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Der Weg des Samurai

(Anhang zu Inazo Nitobe Bushido «Die innere Kraft des Samurai», Ansata/Interlaken 1985)

Der Begriff der Samurai, der japanischen Kriegeraristokraten, ist auch im Westen wohlbekannt, und das Opfer
Vukio Mishimas, der sich kürzlich das Leben nahm, um sein Volk zur Rückbesinnung auf seine jahrhundertealte
Tradition und nationale Ehre aufzufordern, hat die Aufmerksamkeit wieder auf sie hingelenkt. Allerdings weiß
man nicht viel von der «inneren Tradition» der Samurais selbst, was auch auf die Tatsache zurückzuführen ist,
daß die Japaner hinsichtlich ihres geistigen Lebens besonders verschlossen sind. Sie betrachten es fast als ein
Zeichen von Indiskretion und geringem Takt, wenn sie auf derartige Themen angesprochen werden, und sie sind
auch Meister in der Kunst, mit großer Höflichkeit das Gespräch abzulenken. Der augenblickliche, im Steigen
begriffene «Modernismus», bis hin zu einer geschmacklosen Amerikanisierung Japans ist dabei natürlich ein
weiterer negativer Faktor.
So wird es von Interesse sein, hier einige Hinweise bezüglich «der Religion und des Weges des Samurais» zu
geben, wobei die vollkommenste und seriöseste Quelle ein altes Werk von Kaiten Mukariya ist, das den Titel
«The religion of the Samurai» (London-Tokyo, 1913) trägt.
Die offizielle Religion Japans ist der sogenannte Shintoismus, ein Begriff, der zusammengesetzt ist aus «Shin»,
Gottheit, und «To», Weg oder Lehre, was also insgesamt «Lehre oder Weg der Gottheit» ergibt. Seine
Grundlage ist der Glaube an die göttliche Abstammung und den göttlichen Auftrag Japans und seiner Rasse. Die
japanische Tradition hätte demnach ihren Ursprung von oben. Das gilt in besonderer Weise für die japanische
Kaiserdynastie, die göttliche Merkmale besitzen soll (gemäß einem jahrhundertealten und stark verwurzelten
Glauben, der erst nach dem Zusammenbruch im letzten Krieg angefochten worden ist), weil sie unmittelbar mit
einer Sonnengottheit, Amaterasu-ô-mikani, verbunden sei. Auf dieser Grundlage ist denn auch die Treue dem
Kaiser und dem Vaterland gegenüber einem religiösen Akt gleich: Vaterland und Dynastie wurden so zu den
konkreten Bezugspunkten für eine jede verklärende Hingabe und ein jedes Sich-Emporschwingen des Menschen
zu dem, was jenseits seines einfachen sterblichen und endlichen Daseins steht.
Der Begriff «Matsurigoto» bedeutet in diesem Zusammenhang sowohl Herrschaft in engerem Sinne, d.h.
weltliche Macht, als auch Kultur oder «Ausübung der religiösen Dinge».
Im gleichen Sinne ergab sich, daß jede Straftat und jede unehrenhafte Handlung für den Japaner eine Bedeutung
von Gotteslästerung annahm: sie transzendiert den rechtlichen und sozialen Bereich, um in den religiösen
überzugehen.
Treue und Loyalität sind in Japan Begriffe gewesen, die nicht nur im kriegerischen und ritterlichen Rahmen
einer Elite galten, sondern auch den Respekt vor den Eltern umfaßten, die Solidarität unter Verwandten oder
Freunden, die Einhaltung der Tugend, die Beachtung der Gesetze, die Harmonie zwischen den Ehepartnern
gemäß dem richtigen hierarchischen Verhältnis zwischen den Geschlechtern, aber auch die Produktivität im
Bereich der Industrie und Wirtschaft, die Arbeit und das Studium, wie die Aufgabe, seinen eigenen Charakter zu
formen und die Verteidigung des Blutes und der Rasse. Alles ist «Treue» und letztlich Treue gegenüber dem
Kaiser. Jede unsoziale, unmoralische, verbrecherische Handlung bedeutet auf dieser Grundlage nicht eine
Verletzung einer abstrakten Vorschrift, eines «sozialen», mehr oder weniger bedeutungslosen oder auf
Konvention zurückzuführenden Gesetzes, sondern vielmehr Verrat, Untreue, Schande, vergleichbar mit dem,
was der desertierende oder die von ihm mit seinem Führer eingegangene Verpflichtung verratende Krieger
begeht. Es gibt also keine «Schuldigen», sondern vielmehr «Verräter», der Ehre unfähige Wesen. Von da her
rührt auch der tiefere Sinn des bekannten Ausdrucks «das Gesicht verlieren», der etwas Unerträgliches anzeigt.
Soweit zur allgemeinen Atmosphäre des traditionalen Japan. Nun müssen wir dazu übergehen, die Lehre zu
betrachten, die im eigentlichen Sinne die innere Seele der Samurai Kaste, also des feudalen Kriegeradels,
gebildet hat. Es handelt sich im wesentlichen um das «Zenshû» oder den «einfachen Zen». Die formende Kraft
dieser Lehre ist dabei allgemein anerkannt worden.
Sein Ursprung führt letztlich zum Buddhismus zurück. Der Buddhismus hat sich in die Schule des sogenannten
«Kleinen Fahrzeuges», Hinayâna, und in die des «Großen Fahrzeuges», Mâhâyana, differenziert, wobei die erste
Schule einen eher praktischen und asketischen, die zweite dagegen einen eher metaphysischen Charakter hat.
Man kann das Zen als eine besondere Fassung der zweiten Schule betrachten, d. h. der mâhâyanischen, die von
den nördlichen Gegenden Indiens nach China und dann nach Japan übergriff, wo sie ungefähr um das Jahr 1190
stark Fuß faßte. Von da an hat das Zen nicht aufgehört, seinen Einfluß auf die japanische Seele im allgemeinen,
vor allem aber auf die Kriegerkaste auszuüben. Dieser Einfluß hat sich dann seit den Jahren des russisch-
japanischen Krieges verstärkt, und zwar so weit, daß es bis zur jüngsten Vergangenheit hin schwierig gewesen
wäre, eine wohlgeborene Person zu finden, in deren Erziehung die Betrachtungsweisen des Zen nicht auf
irgendeine Weise ihren Anteil gehabt hätten. Und es ist bezeugt, daß eine «asketische» Ausbildung, die mit
derartigen Betrachtungsweisen verbunden war, als eine natürliche Vorbereitung für diejenigen aufgefaßt wurde,
die beabsichtigten, in die Kader des Offizierskorps des kaiserlichen Heeres einzutreten.
Daß wir auf die Verbindung zwischen dem Zen und dem Buddhismus hingewiesen haben, könnte für viele
befremdlich sein, da man bei uns glaubt, daß der Buddhismus mit einer Daseinsentfremdung gleichzusetzen und
das buddhistische Nirwana die höchste Form eines Entfliehens sei, eines Sich-der-Welt-Entziehens, wobei diese
Welt als Schmerz aufgefaßt wird, und Buddhismus insgesamt ein Sich-Flüchten in eine formlose Transzendenz
bedeute. Es ist hier nicht der Ort, um uns darüber aufzuhalten, was das echte Wesen des Buddhismus ist. Wir
möchten nur andeuten, daß der Buddhismus seit seinen Anfängen, abgesehen von den abstrakten Spekulationen
und dem Ritualismus, in den die brahmanische Hindukaste verfallen war, sich allein das Problem der
«Befreiung» gestellt hat. Die Wahrheit, die die alte römische Welt mit den Worten Sallusts «omnia orta occidunt
et aucta senescunt» kannte, ist auch der Ausgangspunkt der ursprünglichen buddhistischen Lehre. Es gibt also
eine Welt, deren Gesetz die Vergänglichkeit und die Unbeständigkeit ist. Es ist aber möglich, sich dieser zu
entziehen und an einem höheren Dasein teilzuhaben. Was dieses höhere Dasein anlangt, das jenseits des Lebens
und des Todes steht, hat Buddha es immer vermieden, darüber zu reden oder zu «philosophieren». Er hat es mit
dem Wort «Nirwana» bezeichnet, das keine positive Bezeichnung ist, sondern nur eine negative Angabe, die
ausdrückt, daß, um jenen Zustand zu erreichen, die conditio sine qua non die Vernichtung des «brama» oder des
menschlichen «Durstes», also der «Begierde», des «Fiebers» oder der «Unruhe» ist; der Begriff «Vâna» schließt
dabei mehr oder weniger all diese Bedeutungen mit ein, und die Vorsilbe «Nir» drückt das Nicht-Vorhandensein
solcher Zustände aus. Daher bedeutet es mit Sicherheit nicht, «in das Nichts» überzugehen, wenn man sagt, daß
solche Zustände nicht mehr vorhanden sind; das kann nur der glauben, der gewöhnt ist, das Leben mit Fieber
und Wahn zu identifizieren, eben wie es im Grunde demjenigen erscheint, der es vom höheren Standpunkt des
«Erwachten» betrachtet.
Die Lehre des Zen nimmt im wesentlichen diese Ausrichtung wieder auf, indem sie diese in einem
entsprechenden Bereich zur Geltung bringt. Sie will also nichts von Spekulationen, Schriften und Texten wissen
- von daher auch ihr Stil der Schweigsamkeit und Äußersten Vereinfachung. Entsprechend einer geläufigen
Vorstellung hat jede Theorie nur Geltung, wenn sie die Bedeutung eines Wegweisers hat, dem man aus eigenen
Kräften folgen muß. Die Selbstdisziplin, ausgedrückt in fast asketischen, jedoch aktiven und nicht büßerischen
Begriffen, ist dabei der grundlegende Kern des Zen und jener Aspekt, der besonders eine Kriegerkaste
interessieren konnte. Es handelt sich jedoch um eine subtile und vor allem innere Selbstdisziplin. Bei ihr werden
die folgenden Grade unterschieden:
Zu allererst muß man sich zum Herrn über die äußeren Objekte machen, d.h. man muß über die Eindrücke und
Antriebe, die von ihnen ausgehen, siegen, indem man den Zustand der Passivität durch eine aktive Haltung
ersetzt. Der Schüler wird aufgefordert, sich dessen bewußt zu werden, daß, wo immer ihn ein Wunsch zu einer
Sache drängt, nicht er die Sache besitzt, sondern die Sache ihn. «Wer Schnaps liebt, meint, daß er den Schnaps
trinkt, dagegen ist es der Schnaps, der ihn trinkt.» Das heißt: Sich ablösen und in sich selbst den eigenen Herrn
finden. Die westliche Ethik der Stoiker war nicht sehr viel anders. Aber hier greift auch die mâhâyanische Lehre
der «Leere» ein, um davon zu überzeugen, daß die äußeren Objekte vom metaphysischen Standpunkt aus (wir
würden vielleicht sagen «sub specie aeternitatis») illusorische Projektionen sind, denen nur die Begierde einen
Schein der Wirklichkeit und eine Macht verleiht.
Zweites Stadium: die Herrschaft über den Körper. Seine eigene Autorität gegenüber dem gesamten Organismus
durchsetzen. «Stellt euch den Körper vor, als wäre er von euch abgetrennt. Wenn er schreit, bringt ihn sofort
zum Schweigen, wie es eine strenge Mutter mit ihrem Kind tut. Wenn er Launen hat, ermahnt ihn, wie es ein
Reiter mit dem Pferd tut, das er am Zügel führt. Wenn er krank ist, verordnet ihm etwas, wie es ein Arzt mit
einem Patienten tut. Wenn er ungehorsam ist, bestraft ihn, wie es ein Lehrer mit seinem Schüler tut.» Dies muß
eine gewohnte Disziplin werden, und zwar nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch. Hier greift oft die
geistige Übung in die kriegerische Ausbildung ein. In früheren Zeiten wurden daher
«Standhaftigkeitswettkämpfe» durchgeführt, um festzustellen, welcher der Schüler im Sommer die glühendste
Hitze und im Winter die eisigste Kälte aushalten konnte. Darüber hinaus ist es im allgemeinen dem Zen eigen,
bestimmte «Kriegskünste» oder auch handwerkliche Tätigkeiten als eine Art geistiges und sogar initiatisches
Gegenstück zu betrachten, und zwar bis zu dem Punkt, wo man die Meisterschaft im entsprechenden Fach als
eine Art äußeres Zeichen der entsprechenden inneren Verwirklichung auffassen konnte.
Der dritte Grad ist die Kontrolle über die Leidenschaften und Emotionen sowie die Herstellung eines inneren
Gleichgewichts. Es muß die Irrationalität aller leeren Ängste und Hoffnungen wie auch aller Beunruhigungen
erfaßt werden, und zwar so weit, «daß man das Herz in der Gewalt hat». In dieser Hinsicht erinnert man an eine
Anekdote über O-yô-mei. Obwohl Oberkommandierender eines Heeres, das einen entscheidenden Kampf gegen
einen Usurpationsversuch führte, verabsäumte er es nicht, selbst während des Feldzuges im Hauptquartier Zen
zu üben. Bei der Mitteilung, daß seine Truppen geschlagen worden seien, wurden die ihn Umstehenden von
Panik ergriffen, doch er wurde nicht im mindesten davon bewegt; er gab nur gewisse kurze Instruktionen. Kurz
danach trifft die Nachricht ein, daß in der weiteren Entwicklung der Schlacht der Sieg errungen worden sei. Der
Führer blieb ruhig wie vorher und unterbrach selbst dann nicht den Zustand des Zen.
Es muß jedoch unterstrichen werden, daß es sich nicht darum handelt, eine hölzerne Unempfindlichkeit zu
verwirklichen, sondern vielmehr, jede unnütze Empfindung und jede leere Aufregung fernzuhalten. Ein weiteres
Beispiel: das der Kamikaze, der selbstmörderischen Flugzeugpiloten im letzten Weltkrieg. Diese, die fast alle
Zen übten, waren fähig, jeder Betätigung ordnungsgemäß nachzugehen und sogar sich zu vergnügen, obwohl sie
wußten, daß sie in jedem Augenblick die Einberufung zum «lug ohne Wiederkehr» erreichen konnte.
Der vierte Grad enthält die sogenannte «Abstoßung des Ichs». Man muß aufhören, nicht nur sich törichterweise
für «wichtig» zu halten, sondern auch zu meinen, daß das individuelle Dasein einen echten Wirklichkeitswert
hätte. Das Halten am Ich ist die größte Bindung, die für immer zu lösen sei. Dann ist man schon auf der
Schwelle des «erleuchteten Bewußtseins», Synonym jenes Zustands der Überindividualität und aktiven
Unpersönlichkeit. In der Tat wird diese höhere Dimension, die in einem besonderen Sinne als «Kontemplation»
bezeichnet werden könnte, nicht, wie gesagt, mit einem abgesonderten und klösterlichen Leben in
Zusammenhang gebracht, sondern sie wird als ein Bewußtseinszustand verstanden, der allezeit vorhanden sein
sollte, so daß er jede Erfahrung oder Tätigkeit begleitet. Dieser Satz wird zitiert: «An nichts hängen, ist
Kontemplation; wenn ihr dies verstanden habt im Gehen, im Stehen und im Sitzen, werdet ihr nie aufhören, in
Kontemplation zu sein.»
Wenn man das Ganze von einem anderen Standpunkt aus betrachtet, kann man im eigentlichen fünf Grade dieser
Disziplin unterscheiden; sie nennen sich Kô-kun-go-i, das heißt «die fünf Verdienstgrade».
Der erste Grad ist der «Rang der Umkehr» und entspricht dem Schüler, der sich von der äußeren zur inneren
Welt wendet und sich der Herrschaft der äußeren Welt entzieht. Hierbei wird eine ganz besondere Allegorie
gebraucht: das höhere Ich, auf das man abzielt, wird als Souverän dargestellt, dem das individuelle Ich als Volk
unterstellt ist. Darauf folgt der «Dienstrang», dieser wird durch die Loyalität dem inneren Souverän gegenüber
gekennzeichnet; dieser «Dienst» bedeutet Gehorsam und Liebe und Furcht, die Majestät zu beleidigen, so wie es
ein Mensch tun muß, der zum Gefolge des Königs zugelassen ist. Dann folgt der «Rang der Tapferkeit». Ob man
dieses Ranges würdig ist, beweist man im Kampf, in der Vernichtung und Unterwerfung der rebellierenden
Armee der Leidenschaften und Instinkte, die sich gegen den Souverän erheben. Hat man sich in diesem Rang
bewährt, wird man vom Gefolgsmann des Königs zu seinem General befördert. Der vierte Grad ist der
«Verdienstrang der Mitarbeit»: dieser Rang bedeutet, daß man nicht einfach nur im Kampf für die Verteidigung
des «Zentrums» engagiert ist, sondern bereits zur Gruppe derjenigen gehört, die ihren Rat für die
Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung von Recht und Ordnung sowie der Macht des Staates erteilen. Der
letzte Grad nennt sich auch «Hochverdienstrang», Kô-kô. Das ist der Rang des Souveräns, mit dem man sich
identifiziert. Dies ist der Zustand, in dem nicht mehr gehandelt wird. Die geistige Souveränität, das Bewußtsein,
das eine höhere Freiheit erreicht hat, hat sich verwirklicht.
Diese symbolische oder allegorische Darstellung der verschiedenen Stufen der Zen-Disziplin ist äußerst
wichtig, denn dadurch zeigt sich der Zusammenhang zwischen äußerer und innerer Herrschaft. So kann man
nachvollziehen, wie das Zen in das System der offiziellen Shinto-Religion des japanischen Staates, deren
Angelpunkt der Kaiserkult war, integriert werden konnte. Man kann sagen, daß der Samurai im Souverän sein
eigenes höheres Ich sah und in ihm somit den eigenen symbolischen «König» anerkannte, von dem wir eben in
der Allegorie der fünf Verdienstränge sprachen. So trat also eine wirksame Parallelität zwischen der geistigen
und der politischen Disziplin einer Elite zutage, in der alles, was aktive Hingebung, Dienst, Kampf, Opfer,
Weisheit und Wissen für das Wohlergehen und die Macht der Gemeinschaft war, an deren Spitze der Tenno, der
Kaiser, stand, eine Höhere geistige Bedeutung erhielt.
Für den Samurai stellte sich also alles als Ritus dar und half ihm auf dem Wege der inneren
Selbstverwirklichung. Daher war auch das höchste Opfer, das des Lebens für das Vaterland, eigentlich nur das
Opfer des vergänglichen und bedeutungslosen Teils von sich selbst zugunsten eines «höheren Ichs» und ein Teil
der «Großen Befreiung».
Diese kurzen Bemerkungen mögen vielleicht genügen, um den Sinn des «Wegs des Samurai» zu verstehen. Es
wird dem Leser nicht entgehen, daß Übereinstimmungen mit Geisteshaltungen bestehen, die auch im Westen zu
einer bestimmten Zeit vorherrschten, auch wenn sie in andere Formen gegossen waren. Es möge genügen, an das
asketisch-kriegerische Ideal der großen mittelalterlichen Ritterorden zu erinnern, sowie an die Bedeutung der
«Treue», die sogar zum Rang eines Sakraments erhoben wurde und ein Unterscheidungsmerkmal war für die
quasi serienmäßige Verschiedenartigkeit der Menschen. Damit in Zusammenhang stehen auch die
transzendentalen und sakralen Begründungen des Ghibellinismus für die Reichsidee, wobei man sich an eine
mysteriöse «königliche Religion von Melchisedek» hielt.1
Bis vor kurzem war Japan das einzige, Verwunderung erregende, Beispiel in der modernen Welt, wo eine
Kultur jahrhundertealter traditionaler Ideen bewahrt wurde, die dennoch mit einer parallel verlaufenden
hochgradigen Modernisierung der äußeren Strukturen einherging. Nach dem zweiten Weltkrieg ist dieses
Gleichgewicht leider gebrochen worden.
Alle geistigen Energien des Volkes von Yamato, des japanischen, wurden von da an für die äußere Welt
verwandt und produzierten ein «Wirtschaftswunder», wodurch Japan heute zu den ersten wirtschaftlichen und
industriellen Weltmächten zählt. Gleichzeitig ließ sich Japan, vor allem in seinen größten Städten, auch in seiner
Lebensart und seinen Sitten von den Einflüssen des heutigen modernen Westens, insbesondere Amerikas,
vergiften, was man leicht aus Dokumentarfilmen, Spielfilmen und Reportagen ersehen kann. Die blutige Tat des
Hara-kiri von Yukio Mishima sollte demnach ein «Japan erwache!» bedeuten. Ähnlich erklang nach den Ersten
Weltkrieg auch in Mitteleuropa der Ruf zum Erwachen. Doch scheint dieser Ruf damals nicht von allen richtig
verstanden worden zu sein. Manche behaupteten sogar, es handle sich um reine «Theatralik». Wenn nun die
augenblicklichen Entwicklungen keinen Wendepunkt erfahren, wird die eben beschriebene Geisteshaltung des
Samurai nur ein praktisch alleinstehendes Beispiel hohen paradigmatischen Wertes in der Erinnerung der
nachfolgenden Generationen bleiben. Somit wären dann alle Anzeichen für den Eintritt in die allgemeine und
unaufhaltsame Epoche des «dunklen Zeitalters», des Kali-Yuga, gegeben, wie es schon in der griechischen
Mythologie beschrieben wurde.
______
1 vgl. Julius Evola: «Das Mysterium des Grals»

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