Sie sind auf Seite 1von 12

Der Mithraskult

1.Einleitung
Der Mithraskult und das Christentum stammen aus etwa demselben Gebiet, sind auf
demselben kulturhistorischen Hintergrund erwachsen. Sie verbreiteten sich zur
selben Zeit und waren schnell in allen Teilen des Römischen Reiches zu finden.
Neben diesen rein äußerlichen Parallelen sind auch vielerlei inhaltliche Ähnlichkeiten
in Kultgestaltung und Lehre vorhanden. Sowohl Mithraskult als auch Christentum
haben die altheidnischen Vorstellungen überwunden und bieten dem antiken
Menschen eine neue Form persönlicher Religiosität, sie versprechen das individuelle
Heil. Diese Parallelen gaben und geben immer wieder Anlass zu den verschiedensten
Spekulationen über das (Abhängigkeits-)Verhältnis der beiden Religionen.
„Hätte ein tödliches Missgeschick den Siegeszug des Christentums aufgehalten,
dann hätte die Welt dem Mithras gehört.“1 Dieser vielzitierte und freilich ein wenig
übertriebene Satz von E. Renan, einem französischen Erforscher der Spätantike,
zeigt die immense Bedeutung des Mithraskultes.
Man könnte die Situation, in der alle Erforschung dieses Phänomens sich befindet,
wie folgt ausdrücken: Der Quellenlage, mit der wir vom heutigen Standpunkt aus den
Mithraskult rekonstruieren wollen, entspräche ein Blick auf das Christentum nur
durch das Alte Testament und die baulichen Zeugnisse gotischer Kirchen. Die
entscheidenden Glaubensinhalte des Mithraskultes sind verloren oder sie sind
niemals festgehalten worden. Alle Forschung beinhaltet also immer ein Stück weit
Spekulation.

2.Ursprünge und Grundlagen des Mithraskultes

2.1.Raum und Zeit


Die Ursprünge eines Kultes für den Gott Mitra liegen im iranisch-persischen
Kulturraum vor der Zeit, da zwischen Persern und Hindus unterschieden wurde, d.h.
in dem Raum, der sich von Kleinasien im Westen über den Iran/Irak bis nach Indien
im Osten erstreckte.2 Die Verehrung des Gottes Mitra gibt es wahrscheinlich schon
seit Urzeiten, nachweislich aber findet sich eine Erwähnung des Mithra 3 zuerst in
einem Vertragstext der Hethiter, einem Volk, das in Zentralkleinasien siedelte, um
ca. 1380 v.Chr.

2.2.Die ursprüngliche Bedeutung der Gottheit Mitra


2.2.1.urzeitliche Wurzeln
Das Wort mitra (altiranisch/altindisch) bedeutet Vertrag, Bund, Treue. Daraus
schließt man, dass Mitra ein Gott des Vertrags, der Ehre, der Tugend war. Diese
Bedeutung stammt aus der frühesten Zeit der Verehrung des Mitra. Als Beschützer
der Wahrheit und der Bündnisse unterstützt er die oberste Gottheit Varuna 4 bzw.
Ahura-Mazda5, im Kampf gegen das Böse, das im iranischen Raum durch die Gottheit
Ahriman verkörpert wird. So wurde es möglich, dass Mitra zu einer allwissenden,
alles sehenden Gottheit ausgestaltet und als solcher mit dem himmlischen Licht
gleichgesetzt werden konnte; Mitra wird zu einer Lichtgottheit, die auf einem von
vier Schimmeln gezogenen Wagen über den Himmel fährt.
Trotzdem war Mitra nur der Helfer der obersten Gottheit und hatte in dieser
Frühzeit noch eine relativ untergeordnete Stellung innerhalb des Pantheons. Als sich
aber um 1000 v.Chr. die Trennung von indischem und iranischem Kulturraum vollzog,
behielt Mitra im sich gerade herausbildenden Hinduismus seine bisherige Stellung,
im iranischen Raum hingegen rückte er an die Spitze des Götterkreises 6. Mithra
hatte also an Bedeutung gewonnen.
Nun begann ein weiterer Wesenszug des Mithra sich auszuprägen: Man legte mehr
Wert auf das martialische Element des Kämpfers gegen das Böse und so nahmen ihn
die Soldaten für sich in Anspruch, ebenso taten es auch die Herrscher. Mithra, der
vor Schlachten angerufen wurde, wurde zu deren Beschützer im Kampf.

2.2.2.Zoroastrische, chaldäische und persische Einflüsse


Im System des Zarathustra7, dem Zoroastrismus oder Parsismus, wurde die
Bedeutung des Mithra stark abgeschwächt. Er wurde als niederer Genius 8 wieder
zum Helfer des Ahura-Mazda, der nun wieder zur obersten Gottheit wurde. Trotz
dieser Bedeutungsminderung finden sich in den heiligen Texten 9 des Zoroastrismus
noch Spuren der früheren Bedeutung des Mithra; trotz der theologischen
Bemühungen Mithra dem Ahura-Mazda zu unterstellen scheint im Volksglauben eine
Erinnerung an die frühere Bedeutung des Mithra bewahrt worden zu sein. Sogar im
Awesta werden Mithra und Ahura-Mazda in engem Zusammenhang genannt und mit
gleichen Formeln angebetet.10 Gleichzeitig mit der Übernahme und Umformung
durch das zoroastrische Glaubenssystem wurde der Kultus des Mithra nach strengen
Vorschriften reglementiert.11
Die Chaldäer, die seit dem 7./6. Jh. v.Chr. im Kerngebiet der Verbreitung des
Glaubens an Mithra ihr Großreich regierten, besaßen bereits ein geschlossenes
theologisches System, das sie innerhalb ihres Reiches verbreiteten. Außerdem
waren die Chaldäer berühmt für ihre Kenntnisse in der Astrologie und Astronomie 12.
Diese beiden wichtigen kosmologischen Elemente drangen bald nach der Entstehung
des Zoroastrismus in denselben ein und trugen zu dessen weiterer Festigung bei.
Es lässt sich feststellen, dass die Religion des Mithra im Perserreich (ca. 5. Jh.
v.Chr.) gesellschaftliche Strukturen prägte; Soldaten nahmen Mithra für sich als
Schutzgott in Anspruch, ebenso taten es die Herrscher. Dies ist inschriftlich z.B.
für Artaxerxes I.-III., Xerxes und Darius II. belegt. Spätere Könige leiteten sogar
ihre Namen von Mithra ab.13 Mithra wurde als Verkörperung der Gerechtigkeit, der
Tapferkeit und des Edelmutes zum Leitbild des Königtums und der Soldaten und in
dieser Funktion auch zum Mittler zwischen König und Heer, er erhielt also eine
staatstragende Funktion. In dieser Zeit nahm der Kultus des Mithra schärfere
Konturen an. Ihm wurde der siebente Monat des Jahres geheiligt, ebenso auch der
sechzehnte Tag jedes Monats, es wurden prunkvolle Zeremonien und Feste zu Ehren
Mithras gefeiert, und der Kultus des Mithra wurde klerikalisiert. Aus der
chaldäischen Prägung erwachsend bildete sich eine religiöse Oberschicht von μάγοι
(auch μαγουσαĩοι14 genannt), herumziehenden Sterndeutern und Priestern15. Bei
diesen μάγοι ist durchaus an diejenigen der Weihnachtsgeschichte zu denken. 16Die
Götter des zoroastrischen Glaubenssystems verschmolzen mit denen des
chaldäischen17; aus dem noch recht primitiven, naturgebundenen und relativ
formlosen Kultus des Mithra im Zoroastrismus war durch die Institutionalisierung im
Perserreich und durch die Synthese mit der chaldäischen Theologie, insbesondere
durch den Einfluss der μάγοι mit ihren astrologischen und astronomischen
Kenntnissen eine streng reglementierte, nahezu wissenschaftliche Mithrareligion
geworden.
Und es waren eben diese μάγοι, die zur weiteren Verbreitung der Bekanntheit des
Mithra beitrugen; sie zogen im gesamten vorderasiatischen Raum herum und ließen
sich vielerorts nieder, verkündeten dort ihren Glauben und bewahrten ihn auf diese
Weise für einen langen Zeitraum, so dass die mithrische Religion auch nach dem
Sturz des Perserreichs vielerorts fortbestehen konnte. Dies gilt in besonderer
Weise für Kleinasien.

nach oben

- Werbung -

Mithraskultbild im Römisch-
Germanischen Museum, Köln

3.Eintritt in die griechisch-römische Welt und Etablierung des Kultes im


gesamten Imperium Romanum
3.1.Kleinasien
Kleinasien wird zum Ausgangspunkt der weiteren Verbreitung der Mithrareligion und
zum neuen Zentrum der Verehrung für Mithra. Kleinasien ist ein Raum, der als
Grenzbereich zwischen Europa und Asien sowohl von der vorderasiatischen Kultur
(also dem Parsismus) als auch vom Gedankengut der hellenistischen Welt geprägt
war. In diesem Schmelztiegel der Kulturen kam es zu einer entscheidenden
Umformung der Mithrareligion. Diese neue Form der Verehrung und die damit
verbundene neue Ausprägung der Gottheit bildeten die Grundlagen für die späteren
Mysterien des Mithras18. Heute lässt sich nur noch schemenhaft erahnen,
welcherart diese Umgestaltung gewesen sein mochte. Genau nachzeichnen lassen
sich allerdings nur einzelne Punkte.
Ab dem 4. Jh. v.Chr. lassen sich erste Ansätze einer Hellenisierung der
Mithrasreligion in Kleinasien feststellen. Wie schon zuvor 19 wird Mithras dem dort
verehrten Sonnengott Apoll, bzw. Helios angenähert. Die μάγοι bemühten sich, ihre
Traditionen mit der griechischen Philosophie zu begründen und zu verknüpfen. Dies
geschah vor allem auf die Weise, dass man die im Vergleich zu den philosophischen
Systemen des Hellenismus recht schlicht anmutenden Inhalte der mithrischen
Mythologie als Allegorie der stoischen Kosmologie zu deuten versuchte. Auf diese
Weise wurde Mithra wahrscheinlich mehr und mehr zu einer kosmischen Gottheit,
die gemeinsam mit dem Sonnengott Helios, oder als mit ihm identische Gottheit, im
Kreise der damals bekannten sieben Planeten herrscht.
In dieser Zeit der mehr oder minder ausgeprägten Anpassung müssen sich in
Kleinasien die Mysterien20herausgebildet haben, in deren Mittelpunkt Mithras als
kosmische Schöpfer- und Heilsgottheit steht. Neben diesen Eigenschaften bleibt er
jedoch wahrscheinlich weiterhin der Wahrer der Verträge und der Schutzgott der
Soldaten. Eine solche Anpassung an westliche Vorstellungen war die
Grundsteinlegung für die Übernahme der mithrischen Religion durch die griechisch-
römische Welt.21

3.2.Einführung, Ausbreitung und Etablierung im Imperium Romanum


Nach Plutarch22 sind die Mithrasmysterien im 1. Jh. v.Chr. durch die kilikischen
Seeräuber nach Rom gebracht worden. Cumont hält dies für unbestreitbar, in
neuerer Zeit aber nimmt man an, dass sie erst im 1. Jh. n.Chr. durch Sklaven,
Händler und v.a. Soldaten Eingang in das Römische Reich, d.h. zunächst in das
italische Kerngebiet gefunden haben. Die Soldaten spielen bei der Verbreitung der
Mithrasmysterien eine wichtige Rolle. Sie verehren, wie schon in der Frühzeit des
Kultus, Mithras als unbesiegbare Gottheit, die Tapferkeit und Edelmut verkörpert.
Die Tatsache, dass Soldaten in allen Teilen des Römischen Reiches stationiert waren
und die einzelnen Legionen oder Teile der Legionen häufig den Standort wechselten,
machte eine schnelle Ausbreitung in allen Teilen des Römischen Reiches möglich.
Mithräen, die unterirdischen Heiligtümer des Mithraskultes, hat man besonders in
Germanien, entlang der Donau und Gallien gefunden, also vorwiegend in den
Grenzregionen des Imperium Romanum.
Ebenso wie die Soldaten, so waren auch Sklaven und Händler in allen Teilen des
Reiches zu finden, wobei gerade in der Zeit vom 1. Jh. v.Chr. bis zum 1. Jh. n.Chr.
zahlreiche Sklaven aus den gerade unterworfenen vorderasiatischen Gebieten, also
aus denjenigen, die das Kerngebiet der Mithrasverehrung darstellen, nach Westen
transportiert wurden. Die schnelle Ausbreitung und das damit verbundene schnelle
Anwachsen brachten dem Mithraskult eine zunächst nur erzwungene Akzeptanz
seitens des römischen Staates ein. Bis zum Ende des 2. Jh.s n.Chr. gab es keine
offizielle Verlautbarung des Staates zum Mithraskult. Erst Kaiser
Commodus23 unterstützte den Mithraskult. Er war der erste römische Kaiser, der
sich in die Mysterien des Mithras einweihen ließ. Offenbar verstand er sich als
Inkarnation des Mithras. Die Tatsache, dass Mithras nun Zugang zu den höchsten
Kreisen des Staates gewonnen hatte, zog einen ungeheuren Popularitätsgewinn für
den Mithraskult nach sich und verhalf ihm zu noch mehr Einfluss. Die folgenden
Kaiser arrangierten sich mehr und mehr mit dem Mithraskult und nutzten ihn für
ihre Zwecke. Die Blütezeit des Mithraskultes liegt im 2. und 3. Jh. n.Chr. In dieser
Zeit kann man mit Recht den Mithraskult als „Weltreligion“ bezeichnen. Er zählte zu
seinen Anhängern mindestens eben so viele Menschen wie das Christentum zu dieser
Zeit.

3.3.Der Mithraskult und die römischen Kaiser


Wie in allen Zeiten der Verehrung des Mithra hatte dieser Gott auch in Form des
Mysterienkults im Römischen Reich ein enges Verhältnis zu den Herrschern.
Da Mithras vor allem von Soldaten verehrt wurde, die einen erheblichen
Machtfaktor innerhalb des Römischen Reiches darstellten, mussten die Kaiser sich
mit der neuen Gottheit arrangieren. Aus dieser zunächst nur erzwungenen
Akzeptanz wurde seitens der Kaiser schnell ein reges Interesse und Zuneigung. Sie
sahen in den monotheistischen Ansätzen dieses Kultes ein Abbild der
Herrschaftsverhältnisse auf Erden und benutzten dies zur Legitimation ihrer
Alleinherrschaft. Außerdem muss dieser Mysterienkult einen besonderen Reiz auf
die Imperatoren ausgeübt haben. In diesem Gott, der strahlend wie die Sonne allen
Menschen Wohlergehen bringt und dazu Unbesiegbarkeit verspricht, sahen sie sich
selbst.
So kam es dazu, dass der exzentrische Kaiser Commodus24 sich in der Zeit zwischen
189 n.Chr. und 192 n.Chr. als erster römischer Imperator in die Mysterien des
Mithras einweihen ließ.
Nachdem der Sonnengott El-Agabal zum Staatsgott erhoben worden war, war es nur
noch ein kleiner Schritt zu dessen Gleichsetzung mit dem ihm so ähnlichen Mithras,
zumal der Mithraskult für Außenstehende ohnehin nur eine Sonderform des Kultes
des Sonnengottes El-Agabal zu sein schien. Ebenso wurde die Erhebung des
Sonnengottes über alle anderen Gottheiten von den Mithrasanhängern begrüßt, da
sie in dem Sonnengott, der über allen anderen Göttern stand, ihren Mithras sahen.
Seit dem 3. Jh. n.Chr. dem Zeitpunkt also, zu dem der Mithraskult offizieller Kult
der Kaiser geworden war, finden sich zahlreiche Inschriften, die belegen, wie
wichtig Mithras für die Kaiser geworden war. Seit dieser Zeit lebte im kaiserlichen
Palast ein sacerdos invicti Mithrae domus Augustanae, ein „Hofgeistlicher“ für den
Kaiser.
Besonders interessant ist eine Inschrift aus dem Jahre 30825, in dem sich die Kaiser
Galerius, Maximian und Diocletian in Carnuntum26 trafen, um die Tetrarchie
wiederherzustellen. Aus diesem Anlass erneuerten sie das dort befindliche
Mithräum und stifteten folgende Inschrift:
D∙S∙I∙M
FAVTORI∙IMPERII∙SVI
IOVII∙ET∙HERCVLII
RELIGIOSISSIMI
AVGVSTI∙ET∙CAESARES
SACRARIVM
RESTITVERVNT
D(eo) S(oli) I(nvicti) M(ithrae) | fautori imperii sui | Iovii et Herculii | Religiosissimi
| Augusti et Caesares | Sacrarium | restituerunt27
Hier wird deutlich, dass Mithras als Beschützer der kaiserlichen Herrschaft 28 eine
staatstragende Funktion erlangt hat. Damit ist der Höhepunkt der
Mithrasverehrung erreicht.

4.Der Niedergang der Mithraskultes


In der Folgezeit wurde mit dem Verlust einiger Provinzen auch der Glaube an die
Unbesiegbarkeit des Mithras gemindert. Ein besonders gravierender Rückschlag
aber war der Sieg Constantins über das Heer des Licinius, das unter dem
mithrischen Sonnenkreuz kämpfte. Währenddessen konnte sich das Christentum
fast ungehindert weiter ausbreiten. Ein letztes Aufflammen der heidnischen
Religion und besonders des Mithraskultes gab es dann unter dem Heidenkaiser
Julian Apostata, der sich offen zum Mithraizismus bekannte. Vielleicht ist es Ironie
des Schicksals, dass er ausgerechnet bei einem Feldzug gegen die Perser ums Leben
kam. Mit der Herrschaft des Kaisers Theodosius war der Mithraskult endgültig dem
Untergang geweiht. Das Christentum wurde zur Staatsreligion erhoben und alle
anderen Kulte verboten. Durch dieses Verbot und die Tatsache, dass sich die
Mithras„gemeinden“ nun gewaltsamen, zum Teil grausamen Verfolgungen durch die
Christen ausgesetzt sahen, konnten die Zeremonien des Mithraskultes von nun an
nur noch versteckt und im Geheimen praktiziert werden. Auf diese Weise hielten
sich vereinzelt noch Kultgemeinden in allen Teilen des Reiches bis ins 6. Jh. n.Chr.
hinein.

4.1.Gründe für das Scheitern des Mithraskultes


Es ist deutlich geworden, dass der Mithraskult die Mängel der kollektiven, allenfalls
auf das Staatswohl hin angelegten altheidnischen Religion überwunden hat und dem
wachsenden Bedürfnis nach individuellem Heil gerecht wurde. Außerdem wurde
Mithras seit Commodus, also seit dem Ende des 2. Jh.s. n.Chr., von den Kaisern des
Römischen Reiches verehrt und sein Kult gefördert. Angesichts dieser Tatsache,
sowie den vielen auffälligen Parallelen zum Christentum drängt sich nun die Frage
auf, warum der Mithraskult im Dunkel der Geschichte versunken ist.
Ein wesentlicher Grund dafür, dass sich der Mithraskult nicht durchgesetzt hat, ist
die Tatsache, dass er nicht überregional organisiert war; es gab unter den einzelnen
Kultgemeinden kaum Austausch und keine übergeordnete Instanz, so dass die
Mithras„gemeinden“ – so weit sie auch verbreitet waren – doch isolierte Phänomene
darstellten.
Ein erheblicher Nachteil im Vergleich zum Christentum war ebenfalls, dass der
Mithraskult nur Männern zugänglich war, Frauen jedoch versperrt blieb. Der
Mithraizismus hätte sich also in seiner relativ starren Form niemals zu einer
umfassenden und beständigen Religion ausweiten können.
Wichtig ist auch die Tatsache, dass die Gottheit Mithras ihren Anhängern
Unbesiegbarkeit versprach. Mit dem Zerfall des Römischen Reiches, dem Verlust
von Provinzen und durch die Einfälle von fremden Völkern in das Reich aber wurde
die Glaubwürdigkeit der Unbesiegbarkeit zunehmend in Frage gestellt. Ein
wesentlicher Aspekt der anfänglichen Attraktivität des Mithraskultes ging verloren.
Der wesentliche Gesichtspunkt aber ist die Tatsache, dass seit Konstantin das
Christentum die bevorzugte Religion im römischen Staate war. Dadurch wurde den
anderen Kulten die Existenz wesentlich erschwert. Vielleicht hat das Christentum
auch die Ansätze, die im Mithraskult bereits angelegt waren, kompromissloser
umgesetzt. So ist der Mithraskult zwar vorwiegend monotheistisch angelegt, es gibt
aber neben Mithras auch noch andere Gottheiten, die verehrt werden. Außerdem
lehnt der Mithraskult die Zugehörigkeit zu anderen Kulten und Verehrung anderer
Gottheiten nicht ab. Das Christentum hingegen ist in seinem Monotheismus
wesentlich radikaler. Es verbietet die Verehrung anderer Götter. Das bedeutet,
dass der Mithraskult trotz aller neuen Impulse, die er in Abgrenzung zur
heidnischen Religiosität bot, dennoch mit dieser verwoben blieb und ohne sie nicht
denkbar wäre. Diese Form der Religiosität bot den Menschen auf Dauer jedoch nicht
die Befriedigung ihrer neuen religiösen Bedürfnisse, die mit dem in der Spätantike
zunehmenden Ich-Bewusstsein wuchsen. Hier war das Christentum mit seiner allein
auf die einzelne Person angelegten Natur deutlich im Vorteil.

Schaubild: Strömungen, die zur


Entstehung der Mithrasmysterien
geführt haben

Hier können Sie dieses Schaubild als PDF-Datei herunterladen:


Entstehung der Mithrasmysterien
- Werbung -
5.Die Mithrasmysterien / Inhalte des Kultes

Über die genauen Zeremonien der Kultfeiern und die eigentlichen Inhalte des
Mithraskultes ist nur wenig bekannt, da die Glaubensinhalte geheim waren 29 und aus
diesem Grunde vielleicht niemals schriftlich festgehalten worden sind. 30 Die einzigen
gesicherten Zeugnisse für den Mithraskult sind wüste Beschimpfungen in
apologetischen Schriften, aus denen wir nur ein sehr bruchstückhaftes und negativ
gefärbtes Bild erhalten, archäologische Relikte, Weihinschriften auf
Kultgegenständen und besonders die sogenannten Mithräen, unterirdische
höhlenartige Tempel, in denen die Anhänger des Mithraskultes sich trafen und ihre
Kultzeremonien feierten. Viele dieser Mithräen sind gerade deswegen, weil sie
unterirdisch angelegt worden sind, gut erhalten.31
Diese Mithräen waren wie die gesamte mithrische Kunst im großen und ganzen in
Form und Ausgestaltung stereotyp. Ein Mithräum ist ein länglicher Raum mit
gewölbter Decke. Vermutlich handelt es sich bei dieser Wölbung um ein Symbol des
Himmels. An zentraler Stelle im Mithräum war ein Kultbild32 aufgestellt, das
hauptsächlich zeigt, wie Mithras einen Stier tötet33.

Mithraskultbild Paris, Louvre (Rückseite)

5.1.Der Mythos von Mithras


5.1.1.Die Theorie des Franz Cumont34

Anhand dieser Kultsteine lässt sich der Inhalt des Mithras-Mythos rekonstruieren.
Allerdings gehen gerade in bezug auf die Dinge, die man aus den Kultsteinen ablesen
kann, die Meinungen weit auseinander. Wesentlich und ernstzunehmen sind zwei
Theorien: Die ältere und lange Zeit unumstrittene des Franz Cumont35und die in
jüngerer Zeit von David Ulansey aufgestellte36. Im Folgenden werde ich zunächst
Cumonts Theorie darlegen:
Mithras wird als Verkörperung des Lichts aus einem Felsen in die Dunkelheit hinein
geboren.37 Sein Kopf ist bedeckt mit einer phrygischen Mütze38, er hält Messer und
Fackel in den Händen. Dies sind Zeichen seiner Vorherbestimmung zur Stiertötung
und seiner Funktion als Lichtgottheit. Da Mithras nackt geboren wurde und Winde
heftig stürmen, klettert er in eine Baumkrone. Dort schneidet er sich Früchte ab
und isst sie. Hierdurch gewinnt Mithras an Kraft. Auf diese Weise erstarkt irrt er
durch die Welt, um ein Wesen zu suchen, mit dem er seine Kraft messen kann.
Schließlich findet er den Urstier, der eine Verkörperung des Bösen ist. Mithras
packt den Stier bei den Hörnern und setzt sich auf dessen Rücken. Der Stier
versucht ihn abzuwerfen und verausgabt seine Kräfte. Als der Stier erschöpft ist,
nimmt Mithras dessen Hinterhufe und schleift ihn auf dem Rücken in eine Höhle, wo
er den Stier einsperrt. Nachdem er den Stier auf diese Weise besiegt hat, sucht
Mithras erneut nach jemandem, mit dem er seine Kraft messen kann und stößt auf
den Sonnengott Helios oder Sol, mit dem er ebenfalls zu kämpfen beginnt. Mithras
besiegt ihn, und Helios/Sol wird daraufhin von Mithras mit der Strahlenkrone
bekränzt. Mithras befiehlt Helios/Sol, auf einer Bahn über den Himmel zu fahren,
sie reichen sich die Hände als Zeichen der Freundschaft und gegenseitiger
Unterstützung. Währenddessen entwischt der Stier aus der Höhle. Dies bemerkt
Helios/Sol, der Wächter über die Welt, und schickt seinen Boten, den Raben, um
Mithras zu verkünden, dass er den Stier töten soll. Mithras befolgt den Befehl
widerwillig und jagt den Stier mit seinem Hund durch die gesamte Welt. Schließlich
fängt er den Stier, als dieser wieder in die Höhle zurückgekehrt ist, um sich dort zu
verbergen. Mithras packt den Stier bei den Nüstern, reißt dessen Kopf zurück,
springt auf den Rücken des Stieres und stößt ihm das Messer in die Flanke. Er
wendet sich dabei ab, woraus Cumont schließt, dass er die Tötung nur widerwillig
vollzieht. Nun ereignet sich etwas, das Cumont als „außerordentliches
Wunder“39 bezeichnet: aus dem Körper des sterbenden Stieres gehen alle nützlichen
Pflanzen hervor. Dies wird nach Cumont im Kultbild dadurch angedeutet, dass aus
dem Schwanz des Stieres Ähren und aus seinem Blut Wein hervorgehen. Der Samen
des Stieres bringt die verschiedenen Nutztiere hervor. Allerdings versuchen einige
chthonische Kreaturen (Skorpion und Schlange) etwas von dem Samen des Stieres
und vom Blut aufzufangen.40 Diese Lebewesen stellen das in der Welt verbliebene
Böse dar. Im Tod steigt die Seele des Stieres in himmlische Sphären auf. Durch
dieses Ereignis also wird Mithras indirekt zum Schöpfer aller Guten Dinge auf der
Erde.
Inzwischen ist das erste Menschenpaar entstanden, die bösen Mächte jedoch
versuchen sie zu töten. Deshalb muss Mithras weiterhin gegen sie ankämpfen. Es
kommt allerdings zu einer Trockenheitsperiode, welche die Menschen dazu
veranlasst, Mithras um Hilfe anzuflehen. Mithras erbarmt sich und schlägt mit
einem Pfeil Wasser aus einem Stein. Damit geben die bösen Mächte sich geschlagen,
und Mithras gewährt den Menschen ein friedvolles Leben.
Dies ist das Ende des irdischen Wirkens des Mithras. Aus diesem Anlass findet die
Feier eines Abschiedsmahles mit Helios/Sol und den Helfern des Mithras, Cautes
und Cautopates, statt. Danach steigt Mithras mit Helios/Sol auf den Sonnenwagen
und fährt mit ihm über den Himmel. Von dort aus wacht er über das Wohl derjenigen
Menschen, die ihn verehren.
Soweit der Mythos von Mithras nach Franz Cumont. Diese Auffassung der Kultbilder
des Mithraskultes birgt allerdings einige Ungereimtheiten und wirkt konstruiert und
willkürlich.

5.1.2.Die Theorie des David Ulansey


Eine andere mögliche Auffassung der Kultbilder bietet David Ulansey 41. Er
betrachtet die bildlichen Darstellungen auf den Kultsteinen als Sternenkarte und
begründet dies damit, dass sämtlichen Figuren, die abgebildet sind, ein Gegenstück
am Sternenhimmel besäßen.42 Für ihn belegen die Kultbilder das geheime Wissen um
die Bedeutung der sogenannten Präzession der Äquinoktien. Hierbei handelt es sich
um das Phänomen, dass sich die Punkte der Frühlings- und Herbsttagundnachtgleiche
im Laufe der Jahrtausende am Himmel verschieben, das der griechische Astronom
Hipparch um 130 v.Chr. entdeckt hatte.43 Die Äquinoktien wandern rückwärts durch
den Tierkreis und verschieben sich in je 2160 Jahren von einem Sternbild ins
nächste, so dass der gesamte Tierkreis in 25920 Jahren durchlaufen wird. Die auf
den Kultsteinen des Mithraskultes dargestellte Tauroktonieszene bringt demnach
zum Ausdruck, dass dasjenige Sternbild, in dem die Frühlingstagundnachtgleiche
zuletzt lag, das des Stieres ist. Ulansey meint, dass eine Gruppe stoischer
Intellektueller, die der Stoa gemäß mit der Astrologie vertraut war, – vermutlich aus
der kilikischen Hauptstadt Tarsos – im 2./1. Jh. v.Chr. von der Präzession erfuhr und
dieses Phänomen, bzw. die Macht, diese kosmische Bewegung zu vollführen, einer
Gottheit zuschrieb, nämlich Perseus. Der nämlich war eine Art Schutzpatron von
Tarsos und außerdem als Sternbild mit kosmischer Macht leicht in Verbindung zu
bringen. Auf den Kultbildern des Mithraskultes sieht man Mithras, eine Figur mit
phrygischer Mütze, mit der auch Perseus dargestellt wird, oberhalb des Stieres,
den er tötet. Einerseits weist dies auf die tatsächliche Position des Sternbildes
Perseus oberhalb des Sternbildes Taurus hin, im übertragenen Sinne jedoch zeigen
die Kultbilder durch die Tatsache, dass Mithras den Stier tötet, dass das Zeitalter,
in dem das Frühlingsäquinoktium im Sternbild Taurus lag, vorbei ist. 44
Mithraskultbild in Form einer
freistehenden Plastik, London, British
Museum

5.2.Die Ausgestaltung der Mysterien

Welchen Inhalts auch immer das mysterion des Mithraskultes gewesen sein mag,
wissen wir doch um die Ausgestaltung des Kultgeschehens umso mehr.
Um an dem Wohl teilhaben zu können, das die mächtige Gottheit, die (nach Cumont)
den Stier tötet oder aber (nach Ulansey) für die Präzession der Äquinoktien
verantwortlich ist, muss man in den engeren Kreis des Mithraskultes aufgenommen
werden. Die Aufnahmezeremonie wird Initiation genannt. Bevor sie jedoch
stattfindet, muss der Initiand einen längeren Unterricht in der mithrischen Lehre
absolvieren. Erst danach kann die Initiation vollzogen werden. Dies geschah
einerseits durch eine Taufe, die nach einiger Zeit durch eine Art Konfirmation
bekräftigt werden muss und andererseits durch körperliche Proben und
Selbstzüchtigungen, die sehr hart gewesen sind, über die aber nichts genaues
bekannt ist.45 Nach dieser Initiation konnte man sieben Weihestufen durchlaufen,
wobei jeder Stufe eine Figur auf dem Kultbild entspricht:
Die unterste Stufe hieß Corax (Rabe) und symbolisierte den Raben auf dem Umhang
des Mithras. Die nächste Stufe hieß Nymphus (Verlobter) und wurde mit der
Schlange assoziiert. Danach kam der Miles (Soldat), der den Skorpion verkörperte.
Die nächsthöhere Weihestufe war Leo (Löwe), der sich auf dem Kultbild als Hund
wiederfand. Die fünfte Weihestufe war Perses (Perser), der dem Cautopates auf
dem Kultbild entspricht. Die zweithöchste Stufe war der Heliodromus
(Sonnenläufer), dargestellt durch Cautes. Und die höchste Weihestufe schließlich
war der Pater (Vater), der den Mithras verkörperte. Der Großteil der Gläubigen
jedoch nahm die unteren Stufen ein. Der Pater als oberster Priester einer jeweiligen
Gemeinschaft und gleichzeitig Stellvertreter des Mithras hatte die Leitung einer
jeweiligen Mithras„gemeinde“ inne. Die verschiedenen Weihestufen entsprechen
dem Aufstieg der Seele zum Göttlichen.
Bei der Aufnahme eines Kultanhängers in eine neue Stufe war der Initiand gemäß
der neuen Stufe, das heißt als Rabe, als Soldat usw., verkleidet. Außerdem waren
jeder Weihestufe verschiedene Symbole zugeordnet.46 Dies machte das
Kultgeschehen und das komplizierte System, das dahinter stand anschaulich und
eröffnet einen Zugang auch für einfache Menschen. Als weitere Veranschaulichung
des Heilsgeschehens diente das rituelle Gemeinschaftsmahl aus Brot und Wein, das
bei den Zusammenkünften im Andenken an das Abschiedsmahl des Mithras gefeiert
wurde. Mit diesem Mahl nahm der einzelne Anhänger des Mithraskultes das Heil des
Mithras in sich auf. Dies ist ein typisches Merkmal der Mysterienkulte. Der
Eingeweihte sollte etwas erleben; das Kultgeschehen war nicht nur auf das rationelle
Verstehen hin angelegt.
Innerhalb des Kultes wurde von den Anhängern eine streng ethische Lebensführung
erwartet, die den Einzelnen dazu bewegen sollten, in der Nachfolge des Mithras das
Gute zu tun. Durch die gemeinsame Aufgabe des guten Handelns und der Hingabe
innerhalb des Kultes entstand unter den Anhängern des Mithraskultes ein enges
Gemeinschaftsgefühl, das durch die Enge des Kultraumes noch unterstützt wurde.
Der Kult war also auf den Einzelnen hin angelegt; das durch Initiation und
Gemeinschaftsmahl erlangte Heil führte dazu, dass der einzelne Gläubige sich
Hoffnungen auf ein Weiterleben nach dem Tod im Himmel machen konnte.

6.Zusammenfassung der Gemeinsamkeiten von Mithraskult und Christentum

Wie schon angedeutet gibt es einige mehr oder minder augenscheinliche Parallelen
zwischen Mithraskult und Christentum. Beide sind Erlösungsreligionen, die dem
Einzelnen dadurch, dass dieser dem Gott in seinem Tun nachfolgt, Heil versprechen.
Beide Kulte kennen das Motiv der leidenden Gottheit. So entspricht dem
christlichen „Das-Kreuz-auf-sich-Nehmen“ Jesu Mithras´ mühsames Tragen des
Stieres durch die ganze Welt.
Jesus wie Mithras sind Götter, die das Licht verkörpern. Dies schlägt sich in der
Lichtsymbolik beider Kulte nieder, z.B. an der Tatsache, dass der Geburtstag Jesu
wie auch der Geburtstag des Mithras am Tag der Wintersonnenwende, dem 25.
Dezember gefeiert wird.
Neben diesen Gemeinsamkeiten in der Lehre stehen die Parallelen in der
Ausgestaltung der Kultpraxis. Vor allem ist dies natürlich die Taufe zur Aufnahme in
die religiöse Gemeinschaft, der ein Katechumenat vorausgeht und der eine
Konfirmation folgt. Des weiteren gibt es in beiden Gemeinschaften ein Abendmahl
mit Brot und Wein, das dem Erlangen persönlichen Heils dient. Beide Kulte verlangen
vom Gläubigen eine streng ethische Lebensführung, in der Nachfolge der Gottheit
(Jesus, bzw. Mithras) gesehen wird.
Parallelen gibt es aber auch in der Symbolik. So hat das Sonnenkreuz 47 des
Mithraskultes starke Ähnlichkeit mit dem Christusmonogramm.

7.Ist Mithra identisch mit Mithras? – Eine Zusammenfassung

Die Theorie des Franz Cumont behauptet eben dies. Jedoch kam es in neuerer Zeit
zu mannigfaltiger Kritik an dieser These.48 Ich will nur einige Punkte herausgreifen,
die mir selbst äußerst kritikwürdig erscheinen.
Zunächst leuchtet die Kritik ein, dass in Cumonts These viele Dinge konstruiert und
weit hergeholt wirken. Cumont muss behaupten, dass sämtliche Elemente, die uns im
Mithraskult begegnen, bereits im persischen Glauben an Mithra angelegt sind, damit
er seine These von der Gleichheit von Mithra und Mithras aufrecht erhalten kann.
Besonders gilt dies natürlich für das zentrale Motiv der Mysterien, den Stier. Doch
zieht er hier weit weniger bedeutende Quellen heran49, als er es tut, um andere weit
weniger wichtige Elemente der Mysterien auf altorientalische Vorstellungen
zurückzuführen; in bezug auf den Stier scheint die Quellenlage bei weitem nicht so
gut zu sein, wie bei anderen, unbedeutenderen Elementen. Im von Cumont in diesem
Zusammenhang zitierten Bundahishn wird tatsächlich die Schaffung eines
„Urstieres“ durch Ahura-Mazda beschrieben, doch wird dieser Stier nicht etwa von
Mithra, oder Ahura-Mazda selbst getötet oder von einer Gottheit, die in sonstiger
Weise mit Mithra assoziiert werden kann, sondern ausgerechnet von Ahriman, der
Verkörperung des Bösen, der Gottheit, die der Stärkste Widersacher des Mithra
ist.
Ein weiterer Kritikpunkt an Cumonts Theorie ist der, dass sich aus der Verehrung
des Mithra im iranisch-indischen Kulturraum noch nicht die Entstehung der
Mysterien und die letztendliche Ausprägung des Kultes erklären lassen. 50 Dies sind
im Wesentlichen Elemente, die auf die Einflüsse zurückzuführen sind, die in
Kleinasien in den Kultus des Mithra eingedrungen sind.51 Zu behaupten, dass diese
Ausprägungen dem iranisch-indischen Glauben an Mithra völlig fehlen, ist allerdings
unangebracht. Im Parsismus nämlich gibt es eine dem Mithraskult sehr ähnliche
Initiationszeremonie, die sich explizit auf Yäšt X, die Hymne an Mithra, beruft 52 und
in der dort beschriebenen Weise begangen wird.53

8.Resümee
Mithraskult und Christentum verbreiteten sich unter sehr ähnlichen Bedingungen
und zur selben Zeit. Beide Religionen stammen aus dem Orient und haben seit dem 2.
Jh. n.Chr. Anhänger in allen Teilen des römischen Reiches. Beide Religionen nehmen
das Heil des Einzelnen in den Blick und sind in diesem Punkt völlig verschieden von
der herkömmlichen heidnischen Religion. Außerdem und haben beide Kulte ähnliche
Ausformungen des Kultes und in der Symbolik.
Diese Ähnlichkeiten gaben Anlass zu den abstrusesten Theorien, die aber wenig
ernstzunehmen sind.54 Bis in die 1980er Jahre hinein war die Theorie von der rein
orientalischen Herkunft des Mithraskultes, die Franz Cumont am Ende des 19. Jh.
aufstellte, unumstritten55. 1989 erschien David Ulanseys Abhandlung „The Origins of
Mithraic Mysteries“, in der er seine Theorie darlegt, die besagt, dass die Kultbilder
in erster Linie als Sternenkarten zu lesen seien.
Viele Fragen bleiben offen, aber das Wissen um den Mithraskult ist wichtig, um die
Entstehung und Ausbreitung des Christentums besser verstehen zu können.

Das könnte Ihnen auch gefallen