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Ist das römische Recht römisch?

(Aus Europäische Revue 1943)

In bezug auf das, was man heute noch das „Römische Recht“ zu nennen pflegt, liegt ein fundamentales
Mißverständnis vor, das notwendig einen der Faktoren bilden muß, welche eine wirkliche Verständigung
zwischen der germanischen und italienischen Kultur behindert. Schon im 19. Abschnitt des
nationalsozialistischen Programms wurde nämlich gegen das Römische Recht, den „Diener einer
materialistischen Ordnung der Welt“ Stellung genommen; später hat gerade diese Ablehnung zu den Elementen
gehört, welche eine Zeitlang in einigen Kreisen ganz allgemein einen „antirömischen Affekt“ genährt haben, die
den Beziehungen zwischen den beiden Ländern nicht förderlich war.
Man muß sich jedoch fragen, wie weit das Recht, das gemeinhin das „Römische“ genannt wird als solches von
den Rechtsgelehrten vorgetragen wird, mit Fug als solches bezeichnet werden kann. Eine Nachprüfung dieser
Frage ist dringend erforderlich. Jenes Recht hat in Wirklichkeit mit dem in den besten Zeiten Roms geltenden
Recht wenig zu tun. Es bedarf einer großen rechtsgeschichtlichen Bildung, um sich klar zu machen, daß der
Kodex von Rechtsgrundsätzen, der nach allgemeinem Brauch diesen Namen trägt, viel richtiger Napolonisches
Recht genannt werden würde: wir haben es dabei mit einer späten Überarbeitung derjenigen Teile eines
gewissen, im späten römischen Imperium entstandenen Rechtes zu tun, die sich mit den im Evangelium der
„unsterblichen Prinzipien“ enthaltenen liberalen und individualistischen Voraussetzungen in Übereinstimmung
bringen ließen, jener „unsterblichen Prinzipien“, denen Napoleon in ganz Europa zum Siege verhelfen wollte.
Es handelt sich nun um die Frage nach dem Wesen, der Herkunft und dem Geltungsbereich der juristischen
Tradition, die unter Zurückdrängung anderer, sehr verschiedenartiger und gleichfalls in der vielumfassenden
Geschichte des Römertums enthaltener Überlieferungen, in den Vordergrund gerückt und von demjenigen
wieder aufgegriffen wurde, welcher trotz allem fortfuhr, sich als den Erben der „großen“ Revolution zu
betrachten. Diese Frage überschneidet sich weitgehend mit derjenigen nach der wahren Natur und dem
wirklichen Ursprung des sogenannten „Naturrechts“.
Nach der gebräuchlichen Betrachtungsweise wird das Römische Recht in gewissen Fällen als das Ergebnis
eines „dialektischen Gegensatzes“, in anderen als das einer „harmonischen Zusammenfassung“ des „positiven
Rechts“ – ius civile – mit dem „Naturrecht“ – ius naturale – aufgefaßt. Die Erziehung einer Art von Synthese
zwischen diesen beiden Arten des Rechts soll dem „tiefen Sinn für Humanität“ und dem „universalistischen
Empfinden“ zum Ruhme gereichen, die dem römischen Menschen zugeschrieben werden. Diejenigen, die
dagegen dem dialektischen Moment mehr Aufmerksamkeit zuwenden, sehen in der teilweisen Anerkennung und
Übernahme des Naturrechts in die römisch-rechtlichen Institutionen eine heilsame Einschränkung der Härte und
Einseitigkeit des positiven oder politischen Rechts. Schließlich wurde auch noch ein dritter Standpunkt in
Betracht gezogen, der bis zur im eigentlichen Sinne naturrechtlichen Einstellung rousseauscher,
enzyklopädistischer und deistischer Prägung geführt hat. Es handelt sich um die anschauung, die schließlich das
positive Recht nur noch als eine Schöpfung der Notwendigkeit betrachtet: es soll eine Konstruktion sein, die sich
auf Paragraphen und Normen von künstlichem und konventionellem Charakter stützt, Paragraphen und Normen,
welche das Ergebnis der organisierten Gesellschaft und einer „Kultur“ sind, welche die „Natur“ mit ihren ewigen
und gesunden Gesetzen und mit ihren ursprünglichen und überall anerkannten Rechtsformen gegenübertritt.
So haben wir – je nach Geschmack – im wesentlichen zwei Standpunkte. Die einen sehen als eigentlich
„römisch“ den Oberbau des positiven Rechts an, den die anderen konventionell und ungerecht finden. Diese
wiederum suchen in den späteren Formulierungen des selben positiven römischen Rechtes Spuren und Quellen
des Naturrechts zu entdecken und verfallen in die schon angedeuteten rhetorischen wendungen wie „tiefer Sinn
für Humanismus2 und in die Verherrlichung der „universalistischen Gesinnung“ des antiken Rom, welche die
natürliche Vorgängerin des christlichen Universalismus gewesen sein soll.
Hier ist mancherlei nachzuprüfen. Zunächst einmal muß folgendes deutlich hervorgehoben werden, daß
nämlich das „Naturrecht“ nur eine Form des Rechts ist. Es ist keineswegs das Recht schlechthin, das überall und
für jeden gilt, weil es von der Natur selbst diktiert ist, sondern es ist die besondere Rechtsauffassung, die einer
bestimmten Kulturform, ja man könnte sagen: einer bestimmten Rasse zugehört. Und man kann sicherlich
bestreiten, daß die „Rasse“ aus deren Eigenart das antike Naturrecht Leben und Geltung gewonnen hat, gerade
die „römische Rasse“ gewesen ist, das heißt das herrschende zentrale Element des gesündesten und
ursprünglichsten Römertums.
Auch in Italien sind wir zur Zeit im Begriff, die überkommenen Ideen und Doktrinen auf eine neue Weise zu
betrachten. Wir sehen sie nicht mehr als vom Himmel gekommen oder aus jener geheimnisvollen Gottheit, die
sich Geschichte nennt, magisch entsprungen an, sondern wir versuchen, sie als Manifestationen der Natur und
Rasse ihrer Schöpfer und Verteidiger zu verstehen (Rasse hier nicht nur im biologischen, sondern auch im Sinne
der „ineren Rasse“ genommen). Nun gibt es aber eine Tatsache, die für uns von Bedeutung ist, mag sie es auch
nicht für diejenigen sein, welche verantwortungslos das Rom eines Caracalla in den Himmel heben, das die
Würde des civis romanus Individuen jeden Stammes zugänglich machte, einschließlich Afrikanern und
Mischlingen, und ebensowenig für diejenigen, die glauben, daß jenes Römertum seine würdige Fortsetzung in
der Kirche gefunden habe, die noch heute bereit ist, unter dem Zeichen der Charitas Tausende und aber
Tausende von juden aufzunehmen und zu erlösen, welche sich einzig zu dem Zweck „bekehren“, die Arier zu
täuschen und ihr altes Spiel weiter zu treiben. Die Tatsache, auf die wir anspielen, ist die, daß der Jurist, dem das
bekannteste römische Recht eine Zuspitzung im Sinne des „Naturrechts“ verdankt – Ulpianus – durchaus kein
Römer war, sondern aus Tyrus stammte, also als Phönizier und damit nicht als Arier anzusehen ist. Und auch die
Erziehung, die er genoß, hatte wenig Römisches. Nach Rasse und Blut neigte er vielmehr zu Ansichten, die nur
für einen bestimmten menschlichen Typ und seine gegebene Kultur überzeugend und gültig waren, eine Kultur,
die der vorarischen Mittelmeerwelt entstammte und die daher mit dem wahren Römertum in Beziehung zu
setzen, höchst gedankenlos wäre.
In der römischen Welt hielt sich diese Kultur höchstens in den plebejischen Schichten und in denjenigen
Religionen am Leben, die diesen Schichten die liebsten waren, in Religionen also, die alle einen vorrömischen,
archaischen Charakter hatten. Will man in dieser Beziehung klar sehen, so muß man sich an alles erinnern, was
Bachofen mit sicherem Instinkt als die geheime Geschichte der antiken Mittelmeerkultur, ihrer Kulte und ihrer
Symbole aufgezeigt hat. Die in dieser Hinsicht vor etwa sechzig Jahren von Bachofen aufgestellten
grundlegenden Thesen sind noch heute ohne Einschränkung richtig. Das Naturrecht ist das Recht, für welches
alle wesen gleich sind, und zwar von einer Gleichheit, die sich – wie gerade Ulpianus behauptet – nicht auf die
Menschen beschränkt, sondern bis zu einem gewissen Grade für alle Geschöpfe gilt. Das Naturrecht verkündet
die unterschiedslose, unbeschränkte, ungeborene Freiheit jedes Einzelnen. So behauptet Ulpianus, daß die
manumisso, das heißt die Freigabe der Sklaven unsinnig sei, da es nach dem Naturrecht keinen Zustand der
Sklaverei gäbe. In seiner ausgeprätesten Erscheinungsform ist das Naturrecht mit einer kommunistischen
Auffassung des Eigentums verbunden – communis omnium possessio – die sich logisch aus dem Gedanken
folgern läßt, daß das Recht jedes einzelnen dem jedes anderen gleich ist; ein Kommunismus also, in welchem
individualistische Tendenzen weiterwirken. Ein, wie wir gleich sehen werden, bedeutsames Detail ist das
folgende: nach dem antiken Naturrecht wird derjenige, der aus einer illegitimen Verbindung stammt, nicht als
Sohn des Vaters, sondern als Sohn der Mutter angesehen.
Bachofen hat sich nun auf die Suche nach demjenigen allgemeinen Prinzip gemacht, aus dem sich ein
derartiges Recht ergeben kann, und hat es in der mutterrechlichen Auffassung gefunden. Nach ihm muß man
also auf jene Kulturen zurückgehen, die sich nichts Höheres vorstellen konnten als das Prinzip der natürlichen
Fruchbarkeit, dargestellt in der Gestalt der Mutter und vor allem der Mutter Erde. Gegenüber der Mutter sind alle
Wesen gleich. Ihr Recht kennt keine Ausnahme oder Unterschiede; ihre Liebe haßt jede Begrenzung; ihre
Souveränität erlaubt dem einzelnen nicht, sich in bezug auf das, was „von Natur“ allen ihren Söhnen gemeinsam
gehört, ein besonderes Recht anzumaßen. Diese sind nämlich vor allem „Söhne der Mutter“, und ihre Existenz
als Einzelwesen ist im Grunde von kurzer Dauer. Die allgemeine Lebensauffassung, um die es sich handelt,
kommt am prögnantesten in einer bekannten Stelle bei Homer zum Ausdruck. Die geringe Betonung des
Namens der Väter wird hier mit Hilfe eines Vergleichs gerechtfertigt: Die Männer sind wie die Blätter der
Bäume. Ein Blatt setzt das andere nicht fort und erzeugt es nicht. Es ist vergänglich. Alle sprießen sie aus dem
Stamm, aus der Erde, der Mutter des Lebens, die allein unsterblich ist und jenseits des ewig gleichförmigen
Auftauchens und Verschwindens der Generationen unverändert beharrt. Wir haben es hier augenscheinlich mit
einer rein „physischen“ und naturalistischen Anschauung zu tun.
Läßt sich diese Anschauung mit derjenigen vereinen, die wir geneigt sind, für spezifisch römisch zu halten?
Gewißlich nicht. Den Vorrang, den im ältesten Recht Roms die väterliche Gewalt hatte, die Autorität des
Mannes und der Senatoren, die Bedeutung der Geschlechterabstammung, die sakrale Rechtfertigung der
positiven Einrichtungen und des Imperiums selbst sagen das Gegenteil. Es gibt ohne Zweifel eine spezifisch
römische Überlieferung, welcher jene Anschauungen, auf die sich das antike Naturrecht letzten Endes gründet,
durchaus fremd, ja sogar entgegengesetzt waren. Diese Anschauungen hängen mit einer älteren
„Mittelmeerkultur“ zusammen, deren typischste und unverkennbarste Ausdrucksform wir sogar in den
asiatischen und semitischen Exponenten dieser Kultur finden, denn asiatisch, semitisch, bestenfalls pelasgisch ist
bekanntlich der antike Kult der großen Göttinnen der Natur, des Lebens, der natürlichen Fruchtbarkeit.
Nun wäre es eine sehr wichtige Aufgabe – wir haben sie aber nicht einmal in Angriff genommen -, allem
nachzuspüren, was in den römischen Überlieferungen, auch in den juristischen, einen hiervon abweichenden
Charakter zeigt, gewissermaßen den Gegenpol bildet. Besonders in bezug auf das positive Recht, auf das ius
civile, müßte man sich immer gegenwärtig halten, daß auf uns nur capita mortua gekommen sind, das heißt leere
und erstarrte Formen, welche die Spezialisten in ihrer Kurzsichtigkeit geneigt sind, so zu übernehmen, wie sie
sind, und für absolut zu halten, während man auch sie aus einer besonderen Weltanschauung interpretieren
sollte. Täten wir das, so würde uns das antinaturalistische römische Recht in einem ganz anderen Lichte
erscheinen: es würde seine intime Beziehung zu der „olympischen“ Geistigkeit und dadurch zum höchsten, allen
alten arischen Stämmen gemeinsamen Erbgut erweisen. In der Souveränität des Staates und seiner Gesetze
kommt das selbe zum Ausdruck, was der arische Mensch den Mächten des Lichtes und des lichterfüllten
Himmels im Gegensatz zu denen der Erde zuerkannte: es ist ganz allgemein die höhere Idee des Kosmos, des
indo-arischen rta, und dieses findet seine Entsprechung - sogar etymologisch (rta, ritus) - in jenem strengen
Ritualisrnus, der das Gegenstück zum römischen Patrizierrecht bildet. Dies Recht war aufs feinste differenziert
und gehorchte einem großen hierarchischen Prinzip: an Stelle der Gleichheit eines jeden gegenüber der Großen
Mutter galt der Grundsatz einer unterschiedlichen Würde auf Grund einer bestimmten Abstammung und eines
bestimmten Geschlechtes und ferner auf Grund der Stellung des einzelnen sowohl zu diesem Geschlecht als auch
zum Staat. Franz Altheim hat in seinen
Studien über die sogenannte lex sacrata den Gegensatz zwischen zwei Formen des Rechts im alten Rom
herausgearbeitet. Dem patrizischen Recht setzte die Plebs nämlich ein Recht und einen Typus der Gemeinschaft
entgegen, in denen weder die Abstammung, noch das Geschlecht, noch die Rasse in Rechnung gestellt wurden,
in welchen einzig und allein entscheidend ein Schwur war, das Band einer durch Schwur geeinten, mehr oder
weniger gemischten Gemeinschaft, die außerhalb der vorn patrizischen, „olympischen“ Recht anerkannten
Einheiten blieb und vorwiegend unter dem Schutz weiblicher und „tellurischer“ Gottheiten stand.
Beschäftigen wir uns eingehender mit der Plebs im altrömischen Staate, so finden wir, daß vor ihr von den
ältesten Zeiten an vorwiegend gerade weibliche und chthonische Gottheiten von der oben erwähnten Art verehrt
wurden. Es kommt nun darauf an, die Beziehungen zwischen diesen, zum vorrömischen und vorarischen
Mittelmeerkreis gehörigen Kulten und dem „Naturrecht“ festzustellem. Auch in Rom lag den Festen jener
Gottheiten als Idee eine Art Rückkehr zu einem Rechtszustand zugrunde, der dem Naturrecht entsprach und die
Grundsätze des eigentlichen römischen positiven Rechtes verleugnete: man feierte dabei die Rückkehr zur
allgemeinen Gleichheit, die keine Unterschiede der Rasse, des Blutes, des Geschlechtes oder der Kaste kennt. Im
Tempel der Feronia, einer dieser Mütter, stand der steinerne Thron, auf den die Sklaven sich setzten, wenn sie
freigelassen wurden und von der Göttin die Anerkennung ihrer natürlichen Gleichheit und ihres angeborenen
Rechtes erhielten. Fides und Fidonia waren zwei Aspekte ein und derselben weiblichen Gottheit, welche als
Mutter die Plebs gegen die invida iura und die malignae leges schützte, welche sich in den Kodifikationen des
positiven politischen und Patrizierechtes darstellten – weswegen die Freigelassenen zu ihrer Ehre einen Tempel
erbauten. Noch andere weibliche Gottheiten oder weibliche Sagengestalten sehen wir im Zusammenhang mit
den ersten Forderungen der in Aufruhr begriffenen Plebs und finden sie in ihren Kulten am Aventin wieder, dem
Hügel, der ihr so besonders lieb war. Und wenn Ulpianus die Tatsache, daß die illegitimen Söhne der Mutter
zugesprochen wurden, mit dem Naturrecht begründet, so müssen wir hierin den Nachhall des archaischen,
matriarchalischen Standpunktes sehen, auf Grund dessen die Söhne gerade in erster Linie als Söhne der Mutter
und nicht des Vaters gelten. Viele andere Beispiele könnte man leicht beibringen: sie würden alle auf dasselbe
hinauslaufen.
Man muß in jenen Elementen des „Naturrechts“, die in der späten und dekadenten römischen Welt immer
deutlicher in den Vordergrund traten, eine Folgeerscheinung der Tatsache erblicken, daß immer tiefere und
stärker gemischte Schichten die Vorherrschaft gewannen.

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