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1.Einleitung
Der Mithraskult und das Christentum stammen aus etwa demselben Gebiet, sind auf
demselben kulturhistorischen Hintergrund erwachsen. Sie verbreiteten sich zur
selben Zeit und waren schnell in allen Teilen des Römischen Reiches zu finden.
Neben diesen rein äußerlichen Parallelen sind auch vielerlei inhaltliche Ähnlichkeiten
in Kultgestaltung und Lehre vorhanden. Sowohl Mithraskult als auch Christentum
haben die altheidnischen Vorstellungen überwunden und bieten dem antiken
Menschen eine neue Form persönlicher Religiosität, sie versprechen das individuelle
Heil. Diese Parallelen gaben und geben immer wieder Anlass zu den verschiedensten
Spekulationen über das (Abhängigkeits-)Verhältnis der beiden Religionen.
„Hätte ein tödliches Missgeschick den Siegeszug des Christentums aufgehalten,
dann hätte die Welt dem Mithras gehört.“1 Dieser vielzitierte und freilich ein wenig
übertriebene Satz von E. Renan, einem französischen Erforscher der Spätantike,
zeigt die immense Bedeutung des Mithraskultes.
Man könnte die Situation, in der alle Erforschung dieses Phänomens sich befindet,
wie folgt ausdrücken: Der Quellenlage, mit der wir vom heutigen Standpunkt aus den
Mithraskult rekonstruieren wollen, entspräche ein Blick auf das Christentum nur
durch das Alte Testament und die baulichen Zeugnisse gotischer Kirchen. Die
entscheidenden Glaubensinhalte des Mithraskultes sind verloren oder sie sind
niemals festgehalten worden. Alle Forschung beinhaltet also immer ein Stück weit
Spekulation.
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Mithraskultbild im Römisch-
Germanischen Museum, Köln
Über die genauen Zeremonien der Kultfeiern und die eigentlichen Inhalte des
Mithraskultes ist nur wenig bekannt, da die Glaubensinhalte geheim waren 29 und aus
diesem Grunde vielleicht niemals schriftlich festgehalten worden sind. 30 Die einzigen
gesicherten Zeugnisse für den Mithraskult sind wüste Beschimpfungen in
apologetischen Schriften, aus denen wir nur ein sehr bruchstückhaftes und negativ
gefärbtes Bild erhalten, archäologische Relikte, Weihinschriften auf
Kultgegenständen und besonders die sogenannten Mithräen, unterirdische
höhlenartige Tempel, in denen die Anhänger des Mithraskultes sich trafen und ihre
Kultzeremonien feierten. Viele dieser Mithräen sind gerade deswegen, weil sie
unterirdisch angelegt worden sind, gut erhalten.31
Diese Mithräen waren wie die gesamte mithrische Kunst im großen und ganzen in
Form und Ausgestaltung stereotyp. Ein Mithräum ist ein länglicher Raum mit
gewölbter Decke. Vermutlich handelt es sich bei dieser Wölbung um ein Symbol des
Himmels. An zentraler Stelle im Mithräum war ein Kultbild32 aufgestellt, das
hauptsächlich zeigt, wie Mithras einen Stier tötet33.
Anhand dieser Kultsteine lässt sich der Inhalt des Mithras-Mythos rekonstruieren.
Allerdings gehen gerade in bezug auf die Dinge, die man aus den Kultsteinen ablesen
kann, die Meinungen weit auseinander. Wesentlich und ernstzunehmen sind zwei
Theorien: Die ältere und lange Zeit unumstrittene des Franz Cumont35und die in
jüngerer Zeit von David Ulansey aufgestellte36. Im Folgenden werde ich zunächst
Cumonts Theorie darlegen:
Mithras wird als Verkörperung des Lichts aus einem Felsen in die Dunkelheit hinein
geboren.37 Sein Kopf ist bedeckt mit einer phrygischen Mütze38, er hält Messer und
Fackel in den Händen. Dies sind Zeichen seiner Vorherbestimmung zur Stiertötung
und seiner Funktion als Lichtgottheit. Da Mithras nackt geboren wurde und Winde
heftig stürmen, klettert er in eine Baumkrone. Dort schneidet er sich Früchte ab
und isst sie. Hierdurch gewinnt Mithras an Kraft. Auf diese Weise erstarkt irrt er
durch die Welt, um ein Wesen zu suchen, mit dem er seine Kraft messen kann.
Schließlich findet er den Urstier, der eine Verkörperung des Bösen ist. Mithras
packt den Stier bei den Hörnern und setzt sich auf dessen Rücken. Der Stier
versucht ihn abzuwerfen und verausgabt seine Kräfte. Als der Stier erschöpft ist,
nimmt Mithras dessen Hinterhufe und schleift ihn auf dem Rücken in eine Höhle, wo
er den Stier einsperrt. Nachdem er den Stier auf diese Weise besiegt hat, sucht
Mithras erneut nach jemandem, mit dem er seine Kraft messen kann und stößt auf
den Sonnengott Helios oder Sol, mit dem er ebenfalls zu kämpfen beginnt. Mithras
besiegt ihn, und Helios/Sol wird daraufhin von Mithras mit der Strahlenkrone
bekränzt. Mithras befiehlt Helios/Sol, auf einer Bahn über den Himmel zu fahren,
sie reichen sich die Hände als Zeichen der Freundschaft und gegenseitiger
Unterstützung. Währenddessen entwischt der Stier aus der Höhle. Dies bemerkt
Helios/Sol, der Wächter über die Welt, und schickt seinen Boten, den Raben, um
Mithras zu verkünden, dass er den Stier töten soll. Mithras befolgt den Befehl
widerwillig und jagt den Stier mit seinem Hund durch die gesamte Welt. Schließlich
fängt er den Stier, als dieser wieder in die Höhle zurückgekehrt ist, um sich dort zu
verbergen. Mithras packt den Stier bei den Nüstern, reißt dessen Kopf zurück,
springt auf den Rücken des Stieres und stößt ihm das Messer in die Flanke. Er
wendet sich dabei ab, woraus Cumont schließt, dass er die Tötung nur widerwillig
vollzieht. Nun ereignet sich etwas, das Cumont als „außerordentliches
Wunder“39 bezeichnet: aus dem Körper des sterbenden Stieres gehen alle nützlichen
Pflanzen hervor. Dies wird nach Cumont im Kultbild dadurch angedeutet, dass aus
dem Schwanz des Stieres Ähren und aus seinem Blut Wein hervorgehen. Der Samen
des Stieres bringt die verschiedenen Nutztiere hervor. Allerdings versuchen einige
chthonische Kreaturen (Skorpion und Schlange) etwas von dem Samen des Stieres
und vom Blut aufzufangen.40 Diese Lebewesen stellen das in der Welt verbliebene
Böse dar. Im Tod steigt die Seele des Stieres in himmlische Sphären auf. Durch
dieses Ereignis also wird Mithras indirekt zum Schöpfer aller Guten Dinge auf der
Erde.
Inzwischen ist das erste Menschenpaar entstanden, die bösen Mächte jedoch
versuchen sie zu töten. Deshalb muss Mithras weiterhin gegen sie ankämpfen. Es
kommt allerdings zu einer Trockenheitsperiode, welche die Menschen dazu
veranlasst, Mithras um Hilfe anzuflehen. Mithras erbarmt sich und schlägt mit
einem Pfeil Wasser aus einem Stein. Damit geben die bösen Mächte sich geschlagen,
und Mithras gewährt den Menschen ein friedvolles Leben.
Dies ist das Ende des irdischen Wirkens des Mithras. Aus diesem Anlass findet die
Feier eines Abschiedsmahles mit Helios/Sol und den Helfern des Mithras, Cautes
und Cautopates, statt. Danach steigt Mithras mit Helios/Sol auf den Sonnenwagen
und fährt mit ihm über den Himmel. Von dort aus wacht er über das Wohl derjenigen
Menschen, die ihn verehren.
Soweit der Mythos von Mithras nach Franz Cumont. Diese Auffassung der Kultbilder
des Mithraskultes birgt allerdings einige Ungereimtheiten und wirkt konstruiert und
willkürlich.
Welchen Inhalts auch immer das mysterion des Mithraskultes gewesen sein mag,
wissen wir doch um die Ausgestaltung des Kultgeschehens umso mehr.
Um an dem Wohl teilhaben zu können, das die mächtige Gottheit, die (nach Cumont)
den Stier tötet oder aber (nach Ulansey) für die Präzession der Äquinoktien
verantwortlich ist, muss man in den engeren Kreis des Mithraskultes aufgenommen
werden. Die Aufnahmezeremonie wird Initiation genannt. Bevor sie jedoch
stattfindet, muss der Initiand einen längeren Unterricht in der mithrischen Lehre
absolvieren. Erst danach kann die Initiation vollzogen werden. Dies geschah
einerseits durch eine Taufe, die nach einiger Zeit durch eine Art Konfirmation
bekräftigt werden muss und andererseits durch körperliche Proben und
Selbstzüchtigungen, die sehr hart gewesen sind, über die aber nichts genaues
bekannt ist.45 Nach dieser Initiation konnte man sieben Weihestufen durchlaufen,
wobei jeder Stufe eine Figur auf dem Kultbild entspricht:
Die unterste Stufe hieß Corax (Rabe) und symbolisierte den Raben auf dem Umhang
des Mithras. Die nächste Stufe hieß Nymphus (Verlobter) und wurde mit der
Schlange assoziiert. Danach kam der Miles (Soldat), der den Skorpion verkörperte.
Die nächsthöhere Weihestufe war Leo (Löwe), der sich auf dem Kultbild als Hund
wiederfand. Die fünfte Weihestufe war Perses (Perser), der dem Cautopates auf
dem Kultbild entspricht. Die zweithöchste Stufe war der Heliodromus
(Sonnenläufer), dargestellt durch Cautes. Und die höchste Weihestufe schließlich
war der Pater (Vater), der den Mithras verkörperte. Der Großteil der Gläubigen
jedoch nahm die unteren Stufen ein. Der Pater als oberster Priester einer jeweiligen
Gemeinschaft und gleichzeitig Stellvertreter des Mithras hatte die Leitung einer
jeweiligen Mithras„gemeinde“ inne. Die verschiedenen Weihestufen entsprechen
dem Aufstieg der Seele zum Göttlichen.
Bei der Aufnahme eines Kultanhängers in eine neue Stufe war der Initiand gemäß
der neuen Stufe, das heißt als Rabe, als Soldat usw., verkleidet. Außerdem waren
jeder Weihestufe verschiedene Symbole zugeordnet.46 Dies machte das
Kultgeschehen und das komplizierte System, das dahinter stand anschaulich und
eröffnet einen Zugang auch für einfache Menschen. Als weitere Veranschaulichung
des Heilsgeschehens diente das rituelle Gemeinschaftsmahl aus Brot und Wein, das
bei den Zusammenkünften im Andenken an das Abschiedsmahl des Mithras gefeiert
wurde. Mit diesem Mahl nahm der einzelne Anhänger des Mithraskultes das Heil des
Mithras in sich auf. Dies ist ein typisches Merkmal der Mysterienkulte. Der
Eingeweihte sollte etwas erleben; das Kultgeschehen war nicht nur auf das rationelle
Verstehen hin angelegt.
Innerhalb des Kultes wurde von den Anhängern eine streng ethische Lebensführung
erwartet, die den Einzelnen dazu bewegen sollten, in der Nachfolge des Mithras das
Gute zu tun. Durch die gemeinsame Aufgabe des guten Handelns und der Hingabe
innerhalb des Kultes entstand unter den Anhängern des Mithraskultes ein enges
Gemeinschaftsgefühl, das durch die Enge des Kultraumes noch unterstützt wurde.
Der Kult war also auf den Einzelnen hin angelegt; das durch Initiation und
Gemeinschaftsmahl erlangte Heil führte dazu, dass der einzelne Gläubige sich
Hoffnungen auf ein Weiterleben nach dem Tod im Himmel machen konnte.
Wie schon angedeutet gibt es einige mehr oder minder augenscheinliche Parallelen
zwischen Mithraskult und Christentum. Beide sind Erlösungsreligionen, die dem
Einzelnen dadurch, dass dieser dem Gott in seinem Tun nachfolgt, Heil versprechen.
Beide Kulte kennen das Motiv der leidenden Gottheit. So entspricht dem
christlichen „Das-Kreuz-auf-sich-Nehmen“ Jesu Mithras´ mühsames Tragen des
Stieres durch die ganze Welt.
Jesus wie Mithras sind Götter, die das Licht verkörpern. Dies schlägt sich in der
Lichtsymbolik beider Kulte nieder, z.B. an der Tatsache, dass der Geburtstag Jesu
wie auch der Geburtstag des Mithras am Tag der Wintersonnenwende, dem 25.
Dezember gefeiert wird.
Neben diesen Gemeinsamkeiten in der Lehre stehen die Parallelen in der
Ausgestaltung der Kultpraxis. Vor allem ist dies natürlich die Taufe zur Aufnahme in
die religiöse Gemeinschaft, der ein Katechumenat vorausgeht und der eine
Konfirmation folgt. Des weiteren gibt es in beiden Gemeinschaften ein Abendmahl
mit Brot und Wein, das dem Erlangen persönlichen Heils dient. Beide Kulte verlangen
vom Gläubigen eine streng ethische Lebensführung, in der Nachfolge der Gottheit
(Jesus, bzw. Mithras) gesehen wird.
Parallelen gibt es aber auch in der Symbolik. So hat das Sonnenkreuz 47 des
Mithraskultes starke Ähnlichkeit mit dem Christusmonogramm.
Die Theorie des Franz Cumont behauptet eben dies. Jedoch kam es in neuerer Zeit
zu mannigfaltiger Kritik an dieser These.48 Ich will nur einige Punkte herausgreifen,
die mir selbst äußerst kritikwürdig erscheinen.
Zunächst leuchtet die Kritik ein, dass in Cumonts These viele Dinge konstruiert und
weit hergeholt wirken. Cumont muss behaupten, dass sämtliche Elemente, die uns im
Mithraskult begegnen, bereits im persischen Glauben an Mithra angelegt sind, damit
er seine These von der Gleichheit von Mithra und Mithras aufrecht erhalten kann.
Besonders gilt dies natürlich für das zentrale Motiv der Mysterien, den Stier. Doch
zieht er hier weit weniger bedeutende Quellen heran49, als er es tut, um andere weit
weniger wichtige Elemente der Mysterien auf altorientalische Vorstellungen
zurückzuführen; in bezug auf den Stier scheint die Quellenlage bei weitem nicht so
gut zu sein, wie bei anderen, unbedeutenderen Elementen. Im von Cumont in diesem
Zusammenhang zitierten Bundahishn wird tatsächlich die Schaffung eines
„Urstieres“ durch Ahura-Mazda beschrieben, doch wird dieser Stier nicht etwa von
Mithra, oder Ahura-Mazda selbst getötet oder von einer Gottheit, die in sonstiger
Weise mit Mithra assoziiert werden kann, sondern ausgerechnet von Ahriman, der
Verkörperung des Bösen, der Gottheit, die der Stärkste Widersacher des Mithra
ist.
Ein weiterer Kritikpunkt an Cumonts Theorie ist der, dass sich aus der Verehrung
des Mithra im iranisch-indischen Kulturraum noch nicht die Entstehung der
Mysterien und die letztendliche Ausprägung des Kultes erklären lassen. 50 Dies sind
im Wesentlichen Elemente, die auf die Einflüsse zurückzuführen sind, die in
Kleinasien in den Kultus des Mithra eingedrungen sind.51 Zu behaupten, dass diese
Ausprägungen dem iranisch-indischen Glauben an Mithra völlig fehlen, ist allerdings
unangebracht. Im Parsismus nämlich gibt es eine dem Mithraskult sehr ähnliche
Initiationszeremonie, die sich explizit auf Yäšt X, die Hymne an Mithra, beruft 52 und
in der dort beschriebenen Weise begangen wird.53
8.Resümee
Mithraskult und Christentum verbreiteten sich unter sehr ähnlichen Bedingungen
und zur selben Zeit. Beide Religionen stammen aus dem Orient und haben seit dem 2.
Jh. n.Chr. Anhänger in allen Teilen des römischen Reiches. Beide Religionen nehmen
das Heil des Einzelnen in den Blick und sind in diesem Punkt völlig verschieden von
der herkömmlichen heidnischen Religion. Außerdem und haben beide Kulte ähnliche
Ausformungen des Kultes und in der Symbolik.
Diese Ähnlichkeiten gaben Anlass zu den abstrusesten Theorien, die aber wenig
ernstzunehmen sind.54 Bis in die 1980er Jahre hinein war die Theorie von der rein
orientalischen Herkunft des Mithraskultes, die Franz Cumont am Ende des 19. Jh.
aufstellte, unumstritten55. 1989 erschien David Ulanseys Abhandlung „The Origins of
Mithraic Mysteries“, in der er seine Theorie darlegt, die besagt, dass die Kultbilder
in erster Linie als Sternenkarten zu lesen seien.
Viele Fragen bleiben offen, aber das Wissen um den Mithraskult ist wichtig, um die
Entstehung und Ausbreitung des Christentums besser verstehen zu können.