135ff.); der Verkauf der Kinder
(und der Ehefrau) für die Schulden des Familienvaters spricht für eine
patria potestas. Allerdings handelt es sich an dieser Stelle um όοϋλοιβασιλέως.
12β
) Lit. dazu bei K ä s e r , Rom. Privatrecht II 345 Anm. 39; zum Tal-
mud Y a r o n , Gifts . . . , 2 passim.
127
) Vgl. S a a l s c h ü t z 808ff.
12S
) και άκούσαντες oí παρ' αντον εξήλ&ον κρατήσαι αυτόν ελεγον γάρ
δτι εξέστη.
129
) S a a l s c h ü t z 832; ihre Erwähnung im Talmud dürfte auf helle-
nistischen Einfluß zurückzuführen sein; vgl. Y a r o n a. a. 0 . 140f.
130
) Zum Talmud vgl. Y a r o n a. a. 0 . 147f.
131) Vgl. B e a u c h e t , Droit privé de la republique Athénienne II, 1897,
382f. Zur δίκη παρανοίας vgl. W e n g e r , Stellvertretung, 1906, 172 und
B e a u c h e t a. a. 0 .
132
) Zum altbabylonischen Recht s. D a v i d , Adoption, 68ff.
133
) Vgl. etwa M i t t e i s , Reichsrecht 66, 209f.; Gai. 1. 55 nennt die
patria potestas eine typisch römische Institution.
V.
Adoption und Frauentutel.
Bekanntlich ist im Pentateuch keine Vorschrift über die Adop-
tion enthalten 136 ). Daß sie aber existiert haben muß, ist aus An-
deutungen in den Erzählungen zu ersehen136). So adoptiert Jakob
die beiden Söhne Josephs Ephraim und Manasse mit den Worten
(Gen. 48. 5) : Deine beiden Söhne aber . . . die sollen mir angehören:
Ephraim und Manasse — wie Ruben und Simeon sollen sie mir
gelten 137 ).
Hier ist, bevor wir auf das NT eingehen wollen, zuerst einiges
über die Adoptionsformel in anderen altorientalischen Rechten
zu sagen138). Die Urkunden nennen eine solche Formel in der Regel
nicht, was damit zusammenhängen mag, daß sie von der ge-
schehenen Adoption in der Vergangenheit sprechen: a-na ma-ru-
tim il-qi, „er hat zur Kindschaft angenommen" 139 ). Dagegen
findet sich häufig in den Urkunden und auch im Codex Hammu-
rabi die die Adoption auflösende Formel: ú-ul a-bi at-ta ú-ul um-mi
at-tí, ú-ul ma-rili0), „du bist nicht mein Vater, du bist nicht meine
Mutter, du bist nicht mein Sohn". Schon nach dem gerade für
134
) M i t t e i s a. a. 0. 153.
135
) Ö p k e , Adoption im RAO I 99, bringt das damit zusammen, daß
andere Rechtsinstitute (Leviratsehe, Erbtöchterehe, Polygamie), die der
Erhaltung der Familie dienen, die Adoption überflüssig machten.
13e
) D a u b e , Festschrift Eißfeldt 34, Biblical Law, 7; Öpke a . a . O . ;
D a v i d , Adoptie in het oude Israel, Mededelingen der Kon. Ned. Ak.
v. Wetenschappen 18/4 (1955); K ö h l e r , Ztschr. f. d. Alttest. Wissensch.
29 (1909), 312ff.
137
) Nach K a u t z s c h - W e i z s ä c k e r , Textbibel.
13e
) Vgl. D a v i d , Die Adoption im altbabylonischen Recht, 1927, 44ff.;
D a v i d im Reallexikon für Assyriologie ( = RA), K o s c h a k e r , Neue keil-
schriftliche Rechtsurkunden aus der El-Amarna-Zeit, 1928, 52ff., 82ff.
139
) Vgl. nur CT VIII 37 d ; S c h o r r Nr. 12 ( = K o h l e r - U n g n a d u.a.,
Hammurabis Gesetz, 1904ff. [ = KU] III 18).
140
) Vgl. §192 des Codex Hammurabi; VS VIII 73 = S c h o r r Nr. 9,
KU IV 779.
141
) S. nur M 90 ( S c h o r r Nr. 22, KU III 7).
142
) S. D a v i d a. a. 0 . 80.
143
) Brooklyn Nr. 2, 3; 7, 4; Cowley Nr. 15, 4.
144
) Ähnlich auch die Ehescheidungsformel in Brooklyn 7, 22, 25.
"«) Matth. 3 . 1 7 ; Mark. 1 . 1 1 ; Luk. 3. 22.
formular nur ein zufälliger ist. Anders steht es mit Joh. 19. 26f.:
Ίησοΰς οΰν ίδών την μητέρα και τον μαϋ·ητήν παρεστώτα δν
ήγάπα, λέγει τη μητρί· γύναι, ϊδε ό υιός σου. είτα λέγει τω
μαύητη- ϊδε ή μήτηρ σον. και απ εκείνης της ώρας ελαβεν
δ μαθητής αυτήν εις τα ίδια. Hier ist der formelhafte Charakter
der Worte unverkennbar; die bloße Anempfehlung der Sorge
für die Mutter Jesu hätte sich zwar weniger eindrucksvoll,
aber naheliegender durch andere Worte ausdrücken lassen.
Nachdem wir somit die Ähnlichkeit dieser Worte zum Ehe-
schließungs- und Adoptionsformular im alten Orient festgestellt
haben, nachdem wir weiterhin gesehen haben, daß entsprechende
Formeln dem hebräischen Recht nicht fremd sind, ist zu fragen,
wie die Worte in unserem konkreten Fall zu interpretieren sind.
Hierbei ist in erster Linie daran zu denken, daß der Gebrauch
der Formel zwar die Lebendigkeit oder zumindest die lebendige
Erinnerung zeigt, die sie gerade in der Prinzipatszeit noch
hat, daß aber ihre Anwendung in Joh. 19. 26 ohne juristische
Bedeutung ist. Vielleicht ist es aber auch denkbar, daß die Worte
Jesu juristisch relevant sind; auf diesen ihren Inhalt sind sie hier
also zu untersuchen, wenn auch diese Untersuchung über die
Erörterung von Möglichkeiten nicht hinausgehen wird.
Der erste Gedanke ist der an eine Adoption (oder Arrogation).
Doch ist eine solche zumindest in dem sonst üblichen Sinn aus-
zuschließen. Zwar nicht von vornherein aus dem Grunde, daß
Maria als Frau nicht adoptieren könnte. Denn wenigstens aus dem
altbabylonischen Recht sind uns häufige Fälle von Adoptionen
— vielleicht minderen Rechts — durch Frauen bekannt 146 ). Aber
in all diesen Fällen geschieht die Adoption durch die Frau selbst,
während hier die Formel von Jesus ausgesprochen wird. Auch
dürfte es der typischen Lage bei einer Adoption entsprechen, daß
der Adoptierte in das Haus des Adoptierenden eintritt, während
an unserer Stelle Johannes Maria zu sich nahm 147 ). Wenn auch
eine Adoption im üblichen Sinne nicht vorliegen dürfte, so ist doch
stets im Auge zu behalten, daß die entscheidenden Formeln
charakteristisch sind für die Begründung eines Familienverhält-
Gewalt über die Frauen seines Vaters erwirbt153). Doch liegen sie
alle zu weit von Joh. 19. 26 entfernt, als daß sie in unserem Fall
eine solche Stellung des Sohnes auch nur glaubhaft machen
könnten. Vor allem handelt es sich um seine eigene Mutter, bei
der ein solches Gewaltverhältnis in der geschilderten Form un-
wahrscheinlich ist164). Auch aus den die Stellung der "Witwe be-
handelnden155) rabbinischen Schriften ergibt sich nichts für eine
familienrechtliche Gewalt des Sohnes über die Mutter. Daher
dürfte auch eine adoptio in matrem, die eine solche Gewalt voraus-
setzt, abzulehnen sein.
Von einer ererbten Gewalt über die Mutter ist der Erwerb der
Frauentutel zu unterscheiden156). Fraglich ist also, ob Jesus
κύριος seiner Mutter war und ob er diese κυρία auf Johannes
übertragen konnte. Bekanntlich standen nach römischem und
griechischem Recht die Frauen unter der Geschlechtsvormund-
schaft. Dabei ist nach beiden Rechten Geschlechtsvormund der
"Witwe in erster Linie der Sohn167). Anders dagegen die altorien-
talischen Rechte168) und das ägyptische Recht169), denen die
tutela mulieris unbekannt gewesen zu sein scheint. Das hebräische
Recht spricht nur durch sein Schweigen gegen ein solches Insti-
153
) Im hethitischen und assyrischen Recht als Ehemann, im hebräischen
Recht anscheinend eher als „Eigentümer".
154) Yg] a u c j 1 d a s Verhalten Salomos zu seiner Mutter 1. Kön. 2.19
und den Unterschied von § 157 und § 158 des Codex Hammurabi (der Ge-
schlechtsverkehr mit der eigenen Mutter ist für beide Teile strafwürdig,
der mit der „Stiefmutter" nur für den Sohn).
155
) Vgl. S a a l s c h ü t z 745f.; Y a r o n , Gifts... 138ff.; zur Stellung der
Witwe nach babylonischem Recht s. D r i v e r - M i l e s , BL 1335, 356ff„
zum assyrischen Recht (bes. §§35,46 des assyrischen Rechtsbuches) v a n
P r a a g 93; Driver-Miles, AL 217ff.; vgl. zu diesen Fragen auch
R e n g s t o r f , Mann und Frau im Urchristentum (Arbeitsgemeinschaft f.
Forschung Nordrhein-Westfalen 12), 43 f. [Korrekturzusatz].
15e
) Allerdings könnte die letztere aus der ersteren stammen; vgl. dazu
für das römische Recht K ä s e r , Rom. Privatrecht I 76f. mit Lit.
157
) Zum römischen Recht s. nur K ä s e r , Rom. Privatrecht 1312; zum
griechischen Recht vgl. M i t t e i s , Reichsrecht . . . 66; Glotz, La solidarité
de la famille, 1904, 36; T a u b e n s c h l a g , Law 170f. mit Lit.; E r d m a n n
37 ff.
iss) Vgl. C a r d a s e l a a. a. O. 55f., van P r a a g 26f.
is») Vgl. M i t t e i s , Grundzüge 251f.; Seidl, Ägypt. Rechtsgeschichte
der Saiten- u. Perserzeit 150.
VI.
Zum Erbrecht.
Bereits oben wurde auf das Gleichnis vom verlorenen Sohn
hingewiesen (Luk. 15. llff.). Dort spricht der jüngere Sohn zu
leo
) Die Stelle Num. 30, 3 ff. ist kein vollwertiges Beispiel dafür, daß
Frauen Rechtsgeschäfte allein nicht abschließen könnten. Denn einmal
handelt es sich hier um Töchter und Ehefrauen, die gegenüber der allein-
stehenden Frau in ihren Verfügungsbefugnissen beschränkt sein können,
zum anderen um Akte der religiösen Sphäre (Gelübde), die bei fehlender
Genehmigung von Vater oder Ehemann nicht erfüllt zu werden brauchen,
nicht aber um Rechtsgeschäfte. Vgl. im übrigen auch P i r e n n e , AHDO +
RIDA II (1953) 139, 143; Yaron a. a. 0. Anders K ö h l e r , Der hebräische
Mensch (1953) 72, der aber nicht zwischen der Frau im Hause des Vaters
oder Ehemannes und der selbständigen Frau unterscheidet.
lel
) Vgl. Brooklyn 9 (allerdings Geschäfte innerhalb derselben Familie) ;
Cowley 1 ; 10 u. a.
le2
) Vgl. nur M i t t e i s , Reichsrecht, 220.
lea
) Zur letztwilligen Bestellung des Vormundes s. T a u b e n s c h l a g , Law,
173; zum griechischen Recht auch E r d m a n n 49.
seinem Vater (12): πάτερ, δός μοι το επιβάλλον μέρος της ουσίας.
Daraufhin teilt der Vater sein Vermögen und der Sohn zieht mit
dem ihm zukommenden Erbteil in ein fremdes Land. Wir können
hier von der in der Antike verbreiteten vorweggenommenen Erb-
teilung sprechen, die auch dem römischen Recht nicht ganz fremd
ist164). Belege für die altorientalischen Rechte sind verhältnis-
mäßig selten. Immerhin ist sie sowohl dem altbabylonischen165)
als auch dem hebräischen Recht nicht unbekannt 166 ). Häufiger
sind die Belege aus dem ägyptischen und vor allem aus dem grie-
chischen Rechtskreis167). Fraglich ist, ob wir — bei der Seltenheit
der orientalischen Belege — mit einem Einfluß griechischen
Rechts auf Luk. 15.11 ff. rechnen müssen, oder ob die Kargheit
der orientalischen Quellen auf dem Zufall der Überlieferung beruht.
Mit D a u b e (a.a.0.) und Yaron 1 6 8 ) halten wir es für wahrschein-
licher, daß die elterliche Teilung unserer Stelle auf altjüdischen
Rechtsanschauungen beruht. In jedem Falle zeigt auch das
Institut der elterlichen Teilung eine Gemeinsamkeit der Rechte
der östlichen Reichshälfte.
Eine erbrechtliche Andeutung enthält vielleicht auch das Gleich-
nis von den Weingärtnern (Matth. 21. 33ff., Mark. 12. Iff., Luk.
20.9ff.) 169 ). Danach vereinbaren die Weingärtner (γεωργοί),
! " ) Vgl. R a b e l , Elterl. Teilung, Festschrift z. 49. Vers. d. Philol. (1907),
526. Zur Sonderstellung des römischen Erbrechts im Verhältnis zu den
orientalischen Rechten vgl. V o l t e r r a , Diritto romano . . . 153ff. mit reicher
Lit., vor allem mit den Schriften B o n f a n t e s .
le5
) S. K l i m a , Untersuchungen zum altbabylonischen Erbrecht, 1940,
74ff.; Cuq, Études, 65; C a r d a s e l a bei M o n i e r - C a r d a s c i a - I m b e r t ,
Histoire . . . 61 Anm. 115, 62 Anm. 123 mit Lit.
16β
) Vgl. Tob. 8. 21 und die ausführliche Diskussion unserer Stelle durch
D a u b e , SZ 72, 329ff. C a r d a s e l a 92 spricht in diesem Zusammenhange
von einemTestament. Das ist unschädlich, wenn man sich des Unterschiedes
zum römischen und modernen Testament bewußt ist; vgl. V o l t e r r a a. a. O.
Zum „Testament" im hebräischen Recht vgl. S a a l s c h ü t z 826.
1β7
) S. T a u b e n s c h l a g 207f. mit Lit., bes. K r e l l e r , Erbrechtliche
Untersuchungen, 1919, 204ff; R a b e l a. a. O. 528ff.
lí8
) A. a. O. 42.
1β9
) Matth. 21. 33ff: "Λνϋρωπος r¡v οικοδεσπότης όστις εφύτευσεν Αμπε-
λώνα και εξέδοτο αυτόν γεωργοϊς, και άπεδήμεσεν. δτε δε ηγγισεν δ
καιρός των καρπών ϋστερον δε άπέστειλεν[προς αυτούς τον viòv αύτον
οίδε γεωργοί Ιδόντες τον viòv εϊπον εν έαυτοϊς' οϋτός έστιν ό κληρο-
νόμος" δεντε άποκτείνωμεν αυτόν και αχώμεν τήν κληρονομίαν αύτοΰ· ....
17
°) So auch S t r a c k - B i l l e r b e c k 1871ff. Dafür könnte vielleicht
sprechen, daß sowohl das biblische nahalah (vgl. Y a r o n a . a . O . 6) als
auch κληρονομιά in der Septuaginta im Sinn von „Eigentum, Besitz" er-
scheint; vgl. die Nachweise bei L i d d e l - S c o t t . Etwas anders B a m m e l ,
RIDA 3. S. 6 (1959) Iff., der in diesem Falle wohl eine vorweggenommene
Erbauseinandersetzung (aus mir nicht ganz klaren Gründen) annimmt, die
dem Sohne bereits eine eigentümerähnliche Stelle verschaffe. Doch vermag
er damit die Hoffnung der γεωργοί auf Erwerb der κληρονομιά nicht zu er-
klären; deshalb nimmt auch er hier tatsächliche Gründe (Abwesenheit des
Vaters) an, die den Vater abhalten, die γεωργοί zu vertreiben. Diese würden
dann kraft Ersitzung die Weinberge erwerben.
171
) Gegen eine solche Deutung würde sprechen, daß der hier verwendete
Begriff εκδιδόναι gerade von der Verpachtung gebraucht wird (BGU
1031, 13, H e r r m a n n , Bodenpacht, 1958, 167). Doch wenn das Gleichnis
sich auch direkt auf ein Pachtverhältnis oder ähnliches bezieht, so würde das
nicht gegen eine Kontamination mit dem Sklavenerbrecht sprechen. Im
übrigen nennt Lukas anscheinend auch sonst bisweilen einen Freien (οικο-
νόμος) statt einen Sklaven ; s. Luk. 12.42 im Vergleich mit Matth. 24.45 (vgl.
S t r a c k - B i l l e r b e c k II 192) und den Wechsel der Ausdrücke οικονόμος
und δούλος bei Luk. 12. 42ff. Zur Terminologie vgl. auch S u g r a n y e s 33.
172
) Vgl. S a a l s c h ü t z 830; S c h m ö k e l 58; zum Talmud Y a r o n a. a. 0.
168f. (Die donatio mortis causa des gesamten Vermögens an einen Sklaven
des Erblassers führt zu dessen Freilassung.)
m
) S. Num. 27. 8ff.
VII.
Zum Eigentumserwerb.
1. Entfernt man sich aus dem Gebiete des Personenrechts, so
werden die Belege immer seltener, die uns das NT für die Rechts-
anschauungen seiner Zeit gibt. Das gilt leider auch vom Kauf-
recht177). Einen allerdings sehr bescheidenen Hinweis enthält
Luk. 14. 18f. 178 ): δ πρώτος είπεν αντφ· άγρόν ήγόρασα καΐ
εχω ανάγκην εξελ&ών Ιδεΐν αυτόν ερωτώ σε, εχε με παρητημένον.
και ετερος εϊπεν ζεύγη βοών ήγόρασα πέντε, και πορεύομαι
174
) Bekanntlich war die Stellung der Sklaven im hebräischen Recht
(vgl. S a a l s c h ü t z 697ff.) wie in den altorientalischen Rechten allgemein
(vgl. nur C a r d a s e l a 52) besser als im klassischen römischen. Die Evangelien
geben uns eher Andeutungen über ihre soziale Stellung als präzise juristische
Argumente. Nach Matth. 18. 23 scheinen die Sklaven zwar vermögensfähig
gewesen zu sein (vgl. zur Vermögensfähigkeit die Lit. bei T a u b e n s c h l a g 87
Anm.100). Doch ist unklar, ob die dort genannten δοϋλοι βασιλέως wirkliche
Sklaven sind (vgl. S u g r a n y e s a . a . O . ; vgl. auch wardum = Sklave,
U n t e r t a n in § 130 CH.). Nach Matth. 24. 45ff., Luk. 12. 42 (vielleicht auch
Matth. 20. 8; nicht dagegen Luk. 16. I f f . : Freier als οικονόμος) h a t ein
Sklave die Stellung eines Hausverwalters; durch Matth. 2 5 . 1 4 f f . u n d
Luk. 1 9 . 1 2 ff. ist ein peculium bezeugt, mit dem die Sklaven Handel treiben
sollen. Der Erwerb fällt dem Herrn zu (vgl. auch S t r a c k - B i l l e r b e c k I
970 mit Belegen aus dem Talmud).
175
) Art der Einsetzung oder gar gesetzliche Erbfolge?
1,e
) Vgl. A r a n g i o - R u i z , La successione testamentaria, 1906, 61f.;
anders wohl mit Recht K r e l l e r , Erbrechtl. Untersuchungen 311 f.
" ' ) Zum Kaufrecht im Talmud vgl. N e u b a u e r , Eheschließungsrecht
(MVAG 24/25) 84ff.
179
) Die Stellen, an denen sonst ein Kauf erwähnt wird (vgl. etwa Matth.
18. 23; 13. 46; 26. 9; Mark. 14. 5; Joh. 12. 5) lassen die juristische Konstruk-
tion nicht erkennen.
1 8 7 ) Law of Sale, 1950, 219 ff. passim. Auch dem ägyptischen Kauf-
2. Nach Matth. 13. 44189) scheint der Schatz nicht dem Finder,
sondern dem Eigentümer des Grundstücks zu gehören. Denn daß
der Finder nur deshalb den Acker erworben hat, um den Schatz
nicht mit dem Eigentümer teilen zu müssen, wie es das römische
Recht seit Hadrian vorschreibt190), dafür spricht nichts. Im übrigen
zeigt die Interpretation der Mischna, daß nach rabbinischem
Recht der Eigentümer des Landes Eigentümer des Schatzes
wird 191 ). Doch kann hier auf einen Aufsatz von D a u v i l l i e r ver-
wiesen werden192), der sich ausführlich mit dem Schatzerwerb in
den alten Rechten beschäftigt.
3. Auf eine Sonderheit des hebräischen Rechts, für die mir aus
den antiken Rechten keine Parallele bekannt ist, spielt schließ-
lich Matth. 12. Iff. (Ährenausraufen am Sabbath) an 193 ). Be-
kanntlich wenden sich die Pharisäer hier nicht dagegen, daß die
Jünger Ähren ausraufen, sondern daß sie das am Sabbath tun.
Das setzt voraus, daß die Bestimmung Deut. 23, 26194), die das
Ährenausrupfen auf einem fremden Feld mit der Hand, nicht aber
mit der Sichel erlaubt, noch in Geltung ist. Einen ähnlichen Brauch
kennen bekanntlich deutsche Landrechte 195 ), die dem Reisenden
erlauben, eine gewisse Menge Getreide für das Pferd vom Felde
zu nehmen.
VIII.
Zum S c h u l d r e c h t .
Auch das Schuldrecht wird durch einige allerdings rechtlich
nicht sehr erhebliche Belege vertreten 196 ).
189
) Όμοια εστίν ή βασιλεία των ουρανών ϋησαυρω κεκρυμμένω εν τω
άγρφ, δν εύρων αν&ρωπος εκρυψεν και ànò της χαράς αντοΰ υπάγει καΐ
πωλεί δσα εχει καΐ άγοράζει τον άγρόν έκεϊνον.
1β0
) Inst. 2 . 1 . 39. Früher durfte wohl der Eigentümer des Ackers Eigen-
tümer des Schatzes geworden sein; vgl. K ä s e r , Rom. Privatrecht I, 359.
W1
) Vgl. S t r a c k - B i l l e r b e c k I 674.
le2
) RIDA 4 (1957) 107ff., vgl. auch K o h l e r , Z . v g l . R W 2 0 (1907) 204.
193
) S. auch Mark. 2. 23; Luk. 6 . 1 . Zum religiösen Problem der Stelle
vgl. D a u b e , NT . . . 67ff.
184
) Vgl. auch S e h m ö k e l 102.
195
) Vgl. J a k . G r i m m , Rechtsaltertümer, 1881 3 , 400f.
19
·) Zu Andeutungen einer Gesellschaft unter Brüdern (consortium) in
Luk. 1 2 . 1 3 f f . D a u b e SZ 72, 326ff., einer „Fischereigenossenschaft" in
Luk. 5. I f f . S t e i n w e n t e r in einem unveröffentlichen Vortrag über das
Recht im NT.
1. Nach Luk. 16. Iff. hat ein freier οικονόμος den Unwillen
seines Herrn erregt, der von ihm Rechenschaft fordert und ihn
entläßt. Der Hausverwalter sorgt sich um seinen künftigen Unter-
halt (4ff.): εγνων τί ποιήσω, ίνα δταν μετασταϋώ εκ της οικο-
νομίας δέξωνταί με είς τον ς οίκους εαυτών, και προσκαλεσά-
μενος èva ίκαστον των χρεοφειλετών του κυρίου εαυτοϋ ελεγεν
τω πρώτα)· πόσον οφείλεις τω κυρίω μου; δ δε είπεν εκατόν
βάτους ελαίου, δ δέ είπεν αύτψ· δέξαι σου τά γράμματα και
κα&ίσας ταχέως γράψον πεντήκοντα, επεντα έτέρω εϊπεν σύ δε
πόσον οφείλεις; δ δε είπεν εκατόν κόρους σίτον. λέγει αύτω·
δέξαι σου τά γράμματα και γράψον όγδοήκοντα. και επήνεσεν
δ κύριος τον οίκονόμον της αδικίας ό'τ ι φρονίμως εποίησεν...
Danach scheint der Hausverwalter den Schuldnern einen Teil der
Schuld erlassen zu haben, um diese sich zu verpflichten. Diesen
Erlaß läßt der Gläubiger gegen sich gelten, wobei man vielleicht
unterstellen darf, daß das Recht ihm keine andere Wahl läßt 197 ).
Bekanntlich hat man für die nichtrömischen Rechte der Antike
häufig die Kenntnis der unmittelbaren Stellvertretung postu-
liert 198 ). Ob diese Feststellung in vollem Umfange zutrifft, muß
hier dahinstehen 199 ). In jedem Falle ist die vorliegende Stelle kein
Beleg für sie. Denn auf der einen Seite enthält sie keinen aus-
drücklichen Hinweis auf ein Handeln im Namen des Hausherrn;
auf der anderen Seite läßt sich die Wirkung auch gegen ihn un-
schwer aus dem Gedanken der Ermächtigung rechtfertigen200),
19
') Ebenso E r d m a n n , SZ 64,371. Im übrigen ist aber die Konstruktion
E r d m a n n s des οικονόμος als eines procurator omnium bonorum nach
römischem Recht abzulehnen, der hier (beurkundete) Stipulationsforde-
rungen noviert und dann akzeptiert. Davon ist keine Rede, Anwendung
römischen Rechts im übrigen von vornherein unwahrscheinlich.
1β8
) Vgl. die reiche Lit. bei T a u b e n s c h l a g , Law, 307 Anm. Zum neu-
babyl. Recht P e t s c h o w SZ 76 (1959), 47ff„ zum jüdischen Recht G u l a k ,
Urkundenwesen, 137.
"») Vgl. hierzu vor allem R a b e l , Grundzüge, 19552, 182ff.; 189ff. (vor
allem zum procurator) ; Atti Roma I 237 ff.
20
°) Dabei soll die Frage des Generalbevollmächtigten im Sinne des
römischen procurator omnium bonorum in der östlichen Welt hier nicht auf-
geworfen werden; vgl. dazu S o l a z z i , Aegyptus Β (1924) 4ff.; E r d m a n n
a. a. 0. 372; aber auch W e n g e r , Stellvertretung 222, 232.
die in der Bestellung zum οικονόμος liegt201) oder mit ihr verbunden
war.
Weiterhin fällt an der Stelle auf, daß der Erlaß nicht durch ent-
sprechende Worte, sondern durch die Anweisung zur Änderung
des Schuldscheins umschrieben wird. Allerdings würde es zu weit
gehen, allein daraus auf die dispositive Wirkung der Änderung der
Urkunde zu schließen202).
2. Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Matth. 20,
Iff.) ist ein Beispiel für Dienstverträge mit freien Arbeitern
(μισ&ώσασ&αι εργάτας)20*). Juristisch beachtlich sind zwei Tat-
sachen ). Die Zahlung des Lohnes erfolgt post festum205),
204
und
zwar noch am Tage der Arbeit. Damit wird den diesbezüglichen
Vorschriften des jüdischen Rechts206) Genüge getan, nach denen
über die Zahlung des Lohnes die Sonne nicht untergehen soll.
Zum anderen ist es auffällig, daß der Dienstherr einem Teil der
Arbeiter keinen festen Lohn verspricht, sondern sagt (4): ο èàv
f¡ δίκαιον δώσω νμϊν. Bekanntlich wäre nach klassischem römi-
schen Reoht ohne Vereinbarung des Lohnes keine locatio conducilo
207
zustande gekommen ).
Schließlich zeigt uns das Gleichnis von den Weingärtnern208)
die Existenz der Teilpacht in Palästina an209). Der Eigentümer
201
) Zum römischen Recht vgl. nur K ä s e r , Rom. Privatrecht I, 228;
M i t t e i s , Rom. Privatrecht I, 218ff.; vgl. D. 2 . 1 4 . 1 0 . 2; 11; 12.
202
) Vgl. nur W e n g e r , Quellen, 736 mit Lit.; N e u b a u e r a. a. 0. 174ff.
Mischna Baba bathra X 6 168 b scheint bei Vernichtung des Schuldscheins
(wohl aus Beweisgründen) nicht die Erstellung eines neuen Scheins zuzu-
lassen. Das kommt unserem Falle und einer Dispositivurkunde sehr nahe.
203
) Vgl. z. babyl. Recht S a n N i c o l ò , Beitr. 244; L a u t n e r , Altbab.
Personenmiete, 1936. Zu d. Papyri T a u b e n s c h l a g , Law, 373 m. Lit.
204
) Die Sentenz in Luk. 10. 7: άξιος γαρ â εργάτης του μισϋον αύτοϋ
hat eher einen sozialpolitischen als einen juristischen Inhalt. Vgl. dazu
R e n g s t o r f , Festschrift Karl Arnold, 141ff. [Korrekturzusatz].
205
) Ebenso auch im altbabylonischen ( L a u t n e r , a. a. 0 . 1 1 1 ) und in
der Regel im griechischen-ägyptischen Recht ( T a u b e n s c h l a g 374).
2oe
) Vgl. Lev. 19.13, Deut. 24.15.
207
) Vgl. D. 19. 2. 2 und 19. 5. 22 (actio in factum) und D e R o b e r t i s , I
rapporti di lavoro nel diritto romano, 1946, 67f., 146.
2 8
° ) Matth. 21. 33ff.; Mark. 12. I f f . ; Luk. 20. 9ff.
209
) Wenn nicht die γεωργοί hier als Sklaven zu verstehen sind; vgl.
oben A. 171.
9*
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132 Dieter Nörr,
IX.
Deliktsrecht.
Auch zum Deliktsrecht im weitesten Sinne geben die Evangelien
einige wenige Hinweise.
1. Am interessantesten ist die Anspielung auf die Regelung der
Hirtenhaftung in Joh. 10. l l f . 2 1 6 ) . Doch hat über diese Tat-
bestände D a u v i l l i e r eingehend gehandelt 217 ), so daß hier weit-
210
) S t r a c k - B i l l e r b e c k I, 871: coloni.
211
) Zur Leistungszeit nach den Pachtverträgen in den Papyri vgl. Herr-
mann, Bodenpacht 107f.
212
) Sollte darin eine Andeutung eines Instituts ähnlich der neubabyloni-
schen imittu-Pacht liegen (vgl. etwa VS V 33 = San Nicolò-Ungnad,
Neubab. Rechts- und Verwaltungsurkunden, 1929ff., Nr. 378 u. ebd. 340,
366), bei der der Pachtzins jährlich durch Schätzung festgestellt wurde?
213
) S. San Nicolò, Beiträge 233; Cuq, Études, 209ff. (vgl. die §§46
und 64 des Codex Hammurabi); H e r r m a n n a. a. 0. 204ff.; zum antiken
Recht im allgemeinen auch Kobler, Der Teilbau . . . , 1928, 12ff.
214
) Zu Gen. 47. 19ff. (24) vgl. Kobler a. a. 0.13f.
215
) S t r a c k - B i l l e r b e c k I 869ff.; zur gemeinschaftlichen Pacht ebda
871; s. auch Saalschütz 840. Vgl. auch S t e i n w e n t e r (o. A. 196).
21β
) ô ποιμήν ό καλός τήν ψυχήν αύτον τΐ&ησιν υπέρ των προβάτων ο
μια&ωτός καί ουκ &ν ποιμήν, οϋ ουκ εστίν τά πρόβατα ϊδια, &εωρεϊ τόν
λύκον ερχόμενον καί άφίησιν τά πρόβατα καί φεύγει—καί ο λύκος Αρπάζει
αύτά καί σκορπίζει — ...
217
) Auf dem XIII. Kongreß der Société d'Histoire des Droits de l'Anti-
quité in Freiburg 1959 (noch nicht gedruckt). Vgl. auch Nörr, Die Fahr-
lässigkeit im byzantinischen Vertragsrecht (1960), 135ff.
218
) Nur einige Stellen zur Hirtenhaftung: §§ 8, 9 der sumerischen Gesetze
( C l a y Y B T 1 2 8 ; vgl. K o s c h a k e r SZ 41,1920, 284), I § 75 der hethitischen
Gesetze, 264ff. des Codex Hammurabi, Ex. 22, 9 ff. (vgl. auch Gen. 31. 39).
Lit.: etwa D a u b e , Festschrift Eißfeld 32f., S c h m ö k e l 71, S a n N i c o l ò ,
Beiträge, 185 ff.
219) Vgl. zum germanischen Recht nur G r i m m , Rechtsalterthümer 594.
22
°) Vgl. den Talmud ( S t r a c k - B i l l e r b e c k II 537), der eine frappierende
Entsprechung zum römischen Recht zeigt. Danach haftet der Hirte nicht,
wenn er keinen Lohn erhält, der Entleiher haftet für jeden Untergang, der
bezahlte Hüter und Mieter haftet für „custodia". Hinzuweisen ist auf die
Abstufung der Haftung des Hirten nach seinem Interesse (Utilitätsgrund-
satz).
221
) Vgl. auch D a u b e , Biblical Law, 1947, 91ff.
Nachdem er den Lohn des wachsamen Dieners und die Taten des
schlechten Dieners beschrieben hat, fährt er fort (v. 47f.): εκείνος
ôè ο δούλος ο γνούς το θέλημα του κυρίου αύτοϋ καί μη ετοι-
μάσας η ποιήσας προς το θέλημα αύτοϋ δαρήσεται πόλλας-δδε
μή γνονς, ποιήσας δε αξια πληγών, δαρήσεται ολίγας.
Aus diesen Worten ergibt sich dreierlei:
a) Die fehlende Kenntnis von den Rechtsvorschriften wird
berücksichtigt.
b) Ähnlich wie ursprünglich auch in den anderen antiken
Rechten222) wird nur zwischen Wissen und Nichtwissen unter-
schieden, nicht aber die fahrlässige Unkenntnis berücksichtigt.
c) Wie auch in anderen antiken Rechten ist es auffällig, daß
die Unkenntnis nicht die Straffreiheit, sondern nur eine Straf-
milderung zur Folge hat. Der Grundsatz nulla poena sine culpa
gilt also nicht.
4. Einen Hinweis auf das Strafrecht enthält schließlich noch
Luk. 19.8 Dort sagt Zachaeus, der Vorsteher der Zöllner in
Jericho: . . . και εϊ τινός τι εσυκοφάντησα, αποδίδω μι τετρα-
πλοϋν. Der Begriff des συκοφαντεΐν ist zu unscharf, als daß
man den Tatbestand des Delikts genau festlegen könnte. Bei der
Tätigkeit des Zachaeus liegt es näher, an eine erpresserische Ver-
folgung eines Nichtschuldners als an eine falsche Anzeige im
eigentlichen Sinne223) zu denken224). Die Strafe des mehrfachen
Wertersatzes gehört zum Gemeingut der antiken Rechte225) und
war auch dem jüdischen Recht nicht fremd226).
22z
) Vgl. zum altorientalischen Recht N ö r r , SZ 75 (1958) Iff.; zum grie-
chischen Recht M a s c h k e , Willenslehre, 1926,9; zum Recht der Papyri
T a u b e n s c h l a g , Strafrecht im Rechte der Papyri, 1916, 7f.; zum römi-
schen Strafrecht M o m m s e n 86ff.
223
) So aber T a u b e n s c h l a g , Law, 552; vgl. auch dens. in Studi Aran-
gio-Ruiz 1551ff.
224
) Zur Steuervollstreckung durch die τελώναι vgl. etwa S c h w a h n ,
RE s . v . τελώναι, M o m m s e n , Staatsrecht II 1017 ff.
225) vgl. vor allem D ü l l , Scritti in onore di Ferrini (Mailand) III, 1948,
211 ff.
22
") Strafe des Vierfachen nur in Ex. 21. 37; 2. Sam. 12. Iff. (Wegnahme
von Vieh). Vgl. auch S c h m ö k e l 79.
X.
Vollstreckung.
Besondere Beachtung verdiente an sich die Zwangsvollstreckung,
bezüglich derer die Evangelien in Matth. 18. 23ff.; 5. 25ff. und
Luk. 12. 58 ff. verhältnismäßig gesprächig sind. Doch liegt zu
dieser Frage das schon genannte ausführliche Werk von S u g r a -
n y e s vor 227 ) vor, so daß für unsere Zwecke einige Bemerkungen
genügen.
Nimmt man die Berichte der Evangelien wörtlich, so zeigen sie
uns drei Möglichkeiten der Personalvollstreckung. Eine von der
Personalexekution unabhängige Realexekution wird nicht er-
wähnt.
1. Matth. 18. 25 aus dem Gleichnis vom mitleidlosen Schuldner:
μη έχοντος δε αύτον (sc. Schuldner) άποδονναι, εκέλενσεν αυτόν
δ κύριος πρα&ήναι καϊ την γυναίκα και τα τέκνα κάί πάντα
δσα εχει, και άποδο&ήναι. Nach dieser Stelle soll der Schuldner,
der seine Schulden nicht zahlt, vom Gläubiger mit Familie und
Vermögen verkauft werden. Während das Recht des Schuldner-
verkaufs in Rom und Griechenland228) weit verbreitet war, scheint
es wie im babylonischen 229 ) auch im hebräischen Recht nur be-
schränkt zulässig gewesen zu sein 230 ). Sieht man vom Verkaufs-
recht ab, so ist die Stelle in jedem Falle ein Beleg für die im
Orient weit verbreitete Schuldknechtschaft. Doch kann der Ver-
kauf — ebenso wie das Fehlen eines Hinweises auf ein gericht-
liches Verfahren — damit zusammenhängen, daß der Schuldner
hier ein δούλος βασιλέως ist, der — gleichgültig, ob man ihn als
227
) Vgl. auch die Rezensionen von M i c h a u x in RIDA VI (1951) 297ff.
und von F u r l a n i , S D H I 1 2 (1946) 196ff., sowie zur Stelle auch L a g r a n g e .
228
) S. nur W e i ß , Griech. Privatrecht I, 1923, 503f.; M i t t e i s , Reichs-
recht . . . 445 f.
22e
) Vgl. K o s c h a k e r , Bürgschaftsrecht 69f.; C a r d a s e l a 53 mit Lit.;
dazu noch P e t s c h o w, Neubabylonisches Pfandrecht, 1956, 33, 66 Anm. 184.
230) Vgl. die Institution des Jubeljahres, aber auch Amos 2. 6, Flav.
Joseph. Ant. 1 6 . 1 . 1 (Gesetz des Herodes d. Gr. über den Verkauf von
Dieben). Etwas häufiger erwähnt ist der Verkauf durch den Schuldner
selbst; vgl. die Stellen bei M i t t e i s a. a. 0., 449 Anm. 3.
a31
) S. die ausführliche Diskussion bei S u g r a n y e s 32ff.
m
) Vgl. zu der Frage der notwendigen behördlichen Mitwirkung bei
einer solchen Vollstreckung nur M i t t e i s , Grundzüge, 20; T a u b e n s c h l a g ,
Law, 531 f.
23S
) Zu den Unterschieden von Matth. 6. 26ff. und Luk. 12. 58ff., be-
sonders auch zu dem vielleicht zweigeteilten Verfahren bei Lukas S u g r a -
n y e s 63ff.
23i
) S. W e i ß 517, gegen dessen Ansicht von dem Einfluß des römischen
Rechts auf diese Stelle aber Bedenken bestehen. Denn das hier geschilderte
Verfahren scheint etwas vereinfacht dem normalen Verfahren zu entsprechen,
wie es schon zur ptolemäischen Zeit bestand. Nur bei der Exekutivurkunde
könnte es die persönliche Vollstreckung durch den Gläubiger gegeben haben,
der den Schuldner dem πράκτωρ übergab. Vgl. T a u b e n s c h l a g , Law 636;
s. aber auch L e w a l d , Personalexekution, 1910, 41ff., 45ff. (zur άγώγιμος-
Klausel). Einer Entscheidung dieser Frage bedarf es aber an dieserStelle nicht.
235
) S. die vorige Anm. Die auch in dieser Zeit noch auftretende άγώγιμος-
Klausel scheint eine Vollstreckung durch den Gläubiger zum Inhalt ge-
habt zu haben (vgl. L e w a l d 51ff.).
23
«) A. a. 0. 132ff.
237
) W e i ß ölOff.
23e
) T a u b e n s c h l a g , Law, 529.
238
) Neubabylonisches Pfandrecht bes. 35ff.
24
°) Vgl. nur S a n N i c o l ò - U n g n a d , Neubabylonische Rechts- und Ver-
waltungsurkunden I 643.
241
) Das ägyptische Vollstreckungsrecht ist uns nur wenig bekannt;
vgl. S ei dl, Ägyptische Rechtsgeschichte der Saiten- und Perserzeit, 39;
Théodoridés RIDA 3 5 (1958), 65 ff. Die Personalexekution scheint ihm
bekannt gewesen zu sein; Diod. 179, 3; Pap. Lausing 7 , 1 (nach Théodo-
ridés a. a. O.).
Z e u g e n b e w e i s u n d Eid.
1. In Matth. 18.15f. 242 ) wird auf einen alten jüdischen Rechts-
satz 243 ) angespielt, nach dem — wenigstens bei Delikten — die
Zeugenzahl mindestens zwei betragen muß 244 ). Im hellenistischen
Rechtskreis ist eine ähnliche Bestimmung nicht bekannt 245 ). Wenn
auch natürlich die Aussage eines Zeugen allein nicht stets zur
Beweisführung ausreicht246), so steht doch die Starrheit des jüdi-
schen Rechts in dieser Frage allein da247). In der Spätzeit ist diese
Beweisregel, teils unter christlichem Einfluß248), teils vielleicht
auch durch die Erstarkung eines längst im Volke verbreiteten
Gedankens249) zum Gerichtsgebrauch, Rechtssatz geworden250).
2. Eine ausführliche Behandlung des Eides im hebräischen
242
) ... èàv δε μή άκουα fi, παράλαβε μετά σοΰ èri èva ή δυο, ίνα ini
στόματος δυο μαρτύρων ή τριών σταϋ-fi πάν ρήμα' · · . vgl. auch Joh. 8 . 1 3
zum Zeugnis für sich selbst.
243
) Num. 35. 30; Deut. 17, 6; 19,15.
2ii
) Vgl. auch S a a l s c h ü t z 604f.; dort auch über Einschränkungen der
Regel in der Mischna.
24B
) Möglicherweise galt die Mindestzahl von zwei Zeugen auch im baby-
lonischen Recht; vgl. S a n N i c o l ò , Beiträge 134.
24
«) Vgl. etwa Paul. D. 48.18. 20 und die Quellen bei M o m m s e n , Straf-
recht, 440 Anm. 3.
24
') Zu Rudimenten einer strengen Beweistheorie im griechischen Hecht
vgl. L e i s i , Der Zeuge im Attischen Recht, 1907, 107; L a t t e , Heiliges
Recht, 1920, 31.
248
) S. T a u b e n s c h l a g , Law, 516.
249
) S. die Quellen bei M o m m s e n 224 (Seneca controv. 7.1. 23; 7. 5 . 1 ;
Quint, deci. 379; Plut. Cat. min. 19).
25
°) Cod. 4. 2 0 . 9 ( C o n s t a n t i n ) , welche Konstitution aber eher eine
Beweisvermutung als eine strenge Beweisvorschrift ist; Pap. Mon. 6, 59.
2
« ) Vgl. zum Eid nur L a t t e a . a . O . 6ff.; H i r z e l , Der Eid, 1902;
S e i d l , Der Eid im ptolemäischen Recht, 1929; ders., Der Eid im römisch-
ägyptischen Provinzialrecht, 2 Bde. 1933/35; K u n k e l , SZ 51 (1931)
229ff.; S a n N i c o l ò , RA s. ν. Eid; S t e i n w e n t e r , RE iusiurandum, Saal-
s c h ü t z 608ff.; G o o d e n o u g h , Jewish Courts, 41ff.
262
) έγώ δέ λέγω ύμΐν μη όμόσαι δλως· μήτε εν τφ ούράνφ, ... μήτε εν
τ
Ώ Yñ, • • · μήχε εις το 'Ιεροσόλυμα, ... μήτε εν rf¡ κεφαλή σου όμόστ]ς,...
253
) Ούαί ύμΐν, δδηγοί τυφλοί ol λέγοντες· δς äv άμόστ] εν τφ ναφ, ουδέν
εστίν' δς δ'άν όμόσ·η εν τφ χρυσω του ναοϋ, όφείλει ... και δς äv όμόστ] εν
τω ϋυσιαστηρίο), ούδέν εστίν δς δ'άν δμόστ] εν τφ δώρφ τφ επάνω αύτοΰ,
όφείλει • . .
254
) Vgl. H i r z e l 13ff.
255
) Vgl. S a a l s c h ü t z 614; s. aber auch den Schwur beim Vater in
Gen. 31. 54.
26
·) Beim Leben Pharaos in Gen. 42.16.
267
) So S t r a c k - B i l l e r b e c k I 330f.; vgl. auch S a a l s c h ü t z 619 Anm.
Bemerkenswert ist aber, daß auch im neubabylonischen Recht der Schwur
bei Götteremblemen auftritt; s. S a n N i c o l ò , RA s. v. Eid §4.
258) vgl. vor allem G o o d e n o u g h a. a. 0. mit Lit.
XII.
Zusammenfassung.
Die folgenden Ergebnisse sind im einzelnen mit dem Vorbehalt
des Hypothetischen aufzunehmen, wie er bei der Untersuchung
einer literarischen Quelle notwendig ist. Dabei ist es noch erstaun-
lich, wie häufig die Gleichnisse auf juristische Probleme eingehen.
Im ganzen genommen vermitteln sie doch ein verhältnismäßig
klares Bild der Herkunft des Rechts im Raum Palästinas in der
frühen Kaiserzeit.
1. Die vielleicht auffallendste Antwort geben uns die Quellen
auf die Frage nach dem Einfluß griechischen Rechts 263 ). Mit
Sicherheit konnten wir einen solchen nirgends feststellen2®4). Nicht
ganz undenkbar ist es, daß die Geschlechtsvormundschaft, die dem
hebräischen Recht fremd zu sein scheint, in Palästina Eingang
gefunden hat. Doch ist die Anspielung auf sie in Joh. 19. 26 zu
26
°) Vgl. B a u e r , Archiv für Orientforschung 8 (1933) 5f. zum hethitischen
Recht (mit Hinweis auf P e d e r s e n , Der Eid bei den Semiten, 225).
2β0
) Anders bezüglich des Eides bei den Emblemen.
2β1
) De leg. spec. II 2ff.; vgl. bes. H e i n e m a n n in Judaica, Festschrift
Cohen, 1912, 109 ff.
a 2
" ) S e i d l l Iff., 39 ff.
2 3
· ) Vgl. auch P e t s c h o w , RIDA 3. S. 1 (1954), 171 zum Surrogations-
gedanken.
,M
) Daraus ergibt sich, daß die Thesen P r i n g s h e i ms (Ausbreitung und
Einfluß des griechischen Rechts, 1952) wenigstens gewisser Modifikationen
bedürfen.