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BERNET.

TRIEB UND TRANSZENDENZ 197

Rudolf Bemet

Trieb und Transzendenz


Zur Theorie der Sublimierung

Die Behauptung, der Mensch sei ein triebhaftes Wesen, stößt


gerade unter Philosophen auf großen Widerstand. Eine solche
Auffassung wird sehnen als eine einseitige Verabsolutierung eines
untergeordneten Aspekts des menschlichen Daseins abgetan oder
längst überholten Formen des Materialismus, Biologismus. Vita-
lismus, Voluntarismus usw. zugeschrieben. Auch bei post-freudia-
nischen Psychoanalytikern und Psychotherapeuten gilt der Begriff
des Triebs als antiquiert und unfähig, dem Wesen eines Begehrens
gerecht zu werden, das wesentlich durch gesellschaftliche Bezie-
hungen und kulturelle Verhältnisse, durch Ausdrucksverhalten und
Sprache bestimmt wird. Philosophen und Psychoanalytiker schlie-
ßen sich offensichtlich gerne dem gemeinen Menschenverstand
an, der im Trieb etwas Tierisches sieht, das die menschliche Gei-
stigkeit gefährdet. Diese ideologisch verbrämte Ablehnung des
Triebhaften im Menschen hält jedoch keinem ernsthaften Denken
stand: Man verurteilt den Trieb im Namen eines Geistes, der sich
als Verdrängung des Triebs affirmiert und man verstrickt sich der-
gestalt in einen Zirkel, der die Fragen nach dem Wesen des Triebs
ad,er des Geistes oder nach den Weisen ihrer Verflechtung gar
nicht mehr aufkommen läßt.
Die folgenden Überlegungen sind der Aufarbeitung eben dieser
Fragen gewidmet. Es wird dabei von Anfang an in Zweifel gezogen.
daß der Trieb,. der das menschliche Leben bewegt. mit dem selbst-
reguHer,enden System tierischer Instinkte verglichen werden kann.
Daher die Rede von einer wesenhaften Transzendenz des Triebs
beim Menschen, wobei aber die genauere Bestimmung des Sinnes
dieser Transzendenz sowie der verschi,edenen Weisen ihrer Reali-
sierung bis zum Ende unserer Betrachtungen ihre Fragwürdigkeit
bewahren soll. Obwohl diese Transzendenz in der Tat etwas mit
dem in der Ethik, der Kunst und der Religion waltenden Geist zu
tun hat. soll dessen Bedeutung keineswegs vorausgesetzt oder gar
im Widerspruch zum Tdeb angesetzt werden. Abseits von jedem
metaphysischen Dualismus soll vielmehr rein phänomenOlogisch
untersucht werden, wie das sogenannte Geistige sich im triebmäßi-
198 H. GABE UND OPFER, GESETZ UND BEGEHREN

gen Leben des Menschen offenbart, und auch umge.kehrt,' ~ie. die
Begegnung mit dem Geistigen das Wesen des Tnebs In semer
Wahrheit zur Erscheinung bringt.
Wer sich für eine vorläufige ontologische Bestimmung des
menschlichen Triebs interessiert, entdeckt schon bald, daß der Trieb
die scheinbar gegensätzlichen Seinsweisen der Selbstaffektion und
der Transzendenz in seinem Wesen vereint Der Trieb treibt und
wird getrieben, er übedäßt sich seinem Treiben und wird dabei oft-
mals von sich selbst abgetrieben, was aber noch keine Austreibung
des Triebs bedeutet. Der Trieb ist zugleich Streben nach etwas
Fremdem und Erfahrung des Sich-selbst-ausgeliefert-Seins, er ist
zugleich aktive Kraft und passives Leiden unter seiner eigenen
Kraft, Wille zur Macht und Ohnmacht. Diese Zweideutigkeit des
Triebs hängt innig mit seiner leiblichen Verfassung zusammen, mit
seiner zugleich autonomen und heteronomen Sinnlichkeit. Die Affi-
zierbarkeit des Triebs sowie die verschiedenen Weisen seines Affi-
ziert-Werdens sind in der Tat nur als leibliche Vorkommnisse
denkbar. Nach guter alter Freuds,cher Lehre wird der Trieb sowohl
von innen (besser: von sich selbst) als auch von außen (besser: von
etwas Fremdem) affiziert, nämlich von eigenleiblichen Spannungs-
gefühlen und von vorgestellten Objekten, die dieser Spannung
Abhilfe verschaffen soHen. Diese doppelte Affizierbarkeit gehört
zum Wesen der erogenen Zonen des Leibes, die somit am Ursprung
der trieblichen Bewegung stehen.
Der ontologischen Zweideutigkeit des Triebs entspricht eine dop'-
pelte leibliche Trieberfahrung, eine doppelte affektive Selbstgege-
benheit des Triebs. In der Affektion des Triebs durch sich selbst
offenbart der Trieb smch unter der Form eines unmittelbaren Gefühls.,
eines leiblichen Gefühls der Unruhe unseres Lebens. Dieses Lebens-
gefühl oder Triebgefühl ist eine unmittelbare Selbsterscheinung des
Triebs, in wekher der Trieb auf sich selbst zurückfällt und sich
dadurch inuner wieder von neuem entzündet. Neben dieser imma-
nenten Gegebenheit des Triebs als leibliche Selbs[affektion gibt es
jedoch noch eine zweite Art der Selbstgegebenheü des Triebs, die
nicht vom Trieb selbst, sondern von etwas ihm Transzendenten aus-
gelöst wird und die somit den Trieb nicht in seiner Selbstzugehörig-
keit. sondern in seiner Selbsttranszendenz offenbart. AUerdings muß
zugegeben werden, daß die Charakterisierung des Triebs als Streben
nach Lust (Freud) nicht genügt, um die Rede von einer Transzen-
denz des Triebs aufrechtzuerhalten. Im Gefühl der Lust erfährt der
Trieb sein eigenes Luststreben nämlich unter der Form einer Selbst-
affektion. Von einer Transzendenz des Triebs kann erst dann die
BERNET: TRIEB UND TRANSZENDENZ 199

Rede sein, wenn der Trieb in seiner unablässigen Bewegtheit auf


etwas stößt, das ihn zwar auf sich selbst zurückweist, sein Wesen
offenbart, aber ihm dennoch fremd bleibt. Wir werden sehen, daß
eine solche Selbsterscheinung des m,enschlichen Triebs als Selbst-
transzendenz nicht nur bei Heidegger zu finden ist, sondern auch in
Lacans psychoanalytischem Verständnis des (sublimierten) Triebs.
Aus der genaueren Untersuchung der Transzendenz des Triebs ist
übrigens ebensoviel über die Wahrheit des Triebs wie über die ver-
schiedenen Form,en und Gegebenheitsweisen der Transzendenz zu
lernen. Es ist nämlich so. daß erst die Begegnung mit etwas dem
Trieb Transzendenten die dem Trieb selbst ursprünglich einwoh-
nende Transzendenz zur Offenbarung bringt. Erst die Begegnung
mit einem Phänomen, das sich der Macht des Lustprinzips entzieht,
offenbart, daß der Trieb schon immer bereit war, seine Bewegung
bis in ein Jenseits des Lustprinzips fortzusetzen. Die Transzendenz
des über das Lustprinzip Erhabenen ist jedoch nicht dieselbe wie
die Transzendenz des Triebs, der sich durch keine Lust endgültig
binden läßt, und wir werden darauf achten müssen. Transzendenz
nicht voreilig einfach mit Exteriorität und Alterität gleichzusetzen.
Die Transzendenz des Triebs ist als Selbsttranszendenz noch keine
Exteriorität, und die Transzendenz des Erhabenen impliziert eine
Form der Alterität, die noch keinen Bezug auf einen anderen Men-
schen einschließt. Es läßt sich also schon jetzt voraussehen, daß
verschiedenen Auffassung,en der Alterilät verschiedene Auffassun-
gen der Transzendenz und somit auch verschiedene Auffassungen
der sich in der Sublimierung offenbarenden Selbsttranszendenz des
Triebs entsprechen.
Freud. Scheler, Lacan und Levinas entwickeln eine je verschie-
dene Theorie der Sublimierung des Triebs, weil sie sich von einem
je verschiedenen Begriff der Transzendenz leiten lassen und somit
den Zusammenhang von Immanenz und Transzendenz, von Selbst-
affektion und Selbstüberschreitung im Trieb je anders verstehen. Es
ist nicht einerlei, ob der Trieb auf die Transzendenz ,entsexualisier-
ter Aktivität, geistiger Werte, eines bedeutungslosen Nichts oder
einer ungreifbaren und unerschöpflichen Andersheit des Anderen
bezogen wird. Das Ereignis der Sublimierung des Triebs wird folg-
Hch entweder als eine Transformation des Triebs oder als eine
Offenbarung seiner geheimen Wahrheit, als eine Entfernung vom
Trieb oder als eine Annäherung an den Trieb bis zur unerträglichen
Unheimlichkeit begriffen. Auch das Verständnis dessen t was mit
dem Subjekt in der Sublimierung des Triebs geschieht, variiert je
nach dem hantierten Begriff der Transzendenz. Während Freud von
200 II. GABE UND OPFER, GESETZ UND BEGEHREN

einer narzißtischen Selbstbestätigung spricht, sieht Lacan in der


Sublimierung das Ereignis eines grenzenlosen Selbstverlustes, und
wo Scheier eine Vergeistigung des Subjekts ansetzt, beschreibt
Levinas Formen seiner extre.men Versinnlichung. Es wird sich zei-
gen,. daß diese Diskrepanz sich nicht nur aus verschiedenen Auffas-
sungen über den Zusammenhang von Transzendenz und Alterität
ergibt, sondern auch aus verschiedenen Auffassungen über den
Zusammenhang von Transzendenz und Aktivität bzw. Passivität.
Für Freud und Scheler ergibt sich die Sublimierung des Triebs aus
einer veränderten bzw. anderen Aktivität, für Lacan und Levinas
widerfährt sie dem Trieb in solcher Weise, daß sie seine Aktivität
zum Stocken bringt. Ob Sublimierung als Selbstbestätigung oder
Selbstverlust, aktives Erzeugnis oder passiv erlittenes Ereignis ver-
standen wird, entscheidet schließlich auch noch darüber, ob man in
der SubHmierung eine Überwindung der Blindheit des Unbewußten
sieht, eine Umleitung und Kanalisierung unbewußter Triebenergien,
eine Konfrontation mit demjenigen, was jenseits von aHen bewuß-
ten und unbewußten Vorstellungen und Signifikanten liegt, oder das
Auftauchen eines Bewußtseins, das ganz im Anderen aufgeht und
jedes Selbstbewußtsein auslöscht.

1. Freud und Scheler

Philosophen und Psychoanalytiker bekümmern sich meist aus ver-


schiedenen Gründen um die Sublimierung des Triebs. Bei Scheler
etwa ist die Besorgnis tiber die beschränkte Spannweite triebhaften
Verhaltens, seine amoralische Genußsucht. seine Unempfänglich-
keit für geistige Universalwerte unverkennbar. Bei Freud und Lacan
dagegen überwiegt die Besorgnis über die Selbstdestruktivität des
Triebs. Der Trieb gUt ihnen als eine unendliche Bewegung der
Selbststeigerung,. die sich durch nichts stören oder aufhalten läßt,
die in keiner Lust ihren Frieden findet, die ihre Energie bis zur völ-
ligen Erschöpfung aufbraucht. Der Trieb ist unausrottbar, unver-
drängbar, unaufbaltbar, man kann ihm höchstens beibringen, mit
seiner Energie ökonomischer umzugehen, sich nicht fortwährend
bis ins letzte zu verausgaben. Freud spricht diesbezüglich von Bah~
nung und Bindung der triebmäßigen Energie und Lacan von einer
Verknüpfung des Triebs mit dem symbolischen Netzwerk von Sig-
nifikanten (signijiants).
BERNET. TRIEB UND TRANSZENDENZ 201

Diese Zähmung des wilden Triebs ist jedoch noch keine echte
Transformation seines Eigenwesens. Wenn Sublimierung des Triebs
einen modifizierenden Eingriff in das eigentliche Wesen des Triebs
bedeuten saH, so ist also deutlich,. daß sie nicht mit der Operation
Freudscher Bindung oder Lacanscher Symbolisierung zusammen-
fallen kann. Die symbolische Artikulation des Triebs zu einem
menschlichen Begehren ist noch keine Sublimierung. Von einer
wesentlichen. wahrhaft sublimierenden Transformation des Triebs
kann erst dann die Rede sein, wenn die Ökonomie des Sexualtriebs
in die Ökonomie eines anderen, weniger destruktiven Triebs über-
führt wird oder wenn dem Trieb durch die Einsicht in die Sinnlo-
sigkeit seines Strebens vorübergehend der Boden und die Energie
entzogen werden. Freuds Theorie der Sublimierung folgt der ersten
Spur, Lacans Theorie der zweiten. Anders als bei Freud bedeutet die
Sublimierung des Triebs bei Lacan somit den Bruch mit aller Trieh-
ökonomie, keine Uminvestierung, sondern die Begegnung mit
einem über aBe Ökonomie erhabenen Nichts.
Wir müssen im vorliegenden Rahmen darauf verzichten, Freuds
Trieblehre auch nur einigermaßen vollständig darzusteHen. Wir
wollen insbesondere davon absehen, seine Lehre von den Partialtrie-
ben ausdrücklich zu behandeln, obwohl sie Lacans Auffassung vom.
Trieb entscheidend geprägt hat und auch für die Bestimmung der
Verwandtschaft und des Unterschieds zwischen Sublimierung und
Perversion sehr wichtig wäre. Es soll uns genügen, in Erinnerung zu
bringen, daß nach Freud Sublimierung und Perversion gleicher ..
maßen bestrebt sind. frühkindliche TriebwÜllsche vor der Verdrän-
gWlg zu bewahren. Während die Perversion diese Wünsche dadurch
zur Erfüllung bringt. daß sie das die Verdrängung auslösende Verbot
negiert. sorgt die Sublimierung durch die Entsexualisierung der
TriebwÜllsche dafür, daß es nichts mehr zu verdrängen gibt. Von
einer triebmäßigen Erfüllung kann in der SublimierWlg jedoch nicht
mehr die Rede sein, und die sich dabei einstellende Befriedigung hat
nach Freud den Charakter einer narzißtischen Selbstbestätigung
durch ges,el1schafUiches und kulturelles Ansehen. Perversion führt
zu einer Ichspallung, Sublimierung dagegen zu einer narzißtischen
Selbstidentifikation und Seihsterhöhung. Der in der Sublimierung
fungierende Idealisierungsprozeß richtet sich also nach Freud auf
das Ich und nicht auf das Objekt: Anstatt sich, wie etwa in der
Liebe, in einem idealisierten fremden Objekt zu verlieren, bedient
sich das Ich vielmehr des Objekts zur Affirmation seiner eigenen
SelbsUllächtigkeit. In Freuds eigene Terminologie übersetzt heißt
das, daß die Sublimierung deswegen der Verdrängung entgeht, weil
202 II. GABE UND OPfER, GESETZ UND BEGEHREN

die Idealisierung nicht einem gestrengen Über-Ich oder lehideal


zugute kommt. sondern der narzißtischen Figur des Idealichs.
Lacan denkt da wiederum ganz anders als Freud, für ihn ist nicht
die Selbstbestätigung in der schöpferischen Aktivität,. sondern die
Minne. d. h. die vorbehaltlose Hingabe an eine Frau ohne Eigen-
schaften, ein mögliches Paradigma der Sublimierung. Hei Lacan
kommt die in der Sublimierung implizierte Idealisierun.g somit
nicht dem Ich. sondern ganz im Gegenteil dem Objekt zugute. An
die Stelle einer Selbsterhöhung tritt in Lacans Verständnis der Sub-
limierung der Selbstverlust.
Freuds Theorie der Sublimierung 1 stützt sich vor allem auf den
Begriff einer möglichen Entsexualisierung des Triebs. Er ging in sei-
ner ersten Trieblehre davon aus, daß das menschliche Leben
ursprünglich von zwei verschiedenen Triebarten beherrscht wird:
einem Selbsterhal tungs- oder Ichtrieb und einem Libido genannten
Sexualtrieb. Ersterer wird durch das Realitätsprinzip geleitet, letzte-
rer durch das Lustprinzip. Beide Prinzipien und beide Triebe vermi-
schen sich allerdings zumeist miteinander. So besetzt in der
Erfahrung des Säuglings der Sexual trieb schon bald alle dem Selbst-
erhaltungstrieb dienenden Ernährungsfunktionen und macht sie
dadurch abhängig von der Anwesenheit eines Liebesobjekts. Freud
nennt diese Sexualisierung des Selbsterhaltungstriebs eine Anlehnung
der Libido an den Ichtrieb. Es war somit naheliegend, die für die Sub-
limierung charakteristische EntsexuaHsierung als eine umgekehrte
Anlehnung zu begreifen. Die Sublimierung der Libido wäre somit die
Befreiung des Ichtriebs von seiner Dienerschaft am Sexualtrieb und
damit möglicherweise auch eine Art Regression zu einer ursprüng-
lichsten, d. h . aller Anlehnung vorangehenden Triebökonomie.
Gegen eine solche Auffassung der Sublimierung erheben sich
schon bald gewichtige Bedenken. Abgesehen von der Bestimmung
der Sublimierung als Ichstärkung ist es vor aHem die behaupt,ete
Entsexualisierung des Lusttriebs, die den größten Widerstand
erweckt. Was soll die Rede von einem entsexualisierten Sexual-
trieb? Entweder ist die Sublimierung eine Umformung des Sexual-
triebs infolge neuer Zielsetzungen, aber dann kann ihr der Bezug
auf die Sexualität nicht völlig abgesprochen werden. Oder aber die
Sublimierung ist der Übergang vOll einem Sexualtrieb zu einem
nicht sexuellen Trieb, aber dann kann von einer Selbsltransforma-

1 Vgl. insbes. S. Freud: 1905, GW V, 27-145 u. 1910, GW VIII, 127-211. Eine


sehr ausführliche Übersicht und Diskussion der Freudschen Lehre von der
Sublimierung findet man bei J. Laplanche 1980.
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tion des Sexual triebs sinnigerweise nicht mehr gesprochen werden.


Offenbar ist, wie Freud später auch selbst bemerkt hat. schon die
Behauptung eines ontologischen Gegensatz,es zwischen Ichtrieb
und Sexualtrieb ganz einfach verkehrt. Mit Freuds Entdeckung
einer ursprünglichen Rückkoppelung der Libido an das Ich, besser
bekannt unter dem Namen des primären und sekundären Nar-
zißmus, fiel dieser Gegensatz und somit auch die auf ihm beru-
hende Theorie der Sublimierung in sich zusammen. Es gibt offenbar
keinen reinen Sexualtrieb,. der ohne jede narzißtische (d. h. ichliche)
Besetzung wäre, und es gibt keine geistige Aktivität ohne jeden
Bezug auf die Sexualität. Sexualität ist somit keine Eigenschaft, die
dem Trieb hinzugefügt oder von ihm abgezogen werden kann. Und
umgekehrt gilt auch, daß ein Trieb,. der sich über das Lustprinzip
hinwegsetzt (mit Freud gesprochen: in einen Todestrieb mündet),
deswegen nicht auch schon unsexuell ist.
Damit wird aber auch fragwürdig, ob die (im übrigen grundle-
gende) Theorie von zwei verschiedenen Arten des Triebs etwas zur
Klärung des Wesens der Sublimierung des Sexualtriebs hergibt. Es
ist nämlich einerseits schwer zu verstehen, wie der Sexual trieb sich
von sich selbst aus in einen anderen Trieb verwandeln soll. Ande-
rerseits kann ihm eine solche Sublimierung aber auch nicht von sei-
teneines anderen Triebs widerfahren, dessen Ziele ihm völlig fremd
sind. Auch diese neuen Bedenken sind Freud nicht ganz fr,emd
geblieben, und er hat in seinem späteren Werk auf die Bestimmung
der Sublimierung als Entsexualisierung des S,exualtriebs verzichtet
und staUdessen vorzüglich von einer Zielhemmung der Libido
gesprochen. Soziale Li,ebe, Berufsarbeit, künstlerisch fruchtbar
gemachte Phantasie nähren sich dieser neuen Auffassung zufolge
noch immer aus den Quellen des Sexualtriebs; verschieben oder
hemmen jedoch dessen Befriedigung. Diese Hemmung führt zu
einer Sublimierung und zu keiner Verdrängung, weH sie dem Trieb
nicht von außen auferlegt wird, sondern vielmehr in ihm selbst
angelegt ist. Die für die Sublimierung verantwortliche Transzen-
denz des Triebs wäre somit eine "immanente" und keine "transzen-
dente" Transzendenz,. und diese triebhafte Selbstranzendenz hätte
nicht etwa (wie der Wille zur Macht bei Nietzsehe) die Form einer
Selbststeigerung, sondern vielmehr einer Selbsthemmung. 2

2 Vgl. die berühmte, allerdings sehr vorsichtig formulierte Stelle in Das Unbe-
hagen in der Ku.ltur (1930, GW XIV, 465): ,,Manchmal g~aubt man zu erken-
nen, es sei nicht allein der Druck der Kultur. sondern etwas am Wesen der
Funktion selbst versage uns die volle Befriedigung und dränge uns auf
andere Wege."
204 ll. GABE UND OPfER, OESElZ UND BEGEHREN

Eine erste, grundlegende Kritik an Freuds Theorie der Sublimie-


rung fonnulierte Scheler bereits, Ende der zwanziger Jahre,3 zu einem
Zeitpunkt also, wo Freuds eigene Beschäftigung mit dem ~~ema
noch keineswegs abgeschlossen war. Scheler wirft Freud insbeson-
dere vor, dille für die Sublimierung des Geschlechtstriebs verantwort-
liche Transzendenz ebenfalls als etwas sinnlich Triebmäßiges zu
bestimmen und damit das Sublimierende auf dieselbe Stufe mit dem
Zu-Sublimierenden zu steHen. Nur der Geist habe die Macht,. den
sinnlichen Sexual trieb von seinem Streben nach unmittelbar,em und
wahllosem Genuß zu befremen. Sublimierung bedeutet fUr Scheler
demnach eine Vergemstigung des sinnlichen Triebs, genauer: die
Transformation des Geschlechtstriebs in Liebe. Es meldet sich aller-
dings auch hier schon bald der Verdacht,. daß Schelers metaphysi-
scher Dualismus von Leben und Geist sich schließlich in eine
ähnliche Sackgasse verreIUlt wie Freuds früherer Dualismus von Ich-
trieb und Libido. Wie sollen geistige \Vene Einfluß gewinnen können
auf einen Geschlechtstrieb, der ganz von seinen eigenen sinnlichen
Werten eingenommen iSl? Wie soll der Sexual trieb zur geistigen
Liebe werden können, wenn die Werle des sinnlichen Triebs und des
geistigen Strebens einander völHg fremd sind?
Scheler ist sich dieser mit seiner eigenen Position verbundenen
Schwierigkeiten durchaus bewußt und er experimentiert immer
wieder mit neuen Mitteln, um den Gegensatz von Leben und Geist,
Geschlechtstrieb und Liebe zu überbrücken, ohne ihn aufgeben zu
müssen. Für die Frage der möglichen Sublimierung des Sexual-
triebs zur geistigen Liebe kommen insbesonder,e seine Untersu-
chungen zum Schamgefühl in Betracht.4 Das Schamgefühl ist nach
Scheler ein sinnlich-leibliches Gefüh] für geistige Werte. Als sol-
ches ist es weder rein geistig (keine geistige Anschauung von gei-
stigen Werten) noch rein sinnlich (kein sexueBes Lust- oder
Kitzel-gefühl). Es ist ein Triebgefühl oder zumindest ein den Trieb
begleitendes Gefühl, das den Trieb in seiner Objektwahlleitet, sein
Streben nach unmittelbarer Befriedigung hemmt und seine
Ansprüche humanisiert. Das Schamgefühl ist also ,eine Art sinnli-
ches Gewissen, eine Gabe der menschlichen Natur, die den Trieb in
Liebe verwandelt, ohne ihm den sexuellen Genuß streitig zu
machen. Es veredelt den Trieb, es eröffnet ihm die Dimensionen des
Aufschubs und der Zukunft, es macht ihn empfänglich für die gei-
stigen Werte der Menschenwürde, der Fruchtbarkeit und der Treue:

3 Vgl. insbes. M. Scheler: 1928, in: Späte Schriften Bd. 9, 1976,7-71.


4 Vgl. M. Scheler:. in: SChriften aus dem Nachlaß Bd. 10, 1957,6,2-154.
BERNET: TRIEB UND TRANSZENDENZ 205

NaWrlich wäre auch zu dieser ScheJerschen Bestimmung des


Schamgefühls wiederum vieles zu sagen. Positives,. das sich auf die
leiblich-affektive Verfassung dieses die Sublimierung des Triebs
auslösenden Gefühls bezieht; Negatives, das die eugenistischen und
zuweilen rassistischen Untertöne in Schelers Beschreibung des
Schamgefühls betrifft Für uns ist im gegenwärtigen Zusammen-
hang vor allem wichtig, daß die durch das Schamgefühl vermittelte
Sublimierung eigentlich eine bloße Zivilisierung, Symbolisi,erung
oder Versittlichung des Geschlechtstriebs darstellt. Es handelt sich,.
mit Freud gesprochen, um den Eingriff eines (allerdings sinnlichen)
Über-Ichs und somit um einen Triebverzicht, der ganz den Gesetzen
einer (selbstverständlich nie vollständigen) Verdrängung folgt.
Scheler biegt die Sublimierung zurück auf den Prozeß einer Ideali-
sierung, die nach bekannter Freudscher Lehre zu Schuldgefühlen
führt. Ausdrücke wie Reue, sich schämen usw. finden sich auf jeder
Seite in Schelers Analyse des Schamgefühls. Sublimierung heißt bei
Scheler vergeistigende Selbsterhebung mit der obligaten Koda des
Sündenfalls.
Was fehlt Scheler denn nun eigentlich zu einer überzeugenderen
Lehr,e von der Sublimierung, die weder ,eine (widersprüchliche)
Entsexualisierung des Sexualtriebs noch eine moralisier,ende Ideali-
sierung und Verdrängung sein soll? In erster Linie wohl die Einsicht
U
in eine dem Trieb selbst einwohnende (uimmanente Tranzendenz
)

sowie zweitens der Begriff einer ("transzendenten") Transzendenz,


die weniger mit idealen Werten als mit der Erfahrung von Fr,emd~
heit, Orientierungslosigk,eit oder gar Unheimlichkeit verbunden ist.
Die Versittlichung des Sexualverhaltens unter dem Einfluß geistiger
Werte kann nicht ohne weiteres als das Paradigma der Sublimierung
gelten. falls die Sublimierung eine wirkliche Transformation des
Geschl,echtstriebs bedeuten soll. Es ist ganz im Gegenteil zu ver-
muten, daß exzessive Unsittlichkeit dem Trieb viel mehr antut und
seine gewohnte Funktion viel erheblicher stört. Wir werden, was
manchen überraschen mag, gerade bei Levinas Beschreibungen
einer solchen transgressiven Sexualität finden, die durchaus als ein
Beitrag zur Problematik der Sublimierung des Triebs verstanden
werden können. Lacan hingegen orientiert seine Betrachtungen zur
Sublimierung vor allem am Vorbild der Kunst Was Lacan und
Levinas jedoch gemeinsam ist und sie beide von Scheler (sowie
Freud) unterscheidet, ist die Behauptung, daß die Sublimierung ein
passives Geschehnis darstellt, das den Trieb mitten in der Ausübung
seiner Werke trifft und das Subjekt einer Fremdheit ausliefert, in der
es skh verliert. Lacan und Levinas beziehen dergestalt die SubH-
206 11. GABE UND OPFER, G:ESElZ UND BEGEHREN

mierung auf eine Art der Transzendenz,. welche die Immanenz der
Triebökonomie und die Immanenz des narzißtischen Subjekts ver-
nichtet oder verändert, d. h. dem Nichts oder dem Andem zum
Opfer bringt. In dieser mit der Sublimierung verbundenen Bedräng-
nis offenbart sich die dem Trieb eigene Transzendenz, sein Streben
nach einem Jenseits des Genusses.

2. Lacan

Es gibt in der Geschicht,e der neuzeitlichen Philosophie zwei be-


rülunte Vorbilder einer Theorie der Sublimierung des Triebs in der
Begegnung mit dem Kunstwerk, die von Lacan zwar nie erwähnt
werden, die aber sehr präzise den Rahmen seiner Betrachtungen
umreißen. Beide Theorien entstanden in der Nachfolge von Kants
Philosophie der Kunst (genauer: der Beschreibung der Erfahrung
des Schönen und des Erhabenen), mit der sich Lacan dagegen wohl
ausführlich beschäftigt hat. Die eine Theorie findet sich im Dritten
Buch von Schopenhauers Die Welt als Wille und Vorstellung, die
andere in Nietzsches Die Geburt der Tragödie. 5
Bei Schopenhauererscheinen die Schöpfung von Kunstwerken
sowie das ästhetische Wohlbehagen in der Betrachtung des Schö,-
nen als ein Mittel zu einer zeitweisen Befreiung des Subjekts von
seiner leidvollen Unterworfenheit unter den blinden und tyranni-
schen LebenswiHen. Die Kunst entrückt das Subjekt dadurch der
Macht des Lebenswillens, daß sie diesen Willen unter der Gestalt
von platonischen Ideen ästhetisch anschaulich macht und dadurch
das Subjekt zu einem allgemeinen, d. h. von jeder empirischen
Indmviduation erlösten reinen Erkenntnissubjekt verwandelt. Diese
Umwandlung des Subjekts zeigt sich besonders deutHch in der
Begegnung mit dem Erhabenen, in der das Subjekt sich über seine
erste Betroffenheit von seinem empirischen WiHen erhebt und Ein-
sicht gewinnt in das allgemeine Wesen und die Schrecklichkeit des
Willens überhaupt. Die Sublimierung wird im letzteren Falle also
ausgelöst durch ein außergewöhnliches, d. h. sich den Kategofi.en
des menschlichen VorsteIlens entziehendes Objekt, welches das
Subjekt in einer Weise trifft, daß es sein Wollen und seine indivi-
duelle Identität vorübergehend aufgibt und sich ganz der über jedes

5 Vgl. R. Bemet: in: Schopenhauer. Cahier de L' Herne (1997), 317-333.


---=--,

. I
BERNET. TRIEB UND TRANSZENDENZ 207 I

persönliche Interesse erhabenen Betrachtung der Absurdität und


Unerträglichkeit des Willens im allgemeinen hingibt.
Bei Nietzsche wird dann dasselbe Modell der Sublimierung da-
hingehend radikalisiert, daß von einer Kontemplation und Erhebung
des Subjekts zur Autonomie dem Trieb gegenüber keine Riede mehr
sein kann. Kunst und insbesondere die Tragödie als künstlerische
Figur des Erhabenen führen vielmehr zur Verschmelzung des Sub-
jekts mit den dionysischen und apollinischen Kunsttrieben bzw.
Urtrieben der Natur. Die Sublimierung betrifft hier somit in erster
Linie nicht das Subjekt und seine (idealen) Vorstellungen, sondern
den Trieb selbst, der seine Individualität preisgibt und sich in einen
allgemeinen Trieb umfonnt, der zum Kunsttrieb wird. Lacans Aus-
führungen zur Sublimierung folgen bei den Spuren gleichzeüig~
indem sie Schopenhauers Unterbrechung des Triebs mit Nietzsches
Destruktion des Subjekts zu verbinden versuchen. Von Schopen~
hauers Überhöhung des Subjekts und von Nietzsches Transforma-
tion des gemeinen Triebs zu einem Artistentrieb bleibt in Lacans
Theorie der Sublimierung allerdings nichts mehr übrig.
Lacans Theorie der Sublimierung ist wesentlich verbunden mit
seinem im Seminar zur Ethik der Psychoanalyse erstmals einge-
führten Begriff des Dings (la Chose).6 Die Kunst ist dabei nicht
etwa die erste oder einzige Weise, diesem Ding zu begegnen, wohl
aber die erträglichste und der Wahrheit des Triebs am nächsten
kommende. In der Begegnung mit dem Kunstwerk offenbart sich
die dem Trieb eigene Transzendenz auf ein absolutes Nichts hin,
ohne damit das Subjekt endgültig zu gefährden. Die Sublimierung
des Triebs bedeutet somit eine Konfrontation des Subjekts mit der
Wahrheit des Triebs. we~che, verbunden mit der gewaltigen Er-
scheinung des Dings, sowohm das Subjekt als auch sein Begehren
einschneidend modifiziert. Anders als bei Freud ergreift bei Lacan
weder das Subjekt noch der Trieb die Initiative zu dieser Sublimi,e-
rung, sondern eben das Ereignis der künstlerischen Erscheinung des
Dings. Fans noch immer gilt, daß die Sublimierung dem Wesen der
Perversion nahe verwandt ist, so entspricht der Lacanschen Subli-
mierung am besten die fetischistische Verabsoluti,erung des Objekts.
des Begehrens. Im Übergang von Freud zu Lacan verschiebt sich

6 J. Lacan: 1959-60/1986. dt 1996. Zu Lacans Theorie der Sublimierung vglo


insbes. B. Baas: 1992. Kap. 5: .~GlI'ande est la Diane des Ephesitens (La sub-
limation et le sublime)", 162-210. dt 141-181; P. Moyaert: in: S. G. Lofts u.
P. Moyaert (Hrsg.): 1994, 125~146. Zu Lacans Ethik im allgemeinen und zu
seinem Begriff des Dings im besonderen vgl. auch R. Bemet: in: H.-O. Gon-
dek u . P. Widmer (Hrsg.): 1994,27-51.
208 H. GABE UND OPFER, GESETZ UND BEGEHREN

das Schwergewicht der Sublimierung somit vom Subjekt auf das


Objekt des Triebs.?
Was ist nun, in gebotene Kürze gefaßt, dieses wundersame Ding
des Triebs? In erster Linie: kein Objekt! Was ein Objekt des Begeh-
rens wesentlich kennzeichnet, ist seine Vertauschbarkeit, seine
mögliche Ersetzung durch ein anderes Objekt. Lacans Bestimmung
des Objekts als Signifikant (signifiant) bedeutet im Grunde nichts
anderes, als daß jedes Objekt in seiner Bedeutung für das Begehren
von anderen Objekten abhängig ist. Das Begehren kennt kein einzi-
ges und unersetzbares Objekt, denn ein solches Objekt wäre bedeu-
tungslos (d. h. ohne die ihm aus dem Zusammenhang mit anderen
Objekten zuwachsende Bedeutung) und es könnte somit auch nicht
mehr begehrt werden. Das Begehren bewegt sich schon immer in
metonymischer Verschiebung und metaphorischer Verdichtung
unter einer Mannigfaltigkeit von Objekten, und wenn es sich an ein
Objekt bindet, so verbindet es dieses Objekt mit anderen Objekten.
Das Ding des Triebs, das kern durch die symbolische Ordnung der
Signifikanten in seiner Bedeutung bestinuntes Objekt mehr sein soll,
ist folglich etwas, das so unbedingt ist, so unabhängig von allem. daß,
es bedeutungslos wird, d. h. ein reines Nichts. Es ist etwas Absolu-
tes, d. h. aus aUen Beziehungen Herausgelöstes und daher auch
etwas Undefinierbares. Indifferentes, Eigenschaftloses~ es ist ein
abstraktes Dieses (und nichts anderes). Wie soll nun aber der Trieb,.
dem nicht nur Schopenhauer sondern auch Lacan selbst Unersätt-
lichkeit nachsagt, sich auf ein solches absolutes Nichts richten? Es
ist offenbar so, daß das Ding, obwohl selbst kein .objekt, nicht ohne
die Mithilfe von Objekten erscheinen kann. Man kann dieses Ver-
hältnis von Ding und Objekt auch mit Heideggers Darstellung des

7 Zu ihrer voUen Entfaltung kommt Lacans Lehre vom Trieb und seinem
Objekt (obJel a genannt) allerdings erst im Buch XI seines Seminars
(1964/1973. dt. 1987). Die Lehre vom objet a verdrängt in diesem Seminar
die frühere Lehre vom Ding, sie verdeutlicht den Unterschied zwischen
Trieb (pulsion) und Begehr.en (desir) und sie impliziert somit eine Präzisie-
rung von Lacans früherer Theorie von der Sublimierung des Triebs. Wir kön-
nen uns im vorliegenden Rahmen darauf nicht einlassen, wagen aber die
Behauptung, daß die Neubestimmung des unzugänglichen, aus dem Rahmen
der symbolischen Ordnung fallenden Dings als objet a eines Partialtriebs an
unserer sich an das Seminar VII anschließ.enden Darstellung der Sublimie-
rung nichts Wesentliches ändert. Wie das im Sem.inar XI meisterhaft ent-
wick~lte Beispiel.der Anamorphose zeigt, fungiert die Kunst (bzw. Malerei)
noch unrner als dIe Offenbarung des unzugänglichen Objekts des Triebs (in
di~sem Falle: des Bl.icks) und somit ads eine sublimierende Entwaffnung der
GIer des (Schau- )Tnebs.
BERNET. TRlEB UND TRANSZENDENZ 209

Zusammenhangs zwischen Transzendenz und Intentionalität verglei-


chen, wobei erstere als die ratioessendi der letzteren und letztere als
die ratio cognoscendi der ersteren bestimmt wird. Anders als bei
Heidegger wird der intentionale oder signifikante Bezug auf ein das
Ding verdeckendes Objekt bei Lacan jedoch nicht mit dem Makel
der Uneigentlichkeit belegt.. Nach Lacan ist das Gesetz, welches das
Begehren beslimm~, vielmehr ein Gesetz, das den unmittelbaren
Bezug auf das Ding unterbinden soll und das das Begehren stattdes-
sen dazu zwingt, sich an VorstellWlgen bzw. signifikante Objekte zu
heften und sich dergestalt der symbolischen Ordnung einzufügen.
Diese symbolische Ordnung soll das Begehren gerade vor einem
unmittelbaren Bezug auf das Ding behüten,. das sie beherrschende
Gesetz ist zugleich das Verbot,. ein begehrtes Objekt zwn absoluten
Ding zu machen. Die symbolische Ordnung hält das Begehren also
dadurch in Bewegung, daß sie sein absolutes und unerbittliches P,est-
klammem an ein einziges und unersetzbares Ding verunmöglicht
Das Ding kann also nur als ein Objekt erscheinen, das aus der
symbolischen Ordnung herausfäHt und dadurch seinen Sinn verliert
Die Erscheinung des Dings ist somit die traumatische ErfahrWlg der
Sinnlosigkeit des Objekts des Begehr,ens, die auch das Subjekt die-
- -

ses Begehrens zu vernichten droht. Die Erfahrung des Dings ist des~
wegen mit Angst verbunden. Diese Angst wird nach Lacan (ähnlich
wie schon bei Heidegger) durch die Erfahrung des Sinnverlusts der
weltlichen, d. h. von einem Rahmen der Bedeutsamkeit umschlos~
senen Objekte ausgelöst. Anders als bei Heidegger offenbart sich
darin nach Lacan weniger die Weltlichkeit der Welt (Heidegger) als
das Nichts, worauf das Begehr·en beruht: Das Begehren verdankt
der symbolischen Ordnung alles, in sich ist es nichts,. und dieses
Nichts erscheint, sobald die symbolische Ordnung ihren Sinn ver-
liert. Ohne den Beistand der symbolischen Ordnung ist das Begeh~
ren nichts anderes als ein bedingungsloses Streben nach einem
unbedingten, unbestimmten und bedeutungslosen Absoluten,. eben
dem Nichts. Die Offenbarung dieser Wahrheit des Wesens des
Begehrens geschieht nun nach Lacan aber nicht nur in der Angst,
sondern auch in der entwaffnenden Begegnung mit dem Schönen
oder in der Minne als der absoluten Hingabe an eine völlig unbe-
stimmte Dame, die so abstrakt und eigenschafts los ist. daß nichts
diese Hingabe zu rechtfertigen vermag.
Von einer Sublimierung des Triebs kann nach Lacan aber erst
dann die Rede sein, wenn Objekt und Ding ausdrücklich miteinan-
der in Bezug gesetzt werden. Die Einfügung des Triebs in die sym-
bolische Ordnung ist deswegen noch keine Sublimierung,. weil sie
210 II. GABE UND OPFER, GESETZ UND BEGEHREN

den Trieb seinem gewohnten Gang überläßt, anstatt ihn zu verän-


dern. Die unmittelbare Konfrontation mit dem Ding (jenseits von
allen Objekten) ist ebenfalls keine Sublimierung, weil sie den Trieb
und das Subjekt des Begehrens (wie etwa im Fall der Psychose)
vernichtet. Die Sublimierung impliziert somit, mit Lacan gespro-
chen, die Erhebung eines Objekts zum DingS d. h. ein Objekt, das
J

den gewohnten Rahmen der symbolischen Ordnung des Begehrens


sprengt, das kein Begehren mehr erregt, aber dennoch nicht völlig
bedeutungslos ist. Die Begegnung mit einem solchen Quasi-Objekt,
einer solchen unweItlichen Figuration des Dings, bringt eine Art
phänomenologischer Reduktion zustande: Das Begehren verliert
seinen Halt in der weltlichen Ordnung, es wird auf sein eigenes
Wesen zurückgeworfen W1d es erscheint sich seibst in seiner Halt-
losigkeit, in seiner Unangepaßtheit, in seinem Mangel an adäquaten
Objekten,. in seiner unaufhaltsamen Bewegung der Selbstranszen-
denz, d. h. als reines Phänomen des Triebs. In der Sublimierung des
Triebs erscheint somit das Apriori des empirischen Begehrens,. die
reine Form des Begehrens als die transzendente Ausrichtung auf die
Transzendenz des Dings. Es erscheint das primitive Wesen des
Begehrens als die bedingungslose, triebhafte Bewegung auf ein
unbedingtes, absolutes Ding, dme durch kein empirisch-weltliches
Objekt aufzuhalten ist. 9 Es erscheint das Wesen des Triebs bzw. des
Begehrens als absoluter Mangel an einem adäquaten, d. h. voll
befriedigenden Objekt
Es ist nun auch gut verständlich, warum Kunstwerke, d. h. sinn-
liche Gegenstände,. die das Absolute zur Erscheinung bringen, die-
ser Sublimierung des Triebs als Offenbarung seines reinen Wesens
besonders förderlich sind. Die Begegnung mit einem Kunstwerk
entwaffnet das Begehren, durchbricht seine g,ewöhnliche Ökono-
mie; sie konfrontiert den Trieb mit dem Ding unter der Obhut des
schönen Scheins. Die Schönheit erhebt das Kunstwerk über alle
Objekte hinaus, entzieht es dem Begehren und macht es dadurch zu
einem Bild des Dings. Die Indifferenz und Bedeutungslosigkeit des
schönen Gegenstands allem Begehren gegenüber reißt die Schranke

8 J. Lacan: 1959-60/198.6, 1~3, dt. 138. ,,Et Ia forrnule la plus generale que je
V?~S danne de la sublImatIOn est celle-ci - elle eleve un abjet [ ... ] a la dig-
mte de la Chose." .
9 Vgl. ebd.: "La s~blimatio~, qui apporte au Trieb une satisfaction differente
d~ ~on but - touJours detim c~nune son but naturel - est precisement ce qui
rev~le l~. nalure propre du Tneb en tam qu 'il n' est pas purement r instinct,
ma]s.q~ 11 a rapport.avecdas Ding comme tel, avec la Chose en tant qu'elle
est dlstmcte de l'obJet." .
BERNET: TRIEB UND TRANSZENDENZ 211

des (symbolischen) Gesetzes des Begehrens ein und richtet gleich-


zeitig vor der Erscheinung des Dings eine zweite Schranke (seconde
barriere) auf. die das Ding bedeckt (couverture).l0 Das Kunstwerk
umgeht das für die symbolische Ordnung konstitutive Verbot einer
Verabsolutierung des Objekts,. es ist ein absolutes Objekt, das sich
dem Begehren entzieht und in der Erscheinung des Schönen das
Ding des Triebs offenbart und zugleich verbirgt, d. h. in der Verber-
gung entbirgt. Diese entbergende Offenbarung des Dings des Triebs
wird einem Subjekt zuteil, das in dieser Offenbarung der Wahrheit
seines Triebs über seine Interessen erhoben wird, sich von seinem
jeweiligen empirischen Begehren lossagt und die damit verbWlde-
nen Selbstidentifikationen aufgibt. Die Sublimierung des schönen
Objekts zum Ding hat somit sowohl eine Sublimierung des Begeh-
rens als auch des Subjekts des Begehrens zur Folge. In der Subli-
mierung des Begehrens zum ästhetischen Wohlbehagen ohne alles
Interesse offenbart skh das reine und allgemeine Wesen des Hegeh-
r,ens, in der Sublimierung des Subjekts des Begehrens zum reinen
Empfänger des Schönen offenbart sich seine wesensmäßige Trans-
zendenz bzw. Nichtigkeit. Der schöne Schein des Kunstwerks
bedeckt eine Wahrheit, die in unmittelbarer und nackter Offenba-
rung tödlich wäre, nämlich das Nichts der Transzendenz des Dings,
das Nichts eines Subjekts, das reine Transzendenz ist, und das
Nichts des Triebs, dem es an allem mangelt und der sich in der end-
losen Bewegung zwischen dem Nichts des Subjekts und dem Nichts
des Dings erSChöpft.

3. Levinas

Wenn wir nun zum Abschluß unserer Betrachtungen noch kurz auf
Levinas' Auffassung der Sublimierung eingehen, so muß von vorn-
herein klargestellt werden, daß in seinem Werk eine Theorie der
Sublimierung des Triebs unter diesem Titel nicht zu finden ist. Wir
glauben jedoch aufzeigen zu können,. daß die Phänomenologie des

10 Vgt ebd., 256, dt. 262: "Quelle est cette seconde barriere? [... ] La vraie bar-
riere qui arrete le sujet devant le champ innommable du desir radical pour
autant qu'il est le champ de 1a destruction absolue [ .... ], c'est a. proprement
parler le phenomene esthetique pour autant qu'il est identifiable a l'expe-
rience du beau - le beau dans son rayonnernent eclatant. ce beau dont on a
dit qu'id est la splendeur du vrai. C'est evidemment par ce que le vrai n'est
pas bien joli a voir que le beau en est,. sinon ]a splendellr, tout au moins la
couverture ...
212 II. GABE UND OPFER, GESETZ UND BEGEHREN

Eros in Totalite et infini u durchaus als Ansatz zu einer solchen


Theorie verstanden werden kann, die zudem derjenigen von Lacan
sehr nahesteht. Es fällt auch auf, daß diese Ausführungen zur Sub-
limierung von Levinas nicht mehr seiner Ethik untergeordnet wer-
den, sondern dem einem Jenseits des Antlitzes (Au-deUt du visage)
gewidmeten, abschließenden Kapitel des Werkes zugehören. Die
Sublimierung des Triebs in der Erotik ereignet sich also auch nach
Levinas jenseits der ethischen Verantwortung für den Anderen, aber
dieses Jenseits der Ethik, diese erotische Transgression der Grenzen
siulichen Verhaltens ist deswegen noch kein Rückfall in einen
unethischen Egoismus. (Man kann, ganz im Gegenteil, die Subli-
mierung des Sexualtriebs in der Erotik als eine Fortsetzung der ethi-
schen Problematik der Sublimierung des eigenen Daseinsdrangs
(conatus essendi) im Angesicht des Leidens des Anderen verste-
hen.) Was nun die Sublimierung des Sexualtriebs anbetrifft, so
ergibt sie sich bei Levinas, wie schon bei Lacan, aus dem durch ein
Objekt vermittelten Bezug auf ein Ding, das nun als der begehrens-
werte Leib des Anderen bestimmt wird. Dieser Leib jenseits des
Antlitzes des Anderen ist ein Ding, das sich zugleich exhibiert und
schamhaft verbirgt, das sich mir in seinem Entzug gibt und mich
dadurch mir selbst entzieht. Den Spuren von Levinas folgend gelan-
gen wir also zu dem paradoxalen Resultat, daß die Sublimierung
des Sexualtriebs als Erfahrung des Selbstverlusts und der Ohnmacht
des Begehrens sich nirgendwo deutlicher ereignet als in der sexuel-
len Leidenschaft.
Die Analyse der Erotik bei Levinas ist jedoch mehr als eine bloße
Fortsetzung oder Illustration von Lacans Theorie der Sublimierung.
Levinas gibt der Problematik der Sublimierung eine ganz neue
Wendung, indem er die Transzendenz des höchst unpersönlich-
metaphysischen Dings mit der Erscheinung des sexuell begehrens~
werten Leibes des Anderen identifiziert. Daraus folgt erstens, daß
das Ding kein Nichts ist, sondern ganz im Gegenteil die unzug.äng-
liehe und geheimnisvolle SeIbstheit der Anderen. Aus der Bestim-
mung der Transzendenz des Dings als Andersheil des Anderen folgt
zweitens, daß es keine dem Trieb "immanente" Transzendenz mehr
gibt. Es ist somit nicht die ruhelose Aktivität des Triebs, welche die-
sen über sich hinaus in ein Jenseits von allen begehrenswerten
Objekten treibt, sondern es ist der Andere, der sich nie auf ein
ObJekt reduzieren läßt, welcher dem Trieb die Befriedigung ,ent-
rückt. Falls von einer Transzendenz des Triebs überhaupt noch die

11 E. Levinas 1961/1965.
- - - - - - - - - - - - _..._... --_.- - . __.- -" -_ ..

BERNET: TRIEB UND TRANSZENDENZ 213

Rede sein kann, so handelt es sich um eine Transzendenz, die dem


Trieb geschieht, und zwar von seiten der Transzendenz des Ande~
ren. Daraus ergibt sich als ein dritter Unterschied zwischen Levinas
und Lacan, daß die Sublimierung des Triebs eine na,chträgHche
Umfonnung und Veränderung ist und nicht die Offenbarung seines
ursprünglichen. wahren Wesens. Der Trieb vermag sich die Wahr~
heil seiner Transzendenz nicht zuzueignen, denn sie gehört nicht
ihm, sondern dem Anderen. Wenn die Wahrheit der Transzendenz
meines Triebs dem Ander,en zugehört, so folgt daraus schließlich als
vierte Differenz zwischen Levinas und Lacan, daß es nicht die
schöne Gestalt, die Grazie (grdce) des Anderen ist, welche den
Trieb sublimiert, sondern dessen nacktes und bedeutungslos gewor-
denes Fleisch . Die plötzliche Verwandlung des begehrenswerten
Leibes der Geliebten 12 in ein obszönes und unpersönliches, formlo-
ses Fleisch wäre eine vollends traumatische Erfahrung, wenn die
Scham der Geliebten uns nicht schützen würde. Nicht die indiffe-
rente Schönheit des Kunstwerks als verabsolutierten Objekts behü-
tet uns vor dem Anblick des Dings unseres Triebs, sondern die
Scham vor dem Anderen sowie die Scham des Anderen, der sich
nicht zum Ding verabsolutieren läßt. Die zweite Schranke, von der
bei Lacan die Rede war - die Schranke vor dem Ding - ist somit bei
Levinas die Schranke der Scham und nicht die der Schönheit.
Anders als die Schönheit ist di'e Scham aUf den Anderen bezogen
und zudem gekennzeichnet durch eine wesentliche Zweideutigkeit.
Wenn wir nun "Übergehen zu einer kurzen phänomenologischen
Beschreibung der Erotik bei Levinas, so wird schnell deutlich,. daß
Levinas trotz seiner Hervorhebung des ~chamgefüh1s Lacan dennoch
viel näher steht als etwa Schel,er. Für Levinas ist das Schamgefühl
kein meinem eigenen Trieb immanentes Gefühl, das sich intentional
auf ideale Werte bezieht, sondern vielmehr das Gefühl für einen
Anderen, der sich meinen intentionalen Vorstellungen gerade ent-
zieht. Auch behütet das Schamgefühl nicht etwa vor der Transgres-
sion der Sittlichkeit, sondern es regt sich, wie Levinas sagt, mitten in
der Nacht nach vollzogener Verletzung des Anstands . Die Transgres-

12 Levinas spricht in Totalite er infini vom sexuell begehrenswerten Anderen


ste~ als •.•der Geliebten", und mancher Leser wird sich die Frage gestellt
haben. ob seine Bestinunung der Erotik nicht bloß den männlichen
Geschlechtstrieb bzw. männliche erotische Phantasien über Frauen betrifft.
Es ist somit zumindest fraglich, ob die folgenden Überlegungen zur Frage
der Sublimierung des Sexualtriebs in der Begegnung miE dem erotischen
Leib des Anderen allgemein gültig sind, d. h. immun gegenüber den Folgen
des Unterschieds zwischen den Geschlechtern.
214 H. GABE UND OPFER, GasETl UND BEGEHREN

sion ist aus dem Wesen der menschlichen Sexualität nicht wegzu-
denken, Sexualität ereignet sich wesentlich jenseits des Lichts der
intentionalen Vorstellungen. jenseits der Sichtbarkeit von weltlichen
Objekten, jenseits der allgemeinen Gültigkeit eines ethischen Geset-
zes. Der begehrte Leib des Anderen fällt, mit Lacan gesprochen,
schon immer aus jeder auf die sichtbare Welt bezogenen symboli-
schen Ordnung heraus. Diese wesentliche Transgressivität des sexu-
ellen Triebs beim Menschen ist für Levinas so wichtig, daß er meint,
sie kritisch gegen Freud geltend machen zu müssen (während Lacan,
der Sache nach mit Levinas einig. diese Tnmsgressivität des nie auf
ein bloßes Bedürfnis reduzierbaren und deshalb wesentlich unerfüll-
baren Triebs gerade als die Essenz von Freuds Trieblehre darstellt).
Levinas ist der Meinung, Freud habe nicht begriffen, daß Sexualität
kein bloßes Streben nach Lust sei und daß. WoHust nicht einfach als
die Befriedigung eines Bedürfnisses verstanden werden könne. 13
Levinas betont demgegenüber (wiederum in genauer Übereinstim-
mung mit Lacans Analyse des Begehrens), daß der sexuellen Wollust
weder die eigene Befriedigung noch der Besitz des Anderen genüge,
daß sie mehr wolle,. nämlich die Wollust des Anderen. 14 Mit seinem
Streben nach der unverfügbaren Wollust des Anderen durchbricht
und überschreitet das sexuelle Begehren jede auf Austausch und Aus-
gleich beruhende Ökonomie, es rührt an das Geheimnis des Dings.
Levinas wird nicht müde, diese am Entzug des Anderen zerbre-
chende transgressive Bewegung des Begehrens in einer Vielzahl
von peinlich genauen phänomenomogischen Beschreibungen der
menschlichen Sexualität zu verdeutlichen. Das zugleich einleuch-
tendste und schönste Beispiel ist wohl dasjenige der Liebkosung
(caresse).15 Die Liebkosung ist dieser Analyse von Levinas zufolge
keine Betastung, sondern ein Suchen; aber ein Suchen, das kein
Absuchen ist. Man berührt den Leib der Geliebten nicht in dersel-
ben Weise, wie man in einem unbekannten dunklen Zimmer nach

13 Ebd., 1961/1965, 253f., dt. 404: •.Nachdem mit Freud die Sexualität auf der
menschlichen Ebene zum Gegenstand gemacht wird, wird sie auf das Nivea~
einer Suche nach Lust erniedrigt, olme daß man jemals die ontologische
Bedeutung der Wollust und die unableitbaren Kategorien, die sme ins Spiel
bringt. auch nur ahnt.' ,
14 Ebd., 243f., dt. 389: ..Die Wollust würde im Besitz erlöschen. Andererseits
ab~r verbietet U?S der unpersönli:he .Charakter. ~er Wollust, die Beziehung
ZWIschen den LIebenden als VerhältniS gegenseItIger Ergänzung zu betrach-
ten. Die Wollust zielt daher nicht auf den Anderen. sondern auf seine Wol-
lust, sie ist Wollust der Wollust, Liebe der Liebe des Anderen."
15 VgL ebd.,. 235ff., dt. 375ff. V gl. auch E. Levinas: 1946-47/1979', 82f., dt.,
60f.
BERNET: TRIEB UND TRANSZENDENZ 215

dem Lichtschalter sucht. Was man in der Liebkosun~ sucht, ist nicht
zu finden, es verwandelt sich unter der (liebkosenden) Hand zu
einem Ungreifbaren. Die Liebkosung des geHebten Leibes kennt
deswegen auch weder Befriedigung noch Ende, jede Berührung
s,chürt das Begehren, vertieft den Mangel, entrückt das Berührte in
größere Ferne. Wer im verantwortungslosen Spiel der Liebe alle
Schranken und Tabus hinter sich gelassen hat, stößt auf eine ~etzte
Schranke oder Grenze (limite): das Geheimnis des Anderen. 16 Die-
ses Geheimnis (nicht Rätsel!), das sich dem liebkosenden Suchen
entzieht und durch die Schamhaftigkeit gehütet wird, ist letztlich
nichts anderes als die Erscheinung der unableitbaren und unredu-
zierbaren Andersheit des Anderen.
In di,e Terminologie von Lacan übersetzt heißt das, daß der
geliebkoste Leib zum Ding des Begehrens wird. Seine Ding-haftig-
keit ergibt sich aus dem Verlust jeder erkennbaren Form, jeder be-
stimmbaren B,edeutung, jeder sichtbaren Gestalt, jeder weHlichen
Erscheinung,. jedes definierbaren Seinsmodus. Anders als das
Kunstwerk trotzt der Leib des Anderen meinem Begehren jedoch
nicht durch seine selbstgenügsame Schönheit, sondern durch seine
Verletzlichkeit. Der Leib der Geliebten trifft mich nicht durch seine
strahlende Herrlichkeit, sondern durch sein Schattendasein am
Rande des Nicht-seins. 17 Sein Eindruck auf mich bewirkt einen
SelbstverIust, der nach Levinas jedoch keine Vernichtung, sondern
eine ErlösWlg ist, eine Befreiung zur unendlichen Zukunft der
Fruchtbarkeit. 18 Mit dieser Beschr,eibung des begehrten Leibes des
Anderen hält die Unendlichkeit und die Zweideutigkeit ihren Ein-
zug in das Ding von Lacan. Der geliebte Leib ist ein Ding, dem
weder die Totalität einer stolzen und unermeßlichen Autonomie
noch die Totalität eines absoluten Nicht-Seins zugeschrieben wer-
den können. Folglich ist auch die Einwirkung dieses Leibes auf
mich nicht einfach als Übergang von einem totalen Narzißmus zu
einer totalen Nichtigkeit zu fassen. Die Logik des Begehrens ist für

16 E. Levmas: 196111965, 237, dt. 379: ."Die Wollust entdeckt als Profan.ation
das Verborgene als Verborgenes. [ ... ] Das Entde,ckte verliert in der Ent-
deckung nicht sein Geheinmis, das Verborgene enthüllt sich nicht, die Nacht
zerstreut si,ch nicht." (Modifizierte Übersetzung)
11 Ebd., 236,. dt 377: ,,[Das Weibliche] ist nicht wie eine Freiheit,. die sich im
Kampf mit ihrem Eroberer gegen ihre VerdingHchungund Ob~eküvierung
wehrt. sondern eine ZerbrechHchlceit an der Grenze des Nicht-seins".
~8 Ebd.• 237, dt. 379: ,.•Ein gestaltloses Nicht-Ich reißt das Ich mit in eme abso-
lute Zukunft. in die es ausbricht und wo es seine Position als Subjekt ein-
bUßt." (Modifizierte Übersetzung)
216 H. GABE UND OPFER, GESETZ UND BEGEHREN

Levinas keine Sache des Alles oder nichts, sondern des einen und
des andern, der Doppeldeutigk,eit und Ambivalenz. Die Emiedri~
gung des begehrten Leibes zum Objekt und seine Erhebung zum
Ding ereignen sich gleichzeitig, sie gehen Hand in Hand. Dasselbe
gilt nach Levinas auch für das Erscheinen der Geliebten: Sie ent~
zieht sich dem Zugriff und läßt ihn doch geschehen, sie verbirgt
sich schamhaft und lädt gleichzeitig im Zur-Schau-SteUen ihres
Lei bes zur Verletzung der Scham ,ein.
Falls Sublimierung, wie Lacan behauptet, darin besteht, das
Objekt des Begehrens ausdrücklich in Bezug zu setzen auf das
Ding, so ist also bei Levinas die zweideutige und geheimnisvolle
Erscheinung des Anderen in der Erotik der "Ursprung" der Subli-
mierung meines Triebs. Die Schamhaftigkeit, mit der der Leib des
Anderen sich vor seiner Erhöhung bzw. Verabsolutierung zum Ding
schützt, ohne sich zu einem beliebigen Objekt erniedrigen zu las-
sen, ist durch dieselbe Zweideutigkeit gekennzeichnet: Sie ist nach
Levinas zugleich ein Entzug und eine Verführung. Die Sublimie-
rung meines Begehrens unter dem Eindruck dieser ambivalenten
Erscheinung des geliebten Leibes ist somit in der Erfahrung seiner
eig,enen Zweideutigkeit gelegen, seines Schwankens zwischen
Besitzergreifung und Hingabe. In der Sublimierung, die ein der
menschlichen Erotik wesentlich zugehöriges. Triebschicksal (Freud)
darstellt, wird der Trieb vom Anderen auf sich selbst zurückgewor-
fen und dahingehend verändert, daß er seine auf Austausch beru-
hende ökonomische Grundlage und damit auch seine berechnende
Selbstsicherheit verliert.
Man kann dieser Sublimierung des Triebs durchaus einen proto-
ethischen Charakter (im Sinne der Ethik von Levinas) zuschreiben,
denn sie ergibt sich aus dem Entzug eines Anderen,. der zugleich
seine eigenen Ansprüche gel tend macht. Mein Trieb zur VorsteUung
und zum absoluten Besitz des Anderen scheitert an dessen Abwe-
senheit, Unendlichkeit und Verletzlichkeit. Diese Sublimierung des
Triebs durch den Anderen bleibt in der Erotik jedoch noch VOf-
ethisch. weil sie in einem Spiel zu zweit geschieht, das,. wie Levinas
selbst betont. verantwortungslos ist Es gibt zwar gute Gründe zu
behaupten, daß dieses Spiel zu zweit keine Reziprozität des Genus-
ses impliziere (was für Levinas das Zeichen seiner ethischen Bedeut-
samkeit wäre), aber von einer grenzenlosen Verantwortung für einen
Anderen, der die bloß.e Spur einer unendlichen Abwesenheit ware,
kann sicher nicht die Rede sein. Insofern nun aber, wie Levinas auch
betont. das erotische Spiel zu zweit von einer neuen Transzendenz
ergriffen wird, die in der Transsubstantiation der Fruchtbarkei.t die
~------~ ___ ~ 1

1,

BERNET: TRIEB UND TRANSZENDENZ 217

duale Beziehung zwischen den Geliebten durchbricht, erwächst


ihnen eine neue und ganz besondere ethische Verantwortung. In die-
ser Verantwortung für einen Anderen,. der kein Fremder, sondern ein
Sohn ist, vollendet sich nach Levinas die im Geschlechtsakt selbst
begründete Bewegung der Sublimierung des Sexualtriebs. Diese
Sublimierung des Triebs zur Fruchtbarkei t impliziert nicht nur eine
ausdrückliche Form ethischer Verantwortlichkeit, sie führt auch an
den Rand der (oedipaJen) Symbolisierung. Im Üb,ergang vom Bezug
des Triebs auf die Transzendenz des Dings zwn Bezug auf einen
Driuen verwandelt sich die Sublimierung zur Symbolisierung .
Damit bestätigt sich nochmals, daß Sublimierung und Symbolisie-
rung trotz ihres WesensWlterschieds funktional eng miteinander ver-
kettet sind. Die Sublimierung des Triebs ist nur denkbar auf dem
Hintergrund des Symbolischen, sie erscheint als das Ereignis einer
kurzlebigen Offenbarung und Veränderung des Triebs, als ein Aus-
nahmezustand. der zwischen der Ökonomie der vertauschbaren Sig-
nifikanten und dem Trauma eines voHständigen Bedeutungsverlusts
in der Schwebe bleibt. 19

19 Ich danke H.-D. Gondek für seine kritischen Bemerkungen zu einer froheren
Fassung dieses Aufsatzes.

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