Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
Rudolf Bemet
gen Leben des Menschen offenbart, und auch umge.kehrt,' ~ie. die
Begegnung mit dem Geistigen das Wesen des Tnebs In semer
Wahrheit zur Erscheinung bringt.
Wer sich für eine vorläufige ontologische Bestimmung des
menschlichen Triebs interessiert, entdeckt schon bald, daß der Trieb
die scheinbar gegensätzlichen Seinsweisen der Selbstaffektion und
der Transzendenz in seinem Wesen vereint Der Trieb treibt und
wird getrieben, er übedäßt sich seinem Treiben und wird dabei oft-
mals von sich selbst abgetrieben, was aber noch keine Austreibung
des Triebs bedeutet. Der Trieb ist zugleich Streben nach etwas
Fremdem und Erfahrung des Sich-selbst-ausgeliefert-Seins, er ist
zugleich aktive Kraft und passives Leiden unter seiner eigenen
Kraft, Wille zur Macht und Ohnmacht. Diese Zweideutigkeit des
Triebs hängt innig mit seiner leiblichen Verfassung zusammen, mit
seiner zugleich autonomen und heteronomen Sinnlichkeit. Die Affi-
zierbarkeit des Triebs sowie die verschiedenen Weisen seines Affi-
ziert-Werdens sind in der Tat nur als leibliche Vorkommnisse
denkbar. Nach guter alter Freuds,cher Lehre wird der Trieb sowohl
von innen (besser: von sich selbst) als auch von außen (besser: von
etwas Fremdem) affiziert, nämlich von eigenleiblichen Spannungs-
gefühlen und von vorgestellten Objekten, die dieser Spannung
Abhilfe verschaffen soHen. Diese doppelte Affizierbarkeit gehört
zum Wesen der erogenen Zonen des Leibes, die somit am Ursprung
der trieblichen Bewegung stehen.
Der ontologischen Zweideutigkeit des Triebs entspricht eine dop'-
pelte leibliche Trieberfahrung, eine doppelte affektive Selbstgege-
benheit des Triebs. In der Affektion des Triebs durch sich selbst
offenbart der Trieb smch unter der Form eines unmittelbaren Gefühls.,
eines leiblichen Gefühls der Unruhe unseres Lebens. Dieses Lebens-
gefühl oder Triebgefühl ist eine unmittelbare Selbsterscheinung des
Triebs, in wekher der Trieb auf sich selbst zurückfällt und sich
dadurch inuner wieder von neuem entzündet. Neben dieser imma-
nenten Gegebenheit des Triebs als leibliche Selbs[affektion gibt es
jedoch noch eine zweite Art der Selbstgegebenheü des Triebs, die
nicht vom Trieb selbst, sondern von etwas ihm Transzendenten aus-
gelöst wird und die somit den Trieb nicht in seiner Selbstzugehörig-
keit. sondern in seiner Selbsttranszendenz offenbart. AUerdings muß
zugegeben werden, daß die Charakterisierung des Triebs als Streben
nach Lust (Freud) nicht genügt, um die Rede von einer Transzen-
denz des Triebs aufrechtzuerhalten. Im Gefühl der Lust erfährt der
Trieb sein eigenes Luststreben nämlich unter der Form einer Selbst-
affektion. Von einer Transzendenz des Triebs kann erst dann die
BERNET: TRIEB UND TRANSZENDENZ 199
Diese Zähmung des wilden Triebs ist jedoch noch keine echte
Transformation seines Eigenwesens. Wenn Sublimierung des Triebs
einen modifizierenden Eingriff in das eigentliche Wesen des Triebs
bedeuten saH, so ist also deutlich,. daß sie nicht mit der Operation
Freudscher Bindung oder Lacanscher Symbolisierung zusammen-
fallen kann. Die symbolische Artikulation des Triebs zu einem
menschlichen Begehren ist noch keine Sublimierung. Von einer
wesentlichen. wahrhaft sublimierenden Transformation des Triebs
kann erst dann die Rede sein, wenn die Ökonomie des Sexualtriebs
in die Ökonomie eines anderen, weniger destruktiven Triebs über-
führt wird oder wenn dem Trieb durch die Einsicht in die Sinnlo-
sigkeit seines Strebens vorübergehend der Boden und die Energie
entzogen werden. Freuds Theorie der Sublimierung folgt der ersten
Spur, Lacans Theorie der zweiten. Anders als bei Freud bedeutet die
Sublimierung des Triebs bei Lacan somit den Bruch mit aller Trieh-
ökonomie, keine Uminvestierung, sondern die Begegnung mit
einem über aBe Ökonomie erhabenen Nichts.
Wir müssen im vorliegenden Rahmen darauf verzichten, Freuds
Trieblehre auch nur einigermaßen vollständig darzusteHen. Wir
wollen insbesondere davon absehen, seine Lehre von den Partialtrie-
ben ausdrücklich zu behandeln, obwohl sie Lacans Auffassung vom.
Trieb entscheidend geprägt hat und auch für die Bestimmung der
Verwandtschaft und des Unterschieds zwischen Sublimierung und
Perversion sehr wichtig wäre. Es soll uns genügen, in Erinnerung zu
bringen, daß nach Freud Sublimierung und Perversion gleicher ..
maßen bestrebt sind. frühkindliche TriebwÜllsche vor der Verdrän-
gWlg zu bewahren. Während die Perversion diese Wünsche dadurch
zur Erfüllung bringt. daß sie das die Verdrängung auslösende Verbot
negiert. sorgt die Sublimierung durch die Entsexualisierung der
TriebwÜllsche dafür, daß es nichts mehr zu verdrängen gibt. Von
einer triebmäßigen Erfüllung kann in der SublimierWlg jedoch nicht
mehr die Rede sein, und die sich dabei einstellende Befriedigung hat
nach Freud den Charakter einer narzißtischen Selbstbestätigung
durch ges,el1schafUiches und kulturelles Ansehen. Perversion führt
zu einer Ichspallung, Sublimierung dagegen zu einer narzißtischen
Selbstidentifikation und Seihsterhöhung. Der in der Sublimierung
fungierende Idealisierungsprozeß richtet sich also nach Freud auf
das Ich und nicht auf das Objekt: Anstatt sich, wie etwa in der
Liebe, in einem idealisierten fremden Objekt zu verlieren, bedient
sich das Ich vielmehr des Objekts zur Affirmation seiner eigenen
SelbsUllächtigkeit. In Freuds eigene Terminologie übersetzt heißt
das, daß die Sublimierung deswegen der Verdrängung entgeht, weil
202 II. GABE UND OPfER, GESETZ UND BEGEHREN
2 Vgl. die berühmte, allerdings sehr vorsichtig formulierte Stelle in Das Unbe-
hagen in der Ku.ltur (1930, GW XIV, 465): ,,Manchmal g~aubt man zu erken-
nen, es sei nicht allein der Druck der Kultur. sondern etwas am Wesen der
Funktion selbst versage uns die volle Befriedigung und dränge uns auf
andere Wege."
204 ll. GABE UND OPfER, OESElZ UND BEGEHREN
mierung auf eine Art der Transzendenz,. welche die Immanenz der
Triebökonomie und die Immanenz des narzißtischen Subjekts ver-
nichtet oder verändert, d. h. dem Nichts oder dem Andem zum
Opfer bringt. In dieser mit der Sublimierung verbundenen Bedräng-
nis offenbart sich die dem Trieb eigene Transzendenz, sein Streben
nach einem Jenseits des Genusses.
2. Lacan
. I
BERNET. TRIEB UND TRANSZENDENZ 207 I
7 Zu ihrer voUen Entfaltung kommt Lacans Lehre vom Trieb und seinem
Objekt (obJel a genannt) allerdings erst im Buch XI seines Seminars
(1964/1973. dt. 1987). Die Lehre vom objet a verdrängt in diesem Seminar
die frühere Lehre vom Ding, sie verdeutlicht den Unterschied zwischen
Trieb (pulsion) und Begehr.en (desir) und sie impliziert somit eine Präzisie-
rung von Lacans früherer Theorie von der Sublimierung des Triebs. Wir kön-
nen uns im vorliegenden Rahmen darauf nicht einlassen, wagen aber die
Behauptung, daß die Neubestimmung des unzugänglichen, aus dem Rahmen
der symbolischen Ordnung fallenden Dings als objet a eines Partialtriebs an
unserer sich an das Seminar VII anschließ.enden Darstellung der Sublimie-
rung nichts Wesentliches ändert. Wie das im Sem.inar XI meisterhaft ent-
wick~lte Beispiel.der Anamorphose zeigt, fungiert die Kunst (bzw. Malerei)
noch unrner als dIe Offenbarung des unzugänglichen Objekts des Triebs (in
di~sem Falle: des Bl.icks) und somit ads eine sublimierende Entwaffnung der
GIer des (Schau- )Tnebs.
BERNET. TRlEB UND TRANSZENDENZ 209
ses Begehrens zu vernichten droht. Die Erfahrung des Dings ist des~
wegen mit Angst verbunden. Diese Angst wird nach Lacan (ähnlich
wie schon bei Heidegger) durch die Erfahrung des Sinnverlusts der
weltlichen, d. h. von einem Rahmen der Bedeutsamkeit umschlos~
senen Objekte ausgelöst. Anders als bei Heidegger offenbart sich
darin nach Lacan weniger die Weltlichkeit der Welt (Heidegger) als
das Nichts, worauf das Begehr·en beruht: Das Begehren verdankt
der symbolischen Ordnung alles, in sich ist es nichts,. und dieses
Nichts erscheint, sobald die symbolische Ordnung ihren Sinn ver-
liert. Ohne den Beistand der symbolischen Ordnung ist das Begeh~
ren nichts anderes als ein bedingungsloses Streben nach einem
unbedingten, unbestimmten und bedeutungslosen Absoluten,. eben
dem Nichts. Die Offenbarung dieser Wahrheit des Wesens des
Begehrens geschieht nun nach Lacan aber nicht nur in der Angst,
sondern auch in der entwaffnenden Begegnung mit dem Schönen
oder in der Minne als der absoluten Hingabe an eine völlig unbe-
stimmte Dame, die so abstrakt und eigenschafts los ist. daß nichts
diese Hingabe zu rechtfertigen vermag.
Von einer Sublimierung des Triebs kann nach Lacan aber erst
dann die Rede sein, wenn Objekt und Ding ausdrücklich miteinan-
der in Bezug gesetzt werden. Die Einfügung des Triebs in die sym-
bolische Ordnung ist deswegen noch keine Sublimierung,. weil sie
210 II. GABE UND OPFER, GESETZ UND BEGEHREN
8 J. Lacan: 1959-60/198.6, 1~3, dt. 138. ,,Et Ia forrnule la plus generale que je
V?~S danne de la sublImatIOn est celle-ci - elle eleve un abjet [ ... ] a la dig-
mte de la Chose." .
9 Vgl. ebd.: "La s~blimatio~, qui apporte au Trieb une satisfaction differente
d~ ~on but - touJours detim c~nune son but naturel - est precisement ce qui
rev~le l~. nalure propre du Tneb en tam qu 'il n' est pas purement r instinct,
ma]s.q~ 11 a rapport.avecdas Ding comme tel, avec la Chose en tant qu'elle
est dlstmcte de l'obJet." .
BERNET: TRIEB UND TRANSZENDENZ 211
3. Levinas
Wenn wir nun zum Abschluß unserer Betrachtungen noch kurz auf
Levinas' Auffassung der Sublimierung eingehen, so muß von vorn-
herein klargestellt werden, daß in seinem Werk eine Theorie der
Sublimierung des Triebs unter diesem Titel nicht zu finden ist. Wir
glauben jedoch aufzeigen zu können,. daß die Phänomenologie des
10 Vgt ebd., 256, dt. 262: "Quelle est cette seconde barriere? [... ] La vraie bar-
riere qui arrete le sujet devant le champ innommable du desir radical pour
autant qu'il est le champ de 1a destruction absolue [ .... ], c'est a. proprement
parler le phenomene esthetique pour autant qu'il est identifiable a l'expe-
rience du beau - le beau dans son rayonnernent eclatant. ce beau dont on a
dit qu'id est la splendeur du vrai. C'est evidemment par ce que le vrai n'est
pas bien joli a voir que le beau en est,. sinon ]a splendellr, tout au moins la
couverture ...
212 II. GABE UND OPFER, GESETZ UND BEGEHREN
11 E. Levinas 1961/1965.
- - - - - - - - - - - - _..._... --_.- - . __.- -" -_ ..
sion ist aus dem Wesen der menschlichen Sexualität nicht wegzu-
denken, Sexualität ereignet sich wesentlich jenseits des Lichts der
intentionalen Vorstellungen. jenseits der Sichtbarkeit von weltlichen
Objekten, jenseits der allgemeinen Gültigkeit eines ethischen Geset-
zes. Der begehrte Leib des Anderen fällt, mit Lacan gesprochen,
schon immer aus jeder auf die sichtbare Welt bezogenen symboli-
schen Ordnung heraus. Diese wesentliche Transgressivität des sexu-
ellen Triebs beim Menschen ist für Levinas so wichtig, daß er meint,
sie kritisch gegen Freud geltend machen zu müssen (während Lacan,
der Sache nach mit Levinas einig. diese Tnmsgressivität des nie auf
ein bloßes Bedürfnis reduzierbaren und deshalb wesentlich unerfüll-
baren Triebs gerade als die Essenz von Freuds Trieblehre darstellt).
Levinas ist der Meinung, Freud habe nicht begriffen, daß Sexualität
kein bloßes Streben nach Lust sei und daß. WoHust nicht einfach als
die Befriedigung eines Bedürfnisses verstanden werden könne. 13
Levinas betont demgegenüber (wiederum in genauer Übereinstim-
mung mit Lacans Analyse des Begehrens), daß der sexuellen Wollust
weder die eigene Befriedigung noch der Besitz des Anderen genüge,
daß sie mehr wolle,. nämlich die Wollust des Anderen. 14 Mit seinem
Streben nach der unverfügbaren Wollust des Anderen durchbricht
und überschreitet das sexuelle Begehren jede auf Austausch und Aus-
gleich beruhende Ökonomie, es rührt an das Geheimnis des Dings.
Levinas wird nicht müde, diese am Entzug des Anderen zerbre-
chende transgressive Bewegung des Begehrens in einer Vielzahl
von peinlich genauen phänomenomogischen Beschreibungen der
menschlichen Sexualität zu verdeutlichen. Das zugleich einleuch-
tendste und schönste Beispiel ist wohl dasjenige der Liebkosung
(caresse).15 Die Liebkosung ist dieser Analyse von Levinas zufolge
keine Betastung, sondern ein Suchen; aber ein Suchen, das kein
Absuchen ist. Man berührt den Leib der Geliebten nicht in dersel-
ben Weise, wie man in einem unbekannten dunklen Zimmer nach
13 Ebd., 1961/1965, 253f., dt. 404: •.Nachdem mit Freud die Sexualität auf der
menschlichen Ebene zum Gegenstand gemacht wird, wird sie auf das Nivea~
einer Suche nach Lust erniedrigt, olme daß man jemals die ontologische
Bedeutung der Wollust und die unableitbaren Kategorien, die sme ins Spiel
bringt. auch nur ahnt.' ,
14 Ebd., 243f., dt. 389: ..Die Wollust würde im Besitz erlöschen. Andererseits
ab~r verbietet U?S der unpersönli:he .Charakter. ~er Wollust, die Beziehung
ZWIschen den LIebenden als VerhältniS gegenseItIger Ergänzung zu betrach-
ten. Die Wollust zielt daher nicht auf den Anderen. sondern auf seine Wol-
lust, sie ist Wollust der Wollust, Liebe der Liebe des Anderen."
15 VgL ebd.,. 235ff., dt. 375ff. V gl. auch E. Levinas: 1946-47/1979', 82f., dt.,
60f.
BERNET: TRIEB UND TRANSZENDENZ 215
dem Lichtschalter sucht. Was man in der Liebkosun~ sucht, ist nicht
zu finden, es verwandelt sich unter der (liebkosenden) Hand zu
einem Ungreifbaren. Die Liebkosung des geHebten Leibes kennt
deswegen auch weder Befriedigung noch Ende, jede Berührung
s,chürt das Begehren, vertieft den Mangel, entrückt das Berührte in
größere Ferne. Wer im verantwortungslosen Spiel der Liebe alle
Schranken und Tabus hinter sich gelassen hat, stößt auf eine ~etzte
Schranke oder Grenze (limite): das Geheimnis des Anderen. 16 Die-
ses Geheimnis (nicht Rätsel!), das sich dem liebkosenden Suchen
entzieht und durch die Schamhaftigkeit gehütet wird, ist letztlich
nichts anderes als die Erscheinung der unableitbaren und unredu-
zierbaren Andersheit des Anderen.
In di,e Terminologie von Lacan übersetzt heißt das, daß der
geliebkoste Leib zum Ding des Begehrens wird. Seine Ding-haftig-
keit ergibt sich aus dem Verlust jeder erkennbaren Form, jeder be-
stimmbaren B,edeutung, jeder sichtbaren Gestalt, jeder weHlichen
Erscheinung,. jedes definierbaren Seinsmodus. Anders als das
Kunstwerk trotzt der Leib des Anderen meinem Begehren jedoch
nicht durch seine selbstgenügsame Schönheit, sondern durch seine
Verletzlichkeit. Der Leib der Geliebten trifft mich nicht durch seine
strahlende Herrlichkeit, sondern durch sein Schattendasein am
Rande des Nicht-seins. 17 Sein Eindruck auf mich bewirkt einen
SelbstverIust, der nach Levinas jedoch keine Vernichtung, sondern
eine ErlösWlg ist, eine Befreiung zur unendlichen Zukunft der
Fruchtbarkeit. 18 Mit dieser Beschr,eibung des begehrten Leibes des
Anderen hält die Unendlichkeit und die Zweideutigkeit ihren Ein-
zug in das Ding von Lacan. Der geliebte Leib ist ein Ding, dem
weder die Totalität einer stolzen und unermeßlichen Autonomie
noch die Totalität eines absoluten Nicht-Seins zugeschrieben wer-
den können. Folglich ist auch die Einwirkung dieses Leibes auf
mich nicht einfach als Übergang von einem totalen Narzißmus zu
einer totalen Nichtigkeit zu fassen. Die Logik des Begehrens ist für
16 E. Levmas: 196111965, 237, dt. 379: ."Die Wollust entdeckt als Profan.ation
das Verborgene als Verborgenes. [ ... ] Das Entde,ckte verliert in der Ent-
deckung nicht sein Geheinmis, das Verborgene enthüllt sich nicht, die Nacht
zerstreut si,ch nicht." (Modifizierte Übersetzung)
11 Ebd., 236,. dt 377: ,,[Das Weibliche] ist nicht wie eine Freiheit,. die sich im
Kampf mit ihrem Eroberer gegen ihre VerdingHchungund Ob~eküvierung
wehrt. sondern eine ZerbrechHchlceit an der Grenze des Nicht-seins".
~8 Ebd.• 237, dt. 379: ,.•Ein gestaltloses Nicht-Ich reißt das Ich mit in eme abso-
lute Zukunft. in die es ausbricht und wo es seine Position als Subjekt ein-
bUßt." (Modifizierte Übersetzung)
216 H. GABE UND OPFER, GESETZ UND BEGEHREN
Levinas keine Sache des Alles oder nichts, sondern des einen und
des andern, der Doppeldeutigk,eit und Ambivalenz. Die Emiedri~
gung des begehrten Leibes zum Objekt und seine Erhebung zum
Ding ereignen sich gleichzeitig, sie gehen Hand in Hand. Dasselbe
gilt nach Levinas auch für das Erscheinen der Geliebten: Sie ent~
zieht sich dem Zugriff und läßt ihn doch geschehen, sie verbirgt
sich schamhaft und lädt gleichzeitig im Zur-Schau-SteUen ihres
Lei bes zur Verletzung der Scham ,ein.
Falls Sublimierung, wie Lacan behauptet, darin besteht, das
Objekt des Begehrens ausdrücklich in Bezug zu setzen auf das
Ding, so ist also bei Levinas die zweideutige und geheimnisvolle
Erscheinung des Anderen in der Erotik der "Ursprung" der Subli-
mierung meines Triebs. Die Schamhaftigkeit, mit der der Leib des
Anderen sich vor seiner Erhöhung bzw. Verabsolutierung zum Ding
schützt, ohne sich zu einem beliebigen Objekt erniedrigen zu las-
sen, ist durch dieselbe Zweideutigkeit gekennzeichnet: Sie ist nach
Levinas zugleich ein Entzug und eine Verführung. Die Sublimie-
rung meines Begehrens unter dem Eindruck dieser ambivalenten
Erscheinung des geliebten Leibes ist somit in der Erfahrung seiner
eig,enen Zweideutigkeit gelegen, seines Schwankens zwischen
Besitzergreifung und Hingabe. In der Sublimierung, die ein der
menschlichen Erotik wesentlich zugehöriges. Triebschicksal (Freud)
darstellt, wird der Trieb vom Anderen auf sich selbst zurückgewor-
fen und dahingehend verändert, daß er seine auf Austausch beru-
hende ökonomische Grundlage und damit auch seine berechnende
Selbstsicherheit verliert.
Man kann dieser Sublimierung des Triebs durchaus einen proto-
ethischen Charakter (im Sinne der Ethik von Levinas) zuschreiben,
denn sie ergibt sich aus dem Entzug eines Anderen,. der zugleich
seine eigenen Ansprüche gel tend macht. Mein Trieb zur VorsteUung
und zum absoluten Besitz des Anderen scheitert an dessen Abwe-
senheit, Unendlichkeit und Verletzlichkeit. Diese Sublimierung des
Triebs durch den Anderen bleibt in der Erotik jedoch noch VOf-
ethisch. weil sie in einem Spiel zu zweit geschieht, das,. wie Levinas
selbst betont. verantwortungslos ist Es gibt zwar gute Gründe zu
behaupten, daß dieses Spiel zu zweit keine Reziprozität des Genus-
ses impliziere (was für Levinas das Zeichen seiner ethischen Bedeut-
samkeit wäre), aber von einer grenzenlosen Verantwortung für einen
Anderen, der die bloß.e Spur einer unendlichen Abwesenheit ware,
kann sicher nicht die Rede sein. Insofern nun aber, wie Levinas auch
betont. das erotische Spiel zu zweit von einer neuen Transzendenz
ergriffen wird, die in der Transsubstantiation der Fruchtbarkei.t die
~------~ ___ ~ 1
1,
19 Ich danke H.-D. Gondek für seine kritischen Bemerkungen zu einer froheren
Fassung dieses Aufsatzes.
: !