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im pharaonischen Ägypten
* Den Herren Prof. D. Dr. S.Morenz, Leipzig, Prof. Dr. Petschow, München, und
Prof. Dr. E. Otto, Heidelberg, bin ich für die Erteilung zahlreicher wertvoller Hin
weise dankbar.
46 Rolf Tanner
aus Abbildungen ergeben, vorlieb zu nehmen. Wir dürfen deshalb nach dem gegen
wärtigen Stande der ägyptologischen Forschung keine für eine rechtsgeschicht
liche Auswertung idealen Tatbestände erwarten. Es wird fallweise notwendig sein,
neben Urkunden spezifisch juristischen Inhalts solche aus anderen Bereichen der
ägyptischen Kulturgeschichte (z. B. religiöse Vorstellungen und allgemeine Lite
raturwerke) in den Kreis unserer Betrachtung zu ziehen. Wir glauben, hierzu aus
folgenden Gründen berechtigt zu sein: Bei der Untersuchung der Rechtsposition
der Frau muß ihre Umwelt, müssen die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen
sie lebt, berücksichtigt werden. Es berühren sich hier allgemein kulturgeschicht
liche Fragen mit speziell juristischen Problemen. Dabei werden wir einen Wesens
zug des ägyptischen Rechts erkennen, der zum weiteren Verständnis der uns be
gegnenden Tatbestände nützlich ist: Nach Auffassung des ägyptischen Menschen
pharaonischer Zeit steht das Recht nicht als säkulare Größe isoliert neben seinem
Weltbild, sondern es ist mit ihm untrennbar verbunden. Ohne diese grund
sätzliche Eigenheit des ägyptischen Rechts aus den Augen zu verlieren, werden
wir uns besonders seinen profanen Erscheinungsformen widmen, um eine Er
leichterung in der systematischen Darstellung des Stoffes zu haben. Aus der Be
trachtung kultischer Institutionen vom juristischen Standpunkte ergeben sich
mancherlei wertvolle familien- und erbrechtliche Rückschlüsse; das zeigen die be
reits aus früher Zeit vorhandenen Urkunden über Totendienst und die damit ver
bundenen vertragsähnlichen Abmachungen. Ebenso spiegelt sich in Werken der
mittel- und neuägyptischen Literatur im Rahmen der historischen Abschnitte ein
Stück Rechtswirklichkeit wider, während die kosmologischen Aussagen den
Leser nicht selten mit prinzipiellen Rechtsauffassungen der Zeit bekannt machen.
So zeigen die Weisheitslehren zum Beispiel, daß für den Ägypter des Alten, Mitt
leren und Neuen Reiches1 das Recht nicht als abstrakter Begriff um seiner selbst
willen existiert ; es ist vielmehr zweckgebunden. Als wesentlicher Bestandteil der
Maat muß das Recht schon aus religiösen Gründen geschützt und gepflegt werden.
Herstellung der Maat bedeutet gleichzeitig Garantie der von der Gottheit (die sich
im König inkarniert) gewollten irdischen Ordnung ; diese fügt sich hierdurch sinn
voll in die kosmische Ordnung ein. Auch die kosmische Ordnung kann nur be
stehen, wenn ,,Maat an die Stelle des Unrechts“ gesetzt wird.12
Der Ägypter denkt nicht in abstrakten Begriffen. Wie er u. a. auf naturwissen
schaftlichem Gebiete die vier Winde als Gestalten bezeichnet3, so bevorzugt er
auch im Rechtsdenken eine bildhafte Ausdrucksweise. Gerechtigkeit üben, heißt,
der Maat dienen. Der Schöpfergott Re ist zugleich ein richtender Gott, dessen
Weltregiment die Maat zu erhalten hat.4 Dabei wird die Maat als Göttin auf
1 Im folgenden abgekürzt : Altes Reich = AR, Mittleres Reich = MR, Neues
Reich — NR.
2 K. Sethe, Die altägyptischen Pyramidentexte, Leipzig 1908, 265 und 1775.
Das Zitat gibt die rechts außen stehenden, fettgedruckten und fortlaufenden
Ziffern an.
3 S. Morenz, Ägypten und die altorphische Kosmogonie, in: Festschrift für
W. Schubart, Leipzig 1950, 86.
4 H. Bonnet, in: Reallexikon der ägyptischen Religionsgeschichte, Berlin 1952»
628 s. v. Re.
Die Frau im pharaonischen Ägypten 47
gefaßt, deren nahes Verhältnis zum Schöpfergott sich in ihrer Eigenschaft als
Tochter desselben zeigt. Der richtende Gott verkörpert auch das Idealbild des
irdischen Richters, wenn es von ihm heißt, er sei „der gerechte Richter, der keine
Bestechung annimmt".i Auch der Pharao hat nach diesen Vorstellungen die Maat
zur Richtschnur seines Regierens zu nehmen. Er bezeichnet sich gern „als den
Geliebten der Maat, der in seinen Gesetzen in ihr lebt".2
In den höheren Richtern des MR und NR begegnen uns regelmäßig Priester
der Maat, die das Bild dieser Gottheit an einer Halskette tragen. Auch im mytho
logischen Bereich wird Thot als Vezier des Re mit dem Brust bilde der Göttin Maat
geschmückt.123
Ein typisches Beispiel für bildhaftes Rechtsdenken findet sich im juristischen
Papyrus von Turin.4 Dieser enthält eine protokollähnliche Beschreibung des
Untersuchungs- und Urteilsverfahrens gegen Täter und Gehilfen einer Harems
verschwörung gegen Ramses III., in der die häufige Verwendung formelhafter Aus
drücke wie „Man fand ihn für schuldig, und sie veranlaßten (die Richter), daß
ihre Strafe sie (die Verbrecher) einholte" oder „Ihre Verbrechen ergriffen sie" auf
fällt.
Dieser kurze Streifzug durch das weite Feld der mittelbaren Rechtsquellen
zeigt, daß bei der Beschreibung eines Gegenstandes der ägyptischen Rechts
geschichte viele Einzeltatbestände aus den verschiedensten Wissensgebieten zu
sammengetragen werden müssen. Dabei wird es gut sein, sich immer wieder die
Unsicherheitsfaktoren vor Augen zu führen, die einer derartigen Rekonstruktion
anhaften können. Die fehlenden Rechtskodifikationen erschweren die Erforschung
des materiellen Rechts außerordentlich. Da auch die mittelbaren Rechtsquellen
vor allem in den frühen Perioden meist nur die Angehörigen einer bestimmten
Bevölkerungsschicht betreffen, dürfen wir in Auswertung dieser Belege kein homo
genes Bild der Rechtsentwicklung erwarten. Das bunte Mosaik der gattungs-
verschiedenen Belege ist auch nicht so ergiebig, daß am Ende der Untersuchungen
eine chronologische Ordnung des materiellen Familienrechts herauskommt ; dafür
erhalten wir einen Überblick der Rechtspraxis, der zur Abrundung des kultur
geschichtlichen Bildes unerläßlich ist.
Eine weitere Frage muß an dieser Stelle vorab behandelt werden. Die klassische,
in der Regel dem römischen Recht angepaßte juristische Begriffsterminologie
eignet sich nur sehr bedingt zur Systematisierung unseres Stoffes. Römisches
1 Vgl. hierzu die treffenden Bemerkungen bei E. Otto, Ägypten — Der Weg des
Pharaonenreiches, Stuttgart 1955, 7.
2 W. Spiegelberg, Studien und Materialien zum Rechtswesen des Pharaonen
reiches, Hannover 1892.
3 M. E. Revillout, Précis du droit Égyptienne, Paris 1903.
Ebd. 2, Paris 1903, 974.
5 J. Pirenne, Histoire des institutions et du droit privé de l’ancienne Égypte 1—3,
Bruxelles 1932—1935, mit Übersetzungen von M. S trac mans.
6 Ders., Les trois cycles de l’histoire juridique et sociale de l’ancienne Égypte,
Bruxelles 1937.
Die Frau im pharaonischen Ägypten 49
einandersetzen müssen. Besonders wertvoll sind die dem zuerst genannten Werke
beigefügten Materialsammlungen, obgleich dieselben den für die genannte Zeit
bestehenden Mangel an unmittelbaren Rechtsquellen auch nicht überbrücken
können. Schon aus diesem Grunde türmen sich für eine chronologische Be
schreibung der allgemeinen Rechtsgeschichte nahezu unüberwindliche Schwierig
keiten auf. Weiterhin ist ein Werk von grundlegender Bedeutung aufzuführen:
E. Seidl, Einführung in die ägyptische Rechtsgeschichte bis zum Ende des Neuen
Reiches.1 Seidl gibt in konzentrierter Form und auf modernen Übersetzungen
fußend einen allgemeinen Überblick der gesamten Rechtsentwicklung und sagt
für die meisten Bereiche das auf Grund der derzeitigen Quellenlage Wißbare. So
stellt gerade dieses Werk eine Pioniertat dar, auf dessen Ergebnissen sich ein guter
Teil der vorliegenden Untersuchungen auf bauen konnte. Endlich sei noch einer
monographischen Darstellung des ehelichen Güterrechts gedacht.12*3Wenn auch der
Schwerpunkt des angeführten Belegmaterial von Pestman in die ägyptische
Spätzeit verlegt wurde und teilweise sogar Urkunden des bereits stark gräzi-
sierten Familienrechts des 3. und 2. Jahrhunderts v. Chr. herangezogen werden,
so enthält die Arbeit auch für die früheren Epochen wertvolle Feststellungen.
Es bestehen jedoch grundsätzliche Bedenken, wenn Pestman das Eherecht mit
seinen güterrechtlichen Erscheinungsformen einer isolierten Behandlung unter
zieht, ohne gleichzeitig die für Ägypten so typische Verbindung desselben mit
dem Erbrecht zu erörtern. Man denke z. B. an die erbrechtliche Bedeutung der
Ehefrau als nb.t pr.?>
Über den merkwürdigen Umstand, daß uns aus dem AR, MR und NR keinerlei
Rechtskodifikationen überliefert worden sind, hat sich die ägyptologische For
schung bisher wenig geäußert. Man vermutet allgemein die Existenz geschriebener
Gesetze bereits für das AR und MR, obwohl spärliche Belege erst für das NR vor
liegen. 4 Eine interessante Untersuchung dieser Frage hat E. Otto in seinen
Prolegomena5 vorgenommen und festgestellt, daß die uns überlieferten Zeugnisse,
wie z. B. das aus der 6. Dynastie stammende Prozeßurteil6, der vor der ,t
1 Urkunden des ägyptischen Altertums 1 : Urkunden des AR, hrsg. von K. Sethe,
Leipzig 1933, 157f. (im folgenden Urk.); vgl. auch K. Sethe, Sitzungsberichte der
Preußischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Kl. (im folgenden SPAW)
63, 1911, 6. Wir begegnen in dieser Urkunde erstmalig der vollentwickelten Rechts
form des Kaufes. Der verwendete Terminus lautet: inj r isw = gegen Entgelt an
sich bringen, also kaufen; vgl. hierzu A. Erman, H. Grapow, Wörterbuch der
ägyptischen Sprache 1, Leipzig 1955, 91. (im folgenden WB).
2 Die imj. t-pr Urkunde spielt als Legitimation der Eigentumsübertragung
bereits im AR eine wichtige Rolle. Sie wird schon in der Inschrift des Meten (Urk. 1,
1933, 1—7 Z. 15) erwähnt (4. Dynastie).
3 Zu den Verwaltungsformen der Thinitenzeit vgl. E. Otto, Ägypten — Der
Weg des Pharaonenreiches, 48.
4 F. Petrie, A History of Egypt, London 1924, 20.
5 Oftmals abgebildet; vgl. A. H. Gardiner, Egyptian Grammar, Oxford 1927, 7.
c E. Otto, MDI 14, 1956, 151, führt eine scharfe Trennung durch.
7 A. Erman, H. Grapow, Wörterbuch der ägyptischen Sprache 2 1955 488
8 Ebd. 1, 1950, 397 Nr. 5.
» W. Helck, ÄZ 80, 1955, 109.
10 Auch E. Otto, MDI 14, 1956, 155, bejaht für das Haremheb-Dekret einen vor
wiegend gesetzlichen Charakter.
11 Urk. 4, 1909, 1103-1117.
Die Frau im pharaonischen Ägypten 51
und sowohl den konkreten Einzelfall als auch durch Festlegung normativer Tat
bestände eine unbestimmte Vielzahl entsprechender Fälle regeln können. U. a.
heißt es:
„Er soll jeden Eingabeführenden anhören gemäß diesem Gesetz, das in seiner
Hand ist .“1 Für „diesem Gesetz“ steht hp pn. Ferner verweist der Text auf vierzig
Lederrollen, die während der Gerichtssitzung vor dem Vezir liegen sollen.1 2 Der
Gedanke liegt nahe, daß zwischen den beiden Stellen ein innerlicher Zusammen
hang besteht, obgleich der Text nichts über den Inhalt der Rollen sagt. Hierzu
paßt die Abbildung der vierzig Rollen im Grabe des aus der 18. Dynastie stammen
den Vezirs Rechmire.3 Auf vier Teppichen liegen je zehn Rollen, die mit großer
Wahrscheinlichkeit zur einstigen richterlichen Tätigkeit des Grabinhabers ge
hörten. In den Mahn Worten des Ipw-wr erfahren wir: „Wahrlich, die Gesetze der
Gerichtshalle sind hinausgeworfen. Die Leute laufen auf den öffentlichen Plätzen
darauf herum. Die Armen brechen sie in den Gassen auf .. .“4 Der im Text stehende
Term, hp.w bezieht sich hier auf Korpora, die unter normalen Umständen in der
Gerichtshalle aufbewahrt werden. Auf Grund turbulenter Ereignisse sind sie von
gewalttätiger Hand aus der Halle geworfen worden. Die Armen brechen sie auf
der Straße auf. Es könnte sich bei den Korpora um Gerichtsentscheidungen im
Sinne von Erlassen handeln, die von amtierenden Veziren schriftlich verkündet
wurden. Die Verwendung von hp.w gestattet diese Auslegung. Einen weiteren
Hinweis auf gesetzesähnliche Bestimmungen lesen wir auf einer Stele aus der Zeit
der 11. oder 12. Dynastie. Es handelt sich um eine Art Friedhofsordnung, wenn
man den term, hp ... . irj smj.t in dieser Weise auffassen darf.5 Aus dem Kontext
ist zu entnehmen, daß die Bezugnahme auf diese gesetzesähnliche Vorschrift zur
Legitimation einer Strafandrohung gegen Personen höheren Standes dienen soll,
die innerhalb des abgegrenzten Geländes sich eine Grabanlage einrichten.
Zwischen den zitierten Belegen für die Verwendung des Term, hp liegen große
Zeiträume; sie deuten jedoch auf einen gemeinsamen Gegenstand hin: Die
richtende Obrigkeit — evtl, durch den die oberste Rechtsprechung ausübenden
Vezir vertreten (an Stelle des Königs) — hatte sich bei ihren Entscheidungen an
schriftlich fixierte Rechtsgrundsätze zu halten, die mit großer Wahrscheinlichkeit
in den genannten vierzig Lederrollen aufgezeichnet waren. Wir vermeiden mit
Bedacht den Begriff Gesetz, da trotz der Verwendung von hp nichts über Inhalt
und Form bekannt ist. Es fragt sich auch, ob der Ägypter des AR, MR und NR
1 Ebd. 1111 Z. 2. Vgl. hierzu K. Sethe, Untersuchungen zur Geschichte und Alter
tumskunde Ägyptens 5, Leipzig 1912, 54, und W. Reick, Untersuchungen zu den
Beamtentiteln, Ägyptische Forschungen 18, 1954, 19, die den Text in die 13. Dy
nastie datieren.
2 Urk. 4, 1909, 1104 Z. 7.
3 P. E. Newberry, The Life of Rekhmara, London 1900, Taf. 4; A. Erman,
H. Ranke, Ägypten und ägyptisches Leben im Altertum, Tübingen 1923, 158
Abb. 44.
4 Pap. Leiden Nr. 344, recto, 6 Z. 9-11; übersetzt von A. Gardiner, The Admo
nitions of an Egyptian Sage, Leipzig 1909, 46.
5 Wörtlich übersetzt: „Zur Wüste gehöriges Gesetz“; vgl. Stele des Neferhetep
bei D. Randall-Maciver, El Amrah and Abydos, London 1902, Taf. 29 Z. 7.
4*
52 Rolf Tanner
1 Ebd. 67.
2 Pap. Rollin Kol. 2 Z. 5. Breasted, Ancient Records 4, § 456.
3 Nach S. Morenz, Ägyptische Religion, 127, gibt es erwiesenermaßen kein ge
schriebenes Religionsgesetz. Zum Gesamtproblem vgl. J. Leipoldt, 8. Morenz,
Heilige Schriften, Leipzig 1950.
4 Seit Spiegelbergs Übersetzung der zitierten Stelle (ÄZ 64, 1929, 90) dürfte es
unzweifelhaft sein, daß es sich tatsächlich um ein Verbot handelt; unter „heiligem
Vieh Gottes“ sind Menschen zu verstehen.
5 Zur heliopolitanischen Lehre vgl. H. Kees, Der Götterglaube im alten Ägypten,
Berlin 1956, 248-251.
6 Zum Begriff der Zwei-Naturen-Lehre s. H. Goedicke, Die Stellung des Königs
im AR, Wiesbaden 1960, zu unserem Problem bes. S. 92.
54 Rolf Tanner
sicht in das Wesen der Maat (E. Otto) ist hierzu nur der König in der Lage, da
die Maat keine speziellen Verhaltensregeln aufstellt, weder im Bereich des Religiös-
Ethischen noch in der säkularen Rechtsordnung. Wahrheit und Gerechtigkeit sind
gewissermaßen nur als ihre Derivate anzusprechen. ,,Die Maat ist von Gott ge
setzt, dabei durch sein Wort geboten; aber sie ist ein Grundwert, kein explizites
Gesetz."1 Hierin dürfte von unserem Aspekt aus betrachtet der Hauptunterschied
zwischen den Grundlagen der ägyptischen und israelitischen Rechtsauffassung
bestehen, so daß mit allem Vorbehalt die Existenz einer auf allgemein-normative
Gesichtspunkte beschränkten Gesetzgebung angedeutet werden soll. Durch Prä
judizentscheidungen der rechtsprechenden Organe könnten diese auf der Maat
vorstellung beruhenden Normen allmählich eine greifbare Form angenommen
haben, bis schließlich ein in allen Einzelheiten ausgebildetes Recht (materiell und
formell) entstand. Auf das Präjudiz eines Vezirs namens Hori wird z. B. im Pap.
Turin Bezug genommen.1 2 Eine Parallelstelle enthält ein hieratisches Ostrakon,
das auf die Vorentscheidung eines Vezirs Nfr-rnpt verweist.3 Wie die Rechts
entwicklung im einzelnen verlaufen ist, auf welche Gebiete sie sich erstreckte,
können wir nach dem derzeitigen Quellenstande nicht sagen. Als sicher läßt sich
jedoch herausstellen, daß für den angezeigten Entwicklungsgang kein Gesetzes
werk — weder in apodiktischer noch in kasuistischer Form — als conditio sine qua
non gegeben zu werden brauchte. Würde diese These zutreffen, hätten wir eine
plausible Erklärung für das Fehlen jeglicher kodifizierten Rechtsüberlieferung
aus dem AR und MR.
1 Zur Frage des Matriachats äußert sich E. Kornemann, Die Stellung der Frau
in der vorgriechischen Mittelmeerkultur, Orient und Antike 4 (Heidelberg), 1927,
18-19.
2 W. Spiegelberg, Der Pap. Libbey, Straßburg 1907.
3 Ebd. publiziert.
4 E. Seidl, Ägyptische Rechtsgeschichte, 62.
5 Pap. Libbey stammt aus der Zeit des Fürsten Hbbs, etwa 2. Perserzeit ; Pap.
Berlin Nr. 3078 wird von Spiegelberg in das 30. Jahr des Königs Darius I. (1. Perser
zeit) datiert.
6 Pap. British Museum Nr. 10120a enthält die Feststellung nicht expressis
verbis, bestätigt aber als Ausnahme die Regel; vgl. auch E. Seidl, Ägyptische
Rechtsgeschichte, 65.
7 Meist folgt der Nachsatz: ,,. . . und mir eine Frauengabe gegeben."
8 So von Radinger, RE 2. Reihe 14, 1912, 2750 s. v. Hekataios aus Abdera, bes.
2755.
56 Role Tanner
(„Die Weiber“) wider: „Die Männer sind den Weibern überlegen wegen dessen,
was Allah den einen vor den anderen gegeben hat, und weil sie von ihrem Geld
(für die Weiber) auslegen. Die rechtschaffenen Frauen sind gehorsam und sorgsam
in der Abwesenheit (ihrer Gatten), wie Allah für sie sorgte. Diejenigen aber, für
deren Widerspenstigkeit ihr fürchtet — warnet sie, verbannt sie in die Schlaf
gemächer und schlagt sie . . J* 1
Auch das altbabylonische Recht kannte die Kaufehe, die hier wohl als ein
Überbleibsel sumerischer Auffassungen zu werten ist.12 So wird tirhatu ursprüng
lich den Kaufpreis bedeutet haben, den der Bräutigam dem Brautvater zu zahlen
hatte. Unter Hammurabi entwickelte sich aus diesem Brauchtum der Mitgift
begriff, der eine Abgrenzung zum seriktu, dem Geschenk des Vaters an die Braut,
kaum noch deutlich werden läßt. Nach dem Kodex Hammurabi nahm die Ehefrau
eine beachtliche Freiheitssphäre in personenrechtlicher Beziehung ein, die ledig
lich durch das Fortbestehen der patria potestas des Familienvaters eingeschränkt
wurde. Sie erfreute sich u. a. weitgehender Geschäftsfähigkeit. Zu der erbrecht
lichen Vorrangstellung der verheirateten ägyptischen Frau als nb.t pr ist sie
freilich nie avanciert. Haus und Hof blieb der absoluten Verfügungsgewalt des
Hausvaters vorbehalten.3
Der Rundblick soll nicht ohne eine kurze Erwähnung der Parallelinstitutionen
des römischen und germanischen Rechts abgeschlossen werden.
Die Manus-Ehe war als coemptio im ältesten römischen Zivilrecht mit einer
weitestgehenden rechtlichen Abhängigkeit gegenüber dem Ehemann verbunden.
Als uxor in manu mariti hatte die Ehefrau personenrechtlich eine Stellung, die
der jüdischen Frau in vordeuteronomischer Zeit ähnelt. Sie war insbesondere
nicht vermögensfähig. Bei der zunächst formlos geschlossenen Usus-Ehe (die
rechtlich jedoch keine Anerkennung fand) konnte, wenn keine Ehehindernisse
bestanden, die Frau sogar im Wege der „Ersitzung“ erworben werden. 45D. h.,
befand sich die Frau ein Jahr lang ununterbrochen im tatsächlichen Gewalt-
Verhältnis des Mannes (indem sie in der genannten Zeit im Hause des Mannes
wohnte), so verwandelte sich die Usus-Ehe in die rechtmäßige Manus-Ehe. Im
übrigen unterstand die Frau derjenigen patria potestas, in der sich der Ehemann
befand. Die Frau schied durch die conventio in manum aus der Familie ihrer
Eltern aus und wurde Mitglied der Agnatenfamilie des Mannes. Dieser Vorgang
wurde rechtlich als capitis deminutio minima bezeichnet. Die Frau wurde in
späterer Zeit wesentlich freier; zur Zeit des Gaius war auch ihre Zustimmung
zur Rechtswirksamkeit der Ehe notwendig 5. Neben der Manus-Ehe bestand eine
berichten. Wir lernen Frauen als Inhaberinnen dinglicher Rechte kennen; sie
besitzen Grundstücke, ja ganze Ländereien und Städte, die ihnen durch Haus
urkunde ausdrücklich übertragen werden. Ebenso können sie selbst ererbten
Landbesitz weitergeben, ohne hierzu einer besonderen Einwilligung Dritter —
etwa des Ehemannes — zu bedürfen. Es wird an keiner Stelle ein diesbezüglicher
Konsens erwähnt. Bei den in der Ausführlichkeit des Formulars geradezu pedan
tisch wirkenden notariellen Bemerkungen würde das Fehlen einer notwendigen
Zustimmungserklärung — wodurch eventuell die Rechtsunwirksamkeit des be
absichtigten Rechtsgeschäfts zu besorgen gewesen wäre - kaum zu übersehen
gewesen sein. Für die Übertragung von Landbesitz durch Hausurkunde an die
Kinder der Eigentümerin liegt bereits ein Beleg aus der Zeit des Königs Snofru,
4. Dynastie, vor. Er findet sich in der Biographie des Meten. Das Beispiel verdient
besonders deshalb unser Interesse, da bereits zu dieser Zeit von einer königlichen
Registratur die Rede ist, die die Veränderungen des Grundeigentums festhält.
Die Stelle lautet folgendermaßen:
Z. 14 ,,Es wurden ihm 50 Stadien Land von (seiner) Mutter Nebset übertragen.
Z. 15 Sie machte darüber eine Hausurkunde für (ihre) Kinder.
Z. 16 (Diese) wurde in ihren Besitzungen durch königliche Urkunden (?) in jedem
Ort (oder Amt) aufbewahrt.“1
Die Mutter ist hiernach unbeschränkte Eigentümerin ihrer Liegenschaften. Die
Hausurkunde errichtet sie zugunsten ihrer Kinder. Der Vater derselben wird
an dieser Stelle der Urkunde überhaupt nicht erwähnt. Meten beerbt auch ihn,
wie er uns in seiner Biographie weiterhin erzählt. Der Grundbesitz des Vaters
wird näher beschrieben. Wir werden auf diese Urkunde wiederholt zurück
kommen; zunächst genügt die klare Trennung der elterlichen Vermögensteile
und die Feststellung, daß die Verfügungen der Mutter vom Willen des Vaters
unabhängig sind. Stünden Mutter und Kinder unter einem personenrechtlichen
GewaltVerhältnis des Vaters, könne die Mutter niemals die Urkunde allein er
richten. Aus der gleichen Dynastie berichtet uns eine Urkunde, daß der Sohn
des Königs Chephren, Prinz Nj-Rc-kJw, der Ehefrau und Tochter bedeutende
Schenkungen gewährt (Städte).1 2 Diese Eigentumsübertragungen gelten sicher
lich erst im Zeitpunkt des Todes des Erblassers. Wie wir erkennen werden, knüpft
sich an die Erbschaft die Verpflichtung, für den Verstorbenen Totendienste zu
leisten. Nach der religiösen Auffassung des Ägypters setzt der Tote als verklärter
Geist im Falle der Rechtfertigung vor dem „großen Gotte“ seine Existenz in
außerirdischen Bereichen fort; d. h., der Heimgegangene ist für den Hinter
bliebenen nicht tot. Wir finden aus diesem Grunde in Ägypten keine ausgespro
chene Testamentsform.
d) Wenden wir uns jetzt einer Inschrift aus der 6. Dynastie zu, die einen be
merkenswerten Inhalt hat. Sie steht im Grabe des Priesters Senenj bei Kasr es
Sajad.1 Der Text ist z. T. sehr zerstört, gibt aber über die wichtigsten Anliegen
genügend Auskunft. Der Grabherr teilt der Nachwelt eine Landschenkung mit,
die er zugunsten seiner Ehefrau verfügt habe. Er versichert, daß das Land ihr
wirkliches Eigentum sei, und droht jedem, der ihr es streitig mache, einen Prozeß
,,vor dem großen Gotte“ an. Vergleicht man den weiteren Text, vor allem Zeile 9,
so zeigt sich die geachtete Stellung der Frau, deren Lobpreis mehr als bloße
Phrase zu sein scheint. Die Inschriften des AR zollen der Frau selten ein be
sonderes Lob, obgleich sie auch nicht übergangen werden. Interessant ist die
Redewendung in Zeile 3 4, deren Inhalt in der Regel Grabschändern angedroht
wird12, hier aber die (vermutlich den Grabherrn überlebende) Ehefrau Asenka
der Rechtshilfe des Toten versichert. Auch die Frau bekundet Rechtsbrechern
gegenüber ihre Streitbarkeit, wie die Zeilen 11/12 zu erkennen geben. Unabhängig
von dem nach außen hin dokumentierten Rechtsschutz des Ehemannes, der
noch mit handfesten Drohungen verbunden ist, zeigt die Urkunde, daß die Frau
in der Lage ist, kraft eigenen Rechts die Angriffe Dritter durch gerichtliche
Schritte abzuwehren. Unter dem ,,großen Gotte“ ist nicht der Jenseitsrichter,
sondern das unter dem Schutz des göttlichen Königs stehende weltliche Gericht
zu verstehen. Die in der Inschrift zum Ausdruck kommende Doppelsicherung
durch Drohung des Mannes und der begünstigten Frau mag ein Erfordernis un
ruhiger Zeiten gewesen sein. Die Inschrift stammt aus dem Ende des AR, in
dessen Folgezeiten sich turbulente geschichtliche Ereignisse einstellten.3 Wir
dürfen der Urkunde entnehmen, daß Asenka nicht nur voll geschäftsfähig war —
von einem Vormund usw. ist nirgends die Rede —, sondern auch Prozesse führen
durfte.
1 Urk. 1, 1933, 115—117. Der Text stellt der Übersetzung große Schwierigkeiten
in den Weg. Für die im folgenden mitgeteilte Übersetzung vergleiche A. Scharff,
E. Seidl, in: Festschrift für L. Wenger 2, München 1944, 168—169; vgl. auch
J. Breasted, Ancient Records of Egypt 1, § 357.
Zeile 1 ,,Serienj, er sagt:
,, 2 Was dieses Land anbetrifft, das ich als ....
,, 3 und das ich meiner geliebten Ehefrau Asenka übertragen habe .... mit
allen ....
,, 4 .... die es von dieser Asenka wegnehmen sollten, (mit) ihnen werde ich
Gericht halten beim großen Gotte,
,, 5 dem Herrn des Himmels; außerdem werde ich ihnen den Hals umdrehen
wie einem Vogel . . .
9 (Ich habe) dieses für die Asenka (getan), weil die Verehrung für sie in
meinem
,, 10 Herzen so groß ist. Sie sagte nichts, das mein Herz kränkte; sie hat mich
nicht ausgeschlossen von ....
,, 11 Asenka, sie sagt:
,, 12 Ich bin eine süß an Liebe .... eine, die in ihrer ganzen Stadt beliebt ist.
Mit allen Leuten, die dieses Land von mir wegnehmen sollten, werde ich
beim großen Gotte Gericht halten.“
2 Vgl. hierzu E. Edel, Untersuchungen zur Phraseologie der ägyptischen In
schriften des Alten Reiches, MDI 13, 1944, 9f.
3 Vgl. E. Otto, Ägypten - Der Weg des Pharaonenreiches, Stuttgart 1955,
93-111.
62 Rolf Tanner
z. B. aus Pap. Kahum I 1 p. 12 hervor.1 Hier erfahren wir von einer Eigentums
übertragung div. beweglicher Gegenstände an die Ehefrau. Interessant sind die
Zeilen 6/14; da heißt es u. a.: ,,. . . sie kann diese Dinge ganz nach Belieben an
irgend eines der Kinder geben, die sie mir geboren hat...“ 12. Die Bezeichnung des
dotierungsfähigen Personenkreises enthält eine natürliche Begrenzung, insofern
das Erbgut der Kinder betroffen wird. Diese Urkunde zeigt die Frau als eine auch
nach dem Tode ihres Mannes von jeder Bevormundung freie Rechtspersönlich
keit, die auch den Kindern gegenüber disponieren kann. In Pap. Berlin 9010
hatte der Erblasser augenscheinlich durch besondere Verfügung die Einsetzung
des Nachlaßverwalters veranlaßt und diesem damit bestimmte Dispositions
befugnisse übertragen. Unterstellen wir die Rechtmäßigkeit der von Sebek-
hetep vorgetragenen Legitimation, so scheint das geltende Recht dem Erblasser
weitgehende Bestimmungsfreiheit gestattet zu haben. Das gleiche sehen wir
in den Fällen, in denen die Frau von ihrem Recht der Güterübertragung Gebrauch
macht. Unabhängig von der Problematik des Pap. Berlin 9010 können wir aus
allen einschlägigen Urkunden — das gilt besonders auch für diejenigen, die aus
dem NR stammen — erkennen, daß der Ehemann stets nur über „sein“ Vermögen,
nicht aber über das der Ehefrau verfügt. Diese Beschränkung der Rechte des
Mannes gegenüber dem Eigentum der Frau versteht sich nicht von selbst; sie
ist eines der wichtigsten Symptome für die graduelle Einstufung des ägyptischen
Familienrechts überhaupt. Wir finden im AR, MR und NR zu keiner Zeit die
bei anderen Völkern des alten Orients typische Institution, die in Rom ihre höchste
Stufe erreichte und patria potestas genannt wurde. Diese Behauptung dürfen
wir für Ägypten aufstellen, ohne dabei den evidenten Quellenmangel der ver
schiedenen Zeiträume außer acht gelassen zu haben. In irgendeiner der über
lieferten Urkunden würden wir sonst die Spuren einer so weitreichenden väter
lichen Gewalt finden; denn in vermögensrechtlicher Beziehung pflegen sich der
artige Institutionen am deutlichsten abzuzeichnen.
g) Untersucht man die Vertretungsbefugnis der Frau in rechtlich relevanten
Angelegenheiten, so zeigt sich das gleiche Bild wie bei den bereits erörterten Ge
bieten des Familienrechts. Die Frau tritt vor Gericht mit voller Parteifähigkeit
auf; ihre Aktivlegitimation kann sich dabei sogar von den Ansprüchen nahe
stehender Verwandter herleiten. Ein schönes Beispiel der Postulationsfähigkeit
und Stellvertretung liegt aus dem NR vor. Es ist die von Sir A. H. Gardiner in
so vortrefflicher Weise edierte und kommentierte Inschrift des Mes.3
Der Text berichtet von mehreren Prozessen vor dem großen Gerichtshof, in
denen weibliche Mitglieder einer Grundbesitzerfamilie mehrere Generationen
hindurch ( !) eine aktive Rolle spielen. Die Streitigkeiten scheinen etwa am
Ende der 18. Dynastie zur Zeit des als Gesetzgeber bekannten Königs Haremheb
zu beginnen. Das Gericht überträgt einer Miterbin, die vermutlich die älteste
Schwester der Streitenden ist, Ländereien zur gesamten Hand. Der Gesamthand
besitz beinhaltet ein Treueverhältnis gegenüber den Geschwistern und gestattet
gewisse Vorrechte. Eine Erbteilung bedeutet diese Regelung insoweit, als an
genommen werden darf, daß den Miterben Ansprüche aus den Erträgnissen des
Grundbesitzes zustehen. Von erbrechtlichen Fragen abgesehen1, begegnen wir
hier einer Frau — sie heißt ,,Urnero44 —, die von Amts wegen als bevorrechtigte
„Besitzerin44 und gleichzeitig als Interessenvertreterin ihrer Geschwister ein
gesetzt wird. Dabei spielt es keine Rolle, daß auch jüngere Brüder vorhanden sind.
Die Entscheidung des Gerichts wird sich vermutlich auf eine Erbfolge ab in
testate stützen, da von einer Legitimation der Urnero eventuell durch imj.t pr-
Urkunde nirgends die Rede ist. Die Befugnis zur Vertretung anderer Rechts
persönlichkeiten setzt weitgehende individuelle Rechtsmacht voraus ; man
könnte versucht sein, von einer Vorrangstellung familienrechtlicher Art zu
sprechen. Der von Gardiner1 2 mit ,,Treuhänderin44 oder ,,Verwalterin44 übersetzte
Ausdruck rwd trifft den Sinn der Institution gut ; dabei darf aber nicht die Tat
sache in den Hintergrund treten, daß Urnero ein Besitzervorrecht hat, das in
ihrer erbrechtlichen Stellung begründet liegt.3*5Sie ist zwar nicht unbeschränkte
„Erbbesitzerin44 geworden, genießt aber doch wesentliche Vorteile, die dem
Eigentumsrecht nahekommen. Ihre Schwester ficht dieses Vorrecht bei der großen
knb.t durch Klageerhebung an. Im Jahre 59 des Königs Haremheb erstreitet sie
ein obsiegendes Urteil. Das Erbland wird an die Geschwister aufgeteilt. Eine
bemerkenswerte Stellung nimmt die Klägerin dieses Prozesses ein. Sie tritt allem
Anschein nach für sich und die weiteren Geschwister der Urnero auf. Später
klagt Urnero auf Unzulässigkeit der getroffenen Parzellierung. Hierbei ist die
selbständige Handlungsfreiheit, die sich im Vorgehen der beiden Schwestern
zeigt, hervorzuheben. Von einer Zustimmung des Ehemanns lesen wir an keiner
Stelle der Urkunde. Ab der 21. Dynastie lassen die ehegüterrechtlichen Verträge
die Verwaltungs- und Nutzungsbefugnis des Mannes am Frauenvermögen er
kennen. Alle modernen Rechtssysteme, die den Güterstand der Verwaltung und
Nutzung kennen, billigen dem Ehegatten die Befugnis zu, für die Frau Prozesse
zu führen, um die Ansprüche Dritter abzuwehren, die den Bestand des verwalteten
Vermögens beeinträchtigen könnten. Aber nicht einmal ein Beitrittsrecht des
Ehemannes zeigt die Inschrift. Als die Klägerin Urnero stirbt, wird der Prozeß
durch ihren ältesten Sohn, den Schreiber Hwj, gegen die Beklagte fortgesetzt, die
wiederum nach ihrem Ableben den Sohn Smntwj an ihre Stelle treten läßt. Die
Inschrift des Mes ist eine Rechtsquelle ersten Ranges. Die Duplizität der Fälle
zeigt mit durchschlagender Deutlichkeit die verschiedenen Rechtspositionen der
maßgeblich beteiligten Frauen. Von den bestimmenden erbrechtlichen Elementen
zunächst abgesehen, begegnen uns in dieser Urkunde Frauen, deren personen
rechtliche Freiheit ein Maximum erreicht hat und im alten Orient wie in der
Antike nicht ihresgleichen findet. Die Inschrift des Mes gestattet gleichzeitig
einen tiefen Einblick in das Rechtsgefüge des NR, dessen prozeßtechnisches
Niveau — wie der kontradiktorische Verlauf der Verhandlung uns zeigt — den
hohen Rang des ägyptischen Rechts demonstriert.
a) Wie Seidl bereits mit gutem Grunde hervorhebti, unterscheidet der Ägypter
in pharaonischer Zeit nicht zwischen „öffentlichen“, also die staatliche Sphäre
betreffenden Rechten und einem eigentlichen Privatrecht. Ihm ist der abstrakte
Begriff ,,Staat“ fremd.2 Abgesehen von den religiösen Vorstellungen, die ihm
vor allem den König als ein Wesen göttlicher Abkunft erscheinen lassen, fühlt
sich der Ägypter als Mitglied eines Gemeinschaftswesens, dessen Struktur ge
schichtlichem Wandel unterlegene Standesunterschiede kennzeichnen. Sein Ver
hältnis zur Obrigkeit faßt er als festen Bestandteil der natürlichen Ordnung aller
Dinge auf. Der Gang geschichtlicher Ereignisse hat zuweilen diese Grundsätze
auf das schwerste erschüttert, so daß in Zeiten politischer Wirren das Gefüge des
sozialen Aufbaus zerstört wurde und eine substantielle Umordnung der gesell
schaftlichen Verhältnisse eintrat. Am Ende derartiger Entwicklungsvorgänge
tritt aber mindestens im Formalen immer wieder ein an die alten Verhältnisse
anknüpfendes Gemeinschaftsgefüge, das wir mit modernen Begriffen „Obrigkeits
staat“ nennen würden. Graduelle Unterschiede in der sozialen Wertung der Be
völkerungsschichten können dabei extreme Ausmaße annehmen und zeigen
dabei typisch orientalische Verhältnisse. Der durch feudale Rechte begründeten
Herrschaftsbefugnis der Territorialherren steht die weitgehende soziale Abhängig
keit der dienenden Bevölkerungskreise gegenüber. Der hohe, mit weitreichenden
Vollmachten ausgestattete Beamte erwartet devote Unterwürfigkeit der Unter
gebenen. Es entspricht den historischen Gegebenheiten, daß sich die gesellschaft
liche Rangordnung einesteils nach den Vorrechten der Geburt, andernteils nach
der Zugehörigkeit zu bestimmten Berufskategorien richtet. Dabei gibt der Mann
für die soziale Einstufung der Familie in der Regel den Ausschlag. Das gilt aller
dings nur für die mittleren und niederen Stände. Adlige Ehefrauen dagegen
können bestimmte Geburtsvorrechte erblich der Familie übertragen, auch wenn
der Mann diese Rechte von Haus aus nicht besaß.
b) Die weitgehende Gleichstellung, die die individuelle Rechtssphäre der ägyp
tischen Frau kennzeichnet, gilt nicht im gleichen Maße für die Position im öffent
lichen Leben. Wir treffen die Frau selten in Verwaltungsfunktionen an.3 Der in
Linie richtet; d. h., die ausschlaggebende Rolle für die Reinheit des königlichen
Blutes spielt die Königsmutter. Sie erfreut sich fast zu allen Zeiten einer besonderen
Verehrung durch den regierenden König.
1 Im 21. Spruch der Ptahhotep-Lehren findet sich in einem Nachsatz die auf die
Frauen bezogene Warnung: ,,Halte sie fern davon, Macht zu haben!“ (übersetzt
von A. Erman, Die Literatur der Ägypter, Leipzig 1923, 93); dieser Grundsatz
scheint das öffentliche Leben, nicht aber die private Rechtssphäre beeinflußt zu
haben.
2 F. LI. Griffith, The Inscriptions of Siût and Dêr Rifêth, London 1889, Taf. 15;
J. Breasted, Ancient Records 1, 1906, §§ 405—414,
3 A. Mariette, Abydos 1. 2, Paris 1869—1880, Nr. 525; siehe hierzu die auf
schlußreichen Ausführungen bei H. G. Fischer, A Daughter of the Overlords of
Upper-Egypt in the First-Intermediate Period, in: Journal of the American Oriental
Society 76, 1956, 99-108.
4 S. Schott, Altägyptische Liebeslieder, Zürich 1950, 10; H. Brunner, Alt
ägyptische Erziehung, Wiesbaden 1957, 46; die Belege sind: Pap. Turin, und 0. R.
Lepsius, Denkmäler aus Ägypten und Äthiopien 3, Berlin 1851, 252. Siehe auch:
E. Sander-Hansen, Das Gottesweib des Amun, Kopenhagen 1940, 38; A. Blackman,
JEA 7, 1921, 8.
5 P. E. Newberry, Beni Hasan, in: Annals of Archaeology and Anthropology 1,
London 1892, Taf. 32 und 36.
6 J. Breasted, Ancient Records 1, 1906, §§ 216—217.
5*
68 Rolf Tanneb
liehe Einkünfte abwerfen, regelt der Erblasser Art und monatliche Dauer des
Dienstes bis in alle Einzelheiten. Totenpriesterinnen lassen sich bereits in der
4. Dynastie nachweisen.1 Ja, wir besitzen Belege, in denen uns Frauen bereits
im AR als Hohepriesterinnen begegnen.1 2
Bei kultischen Handlungen fungieren Frauen in Tempeln, wo sie zu verschie
denen Feierlichkeiten als Tänzerinnen und Musikantinnen auftreten.3 Durch
Königsdekret wird ihnen besonderer Schutz verliehen, wie wir aus den Block
inschriften der Jubiläumshalle des großen Tempels in Bubastis erfahren.4 König
Osorkon II., 22. Dynastie, sichert den ,,heiligen“ Frauen des Amontempels und
der Tempelstadt Protektion zu. Auch das weibliche Dienstpersonal wird in den
Schutz einbezogen, soweit deren Mitglieder ,,seit der Zeit ihrer Väter als solches
tätig sind“. Diese Dekrete waren von großem Wert in wirtschaftlicher Hinsicht,
befreiten sie doch von steuerlichen Abgaben und sonstigen Hand- und Spann
diensten.
c) Dagegen verrichten die Frauen der breiten Masse zum Teil körperlich
schwere Arbeiten. Ihnen obliegt nicht selten die gesamte Feldbestellung von
der Aussaat bis zur Ernte. Sie bringen die Erzeugnisse auf den Markt und sind
sogar für die Steuerabgaben verantwortlich. In den sog. (gemischten) Dörfler
prozessionen können sie ihr Dorf aber auch gabenbringend vertreten. Das Korn-
mahlen, Backen und Brauen wird als spezifisch weibliche Tätigkeit genannt.
Eines besonderen Rufes und einer gehobenen Stellung erfreuen sich die Arbeite
rinnen der königlichen Webereien. In der Mastaba des Zwergen Snb, 6. Dynastie,
sind die Abbildungen feierlicher Szenen erhalten, in denen Arbeiterinnen Aus
zeichnungen für besondere Leistungen erhalten. Königliche Beamte überreichen
Fayence-Perlen und Gold.5 Pap. Sallier II weiß allerdings auch von sozialen Miß
ständen in den Webhäusern der späteren Zeiten zu berichten.6 Als Leiterin eines
,,Hauses der Weber“ im AR wird eine Frau namens WsrtkZ erwähnt, die sich
als mr bezeichnen läßt und als Tochter der rh.t-njswt Nfrhtps dieses Adelsprädikat
führt.78
Daneben finden wir Frauen als Dienerinnen aller Art. Sie verrichten Arbeiten
in den Haushaltungen der Vornehmen. Das gilt z. B. von der wtëj.t ‘AufWärterin’
Man darf ,,öffnen“ als Stamm vermuten, so daß die wbBj.t auch als Türöff-
1 Belege bei M^. Stracmans, Textes des actes des fondation de P Ancien empire, in :
Revue Internationale des Droits 2, 1955, 31, 35.
2 A. Blackman, JEA 7, 1921, 10; es handelt sich um Hohepriesterinnen der
Hathor und Sätet. Sie hatten beträchtlichen Einfluß und hohe Einnahmen.
3 8. Morenz, Ägyptische Religion, 98.
4 J. Breasted, Ancient records 4, 1907, § 751.
5 H. Junker, Die Grabungen auf dem Friedhof des Alten Reiches bei den Pyra
miden von Giza 5, Wien 1939, 55.
6 L. Borchardt, Das Grabdenkmal des Königs Sahurè 2, Leipzig 1910, 62;
A. Erman, H. Ranke, Ägypt. Leben, 536.
' Nach H- Junker, Die Grabungen 56, ist der Titel „Vorsteherin des Hauses der
Weber“ noch einmal bei der Mutter des Verwalters Mrjéw-'nh belebt - g Hassan
Excavations 1, Oxford 1932, Abb. Nr. 184; W. Helck, Beamtëntitef 63
8 Pap. Westcar 11, 19 und 12, 9f. ; ÄZ 47, 1910, 92.
Die Frau im pharaonischen Ägypten 69
nerin — Pförtnerin fungiert haben könnte. Eine beim Totenopfer assistierende
Dienerin wird als wdpwj.t „Dienerin, die Wein darreicht“ bezeichnet.1 Die in
der Landwirtschaft in großer Zahl tätigen Mägde heißen oft nd.tj.123Vielleicht
besteht eine Verwandtschaft mit der ndw.t (?) „Müllerin“3, die in den Texten
nicht selten unmittelbar neben den noch zu besprechenden Gruppen d.t und
bBk.t steht.
d) Zu den am wenigsten geachteten Kreisen der Bevölkerung zählen fahrende
Frauen, Kellnerinnen und Dirnen. In der Ramessidenzeit scheinen Perioden
außenpolitischer Mißerfolge im Zusammenwirken mit innenpolitischen Macht
kämpfen auf Sitte und Moral weiter Kreise einen nachteiligen Einfluß ausgeübt
zu haben.4 Die literarischen Zeugnisse dieser Zeit geben von mancherlei Miß
ständen in Stadt und Land Kunde. Eine besonders schwierige Lage werden ver
stoßene Frauen, Witwen und Waisen gehabt haben. Fehlte es doch in derartig
rechtsunsicheren Zeiten oftmals an der Möglichkeit, selbst die durch Vertrags
urkunden verbrieften Alimentationsansprüche mit Hilfe der Behörden durch
zusetzen. Diese sozialen Mißstände werden manche Frau gezwungen haben,
bettelnd das Land zu durchziehen. Damit waren gerade in der genannten Zeit die
Voraussetzungen für viele gegeben, auf der sozialen Stufenleiter abzugleiten,
um schließlich in einem Stande zu verbleiben, aus dem es keine Rettung
mehr gab. So ist es nicht verwunderlich, daß in den Weisheitslehren vor den
umherziehenden und besonders in den Schankstätten anzutreffenden Frauens
personen gewarnt wird.5 In dieser Zeit treten Frauengruppen der genannten
Art in Erscheinung, von denen bisher nicht die Rede war. Die Texte bringen
termini wie hnm.t, kBj, ms.t, die als verächtliche Bezeichnungen gebraucht
werden und auf die Bedeutung des Wortes „Freudenmädchen“ oder „Dime“
hinauslaufen.
1 Kairo 20016 ( — Ägypt. Museum, Kairo. Das Zitat bezieht sich auf Nummern
des Catalogue général des Antiquités Égyptiennes du Musée du Caire); die Be
zeichnung ist seit dem MR nachweisbar; vgl. A. Erman, H. Grapow, Wörterbuch
der ägypt. Sprache 1, 1955, 388.
- A. Erman, H. Grapow, Wörterbuch 2, 1955, 370; Kairo 34183.
3 Pap. Anastasi 4; Kairo 1449.
4 Das gilt besonders für die Zeit nach dem Tode Ramses’ III. Vgl. hierzu H. Kees,
Kulturgeschichte des Alten Orients 1, München 1933, 79.
5 Im Weisheitsbuche des Anii (22. Dyn.) wird allgemein vor den Frauen „von
draußen, die man in ihrer Stadt nicht kennt“, gewarnt; vgl. hierzu A. Erman, Die
Literatur der Ägypter, Leipzig 1923, 296. Die neueste Publikation des Weisheits
buches des Anii findet sich bei A. Volten, Studien zum Weisheitsbuche des Anii,
Kopenhagen 1937. Im Pap. Anastasi IV, 12, 3 ist von Tänzerinnen die Rede, die
sich mit trunkenen Jünglingen zu schaffen machen, und in den „Ermahnungen des
Schülers“ wird dringend vom Besuch in den Bierhäusern abgeraten: A. Erman, Die
Literatur der Ägypter, 244, und S. Schott, Altägyptische Liebeslieder, 110; auch die
Reden der Liebenden (Pap. Harris, recto 500), übersetzt bei S. Schott, Altägyptische
Liebeslieder, 46, und vor allem der sog. Turiner erotische Pap. sind hier zu nennen.
Als Kontrastparallele sei auf das Weisheitsbuch des Anii 8, 3 verwiesen, wo es heißt:
,,Kontrolliere nicht eine Frau in ihrem Hause, wenn du weißt, daß sie tüchtig ist ;
vgl. hierzu R. Anthes, Der alte Orient 32, Leipzig 1933, 26.
70 Rolf Tanneb,
ffnm.t1 leitet sich von hnm „jemanden erfreuen“ ab und entspricht dem Wort
„Freudenmädchen“; k3j12 oder kl.t3 leitet sich von dem bereits in den Pyramiden
texten vorkommenden term. k3.t „Vulva“ her, der dort noch keine obszöne Be
deutung aufweist. Die Entwertung erfolgt erst innerhalb der hier besprochenen
Zeiträume. Ähnliches gilt für das Wort ms.t „Frauenzimmer“ (weibliches „Ge
schöpf“), das schon im Ba-Gespräch 4 nachzuweisen ist ; die deklassierende Tendenz
zeigt sich in späteren Texten.5 Die in der Ramessidenzeit das Land als „fahrende
Frauen“ durchziehenden Musikantinnen, Sängerinnen und Akrobatinnen er
freuten sich in früheren Zeiten keines schlechten Rufes.6 Im Märchen des Pap.
Westcar verkleiden sich die vier Göttinnen Isis, Nephthys, Mesechent und Heket
als fahrende Musikantinnen, um unerkannt zur Reddedet, der Gattin des Ober
priesters Ra-woser, reisen zu können, wo sie alsdann anläßlich der Geburt der
drei zukünftigen Herrscher Ägyptens göttliche Hilfe leisten.7
Für die hier genannten Frauengruppen möchten wir eine mehr oder weniger
große Einbuße der Rechtspersönlichkeit annehmen und diese mit dem sittlichen
Tadel, der diesen Frauen anhaftet, begründen. Es besteht die Wahrscheinlichkeit,
daß ihnen der Zutritt zu kultischen Zwecken dienenden Stätten versagt gewesen
sein wird, wenn nicht die persönliche Bewegungsfreiheit durch bestimmte An
ordnungen administrativer Art noch weiter eingeschränkt war. Diese Vermutung
stützt sich nicht nur auf Symptome des für diese Zeit charakteristischen all
gemeinen sozialpolitischen Hintergrundes, sondern auf eine Quelle, die uns als
argumentum e contrario Auskunft über das Problem gibt.
e) Es handelt sich um eine Stelle aus der großen Inschrift im zweiten Hofe des
Tempels in Medinet Habu. Ramses III. preist hier die Friedenswerke seiner Re
gierung und betont, daß er u. a. auch für die innere Ordnung des Landes gesorgt
habe. Die Stabilität der Sicherheit der „Bürger“ wird bezeichnenderweise an
der Tatsache der individuellen Bewegungsfreiheit der Frauen exemplifiziert, eine
Verbum ht-ti „umherziehen“ (seit 19. Dynastie nachweisbar ; WB 3, 1955, 343) der
„fahrenden Weiber“, wenn auch das „ungehinderte Umhergehen“ wétn besonders
betont wird.
1 Vgl. hierzu W. Helck, Beamtentitel, S. 68 und 78.
Die Frau im pharaonischen Ägypten 73
eigentum verband sich in der Regel Anspruch auf bestimmte Teile der Arbeits
kraft der dort beheimateten Bewohner, die zur Bestellung des Landes unent
behrlich waren und mit ihm gewissermaßen eine wirtschaftliche Einheit bildeten.
Dies hat Seidl für die Saiten- und Perserzeit ausgesprochen.1 Der Rechtsgrundsatz
läßt sich auch für die früheren Zeiträume belegen. Insofern können wir der
Grabinschrift des Meten2, eines Fürsten der 4. Dynastie unter Snofru, ent
nehmen, daß ihm
1. die Ämter seines Vaters und damit verbundene Vermögensteile, insbesondere
Grundstücke mit ,,Leuten" (rmt.w) übergeben wurden - letztere dürfen als
glebae adscripticii aufgefaßt werden;
2. weiteres Landeigentum durch eine Verfügung (imj.t pr-Urkunde) seiner
Mutter zustand. Die Übersetzungsschwierigkeiten gerade dieser Urkunde lassen
freilich mancherlei Zweifelsfragen offen. Wir wissen nicht, ob rdj.nf ,,ihm wurde
gegeben" (?) eine Belehnung, Schenkung oder Erbschaft in bezug auf die er
wähnten sachenrechtlichen Objekte bedeutet. Die Belehnung würde zu dem ver
muteten Amtseintritt passen. Der Umstand, daß diese Nachfolgerschaft am
Anfang dieser Inschrift steht, könnte die Hypothese, daß es sich um die „Amts
pfründe" des Vaters handelt - wenn auch der armselige Zustand derselben aus
drücklich hervorgehoben wird3 — bestärken, weil erst gegen Ende des Textes
die privatrechtlichen Vermögenszuwendungen erwähnt sind. Darüber hinaus ist
es möglich, daß die Höhe der Amtseinnahmen wie überhaupt der Bestand an
mobilen Vermögenswerten der Pfründe im weiten Maße vom Wohlwollen der Vor
gesetzten abhing. Der Amtsnachfolger mag deshalb nicht selten vor leeren
Speichern und ausgeräumtem Hause gestanden haben. Vielleicht lag dieser Tat
bestand auch bei Metens Amtseintritt vor, da er erklärt, daß zum Zeitpunkt der
Belehnung (?) „kein Korn noch irgendwelcher Hausrat vorhanden war". Die in
der Inschrift genannten „Leute" bestehen aus in den Liegenschaften ansässigen
Angehörigen beiderlei Geschlechts, die zur Arbeitsleistung für den Grundherrn
verpflichtet sind. Hierfür werden sie in der Regel bezahlt, und zwar durch Aus
händigung von Naturalien (man mißt die Arbeitsleistung nach Getreidemengen
usw.).
Über das rechtliche Verhältnis der Geschlechter dieser rmt.w wissen wir nichts.
Die Stellung der Frau wird jedoch nicht schlechter und besser als die des Mannes
gewesen sein. Da sie zur Arbeitsleistung gegenüber dem Grundherrn verpflichtet
sind und bei Besitzwechsel des Grundherrn stets dem Boden verhaftet bleiben,
wird man sie am besten als Hörige bezeichnen dürfen. Der Mangel an Beleg
material erklärt sich für die ältere Zeit besonders aus der Tatsache, daß Schrift
zeugnisse meistens nur in den monumentalen Grabanlagen der vom König be
günstigten Vornehmen (Höflinge, hohe Beamte, reiche Grundbesitzer) zu finden
sind, war doch die Errichtung massiver Mastabas eine besondere Auszeichnung
und darüber hinaus ein kostspieliger Luxus, den sich die überwiegende Mehrheit
der Bevölkerung nicht leisten konnte. Die Ausgestaltung der steinernen Grab
anlagen entlehnt Motive aus dem Alltage des Verstorbenen, so daß ab und zu
auch Dienerinnen, Landarbeiterinnen bei der Feldarbeit, Brauerinnen beim Be
reiten der Getränke usw. in bunter Reihenfolge verewigt worden sind. Die Dar
stellungen werden ergänzt durch Bemerkungen, die der Grabherr in die bio
graphischen Inschriften aufnehmen ließ.
aa) Bevor wir einige Bevölkerungsgruppen hinsichtlich ihres sozialrechtlichen
Abhängigkeitsverhältnisses zu den verschiedenen Gewalthabern näher betrachten
— das vorliegende Quellenmaterial gestattet uns nur einen spärlichen Einblick in
dieses Problem —, wollen wir eine wichtige terminologische Frage, die für die
rechtsgeschichtliche Beurteilung nützlich sein wird, vorab erörtern.
Die Erfahrungen der Geschichte lehren uns, daß die individuelle Rechts
persönlichkeit eines Menschen sich innerhalb einer bestimmten Gesellschafts
ordnung soweit verringern kann, daß weitgehende Rechtlosigkeit und damit ver
bundene persönliche Abhängigkeit an seine Stelle treten. Dennoch braucht diese
Beschränkung noch nicht die Vernichtung der Rechtspersönlichkeit zur Folge zu
haben. Erst die totale Aufhebung und Ausschließung der Rechtsfähigkeit macht
den Menschen juristisch zur res, die einem Eigentümer ,,gehört“.
Die römische Begriffsjurisprudenz hat für diesen Status eine besondere Rechts
figur entwickelt, die unter der Bezeichnung „sclavus“ bekannt wurde und ur
sprünglich den ,,slawischen Kriegsgefangenen“ bezeichnete.1
Verwendet man den Terminus für ägyptische Paralleltatbestände, so wird eine
Orientierung an dieser römisch-rechtlichen Institution unerläßlich. Wir hatten be
reits festgestellt, daß gegen die vorbehaltlose Übertragung der wesentlich jüngeren
und aus dem abendländischen Weltbild des antiken Mittelmeervolkes entstandenen
Rechtsvorstellungen auf die einige tausend Jahre älteren Sozialverhältnisse des
pharaonischen Ägyptens in jedem Falle Bedenken bestehen. Hier müssen andere
Wege gefunden werden, die schon in der Wahl der jeweiligen Termini den spe
zifischen Eigenheiten des ägyptischen Rechts - soweit wir dieses kennen - Rech
nung tragen. S. Morenz hat bereits auf die grundsätzliche Bedeutung dieses Pro
blems hingewiesen und die notwendige Ausgangsposition für die Beantwortung
desselben abgesteckt.2
Das älteste bekanntgewordene römische Zivilrecht faßte den Sklaven ohne jede
Begrenzung der Verfügungsgewalt seines Eigentümers als Gegenstand des beweg
lichen Sachvermögens auf.3 Der absolute Charakter des römischen Eigentums
begriffes gestattete dem Inhaber die Totalherrschaft über die Sache; der Sklave
konnte deshalb mißhandelt, ja sogar getötet werden, ohne daß dadurch etwa eine
strafbare Handlung des Herrn gegeben gewesen wäre. Die Verwendung des
Sklaven zum Tierkampf ist bis zur Lex Petronia (61 v. Ohr.) bezeugt, und die will
kürliche Tötung wurde erst durch Antoninus Pius (138-161 n. Ohr.) gesetzlich
untersagt.1 Das Geschlecht des Sklaven spielte ebenfalls keine Rolle. Der Eigen
tümer hatte auch Anspruch auf die Kinder des Sklaven (Früchte der Sache). Eine
wichtige Durchbrechung der sachenrechtlichen Einstufung brachte das Sen. cons.
Silanium aus dem Jahre 10 n. Ohr. zugunsten der Sklavin. Diese wurde de iure
..frei“, wenn sie der Herr zur Prostitution benutzte. Eingehende Bestimmungen
regelten die Möglichkeiten der Freilassung der Sklaven; in den Vollbesitz der
römischen Bürgerrechte kamen sie aber nie, da auch nach der „Freilassung“ eine
Reihe zum Teil einschneidender Beschränkungen öffentlich- und privatrechtlicher
Art verblieben.
In Ägypten hat es nach dem derzeitigen Quellenstande schon in alter Zeit, also
auch im AR und MR, Personen mit geminderter Rechtspersönlichkeit gegeben.12
Die Einbuße der individuellen Rechtssphäre der untersten Bevölkerungsklassen
wird stärker, als Ägypten im NR beginnt, imperiale Ziele zu verfolgen und aus
gedehnte Eroberungskriege zu führen. Von diesen Feldzügen werden im Erfolgs
falle nicht nur materielle Werte als Beute mitgebracht, sondern vor allem Kriegs
gefangene. Allmählich gehen diese Personenkreise in der einheimischen Bevölke
rung auf, ein Umstand, der sich offenbar günstig auf ihre Rechte auswirkt. Wie
wir noch sehen werden, gilt die Ehe eines Freien mit einer Unfreien (und um
gekehrt) als legitim. Der Sklave kann im NR immer noch Geschäfts- und Prozeß
handlungen im eigenen Namen vornehmen.3 Das gilt sogar noch für ptolemäisch-
römische Zeit. Es wird von Eigentumsrechten der Genannten an Sachen usw. be
richtet und hervorgehoben, daß in den Nachbarstaaten Ägyptens gleiche Rechts
verhältnisse nicht zu beobachten wären.4 Die Rechtsstellung des ägyptischen
Sklaven ist demnach mit der römischen Parallelinstitution nicht auf die gleiche
Stufe zu stellen. Im Gegensatz zu den römischen Verhältnissen steht auch die
Tatsache, daß in Ägypten der Mord am Sklaven mit dem Tode bestraft wurde.5
Trotz alledem bleibt die Tatsache bestehen, daß die Hörigen bereits im AR Objekt
rechtsgeschäftlicher Verfügung sein können ; sie gehören gewissermaßen zum Land
besitz, so daß bei einem Eigentumswechsel — z. B. durch Erbfolge — die Ge
nannten als ,,lebendes Inventar“ mit übergeben werden. So berichtet Meten, ein
hoher Beamter unter König Snefru (IV. Dynastie), daß er von seinem Vater zwar
kein Getreide oder Hausrat, dafür aber ,,Leute und Vieh“ geerbt habe. Im NR
treten Händler auf, die Menschen (vielleicht Kriegsgefangene?) an Privatleute ver
äußern.6 Bakir folgert aus dem im AR und MR nachweisbaren Titel eines .,Schrei-
bers der Sklaven“ sè mr(j)t, daß das Eigentum an Hörigen, Leibeigenen usw. der
zuständigen Behörde zu melden war, die ein diesbezügliches Register führte
(Bakir, Slavery, 100f.).
bb) Die im vorigen Absatz gewonnenen Erkenntnisse sind auch für die Be
urteilung der Rechtslage der Frauen in den verschiedenen Zeiträumen von Be
deutung, gelten sie ja gleichermaßen für die weiblichen Teile der genannten
Bevölkerungsklassen. Die Frauen der feindlichen Krieger wurden als eine beliebte
Beute angesehen, wie aus einer Inschrift Sesostris’ III. (XII. Dynastie) hervor
geht; im Zusammenhang mit der Plünderung Nubiens heißt es: ,,Ich erbeutete
ihre Frauen“* 12 aus dem Grabe desHaremheb (18. Dynastie) er
1. In einem Relief*
scheinen gefangene Asiaten, die von ägyptischen Wachen geführt werden. Das
Bruchstück zeigt u. a. auch eine Frau mit Kindern; ihre Kleidung läßt die
asiatische Herkunft deutlich erkennen. Auch sie gehört zu den — offenbar von
Haremheb während seiner Offizierszeit — erbeuteten Gefangenen. Vielleicht
handelt es sich um syrische Soldaten. Syrische Dienerinnen sind uns schon aus
der 12. Dynastie bekannt3 und lassen (wie die Hausurkunde des Uah4, Priester
unter Amenemhet IV., zeigt) Personen mit geminderter Rechtssphäre erkennen.
Die Frau des Priesters erhält durch die Urkunde das Recht, über vier ,,östliche
Sklaven“ weiblichen Geschlechts zugunsten ihrer Kinder zu disponieren. Die be
troffenen Personen werden mit 3m.t bezeichnet und stammen hiernach von den
nordöstlichen Nachbarvölkern Ägyptens ab. Die von den südlichen Nachbar
völkern nach Ägypten gebrachten weiblichen Gefangenen heißen nach Ostrakon
Berlin 25218 nhsj.t.5 In diese Gruppe gehört auch eine Arbeiterin, hm.t genannt,
die oft mit „Sklavin“ übersetzt wird.6 Pap. Berlin Nr. 9784 enthält ein inter
essantes Zeugnis aus der Zeit Amenophis’ III.7 Ein Hirte (!) namens Nb-mhj ver
kauft die Arbeitskraft einer offenbar ihm gehörigen hm.t an den Vorsteher der
königlichen Rinderherden, Msj. Dafür bekommt er ein Entgelt aus Kleidern und
Korn. Die Verfügungsbefugnis des Nb-mhj erstreckt sich auf die physische Arbeits
kraft der Arbeiterin (sie heißt Hnw.t). Diese wird als austauschfähiges Vertrags
objekt angesehen. Ob es auf die Zustimmung der hm.t ankommt, läßt der Text
offen. Als Maßeinheit der Dienstleistung nennen die Kontrahenten eine Zeit
spanne von zwei Tagen. Diese Frist soll auf eine weitere Arbeiterin des Nb-mhj
Antike — haben sich an diesen uralten Grundsatz gehalten. Ägypten macht hier
eine Ausnahme, insoweit es zwar den Gefangenen unter ein bestimmtes Gewalt
verhältnis stellt, ihm aber eine private Rechtssphäre beläßt, die ihn sein Los
leichter ertragen hilft. Es verwundert uns deshalb nicht, daß die Ehe zwischen
einem Freien und einer Gefangenen als legitim gilt.1 Trotz alledem brachten die
ausländischen Kriegsgefangenen auf Grund ihres Rechtsstatus auch für Ägypten
die Gefahr mit sich, eine gewisse Tendenz für die Entstehung sklavenähnlicher
Stände auf den Weg zu bringen.
Bestimmten Verfügungen unterliegt auch die b3k.t, wobei die Rechtsbeziehun
gen im Innenverhältnis wieder nicht bekannt sind. Sie kann im Erbgang erworben
werden und in auch sonstiger Weise Objekt rechtsgeschäftlicher Verfügungen sein.
Danach muß auch bei dieser Gruppe eine Minderung des Personenrechts vorliegen,
wenn man die Irrelevanz der eigenen Mitbestimmung dieser Frauen unterstellt.
Die Quellen sagen darüber nichts aus (argumentum e silentio). Ein Grabherr des
MR erklärt: ,,Ich habe drei bïk.w und sieben blk.wt zusätzlich zu denen, die mir
mein Vater gab, erworben.“1 2 Ähnliche Beziehungen scheinen in einem Toten
dienst-Vertrage aus der 11. Dynastie vorzuliegen3: ,,Darüber hinaus habe ich
20 Ballen Kleiderstoff (?) an diesen Totenpriester und 10 Ballen an den Vorlese
priester und an jeden einen tëk und eine bBk.t gegeben.“ Die Verwandtschaft der
beiden Gruppen bSk.wt und hm.wt darf einer Stelle aus den Admonitions4 ent
nommen werden, wo sie im Parallelismus membrorum stehen, was freilich nicht
Identität zu bedeuten braucht. Gardiner übersetzt : ,,Forsooth, all female slaves“
(im Text steht hm.t) ,,are free with their tongues; when their mistress speaks, it
is too more than the blk.w would stand“. Eine Arbeitspflicht (Frondienst) be
stand sicherlich für bestimmte Teile der Landbevölkerung gegenüber dem Terri
torialherrn.5 Ob sich dessen Ansprüche als Folge seines (mit modernen Begriffen
ausgedrückt) öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnisses, also zugunsten der
Obrigkeit, ergaben oder persönliche Bodenregalien darstellten, läßt sich selten
bestimmen. An Übergriffen und Willkürakten6* 7wird es nicht gefehlt haben. An die
strengen Strafbestimmungen des Haremheb-Dekrets 7 sei erinnert, die den Miß
ständen der Landesverwaltung am Ende der Amarna-Zeit Einhalt gebieten
sollten.8 Auch in früheren Zeiten mag es teilweise nicht viel besser gewesen sein.
Manche biographische Inschrift legt hierfür Zeugnis ab. Henku, ein Fürst aus dem
1 J. Nietzold, Die Ehe in Ägypten zur ptolem.-römischen Zeit, 21, betont zu
treffend die Vermögensfähigkeit der ägyptischen Sklaven und ihre sonstigen Rechts
befugmsse, durch die sie weit über die Lage ihrer Schicksalsgenossen in anderen
Landern herausgegeben werden.
2 A. Bakir, Slavery in Pharaoinc Egypt, 17.
3 E. Peet, A Mortuary contract of the 11th Dyn., in : Annual Report and Prospect us
of the Inst. of. Arch, of the Univ, of Liverpool 7, 1909/10, 81—88 Taf 15
Bakir, Slavery, 17f. ' ' '
4 A. Gardiner, The admonitions of an Egyptian sage, Leipzig 1909 4 13_ 14
5 A. Bakir, Slavery in Pharaonic Egypt, 18. '
6 Urk. 1, 1933, 172, 1-3; dsgh 210, 14.
7 W. Helck, ÄZ 80, 1955, 109.
8 E. Otto, Ägypten — Der Weg des Pharaonenreiches, 171.
Die Frau im pharaonischen Ägypten 79
Ende der 5. oder vom Anfang der 6. Dynastie, berichtet in der Inschrift1 seines
Grabes bei Der el Gebraui, daß er einer gewesen sei : . der euch in der Ratshalle
(sh n sr.w) schützte“ (also offenbar: als Fürst gegenüber dem Kollegium der sr.w).
, Niemals war es der Fall, daß ich die Tochter eines von euch dienstbar machte..."
Es scheint sich hier um Frondienste zu handeln, was auch durch die Fortsetzung
in Zeile 10 des Textes nahegelegt wird. Ob das seltene Determinativ des Verbums
bBk eine Art „doch" in Kragenform als äußeres Kennzeichen der Leibeigenschaft
darstellen soll, ist unklar. Eine ähnliche Stelle ist aus einer Denksteininschrift der
11. Dynastie bekannt geworden. Es handelt sich um die Inschrift des Itj1 2, in der
der Grabherr die Nachwelt von guten Werken, insbesondere über seine Rechtlich
keit, unterrichtet.34
„Ich habe Gebelen (iw-mjtrw) in den Jahren der Not am Leben erhalten zu
einer Zeit (?), in der 400 Menschen sich (in bezug auf Verpflegung) im Elend be
fanden (?), dennoch nahm ich nicht die Tochter eines angesehenen Mannes fort/ *
(zur Arbeit) und beschlagnahmte nicht sein Feld."5
Das Wegnehmen der Tochter wird hier milder formuliert, von b$k ist nicht die
Rede, obwohl der Tatbestand sonst der Inschrift des Henku sehr ähnelt. Beiden
Texten kann entnommen werden, daß der jeweilige Distriktsvorsteher unter be
stimmten Umständen berechtigt war, die Arbeitsdienstpflicht auch auf weibliche
Personen zu erstrecken. Man würde den Sachverhalt sonst nicht in dieser Weise
in die Grabinschriften aufgenommen haben.
dd) Mr.t ist ein Kollektivum und bezeichnet seit dem AR vorwiegend Land
arbeiter beiderlei Geschlechts.6 Sie sind bestimmten Lohnherren gegenüber zur
Arbeitsleistung verpflichtet. Ihre sozialrechtliche Stellung läßt sich am besten mit
‘Hörige’ wiedergeben. Diese Bevölkerungsgruppe spielte in Ägypten von alters her
für die gesamte Volkswirtschaft eine ausschlaggebende Rolle; auf ihren Schultern
lag hauptsächlich die Besorgung der Landarbeit. Wir finden sie in den könig
lichen Domänen, besonders im Besitz der Tempel und auch bei Privaten ver
treten.7 Den Stamm des Wortes können wir auf mr „Feldarbeit" zurückführen,
eine Tätigkeit, die eng mit der Verwendung eines Arbeitsgerätes (Hacke) zu
sammenhängt und sich bis in das AR nachweisen läßt.8 Im NR erweitert sich die
Bedeutung auf mr.t, unter denen wir in vielen Fällen Beschäftigte der Weberei
und des Kleiderhandwerks zu verstehen haben.9 Die Organisation der mr.t war
1 Urk. 1, 1933, 76. 2 Pap. Kairo 20001; H.-J. Polotsky, JEA 16, 1930, 194.
3 Zeile 3—4 nach J. Vandier, La stèle 20001 du musée du Caire: Mélanges Maspero
1,1937,1, 139.
4 si.t8 parallel zu s3s kann auch „Tochter eines angesehenen Mannes" heißen;
WB 3, 1955, 409, 14.
5 J. Breasted, Ancient Records 1, 1906, § 459. Parallelen finden sich in Urk. 1,
1933, 217, 5 und bei P. E. Newberry, Beni Hasan 1, 1892, Taf. 8, Zeile 18—19. Vgl.
hierzu A. Bakir, Slavery in Pharaonic Egypt, 15 Anm. 5.
6 Urk. 1, 1933, 210; WB 2, 1955, 106, 13; Bakir, Slavery, 22. Vgl. die interessanten
'usführungen bei C. JlypbH, BecTHUK apeBHeü Hcropun 1948, 5, 65—71.
7 Urk. 4, 1909, 72; Pap. Anastasi 6, 17. 8 W. Spiegelberg, ÄZ 45, 1908, 89.
9 C. R. Lepsius, Denkmäler aus Ägypten und Äthiopien 2, 1849, 126. WB 2,
955, 106,19.
80 Rolf Tanneb
teilweise behördlich geregelt. Sie unterlagen der amtlichen Registratur und mußten
vom Gutsherrn zur Kopfsteuer angemeldet werden. Erwarb der Besitzer weitere
Hörige, so hatte er die Pflicht, dem Amtsvorsteher hiervon Mitteilung zu machen.
Der Grabherr Sebekaa versichert auf seiner Stele: „Ich erwarb meine Hörigen
nämlich mit Kenntnis des Amtsvorstehers f?).“1 Ss mr.t ist der eigens für die
Registratur der mr.t eingesetzte Schreiber.1 23 Der Aufseher von mehreren Ab
teilungen Höriger, die vermutlich für Tempelbesitz arbeiten, heißt imj-r iswj mr.t A
Seit dem NR begegnen wir der Wortkombination hBw-mr „das Zuviel an Leuten“
als Bezeichnung der Plebejer4*; eine ,,gemeine Rede“ wird ebenfalls mit mr kon
struiert: mdw.t nt h$w-mr.^
Um die für die Einkünfte der Tempel und Nekropolen wichtigen Landarbeiter
vor Willkürakten der Territorialherren, Beamten usw. zu bewahren, wurden be
reits im AR königliche Schutzdekrete erlassen.0 Diese bringen als wesentlichen
Inhalt zum Ausdruck, daß keine Behörde (insbesondere nicht die Steuereinnahme
ämter) ein ,,Beschlagnahmerecht“ gegenüber den mr.t habe. Damit auch jeder
mann von dem Schutzrecht Kenntnis nehmen konnte, wurde z. B. der Schutzbrief
des Königs Neferirkarê (5. Dynastie) betr. die Befreiung der Priester des Osiris
tempels in Abydos von Abgaben, Dienstleistungen aller Art usw. in einen Denk
stein gemeißelt und am Eingang des Heiligtums aufgestellt.7
Die mr.t gehören einem bestimmten Besitzer; sie haben jedoch keine Sach
eigenschaft, da der Grundherr nur Anspruch auf ihre Arbeitskraft zu haben
scheint. Die Belege enthalten keine Hinweise auf rechtsgeschäftliche Verfügungen
über die mr.t (wie das z. B. bei den bSk.w üblich ist); sie können mit dem Grund
besitz aber auf den Erben übertragen werden.
ee) Eine rechtlich schwer zu definierende Bevölkerungsgruppe wird in den
Texten mit d.t bezeichnet. Wenn d.t (WB 5, 1955, 510, 10) mit der seit dem AR
belegbaren Schreibung mit Suffix (WB 5, 511, 4) zusammenfällt (njd.t, WB 2.
1955, 369, ev. defektive Schreibung), so dürfte der Ausdruck ursprünglich ‘die zur
d.t (Totenstiftung) Gehörigen’ im Gegensatz zu mr.t-Hörigen außerhalb der pri
vaten Totenstiftung bezeichnet haben.
Die d.t stehen wie die mr.t zu einem Herrn in einem bestimmten Abhängigkeits
verhältnis, das sich in der Leistung körperlicher Arbeit oder in der Verpflichtung
zur Abgabe ihrer Erzeugnisse (meist landwirtschaftlicher Art) ausdrückt.8 Es
scheint sich danach um eine Art Fronleute zu handeln, die zu einem ländlichen
Besitztum gehören. Geht letzteres auf den Erben über, so wird dieser der Herr